Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich auf folgendes aufmerksam machen. Der Ältestenrat schlägt Ihnen in Übereinstimmung mit dem Ausschuß für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen vor, die Übersichten über die Beschäftigung Schwerbeschädigter bei den Bundesdienststellen künftig, in Abänderung des Beschlusses des Bundestages vom 8. April 1959, nur noch jährlich statt halbjährlich zu verlangen. — Das Haus ist damit einverstanden; es ist so beschlossen.
Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundeskanzler hat unter dem 9. Oktober 1964 den mit seinem Schreiben vom 5. Juni 1964 — Drucksage IV/2320 — in Aussicht gestellten Anlageband zur Konzentrationsenquete übersandt. Er wird als zu Drucksage IV/2320 verteilt.
Der Bundesminister des Innern hat am 9. Oktober 1964 unter Bezug auf den Beschluß des Bundestages vom 24. Juni 1964 über die zeitliche und finanzielle Planung für bauliche Zivilschutzmaßnahmen und für den Selbstschutz berichtet. Sein Schreiben wird als Drucksache IV/2607 verteilt.
Meine Damen und Herren, wir kommen nun zur Fragestunde als erstem Punkt der Tagesordnung, und zwar fahren wir fort bei den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Es handelt sich zuerst um die Frage VIII/3 - des Abgeordneten Wächter -:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, um den Rückgang der Rinderbestände in der Bundesrepublik aufzuhalten?
Herr Bundesminister, ich darf bitten.
Ich darf wie folgt antworten. Der erstmals Dezember 1963 festgestellte Rückgang der Rinderbestände hat sich auch in der Viehzählung vom Juni 1964 fortgesetzt. Ähnliche Bestandsrückgänge sind auch in den benachbarten Ländern festzustellen. Eine allgemeine Verknappung des Rindfleischangebots im In- und Ausland und hohe Rinderpreise sind die Folge.
Diese hohen Rinderpreise in den benachbarten Ländern, insbesondere in Italien, haben dazu geführt, daß die Ausfuhr von Rindern und Rindfleisch
aus der Bundesrepublik stark zugenommen hat, obwohl seit dem 1. März 1964 jegliche Ausfuhrförderung wie z. B. die Gewährung von Einfuhranrechten für Rindergefrierfleisch bei nachgewiesener Ausfuhr von lebenden Rindern aufgehoben ist. Für die Ausfuhr von Zuchtvieh wird an Stelle der Freigabe von Gefrierfleischeinfuhren ab 1. Juli 1964 eine Barerstattung gewährt.
Besonders auffallend ist die Ausfuhr von Kälbern zu hohen Preisen nach Italien — es gehen etwa 5000 Stück wöchentlich hinaus —, die den Aufbau in den Rinderbeständen, insbesondere in Süddeutschland, besonders gefährden. Ein Ausfuhrverbot ist mit dem EWG-Vertrag nicht vereinbar und auch nach dem Außenwirtschaftsgesetz nicht durchführbar. Die italienische Regierung hat jedoch in der letzten Sitzung des Ministerrates in Brüssel am 22. September versichert, sämtliche bei den Kälbereinfuhren aus Mitgliedstaaten gewährten Beihilfen sofort abzuschaffen.
Um den Kälberfleischbedarf im Inland zu decken und die einheimischen Schlachtungen zu verringern, wurden weltweite Einfuhrmöglichkeiten für Kälber und Kalbfleisch geschaffen, die bei der allgemeinen Verknappung nur sehr gering genutzt werden.
Da Rindfleisch weiterhin knapp bleiben dürfte, werden die Rinderpreise auch bei der Anwendung der EWG-Marktordnung „Rindfleisch" fest bleiben. Dadurch dürfte auch ein Anreiz für eine verstärkte Rindfleischproduktion gegeben sein.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wächter.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß von den zur Zeit sowieso schon rückläufigen Kälbergeburten mit insgesamt 5,2 Millionen rund 2,6 Millionen frühzeitig geschlachtet und viele Kälber jetzt — das wurde schon von Ihnen, Herr Minister, erwähnt — besonders nach Italien exportiert werden und damit nicht mehr für die Aufzucht und auch nicht für die notwendige Aufstockung des Bestandes — insbesondere angesichts des ständig steigenden Verzehrs von Rindfleisch — zur Verfügung stehen?
Herr Kollege, das ist uns bekannt. Wir müssen jedoch berücksichtigen, daß
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6860 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1964
Bundesminister Schwarzdiese über 2 Millionen Kälber nicht alle frühzeitig geschlachtet werden: es hat sich gezeigt, daß im letzten Jahr das Schlachtgewicht laufend zugenommen hat.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wächter.
Bedarf es nicht noch weiterer Überlegungen, Herr Minister, um durch anderweitige Maßnahmen die Rinderbestände aufzustocken und damit auch der Gefahr zu begegnen, in der Zukunft verstärkt von den zur Zeit steigenden Weltmarktpreisen abhängig zu werden?
Wir haben einige Maßnahmen im Auge — haben auch eine Maßnahme bereits getroffen —, nämlich die Aufstallprämie. Aber, Herr Kollege, im Grunde ist es doch so, daß uns die Leute wegen der Ungleichheit der Löhne in Stadt und Land vom Melken weglaufen und wir, wenn wir weniger Kühe halten, auch weniger Kälber haben. Die Quittung sind dann nachher die Zustände, die wir kritisieren.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Unertl!
Herr Minister, Sie sind sich doch mit mir darüber im klaren, daß die Rinderhaltung auch deswegen weitgehend rückläufig ist, weil die Dienstboten angesichts der Arbeitsverhältnisse in der Landwirtschaft fehlen. Wäre daher nicht in Ihrem Hause zu prüfen, ob man für die Rinderhaltung dadurch einen Anreiz geben könnte, daß man durch Umbau und Neubau von Stallungen die Arbeitsplätze verbessert? Wären Sie bereit, in Ihrem Hause insbesondere prüfen zu lassen, ob nicht Kleinbauern und solchen Landwirten, die bisher bei der Vergabe von Zuschüssen und Zinsverbilligungsmitteln aus dem Grünen Plan nicht zum Zuge kamen, Zuschüsse außerhalb der bisherigen Möglichkeiten gewährt werden könnten?
Herr Kollege Unertl, wir gewähren aus den Zinsverbilligungsmitteln jede mögliche Hilfe für die Verbesserung von Ställen. Wir können aber aus diesem Anlaß kaum so grundsätzliche Fragen wie die Frage der Beihilfen für Kleinstbetriebe lösen, die deshalb außerhalb der Bewilligungen liegen, weil sie der Altershilfe nicht angehören.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Unertl!
Aber gerade deswegen, Herr Bundesminister, bitte ich wirklich zu prüfen, ob nicht, weil die Richtlinien nicht passen und die
gesetzlichen Vorschriften über die Altershilfe Zinszuschüsse nicht zulassen, meine Anregung doch noch einmal überlegt werden könnte.
Ich habe nicht den Eindruck, daß das eine Frage war, Herr Kollege Unertl.
Ich rufe auf die Frage VIII/4 — des Herrn Abgeordneten Dr. Rinderspacher —:
Ist die Bundesregierung bereit, die nicht zu verhindernden illegalen Einfuhren von französischem Mais-Saatgut im kommenden Jahr für den mittelbadischen Raum durch eine Ausnahmegenehmigung zu legalisieren?
Bitte, Herr Minister!
Im Vorjahre sind während eines kürzeren Zeitraumes geringe Mengen Hybridsaatmais „INRA 258" aus Frankreich über die Grenze verbracht worden. In allen Fällen lag eine Ordnungswidrigkeit nach § 33 Abs. 1 AWG vor, die nach Abs. 5 mit einer Geldbuße bis zu 50 000 DM geahndet werden kann. Von einer Geldbuße wurde abgesehen. Die Einführer wurden verwarnt.
Die Bundesregierung muß das geltende Recht achten. Sie kann unzulässige Einfuhren nicht legalisieren.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, sind Sie nicht der Ansicht, daß es der staatsbürgerlichen Haltung sehr abträglich ist, wenn die betroffenen Bauern und ihre Familien monatelang Bundesgesetze systematisch verletzten, weil sie der Meinung sind, daß sie als Opfer einer bürokratischen und kleinlichen Haltung der zuständigen Behörden daran gehindert werden, bestmögliche Erträge aus ihrem Boden zu erwirtschaften?
Herr Kollege, ich möchte Ihre Frage nicht so beantworten, daß aus meiner Antwort entnommen werden könnte, ich hielte eine nicht gesetzlich fundierte Handlung für richtig. Wir haben ein Gesetz. Das Hohe Haus hat das Gesetz beschlossen. Wir sind verpflichtet, auf die Durchführung zu achten. Wir können in einer milden Form darauf achten. Aber wir können nicht darauf verzichten, das Gesetz anzuwenden. Es gibt jedoch eine Möglichkeit, die Prüfungsfrist durch eine Sonderregelung von fünf auf drei Jahre abzukürzen. Der Hybridmais wird im Jahre 1965 seine dreijährige Prüfung bestanden haben. Nach vorliegenden Ergebnissen ist es wirklich eine überdurchschnittlich gute Sorte. Wir werden alles tun, wenn die Ergebnisse vorliegen, die Zeit zu verkürzen. Aber ich möchte doch darum bitten, daß man uns nicht anlastet, hier Möglichkeiten zu eröffnen, etwas gegen das Gesetz zu tun. Das ist nicht denkbar.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rinderspacher.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1964 6861
Herr Minister, kann ich aus Ihrer Antwort entnehmen, daß das Ministerium bereit ist, diese von mir angeregte Ausnahmegenehmigung bis zum Frühjahr des Jahres 1965 zu erteilen?
Herr Kollege, die Prüfung muß sich innerhalb der drei Jahre noch auf das Jahr 1965 erstrecken, so daß erst die Ernte 1965 das dreijährige Prüfungsergebnis zeitigen wird. Nach diesem Prüfungsergebnis der Ernte 1965 werden wir alles tun, um bei Bewährung der Sorte zu einem für den Anbauer positiven Ergebnis zu kommen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Minister, sind Sie sich darüber im klaren, daß wir dann im kommenden Frühjahr wieder denselben Zustand haben werden wie im vergangenen Frühjahr?
Herr Kollege, es wird so sein. Ich muß noch einmal darauf hinweisen, daß ein Gesetz nicht deswegen umzuändern ist, weil es Menschen gibt, die gegen das Gesetz verstoßen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bauknecht.
Herr Minister, stimmt es, daß in Ihrem Hause eine Novelle zum Saatgutgesetz auch aus anderen Gründen vorbereitet wird, und wäre es möglich, daß diese im Laufe der Wintermonate dem Parlament zugeleitet wird?
Es wird eine Novelle vorbereitet, Herr Kollege Bauknecht. Es ist möglich, daß auch Punkte Berücksichtigung finden, die dieses Gebiet betreffen.
Damit ist dieser Fragenkreis abgeschlossen. Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft.
Ich rufe auf die Frage IX/1 — des Abgeordneten Dürr —:
Ist die Bundesregierung der Ansicht, daß das unentgeltliche Verabreichen von Kostproben alkoholischer oder nicht alkoholischer Getränke in Lebensmittelgeschäften ein nach § 8 des Gaststättengesetzes erlaubnispflichtiger Ausschank ist?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Staatssekretärs Dr. Langer vom 20. August 1964 lautet:
Das unentgeltliche Verabreichen von Kostproben alkoholischer oder nicht-alkoholischer Getränke in Lebensmittelgeschäften unterliegt dann der Erlaubnispflicht nach dem Gaststättengesetz, wenn bei dieser Tätigkeit das Merkmal der Gewerbsmäßigkeit gegeben ist. Nach herrschender Ansicht in Literatur und Rechtsprechung handelt gewerbsmäßig, wer eine Tätigkeit in der
Absicht auf Erzielung eines fortgesetzten Gewinns ausübt. Diese Voraussetzung ist in der Regel der Fälle auch beim sogenannten Probeausschank von Getränken gegeben, wobei es keinen Unterschied macht, ob der Ausschank gegen Entgelt oder unentgeltlich erfolgt. Mit dem Probeausschank wird die Absicht verfolgt, den Probierenden von der Güte oder von sonstigen vorteilhaften Eigenschaften des betreffenden Getränkes zu überzeugen und ihn dadurch für einen Kauf zu gewinnen. Es handelt sich also um eine auf spätere Gewinnerzielung gerichtete Tätigkeit etwa im Rahmen des Kundendienstes oder zu Werbungszwecken. Dieser Ausschank ist, auch wenn er unentgeltlich erfolgt, nach § 1 des Gaststättengesetzes erlaubnispflichtig ; in Ausnahmefällen kann auch eine vorübergehende Gestattung nach § 8 des Gaststättengesetzes in Betracht kommen.
E sei noch darauf hingewiesen, daß in dem in Vorbereitung befindlichen Entwurf eines neuen Gaststättengesetzes vorgesehen ist, das Verabreichen unentgeltlicher Kostproben künftig von der Erlaubnispflicht freizustellen; diese Kostproben werden erfahrungsgemäß jeweils nur in geringem Umfange verabreicht, so daß ein ordnungsbehördliches Interesse an einer Erlaubnispflicht nicht besteht.
Ich rufe auf die Frage IX/2 — des Abgeordneten Freiherr von Mühlen —:
Ist die Bundesregierung bereit, bei der Deutschen Bundesbank darauf hinzuwirken, daß in Zukunft auch Geldscheine mit Berlin-Motiven herausgebracht werden?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Wir kommen damit zur Frage IX/3 — des Herrn Abgeordneten Dr. Schmidt —:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Entwicklung des Personenkraftverkehrs — insbesondere des Pkw-Bestandes — auf Grund der wirtschaftlichen Gesamtentwicklung bis 1971?
Herr Staatssekretär Langer, bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, ich darf die Frage wie folgt beantworten.Auf Grund der bisherigen Entwicklungen und der zur Zeit verfügbaren Informationen ist damit zu rechnen, daß der individuelle Personenkraftverkehr und auch der Pkw-Bestand in den kommenden Jahren erheblich stärker zunehmen werden als das allgemeine Wirtschaftswachstum. Die Bundesregierung wird selbstverständlich die künftige Entwicklung des individuellen Personenkraftverkehrs im Verhältnis zur wirtschaftlichen Gesamtentwicklung weiter im Auge behalten.Allerdings, Herr Abgeordneter, hält es die Bundesregierung aus sehr wohlerwogenen Gründen nicht für zweckmäßig, zahlenmäßige Prognosen über diese Entwicklungstendenzen aufzustellen. Bei den bisher vorliegenden Vorausschätzungen des individuellen Personenkraftverkehrs — insbesondere des PkwBestandes — von privaten Instituten oder Unternehmen hat sich gezeigt, daß sie meist sehr bald von der tatsächlichen Entwicklung überholt worden sind.Darf ich noch hinzufügen, Herr Abgeordneter, daß der Zusammenhang zwischen der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und der Entwicklung des PkwBestandes sehr schwierig zu bestimmen ist und Prognosen darüber außerordentlich heikel sind. Vielleicht interessiert eine Zahl. Wenn Sie den Pkw-Bestand und das Bruttoinlandsprodukt des Jahres 1954 gleich 100 setzen, dann ergibt sich eine Entwicklung des Pkw-Bestandes bis Mitte 1964 auf
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6862 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1964
eine Indexzahl von 566, bei den Pkws der Arbeitnehmer und Nichterwerbspersonen sogar auf 2000 — genau auf 1988 —, wähnend das Bruttoinlandsprodukt bei einem Index von 195 steht.
Ich komme damit zu den Fragen IX/4 und IX/5 — des Herrn Abgeordneten Unertl —:
Wann bringt die Bundesregierung das seit langem in Aussicht gestellte und den heutigen Zeitverhältnissen entsprechende neue Maß- und Gewichtsgesetz ein?
Ist sich die Bundesregierung darüber im klaren, daß eine Verabschiedung des Maß- und Gewichtsgesetzes in dieser Legislaturperiode fraglich ist, wenn dieses Gesetz nicht sofort dem Bundestag zugeleitet wird?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, ich darf die Frage IX/4 des Abgeordneten Unertl wie folgt beantworten.
Herr Abgeordneter, der Bundesminister für Wirtschaft bekennt freimütig, daß er Ihre Frage, wann das Maß- und Gewichtsgesetz dem Deutschen Bundestag vorliegen wird, am allerliebsten mit „morgen" beantworten würde. Aber ich muß Ihnen leider sagen, Herr Abgeordneter, daß eine nüchterne Beurteilung des Zeitplanes nur die Aussage gestattet, daß sich das Bundeswirtschaftsministerium die allergrößte Mühe gibt, den Gesetzentwurf dem Kabinett so bald wie irgend möglich, und zwar sehr früh im Jahre 1965, in den ersten Wochen, vorzulegen, und dann Sorge tragen wird, daß der Gesetzenwurf dem Bundestag so schnell wie irgend möglich vorliegt.
Wenn Sie gestatten, darf ich die Frage IX/5 gleich mit im Zusammenhang beantworten: Herr Abgeordneter, die Antwort geht aus dem soeben Gesagten hervor. Wir sind uns selbstverständlich bewußt, daß eine Verzögerung um auch nur eine Woche oder einen Monat die Gefahr mit sich bringt, daß das Gesetz in dieser Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet wird.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Unertl.
Herr Staatssekretär, ist die Vorlage den betroffenen Verbänden, besonders den Verbraucherverbänden, zugeleitet, damit diese ihre Stellungnahme abgeben, und hat die Bundesregierung oder das Bundeswirtschaftsministerium versucht, dort eine Frist zusetzen, damit von dieser Seite her dieses für die gesamte Verbraucherschaft so wichtige Gesetz nicht blockiert werden kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich bin in der Lage, diese Frage uneingeschränkt mit Ja zu beantworten. Der Gesetzentwurf ist abgeschlossen, mit den Ressorts abgestimmt und den Verbänden zugestellt. Die Verhandlungen mit den Verbänden sind anberaumt, sie werden in allernächster Zeit stattfinden.
Die nächsten beiden Fragen — IX/6 und IX/7 — sind zurückgestellt worden.
Wir kommen nunmehr zur Drucksache IV/2599. Ich rufe 'auf die Frage II/2 — des Herrn Abgeordneten Schmidt —:
Ist die Bundesregierung bereit, der durch die Binnenzollsenkung und die damit verstärkten Wettbewerbsverzerrungen entstandenen ernsten Gefährdung weiter Bereiche der Textilindustrie durch einen Rückgriff auf die im EWG-Vertrag für solche Fälle vorgesehenen konkreten Schutzmaßnahmen zu begegnen?
Ich darf bitten, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich darf die Frage wie folgt beantworten: Mit den Binnenzollsenkungen vom 1. Juli 1964 hat die Bundesregierung von den nach dem EWG-Vertrag gegebenen Möglichkeiten eines schnelleren Abbaues des Binnenzolls Gebrauch gemacht, d. h. die zum 1. Januar 1965 und zum 1. Januar 1966 fälligen Senkungen vorweggenommen. Soweit die Zölle um 50% gesenkt sind, verliert die Vorwegnahme also am 1. Januar 1966 ihre Wirksamkeit, soweit sie nur um 25 % gesenkt sind— das ist bekanntlich für einen erheblichen Teil der Textil- und Bekleidungseinfuhren aus der EWG der Fall —, bereits am 1. Januar 1965.Die Bundesregierung hat sich ausdrücklich das Recht vorbehalten, im Falle von Marktstörungen auf den im Vertrag vorgesehenen Binnenzollsatz zurückzugehen. Davon abgesehen ist sie erforderlichenfalls bereit, die durch den EWG-Vertrag gegebenen Möglichkeiten der Anwendung von Schutzklauseln zu überprüfen. Ganz selbstverständlich muß diese Prüfung sehr sorgfältig geschehen, da es sich bei der Anrufung von Schutzklauseln um eine schwerwiegende Maßnahme handelt.Bei diesen Überlegungen ist zu berücksichtigen, Herr Abgeordneter, daß zwar die Einfuhr von Textilerzeugnissen — hier ohne Rohstoffe — in den ersten acht Monaten dieses Jahres dem Wert nach um 255 Millionen DM, d. h. um 9,9 %, die Ausfuhr aber um 346 Millionen DM, d. h. um 21 %, gestiegen ist. Für den Außenhandel mit den EWG-Ländern, deren Ausfuhr in die Bundesrepublik durch die Binnenzollsenkung aus konjunkturellen Gründen gefördert werden sollte, liegen bisher erst die statistischen Angaben für die ersten sechs Monate dieses Jahres vor. Danach hat sich die Austauschrelation, d. h. das Verhältnis von Ausfuhr zur Einfuhr, im EWG-Bereich noch günstiger als in den übrigen Bereichen entwickelt, und zwar ist die Einfuhr von Textilerzeugnissen — wieder ohne Rohstoffe — gegenüber dem ersten Halbjahr 1963 um 98 Millionen DM, d. h. um 8 %, die Ausfuhr aber im gleichen Zeitraum um 163 Millionen DM, d. h. um 37 %, gestiegen. Die in der Anfrage erwähnten Wettbewerbsverzerrungen sind in der diesjährigen Entwicklung des Textilaußenhandels nicht stärker als bisher in Erscheinung getreten; im Gegenteil, es ist eine gewisse leichte Entspannung eingetreten. Die weitere Entwicklung wird vom Bundeswirtschaftsministerium sehr sorgfältig beobachtet werden.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1964 6863
Eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, darf ich aus der Antwort entnehmen, daß die Situation günstiger als im Jahre 1963 liegt, wo man sich in diesem Hause genötigt sah, auf Grund der Verschlechterungen bei gewissen Textilerzeugnissen die Zölle weniger zu senken und auch eine Erhöhung der Umsatzausgleichsteuer zur Erhaltung gewisser Bereiche durchzuführen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich möchte mit generellen Urteilen über die Situation des Textilbereiches sehr, sehr vorsichtig sein, weil die Verhältnisse im einzelnen außerordentlich unterschiedlich sind. Unter Unterstreichung dieser Aussage würde ich sagen, daß heute die Lage dm Spannungsbereich zum Teil etwas günstiger als im Vorjahr ist; ich sage das gerade auch auf Grund der Zahlen über die Export- und Importentwicklung.
Eine zweite Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, darf ich dennoch darum bitten, daß Sie die in Ihrer Antwort angekündigte Überprüfung laufend durchführen und dabei ganz besonders die Bereiche berücksichtigen, deren Export durch den immerhin überstarken Import in den süddeutschen Raum gefährdet erscheint.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, darf ich darauf aufmerksam machen, daß die Textilindustrie, insbesondere die Problembereiche der Textilindustrie zu den — wenn ich so sagen darf — ständigen Sorgenkindern des Bundeswirtschaftsministers gehören. Ich glaube, es gibt keinen Wirtschaftsbereich, der — vielleicht zusammen mit dem Bergbau — so aufmerksam und so gründlich beobachtet wird wie die Textilindustrie. Wir sind hier laufend bemüht, die Schwierigkeiten zu mindern.
Ich rufe die Frage II/1 — des Herrn Abgeordneten Schmidt — .auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, damit in der Bundesrepublik zugelassene bzw. stationierte private Kraftfahrzeuge von Angehörigen der US-Armee in Zukunft den gleichen Versicherungsbedingungen wie die Kraftfahrzeuge deutscher Staatsangehöriger unterliegen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die privaten Fahrzeuge von Angehörigen der Stationierungsstreitkräfte unterliegen bereits jetzt den gleichen Versicherungsbedingungen wie die Fahrzeuge deutscher Staatsangehöriger. Herr Abgeordneter, Ihre sehr berechtigte Sorge braucht deshalb bei dem gegenwärtigen Rechtsstand glücklicherweise nicht mehr zu bestehen.
Nach Art. 11 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut, das .am 1. Juli 1963 in Kraftgetreten ist, dürfen Mitglieder einer Truppe private Kraftfahrzeuge im Bundesgebiet nur gebrauchen, wenn die Risiken aus dem Gebrauch durch eine Haftpflichtversicherung nach Maßgabe des deutschen Rechts gedeckt sind. Das ist die Regelung, die im NATO-Truppenstatut getroffen worden ist.
Ich darf zusätzlich auf folgendes aufmerksam machen. Die Versicherung kann nicht nur bei einem deutschen Versicherer, sondern auch bei einem Unternehmen abgeschlossen werden, dem lediglich im Entsendestaat die Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb der Haftpflichtversicherung erteilt ist, wenn ein in der Bundesrepublik zugelassener Versicherer eine zusätzliche Garantie für diese Risiken Übernimmt. Der Versicherungsschutz bei privaten Fahrzeugen der Angehörigen ausländischer Stationierungsstreitkräfte entspricht daher in vollem Umfang demjenigen für Kraftfahrzeuge von Inländern.
Eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, darf ich Ihnen nach dieser positiven Antwort einen Fall zuleiten, der leider anders aussieht und um dessentwillen ich mich zu dieser Frage entschlossen habe.?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, Ich bitte darum.
Keine weitere Zusatzfrage. Ich danke dem Herrn Staatssekretär.Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen.Ich rufe auf die Frage XII/1 — des Abgeordneten Dr. Emde —:Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um das Poststadion in Bonn, das wegen Baufälligkeit seit zwei Jahren baupolizeilich gesperrt ist, der Öffentlichkeit wieder zugänglich zu machen, nachdem die Angebote der Stadt Bonn, die Anlage zu pachten oder zu kaufen, an den Bedingungen der Deutschen Bundespost gescheitert sind?Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Staatssekretärs Bornemann vom 3. August 1964 lautet:Es entspricht nicht den Tatsachen, daß das Postsportstadion in Bonn wegen Baufälligkeit gesperrt und der Öffentlichkeit nicht zugänglich ist. Lediglich die kleine Sitztribüne ist nicht verkehrssicher. Die Platzanlage selbst und die Stehplatztribünen werden dagegen für die Zwecke des Postsportvereins Bonn mit 7 Fußball- und 3 Handballmannschaften sowie zur Durchführung des Dienstsportes von 234 Postangehörigen benutzt. Daß das Stadion darüber hinaus auch für allgemeine öffentliche Sportveranstaltungen zur Verfügung steht und auch benutzt wird, beweist z. B. die Tatsache, daß auf Veranlassung des Handballverbandes am 27. Juni 1964 ein wichtiges überörtliches Handballspiel um die Westdeutsche Handballmeisterschaft dort ausgetragen wurde und weitere Spiele folgen sollen.Es ist ferner nicht zutreffend, daß die Verhandlungen mit der Stadt Bonn, das Poststadion zu einer auch für größere Zuschauermengen vollbenutzbaren Anlage auszubauen und es in irgendeiner Form zu allseits tragbaren Bedingungen der Stadt Bonn zu überlassen, an den Forderungen der Bundespost gescheitert sind. Vielmehr ist ein auf Grund gemeinsamer Besprechungen zwischen dem Postsportverein E. V. Bonn und dem Zweckverband für Leibesübungen der Stadt Bonn erarbeiteter 8-Punkte-Vorschlag erst nach Jahresfrist am 4. Oktober 1963 von der Stadt Bonn zurückgewiesen worden. Dieser Vorschlag, der also nicht von der Deutschen Bundespost stammt, ist sogar ohne Gegenvorschläge von der Stadt Bonn abgelehnt worden. Man kann hiernach wohl
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6864 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1964
Vizepräsident Dr. Jaegernicht davon ausgehen, daß auf Grund des Verhaltens der Deutschen Bundespost Angebote der Stadt Bonn gescheitert sind. Inzwischen werden die Verhandlungen zwischen der Stadt Bonn und der Oberpostdirektion Köln für die Deutsche Bundespost weitergeführt.Ich rufe auf die Frage XII/2 — des Abgeordneten Dr. Hoven —:Sofern Zeitungsmeldungen zutreffen, daß der Bundespostminister sich am 30. Juli 1964 in einem Gespräch mit dem früheren Bundeskanzler Dr. Adenauer und dem Stadtdirektor von Bad Godesberg bereit erklärt haben soll, „sofort die notwendigen Maßnahmen einzuleiten, um den Ortstarif zwischen Bad Godesberg und Bonn einzuführen", frage ich die Bundesregierung, wie sich diese Zusage des Bundespostministers mit den bisher in dieser Angelegenheit vorgebrachten Bedenken auch verfassungsrechtlicher Art verträgt, mit denen die von der Bevölkerung beider Städte schon lange zu Recht gewünschte Einführung des Telefon-Ortstarifs seit Jahren von ihm abgelehnt wird.Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Bundesministers Stücklen vom 16. September lautet:Nadi den Vorschriften der Fernsprechordnung kann nur zwischen denjenigen Ortsnetzen der Ortsgesprächstarif eingeführt werden, deren maßgebliche Vermittlungsstellen weniger als 5 km voneinander entfernt sind. Hiernach war es bis heute nicht möglich, zwischen den Ortsnetzen Bonn und Bad Godesberg den Ortsgesprächstarif einzuführen. Jahrelang erschien es als möglich, daß sich die beiden Städte Bonn und Bad Godesberg zu einer kommunalen Einheit zusammenschließen werden. In diesem Falle wäre die Deutsche Bundespost auf Grund der Fernsprechordnung gezwungen gewesen, die Ortsnetze zu vereinigen. Eine Vereinigung der Ortsnetze ohne vorherige Eingemeindung von Bad Godesberg verbot sich wegen der mit Sicherheit zu erwartenden Berufungen anderer Regierungs- und Verwaltungszentren in der Bundesrepublik Deutschland, weil sie nicht auf den Fall Bonn/Bad Godesberg beschränkt bleiben könnte (Gleidibehandlungsgrundsatz gemäß Art. 3 GG). Es zeigt sich jedoch nunmehr, daß nicht mehr mit einer kommunalen Vereinigung gerechnet werden kann; andererseits werden aber Planungen für Bundesbehörden (Bundestag) diskutiert, die darauf schließen lassen, daß die Städte Bonn und Bad Godesberg noch enger zusammenwachsen und für längere Zeit Zentrum des vorläufigen Sitzes von Bundesregierung, Bundesorganen und ausländischen Missionen sein dürften. Unter Berücksichtigung dieser neuen Entwicklung und der besonderen im Bundesgebiet einmaligen Verhältnisse habe ich mich deshalb jetzt bereit erklärt, dem Verwaltungsrat der Deutschen Bundespost den Entwurf einer entsprechenden Rechtsverordnung vorzulegen, der den Ortsgesprächstarif für Gespräche zwischen den Ortsnetzen Bonn und Bad Godesberg einführen soll. Der Verwaltungsrat der Deutschen Bundespost wird hierüber im Rahmen seiner Zuständigkeit zu befinden haben.Ich rufe die Frage XII/3 — des Herrn Abgeordneten Ritzel — auf:Wie groß ist die Zahl der Fernsprechteilnehmer im Selbstwählferndienst im Vergleich zur Zahl der Fernsprechteilnehmer, die noch auf den handvermittelten Ferndienst angewiesen sind?Bitte, Herr Bundesminister.
Von den rund 4,45 Millionen Hauptanschlüssen in der Bundesrepublik nehmen zur Zeit rund 140 000 noch nicht am abgehenden Selbstwählferndienst teil. Das sind etwas mehr als 3 v. H. Nach Abschluß des Planungsprogramms 1965, d. h. Ende des Jahres 1965 / Anfang 1966, wird die Zahl der Hauptanschlüsse, die noch nicht am abgehenden Selbstwählferndienst teilnehmen, auf etwa 45 000 gesunken sein. Das sind etwas mehr als 1 % der insgesamt vorhandenen Hauptanschlüsse.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Cramer!
Herr Minister, trifft es zu und halten Sie es für richtig, daß Fernsprechteilnehmer, die an den Selbstwählferndienst angeschlossen sind, die doppelte Gebühr zu zahlen haben, wenn sie aus irgendeinem Grunde die Handvermittlung in Anspruch nehmen müssen?
Wenn wir mit so hohem Investitionsaufwand die Automatisierung des Selbstwählferndienstes durchführen, dann sind wir nicht mehr auf die Handvermittlung eingerichtet. Wir können es uns finanziell und personell nicht leisten, neben dem automatischen Selbstwählferndienst auch noch den handvermittelten Dienst zu haben. Deshalb müssen wir hier prohibitiv Gebühren festsetzen, die es verhindern, daß man, wenn die Selbstwahl besetzt ist, dann auf handvermittelte Gespräche übergeht, um das Zustandekommen der Verbindung zu erreichen; denn wir sind darauf technisch nicht mehr eingerichtet.
Zweite Zusatzfrage.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1964 6865
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6866 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1964
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6868 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1964
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1964 6869
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6870 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1964
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1964 6871
klärt, weil er gegen Artikel 3 Abs. 2 GG verstößt?Die Fragestellerin wird vertreten. Bitte sehr, Frau Bundesminister!
Die Rechtsgrundlage für das Mindesteinkommen der Hebammen ist § 14 des Hebammengesetzes. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Entscheidung vom 17. März erkennen lassen, daß nach seiner Ansicht der Abs. 1 des § 14 nicht 'die Zulassung zum Hebammenberuf regelt, daß also dieser Absatz nicht als Bundesrecht fortgilt, sondern Landesrecht darstellt. Infolgedessen ist es dem Bund nicht möglich, eine bundesgesetzliche Regelung über das Mindesteinkommen der Hebammen zu treffen. Trotzdem bemühen wir uns natürlich darum, daß die Frage günstiger geregelt wird, als sie zur Zeit steht. Wir haben deshalb in ständiger Zusammenarbeit mit den Ländern uns um Wege zur Verbesserung durch Entscheidungen der Länder bemüht. Ende September hatten wir in meinem Hause eine Besprechung mit Ländervertretern Tiber diese Frage. Ich hoffe, daß mit der Zeit eine Verbesserung der Situation zustande kommt. Mehr können wir vom Bund aus nicht tun.
Keane Zusatzfrage. Ich danke Ihnen, Frau Bundesministerin.
Ich komme zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Frage Ill — des Abgeordneten Dr. Pohlenz —:
Trifft es zu, daß zu lebenslänglich Zuchthaus verurteilte Kindes- und Taximörder und andere zur gleichen Strafe verurteilte Gewaltverbrecher vorzeitig, also noch zu Lebzeiten, im Wege der Begnadigung aus der Haft entlassen werden?
Herr Bundesminister, bitte.
Da die erste Frage korrekterweise mit Ja zu beantworten ist, dies aber dann durch die Beantwortung der zweiten Frage erheblich eingeschränkt wird, darf ich mich wohl gleich der zweiten Frage zuwenden.
Bitte sehr! Ich rufe Frage I/2 — des Abgeordneten Dr. Pohlenz — auf:
In welchem Maße ist — bei Bejahung der Frage I/1 — dies seit 1949 im Gebiet der Bundesrepublik erfolgt?
Die Frage läuft darauf hinaus, ob lebenslänglich wirklich lebenslänglich ist. Ich bin Ihnen sehr dankbar, Herr Kollege Pohlenz, daß Sie diese Frage gestellt haben, weil das Gelegenheit gibt, einen weitverbreiteten Irrtum zu berichtigen, einen Irrtum, dem auch ich teilweise unterlegen bin, indem ich glaubte, daß solche vorzeitigen Entlassungen in viel größerem Umfange stattfänden.
Ich darf Ihnen zunächst eine absolute Zahl geben. Am 31. März 1963 befanden sich in den Strafanstalten der Bundesrepublik insgesamt 902 zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe Verurteilte. Für diese Verurteilten haben die Länder, denen das Begnadigungsrecht zusteht, dieses Recht nur in ganz wenigen Ausnahmefällen ausgeübt und nur bei Vorliegen besonderer Umstände, namentlich: erstens Rücksicht auf die besonderen Kriegs- und Nachkriegsverhältnisse und zweitens Rücksicht auf das Inkrafttreten des Jugendgerichtsgesetzes, nach dem der zu lebenslänglicher Strafe Verurteilte möglicherweise nicht lebenslänglich verurteilt worden wäre. Die Länder haben berichtet, daß bis zum Mai 1963 von den seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes, also Mai 1949, zu lebenslangem Zuchthaus Verurteilten nur insgesamt elf gnadenweise entlassen worden sind.
Soweit aus den Mitteilungen zu entnehmen ist, befinden sich unter diesen elf Fällen keine Morde an Kindern oder Taxifahrern.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Pohlenz.
Herr Minister, kann ich Ihre Antwort dahingehend auslegen, daß bislang eine Begnadigung von Mördern ganz allgemein als Ausnahme anzusehen ist, also nicht die Regel ist, und daß das Motiv der Tat und ihre Ausführung bei einer eventuellen Begnadigung eine Rolle spielt?
Jawohl, davon können Sie durchaus ausgehen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Minister, wäre es nicht angebracht, das, was Sie uns hier vorgetragen haben, der Öffentlichkeit besser als bisher mitzuteilen, damit die weitverbreitete Meinung, die dahin geht, daß Gewaltverbrecher der genannten Art nach einigen Jahren der Strafverbüßung wieder auf die Menschheit losgelassen werden, revidiert wird, womit auch die Diskussion um die Wiedereinführung der Todesstrafe ein wesentliches Argument entzogen wird?
Ich habe schon erklärt, Herr Kollege, daß ich Ihre Frage begrüße. Ich bin sehr froh darüber, daß ich kurz vor Ablauf der Fragestunde noch Gelegenheit hatte, sie zu beantworten, weil dieses Forum ja wohl das geeignetste ist, das Problem der Öffentlichkeit bekanntzumachen.
Ich komme zu Frage I/3 — des Abgeordneten Dr. Pohlenz —:
Ist die Bundesregierung angesichts der Diskussion um die Wiedereinführung der Todesstrafe und der Kritik in der breiten Öffentlichkeit wegen der Begnadigung solcher in Frage I/1 bezeichneten Gewaltverbecher bereit, Vorsorge dafür zu treffen, daß eine Begnadigung von verurteilten kaltblütigen Mördern künftig ausgeschlossen wird?
Aus der Beantwortung von Frage 2 ergibt sich,, daß es schon aus tatsächlichen Gründen nicht erforderlich ist, besondere Maßnahmen zu treffen, um etwa das Begnadigungsrecht einzuschränken. Eine solche Ein-
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6872 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1964
Bundesminister Dr. Bucherschränkung wäre darüber hinaus auch verfassungsrechtlich höchst bedenklich, ja eigentlich gar nicht möglich. Das Begnadigungsrecht steht den Ländern zu. Es wird in Fällen von Mord von den Ministerpräsidenten bzw. Justizministern, in einigen Ländern sogar von der Regierung selbst ausgeübt, so daß gewährleistet ist, daß nicht etwa untergeordnete Stellen hier Mißgriffe vornehmen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Pohlenz.
Stimmt die Bundesregierung, Herr Minister, meiner Freunde und meiner eigenen Auffassung zu, daß an der im Grundgesetz festgelegten Abschaffung der Todesstrafe nicht gerüttelt werden sollte, andererseits aber auch .die Bevölkerung ein Recht darauf besitzt, daß verurteilte Verbrecher der genannten Art nicht vorzeitig begnadigt werden?
Den ersten Teil Ihrer Frage kann ich für die Bundesregierung im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht beantworten. Sie hat darüber noch nicht beraten. Für meine Person kann ich Ihre Frage dahin beantworten, daß es bei der Abschaffung der Todesstrafe bleiben sollte.
Den zweiten Teil Ihrer Frage kann ich auch namens der Bundesregierung bejahen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Büttner.
Herr Minister, ich habe wegen der Abschreckung eine Frage, ohne emotionell werden zu wollen, weil gestern wieder ein Justizwachtmeister in Moers von einem Schwerverbrecher erschossen worden ist und zwei weitere Personen verletzt worden sind: Würden Sie es für zweckmäßig und abschreckend halten, wenn Sie im Rahmen des Möglichen Ichren Einfluß geltend machten, daß in der Aufklärung von Verbrechen und in der publizistischen Auswertung etwas mehr geschieht?
An der Aufklärung dürfte es in dem Falle, den Sie angeführt haben, nicht liegen; der ist ja aufgeklärt. Aber die Forderung nach verstärkter publizistischer Einwirkung bejahe ich durchaus.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Büttner.
Weil ich weiß, daß es in die Kompetenz der Länder fällt, habe ich die Frage, ob Sie bereit sind, mit Ihren Ministerkollegen in den Ländern einmal darüber zu sprechen und Anregungen dafür zu geben, daß verstärkt Mittel eingesetzt werden erstens für die Bewachungsmannschaften in den Gefängnissen und zweitens für die Verstärkung unserer Polizei, damit diese mehr Zeit hat, auch auf die Straße zu gehen und die Bevölkerung zu schützen?
Das werde ich gerne tun; aber der Kernpunkt liegt ja, wie Sie selbst sagen, in der Bewilligung der Mittel, und diese geschieht durch die zuständigen Parlamente.
Herr Abgeordneter Felder, bitte.
Herr Minister, würden Sie es — das steht im Zusammenhang mit den gestellten Fragen und den erteilten Antworten — nicht auch für zweckmäßig halten, erneut darauf zu drängen, daß Gewaltverbrecher in den Gefängnissen oder Zuchthäusern möglichst nicht in Berührung kommen mit solchen Gefängnis- oder Zuchthausinsassen, die wegen geringerer Vergehen verurteilt sind?
Soweit das nicht schon der Fall ist, möchte ich das gern tun.
Keine Zusatzfrage mehr? — Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister.
Wir stehen am Ende der Fragestunde. Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Fortsetzung der Aussprache über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1965 (Drucksache IV/2500).
Das Wort in der Fortsetzung der Aussprache hat der Abgeordnete Jaksch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der weltpolitische Szenenwechsel seit gestern abend würde zu philosophischen Betrachtungen über die Problemfülle unseres Zeitalters einladen. Dieses Haus war gestern in stundenlanger Aussprache mit der Problemfülle eines geteilten Landes beschäftigt; heute tritt die Problemfülle einer geteilten Welt vor uns hin.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1964 6873
Meine Damen und Herren, ich würde doch vorschlagen, daß der Redner seine Gedanken zu Ende führt. Dann kann ihm ja jeder antworten, der ihm widersprechen will.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie müssen die Realität dieses schrecklichen Erbes der 12 Jahre bei der künftigen Gestaltung der deutsch-englischen Beziehungen auf dieser Seite des Hauses genauso in Betracht ziehen wie auf jeder anderen Seite. Ein Anlaß zur Selbstgerechtigkeit in diesen Fragen besteht nirgends.
- Wenn Sie das großartige Rezept haben, wie man die deutsch-englische Verständigung besser voranbringen kann, dann hätten Sie es bei der bisherigen konservativen Regierung anwenden können!
Nun einige Bemerkungen zum Verlauf der gestrigen Aussprache und zu einigen Dingen, die mir besonders am Herzen liegen. Es hängt wohl mit der Problemfülle des geteilten Deutschlands zusammen, daß lin der gestrigen Aussprache einige Fragen nur am Rande gestreift wurden, die im Lande draußen Millionen von Mitbürgern zutiefst bewegen. Ich meine vor allem den Fragenkomplex der deutschen Ostpolitik, der wiederum mit den großen Ostproblemen weitgehend verzahnt ist. Beides wären dankbare Themen für die nächste außenpolitische Debatte in diesem Hause.Lassen Sie mich zunächst die Überzeugung aussprechen, daß es in jedem demokratischen Parlament unumstrittene Sachgebiete gibt oder geben sollte, was die Engländer „common ground" nennen. Es darf keiner Seite dieses Hauses als Schwäche oder Opportunismus angekreidet werden, wenn sie im höheren nationalen Interesse gegenüber bestimmten Problemen eine gemeinsame Auffassung mit anderen Parteien anstrebt, sei es auch über die Schranken hinweg, die normalerweise Regierungsmehrheit und Opposition trennen. Zu den Gebieten, die in der Bundesrepublik aus idem Parteienstreit ausgeklammert werden sollten, gehört nach meiner Überzeugung auch der ganze Fragenkomplex der deutschen Ostpolitik.6874 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freiitag, den 16. Oktober 1964Dr. h. c. JakschHierzu möchte ich vor allem die Hinweise des Kollegen Erler auf den sogenannten Jaksch-Bericht in. einem Punkt modifizieren. Es ist mir ein Bedürfnis, vor diesem Hause klarzustellen, daß es sich bei diesem Dokument um eine Gemeinschaftsarbeit von Ostexperten aller Fraktionen des Bundestages handelt.
Ich versage es mir, hier einzelne Verdienste besonders hervorzuheben. Doch gestatten Sie mir, daß ich den Namen des verstorbenen Kollegen Manteuffel-Szoege nenne, der sich mit dem ganzen Gewicht seiner kenntnisreichen Persönlichkeit dafür eingesetzt hat, in diesen Fragen eine gemeinsame Grundlage aller Parteien in diesem Hause zu schaffen.
Es war uns auf diese Weise möglich, eine Diskussion, die in abstrakten Definitionen festgefahren war, wieder in Gang zu setzen und durch einen einstimmigen Beschluß des Deutschen Bundestages zu einem guten Ende zu führen. Es war ein Stück parlamentarischer Initiative und überparteilicher Zusammenarbeit, welches unserem Auswärtigen Amt sozusagen den Teppich für die ersten Anknüpfungen mit den osteuropäischen Regierungen ausgebreitet hat. Unsere Unterhändler konnten sich bei jedem Wort in diesen Verhandlungen auf die geschlossene Meinung des Deutschen Bundestages stützen, und das war sicherlich auch ein Erfolg imInteresse unserer demokratischen Sache.Es schadet nichts, auch vor diesem Hause einmal darauf hinzuweisen, daß die Vertriebenenverbände und Landsmannschaften nicht nur diesem ersten Schritt einer initiativen deutschen Ostpolitik keine Schwierigkeiten in den Weg legten, sondern diese Bemühungen sogar gegen mißgünstige Kritik abschirmten. Ich hätte dazu gern von Regierungsseite einmal ein anerkennendes Wort gehört.Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, hier in aller Kürze darlegen, daß mit dem einstimmigen Beschluß des Bundestages vom 14. Juli 1961 zwar der Weg zur Normalisierung unserer Beziehungen zu den osteuropäischen Ländern gewiesen wurde, daß allerdings hinsichtlich der Methoden noch manche Abklärungen erforderlich sein werden. Die Leiter unserer Handelsmissionen, die wir in einigen osteuropäischen Hauptstädten bereits errichtet haben, und der weiteren, die noch zu errichten sind, können nicht nur als Briefträger für handelspolitische Konzessionen der Bundesrepublik wirken. Es muß auch ein Gegenverkehr für die Anbringung deutscher Wünsche in Gang gesetzt werden. Man kann auf die Dauer das Problem der menschlichen Notstände in den Vertreibungsgebieten aus den Gesprächen mit den osteuropäischen Regierungen nicht ausklammern.
Diese menschlichen Notstände werden immer wieder an die Mitglieder dieses Hauses herangetragen. Es ist wohl keiner unter uns, der nicht das Problem der Familienzusammenführungen aus den Zuschriften seiner Wähler kennt. Es wäre an der Zeit, dieses traurige Kapitel im Bundestag zu behandeln und klarzustellen, daß die Forderungen der Menschlichkeit nicht einseitig nur an die Adresse der Bundesrepublik gerichtet werden können.
Im kommenden Jahre werden es überdies zwei Jahrzehnte seit dem Beginn der großen Austreibungstragödie sein, einer Tragödie, die im zeitgenössischen Bewußtsein noch nicht ihren Platz gefunden hat. Hier besteht eine Bewußtseinslücke, die noch aufzufüllen ist. Dieser Jahrestag wäre ein guter Anlaß, auch der Opfer zu gedenken, die großen Teilen des deutschen Volkes nach dem Tage des Waffenstillstandes für die Verbrechen Hitlers abgefordert wurden, vielleicht nicht im Sinne des Aufreißens alter Wunden, sondern im Bewußtsein der gemeinsamen Verantwortung aller europäischen Völker für die Wiederherstellung der Menschlichkeit.Abschließend noch einige Bemerkungen zu dem Aspekt der deutsch-tschechischen Beziehungen, die den Hintergrund der gestrigen Kontroverse über zwei Reden des Herrn Bundesministers Seebohm bildeten. Niemand in diesem Hause wird mir die Geschmacklosigkeit zumuten, daß ich die Diskussion über Orientierungsfragen der sudetendeutschen Volksgruppe von dieser Tribüne aus fortsetze. Dazu habe ich in den Gremien unserer großen Organisationen genügend Möglichkeiten. Ich möchte mich auf die Feststellung beschränken, daß der Sprecher der Opposition, Kollege Erler, ein in der Öffentlichkeit viel diskutiertes Problem in einer sehr maßvollen Weise zur Sprache gebracht hat.
— Sofort, Herr Kollege. Lassen Sie mich doch bitte hier ein bißchen meinen Gedankengang entwickeln. Ich verstehe Ihre Ungeduld nicht. — Herr Kollege Erler hat in der Sache selbst keine Stellung bezogen,
natürlich aus guten Gründen, weil in diesen Fragen, wie Sie wohl heute auch aus den Rundfunkmeldungen entnommen haben, Besprechungen zwischen der Bundesregierung und Vertretern des Sudetendeutschen Rates anstehen. Ich glaube, es war völlig fair, die Besprechungen in diesem Hause nicht zu präjudizieren.Auf der anderen Seite ist aber Tatsache -- jetzt komme ich auf Ihre Ungeduld zurück, Herr Kollege —, daß über diese Fragen in der Bundesregierung Meinungsverschiedenheiten existieren. Auch andere Mitglieder der Bundesregierung, wie etwa der Herr Bundesverteidigungsminister von Hassel oder der Herr Innenminister Höcherl, haben auf sudetendeutschen Kundgebungen weitgehende Erklärungen abgegeben, die sich in keiner Weise mit den Interviews decken, die der Herr Bundeskanzler in Kanada und in den Vereinigten Staaten gegeben hat. Durch solche Zwiespältigkeiten wird nur der
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Dr. h. c. JakschRadikalisierung der Vertriebenen Vorschub geleistet, die uns in den Verbänden zunehmend Sorge bereitet.Ich darf mir die Feststellung erlauben, daß die Nutznießer dieser Radikalisierung nicht Heimatvertriebene sind. Wenn der Kollege Strauß hier wäre, würde ich ihm da nähere Hinweise geben. Das kann aber noch nachgeholt werden.
— Sehr gern! Sie wissen ganz genau, daß vor einigen Tagen in Bonn eine Versammlung einer nationaldemokratischen Rechtsorganisation stattgefunden hat.
— Pardon! Daß diese Bewegung von einem gut bayerischen Bürger ausgeht und nicht von den Heimatvertriebenen, wollte ich bei dieser Gelegenheit festgestellt haben.
— Bitte, Herr Kollege!
Eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Stoltenberg.
Herr Jaksch, nach-
dem Sie die vermeintliche Unklarheit in der Bundesregierung kritisiert haben, wäre es nun nicht angebracht, daß auch Sie nach den vielen zwiespältigen und widersprechenden Erklärungen Ihrer eigenen Freunde jetzt einmal zu dieser Sache ein Wort sagen und nicht nur über andere Leute sprechen?
Mit größtem Vergnügen, Herr Kollege, denn wir haben gestern immerhin die Genugtuung erlebt, daß die Eindeutigkeit des Standpunktes der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in der Frage des Heimatrechtes und des Selbstbestimmungsrechtes der Sudetendeutschen von zwei Kollegen der anderen Fraktionen dieses Hauses zitiert wurde.
— Das reicht Ihnen nicht? Dann lade ich Sie herzlich dazu ein, diese Erklärung durch Ihre eigenen Erklärungen noch an Klarheit zu übertreffen.
— Verehrter Herr Kollege, der Kollege Strauß wollte das Thema gestern in die Schablone von „rechts" und „links" hineinzwängen: auf der Linken Aufweichung und auf der Rechten zuverlässigenationale Gesinnung. Ich kann mich erinnern, daß man zu dem Parteitag der CSU einen Mann eingeladen hat, der über dieses Thema sprechen sollte und der vorher in Rom für die Preisgabe der deutschen Ostgebiete plädiert hat.
— Entschuldigen Sie, wenn Sie diese Demokratie in Anspruch nehmen, dann bitte ich, nicht an der Sozialdemokratischen Partei herumzumäkeln. Wir sind keine gleichgeschaltete Partei, in der wir jedem einzelnen den Mund verbieten können.Meine Damen und Herren, ich darf in Erinnerung bringen, daß in der großen Diskussion nach dem Nürnberger Treffen der Sudetendeutschen nicht ein Mann aus Ihren Reihen aufgestanden ist, um die Landsmannschaften in Schutz zu nehmen, sondern ein viel geschmähter Mann, der „Linken", wenn Sie so wollen; ich sage das alles in Gänsefüßchen, weil die alten Begriffe heute nur noch eine relative Bedeutung haben. Es war der Kollege Herbert Wehner, der damals im Bayerischen Rundfunk dafür eingetreten ist, den Landsmannschaften nicht Nationalismus und Revanchismus zu unterschieben, wenn sie für das Heimatrecht der Vertriebenen eintreten. Herr Kollege Wehner hat für diese Erklärung im Bayerischen Rundfunk auch aus den Reihen vieler Nichtsozialdemokraten Zustimmung erhalten. Herr Kollege Stingl, wenn Sie diese Erklärung abgegeben hätten, würde ich Ihnen hier den Dank aussprechen.Wollen wir aber zum Kern der ganzen Sache kommen. Es handelt sich um eine schwierige Angelegenheit, in der auch der Bundestag sein Wort verpfändet hat. Im Hintergrund dieser Diskussionen steht das Drama eines Grenzvolkes, das durch den Spruch der Friedensverträge von 1919 in unlösbare Verstrickungen hineingeworfen wurde. Es ist in der internationalen Diskussion viel zuwenig bekannt, daß die Sudetendeutschen ein Industrievolk gewesen sind: zwei Drittel meiner Landsleute waren Arbeitnehmer. Das industrielle Sudetenland war eine Hochburg der altösterreichischen Sozialdemokratie. Durch die Verweigerung des Selbstbestimmungsrechtes im Jahre 1919 hat man dieses Grenzvolk in tragische Verstrickungen hineingeworfen. Ich stehe hier als ein Kronzeuge dieses Dramas. Wir haben versucht, auf dem Boden der Tatsachen, wie sie die Friedensverträge geschaffen hatten, einen Ausgleich mit dem tschechischen Volk zu finden. Die demokratischen Parteien der Sudetendeutschen haben sich für den Gedanken der nationalen Verständigung hingeopfert. Das sollte auch in der Bundesrepublik bei der Diskussion über das sudetendeutsche Problem zur Kenntnis genommen werden.Bei dem Echo solcher Kundgebungen sollte man auch in Betracht ziehen, daß große internationale Zeitungen in der Sudetenfrage ein schlechtes Gewissen haben.
Ich kenne die Londoner Times noch aus der Zeit, dasie für die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechtes der Sudetendeutschen Leitartikel schrieb.
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6876 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1964
Dr. h. c. JakschIch erinnere mich an das Schweigen dieser großen Zeitung nach dem Kriege, als sich das Vertreibungsdrama abspielte und als die Menschen um Hilfe riefen, die wehrlos einer wahllosen Rache ausgeliefert waren.Deswegen, meine Damen und Herren, wollen wir gemeinsam versuchen, die Erörterung dieser Fragen auf die Ebene der Objektivität zu verlegen.Ein Hinweis noch in dieser Sache auf die Festlegungen, die der 1. Bundestag getroffen hat. Sie erinnern sich wohl — die älteren Kollegen zumindest —, daß im Jahre 1950 ein Freundschaftsvertrag zwischen den Herren von Pankow und der tschechoslowakischen Regierung in Prag abgeschlossen wurde. Darin wurde die Vertreibung der Sudetendeutschen als „gerecht und endgültig" bezeichnet.
Dagegen hat der 1. Deutschen Bundestag feierlich Stellung genommen und hat durch den Mund seines Präsidenten Löbe verkündet, was ich Ihnen mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten kurz im Wortlaut vortragen möchte. Ich zitiere:Das Prager Abkommen ist nicht vereinbar mit dem unveräußerlichen Anspruch des Menschen auf seine Heimat. Der Deutsche Bundestag erhebt deshalb feierlich Einspruch gegen die Preisgabe des Heimatrechts der in die Obhut der Deutschen Bundesrepublik gegebenen Deutschen aus der Tschechoslowakei.Meine Damen und Herren, es geht um die Auslegung dieser Obhutserklärung des Deutschen Bundestages. Ich bitte um Ihr Verständnis, wenn ich, sage, daß wir unsere Pflicht vernachlässigen würden, wenn wir als Angehörige der sudetendeutschen Volksgruppe hinnähmen, daß die Vertreibung der Sudetendeutschen ein geringeres Unrecht war als die Vertreibung der Schlesier oder Pommern oder Ostpreußen. Aus dieser Erwägung haben wir in Gesprächen mit den politischen Parteien versucht, das Verständnis für unsere Forderung nach Wiedergutmachung dieses Unrechts auch in die gegenwärtige Situation zu übertragen. Wir werden dankbar sein für jedes Verständnis, das wir dabei finden.Leider muß ich, bevor ich abschließe, noch folgendes sagen. Eine sehr pointierte Stelle der gestrigen Erklärungen des Herrn Bundeskanzlers hat mich mit der Sorge erfüllt, daß sich der Herr Bundeskanzler mit seinem ganzen Prestige in der Frage des Heimatrechtes und Selbstbestimmungsrechtes der Sudetendeutschen bereits in negativem Sinn festgelegt hat. Wenn ich mich in dieser Annahme irre, wäre ich für einen Widerspruch von der Regierungsbank her sehr dankbar. Ich glaube aber, meine Damen und Herren — und damit lassen Sie mich schließen —, daß man solche Fragen, die das Rechtsbewußtsein von Millionen kleiner Leute bewegen, nicht hinter dem. Rücken der Betroffenen erörtern und beantworten sollte. Deswegen gebe ich die Hoffnung noch nicht auf, daß es bei den kommenden Gesprächen zu einer Verständigung darüber kommen wird, wie man die feierlichen Zusicherungen bei den großen Kundgebungen der Vertriebenen mit der Außenpolitik der Bundesregierung in Einklang bringen kann.
Das Wort hat der Abgeordnete Majonica !
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Jaksch hat sich durch die Moskauer Ereignisse des gestrigen Tages zu philosophischen Überlegungen und Bemerkungen verleiten lassen. Herr Kollege Jaksch, ich möchte sagen, daß man aus den Moskauer Ereignissen des gestrigen Tages, ohne daß wir in diesem Bundestag Kreml-Astrologie betreiben wollen — was nicht unsere Aufgabe ist und nicht unser Zweck sein kann —, sicherlich doch die eine Folgerung ziehen muß, daß jede Ostpolitik, wie sie auch geplant sein und welche Ziele sie auch haben mag, im Grunde nur erfolgreich gestaltet werden kann, wenn vorher eine aktive Westpolitik betrieben worden ist.
Nur dann, wenn wir das westliche Bündnis stärken, nur dann, wenn wir die Europapolitik vorantreiben, werden wir auch Erfolge im Osten haben. Das ist die sichere Grundlage, von der aus wir auch dem Osten gegenüber Politik betreiben müssen.
Dann haben Sie, Herr Kollege Jaksch, davon gesprochen — mit Recht davon gesprochen; ich stimme dem auch als Nichtheimatvertriebener hundertprozentig zu —, daß die Heimatvertriebenen einen großen Anteil bei der Stabilisierung unseres Staates, bei den wirtschaftlichen und sozialen Erfolgen unseres Staates gehabt haben. Aber ich sehe in dem, was Sie gesagt haben, ein gewisses Dementi gegenüber den Ausführungen des Kollegen Erler vom gestrigen Tag. Er hat bezweifelt, daß die Bundesrepublik heute schon eine gerechte Heimstatt freier Menschen sei. Ich meine, wenn sich hier dieser Aufbau vollzogen hat, dann scheinen wir das heute schon zu sein: eine gerechte Heimstatt freier Menschen.
Wir sind auch deshalb eine gerechte Heimstatt freier Menschen, weil Millionen Menschen aus der Zone ihre Heimat, ihren Beruf, ihre Angehörigen verlassen haben, um zu uns zu kommen, weil sie wußten, daß sie hier eine gerechte Heimstatt freier Menschen vorfinden würden.
Herr Abgeordneter Majonica, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jaksch?
Gern.
Herr Kollege Majonica, darf ich aus dieser Feststellung schließen, daß Sie
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Dr. h. c. Jakschder Meinung sind, auch bei der Gestaltung des Lastenausgleichs sei den Geboten der Gerechtigkeit in vollem Umfang Genüge getan worden?
Herr Kollege Jaksch, ich bin der Meinung, daß wir das Menschenmögliche auf allen wirtschaftlichen und sozialen Gebieten, auch auf diesem Gebiet, getan haben.
— Ich habe sie nicht angepöbelt, Herr Kollege Wehner,
sondern ich habe mich kritisch mit einigen Außerungen des Herrn Wilson zur Deutschlandfrage auseinandergesetzt. Herr Kollege Wehner, wir sollten alle, Sie von der Sozialdemokratie und wir von der CDU/CSU, uns sehr sorgfältig ansehen, welche Deutschlandpolitik von der Labour-Regierung, wenn sie an die Macht kommen sollte — was ja immer noch nicht ganz sicher ist —, betrieben wird.
Aber ich möchte hinzufügen, daß wir von der CDU/CSU Freundschaft mit dem englischen Volk wollen, ganz gleich, welche frei gewählte Regierung j dort an die Macht gekommen ist.
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter. Ich möchte nur bemerken, das Wort „anpöbeln" sollte aus dem Sprachschatz von Abgeordneten verschwinden.
Man wird Herrn Kollegen Wehner zugeben müssen, daß er die Meinungen anderer immer sehr scharf verurteilt. Es wäre gut, wenn er die gleiche scharfe Beurteilung auch seinen eigenen Formulierungen auferlegte.Wir werden Freundschaft mit dem englischen Volk halten, ganz gleich, welche frei gewählte Regierung dort an die Macht gekommen ist, und wir werden uns auch bemühen, in Zukunft mit Großbritannien aufs engste zusammenzuarbeiten. Wir erwarten aber, daß dann auch von der anderen Seite der gute Wille gezeigt wird, mit uns, mit der Bundesregierung ebenso freundschaftlich zusammenzuarbeiten.
Wenn ich von der deutschen Frage und der deutschen Politik spreche, muß ich noch ein Versäumnis von gestern nachholen. Leider ist Herr Kollege Erler im Augenblick nicht da. Er hat bei der Schilderung des deutsch-französischen Verhältnisses zwar die Schwierigkeiten, die es im deutsch-französischen Verhältnis gegeben hat — und sicher auch in derZukunft geben wird, denn etwas Vollkommenes werden Menschen niemals zustande bringen —, aufgezeigt, hat aber vergessen, die ganz eindeutige Einstellung der französischen Regierung gerade in der deutschen Frage lobend hervorzuheben. Ich bin der Meinung, das sollte einmal auch von der Tribüne des Deutschen Bundestages mit großem Nachdruck gesagt werden.
— In der deutschen Frage oder in der Wiedervereinigung Deutschlands haben die Franzosen ebenso wie auch in der Berliner Frage immer eine ganz besonders harte Haltung eingenommen; auch das sollte von dieser Stelle aus einmal deutlich festgestellt werden.
Dann hat Herr Kollege Jaksch sich mit der Frage der deutschen Ostpolitik auseinandergesetzt. Nun, als wir damals die ersten konkreten Vorschläge des Deutschen Bundestages für eine konstruktive Ostpolitik ausarbeiteten, da war das ein gemeinsames Werk von uns allen. Aber wir müssen doch heute feststellen, Herr Kollege Jaksch, daß die Bundesregierung sich an diesen einstimmigen Beschluß des Deutschen Bundestages gehalten und die notwendigen Konsequenzen aus unserem damals gemeinsam erarbeiteten Bericht gezogen hat. Ich erkenne es dankbar an, daß diese gemeinsame Arbeit des Deutschen Bundestages damals von den Vertriebenen unterstützt worden ist, daß die Vertriebenenverbände und die Landsmannschaften sich auf den Boden dieser Ausführungen gestellt haben. Ich bin überhaupt der Meinung, daß wir eine konstruktive und aktive Ostpolitik nicht betreiben könnten, wenn die Vertriebenen nicht vorher diese vernünftige und sehr maßvolle Haltung in unseren ostpolitischen Fragen eingenommen hätten, wenn sie nicht vorher zur Durchsetzung ihres guten Rechts in dieser Frage auf die Gewalt verzichtet hätten. Ich glaube, es ist gut, daß wir den Vertriebenen einmal von dieser Stelle aus — gerade auch, wenn es von einem Nichtvertriebenen aus geschieht — für diese Haltung Dank sagen.
Ich bin mit Herrn Kollegen Jaksch auch der Meinung, daß die Handelsmissionen, die wir jetzt in den Ostblockstaaten eingerichtet haben, mit dazu beitragen müssen, in den Vertreibungsgebieten das menschliche Elend zu lindern und das menschliche Unglück zu beheben. Das ist auch geschehen. Die Bundesregierung hat sich in diesem Sinne eingesetzt, um das Los der Menschen in diesen Gebieten zu bessern.Ich weiß nicht, Herr Kollege Jaksch, warum Sie die Grenzprobleme heute wieder vorgetragen haben. Mein Kollege Strauß hat doch gestern in dieser Frage ganz eindeutige Erklärungen für die gesamte Fraktion hier abgegeben. Wenn Sie noch einen Zweifel haben, so darf ich Ihnen empfehlen, den Bericht von Herrn Dr. Gradl zu lesen, den er veröffentlicht hat, der aber eine Gemeinschaftsleistung der gesamten CDU/CSU-Fraktion gewesen ist. Darin hat die Fraktion expressis verbis ihre Haltung zu
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Majonicaden deutschen Ostgebieten und auch zu der Vertreibung der Sudetendeutschen niedergelegt.
Gerade dadurch, daß ich auch als Nichtheimatvertriebener zu diesem Problem spreche, wollen wir demonstrieren, daß die Vertreibung der Sudetendeutschen wie auch die Vertreibung aus den Gebieten jenseits der Oder-Neiße-Linie nicht eine Angelegenheit der Vertriebenen allein, sondern eine Angelegenheit des ganzen deutschen Volkes ist.
Wir wollen gute Nachbarschaft zu unseren osteuropäischen Nachbarn. Aber wir sind der Meinung, daß gute Nachbarschaft guten Willen auf beiden Seiten voraussetzt.
Wir haben diesen guten Willen, um zu einer guten Nachbarschaft zu kommen. Aber wir wollen uns doch völlig darüber im klaren sein — ich muß das auch im Nachgang zu der gestrigen Debatte noch einmal sagen —, daß wir diese Stellung nicht hätten, daß wir für dieses Recht unserer heimatvertriebenen Landsleute nicht in dieser Form eintreten könnten, wenn sich in der Vergangenheit nicht die Außenpolitik der CDU/CSU gegen den harten Widerstand der deutschen Sozialdemokratie durchgesetzt hätte.Nur die vier großen Grundsatzentscheidungen, die in der Ära Adenauer gefällt worden sind, geben uns den festen Boden, auf dem auch eine aktive deutsche Ostpolitik betrieben werden kann. Als eine der großen Grundsatzentscheidungen muß ich die Entscheidung herausstellen, mit den westlichen Alliierten zusammenzuarbeiten, die dann die deutsche Souveränität und damit die Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik und überhaupt erst die Möglichkeit gebracht hat, wirkliche gesamtdeutsche Politik zu betreiben.Auch die andere große Entscheidung, die Entscheidung für die Europapolitik, ist gleichzeitig eine Entscheidung für eine aktive deutsche Ostpolitik gewesen. Denn ich stehe auf dem Standpunkt, daß dieses Europa nicht nur um der Menschen willen zusammengefügt worden ist, die in Westeuropa leben, sondern gerade auch um einer aktiven Ostpolitik willen, gerade auch um der Anziehungskraft willen, die dieses geeinte Europa auf die Staaten und Völker Osteuropas ausübt. Wir haben vor allen Dingen durch diese Europapolitik bewiesen, daß der freie Westen den Schlüssel für die Zukunft in der Hand hat, daß der Osten nicht in der Lage ist, derartige Integrationsvorgänge zu setzen, wie wir das hier im Westen getan haben. Der Osten ist bisher daran gescheitert und wird wahrscheinlich auch in Zukunft daran scheitern. Das ist doch sehr bedenklich für die kommunistische Ideologie, die von sich sagt, daß sie die Zukunft in den Händen hält. In Wirklichkeit erweist sich gerade durch unsere Europapolitik, daß der Westen den Schlüssel für die Zukunft in den Händen hält.Auch die dritte große Entscheidung der Ara Adenauer wirkt sich auf unsere Ostpolitik aus. Ich meine die Entscheidung für einen deutschen Verteidigungsbeitrag, ich meine die Entscheidung in unseren wehrpolitischen Fragen. Sie hat dazu geführt, daß heute der Nordatlantikpakt die Vorwärtsverteidigung auch in Deutschland, auch in Mitteleuropa angenommen hat. Damit ist die Grenze der Verteidigung vom Rhein _an die Zonengrenze verlegt worden. Ich meine, daß das auch Rückwirkungen auf die gesamtdeutsche Frage hat. Denn wie soll der Osten glauben, daß der Westen sich für ein Gesamtdeutschland einsetzt, wenn er nicht einmal den freien Teil Gesamtdeutschlands verteidigen will? Ich glaube, insofern hat auch diese Entscheidung eine große Auswirkung auf die gesamtdeutschen Fragen.Die. vierte große Entscheidung, die wir auch im harten Kampf gegen Sie durchsetzen mußten, bestand darin, daß wir in keiner Weise und unter keinen Umständen bereit waren, irgendeine Konföderation mit Ulbricht einzugehen. Nur dadurch haben wir die deutsche Frage offenhalten können, daß wir unter keinen Umständen auf diesen Weg der Konföderation mit Ulbricht gegangen sind. Meine Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei, Sie sollten uns bei dem Bemühen, die deutsche Frage auch für die Zukunft offenzuhalten, jede Aufwertung und diplomatische Anerkennung Ulbrichts mit allen Mitteln der deutschen Politik zu verhindern, stärker unterstützen, als Sie es in der Vergangenheit getan haben.
- Entschuldigen Sie, Herr Kollege Wehner, noch im vorigen Jahr ist von dieser Stelle aus gesagt worden, daß die Anerkennung der Zone durch neutrale Staaten keinen grundsätzlichen Wandel in der deutschen Politik hervorrufen würde.
— Das ist nicht von unserer Seite gesagt worden, sondern von einem sozialdemokratischen Sprecher.
— Professor Carlo Schmid hat das von dieser Stelle aus gesagt, und der Außenminister ist ihm entgegengetreten, und ich hatte die Ehre, für meine Fraktion ihm auch sofort entgegentreten zu können, weil ich der Meinung bin, daß es für das Offenhalten der deutschen Frage eine entscheidende Angelegenheit ist, daß es nicht zu einer Aufwertung oder gar diplomatischen Anerkennung Ulbrichts kommt.
Ich meine, daß wir unter allen Umständen bei dieser Politik bleiben müssen, die von der CDU/CSU eingeleitet worden ist und die — welche Wechselfälle im Osten auch vorkommen mögen — uns das feste Fundament gibt, auch mit diesen Fragen fertigzuwerden, auch diese Probleme meistern zu können.Die Voraussetzung — ich darf noch einmal wiederholen, was ich eingangs gesagt habe — ist aber die
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MajonicaStärkung des atlantischen Bündnisses, ist die Stärkung Europas. Das sollte die vordringliche Konsequenz aus den Ereignissen in Moskau sein, die wir alle zu ziehen haben: Stärkung des atlantischen Bündnisses, Stärkung Europas.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Achenbach.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Strauß hat uns gestern dankenswerterweise auf die uns bekannte Tatsache — an die man aber immer erinnert werden sollte - hingewiesen, daß die Welt sich wandelt. Das, was seit gestern nachmittag geschehen ist, bestätigt diese Tatsache. Die Welt wandelt sich in der Tat.
Personen gehen, andere Personen kommen. Aber die Probleme bleiben.Gerade in einem Zeitpunkt, in dem andere Personen in verschiedenen wesentlichen Staaten das Heft der Politik in die Hand nehmen, ist es nützlich, von der Tribüne des Deutschen Bundestages herunter noch einmal klar zu formulieren, wie der Standpunkt des deutschen Volkes ist und was wir von der Entwicklung der nächsten Monate erwarten. Dabei darf ich an die Worte des Kollegen Jaksch anknüpfen, die ich unterstreichen möchte. Er hat gesagt, daß es gewisse nationale Fragen gebe — insbesondere jetzt, Herr Kollege Jaksch, die Fragen unserer Ostpolitik —, die aus dem Parteistreit herauszuhalten wir uns bemühen sollten.Wir Freien Demokraten erklären uns dazu bereit. Wir möchten in der Tat gern unsere Ziele in dieser Beziehung gemeinschaftlich verfolgen. Ausgangspunkt dabei ist, daß das deutsche Volk für sich nichts verlangt, was es nicht auch bereit wäre, anderen Völkern zuzugestehen.Noch ein Wort zu den Ausführungen des Kollegen Jaksch und zu der Kontroverse, die über gewisse Formulierungen — auch des Herrn Bundeskanzlers — entstanden ist.Meine Damen und Herren, können wir uns nicht in diesem Hause auf folgende verhältnismäßig einfache Betrachtungsweise einigen? Wenn ein Krieg stattgefunden hat, ist es ja gewöhnlich so, daß einer ihn verliert und der andere ihn gewinnt. Leider ist es in der Geschichte der Menschheit dann meist so gewesen, daß man dem, der ihn verliert, gleich etwas wegnimmt, und daß der, der ihn gewinnt, sich möglichst viel in die Tasche zu stecken versucht. Nach einer gewissen Zeit entsteht dann das Bedürfnis, daß die Kriegführenden untereinander Frieden schließen möchten. Man hat das Bedürfnis, sich an einen Tisch zu setzen, um einen echten Frieden zu erarbeiten. Zu einem echten Frieden gehört aber das Element des frei ausgehandelten Kompromisses.Wenn man sich dazu entschließt, sich an einen Tisch zu setzen, ist es aber doch ganz natürlich, daß jede Seite mit einer gewissen Ausgangshaltung anden Tisch kommt. Es ist ganz natürlich, daß diejenigen, die sich etwas genommen haben, das behalten wollen, und diejenigen, denen man etwas genommen hat, das nach Möglichkeit wiederhaben möchten. Diesen einfachen Tatbestand sollte man nicht mit emotionalen Worten wie Revisionismus oder Nationalismus belasten. Es ist so einfach, wie ich es Ihnen eben dargestellt habe.
Angesichts dieser Situation ist es doch recht unvernünftig, daß wir uns hier nun innerhalb unseres Volkes darüber zerstreiten, ob man bestimmte Zugeständnisse, die man uns vielleicht abfordern wird, machen soll oder nicht machen soll. Das hat doch wirklich Zeit bis zu dem Moment, in dem man am Verhandlungstisch sitzt.
Diese Haltungtrifft besonders auf unser Verhältnis zu unseren unmittelbaren östlichen Nachbarn zu. Wer will denn bestreiten — das tun jene ja selbst nicht —, daß unser Verhältnis zu Polen und auch unser Verhältnis zur Tschechoslowakei dadurch bestimmt werden, daß wir diesen Völkern Unbill zugefügt haben, daß aber ebenso auch unseren Landsleuten Unbill zugefügt worden ist? Lassen Sie mich in dem Zusammenhang sagen, daß die Freie Demokratische Partei ein für allemal bei der Auffassung bleibt, daß die Vertreibung der Sudetendeutschen ein Unrecht war, das nicht geeignet ist, das dem tschechischen Volk vorher zugefügte Unrecht aus der Welt zu schaffen. Unser Ziel ist, mit unserem polnischen Nachbarn und mit unserem tschechischen Nachbarn in einem ähnlich guten, herzlichen und freundschaftlichen Verhältnis zu leben, wie es zu unser aller Freude gelungen ist, es mit unseren französischen Freunden herzustellen.Wenn wir dieses Ziel, das für Europa notwendig ist, erreichen wollen, dann müssen wir uns an den Tisch setzen und müssen uns überlegen, wie wir einen Frieden schließen können, der für die Dauer Bestand hat.Eines, meine Damen und Herren, ist doch wohl auch klar. Wenn ich — ich nehme ein ganz einfaches Beispiel — mit jemandem Streit habe, wenn ich einen Prozeß zu führen habe, weil jemand von mir 500 Mark verlangt, so ist er zufrieden, wenn ich sie ihm gebe. Die Frage ist nur, ob ich zufrieden bin, wenn man sie mir zu Unrecht abgefordert hat. Darum geht es doch. Wenn .der Friede, den wir im Westen geschaffen haben und wenn der noch zu schaffende Friede im Osten Bestand haben soll, dann darf er keinen Stachel hinterlassen, weder auf der einen noch auf der anderen Seite. Im Westen ist das bereits gelungen.
Man darf auch im Osten in diese Verhandlungen nicht mit der Meinung hineingehen: ihr habt den Krieg verloren; also müßt ihr das und das tun. Meine Damen und Herren, das ist ein Argument, mit dem man zumindest in den letzten 10 000 Jahren jeden zukünftigen Krieg wieder vorbereitet hat. Denn es ist ja sonnenklar: Wer so redet, gibt dem
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Dr. AchenbachGesprächspartner auf einem silbernen Tablett das Argument an die Hand, zu sagen: Dann gewinne ich den nächsten, und dann rede ich so.Wenn ich aber Frieden schließen will — wir wollen es, und wir hoffen, daß unsere Nachbarn im Osten es auch wollen —, dann müssen wir beide an den Tisch und müssen die Frage so stellen: Wie muß der Friede aussehen, damit er auf die Dauer Bestand hat?, damit weder bei unseren östlichen Nachbarn noch bei uns das verletzte Rechtsgefühl in der Brust zurückbleibt, das ja schon einmal in der kürzlichen Geschichte in Europa zu Entwicklungen geführt hat, die wir alle bedauern. Wenn wir dar-über einig sind, dann sollte eine vernünftige Politik möglich sein.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in dieser allgemeinen Debatte auch noch eine grundsätzliche Überlegung anstellen. Enthalten wir uns doch bitte allzu starker Analysen! Es ist doch auch eine altbekannte Tatsache, daß es, wenn zwischen zwei Staaten ein Streit besteht, auf beiden Seiten immer eine ganz harte Gruppe gibt, die erklärt: Allein wir haben recht, alle anderen sind Vollidioten. Das Dumme ist nur, es gibt sie auf beiden Seiten. Und das führt dazu, daß die Scharfmacher auf beiden Seiten sich gegenseitig sehr schnell hochpumpen und daß die vernünftigen Leute kaum noch Zeit haben, sich über eine Lösung zu unterhalten.Ich gebe Ihnen ein konkretes Beispiel. Wir alle haben — auch in diesem Hause — Leute gehört, die sagen: Ihr werdet doch nicht den naiven Kinderglauben haben, zu meinen, man könne mit den Kommunisten verhandeln; denn jeder weiß doch, daß sie die Weltherrschaft wollen! Diesen Satz werden Sie doch schon gehört haben. Nun möchte ich Ihnen nur mitteilen: Es gibt ganz sicher in Moskau Leute — und vielleicht ist das, was wir erlebt haben, ein Zeichen dafür —, die zu ihrer Regierung, wenn sie das Gespür hat, man sollte doch verhandeln, sagen: Ihr werdet noch nicht den naiven Kinderglauben haben, zu meinen, ihr könntet euch mit den westlichen Monopolkapitalisten einigen; die werden euch das Fell über die Ohren ziehen und euch den Dolch in den Rücken stoßen.Nun können Sie sich an den fünf Fingern abzählen: Wenn die eine Mentalität hier, die andere dort sich verhärtet, dann steht am Ende der Krieg. Certus an, incertus quando. Auch heute gilt noch der Satz, daß Spannung plus Rüstungswettlauf am Ende den Krieg bringen.Diesen Krieg, meine Damen und Herren, gilt es zu verhindern. Ich glaube, daß wir hier alle einig sind, daß es gerade auch unsere Pflicht der Welt gegenüber ist, den Frieden zu erhalten. Vergessen wir doch nicht, daß sich bis zum Jahre 2000 — das ist gar nicht lange hin — nach allen statistischen Unterlagen, über die wir verfügen, die Menschheit verdoppelt haben wird. Wenn es nicht gelingt, unter den großen Industrienationen der nördlichen Halbkugel — Amerika, England, Frankreich, Deutschland, Rußland, Japan — den Frieden aufrechtzuerhalten, dann wird das Jahr 2000 begleitet sein von Katastrophen und Hungersnöten. Dann wird es keineEntwicklungshilfe mehr geben, sondern dann wird es zum Chaos kommen. Ein klein bißchen Vernunft sollte man doch wohl in die Waagschale werfen dürfen. Weil es einfach notwendig ist, den Weltfrieden zu erhalten, muß man sich auch bemühen, die Probleme zu lösen, aus denen heraus der Weltfriede gefährdet werden kann.Lassen Sie mich hier etwas Methodisches sagen. Es ist durchaus verständlich, wenn der eine sagt: Wir müssen noch warten, weil vielleicht ein günstigerer Moment kommen kann. Es kann aber ebenso sein, daß ein günstiger Moment verpaßt wird und daß kein günstigerer kommt. Wer recht hat, sagt nachher: die Geschichte! Aber wer vor dem eigenen Gewissen bestehen will, der muß sich bemühen, der muß die Dinge angreifen. Ich hoffe, daß die Bundesregierung hier den richtigen Weg findet. Es gibt auf der einen Seite, Herr Bundeskanzler, die Charybdis, die darin besteht, daß man das Nichtstun als eine besonders subtile Form der Intelligenz ansieht, und -es gibt auf der anderen Seite die Scylla, die Aktivität um der Aktivität willen. Beide Haltungen sind abzulehnen. Ich hoffe, Herr Bundeskanzler, daß Sie, mit unserer Unterstützung, den richtigen Mittelweg finden werden. Aber ich meine, wir müssen uns um den Frieden bemühen unabhängig von den Veränderungen, die in anderen Ländern vor sich gehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sicher ist durch das, was diese Nacht bekanntgeworden ist, manches von dem relativiert, was gestern hier postuliert worden ist, und wir sollten uns der Tatsache nicht schämen, daß wir allzumal dazuzulernen haben. Wir haben es nicht so bequem wie mancher Korrespondent, der z. B. heute morgen von seinen Rundfunkhörern -gehört wird, als berichte er frisch aus Moskau und nicht aus Köln. Wir müssen uns mit den Gegebenheiten, die wir nur zum Teil durchschauen können, so intensiv befassen, weil unser Land und unser Volk eben besonders unter der Einwirkung dieser Gesetzmäßigkeiten 'des Ablaufs in einem Teil der Welt stehen, auf den wir selber wiederum keinen nennenswerten, unmittelbaren Einfluß haben.Lassen Sie mich aber zuvor eine kleine Bemerkung beszlüglich Englands machen. Wir können uns wahrscheinlich dahin verständigen, daß zur Stunde und auch nach fünf Stunden für die deutsche Politik und und für das Zusammenleben in Europa -wir haben schrecklich schwere Probleme, die oft wahrscheinlich keiner jeweils gern dem anderen gönnt — we-der Vorschuß in Lorbeer -noch Vorschuß in Hypothek das Angemessene ist. Hier möchte ich in Erinnerung bringen — er wird es sicher viel besser können als ich —, was mein Freund Fritz Erler in der Debatte zur Regierungserklärung des Bundeskanzlers beim Regierungsantritt hinsichtlich der Chance gesagt hat, die sich der erwerben könnte, der sich mit derselben Intensität, mit der ein anderer oder andere sich der
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Wehnerdeutsch-französischen Aussöhnung hingegeben haben — die wir ja auch bejahen und zu der wir stehen —, der nicht leichteren und vielfach andersgearteten englisch-deutschen Aussöhnung widmet. Das bleibt! Das bleibt, gleichgültig, wer hier am Ruder sitzt, und ist nicht nur von dem zu bewältigen, der am Ruder sitzt, sondern es muß da ein gewisses Minimum von Übereinstimmung auch im Verhalten möglich sein. Wenn ich vorhin einen unparlamentarischen Ausdruck gebraucht habe — den ich bedaure —, so ging es dabei darum, Herr Kollege Majonica, daß es nicht klug war, in einer Zeit, in der diese Leute im Kampf standen, sozusagen schon von vornherein — und das haben leider einige Ihnen dann abgeguckt und haben .es noch ungeschickter als Sie gemacht — so zu sagen: „Wenn ihr oder wenn die anderen dort am Ruder sein werden, dann gibt es eben zwischen uns keine Ruhe." Ich weiß, daß es dann und überhaupt und mit jeder Regierung in England auf Grund der Situation, in der England zu Europa und in Europa steht, genug Schwierigkeiten geben wird. Nur: machen Sie sie nicht selber dadurch größer, daß wir es sehr parteibezogen und dazu noch falsch dann auch über den Kanal hinweg fortführen?
Herr Abgeordneter Wehner, gestatten 'Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Majonica?
Ja, gern.
Herr Kollege Wehner, ist Ihnen bekannt, daß ich keine globalen Urteile gefällt, sondern nur eine ganz konkrete Äußerung von Herrn Wilson kritisiert habe?
Ich sehe, Sie sind nicht so versöhnungsbereit wie ich.
Ich will es mir versagen,- die Art, in der Sie damals konkret gewesen sind, hier zu wiederholen, weil es die Sache nicht bessert, Herr Majonica.
Nun einiges bezüglich der Ereignisse im Osten. Der Prozeß der inneren Änderungen dort geht weiter, und die Seitensprünge, die dabei vorkommen — wenn man glaubt, das alles sei ein einigermaßen gerader, voraussehbarer Weg, irrt man —, werden noch manchen in Verwunderung setzen. Man kann nur hoffen — und soweit es in unseren Kräften steht, muß man dabei hier bei uns behilflich sein —, daß uns solche inneren Änderungen nicht in noch weitere, schlimmere innerdeutsche Situationen bringen, auch wenn sie nur zeitweilig wären.Zum zweiten bin ich der Überzeugung — und ich glaube, daß ich da kaum irre, wenn ich das annehme —, daß es sich bei den Änderungen dort — nicht nur bei den jetzigen ,sondern bei den Änderungen dort überhaupt in den letzten Jahren — vorwiegend um solche Änderungen handelt, die aus Gründen innerer Art sowohl des sowjetischen Reiches selbst als auch des sowjetischen Machtbereiches, was ja nun schon lange nicht dasselbe ist, aber heute sowieso sehr relativiert ist, geworden sind. Es handelt sich dabei um. Machterwägungen in der Sowjetunion selbst und 'im Block oder im Lager, je nachdem, wie das die Leute nennen. So wie die Dinge jetzt sind, ist es wahrscheinlich unausbleiblich, daß — wie schon oft bei solchen Stafetten-wechseln — zwei miteinander laufen und dann sehr bald die Tendenz bemerkbar wird ,daß einer alleine das Sagen haben will. Dabei ist nie ganz sicher — das weiß man vorher nicht —, ob dann der eine einer von den zweien oder ein dritter ist; es gibt ja einige Dritte im Hintergrund bei dieser Situation, auf die man also gerne den Begriff makaber anwenden möchte.Ich möchte uns alle davor behüten helfen, daß wir hier Patenterklärungen auf Vorgänge aufkleben, bei denen sich dann dasselbe herausstellt wie bei manchen Flaschen; ich meine jetzt einmal Flaschen, die die Hausfrau in den Keller gestellt hat, Saft drin, falsches Etikett drauf, und dann platzt das Ding, und dann merkt man erst am Geruch, was da ganz anderes drin war; es stimmt dann nicht.
— Sicher, sicher. Ich wollte das auch an die Adresse des früheren Bundeskanzlers sagen, der ja so manche Patenterklärung bereit hatte, die dann nicht immer ganz genau stimmte — ich meine Herrn Starlingers Prognose usw. —, die, man einmal wieder durch eine andere ersetzen mußte. Nichts dagegen, weil man natürlich Hilfsmittel braucht! Aber der Prozeß hat es in sich.Da bitte ich Sie, auch eine fünfte Bemerkung nicht ganz zu überhören. Wir müssen, und zwar nicht rechthaberisch und nicht zänkisch und nicht so, als wüßten wir alles besser als andere, auch in den Erörterungen mit den Amerikanern und unseren anderen Verbündeten oder Freunden versuchen, dies deutlich zu machen: der sowjetische Kommunismus — auch in all seinen Wandlungen und Personifikationen — kann nicht einfach verstanden oder gebraucht werden als eine Art Ordnungsfaktor, der — ob aus eigenem Willen oder unbewußt — für den Westen wirkt. So einfach wird uns die Entwicklung in jenem Teil der Welt und im Hin und Her zwischen den Teilen der Welt nicht gemacht werden. Dort sind große soziale Auseinandersetzungen, die in ganz anderen Formen geführt werden als denen, in denen wir die Auseinandersetzungen bei uns zu führen gewillt, gewöhnt und bereit sind. Das sind Auseinandersetzungen zwischen solchen, die viel weniger haben als die, die nach Ansicht derer, die viel weniger haben, schon mehr haben, und umgekehrt. Dabei spielt sich das alles in ständigen, heftigen, hektischen Auseinandersetzungen gegen den Westen und gegen die übrige Welt ab. Wir werden erleben — ich bin kein Prophet; aber wir werden es erleben —, daß wir wieder in eine Zeit kommen, die auch wieder durch eine andere abgelöst wird, in der man sich ganz besonders darin gefallen wird, nun in der deutschen Frage und in anderen Fragen, die die übrige Welt angehen, hart oder mit Fußtritten zu reagieren. Aber dabei werden wir uns wundern.
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WehnerNicht immer werden dabei die die größte Schärfe an den Tag legen, von denen man es vorher gemeint hat, sondern vielleicht auch ganz andere. Ich wollte nur sagen: auch das muß alles sehr behutsam ins Auge gefaßt werden. Und insofern, meine ich, ist manches von dem, was hier gestern debattiert worden ist, eben heute doch nur noch mit einer gewissen Prise Salz zu genießen.Was hier gestern zur Außenpolitik gesagt worden ist, meine Damen und Herren, entsprach nicht - da mögen wir uns geirrt haben — den großen Ankündigungen, den Klärungen, den Erklärungen. Lassen Sie mich noch einmal auf das zurückkommen, was in dieser Nacht bekanntgeworden ist und von dem offenbar kaum jemand wirklich auch nur Stunden vorher eine Ahnung gehabt hat, wie es mit so manchen Ereignissen ganz großer Art dort drüben ist. Da sollten wir in uns gehen, bescheiden werden, nicht um die Augen überhaupt zu verschließen, sondern um zu begreifen, wie wenig wir in Wirklichkeit von den entscheidenden Veränderungen und inneren Prozessen wissen oder auch nur ahnen, wie falsch sie zum Teil gedeutet werden. Ich will darüber nicht lachen: Wat den Eenen sind Uhl, is den Annern sin Nachtigall! Wenn man gestern noch über Besuche gesprochen hätte, wenn manche Rede, die heute hier gehalten werden soll, gestern gehalten worden wäre, — welche Rolle hätte dabei noch das Senfgas und das alles in der Erörterung des Besuchs des offenbar bis gestern noch Regierungs-und Parteichef Gewesenen gespielt! Das also sollte uns wohl zu denken geben, weil wir ja nicht alleine agieren.Da meine ich, wenn der Westen sich nicht selbst verschenkt oder hinschenkt — wie Sie wollen —, dann kann er sogar aus Entwicklungen und Situationen, wie wir sie zur Zeit noch gar nicht genau überschauen können, sondern die wir nur — der eine etwas mehr, der andere etwas weniger intensiv — etwa verstehen können, gerade in dem Prozeß, in dem sie stattfinden, Schritte zur weiteren Sicherung friedlicher Entwicklungen und unter Umständen auch zu einer größeren Bewegungsmöglichkeit des Bereichs, in dem heute die Freiheit wirken kann, herausholen. Das wird sehr schwierig sein. Man muß auf neue Erkundungen ausgehen. Unsere Botschafter — sie können es gar nicht allein schaffen — werden also herausfinden müssen, was nun neu ist, welche Adressen nun genommen werden müssen. Das würde zu manchen Reflexionen Anlaß geben. Wäre ich hier im Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten, würde ich sie mir nicht entgehen lassen. Hier aber will ich Sie nicht damit plagen, meine Damen und Herren.Apropos Westen! Die Fachleute sprechen von einem Polyzentrismus in dem kommunistisch beherrschten Teil der Welt. Dieser Begriff ist ja auch ausdehnbar auf den Teil, in dem die Kommunisten selber gar nicht herrschen, in dem sie aber — wie in Italien oder Frankreich oder auch in anderen Ländern — große Massenparteien haben und kommandieren und mit ihnen Bewegungen durchführen. Auf der westlichen Seite haben wir demgegenüber eine Entwicklung, die — wer immer sie ausgelöst hat,wodurch immer sie gefördert worden ist — bis heute noch keinen wirklichen Begriff aufgeklebt bekommen hat. Denn ich nehme den Begriff, den man im Zusammenhang mit Äußerungen des französischen Staatspräsidenten gewählt hat, nicht einfach selbst mit an. Hier ist also im Westen einiges auseinander- und durcheinandergeraten. Ich fürchte, meine Damen und Herren, daß es ein schwerer und — es wird sich ja herausstellen — ein historisch schwerer Irrtum ist, auf die Entwicklungen in dem kommunistisch beherrschten oder dirigierten Teil der Welt mit größerer Lässigkeit und mit den Versuchen kleinerer, ehemals großer und mittlerer Mächte, nun jeder für sich dort eine besondere Rolle zu spielen, reagieren zu dürfen. Wir haben das nicht in der Hand. Wir können auch niemandem Vorschriften machen. Nur wir selbst sollten dieser Versuchung nicht erliegen. Wir sind bei der Lage, in der sich unser gespaltenes Land und unser aufgeteiltes Volk befinden, gezwungen, diese Entwicklungen in jenem Teil der Welt mit dem ständigen Mahnen und, wenn Sie so wollen, inständigen Versuchen zu verfolgen, der Westen möge nicht freventlich und nicht freiwillig und nicht ohne Not schon erreichte Stadien des Zusammenwirkens, der Zusammengehörigkeit, des Integriertseins preisgeben, bloß weil dort drüben auch nicht mehr von einem Block gesprochen werden kann.Da ist auch die Kalamität derer, die sich hier in Deutschland, zwar nicht auf dieser Tribüne — denn gestern habe ich es vom Herrn Strauß ganz anders gehört; man wird es dann wieder noch anders lesen in den verschiedenen Kurieren, Merkuren usw. — auf de Gaulle berufen. — Da sitzen beide auf der einen Bank, und das paßt so schön. — Das ist die Schwierigkeit: Der französische Staatspräsident hat geglaubt, eine gewisse Bewegungsmöglichkeit für sich in Anspruch nehmen zu können, wobei ich hinzufüge, ohne ihn beleidigen zu wollen: sicher auch, weil er weiß: Amerika muß ja dieses Ganze verteidigen und muß die Sicherheit stellen; da kann also wenigstens einer seine Sonderbewegungen durchführen. Wie das geschmacklich zu betrachten ist, ist eine andere Frage. Aber stehen Sie, meine Herren, die Sie also glauben, in eine solche Richtung drängen zu dürfen und das als eine mutige Politik bezeichnen zu dürfen, denn in einer ähnlichen oder auch nur vergleichbaren Situation?Ich weiß nicht, ob ich es richtig mitgekriegt habe, daß von einem die Ereignisse im Osten schon als ein Erfolg deutscher Politik bezeichnet worden sein sollen; es ist gesagt worden. Falls es so ist, nun, dann wäre das ein tolles Kompliment an den Herrn Bundesminister des Auswärtigen, das Sie gemacht hätten, Herr Strauß, wenn auch nicht hier im Hause, sondern außerhalb des Hauses.
Ob das aber schon alles zutrifft, das ist eine andere Frage.
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Herr Kollege Wehner, ist diese Warnung vor einer zu eigenständigen Politik Frankreichs im Westen nicht gleichzeitig ein Plädoyer gegen das Lob, das Herr Brandt in New York dem General de Gaulle gespendet hat, und die Aufforderung, deutsche Politiker sollten in gleicher Weise wie der Präsident de Gaulle in den deutschen Fragen eine unabhängige Politik betreiben?
Das ist, entschuldigen Sie, Herr Kollege Dr. Stoltenberg, wie mit manchen Fragen, die man sich notiert hat. So war es gestern bei diesem eigentümlichen und für mich etwas erstaunlichen Streit um Schweden. Da wurde man plötzlich, wenn auch ohne großen Sachverstand, zu einem Autodidakt in dieser Frage, wobei ich dachte: Mit Fremdworten ist es so eine Sache; Zettel vorlesen, das ist doch nicht gleich Autodidakt sein. Denn der Begriff ist noch etwas anders aufzufassen.
Hier aber sage ich Ihnen freimütig: Dieses Wort, auf das Sie hier abheben, muß man rechtens im Zusammenhang mit dem sehen, was in der gleichen Rede kritisch an die Adresse des französischen Staatspräsidenten gesagt worden ist, erstens in bezug auf die NATO — daß Brandt die Auffassung, die der französische Staatspräsident in bezug auf die NATO praktiziert, nicht teilt, sondern ihr kritisch gegenübersteht, d. h. nicht Demontage der NATO, sondern weitere Integration — und zweitens auch in bezug auf Europa. Man kann also die Bemerkung Brandts nur beschwert mit diesen beiden Gewichten sehen; sonst manipuliert man sie. Sie heißt nichts anderes, als: ob denn nicht der Teil Europas, der anders als der französische Staatspräsident nicht darauf setzt, Einzelvorführungen in bezug auf das Verhältnis zum Osten und zu anderen Ländern in diesem Machtbereich zu wagen, in diesem Zusammenhang, den er hat oder, wenn Sie wollen, skeptisch: noch hat, gemeinsam solch eine Beweglichkeit an den Tag legen sollte. Das war das, was in dieser fragenden Bemerkung steht. Ich habe mich vergewissert, sie kann nicht anders aufgefaßt werden.Weil ich von der Frage ausging, wie es denn mit dem Westen weitergehen soll: Da hatten, glaube ich, die Bemerkungen, die hier gestern Frau Käte Strobel aus der Kenntnis der alltäglichen Europaschwierigkeiten gemacht hat, ihren besonderen Wert. Ich will dem Herrn Staatssekretär des Auswärtigen Amts hier keinen speziellen Vorwurf aus dieser Sache machen, daß er glaubte, uns oder Frau Strobel mit einer Art Hymne über das, was mit Europa erreicht worden ist, belehren zu müssen oder zu dürfen. Vielen Dank. Es ehrt Sie, daß Sie so in die Bütt gegangen sind. Nur das ist genau das, was wir nicht jetzt, sozusagen in Scheidemünze umgesetzt, verschleudert wissen möchten.
Weil Stillstand Rückgang wäre, wollen wir die Konsequenz daraus gezogen haben, auf die Frau Strobel mit großer Sachkenntnis hingewiesen hat. Wir wären froh gewesen, wenn jemand von der anderen Seite des Hauses oder von der Regierungsbank mit derselben Sachkenntnis darauf eingegangen wäre, die natürlich ein wenn auch noch so verdienstvoller Beamter des Auswärtigen Amtes nicht haben kann. Wir haben ja kürzlich bemerkt, wie der andere Staatssekretär, Herr Lahr, einen Mißgriff gemacht hat, als es sich darum handelte, dem Europäischen Parlament seine Rolle verbessern zu helfen. Das liegt wohl an der Stellung. Diese Dinge müssen unter denen ausgetragen werden, die politisch zu entscheiden haben, ob sie nun die Mehrheit darstellen oder, wie wir zur Zeit, die parlamentarische Minderheit. Da ringen wir ja um Möglichkeiten, bei denen es dann entweder übereinstimmende oder auseinandergehende, zeitweise auseinandergehende eigene Schritte gibt. -Etwas zum Kapitel Demokratisierung und zum Kapitel Schritte-Finden, das Sie wieder einmal ins Haus gebracht haben, zur Erinnerung an das, was mit dem Begriff Kennedy-Round gemeint ist! Wir werden bald vor dem ersten Jahrestag des Todes dieses großen amerikanischen Präsidenten stehen. Ich kann immer noch nicht jene seherische Art vergessen, in der er in einer Rede, die auch von unserer Bundesregierung nicht wirklich aufgegriffen worden ist, die vier ganz großen Richtlinien dessen, was man allein, ob man in Amerika oder in Europa ist, in der Welt nicht schaffen kann, was man aber zusammen schaffen kann; und noch viel mehr kann man dann schaffen. Das kann ich noch nicht vergessen. Diese Vision ist leider aus der Praxis der europäischen Politik heraus.Der Herr Bundeskanzler hat bei seinen Besuchen in anderen europäischen Hauptstädten viele Versuche gemacht, etwas an Zustimmungen für dieses und jenes zu bekommen. Ich habe dieser Tage gehört, wie eine Verständigung, die auf Bonner Boden mit den Herren von der Regierung des benachbarten Hollands gemacht und begonnen worden ist, schon einige Tage später nicht unfreundlich, aber doch in der Sache recht ernüchternd vom holländischen Außenminister bei einem Besuch, den er dann in Stockholm gemacht hat, relativiert worden ist. Wir leben offenbar in einer Zeit, in der vieles, was postuliert worden ist, dann relativiert wird. Wir sind nicht in der günstigen Lage — vielleicht sind es die Damen und Herren von der Regierungsfraktionsseite aus —, die Papiere zu kennen, wie man sich ausdrückt. Wir haben nur die gestern hier gegebenen mehr oder weniger allgemeinen Andeutungen und Umrisse bekanntgemacht bekommen.Wir suchen noch immer vergeblich nach wirklichen Schritten und Absichten. Ich bedaure auch aus einem anderen Grunde, auf den ich noch zu sprechen kommen werde, daß solche ernsthaften Versuche nicht gemacht worden sind wie der des Aktionskomitees für die Vereinigten Staaten von Europa, das nach etwa zehnjährigem Bestehen am 1. und 2. Juni dieses Jahres zum erstenmal in Bonn auf deutschem Boden war. Dieses Komitee hat eine Arbeit vorgelegt, die den anspruchslosen Titel „Erklärung" trägt, in Wirklichkeit aber eine monatelange Arbeit bester Köpfe aller demokratischen Parteien sämtlicher sechs Länder der Gemeinschaften dargestellt hat, mit der man hier nicht gewuchert hat. Niemand tut das. Wir
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Wehnerstellen sie Ihnen gern zur Verfügung. Es ist ja nicht unser Eigentum. Darunter stehen aber auch Namen Ihrer Herren. Wenn man damit arbeiten will, Herr Bundeskanzler — das würde ich auch dem Herrn Außenminister sagen, der leider nicht hier sein kann —, dann sollte man immer wissen: man hat die Vorsitzenden aller demokratischen Parteien und Parlamentsfraktionen aller sechs Länder der Europaischen Gemeinschaft hinter sich, wenn man im Sinne dieser Erklärung des sogenannten Comité Monnet Schritt für Schritt weiterzukommen versuchen will. Ja, warum versuchen wir das eigentlich nicht, Herr Bundeskanzler? Das ist doch wohl keine Protokollfrage. Sie haben damals das Komite dadurch geehrt, daß Sie eine Stunde in seiner Mitte zugebracht haben. Mir fehlt hier der Pfeffer auch von Ihrer Seite; da hätte einiges mitgemacht werden können. Es .ist nicht zu spät, daraus etwas zu machen.Nun waren wir gestern hier plötzlich in einer Diskussion über Schweden; oder was war? Meine Damen und Herren, das werden weder Sie erreichen, noch werden wir es wollen, daß das, was mit unseren Gegebenheiten, aus unseren gewachsenen Bedingungen und auch Beschränktheiten, die wir alle haben, an deutscher Wirklichkeit im Sozialen und Kulturellen gemacht werden muß, einfach nach anderen Modellen gemacht werden kann. Aber sehen Sie, das wollte ich Ihnen noch gesagt haben: mich ärgert bei Ihrer Art, zu reagieren, Herr Barzel und andere, wie Sie sich dann plötzlich in die Brust werfen und sagen — und dann haben Sie eine Schablone —: Der demokratische Sozialismus schwedischer Prägung oder ähnliches, in den paßt nicht unsere Vorstellung von der menschlichen Individualität. — Das ist eben falsch. Sie mögen hier sagen: das paßt nicht für uns. Bei dem einen ist das vielleicht richtig, während das andere — darüber werden wir streiten — vielleicht auch paßt. Aber zum Westen gehört eine Reihe von Spielarten demokratischer Ordnungen und sozialer Verankerung. Da sollten wir weder hochmütig sein, noch sagen, unsere Vorstellungen vertrügen sich damit nicht.
Ich stelle das hier nicht in Frage. Sie haben ihre Art der Freiheit der Persönlichkeit, die dort länger statuiert ist als bei uns durch unsere unglücklichen Umstände. Herr Rasner, darüber bin ich nicht erhaben. Ich habe solche Länder auch von ihrer Schattenseite her kennengelernt. Wir kommen in eine ganz schiefe Position, wenn wir nicht den Respekt aufbringen und ein Land, gleichgültig welcher Konfession, welcher Himmelsrichtung oder welcher besonderen Auffassung es vorherrschend anhängt, nicht danach werten, wie dort versucht wird, die Freiheit der Persönlichkeit und die Wahlfreiheit des Menschen für die Gestaltung seines eigenen Daseins, seiner Zukunft und seines Lebensweges wirklich zu gestalten und krisenfest zu machen. Hier ging es nicht darum, an Stelle deutscher schwedische Politik zu treiben; aber bitte, bedienen Sie sich nicht solcher Vokabeln.Das ist ja dann soweit gegangen — bei Herrn Zoglmann, dem nehme ich schon gar nichts mehr übel —, daß man davon sprach, Schweden liege ander Spitze der Selbstmordstatistik. Den Irrtum, Herr Zoglmann, teilen Sie mit einem Mann besonderer Größe, nämlich mit dem Präsidenten Eisenhower. Nur war folgender Unterschied da: Eisenhower hat, .als er dann zwei Jahre später — er war nicht mehr Präsident — zum erstenmal das Land selber be. suchte, beim ersten Schritt, den er aus dem Flugzeug machte, darum gebeten, eine kurze Erklärung, nämlich eine Entschuldigung, abgeben zu dürfen, daß er einem absoluten Irrtum zum Opfer gefallen sei. Das können Sie noch machen, es muß nicht beim Flugzeug sein; es gibt auch andere Gelegenheiten.
Das muß man doch noch einmal aus der Welt schaffen können, ebenso wie das, was sonst hier aus den Zettelkästen eifriger Materialsammler, die hier gar nicht selber reden können und denen man natürlich den Auftrag gegeben hat, hier einiges zusammenzustellen, vorgetragen worden ist.
Ich wäre übrigens dankbar, wenn Sie mir hier erlauben — was sagen die Herren von der Regierungsbank dazu und was sagte der Außenminister dazu, wenn er dabei wäre; seine Antwort würde mir noch mehr gefallen —, hier ein kritisches Wort hinsichtlich der Auswahl, der Sorgfalt, der Behutsamkeit bei der Auswahl, sagen wir, bei der Besetzung von Botschafterposten in Ländern dieser Himmelsrichtung anbringen zu dürfen. Ich gehe nicht in die Einzelheiten, weil ich weiß, daß sich das nicht gehört. Wenn nur die Chance wäre, was Stockholm betrifft, da einmal etwas zu tun. Damit Sie nicht glauben, das ginge in irgendwelche Parteirichtungen: Ich bin der Überzeugung, Herr Blumenfeld, die Bundesrepublik hat in Schweden während der ganzen Nachkriegszeit einen Mann gehabt, — leider nur sehr kurze Zeit —, der das Format hatte, dort Botschafter zu sein, das war Herr Sieveking. Leider ist er dann wieder in die Politik zurückgegangen, was ihm nicht gut bekommen ist. Aber als Botschafter war er ein hervorragender Mittler zwischen unserem Land und jenem nicht ganz einfach zu nehmenden skandinavischen Land. Und sonst? Über andere will ich kein Wort sprechen; ich will nur sagen: so sieht es aus. Wir können uns vielleicht alle miteinander helfen, wenn wir in diesem Punkt, vielleicht stillschweigend, von der Regierung erwarten dürften — ohne daß sie uns abkanzelt und sagt, darüber spreche man nicht —, daß sie sich entschlösse, etwas zu tun, was dem Klima guttun könnte.Meine Damen und Herren, zu der Frage, die mir hier — —
— Das sind aber meine eigenen, wissen Sie. Die Sache ist ganz einfach. Was ich mir selbst notiert habe, weil ich einer Debatte folge, das ist nicht das gleiche wie die Zettel, die sich andere durch ihre Referenten beschaffen lassen. Ich sage auch nicht, ich sei ein Autodidakt in diesen Fragen, weil ich den Unterschied zwischen den Zetteln und dem, was mit dem Begriff gesagt wird, wohl kenne.
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WehnerNun zu den Fragen, von denen hier gesagt worden ist, sie müßten endlich einmal von der SPD beantwortet werden. Ich stelle fest: es geht um die Rede des Bundesverkehrsministers in seiner anderen Eigenschaft. Das ist es ja eben mit ihm. Ich möchte ihm viel lieber in seiner Eigenschaft als Bundesverkehrsminister schwer an den Wagen fahren wegen bestimmter Dinge, von denen ich überzeugt bin: so durften sie eigentlich nicht weitergehen. Wenn dann derselbe Bundesverkehrsminister — —
— Das ist ein altes Bild, und zwar aus einer Zeit, in der das noch nicht mit solchen Unfällen verbunden war.
Aber dann ist der Verkehrsminister plötzlich ein anderer. Es ist ganz schwierig, da zurechtzukommen. Sie haben ja gestern — oder war es vorgestern? — hier erlebt, wie er in der Ausübung seines Berufs als Verkehrsminister dadurch gehindert wird, daß er auch noch andere Verpflichtungen bis zur Selbstaufopferung erfüllt, und dann kann er noch nicht einmal Rechenschaft hier ablegen als Verkehrsminister.Der Verkehrsminister selbst hat in seiner Eigenschaft als Sprecher der sudetendeutschen Landsmannschaft in seiner umstrittenen Rede die Punkte, in denen zwischen der Sozialdemokratischen Partei und der sudetendeutschen Landsmannschaft Übereinstimmung erzielt worden war — und Übereinstimmung bleibt! —, angeführt, und ich finde das ganz in Ordnung. Ich bin mit ihm da völlig einer Meinung.Die Rede sonst?
— Ich bitte Sie um Entschuldigung, Sie verwechseln mich mit dem Bundeskanzler. Ich will ihm auch da nicht nachfolgen. Kürzlich stand in der Zeitung, ich wollte ihm nachfolgen. Da ging es um die Wohnung; eine jener typischen Presseenten.
Dabei ist es mir geschehen, daß sogar der Bundeswohnungsbauminister — so wichtig werden bei uns Gerüchte genommen — bei mir anrief und fragte, ob das denn wahr sei und ob ich ihm denn Schwierigkeiten machen wollte. Ich wollte ihm keine Schwierigkeiten machen. Ich hatte überhaupt keine Lust, Nachfolger — weder in Wohnungen noch in anderen Sachen — zu werden.Aber reden Sie doch mit dem Bundeskanzler! Der Bundeskanzler hat doch wiederholt, in Washington und anderswo gesagt, daß er sich distanziert. Ja, wie denn? Wird das dann im Kämmerchen gemacht, irgendwann im Laufe des heutigen Tages und auch nicht deutlich, in welchen Punkten? Bleibt es dann bei diesem Ungewissen? Dem wollten wir helfen ein Ende zu bereiten, als der Vorsitzende der SPD — und wir hatten diese Rangordnung bewußt gewählt— an die Vorsitzenden der anderen Parteien schrieb, man sollte doch einmal über diese Fragen reden.Ich weiß, daß der Verkehrsminister damals darüber sehr ärgerlich war, und er hat es mich auch wissen lassen. Ich war der Meinung, das müßte ihn sogar freuen, daß die Parteivorsitzenden - ich wäre gar nicht dabei gewesen; ich bin nur Stellvertreter — und diejenigen von der Spitze der Heimatvertriebenen zusammengewesen wären, um diese Fragen zu besprechen. Bis heute ist es nicht geschehen, und Sie, Herr Barzel, haben gesagt: Das macht man im Bundestag. Das reicht nicht aus: im Bundestag. Hier sind Dinge, die weit über das hinausgehen, was der Bundestag, selbst wenn er experimentierfreudiger wäre oder sein könnte oder sein dürfte, auf die Hörner nehmen darf. Das reicht nicht aus. Der Bundestag hat da seine gewissen Grenzen. Er kann einiges machen, aber nicht alles kann er da regeln.Da meine ich, weil man mich aufgefordert hat, ich sollte hier sozusagen einmal dazu stehen: Ich habe in der hier von anderen, von meinem Freund Jaksch, freundlicherweise zitierten Erklärung im Bayerischen Rundfunk diese sieben Punkte als etwas in Erinnerung zurückgerufen, von dem ich ausdrücklich gesagt habe, es könnte die ,gemeinschaftliche Plattform sein, auf ,der man sich finden sollte. Ich habe dabei daran erinnert, daß diese gemeinsame Feststellung von sudetendeutscher Landsmannschaft und SPD seinerzeit ein großes Echo im In- und Ausland gefunden hat, ohne daß es zu unliebsamen und für die Bundesrepublik abträglichen Diskussionen gekommen wäre. Im Gegenteil, es gab sehr viele Beobachter, die dieses Dokument der sudetendeutschen Landsmannschaft und der Sozialdemokratischen Partei begrüßt und der Meinung Ausdruck gegeben haben, daß hier ein Weg geöffnet worden sei. Wir haben diesen Feststellungen damals zugestimmt, denn sie entsprechen unserer Überzeugung. Das ist auch das, was wir uns als von uns selbst zu bewältigen in unserem Grundsatzprogramm von Bad Godesberg auferlegt haben.Ich wiederhole an dieser Stelle — auch in Zusammenhang mit dem, was Herr Wenzel Jaksch zu der Obhutserklärung des 1. Deutschen Bundestages gesagt hat, und da teile ich sein Bedauern — das Bedauern, daß der Bundeskanzler, die Bundesregierung diese Obhutserklärung des 1. Deutschen Bundestages jedenfalls nicht in Erinnerung gebracht haben. Es wäre gut, wenn sie es nachvollzögen. Damit fiele niemandem eine Pelle aus der Krone, :aber gemacht werden muß es. Es reicht nicht aus — das Bild, das gestern einer der Herren in der Debatte gebraucht hat, ist ein falsches Bild —, die Sache so sehen zu wollen, als griffen wir hier die Regierungsparteien an, einerseits, wie man sagt, von links und andererseits von. rechts, indem Herr Jaksch sie von rechts überhole.Worum es hier geht, das sind bestimmte Elemente für den Zusammenhalt des deutschen Volkes, das im Zustand der Spaltung seines Landes lebt, einen Zusammenhalt, der für das Ringen mit einem Problem, auf das der Osten soviel Einfluß hat, ganz unter den ersten Größenordnungen steht. Ich selbst vertrete
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6886 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1964
Wehnerdie Meinung, daß juristische und scheinjuristische Debatten über das Münchner Abkommen eher geeignet sind, das zu zerstören, was in den Punkten steht, die zwischen Landsmannschaft und SPD erarbeitet worden sind und von denen heute oder gestern alle sagten, sie teilten sie und sie möchten gerne einmal von der SPD wissen, ob sie noch dazu stehe. Ich glaube, diese Punkte könnten — das haben auch die gestrigen Reaktionen gezeigt — Allgemeingut der deutschen Politik sein oder werden. Ich füge hinzu: Je mehr heute — ob gelehrt oder eifernd — über die Rechtsgültigkeit des Münchener Abkommens gestritten wird, um so mehr werden wir uns allé von dem entfernen, was unser ganzes Volk und die Heimatvertriebenen in unserem Volk brauchen.
- Ich glaube, da stimmen wir weitgehend überein, Herr Stingl.
Es ist nicht zu bestreiten, daß alle Welt das Münchener Abkommen heute als den letzten Erpressungsversuch Hitlers vor dem zweiten Weltkrieg ansieht. Unsere sudetendeutschen Landsleute sind damals — um den Ausdruck Churchills zu gebrauchen, ohne ihm damit einen Dolus zu geben, der Menschen kränken könnte — wirklich Marionetten des Schicksals gewesen oder als solche bewegt worden. Es ist richtig, man hatte ihnen 1918 das Selbstbestimmungsrecht verweigert. Das vergessen heute leider sehr viele, die in Zeitschriften schreiben oder im Fernsehen oder im Rundfunk Kommentare machen,
und sie bedenken dabei gar nicht, wie vielen Menschen sie zu nahe treten und wehtun, weil sie an etwas rühren und etwas mißachten, was man nicht mißachten darf, wenn man ein Volk nicht zur Selbstaufgabe drängen will.
Das haben die meisten vergessen: als ob die damalige Tschechoslowakische Republik eine Art osteuropäische Schweiz gewesen wäre. Das war sie leider nicht, und mancher weiß aus eigener Anschauung, daß sie das leider nicht war. Bei allem, was es dort auch an menschlich Erhebendem gegeben hat, war sie doch nicht die osteuropäische Schweiz, sondern sie hat den Sudetendeutschen Unrecht getan, und sie hat sich damit sozusagen selber denen ausgeliefert, deren Hypothek wir nach wie vor besonders zu tragen haben, auch gegen jene drüben, die davon nichts mehr wissen wollen, womit sie selbst angefangen haben; das muß man ja wohl sehen.Es ist aber — das gehört dazu — nicht zu bestreiten, daß Hitler die Sudetendeutschen nicht „heim ins Reich" geholt hat, um ihnen dort das verweigerte Selbstbestimmungsrecht zu geben, sondern weil für ihn ihr Schicksal ein geeigneter Anlaß war, seine Art Großmachtpolitik betreiben zu können.Nun möchte ich mit dazu beitragen — wir sollten es alle versuchen —, daß die innerdeutsche Diskussion von der Unerträglichkeit entlastet wird, daß eine ganze Gruppe von Menschen sich dieser Diskussion ausgesetzt sieht, Menschen, die bei uns und mit uns leben und denen wir viel verdanken, weil sie in den Zeiten, in denen Trümmer und Dreck vorherrschten, mitgearbeitet haben, sogar Stimulus für viele waren und dazu beigetragen haben, daß jene Wand, von der man befürchtet hatte, sie würde zwischen Einheimischen und anderen bestehen, damals in der Praxis durchstoßen wurde. Ich möchte — nun nicht mehr aus der Erinnerung an dieses historische Verdienst —, daß wir diese Diskussion nicht einfach tatenlos anschwellen lassen, als wären diejenigen, die sich für das Heimatrecht der Sudetendeutschen einsetzen, Revanchisten oder Revisionisten. Der Ausdruck ist zu ganz anderen Zwecken erfunden worden. Wir wollen hier in der Auseinandersetzung weder ihn noch den Ausdruck „Kalte Krieger" gebrauchen. Das ist zu billig.Hier geht es allerdings um schwere Sachen. Da möchte ich dem Bundesverkehrsminister sagen — er ist wohl nicht mehr da, aber das ist bei ihm häufig so —, daß ich kürzlich das Konvolut, das seine damalige Rede darstellt, wieder gelesen habe, ohne daß es mir gelungen ist, seine neue Rede im Wortlaut zu bekommen; das kostet immer eine gewisse Zeit. Es ist die Rede, vor der er jetzt gesagt hat, er unterschreibe sie Wort für Wort. Er sollte es gemäßigter machen. Es sind zu viel Worte drin, als daß er jedes seiner Worte unterschreiben könnte, auch wenn er sie gebracht hat. Die Rede ist weder besser noch schlechter als viele Reden vorher oder nachher, und viele Dinge, die man da hineinkriminiert hat, sind gar nicht so. Ich will sie hier aber nicht herauszupfen und vorlesen. Nur, das Ganze ist einfach schade und überflüssig und belastet die Diskussion.
— Das weiß ich nicht, Sie sind wahrscheinlich auf dem Gebiet der Musik beschlagener, als ich es sein kann. Ich weiß nur — ich möchte hier keinen Gegensatz zwischen der einen Landsmannschaft und der anderen aufbringen —, als ich im März dabei war, als die Landsmannschaften der Gebiete, die zum ehemaligen Reichsgebiet gehört haben, ihre Stellung postulierten und dann auch ihre Meinung zu der Grenzfrage darstellten, da habe ich mit großer Hochachtung und innerer Bewegung miterlebt, wie sie sich, ohne daß es ihnen leichtgefallen ist, zu einem solchen Schlußpunkt durchgerungen haben, zu ihrer eigenen Erklärung:Die Wahrung der Menschenwürde ist Inhalt und Ziel irdischen Rechts. Die Wiederherstellung verletzten Rechts muß daher selbst Unmenschlichkeit ausschließen. Das gilt in den von der Sowjetunion und Polen verwalteten deutschen Gebieten auch gegenüber den Menschen, die dort von fremden Mächten angesiedelt worden sind. Dem einzelnen gebührt die Freiheit, im Land zu bleiben oder in seinen Staat zurückzukehren.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1964 6887
WehnerEs sind auch nicht der Weisheit letzte Schlüsse, die hier drinstehen. Aber es ist doch wohl unbestreitbar guter Wille. Diesen unbestreitbar guten Willen gibt es auch bei den Sudetendeutschen, die das zusätzliche Unglück haben, nicht in den Bereich der ehemaligen Grenzen hineingehört zu haben.Ich war froh — ich wollte noch einmal in einem anderen Zusammenhang darauf zurückkommen —, daß das Aktionskomitee für die Vereinigten Staaten von Europa bei seiner leider nicht genügend beachteten Tagung vom 1. und 2. Juni in seiner Erklärung einen grundlegenden Abschnitt aufgenommen hat, der darauf aufbaut und darauf hinzielt, daß der schrittweise Abschluß einer Reihe von Abkommen zur Entwicklung einer friedlichen Koexistenz zwischen dein Westen und der Sowjetunion betrieben werden muß, durch die die europäischen Probleme und insbesondere die Vereinigung der heute getrennten Deutschen in der europäischen Gemeinschaft geregelt werden. Das haben die Vorsitzenden der Parteien und der Parlamentsfraktionen aller demokratischen Parteien der sechs Länder selber mit unterschrieben. Dafür sind sie eingestanden. Damit könnte man auch, wenn man — Sie haben von der Musik geredet, hier greife ich das auf — manchmal eine andere Musik dazu spielte, diese deutsche Frage auch jenen näherbringen, die sonst um sie herum Wege des Kontaktes von West- nach Osteuropa suchen — es wäre nicht gut, wenn sie zu festen Wegen würden —, wie es Herr Struye, der Senatspräsident von Belgien — ohne ihm persönlich zu nahe treten zu wollen — mit ziemlicher Vehemenz macht.
— Ja, sicher auch Schmidtlein. Ich meine, hier ist etwas darin, die deutsche. Frage als eine Frage erkennbar zu machen, deren Nichtlösung die Fortsetzung der Spaltung Europas bedeutet, und damit nicht nur taktisch, sondern auch moralisch und in jeder Hinsicht Verbündete und Freunde zu gewinnen.Es wird jetzt unvermeidlich sein, diese und andere Zusammenhänge neu zu überlegen. Es ist unvermeidlich, zurückzukommen auf das Memorandum der Bundesregierung vom Februar 1962 und auf das, was danach dazu gemacht worden ist, — gerade und weil nun der vorgesehene Besuch von Moskau in Bonn nicht so stattfinden wird. Die Fragen drängen sich auf. Wir sollten sie nicht wie Aktuarien behandeln. Wir sollten sie lebendig werden lassen und die ganzen Schwierigkeiten, die sich daraus noch zusätzlich ergeben, daß in dem kommunistisch beherrschten und verwalteten Teil Deutschlands Leute am Ruder sind, die sowieso sehr zum Unterschied von denen, die als Kommunisten in Bukarest, in Budapest, in Sofia oder anderen dieser Hauptstädte regieren und in der letzten Zeit sehr intransigent versucht haben, gegen den Strom zu schwimmen — nämlich einen Strom, der auf etwas mehr nationale Bewegungsmöglichkeit hin will und den alle anderen kommunistischen Länder sich zunutze zu machen suchen —, um so dicht wie möglich am Kreml zu sein.Vergessen wir aber nicht: manche haben sicher und in gutem Glauben — ich komme noch einmal auf das zurück, was ich eingangs darzulegen versucht habe, wenn auch sehr aphorismenhaft — gemeint, zunächst einmal für einige Jahre eine feste Größe bei unserem Ringen um die Lösung der deutschen Frage und die Wiedervereinigung zu haben; das ist also Moskau. Bitte, das ist auch keine so feste Größe. Darüber werden wir reden müssen.Hätte ich meine Zeit nicht für andere Auslassungen schon aufgebraucht, müßte ich jetzt die Anregung geben, darüber zu reden, wie wir in die Ereignisse zunehmend einen politischen Faktor hineinbringen, der zunächst gar nichts mit Politik zu tun haben kann und zu tun haben wird, nämlich das Bemühen um innerdeutsche Zusammengehörigkeit, um das, was man menschliche Erleichterungen und Zusammenkommen- und Zusammenlebenwollen nennt. Das alles steckt mit darin, und das meldet sich plötzlich neu an, muß neu gesehen werden.Ebenso müssen wir vermeiden, daß das Ringen um die Erleichterungen für die von der Spaltung betroffenen Deutschen nachläßt. Das sind nicht nur die Westberliner — wenngleich diese in einem besonderen Maße —, das sind auch die Menschen, die entlang der Demarkationslinie leben, deren Verwandte drüben jenseits der Minenfelder leben und die dort niemals zusammen den Friedhof besuchen können. So war es 1952 im Falle Offleben, als eine Delegation über 100 Kilometer Umweg fahren mußte, obwohl man den Friedhof sehen kann.Denken wir an all das; versuchen wir selber, es uns zu Gemüte zu führen! Darin stecken schwere und wichtige menschliche Probleme. Hängen wir nicht alles daran auf, daß wir die Hoffnung haben dürften, Moskau drücke in gewissen Punkten auf Pankow, uns gegenüber nachzugeben. Das muß gestern nicht unbedingt so gewesen sein, wie es bei uns geglaubt worden ist; das kann unter Umständen morgen noch ganz anders sein, als man es jetzt wahrhaben möchte. Wir müssen endlich die Fragen gesamtdeutscher Art und des innerdeutschen Zusammenhanges möglichst gründlich erörtern. Diesen Appell richte ich auch an den Minister für gesamtdeutsche Fragen, obwohl er in dieser Debatte das Wort überhaupt nicht ergriffen hat. Offenbar gehörte das wohl nicht zur Anlage der Debatte.Ich wollte noch eine Bemerkung. zu einem Kapitel der Außenpolitik machen, das mich besonders enttäuscht hat. Herr Bundeskanzler, ich habe in der Rede des israelischen Ministerpräsidenten Eschkol vom 12. Oktober wiederholt — und sicher haben andere, die sie bekommen haben, das auch getan — und mit innerer Bewegung solche Sätze gelesen wie:Die Zerstörung des europäischen Judentums durch Deutschland in der Zeit, in der im deutschen Volke die Lichter erloschen, wird immer ein Teil unseres kollektiven und persönlichen Bewußtseins bleiben. Von dieser Stelle aus will ich 'der Hoffnung Ausdruck geben, daß die Besten des deutschen Volkes und seiner Regierung Verständnis für diese unsere Gefühle haben. Wir sind zur Forderung und zur Hoff-
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6888 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1964
Wehnernung berechtigt, daß die Erkenntnis, Deutsche dürfen sich nicht mehr am jüdischen Volk vergreifen, weder unmittelbar noch mittelbar, in die Tiefe des Bewußtseins und der Empfindungen des ganzen deutschen Volkes eindringt. Man möge unseren moralischen Abscheu über die Arbeit der deutschen Wissenschaftler- er meinte die in Ägypten —nicht als eine lediglich irrationale Einstellung abtun. Ein Volk, das erleiden mußte, was unser Volk erlitten hat, darf in diesem Punkte ein Verständnis besonderer Art verlangen. Wenn man uns trösten möchte, daß wir die Größe der Gefahr übertreiben, dann will ich darauf erwidern, daß, hätte in den 30er Jahren jemand auch nur vor einem nichtigen Bruchteil der Katastrophe gewarnt, die das europäische Judentum während des Weltkriegs heimsuchte, die Besten unserer Freunde gewiß nicht nur gesagt hätten, daß wir übertreiben, sondern daß wir den Verstand verloren haben. Einem Volk mit solcher geschichtlichen Erfahrung darf man weder mit dem Einwand: es übertreibe, noch mit dem Argument eines mangelnden Rationalismus kommen.Mit diesen Sätzen, Herr Bundeskanzler, werde ich nicht fertig, zumal wenn ich sehe, was Sie an — Entschuldigung! — Kärglichem zu diesem Thema in Ihrer vorbereiteten Rede zu sagen für möglich gehalten haben, daß Sie nämlich mit „Dankbarkeit verzeichnen, daß sich Ministerpräsident Eschkol um Verständnis für die Lage Deutschlands bemüht". Sicher, Sie haben recht. Weil sonst aber nicht viel drinsteht, kann das beinahe wie eine Zensur wirken, wenn auf eine positive. Sie fügen dann hinzu: „daß wir alle Möglichkeiten ausschöpfen werden, die dazu beitragen, dem israelischen Volke das Gefühl der Bedrohung durch Deutsche zu nehmen". Sind Sie sich dessen bewußt, daß Sie dabei nicht nur für die eine Seite des Hauses sprechen, sondern natürlich auch für die andere! Was unsere Seite betrifft, so möchte ich Ihnen sagen: Uns erscheint das noch zu wenig, zu sagen: „alle Möglichkeiten ausschöpfen werden, die dazu beitragen, dem israelischen Volke das Gefühl der Bedrohung durch Deutsche zu nehmen".Sie müssen doch auch das bedenken, Herr Bundeskanzler, was z. B. der Bundesminister des Innern auf Reisen — wahrscheinlich nicht sehr abgewogen — gesagt hat; ich habe es nur Presse- und Rundfunkmeldungen entnommen. Dies war — ich muß es sagen — ebenso unordentlich wie leider manches aus dieser Richtung. Da hieß es nämlich, man hätte den Wissenschaftlern höhere Bezahlung auf anderen Plätzen angeboten, um sie auf diese Weise von dort wegzubekommen. Es ist nicht die adäquate Art des Herangehens an dieses scheußliche Problem, einem Volk, dem wir so vieles angetan haben oder dem so vieles in unserem Namen angetan worden ist — es kommt auf dasselbe hinaus —, nicht mehr sagen zu können als: Wir haben versucht, sie anderswo unterzubringen, aber sie sind darauf nicht eingegangen, und im übrigen zu tun — Sie haben dasordentlich gesagt —, was dazu beitragen kann, dem israelischen Volke das Gefühl der Bedrohung durch Deutsche zu nehmen. Aber dann bitte grünes Licht für jenen Gesetzentwurf zu Art. 26! Alles weitere kommt dazu.
Meine Damen und Herren, ich weiß, was darin an Problematik steckt. Aber diese Gelegenheit sollten Sie nicht vorübergehen lass en.Eine letzte Bemerkung noch zu dem, was sich gestern aus der Kontroverse zwischen Herrn Strauß, mir und anderen, die Fragen gestellt haben, ergeben hat. Sie haben alle gehört, daß der Abgeordnete Strauß gesagt hat, er sei weder für den noch für jenen -ismus und er setze sich und stelle sich ein für die parlamentarische Demokratie, auch wo sie ihre Schwächen habe. Ich will an diesen Sätzen gar nicht herumdeuteln. Sie sind aus der besonderen Situation wohl zu verstehen.Ich möchte nur sagen: Als Minister etwas außerhalb der Legalität gehandelt zu haben und nun zu sagen — und Sie halben ja Anspruch darauf, daß Ihre Worte ernstgenommen werden —, Sie stünden für 'die parlamentarische Demokratie, das muß erst genau heraus.
— Davon bin ich überzeugt. Sie haben ja immer recht, auch wenn Sie in einer Nacht sagen: Zehn Generale und Obersten sind schon verhaftet; jetzt nehmt mal diese beiden Ahlers fest! Sie haben ja immer recht, was Sie auch machen, weil Sie zu einer Partei gehören, die sich fälschlich für das Ganze hält. Sie haben immer recht, Ihnen kann nichts passieren,
und Sie wenden immer gedeckt. Und wenn Sie in diesem Land geladen werden, um vor Gericht oder vor dem Richter etwas erklären, dann verlangen Sie noch eine Sonderbehandlung, die keinem anderen einfallen würde für sich zu verlangen.
Wir haben doch keine Taust und keine Ursache, diese Art von Auseinandersetzungen den Organen zu entziehen, vor denen sie zu einem Ende geführt werden muß.
— Vor Gericht, meine Damen und Herren, und nicht in einer anderen Weise! Es sind ganz einfach Sachverhalte, über die nicht hinweggeredet werden kann und nicht hinweggeredet werden solute.Ich bitte Sie um Entschuldigung, Ihnen das ganz deutlich gesagt zu haben. Aber wir sollten unsere Adressen nennen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Freiherr zu Guttenberg.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1964 6889
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich mit der Feststellung beginnen, daß ich die persönliche Auseinandersetzung, die soeben am Ende der Rede des Kollegen Wehner stand, als außerordentlich bedauerlich empfinde,
bedauerlich deshalb, weil damit Herr Kollege Wehner einem Kollegen, zwar einer anderen Partei, aber des gleichen Hauses, offenbar verwehren will, jene Mittel bei seiner eigenen Verteidigung in Anspruch zu nehmen, die der Rechtsstaat ihm gewährt. Es ist eine reine Selbstverständlichkeit, meine ich, daß jeder in diesem Hause diese Möglichkeit nutzen kann. Der Herr Landesvorsitzende der CSU hat gestern erklärt, warum er sich dieser Mittel bedient, und es ist seine Sache, ob er das tut oder ob er das nicht tut. Wir sollten uns in diesem Hause davor hüten, in eine schwebende Verhandlung dieser Art in dieser Weise einzugreifen.
Ich möchte, Herr Kollege Wehner, dann, zur Sache kommend, Ihnen sagen, daß sicherlich nicht nur ich, sondern auch meine Freunde der Erklärung Wort für Wort zustimmen, die Sie an die Adresse unserer sudetendeutschen Landsleute abgegeben haben. Aber, Herr Kollege Wehner, erlauben Sie mir die Frage: Woher kommen denn die meisten Erklärungen, die diese unbestreitbaren Rechte unserer sudetendeutschen Landsleute negieren? Woher kommen denn die meisten Erklärungen, die man nur als generelle Aburteilungen eines deutschen Volksstammes ansehen kann? Gewiß nicht von Ihnen, Herr Kollege Wehner. Ich nehme Ihnen persönlich jedes Wort ab, das Sie heute hier zu dieser Sache gesagt haben.
Aber jene, die diese Erklärungen abgeben, sagen doch meist — beinahe in jedem Falle —, daß sie Ihre politischen Freunde seien. Diese Erklärungen kommen also meist — wenn man so sagen soll — von links. Sicher, — das ist Ihr Problem, und ein schwieriges Problem für Sie. Aber Zielscheibe sind wir, am Pranger stehen wir, und es ist nur allzu selbstverständlich, daß wir in der Weise Stellung nehmen, wie wir das hier getan haben. — Bitte, Herr Kollege Jaksch!
Herr Kollege Baron Guttenberg, ich darf Sie in diesem Zusammenhang doch auch an Erklärungen eines Ihrer Fraktionskollegen erinnern, die er sich im britischen Rundfunk zu diesen Fragen geleistet hat.
Frageform, Herr Kollege Jaksch, Frageform!
Wenn ich es in dieser Form sagen darf: Sie haben sicherlich zur Kenntnis genommen, welche Erklärungen in diesen Fragen Ihr Kollege Blumenfeld im britischen Rundfunk abgegeben hat?
Dazu wird sicherlich Herr Kollege Blumenfeld seine eigene Meinung sagen können. Ich habe ja auch nicht gesagt, daß es sich hier um Ausschließlichkeit handle; ich habe gesagt, daß diese Erklärungen meist von links kommen, und ich glaube, niemand, der das objektiv betrachtet, kann das bestreiten.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich dann sagen, daß ich als einer, der hier drüben saß — und Herr Wehner hat ja vorhin genau dorthin gedeutet —, diese Debatte begrüße. Ich begrüße sie deshalb, weil sie nach meiner Auffassung Gelegenheit zur Klarstellung vieler, vor allen Dingen außerpolitischer Dinge gibt, die teils von der Opposition, teils aber auch von den, sagen wir einmal, gewollten oder nicht gewollten journalistischen Hilfstruppen der Opposition verzerrt und entstellt in den letzten Wochen und Monaten dargestellt worden sind. Ich möchte allerdings sofort hinzusetzen, daß ich keine Minute bestreite und auch in Zukunft niemals bestreiten werde, daß CDU und CSU auf außenpolitische Veränderungen selbstverständlich mit ernsthaften und zum Teil auch langwierigen Diskussionen darüber reagieren, welches die beste Methode ist, diesen Veränderungen gerecht zu werden. CDU und CSU sind in Zielen und Absichten, wenn Sie wollen: im Koordinatensystem ihrer Politik einig und geschlossen. Aber diese beiden Parteien werden selbstverständlich immer über die Wege diskutieren, die es in diesem Rahmen zu gehen gilt. Einen solchen Disput bestreiten wir nicht; wir halten ihn geradezu für eine Sache, die uns mit Stolz erfüllen kann.
Aber wenn ich das sage, habe ich eine Frage an die SPD anzuschließen. Was ist mit der Sozialdemokratie? Manchmal hat man den Eindruck, daß der Vorrat an eigenen Vorstellungen der SPD in den fünfziger Jahren erschöpft worden ist. Ich habe gestern und heute sehr aufmerksam zugehört, was die Kollegen Erler und Wehner gesagt haben. Niemand von Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, wird mir vorwerfen, daß ich es in der Vergangenheit an streitbarem Mute hätte ermangeln lassen. Ich hätte nur allzu gern irgendwo einmal zugepackt und hier eine Diskussion über eine alternative Vorstellung der SPD herbeigeführt. Aber ich muß sagen: ich habe einen solchen Punkt trotz aufmerksamen Zuhörens nicht gefunden. Wo bleibt also die Diskussion der SPD und in der SPD zu jenen Veränderungen, die wir alle miteinander nicht bestreiten können, die im Westen wie im Osten in der Welt eingetreten sind? Es ist gewiß nicht mehr alles so einfach, so übersichtlich, so klar, daß man auf solche Diskussion verzichten könnte.Wenn man nun aber feststellt, daß die Diskussion über diese Veränderungen hauptsächlich und vor allem in CDU/CSU geführt werden, sollte man sich wirklich nicht wundern, wenn der nächste Eindruck der ist, daß die entscheidenden Beiträge zur politischen Willensbildung in d er Bundesrepublik Deutschland noch immer von CDU/CSU geleistet werden.
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6890 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1964
Freiherr zu GuttenbergErlauben Sie mir, in diesem Zusammenhang noch einen Satz an die Adresse der Opposition zu sagen. Mir scheint, es wäre wichtig, notwendig und wünschenswert, daß sich die Opposition mit den Argumenten unserer Sprecher auseinandersetzte; nicht nur in diesem Hause, sondern auch draußen im Lande, wo die Auseinandersetzung ebenso geführt wird. Ich habe den Eindruck, daß von der Opposition statt dessen immer weit mehr die Frage gestellt wird: W e r redet da, und was will er möglicherweise persönlich? Es wird viel weniger gefragt: W a s hat einer da gesagt, und war das richtig oder war es falsch, was er gesagt hat? Ich bin der Meinung, daß diese Art der Personifizierung des Parteienstreits auf die Dauer nur der Demokratie selbst schaden kann; denn an die Stelle des Ringens um das wahre und bessere Argument würde die bloße Auseinandersetzung um Personen und deren vermutete oder ihnen unterstellte Motive treten. Was Wunder also, wenn sich dann der eine oder andere langsam, nicht etwa von einer Partei, sondern von dieser Art Demokratie angewidert abwendet!Gestern wieder hat der Kollege Erler gesagt, wir — CDU und CSU — seien zerstritten. Als ob das ein Argument wäre! Herr Kollege Erler, wir haben einen Disput, und wir diskutieren, und wir werden weiter diskutieren. Daß wir zerstritten sind, das, Herr Kollege Erler, ist eine Wunschvorstellung der SPD.
Verlassen Sie sich bitte darauf: was uns in CDU und CSU verbindet, ist auf jeden Fall und in jeder Situation mehr als alles, was uns jemals trennen könnte.
— Das gilt, Herr Kollege Wehner, für alle Mitglieder dieser beiden Parteien;
wenn Sie es nicht glauben, werden Sie es erfahren müssen. Ich würde nur gerne sehen, wenn die SPD zur Kenntnis nähme, daß wir zwar diskutieren, daß aber von „Zerstrittensein" keine Rede sein kann. Es ist gestern für jeden objektiven Beobachter klargeworden — wenn das noch nötig war —, daß die Fabel von einem Riß zwischen — wie das einige Neunmalkluge genannt haben — Atlantikern einerseits und Gaullisten andererseits, daß das Märchen von der CSU-Fronde gegen die Regierung im Grunde nichts als eine Zweckbehauptung jener ist, die glauben, hierdurch für sich und ihre politischen Ziele etwas einhandeln zu können.Meine Damen und Herren auf der linken Seite des Hauses, nehmen Sie bitte zur Kenntnis: auch die Sprecher der CSU haben nie eine andere Politik vertreten als jene, für die sie gestern und heute hier eingetreten sind.
Wir, meine Damen und Herren, haben keinen Anlaß, unser Konzept verschwinden zu lassen oder vergessen zu machen. Unser Koordinatensystem hat sich als richtig erwiesen. Und — ich muß es sagen — man kann es eigentlich nur als „mit gezinkten Karten spielen" bezeichnen, wenn da die SPD z. B. in einer Presseverlautbarung einmal sagt, einige Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion — und ich war sicherlich dabei auch mit gemeint — rückten von jener Präambel ab, die das ganze Haus zum deutschfranzösischen Vertrage einstimmig beschlossen hat. Meine Damen und Herren, was sollte dabei denn gesagt werden? Was soll das heißen? Was steht denn in dieser Präambel? Nun, damit versuchte ein Presseinstrument der Sozialdemokraten zu unterstellen, daß es in der CDU/CSU solche gebe, die von der NATO abrückten. Bei uns also, die wir doch Deutschland gegen beträchtlichen Widerstand in diese NATO hineingeführt haben! Oder sollte mit diesem Satz, daß diese Präambel für einige bei uns nicht mehr gelte, etwa gesagt werden, daß es bei uns Leute gebe, die die Bindungen zu Amerika Lokkern wollten. Ausgerechnet bei uns, die wir doch landauf, landab für die Bindung zu diesem Amerika geworben haben, während andere noch vom „deutschen Kanonenfutter" und ähnlichem geredet haben!
Meine Damen und Herren, oder soll damit vielleicht .angedeutet werden, daß es bei uns welche gebe, die der Politik der Integration Europas nun widersprächen oder sie aufheben wollten? Ausgerechnet bei uns, die wir doch mühsam und zäh jeden Schritt der Einigung Europas durch unsere politische Kraft durchgesetzt haben zu einer Zeit, als andere diese Europapolitik noch als ein — erlauben Sie mir, daran zu erinnern — „katholisches und kleineuropäisches Karolingertum" abgetan haben! Meine Damen und Herren, wir bleiben bei dem alten Konzept, das gestern vom Landesvorsitzenden der CSU in neue Worte gekleidet wurde, als er sagte: Wir brauchen zwei Sprecher für die westliche Welt.
Wir haben früher gesagt, wir brauchten zwei Pfeiler für die NATO. Es war doch unsere alte Politik, daß Partnerschaft hergestellt werden müsse zwischen dem starken Amerika und dem sich einigenden und stärkenden Europa. Und wenn der Präsident Kennedy damals in der Frankfurter Paulskirche von der Partnerschaft gesprochen hat, an welcher er uns alle einlade mitzutun, von einer Partnerschaft zwischen der alten Union Amerika und der neuen Union Europa, so kann ich nur sagen: das war das alte Konzept der CDU/CSU-Politik. Daher, meine ich, sollte man endlich unterscheiden lernen zwischen den konstanten Grundlinien unserer Politik und den wechselnden Notwendigkeiten des Tages.Gestern hat der Kollege Erler scharfe Kritik an der französischen Politik geübt. Ich teile diese Kritik in dieser Form nicht, ja, ich bedauere sie. Aber ich bin dennoch der Meinung, Herr Kollege Erler, daß trotz dieser Kritik an der französischen Politik
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1964 6891
Freiherr zu Guttenbergauch für Sie die deutsch-französische Aussöhnung und Freundschaft eine unveränderliche Leitlinie Ihrer Auffassungen ist. Wenn Sie also hier unterscheiden zwischen Ihrer Kritik an der gegenwärtigen französischen Politik und jener selbstverständlichen Bindung an Frankreich, — warum redet dann die SPD vom Mißtrauen gegen die Vereinigten Staaten, von der Abkehr von der Präambel des deutschfranzösischen Vertrages, wenn bei uns, auf dieser Seite des Parlaments, hier und da einmal auf gewisse Gefahren der gegenwärtigen amerikanischen Politik hingewiesen wird, die unter der Überschrift „Entspannungspolitik" gelaufen ist?Nach unserer Meinung gibt es feste und unverrückbare Bezugspunkte für unsere atlantische und für unsere europäische Politik. Der eine Bezugspunkt, der unverrückbar feststeht, ist das Bündnis mit den Vereinigten Staaten; und der andere Bezugspunkt ist das enge Zusammengehen, die enge Gemeinsamkeit mit unserem französischen Nachbarn. Das ist und bleibt für uns Basis und Rahmen für jenen ständigen und notwendigen Prozeß der Harmonisierung und des Ausgleichs von Interessen und täglichen politischen Auffassungen.Solidarität mit Amerika und Gemeinsamkeit mit Frankreich manifestieren sich eben nach meiner Auffassung nicht in jener halsbrecherischen Übung, eine jeweilige Übereinstimmung mit der jeweiligen Politik in Washington und in Paris zu erzielen. Diese Übung müßte sich mit absoluter Sicherheit immer neu in ihrer eigenen Widersprüchlichkeit verfangen. Solidarität mit Amerika und Gemeinsamkeit mit Frankreich manifestieren sich nach meiner Auffassung und nach der Auffassung meiner Freunde ausschließlich in der konsequenten und steten Vertretung der eigenen Linie. Denn nur dann weiß der Freund, was er wirklich vom Freund zu halten hat.
Aber, meine Damen und Herren, ist es denn nicht eigentlich beinahe töricht — beinahe zu töricht, als daß es im Parteienstreit verwendet wenden könnte —, wenn da hier und da gesagt wurde, die CSU sei entschlossen, die alte Europapolitik aufzugeben und an die Stelle dieser Europapolitik das zu setzen, was eine bestimmte Journalistik die Zweierunion genannt hat? Diese Zweierunion, so hieß es, sei der wahre Kern der CSU-Überlegungen, der Initiative, die die CSU fordere. Und diese Zweierunion, so wurde dann von manchem Kritiker hinzugesetzt, sei das Ende des europäischen Einigungswerks, sei eine tödliche Gefahr für dieses Werk, Solcher Bilateralismus sei unmöglich bei einer Einigung mehrerer Staaten. Meine Damen und Herren, als ich dies immer wieder las, habe ich mir gesagt: das ist ein typisches Beispiel der Umkehrung jener notwendigen und bewährten Maxime, daß man eigentlich zuerst denken und dann reden sollte. Aber manche machen das offenbar in der falschen Reihenfolge. Was soll das heißen: Initiative der CSU zur Zweierunion? Ist denn der deutsch-französische Vertrag nicht längst eine vollzogene Zweierunion? Wenn jemand gegen eine solche Zweierunion, gegen ein solches bilaterales Verhältnis im Rahmen der Sechs irgend etwas einzuwenden hatte, dannhätte er seinerzeit dem deutsch-französischen Vertrag nicht zustimmen dürfen. Wir haben ihm alle zugestimmt, weil wir der Meinung waren, daß eine sich mehrende Einigung, ein weiteres Zusammenwachsen dieser beiden kerneuropäischen Staaten einen günstigen Effekt auf die Einigung der restlichen vier haben müßte. Wir waren und sind der Meinung, daß dieser deutsch-französische Vertrag ein Schritt zur weiteren Einigung Europas eist und als solcher weiter angewendet und ausgenützt wenden sollte. Denn wir sind der Auffassung — und ich glaube, das ist eine alte Binsenwahrheit —, daß ohne eine gemeinsame deutsch-französische Politik keine gemeinsame europäische Politik entstehen kann. Natürlich, wir werden weiter darauf drängen, diesen Vertrag auszuschöpfen, ihn mit Leben, mit Substanz zu erfüllen. Wir werden darauf drängen, immer neue Anstrengungen zu machen, um gemeinsame Politik, gemeinsame Strategie, gemeinsame Vorhaben und ein gemeinsames Auftreten zu erreichen.Meine Damen und Herren, ich muß sagen, daß ich keinerlei Verständnis aufbringen kann für jene so oft wiederholte Warnung, die man da in manchen Zeitungen lesen und auch oft von Ihrer Seite hören kann, man solle vorsichtig sein, denn de Gaulle habe doch nichts anderes vor, als die Deutschen vor seinen Karren zu spannen. Wenn ich so etwas höre, dann muß ich einfach sagen: hieraus scheint mir geradezu eine kleinmütige und ängstliche Spießermentalität zu sprechen.
Hat man denn wirklich so wenig Selbstvertrauen, daß man vor solchen Verhandlungen zurückschreckt, weil man von sich selbst erwartet, daß man sich dem Willen des anderen Partners voll unterwerfen werde? Meine Damen und Herren, wenn wir von gemeinsamer Politik zwischen Deutschland unid Frankreich reden, .dann meinen wir nicht eine Politik, die die Franzosen den Deutschen aufgezwungen haben, auch nicht eine Politik, die Deutsche den Franzosen aufzwingen könnten. Dann meinen wir eine Politik des Gebers und Nehmens, des quid pro quo, eine Politik des Ausgleichs der Intereessen.Im übrigen, Herr Kollege Erler, erlauben Sie mir, in diesem Zusammenhang auf einen Satz zurückzukommen, den Sie geistern gesagt haben. Sie sprachen von jener französischen Politik — ich weiß es nicht mehr wörtlich, aber sinngemäß —, die dem Gedanken der Dritten Kraft huldige; so ähnlich haben Sie gesagt. Herr Kollege Erler, wenn mit diesem Wort von der Dritten Kraft eine Politik gemeint ist, die sich sozusagen vorbehält, einmal mit dieser und einmal mit jener Seite in der gegenwärtigen Welt, also einmal mit der freien Welt und einmal auch mit dem östlichen Gegner zu sympathisieren oder übereinstimmen, dann müßte ich diesen Satz von Ihnen mit einiger Schärfe zurückweisen. Denn das kann man über die franzäsische Politik mit absoluter Sicherheit nicht salgen.Wenn Sie von mir ein Beispiel hören wollen, das meine Meinung erhärtet, dann kann ich Ihnen das folgende mitteilen. Es gab in den letzten Jahren eine
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6892 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1964
Freiherr zu GuttenbergNacht, in welcher wir alle, die wir uns mit Politik befassen, einen unruhigen Schlaf hatten. Sie erinnern sich jener Bilder, als damals sowjetische Raketenfrachter auf Kuba zuliefen und amerikanische Zerstörer ihnen entgegensteuerten, jener Nacht also, in der man nicht recht wußte, ob auch am nächsten Tag noch Friede herrschen werde. In dieser Situation, in welcher die Regierung der Vereinigten Staaten eine auch Europa betreffende Entscheidung, vieleicht über Krieg und Frieden, zu treffen hatte, da war es die französische Politik, die sich ohne allen Vorbehalt und schneller und risikobereiter als mancher andere NATO-Staat, der sich dennoch bis heute bester atlantischer Reputation erfreut, mit Amerika solidarisch erklärte.
Wie kann man angesichts dieses Sachverhaltes den Franzosen unterstellen, sie trieben eine potentiell antiamerikanische Politik?Die Forderung, die die CSU damals beim Landesparteitag in Übereinstimmung mit unserer alten Politik gestellt hat, war vielmehr nichts als eine neue Initiative in Richtung auf eine Politische Union der Sechs. Das war nicht Zweierunion, das war Politische Union der Sechs. Ich sage „Politische Union", obwohl ich diesen Terminus inhaltlich nicht ganz für richtig halte. Aber man weiß, was damit gemeint ist.Meine Damen und Herren, zu dieser Politischen Union einige Worte. Auch der Gemeinsame Markt, die EWG, ist eine politische Gemeinschaft. Man ij könnte auch die EWG „Politische Union" nennen. Denn was dort integriert werden soll, ist doch nicht Wirtschaft, sondern das sind die politischen Bedindungen, unter dienen gewirtschaftet werden soll. Aber diese Politische Union des Gemeinsamen Marktes ist in ihrer Funktion beschränkt: beschränkt — um es in einer Formel zusammenzufassen — auf den Bereich europäischer Innenpolitik mit einer wesentlichen Ausnahme, jener der Außenhandelspolitik.Aber die Frage, um die es hier geht, ist: Soll sich unser Bemühen um die Einigung Europas darauf beschränken, nur die Kraft, das Potential, die Kapazität der europäischen Staaten und Völker zu entwickeln? Oder sind wir nicht willens und entschlossen und genötigt, diese entwickelte Kraft, dieses entwickelte Potential auch nach außen Dritten gegenüber einzusetzen, Europa also handlungsfähig zu machen, Europa also zu einem Sprecher zu machen, wie es Strauß gestern gesagt hat? Wir sind auf diesem Felde langsam, nach unserer Meinung zu langsam, vorangekommen. Man könnte eine lange Untersuchung darüber anstellen, warum dies so langsam ging. Es gibt manche, die da sagen, das sei alles nur de Gaulle und seiner Integrationsfeindlichkeit zuzuschreiben. Meine Damen und Herren, ich finde, daß man auf diesem Felde ehrlich sein sollte. Wer ehrlich ist, muß zugeben, daß gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik qualitativ etwas anderes ist als jene Materie, die im Gemeinsamen Markt geregelt wurde.Lassen Sie mich einen Zeugen nennen, der nach meiner Auffassung sicherlich ein guter Zeuge ist.Der verstorbene große Europäer Robert Schuman hat in seinem Buch „Für Europa" den Satz geschrieben, er warne vor einer zu frühzeitigen Aufgabe nationaler Souveränität auf Gebieten, wo es um die vitalen Dinge der Nationen gehe. Wenn nämlich hier einmal ein Land bei einer Mehrheitsentscheidung, vielleicht von einer Mehrheit der sechs europäischen Ministerpräsidenten, überstimmt werden sollte, dann, so sagte Schuman, könnte dies zu einem Aufwühlen von Leidenschaften führen, und der europäische Gedanke könnte hieran vielleicht fatalen Schaden leiden. Ich halte dafür, daß dieser große Förderer der europäischen Integration, Robert Schuman, hier eine Warnung ausgesprochen hat, die wir beherzigen sollten.Diese Warnung beherzigen heißt aber, einen Prozeß des Sich-aneinander-Gewöhnens, einen Prozeß der langsamen Harmonisierung der Politik der Staaten, die sich zu einer solchen politischen Union zusammenfinden wollen, vorzuschalten, um über Konsultation und Kooperation zum Ziele der Föderation voranzuschreiten. Sie, Herr Kollege Erler, haben gesagt, man solle die Ziele beim Namen nennen. Ich weiß nicht, an wen diese Adresse gerichtet ist, gewiß nicht an uns. Wir haben immer gesagt und wir bleiben dabei, daß unser Ziel die Integration und die Föderation Europas ist. Um es mit guten deutschen Worten zu sagen: unser Ziel ist nicht weniger als die Vereinigten Staaten von Europa. Aber wir wissen, daß das ein fernes Ziel ist. Wir werden uns nicht deshalb, weil wir uns vielleicht über den fünften Schritt mit unseren Partnern streiten müssen, dazu hinreißen lassen, den ersten Schritt nicht zu tun. Der erste Schritt in einem solchen Prozeß des Sich-aneinander-Gewöhnens, des Miteinander-Koopierierens ist, meine ich, in permanente Konsultation einzutreten mit dem Ziele, aus Konföderation Föderation entstehen zu lassen.Was wir wollen ist also atlantische Partnerschaft, so wie es die Amerikaner formuliert haben. Aber atlantische Partnerschaft anstreben heißt, den Partner Europa erst schaffen zu müssen. Erst dann, wenn dieser Partner Europa geschaffen ist, wird die NATO ihren Namen zu Recht tragen können. Erst dann wird man sagen können, die NATO sei Bündnis, sei wirkliche Allianz. Bis heute — nicht nach unserem Willen, aber als Feststellung eine Tatbestandes — ist diese NATO mehr ein Garantiesystem des Mächtigen für die Schwachen, weit mehr dies als etwa ein Bündnis. Daher glaube ich, daß wir entschlossen sein sollten, jede Gelegenheit zu nutzen und jeden Schritt zu tun und jede Möglichkeit zu ergreifen, um dieses Europa fortschreitend zu einigen, zu stärken und auf eigene Füße zu stellen; nicht etwa, um als dritte Kraft sich wahlweise nach hier oder dort entscheiden zu können, sondern weil nach unserer Auffassung — und ich meine, daß dieses Haus einmütig hinter dieser Auffassung steht — die Mehrung der Kraft Europas gleichzeitig eine Mehrung der Stärke der freien Welt ist. Dieses Konzept der Partnerschaft, dieses Konzept der beiden Sprecher, der beiden Säulen, dieses Konzept der Ellipse — wie es unser Präsident Gerstenmaier einmal genannt hat — mag vielleicht weniger hochfliegend sein als dies
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Freiherr zu Guttenbergeiner atlantischen Gemeinschaft. Aber dieses Konzept ist realistisch und der Wirklichkeit angemessen. In fernen Zeiten wird man vielleicht einmal ein gemeinsames atlantisches Dach über dem amerikanischen und europäischen Kontinent errichten können. Heute scheint mir dies kein erreichbares Ziel zu sein. Heute ist das einzig erreichbare Ziel — wenn überhaupt, und dies auch nur in zäher und harter Kleinarbeit — ein geeintes Europa an der Seite der Vereinigten Staaten.Was immer heute, morgen oder übermorgen durch deutsche Regierungen oder ein deutsches Parlament zu entscheiden sein mag, es muß in dem Wissen entschieden werden, daß die Einigung und Stärkung Europas der Schlüssel zu all jenen Toren ist, die durch nationale Anstrengungen allein nicht zu öffnen sind. Das gilt insbesondere für das, was den Deutschen noch immer widerrechtlich durch sowjetischen Willen vorenthalten wird.Ich halte unverändert den zügigen Fortschritt des freiwilligen Zusammenschlusses der freien europäischen Völker für die aktivste Ostpolitik, die sich denken läßt.
Denn in dem Maße, in dem die Hoffnungen und sogenannten wissenschaftlichen Erwartungen der Kommunisten durch die Wirklichkeit, durch unsere Tätigkeit widerlegt werden, in dem Maße also, in dem die sogenannten kapitalistischen Länder sich einigen, statt sich zu zerfleischen, der sogenannte Kapitalismus die Völker reicher macht, statt sie zu verelenden, in dem Maße, in dem die nichtkommunistische Welt sich am Beispiel des freien und nicht des kommunistischen Teils Europas orientiert, wird der Glaube der Kommunisten an den Sieg ihrer Sache und damit auch ihre Aggressivität erlahmen. Ich sage dies angesichts einer leider zunehmenden Tendenz, die den großen Wandel, die radikale Änderung — wie es Fulbright z. B. formuliert hat —, das Ende des Kalten Krieges durch eine neue und geänderte Ostpolitik erwartet. Ich will hier nicht ins Detail gehen; das haben gestern meine Kollegen Barzel und Strauß schon getan. Ich schließe mich ihnen weitestgehend an.Gewiß, vieles und Wichtiges ist im Osten in Bewegung geraten. Es gibt manche Beeinflussungsmöglichkeit für eine geschickte und gezielte westliche und auch westdeutsche Einwirkung auf nationale Unabhängigkeitstendenzen im Osten, auf Freihefts- und Wohlstandsverlangen der osteuropäischen Völker, auf wirtschaftliche Wünsche und Hoffnungen dieser Länder. Ich meine aber, wir sollten uns nicht dazu verführen lassen, alles Heil in diesen Erscheinungen zu suchen. Ich bin dankbar, daß das auch Herr Wehner hier gesagt hat. Unsere Einwirkungsmöglichkeiten auf die Krisen im Sowjetlager, unsere Einwirkungsmöglichkeiten auf Völker unter einer totalitären Herrschaft, auf das Verhalten kommunistischer Führer sind relativ gering. Ihre Wirkungen werden immer ungleich geringer sein, als es die Aktivität und die Entschlüsse der kommunistischen Führer sein können. Ich will gar nicht im einzelnen auf die Beispiele hinweisen, die etwa Jugoslawien und Polen auf diesem Gebiet bedeuten. Zweitens die Frage: welche Haltung ist angemessen und erfolgversprechend angesichts dieses kommunistischen Lagers, das von Krisen geschüttelt wird, das durch zunehmende Uneinigkeit geschwächt ist, das unter wirtschaftlichen Rückschlägen leidet, das im Wettbewerb mit dem Westen also zurückgefallen ist? Ich halte all die vielen Stimmen geradezu für unbegreiflich, die angesichts dieses eindeutigen Sachverhalts dem Westen raten, er möge seine Forderungen zurückstellen, er möge sich bis auf weiteres mit der kommunistischen Herrschaft abfinden, der Handel mit der Sowjetunion sei generell zu intensivieren, man müsse wirtschaftliche und finanzielle Unterstützung etwa auch der Sowjetunion selbst leisten, man solle also — mit einem Wort gesagt — dem Sowjetlager jene Atempause kostenlos gewähren, die es anscheinend nötig hat.Ich frage mich angesichts solcher aus allen möglichen Ecken und Winkeln her vorgetragenen Vorschläge: Ist dies wirklich der Zeitpunkt, um eine solche neue Politik zu beginnen? Soll man einen solchen politischen Wandel im Westen gerade dann propagieren, wenn sich erste tatsächliche Erfolge eines harten und scharfen Wettbewerbs zwischen der freien Welt und dem kommunistischen Lager abzeichnen? Ich frage mich auch, ob wir heute nicht allen Anlaß haben und mehr Chancen als je, unverändert und unbedingt auf die Normalisierung, d. h. also auf ein Leben in ganz Deutschland zu drängen, das von den Deutschen selbst bestimmt wird.Meine Damen und Herren, weil ich und weil meine Freunde die Veränderungen im Osten sehen — nicht weil wir sie übersehen, wie manch einer glaubt uns attestieren zu sollen —, treten wie ein für eine Politik, die sich nicht nur nicht abfindet mit der kommunistischen Herrschaft in Osteuropa, sondern die weitere Veränderungen durch offensive und fordernde Haltung zu erreichen sucht.Lassen Sie mich zum Ende kommen und nur einige Sätze sagen zu den Nachrichten, die wir gestern abend aus Moskau gehört haben. Ich will mich hier nicht mit Deutungen und Mutmaßungen abgeben. Ich will nur einige Feststellungen treffen. Daß gestern ein Regierungswechsel in England möglich sein würde, das haben wir seit Monaten gewußt. Ich habe soeben die Nachricht bekommen, daß das Ergebnis nun feststehe und die Labour Party gewonnen habe. Ich teile dies als die letzte Nachricht mit.
— Die ist mir leider nicht mitgeteilt worden . — Ich möchte mit dieser Nachricht die Feststellung verbinden, daß ich es für schlechte deutsche Politik hielte, wenn zwischen den Parteien dieses Hauses angesichts einer solchen Entscheidung nun etwa Beifall oder Mißfallen geäußert würde. Es wird eine neue englische Regierung geben, die unser Partner sein wird. Es wird Schwierigkeiten geben, wie es auch in der Vergangenheit Schwierigkeiten gegeben hat. Es wird unsere Aufgabe sein — unser aller Aufgabe und vielleicht Ihre mehr als unsere —,
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6894 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1964
Freiherr zu Guttenbergalles zu tun, um das deutsch-englische Verhältnis in jenes Maß, in jenen Raum zu stellen, in dem wir uns dies alle wünschen.
Herr Kollege Wehner, es war vorhin — vielleicht nicht im Ton des Vorwurfs; ich habe das nicht so recht gehört — doch bei Ihnen die Rede davon, daß das Verhältnis zwischen Deutschland und England noch nicht so gestaltet sei, wie dies zwischen Deutschland und Frankreich gelungen ist. Dies hier wäre wohl ein falscher Ort, in aller Öffentlichkeit die möglichen Gründe hierfür zu untersuchen. Aber eines, meine ich, sollten wir doch sagen:
Es war doch ganz gewiß nicht die Schuld der deutschen Politik, daß Großbritannien sich durch lange, lange Jahre von Europa distanziert gehalten hat.
Wenn also ein solcher Vorwurf gemeint gewesen sein sollte, dann richtet er sich ganz sicher nicht gegen die Regierungen, die wir in der Bundesrepublik in den letzten Jahren hatten.Ich sagte, wir wußten alle, daß gestern in England ein Tag der Entscheidung sein würde. Wir wußten nicht, wie diese Entscheidung ausfallen würde, aber wir wußten, daß nach den Gesetzen dieser Demokratie an diesem Tage eine Entscheidung fallen würde. Daß der sowjetische Diktator gestern gestürzt würde, das hat keiner von uns erwartet oder vorausgesehen. Daher, meine ich, haben wir Anlaß, uns an zweierlei zu erinnern oder, wenn Sie wollen, eine doppelte Lehre zu ziehen. Die erste Lehre wäre nach meiner Meinung die, daß überraschende und sprunghafte Veränderungen zum Wesen totalitärer Staaten gehören, überraschende und sprunghafte Veränderungen sei es zum Besseren, sei es zum Schlechteren. Ich sage dies an die Adresse derer, die uns alle Tage vorerzählen, es gebe sozusagen einen automatischen Prozeß der Wandlung der Dinge im Osten zum Besseren, den man abwarten könne. Meine Damen und Herren, das kann morgen wieder ganz anders aussehen.
Zweitens sollten wir die Lehre ziehen, daß offenbar der kommunistische Teil der Welt von einer Krise betroffen wird, deren Ausmaß bisher wohl weithin unterschätzt wurde. Was also könnte und sollte uns mehr in der Überzeugung stärken, daß die Zukunft mit der freien Welt, und also auch mit dem freien Deutschland ist?!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Zoglmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sollten dem Kollegen Wehner sehr dankbar sein, daß er mit so erfreulicher Klarheit zu einem Problem Stellung genommen hat, das gestern in der Debatte angeklungen ist und zu dem sich auch der Herr Kollege Strauß und ich geäußert haben. Wir hatten uns dabei auf eine bestimmte Erklärung des SPD-Präsidiums in Bergneustadt bezogen. Nun, Herr Kollege Wehner, herrscht Klarheit. Wir können die Bergneustädter Erklärung des Präsidiums der SPD nur unterstreichen. Ich habe es gestern gesagt: Wenn es dort heißt, daß die sudetendeutsche Frage durch die Vertreibung der Sudetendeutschen nicht erledigt sei, daß die Vertreibung widerrechtlich gewesen sei und auf friedlichem Wege wiedergutgemacht werden müsse, ohne daß anderen Menschen aufs neue Unrecht geschehe, dann ist das genau das, worauf wir uns wohl alle verständigen können.Es heißt in der Erklärung weiter: Die Feststellung, wonach Deutschland in den Grenzen von 1937 fortbesteht, schließt das Heimat- und Selbstbestimmungsrecht der Sudetendeutschen nicht aus. Ich bitte Herrn Staatssekretär Carstens, dein Herrn Bundeskanzler bei .der Abfassung von Erklärungen in diesem Hause künftig in dieser Richtung zu beraten. Ich würde es begrüßen, wenn der Bundeskanzler, sofern er schon solche Erklärungen wie die gestrige abgibt, zumindest einen solchen Zusatz anbrächte. Denn dann kann kein Zweifel daran entstehen, was wir alle meinen.Eine künftige deutsche Friedensregelung wird nur möglich sein, wenn sie das Recht auf Heimat und das Recht auf Selbstbestimmung aller Deutschen zum Inhalt hat. Sonst verdient eine solche Friedensregelung diesen Namen nicht.
Die deutsche Außenpolitik sollte sich bei jedem Schritt genau überlegen, Herr Staatssekretär, ob das, was sie tut, eine solche künftige Regelung erleichtert oder erschwert. Man sollte daher mit vorzeitigen Verzichterklärungen äußerst vorsichtig sein, weil sie die Manövrierfähigkeit jedes künftigen deutschen Staatsmannes, der ja mit einem sehr schweren Gepäck in solche Verhandlungen hineingeht, einengt und erschwert.
Ich möchte mich in dieser vorgerückten Stunde zum Münchener Abkommen nicht näher äußern. Sie wissen, es ist in der Diskussion. Aber soviel möchte ich dennoch sagen: die gegen das Münchener Abkommen vorgetragenen Einwände sind mir zu billig, als daß ich sie gelten lassen möchte. Denn wenn man sagt, dieses Abkommen sei unter Gewalt und unter Drohung zustande gekommen, so muß ich dem entgegenhalten: mir ist aus den letzten vierhundert Jahren kein völkerrechtliches Abkommen, das einen Verzicht auf wesentliche Teile des Staatsgebietes enthält, bekannt, das etwa nicht unter Gewalt und Drohung zustande gekommen wäre. Das gilt für den Vertrag von Versailles genauso wie für alle Regelungen im 19. Jahrhundert. Wir sollten daher hinsichtlich dieses Arguments ein bißchen vorsichtiger sein. Von daher leitet sich nach meinem Dafürhalten rechtlich nichts ab. Herr Kollege Kopf, Sie als Vorsitzender des Außenpolitischen Ausschusses werden mir sicher recht geben.
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ZoglmannWeiter wurde gesagt: Hitler hat es zerrissen, das Abkommen ist nicht existent. Dazu muß ich Ihnen sagen: Dann ist mir unerklärlich, wieso die Sowjetrussen in ihrem Friedensvertragvorschlag 1959 von uns ausdrücklich den Verzicht auf dieses Abkommen verlangen. Die Sowjets unterstellen also doch offenbar, daß das Abkommen irgendwie noch im Raume ist. Auch das scheint mir daher ein sehr billiges Argument zu sein.Es gäbe noch das eine oder andere dazu zu sagen. Vielleicht wird einmal Gelegenheit sein, hier eine Diskussion darüber zu führen.Nun lassen Sie mich, meine Kollegen, abschließend noch etwas sagen um der Wahrhaftigkeit und des Verantwortungsbewußtseins willen. Solche Äußerungen wie die des Kollegen Wehner sind verdienstvoll; er wies auf die Obhutserklärung für die Sudetendeutschen hin, die dieses Haus im Jahr 1950 abgegeben hat. Aber dann sollte man leicht dahingesagte Bemerkungen unterlassen, Herr Kollege Wehner; Sie wissen, was ich meine. Sie waren Zeuge einer solchen Bemerkung aus dem Munde eines Mannes, der in Deutschland Verantwortung trägt. Es fiel die Bemerkung, das sei doch eigentlich etwas, was die Osterreicher in ihr Marschgepäck nehmen sollten.Ich möchte das Bukett nach der anderen Seite hin ergänzen. Man sollte auch nicht sagen, was mir sehr bedenklich erscheint — und nun hitte ich Sie, genau zuzuhören —: Man kann den Sudetendeutschen deshalb das Recht auf Heimat und das Recht auf Selbstbestimmung nicht zugestehen, weil sie dann nach Hause zurückgehen, abstimmen und wir sie dann wieder haben. Wer solche Äußerungen macht, meine Damen und Herren, bei dem muß ich wahrhaftig nicht nur jede Rechtlichkeit vermissen, sondern auch befürchten, daß er keinerlei politisches Gespür hat.Ich glaube, es war notwendig, diese Dinge hier einmal in aller Offenheit und in aller Deutlichkeit zu sagen.
Ich weiß nicht, ob ich dem Hause sagen soll, was nicht das Amt des Präsidenten ist; es wurde aber vorhin angesprochen.
Wir haben uns bemüht, die britischen Wahlergebnisse, soweit sie bis jetzt feststehen, zu verifizieren. Auf Grund einer Rückfrage bei zwei großen Agenturen und auch beim Bundespresse- und Informationsamt steht bis jetzt lediglich fest, daß die Konservativen in 192, die Labour Party in 250, die Liberalen in 2 Wahlkreisen gewonnen haben. Die Ergebnisse von 186 Wahlkreisen stehlen noch aus.
Verzeihen Sie, es ist nicht Sache des Präsidenten, das zu sagen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kohut.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dieser Stunde muß ich mich sehr kurz fassen. Ich habe mir gestern, als die Nachricht aus Moskau kam, überlegt: Hat eigentlich der Herr Bundeskanzler gewußt, was da vorgeht? Wir haben ja einen Nachrichtendienst, der uns ein Vermögen kostet. Bei den Anzeichen, die Wissende schon vorher erkannt haben, hätten wir doch Informationen darüber besitzen müssen, und es hätte seinen Niederschlag in den Worten des Bundeskanzlers finden müssen.
Ich habe mir ein Zweites überlegt. Wir haben doch eine sogenannte Botschaft in Moskau, von der wir nicht viel hören, seitdem der Botschafter Kroll weg ist. Wie ich in den Zeitungen gelesen habe, hat der Botschafter gestern bis 9 Uhr abends noch nichts von den Vorgängen gewußt. Da ergibt sich die Frage: Sollten wir die Botschaft in Moskau künftig einsparen? Oder können wir sie nicht wirklich der Aufgabe entsprechend besetzen, einer Aufgabe, die wir jahrelang, jahrzehntelang vernachlässigt haben? Damit will ich mich im wesentlichen begnügen.
Ganz kurz noch folgendes. Ich bin Baron Guttenberg dankbar, daß er uns über die Rechte des Staatsbürgers belehrt hat.
Ich bin etwas bestürzt oder traurig über den Amtsgerichtsrat oder den Untersuchungsrichter, dessen Karriere, weil er Unschuldige verfolgt, wahrscheinlich vernichtet ist,
wie ich die Vorgänge hier in der Bundesrepublik zu kennen glaube.
Über die allgemeine Politik ist jetzt nicht mehr viel zu sagen. Man könnte sie überschreiben „Im Westen nichts Neues". Denn alle Regierungen, die wir seit 15 Jahren in der Bundesrepublik haben, haben die deutsche Wiedervereinigung nicht einen Schritt nähergebracht. Sie werden es auch im letzten Jahre nicht schaffen. Das stelle ich mit tiefer Resignation fest.
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Ich will nicht replizieren „Bei Kohut nichts Neues", sondern ich möchte gleich zu einigen wenigen Fragen kommen, die sich am Schluß der Debatte aus unserer Sicht noch stellen.Herr Kollege Zoglmann, Sie wissen, daß die Bundesregierung — die Bundesregierung, die wir gemeinsam tragen — wie die Bundestagsfraktion der CDU/CSU sich zum zum Recht auf Heimat immer bekannt haben und immer bekennen werden. Das hat der Bundeskanzler oft genug ausgedrückt. Ich weiß, daß er auch zu dieser Stunde, in der Sie hier sprachen und in der ich spreche, ebenso denkt; ich denke, er wird es heute nachmittag deutlich genug machen.
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6896 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1964
Dr. BarzelDie Lage ist nicht dazu angetan, jetzt am Schluß der Debatte noch besonders streitlustig zu sein. Aber ich bewundere doch, Herr Kollege Wehner, wie Sie in dieser Lage so sprechen konnten, wie Sie es am Schluß Ihrer Rede taten. Ich muß eines zurückweisen, und das ist der erste Grund, warum ich mich noch zu Wort gemeldet habe. Sie sagten, wir seien die Partei, die sich fälschlich für das Ganze halte. Herr Kollege Wehner, so sollte niemand in einer parlamentarischen Demokratie von dem anderen sprechen. Wir halten uns nicht dafür. Wir glauben auch nicht — wie es in Ihrem Grundsatzprogramm steht —, daß erst durch die Erfüllung unserer Politik die Demokratie erfüllt sein werde. Vor dem Hintergrund des „Noch" des Kollegen Erler in unserer gestrigen streitigen Debatte werden Sie verstehen, daß ich diese Bemerkung mache und das hiermit zurückweise.
— Sie wollen eine Frage stellen, Herr Kollege Wehner?
Ist Ihnen bekannt, daß Sie dabei eine ganz leichte Retuschierung unseres Godesberger Programms in einem wesentlichen Teil vorgenommen haben? Und ist Ihnen, was meine Berner-kung betrifft, bekannt, was Ihr Geschäftsführender Vorsitzender Dufhues in der Woche vor den nordrhein-westfälischen Kommunalwahlen im „BayernKurier" und im „Deutschland-Union-Dienst" geschrieben hat? Auf dies bezog sich nämlich meine Bemerkung.
Ich verstehe Ihre Intervention so, daß Sie diesen Satz mit dem Ausdruck des Bedauerns zurücknehmen. Ich darf aus dem Godesberger Programm verlesen: „Sozialismus wird nur durch die Demokratie verwirklicht, die Demokratie durch den Sozialismus erfüllt." Da haben wir jenes „Noch", über das wir uns gestern erregt haben und das wir natürlich nach Ihrer Rede in unserer Erinnerung haben. Ich fasse Ihre Intervention so auf, wie ich sie eben interpretiert habe.
Das Zweite! Gestern, Herr Kollege Wehner, waren Sie in der parlamentarisch glücklichen Lage, zur rechten Zeit eine Erklärung aus Düsseldorf zur Hand zu haben. Heute bin ich in der glücklichen Lage, zur rechten Zeiteine dpa-Meldung aus Karlsruhe zur Hand zuhaben. Sie ist von 11.48 Uhr. Sie lautet:
Der Generalbundesanwalt hat am Freitag dem dritten Strafsenat des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe die Anklageschrift gegen drei Angeschuldigte des Spiegel-Verfahrens zugestellt. Die Anklage lautet auf Landesverrat.
Ich glaube, daß vor diesem Hintergrund, Herr Kollege Wehner, auch die Schlußpassage Ihrer Rede von uns allen miteinander doch als überflüssig betrachtet werden sollte.
Meine Damen und meine Herren, ich spreche hier in aller Ruhe — — Herr Kollege Schmid!
Herr Abgeordneter Barzel, betrachten Sie einen Angeklagten schon als überführt?
Auf gar keinen Fall! Aber, Herr Kollege Schmid, wir alle wissen
— bei einer soziologischen Betrachtung der Rechtsordnung —,
daß man eine Einwirkung in ein Verfahren nicht nur durch formale Akte, sondern auch durch soziologisch wirksame Phänomene vornehmen kann.
Meine Damen und Herren, wir haben die Absicht — —
.— Aber Herr Kollege Wehner, ich spreche doch in einer ruhigen Weise und versuche, ein paar Dinge — —
— Ja, dann muß er sich doch mit dem Redner unterhalten; das ist doch die Übung im Parlament.
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter! Ich höre nur „Beleidigung", aber ich habe nicht den Tatbestand aufgenommen. Soll ich das im Protokoll nachlesen oder kann man darüber hinweggehen? — Ich gehe darüber hinweg. Ich kann nur eingreifen, wenn ich selber etwas höre oder wenn ich es dem Protokoll zweifelsfrei entnehmen kann.
Ich bitte, fortzufahren.
Der dritte Punkt, Herr Kollege Wehner, ist folgender: Wir sollten die innerdeutsche Diskussion von Unerträglichkeiten entlasten, sagten Sie. Wir stimmen dem zu. Das war auch einer der Gründe, weshalb ich noch einmal hierher gekommen bin.Abgesehen von dem Problem der Verteufelung von Kollegen, das wir, wie ich hoffe, gelöst haben, könnte man, meine ich, jetzt noch einmal eine Debatte beginnen, Herr Kollege Erler, und zwar genau an dem Punkt, an dem Sie gestern einsetzten, als wir hier begannen. Gestern haben Sie mit guten Worten davon gesprochen, daß niemand die Gabe
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1964 6897
Dr. Barzelder Bilokation habe. Es gibt aber jemanden, der gleichwohl an einem Tag zwei verschiedene Reden halten kann, eine in Berlin, die andere am gleichen Abend in Kassel, — und das, wo wir doch gestern hier gerügt haben, daß er nicht da war. Diese Reden des Herrn Brandt wurden auch noch auf Ihrem Pressebogen verteilt. Sie waren wieder voller objektiver Unrichtigkeiten und im Hinblick auf die Vorkommnisse hier im Hause nicht gut unterrichtet.Ich will diese Debatte auch nicht erneut aufgreifen. Aber hier ist etwas, das wir beklagen. Ich meine, hier ist wieder deutlich geworden, daß es wenigstens 25 Fragen sind, die ich von neuem — nach der Kasseler Rede — stellen könnte. Ich will es nicht tun. Ich will es vor allen Dingen deshalb nicht tun, weil der Kollege Wehner in bezug auf ein paar andere Punkte sich dafür ausgesprochen hat, daß der Westen nun gemeinsam dieses und jenes tun sollte und man nicht die Chancen von nationalen Sondertouren in Ost- und Mitteleuropa überbewerten sollte. Das habe ich deshalb so dankbar empfunden, weil es mich der Lage enthebt, nun jetzt noch die anderslautenden Reden desselben Herrn in New York und in Bonn erneut zitieren zu müssen. Nehmen wir auch in dieser Beziehung das, was von dieser Stelle aus gesprochen wurde, als das Authentische an. Dann kommen wir uns viel näher, als wenn wir mit Pressemitteilungen eines anderen Herrn, der sich hier nicht stellt, arbeiten.
Herr Kollege Wehner, wir haben gemeinsam in diesem Aktionskomitee für Europa, in dem ich Herrn von Brentano vertreten darf, gesessen, und ich glaube, Sie erinnern sich an unser gemeinsames Ja. Herr Kollege Erler weiß, daß wir nur in einem Unterpunkt eine Meinungsverschiedenheit haben. Ich glaube aber, daß der Angriff, den Sie, gestützt auf dieses Papier, gegen den Bundeskanzler gerichtet haben — damit seine Abwesenheit nicht gleich gerügt wird, möchte ich sagen, daß er jetzt aus zwingenden außenpolitischen Gründen nicht da sein kann —, unberechtigt war. Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts hat, meine ich, gestern überzeugend dargetan, daß es diese Bundesregierung gewesen ist, die eine gefährliche Krise in der europäischen Politik im vergangenen Jahr überwunden hat, und zwar unter Konrad Adenauer, und daß Bundeskanzler Ludwig Erhard sich in diesem Jahr durch seine Gespräche bemüht, den toten Punkt in der europäischen Politik jetzt zu überwinden.Ohne die Bemühungen dieser aktiven deutschen Bundesregierung auf dem europäischen Feld, Herr Kollege Wehner, wäre das Papier, das wir gemeinsam verabschiedet haben, nicht von dem internationalen Kurswert, den es bekommen hat. Es gibt nur eine von uns bewirkte andere Landschaft in Europa.Nun die Schlußbemerkungen zu dieser Debatte. Sie sind auch ganz kurz und — wenn es geht — ruhig und abschließend, es sei denn, es entsteht eine neue Debatte. Ich glaube, es war gut, daß wir mit dieser Aussprache sichtbar gemacht haben, daß derBundestag noch debattieren kann, daß er noch voller Munterkeit und Lebendigkeit ist und daß es sich lohnt, hier zuzuhören und über das zu berichten, was da passiert. Man braucht sich, also nicht aus Illustrierten, aus Magazinen und aus dem Fernsehen zu unterrichten. Es lohnt sich schon, hier zu sprechen und seine Meinung zu sagen. Das Parlament ist, glaube ich, erneut gestärkt worden.In meinem Beitrag von gestern habe ich zwei Fragen gestellt. Meine Frage nach dem potentiellen Vorbild Schwedens auch auf außenpolitischem Gebiet ich habe es in die Frage „Bündnisfreiheit" gekleidet — ist als Nicht-Gegenstand der Politik der Opposition bezeichnet worden. Ich verstehe Sie also richtig: Die Bündnisfreiheit Schwedens ist kein Vorbild für die Opposition. Damit ist das, was uns angeht, aus der Debatte.Ich verstehe Sie aber richtig, wenn ich sage, insbesondere nach der Intervention des Herrn Kollegen Wehner heute morgen: Die sozialistische Ausgestaltung Schwedens im Innern dagegen ist in weiten Bereichen Vorbild der Opposition?
— In weiten Bereichen — ich habe es hier aufgeschrieben — ein Vorbild für die Opposition. Ich glaube, es ist gut, am Schluß einer Debatte etwas festzuhalten, damit die Positionen auch stimmen.Nun noch ein ganz kurzes Schlußwort. Keiner weiß, wie sich die gestrigen Vorgänge in Moskau auf uns auswirken werden. Wir meinen, daß es auch sein könnte — nicht sein muß, aber sein könnte —, daß wir alle hier noch enger werden zusammenrücken müssen. Wir sind dazu bereit. Ich bitte Sie sehr herzlich und in vollem Wissen, was es bedeutet, wenn ich dies sage: Bitte machen Sie dies nicht unmöglich, indem Sie von der Opposition so sprechen, wie es der Kollege Wehner am Schluß seiner Rede tat.Die Bundesregierung ist auf dem rechten Wege, das hat diese Debatte erwiesen. Die Tatsache, daß die Opposition außenpolitisch eine Alternative nicht vorgetragen hat, ist erfreulich. Ich sage das nicht, um anzuklagen, sondern um dies festzustellen, weil so die Position der deutschen Sache für die kommenden Wochen sicher stärker ist, als wenn es anders wäre.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Erler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Zusammenrücken in den Lebensfragen der Nation wird, Herr Kollege Barzel, sicher nicht dadurch gefördert, daß man in den Bereichen, in denen es aus Einsicht in die Notwendigkeiten unserer Zeit auf beiden Seiten stattgefunden hat, permament, obwohl man die inzwischen eingetretenen weltpolitischen Veränderungen selber gelegentlich als Argument für andere Überlegungen benutzt, der Opposition unterschiebt, sie habe sich schlechthin einfach der Politik der Regierung angeschlossen. Bei der Politik ist man nicht bei der des
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ErlerJahres 1952 und kann es nicht sein, weil wir inzwischen 1964 schreiben und ,weil wir infolgedessen auf weiten Strecken aufeinander zugegangen sind. Wenn Sie meinen, die Gefahren für unser Volk könnten es notwendig machen, noch mehr aufeinander zuzugehen, dann soll man das nicht dadurch erschweren, daß man den Versuch macht, dem anderen und der Öffentlichkeit einzureden, hier handle es sich um nichts anderes als um den Anschluß an irgendwelche populär gewordenen Plattformen.
Herr Kollege Barzel, Sie versuchen, der Sozialdemokratischen Partei vorzuschreiben, wer von den Sozialdemokraten als Vorsitzender mit der Führung des Wahlkampfes beauftragt wird. Das ist unsere Sache. Da lassen wir uns von gar niemandem und nicht durch noch solche Tricks hineinreden.
Und welche Aufgaben unser Vorsitzender erfüllt, das ist auch unsere Sache. Das Parlament, dem er sich stellt, ist ein doppeltes, oder wenn Sie wollen, ein dreifaches: als Regierender Bürgermeister in Berlin, als Vorsitzender vor dem Parteitag und als Bewerber um ein hohes Amt vor dem deutschen Volk. Dem Bundestag dann, wenn er diesem Parlament angehört und Kanzler ist. Damit ist das klar.
Uns ist eben die Mitteilung, die uns ja auch bekannt geworden war, über die Anklageerhebung in der „Spiegel"-Angelegenheit unterbreitet worden. Ich kann nur hoffen und wünschen, daß das Verfahren, und zwar nunmehr nicht nur dieses eine, sondern in allen seinen Verästelungen und mit allen damit zusammenhängenden Nebenangelegenheiten
— allen, einschließlich Jahn und Merten; ich habe gestern deutlich dazu etwas gesagt —, endlich auf eine vernünftige Weise abgeschlossen wird, damit man weiß, was ist und was nicht ist. Ich meine alle, nicht nur Strauß. Allerdings meine ich auch Strauß, weil es welche gibt, die richterlich aussagen, und andere, die nicht richterlich aussagen.
Zu dem Punkt: Niemand steht außerhalb des Gesetzes, auch nicht wenn er ein ehemaliger Minister ist. Der frühere Verteidigungsminister hat gestern hier eine völlig irreführende Darstellung gegeben. Er ist nicht von der Staatsanwaltschaft, sondern vom Gericht geladen worden, und einer gerichtlichen Ladung hat ein Staatsbürger nach § 133 der Strafprozeßordnung nachzukommen. Dort ist ihm nach § 136 der Strafprozeßordnung bei Beginn der ersten richterlichen Vernehmung zu eröffnen, welche strafbare Handlung ihm zur Last gelegt wird. Das steht doch nun einmal in der Strafprozeßordnung. Dort hat er dann die Möglichkeit, eine Aussage zur Sache zu verweigern, nicht vorher. Ich möchte an diesen Tatbestand erinnern, weil ich der Meinung bin: Wer treu zur parlamentarischen Demokratie steht, der muß sich auch treu an ihre Gesetze halten und darf sich keine Extrawurst braten lassen.
Es sind hier einige Bemerkungen zu den britischen Wahlen gemacht worden. Sicher kennen wir alle noch nicht das Endergebnis. Wir kennen den Trend, der möglicherweise noch die eine oder andere Korrektur einschließt. Auf alle Fälle handelt es sich um eine innere Angelegenheit des britischen Volkes, aber natürlich auch von Bedeutung für die Welt und für die Verbündeten Großbritanniens. Lassen Sie sich doch bitte gelegentlich einmal vom deutschen Botschafter in London informieren, wie wichtig es war, daß einige aus diesem Hause zäh, geduldig und unbeirrbar allen britischen Parteien gegenüber die deutschen Probleme mit dem Mittel der Überzeugung vertreten haben und sich nicht dazu haben verleiten lassen, Mitgliedern der künftigen Regierung vorschnell an Hand unzutreffender Texte hoffärtige Zensuren zu erteilen.
Das hat sich bereits im allgemeinen Klima und auch in der Haltung der Parteiführung bemerkbar gemacht. Ich gebe natürlich zu, daß es dennoch einige überbleibende Ressentiments auf den britischen Inseln gibt. Es gab und gibt in einer Reihe von Fragen, z. B. denen der europäischen Einigung und der Multilateralen Streitmacht, verschiedene Ansichten zwischen der britischen Arbeiterpartei und den deutschen Sozialdemokraten.Ich möchte hoffen, daß alle Mitglieder dieses Hauses die mit Parteifreunden des ''französischen Staatspräsidenten auch aus einer gewissen Gesinnungsverbundenheit, wie es sie nun einmal international über die Grenzen hinweg in einem sich zusammenschließenden Europa gibt, zusammenkommen, dort mit der gleichen Entschiedenheit die Grundzüge der deutschen Politik vertreten, wie wir es gegenüber unseren Freunden lin Großbritanien getan haben.
Diese Art, die Probleme verständnisvoll zu erörtern und dabei gerade in den deutschen Lebensfragen — ich denke etwa ,an Berlin und das Selbstbestimmungsrecht ,der Deutschen — Unterstützung zu finden, ist ein Stück außenpolitischer Arbeit für unser Volk und nicht nur für eine Partei gewesen. Wie auch die künftige Regierung aussehen wird — Großbritannien wird ein treuer Verbündeter im Rahmen der NATO sein und seine Verpflichtungen auch dem deutschen Verbündeten gegenüber ernst nehmen.Ich möchte hier ein paar Sätze zu der wiederholt aufkommenden Legende vom „Anschluß der Sozialdemokraten an die Regierungspolitik" sagen. Sie wissen selber, daß wir es in den Jahren 1950 bis 1955 mit einer völlig anderen weltpolitischen Lage zu tun hatten. Zwei Stichworte: amerikanisches Atomwaffenmonopol, amerikanisches Monopol einer strategischen Luftwaffe. In jener Zeit war die sowjetische Furcht vor einer möglichen deutsch-amerikanischen Militärallianz ein ganz anderer Gegenstand
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Erlerpolitischer Möglichkeiten und Überlegungen als heute. Sie sind da zu einem ,anderen Schluß gekommen als wir. Sie haben gehofft, mit Hilfe der Stärke dann aus der Furcht die deutsche Einheit herausholen zu können. Wir haben gehofft, daß man auf dem Wege anderer Sicherheitslösungen als der eingegangenen auf der Grundlage eines wiedervereinigten Deutschland etwas herausholen kann. Niemand kann .entscheiden, ob dieser Weg zum Erfolg geführt hätte; er wurde nicht ausprobiert.Meine Damen und Herren, ich erinnere nur an diese völlig andere Ausgangslage, damit wir vielleicht etwas von dem Hochmut herunterkommen, wenn nun nach dem Bruch des amerikanischen Atommonopols und nach der Gleichwertigkeit der Sowjetunion über unsere Probleme gerungen werden muß. Denn natürlich hat sich das auch sofort in einer bestimmten Art sowjetischer Deutschlandpolitik niedergeschlagen. Der Sputnik und das Berlin-Ultimatum gehören doch wohl zusammen. Erst seit Kuba ist dort wieder eine gewisse Mäßigung eingetreten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie nine Frage?
Aber gern.
Herr Kollege Erler, Sie haben soeben über die Vergangenheit bestimmte Ausführungen gemacht. Ich möchte an Sie nur die Frage stellen: Wie würde nach Ihrer Auffassung die Situation des geteilten Berlins in den Jahren ab 1959 bis in das Jahr 1963 hinein gewesen sein, wenn nicht rechtzeitig und frühzeitig — dank der Mehrheit dieses Hauses — für dieses Berlin der Schutz der NATO erreicht worden wäre?
Die Antwort ist furchtbar einfach. Die erste Solidarität — bevor es überhaupt eine Bundesrepublik Deutschland gab — zwischen den Berlinern und den Amerikanern ist von Berlin unter Reuter zuwege gebracht worden. Punkt eins.
Punkt zwei: Wenn man anschließend in den fünfziger Jahren den Versuch unternommen hätte, mit einer anderen europäischen Sicherheitslösung, abgedeckt durch Garantien der Weltmächte in einem größeren Raum, für ein wiedervereinigtes Deutschland Raum zu schaffen, und wenn das geglückt wäre, dann säßen wir in Berlin und diskutierten nicht hier. Hätte sich bei den Verhandlungen herausgestellt, es glückt nicht, dann hätten wir zusammen die NATO und die Bundeswehr von Anfang an gehabt, und viele Dinge wären uns erspart geblieben. Eine klare Antwort!
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Adenauer?.
Aber natürlich.
Herr Kollege Erler, ist Ihnen bekannt oder noch in Erinnerung, daß Präsident Eisenhower nach seinem Regierungsantritt ein ganz weit gespanntes Angebot gemacht hat, daß Amerika bereit sei, seine ganzen nuklearen Erfahrungen, seine Vorräte, seine Stoffe einer internationalen Kontrolle zu unterstellen, wenn die anderen Länder auch dazu bereit wären? Und ist Ihnen bekannt, daß Rußland das abgelehnt hat?
Das ist mir bekannt. Es steht leider nicht in einem direkten Zusammenhang mit der deutschen Frage, sondern nur in einem höchst mittelbaren.
— Meine Damen und Herren, sicher steht es in einem höchst mittelbaren Zusammenhang damit, weil das gar nicht das Thema war, um das damals gerungen wurde, nämlich die Frage der Gestaltung der Militärallianz in Europa. Aber wir brauchen doch diese Gespensterschlacht nicht wieder aufzuführen.
— Sicher, Verträge sind abgeschlossen worden. Die sowjetische Macht ist heute anders. Wir stoßen uns alle an dem eng gewordenen Spielraum deutscher Politik, alle miteinander. Da besteht überhaupt kein Anlaß, immer wieder irgendwelchen Hochmut in das Volk hineinzutragen.
Lassen Sie mich zu dem Gesichtspunkt der Vertragstreue noch etwas sagen! Seit 1955, als die Verträge galten, haben auch diejenigen, die damals den Abschluß für einen Fehler hielten, selbstverständlich gesagt und sich entsprechend verhalten, daß Verträge, die eine deutsche Unterschrift tragen, die vom deutschen Parlament ratifiziert worden sind, auch andere, künftige deutsche Regierungen bänden. Es kann keine Politik der Vertragszerreißung in deutschen Landen wieder geben.
Sie haben es damals so hingestellt, als sei es uns nicht ernst damit, und nachdem inzwischen die ganze Welt gesehen hat, es ist unser Ernst, daß Verträge gehalten werden, versuchen Sie, diese selbstverständliche Vertragstreue umzufälschen in ein nachträgliches Einschwenken auf die Regierungspolitik der damaligen Zeit.
Meine Damen und Herren, ich wollte daran nur erinnern. Doch kommen wir zurück auf einige Probleme der Europapolitik! Am Beginn waren manche Aspekte der Europapolitik belastet durch die Verbindung mit eben jenen militärischen Fragen, von denen ich soeben sprach. Sobald das einigermaßen zerlegt werden konnte und außerdem der Vertragsrahmen auf militärischem Gebiet feststand, haben die Sozialdemokraten nicht gezögert, nicht nur in den europäischen Institutionen mitzuwirken — das haben wir von Anfang an getan, als sie noch umstritten waren —, sondern die neuen Institutionen
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Erlermit zu schaffen. Anscheinend haben Sie die Auseinandersetzungen mit Ihrem damaligen Koalitionspartner um die EWG vergessen; wir haben die EWG-Verträge mit ratifiziert!Es hat nie ein Zweifel darüber bestanden, daß sich — mit der einen Ausnahme der Diskussion um den sicherheitspolitischen Rahmen einer europäischen Sicherheitsregelung, die auch Deutschland einschließt — die deutschen Sozialdemokraten immer für den europäischen Zusammenschluß eingesetzt haben.
Das gibt es seit dem Heidelberger Parteitag 1926. Und in der Frage der deutsch-französischen Aussöhnung, meine Damen und Herren, freuen wir uns für jeden, der früher einmal andere, nationalistische Gedankengänge im Kopf hatte, daß er sich inzwischen dem angeschlossen hat, wofür Sozialdemokraten in jahrzehntelanger Arbeit in den eigenen Völkern in Frankreich und in Deutschland verleumdet und verfemt worden sind.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Freiherr zu Guttenberg?
Bitte sehr!
Herr Kollege Erler, ich möchte Sie fragen, ob Sie sich daran erinnern, daß Sie selbst in einem Handbuch der Sozialdemokratischen Partei aus den fünfziger Jahren jenes Zitat gebraucht haben, daß ich vorhin, um eine kleine Schärfe in die Debatte zu bringen, ohne Ihren Namen zu nennen, in meiner Rede gebraucht habe, jenes Zitat nämlich, in dem es heißt, daß der Zusammenschluß der sechs EWG-Staaten der Zusammenschluß eines katholischen Kleineuropas sei?
In der ursprünglichen Konzeption mancher Leute sah es so aus. Wir sind froh, daß es nicht dazu gekommen ist.
— Ich werde Ihnen hier nachher etwas vorlesen, das zeigt, daß es bei manchen Leuten heute noch so aussieht.Meine Damen und Herren, da gibt es also Herrn Sanguinetti
— Wer ist das? Das ist ein Mitgründer der UNR, der in Ihrer „Kölnischen Rundschau"
ein Exklusivinterview zum Zwecke der Darlegung der französischen Politik gegeben hat und in dieser „Rundschau" als der Mann bezeichnet worden ist, dessen Konzept das des Generals sei.
— Ja sicher.
— Nein, wir sind hier. Nur damit Sie wissen, welche Vorstellungen es doch also auch hier mindestens nicht ganz zu vergessen gilt, damit wir alle miteinander wachsam bleiben: Herr Sanguinetti sagt, der Weg zur Wiedervereinigung Deutschlands führe über die erst einmal notwendige Rückkehr zum alten Deutschland, zum Deutschland des Tacitus, Karls des Großen, des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation, zum Rheinbund. Daraufhin die Frage des Redakteurs: Meine Leser werden Ihrer Feststellung entgegenhalten, daß auch Potsdam, Dresden und Breslau zu Deutschland gehören. Daraufhin Herr Sanguinetti: Ich habe das nicht bestritten; aber diese Städte gehören nicht zu dem alten Deutschland.
Meine Damen und Herren, ich sage das nur, damit Sie sehen, derartige Vorstellungen, gegen die ich mich zur Wehr gesetzt habe, grassieren leider auch heute noch. Setzen wir uns vereint gegenüber diesem Zerrbild Europas zur Wehr! Dann kommen wir ein gutes Stück weiter.
— Eine ganze Masse!
— Entschuldigen Sie, nach der Frage hat das eine ganze Masse damit zu tun.
Meine Damen und Herren, worauf es in dieser Stunde und nach dieser Debatte ankommt, ist ja doch wohl, daß wir das Gespräch über jenen Punkt fortsetzen, bei dem auch nach den Ausführungen des Kollegen von Guttenberg das Ziel das gleiche ist, nämlich die Vereinigten Staaten von Europa als Partner der Vereinigten Staaten von Amerika in atlantischer Solidarität. Das ist das gemeinsame Ziel, wenn ich Sie richtig verstanden habe. Dann darf aber nichts geschehen, was von diesem Ziele wegführt, sondern dann muß jeder Schritt praktischer Politik zu diesem Ziele hinführen, und dann müssen Deutsche wie Franzosen sich davor hüten, nunmehr zu zweit und gemeinsam in die gleichen Fehler der Überschätzung der eigenen Kraft zu verfallen, die beide, jeder für sich, in der Vergangenheit, zu ihrem eigenen Unheil allzu oft begangen haben.
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ErlerUnd sehen Sie, da bin ich nun wieder bei jenem Herrn Sanguinetti, der also hier als Sprachrohr de Gaulles vorgestellt worden ist. Da heißt es u. a., wir machten uns gar nicht klar, daß die Amerikaner gar nicht weltpolitisch, sondern absolut provinziell dächten, daß wir gegenüber der Tatsache unsere Augen nicht verschließen dürften, daß Europa auch einen wirtschaftlichen Gegner habe, das sei Amerika; diese wirtschaftliche Gegnerschaft liege in der Natur der Dinge und sei kein Problem der Wahl. Und dann: daß die Gründe, die 1949 zur Realisierung der atlantischen Allianz führten, heute nicht mehr existierten.
Sehen Sie, das scheint mir eine sehr bemerkenswerte Geisteshaltung eines führenden Mannes der Politik zu sein, auf deren Linie einzuschwenken uns an manchen Orten der Provinz deutlicher empfohlen wird als hier in diesem Hause.
Gestatten Sie eine Frage?
Herr Kollege Erler, würden Sie es nicht für sehr viel zweckdienlicher und insbesondere dem deutsch-französischen Verhältnis dienlicher halten, statt des Herrn Sanguinetti, dessen Name mir nicht bekannt ist, den französischen Staatspräsidenten und seinen Außenminister zu zitieren, die x-mal das genaue Gegenteil dessen gesagt haben, was Sie hier zitieren?
Nein, nein, ganz das genaue Gegenteil war es zwar nicht. Aber es wäre gut, wenn angesichts der französischen Regierungsstruktur der französische Staatspräsident doch ein wenig mit seinen Parteifreunden darüber spräche, welche Gedanken sie im Ausland über die europäische Politik vertreten. Das wäre schon gut und nützlich.
Herr von Guttenberg, Sie haben es hier so dargestellt, als hätte es überhaupt keinen außenpolitischen Disput im Regierungslager gegeben; „außer Spesen nichts gewesen". Ich glaube, so ist es nicht ganz.
— Disput, ja! Sie hatten lediglich gesagt, es würde diskutiert, aber gleichzeitig doch „klare, konsequente, unbeirrbare deutsche Politik" getrieben. Nun, die Art der Diskussion ist doch wohl für das Austragen von neuen Gesichtspunkten zur gemeinsamen Meinungsbildung mindestens höchst ungewöhnlich.Wenn es also in einem Blatt einer der Koalitionsparteien heißt, Gerhard Schröder sei nicht der Repräsentant der Grundhaltung der Mehrheit des deutschen Volkes zu den Fragen der Außenpolitik;wenn es dann heißt, der Parteivorsitzende sehe keinen Grund, sich von diesen Angriffen zu distanzieren; wenn es dann durch den Pressechef weiter heißt, es handele sich dabei um einen ungerechtfertigten und unqualifizierten Angriff gegen die Person des Außenministers; wenn dann ein Bundestagsabgeordneter der CDU diese Angriffe auf den Minister als beklagenswerten politischen Stil und eine miserable Form der innerparteilichen Auseinandersetzung bezeichnet; wenn er dann meint, es sei schwer vorstellbar, daß die Angriffe auf Schröders Ostpolitik aus sachlichen Gründen oder aus politischen Gründen oder aus politischer Notwendigkeit gestartet worden seien, vielmehr scheine es, daß erhebliche Rivalitäten und politischer Krach eine Rolle spielten; wenn es dann in diesem Spiel unentwegt weitergeht; wenn von zweideutigen Erklärungen des Ministers gesprochen wird; wenn es dann an einer anderen Stelle schließlich heißt, die bayerische CSU sei auch nach den Gesprächen am Tegernsee nicht in voller Übereinstimmung mit der Außenpolitik Schröders, die Sätze im Abschlußkommuniqué der letzten NATO-Konferenz dürften wohl nicht von allen Gesprächsteilnehmern so positiv beurteilt worden sein, die Realität der Berliner Mauer vertrage sich nicht mit einer Außenpolitik, die bei Kaffee und Kuchen zwischen spielenden Kindern im Garten des Weißen Hauses betrieben werde, — dann ist das schon ganz netter Tobak für eine innerparteiliche Diskussion. „Wir erleben eine Sternstunde und nützen sie nicht", und dann ein Wort an die Regierung gesagt: „Statt Deklarationen und gehaltloser Kommuniqués müssen also endlich Beschlüsse gefaßt werden". Darauf dann der Bundeskanzler in München: „Sind wir noch so einig? Man muß die Diskussion ehrlich und wahrhaftig führen, nicht mit Verbrämungen und Verdächtigungen, die man nur als schamlos bezeichnen kann", und dann schließlich Herr Majonica in einer Presseerklärung gegen die Äußerung des Freiherrn zu Guttenberg, man müsse mit den konföderationswilligen Staaten beginnen, die politische Union zu verwirklichen, worauf Herr Majonica sagt, das sei der totale Bruch mit einer fünfzehnjährigen Außenpolitik der CDU/CSU, die immer auf Europa gerichtet gewesen sei; eine Zweierunion Deutschlands und Frankreichs würde das Ende jeder europäischen Politik sein und auch das gefährden, was auf dieser Politik schon aufgebaut sei;
die Haltung Guttenbergs zur Außenpolitik der gegenwärtigen Bundesregierung gefährde auch die deutsch-französische Freundschaft, da die dann für beide Staaten eintretende Isolierung dieser Freundschaft nicht förderlich sei. — Meine Damen und Herren, ich kann die Notwendigkeit der Versöhnungsdebatte hier verstehen. Aber bei dieser Tonart ist wohl kaum zu vermuten, daß die zugrunde liegenden sachlichen Meinungsverschiedenheiten tatsächlich gelöst sind. Das glaubt Ihnen kein Mensch, meine Damen und Herren.
Aber reden Sie nur immer munter weiter von Geradlinigkeit und Zielstrebigkeit, und hinterher wird
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Erlerdann jeweils dem anderen vorgeworfen, er sei vom alleinseligmachenden Kurs abgewichen.
- Nein, ich habe sehr gut zugehört, und außerdem habe ich sogar zutreffend zitiert. Da sind Sie nun auch wieder böse. Dafür kann ich doch nichts.
— Auch das ist besonders schön von Ihnen zu hören: die Partei, die nicht dem Kommando untersteht, sondern wo in freier Wildbahn jeder sein Wild erlegen kann, wie es ihm paßt; gut. Wir sind der Meinung: Freiheit der Diskussion, selbstverständlich! Aber wenn wir dann einen Beschluß gefaßt haben, dann setzen wir ihn auch durch. Vielleicht ist das der Unterschied.
Sehr kurz noch ein paar Ausführungen zu Dingen, die in der Debatte anklangen. Innenpolitisch sind wir es doch wohl gewesen, die die großen Gemeinschaftsaufgaben, von denen jetzt die Regierung spricht, zuerst als wichtige politische Probleme erkannt haben. Da fragen Sie dann immer nach den Alternativen. Da sind Sie! Allmählich schwenken Sie da ja ein, erfreulicherweise! Auf dem Parteitag in München 1956 haben wir in den Fragen der Überwindung des Bildungsnotstandes den Anstoß gegeben und sind stolz auf die Leistungen der sozialdemokratisch geführten Länder. Auch die tun nochnicht genug; aber immerhin, in der Bundesrepublik Deutschland sind sie vorn. Es ist vielleicht ganz gut, das auf dem Gebiet zu hören.
— Ja, sicher, Hamburg ist vorn.
— Nein, aber Hessen ist z. B. bestimmt nicht reicher als Nordrhein-Westfalen.
— Schleswig-Holstein, zugegeben, jawohl. Da hat auch Ihre Schulpolitik erfolgreich auf dem weitergebaut, was die sozialdemokratische Alleinregierung nach 1945 in die Verfassung hineingebaut hat,
dank eines sehr tatkräftigen, einsichtigen und modernen Kultusministers, der sich wohltuend von seinen Parteifreunden in den anderen Ländern unterscheidet oder aber besseres Verständnis bei seinen Kabinettskollegen gefunden hat.Jetzt sind Sie bei den Gemeinschaftsaufgaben sogar auf unser Wörterbuch gekommen. 1961 haben Sie ja erheblich gegen die von uns damals gemachten Vorschläge gewettert. Inzwischen hat man eingesehen, daß es sich dabei um sehr praktische Dinge der Politik handelt. Da bleibe ich bei der Feststellung, daß wichtige Kernfragen nicht mit ausreichenden, mit den entsprechenden Impulsen angepacktworden sind, von der Bildung über das Gesundheitswesen bis zum Verkehr. Da bleibe ich bei der Frage: Wo ist denn die von Ihnen seit Jahren angekündigte Sozialreform aus einem Guß? Was macht die Krankenversicherungs-Neuordnung? Was ist mit der arbeitsrechtlichen Lohnfortzahlung für Arbeiter, selbstverständlich mit dem entsprechenden Risikoausgleich für mittelständische Betriebe?Bei dieser Gelegenheit möchte ich einer Ehrenschuld nachkommen. Gegenüber Frau Schwarzhaupt, auch wenn sie nicht da ist, muß ich mich berichtigen. Die seit 1959 vorgesehenen technischen Anleitungen zur Gewerbeordnung sind jetzt da. In diesem Punkt mußte ich also meine Ferienarbeit korrigieren, haben mich die jüngsten Nachrichten nicht mehr schnell genug erreicht. Dennoch muß ich Ihnen sagen, daß immerhin fünf Jahre für eine solche Detailvorschrift nach Erlaß der entsprechenden Rechtsnorm ein beachtlicher Zeitaufwand sind, auch wenn es sich um einen technisch schwierigen Gegenstand handelt, fünf Jahre, bei denen sich kein Parlament irgendwie hätte verzögernd bemerkbar machen können. Die Ungeduld war also durchaus verständlich, und es war zu rügen, daß man fünf Jahre dazu gebraucht hat.Wie sieht es mit der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand aus? Der Abgeordnete Katzer und der Bundeskanzler haben zwar zunächst auf die Erfolge hingewiesen. Nach den Feststellungen des Arbeitsministers sind die Ungerechtigkeiten größer und nicht etwa kleiner geworden. Der Ratschlag, man möge sparen, löst doch die Probleme nicht. Die Sparfähigkeit muß zur Sparwilligkeit hinzukommen und kann nicht nur aus Steuermitteln geschaffen oder angereizt werden. Das wäre lediglich eine Zahlung von der linken in die rechte Tasche der Betroffenen selbst. Außerdem begünstigt das nach allen bisherigen Erfahrungen diejenigen, welche es am allerwenigsten nötig haben.Wo bleibt bei der Sparförderung und auch bei der Eigentumsbildung die Harmonisierung? Ich fürchte, sie findet in dieser Legislaturperiode trotz unserer Bemühungen nicht mehr statt. Entscheidend ist doch wohl, daß man bei der Vermögensbildung eine Einkommensübertragung von der Investition dienenden Einkommensteilen aus den Händen derer, denen dieses Einkommen bisher zufloß, in die Hände derer vorsehen muß, die bisher davon ausgeschlossen waren. Das ist das Kernproblem. Da gibt es keine Gewaltlösungen. Hier kann es sich nur um einen ganz allmählichen Vorgang handeln, um langsam zu einer gerechteren Schichtung des Produktiv- und nicht des Konsumtivvermögens oder des Gebrauchsgutes zu kommen. Das gefällt denen nicht, deren Anteil am künftigen Vermögenszuwachs dabei ein bißchen geringer würde, obwohl sie vom bisherigen Vermögen gar nichts einzubüßen hätten. Wer diese Übertragung nicht will, der kann nicht mit gutem Gewissen von einer gerechten Vermögenspolitik reden.
Es geht dabei natürlich um eine Reihe wichtiger Ergänzungen, nicht nur um die Beteiligung an der Substanz, so wichtig diese ist, sondern auch um ein
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ErlerStück der Eigentumsfunktion. Da haben wir es mit ähnlichen Problemen zu tun wie denen der Stellung des Kleinaktionärs in unserem Gesellschaftsrecht überhaupt, wo wir auch um ein besseres Gesellschaftsrecht und um Publizität ringen. Alles, was an Gefahren bei der neuen Eigentumsform hier gewittert wird, gibt es doch bei den bestehenden Eigentumsformen schon längst. Infolgedessen muß man das Gesamtproblem lösen und darf das nicht als Ausrede für die Verweigerung einer gerechten Vermögensbildung mißbrauchen.
Meine Damen und Herren, wir haben also, nachdem Kollege Barzel versucht hat, ein Schlußwort zu sprechen und ich nun sicher keines spreche, weil nachher wieder einer von Ihnen hoch muß — das nehme ich Ihnen gar nicht übel —, ein paar Schlußfeststellungen zu treffen. Mit einem gewaltigen Redneraufmarsch haben Sie versucht, nach Zahl und Zeit die Opposition ein bißchen unter den Tisch zu kriegen; aber selbst der Aufwand an Ministern kann an folgenden Feststellungen nichts ändern. Abgesehen von einem außerordentlich nützlichen Meinungsaustausch über ein paar außenpolitische Grundsatzfragen heute vormittag hatten wir es gestern bei Ihnen im wesentlichen mit einer selbstgefälligen Rückschau auf die Gemeinschaftsleistung des ganzen Volkes zu tun. Wir hatten es mit einem neuen Glied in der Kette großer Ankündigungen bisheriger Regierungserklärungen zu tun, zu denen aber im Verhältnis dazu seit 1961 sehr wenig vollbracht worden ist. Nur durch das Wahljahr werden Sie angespornt, rasch noch einige Gaben in mitunter recht unüberlegter Form auszuschütten. Schließlich sind die Gegensätze im Regierungslager nur übertüncht und nicht etwa überwunden worden, zusammengehalten werden Sie nur vom Gegensatz zur Sozialdemokratie und von der Furcht vor dem Votum der Wähler.
Zur Abgabe einer persönlichen Erklärung hat der Abgeordnete Strauß das Wort.
Dr. h. c. Strauß: : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Äußerungen der Kollegen Wehner und Erler veranlassen mich nach genauer Prüfung der Akten- und Sachlage zu folgender persönlicher Erklärung.
Erstens. Ich habe mich gestern gegen den SPD-Pressedienst gewandt, in dem ausschließlich davon die Rede war, daß der Staatsbürger verpflichtet sei, einer Vorladung der Staatsanwaltschaft Folge zu leisten. Diese Rechtsansicht ist falsch. Lesen Sie nach: 14. Oktober dieses Jahres.
Zweitens, jetzt geben Sie genau acht. Ich habe mich nie geweigert, vor dem Untersuchungsrichter zu erscheinen. Die beiden schriftlich genannten Termine sind wegen meiner Amerikareise — 9. Juni — und einer anderen politischen Verpflichtung — 29. Juli — im Einvernehmen mit dem Ermittlungsrichter abgesetzt worden. Bin anderer, von mir genannter
Termin konnte vom Richter nicht wahrgenommen werden, der selber eine Verschiebung bis zum Oktober vorschlug.
Drittens. Der letzte vom Ermittlungsrichter angesetzte Termin vorn 7. Oktober wurde vom Ermittlungsricher selber von Amts wegen abgesetzt,
nachdem ich ihn in einem Schreiben vom 14. September gebeten hatte, meine zweite schriftliche Stellungnahme gegenüber der Staatsanwaltschaft beizuziehen und an Hand dieser Stellungnahme die rechtliche Zulässigkeit der Vernehmung zu prüfen. Ich habe mit keinem Wort angedeutet, daß ich nicht erscheinen oder die Aussage zur Sache verweigern würde, was im übrigen das gute Recht wäre. Aber ich habe noch einmal darum gebeten, mir endlich mitzuteilen, durch welche Handlungen welche Strafrechtsnormen verletzt worden seien und welche zu klärenden Tatsachen es in diesem Zusammenhang noch gebe. Diese Frage stelle ich seit über einem Jahr vergeblich.
Viertens. In meinem Schreiben vom 13. Oktober halbe ich meine Bereitschaft zu erscheinen — Wie selbstverständlich —schriftlich bestätigt, aber eine Aussage zur Sache nur für möglich erklärt, wenn die Voraussetzungen gemäß den vorher genannten Punkten erfüllt sind.
Die Aussprache über das Haushaltsgesetz 1964 wird am kommenden Mittwoch fortgesetzt.Meine Damen und Herren, eine Mitteilung: Der Herr Präsident unseres Hauses hat heute den Fraktionsvorsitzenden und den Mitgliedern des Ältestenrates ein Schreiben zugeleitet, in dem er Vorschläge für die Änderung der Arbeitsmethode des Hauses macht. Dieses Schreiben enthält den Niederschlag einer Beratung, die gestern abend zwischen dem Präsidium und den Leitern der Ausschüsse stattgefunden hat. Die Mitteilung geschieht, damit Sie diese Tatsache nicht erst aus der Presse erfahren.Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Förderung des Besuchsreiseverkehrs aus dem Sowjetsektor von Berlin und der Sowjetzone .Vorgesehen ist Überweisung an den Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen — federführend — sowie an den Ausschuß für Sozialpolitik zur Mitberatung. — Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:a) Beratung der von der Bundesregierung vorgelegten Sechsundsiebzigsten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1963 (Drucksache IV/2432);
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6904 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1964
Vizepräsident Dr. Dehlerb) Beratung der von der Bundesregierung vorgelegten Siebenundsiebzigsten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1963 (Drucksache IV/2438);c) Beratung des von der Bundesregierung vorgelegten Achtzigsten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1963 (Drucksache IV/2489) ;d) Beratung der von der Bundesregierung vorgelegten Zweiundachtzigsten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1963 (Drucksache IV/2490) ;e) Beratung der von der Bundesregierung vorgelegten Dreiundachtzigsten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1963 (Drucksache IV/2530);f) Beratung der von der Bundesregierung vorgelegten Fündfundachtzigsten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1963 (Drucksache IV/2512) ;g) Beratung der von der Bundesregierung vorgelegten Neunzigsten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1963 (Drucksache IV/2556) ;h) Beratung der von der Bundesregierung vorgelegten Einundneunzigsten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1963 (Drucksache IV/2579) ;i) Beratung der von der Bundesregierung vorgelegten Zweiundneunzigsten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1963 Zollkontingente für EGKS-Waren — IV. Teil) .Vorgeschlagen ist Überweisung an den Außenhandelsausschuß. — Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:a) Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung einer Teilfläche der ehemaligen Forschungsanstalt Graf Zeppelin in Ruit über Eßlingen an den Württembergischen Landessportbund e. V. und den Württembergischen Fußballverband e. V. (Drucksache IV/2401);b) Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung des landwirtschaftlichen Gutes Siferling bei Söchtenau an Frau Antonie Eutermoser in Rosenheim (Drucksache IV/2563) ;c) Beratung des Antrags des Bundesschatzministers betr. Bestellung eines Nießbrauches an den dem Bund gehörenden Aktien der Volkswagenwerk AG zugunsten der Stiftung Volkswagenwerk .Vorgesehen ist Überweisung an den Ausschuß für wirtschaftlichen Besitz des Bundes. — Kein Einwand; es ist so beschlossen.Wir kommen nun zu den Zusatzpunkten. Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von den Abgeordneten Drachsler, Dr. Sinn, Dr. Höchst, Adorno, Lemmrich, Wagner und Genossen und Fraktion der CDU/CSU und den Abgeordneten Ramms und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes .Vorgesehen ist Überweisung an den Ausschuß für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen und an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung. — Es ist so beschlossen.Zusatzpunkt 2:Erste Beratung des von den Abgeordneten Wendelborn und Fraktion der CDU/CSU und den Abgeordneten Ramms und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Personenbeförderungsgesetzes .Vorgesehen ist Überweisung an den Ausschuß für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen. — Es ist so beschlossen.Zusatzpunkt 3:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die unentgeltliche Beförderung von Kriegs-und Wehrdienstbeschädigten im Nahverkehr .Der Gesetzentwurf soll an den Ausschuß für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen federführend und an den Ausschuß für Kommunalpolitik und Sozialhilfe zur Mitberatung sowie an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden. — Es ist so beschlossen.Zusatzpunkt 4:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze (Drucksache IV/2442).Vorgesehen ist Überweisung an den Finanzausschuß — federführend — sowie an den Haushaltsausschuß zur Mitberatung. — Ich stelle Ihre Zustimmung fest.Zusatzpunkt 5:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes .Es wird vorgeschlagen, die Vorlage an den Ausschuß für Verteidigung — federführend — sowie an den Ausschuß für Inneres zur Mitberatung und an
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Vizepräsident Dr. Dehlerden Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. — Es ist so beschlossen.Zusatzpunkt 6:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Zollkontingent für feste Brennstoffe 1965, 1966 und 1967 .Vorgeschlagen ist die Überweisung an den Außenhandelsausschuß — federführend — sowie an den Wirtschaftsausschuß zur Mitberatung.Das Wort hat der Abgeordnete Brand.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es handelt sich bei der Vorlage Drucksache IV/2471 um das Zollkontingent für feste Brennstoffe. Eine solche Vorlage wird zum viertenmal im Hohen Hause eingebracht. Die drei letzten Male war der Wirtschaftsausschuß federführend bei Mitberatung seitens des Außenhandelausschusses. Das geschah aus guten Gründen. Es handelt sich nämlich in diesem Fall nicht um eine normale Zollvorlage, in der die Höhe eines Zolls oder eines Zollkontingents festgelegt wird, sondern überwiegend um die Regelung eines binnenwirtschaftlichen Problems, nämlich der Kontingentsverteilung. Aus der Begründung dieser Vorlage geht auch hervor, daß die Initiative zu den Änderungen dieser Gesetzesvorlage vom Wirtschaftsausschuß ausgegangen ist, der diese Probleme hier im Hause seit Jahren federführend behandelt hat. Jetzt soll die Vorlage aus Gründen, die mir persönlich unerfindlich sind, plötzlich vom Außenhandelsausschuß federführend beraten werden. Die angeführten Gründe sind rein formaler Art. Man macht geltend, weil es sich um ein Zollgesetz handle, müsse der Außenhandelsausschuß federführend sein. Wenn so beschlossen wird, wird die Folge wahrscheinlich nur die sein, daß die Beratung nicht so zügig erfolgen kann wie bisher. Denn der Wirtschaftsausschuß, der sich seit Jahren mit diesen Dingen beschäftigt hat, ist in die Materie eingearbeitet.
Das Wort hat der Abgeordnete Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben im Ältestenrat einmal mehr über diese Frage beraten und sind in allen Fraktionen einvernehmlich zu der Auffassung gelangt, daß alle Zollfragen schon um der guten Ordnung willen federführend vom Außenhandelsausschuß behandelt werden sollen. Dem Außenhandelsausschuß wird dieses Recht gelegentlich von Fachausschüssen aller Richtungen streitig gemacht. Deswegen diese Grundsatzregelung, der ich das Haus zuzustimmen bitte.
Das Wort hat der Abgeordnete Philipp.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann nur noch einmal das hervorheben, was Herr Kollege Brand hier ausgeführt hat. Tatsächlich handelt es sich bei diesem Gesetz um eine ausschließliche Angelegenheit des Binnenmarktes, und zwar mit einer energiewirtschaftlichen Problematik, die bisher immer schon vom Wirtschaftsausschuß behandelt worden ist. Es geht auch darum, daß dieses Gesetz, wenn nicht irgendwelche Nachteile eintreten sollen, in der nächsten Woche beschlossen werden muß. Ich bitte daher auch aus diesem Grunde, dem Antrag des Kollegen Brand stattzugeben.
Das Wort hat der Abgeordnete Bäumer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann dem Antrag des Kollegen Brand nicht folgen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sollen alle Vorlagen, die den Zolltarif betreffen, vom Außenhandelsausschuß federführend beraten werden. Gegenüber der Begründung, die Herr Kollege Brand seinem Antrag gegeben hat, kann ich nur darauf hinweisen, daß die Vorlage dem Wirtschaftsausschuß zur Mitberatung überwiesen werden soll. Ich möchte also bitten, dem Vorschlag des Ältestenrates zu folgen.
Ich stelle die Empfehlung des Altestenrates, die interfraktionell vereinbart ist — es ist ein merkwürdiger Zustand, aber es ist so —, die Vorlage an den Außenhandelsausschuß — federführend — und an den Wirtschaftsausschuß zur Mitberatung zu überweisen, zur Abstimmung. Wer zustimmen will, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit; es ist entsprechend der Empfehlung des Ältestenrates beschlossen.Zusatzpunkt 7 der Tagesordnung:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Umstellung der Abgaben auf Mineralöl .Zuständig sollen sein der Finanzausschuß —federführend —, der Wirtschaftsausschuß zur Mitberatung und der Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen:Zusatzpunkt 8 der Tagesordnung:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Mühlengesetzes .Zuständig sollen sein der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — federführend — sowie der Wirtschaftsausschuß und der Rechtsausschuß zur Mitberatung. — Es ist so beschlossen.Zusatzpunkt 9 der Tagesordnung:Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
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6906 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1964
Vizepräsident Dr. DehlerÄnderung strafrechtlicher Vorschriften der Reichsabgabenordnung sowie zur Änderung der Strafprozeßordnung und anderer Gesetze (Drucksache IV/2476).Zuständig sollen sein der Finanzausschuß —federführend — sowie zur Miberatung der Rechtsausschuß und der Haushaltsausschuß, dieser auch nach § 96 der Geschäftsordnung. — Es besteht Einverständnis; es ist so beschlossen.Zusatzpunkt 10 der Tagesordnung:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Verteilung des auf die Bundesrepublik Deutschland entfallenden Anteils an der von Israel für das deutsche weltliche Vermögen in Israel nach dem Abkommen vom 1. Juni 1962 gezahlten Entschädigung .Zuständig sollen sein der Ausschuß für Lastenausgleich — federführend — und der Haushaltsausschuß zur Mitberatung. — Es besteht Einverständnis; es ist so beschlossen.Zusatzpunkt 11, zunächst Unterpunkt a:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes .Zuständig sollen sein der Rechtsausschuß — ij federführend - und der Ausschuß für Inneres zur Mitberatung. — Ich stelle Ihre Zustimmung fest.Unterpunkt b:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Erhaltung der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft (Drucksache IV/2529).Zuständig soll der Ausschuß für Inneres sein. — Es ist so beschlossen.Zusatzpunkt 12:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Reisekostenvergütung für die Bundesbeamten, Richter im Bundesdienst und Soldaten (Drucksache IV/2533).Zuständig soll der Ausschuß für Inneres sein. — Es ist so beschlosen.Zusatzpunkt 13:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Blindenwarenvertriebsgesetzes
Zuständig sollen sein der Wirtschaftsausschuß —federführend — und der Ausschuß für Mittelstandsfragen zur Mitberatung. — Kein Einwand; es ist so beschlossen.Zusatzpunkt 14:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten ,Entwurfs eines Gesetzes zum Schiffssicherheitsvertrag vom 17. Juni 1960
Zuständig soll der Ausschuß für Verkehr, Post-und Fernmeldewesen sein. — Es ist so beschlossen.Zusatzpunkt 15:Erste Beratung Ides von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiet der Binnenschiffahrt .Hier soll ebenfalls der Ausschuß für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen zuständig sein. — Auch das ist beschlossen.Zusatzpunkt 16:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beseitigung von Härten in den gesetzlichen Rentenversicherungen Drucksache IV/2572).Zuständig sollen sein der Ausschuß für Sozialpolitik — federführend — und der Haushaltsausschuß zur Mitberatung sowie gemäß § 96 der Geschäftsordnung. — Ichstelle Ihr Einverständnis fest.Zusatzpunkt 17:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes .Zuständig sollen sein der Finanzausschuß — federführend — der Außenhandelsausschuß zur Mitberatung und der Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung. — Es ist .so beschlossen.Zusatzpunkt 18:Beratung des Antrages der Abgeordneten Ehnes, Sühler, Lemmrich, Hösl, Dr. Supf, Murr und Genossen betr. Förderung von Qualität und Absatz im Tabakbau
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Zuständig soil der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sein. — Ich stelle Ihre Zustimmung fest.Zusatzpunkt 19:Beratung des Antrags der Abgeordneten Wächter, Freiherr von Kühlmann-Stumm, Dr. Effertz, Sander, Ertl, Peters , Logemann, Struve, Bauknecht, Dr. Pflaumbaum und Genossen betreffend Festsetzung des Orientierungspreises für Rindfleisch (Drucksache IV/2427).Zuständig sollen sein der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — federführend — und der Haushaltsausschuß nach § 96 der Geschäftsord nung. — Es ist so beschlossen.
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Vizepräsident Dr. Dehler Tagesordnungspunkt 20:Beratung des Antrags des Bundesminister der Finanzen betreffend Bundeshaushaltsrechnung für das Rechnungsjahr 1962 .Zuständig soll der Haushaltsausschuß sein. — Es ist so beschlossen.Zusatzpunkt 21:Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Inneres über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission der EAG zur Änderung und Ergänzung des Artikels 95 des mit Verordnung Nr. 31 (EWG)/ Nr. 11 (EAG) in Kraft gesetzten Statuts der Beamten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft (Drucksachen IV/2485, IV/2593).Berichterstatter ist Herr Abgeordneter SchmittVockenhausen. Ich danke dem Herrn Berichterstatter.Der Antrag des Ausschusses auf Drucksache IV/ 2593 hat das Petitum, die Vorschläge der Kommission der EAG zur Änderung und Ergänzung des Artikels 95 zur Kenntnis zu nehmen. — Der Antrag ist angenommen.Zusatzpunkt 22:Beratung des Schriftlichen Berichts des Aussenhandelsausschusses über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission der EWG für eine Verordnung des Rats zur Regelung des Handels mit einzelnen landwirtschaftlichen Verarbeitungserzeugnissen,eine Verordnung des Rats mit der Warenliste zur Verordnung .../64 des Rats zur Regelung des Handels mit einzelnen landwirtschaftlichen Verarbeitungserzeugnissen .Der Bericht des Herrn Abgeordneten Dr. Löhr liegt vor. Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Den Antrag finden Sie auf Drucksache IV/2596 unter B:Der Bundestag wolle beschließen,1. den Vorschlag der Kommission ... zur Kenntnis zu nehmen;2. die Bundesregierung zu ersuchen,bei den weiteren Verhandlungen in Brüssel dafür einzutreten, daß die in der Liste aufgeführten Waren auf ihre Vollständigkeit überprüft und der fortschreitenden Entwicklung des Gemeinsamen Agrarmarktes angepaßt werden.Darf ich Ihr Einverständnis mit diesem Antrag fest, stellen? — Kein Widerspruch; der Antrag ist angenommen.Zusatzpunkt 23:Beratung des Berichts des Außenhandelsausschusses über die von derBundesregierung erlassene Achtundsechzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1963 und über die von der Bundesregierung erlassene Einundsiebzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1963 (Zollkontingent für getrocknete Weintrauben) (Drucksachen IV/2440, IV/2439, IV/2597).Es liegt ebenfalls ein Bericht des Herrn Abgeordneten Dr. Löhr vor. Vorgeschlagen ist die Kenntnisnahme des Berichts. — Sie ist erfolgt.Zusatzpunkt 24:Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission der EWG für eine Verordnung des Rats über die Abschöpfung, die auf bestimmte Mischungen von Milcherzeugnissen und auf bestimmte Butter enthaltende Zubereitungen anzuwenden ist. (Drucksachen IV/2494, IV/2598).Hierzu liegt der Bericht des Herrn Abgeordneten Bauer vor. Ich danke Ihnen. Der Antrag des Ausschusses lautet, den Vorschlag zur Kenntnis zu nehmen. — Das ist geschehen.Zusatzpunkt 25:Beratung des Berichts des Außenhandelsausschusses über die von der Bundesregierung erlassene Fünfzehnte Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste (Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz) (Drucksachen IV/2445, IV/2595).Dazu liegt ein Bericht des Herrn Abgeordneten Blumenfeld vor. Auch dieser Bericht soll zur Kenntnis genommen werden, damit zugleich auch der Bericht des Außenhandelsauschusses. — Das ist erfolgt.Zusatzpunkt 26 ist von der Tagesordnung abgesetzt.Zusatzpunkt 27:Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte .Vorgeschlagen ist die Überweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik — federführend —, an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur Mitberatung und gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß. — Sie sind damit einverstanden.Zusatzpunkt 28:Beratung des Antrags der Abgeordneten Kulawig, Hussong, Wilhelm und Fraktion der SPD betreffend Schiffbarmachung der Saar .6908 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 138. Sitzuna. Bonn. Freitag, den 16 Oktober 1964Vizepräsident Dr. DehlerDer Antrag soll an den Ausschuß für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen — federführend — und an den Wirtschaftsausschuß zur Mitberatung überwiesen werden.
— Einverstanden!Zusatzpunkt 29 der Tagesordnung ist abgesetzt.Damit sind wir wirklich am Ende der Tagesordnung.Ich berufe die nächste Sitzung auf Mittwoch, den 21. Oktober 1964, 9 Uhr, ein.Die Sitzung ist geschlossen.