Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich Glückwünsche zu entbieten dem Herrn Abgeordneten Hoogen, der heute seinen 60. Geburtstag feiert.
Die Tagesordnung soll erweitert werden um die Vereidigung des Bundesministers für besondere Aufgaben Dr. Westrick. Ich schlage Ihnen vor, die Vereidigung des neuen Ministers heute um 11 Uhr vorzunehmen.
Die Fraktion der FDP hat mit Schreiben vom 23. Juni 1964 für die als stellvertretendes Mitglied im Europarat ausgeschiedene Abgeordnete Frau Dr. Flitz den Abgeordneten Dr. Rutschke benannt. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist der Abgeordnete Dr. Rutschke als stellvertretendes Mitglied der Beratenden Versammlung des Europarates gewählt.
Die Fraktion der CDU/CSU hat mit Schreiben vom 23. Juni 1964 als ordentliches Mitglied im Verwaltungsrat der Deutschen Bundespost für den ausgeschiedenen Herrn Dr. Vogel den Abgeordneten Leicht benannt. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist der Abgeordnete Leicht als ordentliches Mitglied in den Verwaltungsrat der Deutschen Bundespost gewählt.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, sollte ich dem Hause vielleicht bekanntgeben, welche Gegenstände wir zunächst nach der Fragestunde behandeln werden. Zunächst ist der Punkt 26 aufzurufen, dann soll der Punkt 11, Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz, folgen, und dann wird versucht werden müssen, der Reihe nach zu verfahren. Ist das Haus damit einverstanden, daß wir so prozedieren? — Es wird nicht widersprochen; dann wird so verfahren werden.
Wir treten nun in die Tagesordnung ein. Ich rufe auf Punkt 1:
Fragestunde .
Wir beginnen mit den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr in Drucksache IV/2386. Ich rufe auf die Frage X/1 — des Abgeordneten Hussong —:
Wann ist mit der Weiterführung der Bundesautobahn von Saarbrücken bis zur Landesgrenze zu rechnen?
Herr Bundesverkehrsminister!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Planung für die Bundesautobahn-Teilstrecke von der Anschlußstelle Saarbrücken-Ost bis zur französischen Grenze ist abgeschlossen. Vorbereitender Grunderwerb wird bereits getätigt. Der Bundesminister für Verkehr ist bestrebt, bald mit dem Bau zu beginnen. Zunächst muß jedoch das Planfeststellungsverfahren durchgeführt werden. Ein genauer Termin für den Baubeginn kann erst nach Abschluß des Planfeststellungsverfahrens angegeben werden. Die Bauzeit wird voraussichtlich drei Jahre, die Kosten werden etwa 55 Millionen DM oder 10,5 Millionen DM je km betragen.
Eine Zusatzfrage? -Herr Abgeordneter Hussong!
Herr Bundesminister, ist Ihnen bekannt, daß die Stadt Saarbrücken mit etwa 234 Kraftfahrzeugen auf 1000 Einwohner die größte Verkehrsdichte aller Großstädte des Bundesgebietes hat, deren Mittelwert etwa 189 beträgt, und halten Sie es nicht für zweckmäßig, den baldigen Ausbau zu betreiben?
Herr Kollege, mir sind alle Angaben, die Sie machen, bekannt. Mit der Stadt Saarbrücken und mit der saarländischen Regierung stehe ich in dieser Sache in engster Verbindung. Wir haben uns deswegen bemüht, diesen weiteren Ausbau vorzuziehen, nachdem wir im vorigen Jahr mit der Autobahn überhaupt erst Saarbrücken erreicht haben.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Hussong.
Herr Bundesminister, ist Ihnen bekannt, daß die Regierung des Saarlandes beabsichtigt, im Haushaltsjahr 1965 Mittel aufzubringen,
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Hussongdie zumindest teilweise für den Weiterbau der Autobahn bis zur Landesgrenze vorgesehen sind, und sind Sie Ihrerseits bereit, diese Mittel so aufzustocken, daß der Ausbau gesichert ist?
Herr Kollege Hussong, die Regierung des Landes bringt keine Mittel für die Autobahn auf, sondern die Regierung des Landes steht nur mit der Stadt in Verbindung, um der Stadt gewisse Leistungen abzunehmen, die die Stadt aufzubringen hat.
Frage X/2 — des Herrn Abgeordneten Hussong —:
Steht die Bundesregierung mit der französischen Regierung in Verhandlungen zwecks Weiterführung der Autobahn in Richtung Metz?
Bitte, Herr Minister.
Die Frage X/2, Herr Kollege, darf ich wie folgt beantworten: Ja. Die Auftragsverwaltung des Bundes im Saarland führt seit längerer Zeit vorbereitende Planungsbesprechungen mit der zuständigen französischen Straßenbaubehörde in Metz. Eine abschließende Besprechung zwischen dem Bundesverkehrsministerium und der französischen Straßenbauverwaltung in Paris ist für den 7. Juli in Saarbrücken vorgesehen.
Frage X/3 — des Herrn Abgeordneten Hussong —:
Aus welchen Gründen hat es die Bundesregierung bis jetzt abgelehnt, sich an den Kosten zum Ausbau einer geplanten Umgehungsstraße zur Entlastung der katastrophalen Verkehrsverhältnisse der Stadt Saarbrücken zu beteiligen?
Herr Kollege Hussong, Zuschüsse des Bundes zu den Kosten des Baus der südlichen Umgehungsstraße von Saarbrücken, der sogenannten Südtangente, können nicht gegeben werden, soweit dieser Straßenzug parallel zu der vom Bund allein zu finanzierenden Bundesautobahn verläuft. Dies trifft für den östlichen Teil dieses Straßenzuges zwischen der Bundesstraße 405 — St. Arnual — und der Bundesstraße 41 — Metzer Landstraße — zu. Dagegen wird der Teilabschnitt der Südtangente zwischen der Bundesstraße 41 und der Bundesstraße 406 durch das Deutschmühlental bezuschußt werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Hussong.
Herr Bundesminister, teilen Sie nicht die Auffassung, daß, wenn die Stadt Saarbrücken, wie man so sagt, nicht im Verkehr ersticken soll, der Bau von Umgehungsstraßen um die Stadt, zumindest um den durchfließenden Verkehr aufzunehmen, möglichst bald und ganz entschieden und energisch gefördert werden sollte?
Ja, Herr Kollege, deswegen fördern wir den Autobahnbau. Wir können nun nicht zwei Umgehungsstraßen bauen.
Keine weitere Frage.
Frage X/4 — des Herrn Abgeordneten Kreitmeyer —:
Ist die Bundesregierung bereit, die Deutsche Bundesbahn zu veranlassen, daß sie dem Land Niedersachsen und der Osthannoverschen Eisenbahn Einblick in alle Unterlagen gewährt, aus denen hervorgeht, weshalb der Personenzugverkehr zwischen Lüchow und Dannenberg eingestellt worden ist?
Herr Kollege, einer besonderen Einwirkung auf die Deutsche Bundesbahn bedarf es nicht, denn das Land Niedersachsen kann hier von sich aus tätig werden. Nach § 43 Abs. 2 des Bundesbahngesetzes können die obersten Landesverkehrsbehörden vom Vorstand und ebenso von der für ihr Land zuständigen höheren Bundesbahnbehörde — hier der Bundesbahndirektion Hamburg — jede zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderliche Auskunft verlangen. Wieweit dann diese Auskunft vom Land an die unter Landesaufsicht stehenden nichtbundeseigenen Eisenbahnen weitergegeben wird, muß 'dem Land überlassen bleiben.
Nach Mitteilung der Deutschen Bundesbahn liegt ihr ein Auskunftsersuchen des Landes zur Zeit nicht
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Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, darf ich Sie, da sie die Worte „zur Zeit" so betont haben, fragen, ob früher schon, vor Jahren, ähnliche Unterlagen zur Verfügung gestellt worden sind?
Diese Frage kann ich im Augenblick nicht beantworten, Herr Kollege. Das ist durchaus möglich. Ich kenne natürlich den Schriftwechsel zwischen der Bundesbahndirektion Hamburg und den niedersächsischen Behörden nicht.
Noch eine Frage!
Herr Bundesminister, teilen Sie mit mir die Auffassung, daß die Situation im Zeitpunkt der Stillegung sich wesentlich von der Situation, die heute, nach der Industrieansiedlung, besteht, unterscheidet und daß daher ein begründetes Interesse besteht, den Personenzugverkehr wieder aufzunehmen?
Herr Kollege, das ist eine Angelegenheit, die, wie gesagt, das Land zunächst mit der Bundesbahn besprechen muß. Ob ich diese Auffassung teile, hängt vor allem davon ab, welche Vorschläge die Bundesbahn, die diese Fragen in eigener Zuständigkeit zu behandeln hat, macht.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wehner!
Herr Bundesminister, wenn es so ist, wie Sie hier darlegen, daß es sich um Angelegenheiten des Landes oder der Länder und der Bundes-
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Wehnerbahn handelt — und so ist es wohl —: gibt es nicht außerdem ein Interesse der Bundesregierung und speziell auch des Bundesministers für Verkehr, dort, wo sich Schäden aus den Folgen der Spaltung Deutschlands, der Demarkationslinie, ergeben, gewissermaßen einzuwirken, oder sehen Sie dazu keine Möglichkeit?
Herr Kollege, ich beobachte die Sache sehr genau. Ich habe mir noch vor drei Monaten einen eingehenden Bericht über die Situation machen lassen, die dort entstanden ist und die sich dort entwickelt. Ich kenne auch den Raum aus eigener Anschauung sehr genau. Aber die Fragen sind hier eben etwas kompliziert, weil eine Kombination einer nichtbundeseigenen Eisenbahn und der Bundesbahn vorliegt und hier tatsächlich das Land in erster Linie zuständig ist. Das Land hat aber die notwendigen Verbindungen noch nicht aufgenommen, und außerdem ist die Bundesbahn der Meinung, daß für den Personenverkehr — wie damals bei der Stillegung mit dem Land vereinbart — genügend Ersatzverkehre bestehen. Hier scheinen also zwischen der Bevölkerung einerseits und den verschiedenen Behörden andererseits in der Auffassung gewisse Diskrepanzen vorzuliegen.
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Wehner!
Ich bin Ihnen dankbar für diese Auskunft: Ich möchte nur noch einmal zusätzlich fragen, Herr Minister, ob nicht gerade diese Mehrschichtigkeit der Situation — ich weiß nicht, ob ich mich geschickt ausdrücke — auch für die Bundesregierung ein Anlaß sein sollte, natürlich unter Wahrung der Zuständigkeiten der anderen Beteiligten dort selber einzugreifen? Um diese Frage mit einem Satz zu begründen: ich glaube, es ist unglücklich, daß eine große Weltfirma dankenswerterweise in Lüchow ein Werk errichtet hat — worüber wir alle froh sind und worüber auch die Bevölkerung selbst froh ist —, daß aber z. B. der Personenverkehr mit den Arbeitszeiten in keiner Weise in Einklang zu bringen ist.
Herr Kollege Wehner, ich teile Ihre Auffassung. Wenn diese Firma sich z. B. an mich gewendet hätte — was sie bisher nicht getan hat —, hätte ich diesen Anlaß natürlich sofort benutzt, um einzugreifen.
Eine Frage, Herr Abgeordneter Huys!
Glauben Sie nicht auch, Herr Bundesminister, daß es sehr mißlich ist, wenn eine Kreisstadt eines großen Kreises mit der Bahn überhaupt nicht zu erreichen ist?
Ja, Herr Kollege, das ist natürlich darauf zurückzuführen, daß damals bei der Stillegung die zuständige Landesbehörde mit zugestimmt hat. Wenn alle Organe einer Stillegung zugestimmt haben, kann trotz persönlicher Bedenken des Bundesministers für Verkehr, der diese Sache kennt, kaum anders entschieden werden.
Glauben Sie nicht auch, Herr Bundesminister, daß es hier gerade auf den Personenverkehr ankommt und daß die Crux darin liegt, daß die Bahn zwar den Personenverkehr aufgegeben hat, aber den Stückgutverkehr beibehalten will?
Herr Kollege, diese Fragen sind wie bei jeder Stilllegung damals sehr genau geprüft worden. Sie wissen, daß auf der einen Seite ein Druck auf die Bundesbahn ausgeübt wird, unrentable Betriebsstrecken aufzugeben, um die Verluste zu mindern, daß aber auf der anderen Seite die Bundesbahn natürlich, wenn sie z. B. den Personenverkehr von der Schiene auf die Straße verlegt, bestrebt ist, durch Einlegung von Bahnbuslinien für eine bessere Verkehrsverbindung für die beteiligten Ortschaften zu sorgen. Denn es ist eine eindeutige Erfahrung, daß im allgemeinen mit Bahnbuslinien bei relativ kurzen Entfernungen eine bessere Bedienung der kleineren Orte erreicht werden kann als durch die Bahn. Den Güterverkehr dagegen wünschen wir naturgemäß aufrechtzuerhalten, um die Betriebsansiedlungen und die vorhandenen Betriebe nicht in ihren Versandmöglichkeiten zu beschränken. Der Güterverkehr ist als Zulaufverkehr natürlich rentabler als der Personenverkehr. Sie wissen, Herr Kollege, daß wir beim Personennahverkehr große Verluste bei der Bundesbahn zu verzeichnen haben und daß deswegen die Leitung der Bundesbahn von diesem Hohen Hause in besonderer Weise darauf hingewiesen worden ist, daß sie nach wirtschaftlichen Grundsätzen wie ein kaufmännisches Unternehmen geführt werden müsse und die Leitung der Bundesbahn sich danach zu richten habe, was dieses Hohe Haus ihr gesetzlich auferlege.
Eine Zusatzfrage, Frau Dr. Kiep-Altenloh.
Herr Bundesminister, halten Sie es nicht doch für notwendig, daß an diesen Grenzen, wo politische Fragen entscheidend mitsprechen, eine starke Abstimmung des Verkehrsministeriums mit den für die politischen Fragen zuständigen Ministerien stattfindet?
Verehrte gnädige Frau, selbstverständlich halte ich das für notwendig. Ich darf für mich in Anspruch nehmen, daß ich im Jahre 1950 an der Zonengrenze den Verband der Handelskammern gegründet habe, daß wir — ich an der Spitze — im Jahre 1953 die ersten gewesen sind, die für diese Versorgung der Zonenrandgebiete mit entsprechend mehr Mitteln des Bundes gesorgt haben und daß ich seitdem in ständiger Arbeit für diese Dinge eintrete, und zwar mehr, als das je ein anderer getan hat.
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Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Büttner.
Herr Bundesminister, sind Sie nach der Frage meines Kollegen Wehner betreffend die Stadt Lüchow bereit, von sich aus initiativ zu werden, ohne erst einen Antrag abzuwarten?
Herr Kollege, wenn ich von mir aus initiativ werde, kann ich nur die beiden Stellen bitten, sich das Problem neu zu überlegen. Das habe ich, wie gesagt, vor einigen Monaten schon getan. Wenn natürlich — wie Herr Kollege Wehner sagt — ein dort vorhandener großer Betrieb besondere Wünsche an den Verkehr hat und diese Wünsche in Verhandlungen mit den direkt zuständigen Behörden nicht erfüllt werden, steht es diesem großen Betrieb natürlich frei, sich auch direkt an den Bundesminister für Verkehr zu wenden. Dann habe ich nämlich einen entsprechenden Anlaß, auf Grund dieses Antrags noch einmal — nicht nur von mir aus, sondern eben auf begründeten Antrag — tätig zu werden.
Noch eine Frage, Herr Büttner.
Herr Bundesminister, Sie sagen, Sie seien vor einigen Monaten schon tätig geworden. Wäre das dann für Sie kein Anlaß, nach der Fragestunde heute sich einmal in Erinnerung zu
bringen, den Fall aufzugreifen und die Sache zu forcieren?
Herr Kollege, bitte bedenken Sie, daß noch eine Reihe Fragen zu diesem Tatbestand vorliegen. Sie müssen weiter bedenken, daß die Bundesregierung nur auf die Bundesbahn einen Einfluß hat, daß sich ihr Einfluß aber nicht auf eine nicht-bundeseigene Eisenbahn erstreckt. Das ist eine Angelegenheit, die nach dem Grundgesetz in die Zuständigkeit der Länder fällt.
In der Kombination sind die Dinge außerordentlich schwierig. Die Verhältnisse, die Sie, wie ich annehme, kennen, sind deshalb so schwierig, weil es eine Zerreißung der Verkehrslinien nicht nur bei der Eisenbahn, sondern auch bei den Straßen im Lüchow Dannenberg-Gebiet gibt, die uns große Sorgen macht. Aber wir können eben wegen der Trennung der Zuständigkeiten für Bundesstraßen und Landstraßen, für die Bundesbahn und für nichtbundeseigene Eisenbahnen nicht von uns aus zusammenfassend tätig werden, ohne daß auch Niedersachsen Entsprechendes tut.
Ähnliche Verhältnisse liegen z. B. bei dem Problem des Hafenbaues in Schnackenburg und an anderen Stellen vor. Ich bin auf diesem Gebiet wirklich dauernd darum bemüht, das Richtige zu tun, was zur Versorgung dieses an der Zonengrenze liegenden schwierigen Raumes erforderlich ist.
Die Frage ist erledigt.
Wir kommen zur Frage X/5 — des Abgeordneten Reichmann —:
Sind Pressemeldungen zutreffend, daß durch den neuen Moselkanal der deutsche Steuerzahler alljährlich mit 100 Millionen DM belastet würde, weil infolge des verursachten Frachtausfalls der Deutschen Bundesbahn deren Defizit sich um etwa diesen Betrag vergrößere?
Nein, Herr Kollege, jedenfalls nicht in diesem Ausmaß. Die Bundesrepublik und Frankreich haben bekanntlich den Ausbau der Mosel nach langwierigen Verhandlungen in Verbindung mit der Rückgliederung des Saarlandes und den Ausbau des Oberrheins 1956 beschlossen. Wie sich die Wasserfrachten auf der Mosel endgültig gestalten, ist heute noch nicht zu übersehen. Die Eisenbahnen werden aber mit Sicherheit einen Teil ihres Verkehrs an den neuen Wasserweg verlieren. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, wird die Bundesbahn im Einvernehmen mit den französischen Eisenbahnen ihre Tarife senken. Sie schätzt, daß sie durch Verkehrsverluste und Tarifsenkungen eine Minderung ihrer Frachteinnahmen von jährlich etwa 50 Millionen DM erleiden wird. Dieser Betrag vermindert sich anderereits um die Betriebskostenersparnisse, die sie erzielt, deren Ausmaß sich allerdings jetzt noch nicht absehen läßt.
Keine Zusatzfrage?-
Ich rufe auf die Frage X/6 — des Herrn Abgeordneten Faller —:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß im Gebiet des Straßenbauamtes Lörrach wegen Mangels an Haushaltsmitteln alle großen und mittleren, teilweise schon weit fortgeschrittenen Straßenbaumaßnahmen eingestellt werden mußten?
Die Fragen 'des Herrn Abgeordneten Faller werden von Herrn Abgeordneten Cramer übernommen.
Bitte, Herr Bundesminister!
Herr Präsident, erlauben Sie bitte, daß ich die Fragen des Herrn Kollegen Faller wegen ihres sachlichen Zusammenhangs ,gemeinsam beantworte. Darf ich sie gemeinsam beantworten?
Bitte sehr. Dann rufe ich auch die Fragen X/7 und X/8 — des Herrn Abgeordneten Faller — auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Gefahr besteht, daß mittelständische Straßenbauunternehmen in Schwierigkeiten zu kommen drohen, weil die Anschlußaufträge ausgeblieben sind, die praktisch zugesagt waren, und entsprechende Dispositionen getroffen werden mußten, namentlich im Hinblick auf die Anwerbung von in- und ausländischen Arbeitskräften?
Trifft es zu, daß auch in anderen Teilen des Bundesgebietes ähnliche Schwierigkeiten — wie in Fragen X/6, 7 geschildert — wegen der Verzögerung der Anschlußaufträge entstanden sind?
Das Innenministerium Baden-Württemberg als zuständige Auftragsverwaltung des Bundes hat mich bisher nicht davon unterrichtet, daß hinsichtlich der Finanzierung von Bauvorhaben im Bereiche des Straßenbauamtes Lörrach Schwierigkeiten aufgetreten sind.
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Bundesminister Dr.-Ing. SeebohmGegenwärtig sind die Arbeiten noch im Gange. Damit keine Unterbrechung eintritt, ist veranlaßt, daß durch umgehende Durchführung des vorgesehenen Mittelausgleichs die erforderlichen Mittel zur Fertigstellung des Bauvorhabens Maulburg bereitgestellt werden.Die Befürchtungen des Herrn Kollegen Faller, daß mittelständische Straßenbauunternehmen wegen Unterbrechung der in Gang befindlichen Arbeiten in Schwierigkeiten kommen könnten, dürften damit gegenstandslos werden. Ebenso glaube ich nicht, daß bereits getroffene Dispositionen hinsichtlich der Anwerbung von Arbeitskräften wieder rückgängig gemacht werden müssen, da die laufenden Arbeiten sicherlich ohne Unterbrechung fortgeführt werden können.Die weitere Frage, ob -auch in anderen Teilen des Bundesgebietes Schwierigkeiten ähnlicher Art aufgetreten sind, kann ich mit Nein beantworten.Es trifft im allgemeinen nicht zu, daß in der Auftragsvergabe, soweit es sich um Bundesfernstraßen handelt, Verzögerungen entstanden sind. Dies erklärt sich allein schon aus der Tatsache der erheblichen jährlichen Steigerung des Straßenbauvolumens im Rahmen der Bundeshaushalte.Ob und inwieweit allerdings Verzögerungen bei der Vergabe von Aufträgen für Landstraßen I. Ordnung und Landstraßen IL Ordnung, die von den obersten Straßenbaubehörden der Länder gleichfalls veraltet werden, oder bei Straßenbauvorhaben der Städte und Gemeinden eingetreten sind, ist mir nicht bekannt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Cramer.
Herr Minister, darf ich daraus entnehmen, daß die Umgehung im Zuge der B 317 bei Maulburg in diesem Jahr fertig wird, wie es vorgesehen war?
Jawohl, das können Sie, glaube ich, entnehmen, es sei denn, daß irgendwelche technischen Schwierigkeiten bei der Bauausführung eintreten, die ich nicht übersehen kann.
Noch eine Frage des Herrn Abgeordneten Cramer.
Ist Ihnen bekannt, Herr Minister, daß schon vergebene Aufträge im Wert von 800 000 DM zurückgezogen wurden und nachher auf Drängen der Unternehmer noch mit 60 000 DM bedient wurden?
Diese Einzelheiten bei der Auftragsvergabe sind mir nicht bekannt, weil die Aufträge unter 1 Million DM von den Auftragsverwaltungen selbständig behandelt und nicht bei uns vorgelegt werden.
Herr Minister, sind Sie bereit, wenn ich Ihnen Einzelheiten mitteile, den Fall nachzuprüfen?
Selbstverständlich.
Ich rufe auf die Frage X/9 — des Herrn Abgeordneten Eschmann —:
Ist das Bundesverkehrsministerium bereit, bei der Bundesbahndirektion Wuppertal darauf hinzuwirken, die geplante Stillegung des Personenverkehrs auf der Strecke Osberghausen—Waldbröl so lange hinauszuschieben, bis die Umgehungsstraßen Bielstein und Wiehl ausgebaut sind?
Darf ich, Herr Präsident, auch hier wegen des Sachzusammenhangs der beiden Fragen des Herrn Abgeordneten Eschmann bitten, mit einer gemeinsamen Beantwortung einverstanden zu sein, wenn der Herr Kollege zustimmt?
Er stimmt zu. Dann rufe ich auch die Frage X/10 — des Herrn Abgeordneten Eschmann — auf:
Ist das Bundesverkehrsministerium bereit, die Bundesbahndirektion Wuppertal zu veranlassen, auf der Strecke Osberghausen—Waldbröl bis zur Fertigstellung der Umgehungsstraßen Bielstein und Wiehl verstärkt Schienenbusse einzusetzen mit vermehrter und verbesserter Einsteigemöglichkeit?
Danke sehr!
Bisher liegt mir kein Antrag auf Einstellung des Reiseverkehrs auf der Nebenbahn OsberghausenWaldbröl vor.
Wie mir die Deutsche Bundesbahn jedoch auf Anfrage mitteilt, beabsichtigt sie, die Bedienung des Reiseverkehrs auf diesem Streckenabschnitt in Zukunft aufzugeben. Die Bundesbahndirektion Wuppertal hat sich deswegen an das Land NordrheinWestfalen gewandt und gebeten, dazu Stellung zu nehmen. Diese Stellungnahme steht noch aus. Sie wird natürlich für die endgültige Entscheidung von wesentlicher Bedeutung sein. Dabei wird sicher der Ausbau der Straßen von Bedeutung sein, die als Landstraßen I. Ordnung in der Baulast des Landes liegen. Ich bin daher über den Ausbauzustand und die Ausbaupläne im einzelnen nicht unterrichtet. Bei dieser Sachlage kann ich zur Zeit in den von Ihnen angeschnittenen Fragen noch nicht tätig werden. Es ist allerdings kaum anzunehmen, daß die Deutsche Bundesbahn bereit sein wird, solange der Antrag läuft, verstärkt Schienenbusse einzusetzen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dresbach.
Darf ich mir als Abgeordneter des Kreises die Bemerkung erlauben, daß ich in diesem Falle die Auffassung meines politischen Gegners und häufigen Widersachers in Wahlkämpfen durchaus unterstütze.
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Das war zwar keine Frage, aber immerhin ein bemerkenswertes Zeichen von Solidarität.
Keine weitere Frage? —
Dann kommen wir zur Frage X/11 — des Herrn Abgeordneten Dr. Huys —:
Welche Anstrengungen macht die Bundesregierung, um die schwebenden Verhandlungen zwischen der Deutschen Bundesbahn und den OHE zur Besserung und Erhaltung der Eisenbahnverbindungen in Lüchow—Dannenberg zum Erfolg zu führen?
Herr Kollege Huys, im Rahmen der von Ihnen erwähnten Verhandlungen wurde die Übernahme der Betriebsführung auf der Nebenbahnstrecke der Deutschen Bundesbahn zwischen Dannenberg und Lübbow durch die Osthannoversche Eisenbahn AG erörtert.
Die Osthannoversche Eisenbahn, die auch die Strecke Lüchow — Schmarsau betreibt, untersteht als nichtbundeseeigene Eisenbahn, wie wir schon erörtert haben, nach dem Grundgesetz der Zuständigkeit des Landes. Daher muß das Land in dieser Angelegenheit von sich aus tätig werden, ohne daß es eines Eingreifens der Bundesregierung bei der Deutschen Bundesbahn bedarf.
Wie eine von mir veranlaßte Überprüfung zeigte, von der ich vorhin sprach, sind für die Strecke erhebliche Investitionen deswegen notwendig, weil die Gleise für den Reiseverkehr neu hergerichtet werden müssen. Dazu kommen noch die laufenden Betriebsführungskosten bei einem verhältnismäßig geringen Verkehrsaufkommen. Zur Übernahme dieser hohen Kosten ist bisher weder die Deutsche Bundesbahn noch die Privatbahn bereit. Die Frage einer Subvention ist bei dieser Sachlage allerdings ausschließlich Angelegenheit des Landes.
Eine Zusatzfrage!
Herr Minister, glauben Sie nicht auch — wir kämpfen bereits seit Jahren darum —, daß die Bundesbahn mit der Schmarsauer Bahn einmal ein Übereinkommen treffen könnte, damit der Personenverkehr Lüchow-Dannenberg wieder aufgenommen wird? Das scheitert einfach daran, daß die Bundesbahn den Stückgutverkehr nicht abgeben will und nur den Personenverkehr aufgibt. Das ist für die Bevölkerung dieses Kreises unverständlich.
Herr Kollege Huys, die Bundesbahn würde in einem Vertrag mit der OHE sicherlich auch bereit sein, eine Regelung zu treffen. Entscheidend ist aber, daß die OHE ihrerseits sich bereit erklären muß, den Personenverkehr fortzuführen und nicht nur den Güterverkehr zu übernehmen. Die OHE erklärt sich aber nur dann bereit, den Personenverkehr zu führen, wenn ihr entsprechende Mittel für den Ausbau der Strecke gegeben werden. Aus den Zonenrandmitteln können Subventionen oder Mittel für den Ausbau von Bundeseisenbahnen und Bundesstraßen nicht zur Verfügung gestellt werden. Dagegen haben die Landesstraßen und die Lundeseisenbahnen derartige Möglichkeiten, Zuschüsse zu bekommen. Außerdem hat das Land durchaus die Möglichkeit, hier einzugreifen und in einer Kombination LandOHE-Bundesbahn mit entsprechender Darbietung der Mittel für die Herrichtung der Strecke für den Personenverkehr diese ganze Angelegenheit in die Hand zu nehmen. Dabei würde das Land auf meine volle Unterstützung, soweit sie dabei notwendig und möglich ist, rechnen können. Sie kann nur nicht in finanzielle Darbietungen gehen.
Sind die beiden letzten Fragen, Herr Kollege Huys, durch diese Antworten bereits erledigt?
— Dann rufe ich auf die Frage X/12 — des Abgeordneten Dr. Huys —:
Welche finanzielle Unterstützung zur Förderung der Verkehrsverhältnisse hat der Kreis Lüchow—Dannenberg seit 1954 aus dem Bundeshaushalt erhalten? [Vergleiche Erklärung des Oberkreisdirektors Paasche vor der gesamten niedersächsischen SPD-Landtagsfraktion anläßlich einer Bereisung des Kreises laut Elbe-Jeetzel-Zeitung vom 11. Juni 1964: „daß man leider auf diesem Gebiet" ,keinerlei Unterstützung durch den Bundesverkehrsminister erfahre".]
Ich beantworte die zwölfte Frage wie folgt: Mittel des Bundeshaushalts als Zuschuß sind im Landkreis Lüchow-Dannenberg für die Deutsche Bundesbahn nicht gegeben worden. Die Osthannoversche Eisenbahn hat für ihren gesamten Betrieb im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften Darbietungen erhalten. Die Elbe, die als Bundeswasserstraße die Grenze zur Sowjetzone bildet und den Landkreis am Rande berührt, hat die übliche Unterhaltung erfahren. In Schnackenburg ist eine Anlegekaje mit Bundeshilfe erstellt worden. Dafür wurden 200 000 DM gegeben.Für den Ausbau kommunaler Straßen als „Zubringer zu Bundesstraßen" konnten Zuschüsse aus den seit 1961 verfügbaren Mitteln des sogenannten Gemeindepfennigs, die das Land zu verteilen hätte, leider nicht gewährt werden, weil die eingereichten Anträge den Richtlinien für Bundeszuwendungen nicht entsprachen. Dagegen sind dem Ausbau der den Landkreis durchziehenden vier Bundesstraßen 216, 191, 71 und 248 rund 2,2 Millionen DM aus dem Bundesstraßenhaushalt zugute gekommen. Diese Bundesstraßen befinden sich mit Ausnahme ganz kurzer Strecken in einem guten, für die derzeitigen Verkehrserfordernisse ausreichenden Zustand.Aus den im Bundeshaushalt für „regionale Förderung" bereitgestellten Mitteln sind von den im Zeitraum 1951 bis 1963 dem Zonengrenzkreis Lüchow-Dannenberg insgesamt in Höhe von 10,6 Millionen DM gewährten Zuschüssen rund 6 Millionen DM für den Ausbau von Straßen kommunaler Baulasträger mit insgesamt 81 Einzelmaßnahmen zugeflossen. Die Erklärung, die Herr Oberkreisdirektor Paasche abgegeben hat, scheint mir daher nicht ganz zuzutreffen.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964 6517
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kreitmeyer!
Herr Minister, ist Ihnen aus den Berichten nicht bekanntgeworden, daß die Bevölkerung nach wie vor darüber klagt, daß der Ersatz, die Autobusverbindung, für sie nicht ausreichend ist, weil damit nur in beschränktem Umfang lebenswichtige, sperrige Güter transportiert werden können?
Herr Kollege Kreitmeyer, ich bin zuletzt, glaube ich, vor einem halben Jahr dort im Bezirk gewesen und habe mit einer Reihe von Persönlichkeiten gesprochen. Es ist ganz selbstverständlich, daß diese Persönlichkeiten den dringenden Wunsch haben, daß der alte Eisenbahnverkehr wieder eingerichtet wird, hauptsächlich damit der billige Berufsverkehr wieder zum Zuge kommt, der bei Autobussen bekanntlich nicht so billig ist wie der Berufsverkehr und der Schülerverkehr der Eisenbahn, die ja gerade die Verlustquelle für die Eisenbahn darstellen.
Noch eine Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Minister, würden Sie bitte noch einmal exakt überprüfen lassen, ob tatsächlich den Wünschen der niedersächsischen Landesregierung und der osthannoverschen Eisenbahn in den vergangenen Jahren entsprochen worden ist,
daß alle Unterlagen zur Beurteilung einer gewissen Rentabilität des Personenzugverkehrs — entsprechend den von Ihnen zitierten Paragraphen des Bundesbahngesetzes — ausgeliefert worden sind?
Ich möchte das als sicher annehmen. Ich kann die Bundesbahn insoweit in Schutz nehmen, Herr Kollege, daß, wenn sie um solche Unterlagen gebeten wird, sie sie in vollständigem Umfange erstellt. Auch von den uns gegebenen Unterlagen muß ich annehmen, daß sie zutreffend sind. Ich kann der Bundesbahn doch nicht unterstellen, daß sie da etwas unterschlägt. Welchen Grund hätte sie dafür? Ich kann keinen erkennen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wehner.
Herr Minister, darf ich Sie im Anschluß an diese fachlichen Ausführungen, die Sie in Ihrer Eigenschaft als Bundesminister für Verkehr gemacht haben — wenn auch im Zusammenhang damit zusätzlich als Mitglied des Bundeskabinetts —, fragen, ob Sie es nach Ihren eigenen Erfahrungen auf diesen Sachgebieten nicht für denkbar oder sogar für notwendig hielten, daß von der Bundesregierung mehr als bisher getan wird, koordinierend und durch Impulse und durch Mittelschwerpunkte, damit der kommunistische Separatismus nicht zu gewissen Versteppungserscheinungen entlang der Zonengrenze führt?
Und könnte dazu, wenn die bisherige Art nicht ausgereicht hat, vielleicht eine Einrichtung von der Art eines „Bundesbevollmächtigten für die Zonenrandgebiete" helfen, der entsprechend dem Bundesbevollmächtigten für Berlin zusätzliche Aufgaben und Möglichkeiten wahrnehmen sollte, beratend tätig sein sollte für die einschlägigen Bundesressorts, damit dieser Kampf um den Zonenrand, der Kampf dagegen, daß die Folgen der Spaltung auf den Schultern der Bevölkerung allmählich schwerer und schwerer drücken, analog dem Kampf um Berlin geführt Wird?
Ich bin durchaus Ihrer Meinung, Herr Kollege Wehner, daß hier mehr getan werden sollte und könnte. Ich bin ja einer der Vorkämpfer dafür, daß mehr getan wird. Sie wissen, daß wir seit dem Jahr 1951 den Interministeriellen Ausschuß für die Zonengrenzgebiete haben, den sogenannten IMNOS. Diese Fragen sind aber im wesentlichen Angelegenheiten, die federführend vom Wirtschaftsministerium behandelt werden. Das Wirtschaftministerium hat sich nun nicht nur der Zonenrandgebiete angenommen, sondern auch der Förderungsgebiete und der anderen Gebiete, die irgendwie in Notlagen geraten sind. Es hat auch durch ein Schwerpunktprogramm — mit der Bildung von Schwerpunkten um die Städte und Ortschaften, die diesen Schwerpunkt besonders bedienen, wozu in diesem Raum z. B. die Stadt Wittingen gehört — sich besonders um diese Fragen bemüht.
Ich möchte aber sagen, daß auch ich aus meiner Kenntnis der ganzen Verhältnisse der Meinung bin, daß verstärkte Mittel den Bundeswirtschaftsminister in die Lage versetzen würden, mehr zu tun, und daß der Bundeswirtschaftsminister sicher sehr gern bereit sein würde, hier intensiv tätig zu werden, wenn ihm die verstärkten Mittel zur Verfügung gestellt werden könnten. Einen besonderen Bevollmächtigten einzusetzen, halte ich deswegen nicht für notwendig, weil der Ministerialrat Giel im Bundeswirtschaftsministerium sich seit Jahren dieser Aufgaben in ausgezeichneter Weise annimmt.
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Wehner.
Ich höre, Herr Minister, und darüber war ich nicht im Zweifel, daß Sie sehr gut Bescheid wissen. Sie haben am Ende gesagt, es bedürfe keines besonderen Bevollmächtigten. Meine Frage sollte auch nicht so verstanden werden, als komme es auf einen neuen Minister für besondere Aufgaben an.
Aber wäre es nicht möglich, daß auf Grund Ihrer Initiative — Sie könnten dabei die Diesellok sein als Verkehrsminister und als ein besonderer Kenner des Gebietes am Zonenrand — darüber, wie dieses Ringen auf die Höhe des Ringens um Berlin gehoben werden könnte, angesichts dieser konkreten Fragen im Gebiet des Verkehrs, die besonders prekär sind,
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Wehnereinmal zwischen der Bundesregierung oder den zuständigen Ministern und einigen Ausschüssen des Bundestages sehr gründlich gesprochen wird?
Herr Kollege Wehner, ich wäre sehr dankbar, wenn Sie in dem von Ihnen geleiteten Ausschuß einmal eine solche Aussprache mit dem zuständigen Herrn Bundeswirtschaftsminister und mir und anderen Herren, die Sie einladen können, herbeiführten. Ich könnte vielleicht einiges dazu beitragen. Ich habe seinerzeit auch darauf hingewirkt, daß wir nicht nur den Zusammenschluß der Industrie- und Handelskammern entlang der Zonengrenze, sondern — wie Sie wissen — auch den Zusammenschluß der Kreise an der Zonengrenze und eine gewisse besondere Zusammenarbeit der Länder an der Zonengrenze haben. Sie wissen, daß zwischen den Ländern Niedersachsen, Hessen und Bayern in dieser Beziehung eine sehr gute Zusammenarbeit bestanden hat und, wie ich annehme, heute noch besteht. Ich bin 'im Augenblick, da ich in der Kammer Braunschweig nicht mehr tätig bin und infolgedessen auch den Vorsitz für diese Arbeit habe abgeben müssen, nicht in der Lage, Ihnen im einzelnen zu sagen, wie die Zusammenarbeit im Augenblick funktioniert. Sie hat aber bisher durchaus gut funktioniert. Ich nehme das auch für die Zukunft an. Aber es wäre vielleicht zweckmäßig, Herr Kollege Wehner, daß man bei der Behandlung dieser Frage auch die Vertreter dieser drei Länder zuzieht, damit man einmal auch die Zuständigkeitsfragen vor dem Ausschuß mit den verschiedenen Institutionen abzuklären in der Lage ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Huys!
Herr Minister, könnten die Richtlinien für die Gewährung 'des Gemeindepfennigs nicht überprüft werden, damit auch die Landkreise an der Zonengrenze, die wegen der Verkehrsverhältnisse benachteiligt sind, in dessen Genuß kommen?
Ich würde das sehr gern tun. Ich habe das auch schon wiederholt angeregt und bearbeitet. Die Länder selber sind bisher nicht geneigt gewesen, weil sie natürlich bei den relativ geringen Mitteln des Gemeindepfennigs in ihren Ballungsgebieten und im Vorraum der Ballungsgebiete sehr große Aufgaben sehen. Da die Länder die Mittel selber verteilen und auch an den Richtlinien mitgearbeitet haben, ist es natürlich so, daß sie selbst den Wunsch hatten, hier die Mittel mehr zu konzentrieren und entsprechend weiterzugeben. Ich weiß, wir befinden uns da immer zwischen Scylla und Charybdis, nämlich zwischen Ballungsgebieten einerseits und Erschließungsgebieten andererseits. Es ist für alle Beteiligten immer ein Dilemma, sich da zurechtzufinden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sanger.
Herr Bundesminister, würden Sie bereit sein, in Vorbereitung der von Herrn Abgeordneten Wehner angeregten und hoffentlich zustande kommenden Diskussion präzise und konkrete Maßnahmen mit den Ihnen verbundenen Verwaltungen gemeinsam zu erarbeiten, damit wir in den Zonenrandgebieten nicht wieder Zustände bekommen, wie wir sie früher in unserer ostdeutschen Heimat hatten?
Herr Kollege Sänger, soweit es meine Aufgaben angeht, unterziehe ich mich diesen Aufgaben immer mit großer Freude und Anteilnahme. Auch bei meiner Bereisung, die ich in diesem Jahr wieder mache, werde ich die Zonenrandgebiete weit mehr berücksichtigen als irgendwelche anderen Gebiete. Aber hier ist natürlich eine echte Zusammenarbeit zwischen Ländern und Bund notwendig, weil hier auch die Zusammenarbeit zwischen den Wirtschaftsministerien und den entsprechenden Organisationen auf der kommunalen Ebene das Entscheidende darstellt. Die Verkehrseinrichtungen sind zwar anregend, aber sind in anderer Weise auch sekundärer Art gegenüber der Frage, wie man in den betreffenden Gebieten durch entsprechenden Arbeiterwohnungsbau, durch entsprechende Ansiedlung neuer Industrien und alle solchen Maßnahmen das erreichen kann, was uns beiden, Herr Kollege Sanger, am Herzen liegt, nämlich einer Verödung der Gebiete an der Zonengrenze entgegenzuwirken.
Noch eine Frage!
Herr Minister, glauben Sie mit mir, daß zwischen der Anteilnahme und der echten oder unechten Beteiligung der Länder und den Dingen, die wir tatsächlich bei der Bereisung der Zonenrandgebiete gesehen haben, eine wesentliche Differenz besteht und daß diese in nächster Zukunft beseitigt werden muß?
Herr Kollege Sanger, ich bin der Meinung, daß dies im wesentlichen auch eine Frage der guten Zusammenarbeit in Raumordnungsangelegenheiten zwischen Bund und Ländern ist. Sie wissen, daß wir ein Raumordnungsgesetz in Vorbereitung haben, mit dem von der Bundesebene aus in diesen Fällen mit eingegriffen werden soll, um uns eine bessere Zuständigkeit zu geben, hier wirklich tätig werden zu können. Ich wäre dankbar, wenn Sie diese Bemühungen der Bundesregierung unterstützten.
Keine weitere Frage? Dann die Frage X/13 — des Herrn Abgeordneten Dr. Huys —:Welche Verkehrsverbindungen im Zonengrenzkreis LüchowDannenberg sind seitens der Bundesregierung in den letzten 10 Jahren aufgegeben, vermindert oder gefördert worden?Bitte, Herr Bundesminister!
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964 6519
Herr Kollege Huys, ich nehme an, daß Ihre Frage auf die Veränderung bei den Eisenbahnverbindungen abzielt, da die durch den Landkreis führenden Bundesstraßen Nrn. 216, 191, 71 und 248 in ihrem Ausbauzustand, wie erwähnt, verbessert worden sind; das hat sich auch auf die Flächenbedienung durch Omnibusse günstig ausgewirkt.
Zu erwähnen bei den heute schon viel diskutierten Eisenbahnverbindungen ist nur die Verlagerung des Reiseverkehrs auf der Strecke DannenbergLübbow von der Schiene auf den Omnibus sowie auf dem Abschnitt Lüchow-Lübbow. Auf dem letzten Abschnitt wurde am 22. Mai 1955 und auf dem Abschnitt Dannenberg-Lüchow wurde am 4. Juli 1960 der Reiseverkehr durch Straßenomnibusse ersetzt, also in dem einen Fall seit 1955, in dem anderen Fall seit 1960. Mit dieser Maßnahme konnte die Verkehrsbedienung durch den Einsatz von Straßenbussen, die ortsnäher und in einem dichteren Fahrplan verkehren, nach unserer Auffassung verbessert werden. Dazu trug die Erhöhung der Zahl der Haltestellen von bisher 14 auf der Schiene auf 26 auf der Straße wesentlich bei.
Wir sind der Auffassung, daß die heutige Verkehrsbedienung trotz des Verkehrsrückganges besser ist, als sie in der Vorkriegszeit war.
Keine weitere Frage! Wir kommen zur Frage X/14 — des Herrn Abgeordneten Dr. Schwörer —:
Sind Fälle bekannt, in denen die Blinklichter bei Bahnübergängen versagt haben?
Darf ich fragen, Herr Präsident, ob mir erlaubt ist, die drei Fragen des Herrn Abgeordneten Schwörer wegen des Sachzusammenhangs miteinander zu beantworten?
Der Fragesteller stimmt zu?
— Ich rufe dann weiter die Fragen X/15 und X/16 — des Herrn Abgeordneten Dr. Schwörer — auf:
Hat die Deutsche Bundesbahn auch andere Möglichkeiten —außer Blinklichtern — zur Sicherung unbeschrankter Bahnübergänge geprüft und erprobt?
Wie steht die Bundesregierung zur Einführung von Halbschranken nach österreichischem Vorbild zusätzlich zu den Blinklichtern?
Bitte, Herr Bundesminister.
Herr Kollege, ein Versagen der Blinklichtanlagen trat bisher ganz selten auf. Ein Gefahrenzustand ist jedoch auch dann kaum gegeben, da jede Störung, ja sogar jeder Fehler sofort dem nächstgelegenen Fahrdienstleiter mittels besonderer Kontrolleinrichtungen oder rechtzeitig auch dem Lokomotivführer durch ein Überwachungssignal angezeigt wird. Alle Züge müssen dann, solange der Bahnübergang nicht durch Posten gesichert ist, vor dem Bahnübergang anhalten.
Nach der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung sind die Bahnübergänge der Bundesbahn und der nichtbundeseigenen Eisenbahnen durch wärterbediente Schranken, durch Blinklichter oder durch Blinklichter mit Halbschranken zu sichern. Nur bei Nebenbahnen ist an Stelle dieser technischen Sicherung die Sicherung durch die Übersicht über die Bahnstrecke, gegebenenfalls in Verbindung mit akustischen Signalen der Triebfahrzeuge, zugelassen.
Die jüngste und modernste Sicherungsart ist die für mehrgleisige Strecken entwickelte Blinklichtanlage mit Halbschranken. Sie wird seit einigen Jahren in zunehmendem Umfange in europäischen und außereuropäischen Ländern verwendet, besonders in Holland, Osterreich, Frankreich und in der Bundesrepublik. Ihre Wirkungsweise ist überall gleich. Sie entspricht internationalen Vereinbarungen. Bei der Bundesbahn gibt es bis heute 200 derartiger Anlagen.
Andere vorgeschlagene Sicherungsmethoden, die stets sorgfältig von uns geprüft worden sind, konnten bisher den Anforderungen der Eisenbahnen nicht genügen.
Haben Sie noch eine Frage? — Bitte sehr, Herr Abgeordneter Dr. Schwörer!
Herr Bundesminister, sind Sie mit mir der Ansicht, daß man möglichst schnell alle schienengleichen Bahnübergänge beseitigen müßte?
Herr Kollege Schwörer, wir haben schon öfter darüber gesprochen. Sicher werden die Gefahren an einer schienengleichen Kreuzung am besten dadurch ausgeschaltet, daß man die Kreuzung niveauungleich gestaltet. Das kostet aber, wie wir alle wissen, viele Milliarden DM. Wir bemühen uns laufend, hieran zu arbeiten, und haben erhebliche Mittel dafür zur Verfügung gestellt, auch durch das neue Eisenbahnkreuzungsgesetz, das leider vor dem Verfassungsgericht durch eine Klage des Landes Bayern wieder in Frage gestellt wird. Mit dem Eisenbahnkreuzungsgesetz sollen die sehr schwierigen notwendigen Verfahren beschleunigt werden. Wir haben damit auch eine Möglichkeit für eine Anweisung, daß die Beseitigung erfolgen muß, wobei Bund, Land, kommunale Seite und Eisenbahnen je nach der Zugehörigkeit zur Straßenbaulast an der Aufbringung der Mittel beteiligt sind. Wir hoffen, daß wir auf diese Weise schneller weiterkommen.
Andererseits muß ich sagen: wir haben jedes Jahr auch eine Reihe von Unfällen, wo an niveauungleichen Kreuzungen Fahrzeuge auf die Schienenstrecke abstürzen. Diese Unfälle sind natürlich besonders schwer, weil keine gegenseitige Warnung erfolgt.
Keine weitere Zusatzfrage. Die Frage ist damit erledigt.
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6520 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964
Vizepräsident SchoettleWir kommen zur Frage X/17 — der Frau Abgeordneten Freyh —:Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, den Verkehr flüssiger zu halten, indem sie Fußgänger beim Überschreiten der mit Zebrastreifen gekennzeichneten Fußgängerüberwege veranlaßt, durch ein deutliches Zeichen, beispielsweise durch Handaufheben, ihre tatsächliche Absicht zum Überschreiten der Straße bekanntzugeben?Bitte, Herr Minister!
Frau Kollegin, wenn Fußgänger die Fahrbahn auf einem Fußgängerüberweg erkennbar überschreiten wollen, müssen ihnen die Fahrzeugführer nach den neuen Vorschriften das Überqueren ermöglichen. Damit den Kraftfahrern diese Absicht der Fußgänger möglichst deutlich wird, habe ich veranlaßt, im Rahmen der Verkehrserziehung und durch Presse und Rundfunk den Fußgängern zu empfehlen, ihre Absicht durch Handzeichen erkennbar zu machen.
Wir haben aber davon abgesehen, dieses Zeichen ausdrücklich in der Verordnung vorzuschreiben, weil es den Fußgängern nicht immer möglich ist, solche Zeichen zu geben, z. B. wenn sie ihre Hände nicht frei haben oder wenn sie körperlich behindert sind. Die Verkehrserziehung wird jedoch in verstärktem Maße diese Handzeichen propagieren. Allerdings muß der Kraftfahrer auch die entsprechende Rücksicht nehmen, wenn ein solches Handzeichen nicht gegeben wird, aber auf andere Weise erkenntlich wird, daß der Fußgänger auf dem Fußgängerüberweg die Straße überschreiten will.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Freyh!
Glauben Sie wirklich, Herr Minister, daß diese Propagierung lediglich im Verkehrsunterricht ausreicht, um den Verkehr flüssig zu halten? Ihnen sind doch sicherlich auch die Erfahrungen vieler Autofahrer bekannt, die an Zebrastreifen unschlüssig halten müssen, weil sie nicht wissen, ob der Fußgänger tatsächlich die Absicht hat, die Straße zu überqueren.
Gnädige Frau, ich bin der Auffassung, daß wir für den Schutz der Fußgänger wesentlich mehr tun müssen und daß die Kraftfahrer auf die Fußgänger mehr Rücksicht zu nehmen haben. Da das in Deutschland keine Selbstverständlichkeit ist, mußten leider Vorschriften dafür gegen die Kraftfahrer erlassen werden.
Frau Freyh .(SPD) : Meine Frage zielte aber nicht darauf ab, sondern einfach auf die Notwendigkeit, den Verkehr flüssig zu halten. Damit wollte ich nicht, wie Sie es soeben hier dargelegt haben, dem Autofahrer nun wieder ein Vorrecht gegenüber dem Fußgänger geben.
Nein, aber nach meiner Auffassung wird der Verkehr auch an den Fußgängerüberwegen flüssig gehalten, wenn die Autofahrer nicht unschlüssig, sondern in viernünftiger Weise fahren und wenn die Fußgänger nicht unschlüssig, sondern in vernünftiger Weise die Überquerung der Straße vornehmen. Wir wirken nicht nur durch Verkehrserziehung, sondern — wie ich soeben dargelegt habe — auch durch Presse und Rundfunk mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln auf beide Gruppen entsprechend ein.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Josten!
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß nach der neuen Verkehrsordnung durch Zebrastreifen, welche sich in der Nähe von Verkehrsampeln befinden, die Situation entstehen kann, daß beim Überschreiten dieser Zebrastreifen durch Fußgänger die Verkehrsregelung der Ampeln undurchführbar wird?
Herr Josten, die Ampelregelung hat natürlich den Vorrang vor einer Regelung ohne Ampeln. Wenn Fußgänger etwa die Straße überschreiten, obwohl die Ampelregelung es ihnen nicht erlaubt, so sind diese Fußgänger strafbar; denn sie haben sich nach der Ampelregelung zu richten. Ich kann mir nicht vorstellen, daß das nicht funktionieren soll; denn es hat bisher mit Ausnahme von einigen wenigen Fällen ohne weiteres funktioniert. Die Leute haben sich auch weitgehend daran gewöhnt.
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Josten!
Herr Minister, ich glaube, Sie haben mich nicht richtig verstanden. Darf ich Sie fragen, ob Ihnen z. B. die Situation am Bonner Bahnhof bekannt ist, wo Fußgänger den Zebrastreifen am zweiten Bahnzugang benutzen und somit die Verkehrsregelung des Schutzmanns bei starkem Verkehr einfach blockieren?
Das ist mir bekannt. Das liegt aber an der Stelle, die für diese Verkehrsregelung zuständig ist, nämlich an der Stadt. Es sollen eben nicht zwei Zebrastreifen in dieser Form angebracht werden, wie sie am Bonner Bahnhof angebracht sind. Ich würde bitten, diese Frage den zuständigen Leuten in Bonn zu stellen, damit sie für Abhilfe sorgen. Im übrigen darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß die Fußgänger — das können Sie feststellen, wenn Sie, wie wir alle, am Bonner Bahnhof vorbeifahren — grundsätzlich ohne Benutzung der Zebrastreifen an jeder beliebigen Stelle die Straße überschreiten.
Keine weitere Zusatzfrage.Wir kommen zur Frage X/18 — des Abgeordneten Felder —:Ist der Herr Bundesverkehrsminister bereit, mit der Deutschen Lufthansa AG Besprechungen zu führen, die eine dringend gewünschte reguläre Flugverbindung Nürnberg—München mit Direktanschluß an den Süden und Südosten zum Ziele haben?Bitte, Herr Minister!
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964 6521
Herr Kollege Felder, die Wünsche Nürnbergs in bezug auf stärkere Einschaltung in das Flugliniennetz der Deutschen Lufthansa sind bekannt und liegen mir wie Ihnen sehr am Herzen. Neben den bereits bestehenden täglichen vier Diensten nach Frankfurt wird ab Mittwoch nächster Woche einmal täglich Düsseldorf direkt von Nürnberg angeflogen werden.
Ich bin gerne bereit, Ihr Anliegen einer Direktverbindung nach München mit Anschlüssen an die nach Süden und Südosten führenden Luftlinien mit den Herren der Lufthansa zu erörtern. Ich glaube allerdings, daß diese Verbindung gegenüber Schiene und vor allem Straße kaum wesentliche Zeitersparnisse bringen wird, weil Sie in Nürnberg und in München erst zum Flughafen fahren müssen, wobei Sie durch die neue Umfahrung von München im Zuge der Nürnberger Autobahn recht schnell nach Riem kommen. Wenn Sie die Zeiten berechnen, springt bei der langsamen Abfertigung der Flugzeuge auf den Flughäfen etwa eine Viertelstunde heraus.
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Felder.
Herr Minister, ich stimme Ihrer letzten Äußerung teilweise zu. Ist Ihnen aber bekannt, daß man für den Flug von Nürnberg über Frankfurt nach Wien 368 Mark zahlen muß und daß eine Luftreise nach Rom — und das ist wesentlich —66 DM mehr kostet, weil es keine direkte Verbindung von Nürnberg über München nach dem Süden gibt?
Herr Kollege; wir haben selbstverständlich noch nicht überall jene Verbindungen im Flugverkehr, wie wir sie bei der Eisenbahn gewohnt sind. Das wird sich im Zuge der Zeit aber noch einspielen. Wir sind da noch sehr im Aufbau. Ich bin aber für Anregungen, wie Sie sie gegeben haben, dankbar. Diese ganzen Verbindungen sind natürlich noch keineswegs vollkommen. Da stimme ich mit Ihnen völlig überein.
Noch. eine Frage!
Herr Minister, ist Ihnen die Feststellung des Nürnberger Flughafendirektors bekannt, die besagt, daß im innerdeutschen Flugverkehr die langen Wartezeiten von 50 bis 90 Minuten auf dem Rhein-Main-Flughafen nervtötend sind und daß durch diese außergewöhnliche Verringerung des Zeitgewinns beim Fliegen die Passagiere aus Nordbayern besonders benachteiligt sind?
Herr Kollege, daß ein Aufenthalt auf einer Umsteigestation nervtötend sei, habe ich bei der Eisenbahn bisher noch nicht gehört. Das 'scheint mir also nur beim Luftverkehr der Fall zu sein, weil die Leute nicht schnell genug vom Fleck kommen.
Dabei scheint 'mir die Sicherheit hier eine entscheidende Rolle zu spielen. Sie können auf einem Flughafen eben nicht wie bei der Eisenbahn verschiedene Bahnsteige benützen, sondern Sie haben eine Flugbahn, und auf dieser Flugbahn müssen besonders in 'den Ballungsstunden die Flugzeuge sicher einfliegen und starten können. Infolgedessen ergeben sich zwangsläufig gewisse Wartezeiten, zumal auch das Umsteigen aus einem Flugzeug in das andere und 'der Aufenthalt im Warteraum eine gewisse Zeit erfordern.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Folger!
Herr Bundesminister, ist es richtig, daß 'das derzeitige Flugrecht für ausländische Gesellschaften den Nürnberger Flughafen besonders stark hemmt, so daß z. B. ein Direktflug von Nürnberg nach Zürich unmöglich ist, obwohl gerade auf dieser Strecke ein erheblicher Zeitunterschied zwischen Bahn und Flugzeug besteht, nämlich 8 Stunden gegenüber 75 Minuten?
Herr Kollege, das hat mit dem Luftrecht und mit Abmachungen nichts zu tun, sondern nur damit, ob es eine Fluggesellschaft außer der Lufthansa gibt, die bereit ist, eine solche Verbindung zu fliegen. Wenn die Verbindung geflogen wird, dann haben wir beim Flughafen Nürnberg noch niemals irgendein Bedenken geltend gemacht, und bei unserem Prinzip, den Nachbarschaftsverkehr liberal zu behandeln, stimmt das auch mit unserer Flugpolitik überhaupt nicht überein.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Folger.
Herr Bundesminister, warum darf z. B. die KLM, die täglich von Nürnberg über Köln nach Amsterdam fliegt, keine Fluggäste nach Köln mitnehmen, obwohl die Lufthansa keine 'direkte Verbindung von Nürnberg nach Köln hat?
Herr Kollege, das hängt damit zusammen, daß in der innerdeutschen Kabotage — nicht in der grenzüberschreitenden — natürlich gewisse Beschränkungen gegenüber ausländischen Fluggesellschaften vorhanden sind. Beim grenzüberschreitenden Verkehr 'besteht volle Liberalisierung, aber die innerdeutsche Kabotage steht nicht unbedingt auch den anderen Fluggesellschaften zur Verfügung; sie steht auch in anderen Ländern den anderen Fluggesellschaften nicht zur Verfügung. Das 'ist eine internationale Gepflogenheit, sonst würde man den Verkehr der eigenen Luftverkehrsgesellschaft finanziell überhaupt nicht durchführen können.
Die Frage ist erledigt.
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6522 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964
Vizepräsident SchoettleWir kommen zur Frage X/19 — des Herrn Abgeordneten Peiter —:Ist der Bundesregierung bekannt, daß an der Kreuzung der Bundesstraßen 54 und 414 in der Nähe der Orte Salzburg und Stein-Neukirch im Westerwald in den letzten 15 Jahren durch eine ungewöhnliche Häufung von Verkehrsunfällen, abgesehen von unübersehbaren Sachschäden, 11 Todesopfer sowie unzählige Schwerverletzte zu beklagen sind?
Herr Präsident, gestatten Sie mir, die Fragen 19 und 20 im Zusammenhang zu beantworten, wenn Herr Kollege Peiter einverstanden ist?
Herr Abgeordneter Peiter, sind Sie einverstanden? — Das ist der Fall.
Dann rufe ich auch die Frage X/20 — des Herrn Abgeordneten Peiter — auf:
Ist die Bundesregierung bereit, den Gefahrenpunkt an der Kreuzung der Bundesstraßen 54 und 414 in der Nähe der Orte Salzburg und Stein-Neukirch im Westerwald zu beseitigen, indem sie veranlaßt, daß an der vorgenannten Kreuzung entweder Kreisverkehr eingeführt, Ampeln angeordnet oder aber die Kreuzung entsprechend verbreitert wird, damit Einbahnverkehr möglich ist?
Die Kreuzung der Bundesstraßen 54 und 414 in der Nähe der Orte Salzburg und Stein-Neukirch ist dem Bundesminister für Verkehr bekannt. Die Kreuzung ist gut einzusehen. Die B 54 ist vorfahrtberechtigt; im Zuge der Bundesstraße 414 stehen daher vor der Kreuzung Stop-Schilder. Nach Auskunft der zuständigen Straßenbaubehörde ist eine Änderung des Knotenpunktes zur Zeit nicht beabsichtigt. Auch die zuständige Verkehrsbehörde hat bisher eine Änderung dieser Kreuzung nicht gefordert. Sie berichtet, daß, nachdem vor etwa 2 bis 3 Jahren zusätzliche Stopzeichen an der Kreuzung aufgestellt worden waren, die Unfälle erheblich nachgelassen haben. Ich habe nunmehr die Auftragsverwaltung um Nachprüfung ihres Standpunktes gebeten. Von dem Ergebnis der Nachfrage werde ich Ihnen gern berichten,
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Peiter!
Herr Minister, da Sie mir weitere Informationen in Aussicht stellen, möchte ich Sie fragen, ob Sie auch der Ansicht sind, daß meine Frage auf der Tatsache basiert, daß in den letzten Monaten viele Unfälle eingetreten sind, also der Bericht der Straßenbauverwaltung nicht stimmen kann.
Herr Kollege, natürlich habe ich jetzt noch einmal die Straßenbauverwaltung kurz befragt. Da aber, wie Sie mir gesagt haben, diese Unfälle vorliegen, möchte ich eine ausführliche Stellungnahme der Straßenbauverwaltung haben, die ja dem Land Rheinland-Pfalz zugehört.
Herr Abgeordneter Peiter!
Ich bekomme die Antwort noch zugestellt?
Ich werde Ihnen nach Eingang der Sache berichten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Danke.
Ich rufe die Frage X/21 — des Herrn Abgeordneten Peiter — auf:
Wann ist damit zu rechnen, daß das Teilstück der Bundesstraße 417 zwischen den Orten Laurenburg und Oberndorf fertiggestellt wird?
Das Teilstück der Bundesstraße 4l7, der sogenannten Lahntalstraße, zwischen den Orten Laurenburg und Oberndorf wird noch in diesem Jahr fertiggestellt. Die Vergabe der restlichen Bauarbeiten steht unmittelbar bevor.
Danke sehr, Herr Minister.
Keine weitere Frage in diesem Zusammenhang?
Wir kommen zur Frage X/22 — des Herrn Abgeordneten Hübner —:
Ist der Herr Bundesverkehrsminister bereit, sich für eine verbindliche und einheitliche Regelung des Zugangs zu den Flugzeugen stark frequentierter innerdeutscher Flugverbindungen einzusetzen, um die unerfreulichen und zum Teil unwürdigen Szenen des Bemühens um bevorzugte Sitzplätze abzustellen?
Herr Kollege, es trifft zu, daß Fluggäste beim Besteigen des Flugzeugs gelegentlich wenig Disziplin zeigen. Um diesem unerfreulichen Zustand, besonders bei hohem Ladefaktor, abzuhelfen, sind verschiedene Überlegungen angestellt worden.Die Ausgabe von Platzkarten für den innerdeutschen Fluglinienverkehr würde einen unverhältnismäßig großen organisatorischen Aufwand erfordern, der sich kostenerhöhend auswirkt; zudem haben Erfahrungen mit Platzkarten im internationalen Verkehr gezeigt, daß auch sie ein Gedränge beim Besteigen des Flugzeugs nicht verhindern.Eine grundlegende Abhilfe erscheint erst dann möglich, wenn von dem derzeitigen zentralen Abfertigungsverfahren zu einem dezentralisierten Verfahren auf den Flughäfen übergegangen wird. Einen erfolgversprechenden Ansatz hat hier die Deutsche Lufthansa bereits mit der Errichtung ihres Airbus-Dienstes Hamburg—Frankfurt gemacht. Hierbei betreten die Fluggäste nicht mehr schubweise, sondern laufend nach der Reihenfolge ihrer Ankunft das Flugzeug. Um dieses System für den gesamten nationalen und internationalen Verkehr anwenden zu können, bedarf es der Errichtung von sogenannten Fingerflugsteigen. Bei der Neuplanung der Flughäfen Frankfurt und Köln—Bonn, denen andere Flughäfen sicher später folgen werden, sind derartige funktionsgerechte Flughafengebäude bereits vorgesehen. Zu ihrer Errichtung bedarf es natürlich erheblicher öffentlicher Mittel.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964 6523
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hübner.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bundesminister, muß ich Ihrer Antwort entnehmen, daß Sie den jetzigen Zustand so belassen wollen, bis die Flugplätze entsprechend umgebaut werden können? Es ist ja, wie Sie soeben sagten, doch damit zu rechnen, daß darüber noch viel Zeit vergehen wird.
Herr Kollege, ich habe dazu gar nichts zu sagen, vielmehr steht das vollständig in der Hand der Flughafengesellschaften, die den Betrieb der Flughäfen in dieser Beziehung allein zu betreuen haben.
Eine weitere Frage, Herr Hübner!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Minister, besteht für Sie auch keine Einwirkungsmöglichkeit aus dem Grunde, weil im innerdeutschen Verkehr Fluglinien betrieben werden, die stark von der öffentlichen Hand bezuschußt werden? Ich denke an den Berlin-Verkehr.
Der Verkehr, der sich auf dem Flughafen zwischen dem Abfertigungsgebäude und den Flugzeugen und innerhalb des Abfertigungsgebäudes abwickelt, ist nicht Angelegenheit der Flugverkehrsgesellschaft, sondern Angelegenheit der Flughafengesellschaft. Wir haben also darauf keinen Einfluß; sonst hätten wir über die Lufthansa darauf Einfluß nehmen können.
Keine weiteren Fragen?
Wir kommen nun zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr, die in der Drucksache IV/2399 aufgeführt sind.
Ich rufe die Frage VI/1 — des Abgeordneten Lang — auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die durch den verstärkten Nachtflugverkehr auf dem Flughafen München-Riem zunehmende Lärmbelästigung der Bevölkerung wenigstens von nachts 23 Uhr bis 6 Uhr früh einzudämmen?
Es ist richtig, daß auf dem Flughafen München-Riem auch Nachtflugverkehr — zur Zeit 18 Landungen und 12 Starts in der Woche — abgewickelt wird, der naturgemäß gewisse Lärmauswirkungen hat. Zugelassen sind dabei nur Luftfahrzeuge des Linien-und des gewerblichen Verkehrs, aber keine Sport-und Geschäftsflugzeuge. Hierbei wird offenbar der Stadtteil Trudering besonders betroffen. Um hier Abhilfe zu schaffen, wäre es Aufgabe des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft und Verkehr, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Dieses hat auch, soweit mir bekannt ist, in dieser Beziehung bereits gewisse Maßnahmen ergriffen. Das ist aber keine Angelegenheit, die ich von mir aus regeln könnte.
Eine Zusatzfrage? — Bitte sehr!
Herr Minister, sind Sie nicht der Meinung, daß der Lärm noch mehr gedämpft werden könnte, wenn das Anfahren etwas geräuschloser vonstatten ginge? Es gibt Maschinen, die eine halbe Stunde brauchen, bis sie überhaupt starten, und die dabei einen sehr großen Lärm erzeugen.
Herr Kollege, die Maschinen sind natürlich auch in ihrem Lärmfaktor verschieden, je nachdem, ob es sich um Kolbenmotorflugzeuge, Turboprop-Flugzeuge oder Düsenflugzeuge handelt. Der Lärmfaktor, den die Maschinen haben, läßt sich insbesondere mit Rücksicht auf die Sicherheit nicht ohne weiteres verkleinern; darüber können wir keine Vorschriften machen, weil der volle Einsatz der Motoren beim Start vor allen Dingen sicherstellt, daß kein Durchsacken und kein Absturz beim Startvorgang, der bekanntlich der schwierigste Teil des ganzen Fluges ist, erfolgt.
Keine weiteren Fragen!
Wir kommen zur Frage VI/2 — des Abgeordneten Kulawig —:
Aus welchen Gründen hat es die Bundesregierung versäumt, gemäß Artikel 70 Abs. 4 des Vertrages über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl bei der Hohen Behörde Antrag auf Genehmigung der zwischen der Deutschen Bundesbahn und der saarländischen Regierung vereinbarten Anwendung von Ausnahmetarifen lin Binnenverkehr zu stellen?
Bitte, Herr Minister!
Ein Versäumnis der Bundesregierung, Herr Kollege, liegt nicht vor. Bei den Als-ob-Tarifen, die die Bundesbahn am 1. Juni 1964 im Wettbewerb gegen den geplanten Saar-Pfalz-Kanal eingeführt hat, handelt es sich nach Ansicht der Bundesregierung um Maßnahmen des Wettbewerbs nach Art. 70 Abs. 5 des Montan-Vertrages, die — auch entsprechend jahrelanger Praxis — der vorherigen Genehmigung der Hohen Behörde nicht bedurften. Die Hohe Behörde vertritt allerdings die Auffassung, daß ihre vorherige Genehmigung nach Art. 70 Abs. 4 des Vertrages notwendig gewesen sei. Die Bundesregierung hat ihre Rechtsauffassung der Hohen Behörde bereits mitgeteilt und ihr die für die Beurteilung erforderlichen Unterlagen übermittelt.
Keine weiteren Fragen.
Frage VI/3 — des Abgeordneten Dröscher —:
Wie kann erreicht werden, daß die motorisierten Verkehrsteilnehmer mehr als bIsher angehalten werden, ihre Fahrzeuge auf den Fahrbahnen der öffentlichen Straßen so weit rechts wie möglich zu halten?
Herr Kollege Dröscher, nach § 8 Abs. 2 der Straßenverkehrsordnung haben die Führer von Fahrzeugen
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6524 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964
Bundesminister Dr.-Ing. Seebohm
Rede von: Unbekanntinfo_outline
„Fahre , rechts und die Straße wird breiter!"
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dröscher!
Herr Bundesminister, wie weit sind Ihre Untersuchungen darüber gediehen, ob es nicht zweckmäßiger wäre, die breiteren Bundesstraßen mit drei Fahrbahnen zu versehen, damit zwangsweise eine rechte Fahrbahn eingehalten wird?
Herr Kollege, ich habe in diesem Hohen Hause schon wiederholt gesagt, daß drei Fahrbahnen eine Mindestbreite von 10 m verlangen und daß bei unserem Regelquerschnitt von 7,50 m die Einrichtung von drei Fahrbahnen besonders bei den großen und schweren Lastzügen Gefahren mit sich bringt, weil dann die mittlere Bahn — in der Art, wie dass im Ausland üblich ist — zu Überholzwecken benutzt wird, und das führt gerade bei schmalen Straßen immer wieder zu der Gefahr frontaler Zusammenstöße von Fahrzeugen, die wir wegen der Schwere solcher Unfälle vermeiden müssen.
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Dröscher.
Herr Bundesminister, haben Sie eine ungefähre Vorstellung davon, wieviel Prozent der Unfälle dadurch verursacht werden, daß sich eine Reihe von Fahrern, vor allen Dingen unsichere Fahrer, an den Mittelstrich halten, anstatt rechts zu fahren?
Verehrter Herr Kollege, ich halte dieses Festhalten am Mittelstrich für absolut abwegig. Aber das ist leider eine Eigenschaft, die man nur durch Propaganda nach und nach wegbekommt. Hierauf sollten die Exekutivbehörden, die einen stärkeren Einfluß auf die Fahrer haben, einwirken. Es sind genügend Polizeistreifen da, die solche Fahrzeuge ruhig einmal anhalten und die Fahrer darauf hinweisen können, daß der Mittelstreifen nicht eine Anleitung zur Befahrung mit dem linken Reifen ist, sondern eine Anleitung, daß man unter keinen Umständen weiter auf die Mitte der Straße fahren darf.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schwabe.
Herr Minister, würden Sie es angesichts der von Herrn Kollegen Dröscher aufgezeigten Häufigkeit der Unfälle infolge Linksfahrens nicht für gut halten, von der von Ihnen genannten Möglichkeit der Unterrichtung oder Verkehrspropaganda gerade jetzt zu Beginn der Reisezeit mehr Gebrauch zu machen?
Ich danke für die Anregung. Wir werden das tun und die Landesverkehrsbehörden noch einmal darauf hinweisen, daß ihre Exekutivorgane darauf achten sollten, und der Presse eine entsprechende Mitteilung geben.
Damit ist die Fragestunde geschlossen.
Bevor wir in der Erledigung der Tagesordnung fortfahren, muß ich eine Mitteilung korrigieren, die ich im Hause heute vormittag gemacht habe. Nach dem Punkt 26, der als erster aufgerufen werden soll, sollen die Punkte 28 bis 32 folgen, also die Konjunkturdebatte. Dann wird man sehen müssen, wie der Rest der Tagesordnung behandelt wird.
Ich rufe jetzt den Punkt 26 auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Ausführungsgesetzes zu Artikel 26 Abs. 2 des Grundgesetzes (Drucksache IV/2355).
Es ist mir mitgeteilt worden, daß die Begründung zu diesem Gesetzentwurf schriftlich zu Protokoll gegeben werden soll.
Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Die Aussprache ist geschlossen.
Die Vorlage soll an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Inneres zur Mitberatung überwiesen werden.
— Rechtsausschuß? Hier steht nichts dergleichen. Ist das ein Vorschlag oder ein Antrag?
— Der Vorschlag lautet anders: Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten als federführender Ausschuß und Ausschuß für Inneres zur Mitberatung. Wenn Sie etwas Zusätzliches wollen, müssen Sie es beantragen.
Herr Abgeordneter Mommer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht hier um ein Ausführungs-
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964 6525
Dr. Mommergesetz zum Grundgesetz. Schon deswegen empfiehlt es sich, den Rechtsausschuß zum federführenden Ausschuß zu machen. Das Gesetz hat außerdem außenpolitische Aspekte; deswegen soll es zur Mitberatung an den auswärtigen Ausschuß überwiesen werden. Es ist nichts dagegen einzuwenden, daß sich auch der Innenausschuß damit befaßt. Aber die Federführung sollte beim Rechtsausschuß liegen.
Sie sind einverstanden. Dann würde also die Überweisung an den Rechtsausschuß als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten sowie den Ausschuß für Inneres als mitberatende Ausschüsse erfolgen. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe die Punkte 28 bis 32 der Tagesordnung auf:
28. a) Beratung des Berichts der Bundesregierung über die Wirtschaftsentwicklung im Jahre 1963 und die Aussichten für 1964
b) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes ;
29. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Einkommensteuergesetzes, des Körperschaftsteuergesetzes und des Kapitalverkehrsteuergesetzes ;
30. Beratung des Schriftlichen Berichts des Außenhandelsausschusses über die von der Bundesregierung vorgelegte Neunundsechzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1963 (Konjunkturpolitische Zollsenkung) (Drucksachen IV/2313, IV/2362) ;
31. Beratung des Schriftlichen Berichts des Außenhandelsausschusses über die von der Bundesregierung vorgelegte Zweiundsiebzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1963 (Konjunkturpolitische Zollsenkung — II. Teil) (Drucksachen IV/2314, IV/2360);
32. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Körperschaftsteuergesetzes, des Spar-Prämiengesetzes, des WohnungsbauPrämiengesetzes und anderer Gesetze (Drucksache IV/2400).
Wir beginnen mit einer allgemeinen Aussprache. Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich diese Aussprache eröffne, so ist es doch nicht meine Absicht, eine wirtschaftspolitische Rede zu halten. Vielmehr beabsichtige ich, die Themen, mit denen wir uns hier zu befassen haben, in den politischen Raum zu stellen. Wir wissen, daß es in der Welt viele politische Krisenherde gibt, sei es in Südostasien, sei es in Zypern, ja, sei es auch bei uns angesichts der noch immer offenen deutschen Frage. Aber es gibt auch wirtschaftliche Krisenherde. Der wirtschaftliche Krisenherd in /der Welt — soweit wir nicht von Spannungen in Entwicklungsländern sprechen — ist heute Europa. Europa ist heute das Sorgenkind der freien Weltwirtschaft. Denn im Gegensatz zu den angelsächsischen Ländern ist in Europa, und zwar nicht auf ein oder zwei Länder beschränkt, eine Entwicklung in Gang gekommen, die man nur mit tiefer Sorge betrachten kann. .Die Kosten, die Preise sind in Bewegung geraten, aber von Land zu Land sehr differenziert. Diese Situation spiegelt sich in den Handels- und Zahlungsbilanzen wider.Welches sind die Gründe? Wir sind in Europa — allerdings nicht nur in Europa — .zunehmend von einem Wachstumsfanatismus als Selbstzweck ergriffen worden. Wachstum ist bestimmt etwas Gutes und Erstrebenswertes, soweit die Kapazitäten und die menschliche Arbeitskraft ausreichen, um diese Expansion zu bewältigen, und solange diese Expansion insbesondere im Zeichen stabiler Preise steht.Wir — und wenn ich „wir" sage, meine ich jetzt nicht nur uns Deutsche allein — haben uns wohl allzusehr Wunschträmen hingegeben. Wir haben die Vorstellungen über das Mögliche verloren, und gestehen wir es auch ruhig zu — ich spreche hier für Europa —, daß wir auch nicht von Großmannssucht frei waren. Hinzu kam, daß eine neue Begriffswelt im Entstehen begriffen war. Die „Planifikation" sollie sozusagen die Wunderwaffe sein, die alle Schäden zu heilen und das ewige Glück auf Erden zu gewährleisten vermag.Nun, die Ernüchterung ist in der Zwischenzeit fast allgemein. Aber, meine Damen und- Herren, lassen Sie uns die Dinge nicht nur im europäischen Lichte sehen, sondern von innen nach außen gehen. Ich spreche nicht von jenen Einfältigen, die mit dem Blick auf die Preise immer nur von einer Schuld und von einem Versagen der Bundesrepublik in bezug auf die Wirtschafts- und Konjunkturpolitik sprechen. Erstens ist das zu billig, zweitens ist es töricht und unwahrhaftig dazu. Denn wenn schon Kritik geübt werden soll — und ich bin für jede Kritik empfänglich, wo sie am Platze ist und soweit sie eine sachliche Wurzel hat —, ist zuerst einmal festzustellen, daß die Bundesrepublik innerhalb Europas das stabilste Land geblieben ist.
Haben Sie keine Sorge! Ich komme hier nicht mit Statistiken und Ziffern. Darüber wird insbesondere noch zu sprechen sein, wenn Wirtschaftsminister Schmücker den Wirtschaftsbericht interpretiert.Wir haben eine nationale Verantwortung vor unserem Volk, vor allen denen, denen die Erhaltung unserer Kaufkraft am Herzen liegt, ja Schicksal bedeutet. Diese Verantwortung, die die Bundesregierung, aber auch dieses Hohe Haus, tragen, ist in sich schon groß genug. Wir brauchen also nicht erst nach außen zu schauen, um von dort her Begründungen oder Entschuldigungen zu suchen.
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6526 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964
Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhard1 Aber wir haben auch eine europäische Verantwortung. Nichts beleuchtet die Situation besser — ich meine den Fortschritt hin zu einem einigen Europa — als die Tatsache, daß wir heute mehr denn je erkennen, wie wenig ein einzelnes Land in sich noch eine stabile Ordnung gewährleisten kann bzw. im ganzen mit seinen Problemen fertig zu werden in der Lage ist. Vielmehr ist Europa heute schon als ein Ganzes aufgerufen, in Gemeinsamkeit zu handeln.Wenn ich trotzdem von einer deutschen Verantwortung für Europa spreche, dann deshalb, weil es gar nicht mehr zu bestreiten ist, daß wir fast eine Insel der Stabilität geblieben sind und darum sozusagen den Kompaß, den Standard, den Maßstab bilden für das, was in anderen Ländern möglich und notwendig ist, um ein völliges Auseinanderleben der europäischen Länder oder gar eine offene Inflation zu verhindern.Die Bundesregierung hat mit Zustimmung dieses ganzen Hohen Hauses schon im Jahre 1964 einen Haushalt verabschiedet und — wie ich gerne zugebe — auch verteidigt, der mit 60,3 Milliarden DM in etwa dem realen Zuwachs entsprach, der von 1963 auf 1964 zu verzeichnen war. Die Bundesregierung hat, wie Sie wissen, auch den Haushalt für 1965 schon verabschiedet, und zwar erstmals zu einer Zeit, die es ermöglicht, daß er noch vor den Ferien dem Bundesrat zugeleitet werden konnte. Wir haben getreu den Empfehlungen der Europäischen Kommission, an denen wir mindestens geistig maßgebend mitgewirkt haben, einen Zuwachs von 6 % angenommen. Wenn Sie davon 1% für konjunkturpolitisch neutrale Ausgaben wie etwa Schuldenrückzahlung an die Bundesbank abziehen, bleibt unser Haushalt innerhalb der gesetzten Norm von 5 %.In einem Gespräch mit den Ministerpräsidenten der Länder ist mir von diesen zugesichert worden, daß auch die Länderhaushalte in diesen Grenzen bleiben werden, so daß von dieser Seite her keine Störung oder zusätzliche Spannung in der Entwicklung von Löhnen, Kosten und Preisen eintritt, solange die Mittel nicht geballt eingesetzt werden.
Allerdings kommt dazu noch die große Zahl der öffentlichen Hände, d. h. der Städte und Gemeinden, auf die die Bundesregierung überhaupt keinen Einfluß hat und die Länder, wie sie sagen, nur einen sehr peripheren Einfluß ausüben können. Ich bin der Meinung und würde das gern zum Vorschlag erheben: wenn die Bundesregierung vor dem ganzen deutschen Volk den Haushalt sowohl in seiner Höhe wie auch in seiner Substanz offenlegt, dann sollten die Länder ein Gleiches tun, und es müßte dann auch das Anliegen der Städte sein, vor dem deutschen Volk zu bezeugen, daß sich ihr Verhalten in die allgemeinen, politischen, konjunkturpolitischen, wirtschaftlichen und sozialen Notwendigkeiten einfügt.
Wenn überhaupt jemals eine antizyklische Konjunkturpolitik richtig und notwendig war, dann indiesem Augenblick. Aber, meine Damen und Herren, wie oft ist auch in diesem Hause empfehlend von antizyklischer Konjunkturpolitik gesprochen worden, und wie wenig ist dabei herausgekommen! Manche Bemühungen von seiten der Regierung sind von diesem Hohen Haus meistens zunichte gemacht worden.
— Ja, meine Damen und Herren, das ist doch kein Geheimnis mehr, daß die Parlamente — ich weiß nicht, ob es nur in Deutschland so ist — im Prinzip ausgabewillig sind. Angesichts dieser Lage ist es natürlich schwer — ich erinnere an meine Regierungserklärung —, eine gemäße Rang- und Wertordnung der Ausgaben zu wahren. Es wird indessen mein Anliegen bleiben, dieses Prinzip in die Tat umzusetzen.
Es hat sich in Deutschland ein neuer Begriff herausgebildet: der sogenannte Nachholbedarf. Einer läuft dem andern nach. Es ist ein Wettrennen mit dem eigenen Schatten, und wir kommen niemals zum Ende. Ich bin der Meinung, daß wir künftig in unserer Ausgabenpolitik nicht nur rückwärts blikken, nicht immer nur fragen sollten, ob und wo noch etwas nachzuholen ist — denn immer ist noch etwas nachzuholen —, sondern wir sollten mehr vorwärts blicken, um zu erkennen, was notwendig ist, um uns eine gute und sinnvolle Ordnung zu erhalten.
Meine Damen und Herren, ich spreche wirklich zu diesem ganz en Hause. Wenn wir uns wechselseitig weiter treiben in der Überbietung um die Gunst der Gruppen, dann kann dieses Parlament seine Aufgaben nicht erfüllen, es bleiben dann wichtigste Anliegen auf der Strecke. Wenn es sich bei Ausgaben im obigen Sinne um 100 Millionen handelt, wird das Geld verhältnismäßig leicht zusammengebracht, jedenfalls ist man aufgeschlossen. Aber ich denke daran, was angesichts dieser 100 Millionen DM, deren Dringlichkeit und Nützlichkeit und Rangordnung ich nicht immer ohne weiteres anzuerkennen bereit bin, dann nicht geleistet, nicht erfüllt werden kann! Das bedarf auch einmal der Beleuchtung. Kommen Sie einmal herum in der Welt! In der Darbietung unseres kulturellen Lebens, in unseren Aufwendungen für Schulen und andere Einrichtungen, mit denen der deutsche Name verbunden ist, bieten wir das Bild eines unterentwikkelten Landes. Und wie steht es um die Gemeinschaftsaufgaben, von denen wir so gerne sprechen!Meine Damen und Herren! Wie ist denn das: Wenn wir ein Sozialprodukt von 400 Milliarden DM haben und wir errechnen einen realen Zuwachs von 5 %, dann bedeutet das ein Mehr von 20 Milliarden DM, die das ganze deutsche Volk, sei es für staatliche Investitionen, sei es für private Investitionen zum Zweck der Rationalisierung und Modernisierung, sei es für Zwecke des menschlichen Konsums und für soziale Ausgaben zur Verfügung hat. Kurz und gut, wir können es drehen und wenden, wie wir wollen, wir haben nicht mehr als 20 Milliarden DM zur Verfügung, und damit müssen wir auskom-
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Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhardmen. Es wäre eigentlich recht und billig, wenn wir zu diesem Grad von Gemeinsamkeit und von gemeinsamer Verantwortung hinfänden, dann die Frage zu stellen — hier im Parlament, aber jeder einzelne auch vor seinem Gewissen —: Wie macht man von diesen 20 Milliarden DM den richtigen Gebrauch?Aber, meine Damen und Herren, wenn das dann ausartet in einen Wettlauf der Privilegierten, derjenigen, die sozusagen „am dransten" sind, weil gerade in ihrem Bereich zufällig und nicht durch eigenes Verdienst der Produktivitätsfortschritt am höchsten ist oder weil eine Gruppe besonders mächtig auftreten kann, ja, dann kommt es dahin, daß man, wie ich gelesen habe, allenthalben bereit ist, jetzt einen „vollen Schluck aus der Pulle" zu nehmen.
Meine Damen und Herren! Wenn alle diejenigen, die einen vollen Schluck aus der Pulle zu nehmen in der Lage sind, zugreifen können, dann ist die Pulle sehr schnell leer. Aber ich frage mich: Wie steht es dann mit den anderen, die auch einen sogenannten Nachholbedarf haben und deren Ansprüche an das Leben man füglich nicht zurückweisen kann?
Nein, meine Damen und Herren, so geht es nicht — und hier spreche ich von unserer Verantwortung im besonderen —, daß zuerst einmal die Kassen für individuelle Ansprüche geleert werden, Vergünstigungen für diese oder jene Gruppen gewährt werden, und daß dann, wenn Gemeinschaftsaufgaben nicht mehr erfüllt werden können, es die Schuld der Bundesregierung sein soll, die versagt habe. Nein, diese Verzerrung der Tatsachen wird die Bundesregierung auf die Dauer nicht wortlos hinnehmen; sie läßt sich nicht anklagen für die Sünden, deren Wurzel nicht bei ihr, sondern andernorts liegen.Ich gebe dabei gerne zu, daß auch das Parlament nicht primär ausgabefreudig ist. Das geht uns alle an; denn in der Öffentlichkeit wird ja allgemein auf die öffentliche Hand als den Schuldigen hingewiesen. Jeder, der selbst keine Hemmungen hat, immer höhere Ansprüche an das Sozialprodukt, an seinen Lebensstandard, an höhere Einkommen zu stellen, meint gleich wohl: Schuldig ist allein die öffentliche Hand. In Wahrheit spiegelt die Ausgabenpolitik der öffentlichen Hand eigentlich nur das Verlangen der Menschen wider, über den Staat, d. h. über die öffentlichen Haushalte zu einer immer wieder anders gearteten Neuverteilung und Umverteilung des Volkseinkommens zu gelangen. Hier wird die Nachgiebigkeit für ein Parlament und für eine Regierung nicht nur zur Schuld, sondern sie wird geradezu zum Fluch.Nun möchte ich doch auch die Opposition im besonderen ansprechen. Ich identifiziere Sie nicht schlechthin mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund, der vorsichtigerweise sein Programm erst gestern abend herausgegeben hat, so daß es heute noch gar nicht in der Zeitung stehen konnte. In etwa aber ist das Programm des DGB ja bekannt. Ich, meine Damen und Herren; habe z. B. keine Hemmungen, auch die deutsche Wirtschaft, insonderheit die Industrie,anzusprechen. Ich habe das jetzt wiederholt getan und darauf hingewiesen, daß dort, wo durch Rationalisierungserfolge, oder besonders hohe Produktivität Preissenkungen möglich sind, davon Gebrauch gemacht werden soll, sowohl im Interesse des deutschen Verbrauchers, aber nicht zuletzt auch deshalb, um den an dieser Stelle zwangsläufig auftretenden überhöhten Anforderungen nicht mehr entsprechen zu können. Es sollen keine Beispiele gesetzt werden, die einen Standard für Forderungen auch dort auslösen, wo sie einfach nicht zu erfüllen sind.Meine Damen und Herren, ich vermisse, daß auch Sie den Mut haben, Dinge und Probleme anzusprechen, die nun einmal erklärtermaßen Schwächen aufweisen. Solche Mängel müssen angesprochen werden. Wenn man mit offenen Augen durch die Welt geht, Gespräche führt — mit wem auch immer, nicht etwa nur mit den Betriebsführern oder mit großen Bossen —, spürt, ja, weiß man doch, daß es um unsere Arbeitsmoral nicht überall zum allerbesten bestellt ist.
— Da sehen Sie! Ja, das wollen Sie nicht hören!
Die Krankheitsquote ist doch auch nicht echt. Ich gebe gerne zu, daß die moderne Technik und die Automation ungeheure Anforderungen an den einzelnen Menschen stellen, nicht nur physischer, sondern auch psychischer Art. Aber das ist doch nicht nur in Deutschland so. Daß deutsche Menschen darauf anders reagieren als andere Völker, ist jedenfalls nicht wahrscheinlich. Alle diese Unzulänglichkeiten gehen in der Auswirkung zu Lasten des deutschen Volkes, insbesondere der arbeitenden Menschen. Jeder, der bummelt, jeder, der „krank feiert", jeder, der in seiner verkürzten Arbeitszeit nicht seine volle Arbeitskraft einsetzt, bestiehlt im Grunde genommen den Arbeitskameraden.
Ich sprach schon eingangs davon, daß es eine wissenschaftliche Erkenntnis ist — und das wird auch in Ihrem Lager ganz deutlich gesehen —, daß heute kein Land mehr für sich und in sich allein alle Dinge befriedigend ordnen kann. Aber dann möge man aus dieser Erkenntnis auch die Nutzanwendung ziehen und nicht in der Öffentlichkeit trotz dieser Erkenntnisse — wahrheitswidrig — parteipolitische Angriffe gegen die Regierung richten. Was als Erkenntnis erhärtet ist, darf in der Öffentlichkeit nicht ins Gegenteil verzerrt werden.Nun haben wir heute eine ganze Reihe von Verordnungen zu behandeln. Ich wäre dem Hohen Hause sehr dankbar, wenn es mit dieser Besinnung, auf die wir auf die Dauer ohnedies nicht verzichten können, an die Probleme heranginge. Seien Sie sich dessen bewußt: Es gibt auch noch andere Mittel, die insbesondere die Kreditpolitik griffiger machen.
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6528 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964
Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. ErhardWenn Sie mich fragten, ob ich die vorgeschlagenen konjunkturpolitischen Maßnahmen schon für ausreichend halte, dann würde ich eher zu sagen geneigt sein —
Wir wissen ja, wie schwer manche Dinge durchsetzbar sind. Sie müssen ja nicht nur unter den Ressorts abgestimmt werden. Wir wissen dazu, welche Sorge und welche Mühe es bereitet, etwa im Kreise der Sechs ein gleichförmiges Verhalten zu erreichen. Sie werden darüber in der Presse lesen, und wenn Sie sich dafür interessieren, kann ich Ihnen das sehr leicht noch im Detail darlegen.Die Handels- und Zahlungsbilanzüberschüsse, aber auch die negative Form der Unterschüsse, sind ein Beweis dafür, daß etwas nicht in Ordnung ist, daß die europäischen Volkswirtschaften etwas aus den Fugen geraten sind.Nun habe ich wiederholt gesagt und wiederhole es auch von dieser Stelle aus: wir denken nicht an eine Änderung der Wechselkurse, also kurz gesagt, an eine Aufwertung. Denn es ist unmöglich, es wäre widersinnig, ja es wäre fast ein Anreiz für andere, es weiterhin an Disziplin mangeln zu lassen, wenn wir jeweils nachliefen, um durch unsere Maßnahmen das Versagen ,an anderer Stelle zu heilen.
Das ist kein Rezept! Wir würden dann wirklich insSchwimmen geraten. Denn wo ist dann eigentlich der Standard, wo und wann hört dann endlich einmal dieses Spiel auf?Das gleiche gilt in bezug auf die sogenannten Bandbreiten, die ja auch in der Öffentlichkeit erörtert worden sind. Bandbreiten — das hört sich ganz schön an; aber wie die Dinge im Augenblick liegen, bedeutet ,das, daß das eine Land sofort am oberen Punkt und das andere Land sofort am unteren Punkt anlangt. So handelte es sich praktisch um eine kombinierte Ab- und Aufwertung. Auch das kann also nicht Heilung bringen. Überhaupt kann man von technischen Manipulationen keine Wunder erwarten; der Kern liegt im Innern, in der Ordnung und in den Grundlagen der Politik.Europa steht, wie ich überzeugt bin — und ,das ist eine ganz große und brennende Sorge —, vor der Gefahr, daß das Auseinanderlaufen — nicht nur innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft — nicht nur die wirtschaftliche Intregration gefährdet, sondern auch die politische Kraft dieses Europas schwächt. Man kann Gesetze der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft nicht 'so vollziehen, als ob dabei Kosten- und Preis-Veränderungen überhaupt keine Rolle spielten. Es wird sich vielmehr erweisen, daß dieses oder jenes Land nationale Sonderregelungen für sich beansprucht, wenn es nicht die Kraft findet, das Gemäße zu tun. Ich habe auch den Mitgliedern der Europäischen Kommisison, die sehr richtige Empfehlungen .an die einzelnen Regierungen gegeben hat, gesagt: Es scheint mir weniger eine Frage der Einsicht und der Erkenntnis zu sein als eine Frage der politischen Durchsetzbarkeit dessen, wasgetan werden muß, — daran wird man nicht vorbeikommen.
Wenn die einzelnen Länder dazu' nicht in der Lagesind, dann operieren wir — das muß man mit allerDeutlichkeit sagen — mit falschen Wechselkursen.
Es ist tatsächlich so, daß wir eine unzureichende internationale Währungsordnung haben. Auch dieses Problem wird beraten, auch das wird wieder Gegenstand der Konferenz des Währungsfonds sein. Wir sind in den Ausschüssen vertreten, in denen das beraten wird. Niemand wird sagen wollen, daß der derzeitige Zustand der internationalen Geld-und Währungsordnung in idealer Weise funktioniert. Angesichts der Übersteigerungen und Überhitzungen, wie sie nicht nur in der europäischen Wirtschaft, sondern im Rahmen einer weltweiten Konjunktur auch anderwärts in Erscheinung treten, erweisen sich diese Schwächen deutlich genug.Meine Damen und Herren, wenn wir in diesem Jahr unseren Handelsbilanzüberschuß gegenüber dem Vorjahr, ich nehme an, verdreifachen — ich rechne, daß wir in diesem Jahr mit einem Handelsbilanzüberschuß von 9 Milliarden DM abschließen —, dann ist zu fragen, was das bedeutet? Wir liefern um 9 Milliarden DM mehr Güter an das Ausland, als wir einführen. Wir bekommen Zahlung, aber Zahlung nach den geltenden Wechselkursen.
Die innere Kaufkraft der einzelnen Währungen ist jedoch außerordentlich unterschiedlich. Daher möchte ich sagen, daß jedes Mehr an Export, d. h. jeder Exportüberschuß, jedes Plus in unserer Handelsbilanz einen Verlust für unsere deutsche Volkswirtschaft bedeutet.
Aber es ist auch nicht ganz einfach, diese Wirkung zu paralysieren. Es wird über Zollsenkungen beraten werden, über Zollsenkungen im inneren Bereich der Sechs. Was aus dem deutschen Vorschlag wird, im Vorausgriff und in Anrechnung auf die Kennedy-Runde die Zölle gegenüber Drittländern um 25% zu senken, weiß ich nicht. Aber wenn Sie mich fragen, möchte ich antworten: Ich bin nicht allzu optimistisch, ob der Vorschlag Annahme finden wird. Im übrigen ist die deutsche Wettbewerbsposition nicht etwa gleichartig gegenüber allen anderen Ländern. Das schaffte auch die Problematik bei der Zollsenkungsvorlage. Gegenüber den Ländern, die in einen gefährlichen tendentionell inflationären Kurs geraten sind, bestünden keine Bedenken. Aber wir stehen auch im Wettbewerb mit den angelsächsischen Ländern, mit Großbritannien, mit den Vereinigten Staaten. Mit ihnen stehen wir dort im Defizit, und diese Länder zeichnen sich durch ein besonders hohes Maß von Stabilität, aber auch von Disziplin der Bevölkerung und der Gruppen hinsichtlich der Anforderungen an das Sozialprodukt oder den Staat aus.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964 6529
Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. ErhardMeine Damen und Herren, es wäre dringend wünschenswert, wenn wir als immerhin zweitgrößtes Welthandelsland auch daran dächten, unseren eigenen Kapitalexport zu verstärken, einmal, um die Überschüsse in der Handelsbilanz, in der Zahlungsbilanz besser auszugleichen, zweitens aber auch, um den deutschen Markt etwas zu entlasten und beschäftigungsmäßig ein besseres Gleichgewicht zu finden, aber auch durch Zulieferungen vom Ausland bzw. durch deutsche Investionen zur inneren Stärkung, aber auch zur Festigung der Beziehungen innerhalb der freien Welt beizutragen. Wir werden auf die Dauer ohnedies nicht darauf verzichten können, das zu tun. Aber man sollte nicht sagen, daß man von einem Unternehmer nur dann verlangen könne, Geld im Ausland zu investieren, wenn er dazu steuerlich massiv angereizt wird. Es gehört zum Wesen eines Unternehmers, daß er bereit ist, solche Aktionen in eigener Verantwortung zu tun und das Risiko selbst zu tragen, — um so mehr er ja die freie Wahl hat, in welchem Land er sich betätigen will.Im ganzen gesehen ist die deutsche Situation dadurch gekennzeichnet, daß die Auslandsnachfrage weiter anhält und daß neben den Bewegungen innerhalb des Gemeinsamen Marktes heute auch andere europäische Länder in einen gefährlichen Trend geraten sind. Heute ist es nicht mehr so, daß die Auftragseingänge nur aus dem EWG-Raum besonders hoch sind. Nein, sie steigen auch aus anderen Ländern. Die Konjunktur wird offensichtlich von den Unternehmern günstig eingeschätzt, und das bewirkt wieder eine lebhaftere Nachfrage nach Investitionsgütern. Wir verzeichnen das nicht nur in den Beschäftigungszahlen oder im Auftragseingang der entsprechenden Industrien, wir spüren es auch in der Bauwirtschaft, in der der Wirtschaftsbau wieder sehr stark nach vorn gerückt ist. Es ist also eine allgemeine Nachfrageexpansion zu erwarten.Meine Damen und Herren! In dieser Situation müssen wir den möglichen Entwicklungen ins Auge schauen, um zu verhindern, daß unser Produktionspotential überfordert wird. Wir stehen mehr und mehr vor einer Auslastung der Kapazitäten innerhalb der deutschen Wirtschaft. Die Auftragsbestände steigen weiter an. Die Fertigwarenläger nehmen ab.Wie die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt liegen, brauche ich nicht zu sagen. Ich bleibe dabei, daß wir in dieser Situation, in der wir bei allen politisch bedenklichen Nebenerscheinungen eine Million fremder Arbeitskräfte bei uns beschäftigen, in der wir genau 627 000 offene Stellen nicht mehr besetzen können, endlich aus solcher Erkenntnis heraus fürs nächste einmal auf weitere Arbeitszeitverkürzungen verzichten sollten.
Ich habe mit dem Gewerkschaftsbund gesprochen. Er sagt: wir werden Kürzungen nicht generell zum allgemeinen Maßstab erheben, denn wir haben auch bisher immer dort Rücksicht genommen, wo die Grenzen sichtbar sind und die Verhältnisse anders gelagert sind. Ich bin bereit, das anzuerkennen. Aber glauben Sie wirklich, daß diese These hält?Auch in diesem Bereich wird der Nachholbedarf angemeldet werden und durchschlagen. Wir werden diesem verhängnisvollen Circulus vitiosus nicht entrinnen können.Sie wissen auch von den Maßnahmen, die die Deutsche Bundesbank zur Abwehr von heißem oder spekulativem Geld aus dem Ausland ergriffen hat, sei es in der Verweigerung der Verzinsung, sei es in der Mindestreservenpolitik. Sie wissen, daß allein die Ankündigung der Kapitalertragsteuer eine erfreuliche Wirkung hatte, d. h. eine Umkehrung der Geldströme vom Zulauf zur Abwanderung bewirkte. Das alles liegt im Sinne einer richtigen Konjunkturpolitik.Ich möchte wünschen, daß diese Debatte nicht nach Art von Scheingefechten geführt wird, in denen man sich erhitzt und gegenseitig Vorwürfe macht. Das habe ich auch nicht getan. Ich habe Ihnen sagen wollen, wie ich die Lage beurteile.Meine Damen und Herren, ich bin doch immer wieder erschüttert, wenn ich ständig höre, die Bundesregierung tue nicht genug, Ja, ist es denn in Deutschland wirklich so, daß man vom deutschen Volk in allen seinen Schichten und seinen Vertretungen überhaupt keine Vernunft und keine Einsicht erwarten darf?
— Sie halten es für unzumutbar? Ich halte es eigentlich für das vernünftigste von der Welt, meine Damen und Herren.
Denn hier schimmert eine gefährliche deutsche Eigenschaft durch, nämlich die: gehorcht wird nur, wenn der Befehl erteilt wird und wenn man unter Zwang steht.
Ich meine, das ist auch für unser öffentliches, soziales und gesellschaftliches Leben ein schlechtes Prinzip. Wo Gesetze notwendig sind, um die Dinge in die rechte Bahn zu lenken, da soll gewiß nicht darauf verzichtet werden. Aber der einzelne Staatsbürger soll sich in seinen Vertretungen nicht so gebärden, als ob er überhaupt keine Verantwortung trage, ihn unsere gemeinsame Zukunft nichts anginge.
Das gehört alles zusammen, wenn wir ein Volk und im besten Sinne des Wortes eine Gemeinschaft sein wollen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Präsident Meine Damen! Meine Herren! Der Herr Bundeskanzler hat durch die Tatsache seiner Erklärung und durch deren Inhalt die Bedeutung der Fragen, die uns heute beschäftigen werden, hervorgehoben. Wir stellen er-
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6530 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964
Dr. Barzelfreut fest, Herr Bundeskanzler, daß hier eine gute Übung entsteht, indem der Kanzler und die Regierung von sich aus die Debatte hier im Hause suchen und sich stellen. Das ist ein guter Stil, den wir begrüßen.
Die Fraktion der CDU/CSU wird immer und gerne die auf innere Stabilität, auf Erhaltung des guten deutschen Geldes, auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt gerichtete Politik der Bundesrepublik unterstützen.In diesem ersten kurzen Beitrag unserer Fraktion möchte ich mich auf fünf Punkte beschränken:Erstens. Ein Blick auf die Verbraucherpreise westlicher Länder — der Bundeskanzler hat davon gesprochen, wir seien das stabilste Land in Europa, und der Wirtschaftsminister wird sicher die einzelnen Daten vorlegen — zeigt, daß wir — wenn man die Preise des Jahres 1953 gleich 100 setzt — bei 124 liegen, Italien bei 137, Norwegen bei 138, Schweden bei 139, um nur einige zu nennen. Der Hinweis auf diese Daten ist zwar kein Anlaß, die Dinge bei uns treiben zu lassen, aber wohl geeignet, die Diskussion zu versachlichen. Dies wenigstens ist unsere Absicht, und wir stimmen auch insoweit mit der Schlußbemerkung des Herrn Bundeskanzlers überein. Bei diesem Blick auf andere Länder darf ich als bekannt voraussetzen, welche politischen Gruppen dort regieren und welche wirtschaftspolitischen Prinzipien und Methoden dort angewandt werden.Zweitens. Die Entwicklung bei uns ist nicht ganzohne mögliche künftige Gefahren. Es ist aber kein Beitrag zu dem Bemühen, diese Gefahren zu bannen, wenn wir uns in eine Krise hineinreden, die wir noch gar nicht haben.
Meine Damen! Meine Herren! Mit allem Nachdruck weisen wir die Behauptung unseres sozialdemokratischen Kollegen Möller zurück, der am 23. Juni laut SPD-Pressedienst ausführte, die deutsche Wirtschaftspolitik steuere gegenwärtig einen Inflationskurs. Herr Kollege Möller, solcherart Äußerungen helfen nicht, sondern schaden.
Man kann sich in die Dinge hineinreden, und wir alle wissen, daß sich der moderne Wirtschaftsablauf auch im Rahmen psychologischer Vollzüge entwickelt.
Die Tatsachen beweisen das Gegenteil. Sie beweisen, daß der wirtschaftspolitische Wille der Bundesregierung sich schnell in Maßnahmen konkretisiert hat. Auf die neuen Tendenzen in der konjunkturellen Entwicklung mit der Gefährdung des marktwirtschaftlichen Gleichgewichts hat sie zügig reagiert. Ich nenne: die in Verbindung mit der Bundesbank verfolgten und vorbereiteten Maßnahmen zur Abwehr eines nicht vertretbaren Zustroms von Auslandsgeld, die Orientierung der Bundesausgaben an dein realen Zuwachs des Sozialprodukts, das Bemühen der Bundesregierung um ein gleiches Verhalten der Länder und Gemeinden, die Zolisenkungsvorschläge sowie die richtungweisende Politik der Bundesregierung auf der Ebene der EWG zu einer Koordinierung der europäischen Konjunkturpolitik. Das alles — und auch künftige Maßnahmen, Herr Bundeskanzler, — wird von der Fraktion der CDU/CSU begrüßt und unterstützt.
— Wir werden sie gleich auf der Tagesordnung haben, Herr Kollege Erler, und ich bin froh, daß es gestern ein einstimmiges Votum im Ausschuß gab.
— Aber, Herr Kollege Möller, wir wollen diese Debatte nachher führen, und Sie werden sehen, daß es zu einer einstimmigen Zustimmung kommen wird. Es ist aber klar, daß die Sorge vieler Kollegen berechtigt war.
— Aber, Herr Kollege Wehner, ich habe doch vorhin gesagt, daß man die Dinge wirklich durch das Inflationsgerede und durch den Satz, den Herr Kollege Möller gesagt hat,
anheizt und nicht beruhigt, so daß man sie nicht so in den Griff bekommt, wie wir es alle brauchen.
Wir haben die Absicht, die Debatte mit der Ruhe und dem Ernst zu führen, die der Materie angemessen sind.
Meine Damen! Meine Herren! Ich komme zu einem dritten Punkt. In unserer rechtlichen und gesellschaftlichen Wirklichkeit kommt es darauf an, daß alle Kräfte, die auf die ökonomische Entwicklung einwirken, im Bewußtsein gemeinsamer Verantwortung handeln. Unsere Bemühungen werden durchschlagender und wirksamer sein, wenn sich immer mehr die Erkenntnis durchsetzt, daß in einem demokratischen Staatswesen und in einer auf Freiheit begründeten Wirtschaftsordnung nicht nur die Wirtschaftspolitik des Bundes, sondern auch andere Kräfte durch ihr Handeln oder durch ihr Unterlassen Einfluß nehmen auf die wirtschaftliche Entwicklung und auch auf das Preisniveau. Ich nenne die Preispolitik der Unternehmen, die Lohn- und Arbeitszeitpolitik der Gewerkschaften, die Forderungen an die öffentliche Hand. Alles das wirkt auf das Gesamtgeschehen ein.Wir sind weiter bereit — und das haben wir in diesem Jahr mit der harten Begrenzung des Haushalts 1964 bewiesen —, alles zu tun, was in unseren Möglichkeiten steht, um auch künftig unseren Beitrag zu einer Politik wachsenden Wohlstandes für alle bei möglichster Stabilität zu leisten.Diese Politik dient 'zugleich den Sparern, den Rentnern, den Alten und den Schwachen. Ich kann
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964 6531
Dr. Barzelnur unterstreichen, was der Herr Bundeskanzler über den kräftigen „Schluck aus der Pulle" gesagt hat, den Otto Brenner kürzlich für die in aktiver Arbeit Stehenden gefordert hat. Ich will gegenüber dieser Forderung nach einem kräftigen Schluck nicht nur an die Rauschgefahr erinnern, die hier anstekkend sein könnte, sondern auch der Hoffnung Ausdruck geben, daß Herr Brenner und seine Freunde über diesem Durststillen die Flasche nicht leerzutrinken gedenken; denn auch die Schwachen müssen aus der gemeinsamen „Flasche" des wirtschaftlichen Gesamtertrages leben.
Viertens. Nicht jede Mehraufwendung für Leistungen, nicht jede Preissteigerung ist Ausdruck einer Geldentwertung. Die Gegebenheiten im Dienstleistungsgewerbe und im lohnintensiven Bereich sind wohl ebenso bekannt und weltweit wirksam wie die Tatsache, daß höhere Qualitätsansprüche, verbesserter Lebensstandard und Erleichterungen bei den Verrichtungen des Alltags Geld kosten. Hoher Lebensstandard ist teurer als Armut.
Mit dem Blick auf diese Erkenntnisse wie auf die internationale ökonomische Lage, mit der Einsicht in die Tatsachen unserer jährlichen Produktivitätssteigerung, des wachsenden Angebotes, der Zuwachsrate der Spartätigkeit, des steigenden Reallohnes — ich freue mich, daß auch Sie meine Damenund Herren, diese erfreulichen Tatsachen mit Freude zur Kenntnis nehmen —, der zunehmenden sozialen Sicherheit kann und muß man wohl davon sprechen — ich glaube, man muß es in dieser Stunde tun angesichts einiger Unruhe —, daß die Grundlagen für eine weitere gute Entwicklung festgefügt sind, so daß hier zu einem übertriebenen Pessimismus, Herr Kollege Möller, kein Anlaß besteht.Fünftens. Ein Teil unserer Sorgen und Probleme hat seine Ursachen in wirtchaftlichen Entwicklungen anderer Länder. Auch deshalb ermuntern wir die Bundesregierung, ihre europäische Politik unbeirrt fotzusetzen und insbesondere in der EWG eine gemeinsame Stabilisierungspolitik und, wenn auch schwer erreichbar, Herr Bundeskanzler, Senkung der Außenzölle der Gemeinschaft und ein gleichgerichtetes konjunkturelles Verhalten zu erwirken. Wir wissen alle, daß die nationalen Kompetenzen in der EWG heute nicht mehr ausreichen für eine allein national wirksame Stabilisierungspolitik.In diesem werdenden Europa sollten alle Mitgliedstaaten der Gemeinschaft die gleichen Grundsätze und Ziele verfolgen und sich entsprechend verhalten. Weil zudem weder der Gemeinsame Markt automatisch zur politischen Union führt noch ohne politische Gemeinschaft der Gemeinsame Markt seine volle Wirksamkeit erhält, ist es auch sozial und ökonomisch dringend nötig — über andere Argumente haben wir oft 'aus anderem Anlaß gesprochen —, den Motor der europäischen Einigung auf volle Touren zu bringen.
Mit Hinweis auf diese wenigen Punkte — über die Heiterkeit, die sie erregten, freue ich mich; ich nehme an, daß wir dann auch eine muntere Debatte im Verlauf des Tages bekommen werden — möchte ich es in diesem ersten Umgang bewenden lassen. Es wäre gut, wenn vor den Parlamentsferien das ganze deutsche Volk, in dessen Hauptstadt wir uns in der nächsten Woche aus anderem Anlaß treffen werden, sehen könnte, daß wir uns ernsthaft und gemeinsam bemühen, wenn es darum geht, zu erhalten, was wir geschaffen haben, und so die Chancen für einen weiteren sozialen Fortschritt und für eine gute Zukunft zu verbessern.Nach Meinung der Fraktion der CDU/CSU ist die Bundesregierung auf dem rechten Wege. Wir werden sie weiter unterstützen.
Meine Damen und Herren, da um 11 Uhr die Vereidigung des Herrn Bundesministers Dr. Westrick vorgenommen werden soll und zu erwarten ist, daß der nächste Redner längere Zeit sprechen wird, möchte ich dem Hause vorschlagen, die Sitzung für einige Minuten zu unterbrechen und nach der Vereidigung die Debatte fortzusetzen. — Das Haus ist einverstanden.
Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung wird wiederaufgenommen. Ehe ich das Wort dem Herrn Abgeordneten Dr. Möller erteile, rufe ich den Punkt auf, um den die Tagesordnung von heute erweitert worden ist:Vereidigung des Bundesministers für besondere Aufgaben, Dr. Ludger Westrick.Der Herr Bundeskanzler hat mir mit Schreiben vom 20. Juni 1964 mitgeteilt, daß der Herr Bundespräsident auf seinen Vorschlag Herrn Dr. Ludger Westrick zum Bundesminister für besondere Aufgaben ernannt hat.Ich 'bitte den Herrn Bundesminister, zur Eidesleistung heranzutreten und den nach Art. 56 des Grundgesetzes für die Übernahme des Amtes vorgeschriebenen Eid zu leisten. Herr Bundesminister, ich spreche den Eid vor und bitte Sie, ihn mit den Worten „Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe" zu 'bekräftigen.
Der Eid lautet:
Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ,ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde.Sind Sie bereit, Herr Bundesminister, diesen Eid zu leisten?
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6532 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, ich bin bereit.
Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Ich stelle fest, daß der Herr Bundesminister für besondere Aufgaben damit den im Grundgesetz für die Übernahme seines Amtes vorgeschriebenen Eid vor dem Deutschen Bundestag geleistet hat. Herr Bundesminister, ich spreche Ihnen für Ihre Amtsführung Gottes Segen aus.
Wir fahren mit dem aufgerufenen Tagesordnungspunkt fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Möller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich mich unserer Stellungnahme zur konjunkturpolitischen Situation zuwende, gestatten Sie mir einige Vorbemerkungen.Zunächst: Wenn sich in früheren prekären konjunkturpolitischen Situationen die Auffassungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers nicht durchsetzten, so scheiterte er an den Richtlinien der Politik, die vom Herrn Bundeskanzler bestimmt wurden. Heute ist die Situation anders. Heute ist ein Mann Bundeskanzler, der seit der Gründung der Bundesrepublik bis zum Oktober vorigen Jahres Bundeswirtschaftsminister war. Der Herr Bundeswirtschaftsminister Schmücker muß es also sehr leicht haben, vernünftige, wenn auch schwer zu realisierende Richtlinien der Konjunkturpolitik bei diesem seinem Bundeskanzler durchzusetzen.Man hatte in den letzten Monaten manchmal das Gefühl, daß der Herr Bundeskanzler seiner alten Liebe, der Wirtschaftspolitik, abgeschworen habe, und wer ihn heute bei Eröffnung dieser Konjunkturdebatte gehört hat, der wird sicher zugeben, daß seine Ausführungen den Dämpfer getragen haben. Insoweit habe ich auch noch vorweg einige Bemerkungen zu dem aggressiven Teil seiner Darstellung zu machen.Zunächst „Inflationsgerede" — eine Bemerkung, die auch von dem Herrn Kollegen Barzel aufgenommen wurde, der sicher kein Musterbeispiel für die Versachlichung einer Debatte geliefert hat.
Was ich gesagt habe, werde ich exakt zu begründen versuchen, und ich wäre Ihnen dankbar, Herr Kollege Barzel, wenn Sie sich dann mit diesen exakten Begründungen auseinandersetzten und wenn Sie darauf verzichten könnten, durch eine Bemerkung etwas zu behaupten, was mit den Realitäten des augenblicklichen Zustandes und der möglichen weiteren Entwicklung nicht in Übereinstimmung zu bringen ist.Meine Damen und Herren, wieso „Inflationsgerede"? Wir beschäftigen uns mit einer Situation, die beispielsweise von der Sparerschutzgemeinschaft, in der doch wirklich Sachkenner sitzen und ganz sicher nur wenige, die meiner Partei nahe-stehen, haargenau so angesehen wird, wie wir das in unserer öffentlichen Diskussion heute darstellen. Das beweisen ein vor einigen Tagen dem Herrn Bundeskanzler zugegangener Brief dieser Gemeinschaft zum Schutze der deutschen Sparer und auch ein Brief, den die Herren Fraktionsvorsitzenden, wahrscheinlich also auch Herr Kollege Barzel, erhalten haben. Aber man müßte solche Briefe lesen.„Inflationsgerede" ist nach Auffassung der Mehrheit dieses Hohen Hauses immer dann berechtigt, wenn es sich um Rentenerhöhungen, wenn es sich um Lohnbewegungen, wenn es sich um Fragen der Arbeitszeitverkürzung handelt.
Wenn aber aus anderen Ursachen heraus, die, wie ich nachweisen werde, sicherlich nicht ihre Hauptquelle bei der Binnennachfrage haben, Bedenken geltend gemacht werden, dann sollte man sie ernst nehmen, dann sollte man argumentieren und nicht versuchen, sich mit Redensarten darüber hinwegzubringen.Die zweite Vorbemerkung, die ich machen möchte, betrifft den Hinweis auf die Arbeitsmoral. Nun ja, man kann über die Arbeitsmoral in Betrieben, in Institutionen, in Parlamenten geteilter Meinung sein, sogar über die Arbeitsmoral der Regierung. Aber ich will ganz sicher nicht global die Arbeitsmoral einer Regierung abwerten, sondern ich würde mich dann mit Einzelerscheinungen beschäftigen — das muß ich leider auch im Laufe meiner Ausführungen — und würde dazu etwas sagen, nicht um zu moralisieren, sondern um den Finger auf eine Wunde zu legen und zu versuchen, die Sache in Ordnung zu bringen.
Will vielleicht die Bundesregierung und will vielleicht die Mehrheit dieses Hohen Hauses bestreiten, daß wir in der arbeitenden Bevölkerung unseres Landes gegenüber den vergleichbaren anderen Ländern der westlichen Welt, insbesondere der EWG-Gemeinschaft, die höchste Erwerbsquote vorzuweisen haben? Das muß doch irgendeinen Grund haben. Man kann die Arbeitsleistung der Arbeitnehmer und insbesondere der Arbeiterschaft vom Zeitpunkt unseres Zusammenbruchs bis heute nicht abwerten, sondern immer nur mit höchster Anerkennung versehen. Denn ohne diese großartige Leistung stünden wir nicht da, wo wir stehen.
— Sie haben so viele Redner vorgesehen, daß Sie sich nun wirklich hier an diesem Pult zu meinen Äußerungen bemerkbar machen können. Dann sagen Sie bitte, warum Sie diese meine Auffassung nicht teilen.Vergleichen Sie einmal die effektive Arbeitszeit in unserem Lande von 1945 bis zum Jahre 1964, auch die in den Hungerjahren effektiv geleistete Arbeit, mit der Arbeitsleistung in anderen Nationen!
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964 6533
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. MöllerDer Herr Bundeskanzler hat davon gesprochen, daß hier nur gehorcht werde, wenn ein Befehl gegeben werde, daß aber die Einsicht fehle. Es ist da ein Zwischenruf wegen ,des Verhaltens der Koalitionsabgeordneten im Außenhandelsausschuß bei der ersten Behandlung der Zollvorlage gemacht worden. Ich will nun nicht sagen, das sei ein typisches Beispiel für die Anwendung des Wortes des Herrn Bundeskanzlers: Gehorcht wird nur, wenn ein Befehl gegeben wird, aber die Einsicht fehlt; aber sonst könnte es nicht plötzlich zu der von Herrn Barzel verkündeten völligen Einmütigkeit gekommen sein.Der Herr Bundeskanzler hat auch gesagt: Die Staatsbürger tun so, als wenn sie gar keine Verantwortung tragen. Herr Bundeskanzler, Sie irren sich in der Beurteilung der Staatsbürger. Die Staatsbürger wären gern bereit, sich gerade auf diesem Gebiet, auf dem Gebiet der Preisentwicklung, so zu verhalten, wie es dem Verantwortungsgrad der Bundesregierung und dieser Mehrheit entspricht.
Wir haben aus den einleitenden Bemerkungen des Herrn Bundeskanzlers gehört, daß er für sich in Anspruch nimmt, ,daß seine Meinung die allein gültige Norm sein soll, daß Einsicht nur gegeben ist, wenn dieser seiner Auffassung zugestimmt wird, daß er mit der Autorität seines Amtes wie selbstverständlich die Behauptung verbindet, e r wisse es, und alle anderen Meinungen seien uneinsichtig. Meine Damen und Herren, da muß ich Ihnen schon sagen: Der Geist des Befehlens, der Geist des Respektierens, der aus diesen Worten sprach, sozusagen das Obrigkeitliche, das findet unseren Beifall nicht.
Wir suchen und brauchen die freie Aussprache und das Abtasten im Miteinander der verschiedenen Auffassungen, um auf diesem Wege zu einer vernünftigen und realistischen Arbeitssynthese zu kommen.In der Haushaltsdebatte am 9. Januar 1964 habe ich im Namen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion erklärt:Im zweiten Wirtschaftsbericht— nämlich 'dem vom Dezember, zu dem der nunmehrige Nachtrag erforderlich wurde —wird der Außenbeitrag für 1964 auf 3,8 Milliarden DM geschätzt. Das ist sicher zu niedrig. Aus den von den Forschungsinstituten geschätzten Zuwachsraten läßt sich der von ihnen veranschlagte Außenbeitrag auf 6 Milliarden DM errechnen,— Soweit mein Zitat. Was hatte in derselben Debatte, also am 9. Januar, vor mir der Herr Bundeskanzler erklärt? „Ich lasse mich über die 4,5 % nicht hinauslocken", nämlich über eine solche Schätzung der realen Zuwachsrate des Bruttosozialprodukts. Heute steht fest, daß der Ausgangspunkt der Bundesregierung in der völlig falschen Einschätzungder außenwirtschaftlichen Entwicklung und des Außenbeitrags bestanden hat.Diese Tatsache bestätigt uns der Nachtrag zum damaligen Wirtschaftsbericht, der zugleich auch als ein Nachtrag zur damaligen Regierungserklärung angesehen werden muß. Rückschauend und unter Beachtung der jetzt vorliegenden Situation kann man sagen, der Herr Bundeskanzler wäre nicht schlecht beraten, wenn er in Zukunft den Überlegungen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion mehr Beachtung schenkte.
Ich will Ihnen jetzt einige Zitate aus dem Nachtrag zum Bericht über die Wirtschaftsentwicklung im Jahre 1963 und die Aussichten für 1964 bringen und darf Sie höflichst bitten, sich einmal zu überlegen, wie Sie reagieren würden, wenn wir in einer Erklärung nachträglich, und zwar relativ kurzfristig, solche Korrekturen anbringen müßten. Im Nachtrag heißt es:Die Erwartung einer rasch wirksamen Bekämpfung der in wichtigen Ländern bestehenden Inflation hat sich nicht bestätigt. Damit steht die Bundesregierung heute vor einer Situation, die im Zeitpunkt der Vorlage des Wirtschaftsberichts 1963 nicht berücksichtigt werden konnte. Es erscheint daher notwendig, den besonders frühzeitig veröffentlichten Wirtschaftsbericht für 1964— veröffentlicht im Dezember 1963 —in einigen wichtigen Punkten zu revidieren.... Die Veränderung der außenwirtschaftlichen Situation wird besonders deutlich am Warenhandel sichtbar.... Das Ergebnis des stark unterschiedlichen Wachstums von Ausfuhr und Einfuhr ist ein wachsender Handelsbilanzüberschuß.... Die Schätzung des sogenannten Außenbeitrags im Wirtschaftsbericht,— im Wirtschaftsbericht der Bundesregierung, füge ich hinzu —die für 1964 mit plus 3,8 Milliarden DM angegeben war, muß jetzt beträchtlich höher angegesetzt werden.Soweit die Zitate aus dem Nachtrag zum Wirtschaftsbericht der Bundesregierung. Aber vergeblich suchen wir und ganz sicher auch andere nach den Konsequenzen aus dem Eingeständnis der Irrtümer, suchen war nach der neuen, verbesserten quantitativen Beurteilung für den Rest des Jahres und für 1965. Statt dessen wird mit dürren Worten mitgeteilt — ich zitiere wörtlich —, „daß eine Neuberechnung" für das laufende, bereits zur Hälfte vergangene Jahr „erst vorgenommen werden kann, wenn die wirtschaftspolitischen Entscheidungen in der Bundesrepublik und den europäischen Nachbarländern klarer zu übersehen sind". Soweit das Zitat. Ich sage, das heißt realistischer ausgedrückt: ... erst vorgenommen werden kann, wenn die Bundesregierung zur Kenntnis nimmt, was andere Länder konjunkturpolitisch machen und was sie selber gegen die Vielzahl und Vielfalt ihrer Interessentengruppen
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6534 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möllerdurchzusetzen imstande ist. Dieser Hinweis kann nur als eine neue — —
— Das isst ,aber nichts Neues, wenn ein Oppositionssprecher hier im Bundestag die Auffassungen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion vorträgt.
Das hängt ganz sicher mit dem Stil ,der Bundesregierung zusammen, der in diesem Punkt bestimmt nicht neu ist.
Ich wollte, meine Damen und Herren, mit meinem Hinweis nur diese neue Entwertungserscheinung — Entwertungserscheinung habe ich gesagt, Herr Kollege Barzel — lautstarker Ankündigungen der Bundesregierung festhalten. Ich muß das deswegen feststellen, weil heute eine revidierte Vorausschätzung die Grundlage jeder Wirtschaftspolitik, die realistisch sein will, sein muß, die zumindest in den letzten Monaten des Jahres 1964 noch wirksam werden will — das kann überhaupt kein Wirtschaftsexperte bestreiten —, weil ferner die Steuervorausschätzungen der Bundesregierung für 1964 und 1965 auf Sozialproduktberechnungen für diese Jahre aufbauen — das wissen wir doch aus der Begründung des neuen Haushaltsentwurfs für 1965 — und weil schließlich der Nachtrag an einer anderen Stelle, sogar für 1965, eine indirekte .Aussage über eine Zunahme des realen Bruttosozialprodukts von 5 % macht, die in der Begründung des Entwurfs des Bundeshaushalts 1965 im Bulletin ,der Bundesregierung bestätigt wird.Ich bin bei diesem bedauerlichen Sachverhalt genötigt, eine grundsätzliche Bemerkung über die Bedeutung der Qualität amtlicher Informationen zu machen. Der Wirtschaftsbericht und der Nachtrag stellen die Information der Bundesregierung für Parlament, EWG und Öffentlichkeit dar. Neben der Gesetzgebung ist es die vornehmste Aufgabe des Parlaments, die Regierung in ihren politischen Maßnahmen zu kontrollieren. Eine solche Kontrolle ist hinsichtlich ihrer Qualität wiederum abhängig von der Qualität der Information. Daher wird von der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion jegliches Material begrüßt, das zum Beispiel in diesem Fall zur Aufhellung wirtschaftspolitischer Tatbestände führt. Wir sind jedoch der Meinung, daß die uns hier gegebenen Informationen diesem Anspruch nicht genügen. Dem Nachtrag kommt aber fundamentale Bedeutung zu, da der eigentliche Wirtschaftsbericht als so überholt angesehen werden muß, daß er nur noch ergänzend herangezogen werden kann.Auch die Koalitionsparteien sollten sich fragen, wer bei uns durch ein solches Verhalten das Parlament zu überspielen droht. Es werden unzureichende Informationen gegeben, und die erforderliche Kontrolle wird — wenn ich das ganz vorsichtig formuliere — erschwert. Es ist daher die Frage zu stellen: Ist der Nachtrag zum Wirtschaftsbericht der Bundesregierung eine ausreichende Informationsquellezur Beurteilung und Kontrolle so lebenswichtiger Entscheidungen, wie sie die konjunkturpolitischen Maßnahmen der Bundesregierung darstellen?Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist jedenfalls der Meinung, daß das, was uns als Nachtrag vorgelegt worden ist, in der Prognose eine unzulängliche Berichterstattung darstellt, weil es mit unverbindlichen Darstellungen — die sind wir zwar gewöhnt, können sie aber nicht akzeptieren — das mühsam zu verhüllen sucht, was das Kennzeichen der jetzigen Wirtschaftspolitik der Bundesregierung ist, nämlich Untätigkeit angesichts eines beginnenden — wie es im neuesten Lagebericht des Bundeswirtschaftsministeriums heißt — vierten Booms nach dem Kriege.Die Präambel des Nachtrags bedeutet nach meiner Meinung eine Bagatellisierung der bestehenden Schwierigkeiten im EWG-Raum. Wir vermissen eine Erklärung der Bundesregierung, was sie im Zuge der Integration gegen die unrealistischen, einzelstaatlichen Stabilisierungsprogramme der EWG-Mitgliedsländer getan hat und weiterhin zu unternehmen beabsichtigt. Die Bundesregierung muß sich doch von vornherein darüber im klaren gewesen sein, daß die — wenn ich einmal zwei Beispiele nennen darf — von Frankreich und vor allem von Italien vorgesehenen Stabilisierungsmaßnahmen nicht ausreichen und teilweise sogar illusionär waren und sind.Da die Bundesregierung gemäß Ziffer II, 4 der Ansicht ist, daß von der wirtschaftlichen Entwicklung in unseren Nachbarländern unsere eigene Situation weitgehend beeinflußt wird, hätte der Bundestag eine eingehendere Analyse der Lage in den Nachbarländern — besonders über die mögliche Wirksamkeit der Stabilisierungsprogramme — benötigt, um selbst für die Bundesrepublik Deutschland das Richtige tun zu können oder — wie der Herr Bundeswirtschaftsminister Mitte Juni auf der Schlußkundgebung des 57. Verbandstages der EDEKA in Karlsruhe in beachtlichem Übermut erklärte — um — ich zitiere wörtlich — „ein konjunkturpolitisches Programm, an dem sich die anderen europäischen Partnerstaaten orientieren können, jetzt durch die Bundesrepublik vorzuexerzieren".
In Wirklichkeit bedeutet das Abwarten mindestens auf das, was die anderen EWG-Länder nun tun, den Versuch, sich ein Alibi für die eigene Unzulänglichkeit des Handelns zu verschaffen.Daran ändert auch eine andere Behauptung des Herrn Bundeswirtschaftsministers wenig, daß die Bundesregierung nämlich mit ihrem Programm Maßstäbe für die Konjunkturpolitik im gesamten EWG-Raum setzen müsse. Ich kann nur sagen: armer EWG-Raum, wenn du auf diese Maßstäbe angewiesen bist.
Mit dem, was die Bundesregierung bisher an Maßnahmen zu ergreifen beabsichtigt, wird sie es schwerlich tun können, und zwar weder für die außenwirtschaftliche noch für die binnenwirtschaftliche Entwicklung.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964 6535
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. MöllerAbgesehen von den quantitativen Ex-post-Aussagen bemüht sich die Bundesregierung in ihrem Nachtrag weiterhin um eine Verschleierung der auf uns zukommenden Entwicklung, die auch Herr Kollege Barzel nicht richtig gesehen hat: Sie will uns in ihrem Nachtrag nahebringen, daß die von ihr vorgeschlagenen Maßnahmen zur Sicherung der Preisstabilität in der vor uns liegenden Zeit ausreichend sind. Es ist auch nicht zu übersehen, daß der Bericht den Eindruck erwecken soll — das ist ein ganz wichtiger Punkt, auf den ich das Hohe Haus ausdrücklich aufmerksam machen möchte —, als ob die angekündigten Maßnahmen noch im Jahre 1964 voll wirksam würden.Dazu haben wir mit aller Deutlichkeit zu sagen: Aus einer nunmehr sich der Realität nicht mehr verschließenden Diagnose akuter Inflationsgefahr — Herr Kollege Barzel, so ist es dem Nachtrag des Wirtschaftsberichts der Bundesregierung zu entnehmen, sehen Sie bitte ganz von meinen Darstellungen ab — wird etwas entwickelt, was jeder durchgreifenden Wirksamkeit entbehrt. Es wird lediglich, wie es so oft ist, an einigen Symptomen herumexperimentiert.Die vorgesehenen Binnenzollsenkungen — so richtig sie als Teilstück eines Programms zur Wiederherstellung des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts sind und von uns von Anfang an ohne Etappen der Verirrungen betrachtet wurden — werden den deutschen Ausfuhrüberschuß durch Mehreinfuhren bestenfalls — ich habe den Mut, eine Zahl ! zu nennen; Herr Bundeswirtschaftsminister, widerlegen Sie diese Zahl — um eine halbe Milliarde DM senken können. Dabei ist vorausgesetzt, daß die Zollsenkung ein volles Jahr wirksam geworden ist, was für 1964 bekanntlich nicht zutreffen kann. Dieser Betrag ist nun im Vergleich mit dem Ausfuhrüberschuß für 1964 zu sehen, der Vorausschätzungen der Forschungsinstitute zufolge um 3 bis 3,5 Milliarden DM, den Äußerungen eines höheren Beamten des Bundeswirtschaftsministeriums zufolge sogar um 4 bis 5 Milliarden DM höher als 1963 sein wird. Damit Sie die Quelle nicht allzu lange suchen, verweise ich auf die Ausführungen des Herrn Ministerialdirektors Dr. Gocht auf der Berliner Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer Ende Mai 1964, nachzulesen in der Berichterstattung der Informationsredaktion von dpa vom 2. Juni. Und dabei kamen auch immer wieder diese Stoßseufzer — Sie können es nachlesen in der Quelle, die ich genannt habe —: „Wenn nichts geschieht ...", „wenn nichts geschieht ...", oder der andere Stoßseufzer: „Höchste Zeit, daß gehandelt wird!" — Ja, das muß ich auch dem Herrn Bundeskanzler sagen: Übersehen Sie denn ganz, daß Sie in diesem Bundestag die Mehrheit haben?
Wer ist denn maßgebend, meine Damen und Herren, das, was der Herr Bundeskanzler hier als Mängel empfunden hat, was er für notwendig erklärte, nun wieder in Anträgen und Gesetzen niederzuschlagen? Sie haben doch die Mehrheit, und alles, was versäumt wird, das wird der Mehrheit unddenen, die die Regierungsverantwortung tragen, anzukreiden sein.
Mit uns, meine Damen und Herren, können Sie sich nur beschäftigen, wenn wir vernünftige Vorlagen, die Sie zur Meisterung dieser Situation dem Hohen Hause zugänglich machen, attackieren oder ihre Verabschiedung unmöglich machen. Aber weit davon entfernt, meine Damen und Herren, bevor Sie Ihrer Fraktion im Außenhandelsausschuß das Gehorchen beigebracht haben, konnte man doch in der Zeitung lesen, daß die Bundesregierung hofft, mit einem Teil Ihrer Koalition und den Sozialdemokraten die Zollvorlage in ,diesem Hause durchzubringen. Also von uns hat man von vornherein eine vernünftige und realistische Haltung vorausgesetzt.
— Nein, im Gegenteil. Aber, meine Herren, ich sage Ihnen das, weil Sie ja in solchen Punkten an einer chronischen Vergeßlichkeit leiden.
Eine unzulängliche Darstellung stellt Ziffer IV B, 1 bis 3 dar. Allein schon unsere internationalen Verpflichtungen werden in diesem Jahr eine kräftige Zunahme des Staatsverbauchs mit :sich bringen. Soweit wir Daten über die öffentlichen Bauinvestitionen zusammenstellen konnten, kann sich hieraus keine nennenswerte Abnahme in den Zuwachsraten ergeben. Zusammen mit der Darlehensgewährung für den Wohnungsbau dürfe sich allein bei dieser Position ein Ausgabenanstieg ergeben. Außerdem verfügt die Öffentlichkeit über ausreichende Erfahrungen mit der Begrenzung ,der Staatsausgaben.Auch der Bundesetat 1963 ist nicht eingehalten worden. Die vorgesehene Zunahme der Ausgaben war um 1/2 Milliarde DM höher als die von diesem Hause beschlossenen knapp 4 Milliarden DM.
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6536 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964
Ich wiederhole noch einmal: Die Mehrheit in einem Parlament ist nicht nur dazu da, eine Regierung zu bilden und ihre Amtsführung zu veranlassen, sondern eine solche Mehrheit hat auch die Verantwortung für die Gesetzgebung und die Verantwortung für alles, was auf dem Gebiete einer notwendigen Gesetzgebung unterbleibt.
— Aber, meine Damen und Herren, die unter sozialdemokratischer Führung 'stehenden Länder haben sich diese Forderung 'der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion immer zu eigen gemacht.
Sie wissen — — meine Damen und Herren, lachen Sie doch nicht bei so ernsten Feststellungen, und denken Sie daran, wie sich Ihre Länder verhalten! Soll ich Sie daran erinnern, daß, als hier bei der Verabschiedung des Gesetzes über den Bundesanteil an der Einkommen- und Körperschaftsteuer zum erstenmal die Frage eines Gentleman's Agreement im Vermittlungsausschuß zur Diskussion stand, auch von unserer Seite und auch von seiten der sozialdemokratisch geführten Länder klar zum Ausdruck gebracht worden ist: jawohl, wir müssen den Art. 120 des Grundgesetzes ändern, um klare Verhältnisse zu schaffen, und zwar ändern im Sinne einer Entlastung des Bundesetats. Das steht doch fest. Der Gesetzentwurf liegt jetzt vor. An diesem Beispiel werden wir wieder einmal erleben, wie staatsbewußt und staatsbürgerlich verantwortungsbewußt die sozialdemokratische Bundestagsfraktion und die von der SPD 'beeinflußten Länderregierungen handeln. Meine Damen und Herren, kümmern Sie sich um ein ähnliches Verhalten der Kolleginnen und Kollegen hier im Hause und um ein solches Verhalten der CDU-Länderregierungen!
Wir möchten an dieser Stelle die Bundesregierung fragen, wie sie sich grundsätzlich die Lösung der immer dringender werdenden Gemeinschaftsaufgaben vorstellt, — wenn auch jetzt der Schwerpunkt konjunkturpolitischer Maßnahmen bei der Ausgabenwirtschaft der öffentlichen Hand gesetzt wird. Ich finde es nicht sehr gut, daß das immer wieder mit dem Hinweis auf die sogenannten öffentlichen Hände erfolgt, — heute auch in der Rede des Herrn Bundeskanzlers, und es gab Beifall bei einem Teil dieses Hauses. Denn man muß doch auch an die Aufgabenstellung dieser öffentlichen Hände denken und muß darauf aufmerksam machen, daß nun einmal unvermeidbare Kosten des Wachstums in den Etats der öffentlichen Hände ihren Niederschlag finden. Das kann man doch nicht einfach wegdiskutieren,
indem man den Nachholbedarf mit solchen Bemerkungen versieht, wie es der Herr Bundeskanzler getan hat. Schließlich ist dieser Nachholbedarf doch durch den verlorenen Krieg entstanden, durch die Zerstörung unserer Wirtschaft, unserer Städte und Dörfer, durch diesen Trümmerhaufen, den wir 1945 hatten und den ganz sicher die Sozialdemokraten nicht verschuldet haben. Diesem Nachholbedarf müssen wir Rechnung tragen.Es gibt keinen technischen Fortschritt ohne Infrastruktur. Es gibt keinen technischen Fortschritt, der sich nicht auch in neuen Aufgaben des Bundes, der Länder und nicht zuletzt der Gemeinden niederschlägt.
Meine Damen und Herren, versuchen Sie einmal, eine sachliche Prüfung vorzunehmen! Nehmen Sie doch beispielsweise die Nachrichten vom Deutschen Gemeindetag vom 8. Juni 1964. Da ist von einem
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964 6537
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. MöllerInvestitionsbedarf in Gemeinden und Landkreisen in Höhe von 97 Milliarden DM die Rede.
— Äußern Sie sich bitte in der weiteren Debatte darüber, welche Punkte in diesem Investitionsprogramm auf die Dauer, d, h. in einer längeren Zeitdauer nicht haltbar sind oder gestrichen werden könnten.
— Bitte sehr.
Herr Möller, glauben Sie mir folgendes — ich bin selber mal Vorsteher eines solchen kommunalen Spitzenverbandes gewesen —, glauben Sie mir wirklich: es ist nicht alles Gottes Wort, was dort verlangt wird.
Meine Damen und Herren, wer wollte an den reichen Schatz von Erfahrungen rühren, die Herr Kollege Dresbach in früheren glücklichen Jahren gesammelt hat!
Aber darum handelt es sich nicht. Es handelt sich um die jetzige Situation und die Aufgaben, die wir in dieser Zeit,
in der Zeit der technischen Revolution haben. Und nehmen Sie es mir nicht übel, Herr Kollege Dresbach, wenn ich sage: Hätte die Bundesregierung ein klares Konzept hinsichtlich der Dringlichkeit und der besseren Finanzierung der Gemeinschaftsaufgaben von Bund, Ländern und Gemeinden, dann wäre sie vermutlich auch in der Frage der Einkommensteuersenkung anders verfahren. Mit der Stilllegung von Mitteln im Zentralbankensystem hätte sie sich die Möglichkeit geschaffen, in einer konjunkturell günstigen Lage Beträge zur Finanzierung der Gemeinschaftsaufgaben heranzuziehen und damit wirklich im Sinne der im Anhang zum Nachtrag propagierten antizyklischen Finanzpolitik tätig zu werden. Das hat ganz sicher nichts zu tun mit den zur Entscheidung stehenden Novellierungen der Einkommensteuer, bei denen für uns nur die Steuergerechtigkeit Ausgangspunkt und Zielsetzung bleibt.Bei der Untersuchung der öffentlichen Ausgaben wird offenbar, daß sich die Bundesregierung ihrer Argumentation selber nicht sicher ist. Sie gibt nämlich merkwürdigerweise an dieser Stelle — worauf ich schon hingewiesen habe — Wachstumsraten für das reale Bruttosozialprodukt für 1965 bekannt. Wir müssen daraus entnehmen, daß die Bundesregierung sehr wohl über eine Vorausschätzung der volkswirtschaftlichen Aggregate verfügt. Unter den Ziffern IV C und D sind die der Öffentlichkeit bereits hinreichend geläufigen Maßnahmen zur Umkehrung des bisherigen Kapitalimports in einen Kapitalexport wiederholt worden. Sie haben zwar die Bedingungen für eine Kreditaufnahme im Inland verschlechtert, können aber doch bei der gegebenen Konstellation stark steigender Gewinne — davon hat bei einer anderen Gelegenheit auch der Herr Bundeskanzler gesprochen — und sich gegenüber 1963 beschleunigender Steuergänge — das zeigt die Statistik — nichts oder jedenfalls nichts Meßbares zu einer Minderung der güterwirtschaftlichen Spannungen beitragen. Das festzuhalten, war mir ein Bedürfnis.Am Ende der konjunkturpolitischen Weisheit steht der übliche Appell, den wir auch heute gehört haben, an die Tarifparteien — heute haben wir ihn nur halbiert gehört, nur an den einen Teil der Tarifparteien —, sich bei Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen im Rahmen der Produktivitätszunahme zu halten. Auch für diesen Teil des Dokuments hat die deutsche Öffentlichkeit ihr Urteil bereits gesprochen: Die Tarifparteien haben im ganzen Jahr 1963 maßgehalten.
Sie tun es auch heute noch und hoffen — trotz der wirklich nicht sehr ermutigenden Erfahrungen im vorigen Jahr — nach wie vor, daß von dem zur Verfügung stehenden konjunkturpolitischen Instrumentarium Gebrauch gemacht wird. Auch hierum handelt es sich bei unserer heutigen Debatte.Mit dem Hinweis am Schluß des Nachtrags, daß die Begrenzung des Lohnanstiegs auf den voraussichtlichen Produktivitätszuwachs weiterhin als Leitlinie gelten soll, wird wieder einseitig der Eindruck in der Öffentlichkeit erweckt, als ob die Preisstabilität in erster Linie eine Frage der Lohnpolitik sei,
die ihrerseits ihre Grenze in der Arbeitsproduktivität finden müsse. Verbunden damit wird der Hinweis auf die Empfehlung des EWG-Ministerrats vom 14. April 1964, Ziffer 8, hinsichtlich der soweit wie möglich anzustrebenden Parallelität zwischen der Expansion des nominalen Einkommens pro Kopf der Erwerbstätigen und dem prozentualen Wachstum der nationalen Produktion pro Kopf der Erwerbstätigen.Ich möchte hier auf den feinen, aber doch erheblichen Unterschied aufmerksam machen zwischen der Formulierung des EWG-Ministerrats, der in dem erwähnten Zusammenhang von Einkommenspolitik spricht und das Einkommen aller Erwerbstätigen im Auge hat, und der Formulierung der Bundesregierung, die sehr bewußt auf Preis-, Lohn- und Arbeitszeitpolitik einschwenkt.Löhne und Gehälter — nicht Einkommen aller Erwerbstätigen — werden dem Primat der Vorrangigkeit der Preispolitik unterstellt. Als ob es hier eine Unterstellung geben könnte; es gibt nach unserer Auffassung nur eine Gleichrangigkeit. Ich möchte nicht näher auf die Binsenweisheit der Wirtschaftswissenschaft eingehen, daß die Arbeitsproduktivität der Gesamtwirtschaft, etwa gemessen am Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigen, ein im hohen
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6538 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. MöllerGrade unechter Durchschnitt sei — zum Beispiel sind Branchenabweichungen recht groß — und daß ferner der Strukturfaktor der Produktivität recht problematisch sei.Die Bundesregierung hingegen erhebt diese globalen Aussagen zur Leitlinie. Für bestimmte, in Konfliktsituationen zutreffende lohnpolitische Entscheidungen bedeuten solche Globalaussagen überhaupt nichts. Das haben wir wiederholt feststellen müssen. Sie dienen praktisch einzig und allein einer ganz bestimmten öffentlichen Polemik von Bundesregierung und Koalition, welche bezweckt, Ursache und Wirkung tatsächlichen Versagens zu überdekken. Können die eben angesprochenen Gruppen noch zu Recht hoffen? Gibt es ernsthafte Anzeichen dafür, daß Regierung und Mehrheitsfraktionen mit uns Sozialdemokraten die deutsche Volkswirtschaft von einem Kurs abbringen oder herunterbringen wollen, der, wenn ich das nur ganz vorsichtig formuliere, ein Inflationskurs sein könnte, und in ruhigere Fahrwasser steuern wollen?Der Nachtrag gehört ganz gewiß nicht zu diesen Anzeichen. Das beschämende Zerwürfnis zwischen der Regierung und ihren Abgeordneten im Außenhandelsausschuß über die Zollsenkungsvorlage habe ich ja schon erwähnt. Eine wirksame Konjunkturpolitik, die uns vor den immer noch nicht abgeschlossenen Inflationsstößen im übrigen Westeuropa bewahrt, muß anders aussehen als die des Nachtrags, die der Seelenmassage und die des Zurückweichens selbst vor der kleinsten Interessentengruppe.Die Sozialdemokratische Partei hat ihr Konjunkturprogramm vor der Veröffentlichung des Nachtrags bekanntgegeben, und zwei Anträge mit gesetzgeberischen Konsequenzen liegen diesem Hohen Hause bereits vor. Sie werden noch im Laufe des heutigen Tages von Kollegen meiner Fraktion begründet.Lassen Sie mich zum Abschluß meiner Stellungnahme aber auch noch aus dem vorhin erwähnten Brief der Gemeinschaft zum Schutz der deutschen Sparer vom 19. Juni d. J. einen Absatz zitieren, dessen Inhalt den Dreh- und Angelpunkt für die Beurteilung der heutigen Situation darstellt. Eine solche Zusammenfassung von Verbänden, wie sie in der Gemeinschaft zum Schutz der deutschen Sparer vorhanden ist, macht folgende Aussage:Dieser von den inflatorisch wirkenden Ausfuhrüberschüssen angeheizte Konjunkturaufschwung kann auf die Dauer weder durch die Zurückhaltung der öffentlichen Haushalte noch durch Maßhalten der Sozialpartner genügend gebremst werden. Es ist zwar aus vielen Gründen wünschenswert, in beiden Bereichen zu einem auf die gesamtwirtschaftlichen Belange Rücksicht nehmenden Verhalten zu kommen.Und nun der entscheidende Satz:Solange jedoch die außenwirtschaftlichen Quellen einer solchen Übernachfrage nicht verstopftwerden, besteht die Gefahr, daß die inflatorischen Kräfte stärker als alle guten Vorsätze und Appelle sind.Ich möchte noch einmal betonen, daß wir dem Hohen Hause Vorschläge unterbreitet haben, die Instrumente für ein richtiges konjunkturpolitisches Verhalten in dieser und einer späteren Lage sein können. Die Novelle zum Umsatzsteuergesetz enthält beispielsweise eine Ermächtigung an die Bundesregierung. Mit diesem Vorgehen, der Bundesregierung ein solches Ermächtigungsgesetz zu geben, ist von uns ein gewaltiger Schritt getan. Bei einer weiteren Behandlung der Vorlage interessiert uns sehr, ob auch die Koalitionsparteien den Mut haben, der Bundesregierung ein solches Ermächtigungsgesetz zu geben, von dem sie ja nur nach ihren Erkenntnissen Gebrauch machen muß.
— Dann bin ich ja beruhigt. Dann werden Sie unseren Vorschlägen zustimmen.
Aber genau diese Vorschläge und Instrumente würde eine sozialdemokratische Bundesregierung gern von ihrer späterer Opposition erhalten;
nur daß sie darauf nicht warten müßte, sondern den Mut hätte, im richtigen Augenblick auch das Richtige zu tun. Wir — und die deutsche Öffentlichkeit — sind nicht in der Lage, uns die gegenwärtige und nicht nur auf wirtschaftlichem Gebiet zu bemerkende Lethargie der Regierung stillschweigend anzusehen, sie also zu verchweigen und dadurch zu decken. Die Fachwelt und die Experten in den Bundesministerien stimmen sicher mit weiten Teilen der deutschen Öffentlichkeit und der Sozialdemokratie in dem einen Punkt überein: Es muß jetzt gehandelt werden, um Stabilität und weiteren Aufstieg zu sichern.
Treffend überschreibt die angesehene „Neue Zürcher Zeitung" — die ja von einem Mitglied des Hohen Hauses, das jetzt nicht mehr auf der Regierungsbank sitzt, zu Recht besonders aufmerksam gelesen wird — vom 7. Juni 1964, Nr. 155, ihren Eindruck über die konjunktur- und stabilitätspolitische Ratlosigkeit und Resignation in Westdeutschland mit der Überschrift: „Die deutsche Stabilisierungspolitik in einer Sackgasse".
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Das Fragezeichen muß ich hören.
Es ist bestimmt nichts Böses dabei. Gestatten Sie mir nur vielleicht, in einem gewissen Gegensatz zu meinem Freund Schmidt zu sagen, — —
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964 6539
Zu fragen!
Verzeihen Sie, „Gestatten Sie" habe ich gesagt.
Herr Kollege Dresbach, die Form „Gestatten Sie" kann in der deutschen Sprache ebenso gut einen Ausrufesatz wie einen Fragesatz einleiten.
Wollen Sie mir die Freude abnehmen, zu sagen, daß ich mich gefreut habe, weil die SPD der Bundesregierung eine Ermächtigung erteilen will? Bisher war eis so — jedenfalls im „Steuerausschuß" —, daß bei dem Wort „Ermächtigung" sich bei Ihnen und bei Ihrem Freund Seuffert alle verfassungsrechtlichen Haare gesträubt haben.
Herr Kollege Dresbach, es kommt 'immer darauf ,an, zu was man ermächtigt. Ich könnte hinzufügen: Bei uns besteht sogar und leider die Beruhigung, daß die Bundesregierung von dieser Ermächtigung überhaupt nicht Gebrauch macht. Insoweit sind also diese Gefahren nicht vorhanden, die uns schrecken könnten.
Zum Schluß! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion erklärt: Es fehlt der Bundesregierung und mindestens einflußreichen Teilen ihrer Koalition an der Erkenntnis, daß eindeutige und ausreichende Entscheidungen auf dem Gebiet ,der gesamten Wirtschafts- und Finanzpolitik notwendig sind. Die Unterlassung derartiger Entscheidungen hat zu einer Boomsituation geführt, die sich nicht mehr selbsttätig korrigiert oder dadurch, daß man weiter auf das Verhalten der EWG-Partner ,oder der Sozialpartner wartet. Diese Vorstellung eines selbsttätigen Konjunkturmechanismus entstammt einer Vergangenheit mit harmonisierten Marktregulierungen, die heute weder in ,der Wirtschaftspraxis Europas noch in ,der wirtschaftswissenschaftlichen Theorie eine Rechtfertigung finden. Das Schweizer Urteil „Sackgasse" ist für die fehlende realistische Vorstellung und mangelnde Handlungsbereitschaft der heute und hier Regierenden zutreffend. Wir können dieses Urteil nur dick unterstreichen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Starke.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In dieser Konjunkturdebatte, die wir heute führen, habe ich die Ehre, für die Freien Demokraten zu erklären, daß wir die Stabilitätssicherungsbemühungen der Bundesregierung mit allen uns zu Gebote stehenden Kräften unterstützen werden.Eine Politik der Geldwerterhaltung ist nach un- serer Auffassung nicht nur vereinbar mit einer Politik der Vollbeschäftigung, sondern sie ist deren Voraussetzung und zugleich auch die Voraussetzung für ein stetiges Wachstum der Wirtschaft, für reale Einkommenssteigerungen, für eine Eigentumsbildung in breiten Schichten und für eine echte soziale Sicherung. Für uns ist deshalb die Erhaltung des Geldwertes und des Wertes der Ersparnisse ein Ziel, das in der Situation unseres Volkes nach zwei Inflationen allen anderen Zielen vorangestellt werden muß. Wir begrüßen und unterstützen jede konjunkturpolitische Maßnahme der Bundesregierung, die der Erreichung dieses Zieles dient. Wir werden auf dem Gebiete der Währungs- und Notenbankpolitik, der Wirtschaftspolitik, der Haushaltsund Finanzpolitik jede solche Maßnahme unterstützen.Wir begrüßen die heutige Debatte vor allem auch deshalb, weil unser Haus nicht sehr viele solcher Konjunkturdebatten führt. Es ist vielleicht am Platze, darauf hinzuweisen, daß das Thema, über das wir uns heute hier unterhalten, die Konjunkturpolitik, ein außerordentlich wichtiges Thema ist und daß von dem, was aus dieser Debatte nun an Maßnahmen und Wirkungen hervorgeht, in den nächsten Monaten sehr viel für unser Volk abhängen wird. Es wird insbesondere darauf ankommen, daß wir uns selbst in diesem Hohen Hause und der Bevölkerung vor Augen führen, daß Konjunkturpolitik nicht etwas ist, was um der Wirtschaft willen oder um ihrer selbst willen betrieben wird. Konjunkturpolitik dient eben der Stabilität in allen wirtschafts- und sozialpolitischen Bereichen. Sie dient schlechthin der Stabilität des Geldwertes. Es geht vor allem — und das ist unser Anliegen — bei unserer Debatte heute um die Grundlage unserer freiheitlichen Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung, zu der sich ja alle drei Parteien in diesem Hohen Hause bekennen. Wir sollten beim Durchdenken dieser Probleme bei allen Kontroversen über die anzuwendenden Mittel und dergleichen nicht übersehen, daß diese gemeinsame Grundlage für alle drei Parteien des Hauses gegeben ist.Wenn wir uns nun der Lage, die wir vorfinden, zuwenden, so möchte ich das Wort des Herrn Kollegen Möller von der „Sackgasse" noch einmal aufgreifen. Ich lese die „Neue Zürcher Zeitung" sehr aufmerksam. Es ist natürlich nicht ganz so, Herr Kollege Möller, daß diese Sackgasse nach der Ansicht dieser Zeitung nur darin besteht, daß die Bundesregierung etwas falsch macht. Sie haben sicherlich sehr genau gelesen, daß auch einer ganzen Reihe von anderen Institutionen, Parteien, Bevölkerungsteilen usw. dabei recht deutlich vor Augen geführt wird, daß gerade auch durch ihr Verhalten diese Sackgasse entstanden ist.Zur konjunkturpolitischen Situation stelle ich zunächst einmal in Übereinstimmung mit Ihnen, Herr Kollege Möller, fest, daß der Wirtschaftsbericht der Bundesregierung überholt ist und wir deshalb einen Nachtrag haben, zu dem ich jetzt nicht Stellung nehmen will, weil das der Kollege Dr. Aschoff heute nachmittag tun wird. Aber lassen Sie mich kurz zu-
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6540 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964
Dr. Starkerückblicken, damit wir ganz klar sehen, wo wir heute stehen. In der Situation 1961/62 hatten wir nach gewaltigen Kostensteigerungen, und zwar gegenüber der europäischen Umwelt und den Vereinigten Staaten, eine bedrohliche Lage, weil die Lohnentwicklung weit über die Produktivität hinausgegangen war und die Preise sowohl beim Erzeuger wie für den Verbraucher stiegen. Es ging damals um die Erhaltung des Geldwertes im Innern und um die Erhaltung unserer internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Damals haben wir die Haushaltsund Finanzpolitik in den Dienst der Preisstabilisierung gestellt. Wir sollten dafür dankbar sein, daß diese Konjunkturpolitik damals eingeleitet und bis heute durchgehalten worden ist. Die Konjunkturpolitik, die wir betrieben haben, ist auch nicht ohne Erfolg geblieben; denn Löhne und Preise haben sich im Laufe des Jahres 1963 beruhigt. Wir sollten das nicht übersehen, wenn man für heute die richtigen Maßnahmen sucht.Ganz besonders wichtig — und das wird eine Rolle spielen bei den Ausführungen, die Fraktionskollegen von mir heute nachmittag machen werden — ist aber, daß im Jahre 1963 der Anteil der privaten Haushalte an der laufenden Ersparnis — also die Vermögensbildung — 37% betrug; das ist mehr denn je vorher. 1960 bis 1962 lag er bei 27 bis 32 %. Der absolute Betrag dieser Vermögensbildung lag mit 22,9 Milliarden DM um 20% höher als im Vorjahr. Vor allem muß man beachten, daß die Sparquote der privaten Haushalte, d. h. der Anteil der Ersparnis am verfügbaren Einkommen, mit 9,6% den bisher höchsten Stand erreicht hat. Dieser Vertrauensbeweis des deutschen Sparers darf uns nicht Anlaß geben, auf erworbenen Lorbeeren auszuruhen. Wir müssen uns vielmehr doppelt bemühen, das Vertrauen des Sparers in die D-Mark nicht zu enttäuschen. Auf diesem Vertrauen beruht unsere bisherige Stabilität. Das sollten wir nicht vergessen. In einem Teil unserer Nachbarländer ist mit dem Vertrauen auch die Stabilität zunehmend geschwunden. Mir lag daran, das ganz eindeutig herauszustellen.Heute stehen wir vor einer neuen Situation. Unsere Sorgen sind gegenüber 1961/62 andere geworden, aber sie sind nicht kleiner.Denken wir an die europäischen Verhältnisse. Wir sollten uns dabei den Satz vor Augen führen, den der Vizepräsident der Europäischen Kommission, Marjolin, mit aller Deutlichkeit geprägt hat. Er hat gesagt:Die Inflationstendenzen in einigen Mitgliedstaaten der EWG beginnen auf die anderen Mitgliedstaaten überzugreifen. Die Stabilität in der EWG,— so drückte er sich im Europäischen Parlament aus —deren Zahlungsbilanz und derren Wettbewerbsfähigkeit sind bedroht.Ich glaube, daß man diese Sätze hier gar nicht deutlich genug zum Ausdruck bringen kann. Der Bundesregierung, dem Bundestag, den Ländern und demBundesrat, ja uns überhaupt in Deutschland erwächst aus dieser neuen Situation eine doppelte Aufgabe, vor der wir nicht kapitulieren dürfen. Wenn wir 1960/61 die Stabilität unserer Wirtschaft und unserer Währung im Innern und gegenüber weltweit gegebenen Tendenzen verteidigt haben, so erwächst die Gefahr heute besonders aus dem engeren Bereich der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Ich möchte hier noch einmal das festlegen, was ich schon am 10. April in einer Rede vor den öffentlich-rechtlichen Kreditinstituten erklärt habe: man muß sich klar vor Augen halten, daß die Geldentwertung kein Ordnungselement für das innere Gefüge eines Staates ist. Ich schließe mich da einem Satz des Herrn Bundeskanzlers an. Sie ist aber auch keineswegs ein Integrationselement in einer werdenden Gemeinschaft, wie es die EWG darstellt. Ihre Wirkungen sind unausweichlich desintegrierend. Der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft — und das müssen wir vor allem sehen — werden jetzt echte politische Entscheidungen abverlangt. Unsere Hinweise, daß diese echten politischen Entscheidungen eine Notwendigkeit für die weiteren Fortschritte in der Bildung der Gemeinschaft sind, erweisen sich damit als richtig.In dieser ernsten Bewährungsprobe, vor der die Gemeinschaft steht, können — und das ist sehr wichtig — Gedanken über eine spätere Währungseinheit und über ein späteres föderales Notenbanksystem zur Lösung der aktuellen Aufgabe ebensowenig unmittelbar beitragen wie ein überspitzter Institutionalismus, dem man in Brüssel allzugern huldigt. All das kann eine einheitliche politische Willensbildung, auf die es jetzt in der Gemeinschaft ankommt, nicht ersetzen. Diese ist vielmehr umgekehrt auf dem Gebiet der Finanz- und Haushaltspolitik, auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Konjunkturpolitik und auf dem Gebiet der Lohn- und Sozialpolitik Voraussetzung für engere Integrationsformen auf dem Währungsgebiet. Bisher — das möchte ich mit aller Deutlichkeit feststellen — haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft trotz international fixierter Wechselkurse eine Wirtschafts-und Finanzpolitik betrieben, die fast ausschließlich nationalen Zielsetzungen diente und wenig oder gar keine Rücksicht auf die gemeinsame Aufgabe nahm, die Gemeinschaft zu gestalten.Das Problem der „importierten Inflation", entstanden durch ein forciertes Wachstum und damit zusammenhängende Nachfrageaufblähung in anderen Ländern, mag weltüber oder wie auch immer gelöst werden. Man bemüht sich zur Zeit darum. In der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft mit ihren offenen Grenzen — offen für Menschen, Waren, Leistungen, Geld und Kapital — muß diese Gefahr mitsamt der sich daraus ergebenden Geldentwertung überwunden werden, wenn wir die Gemeinschaft nicht in Frage stellen, sondern sie sogar zur Wirtschaftsunion ausbauen wollen.Für uns kann es ausschließlich eine gemeinschaftliche Rückkehr zur Stabilität geben. Jeder andere Weg wäre für uns ungangbar nach dem politischen Zusammenbruch, in unserer Lage am Eisernen Vorhang und nach der unerträglichen Depossedierung
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964 6541
Dr. Starkebreitester Schichten unserer Bevölkerung durch zwei Inflationen wie durch Vertreibung und Flucht. Ein Denken in dynamischen Renten, ein Indexdenken für Löhne und öffentliche Dienste, eine Flucht in Grundstücke als Sachwerte, Geldwertklauseln wie in französischen Anleihebedingungen hülfen nicht. Wir könnten uns die soziale Unrast, die in einer Reihe von Nachbarländern urn uns herrscht, nicht leisten. Wir würden mit einer solchen Geldentwertung die Voraussetzungen für eine erfolgreiche weitere Politik bei uns gefährden. Es darf hier kein Kompromiß geben.Die Bundesregierung hat mit Recht in Brüssel gedrängt. Konjunkturpolitik steht unter Zeitdruck. Immerhin müssen wir nun abwarten, wie die Partner in der Gemeinschaft auf die Empfehlungen des Ministerrats reagieren. Den sichtlichen Bemühungen unserer Partner — ich möchte das einmal ausdrücklich hervorheben —, vor allem den Bemühungen Frankreichs, zollen wir hohe Anerkennung. Wir sollten zu jeder Unterstützung bereit sein. Konjunkturpolitik im Stadium starker Geldentwertung greift noch viel tiefer in die allgemeine Staatspolitik ein, als wir es in den letzten Jahren kennengelernt haben. Dieser Einsicht müssen wir uns beugen.Unterdessen, während sich diese Entwicklung in Europa vollzieht, haben wir, meine sehr verehrten Damen und Herren, im eigenen Haus keine Zeit zu verlieren. Auch bei uns beginnt ein neues Kapitel der Konjunkturpolitik. Die deutsche Wirtschaftspolitik — darüber kann kein Zweifel sein — ist vor Herausforderungen gestellt, die wir bewältigen müssen. Damit kommen wir, wie gewöhnlich — mein Kollege Aschoff wird dazu heute nachmittag ausführlich Stellung nehmen —, zu dem sogenannten konkunkturpolitischen Instrumentarium. Lassen Sie mich dazu nur einen Satz sagen.Wenn wir die Dinge prüfen, dann werden wir feststellen, daß schon die heutige Rechtslage mehr wirksame Steuerungsmöglichkeiten im Sinne der Konjunkturpolitik enthält oder wenigstens zuläßt, als man gemeinhin glaubt und jedenfalls bisher genutzt hat. Allerdings setzt die Handhabung dieser Steuerungsmöglichkeiten schwerwiegende und häufig mindestens zeitweilig unpopulär erscheinende politische Entscheidungen voraus. Hier liegt ein Problem der Konjunkturpolitik, dem man institutionell und rechtlich nicht beikommen kann.Ich möchte ausdrücklich hervorheben, daß neben dem Sachverständigengremium, das wir begrüßen, dem Gedanken einer Plattform für ein dauerndes Gespräch zwischen Regierung und Verwaltung, Wissenschaft und Sozialpartnern und anderen Gruppen der Bevölkerung mehr Bedeutung beigemessen werden sollte als bisher, ohne daß deshalb dem deutschen Perfektionismus unbedingt ein Institutionalisieren bis in paritätisch besetzte Unterstufen hinein erlaubt sein sollte. Ich möchte hinzufügen, daß ein solche Gespräch gerade auch über die vorgesehenen Gutachten und Berichte des Sachverständigengremiums, insbesondere im Laufe der Zeit, durchaus dazu beitragen könnte, starre Frontstellungen der Vergangenheit aufzulockern.Meine sehr verehrten Damen und Herren, es lag mir daran, darauf einmal hinzuweisen. Zu dem konjunkturpolitischen Instrumentarium im einzelnen wird ja heute nachmittag gesprochen werden. Lassen Sie mich aber noch einmal ganz kurz auf unsere Situation eingehen.Wir sprechen von einem Nachfrageüberhang, der die Möglichkeiten unserer Wirtschaft zu überfordern droht. Es genügt, wenn wir uns vor Augen halten, daß dieser Nachfrageüberhang aus allen Bereichen kommt, sowohl aus dem Ausland wie von der öffentlichen Hand wie auch von der Wirtschaft, am wenigsten noch — gerade im Jahre 1963 — aus den privaten Haushaltungen. Denn diese haben durch ihr Verhalten im Jahre 1963 zur Beruhigung beigetragen. Das ist besonders wichtig, wenn man an das Anliegen der Bundesregierung denkt, das Gesetz über die Steuersenkungen durchzubringen. Wir vertrauen im Hinblick auf das Verhalten des Sparers im vergangenen Jahr darauf, daß auch in den Jahren 1964 und 1965 das gleiche Verhalten an den Tag gelegt werden wird, selbst wenn es in den Nachbarländern zum Teil anders verlaufen mag.Ich möchte an dieser Stelle folgendes sagen. Wir sehen drei große Aufgaben vor uns, die gleich wichtig und unlösbar miteinander verknüpft sind. Hier, Herr Kollege Möller, komme ich noch einmal auf die Gemeinschaftsaufgaben und die öffentlichen Aufgaben zurück. Die drei Aufgaben sind erstens die Erfüllung der öffentlichen Aufgaben, zweitens die Sicherung eines gleichmäßigen Wachstums der Wirtschaft und drittens die soziale Sicherung und die Bildung privaten Eigentums in möglichst breiten Schichten der Bevölkerung. Es nützt uns gar nichts, heute über die schwierige Finanzierung öffentlicher Aufgaben und morgen über die mangelnde Eigentumsbildung zu klagen. Es kommt vielmehr darauf an, daß wir diese Aufgaben in ihrer inneren Abhängigkeit voneinander als Ganzes sehen und sie gemeinsam lösen. Nur dann werden wir Wohlstand und Freiheit auf die Dauer bewahren.Wenn wir diese Aufgaben gegeneinander abwägen, dann kommen wir bei sorgfältiger Berücksichtigung aller sozialen und eigentumspolitischen Gesichtspunkte zu dem Ergebnis, daß man den erfreulichen Vermögensbildungsprozeß in den privaten Haushaltungen nicht stören, sondern fördern sollte. Für uns ist deshalb die angekündigte Steuersenkung — ich sagte es schon — konjunkturpolitisch wichtig. Wir vertrauen darauf, daß auch 1964 und 1965 der größte Teil des Einkommenszuwachses gespart wird.Die Nachfrage der privaten Wirtschaft sollten wir nicht ohne Not beschränken. Immer noch stehen Produktion und Produktivität am Anfang allen Wirtschaftens. Sie verbürgen letzten Endes unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit. Wer anders als sie sollte die Grundlage unserer künftigen Lebenshaltung abgeben?Wir Freien Demokraten haben eine sehr hohe Achtung vor den Gemeinschaftsaufgaben der öffentlichen Hand, insbesondere auch den Aufgaben der Länder und der Gemeinden. Wir verweisen nur auf unsere Vorstellungen und Vorschläge zur Kultur-und Bildungspolitik. Aber wir wehren uns ange-
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6542 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964
Dr. Starkesichts unserer hohen Steuerbelastung, mit der wir an der Spitze der westlichen Welt stehen, gegen jede weitere Steuererhöhung. 1963 standen einem Bruttosozialprodukt von 376 Milliarden DM Ausgaben der öffentlichen Hand in Höhe von 151 Milliarden DM gegenüber. Diese Ausgaben waren gegenüber 1962 um 9%, das Bruttosozialprodukt nur um 6 % gestiegen, in konstanten Preisen, also real, überhaupt nur um 3,2%. Diese Beträge und ihr Verhältnis zum Bruttosozialprodukt reichen nach unserer Auffassung aus, um alle Ausgaben der öffentlichen Hand Schritt für Schritt und Jahr für Jahr zu erfüllen. Grundsätzlich soll sich die Erhöhung der öffentlichen Ausgaben mindestens im Rahmen der Steigerung des Sozialprodukts halten. Wir wissen, wie sehr sich der Finanzminister gerade dieser Frage annimmt.Dabei müssen wir natürlich feststellen — dieses Wort sei mir erlaubt, und zwar von Europa her gesehen, weil ich nun einmal dem Europäischen Parlament angehöre —, daß das Ausmaß 'der Koordinierung der Haushalts- und Finanzpolitik innerhalb der Bundesrepublik in genau umgekehrtem Verhältnis zu den Forderungen steht, die wir selbst bezüglich der gleichen Koordinierung innerhalb der EWG in Brüssel stellen. Sollten in Zukunft statt einer Empfehlung in Brüssel einmal verbindliche konjunkturpolitische Richtlinien beschlossen wenden, wie wir es sogar 'gefordert hatten und was der Vertrag vorsieht, so stünden wir vor einem großen Dilemma. Sollte hier nicht von der Bundesregierung ein neuer Versuch unternommen werden, eine Art konjunkturpolitischer Notstandsklausel zu schaffen, die im Wege eines Einigungsverfahrens angerufen werden könnte, wie wir es auf finanzpolitischem Gebiet kennen? Sollte sich unser föderalistischer Staatsaufbau nicht auch gegenüber dieser lebenswichtigen Frage besser bewähren, wenn man sich gerade im Interesse der Millionenschicht der Staatsbürger und des Wertes ihrer Ersparnisse 'einigte? Wer wollte glauben, daß bei einem solchen Einigungsverfahren etwa die Aufgaben der Länder und der Gemeinden zurücktreten müßten? Für die Freien Demokraten habe ich zur Genüge gerade auf die kulturpolitischen Forderungen hingewiesen.Es wäre am Platze, an dieser Stelle nun auf eine Fülle von Fragen einzugehen. Ich versage es mir, weil das ja heute nachmittag behandelt wenden soll.Ich möchte auch zu der Zollverordnung nicht Stellung nehmen, sondern nur kurz folgendes sagen: Diese Zollverordnung, mit der auf die EWG beschränkt Zollsenkungen vorgenommen werden sollen oder, besser gesagt, vorgezogen werden sollen, müssen 'wir natürlich heute — und das erklärt vieles — anders ansehen als etwa in den 50er Jahren, als wir mit Zollsenkungen gearbeitet haben. Und zwar deshalb, weil sich die Kostenlage der Wirtschaft in der Bundesrepublik seit dieser Zeit gegenüber den anderen Ländern doch beinahe umgekehrt 'hat. Lagen wir damals noch recht weit unten in unseren Kosten gegenüber vergleichbaren Ländern, so stehen wir heute recht weit oben und, wie Sie wissen, zu einem erheblichen Teil an der Spitze. Die Schwierigkeit besteht bei dieser Zollsenkung darin, daß man einemkleinen Teil der Wirtschaft die echten Lasten auflädt, während bei einem anderen, dem erheblich größeren Teil der Wirtschaft diese Zollsenkung kaum zur Wirkung kommt. Daraus ergeben sich natürlich nicht unerhebliche Gefahren für diesen kleinen Teil der Wirtschaft, von dem ich sprach, der dabei besonders belastet wird. Das wird sicherlich heute nachmittag alles im einzelnen besprochen werden. Ich bin glücklich darüber, daß es 'gelungen ist, eine Einigung bezüglich einer Ausnahmeliste zu finden, auf die es uns ganz besonders ankommt.Ich möchte auch keine Ausführungen machen über das Verhalten der Sozialpartner und über eine maßvolle Lohnpolitik, die von besonderer Bedeutung gerade für den Herbst ist. Auch das wird heute nachmittag 'besprochen werden. Man sollte dabei auch, wie es der Herr Bundeskanzler schon getan hat, auf die Preise eingehen, die sich aus Wirtschaftsbereichen ergeben, in denen eine so starke Rationalisierung nicht möglich ist und wo die Lohnerhöhungen häufig in die Preise durchschlagen. Denn das ist ein großes, u. a. auch ein politisches Problem, und ich hoffe, 'daß man darauf heute nachmittag eingeht. Wir haben ja eine Denkschrift des Gewerkschaftsbundes gerade zu diesen Preisen erhalten, und ich stehe nicht an, hier zu sagen, daß ich mit den Schlußfolgerungen dieser Denkschrift nicht übereinstimme. Natürlich sind diese politischen Preise im Jahre 1963 gestiegen; aber sie sind gestiegen — ohne daß ich das hier im einzelnen 'behandeln will —, weil sie eben steigen mußten, wen man nicht in vermehrtem Maße Subventionen zahlen wollte. Das wird sicherlich ein wichtiger Punkt sein, über den man sich unterhalten muß.Wenn ich das alles einmal im Zusammenhang betrachte, möchte ich sagen, daß es letztlich und vor allem — und darauf sollten wir in unserer heutigen Debatte eingehen — darauf ankommt, daß man der Übernachfrage, von der ich sprach, ein größeres Angebot gegenüberzustellen versucht. Wir sprachen darüber. Man kann diese Nachfrage auch künstlich zurückdrängen, mindestens eine Weile; aber echt kann man ihr nur zu Leibe rücken, wenn man an die Quellen der überstarken Geldversorgung geht und sie, soweit nötig, verstopft. Von der güterwirtschaftlichen Seite allein werden wir die Probleme, vor denen wir jetzt stehen, nicht lösen können. Ich möchte das mit aller Deutlichkeit sagen.Wenn wir uns mit diesen Fragen näher befassen, können wir einmal auf die Empfehlungen des Ministerrats der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Bezug nehmen, die über die Geld- und Kreditpolitik etwas aussagen. Wir können uns aber auch auf eine Äußerung des Nationalen Kreditrates in Frankreich, die ich wiederum der „Neuen Zürcher Zeitung" entnommen habe, beziehen, wo man, wie ich sagte, mit außerordentlichem Ernst um die Probleme der 'dortigen Preisentwicklung, der inflationären Entwicklung ringt. Es heißt dort mit Recht, daß die Entwicklung der Kredite und des Geldumlaufs ständig streng überwacht werden muß und daß neben der strengen Politik im Bereich der öffentlichen Finanzen vor allem die Mäßigung der Kreditausweitung die unerläßliche Voraussetzung für die Stabilisie-
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964 6543
Dr. Starkerung der Preise und die Erhöhung der Realeinkommen ist.Ich habe hier mit allem Bedacht einmal diese französische Stimme des Nationalen Kreditrates erwähnt, um zu zeigen, daß diese Probleme in den Nachbarländern im Vordergrund stehen. Wenn bei uns die Probleme der Notenbank und die Probleme der Anwendung der Instrumente der Notenbank behandelt werden, so hören wir — das wissen wir alle — immer wieder das gleiche.Es heißt dann, daß eine im Innern geübte Disziplan wirkungslos bleibe, wenn eine inflationistische Politik im Ausland geführt werde. Sie werden es mir nicht übelnehmen, wenn ich an dieser Stelle einmal sage: ich wehre mich gegen das Wort „wirkungslos". Ich gebe zu, daß die ausländischen Einflüsse da sind; wer wollte sie leugnen? Aber man darf nicht von der Wirkungslosigkeit innerer Disziplin sprechen.Man spricht weiter darüber, daß über die steigende Nachfrage aus dem Ausland und über die Geld- und Kapitalbewegungen nun die Inflation ins Inland importiert wird. Weiterhin haben Sie dann in der Gegenüberstellung: Konvertibilität der Währung, Freiheit des Geld- und Kapitalverkehrs und feste Wechselkurse, immer wieder die Überlegungen zu hören: es gibt keine autonome Geld- und Kreditpolitik mehr; die Instrumente der Notenbank greifen nicht, weder die Mindestreserven noch die Zins- und Diskontpolitik. Je mehr Disziplin durch Mittel im Inland erreicht wird, um so größer wird —I so heißt es dann — das fundamentale Ungleichgewicht der Zahlungsbilanz. Nur — so sagt man — eine internationale Koordinierung, eine Harmonisierung der staatlichen Wirtschafts- und Finanzpolitiken könne zum Ziele führen.Ich glaube, meine sehr verehrten Damen und Herren, man darf sich nicht der Tatsache verschließen, daß wir hier am Kernpunkt der ganzen Erörterungen stehen. Ich möchte bewußt einmal die Frage stellen: Sollen wir vor dieser Entwicklung kapitulieren? Ich beantworte diese Frage mit einem klaren Nein; wir dürfen es nicht tun. Eine Marktwirtschaft mit ihrem freien Spiel braucht einen Rahmen in einer Wettbewerbsordnung, und sie braucht ebenso einen Rahmen in einer straffen Finanzpolitik.
Eine straffe Finanzordnung muß vor allem die Quellen der Geldschöpfung kontrollieren. Bei uns sind diese Quellen — wie wir alle wissen — gegeben durch den Liquiditätszufluß aus dem Ausland, über die Devisenerlöse aus den Außenhandelsüberschüssen und aus dem Kapitalimport.Wir haben im Jahre 1960 in einer Situation gestanden — ich greife heute bewußt diese Fragen als Kern meiner Ausführungen auf —, die vielleicht in diesem Punkt noch ernster war als heute. Im Jahre 1960 hat die Notenbank mit allem Ernst ihre konjunkturpolitischen Instrumente angesetzt, und sie hat — wir sollten das nie übersehen — nachgegeben. Es ist nicht unsere Aufgabe, zu untersuchen,wie es im einzelnen damals gelaufen ist. Wir müssen nur feststellen, daß die damaligen kreditpolitischen Maßnahmen der Notenbank, mit denen sie versuchte, der Lage Herr zu werden, daran gescheitert sind, daß aus dem Ausland Geld ins Inland floß, und zwar aus den verschiedensten Quellen, und daß Geld zurückgerufen wurde. Diese Zuflüsse und Rückströme waren die Grundlage für eine damals enorme Kreditausweitung.Die Notenbank hat dann das Steuer herumgeworfen und, meine sehr verehrten Damen und Herren — das darf ich Ihnen allen noch einmal ins Gedächtnis rufen —, wir landeten bei der Aufwertung. Das war die Folge dieser Schwenkung der Notenbank. Sie wissen, daß dieses Kapitel in einem neu aufgelegten Buch von einem namhaften Professor aus Erlangen, der sich mit diesen Fragen sehr befaßt hat, die Überschrift trägt: „Das große Versagen der Notenbank-Politik" ; nicht der Notenbank, sondern „Das große Versagen der Notenbank-Politik". Wir müssen das deutlich sehen, um zu wissen, worum es jetzt geht. Es kommt jetzt für uns nämlich darauf an, daß wir diesen Schock von 1960 überwinden, daß wir loskommen von dem Glauben, wonach solche autonomen kreditpolitischen Maßnahmen unmöglich und wirkungslos seien.Noch viel mehr sollten wir uns von dem Gedanken frei machen, daß wir hier weltanschauliche Grundsatzdebatten führen müßten, die um das Wort „Dirigismus" und dergleichen kreisen. Für uns kommt es darauf an, daß wir pragmatisch vorgehen und daß wir eine gute Politik machen, die für die nächsten Monate entscheidend sein wird.Wenn wir untersuchen, wie die Dinge denn nun stehen, so müssen wir verhindern, daß ein unerwünschter Liquiditätszuschuß aus dem Ausland kommt. Auf der anderen Seite ist uns allen gemeinsam, daß wir den mühsam aufgebauten und unseren Lebensstandard tragenden Export nicht gefährden. Eine Anpassung auf der anderen Seite an die Preisentwicklung in den Inflationsländern lehnen wir ab; sie kommt nicht in Frage.Dann stehen wir — und bewußt fasse ich dieses heiße Eisen an — vor der Frage der Aufwertung. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat ja dazu noch einmal eine Erklärung abgegeben. Ich möchte Ihnen sagen, wir sind heute in einer sehr glücklichen Lage für eine Diskussion, weil wir uns nicht mehr darüber zu unterhalten brauchen, ob die Aufwertung 1961 richtig oder falsch war. Und zwar deshalb, weil die Situation heute eine andere ist. Auch die, die damals für eine Aufwertung waren und sie für richtig hielten, sprechen sich heute gegen die Aufwertung aus. Wir wissen alle, daß das vor allem daran liegt, daß wir heute nicht mehr ein Ungleichgewicht über den Atlantik hinweg haben, sondern daß wir seit 1959 eine Entwicklung in den Vereinigten Staaten haben, die schon in Europa und der EWG Sorgen bereitet, nämlich eine Stabilität, wie wir sie nicht mehr zu verzeichnen haben. Das ist die Veränderung der Situation.Meine sehr verehrten Damen und Herren, das heißt nun folgendes: Unsere Kostensituation ist
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6544 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964
Dr. Starkewohl gegenüber einigen im Augenblick im Inflationsstadium befindlichen Nachbarländern vielleicht eine günstige, bestimmt aber nicht anderen großen Welthandelsnationen gegenüber. Eine Aufwertung muß generell wirken. Herr Kollege Möller, übrigens auch die Veränderung der Umsatzausgleichsteuer und der Exportrückvergütung wirkt immer generell, man kann sie nicht nach Ländern abstufen. Insofern ist dieses Bedenken — und es liegt mir sehr viel daran, das zu betonen — gegen die Vorschläge sowohl der Veränderung der Umsatzsteuer an der Grenze wie der Veränderung der Aufwertung gegeben.Ich möchte Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, darauf hinweisen, daß man von einer Aufwertung bei einem fundamentalen Ungleichgewicht spricht, und das ist bei uns nicht gegeben. Wenn ich einmal die Kapitalseite weglasse, so bleibe ich bei der Außenhandelsbilanz. Die Außenhandelsbilanz weist 1963 einen sehr hohen Überschuß auf. Aber wir sehen doch immer mehr, in welch großem Ausmaß sowohl die unentgeltlichen Leistungen wie die Dienstleistungen in ein Minus gerutscht sind, so daß ein erheblicher Teil des Überschusses der Handelsbilanz dadurch schon aufgezehrt wird. Das ist bedeutungsvoll, weil wir uns nunmehr sehr stark der Situation der Schweiz nähern, bei der ja bekanntlich infolge einer passiven Handelsbilanz — also noch weitergehend als bei uns — die ganze innere Schwierigkeit überhaupt nur noch aus den Kapitalbewegungen stammt. Ich bitte das zu beachten, weil es ein außerordentlich wichtiger Punkt ist für die Vergleichbarkeit mit den Schweizer Maßnahmen.Wir haben unterdessen vor allem aber gelernt, daß eine Aufwertung, ob sie nun nach der Auffassung jemandes geglückt ist oder nicht geglückt ist, auf alle Fälle sowohl vorher, wenn man darüber spricht — wir haben es in den letzten Tagen erlebt —, wie auch nachher die Spekulation anreizt. Weiter haben wir gelernt, daß wir weiten Bereichen der Wirtschaft schaden; ich erwähne nur einmal die Werften, um es ganz deutlich zu machen. Wir wissen aber auch darüber hinaus, daß die Aufwertung das Ringen um die innere Disziplin nicht überflüssig macht. Ich habe mir 1961 einmal in einer Rede unmittelbar nach der Aufwertung zu sagen erlaubt, man solle nicht glauben, daß die Aufwertung die Disziplin im Innern ersetze, sie könnten nur gemeinsam Hand in Hand gehen.Nun kommt aber das Entscheidende. Was uns alle bedrückt, und ich glaube, auch diejenigen, die der Aufwertung damals zugestimmt haben, ist doch, daß die internationale Gesamtsituation durch die Aufwertung, nicht erleichtert wird, es sei denn, daß die anderen Staaten in Zukunft die gleiche Disziplin üben. Und das haben sie eben nicht getan, weshalb ich hier zunächst einmal mit dieser kurzen Begründung den Satz deutlich aussprechen möchte: Aufwertung und ähnliche Maßnahmen gehören an das Ende von Harmonisierungsbestrebungen und nicht an den Anfang! Das ist ein wichtiger Punkt, den wir besonders im Auge behalten sollten. Es ist eine besondere Vorsicht am Platze, wenn man über die Aufwertungspricht oder sie andeutet oder anklingen läßt. Es gibt dafür einen modernen Ausdruck, den ich gar nicht so gerne höre: Es gebe auch Maßnahmen, die man ohne das Parlament durchführen könne. Dazu möchte ich doch sagen: Wem ist es denn ein Geheimnis geblieben, daß die Wirtschaft sich vor einer Aufwertung und den damit verbundenen Verlusten schützen muß? Das tut sie, indem sie sich im Ausland verschuldet. Sie müssen sich darüber klar sein, daß das in den letzten 14 Tagen reichlich der Fall gewesen ist. Diese Verschuldung im Ausland führt uns gerade das zu, was wir nicht wollen, nämlich Devisen und Liquidität. Ich habe das bewußt auch hier einmal gesagt, weil es ja sehr, sehr schwierig ist, in diesen Debatten um unsere Konjunkturpolitik etwas zu sagen, ohne daß man damit gleich Folgen heraufbeschwört, die uns allen nicht angenehm sind.Hatten wir bisher die Diskussion um die Aufwertung, so ist in den letzten Wochen — der Herr Bundeskanzler hat es gleichfalls erwähnt — vor allen Dingen die Diskussion um Begriffe wie „schleichende Aufwertung" aufgekommen. „Schleichende Aufwertung" ist gewissermaßen eine Aufwertung in kleinen Dosen. Andere Begriffe sind „Bandbreite der Wechselkurse" und schließlich „flexible Wechselkurse". Ich glaube, man sollte das nicht im einzelnen untersuchen; denn wenn Sie es auf den Kern untersuchen — was uns hier zu weit führen würde —, landen Sie immer wieder bei den Problemen, die ich auch zur Aufwertung genannt habe.Nur dem Problem der flexiblen Wechselkurse möchte ich einige Worte widmen, weil es so sehr im Vordergrund steht. Man sollte jetzt nicht sagen, so etwas sei abzulehnen. Das hat auch der Herr Bundeskanzler nicht getan. Ich wiederhole hier meinen Satz: Flexible Wechselkurse können sinnvoll wie eine Aufwertung oder Abwertung in anderen Ländern immer nur am Ende von Bemühungen um eine gemeinsame Stabilisierung stehen. Damit ist für uns die Frage schon dahin beantwortet, daß flexible Wechselkurse und die Bemühungen darum uns rein zeitlich aus unseren Nöten, die uns auf den Nägeln brennen, nicht helfen können. Wir müssen zunächst einmal mit dem Internationalen Währungsfonds verhandeln, wir müssen in der EWG verhandeln.Das weitere Problem, das damit zusammenhängt und uns bekannt ist, ist die Frage des Exports. Wir exportieren nicht nur Dinge, die morgen bezahlt sind, sondern wir exportieren auch Güter und Ausrüstungen, die in Jahren erst bezahlt werden. Dann ist die große Frage der Sicherung der Firmen gegen solche flexiblen Wechselkurse gegeben.Aber ich glaube, das ist noch nicht einmal alles; denn das wesentliche Moment, das mir — nur für mich persönlich sage ich es hier einmal — die flexiblen Wechselkurse als nicht geeignet erscheinen läßt, ist ein anderes. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Wechselkurse wurden dann, wenn sie flexibel sind, nicht nur durch die Leistungsbilanz, sondern auch durch die Kapitalbewegungen bewegt. Sie müssen dann nämlich, wenn Sie die Wechselkurse flexibel gemacht haben, genau das suchen, was wir jetzt gemeinsam suchen: eine Abwehr gegen die Schwierigkeiten aus Kapital- und Geld-
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964 6545
Dr. Starkeströmen. Damit ist uns überhaupt nicht geholfen. Ich habe mich bemüht, einmal den Kern der Fragen herauszuschälen, weil es gerade angesichts der vielen, vielen Aufsätze und Worte, die man darüber liest und hört, immer nur auf diesen Kern ankommt.Nun noch ein letztes, das ich in Gesprächen mit sehr maßgeblichen Leuten auf diesem Gebiet herauszukristallisieren versucht habe. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer wollte denn übersehen, daß flexible Wechselkurse ein handelspolitisches Instrument werden könnten und wahrscheinlich würden, welches weit mehr den freien internationalen Handel stören könnte als Zölle und alle anderen Maßnahmen? Durch die Beeinflussung der Wechselkurse über die Notenbanken, die ja nicht überall so unabhängig vom Staat sind wie bei uns, könnte man nämlich handelspolitische Situationen schaffen, die für den einen Staat sehr günstig, für den anderen Staat extrem ungünstig sind. Ich sage Ihnen offen — um einmal das Wort zu benutzen, das jemand vor kurzem öffentlich geschrieben hat —: Mir erscheint es höchst zweifelhaft, ob das Kursprestige der eigenen Währung pädagogisch genügend wirksam sein würde, um die Staaten zu der Disziplin zu bringen, zu der sie bisher nicht gebracht worden sind.Ich bin tatsächlich der Meinung, daß mit der Lösung der Wechselkurse, beinahe möchte ich sagen, das Letzte an Bindung genommen wind, was noch für eine disziplinierte Haltung —über die Welt hin — in den Staaten gegeben ist. So möchte ich denn sagen: aus institutionellen wie aus Gründen der Praktikablität können solche Maßnahmen nicht am Anfang, sondern nur am Ende von internationalen Bemühungen stehen.Ich belege das mit einem Satz, den ich ebenfalls in .der öffentlichen Diskussion gelesen habe — der eine oder andere wird ihn kennen —: es wird nämlich von Anhängern flexibler Wechselkurse selber gesagt, daß ,diese freien Wechselkurse um so weniger schwanken werden, je mehr national und international Disziplin geübt wird. Das ist gerade das, was ich meinte.Ich möchte mich auf einen Mann stützen, der eine international bekannte Auffassung zu diesen Dingen vertritt. Das ist der Präsident der Notenbank von Österreich, Herr Kauritz. Herr Kamitz bringt die Frage flexibler Wechselkurse nach der „Zürcher Zeitung " — Herr Möller, wir beziehen unsere Weisheit sehr viel daraus — wie folgt:Durch eine solche intensive internationale Kooperation wird es möglich sein, das Entstehen hoher Zahlungsbilanzüberschüsse oder -defizite auf ein erträgliches Maß zu reduzieren.Und dann heißt es:Die Beseitigung des verbleibenden Ungleichgewichts könnte durch eine gewisse Elastizität der Wechselkurse, wenn auch nur in abgegrenztem Rahmen, erfolgen.Sie sehen also, daß auch hier diese Frage so 'angesehen wird, wie ich es tue.Ich möchte hervorheben, daß wir die Maßnahmen der Notenbank zur Abwehr zeitweilig unerwünschter Liquidität aus dem Ausland begrüßen. Aber ungeachtet dessen, daß man diese Maßnahmen treffen muß, müssen wir das Vertrauen, das das Ausland uns entgegenbringt, mit ,allem Nachdruck schützen und schonen. Die Schweiz kann ,uns darin ein Vorbild sein, wie bei 'gewichtigen Maßnahmen, die sie getroffen hat, trotzdem das Vertrauen des Auslandes nicht aus idem Auge verloren wurde.Die Forcierung des Geldexports, über die wir so viel lesen, !beinhaltet nichts für die Lösung unseres Problems. Es ist ein Window-dressing, wie man es nennt; ,es ist nur ein besseres Ausgestalten der Bilanz.Die Frage des Kapitalexports ist ebenfalls heute angeschnitten worden. Der Kapitalexport sollte sicherlich gefördert werden. Aber ich möchte an dieser Stelle nur einen Satz sagen: Devisenvorräte sind nicht mit Kapitalreichtum gleichzusetzen. Das sollten wir nicht übersehen. Was glauben Sie denn, in welchem Ausmaß wir langfristig Kapitalexport betreiben können? Das wird zu diesem Problem immer nur ein wenig beitragen können. Es ist sicher nicht der Weisheit letzter Schluß — das ist kein Vorwurf, das ist nur eine Feststellung der Situation —, wenn wir in Deutschland, in der Bundesrepublik am laufenden Band Geld exportieren zu 2 oder 3 %, wenn wir Kapital exportieren zu 3 oder 4 %, und wenn wir wiederum in so großem Umfang aus dem Ausland Kapital .zu ,6 % aufnehmen. Man muß auch das einmal deutlich sehen und erneut überprüfen.Ich komme damit 'zu der Kapitalertragsteuer, die angekündigt worden ist und die unser Parlament heute 'kurz behandeln, im übrigen dann im Oktober beraten wird. Hier spielt die Schonung des Vertrauens des Auslandes eine sehr erhebliche Rolle. Es wird bei der Beratung, wie wir wissen, sehr viel technische und Abgrenzungsschwierigkeiten geben. Aber über all dem möchte ich deutlich zum Ausdruck 'bringen, daß man die wirkungsvolle Entlastung, die unser Land allein durch die Ankündigung der Steuer erfahren hat, nicht 'übersehen darf. Das zu sagen, ist man, glaube ich, denjenigen, die diese Ankündigung ausgesprochen haben, schuldig, wenn man auch sicherlich bescheiden hinzufügen kann: eine gewisse, größere Geschicklichkeit bei der Bekanntgarbe der Maßnahmen hätte uns vielleicht alles ein wenig erleichtert. Aber wir bewegen uns sozusagen in Neuland.Lassen Sie mich hier einschalten, was ich vorhin schon einmal gesagt habe; es ist für den Schluß meiner Ausführungen von Bedeutung. Die Situation bei uns wird bei aller Unterschiedlichkeit in den entscheidenden Problemen, mit denen wir zu ringen haben, immer ähnlicher derjenigen der Schweiz. Das ist für uns natürlich nicht ohne Belang. Auch dort ist eine Aufwertung nicht am Platz, weil die Gefahr einer schweren Beeinträchtigung des Exports gegeben wäre, der in der Schweiz eine vielleicht noch größere Rolle als bei uns spielt. Aber auch bei uns kommt beinahe schon wie in der Schweiz — ich erwähnte es vorhin schon einmal — die Auslandsliquidität über die Geld- und Kapitalimporte ins Land, denn wir verbrauchen die Überschüsse der
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Dr. StarkeHandelsbilanz weitgehend für die Defizite in der Dienstleistung und in der Bilanz der unentgeltlichen Leistungen. In beiden Ländern kommt es also darauf an, daß die aus dem Ausland zugeführte Liquidität nicht zur Grundlage einer übermäßigen Kreditexpansion wird. Das ist das Problem, vor dem wir gemeinsam stehen. Sie wissen, daß die Schweiz in den letzten Monaten zur Bewältigung dieser Probleme eine Reihe von Maßnahmen ergriffen hat, die wir gar nicht intensiv genug studieren können. In beiden Ländern ist eine enge, wirkungsvolle und intensive Zusammenarbeit zwischen Notenbank und Geschäftsbanken erforderlich. Ich darf hier die Erwartung aussprechen, daß unsere Notenbank diesen Weg gehen wird.
— Die Schweiz ist sicherlich kleiner. Aber Frankfurt ist auch ein großer Bankenplatz; dort ist ja alles vereint.
— Ich stimme Ihnen ganz zu. — In der Schweiz hat man nun durch ein besonderes Gesetz eine Möglichkeit geschaffen, die wir genau betrachten müssen. Man hat dort die Möglichkeit geschaffen, daß freiwillige Vereinbarungen zwischen Notenbank und Banken durch den Bundesrat — das ist, was bei uns die Bundesregierung ist — für allgemein verbindlich erklärt werden können. Die Schweiz hat diese Maßnahme als unerläßlich für die Fortsetzung einer Stabilitätspolitik angesehen.Ich brauche es diesem Hohen Haus nicht zu sagen: In fast allen Punkten, in denen sich die Schweiz diese Vollmachten geschaffen hat, brauchen wir sie nicht zu schaffen, weil sie in unserem Außenwirtschaftsgesetz enthalten sind. Ich darf mich damit begnügen, diesen Satz hier deutlich auszusprechen. Wir sollten diese Fragen sehr genau überprüfen, ohne daß wir heute hier auf Einzelheiten eingehen. Diese Vollmachten sind ja nicht dazu da, daß man sie anwendet, bevor es notwendig ist. Wir müssen uns nur in Erinnerung rufen, daß sie gegeben sind und daß sie ein wirkungsvoller Hintergrund für eine Geld- und Kreditpolitik sein können, wie wir sie bei uns in der Bundesrepublik zur Bewältigung der Probleme, die anstehen, unbedingt brauchen. Man sollte hier nicht von Dirigismus sprechen. Allzu oft steht hinter diesem Wort auch ein Interesse.
Wir sind der Meinung, daß eine autonome monetäre Steuerung ein wesentliches und unverzichtbares Element unserer Marktwirtschaft und unserer freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ist. Diese Ordnung verteidigen wir z. B. gegenüber anderen Ordnungen im Osten durch Kontingente im Handelsverkehr, und das tun wir nicht, weil wir sie lieben, sondern um uns vor den Gefahren, die aus diesen anderen Systemen auf uns zukommen, nach Möglichkeit zu schützen. Ich bitte Sie, die von mir erwähnten Vollmachten einmal unter dem Gesichtspunkt zu sehen, daß sie uns vor Gefahren schützen sollen, die nun einmal unausweichlich im Augenblick aus ausländischen Entwicklungen aufuns zukommen. Die Vollmachten sollen uns einen Spielraum für eine autonome Politik geben, mit der wir der inneren Stabilität dienen wollen.Manchmal, so möchte ich eigentlich sagen, drehen wir uns in unseren Betrachtungen ein wenig im Kreis. Wenn ich Ihnen nun einmal zwei Gedankengänge vor Augen führe, werden Sie mir recht geben. Man sollte das alles einmal genau überdenken. Sie hören z. B.: hereinströmendes Auslandskapital bringt unerwünschte Liquidität. Auf der anderen Seite sagt man uns: ohne dieses hereinströmende Auslandskapital haben wir nicht ausreichend Kapital, um all das, einschließlich der Wünsche der öffentlichen Hand, zu bewältigen, was wir bewältigen wollen. Zur gleichen Zeit empfehlen wir einen Kapitalexport! Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß alle, die sich mit diesen Fragen befassen, die Sätze, die zu verschiedenen Zeitpunkten und an verschiedenen Orten gesprochen werden, einmal untereinander stellen sollten; um sie miteinander zu vergleichen.Wir sollten bei unserer im Augenblick überforderten Wirtschaft mit einer gewissen Ruhe ansehen, was etwa passiert, wenn es uns gelänge, zu einer gewissen Stabilität im Inneren zu kommen. Es kann ja keine Rede davon sein, daß jeder freie Raum, der hier entstünde, sofort für einen verstärkten Export benutzt werden könnte. Ich darf auf eines hinweisen. Von einem Teil unserer Wirtschaft meint man im allgemeinen — ich wage es kaum mehr zu sagen —, daß er doch recht überfordert sei, wie die Bauwirtschaft. Sie wird ganz sicherlich nicht in den Export gehen, wenn der eine oder andere große Auftrag nun eben erst im nächsten Jahr kommen sollte.Ich komme zum Letzten. Es gibt auch — selbst diese Stimmen melden sich schon wieder — keinen Konflikt zwischen einer solchen Konjunkturpolitik der Stabilität und einer Wachstumspolitik. Wer überlegt, was es heißt, jetzt Forderungen nach stärkerem Wachstum zu stellen, wo in den letzten Jahren der reale Anstieg unseres Sozialproduktes wiederholt nur noch halb so groß war wie der nominelle Anstieg — d. h. daß die Hälfte des glorreichen Anstieges aus Preissteigerungen bestand —, der wird sich wahrscheinlich weiteren Überforderungen aus einem noch hektischeren Wirtschaftswachstum verschließen.Frankreich — ich darf das zu meiner Freude noch einmal sagen, und wir sollten das alle sehr sorgfältig beobachten — kämpft im Augenblick einen heroischen Kampf, von der öffentlichen Hand bis in alle Bereiche hinein. Wir sollten gerade nach dem, was wir bisher dort sahen, das sehr sorgfältig beobachten, damit es nicht in einigen Jahren einmal heißt, Deutschland müsse sich auf einer Reihe von Gebieten der Politik einmal ansehen, wie wirkungsvoll in Frankreich die Dinge gestaltet würden. Das sollte man ruhig ins Auge fassen.
Ich komme nun zu einem weiteren Punkt in Ergänzung dieses Vorbringens. Ich habe vorhin einmal davon gesprochen, daß wir in den zurückliegen-
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Dr. Starkeden Jahren weltüber mit Schwierigkeiten zu tun hatten. Ich betone, daß diese Schwierigkeiten im Augenblick nur gegenüber unseren europäischen Nachbarländern bestehen. Wir haben keinen Anlaß, davor so schnell zu kapitulieren, daß wir etwa meinen, mit einer eigenständigen Politik von unserer Seite könne man dem nicht begegnen. Ich bin der Auffassung, daß wir uns mit einer wirksamen Geld-und Kreditpolitik, die nach den Erkenntnissen der Notenbank zur richtigen Zeit und im Einvernehmen mit der Bundesregierung eingesetzt wird, eine Position schaffen können, die eine bessere Verhandlungsposition in den Bemühungen um Stabilität international und weltüber darstellt; denn dann würde deutlich erkannt, daß wir nicht gewillt sind, von uns aus wiederum Maßnahmen zu treffen, die es den anderen Ländern erlauben, ohne eigene Maßnahmen den bisherigen Weg der Instabilität weiterzugehen.Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man mir sagt — und auch das ist bereits gesagt worden —, daß ein solcher Weg notwendig zur Aufwertung führen müsse, dann antworte ich: Nein, das ist nicht richtig! Dieser Weg führt uns vielmehr zu einer besseren Verhandlungsposition, wie ich sagte, und am Ende des Bemühens um die Stabilisierung in der EWG, die ja kommen muß, wenn die Integration nicht Schiffbruch leiden soll, an einem solchen Ende der Verhandlungen, die eine Stabilisierung herbeigeführt haben werden, stehe ich nicht an zu sagen, daß dann eine Entzerrung verzerrter Kursrelationen möglich ist. Dabei bleibt völlig offen, ob das eine deutsche Aufwertung oder etwa eine Abwertung anderer Länder sein müßte.Wir sollten deutliche Erklärungen abgeben. Es kann für uns keine Anpassung an die Preisentwicklungen inflatorischer Länder geben. Es kann für uns in dieser Situaton keine Aufwertung geben, wohl aber eine sichere monetäre Steuerung der Nachfrage durch die Notenbank im Einvernehmen mit der Bundesregierung, die im notwendigen Umfang zum Nutzen des Ganzen nach außen abgeschirmt werden muß, bis die Bemühungen der Bundesregierung, die sie gemeinsam mit anderen Ländern gleicher Zielsetzung anstellen sollte — und gemeinsam liegt hier in ihren Belangen und Interessen mit uns die Schweiz —, zu einem Erfolg geführt haben, zu einer besseren internationalen Harmonisierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Dann, und erst dann entsteht, wie ich sagte, unter Umständen die Notwendigkeit, gewisse Kursrelationen zu entzerren.Ich komme zum Schluß. Wir haben eine freiheitliche Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Sie basiert auf einer stabilen Währung. Mit der Verteidigung des Geldwerts verteidigen wir zugleich dieses freiheitliche System. Der Preis dieser Freiheit ist die Disziplin, die Disziplin des Staates und des Bürgers. Dabei muß der Staat unzweifelhaft die Richtpunkte setzen, nach denen sich wiederum diese Disziplin ausrichten soll. Ich glaube, wenn wir so vorangehen, ohne daß wir weltanschauliche Grundsatzdebatten führen, sondern indem wir uns pragmatisch das vorstellen, was getan werden muß, können wir einen Weg gehen, auf dem wir nicht zukapitulieren brauchen, auf dem wir — diese These stelle ich hier auf — mit unseren Maßnahmen nicht so wirkungslos zu bleiben brauchen, wie es heute manchmal dargestellt wird.Ich möchte für die Freien Demokraten noch einmal sagen: Das war für uns der Sinn, der im großen heute die ganze Debatte durchziehen sollte, auch dort, wo sie nur Einzelgesetze und -verordnungen betrifft, die alle ein Stück beitragen sollen zu dem gemeinsamen Ziel der Verteidigung unserer Freiheit durch eine Aufrechterhaltung der Stabilität unserer Verhältnisse.
Wir treten in die Mittagspause ein. Wir werden die Verhandlungen mit Punkt 27 der Tagesordnung fortsetzen. Anschließend wird die Konjunkturdebatte fortgesetzt; erster Redner ist dabei der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr.
Meine Damen und Herren! Die Sitzung ist wieder eröffnet.Ich rufe zunächst auf Punkt 27 der Tagesordnung:a) Erklärung des Bundestagspräsidentenb) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Ergänzung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages .Meine Damen und Herren! Ich gebe dem Haus von folgendem Kenntnis:1. Nach § 2 Abs. 3 des Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Bundestages hat der Wehrbeauftragte nach Schluß des Kalenderjahres einen schriftlichen Gesamtbericht zu erstellen. Der Bericht für das Jahr 1963 wurde unter dem 4. Juni 1964 abgeschlossen, einige Tage danach mir vorgelegt und am 12. Juni 1964 als Drucksache IV/2305 an die Mitglieder des Hauses verteilt. Da ich dem Jahresbericht des Wehrbeauftragten Bedeutung nicht nur für das Parlament beimesse, habe ich vor Drucklegung angeordnet, daß 6600 Exemplare des Berichts der Bundeswehr zur Verfügung gestellt werden. Das ist geschehen. Am 15. Juni habe ich den Bericht nach § 76 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung dem Ausschuß für Verteidigung überwiesen.2. Am gleichen Tage gab mir der Staatssekretär im Bundeskanzleramt Kenntnis von einem an ihn gerichteten Brief der Redaktion einer Illustrierten, in dem es hieß, daß ihr der Wehrbeauftragte — ich zitiere — „einen erstaunlichen Bericht zur Verfügung gestellt habe". Der Wehrbeauftragte habe das der Illustrierten gegenüber wie folgt begründet — ich zitiere weiter —: „In diesen Tagen habe ich dem Parlament meinen Jahresbericht vorgelegt, aber ich habe nicht das Recht, zu diesem Bericht vor dem Parlament persönlich Stellung zu nehmen. Des-
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Präsident D. Dr. Gerstenmaierhalb wähle ich das Forum dieser Illustrierten." So weit Zitat aus jenem Schreiben.3. Ich habe den Wehrbeauftragten sofort von dem an mich gerichteten Schreiben des Staatssekretärs im Bundeskanzleramt in Kenntnis gesetzt und ihn um unverzügliche Stellungnahme gebeten. Am Tage darauf, also am 16. Juni, fand zwischen dem Wehrbeauftragten und mir eine Besprechung statt. In dieser Besprechung legte der Wehrbeauftragte Wert auf die Feststellung, daß er1. in keiner Weise beabsichtigt habe, gegen das Parlament zu demonstrieren. Es sei deshalb auch eine Mißdeutung, wenn seine Veröffentlichungen als ein Protest dagegen bezeichnet würden, daß er vor dem Parlament nicht selbst das Wort ergreifen könne.2. Die Aufmachung seiner Gedanken, seiner Überzeugungen und Formulierungen in der Illustrierten befremde ihn selber. Sie könne auch eine Verfremdung der von ihm gemeinten Sache bedeuten, die er natürlich bedauern würde.3. Er würde nicht anstehen, sich in angemessener Form zu entschuldigen, wenn das für notwendig gehalten werde.4. Der Wehrbeauftragte ließ schließlich auch keinen Zweifel daran, daß er auch bereit sei, anderweitige persönliche Konsequenzen zu ziehen, wenn sich das als erforderlich erweisen sollte.5. Seine kritischen Betrachtungen seien im ganzen bereits im Satz. Sie würden in der nächsten Folge überhöht durch konstruktive Vorschläge.Soweit das Ergebnis der Besprechung vom 16. Juni.Ich erklärte in derselben Besprechung dem Wehrbeauftragten, daß sein ungewöhnliches Vorgehen nach meiner .Überzeugung zum Gegenstand einer formellen und materiellen Überprüfung gemacht werden müsse. Die formelle Seite der Sache würde ich nach Abschluß seiner Veröffentlichungen, der Übung des Hauses entsprechend, zunächst zum Gegenstand eines Gesprächs im Ältestenrat machen. Die materielle Seite müsse nach meiner Überzeugung von dem Verteidigungsausschuß geprüft werden. Dabei müsse geklärt werden, ob seine nichtamtlichen Auslassungen in Übereinstimmung gebracht werden könnten mit seinem amtlichen Bericht an das Parlament.Ich machte den Wehrbeauftragten weiter darauf aufmerksam, daß die Frage, ob er im Parlament zu seinem Bericht das Wort nehmen könne oder nicht, noch keineswegs entschieden sei, sondern daß nach einer Aussprache, die im Ältestenrat darüber stattgefunden habe, der rechtskundige Vizepräsident des Bundestages, Herr Dr. Dehler, ein Rechtsgutachten erstattet habe und daß nunmehr der Geschäftsordnungsausschuß des Hauses mit der Frage befaßt sei.Ich erklärte weiter, daß eine Entscheidung in dieser Sache mit Sicherheit zu erwarten sei, e h e sein bei dem Verteidigungsausschuß liegender Berichtdem Plenum des Hauses zur Diskussion vorgelegt I werde.Um dem Wehrbeauftragten sodann die Möglichkeit zu geben, sich selber schon vor der beginnenden Überprüfung seines Verhaltens dienstlich zu interpretieren, wurde vereinbart, daß er sich zu folgenden Fragen schriftlich äußern solle:1. ob die inhaltlichen Aussagen seiner „Quick"-Veröffentlichung beabsichtigt oder unbeabsichtigt über die Feststellungen des amtlichen Berichts an den Bundestag nicht nur hinausgehen, sondern diesen Feststellungen in. wichtigen Punkten auch zuwiderlaufen,2. warum er sich über seine amtliche Möglichkeit hinaus in Fragen seines Amtes in einer Illustrierten geäußert habe.Unter dem 22. Juni hat der Wehrbeauftragte in einem an mich gerichteten Brief zu den beiden Fragen wie folgt Stellung genommen:Ich bin der Auffassung,— so schreibt der Wehrbeauftragte —daß die Äußerungen in der Artikelserie im Sachgehalt nicht über die Feststellungen in meinem Jahresbericht hinausgehen. In meinem Bericht an den Bundestag habe ich zum Ausdruck gebracht, daß die Diskussion um die Grundsätze der Inneren Führung mit einer Heftigkeit geführt wird, wie dies bisher nicht der Fall war. Ich habe mich mit dem Bild des Soldaten, wie es den Gegnern der Inneren Führung vorschwebt, auseinandergesetzt und nachdrücklicher als bisher meine Bedenken dagegen vorgebracht. Die gleichen Einwände gegen diese überholten Vorstellungen vom Soldaten habe ich, dem Zweck der Veröffentlichung entsprechend, etwas schärfer auch in der Artikelserie erhoben.Wie ich festgestellt habe, ist vor allen Dingen meine Äußerung, in der Bundeswehr sei der Trend zum Staat im Staate unverkennbar, mißverstanden worden. Ich habe in meinem Gespräch mit dem Herrn Bundesminister der Verteidigung am 20. Juni 1964 ausdrücklich erklärt, daß diese Formulierung nicht dahin zu verstehen sei, daß sich in der Bundeswehr ein Trend, auf der politischen Ebene vorzudringen, bemerkbar mache. Ich wollte meine Äußerung lediglich so verstanden wissen, daß sich in der Bundeswehr eine Gefahr zur gesellschaftlichen Selbstisolierung abzeichne. Keinesfalls habe ich daran gedacht, die Bundeswehr auch nur im geringsten mit dem Odium politischer Ambitionen zu belasten. Allerdings bin ich der Auffassung, daß eine gesellschaftliche Selbstisolierung den Grundsätzen der Inneren Führung widersprechen würde.Auch aus meinem Jahresbericht läßt sich entnehmen — worauf ich in der Artikelserie eindringlich hingewiesen habe —, daß sich in der Bundeswehr ein Stil zu entwickeln drohe, der der Vergangenheit angehöre und daher vom Soldaten der Gegenwart strikt abgelehnt werde.
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Präsident D. Dr. GerstenmaierIch habe mich bei der Veröffentlichung von dem Gedanken leiten lassen, die Grundtendenz meines Jahresberichts in eine Sprache zu bringen, die den mit den Problemen nicht näher vertrauten Staatsbürgern ohne weiteres verständlich ist.Dies machte es erforderlich, daß hier und da schärfere, vielleicht auch einmal verallgemeinernde Akzente gesetzt worden sind, die aber meines Erachtens im Grundsätzlichen dem Gehalt meines Jahresberichts nicht widersprechen.Ich stehe nicht an, Ihnen, sehr geehrter Herr Bundestagspräsident, bei dieser Gelegenheit zu sagen, daß ich nach der sehr sachlich geführten Besprechung mit dem Herrn Bundesverteidigungsminister am 20. Juni 1964 für den weiteren Verlauf der Diskussion gern auf Formulierungen verzichtet hätte, die als überspitzt angesehen werden können oder im einen oder anderen Falle gar als persönliche Angriffe gewertet werden könnten. Meine Bemühungen, die zweite und dritte Artikelserie in dieser Hinsicht zu ändern, blieben aus technischen Gründen leider erfolglos.Das, meine Damen und Herren, ist der Brief des Herrn Wehrbeauftragten vom 22. Juni 1964 an den Bundestagspräsidenten.4. Von diesem Sachverhalt und dem Brief des Wehrbeauftragten habe ich den Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses des Bundestages sogleich in Kenntnis gesetzt und ihn gebeten, seinen Ausschuß so rasch als möglich einzuberufen, damit er sich noch in dieser Woche wenigstens über die Methode der Behandlung der Sache einigen könne. Der Verteidigungsausschuß ist heute früh zusammengetreten und hat beschlossen, mit der Beratung des Jahresberichts des Wehrbeauftragten zu beginnen, und den Wehrbeauftragten zu ersuchen, seine außeramtlichen Äußerungen zu begründen und entstandene Mißverständnisse aufzuklären.5. Ich habe gestern mittag den Wehrbeauftragten erneut zu einer Besprechung empfangen. Dabei hat mich der Wehrbeauftragte gebeten, ihm sogleich Krankheitsurlaub zu gewähren, damit er sich einer im übrigen schon seit längerer Zeit vorgesehenen Untersuchung unterziehen könne. Der Herr Wehrbeauftragte hat nicht verschwiegen, daß er bei dieser Gelegenheit auch hoffe, einige Distanz zu den Ereignissen zu gewinnen. Ich habe trotz der Notwendigkeit, die aufgeworfenen Fragen so rasch als möglich einer Klärung zuzuführen, der Bitte des Wehrbeauftragten entsprochen, weil sie ohne jeden Zweifel sachlich berechtigt ist. Es wird sich vielleicht nicht vermeiden lassen, daß die Lösung der Aufgabe, mit der der Verteidigungsausschuß in diesem Falle befaßt ist, dadurch verzögert wird; aber ich konnte die Ablehnung des Krankheitsurlaubs des Wehrbeauftragten dennoch nicht in Erwägung ziehen.6. Ich bin davon überzeugt, daß ich mich im Einvernehmen mit dem ganzen Hause, befinde, wenn ich in diesem Zusammenhang sage, daß es nicht die Aufgabe des Präsidenten dieses Hauses ,sein kann, festzustellen, ob der Wehrbeauftragte materiell richtige oder unrichtige Feststellungen, sei es in seinem amtlichen Bericht, sei es in nichtamtlichen Veröffentlichungen und Äußerungen, getroffen hat. Solche Feststellungen können sich unter Umständen als zwingend notwendig erweisen; aber dann sind sie nicht vom Präsidenten dieses Hauses, sondern vom Hause selbst zu treffen. Sache des Verteidigungsausschusses ist es, in seinem Bericht dafür die erforderlichen Unterlagen zu liefern.Der Präsident des Hauses kann auch im vorliegenden Fall nur insofern ;in Erscheinung treten, als es ihm der § 7 der Geschäftsordnung des Hauses zur Pflicht macht und ,soweit es seine Eigenschaft als Dienstvorgesetzter des Wehrbeauftragten erfordert. Der § 16 des Gesetzes über ;den Wehrbeauftragten bestimmt, daß der Wehrbeauftragte ,der Dienstaufsicht des Präsidenten des Bundestages untersteht. Der § 5 desselben Gesetzes 'stellt ;den Wehrbeauftragten aber auch ,ausdrücklich von Weisungen frei, unbeschadet der Bestimmungen des § 2 des Gesetzes, wonach der Wehrbeauftragte auf Weisung des Bundestages ,der des Bundestagsausschusses für Verteidigung zur Prüfung bestimmter Vorgänge tätig wird.In Anbetracht dieser Rechtslage und des noch nicht geklärten Tatbestandes vermag ich im Augenblick noch nicht zu entscheiden, ob ich als Dienstvorgesetzter des Wehrbeauftragten einzugreifen habe. Ich halte dafür, daß auch zur Beurteilung dieser Frage die Ergebnisse der Untersuchung, die im Verteidigungsausschuß geführt wird, unerläßlich sind. Aus dem gleichen Grunde habe 'ich es auch nicht für richtig gehalten, allgemeine Entschuldigungen entgegenzunehmen und zu veröffentlichen. Auch sie müssen samt den eventuell notwendig werdenden weiteren Konsequenzen auf das Ergebnis einer denkbar objektiven Prüfung gestellt werden. Im übrigen ist sich der Wehrbeauftragte durchaus bewußt, daß er auch für das einzustehen hat, was er in Sachen seines Amtes außerdienstlich verlautbart. Ich habe dem Wehrbeauftragten den Rechts- und den Ehrenschutz zugesagt, auf den er auch dann einen Anspruch hat, wenn sich die eine oder andere seiner Maßnahmen oder Äußerungen als unhaltbar erweisen sollte. Bei dieser Zusage bin ich auch davon ausgegangen, daß der Wehrbeauftragte kein selbständiges Verfassungsorgan ist, sondern ein Hilfsorgan ;des Deutschen Bundestages ist und bleiben sollte, ein Hilfsorgan, das gemeinsam mit dem Verteidigungsausschuß )an der Kontrolle der Bundeswehr mitzuwirken hat, so wie es Verfassung und Gesetz wollen.7. Meine Damen und Herren, ich bedaure, dem Hause in diesem Zusammenhang sagen zu müssen, daß eine Vielzahl von teilweise bedrückend ernsten Äußerungen mir auch in diesem Fall wieder deutlich gemacht hat, wie schwer die Bundeswehr im ganzen noch an der Last unserer Geschichte trägt. Sie hat diese Last nichtallein zu tragen; denn wir, das ganze deutsche Volk und der ganze Staat, haben dafür einzustehen. Ich habe den Eindruck, ,daß sich die Bundeswehr dabei jedoch weitgehend alleingelassen fühlt und daß sie darunter heute nicht weniger, sondern mehr noch als vor einigen Jahren leidet. Auch
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6550 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964
Präsident D. Dr. Gerstenmaierder Herr Wehrbeauftragte hat bei seinen regelmäßigen Vorträgen und Besprechungen bei mir zu erkennen gegeben, daß die Bundeswehr im ganzen in einer höchst ehrenhaften Weise darum ringt, damit und 'mit den noch immer nicht überwundenen Schwierigkeiten eines raschen Aufbaus und eines empfindlichen Personalmangels I fertig zu werden. Dazu kommen die außerordentlichen Belastungen, die sich aus der Bewußtseinslage unserer Zeit ergeben und für die die Bundeswehr nicht verantwortlich gemacht werden kann. Der Staatsbürger in Uniform setzt eben ein hinreichend durchgebildetes staatsbürgerliches Bewußtsein mit seinen großen Rechten und seinen strengen Pflichten voraus. Die Bundeswehr ist überfordert, wenn von ihr erst verlangt wird, daß sie ein solches Bewußtsein nicht nur pflegen und weiterbilden, sondern bei Hunderttausenden erst wecken und schaffen soll.Es ist meine Pflicht, das Haus weiter darauf aufmerksam zu machen, daß sich die Bundeswehr offensichtlich häufig und völlig zu Unrecht dadurch verdächtigt fühlt, daß das Versagen einzelner Soldaten — das ,es auch im zivilen Bereich, id. h. bei Zivilisten, überall gibt — allzu rasch und allzu .gern als Symptom einer 'bedenklichen inneren Verfassung der Bundeswehr überhaupt gewertet wird. Das ist nicht erst der Fall, seitdem sich der Wehrbeauftragte außerdienstlich geäußert hat. Aber .es ist kein Zweifel, daß seine Äußerungen inzwischen nicht nur zu einer Art Charakterprotest in der Bundeswehr geführt haben, sondern daß sie — was mir schlimmer erscheint — eine schon zuvor vorhandene Resignationvieler pflichtbewußter und ehrenhafter Soldaten gefährlich vertieft haben.Meine Damen und Herren, eine Armee kann nicht leben, ohne daß ihr ein waches und klares Ehrbewußtsein zugebilligt wird. Was ihr verweigert werden muß, ist ein Ehrbewußtsein, das für den Uniformträger einen qualifizierteren Charakter oder höheren Rang als für den Zivilisten beansprucht. Der Eindruck, dien ich aus den Berichten und Besprechungen mit dem Wehrbeauftragten und aus zahlreichen Briefen sowie .aus Begegnungen mit Soldaten aller Dienstgrade in diesen Jahren gewonnen habe, ist jedoch nicht der, daß das Zugeständnis eines solchen qualifizierten Sonderbewußtseins verlangt oder erwartet wird. Die Bundeswehr hat jedoch, wie ich glaube, das 'berechtigte Verlangen, vor der Öffentlichkeit und den Organen des Staates nicht fortgesetzt vor die Notwendigkeit gestellt zu werden, ihre Existenz dem eigenen Volk gegenüber stillschweigend zu verteidigen oder zu rechtfertigen.
Auch der Mann, der dem Vaterland mit der Waffe dient, hat einen Anspruch auf die Ehrerbietung, die jedem redlichen Dienst für Volk und Staat gebührt. Zwischen mir und dem Wehrbeauftragten Ides Deutschen Bundestages besteht darüber jedenfalls, meine Damen und Herren, unbeschadet aller anderen hin-und hergehenden Äußerungen, Deutungen und Mißdeutungen Übereinstimmung.Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!Ein geachtetes früheres Mitglied dieses Hauses, der ehemalige Abgeordnete Vizeadmiral a. D. Hellmuth Heye, hat weit über die Bundesrepublik hinaus Meinungen und Kritiken ausgelöst, die vom Sachlichen her, aber vor allem in politischer Sicht unsere ganze Aufmerksamkeit erfordern. In seiner Eigenschaft als Wehrbeauftragter des Bundestages hat Admiral Heye pflichtgemäß seinen Bericht über das Jahr 1963 dem Bundestag vorgelegt. Aber zu beinahe der gleichen Zeit veröffentlichte er eine Artikelserie in einer Illustrierten, in der abweichend von seinem Bericht einseitige und verallgemeinernde schwerwiegende Vorwürfe gegen die Bundeswehr erhoben werden.Das Urteil über die ungewöhnliche Art dieses Vorgehens obliegt nicht der Bundesregierung, sondern dem Bundestag. Meine Erklärung möge verstanden werden als Ausdruck der ernsten Sorge, mit der die Bundesregierung diesen Vorgang betrachtet und im besonderen die sehr betont vorgebrachten kritischen Äußerungen Heyes wertet.Der Wehrbeauftragte wirft der Bundeswehr vor, daß sie die Grundsätze der inneren Führung mißachte und sich deshalb zum Staat im Staate zu entwickeln drohe. Diese äußerst schwere Anschuldigung ist innenpolitisch geeignet, das Vertrauen zur Bundeswehr zu erschüttern, und außenpolitisch, die Glaubwürdigkeit unserer festgefügten demokratischen Ordnung in Frage zu stellen. Den Vorwurf, die Bundeswehr entwickle sich zum Staat im Staate, hat der Wehrbeauftragte zwar inzwischen öffentlich insofern eingeschränkt, als er erklärt hat, daß er damit nicht ein Streben nach politischer Macht gemeint, sondern an die Gefahr einer Isolierung der Soldaten in unserer freien Gesellschaft gedacht habe. Admiral Heye mußte aber wissen, daß in der leidvollen Geschichte der letzten 50 Jahre der Begriff vom Staat im Staate mit Vorstellungen belastet ist, die keine subjektive Auslegung oder Umdeutung zulassen.
Die Bundesregierung hat von den ersten Anfängen der Errichtung der Bundeswehr bis zum heutigen Tag es als ihre vordringliche Aufgabe angesehen, den Aufbau der Verteidigung in harmonischem Einklang mit den demokratischen Grundsätzen unseres Staates zu halten und die Bundeswehr als Teil des Ganzen in unser Staatsgefüge einzubauen.Der Bundesregierung stellen sich grundsätzlich zwei Aufgaben von gleichem Rang. Die Bundeswehr muß ihren Verteidigungsauftrag im Rahmen der NATO erfüllen können, und sie muß gleichzeitig in sich selbst eine Ordnung verwirklichen, die unseren Vorstellungen vom Bürger in Uniform und den Anforderungen moderner Menschenführung entspricht. Die Bundesregierung wird deshalb die vom Wehrbeauftragten erhobenen Vorwürfe mit aller Sorgfalt prüfen und nicht zögern, Folgerungen zu ziehen, falls oder soweit sich die Sorgen und Klagen des Wehrbeauftragten als berechtigt erweisen. Mit Überspitzungen und Verallgemeinerungen, die Admiral
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Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. ErhardHeye glaubte benützen zu müssen, wird jedenfalls der Bundeswehr kein guter Dienst erwiesen.
Ohne indessen dem Ergebnis dieser Prüfung vorzugreifen, muß die Bundesregierung feststellen, daß Treue, Gehorsam und Pflichterfüllung, ohne die die Bundeswehr nicht aufgebaut werden konnte noch weiterbestehen kann, Achtung, Schutz und Vertrauen verdienen. Es besteht kein Zweifel, daß dieses innere Gesetz mit geringen Ausnahmen von den militärischen Führern aller Dienstgrade als verpflichtend anerkannt wird.
Es ist nicht zuletzt der Dienst des Soldaten, dem es zu danken ist, daß wir in Freiheit leben dürfen.Die menschlichen Probleme der Bundeswehr haben eine doppelte Wurzel. Die eine betrifft unsere innere Einstellung zu dieser Institution, der die Sicherung gegen äußere Bedrohung übertragen ist. Zum anderen handelt es sich um die Qualifikation der Menschen, denen wir unsere jungen Wehrpflichtigen anvertrauen.Die deutsche Geschichte der letzten 50 Jahre mit ihren steilen Fieberkurven macht wesentlich auch die Geschichte des deutschen Soldaten aus. Der Überbewertung des Militärischen im Kaiserreich folgte als Reaktion nach 1918 eine grobe Abwertung des soldatischen Geistes überhaupt. Die DolchstoßLegende belastete die Republik von Weimar auf das schwerste und trug dazu bei, die Reichswehr und die ihr nahestehenden Kreise in uns unverständlicher Verblendung tatsächlich zu einer Art Staat im Staate werden zu lassen.Der Nationalsozialismus wiederum hob die Soldaten — um sie für seine Zwecke mißbrauchen zu können — aus jener moralischen Isolierung zu übergroßem Ansehen empor. Um so tiefer war dann auch der Sturz nach 1945. Eine ganze Generation stand vor den Trümmern ihrer geschändeten Ideale. Den Soldaten trafen Haß und Verfehmung. Er wurde zum Schreckensbild verzerrt und zum Symbol eines zuchtlos entarteten Volkes verallgemeinert.Kaum aber, daß sich die Narben der Kriegswunden geschlossen hatten und ein neuer Staat seine ersten vorsichtigen Schritte auf dem Boden der Demokratie machte, mußte sich dieser junge Staat nunmehr in enger Gemeinschaft mit seinen Verbündeten gegen eine Bedrohung von außen sichern und noch einmal an den gebrochenen Wehrwillen der Jugend und der Bürger appellieren. Das „OhneMich" war bei vielen die sattsam bekannte Reaktion eines tiefen Unwillens. Die inneren Gegner eines deutschen Verteidigungsbeitrags lösten — wie bekannt — schwere Verfassungskämpfe aus, die zu Zeitverlusten im Aufbau und zu psychologischen Belastungen im Gefüge der jungen Bundeswehr führten.So war der Aufbau der Bundeswehr von inner-politischen Spannungen überschattet, die auch heute noch nicht völlig abgeklungen sind. Das kommunistische Lagere vor allem ließ in aller Welt nichts unversucht, den deutschen Verteidigungswillen undseine Träger zu beschimpfen, lächerlich zu machen oder schamlos zu verdächtigen. Gleichzeitig aber machten ,die bedrohliche militärische Übermacht des Ostens wie auch die Erwartungen unserer NATO-Verbündeten einen beschleunigten Aufbau unserer Streitkräfte notwendig.Dieser Situation hatten mein Vorgänger, Bundeskanzler Adenauer, und die früheren Verteidigungsminister Rechnung zu tragen. Die von vielen als uneheliches Kind dieses Staates apostrophierte Bundeswehr trug in ihrem Taufschein die Bezeichnung „notwendiges Übel", ein wahrlich gefährliches und falsches Wort, das noch bis heute nachwirkt.Gewiß wären wir alle bereit, eine friedliche Welt ohne Rüstung und Soldaten als ein Ideal anzuerkennen. Aber leider erweisen sich — wahrhaftig nicht durch unsere Schuld — Verteidigungsmaßnahmen angesichts der Weltlage als unentbehrlich. Dieser gleiche Soldat ist unentbehrlich, da und solange die Existenz unseres Staates von außen bedroht bleibt. Der Soldat ist kein „notwendiges Übel", sondern ein wichtiger Garant unserer Sicherheit.
Diese Leistung für uns alle kann er nur dann und so lange erfüllen, als wir ihm alle den Rückhalt geben, der ihm selbst den Einsatz seiner Person wert erscheinen läßt.Hier stellt sich eine weitere Frage: Ist der Vorwurf wirklich berechtigt, daß die Behandlung der Wehrpflichtigen gegen die Grundsätze der Menschenführung, wie sie unsere Zeit erfordert, verstoße? Gewiß ließen sich die pädagogischen Qualitäten der Führer durch verlängerte und zusätzliche Ausbildung noch heben. Das gilt schließlich für alle Bereiche des öffentlichen Lebens. Aber neben dem moralischen Rückhalt, den Regierung und Öffentlichkeit diesen Menschen zu geben schuldig sind, solange sie nicht schuldig werden, ist ebenso entscheidend die Quantität, um die fehlenden Stellen auszufüllen, die überforderten Truppenführer zu entlasten und um auch eine strengere Auswahl zu ermöglichen. Der Mangel an jungen Offizieren und Unteroffizieren stellt ein Problem dar, das sich mit Geld allein nicht lösen läßt. Unsere Jugend läßt sich Gott sei Dank nicht kaufen. Sie ist bereit, sich für die Gemeinschaft einzusetzen, aber sie will dafür nicht auch noch verunglimpft werden.
Sie erwartet mit Fug und Recht eine gerechte Bewertung ihres Dienstes. Das klar zu sehen und die Konsequenzen zu ziehen bedeutet nicht, militärische Maßstäbe als den einzigen und höchsten Rang zu setzen. Militarismus im Sinne des herkömmlichen Schlagwortes empfinden wir alle als Atavismus. Der Soldat, der im Dienst unseres demokratischen Staates seine Pflicht erfüllt, ist alles andere als ein Militarist.Die Verteidigung unseres Landes und seiner Menschen ist nicht nur Sache der Soldaten. Sie ist auch nicht nur Sache der Regierung und der Parteien. Unsere Verteidigung findet ihre Stütze und Stärke
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6552 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964
Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhardvor allem in der Haltung und Gesinnung eines jeden Bürgers.
Der Keim hierzu ist schon früh in der Heranbildung unserer Jugend im Elternhause und Schule zu setzen. Staatsbürger wird man nicht durch Berufswahl, auch nicht durch Uniform. Wenn wir das erkannt haben und uns darüber einig sind, sollte es nicht schwer fallen, die Sorgen zu beheben, mit denen wir uns hier zu beschäftigen haben.Innerhalb eines Zeitraums von 50 Jahren haben wir den deutschen Soldaten in vielfacher Gestalt gesehen, vom „ersten Mann im Staate" zum „Staat im Staate". Wir wissen um den gläubigen und mißbrauchten Soldaten ebenso wie um den im Widerstreit zerbrochenen oder den im Widerstand sich opfernden Soldaten. Erstmalig in unserer Geschichte erleben wir den Soldaten, der als Freier und Gleicher Bürger unseres demokratischen Staates ist. Es ist unsere Pflicht, alles zu tun, daß dieser Staatsbürger in Uniform sich auch in seinem Lebensbereich als Staatsbürger fühlen kann.Wenn Berichte in öffentlichem Auftrag und subjektive, dazu noch sensationell aufgemachte Verlautbarungen nicht übereinstimmen, erscheint letzte Klarheit geboten. Recht muß und soll Recht bleiben. Aber dieser Grundsatz erfordert auch über gefühlsbetonte Einstellung das lautere Bekenntnis und den Mut zu leidenschaftsloser Objektivität. In dieser Stunde rufe ich unseren Soldaten zu: Wir wissen um die Bedeutung euer Aufgaben, wir wissen auch,daß ihr manche Mühe und manchen Verzicht auf euch zu nehmen habt; ihr könnte gewiß sein, wir stehen zu euch so, wie ihr treu und gewissenhaft diesem Staat und unserem Volke dient.
Das Wort hat der Herr Abgeordneter Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der CDU/CSU dankt dem Herrn Präsidenten und dem Herrn Bundeskanzler für ihre Erklärungen. Sie 'stimmt ihnen zu und begrüßt die Gelegenheit dieser kurzen, grundsätzlichen Aussprache, weil die ■anstehende Frage — ungeachtet sonstiger Sach- und Terminplanungen — von so hohem Rang ist, daß sie der Deutsche Bundestag so 'schnell wie möglich aufgreifen mußte. Wir meinen Idles auch, weil vorzüglich hier der Ort des verantwortlichen politischen Gesprächs ist und immer sein sollte. Es wird doch unerträglich, daß die politische Debatte sich zu sehr an dritte und weniger kompetente Orte verläuft.
Zum erstenmal in der deutschen Geschichte haben wir zugleich Demokratie und Wehrpflicht. Wir hatten, als wir begannen, Erfahrungen mit der Demokratie und Erfahrungen mit der Wehrpflicht, nicht aber Erfahrungen mit beidem zugleich. Trotzdemkann man heute sagen, daß uns dieses Zugleich, aufs Ganze gesehen, gelungen ist.Es kommt hinzu, daß wir eine Bundeswehr neu aufbauen mußten nach einem verlorenen Kriege, in einem gespaltenen Lande, während einer Zeit gefährlicher äußerer Bedrohung und — für die ersten Jahre — nur mit Unterstützung eines Teiles der Bevölkerung, der öffentlichen Meinung und des Parlamentes. Diese Bundeswehr entstand und lebt zudem inmitten einer Gesellschaft, die sich frei entfaltet, in der Freiwilligkeit, Selbstverantwortung, Gleichheit entscheidende Grundtatsachen sind. In dieser Lage eine Bundeswehr aufzubauen, in der Staatsbürger in Uniform nach ,den Grundsätzen der Inneren Führung Dienst tun, die aber doch Befehl und Gehorsam, Unterordnung, Disziplin, Härte und unfreiwillige Gemeinsamkeit unentbehrlich braucht, das war, ist und bleibt eine schwere Aufgabe. Hier gilt es, Maß und Mitte zu finden.Wer diese historischen, psychologischen, soziologischen und politischen Bezogenheiten für unsere Bundeswehr kennt, wer zudem weiß, wieviel redliches Mühen, wieviel gute menschliche Haltung, wieviel militärische Wirksamkeit und wieviel internationale Einsicht in dieser Bundeswehr unserer Demokratie lebendig sind, der wird den Vorwurf als unberechtigt und verletzend empfinden, hier entstehe ein „Staat im Staate" und hier gebe es eine „gesellschaftliche Selbstisolierung" der Truppe.
Aus eigener Kenntnis bestreiten wir die Berechtigung dieses Vorwurfes.Unser Vertrauen zur Bundeswehr, in der unsere Väter, Brüder, Freunde, Landsleute einen schweren Dienst tun, ist unerschüttert; es ist wohl begründet.Wo Menschen zusammen sind, gibt es Schwächen, Fehler, Entgleisungen. Nicht diese Fehler dürfen unser Urteil bestimmen, sondern der Blick auf die ganze Wirklichkeit. Auch wollen wir nicht, hier nicht und nirgendwo, die Illussion aufkommen lassen, es sei möglich, irgendeine menschliche Gesellschaft anders als aus Menschen zu rekrutieren.Wir werden schnell und zügig alles prüfen, was vorgetragen wird. Wir werden nichts vertuschen, verheimlichen, beschönigen. Wir werden unsere Konsequenzen aus allem ziehen und der Öffentlichkeit nichts vorenthalten. Indem wir uns so einstellen, dienen wir der Sache: Im Interesse der Demokratie wie der Bundeswehr, in dem der Wehrpflichtigen und ihrer Eltern, im Interesse unserer Sicherheit wie unseres Ranges in der freien Welt tut Klarheit not. Wir werden mitwirken, sie schnell und gründlich zu schaffen.Der Herr Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages wird sicher selbst Wert darauf legen, uns nun einen vollständigen Bericht zu geben. Wir wollen amtlich die ganze Meinung des Mannes kennen, der für uns diese Dinge bearbeitet.Wir haben inzwischen gehört, daß der Herr Wehrbeauftragte selbst gewisse Äußerungen interpretiert habe, von einigen abgerückt sei und den Vorwurf des „Staates im Staate" nicht politisch gemeint habe.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964 6553
Dr. BarzelDer Wehrbeauftragte, Admiral a. D. Heye, unser früherer Kollege, ist in ständigem Kontakt mit uns. Er hat vor unserer Fraktion wie auch vor anderen Fraktionen gesprochen. Unsere Türen stehen ihm immer offen. Um so betroffener sind wir über die Methode, die er wählte. Er weiß doch, daß wir unsere Verantwortung für die Soldaten kennen und ihr entsprechen.Um jeden Zweifel auszuschließen, bekennen wir uns erneut zur Institution des Wehrbeauftragten.
Im Zusammenhang mit diesen hier anstehenden Fragen werden wir uns auch Rechenschaft darüber geben müssen, ob nicht das Ja zur Bundeswehr hier und da von einem Aber begleitet war, das das Ja in der Auswirkung eher zum Vielleicht werden ließ.Eine gesunde Entwicklung und wechselseitiges volles Vertrauen setzen voraus, daß wir alle — hinüber und herüber — ohne Vorbehalte ja zueinander sagen. Indem wir das tun, verbessern wir die politische wie die gesellschaftliche Integration der Bundeswehr und das Miteinander der Bürger mit und ohne Uniform. Wir sind dazu bereit.Eine Gesellschaft freier Menschen braucht zur Verteidigung der Freiheit eine wirksam Sicherheit gebende Truppe. Die Basis des Miteinander ist und bleibt Vertrauen. Wir — die Bürger mit und die Bürger ohne Uniform — leben in gesicherter Freiheit, weil Bürger in Uniform dem Ganzen dienen.Selbst um sachliches Urteil bemüht, bitten wiralle in unserem Volk, ohne Hektik, sachgerecht und verantwortungsbewußt dieses Gespräch zu führen und der Bundeswehr Zeit zu lassen. Es geht um unsere Soldaten und um unseren freiheitlichen Rechtsstaat.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Erler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion habe ich zu den Erklärungen des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, Admiral a. D. Heye, folgende Erklärung abzugeben:In allen freiheitlichen Gesellschaften stellt sich das Problem der Beziehung von Demokratie und bewaffneter Macht zueinander. Die deutsche Geschichte macht diese Frage für uns schwieriger lösbar als für Länder mit ungebrochener demokratischer Tradition. Bundestag und Bundesregierung haben auf diesem Gebiet beim Aufbau der Bundeswehr erfolgreich einen neuen Anfang gesetzt und die bewaffnete Macht der Führung durch die dem Parlament verantwortliche zivile Regierung und der Kontrolle durch die frei gewählte Volksvertretung unterworfen.Es geht hier und heute nicht um die Existenz und die Notwendigkeit der Bundeswehr und ihre Mitwirkung im westlichen Bündnis. Sie sind unbestritten. Es geht nicht um die Verunglimpfung unsererdienenden Jugend, sondern um ihre den Grundsätzen zeitgemäßer Menschenführung entsprechende Behandlung, auch in der Bundeswehr.
Das ist das eigentliche Thema.
Jede Streitmacht muß zur Erfüllung ihres Auftrages auf Befehl und Gehorsam beruhen. Aber Befehl und Gehorsam müssen Gesetz und Recht entsprechen, die Grundrechte im Rahmen der Gesetze achten und dürfen die Menschenwürde nicht verletzen. Deshalb wacht der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages über die Einhaltung dieser Prinzipien und der Grundlagen der inneren Führung.Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages braucht genau wie die Bundeswehr selbst die Unterstützung von Parlament, Regierung und Öffentlichkeit für verantwortungsvolle Arbeit. Seine Berichte lassen erkennen, daß im Bereich der Bundeswehr immer wieder Mängel und Schwächen auftauchen, die es zu überwinden gilt. Die Berichte machen aber auch deutlich, daß die Bundeswehr kein Fremdkörper in unserem Staatswesen mit eigenen politischen Ansprüchen ist.
Der schnelle Aufbau und der dadurch bedingte Mangel an qualifizierten Offizieren und Unteroffizieren haben zu vielerlei Unzuträglichkeiten geführt. Sie waren voraussehbar. Deshalb hat die Sozialdemokratische Partei seit 1957 die entsprechenden Maßnahmen gefordert.
Es ist bedauerlich, daß nicht alle Kommandeure, gleich welcher Stellung, Lehrgänge der Schule für Innere Führung durchlaufen haben. Mit der Errichtung von Unteroffiziersschulen ist zu spät begonnen worden.
Die Offiziersausbildung ist zu kurz, die schnelle Teilung und Neugliederung militärischer Verbände hat zu großer Unruhe geführt, übermäßig lange Trennung der Soldaten von ihren Familien verursacht und Truppe und Führung nicht organisch zusammenwachsen lassen.
In manchen Einheiten der Bundeswehr wird die notwendige Trennlinie zwischen der erforderlichen militärischen Ausbildung und der unter allen Umständen zu vermeidenden Schikane nicht eindeutig eingehalten. Wo immer falsch verstandene Kameradschaft zu einer Vertuschung von Mißständen zu führen droht, statt durch eindeutige Untersuchung und freimütige Erörterung zu ihrer Abstellung beizutragen, müssen Parlament und Regierung ihre Pflicht erfüllen und für Abhilfe sorgen.
Angesichts der klaren Regelung durch Gesetz und • Befehl sind Verstöße gegen die Grundsätze der
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6554 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964
ErlerInneren Führung als Gehorsamsverweigerung zu ahnden.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion weiß, unter welchen Schwierigkeiten — und ich habe eben von einigen dieser Schwierigkeiten gesprochen — und mit welchen Anstrengungen und Opfern Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere der Bundeswehr ihren schweren Dienst für uns alle leisten. Sie dankt der überwältigenden Mehrheit jener, die sich bei aller Mühsal um die Einhaltung der Grundlagen der Inneren Führung und um das rechte Verständnis für den richtigen Standort der bewaffneten Macht in unserer Demokratie bemühen.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion weist darauf hin, daß der Bundestag die Feststellungen des Wehrbeauftragten zum Anlaß einer gründlichen Prüfung und zum Fordern der notwendigen Abhilfemaßnahmen nehmen muß. Durch die Erörterung der Form und des Ortes von Ausführungen des Wehrbauftragten darf man sich nicht davon ablenken lassen, seinen Feststellungen zur Sache die notwendige Beachtung zu schenken und für Abhilfe festgestellter Unzuträglichkeiten zu sorgen.
Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages ist ein Organ des Parlaments und kein Beauftragter der Bundesregierung.
An dieser klaren Zuständigkeitsregelung darf nicht gerüttelt werden.
— Dann ist es gut.
— Dann ist es gut, wenn niemand das tut. GewisseZitierungen haben da ja Zweifel aufkommen lassen.
Er muß Gelegenheit haben, seinen Bericht vor dem Bundestag zu vertreten und, um seiner Pflicht genügen zu können, dem Plenum des Bundestags Rede und Antwort zu stehen.
Diesem Ziel dient der von meiner Fraktion eingebrachte Antrag zur Änderung der Geschäftsordnung. Er soll nur diese Rechte und Pflichten klarstellen. Nach unserer Auffassung waren sie auch bisher schon gegeben.Der Wehrbeauftragte leistet bei seiner Arbeit einen Dienst an unserer freiheitlich-demokratischen Staatsordnung und an der Bundeswehr.Der Verteidigungsausschuß des Bundestages sollte, wie heute vormittag vereinbart worden ist, den Bericht des Wehrbeauftragten schneller als in den vergangenen Jahren erörtern und dem Plenum seine Stellungnahme hierzu so bald wie möglich vorlegen. Wir teilen die Auffassung des Herrn Bundestagspräsidenten, daß der Bundestag zu den Erklärungen des Wehrbeauftragten erst nach sorgfältiger Prüfung des Inhalts durch den Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages wertend Stellung nehmen kann. Mit vorwegnehmenden Urteilen ist weder der Bundeswehr noch dem Ansehen unserer demokratischen Staatsordnung gedient.
Durch die Abstellung von gelegentlich auftretenden Übelständen wird das Ansehen der Bundeswehr nicht geschmälert, sondern das Vertrauen von Volk und Bundeswehr zueinander auf eine gesündere Grundlage gestellt
und das Vertrauen unserer Freunde in der Welt in eine demokratische Zukunft unseres Volkes gestärkt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Kühlmann-Stumm.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Die Bundestagsfraktion der Freien Demokratischen Partei begrüßt es, daß sich der Bundeskanzler und der Präsident dieses Hohen Hauses eindeutig vor die Bundeswehr und gegen den Vorwurf, sie wolle „Staat im Staate" sein, gestellt haben. Die Aussprache gibt uns die Möglichkeit, vor diesem Hohen Hause und damit vor der deutschen und ausländischen Öffentlichkeit ein in der Diskussion der letzten Tage entstandenes Zerrbild unserer Bundeswehr zu beseitigen.Die deutsche Wiederbewaffnung mußte unter schwersten psychologischen Belastungen durchgeführt werden. Die diffamierenden Angriffe auf den Soldatenberuf, ja sogar auf die Opfer des Krieges waren noch nicht verklungen, als es galt, für den Aufbau der Bundeswehr aus dem Nichts heraus geeignete Persönlichkeiten zu finden, die bereit waren, sich in dieser Zeit zur Verfügung zu stellen. Der Aufbau der Bundeswehr hat sich in anderen Formen vollzogen als wir das damals gewünscht haben. Trotzdem kann gesagt werden, daß die Soldaten aller Dienstgrade mit Pflichtbewußtsein und Einsatzbereitschaft an die Erfüllung der von unserem demokratischen Staat gestellten Aufgabe herangegangen sind. So ist unter den schwierigsten Bedingungen in unserer besonderen Lage eine beachtliche Aufbauleistung erzielt worden.Dabei konnte es nicht ausbleiben, daß Mängel und bedauerliche Vorgänge festgestellt werden mußten, die sich nicht wiederholen sollten. Es wäre aber falsch, aus Einzelerscheinungen Rückschlüsse auf den Geist der Truppe im allgemeinen zu ziehen. Hier hat der ungewöhnliche Schritt des Wehrbeauftragten, seine Meinung über eine Illustrierte und nicht in seinem Bericht zum Ausdruck zu bringen, Verwirrung gestiftet. Im Interesse unseres demokratischen Staatswesens und auch im Interesse un-
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964 6555
Freiherr von Kühlmann-Stummserer Bundeswehr muß Klarheit geschaffen werden. Es geht nicht an, daß durch die verallgemeinernde Betrachtung von Einzelfällen zahllose bewährte Offiziere, Unteroffiziere, Beamte und Angestellte ungerecht beurteilt werden. Wir sind der festen Überzeugung, daß die jetzt in Gang gekommene Diskussion auch die letzten Zweifel und Unklarheiten über die Fragen der Inneren Führung in der Bundeswehr beseitigen wird. Alle Verantwortlichen werden dabei selbstkritisch und objektiv die Erfahrungen der Aufbaujahre würdigen und so die Grundsätze einer modernen Menschenführung in einer freiheitlichen, modernen Gesellschaft bestimmen.Voraussetzung für diese verantwortungsvolle Menschenführung, der unsere Familien ihre Söhne anvertrauen, ist aber auch, daß eine ausreichende Zahl qualifizierter junger Offiziere und Unteroffiziere zur Verfügung steht. Es müssen deswegen unverzüglich Maßnahmen ergriffen werden, um den Nachwuchsmangel in unserer Bundeswehr zu beseitigen.Es ist dabei die Aufgabe dieses Hohen Hauses und der Bundesregierung, im deutschen Volk das Verständnis dafür zu stärken, daß die Bundeswehr ein wesentlicher Bestandteil unseres demokratischen Staates ist. Ohne sie ist die Freiheit dieses Teils unseres Vaterlandes bedroht. Sie hat im Rahmen des NATO-Bündnisses eine hervorragende Aufgabe für die gesamte freie Welt zu erfüllen. Unsere Bundeswehr ist nicht notwendiges Übel, sondern lebenswichtige Notwendigkeit.
Unentbehrlich für die Gewinnung eines qualifizierten Nachwuchses für die Bundeswehr ist auch eine angemessene Verbesserung der Bedingungen, unter denen die Soldaten Dienst zu tun haben.Eine Objektivierung und Offenlegung des Beförderungssystems durch neue, unserer Zeit angepaßte Laufbahnrichtlinien, eine Verbesserung der Fürsorge, vor allem der Wohnungsfürsorge, und eine gerechte Bewertung von Verantwortung, Funktion und Spezialkenntnissen des einzelnen Offiziers und Unteroffiziers sind unbedingt erforderlich.Wer die Forderung stellt, :daß Führer und Unterführer in unserer Bundeswehr mit den Grundsätzen moderner, freiheitlicher Menschenführung vertraut sind, der muß auch die Möglichkeit schaffen, daß die Soldaten in ihrem Wirkungsbereich in einem ständigen, dauernden Kontakt zu den Angehörigen aller anderen Lebensbereiche ‘stehen können.Die Freie Demokratische Partei hält die Institution des Wehrbeauftragten ,dieses Hohen Hauses für notwendig. Der Wehrbeauftragte hat eine verfassungsrechtlich und staatspolitisch einmalige Stellung, die ihn zu hohem Verantwortungsbewußtsein verpflichtet. Er :ist nach idem Wortlaut des Grundgesetzes zum Schutze der Grundrechte berufen. Er ist darüber hinaus Hilfsorgan des 'Bundestages bei der Ausübung der parlamentarischen Kontrolle. Wir sollten uns hier in aller Offenheit die Frage stellen, ob wir uns dieses Hilfsorgans immer und in ausreichendem Maße bedient haben. Wir müssen aber auch den Wehrbeauftragten fragen, warum er nicht die ihmgegebenen Möglichkeiten der Berichterstattung voll ausgeschöpft hat. Zur Erfüllung der Aufgabe, die dem Wehrbeauftragten gestellt ist, .gehört es nach unserer Meinung auch, daß er bei der Beraung seines Berichts im Deutschen Bundestag das Wort ergreifen kann.Wir begrüßen, idaß die jetzt in Gang gekommene Diskussion unser ganzes Volk mit den Sorgen und Nöten unserer Bundeswehr vertraut macht. Die Stärke eines demokratischen Staatswesens erweist sich in der aufrichtigen und freimütigen Aussprache. Das sollte man auch in der Öffentlichkeit der mit uns verbündeten Länder erkennen. Wir bejahen diese freie Aussprache, aber wir erwarten, daß sie mit der notwendigen Verantwortung von allen Beteiligten geführt wird.Meine Fraktion hat die Einbringung einer Großen Anfrage im Deutschen Bundestag zur Lage der Bundeswehr beschlossen. Wir ermöglichen damit eine Versachlichung der Diskussion und verlagern diese Diskussion dorthin, wo die Verantwortung für unsere Bundeswehr liegt, nämlich in dieses Hohe Haus.Die 'Bundeswehr ist kein „Staat im Staate", aber wir dürfen auch nicht zulassen, daß sie aus diesem Staat heraus in eine innere Emigration gedrängt wird. Bei der freimütigen Aussprache über die Mängel in der Bundeswahr ,sollten wir die Erörterung darüber, was der Bundeswehr not tut, nicht vergessen. Wir Freien Demokraten wenden alles daransetzen, unsere Bundeswehr aus :dem unerträglichen Zwielicht herauszuführen, in das sie ohne ihr Zutun geraten ist.
Keine weiteren Wortmeldungen.Meine Damen und Herren, es liegt vor ,der Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache IV/2403 betreffend Ergänzung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages. Der Antrag ist begründet. Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Vorgesehen ist die Überweisung ,an den Ausschuß für Geschäftsordnung — federführend — und an den Verteidigungsausschuß — mitberatend —. Kein Widerspruch; das Haus ist einverstanden; es ist so beschlossen.Wir fahren fort in der allgemeinen Aussprache zu den Punkten 28 bis 32 der Tagesordnung: Bericht der Bundesregierung über die Wirtschaftsentwicklung, Entwurf eines .Sechzehnten Gesetzes zur Änderung ides Umsatzsteuergesetzes, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Einkommensteuergesetzes, des Körperschaftsteuergesetzes und des Kapitalverkehrsteuergesetzes, Neunundsechzigste Verordnung zur Änderung ides Deutschen Zolltarifs 1963, Zweiundsiebzigste Verordnung zur Änderung :des Deutschen Zolltarifs 1963 und Steueränderungsgesetz 1964.Ehe ich dem :Herrn :Bundeswirtschaftsminister das Wart gebe, mache ich darauf ,aufmerksam, daß mir in dieser allgemeinen Aussprache noch 12 Wortmel-
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6556 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964
Präsident D. Dr. Gerstenmaierdungen vorliegen. Diese Diskussion soll noch heute beendet werden. — Das Wort hat 'der Herr Bundeswirtschaftsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, die anderweitig beschäftigten Kollegen nicht allzu sehr zu stören, wenn ich mit meinen Ausführungen beginne.
Meine Damen und Herren, 'die Sitzung geht weiter. Ich bitte, Platz zu nehmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war verabredet oder, sagen wir stilgerechter: geplant, die wirtschaftspolitische Debatte mit einer kurzen Runde von Grundsatzerklärungen zu eröffnen. Danach sollten der Wirtschaftsbericht und der Nachtrag zum Wirtschaftsbericht vom Bundesminister für Wirtschaft eingebracht und anschließend beide Berichte diskutiert werden. Wie bei ,den meisten Planungen ist eis auch hier anders gelaufen. Wir befinden uns in dieser Debatte bereits seit über anderthalb Stunden in der Aussprache über den Bericht, den ich jetzt einbringen und erläutern sollte.Es wäre für mich viel reizvoller, z. B. die rhetorisch sehr beachtliche Rede des Herrn Kollegen Möller Punkt tür Punkt ,aufzurollen, aber ich wende dem widerstehen und nach meiner eigenen Disposition die erforderlichen Antworten geben; denn würde ich mich auf das bloße Antworten beschränken, dann würde ich mich zwangsläufig der Diktion des Kollegen Möller anpassen. Und eben diese Diktion halte ich für falsch.Noch eine zweite generelle Vorbemerkung! Herr Kollege Möller, Sie haben mit harten, zum Teil sogar verletzenden Vorwürfen Rügen ausgesprochen.
Ich werde mich bemühen, anders ,zu verfahren; denn ich habe keinen Zweifel, daß Sie und Ihre Kollegen — das bestätige ich gern aus der Ausschußarbeit — es ernst meinen. Aber ,ich möchte gern von Ihnen wissen, was eigentlich in Ihnen vorgeht, wenn Sie, verehrter Kollege Möller, uns vorwerfen, daß wir uns bei gewissen Voraussagen in Zahlen irren, wo Sie doch selber wissen, daß die Sozialdemokratie nicht etwa bei Zahlen, sondern bei grundsätzlichen Prognosen, denen sie damals genauso heftig die Stimme geliehen hat wie Ihren heutigen Feststellungen, zu Fehleinschätzungen gekommen ist, die Sie jüngst verbrennen mußten.
Würden Sie einmal die Güte haben, die Wirtschaftspolitik der 15 Jahre von 1918 bis 1933 oder der letzten 15 Jahre miteinander zu vergleichen und zu überdenken, Herr Kollege Möller! Es kommt doch wohl darauf an, daß man in allem das rechte Maß findet und die verschiedenen Dinge in das rechte Verhältnis zueinander bringt.Ich habe vor der sozialdemokratischen Politik nicht so sehr Sorge wegen ihres Programms, denn es ist nur eine Utopie, mindestens in dem Bereich, über den wir jetzt sprechen. Aber ich will Ihnen ganz offen sagen, Herr Möller: Sie übertreiben mix zuviel, sowohl im Positiven wie im Negativen. Gerade in der Wirtschaftspolitik kommt es auf das rechte Maß und auf das rechte Verhältnis der Dinge zueinander an.Darf ich gleich mit der Entstehung des Wirtschaftsberichts beginnen. Da war ja Ihr Tadel nicht zu überhören. Sie haben einige Vorwürfe gegen die Verfasser erhoben. Ich darf in Erwiderung darauf einen ausdrücklichen Dank an meine Mitarbeiter aussprechen, die den Wirtschaftsbericht so pünktlich — er liegt dem Parlament schon ein halbes Jahr vor — erstellt haben. Ich spreche diesen Dank auch besonders deswegen aus, weil wir beim nächstenmal über den Bericht des Gutachtergremiums zu sprechen haben, die Bundesregierung also nicht mehr in der Verlegenheit ist, selbst Verfasser zu sein.Meine Damen und Herren! Der Bericht ist natürlich nicht in 14 Tagen herzustellen. Er ist im wesentlichen im November/Dezember erarbeitet worden. Es mußten Abstimmungen nicht nur im Kabinett, sondern auch innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vorgenommen werden; es kann niemand mehr einen Wirtschaftsbericht für sein Land abgeben, ohne Rücksicht zu nehmen auf die Verhältnisse in den Nachbarstaaten. Trotzdem ist es uns gelungen, den Bericht erstmalig pünktlich vorzulegen. Ich habe bei der Abgabe des Berichts, als sich einige Veränderungen anzeigten, ein wenig darüber geschmunzelt. So rasch überholen sich die Dinge.Nun, meine Damen und Herren, niemand in diesem Hause ist schuld daran, daß wir das erst heute diskutieren. Ich meine das, wie ich es ausspreche. Ich darf daran erinnern, daß wir schon einen Termin festgelegt hatten und daß wir ihn infolge des schmerzlichen Todes unseres Kollegen Dr. Deist verschieben mußten. Wir hatten schon alles vorbereitet, und in jener Situation waren sich alle Beteiligten auch darüber im klaren, daß sie bei der Debatte den Veränderungen Rechnung tragen müßten. Es sind erhebliche Veränderungen eingetreten — wer wollte das bestreiten? —, Veränderungen vom Warenexport her und vom Kapitalimport her.Die Darstellung der Vergangenheit mag relativ leicht sein, obwohl es sich auch hier um eine schwierige intellektuelle Arbeit handelt; aber eine Prognose ist immer riskant, und ich hoffe, daß sie riskant bleibt und daß wir Menschen nie die Möglichkeit der Prophetie erhalten. Wenn wir dennoch trotz aller Zurückhaltung Prognosen wagen, so selbstverständlich deswegen, weil man sich über die mögliche Entwicklung Gedanken machen muß. Das Wesentliche ist aber, daß man seine Vorausschau jeden Tag erneut daraufhin überprüft, ob die Annahmen noch stimmen. Sie verändern sich jeden Tag. Deshalb müssen Anpassungen vorgenommen werden.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964 6557
Bundesminister SchmückerLassen Sie mich einige dieser Änderungen erwähnen. Ich sagte schon, daß bei Vorlage des Berichts die Exportsituation sich wandelte und die Kapitalimporte uns ziemliches Kopfzerbrechen bereiteten. Dann kam aber im weiteren Verlauf die Verlagerung des Exports auf Drittländer, und der Kapitalimport nahm weiter zu. Im März setzte der Rückgang ein. Die Maßnahmen und die Ankündigungen der Bundesregierung hatten ihren ersten Erfolg.Ich würde es sehr gut verstehen, wenn man uns fragte: Hat es denn überhaupt Zweck, daß man angesichts solcher Entwicklungen eine Vorausschau wagt? Ich sage noch einmal: Ja, das ist notwendig; aber man muß immer aufs neue überprüfen, ob die Grundannahmen noch den Tatsachen entsprechen. Das gilt auch für 'die heutige Debatte. Es ist sehr nett, die Veränderungen der letzten sechs Monate hier zu akzeptieren oder gar Vorwürfe damit zu verbinden; aber ich möchte darum bitten, daß niemand sich am heutigen Tage die Freiheit nimmt, apodiktisch zu behaupten: So oder so wird die Entwicklung sein. Ebensowenig wie wir das im Dezember exakt sagen konnten, werden wir das heute sagen können. Vielmehr können nur Wahrscheinlichkeitsrechnungen angestellt werden. Deshalb ist es auch notwendig, all das, was man tun will und tun muß, nicht zu überstürzen, mutig zu handeln, aber nicht übermütig, eilig, aber nicht voreilig, vorsichtig, aber nicht zögerlich, und vor allem alles im rechten Maß zu tun.Hier setzt die Kritik ein — in den letzten Wochen ist sie nicht abgeklungen —, die Kritik, entweder die Bundesregierung habe zuviel oder sie habe zuwenig getan.Eins ist erstaunlich: wenn Vorschläge gemacht werden — jeder macht die Vorschläge, die er für richtig hält —, so beklagen sich alle diejenigen, die nicht zum Zuge kommen, gemeinsam darüber. Meine Damen und Herren, alles kann man sicher nicht tun, und das sollten auch diejenigen einsehen, deren Vorschläge nicht zum Zuge kommen. Ich möchte sagen, daß auch das, was ich Ihnen heute an Maßnahmen und an Vorschlägen mitteile, natürlich dieser einleitenden Bemerkung unterliegt. Ich habe keine Angst vor einem Prestigeverlust; denn man muß von zeitgebundenen Wertungen und Urteilen immer wieder abrücken können, wenn sich die allgemeinen Umstände ändern. Ich habe keineswegs Angst davor, das, was ich heute ablehne oder zurückstelle, unter Iden dauernd sich ändernden Verhältnissen morgen als richtig zu akzeptieren. Man muß eben diesen dauernden Veränderungen in seiner Betrachtung und vor allem in seiner Bewertung den gebührenden Platz zukommen lassen.Nun 'zu einigen grundlegenden Aussagen im Wirtschaftsbericht! Unter Ziffer 9 wird gesagt: „EindeutigeZeichen für einen allgemeinen Wiederaufschwung 'der Investitionstätigkeit sind fürs erste nicht zu sehen". Tatsächlich sind diese Zeichen im ersten Vierteljahr 1964 deutlich hervorgetreten. Dann weiter: „Von der privaten Nachfrage strahlen nur wenig Impulse aus." Sie werden erst jetzt langsam etwas stärker. Man sieht sehr deutlich, daßsich die Menschen eben nicht nach mechanischen Gesetzen entscheiden.In Ziffer 23 wurde dann deutlich gesagt: „Gewisse Gefahren .drohen von der Entwicklung im langfristigen Kapitalverkehr". Und: „Von der außenwirtschaftlichen Entwicklung drohen der Preisstabilität, wenn sich die Annahmen bestätigen, fürs erste keine unmittelbaren Gefahren." Nun, ich gebe zu, hier ist die Hoffnung enttäuscht worden. Die 'Gefahren 'sind sichtbar, sie sind so deutlich sichtbar, daß wir .gehandelt haben und noch weitere Maßnahmen werden ergreifen müssen.Aber in Ziffer 31 wurde rauch schon dargelegt:Immerhin sollte der 'wieder steigende Überschuß im Warenhandel ,dazu veranlassen, alle eventuell auftauchenden Vorschläge, die gewollt oder ungewollt einen exportfördernden Effekt haben könnten, besonders kritisch zu überprüfen.Weiter heißt es:Das gleiche gilt umgekehrt für die Einfuhr. Je liberaler die Importpolitik 'gehandhabt wird, um so weniger sind von einer 'verstärkten Ausfuhr unerwünschte Rückwirkungen auf die interne Stabilität zu befürchten.Das sind Aussagen, die auch heute noch ihre volle Gültigkeit haben. Ich 'wiederhole aber: ich habe ganz bewußt einige Sätze ,herausgegriffen, die sich nicht bewahrheitet 'haben, um darauf aufmerksam zu machen, daß es keinen Menschen gibt, der hier eine langfristige Vorausschau wagen könnte.Meine Damen und Herren, es wurde einige Kritik am Wirtschaftsbericht geübt. Die erste und breiteste Kritik war die, daß das Lob, das in diesem Wirtschaftsbericht — das wurde heute von einem Redner vergessen — den Tarifpartnern gespendet worden sei, die Tarifpartner übermütig mache. Ich verstehe eine solche Kritik nicht. Ich meine, wenn wir deutlich erkennen, daß die maßvolle Tarifpolitik ides letzten Jahres 'wesentlich dazu beigetragen hat, daß es nur relativ geringe Preisbewegungen ,gegeben hat, ,dann sollten wir das herausstellen. Nicht etwa, um die Tarifpartner aufzufordern, nun von diesem Weg abzugehen, sondern um sie zu ermuntern, diesen Weg auch weiter zu beschreiten. Ich habe noch nie gehört, daß man durch ein Lob jemand veranlassen könnte, das Gegenteil von dem zu tun, was zu diesem Lob geführt hat.Ich gebe aber gern zu, meine Damen und Herren, daß die Debatte, die heute in der Öffentlichkeit stattfindet, zur Vorsicht mahnt. Ich habe das Konjunkturprogramm, das uns der Deutsche Gewerkschaftsbund für diese Debatte zur Verfügung gestellt hat, heute mittag bekommen. Ich hörte erstmalig gestern übend im Rundfunk davon, daß es der Regierung zugestellt sei. Ich hoffte, ich würde es am Morgen in der Zeitung lesen. Dort liest man ja immer vormittags, was für Briefe man .am Nachmittag bekommen wird. Aber die Zeit hat gerade noch gelangt, in der Mittagspause dieses Programm durchzulesen. Ich sage Ihnen ganz offen: Darüber läßt sich natürlich 'sprechen. Nur eins fehlt darin:
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6558 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964
Bundesminister Schmückerder eigene Beitrag, und darauf kommt es an. Niemand soll sagen, es gehe nur 'um Lohnpolitik, nur um Haushaltspolitik, nur um Kapitalverkehrspolitik. Meine Damen und Herren, es geht um alles dies. Jeder muß einen Beitrag leisten, und wer Vorschläge für die anderen macht, der muß auch für sich selber Vorschläge machen und Beweise seines eigenen guten Willens liefern.
Dazu fordere ich jeden auf, der Vorschläge machen will.Das zweite Kapitel sind die Preiserhöhungen, die im Jahre 1963 eingetreten sind. Man hat uns gesagt, diese Preiserhöhungen seien auf ein Versagen der Bundesregierung zurückzuführen. Darf ich zunächst einmal die Zahlen nennen. Wir hatten 1963 für das ganze Sozialprodukt eine Erhöhung von 3%, für den privaten Verbrauch von 2,7%, für Bauten von 5,2% — ich bin der Meinung, hier muß mehr getan werden als bisher, so geht die Entwicklung nicht —, für andere Anlagen von 1 %. Im einzelnen gab es Verschiebungen, besonders bei Dienstleistungen und Mieten. Meine Damen und Herren, man muß sich leider mit diesen Zahlen beschäftigen, und ich bitte, es mir nachzusehen, wenn ich Ihnen noch einige mehr nenne: Die Lebenshaltungskosten sind im Jahre 1963 gegenüber dem Vorjahr insgesamt um 3,1 % gestiegen, davon Waren 2,5%, Leistungen 5,5 %, Mieten 6,1 %. Durchschlagend waren mit 6,1 % die Mieten, weil sie ein Gewicht von 9,3% haben. Bildung, Unterhaltung und Erholung habeneine Steigerung von 4,1 %, Milch und Milcherzeugnisse von 9,3 % zu verzeichnen. Dazu beigetragen haben ferner die Bekleidung mit 2,4 % Steigerung und der öffentliche Verkehr mit 10,1 %, der allerdings nicht so durchschlägt, weil er im Gewicht nur 2,1 % ausmacht. Mildernd sind die Preisbewegungen bei Hausrat und bei elektrischen Geräten aufgetreten. Aber wie sehr gerade die Dienstleistungen durchschlagen, erkennen Sie an folgendem Vergleich: Die Getränke in Gaststätten sind um 2,6 % teurer geworden, die Getränke im Hausverbrauch um 0,3%. Meine Damen und Herren, jeder von uns weiß, daß es dem Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe keineswegs gut geht. Wir, die wir leider soviel reisen müssen, haben einige Bekanntschaft mit diesem Gewerbe. Man erkennt, daß hier die Dienstleistungen ganz anders durchschlagen als in den Bereichen, in denen durch Rationalisierung Lohnsteigerungen aufgefangen werden können.Meine Damen und Herren, zu diesen Positionen muß man einiges sagen. Wir haben zwar schon darüber diskutiert. Aber ich muß bei dem Problem der Mieten doch die Frage stellen: Sollen die Hausbesitzer weiterhin den Verlust tragen und soll damit der Wohnungsmarkt weiterhin wenig marktwirtschaftlich und ungeordnet bleiben, oder soll etwa eine staatliche Subvention gezahlt werden? Bezahlt werden muß der Preis auf jeden Fall. Es fragt sich nur, wer ihn bezahlt. Ich meine, wir sind dazu verpflichtet, den gerechtesten Weg zu wählen. Natürlich ist es auch ärgerlich, daß öffentliche Verkehrsmittel teurer werden. Aber, meine Damen und Herren, wenn sich die Tarife nicht erhöhen, dann werden die Preise eben aus Subventionen, aus Staatszuschüssen entrichtet. Wir zahlen sie auch, nur schematisch und ungerecht.Es hat nach .meiner Meinung wenig Zweck, daß man einfach behauptet: Die Bundesregierung hat die Schuld, weil in dem Bereich der administrativ gelenkten Preise ,Steilgerungen entstanden sind. Die Lohnsteigerungen lassen sich eben nicht in alien Bereichen auffangen. Da heute so viele Menschen im Dienstleistungsbereich arbeiten, ist es ganz natürlich, daß Lohnbewegungen heute andere Folgen haben als zu einer Zeit, da es weniger Dienstleistungen gab.Ich möchte zur dritten Kritik etwas sagen. Es wurde uns gesagt, wir hätten die Preiserhöhung für 1964 zu niedrig geschätzt. Nun, meine Damen und Herren, ich werde Ihnen gleich die Zahlen vorlesen. Ich werde ihnen auch sagen, wie wir den Trend sehen. Die gegenwärtigen Zahlen entsprechen genau dem, was wir gesagt haben. Natürlich wird es erheblichere Preissteigerungen geben, wenn die Maßnahmen, die notwendig sind, nicht rechtzeitig ergriffen werden. Wir haben ihnen Maßnahmen vorgeschlagen, und ich hoffe, daß das Hohe Haus diesen Vorschlägen zustimmen wird.Die Entwicklung .ist keineswegs so dramatisch, wie sie vielfach dargestellt wird. Wir sehen Gefahren, die im Herbst liegen. Wir sollten höllisch aufpassen, daß wir von diesen Gefahren nicht überrundet werden. Aber wir sollten nicht ,so tun, als sei jetzt schon alles verloren.
Wir haben einen Ausfuhrüberschuß von 650 Millionen DM im Januar, von 910 Millionen DM im Februar, von 815 Millionen DM im März, von 767 Millionen DM im April und von 737 Millionen DM im Mai. Würden Sie bitte so gut sein, die Zahlen noch einmal zu überlesen. Sie erkennen darin doch einen gewissen Trend. Auch muß darauf hingewiesen wenden, daß ,der Überschuß im Vergleich zum Vorjahr mehr als doppelt so hoch ist. Im vorigen Jahr waren es 1,8 Milliarden DM, in diesem Jahr sind wir bei 3,9 Milliarden DM.Die Auftragseingänge nehmen erheblich zu. Sie liegen im ersten Vierteljahr 1964 um 18% über denen des Vorjahres, im April um 20 % über denen des Vorjahres. Seit März stellen wir fest, daß nach den Exportsteigerungen neuerdings die Inlandsaufträge stark anwachsen. Vielleicht darf ich die Ziffern einmal nennen. Im Januar hatten wir eine Steigerung der Inlandsaufträge um 12 % und eine Steigerung der Auslandsaufträge um 24 %, im Februar eine Steigerung der Inlandsaufträge um 26 % und eine Steigerung der Auslandsaufträge um 30 %, im März eine Steigerung der Inlandsaufträge um 15% und eine Steigerung der Auslandsaufträge um 12 %, und im April ,betrug die Steigerung der Inlandsaufträge 12 %, die der Auslandsaufsträge 18%. Wir haben also einen Exportauftrieb und zusätzlich einen Auftrieb der Inlandsaufträge zu verzeichnen.Die Ausfuhrzunahme beschränkt sich nicht mehr, wie es in den ersten Monaten der Fall war, auf
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964 6559
Bundesminister SchmückerItalien und Frankreich, auch nicht mehr auf die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, ja, sie beschränkt sich nicht mehr .auf die EFTA, sondern geht auch schon in die außereuropäischen Länder. 1963 betrug die Zunahme der Ausfuhr in die EWG 21 %, in die EFTA-Länder 7% und nach Nordamenika, also USA und Kanada, 7%. Von Januar bis April dieses Jahres sieht das Bild folgendermaßen aus: Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ein Plus von 23%, EFTA ein Plus von 17% und Vereinigte Staaten und Kanada ein Plus von 24%. Bei der letzten Ziffer muß ich darauf hinweisen, daß hier einige Besonderheiten vorliegen, die die Bedeutung der Zahl etwas abmildern.Die Lage des Arbeitsmarktes, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ist bekannt. Sie ist stark angespannt. Wir haben im Mai fünfmal soviel offene Stellen wie Arbeitslose und sind inzwischen bei der international unerreichten Arbeitslosenquote von 0,6% angekommen. Ich weiß, daß angesichts der Unterschiedlichkeit der Statistik gewisse Vorbehalte gemacht werden müssen, aber ich frage mich bei diesen Zahlen, wie sich wohl ein Sozialdemokrat aufführen würde, wenn er dem Deutschen Bundestag diese Erfolgsmeldung vorlegen könnte.
Meine Damen und Herren, trotz alledem stellen wir fest, daß das Preisniveau bis jetzt noch relativ ruhig ist. Alle Preisindizes für Inlandswaren zeigen Monat für Monat geringere Erhöhungen gegenüber dem Vorjahr als 1963 und 1962.
Ich bin nun versucht, Ihnen diese lange Statistik vorzulesen. Ich will mir einige Punkte herausnehmen. Damit es nicht allzu lange dauert, will ich darauf verzichten, Ihnen die ganze Liste vorzutragen, aber ich will sie zu Protokoll geben.*)Die Lebenshaltungskosten haben sich im Januar 1964 im Verhältnis zum Januar des Vorjahres um 2,6 % erhöht. 1963 betrug die Erhöhung im gleichen Monat gegenüber dem Jahr 1962 3,6% und 1962 im Verhältnis zu 1961 3,5 %. Im Februar dieses Jahres betrug die Steigerung der Lebenshaltungskosten gegenüber dem Februar des Vorjahres 1,5%, im vorigen Jahr betrug die entsprechende Steigerung gegenüber dem Februar 1962 4,7 % und im Jahre 1962 gegenüber 1961 3,5%. Für den Monat März betrugen die entsprechenden Erhöhungen in diesem Jahr 1,3 %, 1963 4,4% und im Jahre 1962 3,8 %, im April in diesem Jahr 1,6%, 1963 3,6% und 1962 4,6%.Dasselbe Bild zeigt sich bei den Einzelhandelspreisen, bei den industriellen Erzeugerpreisen, bei den landwirtschaftlichen Preisen. Es zeigt sich leider nicht auf dem Baumarkt. Dort sind die Ziffern ungünstiger.Unsere Lage ist also im internationalen Vergleich nach wie vor gut. Trotzdem erkennen wir die Gefahren genau, gegen die wir uns wenden müssen. Es ist uns gesagt worden, wir sollten bei all dem, was wir tun, in Betracht ziehen, was in den Nachbar-*) Siehe Anlage 4ländern geschieht. Nun, ich kann es mir nicht versagen, die Ziffern zum Vergleich heranzuziehen. In der Bundesrepublik hatten wir im März dieses Jahres — und das ist eine sehr günstige Ziffer; Sie dürfen sie nicht verabsolutieren — eine Steigerung der Verbraucherpreise gegenüber dem März des Vorjahres von 1,3%. In Frankreich beträgt die Ziffer 3,9%. Allerdings müssen wir hier vorsichtig sein, denn wir haben es bei Frankreich mit einem Land zu tun, das staatlich kontrollierte Preise hat. Bekanntlich kann man Preise nicht kontrollieren; sie suchen sich dann anderweitig Luft. In den Niederlanden beträgt die Plusziffer 3,8 %, in Italien 5,2 %, in der Schweiz 3,2%, in Osterreich 2,9% und in Schweden ebenfalls 2,9 %. Nur in den Vereinigten Staaten von Amerika waren die Preise stabiler als in der Bundesrepublik. Meine Damen und Herren, das sind die Vorteile eines großen Marktes, den wir ja auch anstreben. Das ist der Vorteil einer durchrationalisierten Wirtschaft, und das ist auch der Vorteil einer vernünftigen Lagerhaltung, die selbst im privaten Bereich betrieben wird. Ich glaube gar nicht so sehr daran, daß die in den Vereinigten Staaten vorhandene Arbeitslosigkeit — wie einige sagen — ein Vorteil ist. Es gefällt mir in diesem Zusammenhang gar nicht, von „Vorteil" zu reden; darüber hinaus ist die Arbeitslosigkeit dort regional, also strukturell bzw. sie ist seltsamerweise jahrgangsmäßig gebunden und zwar an Bereiche, in denen die Ausbildungsmöglichkeiten nicht ausreichen. Sie hat mit der wirtschaftlichen Lage nach meiner Meinung nur sekundär etwas zu tun.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Illerhaus?
Herr Bundesminister, bei der Schilderung dieser Lage hätte ich eine Frage an Sie. Sind Sie nicht auch der Meinung, daß es bei dieser wirtschaftlichen Lage in Deutschland unverantwortlich ist, wenn man in der Öffentlichkeit und in Publikationsorganen von einer „schleichenden Inflation" spricht?
Herr Kollege, ich warne ja davor, daß man die Dinge durch übertreibende Parolen gefährdet. Ich bin dafür, daß man sich maßvoll ausdrückt. Angesichts der gegenwärtigen Lage ist das sicherlich eine maßlose Übertreibung. Ich möchte aber mit der Darstellung der gegenwärtigen Situation die Gefahren keineswegs bagatellisieren, vor denen wir stehen.
Die Gefahr der kommenden Monate besteht in der Tat darin, daß der Exportboom durch eine starke Inlandsnachfrage nach Investitionsgütern noch überlagert wird. Das wird unsere Kapazitäten sehr bald völlig auslasten, und bei dem Engpaß am Arbeitsmarkt — Sie wissen, daß hier keine großen Chancen bestehen; ich will über das Problem der Gastarbeiter gar nicht sprechen — ist doch zu befürch-
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6560 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964
Bundesminister Schmückerten, daß alle die Unartigkeiten, die wir kennen, wieder aufleben. Außerdem ist es so, daß über die Tariflöhne für 8 Millionen Arbeitnehmer neu verhandelt werden muß. Die Folge dieser Entwicklung können, wenn sie übertrieben ausgenützt wird, natürlich Preiserhöhungen sein. Es ist mein Bemühen und das Bemühen der Bundesregierung — und ich bitte dabei um Ihre Unterstützung —, diesen Gefahren zu begegnen.Meine Damen und Herren, ich habe von den künftigen Gefahren gesprochen. Selbstverständlich ist es die Aufgabe der Konjunkturpolitik, vorbeugend tätig zu werden. Wir müssen jetzt handeln, damit spätere Eingriffe nicht zu brutal und nicht zu ungezielt ausfallen. Je rechtzeitiger man handelt, um so einfacher können die Maßnahmen sein. Wir haben in der Bundesrepublik ein leidlich gutes Instrumentarium, das sicherlich noch ausgeweitet werden muß, und von diesem leidlich guten Instrumentarium haben wir Gebrauch gemacht und werden wir weiterhin Gebrauch machen. Wir möchten klare Maßnahmen durchführen und uns nicht verzetteln.Wenn nun aber immer wieder Maßnahmen gefordert werden, dann hört man die Meinung heraus, die Regierung sei in der Lage, mit dirigistischen, zwangswirtschaftlichen Maßnahmen und Gesetzen etwas durchzusetzen. Einige tun so, als hätten wir keine freiheitliche, marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung.
Man sollte keine Forderungen stellen, die diese Wirtschaftsordnung in Gefahr bringen. Dann sollten wir lieber von dem viel verlachten Mittel der „Seelenmassage" Gebrauch machen. Dieser Ausdruck ist ja in sich schon eine Satire, eine Ironie; ich weiß das wohl. Aber was wird denn damit angesprochen? In der Demokratie müssen wir doch miteinander reden. Wir müssen mit den Verbänden sprechen, mit den Tarifpartnern, mit den Unternehmern. Wir müssen doch versuchen, den anderen durch unsere Argumente zu überzeugen, nicht durch Befehle, zu denen wir nach den gesetzlichen Möglichkeiten nicht berechtigt sind und darüber hinaus nach unseren politischen Vorstellungen auch keine Berechtigung haben wollen. Wir möchten doch unsere freiheitliche Ordnung bewahren. Wir möchten nicht, daß Löhne und Preise — wie das in einigen Ländern, die sich auch freiheitlich nennen, der Fall ist — durch Befehle festgelegt werden, ganz davon abgesehen, daß das gar nicht geht; denn der Staat, der Löhne und Preise festlegt, kann sich nur dann durchsetzen, wenn er zufällig die Marktlage trifft. Trifft er zufällig die Marktlage, brauchte er auch keinen Befehl zu erlassen, dann erledigt sich alles von selber. Trifft er sie nicht, so tun die Menschen auch das, was Sie wollen. Das haben wir doch alles hinter uns, das haben wir doch alles gehabt. Es bleibt also nichts anderes übrig, als fortgesetzt das Gespräch zu suchen und sich zu bemühen, den anderen zu überzeugen, und sich selbst zu bemühen, zuzuhören, um aus Anregungen zu lernen.Sicherlich ist es richtig, daß der Staat mit gutem Beispiel vorangehen muß. Er muß bei all dem, was er seinen Bürgern zumutet, darauf verweisen können, daß er das in seiner unmittelbaren Macht Stehende getan hat. Ich spreche mit diesem Satz Sie, meine Damen und Herren, das Parlament, und die Regierung an. Wir können mit unseren Forderungen nicht alles verlangen und gleichzeitig sagen, wir dürfen die Verteidigung nicht einschränken, nicht die Sozialleistungen, nicht die Subventionen, nicht den Straßenbau, den Wohnungsbau usw., um zum Schluß zu sagen: Die anderen müssen es tun! So geht es nicht. Die Methode „Heiliger St. Florian" hat sich noch niemals bewährt. Es kommt darauf an, daß wir selber handeln, auch wenn wir erkennen, daß die heutigen Gefahren im wesentlichen aus den Nachbarländern zu uns herüberspielen. Wir müssen die europäischen und die Gemeinschaftseinrichtungen ausnutzen, um dort für eine gemeinsame Konjunkturpolitik zu werben, so, wie wir es in den letzten Monaten mit Erfolg getan haben.Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ist die wichtigste Stätte dieser wirtschaftspolitischen Aussprache. Am 24. Februar 1964 hat die Bundesregierung einen Vorschlag zur Stärkung der konjunkturpolitischen Zusammenarbeit gemacht. Dieser Vorschlag ist für meine Begriffe sehr schnell akzeptiert und realisiert worden; denn bereits am 14. April 1964 ist dieses Stabilisierungsprogramm, das auf deutsche Anregung entstanden ist, einstimmig angenommen und mit einer allgemeinen Empfehlung für alle und einer besonderen Empfehlung für einzelne Länder, speziell Italien, aber auch für die Bundesrepublik weitergeleitet worden. Der Kernsatz der Empfehlung an die Bundesrepublik heißt, sie möge die bisherige Politik fortsetzen; sie möge darüber hinaus dafür sorgen, daß eine Erleichterung der Einfuhr eintritt. Es wurde ihr empfohlen, so, wie sie begonnen hat, die Begrenzung der Haushaltsausgaben in diesem Jahr ebenfalls durchzuführen und keine Änderung der Kreditpolitik anzustreben.Die Bundesregierung hat entsprechend der Aufforderung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft einen Bericht verfaßt. Er wird in den entsprechenden Gremien in der nächsten Zeit zur Debatte stehen. Ich möchte aber an dieser Stelle noch einmal auf die Bemerkung des Herrn Kollegen Möller zurückkommen und sagen, daß wir alles tun müssen — ich sage das in Übereinstimmung mit Ihnen —, um den Wirtschaftsraum zu vergrößern, um in einem größeren Wirtschaftsraum zu arbeiten; denn die Enge der nationalen Wirtschaftsräume ist eine der Hauptursachen für die Schwierigkeiten, mit denen es die einzelnen Länder zu tun haben. Darum sagte ich vorhin schon, daß die Wirtschaftspolitik den Amerikanern leichter fällt als uns in den zersplitterten Staaten. Sie verfügen über einen größeren Wirtschaftsraum, der leichter in der Lage ist, Spannungen auszugleichen. Es ist darum eine auch wirtschaftspolitisch wichtige Aufgabe, dafür zu sorgen, daß die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft vollendet wird. Die Wirtschaft ist der staatsrechtlichen Entwicklung etwas davongelaufen, und vieles, was wirtschaftlich notwendig ist, kann man erst durchführen, wenn die staatsrechtliche Entwicklung nachgekommen ist.Aber nicht nur die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ist wichtig. Sie werden vielleicht erstaunt
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964 6561
Bundesminister Schmückersein, wenn ich in diesem Zusammenhang auf die OECD hinweise. Die OECD stellt eine Verbindung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft mit den EFTA-Ländern und darüber hinaus mit den Vereinigten Staaten dar. Hier in diesem Kreise sind wirtschaftspolitische Debatten und Abstimmungen möglich, zu denen die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft nicht in der Lage ist. Herr Kollege Möller, Sie beklagen sich darüber, daß zuwenig Material aus den anderen Ländern vorgelegt wird. Ich war ein wenig enttäuscht über einen solchen Vorwurf; denn nach der Tagung der OECD habe ich sofort den Wirtschaftsbericht der OECD, der eine Darstellung der Lage der Mitgliedsländer in hervorragender Form bringt, allen Fraktionen und auch den Mitgliedern der wirtschaftspolitisch interessierten Ausschüsse zugestellt. Andere Berichte liegen zur Zeit nicht vor. Ich werde mich bemühen, diese Methode fortzusetzen und das internationale Material den Kollegen, die wirtschaftspolitisch interessiert sind, zur Verfügung zu stellen.Über die Bemühungen in der OECD hinaus haben wir eine Reihe von bilateralen Gesprächen im Rahmen des deutsch-französischen Vertrages geführt. Wir hatten mit den Italienern, mit den Engländern Gespräche gehabt. Ich war in Dänemark, wir haben mit den Schweden und den Norwegern Verhandlungen, und vor der Tür steht nun ein Gespräch mit den wirtschaftspolitisch verantwortlichen Herren aus Benelux.Meine Damen und Herren, ich möchte schon jetzt, obwohl es an dieser Stelle etwas verfrüht ist, auf die Arbeit hinweisen, die in der sogenannten Zehnergruppe geleistet wird, wo die Währungsprobleme weltweit zur Debatte stehen: Wie sollen Defizite finanziert werden? Wieviel internationale Liquidität soll und darf es ohne Inflation geben? Wir Deutschen haben Vorschläge gemacht, und ich verspreche mir, daß auf der Konferenz in Tokio, die im Herbst stattfindet, grundlegende Beschlüsse gefaßt werden.Nun darf ich zu den Maßnahmen +im eigenen Lande kommen. Das Kernstück unserer Maßnahmen ist die Haushaltspolitik. Der Herr Bundesfinanzminister wird nachher das Wort ergreifen. Ich brauche mich nur auf die Erwähnung zu beschränken und darauf hinzuweisen, daß es in der Tat eine große Leistung ist, den Haushalt hart zu begrenzen. Wir haben uns vor drei Jahren erstmalig bemüht. Sie wissen, aus welchen Gründen — ich nenne das Stichwort „Nassau" — wir nicht zum Zuge gekommen sind. Im letzten Jahr sind wir ein gutes Stück weitergekommen, und in diesem Jahr haben wir Ihnen einen Vorschlag gemacht — er ist auf dem Wege zu den gesetzgebenden Körperschaften — über 64,3 Milliarden DM.Es bleibt das große Problem, wenn ich diese Fragen in Brüssel bespreche, inwieweit die deutsche Vertretung für alle öffentlichen Hände sprechen kann. Wir können ja immer nur für den Bund als oberstes Organ, wenn ich so sagen darf, sprechen, nicht aber für die Länder und Gemeinden. In der letzten Besprechung, die 'der Herr Bundeskanzler mit den Ministerpräsidenten hatte, hat er von denLändern die Zusage bekommen, daß auch sie sich im Rahmen der Richtlinien der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft etatpolitisch verhalten wollen. Sie haben weiterhin zugesagt, daß sie mit ihren Großgemeinden 'sprechen wollen, um Entsprechendes zu erreichen.Herr Kollege Starke hat einen Vorschlag aufgenommen, der in der Länderwirtschaftsministerkonferenz in Berlin — vor zwei Monaten war es, glaube ich — diskutiert worden ist. Es ist doch irgendwie ein Witz, daß wir innerhalb der EWG zwischen den sechs beteiligten Ländern einen Konjukturausschuß haben und uns freiwillig beschränken, aber innerhalb der Bundesrepublik eine solche Einrichtung nicht haben. Sicherlich, verfassungsmäßig haben wir keine Grundlagen. Aber dann sollten wir den Weg eines freiwilligen Ausschusses gehen. Es scheint ein Widerspruch zu sein, daß man so etwas auf internationaler Ebene durchsetzen kann, aber nicht auf nationaler Ebene.Das Zweite in der Aufzählung der Maßnahmen ist 'unter dem Stichwort der antizyklischen Fiskalpolitik zu nennen. Ich darf auf die Anlage zum Nachtrag verweisen und sagen, daß nach den Grundsätzen, die der Bundesfinanzminister und der Wirtschaftsminister erarbeitet haben, eine Vorlage entsteht. Aber schon jetzt ist der § 7 des Haushaltsgesetzes neu gefaßt worden. Die Regierung kann aus konjunkturpolitischen Gründen bestimmte Ausgaben verweigern. Es wird notwendig sein, die hier oft diskutierten mehrjährigen Investitionspläne für Bahn, Post, Straßenbau, Deichbau und Küstenschutz durchzuführen, wie man ja auch den Grünen Plan als mehrjährigen Investitionsplan !ansehen muß. An ihm kann man erkennen, 'daß auch mehrjährige Pläne nicht .schon deswegen gut sind, weil sie mehrjährig sind. Auch bei mehrjährigen Plänen muß man sich immer wieder anpassen.In dieser antizyklischen Fiskalpolitik wird es natürlich notwendig sein, Sperrmöglichkeiten gegen eine Überkonjunktur und Vorratsprojekte gegen eine Depression zu haben. Ich erinnere an die konjunkturellen Möglichkeiten bei der Abschreibung und darf die Steuersenkung, zu der der Herr Bundesfinanzminister das Wort ergreifen wind, auch nur der Aufzählung wegen erwähnen. Ich erinnere daran, daß es nicht leicht war, die Richtigkeit dieser Pläne in der EWG anerkannt zu erhalten. Aber man hat uns die Anerkennung nicht versagt, als man unsere Begründung hörte und sie für richtig befand.Im Bereich des Geld- und Kapitalverkehrs sind, wie Sie wissen, 'schon die Maßnahmen der Bundesbank in Kraft. Ich brauche sie nicht im einzelnen aufzuzählen. Der Erfolg ist da. Wir 'haben vom Januar bis Mitte Juni 1964 fast 2 Milliarden .ins Ausland exportiert. Dann kam die Ankündigung der Bundesregierung am 23. März: Abschaffung der Wertpapiersteuer, Ausdehnung der Kapitalertragsteuer auf Anleihezinsen. Auch darüber ist sehr viel 'diskutiert worden. Es ist die Behauptung aufgestellt worden, dieses Gesetz sei nach internationaler Rechtsauffassung diskriminierend. Ich bin nicht dieser Auffasung. Denn man kann Steuern jederzeit ändern. Eine Steuerfreiheit ist nie versprochen wor-
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6562 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964
Bundesminister Schmückerden. Im übrigen trifft diese Maßnahme nur Steuerhinterzieher, und ich glaube, auf die Dauer ist es unzweckmäßig, es in einem durch Handelsverkehr verbundenen Kreis zuzulassen, daß aus steuerlichen Gründen die Gelder von einem in ein anderes Land gehen. Ich erinnere nur daran, welche Debatten wir hier über die Flucht deutschen Kapitals in das Tessin oder in andere Gegenden geführt haben.Auf jeden Fall ist der Erfolg dieser Ankündigung eingetreten. Wir haben starke Kapitalabflüsse zu verzeichnen gehabt. Allein im April wurden 387 Millionen langfristiges Kapital exportiert, und die Devisenbilanz schließt im April mit einem Verlust von 607 Millionen DM ab. Auch im Mai sind die Ziffern noch defizitär. Wenn Sie das bei dem hohen Aktivsaldo in der Handelsbilanz berücksichtigen, kann man doch nicht bestreiten, daß, fast über die Erwartung hinaus, zumindest aber in großem Umfange, das eingetreten ist, was mit den Maßnahmen erzielt werden sollte. Ich muß aber darauf hinweisen, daß wir nicht damit rechnen können, daß die Devisenbilanz weiterhin passiv bleibt. Die letzten Meldungen weisen darauf hin, daß wir im Juni mit einem beträchtlichen Zufluß zu rechnen haben. Wir können also annehmen — und das ist wichtig für die Erkennung des Trends —, daß im Juni das Devisendefizit abgebaut wird und wir wieder in ein Plus kommen.Sehr stark ist, vor allen Dingen von Herrn Kollegen Starke, die Kapitalmarktseite betont worden. Ich will das in keiner Weise schmälern; aber ich habe immer wieder den Eindruck, daß diejenigen, dieetwas mit dem Kapitalmarkt zu tun haben, bevorzugt auf die güterwirtschaftliche Seite hinweisen, und diejenigen, die in der Güterwirtschaft stehen, sagen: Ihr müßt über den Kapitalmarkt eingreifen. In allen Bereichen muß richtig reagiert, richtig gehandelt werden.Ich darf nun zur güterwirtschaftlichen Seite etwas sagen. Die Bundesregierung hat zu keinem Zeitpunkt daran gedacht, eine Exportdrosselung vorzunehmen. Das ist uns auch im Gutachten oder in der Empfehlung des Deutschen Gewerkschaftsbundes vorgeworfen worden. Ich möchte aber ausdrücklich betonen, daß wir es ablehnen, eine Exportsteigerung und eine Exportförderung durchzuführen. Es scheint uns jedoch im gegenwärtigen Augenblick nicht richtig zu sein, schon oder überhaupt eine Exportdämpfung vorzunehmen; denn der deutsche Export in die anderen europäischen Länder mit seinen stabilen Preisen hilft doch, den inflationären Trend in den Nachbarstaaten zu bremsen. Die Waren werden in verstärktem Umfange bei uns gekauft, weil sie billiger sind als dort. Würden wir sie nicht aus unseren Grenzen herauslassen, dann würde die Bremswirkung nicht eintreten. Ich brauche nur darauf hinzuweisen, daß wir uns umgekehrt bemühen, das inländische Angebot anzureichern.Ich möchte betonen, daß der deutsche Export gegenüber Drittländern noch ausbaufähig ist und daß die Notwendigkeit besteht, hier sehr sorgsam die Entwicklung zu beachten. Unser Exportüberschuß, der zwar gegenüber Drittländern zunimmt, muß zu der Außenhandelsbilanz der EuropäischenWirtschaftsgemeinschaft in Beziehung gesetzt werden. Diese Außenhandelsbilanz ist sehr schlecht. Würden wir unseren Export bremsen, würde diese Außenhandelsbilanz, die ja in wenigen Jahren unsere gemeinsame Außenhandelsbilanz sein wird, also noch weiter verschlechtert werden. Aus diesen Überlegungen heraus glaubte die Regierung, Ihnen eine Exportdrosselung nicht vorschlagen zu sollen.Dagegen sind wir der Meinung, daß man erhebliche Anstrengungen machen sollte, die Importe zu steigern. Zu diesem Vorhaben gibt es in der öffentlichen Diskussion im wesentlichen drei Vorschläge. Der erste Vorschlag ist die Aufwertung oder die Einführung eines flexiblen Wechselkurses. Der zweite Vorschlag ist die Änderung der Umsatzsteuer im grenzüberschreitenden Verkehr. Der dritte Vorschlag betrifft die Zollsenkungen.Lassen Sie mich zu der Frage des Wechselkurses ein klärendes Wort sagen! Jede Spekulation auf eine Aufwertung, in welcher Form auch immer, geht an den Realitäten und an dem erklärten politischen Willen der Bundesregierung vorbei. Ich brauche insoweit lediglich auf die erneuten, ganz eindeutigen Erklärungen des Herrn Bundeskanzlers zu verweis en.Allerdings gibt es in der internationalen Währungsordnung Probleme, die außerordentlich wichtig sind und über die man jetzt erfreulicherweise ernsthaft diskutiert. Die Bundesregierung 'beteiligt sich intensiv an den Beratungen über eine Verbesserung der internationalen Währungsordnung. Sie drängt hierbei insbesondere darauf,daß die Verpflichtungen der nationalen Regierungen, währungspolitisch Disziplin zu üben, d. h. Preisstabilität zu wahren, verstärkt werden. Diese Erörterungen finden seit der letzten Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds in der sogenannten Zehnergruppe statt.Es ist aber einfach unverständlich, daß man jedes Wort oder jede Äußerung über diesen Fragenkreis sofort als eine mögliche Änderung in der Haltung der Bundesregierung zur konkreten Frage des deutschen Wechselkurses mißdeutet und hiervon ausgehend aufgeregte Spekulationen anstellt. Es ist an der Zeit, mit diesen Spekulationen Schluß zu machen. Ich meine, es ist an der Zeit, das langfristige Währungsproblem, ohne daß Menschen dadurch allergisch werden, offen und freimütig zu diskutieren.Ich möchte den zweiten Weg ganz kurz behandeln. Es ist ja ein Weg, der sehr viel Sympathie bei der Sozialdemokratie findet. Es ist der Vorschlag, die Umsatzsteuer im 'grenzüberschreitenden Verkehr konjunkturpolitisch einzusetzen. Meine Damen und Herren, ich habe vorhin ausdrücklich !gesagt, daß man alles das, was man zu diesen einzelnen Möglichkeiten ausführen kann, immer wieder mit den gegenwärtigen Verhältnissen konfrontieren muß. Ich will durchaus zugeben, daß es einen Zeitpunkt geben kann, zu dem es notwendig ist, über diese Frage zu sprechen. Gegenwärtig, meinen wir, besteht aber nicht das Bedürfnis, besteht vor allen Dingen nicht das Bedürfnis zu einer solchen Ermäch-
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964 6563
Bundesminister Schmückertigung. Ich möchte zu dem Problem als solchem sagen: wir meinen, daß es unzweckmäßig ist, mit der Umsatzsteuer zu hantieren, weil damit das höhere Ziel der Harmonisierung gefährdet werden könnte, ganz abgesehen davon — ich ,glaube, der Kollege Schmidt sagte es —, daß das eine getarnte Aufwertung werden könnte.Ich meine, wir sollten uns bemühen, das, was wir zur Zeit konzunkturpolitisch tun müssen, mit den übrigen, weiterreichenden Plänen in Übereinstimmung zu bringen. Das wäre bei der Umsatzsteuer nicht möglich; denn hier ist der weiterreichende Plan die Harmonisierung. Ich glaube nicht, daß eine Harmonisierung Sinn hat, wenn die Länder die Umsatzsteuer nachher konjunkturpolitisch unterschiedlich handhaben.Anders ist es mit den Zollmaßnahmen. Die Zölle, mindestens in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, aber hoffentlich bald darüber hinaus, sollen ohnehin auf Null reduziert werden. Da ist ,es doch besser, wenn man den gleichen oder ähnlichen güterwirtschaftlichen Effekt erzielen kann, man geht diesen Weg. So hat die Bundesregierung im Wege der Suspendierung die Zollsenkung vorgezogen: eine Zollsenkung, die den Termin vom 1. Januar 1965 ohne Ausnahmeliste vorzieht, und den Termin vom 1. Januar 19,66 mit Ausnahmeliste. Ich möchte ausdrücklich auch hier erklären, daß wir, wenn sich herausstellen sollte, daß in einzelnen Bereichen Gefahren auftreten, von den durch die Suspendierung gegebenen Möglichkeiten Gebrauch machen und die Zollermäßigung in der betroffenen Position zurücknehmen werden.Weiter möchte ich darauf hinweisen, daß die Bundesregierung willens ist, das bereits vorbesprochene Struktur- und Sanierungsprogramm Baumwolle und Wolle durchzuführen und auch in anderen Bereichen — ich nenne nur das Stichwort Leder — ähnliche Programme ins Leben zu rufen. Mit Zollrücksichten ist den Bereichen, die in Schwierigkeiten gekommen sind, nicht zu helfen.Ich darf aber an dieser Stelle, da einige polemische Bemerkungen gefallen sind, den Außenhandelsausschuß ausdrücklich für den heißen und fairen Kampf in dieser Sache danken. Ich bedanke mich auch bei den Kolleginnen und Kollegen von der Sozialdemokratie, die mich in dieser Frage unterstützt haben. Diese Zollsenkungen sollen Preissteigerungen auffangen, die im Ausland aufgetreten sind. Schon von dieser Begründung her, meine ich, läßt sich eine erhebliche Bedrohung für einzelne Industriezweige überhaupt nicht konstruieren. Ich gebe eher denen Gehör, die fragen, ob diese Maßnahme ausreicht. Immerhin wird durch sie ein Preisdruck von etwa 3,5% bis 4 % bei den betroffenen Waren erzeugt. Darüber hinaus haben wir die Absicht, in der Kennedy-Runde noch einiges mehr zu tun.Ich möchte darauf hinweisen, daß die Ausnahmeliste, die so erhebliche Kritik gefunden hat, von mir von Anfang an gewollt gewesen ist. Es war unmöglich, die Ausnahmeliste sofort vorzulegen; denn dann hätte sie sich ausgeweitet, wie Sie wissen, und es hätte kein Halten mehr gegeben.Natürlich wäre es einfacher gewesen, den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen und uns nicht um die Situation in den einzelnen Bereichen zu kümmern. Aber, meine Damen und Herren, das wäre keine Politik mehr. Es kommt doch darauf an, auf die differenzierten Verhältnisse der Wirtschaft Rücksicht zu nehmen.Das ist geschehen. Das ist in einem Ausmaß geschehen, daß ich der jetzt gefundenen Lösung gern zustimme und mich freuen würde, wenn das Hohe Haus dieser Lösung ebenfalls die Zustimmung gäbe. Diese Maßnahme soll übrigens ein Auftakt sein für den Versuch, in der Kennedy-Runde schneller voranzukommen. Meine Damen und Herren, die Kennedy-Runde ist sicherlich aus anderen Motiven entstanden. Es sollte das wirtschaftliche Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft aufgebessert werden. Inzwischen aber hat die Kennedy-Runde eine neue Bedeutung bekommen; denn über die Zollsenkungen wird es möglich sein, in allen Ländern eine bessere Stabilisierungspolitik zu betreiben.Als wir den Vorschlag machten, die EWG-Binnenzölle zu senken, haben die Vertreter anderer Länder gesagt, wir seien gute und nette Europäer, weil sie glaubten, 'ihre Waren nun leichter loswerden zu können. Ich habe sofort geantwortet: Auf dieses Konto geht das nicht, denn wir wollen unser inländisches Angebot anreichern; ihr solltet euch jetzt fragen, ob ihr die Exporte überhaupt verkraften könnt. Es ist zu bezweifeln, daß das in allen Bereichen möglich ist. Wenn es nicht möglich ist, dann müssen wir zur Anreicherung des güterwirtschaftlichen Angebots eben gegenüber den Drittländern die Schleusen weiter öffnen.
Ich hoffe, meine Damen und Herren, daß sich diese Argumentation in Brüssel — wenn auch der Herr Bundeskanzler einige Skepsis geäußert hat —, wenn nicht von heute auf morgen, so dach langsam und sicher durchsetzt.Wenn man nämlich — ich habe das in Genf ausgeführt — Zölle ermäßigt, so ist das nicht etwa eine Vorleistung oder ein Zugeständnis. Vielmehr sind Zollermäßigungen einfach eine Maßnahme, um das eigene Warenangebot anzureichern. Man sollte also hier nicht mit alten Begriffen arbeiten, die der Wirklichkeit nicht mehr entsprechen.Im übrigen aber, meine Damen und Herren, könnte man fast sagen: Wenn es nur Zölle gäbe auf der Welt, wie schön wäre das! Die eigentlichen Wettbewerbsverfälschungen liegen ganz woanders. Sie hegen bei den Subventionen, sie liegen bei den Steuerbestimmungen, bei Anti-Dumpinggesetzen, bei Kontingenten, bei Zollberechnungsverfahren, und sie liegen in der Administration, die ,die einzelnen Gesetze in den einzelnen Ländern unterschiedlich anwendet.
Wenn es möglich wäre, die Zölle als einziges Mittel der internationalen Handelspolitik zu haben und all das andere vom Tisch zu wischen, wäre das eine herrliche Sache,
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6564 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964
Bundesminister SchmückerWir freuen uns, daß es uns immerhin gelungen ist, in der Kennedy-Runde die übrigen Wettbewerbsverzerrungen auf die Tagesordnung zu bringen. Wir wollen die diskriminierenden Bestimmungen, die die einzelnen Länder erfunden haben und die sie mit einer erstaunlichen Weisheit und Akribie handhaben, zur Debatte stellen. Wir hoffen, daß es auf dem Wege über die Beseitigung der Wettbewerbsverzerrungen möglich sein wird, den Welthandel im Sinne der Verbesserung der weltweiten Arbeitsteilung zu beflügeln. Es wird notwendig sein, noch sehr viele Gespräche zu führen. Wie ich vorhin an dem Beispiel der Binnenzollsenkung zeigte, steht jeder dem Problem je nach seiner Interessenlage anders gegenüber.Meine Damen und Herren! Bevor ich zur Bewertung der Maßnahmen komme, möchte ich noch ein paar Bemerkungen über die Notwendigkeit einer Strukturpolitik machen. Ich erwähnte sie bereits im Zusammenhang mit Baumwolle, Wolle und Leder. Ich meine, wir sollten die Strukturpolitik auch als regionale Strukturpolitik verstärken. Das können wir nur in Zusammenarbeit mit den Ländern.Heute morgen war ich Zeuge eines Zwiegesprächs zwischen Herrn Wehner und Herrn Seebohm, und ich hatte mir vorgenommen, jetzt darauf zurückzukommen. Herr Wehner, wir müssen nicht nur in den Zonenrandgebieten — aber besonders dort —, sondern in allen strukturschwachen Gebieten die Reserven erschließen, die uns fehlen und die wir .anderweitig nicht finden können. Aber nicht nur von der herben Frage des Arbeitsmarktes her, sondern, wie ich meine, auch von dem Problem ,der gleichen Lebensmöglichkeiten in der Bundesrepublik her, die zu schaffen wir nach dem Grundgesetz gehalten sind! Wir müssen die Wirtschaftsstruktur verbessern. Die Bundesregierung hat daher auch bei aller Notwendigkeit, etatpolitisch kurz zu treten, die Mittel für diese Aufgabe nicht gekürzt, sondern sie wird sich bemühen, zusammen mit den Ländern die regionale Strukturpolitik voranzutreiben; denn je besser die Wirtschaftsstruktur ist, um so geringer ist die Notwendigkeit, mit konjunkturpolitischen Maßnahmen einzugreifen. Der größere Markt kann uns dabei helfen, aber auch die gesunde Struktur, die wir in Deutschland anstreben müssen.Meine Damen und Herren! Nun kann man sagen, daß diese Maßnahmen, die ich Ihnen eben noch einmal aufgezählt habe und allen bekannt sind, nicht ausreichen. Ich bin davon überzeugt — und die Zahlen geben uns recht —, daß wir bis zum jetzigen Zeitpunkt das Notwendige getan haben, und ich darf Ihnen versichern, daß, wenn die Verhältnisse sich zuspitzen sollten, auch die entsprechenden Maßnahmen ergriffen und dem Hohen Hause vorgeschlagen werden. Aber man soll auch hier maßhalten und nicht alles auf einmal tun; denn dann entsteht doch die Gefahr, daß sich die Folgen überschlagen.Wir sind dankbar für jede Kritik, besonders für eine Kritik, die Vorschläge enthält. Wir meinen aber, dieser Kritik gegenüber sagen zu können, daß sich — an den Früchten soll man es erkennen — die Politik der Bundesregierung sehen lassen kann.Die Bundesregierung wird die Maßnahmen, die von ihr vorgeschlagen sind, durchführen, und sie wird auch nicht davon ablassen, mit den Gewerkschaften, mit den Unternehmern, mit den Ländern, mit den Gemeinden, mit jedermann zu diskutieren und sich zu bemühen, jeden von der Notwendigkeit zu überzeugen, sich hier einzufügen; denn, meine Damen und Herren, keiner kann das Problem alleine lösen. Die Bundesregierung, die Bundesrepublik, Regierung und Parlament, müssen mit gutem Beispiel vorangehen. Wenn wir das tun, haben wir das Recht, an die übrigen Kreise zu appellieren.Ich bitte die Unternehmer, dazu beizutragen, daß wir stabile Verhältnisse behalten. Das Gebot der Stunde heißt konsolidieren und nur dort expandieren, wo es der Markt erlaubt. Man sollte aus dem brancheengen Denken herauskommen und eine maßvolle Preispolitik betreiben; denn jede maßlose Politik, jede Politik der aus den Tagesereignissen möglichen Übergewinne kommt doch doppelt hart zurück — wie ein Bumerang.Wir haben die Chancen der Kooperation verbessert. Im Sinne der Stabilisierung der Verhältnisse möchten die Unternehmer davon Gebrauch machen. Wir appellieren an die sogenannten Verbraucher, die wir ja alle sind, von den Möglichkeiten, die jeder als Verbraucher hat, Gebrauch zu machen. Man sage mir nicht, diese Möglichkeiten seien gering. Nun, sie sind nicht umfassend, das weiß ich auch, aber unsere Parole lautet, daß jeder an seinem Platz mitwirken soll. Der Verbraucher hat eine große Macht. Er soll sie nutzen.Der Appell geht an die öffentlichen Hände, der Allgemeinheit ein Beispiel für die Disziplin zu geben. Das gilt nicht nur für uns selber hier in diesem Hohen Hause, das gilt für die Länder, für die Gemeinden und alle öffentlichen Körperschaften.Der Appell geht auch an die Tarifpartner. Sie entscheiden nicht allein, aber sie sind ein sehr wichtiger Bestandteil, und sie sollten dafür sorgen, daß durch eine vernünftige Tarifpolitik die Tariffreiheit erhalten bleibt, weil sie Bestandteil einer freien Marktwirtschaft ist. Ich kann nur die Hoffnung ausdrücken, daß man sich bei den Lohnverhandlungen sowohl bezüglich des Lohns als auch der Arbeitszeit maßvoll verhält.In der letzten Zeit mehren sich die Äußerungen, ich möchte fast sagen, krankhafter Schwarzseher, die meinen, daß man heute schon eine technologische Arbeitslosigkeit befürchten müsse. Meine Damen und Herren; wenn solch eine Gefahr auftreten wird, dann ist es doch selbstverständlich, daß Bundesregierung und Parlament rasch reagieren werden. Es wäre doch geradezu närrisch, eine solche Entwicklung nicht aufzufangen. Auch die Frage der Arbeitszeitverkürzung steht im Zusammenhang mit den heutigen wirtschaftlichen Bindungen. Wenn die Bedingungen sich ändern, wird man darüber sprechen können — hoffentlich ist dieser Tag bald da.Ebenso verhält es sich mit den Löhnen. Natürlich sollen die Löhne steigen, aber doch nur dann, wenn ein realer Vorteil für alle dabei herauskommt, und nicht, weil irgendwie ein Tarifspiel durchgezogen
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964 6565
Bundesminister Schmückerwerden muß. Es kommt darauf an, daß alle real mehr von der Wohlstandsmehrung haben und daß nicht der eine dem anderen den Schluck aus der Pulle wegnimmt. Gesundes Wachstum heißt eine Wohlstandsmehrung bei stabilen Verhältnissen, und das ist das wirtschaftspolitische Ziel der Bundesregierung.Wir können dieses Ziel nicht allein als Bundesregierung, sondern nur mit dem ganzen Volk gemeinsam erreichen und auch nur dann, wenn wir im Verein mit den befreundeten Nationen handeln. Die staatsrechtliche Entwicklung — das sagte ich vorhin schon — ist hinter der Internationalisierung der Wirtschaft zurückgeblieben. Es wird auch aus wirtschaftspolitischen Gründen Zeit, daß wir die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft vollenden, damit sie dann weltoffen mit allen, die die Gleichheit und Gegenseitigkeit achten, zusammenarbeiten kann. Stabilität ist eine Sache der Gerechtigkeit, und ihre Verwirklichung, die nur in gemeinsamer Anstrengung von Parlament, Regierung und Bevölkerung gelingen kann, ist zugleich die Verwirklichung des Grundsatzes des gleichen Rechts aller vor dem Gesetz.Ich bitte Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, um eine offene Aussprache und um eine Kritik, die uns in der Sache weiterbringt. Zu den konkreten Vorlagen der Bundesregierung erbitte ich Ihre Zustimmung.
Herr Abgeordneter Kurlbaum!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Anfang möchte ich zum Ausdruck bringen, daß die Art der Aussprache, die der Herr Bundeswirtschaftsminister heute mit uns gepflegt hat, wohl eine geeignete Grundlage für eine sachliche und faire Diskussion ist. Ich begrüße das vor allem deshalb, weil wir in der Vergangenheit teilweise etwas anderes erlebt haben.Bevor ich auf die eigentlichen Sachprobleme eingehe, möchte ich aber kurz noch etwas zu der Frage der Aktualität des Wirtschaftsberichts der Bundesregierung sagen. Als wir nach den Weihnachtsferien den Wirtschaftsbericht der Bundesregierung in unseren Fächern vorfanden, war das, was darin gesagt wurde, zweifellos teilweise schon wieder durch das überholt, was gleichzeitig von den wirtschaftswissenschaftlichen Instituten veröffentlicht wurde. In diesem Zusammenhang möchte ich den Herrn Bundeswirtschaftsminister daran erinnern, daß wir uns seinerzeit bei der Beratung des Gesetzes über das Sachverständigengremium sehr darum bemüht haben, zu erreichen, daß der Wirtschaftsbericht so schnell wie möglich in die Hand der Abgeordneten gelangt und nicht erst durch das Sieb der Bundesregierung geht und dort einen längeren Zeitverlust erleidet. Vielleicht wäre ein Teil der Kritik, die heute mit Recht an diesem Bericht geübt worden ist, vermieden worden, wenn wir den Bericht mit seinen Daten frühzeitiger erhalten hätten,nämlich so frühzeitig, wie er tatsächlich vom Ministerium fertiggestellt worden war.Nun zu der konjunkturpolitischen Lage und insbesondere zu unserem Antrag Drucksache IV/2332! Ich glaube, daß der Gang und vor allem auch der Ausgang der heutigen Wirtschafts- und finanzpolitischen Diskussion entscheidend dafür sein wird, ob der Staatsbürger in der Bundesrepublik in Zukunft weiter befürchten muß, daß die schnelle Steigerung der Lebenshaltungskosten, wie wir sie insbesondere in den Jahren 1961 bis 1963 erlebt haben, sich wiederholt. Herr Illerhaus, das mag man nennen, wie man will. Es gefällt Ihnen sicherlich nicht, wenn wir hier in diseem Zusammenhang von einer schleichenden Inflation sprechen. Aber überlegen Sie sich einmal selbst, wie das für einen kleinen Sparer aussieht, wenn er erleben muß, daß die Lebenshaltungskosten, wie in den genannten Jahren, um bis zu 3,5% pro Jahr steigen.
Übertragen Sie das einmal auf ein jahrzehntelanges Leben; dann werden Sie, wenn Sie sich in die Lage eines solchen kleinen Sparers versetzen, Verständnis dafür haben, daß er es Inflation nennt, wenn sich eine solche Entwicklung zwanzig oder dreißig Jahre fortsetzt.Ich glaube nicht, daß es sehr viel Sinn hat, sich hier über Worte zu streiten. Ich bin der Meinung, daß wir in der Diskussion nur dann wirklich weiterkommen, wenn wir versuchen, uns an quantitative Vorstellungen, an Zahlen zu halten. Da ist nun folgendes zu sagen: Im Augenblick ist zwar das Preisklima etwas beruhigter als in den vergangenen Jahren. Das hat ja auch der Herr Bundeswirtschaftsminister hier dargestellt. Aber ich glaube, dabei allein sollten wir uns nicht beruhigen. Es gibt zwei Tatsachen, die wir bei unseren Überlegungen berücksichtigen müssen.Das eine ist der schnell gestiegene Überschuß in unserer Waren- und Dienstleistungsbilanz. Die Zahlen dafür sind schon genannt worden. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat selbst zugegeben, daß sich der Überschuß dieser Waren- und Dienstleistungsbilanz in den ersten vier Monaten dieses Jahres gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppelt hat. Wir wissen nun, daß von einem solchen Außenhandelsüberschuß eine inflationierende Wirkung ausgeht. Das mögen gewisse Leute nicht gern hören; aber die Wissenschaft und die Sachverständigen sind sich hierin völlig einig.Dazu kommt noch ein anderes. Es kommt dazu — und das ist an sich vom Standpunkt des Wachstums unserer Wirtschaft durchaus erfreulich —, daß wir die Stagnation der Jahre 1962 und 1963 überwunden haben und daß sich nunmehr auch die Konjunktur nicht nur auf die Exportaufträge, sondern auch auf die Inlandsnachfrage, auf die steigende Investitionsneigung der Unternehmen in der Bundesrepublik stützen kann. Wir wissen aber, daß wir in bezug auf die Elastizität des Produktionsapparats anders dastehen als vor fünf oder gar vor zehn Jahren. Die Enge des Arbeitsmarktes führt zwangsläufig dazu, daß, wenn im Aufstieg die Nachfrage an die Grenzen
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6566 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964
Kurlbaumder Kapazitäten stößt, natürlich die Preise sehr viel schneller in Bewegung kommen können, als wir es früher erlebt haben, als wir noch aus einem großen Arbeitskräftereservoir schöpfen konnten. Auch das sind allgemein anerkannte Zusammenhänge.Wenn sich nun zu dieser Gefahr des Anstoßens an die Kapazitätsgrenzen durch die steigende Nachfrage die Wirkung eines Außenhandelsüberschusses hinzuaddiert, von dem manche glauben, daß er in diesem Jahre 10 Milliarden DM erreichen könnte — einen Wert, den er niemals vorher, auch nicht in dem entsprechenden Jahr vor der Aufwertung, im Jahre 1960, erreicht hat —, dann können Entwicklungen bezüglich der Preise eintreten, auf die wir vorbereitet sein müssen. Niemand von uns will hier Kassandra-Rufe ausstoßen. Aber sie werden mir doch eines zugeben: Ebensowenig wie man hundertprozentig beweisen kann, daß der Herbstaufschwung uns in diese preispolitisch schwierige Situation hineinbringt, ebensowenig können Sie beweisen, meine Damen und Herren von der CDU/ CSU, daß wir nicht in diese Situation hineinkommen. Daraus ergibt sich zwangsläufig die Forderung von unserer Seite, daß die Bundesregierung und das Parlament Maßnahmen treffen, um auf einen solchen Fall vorbereitet zu sein. Das lag uns deshalb besonders am Herzen, weil das Parlament nunmehr in die Ferien geht und praktisch keine Aussicht besteht, daß sich das Parlament mit diesen Problemen vor Oktober erneut befaßt. So ist die Situation, und so muß man es betrachten. Es handelt sich also nicht darum, Maßnahmen für einen Zustand zu treffen, der mit absoluter Sicherheit erwartet werden kann, sondern es handelt sich darum, vorbereitet zu sein für. Fälle, die ein schnelles Eingreifen notwendig machen.In diesem Zusammenhang ist auch schon erwähnt worden, daß in dem Nachtragsbericht von wirtschaftspolitischen Entscheidungen der Bundesregierung die Rede ist. Es wäre wirklich interessant, vom Herrn Bundeswirtschaftsminister zu hören, welches denn die wirtschaftspolitischen Entscheidungen sind, von denen 'dort gesprochen wird und deren Klärung erst abgewartet werden muß, bevor man uns eine bessere Vorschau liefern kann. Ist das das konjunkturpolitische Programm, von dem der Herr Bundeskanzler am 15. Februar gesprochen hat und das er dem Parlament nicht verzettelt, sondern als geschlossenes Ganzes vorlegen wollte, oder was ist es eigentlich? Wir haben den fatalen Eindruck, daß sich hier derselbe Vorgang abgespielt hat wie im Jahre 1960 wenige Monate vor der Aufwertung. Damals war es bekanntlich so, daß der derzeitige Bundeskanzler und damalige Bundeswirtschaftsminister offensichtlich die Absicht hatte, mit der Fraktion der CDU/CSU ein konjunkturpolitisches Programm durchzuführen. Das ist, wie wir alle wissen, durch das Eingreifen des damaligen Bundeskanzleres Dr. Adenauer und des Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie verhindert worden. Wir haben dann einige Monate später die Aufwertung erlebt, die ohne Mitwirkung der Parlamentsfraktion durchgeführt werden konnte. Haben wir nun heute so etwas Ähnliches mit andersverteilten Rollen? Ich habe auch den Eindruck, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister lieber noch etwas mehr bezüglich der Zollsenkung und etwas weniger bezüglich der Ausnahmen getan hätte. Aber offensichtlich sind die Regierungsfraktionen diesmal von vornherein nicht bereit, für ein wirklich wirksames kanjunkturpolitisches Programm einzutreten, das die notwendige Vorsorge auch für ungünstige Entwicklungen vorsieht. Niemand von allen Sachverständigen glaubt, daß das, was In dem Nachtrag zum Wirtschaftsbericht an sogenannten Schlußfolgerungen, d. h. an Maßnahmen, steht, ausreichend sein könnte, wenn, wie von vielen Sachverständigen befürchtet wird, im Zuge des Herbstaufschwungs die Preise wieder in Bewegung kommen. Darum ist es notwendig, daß wir uns im einzelnen mit diesen Maßnahmen beschäftigen.Zunächst möchte ich zu der Zollsenkung ein paar Zahlen nennen, um die Diskussion auf eine sachliche Grundlage zu stellen. Im zweiten Halbjahr dieses Jahres wird, wenn am 1. Juli, wie zu erwarten, die Zollsenkung in Kraft tritt, davon ein Einfuhrvolumen von 2,7 Milliarden DM erfaßt. Das ist ungefähr ein Zehntel der Einfuhr in der gleichen Zeit. Die Zollersparnis soll 75 Millionen DM betragen. Umgerechnet ist das weniger als 3% auf den Warenwert dieses Zehntels Einfuhr. Wenn Sie sich diese Relation einmal klarmachen — ein Zehntel der Einfuhr wird um weniger als 3 % verbilligt —, wird Ihnen völlig klar, daß man mit dieser Maßnahme den Überschuß des Waren- und Dienstleistungsverkehrs, der in diesem Halbjahr etwa 5 Milliarden DM erreichen kann, keineswegs zu Leibe rücken kann.Das nächste Argument, das wir hier in der Liste der Schlußfolgerungen vorfinden, ist die Begrenzung des Bundeshaushalts auf eine bestimmte Ziffer. Ich glaube, es ist notwendig, dazu etwas Grundsätzliches zu sagen. Natürlich begrüßt es auch die SPD, wenn die öffentlichen Haushalte nicht ins Ungemessene wachsen. Wir begrüßen es auch, wenn an Ausgaben gespart werden kann; denn es handelt sich hier um die Verausgabung von Steuergeldern. Wenn man hier aber versucht, den Eindruck zu erwecken, mit einer Fixierung eines öffentlichen Haushalts auf eine bestimmte Ziffer würde konjunkturpolitisch irgend etwas Wesentliches erreicht, ist das eine Irreführung der öffentlichen Meinung.Wir haben uns sehr eingehend beschäftigt — und ich hoffe, auch ,Sie — mit den Gutachten der wissenschaftlichen Beiräte. Aus ihnen und auch aus der Meinung der Wissenschaft ergibt sich einwandfrei, daß von den öffentlichen Haushalten erst dann eine bremsende Wirkung auf einen Preisanstieg ausgeübt werden kann, wenn Überschüsse gebildet und diese stillgelegt werden. Es ist mir aber nicht bekannt, daß das hier geschehen soll. Ich zitiere in diesem Zusammenhang das Deutsche Industrie-Institut, das bestimmt nicht sozialdemokratisch beeinflußt ist. Auch diese Herren — und dazu äußern sie sich relativ sachlich — sind der Meinung, daß durch die neue Hauhaltspolitik praktisch nicht mehr erreicht wird als eine Konjunkturneutralität, keineswegs aber eine wirksame Maßnahme gegen einen
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964 6567
Kurlbaumdrohenden weiteren Preisanstieg. Das muß in diesem Zusammenhang festgehalten werden.Und nun zu den weiteren Maßnahmen. Es wird weiter genannt die Kapitalertragsteuer auf festverzinsliche Wertpapiere für sogenannte Gebietsfremde. Ich glaube, die Bundesregierung weiß selbst, wie stark diese Maßnahme erstens bezüglich ihrer technischen Durchführung kritisiert worden ist und daß sie auch bezüglich ihrer konjunkturpolitischen Wirksamkeit außerordentlich umstritten ist. Das hat mit Recht dazu geführt, daß die Beratungen über diesen Gesetzentwurf auf Anfang Oktober verschoben worden sind. Die Ausschüsse sahen sich nicht in der Lage, dieses schwierige Problem und die vielen Einwendungen, die dagegen erhoben werden, in der kurzen Zeit vor Beginn der Sommerferien durchzuberaten.In diesem Zusamemnhang möchte ich auch darauf aufmerksam machen, daß dieses Gesetz — und darauf scheint man ja auch stolz zu sein — schon durch die Ankündigung eine gewisse Wirkung erzielt hat. Aber, meine Damen und Herren, welches war denn die besondere Wirkung? Die Wirkung, die so deutlich in der Öffentlichkeit in Erscheinung getreten ist, ist eine bemerkenswerte Erhöhung des Kapitalmarktzinses in der Bundesrepublik. Von einem solchen Sachkenner wie dem früheren Leiter des IfoInstituts, Herrn Dr. Hahn, ist in einem sehr interessanten Aufsatz in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" mit Recht darauf hingewiesen worden, daß es sehr fraglich ist, ob der deutschen Wirtschaft mit einer weiteren Erhöhung des langfristigen Kapitalmarktzinses wirklich gedient ist; denn es ist bekannt, daß ein hoher, langfristiger Zinssatz den Rationalisierungsprozeß verlangsamt, und es ist weiter bekannt, daß er sich natürlich sehr nachteilig auf die Mieten, d. h. auf einen wesentlichen Bestandteil der Lebenshaltungskosten, auswirken muß. Das wollte ich zu diesem Problem, zu diesr sogenannten Schlußfolgerung aus der konjunkturpolitischen Lage sagen.Nun noch ein Wort zur Lohnpolitik. Auch diese ist ja in den Schlußfolgerungen des Nachtrages zum Wirtschaftsbericht angesprochen. Da werden Hinweise gegeben; wir kennen das; das ist offensichtlich eine andere Form der Appelle. Und in diesem Zusammenhang wird davon gesprochen, daß die Tarifparteien sich bezüglich ihrer Lohnforderungen und Lohnerhöhungen an den Produktivitätszuwachs in dem betreffenden Zeitabschnitt halten sollten. Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob Sie sich darüber im klaren sind, was das für eine Zumutung bedeutet. Der Verweis ausschließlich auf den Produktivitätszuwachs bedeutet doch, daß der Arbeitnehmer sich damit abfinden soll, daß Geldentwertungserscheinungen, für die er in keiner Weise verantwortlich ist, von ihm mitgetragen werden müssen.Man wird in diesem Zusammenhang ganz deutlich sagen müssen, daß eine solche Forderung auf Beschränkung der Lohn- und Gehaltssteigerungen entsprechend dem Produktivitätszuwachs nur dann zumutbar ist, wenn die politisch verantwortlichen Instanzen für zwei Dinge sorgen; nämlich erstens da-für, daß alle sonstigen Quellen, die zu einer schleichenden Inflation führen — ich verweise hier wiederum auf den großen Außenhandelsüberschuß — wirklich gestopft werden. Zweitens kann eine solche These nur akzeptiert werden, wenn die politisch verantwortlichen Instanzen es unterlassen, auf anderen Gebieten Preissteigerungen durchzuführen, für die auch wiederum die Tarifpartner in keiner Weise verantwortlich gemacht werden können. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf das Problem der Mieten und — auch nur als Beispiel — auf die Bundespost. Gott sei Dank scheint sich ja bezüglich der Gebühren bei Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, die Einsicht durchgesetzt zu haben, daß man eine solche stoßartige Erhöhung der Gebühren nicht in diesem konjunkturpolitischen Zeitpunkt durchführen kann, insbesondere deshalb nicht, weil sie im wesentlichen deshalb nötig ist, weil das Problem der Bundespost jahrelang in einer unverantwortlichen Weise von der Mehrheit dieses Hauses und von der Bundesregierung vernachlässigt worden ist. Das also zum Problem der Lohnpolitik.Nun zur Frage der Verhandlungen mit der EWG. Das ist natürlich eine Angelegenheit, die wir durchaus begrüßen. Es ist sicherlich eine gute Sache, wenn die Bundesregierung versucht, Grundsätze für die Wirtschaftspolitik innerhalb der EWG durchzusetzen und hier Fortschritte gegenüber dem unerfreulichen Zustand, in dem sich die gemeinsame Wirtschafts- und Konjunkturpolitik in der EWG befindet, zu erzielen. Aber ich glaube, auch darüber besteht Einigkeit, daß niemand hier im Hause sagen kann, wann diese Empfehlungen wirklich zum Tragen kommen, wann sie sich in einem solchen Ausmaß ausgewirkt haben werden, daß man sagen könnte: es ist vom Standpunkt unserer Ansprüche an die Stabilität des Preisniveaus befriedigend. Das ist doch die entscheidende Frage.
Ich glaube, wir sind uns alle darüber einig, daß bis zu ,dem neuralgischen Zeitpunkt im Herbst, für den die Sachverständigen unter Umständen wieder eine schnellere Preissteigerung erwarten, mit wesentlichen Wirkungen durch diese Empfehlungen in der EWG nicht gerechnet werden kann.Angesichts dieser Lage, meine Damen und Herren, haben wir uns die Frage vorgelegt: Gibt es einen Weg, gibt es Mittel, gibt 'es konjunkturpolitische Instrumente, die Aussicht haben, eine stärkere Wirkung zu haben als das, wars hier in diesem Nachtragsbericht als sogenannte Schlußfolgerungen aufgezählt ist? Es ist ganz klar, daß diese Maßnahme eine andere quantitative Wirkung haben muß als das, wovon bisher von der Regierung und von ,den Sprechern der Regierungskoalition gesprochen worden ist. Da sind wir zwangsläufig wieder auf die Umsatzsteuer beim grenzüberschreitenden Verkehr gekommen. Die Vorteile dieser Maßnahme — wir haben sie ja schon im Herbst 1960 empfohlen, übrigens durchaus im Einklang wie es mir schien, mit der damaligen Meinung, beim Bundeswirtschaftsministerium und auch bei Ihrer Fraktion —, die Vorteile
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6568 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964
Kurlbaumeiner solchen Maßnahme über die Umsatzsteuer im grenzüberschreitenden Verkehr liegen vor allen Dingen in folgendem: Erstens handelt es sich hier um eine Maßnahme, die sich auf ein großes Volumen bezieht, nämlich auf nahezu den gesamten deutschen Außenhandel. Das heißt auf etwa 100 Milliarden DM und nicht auf die 2,7 Milliarden DM, auf die sich Ihre Zoll-Senkung bezieht.Das zweite ist, daß diese umsatzsteuerliche Manipulation differenziert werden kann nach Wirtschaftsbereichen und nach Zeit und Ausmaß. Wenn hier davon gesprochen wird, daß es im Augenblick noch nicht richtig ist, beim Export einzugreifen, und daß es richtiger wäre, nur bei der Einfuhr einzugreifen, dann, meine Damen und Herren, ist zu sagen: das liegt ja im Rahmen dieser Ermächtigung. Die Bundesregierung kann sich darauf beschränken, auf der einen Seite etwas zu tun und auf der anderen Seite nichts zu tun. Das ist alles in dieser Ermächtigung enthalten.Und nun zu dem, was der Herr Bundeswirtschaftsminister eben dazu gesagt hat. Er hat davon gesprochen, durch eine solche Maßnahme würde die Harmonisierung der Steuern in der EWG gestört. Meine Damen und Herren, dieses Argument verstehe ich überhaupt nicht. Erstens ist es so, daß eine solche Senkung der Umsatzausgleichsteuer und der Exportrückvergütung für die inländische Umsatzsteuerbelastung ja nur zeitweise gedacht ist zum Ausgleich anderer Disharmonien, wie sie im Verhältnis zu anderen Ländern auf Grund einer Disproportion des Wechselkurses oder des allgemeinen Preisniveaus bestehen. Hier soll also durch eine Abweichung von der normalen Regelung eben eine zeitweilige Disharmonie in der Wirtschaftsgemeinschaft beseitigt werden.
— Zum Schutz des deutschen Sparers allerdings. Und hier muß ich eines sagen. Wenn hier von Steuersystematik in diesem Zusammenhang die Rede ist, dann, glaube ich, ist es richtig, die Dinge in die richtige Rangordnung zu bringen. Ich glaube, wenn es sich um die Frage handelt: Wie sorgen wir dafür, daß wir hier eine lupenreine Mehrwertumsatzsteuer haben?, oder um die Frage: Wie sorgen wir dafür, daß die schleichende Inflation nicht wieder in Gang kommt und die Höhe erreicht, die sie in den vergangenen Jahren hatte?, dann ist die Rangordnung, die wir diesen beiden Problemen geben müssen, wohl jedem von Ihnen klar. Es ist eindeutig, daß wir der Stabilisierung des Preisniveaus die Rangordnungsziffer 1 geben müssen und der Steuersystematik die Rangordnungsziffer 2.
Ich glaube, da kann es überhaupt keinen Zweifel geben.
Heute wurde auch noch der Einwand gemacht, eine solche pauschale Maßnahme bezüglich des grenzüberschreitenden Verkehrs könne nicht nach Ländern differenziert werden.Das ist richtig. Aber der Herr Bundeswirtschaftsminister hat schon mit Recht darauf hingewiesen, daß auch dieses Argument durch die Entwicklung überholt ist. Ich hätte dieselben Zahlen verlesen können, wie sie Ihnen der Herr Bundeswirtschaftsminister zur Kenntnis gebracht hat. Es ist heute so, daß die Steigerungsrate des Exports in den ersten Monaten des Jahres 1964 nach allen Gebieten praktisch gleich groß geworden ist im Gegensatz zu dem Zustand von 1963, so daß das Argument, das vielleicht vor einigen Monaten noch stichhaltig gewesen ist, inzwischen seine Bedeutung verloren hat.Es handelt sich letzten Endes nur um die Frage: Soll etwas geschehen oder nicht? Soll die Bundesregierung ein Instrument besitzen, um gegebenenfalls gegenüber gewissen, mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Entwicklungen im Herbst gewappnet zu sein? Das ist die Frage, vor der wir heute stehen.Die Sozialdemokratische Partei hat sich eindeutig dafür entschieden, den Standpunkt zu vertreten, daß es notwendig ist, für alle Fälle gewappnet zu sein, und daß es notwendig ist, der Bundesregierung ein Instrument zu geben, das auch in der quantitativen Wirkung als ausreichend betrachtet werden kann, eine der gefährlichsten Gefahrenquellen für unser Preisniveau, nämlich den schnell wachsenden Überschuß unserer Waren und Dienstleistungen, auf das Ausmaß zu reduzieren, das mit unseren sonstigen internationalen finanziellen Verpflichtungen vereinbar ist.Sollten Sie es erleben, daß ein solches Instrument der Bundesregierung nicht rechtzeitig zur Verfügung steht, dann wissen Sie alle, welches die Alternative ist, die sich dann nach der übereinstimmenden Meinung aller Sachverständigen einstellen wird. Sollte die Bundesregierung nicht in den Stand gesetzt werden, auf eine solche Entwicklung schnell zu reagieren, so wird sich das inländische Preisniveau in der Bundesrepublik an das der Nachbarländer angleichen, — genau das, was wir alle zusammen nicht wollen. Daher frage ich den Herrn Bundeswirtschaftsminister, ob er es nicht doch begrüßen würde, wenn er eine solche Ermächtigung besäße, bei der er selbst entscheiden kann, je nach den Gegebenheiten der Stunde, ob und in welchem Umfange er davon Gebrauch machen will.Es ist ein seltsamer Zufall, daß man mir heute ein Exemplar vom „Deutschland-Union-Dienst" aus dem Oktober 1960 überreicht hat. Darin steht zu lesen, daß die CDU/CSU-Fraktion erstens begrüßt, daß die Bundesregierung ein konjunkturpolitisches Gesamtprogramm ausarbeitet, das bekanntlich dann niemals in Kraft gesetzt worden ist.
Zweitens steht darin zu lesen, daß die Bundestagsfraktion besonders den Gedanken des seinerzeitigen Bundeswirtschaftsministers begrüßt, der Bundesregierung eine Ermächtigung auf dem Gebiet der Umsatzsteuer für den grenzüberschreitenden Ver-
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Kurlbaumkehr zu geben. Zu lesen im Oktober 1960 im „Deutschland-Union-Dienst" !Nun noch zu den Vorschlägen, wie sie kürzlich der Herr Bundesfinanzminister Dahlgrün in der Öffentlichkeit geäußert hat. Er scheint nunmehr überzeugt zu sein — und darüber freuen wir uns auch —, daß die Schlußfolgerungen, die im Nachtrag des Wirtschaftsberichtes aufgeführt sind, nicht mehr für alle Eventualitäten ausreichen. Wir wissen, daß die Frage der Ermächtigung der Bundesregierung zur Manipulation der Abschreibungssätze hier im Haus schon einmal eine Rolle gespielt hat.Ich erinnere mich noch sehr genau an eine Diskussion hier im Jahre 1961, als ich den Auftrag hatte, meine Fraktion in dieser Frage zu vertreten, und als wir sehr kritisiert hatten, daß man damals entgegen den konjunkturpolitischen Erfordernissen dieser Zeit lediglich eine Erhöhung der Abschreibungssätze und nicht auch gleichzeitig eine Senkung der Abschreibungssätze vorsah, wie sie offensichtlich jetzt der Herr Bundesfinanzminister im Auge hat. Denn etwas anderes als das kommt in der augenblicklichen Konjunkturlage wohl nicht in Frage.Wir freuen uns also ehrlich, daß das, was wir im Zusammenhang mit der Konjunkturpolitik im Zusammenhang mit einer antizyklischen Finanzpolitik in diesem Hause vor Jahren vertreten haben, nunmehr Allgemeingut zu werden scheint. Wir haben uns bei unseren Vorstellungen, die wir in diesem Hause immer wieder vorgetragen haben, im wesentlichen auf die Gutachten der wissenschaftlichen Beiräte beim Bundesfinanzministerium und beim Bundeswirtschaftsministerium gestützt. In den Gutachten dieser beiden Beiräte vom Jahre 1956 ist praktisch all das zu lesen, was in den letzten Jahren und heute wieder in der Konjunkturpolitik zur Debatte steht. Etwas Neues gibt es hier kaum. Das weitgehend durch die damaligen Ausarbeitungen der wissenschaftlichen Beiräte vorweggenommen worden.Aber eines scheint mir wesentlich zu sein: daß endlich, nachdem diese Gutachten nun nahezu 10 Jahre alt sind, in der praktischen Gesetzgebungsarbeit Konsequenzen aus dem gezogen werden, was die wissenschaftlichen Beiräte dazu vor 10 Jahren unwidersprochen gesagt haben. Daher — das mögen Sie von der CDU/CSU mir bitte nicht übelnehmen — erscheint es mir besonders dumm, wenn im Juni im „Deutschland-Union-Dienst" zu lesen ist, es mangele der Opposition an einer neuen konjunkturpolitischen Konzeption. Meine Damen und Herren, alles das, was von Ihnen in den letzten Jahren vorgeschlagen worden ist, war auch schon in den Gutachten der wissenschaftlichen Beiräte zu leisen. Es handelt sich also gar nicht mehr darum, etwas Neues zu finden. Aber um eines handelt es sich: daß endlich etwas Wirksames geschieht. Das ist unsere Alternative.
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Burgbacher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst darf ich namensmeiner Freunde sagen, daß wir sowohl den Wirtschaftsbericht als auch vor allem den Nachtrag zu dem Wirtschaftsbericht als eine vorzügliche Information und — was den Nachtrag betrifft — als eine sehr schnelle Reaktion auf von außen her an uns herangetragene Erkenntnisse ansehen. Außerdem darf ich — vor allem an die Adresse des Herrn Kollegen Möller — sagen, daß die relativ gute Stabilität seit der Währungsreform bis heute durch die Politik der Bundesregierung erreicht worden ist, die vollkommen identisch ist mit der Politik auch der derzeitigen Bundesregierung und die wirtschaftlich von dem derzeitigen Bundeskanzler verantwortlich getragen worden ist. Es ist deshalb auch am Platze, mit dieser Feststellung, daß die Stabilität bei uns relativ gut ist, den Dank an den Herrn Bundeskanzler zu verbinden.Herr Kollege Möller, prophezeien ist immer Glücksache, für uns und für Sie. Die Vergangenheit läßt sich aber in Tatsachen erkennen. Die Bundesrepublik gehört zu den sechs stabilsten Ländern in der freien Welt. Darunter ist kein einziges sozialistisch regiertes Land,
die sozialistisch regierten Länder befinden sich bei der anderen Gruppe.
— Frankreich gehört nicht zur Spitzengruppe Herr Kollege, bei den sechs stabilsten Ländern ist Frankreich nicht 'dabei. — Ich wiederhole: Die 'sechs stabilsten Länder der freien Welt 'sind Länder, die sich entweder ausschließlich oder überwiegend zur Marktwirtschaft bekennen und in denen keine sozialistische Regierung besteht.
Ich wiederhole, daß sich die Länder mit sozialistischer Regierung in der Gruppe unter „ferner liefen", d. h. mit weniger guter Stabilität, befinden.
Ich finde, daß diese belegbaren Tatsachen ein weit besseres Alibi für die Richtigkeit unserer Politik sind als kritische Prophezeiungen von etwas, was in der Zukunft eintreten könnte. Wir haben diese Prophezeiungen von der Opposition — was übrigens sehr verständlich ist — in den vergangenen 15 Jahren bei vielen Fällen gehört, aber in keinem Fall hat sich ein Prophezeiung erfüllt.
Die Konjunkturpolitik ist natürlich ein besonders schwieriger Fall. Auch ich möchte mich bemühen — ich glaube, der Herr Bundeskanzler hat es gesagt —, die Dinge in ruhiger Sachlichkeit zu behandeln, so wie es eben Herr Kollege Kurlbaum auch getan hat, während, Herr Kollege Möller — ich bitte höflichst um Entschuldigung —, das bei Ihren Ausführungen heute morgen leider nicht durchweg der Fall gewesen ist. Die Konjunkturpolitik ist deshalb so schwierig, weil man die unmittelbaren Folgen einer Maßnahme in der Regel bei normaler Intelligenz erkennt, aber die mittelbaren nicht und vor allem6570 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133, Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964Dr. Burgbacher1 nicht die langfristigen. Ich glaube, man kann keine konjunkturpolitische Maßnahme um dessentwillen für richtig halten, weil sie im Augenblick vielleicht sogar hilft, aber Folgen auslöst, die unter Umständen irreparabel sind. Ich denke vor allem an alle Folgen, die die Beziehungen der Bundesrepublik und der Wirtschaft in der Bundesrepublik mit dem Ausland, sowohl mit der EWG wie mit dritten Ländern, betreffen. Man kann in diesen Beziehungen auch nicht aus konjunkturpolitischen Gründen herumfuhrwerken, als ob man allein auf der Welt wäre, ohne langfristig unwiderruflichen Schaden anzurichten.
— Ich komme noch 'darauf.
— Ja, ja.Nun ist heute auch über die Lohnpolitik gesprochen worden. Ich möchte zunächst einmal feststellen, daß die Realkaufkraft pro Arbeitsminute ständig und ununterbrochen gestiegen ist. Ich möchte weiter feststellen, daß die Vorteile aus der Produktivitätssteigerung und aus der Steigerung des Bruttosozialprodukts sehr mit Recht — wie wir alle es wollen— allen Arbeitenden zugute gekommen sind. In einer Zeit aber, in der diese Steigerung des Bruttosozialprodukts mehr durch technische Kräfte als durch menschliche, unmittelbar physische Kraft bedingt ist, bedeutet das natürlich, daß die Massen-einkommen sehr steigen, daß aber alle Produkte, die nicht mit Hilfe des technischen Fortschritts gefertigt werden, also die sogenannten lohnschweren, ihre Preise erhöhen müssen, sofern man diese Produkte haben will oder haben muß. Diese Veränderung des Preisfächers — auf die ich schon einmal hingewiesen habe — aber mit inflationären Erscheinungen gleichzusetzen, ist doch wohl wollkommen abwegig. Mit anderen Worten: nicht jede Veränderung des Preisfächers ist von der Währungsseite her bestimmt, sondern sie kann ebenso gut dadurch bestimmt sein, daß der Artikel im Verhältnis lohnschwer ist, d. h. nicht oder nicht im gleichen Maße wie andere am technischen Fortschritt profitieren kann und deshalb, wie man vulgär sagt, teurer wird. Entscheidend bleibt dann — deshalb habe ich das zuerst gesagt —, daß die Realkaufkraft der Arbeitsminute dauernd gestiegen ist.Herr Kollege Möller hat an dem Maßstab des durchschnittlichen Zuwachses des Bruttosozialproduktes Kritik geübt, und zwar mit Recht. Ein Durchschnittssatz ist eben nicht für alle gültig. Das können wir z. B. bei der Steigerung des Bruttosozialproduktes in der Automobilindustrie und in der Landwirtschaft feststellen, die in beiden Fällen völlig verschieden ist; die eine liegt über dem Durchschnitt, die andere unter dem Durchschnitt. Man muß aber in Betracht ziehen, daß in einer Zeit eines überhitzten Arbeitsmarktes die Gefahr besteht, daß die Branchen mit dem höchsten Bruttosozialproduktzuwachs auch in der Lohnhöhe Schrittmacher für alle anderen werden, unabhängig von deren Bruttosozialproduktzuwachs. Ich will das nur feststellen unddamit keine Kritik verbinden. Ich will sagen, daß in einer Zeit des überhitzten Arbeitsmarktes der Durchschnittssatz eben eine Art konstitutive Bedeutung hat, weil es nicht möglich ist, die Arbeitseinkommen nach Branchen, womöglich nach der Betriebsgröße, verschieden zu staffeln, selbst wenn man das wollte. Da liegt eben, bedingt durch unseren Arbeitsmarkt, ein sehr schwieriges Problem.Herr Kollege Möller hat nach meiner Erinnerung heute nur von einem konkreten Vorschlag, nur von dem Ermächtigungsgesetz gesprochen. Ich nehme an, es war das, war Herr Kollege Kurlbaum eben im einzelnen begründet hat und worauf unser Kollege Schmidt noch eingehen wird. Deshalb spreche ich darüber nicht.Die Bundesregierung, deren Vorschläge wir alle unterstützen, sowie sie uns vorliegen, konzentriert ihre Bemühungen auf die Förderung des Imports. Das ist richtig. Es ist nur die Frage, ob dies allein richtig ist, ob nicht auch eine Steigerung der innerdeutschen Produktion förderungswürdig ist. Ich darf darauf hinweisen, daß in diesem Jahr im EWG-Markt der Import wahrscheinlich um 4 Millarden Dollar höher ist als der Export. Wir sind inzwischen in der Halbzeit des Gemeinsamen Marktes, zwar noch nicht im Staate EWG, wir sind aber auch nicht mehr allein in der Bundesrepublik. Ich weiß nicht, ob man deshalb nicht auch Bemühungen zur Steigerung des inneren Angebotes, durch Steigerung der Produktion unternehmen müßte. Natürlich kann es sich dabei wegen des Arbeitsmarktes vorwiegend nur um Investitionen handeln, die so rationalisierend wirken, daß mit veringerter oder gleicher Belegschaft mehr produziert werden kann als bisher. Ich möchte fragen, ob es nicht möglich ist, solche Investitionen vorzunehmen, die sozusagen helfen, den Arbeitsmarkt zu entspannnen, ihn zumindest nicht nicht stärker zu spannen, als er schon gespannt ist, aber das innerdeutsche Angebot zu erhöhen, und zwar nicht statt Importförderung, sondern neben der Importförderung.Ich möchte noch auf einen anderen Gesichtspunkt aufmerksam machen, nämlich auf den Zusammenhang zwischen Eigentumspolitik und Konjunkturpolitik. In dem Bericht der Basler Internationalen Zahlungsbank für das Jahr 1963/64 ist folgendes zu lesen:Die ... Schmälerung der Gewinnspannen hat die Selbstfinanzierungskraft der Industrie verringert, während zugleich die Aussicht auf relativ niedrige Spannen und weiter steigende Preise die Kapitalgeber noch mehr zögern ließ, Geld längerfristig anzulegen.Und jetzt kommt die Stelle, auf die es mir ankommt:Zunächst kommt es aber darauf an, ein besseres Gleichgewicht zwischen Ersparnis und Investition herzustellen, und dies ist das eigentliche Anliegen der gegenwärtigen Politik fiskalischer und monetärer Beschränkung.Wir sehen also, die Eigentumspolitik, die wir gelegentlich von der gesellschaftspolitischen .Seite her ansprechen, ein sehr gewichtiges volkswirtschaft-
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Dr. Burgbacherliches und stabilisierendes Element ist. Wir sollten deshalb auch im Zusammenhang mit der Konjunkturpolitik den eigentumsfördernden Maßnahmen unsere große Aufmerksamkeit widmen.
Eigentum bilden heißt Kapital bilden, und die eigentlichen Gefahren, von denen wir heute hier sprechen, liegen nicht beim Kapital, sondern in erster Linie beim Geld.Nun sind wir Mitglied des Gemeinsamen Marktes. Ich bitte um 'Entschuldigung, aber ich habe manchmal den Gedanken, daß das Hohe Haus noch nicht in allen Teilen erkannt hat, wie weit wir schon gemeinsamer Markt sind.
Wir haben gerade statistisch, zeitlich die Halbzeit. Wir haben auf manchen Gebieten mehr als die Halbzeit erreicht, und Tag für Tag tropft sozusagen ein Stückchen nationaler Souveränität in die unter den sechs nationalen Töpfen stehende große europäische Wanne, ohne daß das besonders registriert wird.
Der Bundestag hat z. B. seit Oktober 1957 355 Verordnungen verabschiedet, darunter 281 auf Grund der Pariser und der Römischen Verträge. Was bedeutet das? Hier möchte ich zunächst Herrn Bundeswirtschaftsminister Schmücker unser aller Dank sagen, daß er mit einer wohlbegründeten Initiative im Minsterrat in Brüssel den Grundstein für eine europäische Konjunkturpolitik gelegt hat.Es liegen folgende Beschlüsse vor: Die Beschlüsse des Rates über die monetäre und wirtschaftliche Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten, die vorherige Konsultation bei Wechselkursänderungen, die Gründung eines Gremiums der Zentralbankgouverneure, der Beschluß einer mittelfristigen Wirtschaftspolitik, die Empfehlung zur Wiederherstellung des inneren und äußeren Gleichgewichts der Gemeinschaft, die Beschränkung der Gesamtnachfrage, insbesondere der Ausgaben der öffentlichen Hand, restriktive Kreditpolitik, eine Einkommenspolitik, die ein Gleichgewicht zwischen Produktivität und Einkommenserhöhung einhält, und schließlich eine liberale Einfuhrpolitik.Gewiß sind das Richtlinienbeschlüsse. Es geht jetzt darum, daß diese Richtlinienbeschlüsse möglichst bald durch die notwendigerweise einstimmigen Beschlüsse des Ministerrats Leben bekommen. Die Situation dafür ist gut; denn alle sechs Länder haben erkannt, welche Gefahren dann bestehen, wenn wir in vieler Beziehung ein gemeinsamer Markt sind, aber im System sechs verschiedene Haushaltspolitiken, sechs verschiedene Währungspolitiken und sechs verschiedene Kreditpolitiken haben. Man sollte die Stunde nutzen, um die europäische Konjunkturpolitik als EWG-Politik fest in den Griff zu bekommen.Auch Herr Professor Hallstein hat in seiner letzten Erklärung im Europäischen Parlament dies mit gebührender Klarheit herausgestellt. Wir müssen uns auch ganz klar darüber sein, daß wir durch dieEntwicklung des Gemeinsamen Marktes nicht mehr allein und souverän auf der Kommandobrücke des Schiffes „Konjunkturpolitik" stehen.Wir können viele Dinge noch machen, aber diese vielen Einzelheiten haben nur dann langfristig eine gute Wirkung, wenn die EWG-Konjunkturpolitik etwas auf die EWG hin stabilisiert wird und wenigstens gewisse Grundsätze für die sechs Länder verbindlich werden.Bei den Zollsenkungen, die wir beschließen und die wir alle für richtig halten, gibt es eine Ausnahmeliste. Diese halten wir auch für richtig. Ich glaube, daß man die lineare Zollsenkung bei schon niedrigen Zollsätzen doch branchenweise auf ihre Wirkung untersuchen muß. Ich möchte mir erlauben, einen Hinweis darauf zu geben, daß inzwischen in Frankreich und Italien die Preise stärker gestiegen sind als bei uns, und daß auch dann, wenn die redlichen Bemühungen, die dort gemacht werden, zu einer Stabilisierung führen, dies nicht bedeutet, daß die Preise wieder auf den alten Stand zurückfallen.Es ist deshalbsehr zu begrüßen, daß die Steigerung des Imports und des Exports möglichst in dritten Ländern stattfindet und nicht in denen, die jetzt ein relativ hohes Preisniveau haben.Wirkungsvoller als die Binnenzollsenkung wäre die Außenzollsenkung. Diese ist, glaube ich, unbestritten eine Vorleistung auf die Kennedy-Runde. Ich hoffe, daß die Bundesregierung auch der Meinung ist, daß wir eine Außenzollsenkung, die dringend erwünscht ist vor der Kennedy-Runde, nur dann vornehmen können, 'wenn staatsrechtlich klargestellt ist, daß sie als Leistung in der Kennedy-Runde ihre Anerkennung findet, weil sie sonst eine gegenwertfreie Vorleistung von uns 'bedeuten würde.Die Steigerung der Haushalte entsprechend der Steigerung der Bruttosozialproduktrate stellt einen Fortschritt gegenüber der Gefahr dar, größere Steigerungen durchzuführen. Trotzdem möchte ich dazu sagen, daß diese Steigerung in Höhe der Steigerung des Bruttosozialprodukts gleichzeitig bedeutet, daß wir den Anteil der öffentlichen Hand — und die Länder und Gemeinden werden sich diesem Prinzip wahrscheinlich lückenlos anschließen —, der jetzt schon 30 % am Bruttosozialprodukt beträgt, sozusagen zementieren. Demgegenüber sind einige von uns der Meinung — und dazu gehöre tauch ich —, man müßte eigentlich auch einmal darüber sprechen, den Anteil der öffentlichen Hand am Bruttosozialprodukt zu reduzieren, was nicht heißt, daß die öffentliche Hand notwendige Investitionen ,auf dem Gebiet der Infrastruktur unterlassen soll; vielmehr soll sie die Infrastruktur anders, d. h. am Kapitalmarkt finanzieren. Aber das geht nur, wenn die vorangehende Eigentumspolitik die erstrebenswerte Gleichheit zwischen Investitionsbedarf 'und Ersparnisbildung hergestellt hat.Was Herr Kollege Kurlbaum gesagt hat, trifft zu, und es steht auch im Nachtrag zum Wirtschaftsbericht auf Seite 16: daß man eigentlich in Zeiten der Hochkonjunktur Kaufkraft abschöpfen und still-
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Dr. Burgbacherlegen müßte. Wir wissen alle, daß wir das nicht tun, und wir müssen doch wohl gerechterweise zugeben: die Verantwortung ,dafür — ich möchte mich ganz vorsichtig ausdrücken — liegt nicht in erster Linie bei der Bundesregierung, sondern in erster Linie bei diesem Hohen Hause, ,das die Ausgaben beschließt. Was diesen Punkt antizyklischer Haushaltspolitik betrifft, müssen wir uns an unsere eigene Nase fassen und uns fragen, ob wir bereit sind, diesem Gesichtspunkt aus unserer Zuständigkeit heraus Rechnung zu tragen. Wie schwierig das ist, weiß auch ich. Aber 'wir können immerhin für die kommenden Jahre daraus gewisse 'Erkenntnisse gewinnen.In ,dem Nachtrag zum Wirtschaftsbericht ist ferner zu lesen, daß 50 % aller Investitionen mittelbar und unmittelbar durch die öffentliche Hand bestimmt sind und daß der Hauptanteil davon in den Händen von 60 öffentlichen Körperschaften des Bundes, der Länder und der Gemeinden liegt. Wäre es nun nicht möglich, diese ,60 öffentlichen Körperschaften ab und zu zu einem Konjunkturrat zu versammeln und zu versuchen, über diese mächtige Kraft der Investition Einfluß auf Iden konjunkturellen Ablauf zu nehmen und dadurch ein wenig von dem wieder auszugleichen, was uns bisher nicht gelungen ist, nämlich die Abschöpfung und Stillegung der Kaufkraft in Zeiten der Hochkonjunktur.Wenn, wie ebenfalls angeregt worden ist, Investitionsprogramme mittelfristiger Art aufgestellt werden, könnte man sozusagen Jahr für Jahr die Quote festlegen, mit der diese Programme realisiert werden sollen, und hätte damit ein weiteres Instrument zur Steuerung der Konjunktur.Ich möchte in vorsichtiger Form dafür plädieren, daß der Bundesregierung ein konjunkturelles Ermächtigungsgesetz gegeben wird, wobei ich das nicht im Hinblick auf die Umsatzausgleichsteuer meine — über die ich eine ganz andere Meinung habe —, sondern überhaupt. Man müßte allerdings prüfen, ob die vorhandenen Mittel wie das Außenwirtschaftsgesetz und andere Bestimmungen nicht schon für die Regierung ausreichen. Trotzdem bin ich der Meinung: ein Ermächtigungsgesetz, besser vielleicht noch: ein Vollmachtgesetz, wäre günstig.Warum? Ich glaube nicht, daß die Debatte jeder möglichen konjunkturellen Maßnahme auf dem Markt immer zum Vorteil der deutschen Volkswirtschaft verlaufen ist und verlaufen wird. Wenn wir beispielsweise 10 mögliche Maßnahmen debattieren — und sie werden von ernsthafter Seite debattiert; ich nehme an, daß man Regierung, Parteien und Parlament als eine ernsthafte Seite ansieht —, dann treten die Wirkungen volkswirtschaftlich gesehen oft schon ein, bevor das Gesetz gemacht wird, ja, sie treten sogar ein, wenn es nicht gemacht wird. Die Ankündigung der Kapitalertragsteuer hat ihre positiven und ihre negativen Wirkungen gezeitigt, ohne daß wir das Gesetz verabschiedet haben. Wenn wir uns vor solchen Entwicklungen schützen wollen, die, soweit es sich um Maßnahmen handelt, die dann nicht Gesetz werden, vollkommen überflüssig sind, dann hilft in der Tat nur ein Vollmachtgesetz, wobei natürlich der Bundestag das Recht haben müßte, inkurzer Zeit festzustellen, was er beibehalten und was er wiederaufheben will.Ich fasse zusammen. Ich würde vorschlagen, erstens auch Maßnahmen zur Erhöhung arbeitssparender Produktion zu prüfen; zweitens die Förderung der Eigentumsbildung nun auch unter dem Aspekt der Konjunkturpolitik zu sehen; drittens insbesondere die von Herrn Minister Schmücker erfolgreich initiierte EWG-Konjunkturpolitik sehr zu forcieren und dabei keine Zeit zu verlieren, nicht weil ich meinte, demnächst ginge die Welt unter — dieser Meinung bin ich absolut nicht —, sondern weil ich meine, daß jetzt in allen Ländern der Gemeinschaft die politische Seele für so etwas aufgeschlossen ist, und wenn das wieder abklingt, dann klingt diese Bereitschaft zu einer EWG-Konjunkturpolitik auch wieder ab. Dann würde ich vorschlagen diesen Konjunkturrat der 60 großen Investoren der öffentlichen Hand, die Außenzollsenkungen schnell, aber unter der Bedingung verbriefter Anrechenbarkeit auf die Kennedy-Runde — sowie die Prüfung der Frage eines Vollmachtgesetzes.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Aschoff.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde mir erlauben, den Versuch zu machen, mich an den Vorschlag zu halten, der offenbar dem Ältestenrat vorschwebte, als er diese Art der Tagesordnung für richtig hielt. Danach sollten nämlich die Reden kurz sein.
Ich muß es als befremdlich empfinden, wenn dann entgegen einer solchen Absicht — wenn dies zutrifft — die Debatte auch noch dadurch verlängert wird, daß entgegen der Geschäftsordnung längere schriftliche Ausarbeitungen vorgetragen werden, die die Probleme durch die Länge ihrer Darstellung in keiner Weise sonderlich erhellen.
Meine Damen und Herren, bei dem Versuch eines Spazierganges durch den wirtschaftswunderlichen Gemüsegarten für Konjunkturmittel stellt sich doch zunächst folgendes heraus. Ich glaube, man kann eine solche Debatte nicht führen, wenn man sie zweimal mit fremden Dingen unterbricht und dadurch ganz aus dem Kontakt kommt. Man kann aber zweitens eine solche Debatte wohl auch nicht führen, wenn man nicht den Versuch macht, in ihr eine gewisse Systematik aufzuzeigen. Die Konjunkturpolitik ist derartig vielschichtig, daß man nicht zehn Minuten über EWG und die nächsten zehn Minuten über ein ganz anderes Problem des Haushalts reden kann. Wenn wir so etwas wiederholen, sollten wir uns, glaube ich, selber dazu zwingen, diese Unterhaltung vorher etwas zu gliedern, damit man weiß, zu welchem Ergebnis man kommt.Meine Damen und Herren, ich beschränke mich auf zwei grundsätzliche Bemerkungen und werde mir dann erlauben, für meine Fraktion die hier im
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Dr. AschoffRaume stehende Erklärung zu den Gesetzesvorlagen abzugeben. Auch hier, meine Damen und Herren, zeigt sich, daß es unmöglich ist, eine Grundsatzaussprache über konjunkturpolitische Fragen mit einer Stellungnahme zu zwei speziellen Vorlagen zu vermengen. Entweder wird die Debatte zu klein geführt, oder Sie kommen überhaupt nicht zur Beurteilung der Vorlagen, weil alles abschweift.Ich darf auf zwei Dinge eingehen. — Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat die Vorlage des Wirtschaftsberichts verteidigt. Ich glaube, wir sollten heute nicht mehr darüber nachdenken, ob der Wirtschaftsbericht, der im Dezember vorgelegt wurde, rechtzeitig gekommen ist, richtig war, oder sonst etwas. Er ist jedenfalls heute überholt und interessiert praktisch nicht mehr. Was interessiert, ist der Nachtrag.Aus dem Nachtrag ergeben sich zwei sehr interessante Aspekte. Erstens ist dieser notwendig gewordene Nachtrag der Beweis dafür, daß der Glaube an die Allmacht von Vorausschauen nur sehr bedingt richtig ist. Deshalb kann ich auch nicht verstehen, daß sich hier in der Debatte jemand auf Äußerungen von Sachverständigen vor zehn Jahren beruft. Das ist mit einem Berliner Ausdruck heute natürlich „kalter Kaffee". Denn vor zehn Jahren waren die Dinge eben anders als sie heute sind. Eine andere Lage erfordert andere Mittel; das stand schon in den üblichen Vorschriften für den Kanonier.Zu der Frage, die Sie, Herr Kurlbaum, angeschnitten haben, ist folgendes zu sagen. Sie haben mit dem lapidaren Satz geschlossen, Sie hielten die Auffassungen, die im Regierungslager über die konjunkturpolitischen Notwendigkeiten vorgetragen worden seien, teilweise für dumm. In aller Höflichkeit haben Sie das gesagt.
— Sie haben das Wort „dumm" gebraucht.
— Schön, also eine mittelbare Erklärung. Dazu darf ich Ihnen in aller Höflichkeit folgendes sagen. Ihr Vorschlag, was nun zu geschehen hat, ist dann schlechthin als dürftig zu bezeichnen. Denn das ist doch nicht möglich, daß man als Kontra lediglich feststellt: Es muß etwas geschehen. Damit kann ein furchtbares Unglück geschehen.Damit komme ich auf die Frage des Instrumentariums, die hier grundsätzlich ansteht. Wir müssen zwischen zwei Dingen unterscheiden. Herr Starke hat heute vormittag den Schwerpunkt seiner Erörterungen auf die monetäre Entwicklung gelegt und die Kapitalmarktprobleme angeschnitten. Er hat in diesem Zusammenhang, sehr mit meinem Einverständnis, indirekt an die Bundesregierung die Frage gerichtet, inwieweit sie Möglichkeiten und Notwendigkeiten sieht, in dieser Richtung unter Anwendung bestehender gesetzlicher Vorschriften tätig zu werden oder — und da liegt die Verbindungslinie zu Ihnen, Herr Kurlbaum — eine etwa not-wendig werdende Tätigkeit vorzubereiten. Denn Sie sagten, Sie hätten den Eindruck, daß, wenn man nicht rechtzeitig etwas vorbereitet, unter Umständen eine Situation kommt, in der nützliche Maßnahmen zu spät kommen. Um diese Frage geht es. Dieses eine . Problem ist von unserer Seite von Herrn Starke geschildert worden.Das zweite Problem sind die güterwirtschaftlichen und die sonst damit zusammenhängenden Fragen, nämlich diejenigen, die sich aus Kostensteigerungen am Binnenmarkt ergeben. Sie haben sich dagegen gewehrt, daß man sagt, auch die Lohnsteigerungen müßten sich in der Grenze des realen Zuwachses des Sozialprodukts halten; das wäre eine einseitige Benachteiligung einer bestimmten Gruppe. Nun, verehrter Herr Kurlbaum, ganz so ist das doch nicht. Wir haben Lohnsteigerungen in bestimmten Zweigen, die nicht aufgefangen werden können, vom Dienstleistungsgewerbe ganz zu schweigen. Wir haben infolge bestimmter Dynamisierungen in unserer Versorgungswelt die Zwangsläufigkeit, daß jede Lohn- und Gehaltssteigerung auch etwas in den öffentlichen Haushalt bringt. Infolgedessen ist Ihre Meinung, daß das Festhalten an einer Höchstgrenze für den Haushalt überhaupt keine konjunkturpolitische Wirkung hat, insofern nicht richtig, als bereits die Neutralisierung ein Plus ist gegenüber einem schlechten Verhalten. Da wir aus der bisherigen Erfahrung wissen, daß die öffentliche Hand außerordentlich schwer zu einem antizyklischen Verhalten zu bringen ist, muß man doch als ersten Schritt diese Begrenzung des Haushalts begrüßen.Wir sind allerdings der Meinung, daß die Regierung ein Zweites hätte sagen sollen. Sie hätte sagen sollen, daß sie gleichzeitig bereit ist, die aus dem steigenden . Sozialprodukt zu erwartenden Mehreinnahmen zu benutzen, um durch Abbau von Schulden und Schattenhaushalt Kaufkraft stillzulegen. Sonst ist dies ja nur eine halbe Sache.Weiter hätte ich gern eine Antwort auf die Frage gehabt, was die Bundesregierung zu tun gedenkt, um einer zweiten von mir für wesentlich gehaltenen Forderung zu entsprechen. Aus der Unterhaltung hier ist klar geworden, daß alle Sprecher einen Zusammenhang zwischen Finanz- und Wirtschaftspolitik sehen. Uns allen geht es darum, die klassischen Mittel der Finanzpolitik auf dem Gebiet der Konjunkturpolitik anzuwenden. Hier ergibt sich für mich die Frage: Inwieweit ist man bereit, sich bei der Finanzreform nicht darauf zu beschränken, den Schlüssel so oder so festzusetzen, sondern darüber hinaus Überlegungen anzustellen, ob im Rahmen der geltenden Verfassung die Möglichkeit besteht, Leitsätze für die Verwendung zur Verfügung gestellter Gelder aufzustellen, damit wir die öffentliche Hand auf diesem Wege konjunkturpolitisch stärker in den Griff bekommen? Das ist eine der Grundsatzfragen, auf die ich gerne eine Antwort hätte.In diesem Zusammenhang eine weitere Frage! Ich glaube nicht, daß es eine Sünde wider den Heiligen Geist ist, wenn man z. B. die Frage stellt, ob es unter Umständen eleganter ist, durch eine Anwendung von Bestimmungen des Außenwirtschaftsgesetzes ein flexibles Instrument in Vorbereitung zu haben,
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Dr. Aschoffals durch ein Coupon-Steuer-Gesetz zwar einen Vorteil einzuhandeln, damit aber eventuell auch Nachteile in Kauf zu nehmen.Diese ganz allgemeinen Fragen stehen für uns im Vordergrund der Überlegungen. Wir wollten sie noch einmal vortragen.Zur Sache selbst! Wir werden der Zollvorlage in der Form, die heute wohl noch von dem Herrn Vorsitzenden des Außenhandelsausschusses vorgetragen wenden wird, zustimmen. Meine Fraktion hat vom ersten Tage an kein Hehl daraus gemacht, daß sie einer Zollvorlage nur zustimmen könne, wenn eine Ausnahmeliste geschaffen würde. Wir waren nämlich grundsätzlich der Auffassung, daß die an der Exportsituation überhaupt nicht teilnehmenden Wirtschaftskreise durch die Konjunkturmaßnahmen nicht einseitig belastet werden dürften und daß aus Gründen der Gerechtigkeit Maßnahmen ergriffen werden sollten, um zu verhindern, daß wir dann umgekehrt durch neue Subventionszahlungen in weitere Verzerrungen kommen. Mir ist berichtet worden, daß ein Einverständnis aller Fraktionen mit der Regierung erreicht worden ist. Dabei darf ich vorsorglich feststellen, daß bei einer solchen Verordnung die Verantwortung für die Richtigkeit, die Vollständigkeit und die Zweckmäßigkeit einer Liste ausschließlich bei der Regierung liegt.Ferner liegt uns der Vorschlag einer Coupon-Steuer vor. Wir sind mit der Überweisung an den Ausschuß einverstanden. Wir stehen diesem Vorschlag nicht ablehnend ,gegenüber. Wir werden zu prüfen haben, ob die vorgesehenen Kontrollen in dieser Form richtig und zweckmäßig sind. Wir werden uns darüber zu unterhalten haben, ob hier eine Störung des Vertrauens im Ausland zu befürchten ist. Wir werden endlich überlegen müssen, inwieweit wir trotz dieser Steuer Maßnahmen treffen müssen, um auch in Zukunft das für unsere Investitionsaufgaben notwendige Kapital erhalten zu können. Das ist auch in dieser Debatte klar geworden. Wir sind unterkapitalisiert. Der Umfang unserer Eigenfinanzierungsmöglichkeit ist entgegen der Meinung wissenschaftlicher Beiräte zu gering. Wenn diese Überlegungen angestellt werden, sind wir also bereit, uns über die Verabschiedung dieses Gesetzes zu unterhalten.Bezüglich des Haushalts habe ich dem Herrn Wirtschaftsminister eben meine Bitte vorgetragen. Der Herr Bundeskanzler ist, glaube ich, gerade zu der Verabschiedung von Herrn Paulssen gegangen. Daher würde ich darum bitten, ihm zu übermitteln, daß eine Beantwortung der Fragen, die Herr Starke heute vormittag angeschnitten hat, auch durch ihn für uns interessant wäre.Meine Damen und Herren, es bleibt dann noch das hiermit nur in einem lockeren Zusammenhang stehende Gesetz über gewisse Steueränderungen übrig, zu dein ich nicht sprechen werde. Das wird nachher jemand anders tun.Ich darf damit schließen, indem ich der Hoffnung Ausdruck gebe, daß die Langlebigkeit dieser De-batte günstige Rückschlüsse auch auf die Langlebigkeit einer guten Konjunktur zulassen möge.
Das Wort hat der Abgeordnete Stein.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei dem, was zum Wirtschaftsbericht zu sagen ist, kann ich mich jetzt kurz fassen. Ich möchte nur folgendes hervorheben. Man hätte sich nur wünschen können, ,daß auch andere europäische Länder sich ebenso rechtzeitig und ebenso selbstkritisch mit der Lage auseinandergesetzt hätten, wie es in unserem Wirtschaftsbericht, ,den ich nur als vorzüglich bezeichnen kann, geschehen ist.Welche Konsequenzen haben wir aus diesem Bericht zu ziehen? Lassen Sie mich mit einer politischen Forderung beginnen! Der Bericht erlaubt nicht nur, sondern er verlangt eine Versachlichung unserer wirtschafts- und konjunkturpolitischen Diskussion. Die Art, in der diese Diskussion in den letzten Wochen in der Öffentlichkeit geführt worden ist, grenzt nach meiner Ansicht fast ans Unerträgliche. Sie ist geradezu gekennzeichnet von dem Wunsch, parteipolitische Riemen aus einer ausgezeichneten Haut zu schneiden und diese damit insgesamt zu zerstückeln.Wenn diese Debatte heute zu Beginn der Ferienzeit einen Sinn haben kann, so vor allem den, eine Welle der Zuversicht und des Vertrauens — und dazu besteht aller Anlaß — in unserem Volk auszustreuen und es beruhigt in die Sommerferien fahren zu lassen, ohne die Sorge, daß in der Zwischenzeit seine Ersparnisse zusammenschmelzen und das zurückgelassene Geld nicht ausreicht, den heimatlichen Haushalt über Wasser zu halten.
Die Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers und die Ausführungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers haben gezeigt, wie ernst sie es mit einer Betrachtung und mit der Kontrolle unserer wirtschaftlichen Entwicklung nehmen. Wir sollten sie dabei unterstützen und ihnen nicht durch ein nur peinlich wirkendes Zerreden der Konjunktur in den Arm fallen.Diese Maßnahmen sind auf das Ziel abgestellt, den hohen Grad des wirtschaftlichen Wachstums zu erhalten und gleichzeitig die Preisstabilität zu gewährleisten. Bislang hat diese Politik der Bundesregierung vollen Erfolg gehabt. Es besteht kein Grund zur Änderung dieser bewährten Politik, und es besteht kein Grund, Alternativen zu setzen und hervorzukehren. Sie hat schließlich dem deutschen Volk auch seinen hohen Lebensstandard gesichert. Wir hätten alle das Nachsehen, wenn das Rezept der Opposition, jetzt Kanonen gegen die Konjunktur aufzufahren, verwirklicht würde.Dabei verkennen wir nicht, daß dieses Wachstum auch von stärkeren Differenzierungen einzelner Branchen gekennzeichnet ist. Wir können und dür-
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Steinfen uns nicht über Strukturkrisen einzelner Wirtschaftsbereiche hinwegsetzen. Ein sichtbares Bild dieser Strukturkrisen ist z. B. die Ausnahmeliste zu den heute zu verabschiedenden Zollsenkungsvorschlägen.Aus dem gleichen Grunde begrüße ich es auch, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister heute Strukturhilfen angekündigt hat. Sie sind kein Odium für fehlende Unternehmerleistungen, sondern eine Starthilfe in den Fällen, in denen die Ausweitung der Märkte 'den einzelnen Unternehmer vor Konsequenzen stellt, die er allein zunächst nicht bewältigen kann. Richtig ausgesucht und mäßig verteilt passen sie durchaus in eine marktwirtschaftliche Landschaft; ja, gesellschaftspolitisch sind sie sogar unentbehrlich.Dieser Struktursituation trägt die Bundesregierung auch jetzt durch ihre bewußt vorsichtigen konjunkturpolitischen Maßnahmen Rechnung. Wir wissen nicht, ob der konjunkturell ansteigende Trend der. letzten Monate anhält. Zum Teil unterliegt er nämlich Maßnahmen anderer Regierungen, und ich halte es kaum für vertretbar, 'die Bundesregierung für währungspolitische Sünden anderer Länder verantwortlich zu machen. Die Stabilisierungsmaßnahmen in Frankreich haben unzweifelhaft schon gewisse Ergebnisse erzielt. Wir müssen dem Herrn Wirtschaftsminister dafür dankbar sein, daß er sich in Brüssel .so energisch um ein Stabilisierungsprogramm der EWG bemüht hat und daß seine Initiative bewirkt hat, .daß sich auch die EWG-Partner solidarisch zur Übernahme antiinflationärer Maßnahmen verpflichtet haben. Das ist doch ein beachtliches Novum. Es zeigt nicht nur die faktische Bedeutung der Volkswirtschaft der zweitgrößten Welthandelsnation, sondern auch die Zugkraft und das Ansehen, .das diese Tatsache dem deutschen Vertreter im Ministerrat verleiht. Wenn Herr Marjolin zur Zeit in Rom Bedingungen, die an eine weitere Hilfe der Gemeinschaft für Italien geknüpft werden, aushandelt, so ist dies nicht ohne 'die Stabilität der deutschen Verhältnisse möglich und auf ihr Beispiel mit abgestellt.Betrachte ich unter diesem Gesichtspunkt die Gesamtentwicklung, so kann zwar von einem erheblichen Anstieg der Nachfrage, aber keineswegs davon die Rede sein, daß die deutsche Wirtschaft dieser Anforderung 'bislang nicht gewachsen ist. Das Ifo-Institut spricht, wie Sie wissen, in seinem letzten Konjunkturbericht vor zwei Tagen von einem Auslastungsgrad der deutschen Industrie von 88%. Dieser Auslastungsgrad ist immer noch um einige Punkte niedriger als im Spitzenjahr 1960. Er berücksichtigt überdies hierbei nicht die laufend produktionsreif 'werdenden Investitionen. Von einer Verknappung des Güterangebots kann nicht gesprochen werden. Im übrigen können wir jederzeit verstärkt auch auf ausländische Erzeugnisse zurückgreifen.Ein guter Beweis für die Elastizität des Produktionsapparates ist darin zu erblicken, daß auch die neuerliche Zuwachsrate vom Mai in Höhe von 12 % ahne Preissteigerung bewältigt worden ist. Die Unternehmerschaft insgesamt hat in den letzten Jahren ständig neue Investitionen durchgeführt, obschon esihr von der Finanzierung her zeitweilig recht schwergefallen ist.Woran liegt das? Zum Teil daran, daß sie +die Überlegungen der früheren Wirtschaftsberichte nicht in den Windgeschlagen hat. Heute steht sie mit einer beachtlichen Kapazitätsreserve da, 'die es uns erlaubt hat, den Konjunkturstoß der letzten acht Monate aufzufangen und mit gewisser Zuversicht der kommenden Entwicklung entgegenzusehen. Hätten wir mehr Zeit gehabt und wäre vor allen Dingen unsere Kapitaldecke stärker gewesen, wäre die heutige Konjunkturbewältigung überhaupt kein Problem.Ich habe daher mit einiger Besorgnis von den Überlegungen Kenntnis genommen, gegebenenfalls die Abschreibungssätze aus konjunkturpolitischen Gründen zu verringern. Wir haben seinerzeit an eine Erweiterung für Zeiten der Depression, aber wir haben nicht an eine noch weitergehende Einengung in Konjunktur hoch zeiten gedacht. Wenn wir uns schon darauf einstellen müssen, hohe Wachstumsraten zum Gradmesser unserer Wirtschaftspolitik zu machen, so ist das nur auf der Basis anhaltend großer Investionen möglich. Ich stimme dabei vollständig der Auffassung zu, daß ein Übermaß von Investitionen eine Gefahr bedeutet. Aber diese Gefahr ist begrenzt und begrenzbar. Hierbei lasse ich mich nicht zuletzt bestimmen von unserer Arbeitsmarktsituation. Sie ist nicht mehr ohne eine hohe Fremdarbeiterquote zu bewältigen. Aber ich habe große Zweifel, ob wir mit Sicherheit diese hohe Quote als einen verläßlichen Faktor in unsere Wirtschaftspolitik einplanen können. Ein anhaltend hoher Investitionsstand ist die beste Abwehr von Gefahren, die uns durch einen Abzug fremder Arbeitskräfte drohen könnten. Das führt notwendig zu der Frage der Lohn- und Arbeitszeitpolitik.Wir stehen am Vorabend großer Tarifauseinandersetzungen. Gestern sind die Verhandlungen auf dem Gebiet der chemischen Industrie abgeschlossen worden, im Herbst folgt die Metallindustrie. Zwei entscheidende Gruppen unserer Wirtschaft setzen die Akzente für die Preisstabilität.Als Auftakt dieser Verhandlungen habe auch ich noch das Wort vom „kräftigen Schluck aus der Pulle" im Ohr. Es ist seit der heutigen Debatte zu einem politischen „Schluckauf" geworden, an dem Sie, meine sehr geehrten Herren von der Sozialdemokratie, noch lange Zeit zu leiden haben werden.Die Gewerkschaften haben es weitgehend in der Hand, durch eine maßvolle Politik den Aufschwung der Konjunktur zu verlängern oder abzuwürgen. Der Wirtschaft ist die Aufgabe gestellt, die Entwicklung der Kosten preisneutral aufzufangen. Die Wirtschaft hat, wie die Entwicklung der Erzeugerpreise beweist, für diese Aufgabe alles Verständnis gezeigt. Ohne die bemerkenswerte Stabilität der Industriepreise hätten sich die aus Gründen der Preisentzerrung bewußt in Kauf genommenen Verteuerungen, vor allem bei den Mieten und den öffentlichen Tarifen, viel gravierender ausgewirkt. Aber es gibt von der Seite der Kosten her natürlich eine
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SteinGrenze. Es muß bei den kommenden Lohnverhandlungen auf diese Grenze Rücksicht genommen werden. Dabei denke ich nicht daran, die Tarifautonomie anzutasten. Aber Tarifautonomie heißt gesamtwirtschaftliche Verantwortung.Der „kräftige Schluck aus der Pulle" unterstellt, daß die Gewinne der Unternehmer stark gestiegen sind. Ich erinnere daran, daß die Wirtschaft drei Jahre lang, wie die Wirtschaftsberichte gezeigt haben, einen Rückgang der Gewinne und der Selbstfinanzierungsquoten aushalten mußte. Dieser Prozeß muß sich auch wieder einmal umkehren. Das ist um so notwendiger, als die Eigenkapitalbasis der deutschen Unternehmen im internationalen Vergleich noch unzulänglich ist.Das gleiche gilt von der deutschen Abschreibungsquote, von der ich eben gesprochen habe. Damit ist die Konsolidierung der Kapitalstruktur unserer Unternehmen angesprochen, d. h. das Verhältnis von Eigenkapital zu Fremdkapital. Es gehört auch zu einer richtigen in die Zukunft weisenden Konjunkturpolitik, die finanzielle Basis der Industrie für Krisenzeiten hinreichend stark zu machen. Infolgedessen halte ich Maßnahmen, die das Investitionsgeschehen allein aus Konjunkturbetrachtungen drosseln, für nicht ungefährlich.Lassen Sie mich noch ein deutliches Wort zur deutschen Exportsituation sagen. Wir haben mit großer Genugtuung heute erneut von der Bundesregierung die Versicherung bekommen, daß an eineExportdrosselung nicht gedacht ist. Das Hohe Haus wird diese neuerliche Bestätigung sicher begrüßen. Ich hoffe sehr, daß die heutige Regierungserklärung endlich zu einer allgemeinen Beruhigung, die allenthalben als dringend empfunden wird, beiträgt.Eine Politik der Exporterschwerung können wir uns als industrielles Veredelungsland einfach nicht leisten. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn wir insgesamt zu einem besseren Gleichgewicht unserer Handelsbilanz kämen. Deshalb stimmen wir auch den Zollsenkungen trotz mancher Bedenken in unseren Reihen zu.Ich halte es aber für falsch, die Exportüberschüsse isoliert zu betrachten. Entscheidend ist die gesamte Devisenbilanz, da nur sie liquiditätsmäßig relevant ist. Die Maßnahmen auf dem Gebiet des Geld- und Kapitalexports, die von der Bundesbank seit diesem Frühjahr ergriffen worden sind, und die Ankündigung der Kapitalertragsteuer haben bereits einen besseren Ausgleich der Devisenbilanz bewirkt.Eine noch weitergehende Pflege des Kapitalexports bietet sich vor allem durch verstärkte Investitionen im Ausland an. Hier haben wir noch sehr viel nachzuholen. Ich schließe mich den Worten des Herrn Bundeskanzlers, der in diesem Zusammenhang heute morgen auf das unternehmerische Risiko verwiesen hat, in vollem Umfange an. Aber zum Risiko gehört auch seine Berechnung, und diese Rechnung fällt negativ aus, wenn in fremden Ländern nichts verdient werden kann oder die dortigen Verhältnisse so unstabil sind, daß eine Investition unübersehbaren Risiken ausgesetzt ist. Nur in diesem Rahmen ist der Wunsch nach pfleglicher Behandlung des Kapitalexports zu verstehen.
In diesen Tagen ging eine Verlautbarung durch die Presse, daß das ausländische Vermögen in der Bundesrepublik etwa achtmal so groß ist wie das deutsche Vermögen im Ausland. In jeder Branche, ja fast in jeder Stadt hören wir heute vom Aufkauf deutscher Firmen und der Übernahme von Beteiligungen. Sosehr wir diese Verpflechtung begrüßen, so sehr macht das deutlich, daß auch wir als zweitstärkste Welthandelsnation nicht darauf verzichten können, im Ausland eine ausreichende Kapitalbasis zu haben; hier dürfen wir nicht konjunkturell, sondern müssen wir langfristig strukturell denken.Daher sollten sich unsere Steuerpolitiker Gedanken darüber machen, wie wir den Kapitalexport in vertretbarem Rahmen fördern können. Die beabsichtigte Beseitigung der Wertpapiersteuer weist in die richtige Richtung. Das alles kann nur ein erster Schritt sein.Im übrigen ist auch der Export von Differenzierungen nicht frei. Ich warne auch vor einer leichtfertigen Verallgemeinerung, der Export sei eine Sache, die uns Deutschen sozusagen in den Schoß falle. Damit wird man den Anstrengungen der deutschen Industrie nicht gerecht. Auf den meisten Auslandsmärkten, vor allem in Übersee, ist der internationale Wettbewerb unverändert hart.Soweit es sich um Länder handelt, die zur Zeit mit Inflationen zu kämpfen haben, stößt deren Importnachfrage zwangsläufig an ihre Devisendecke. Um so mehr rate ich zu größerer Vorsicht, weil wir eines Tages, nicht zuletzt infolge der Bemühungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers, vor der Konsolidierung in den EWG-Ländern stehen werden und dann darauf angewiesen sind, unsere Anstrengungen in anderen Räumen zu verstärken.Es ist unmöglich, daß wir unsere Wettbewerbssituation, die uns langfristig dem Pfund und dem Dollar gegenüberstellen wird, auf Grund inflationistischer Situation anderer Länder verschlechtern. Unsere hohe Passivität gegenüber dem Dollarraum — es sind zur Zeit 4 Milliarden — zeigt, daß hier von einer Überlegenheit der deutschen Industrie im allgemeinen Wettbewerb nicht gesprochen werden kann. Ebenso wenig rechtfertigt die Entwicklung in einigen Ländern strukturändernde Eingriffe in den deutschen Außenhandel.Ich fasse zusammen. Ich bin der Ansicht, daß der von der Opposition erhobene Vorwurf der Inaktivität gegenüber der Regierung unbegründet ist.
Nach meiner Ansicht ist er sogar unter dem Gesichtspunkt des oppositionell Vertretbaren gefährlich. Niemand leugnet, daß wir uns in einer Wachstumsphase befinden, die uns allen zugute kommt. Wir müssen uns jedoch darüber klar sein, daß es Sorgen sind, die ein langjähriges Mitglied dieses Hauses vor einigen Wochen als „süße Sorgen" bezeichnet hat. Wenn man die deutsche Konjunktursituation heute richtig bezeichnen will, muß man
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Steinsagen: Wir befinden uns — und das deutsche Volk dankt dafür der Bundesregierung — allenfalls auf einer Kurreise nach Kissingen, aber keineswegs, wie es heute bei der Diskussion häufig den Anschein hatte, auf einer Reise in ein Armenhaus nach Leichlingen, das im übrigen nicht besteht.
Meine Damen und Herren, wir haben eine umfangreiche Rednerliste, aber es ist mir die erfreuliche Mitteilung gemacht worden, daß mehrere Abgeordnete bereit sind, hier das Wort nicht zu ergreifen und ihre Ausführungen zu Protokoll zu geben. *)
Das gilt für die Abgeordneten Seuffert, Dr. Schmidt und Frau Funcke. Stimmt das? — Gilt das auch für den Herrn Bundesminister der Finanzen?
— Danke sehr. Dann habe ich nur noch dem Herrn Abgeordneten Dr. Luda das Wort zu geben.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir ein letztes Wort zur außenwirtschaftlichen Betrachtungsweise. Wenn man versucht, did Diskussion draußen im Lande und auch die lange Diskussion, die wir heute hier geführt haben, auf einen einzigen Nenner zu bringen, dann muß man fragen: welche ist die größere Gefahrenquelle, liegt sie in der Leistungsbilanz oder liegt sie in der Zahlungsbilanz? Ist der erste Teil der Frage zu bejahen, dann hat die Opposition recht, die meint, daß die Exporte gedrosselt werden müßten. Ist aber die zweite Alternative richtig, so hat die Bundesregierung recht, die meint dafür sorgen zu müssen, daß der Kapitalimport eingeschränkt wird und daß auch eine gewisse Förderung des Kapitalexports durchgeführt werden sollte. Nun, wenn wir diese beiden Fragen hier stellen — bitte schön!
Herr Kollege Luda, ist Ihnen entgangen, daß wir mit keinem Wort von Exportdrosselung gesprochen haben, sondern von einer Ermächtigung, je nach den Bedürfnissen die Einfuhr zu verstärken und, wenn das zusätzlich nötig sein sollte, gleichzeitig auch am Export etwas zu tun, im Gleichgewicht dazu; ist Ihnen das entgangen?
Herr Kollege Kurlbaum, darf ich Sie dahin berichtigen, daß Ihre Fraktion beantragt hat, die Bundesregierung zu ermächtigen, die Umsatzausgleichsteuer oder die Umsatzsteuerrückvergütung auszusetzen, wenn die konjunkturpolitische Lage es erfordert. Darin steckt beides, vor allem auch die Möglichkeit der Exportdrosselung.
') Siehe Anlagen
Das können Sie sicher nicht bestreiten, Herr Kollege Kurlbaum.
Aber die beiden Alternativen, die da bestehen, lassen sich eindeutig aus den nackten Zahlen der Bilanz beantworten, und darauf wollte ich die Aufmerksamkeit des Hauses jetzt zu guter Letzt doch noch gerichtet haben. Nehmen wir die Leistungsbilanz des Jahres 1963, dann ergibt sie zwar einen Handelsbilanzüberschuß von 6 Milliarden DM, aber dieser enorme Überschuß wird weitestgehend absorbiert schon innerhalb der Leistungsbilanz durch die hohen Dienstleistungen und durch die hohen unentgeltlichen Leistungen mit der Konsequenz, daß der Überschuß der Leistungsbilanz für 1963 nur 881 Millionen DM beträgt. Das ist die erste Tatsache.
Jetzt die zweite Tatsache: Wie sieht die Kapitalbilanz aus? Da ist nämlich die Krux; das ergeben die bloßen Zahlen. Die Kapitalbilanz ergibt einen Überschuß von 1691 Millionen DM. Sie sehen, daß der Überschuß, der sich aus dem Kapitalaustausch ergibt, doppelt so hoch ist wie der Überschuß aus der Leistungsbilanz. Diese nackten Zahlen — ich sage es nochmals — beweisen eindeutig, daß der Weg, dien die Bundesregierung beschritten hat, der einzig richtige ist, nämlich die Kapitalimporte, soweit sie überflüssig sind, möglichst abzuwehren und nicht den deutschen Export reduzieren zu wollen.
Ich sagte, die Krux biegt eben in der überzogenen Kapitalbilanz. In diesem Zusammenhang wird immer von der „importierten Inflation" gesprochen. Auch heute, leider Gottes auch heute, ist dieses Wort mehrfach gebraucht worden. Ich möchte im Anschluß an die Ausführungen, die insofern Herr Kollege Dr. Barzel gegenüber Ihnen, Herr Kollege Möller, gemacht hat, hier noch einmal ausdrücklich darauf zurückkommen und sagen: Seien wir doch vorsichtig mit solchen Formulierungen, die sehr gefährlich sind!
Was ergibt sich aus der Kapitalbilanz, wie ich sie eben verlesen durfte? Daraus ergibt sich, daß eine importierte Liquidität stattfindet. Aber importierte Liquidität ist noch keine importierte Inflation. Es fragt sich, was wir mit dieser Überliquidität machen. Ich bin bereit, gleich nachzuweisen, daß durch die bisherigen Maßnahmen der Bundesregierung schon die Gefahr, daß aus dieser Überliquidität eine importierte Inflation werden könnte, abgewendet wird.
Jetzt sind Sie dran, Herr Kollege Kurlbaum.
Herr Kollege Kurlbaum, zu einer Zwischenfrage!
Herr Kollege, haben Sie es nicht für notwendig gehabten, sich bei den Zahlen, die Sie genannt haben, auch die Zahlen der ersten Monate des Jahres 1964 anzusehen?
Das kommt gleich anschließend.
Da hätten Sie nämlich feststellen können, daß in den ersten vier Monaten des Jahres 1964 das Bild schon ganz anders ist als 1963.
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Darauf will ich ja hinaus.
Und Sie hätten feststellen müssen, daß in den ersten vier Monaten des Jahres 1964 bereits der Warenverkehr plus Dienstleistungen minus unentgeltliche Leistungen einen Saldo von beinahe eineinhalb Milliarden DM zu unseren Gunsten ergibt.
Herr Kollege Kurlbaum, das kommt sofort.Meine Damen und Herren, die Meinungsverschiedenheiten darüber, wo die Bremse anzusetzen ist, sind also völlig überflüssig, wenn man die Zahlen zugrunde legt. Herr Kollege Stein hat es schon ausgeführt, daß wir uns als Industrienation nicht leisten können, unnötigerweise unseren Export zu drosseln. Herr Minister Schmücker hat es auch ausgeführt, daß zwar die Außenhandelsbilanz im Austausch mit den EWG-Staaten und mit den EFTA-Staaten Überschüsse aufweist; aber der Außenhandel mit den überseeischen Ländern ist größtenteils defizitär, und das sind ja gerade die international so heiß umkämpften Märkte. Deshalb war es richtig, die Konsequenz einer Exportdrosselung zu vermeiden. Wir sind auf ein normales Wachstum unserer Wirtschaft auch in Zukunft angewiesen.Nun, meine Damen und Herren, welche anderweitigen Möglichkeiten hätte denn die Bundesregierung gehabt als die, den überflüssigen Kapitalimport zu dämpfen? Da ist nun einmal die Frage der Passivierung der Handelsbilanz durch Zollsenkungen. Dazu ist heute schon sehr viel gesagt worden; ich will das nicht noch vertiefen. Die erste Möglichkeit wird also wahrgenommen.Die zweite Möglichkeit ist die Passivierung der Handelsbilanz durch Umsatzsteuer. Es sollte jetzt über Steuern nicht mehr gesprochen werden. Die Möglichkeit der Aufwertung will ich auch nicht noch vertiefen. Aber da bleibt die Schweizer Möglichkeit, also die Regelung, die die Regierung der Schweiz getroffen hat. Was hat die Schweiz, deren Verhältnisse mit unserer deutschen Situation heute absolut vergleichbar sind, in ähnlicher Situation getan? Die Schweiz hat seit dem 1. April den Banken verboten, Auslandsgelder, die in die Schweiz hineinfließen, im Inland anzulegen. Sie hat dabei die Ausnahme der Altkonten und die Ausnahme der kleinen Beträge gemacht und hat außerdem eine Freiliste. Nun, das ist doch im Prinzip haargenau die Politik, die die Bundesregierung auch durchgeführt hat.In diesem Zusammenhang ist auch das interessant, was vom Ministerrat der EWG als Empfehlung an die Bundesrepublik ausgesprochen worden ist. Der Ministerrat der EWG hat uns erstens empfohlen, die bisherige Kreditpolitik und die Begrenzung der öffentlichen Ausgaben fortzusetzen. Das ist eine Bestätigung der Richtigkeit des von uns eingeschlagenen Weges.Der Ministerrat hat uns zweitens aufgefordert, den Liquiditätszuflüssen entgegenzutreten, um den Gefahren der Überkonjunktur in der Bundesrepublik zu begegnen. Welches war aber im März dieses Jahres das Rezept von Herrn Kollegen Dr. Möller? Das Rezept von Herrn Kollegen Dr. Möller lautete wie folgt. Ich zitiere das aus der „Frankfurter Allgemeinen" . Herr Kollege Möller, ich nehme an, daß sie richtig zitiert hat. Da heißt es wörtlich wie folgt:Das Konjunkturpaket von Bundesbank und Bundesregierung werde sicher nicht zu einer Abwehr der Inflationsgefahr führen, weil die monetären Vorgänge für die Stabilität der Deutschen Mark nahezu ohne Belang seien.Das ist die Auffassung von Herrn Kollegen Möller. Was ich eingangs gesagt habe, ist die Auffassung des Ministerrates der EWG. Es erhebt sich für uns alle, meine sehr verehrten Damen und Herren, die sehr ernste Frage: Wer ist schlauer: Brüssel oder Dr. Alex Möller? Das ist die Frage, um die es sich handelt.
Es geht noch weiter. Die dritte Empfehlung, die wir vom Ministerrat bekommen haben, lautet dahin, unsere deutschen Einfuhren zu stimulieren. Genau das hat das Zollsenkungsprogramm der Bundesregierung zum Inhalt. Auch insofern ein Pluspunkt für die Bundesregierung!Viertens heißt es, Lieferbindungen bei der Entwicklungshilfe sollten verringert werden. Das ist wohl für uns alle, die wir bemüht sind, uns mehr oder weniger mit Erfolg gegenseitig Vorwürfe zu machen, doch ein sehr interessanter Punkt. Die EWG empfiehlt uns, die Lieferbindungen bei der Entwicklungshilfe zu verringern. Dabei hat der Deutsche Bundestag am 19. Februar d. J. einstimmig mit den Stimmen aller drei Fraktionen, und zwar aus Anlaß der Ratifizierung des Assoziierungsabkommens der EWG mit einigen afrikanischen Staaten die Bundesregierung aufgefordert, diese Lieferbindungen bei künftiger Kreditvergabe im Rahmen der Entwicklungshilfe möglichst immer zu vereinbaren. Sie ersehen daraus, daß alle drei Fraktionen dieses Hauses damals, Mitte Februar, einstimmig der Auffassung waren, daß eine überhitzte Konjunktur nicht gegeben sei und daß wir uns deshalb solche Lieferbindungen leisten könnten. Ich sage das und erinnere daran, weil Sie der Bundesregierung zum Vorwurf machen, sie handele nicht oder sie handele immer zu spät. Noch am 19. Februar waren also alle drei Parteien dieses Hauses der Meinung, daß eine überhitzte Konjunktur nicht gegeben sei. Aber schon am 23. März hat die Bundesregierung ihr Konjunkturdämpfungsprogramm und ihre Absicht verkündet, die Kapitalertragsteuer für ausländischen Rentenbesitz in Deutschland einzuführen. Daraus ersehen Sie: die Bundesregierung hat prompt gehandelt.Die fünfte Empfehlung, die wir vom Ministerrat der EWG bekommen haben, geht dahin, Regierungsaufträge ins Ausland zu geben. Das geschieht ja auch. Ich denke nur an die Verteidigungsaufträge, die insoweit von der Regierung erteilt werden.Schließlich heißt es in einem sechsten Punkt, wir sollten unseren Kapitalexport fördern. Wir wollen
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Dr. Ludaja die Wertpapiersteuer abschaffen. Davon war heute noch gar nicht die Rede. Das geht ja in diese Richtung.Vergegenwärtigen wir uns also einmal die Schweizer Regelung und zweitens die sechs Punkte in der Empfehlung des Ministerrates der EWG an die Bundesrepublik. Aus diesen Tatbeständen ergibt sich ganz eindeutig der Beweis, daß wir in der Bundesrepublik, daß unsere Regierung auf dem richtigen Weg sind.Jetzt komme ich zu dem Anliegen des Kollegen Kurlbaum, der gesagt hat, wir müßten, wenn wir uns schon die Zahlungsbilanz vor Augen führen, auch die Zahlen aus den ersten vier Monaten dieses Jahres vortragen. Das ist absolut richtig. Was ergibt sich aus diesen Zahlen? Daraus ergibt sich, daß wir einen Leistungsbilanzüberschuß hatten in Höhe von 1212 Millionen DM, aber ein Defizit in der Kapitalbilanz in Höhe von 1811 Millionen DM. Sie ersehen daraus ganz eindeutig, daß die angekündigten und teilweise auch schon durchgeführten Maßnahmen prompt eine Wirkung gezeitigt haben genau in der Richtung, die die Bundesregierung schon in ihrem Wirtschaftsbericht vom 13. Dezember vorigen Jahres angedeutet hat. Es heißt wörtlich — wenn ich zitieren darf — in dem Wirtschaftsbericht der Bundesregierung:Gewisse Gefahren drohen allerdings von der Entwicklung im langfristigen Kapitalverkehr. Eine Fortdauer der hier zu beobachtenden Überschußbildung wäre wegen ihrer Wirkung auf die inländische Liquidität unerwünscht.Sie ersehen daraus, daß die Politik, die seit Februar von der Bundesregierung und von der Bundesbank eingeleitet worden ist, in den Umrissen schon in dem Wirtschaftsbericht vom 13. Dezember vorigen Jahres erkennbar gewesen ist.Abschließend nur noch eine Zahl. Die Nettokapitalabflüsse aus der Bundesrepublik haben im März 203 Millionen DM betragen und haben im Mai, wie heute zu erfahren war, 270 Millionen DM ausgemacht. Sie ersehen daraus, daß nicht nur prompt gehandelt worden ist, sondern auch wirkungsvoll. Das war das, meine Damen und Herren, was ich noch hatte sagen wollen.Zum Schluß noch die eine Bemerkung, die genau in Ihre Richtung geht, meine Damen und Herren. Herr Schoettle — das möchte ich im Zusammenhang mit diesen Zahlen der ersten vier Monate dieses Jahres sagen— hat in der Bundestagssitzung vom 16. April das alles nicht gesehen, daß nämlich diese Maßnahmen wirksam sein würden, und er hat gesagt, das alles, dieses Konjunkturprogramm, sei eine stümperhafte Inflationsabwehr. Meine Damen und Herren, wenn Sie sich diese Äußerung von Herrn Schoettle damals einerseits und die Zahlen der ersten vier Monate dieses Jahres andererseits vor Augen halten, so beweist das alles; wenn in diesem Zusammenhang von einer Stümperei geredet werden kann, dann jedenfalls nicht im Hinblick auf die Maßnahmen der Bundesregierung und der Bundesbank.
Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Dr. Serres hat freundlicherweise auf seine Rede verzichtet. Selbstverständlich ist er berechtigt, seine Rede zu Protokoll zu geben.
Damit liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Ich kann die Aussprache schließen und kann nunmehr zur Abstimmung kommen.Zuerst Punkt 28 a). Ich schlage vor Überweisung an den Wirtschaftsausschuß — federführend —, an den Außenhandelsausschuß — mitberatend —. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.Nun zu Punkt 28 b). Ich schlage vor Überweisung an den Finanzausschuß — federführend — und an den Wirtschaftsausschuß sowie den Außenhandelsausschuß — mitberatend —. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.Zu Punkt 29 schlage ich vor Überweisung an den Finanzausschuß — federführend — und an den Wirtschaftsausschuß — mitberatend — sowie an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung. — Wiederspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.Bel Punkt 30 darf ich Ihnen nach dem Vorschlag des Berichts den Antrag des Ausschusses auf Drucksache IV/2419 zur Entscheidung unterbreiten. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen; einstimmig angenommen.Ich komme zu Punkt 31. Hierzu liegt ein Antrag auf Drucksache IV/2360 unter Ziffern 1 und 2 vor. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Auch keine Enthaltungen; einstimmig angenommen.Dann noch Punkt 32: Das Steueränderungsgesetz 1964, Drucksache IV/2400. Hier schlage ich Ihnen vor Überweisung an den Finanzausschuß — federführend — und — mitberatend — an den Wirtschaftsausschuß, den Ausschuß für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung, den Ausschuß für Mittelstandsfragen und den Haushaltsausschuß. Widerspruch erfolgt nicht. Es ist so beschlossen.Damit, meine Damen und Herren, komme ich nunmehr zurück zum Punkt 11 der Tagesordnung:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes (Drucksache IV/997) ;a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache IV/2416),b) Mündlicher Bericht des Ausschusses für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen (Drucksache IV/2384).
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Vizepräsident Dr. JaegerIch darf feststellen, daß der Abgeordnete Bazille einen merkwürdigerweise als mündlichen Bericht bezeichneten schriftlichen Bericht erstattet hat, für den ich ihm danken darf. Er wird das Wort nicht mehr wünschen, ebenso auch der Abgeordnete Lemmrich nicht mehr. Ich darf auch ihm für den Bericht danken.Wir kommen nunmehr in zweiter Beratung zu Artikel 1. Zu Artikel 1 liegen Änderungsanträge vor. Es sind die Umdrucke 4861 der Fraktion der SPD und 489 *) der Fraktionen der CDU/CSU, FDP. Wird der Umdruck der SPD begründet? — Herr Abgeordneter Merten!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Änderungsantrag auf Umdruck 486 zu begründen. Die SPD-Fraktion beantragt, den § 3 Abs. 1 des vorliegenden Entwurfs wieder in der Form herzustellen, wie ihn der Kriegsopferausschuß ursprünglich — vor einem Jahr — beschlossen hatte. Er sieht vor, daß den ehemaligen Kriegsgefangenen, die nach dem 31. Dezember 1948 zurückgekehrt sind, wenn sie mindestens 3 Jahre in Kriegsgefangenschaft gewesen sind, monatlich zusätzlich eine Entschädigung von 50 DM gewährt wird.Auch dieser alte Ausschußbeschluß war schon ein Kompromiß; denn meine politischen Freunde hatten im Kriegsopferausschuß beantragt, diesem Personenkreis die gleichen Leistungen zu gewähren, wie sie dem im Häftlingshilfegesetz angesprochenen Personenkreis bereits gewährt werden, d. h. also, statt der hier vorgesehenen 150 DM pro Quartal 250 DM pro Quartal. Der Ausschuß ist also schon unter der Grenze geblieben, die meine Freunde und ich nach wie vor für die einzig gerechte Lösung halten, und zwar deshalb für die einzig gerechte Lösung, weil die Gleichheit des Schicksals und die Gleichheit der Folgen dieses Schicksals auch eine Gleichheit in der gesetzlichen Betreuung dieser Menschen erforderlich macht, wenn sich das Parlament nicht dem Vorwurf aussetzen will, daß hier mit zweierlei Maß gemessen wird.Es darf dabei nicht ausschlaggebend sein, daß der im Häftlingshilfegesetz angesprochene Personenkreis kleiner ist und daher die erforderlichen Mittel nicht so hoch sind wie im Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz; ich bin der Auffasssung, daß hier fiskalische Erwägungen erst in zweiter Linie am Platz sind. In erster Linie muß der Mensch in seiner besonderen Situation Berücksichtigung finden, der viele Jahre hindurch unter unwürdigsten Umständen der Freiheit beraubt war, Hunger gelitten und Fronarbeit für das ganze deutsche Volk geleistet hat, ohne daß die geringste persönliche Schuld für diese furchtbare Strafe bei ihm gefunden werden kann.Selbst die in unserem Antrag — dessen Annahme ich Ihnen empfehlen möchte — geforderte Entschädigung ist ja nur eine symbolische materielle Abfindung, von der wir wissen, daß sie nicht im entferntesten das ganze Ausmaß der seelischen und`) Siehe Anlagen 8 und 9körperlichen Leiden, der wirtschaftlichen und sozialen Schäden ausgleichen kann, die jene Männer und Frauen erlitten haben, um die es hier im Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz geht.Das Schicksal dieser Novelle, die uns heute zur Beschlußfassung vorliegt, ist an und tür sich schon ein sehr trauriges Kapitel in der Geschichte der Gesetzgebung dieses Parlaments. Seit über zehn Jahren sind nun die berechtigten Forderungen der Heimkehrer bekannt. Eine große Zahl gut begründeter Eingaben hat jeden einzelnen Abgeordneten und jede einzelne Abgeordnete dieses Hohen Hauses erreicht. In großer staatsbürgerlicher Verantwortung und Mäßigung haben die Heimkehrer bisher ihre Ansprüche vertreten. Aber ganz offensichtlich wird ihnen diese Zurückhaltung als Schwäche ausgelegt, statt daß die vorbildliche Haltung anerkannt und durch entsprechende Leistungen honoriert wird.Dazu kommt, daß infolge der zwiespältigen Haltung der Koalitionsparteien im Kriegsopferausschuß einerseits und im Haushaltsausschuß andererseits die Glaubwürdigkeit des Parlaments an sich schon großen Schaden gelitten hat. Das könnte durch die Annahme des Antrags der Sozialdemokratischen Partei wenigstens zum Teil wiedergutgemacht werden, damit bei den ehemaligen Kriegsgefangenen keine Staatsverdrossenheit entsteht; denn nach den Äußerungen der letzten Monate ist nicht zu verkennen, daß diese Gefahr ohne jeden Zweifel in starkem Maße gegeben ist.Die jetzt vom Ausschuß mit einer knappen Mehrheit verabschiedete Form des § 3, wie sie im Ausschußbericht vorliegt, ist nach über einjähriger Beratung entstanden, und ich muß sagen, daß die Lösung, die jetzt im Ausschußbericht dem Parlament vorgeschlagen wird, die schlechteste und die ungerechteste aller möglichen Lösungen ist. Die in diesem Paragraphen vorgesehenen Stichtage sind völlig willkürlich gewählt. Sie haben keinen Bezug auf die sachlichen und tatsächlichen Verhältnisse in der Kriegsgefangenschaft.Ich glaube, es bestehen auch schwere außenpolitische, rechtliche und soziale Bedenken gegen diese Lösung. Hier werden tatsächlich alle Möglichkeiten verbaut, 140 Millionen DM sinnvoll auszugeben. Gerade die langjährigen Kriegsgefangenen werden besonders schlecht behandelt und geschädigt.Alle Versuche der Heimkehrer, über diese Fragen auch mit dem Herrn Bundeskanzler zu sprechen, sind leider gescheitert.
Der Herr Bundeskanzler hat die Vertreter des Heimkehrerverbandes, die ihn im März um eine Unterredung gebeten hatten, trotz monatelanger Bitten und Erinnerungen nicht nur nicht empfangen, sondern hat ihnen noch nicht einmal eine Antwort oder einen Zwischenbescheid auf dieses Ersuchen erteilt.
Endlich ist den Vertretern der Heimkehrer heute telefonisch die Mitteilung zugegangen, daß sie innerhalb der nächsten Wochen den Herrn Bundeskanzler erreichen können, also an dem Tag, an dem
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Mertendieses Gesetz hier im Parlament zur Diskussion steht. Man weiß nicht, was dahintersteckt, ob das Nachlässigkeit ist, ob das Mißachtung der ehemaligen Kriegsgefangenen ist oder ob hier andere Gründe maßgebend waren. Auf jeden Fall ist diese Haltung nicht gut gegenüber Menschen, die sich nach ihrer Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft vorbehaltlos in den Dienst des Wiederaufbaus unseres Landes gestellt haben.
Selbst nach Annahme unseres Antrages ist der unis vorliegende Entwurf noch keineswegs geeignet, einen Schlußstrich unter das Kapitel „Kriegsgefangenenentschädigung" zu ziehen. Zahlreiche berechtigte Forderungen, die wir auch mit Anträgen der SPD im Kriegsopferausschuß zu erfüllen trachteten, sind in diesem Ausschußentwurf unberücksichtigt geblieben. Deswegen wird die sozialdemokratische Bundestagsfraktion nach der Sitzungspause erneut die Initiative ergreifen und dem Hause ein echtes Schlußgesetz zur Kriegsgefangenenentschädigung vorlegen. Das vorliegende Gesetz wird in der Form der Ausschußvorlage nicht die Zustimmung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion finden können.Nun ist mir aus sehr vielen Kreisen und Bezirken der Bundesrepublik bekannt, daß sich zahlreiche Mitglieder des Hohen Hauses in Heimkehrerversammlungen zu den berechtigten Forderungen der ehemaligen Kriegsgefangenen bekannt haben.Die sozialdemokratische Fraktion nimmt an, daß die Kolleginnen und Kollegen das auch in der Abstimmung unter Beweis stellen wollen. Ich beantrage daher im Namen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion namentliche Abstimmung über unseren Änderungsantrag.
Wer begründet den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Umdruck 489? — Bitte sehr, Herr Abgeordneter Maier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für den Fall, daß dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion stattgegeben werden sollte, beantragen die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP in dem Antrag Umdruck 489, daß eine Änderung in § 4 dahin vorgenommen wird,
daß erstens hinter der Jahreszahl 1965 das Wort „und" gestrichen und durch ein Komma ersetzt wird und daß zweitens hinter der Jahreszahl 1966 die Worte „und 1967" eingefügt werden. Das heißt, daß dann, wenn dem Antrag der SPD zugestimmt werden sollte, der Beschluß des Kriegsopferausschusses, den Betrag von 200 Millionen DM auf drei Jahre zu verteilen, dahin geändert wird, daß hierfür vier Jahre angesetzt werden, die Zeit also auf vier Jahre ausgedehnt wird. Ich bitte, diesem Antrag der CDU/CSU und der FDP zu entsprechen.
Wir kommen jetzt zur Aussprache. Herr Abgeordneter Arndgen!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hätte gewünscht, daß, bevor der Antrag der CDU/CSU und der FDP aufgerufen worden wäre, der Antrag der SPD zur Abstimmung gestanden hätte. Denn dieser Antrag ist nicht für den Fall gestellt, daß der Antrag der SPD angenommen wird, sondern wir haben den Antrag, den der Kollege Maier hier etwas irrtümlich begründet hat
— Ihnen ist doch sicherlich auch schon einmal ein Irrtum unterlaufen —, gestellt ohne Rücksicht auf die Entscheidung über den Antrag, den Sie gestellt haben. Wir haben es getan, weil wir der Meinung sind, daß mit Rücksicht auf die Finanz- und Haushaltssituation, in der sich die Bundesrepublik befindet, der Ansatz, den das Gesetz enthält, auf vier Jahre verteilt werden sollte. Ich glaubte, das richtigstellen zu sollen.
Nun möchte ich noch ein Wort zu dem Antrag Umdruck 486 sagen, den der Kollege Merten hier begründet hat. Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch wir, die FDP und die CDU/CSU, wären glücklich, wenn wir dem Hause vorschlagen könnten, dem Beschluß des Kriegsopferausschusses vom 20. Juni 1963, der ein Finanzvolumen von 360 Millionen DM beinhaltet, zu folgen. Aber die Finanz- und Haushaltssituation, in der wir uns befinden, läßt es nicht zu, einen finanziell derartig umfangreichen Gesetzentwurf zu verabschieden. Es ist doch schon ein Fortschritt gegenüber dem Regierungsentwurf, der ja urspünglich nur 50 Millionen DM vorsah, wenn wir jetzt auf 200 Millionen DM kommen. Ein sehr großer Teil derjenigen, die durch das Gesetz berechtigt geworden sind, namentlich diejenigen, die nach dem 3. Februar 1954 berechtigt geworden sind, warten schon sehr lange auf Entschädigungen, die ihnen auf Grund des Heimkehrerentschädigungsgesetzes zustehen.
— Sie haben dem Gesetz, das damals verabschiedet wurde, ebenfalls zugestimmt! — Diese Leute warten, wie gesagt, schon lange. Wenn dem Antrag, den der Kollege Merten hier begründet hat, zugestimmt würde, dann würde dieser Gesetzentwurf nach § 96 der Geschäftsordnung automatisch wieder zum Haushaltsausschuß kommen, und damit würde das Gesetz vor der Sommerpause nicht mehr verabschiedet werden können. Ich bitte daher, im Interesse derjenigen, die erst nach 1954 zurückgekommen sind und lange auf eine Entschädigung warten, • den Antrag der Fraktion der SPD abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Imle.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst muß ich sagen, daß ich nicht für die Fraktion der FDP, sondern für
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6582 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964
Dr. Imlemich und eine Reihe meiner Freunde aus der Fraktion spreche.
— Das werden Sie nachher sehen, und das können Sie nachlesen.
Meine Damen und Herren, das Gezerre um dieses Gesetz ist eigentlich ein Jammer.
Als im Frühjahr 1960 bei den Vorbereitungen der Beratungen über das Häftlingshilfegesetz darauf hingewiesen wurde, daß man nicht ein einseitiges Recht für die einen schaffen und die anderen draußen lassen könne, hat man sich großzügig darüber hinweggesetzt. Wenn wir noch die unterschiedlichen Leistungen für die Berechtigten nach dem Bundesentschädigungsgesetz hinzunehmen, dann wird der Zwiespalt noch größer. Ich bin der Meinung, es ist völlig gleich, ob jemand unter Hitler, unter Ulbricht oder unter Stalin im Lager gesessen hat. Alle diese Menschen, die dort so gelitten haben, müssen gleichbehandelt werden.Wir haben damals im Jahre 1960 seitens der FDP-Fraktion die Initiative ergriffen. Dieser Antrag ist aus Gründen, die ich hier nicht erläutern möchte, I) nicht zum Zuge gekommen. Wir haben dann in dieser Legislaturperiode, auch erst sehr spät, einen Entwurf der Regierung bekommen, der am 20. Juni 1963 im Ausschuß verabschiedet worden ist. Erst jetzt, ein Jahr später, sind wir soweit, daß das Gesetz — in einer verkümmerten Form — hier verabschiedet werden soll.Ich darf für meine Fraktion sagen, daß wir in der jetzigen Fassung mit den 200 Millionen DM kein Schlußgesetz sehen. Ich bin aber der Meinung, daß das, was im Ausschuß beschlossen worden ist, durchaus ein Schlußgesetz sein könnte. Wir haben gestern ein Gesetz verabschiedet, das mit 400 Millionen DM über das hinausging, was ursprünglich vorgesehen war, und das ist ein Schlußgesetz geworden. Wir sollten allmählich in diesem Hause dazu kommen, daß diese Kriegsfolgengesetze endlich Schlußgesetze werden und nicht in jeder Legislaturperiode wieder neu aufgerollt werden. Das wäre es wert, daß wir uns heute darüber klar werden, daß das, was damals im Ausschuß beschlossen worden ist, auch durch Belastung der Haushalte in den zukünftigen Jahren erreicht werden kann. Seit 1963 sind andere Gesetze, die den Haushalt mit großen Summen belasten, verabschiedet worden. Der Antrag, der jetzt von der SPD angekündigt worden ist, soll nicht lediglich zur Bereinigung der ganzen Frage gestellt werden, sondern aus anderen Gründen. Wir sollten daher heute endgültig einen Abschluß finden und trotz der Bedenken dem Antrag der SPD, auf 360 Millionen DM zu gehen, im Endergebnis zustimmen. Dabei habe ich auch keine Bedenken, dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf noch weitere HinausStreckung zuzustimmen. Ich werde daher mit meinen Freunden dem Antrag der SPD in dieser Form zustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Stingl.
— Ich darf also festhalten, daß der Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Umdruck 489 kein Eventualantrag ist, sondern ein Antrag, über den unter allen Umständen abzustimmen ist.
Meine Damen und Herren, wir stehen in der Diskussion über den gesamten Art. I und beide Änderungsanträge. Das Wort hat der Abgeordnete Seidel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf folgendes richtigstellen. Herr Kollege Arndgen hat gesagt, daß für den Fall, daß der SPD-Antrag angenommen würde, noch einmal § 96 der Geschäftsordnung angewandt werden müßte. Das ist nicht ,der Fall; denn selbst bei diesem Antrag kommt für das Haushaltsjahr 1964 der § 96 nicht mehr in Betracht, weil bereits die 37 Millionen DM, die im Haushaltsgesetz 1964 stehen, für den Anlauf der Durchführung ,des Dritten Gesetzes des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes im Jahr 1964 ausreichen würden.
Ich möchte deshalb empfehlen, den Antrag der SPD anzunehmen und damit die von dem Herrn Vorredner der FDP genannte wesentliche Aufgabe in Angriff zu nehmen.
Ich möchte vor allem die FDP-Fraktion bitten, den Antrag ,der SPD im Fall einer namentlichen Abstimmung zu unterstützen.
Wird weiterhin zu Art. I — sämtliche Nummern — und den beiden Änderungsanträgen noch das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache.Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung über Nr. 1. Wer Nr. 1 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Nr. 1 ist so beschlossen.Ich komme zu Nr. 2 und damit zum Änderungsantrag ,der Fraktion der SPD auf Umdruck 486. Hierzu hat der Abgeordnete Merten namentliche Abstimmung beantragt. Von wem wird der Antrag unterstützt? — Das sind mehr als 50 Mitglieder des Hauses.Wir kommen zur namentlichen Abstimmung über den Antrag Umdruck 486.Meine Damen und Herren, ich gebe das vorläufige Ergebnis ,der namentlichen Abstimmung bekannt. Mit Ja haben gestimmt — ich gebe zuerst die Stimmen der uneingeschränkt Stimmberechtigten
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964 6583
Vizepräsident Dr. Jaegerbekannt — 198 Mitglieder des Hauses, mit Nein 201; 7 Enthaltungen. Von den Berliner Abgeordneten haben mit Ja gestimmt 12, mit Nein 7; eine Enthaltung. Der Antrag ist abgelehnt.Endgültiges Ergebnis:Ja: 195 und 12 Berliner Abgeordnete Nein: 201 und 7 Berliner Abgeordnete Enthalten: 7 und 1 Berliner AbgeordneterJaCDU/CSUBaldaufBalkenhol DraegerGienckeDr. Gleissner Gottesleben Dr. Jaeger JostenKlein
Dr. Knorr Leonhard Frau Dr. ProbstDr. ReinhardSchleeWeinzierl WendelbornDr. Willeke Wittmer-EigenbrodtSPDFrau AlbertzAnders AugeBäuerle Bäumer BalsBazilleDr. BechertBergmannBerlinBeusterFrau Beyer BieglerBiermannBirkelbachDr. Bleiß Börner Brünen BruseBuchstallerBüttner BuschCramer DiekmannFrau DöhringDopatka DröscherFrau EilersDr. EpplerErlerEschmannFelder Figgen Flämig Folger Franke Dr. FredeFrehseeFrau Freyh FritschGeiger Gerlach GlombigGscheidleHaage
HamacherHansing Hauffe HeideHeilandDr. Dr. Heinemann HellenbrockHerbertsFrau HerklotzHermsdorfHerold Hirsch Höhmann
Höhne
HöraufHörmann
Frau Dr. HubertHufnagelHussongIven
Jacobi
Jacobs JahnDr. h. c. JakschJürgensenJunghansJunker Kaffka Frau KettigKillatFrau Kipp-KauleDr. KochKönen Koenen (Lippstadt) KohlbergerFrau KorspeterDr. KüblerKulawig KurlbaumLange
LangebeckLautenschlagerLeber LemperDr. LohmarLücke MaibaumMarquardtMarxMatthöferMatznerFrau MeermannMerten Metter MetzgerMeyer MichelsDr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Dr. MommerDr. MorgensternMüller
Müller Müller (Ravensburg) Müller (Worms)Dr. Müller-EmmertNellen PaulPeiterPeters
Dr. PohlenzPöhlerPorzner PriebeRavens Regling RehsDr. ReischlReitzRiegel
Dr. Rinderspacher RitzelRohdeFrau RudollSänger SaxowskiDr. SchäferFrau Schanzenbach ScheurenSchmidt Dr. Schmidt (Gellersen) Dr. Schmidt (Offenbach) Schmitt-Vockenhausen SchoettleSchröder SchwabeSeibertSeidel
Seither Frau SeppiSeuffert Steinhoff Stephan Frau StrobelDr. TambléTheisWegenerWehner Welke Welslau Weltner
Frau WesselWilhelmWolfFrau Zimmermann
ZühlkeBerliner AbgeordneteDr. Arndt BartschFrau Berger-Heise BraunFrau KrappeFrau LöscheMattikNeumann
Dr. SchellenbergDr. SeumeUrban WellmannFDPDr. DörinkelDornErtlDr. HovenDr. ImleDr. KohutKubitza Mertes Ollesch Opitz Ramms ReichmannDr. RutschkeSanderSchmidt Dr. SupfWeber
NeinCDU/CSUDr. Adenauer AdornoDr. Althammer ArndgenDr. Artzinger Baier Dr. BarzelBauer BauknechtBauschDr. Becker
Becker
BerberichDr. BesoldBewerunge BiecheleDr. Bieringer Frau Dr. Bleyler BlöckerFrau Blohmvon BodelschwinghDr. Böhm
Böhme
BrandFrau BrauksiepeBreseBühlerDr. Burgbacher Burgemeister Dr. Conring Dr. Czajavan Delden DeringerDr. Dichgans DiebäckerDr. Dollinger DrachslerDr. Dr. h. c. DresbachEhnesEhrenEichelbaum Dr. ElbrächterFrau Engländer Dr. Dr. h. c. ErhardEtzelFalkeDr. FranzFranzenDr. Frey
Dr. Fritz
Dr. FurlerGaßmannGedatGehringFrau GeisendörferGewandtGibbertGlüsing
Dr. GötzDr. Gossel Dr. h. c. Güde GüntherFreiherr zu Guttenberg Frau HaasHärzschelHäusslerGräfin vom HagenHahn
Dr. von Haniel-Niethammer HarnischfegerDr. Hauser HeixDr. Hesberg Hesemann HilbertDr. Höchst Hörnemann
HöslHolkenbrink
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6584 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964
Vizepräsident Dr. JaegerHorn.Dr. HuysFrau Jacobi
Dr. JungmannFrau KalinkeDr. KankaDr. KempflerFrau KleeKnoblochDr. Kopf Krüger KrugKühn KuntscherLang
Leicht LemmrichLenz
Lenze
Leukert Dr. Luda Maier
Dr. MartinMeisMemmelMengelkampDr. von MerkatzMüser Nieberg Dr. Dr. OberländerOetzelFrau Dr. PannhoffDr. PflaumbaumFrau Pitz-SavelsbergDr. PoepkePortenDr. RammingerRasner RauhausRiedel RollmannRommerskirchenRufRuland ScheppmannSchlickDr. Schmidt SchmückerSchneider
Frau Schroeder Dr. Schröder (Düsseldorf) SchulhoffDr. SchwörerDr. SerresDr. SiemerDr. Sinn SpiesStauchDr. SteckerSteinDr. SteinmetzStillerDr. StoltenbergStooß Storm Strauß Struve StücklenSühlerDr. SüsterhennTeriete Unertl VarelmannVerhoevenDr. Freiherr von VittinghoffSchellVogtWagnerDr. WahlDr. Weber WehkingWeiglWeinkamm WieningerDr. Wilhelmi WindelenWinkelheide Dr. WinterDr. Wuermeling Wullenhaupt ZieglerDr. Zimmermann
Berliner AbgeordneteBendaDr. Gradl HübnerDr. Krone LemmerFrau Dr. MaxseinMüller
FDPDr. AchenbachDr. Aschoff Dr. AtzenrothBurckardt BusseDr. DahlgrünDr. Danz Dr. Dehler DenekeFrau Dr. Diemer-Nicolaus DürrDr. EmdeFrau Dr. Flitz
Frau Funcke
Dr. Hamm Frau Dr. Kiep-Altenloh KreitmeyerLogemann Dr. Mälzig MarguliesDr. h. c. Menne MischnickFreiherr von MühlenMurrPeters
Dr. Rieger
SchultzSoetebier Spitzmüller Wächter WalterEnthaltenCDU/CSUDr. Arnold Dr. Gerlich KatzerMajonica MickMüller TobabenBerliner Abgeordnete Stingl
Ich lasse nunmehr über Nr. 2 in der Ausschußfassung abstimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Angenommen.Ich komme zu Nr. 3 und damit zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Umdruck 489.Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Meine Damen und Herren, es ist nicht festzustellen, wie abgestimmt wird, da fast die Hälfte der Mitglieder des Hauses steht. Ich darf also bitten, Platz zu nehmen, damit wir ordnungsgemäß abstimmen können. — Das gilt auch für den Herrn Abgeordneten Bausch und 'seine Gesprächspartner. Ich bitte, Platz zu nehmen. Wer dem Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Umdruck 489 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste ist die Mehrheit. Der Antrag ist angenommen.Ich lasse nunmehr abstimmen über Nr. 3 der Ausschußfassung mit der soeben beschlossenen Änderung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Angenommen.Ich rufe auf die Nummern 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Angenommen.Wer nunmehr dem gesamten Art. I zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Angenommen.Ich rufe auf die Artikel I a, II, III, IV, Einleitung und Überschrift. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Angenommen.Ich komme nunmehr zurdritten Beratungund eröffne die allgemeine Aussprache. — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die allgemeine Aussprache.Ich komme zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei wenigen Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.Ich komme nunmehr zu dem zweiten Antrag des Ausschusses, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Eingaben und Petitionen für erledigt zu erklären. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Mit Mehrheit beschlossen. Meine Damen und Herren, damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.Wir kommen zu Punkt 13 der Tagesordnung:Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Unertl, Dr. Kempfler, Dr. Huys, Wieninger und Fraktion der CDU/CSU ein-
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964 6585
Vizepräsident Dr. Jaegergebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Maß- und Gewichtsgesetzes ;Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsausschusses (Drucksachen IV/2234, zu IV/2234).
Ich danke dem Herrn Berichterstatter, dem Abgeorneten Porzner, für seinen Schriftlichen Bericht. Ich erteile das Wort zur Geschäftsordnung dem Herrn Abgeordneten Rasner.
— Gut.Dann rufe ich in zweiter Beratung Art. 1 und den Antrag Umdruck 481 *) auf, Änderungsantrag der Abgeordneten Wieninger, Weinkamm, Weinzierl und Genossen. Wer wünscht das Wort? — Herr Abgeordneter Weinzierl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte den Änderungsantrag der CDU/CSU, d. h. der Abgeordneten Wieninger und Genossen, kurz begründen.
Lassen Sie mich zum Bericht des Abgeordneten Porzner sagen, daß im Wirtschaftsausschuß eine Mehrheit grundsätzlich dafür war und daß man — bei der Mehrheit — nicht der Auffassung war, daß man noch warten sollte, bis das Eichgesetz kommt. Ich bin der Auffassung, daß man so schnell wie möglich handeln sollte, um Ordnung zu schaffen bzw. um zu verhindern, daß Unordnung aufkommt. Die Mehrheit im Wirtschaftsausschuß und auch meiner Freunde ist der Auffassung, daß man im Interesse der Verbraucher rasch handeln sollte, daß man dafür sorgen sollte, daß die Interessen der Verbraucher gewahrt bleiben, und zwar dadurch, daß diese vor einem Irrtum oder vor einer Selbsttäuschung bewahrt werden. Wenn wir diesen Gesetzentwurf rasch erledigen, leisten wir damit auch eine positive Arbeit im Rahmen der anlaufenden Warentestbestrebungen.
Zu dem Änderungsantrag Umdruck 481 möchte ich bemerken, daß die gleichen Voraussetzungen, wie sie für Bierflaschen aufgestellt worden sind, auch für Limonaden und diesen ähnliche Getränke — abgefüllte Getränke — gelten sollen, d. h. daß solche Flaschen — wie die Bierflaschen — nicht in differenzierten Größen auf den Markt kommen sollen, so daß auch bei diesen sämtlichen Getränken eine Täuschung der Verbraucher verhindert wird.
Ich möchte deshalb das Hohe Haus bitten, dem Änderungsantrag 481 zuzustimmen.
Der Antrag ist begründet. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache.
*) Siehe Anlage 10
Wer dem Änderungantrag der Abgeordneten Wieninger, Weinkamm, Weinzierl, Dr. Siemer und Genossen auf Umdruck 481 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Wer dem Art. 1 mit der beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Angenommen.
Ich rufe Art. 2, — 3, — Einleitung und Überschrift auf. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.
Damit kommen wir zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Porzner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Weinzierl hat hier von Verbraucherinteressen gesprochen. Bei diesem Antrag geht es jedoch nicht in erster Linie darum, Verbraucherinteressen zu schützen. Die Interessen der Brauereien liegen sicher nicht in dieser Richtung.
Mit diesem Gesetzesantrag soll der Import ausländischen Bieres erschwert werden. Dazu ist zu sagen, daß das Bier ausländischer Brauereien nur einen Anteil von weniger als 1/2% vom Ausstoß der deutschen Brauereien ausmacht. Und diesen minimalen Anteil möchte man am liebsten noch vom deutschen Markt verschwinden sehen. Aus diesem Grunde lehnt meine Fraktion den Änderungsantrag ab.
Wir sind in der Generalaussprache zur dritten Beratung. Wünscht noch jemand das Wort? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Das Gesetz ist verabschiedet.Meine Damen und Herren, ich komme zum Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 505:*)
— Ich bitte doch um etwas Ruhe, meine Damen und Herren, trotz der Wichtigkeit der Sache! Es geht schneller, wenn wir es in Ruhe machen.*) Siehe Anlage 11
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6586 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964
Vizepräsident Dr. JaegerWird der Entschließungantrag der FDP begründet? — Das ist nicht der Fall. Aussprache wird auch nicht gewünscht? —Ich lasse abstimmen. Wer dem Entschließungsantrag der FDP auf Umdruck 505 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen!Meine Damen und Herren, ich muß zurückkommen zu den Punkten 30 und 31 der Tagesordnung. Dort ist versehentlich über einen Entschließungsantrag nicht abgestimmt worden, weil er auf dem Abstimmungsplan nicht vermerkt war. Es handelt sich um den Umdruck 508 *), den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion der FDP zur Neunundsechzigsten Verordnung und zur Zweiundsiebzigsten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1963. Wird der Antrag begründet? — Wird Aussprache gewünscht?— Das ist nicht der Fall.Ich lasse abstimmen. Wer dem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Angenommen.Wir fahren in der Tagesordnung fort. Es ist interfraktionell festgelegt worden, daß die Punkte 15 und 17 erst morgen behandelt werden sollen.Ich rufe damit Punkt 18 der Tagesordnung auf:a) Erste Beratung des von dem Abgeordneten Dr. Mommer und Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Wahl der deutschen Mitglieder in das Europäische Parlament
b) Beratung des Antrags der Fraktion der FDP betr. parlamentarische Kontrolle der europäischen Organe
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Strobel, Birkelbach, Arendt , Bergmann, Frau Dr. Elsner, Faller, Kulawig, Dr. Kreyssig, Kriedemann, Metzger, Rohde, Seifriz, Wischnewski und Fraktion der SPD betr. Demokratisierung der europäischen Gemeinschaften (Drucksache IV/2211)d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Strobel, Birkelbach, Arendt , Bergmann, Frau Dr. Elsner, Faller, ,Kulawig, Dr. Kreyssig, Kriedemann, Metzger, Rhode, Seifriz, Wischnewski und Fraktion der SPD betr. Haushaltskontrolle der europäischen Organe (Drucksache IV/2212).Zuerst frage ich, wer den Antrag der SPD zu Punkt 18 a) begründet. — Herr Abgeordneter Dr. Mommer!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als wir vor sieben Jahren hier die Römischen Verträge ratifizierten, wußten wir, daß die parlamentarische Institution der zu schaffen-*) Siehe Anlage 12den Gemeinschaften unterentwickelt sein würde und daß auf dem Weg von den nationalen Parlamenten zu den europäischen Institutionen parlamentarische Rechte verlorengehen würden. Wir haben trotzdem den Verträgen zugestimmt. Aber der Fehler, der also ein Geburtsfehler ist, ist inzwischen nicht behoben worden, er ist schlimmer geworden; denn die europäischen Institutionen haben sich entwickelt und haben immer mehr Macht erlangt. Von dort aus wird immer mehr unsere Wirtschaftspolitik — und nicht nur diese — entschieden, ohne daß eine angemessene parlamentarische Kontrolle vorhanden wäre.Nun fehlen die Bekenntnisse nicht, daß diesem Übelstand gesteuert werden müsse. Man scheint sich bis auf ein Land, in dem die Regierung anderer Meinung ist und dies nicht verbirgt, darüber einig zu sein, daß die Rechte des Parlaments vermehrt und gestärkt werden müssen und daß dieses Parlament schließlich auch die demokratische Weihe in einer direkten Wahl durch das Volk bekommen muß.Aber es hat sich gezeigt, daß durch eine Veränderung, die in unserem Nachbarlande Frankreich vor sich gegangen ist, der direkte Weg zur Vermehrung der Rechte des Europäischen Parlaments und zu seiner direkten Wahl nicht gangbar ist. Der gerade Weg ist jetzt und auf absehbare Zeit blockiert.Wann immer einmal so etwas in der Politik passiert — das passiert uns ja auch in der Politik der Wiedervereinigung —, steht man vor der Frage, ob man nun daraus, daß man nicht alles, jedenfalls nicht das bekommen kann, was man möchte, schließen sollte, daß man also nichts zu tun braucht, nichts tun kann, oder ob man sich umschauen muß, ob es nicht doch möglich ist, Schritte in Richtung auf das erstrebte Ziel zu tun und vielleicht Umwege zu gehen, die eben doch, wenn auch beschwerlicher, länger, zum Ziele führen. Wir Sozialdemokraten haben darüber nachgedacht und legen Ihnen Anträge vor, mit denen wir versuchen, trotz der Blockierung auf dem geraden Wege Schritte zu tun und über Umwege dem Ziel näherzukommen. Wir haben einige Anträge eingebracht, die die Rechte des Europäischen Parlaments betreffen und zu denen Frau Strobel gleich noch sprechen wird, und den Antrag auf Verabschiedung eines Gesetzes über die Wahl der Mitglieder in das Europäische Parlament, zu dem ich einige kurze Ausführungen machen werde. Unsere Vorschläge zeichnen sich dadurch aus, daß sie realisierbar sind, auch wenn ein Land in Europa nicht mitzieht.Der Vorschlag, zu dem ich spreche — die direkte Wahl der 36 Mitglieder, die wir nach der gegenwärtigen Vertragslage ins Europäische Parlament schicken —, ist bei uns und durch uns allein realisierbar, und wir brauchen keine Unterstützung durch irgend jemand anders in der EWG.Die direkte Wahl war in den Römischen Verträgen vorgesehen. Dort wurde in Art. 138 auch ein Auftrag erteilt. Das Europäische Parlament sollte ein Verfahren ausarbeiten, das vom Ministerrat beschlossen und auf Grund dessen dann in den sechs Staaten die direkte Wahl durchgeführt werden sollte. Das Euro-
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964 6587
Dr. Mommerpäische Parlament hat sich des Auftrages pflicht-und fristgemäß entledigt und schon 1960 dem Ministerrat eine Vorlage zugeleitet. Aber der Ministerrat ist säumig, und ich glaube, er ist nicht nur säumig, sondern er verstößt da hartnäckig gegen den Vertrag. Wir wissen, woran es liegt und daß es nicht alle Mitglieder sind, die dafür verantwortlich zu machen sind. Es ist e i n Land, das das Veto einlegt, obschon ich nicht sehr überzeugt bin, daß sich die anderen nun wirklich den Kopf zerbrächen, wie man mit dem Hindernis fertig werden könnte. Ich habe nicht den Eindruck, wenn ,ich die Tätigkeit des Ministerrates beobachte, daß man da nun furchtbar unglücklich über die Blockierung wäre und daß man da alle Hebel in Bewegung setzte, um doch der Sache näherzukommen.Nun, wir können feststellen, daß es so ist. Wir können in absehbarer Zeit den vom Vertrag selbst geforderten Gesetzentwurf über die direkte Wahl nicht erwarten. Deswegen schlagen wir vor, daß wir den Ausweg beschreiten, der durch die Fassung des Art. 138 selbst möglich gemacht wird. In Art. 138 heißt es:Die Versammlung besteht aus Abgeordneten, die nach einem von jedem Mitgliedstaat bestimmten Verfahren von den Parlamenten aus ihrer Mitte ernannt werden.„Von jedem Mitgliedstaat bestimmtem Verfahren", „aus ihrer Mitte" ! Das sind die entscheidenden Punkte. In dem Verfahren sind wir frei. Wir sind nicht frei in der Abtrennug der Mitgliedschaft im nationalen Parlament einerseits und im Europäischen Parlament andererseits.Das ist die Grundidee der Vorlage, die wir machen: Wir setzen unser Verfahren so fest, daß zusammen mit der nächsten Bundestagswahl auf einer besonderen Liste mit einem besonderen Stimmzettel die Abgeordneten gewählt werden, die dann die Bundesrepublik. im Europäischen Parlament vertreten sollen. Die Koppelung mit der Mitgliedschaft im Bundestag wird dadurch gewahrt, daß nur derjenige kandidieren kann, der auch für den Bundestag kandidiert, und daß nur derjenige nachher entsandt wird, der auch in den Bundestag gewählt worden ist. Es besteht also eine doppelte Bedingung. Man muß nach dem Proporz an der Reihe sein, man muß gewählt sein für die Mitgliedschaft im Europäischen Parlament, und man muß Mitglied des Bundestags geworden sein. Bei diesem Verfahren wird der Vertrag strikt beachtet; denn der Bundestag nimmt sich vor, nur die Mitglieder zu entsenden, auf die genügend Stimmen bei dem Wahlverfahren, das mit der Bundestagswahl parallel läuft, entfallen sind.Das ist ein wichtiger Punkt. Wir können nichts tun gegen den Vertrag; wir könnten sonst später beim Europäischen Gerichtshof scheitern. Wir sind aber überzeugt, daß hier juristische Einwände nicht gemacht werden können.Eine Überlegung, von der wir ausgegangen sind, ist die, daß ein solches Beispiel zieht. Wir sollten uns nicht nur immer ausweinen darüber, daß Europa nun so wenig demokratisiert ist. Wenn wir vielmehr auch das Bescheidene tun, was in unsererMacht steht, wird das ein Beispiel für die anderen werden. Wir meinen auch, daß unsere Abgeordneten, wenn sie die ersten sein werden, die so die Weihe der direkten Wahl durch das Volk bekommen haben im Unterschied zu den anderen, die diese Weihe vorläufig noch nicht haben werden, den Kopf etwas höher tragen werden und daß auch das dazu führen wird, daß die anderen dem Beispiel folgen werden. Wir haben Grund zu der Annahme — nach den Kontakten, die wir haben —, daß andere Mitgliedstaaten der EWG unserem Beispiel folgen werden, und es ist zu vermuten, daß schließlich ein Mitgliedsland allein bleiben wird, in dem man drinnen und draußen — wenn ich jetzt Europa einmal als „draußen" bezeichnen darf — von Parlamentarismus nicht viel hält. Wir haben Grund zu der Annahme, daß sich dieser Mitgliedstaat und seine Abgeordneten einsam fühlen werden, daß sie also einem Druck, einem politischen Druck ausgesetzt sein werden. Wenn dieser Druck wirksam wird, dann kommt die Stunde, die es möglich machen soll, von diesem Umweg, Ausweg, Notbehelf wieder abzugehen und zu dem Verfahren zu kommen, das wir eigentlich wollen, nämlich zu dem Verfahren, das im Vertrag vorgezeichnet ist.Aber selbst wenn diese Rechnung nicht aufgehen sollte, da jede Voraussicht in die Zukunft natürlich spekulativer Natur sein muß, selbst wenn das nicht in Erfüllung geht, glauben wir, daß es sich trotzdem lohnt, das zu tun, was wir vorschlagen. Ich glaube nicht, daß es eine andere Möglichkeit geben kann als diese, die so sehr Gelegenheit böte, über Europa mit dem Volk zu sprechen, es vertraut zu machen mit den Problemen Europas, den Willen für die europäische Einigung hervorzulocken und zu stärken. Wir glauben, daß, wenn wir bei der nationalen Wahl gleichzeitig auch eine europäische Wahlkampagne führen müssen, jeder von uns, der dann Reden hält, eben nicht nur wird sprechen können von unseren Problemen hier in Bonn; er wird auch davon sprechen müssen, daß noch ein weiterer Stimmzettel dabei ist und daß mit diesem Stimmzettel der Wähler ein gewisses Mitbestimmungsrecht an diesem Europa gewinnt, das für sein eigenes Schicksal immer bedeutsamer wird.Die europäische Idee muß durch ein solches Verfahren Auftrieb bekommen wie durch nichts anderes, das sonst möglich wäre. Wir können Europa an die Menschen heranbringen, und wir können unsere Menschen an Europa heranbringen. Außerdem, niemand kann bei dem Verfahren etwas verlieren, das wir vorschlagen. Aber wir glauben, es gibt Beachtliches zu gewinnen.Der Vorschlag zeichnet sich auch dadurch aus, daß er praktikabel und angemessen ist. Es wäre wirklich problematisch, wenn man eine besondere Wahl mit Ingangsetzung der großen Wahlmaschinerie vorschlagen wollte für die Wahl der 36 Abgeordneten. Hier geht das so mit; das läuft nebenher, neben der sowieso notwendigen Wahl zum Deutschen Bundestag.Die Technik des Entwurfs ist einfach. Sie ist die Technik des Bundeswahlgesetzes. Zwangsläufig ergibt es sich aus der kleinen Zahl der deutschen Mit-
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6588 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964
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Dr. Mommerglieder — 36, davon zwei für Berlin —, daß wir wohl ein einziges Wahlgebiet unterstellen müssen, also eine Bundesliste einführen müssen.Theoretisch wäre es auch anders möglich mit der Landeswahlliste. Aber da kämen wir auf sehr kleine Zahlen, auf im Schnitt drei Mitglieder, die aus den Ländern zu entsenden wären. Die Bundesliste, von der Herr Kollege Dr. Adenauer früher gesprochen hat, ist etwas ganz anderes. Hier muß man zwangsläufig, wegen der kleineren Zahl, mit einer Bundesliste operieren.Der Entwurf bestimmt dann im § 13, daß eben der gewählt ist und entsandt wird, auf den genügend Stimmen entfallen sind und der gleichzeitig in den Bundestag gewählt worden ist. Um völlig klarzustellen, daß das hier ein Hilfsmittel ist, das nur so lange gelten soll, bis das eigentliche Mittel anwendbar wird, lautet der letzte Satz des Gesetzentwurfes: „Dieses Gesetz tritt außer Kraft am Tage des Inkrafttretens einer gemäß den Bestimmungen der Römischen Verträge zu schaffenden Wahlordnung." Es ist ganz klar, daß die europäische Wahlordnung vorgeht, und wenn wir sie bekommen — wir hoffen, sie gerade 'hierdurch zu erreichen —, dann würde dieses Gesetz außer Kraft treten.Noch ein Wort! Ich hatte die Freude, daß das älteste Mitglied dieses Hauses, Herr Dr. Adenauer, viele Sympathien für diesen Vorschlag entwickelte, und ich hoffe, daß er auch jetzt noch Sympathien für ihn hat. Auch Herr Dufhues hat sich öffentlich zugunsten dieser Idee geäußert. Schließen kann ich mit einem kernigen Wort von Herrn Dr. Barzel aus der Debatte von heute morgen. Er sagte: „Der Motor der europäischen Integration muß auf volle Touren gebracht werden."
— Ich habe wörtlich zitiert. Herr Dr. Barzel, ich hoffe, daß Sie uns helfen, diesen Motor tüchtig auf Touren zu 'bringen.
Das Wort zur Begründung des Antrags der Fraktion der FDP — Punkt 18 b der Tagesordnung — hat der Abgeordnete Margulies.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den Antrag der Freien Demokratischen Partei betr. parlamentarische Kontrolle der europäischen Organe hat eigentlich soeben schon Herr Kollege Mommer begründet. Er hat daran erinnert, daß das Problem nicht neu ist, daß es uns seinerzeit bei der Verabschiedung der Verträge beschäftigt hat.Aber nun ist es Vertragsrecht geworden, was wir damals beanstandet hatten, nämlich der Mangel an parlamentarischer Kontrolle über die europäischen Gemeinschaften. Wir können jetzt nur Neben- und Hilfswege suchen, die eine Verstärkung der parlamentarischen Kontrolle zum Ziele haben. Wir habendas ja auch schon sehr häufig getan, sowohl hier im Hause als auch im Europäischen Parlament, und der von mir zu begründende Antrag hat schon eine gewisse Patina angesetzt, bis er hier zur Debatte kommen konnte. Es ist also keineswegs eine neue Idee, im Gegenteil, ich habe sogar das unangenehme Gefühl, ein wenig bei Herrn Kollegen Furler abgeschrieben zu haben; aber ich hoffe, er wird mir das verzeihen.Warum ist denn eigentlich unser Drang nach parlamentarischer Kontrolle der europäischen Gemeinschaften so viel lebhafter geworden? Nun, einfach weil wir erkennen müssen, daß sich die Dinge von uns fortentwickeln, daß immer weniger Kontrollmöglichkeiten bleiben, nicht nur deswegen, weil im Zuge der Verwirklichung der Rom-Verträge die Entscheidungsbefugnis allmählich von den nationalen Parlamenten hübsch zum Ministerrat abwandert, wo wir nur einen sehr spärlichen Einfluß haben, sondern auch, weil sich in der ganzen Entwicklung der Anwendung der Verträge gezeigt hat, daß selbst die spärlichen Rechte des Europäischen Parlaments noch durch die angewandte Praxis beeinträchtigt werden. Es wäre z. B. durchaus möglich, den Parlamentshaushalt einfach unbeanstandet anzunehmen; der sollte gar nicht Gegenstand der Debatte von irgendwelchen Finanzexperten sein. Es wäre eine Geste der Höflichkeit, diesen Parlamentshaushalt so zu akzeptieren, wie er vom Parlament vorgelegt wird. Aber das ist keineswegs der Fall. Vielmehr wird da in jeder einzelnen Position herumgeschraubt und herumgefisselt. Alle Bemühungen von uns, Sparsamkeit im Hause zu erzielen, werden natürlich durch eine solche Praxis illusorisch gemacht.Ich habe das nur als Beispiel erwähnt; es gibt schlimmere Dinge. Wir haben erlebt, daß das Europäische Parlament vom Rat zu einem Vorschlag der Kommission konsultiert worden ist. Das Parlament hat seine Stellungnahme abgegeben. In der Zwischenzeit haben Verhandlungen stattgefunden zwischen Kommission und Ständigem Vertreter im Ministerrat. Der Vorschlag war völlig verändert und wurde dann ohne nochmalige Konsultation des Europäischen Parlaments vom Rat verabschiedet, so daß die Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu diesem Vorschlag völlig ins Leere ging.Das sind also die Dinge, die uns bewegen. Inzwischen hat sich noch etwas anderes herausgestellt. Wie Sie wissen, sind beim Bundesverfassungsgericht ernsthafte Bedenken angemeldet worden, ab das Ratifikationsgesetz überhaupt mit unserem Grundgesetz vereinbar ist. Ich wage natürlich nicht zu entscheiden, ob die dort vorgetragenen Bedenken stichhaltig sind. Soweit ich informiert bin, handelt es sich aber darum, daß nach unserem Grundgesetz die Gewaltenteilung unabdingbar ist. Sie kann auch nicht durch eine Einstimmigkeit dieses Hauses geändert werden.Diese Dreiteilung der Gewalten ist natürlich in den Verträgen aufgegeben, und so ist jetzt die Rechtsfrage entstanden, ob denn die Praxis der Ministerräte überhaupt legal ist, ob es so gehandhabt werden kann, daß ein Exekutivorgan die Legislative übernimmt. Ich sage nochmals, ich bin kein Jurist,
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Marguliesich wage das nicht zu entscheiden oder auch nur zu bewerten. Aber ich bin der Meinung, daß wir einer Entscheidung darüber insofern vorbeugen könnten, als wir die Rechte des Europäischen Parlaments entsprechend verstärken. Dann würde ja wohl der Drang, eine Verfassungsbeschwerde durchzupauken, etwas gemildert werden.Wir haben zu diesem Zweck also vorgeschlagen — ein recht bescheidener Vorschlag —, daß jeweils dann, wenn das Europäische Parlament auf Konsultation hin Änderungsvorschläge zu dem Vorschlag der Kommission gemacht hat, diese Änderungsvorschläge vom Rat nur einstimmig verworfen werden können und daß dem Parlament die Entscheidung mit Begründung unverzüglich mitzuteilen ist. Das ärgert uns ja besonders, daß wir die Entscheidungen des Rates überhaupt nicht erfahren, daß uns auch keine Begründung gegeben wird, warum sich der Rat über die Änderungsvorschläge des Parlaments hinwegsetzt.Das alles liegt also im Vertragsrecht, kann durch einfache Änderung der Praxis ohne Vertragsänderung durchgeführt werden. Zum Teil handelt es sich rein um die Forderung nach einer normalen Höflichkeit, wie sie im Verkehr zwischen Institutionen üblich ist. Denn wenn man einen Antrag gestellt hat, bekommt man ja allgemein gesagt, ob ihm zugestimmt wird oder ob ,er abgelehnt wird und warum. Das hat aber den Rat bisher noch nicht bewegt; er denkt nicht daran, dem Europäischen Parlament diese Mitteilungen zukommen zu lassen. Deshalb bitten wir die Bundesregierung, in dem Rat der EWG und in dem Rat von Euratom diese Forderung durchzusetzen.Nun ist uns ja nicht unbekannt geblieben, daß es nicht ganz leicht sein dürfte, diese Forderung durchzusetzen. Sie geht immerhin weiter, als wir sie kürzlich im Europäischen Parlament hinsichtlich des Haushalts gestellt haben. Dort haben wir eine Menge von Klauseln hinzugefügt, um zu beweisen, wie brav wir sind, nämlich daß wir ihn nur mit qualifizierter Mehrheit und in namentlicher Abstimmung verabschieden und solche Dinge mehr, und erst dann, wenn wir so brav gewesen sind, wird der Ministerrat gezwungen, auf die Sache etwas mehr Aufmerksamkeit zu verwenden. Solche Bedingungen möchten wir hier nicht stellen. Wir sind der Meinung: wenn ein Parlament mit ausreichender Mehrheit etwas beschließt, dann ist das ein Beschluß des Parlaments, mit dem sich der Rat auseinanderzusetzen hat.Wir sind, wie gesagt, darüber informiert, daß es nicht ganz einfach sein dürfte, diese Sache durchzusetzen. Deshalb haben wir sie mit einem Treibsatz versehen. Wir sind der Meinung, die parlamentarische Kontrolle muß unter allen Umständen stattfinden, sie steht vor allem anderen, sie ist uns das Wichtigste. Bekommen wir sie im Europäischen Parlament, dann sind wir zufrieden, dann ist für uns der Fall erledigt. Aber auch für den Fall, daß wir sie nicht bekommen und bis wir sie bekommen, sind wir der Meinung, daß die parlamentarische Kontrolle auf jeden Fall stattfinden muß und daß sie, wenn sie nicht im Europäischen Parlament erfolgen kann, dann hier bei uns erfolgen muß. Deshalb haben wir einen zweiten Absatz hinzugefügt, in dem wir die Bundesregierung bitten, bis zum 30. Juni — das ist ja noch Zeit genug, das sind immerhin noch vier Tage — einen Vorschlag vorzulegen, der vorsieht, daß die Bundesregierung ihre Zustimmung zu einer Entscheidung in den Räten nicht gibt, bevor sie einen Beschluß des Deutschen Bundestages über den anstehenden Gegenstand herbeigeführt hat.Das sieht so aus, als ob wir verzögern oder blockieren wollten. Das ist nicht der Fall. Primär geht es uns um den ersten Absatz, um die Herbeiführung der parlamentarischen Kontrolle durch das Europäische Parlament. Aber wir sind der Meinung, daß die Regierungen diesen Vorschlag sehr viel wohlwollender prüfen werden, wenn wir im zweiten Absatz die Kontrolle an das nationale Parlament zurücknehmen. Daraus brauchen keine wesentlichen Verzögerungen zu entstehen.Es kann natürlich nicht Sache dieses Hauses sein, jedesmal eine große Debatte zu führen, etwa darüber, wieviel Körner Getreide ein europäisches Huhn fressen darf, wenn es die europäische Durchschnittszahl an Eiern legen soll. So ist der Antrag nicht gemeint. Wir haben ja so eine Art europäischen Ältestenrat, der die ganzen Vorlagen berät. Der kann die Unterscheidung treffen, ob eine solche Sache wert ist, in die Plenardebatte zu gehen, oder ob sie wie bisher bei den Bagatellfragen in den einzelnen Ausschüssen beraten und hier im Plenum nur zur Kenntnis genommen wird. Wir stellen uns also vor, daß große, entscheidende Fragen durch einen Beschluß des Bundestages, der eine Empfehlung an die Regierung darstellt — noch keine Bindung —, geregelt werden, so daß die parlamentarische Kontrolle in jedem Falle sichergestellt ist.Wir haben ein praktisches Beispiel. Ich darf daran erinnern, daß noch vor kurzer Zeit ziemlich unwidersprochen die Mär umlief, die deutschen Beamten in Brüssel seien schlechter, sie verständen es nicht so, zu verhandeln, die Franzosen seien viel gescheiter, viel besser informiert usw. Inzwischen hat sich herausgestellt, daß das alles gar nicht wahr ist, daß die deutschen Beamten in dem Moment, wo sie einen festen Auftrag bekommen, ganz genauso gut zu kämpfen verstehen wie die anderen auch, daß sie mit allen Mitteln, mit allen Tricks, mit der Zeit, mit der Tagesordnung, mit allem, was wir vor den anderen kennen, arbeiten, um den Auftrag des Bundestages zu erfüllen.
— Das ist ihre Pflicht; das verlangen wir von ihnen. — Ich will damit nur sagen: Es kommt nur darauf an, daß wir ihnen eine feste Marschroute mit auf den Weg geben. Es hat mich sehr gefreut, daß dieses Märchen, die anderen Beamten seien besser als unsere, widerlegt worden ist.Das ist also das Anliegen der Freien Demokraten. Uns geht es darum, die parlamentarische Kontrolle in jedem Falle zu sichern, wenn irgend möglich, dann im Europäischen Parlament; solange das nicht möglich ist, durch die entsprechenden Entscheidun-
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Marguliesgen des Bundestages. Dem bitte ich Sic, meine Kollegen, zuzustimmen.
Wer begründet die Anträge c) und d)? — Frau Abgeordnete Strobel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir freuen uns über jeden Antrag, der das Gespräch über die Demokratisierung der europäischen Gemeinschaften auch auf nationaler Ebene in Bewegung bringt.Mit dem ersten Teil des Antrags, den Herr Margulies eben begründet hat, stimmen wir weitgehend überein. Das ergibt sich auch aus dem von uns vorgelegten Antrag.Bei dem zweiten Teil bin ich skeptisch, Herr Margulies. Sie haben ihn zwar jetzt durch Ihre Begründung etwas entkräftet, mindestens in der Richtung, daß er nicht blockieren soll. Er ist schon ein bißchen anders formuliert als der ursprüngliche Beschluß des FDP-Parteitags. Darin kam nämlich die nationale Blockierung noch stärker zum Ausdruck. Ich freue mich, wenn Sie das nicht wollen. Der Beschluß des Deutschen Bundestages, auf den Sie hingewiesen haben, würde dann nicht das einzige Beispiel bleiben. Das ist möglich. Sie haben aber selbst bereits gesagt, daß die Regierung hundertprozentig doch nicht gebunden werden kann. Ich würde also meinen — man wird sich ja im Auswärtigen Ausschuß, so hoffe ich, sehr gründlich über diese Anträge unterhalten —, daß man diesen Weg nicht gehen sollte, wenn man nicht in den Verdacht geraten will, weil es in den europäischen Gemeinschaften mit der Demokratisierung bisher nicht klappt, zurück zu nationalen Entscheidungen gehen zu wollen. Denn in dem Moment, in dem alle Parlamente ihre Regierungen mit gebundenen Händen in den Ministerrat schicken würden, gäbe es natürlich keine Chance mehr, sich dort zu einigen, wenn man nicht zufällig von vornherein überall der gleichen Meinung wäre. Das dazu! Uns hätte es also sehr interessiert — ich weiß nicht, ob ich das überhört habe —, die Meinung der FDP zu unserem Vorschlag der direkten Wahl der deutschen Abgeordneten bei der nächsten Bundestagswahl zu erfahren. Das möchte ich noch anmerken. Vielleicht erfahren wir das aber dann auch im Auswärtigen Ausschuß.
Es ist ,auch so, daß allzu leicht unpopuläre Maßnahmen oder unpopuläre Entscheidungen auf die für den Bürger unerreichbaren Kommissionen in Brüssel abgeladen 'werden. Wenn z. B. irgendwelche Preise erhöht wurden, war es doch sehr bequem, zu sagen: „Daran sind die Marktordnungen schuld, die in Brüssel beschlossen worden sind", und der deutsche Staatsbürger konnte nicht ohne weiteres sehen, daß solche Marktordnungen ahne ,die Zustimmung der Bundesregierung im Ministerrat (gar nicht beschlossen wenden können, weil dazu ja noch Einstimmigkeit notwendig ist.
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(Abg. Dr. Mommer: Aber wenn in den sechsLändern gewählt würde!)— Richtig. Aber ich wollte sagen: der Grundgedanke ist, daß man die europäische Idee an einem Tag in den Vordergrund stellt. Auch wenn wir bei uns wählen, wäre es doch wahrscheinlich nicht unklug, das zu trennen, wenn man schon eine deutliche Wirkung auf die europäische Entwicklung will.
Herr Abgeordneter Metzger will eine Frage an Sie stellen.
Herr Dr. Furler, sind wir uns nicht einig in der Meinung, daß alles das ausgeführt worden ist unter der Voraussetzung, daß der Ministerrat seine Pflicht erfüllt, und zwar seine Rechtspflicht, die in Art. 3 festgelegt ist?
Ja, selbstverständlich. Ich habe ja dargelegt, daß wir darum kämpfen. Auch die deutsche Regierung hat von jeher erklärt, daß sie bereit sei, dieses Wahlgesetz zu akzeptieren; aber sie setzt sich nicht durch. Natürlich ist das alles für die unmittelbaren europäischen Wahlen gedacht. Und, Herr Dr. Mommer, wir haben gesagt: wir sind bereit, mitzumachen und im Ausschuß zu prüfen, ob wir damit weiterkommen, ob wir etwas Positives für Europa erreichen.Es könnte ja auch sein — man muß das erwägen —, daß so eine teilweise Wahl, diese etwas indirekte direkte Wahl, die Sie vorschlagen, einen guten Gedanken verbraucht, weil er sich nicht so durchsetzt, wie man glaubt. Wir wollen mit europäischen Wahlen die Integration vorwärtstreiben. Wir wollen die Stellung des Europäischen Parlaments stärken. Dann muß man genau prüfen, ob das auch eintritt, ob man nicht vielleicht etwas tut, was sehr gut gemeint ist, aber gar nicht zu den Wirkungen führt, die man dabei erwartet.Auch die unmittelbare Mitwirkung des Volkes bei dem europäischen Geschehen durch die europäischen Wahlen wird durch eine solche Art der Wahl nur in sehr schwacher Weise erreicht, wenn über eine Bundesliste eine Art allgemeine Vorbereitung der Ernennung durch den Bundestag stattfindet. Aber, wie gesagt, wir werden das im Ausschuß prüfen. Ich wollte nur sagen, daß große Risiken darin stecken. Es ist nicht so, daß das unbedingt zu einem Erfolg führen würde. Es könnte sogar sein, daß dadurch, wenn wir nicht mindestens bei zwei, drei großen Staaten eine direkte Wahl erreichen, die anderen nicht überzeugt würden. Ich weiß auch nicht, ob sich die Regierungen, die heute noch gegen die unmittelbaren Wahlen sind, dadurch veranlaßt fühlen, sie einzuführen, wenn wir dieses hier tun.Nun zu den anderen Anträgen! Auch da sind wir völlig einig, daß die Stellung des Europäischen Parlaments verstärkt werden muß. Frau Strobel, Sie haben das schon erwähnt. Wir haben die ganzen Fragen sehr eingehend im Europäischen Parlament diskutiert. Ich billige weitgehend die von Ihnen vorgebrachte Kritik an der gegenwärtigen parlamentarisch-demokratischen Situation in den europäischen Gemeinschaften. Zweifellos hat das Europäische Parlament nicht die Stellung, wie ein nationales Parlament, die ausreichende Stellung die ets bei den schwerwiegenden Entscheidungen haben müßte, die vor allem im Verordnungsrecht heute durch den Ministerrat getroffen werden. Aber das hängt damit zusammen, daß man damals bei der Schaffung der Verträge noch nicht den Mut hatte, so viel auf eine parlamentarische Instanz zu übertragen, wie es 1956/57 vielleicht noch möglich gewesen wäre. Aber darüber wollen wir nicht rechten. Man hat es versucht. Man glaubte, mit mehr am Anfang nicht durchzukommen.Aber wir betreiben, seit dieses Europäische Parlament existiert, die Politik, seine Position zu verstärken. Ich darf eines sagen. Ich halte es nicht für gut, wenn wir immer so tun, als ob das Europäische Parlament überhaupt keinen Einfluß und keine Stellung habe, und sagen, es bedürfe erst einer Vertragsänderung, um ihm eine Bedeutung zu geben. Ich glaube — Sie haben das auch angedeutet —, daß das Europäische Parlament seit Jahren alles im Rahmen dieser schwachen Konstitution Mögliche tut, um seine Position zu verstärken. Es hat ein ausgedehntes Kontrollrecht, leider nicht gegenüber dem Ministerrat, wohl aber gegenüber den Kommissionen. Es arbeitet außerordentlich intensiv. Sicher ist es nicht gut, daß der Ministerrat sagen kann: ich nehme die Konsultation vor, aber ich kümmere mich nicht
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Dr. Furlerdarum, was da gesagt wird. Die Erfahrung zeigt immerhin, daß eine intensive Arbeit im Parlament — und das Parlament hat das mit allen Fraktionen immer und immer wieder getan — doch einen Einfluß auf die Entscheidungen hat. Es ist nicht so, daß das Parlament ohne Einfluß wäre.Ich habe in meinem großen Bericht die tatsächliche Situation geschildert und habe auch Statistiken vorgelegt und Erwägungen darüber angestellt, wann der Ministerrat berücksichtigt hat, was das Parlament gewollt hat, und wann er es nicht berücksichtigt hat. Das ist natürlich nicht leicht festzustellen. Aber es hat sich gezeigt, daß in vielen ernsten Fällen, in denen das Parlament eine gute Arbeit geleistet hatte, der Ministerrat gar nicht darum herumkam, im Ergebnis diese Arbeit zu berücksichtigen und zu versuchen, Einfluß zu nehmen. Natürlich ist das keine befriedigende Stellung für das Parlament. Immerhin haben wir die Möglichkeit, mit zu beraten. Deswegen sage ich: ich unterstütze alles, was getan werden kann, um weiterzukommen, und ich unterstütze auch Ihre Anträge. Aber man soll nicht so tun, als hätten wir überhaupt noch keinen Einfluß. Sie behaupten das zwar nicht. Ich spreche darüber wegen der allgemeinen Erwägungen, die immer wieder angestellt werden. Wir sind eingeschaltet und haben, soweit wir im Rahmen der Verträge können, schon die Position des Europäischen Parlaments verstärkt. Wir können feststellen, daß die Kommissionen in weitem Umfange unsere Bestrebungen decken. Herr Hallstein hat auf unsere Entschließung hin eine sehr positive Erklärung abgegeben. Die Zusammenarbeit zwischen Kommission und Parlament ist sehr gut. Daß wir nicht im direkten Gespräch mit dem Ministerrat sind, ist bedauerlich. Aber wir versuchen auch da weiterzukommen. Sie wissen, daß wir unmittelbare Diskussionen mit dem Ministerrat haben. Wir versuchen ständig, ihn an das Parlament heranzuziehen. Er diskutiert mit, ohne daß er sich allerdings einer Kontrolle unterwerfen würde. Es wäre natürlich gut, wenn wir das erreichen könnten. Dies ist aber nur mit einer Änderung der Verträge zu erreichen.Frau Strobel, Sie werden zugeben, daß all das, was in Ihren Anträgen vorgebracht wird und was der Regierung nahegelegt werden soll, von uns auch schon vertreten worden ist. Wir haben das in großen Resolutionen des Europäischen Parlaments sowohl dm letzten Sommer als auch vor wenigen Wochen niedergelegt. Ich habe dabei vor allem den Gedanken — und das war eigentlich mein persönlicher Gedanke —, zu verlangen, daß das Parlament in entscheidenden Fragen wiederholt gehört wird und daß der Ministerrat sich einer freiwilligen Bindung dahingehend unterwirft, daß er, wenn das Parlament einstimmig oder mit qualifizierter Mehrheit beschließt, auch nur einstimmig ablehnen darf, sonst aber annehmen muß. Das ist im Vertrag nicht vorgesehen. Das kann man nur mit einem Gentleman's Agreement machen. Sie nennen es freiwillige Selbstbeschränkung; ganz einverstanden. Wir werden unsere Regierung bitten, unsere Bemühungen zu unterstützen — wir haben das auch schon getan —, um zu einer stärkeren Position des Europäischen Parlaments zu kommen.Es gibt natürlich außer Ihren Anträgen noch eine ganze Reihe von Vorschlägen. Wir wollen sie nicht fallen lassen. Es ist gut, daß wenigstens einige zur Diskussion gestellt werden. Ich muß Ihnen sagen: Ich bin auch für einen Vermittlungsausschuß, allerdings müßte dann doch das Parlament in dein Vermittlungsausschuß eine gewisse Position haben; denn ein Parlament, das nicht endgültig nein sagen kann, hat natürlich in einem Vermittlungsausschuß eine fast hoffnungslose Position.Die Beratende Versammlung des Europarats hat einen solchen Vermittlungsausschuß. Er hat sich nicht durchgesetzt, und er kann das auch nicht, wenn das Parlament keine stärkere Position bekommt. Trotzdem würde ich den Versuch lohnend finden, einmal mit dem Ministerrat in einem Vermittlungsausschuß zu arbeiten. Ich glaube also, daß wir die Anträge, die Sie gestellt haben, in den Ausschußberatungen :sogar noch erweitern können auf Grund dessen, was wir im Europäischen Parlament ,an Vorschlägen auf Grund unserer Erfahrungen niedergelegt haben.Nun komme ich noch zu einem Punkt, den Sie sehr stark betont haben. Sie haben recht. Der Ministerrat hat in den europäischen Gemeinschaften die Entscheidung in der Hand, auch die Gesetzgebungsentscheidung. Es ist natürlich auf die Dauer eine unmögliche Situation, daß im europäischen Raum für 170 Millionen Menschen Rechtsvorschriften ergehen, die unmittelbar in den einzelnen Ländern wirken, ohne daß eine ausreichende 'Beteiligung einer parlamentarischen Instanz stattfindet. Deshalb ja auch unsere Forderung: im Europäischen Parlament, wenn wir schon nicht das Gesetzgebungsrecht bekommen, mindestens ein allgemeines Zustimmungsrecht zu erhalten und wenigstens nein sagen zu können. Damit wären wir stark in das Geschehen .der Gesetzgebung eingeschaltet. Wir wollen den Ministerrat irgendwie an uns binden. Wir unterstützen alle diese Pläne. Wir müssen hoffen, über die nationalen Interventionen, wie hier heute, und die europäischen Interventionen zu einem Ziel zu kommen; denn ich glaube nicht, daß wir in absehbarer Zeit eine Änderung der Verträge erreichen. Da sind wir wohl völlig einig.Was ich 'aber für bedenklich halte, ist der Antrag der FDP in seinem zweiten Absatz. Ich freue mich, daß Herr Margulies hier eine etwas abmildernde Erklärung gegeben hat. So wie es hier steht, heißt es zwar: das geschieht, um die Stellung des Europäischen Parlaments zu verstärken — in Wirklichkeit verstärkt es die Stellung des Parlaments nicht —. Aber wenn das durchgeführt würde, wie es hier formuliert ist, würde es eine außerordentliche Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Organe der Europäischen Gemeinschaften mit sich bringen. Der bisher erreichte Grad der Integration könnte dadurch in Gefahr geraten.Herr Margulies, dies ist ganz klar. Sie sagen, die deutsche Regierungsolle veranlaßt werden, einer Entscheidung in den Ministerräten nur dann zuzustimmen, wenn sie zuvor einen Beschluß des Deutschen Bundestages herbeigeführt habe. Das ist ganz eindeutig mit den Römischen Verträgen nicht ver-
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Dr. Furlereinbar. Die Integration ging ja dahin, daß man zwar nicht das Parlament ausreichend 'beauftragte, aber dem Ministerrat die Möglichkeit gab, europäische Beschlüsse zu fassen. Dies dürfen wir nicht vergessen.
— Nein, nicht ganz!
— Ich darf Ihnen eines sagen: Der Ministerrat ist trotz aller Bedenken Jauch ein europäisches Organ. Vergessen Sie nicht, daß über Beschlüsse des Ministerrates die europäische Integration in vielen Richtungen gefördert und vorwärtsgeführt worden ist. Denken Sie an die Beschleunigungsbeschlüsse, denken Sie an die Verkürzungen und an den Übergang zur zweiten Stufe ides Gemeinsamen Marktes, an alle diese Dinge, in denen der Ministerrat durchaus positive Entscheidungen gefällt hat.Es wäre nicht gut, wenn wir hier ein Beispiel gäben, zu redressieren, das heißt übertragene Befugnisse zurückzunehmen, mindestens mit einer Vorbindung zu belasten. Ich glaube nicht, daß das 2u einer Förderung der Demokratisierung im europäischen Raum führen würde. Ich befürchte, eine solche Entscheidung — ganz abgesehen davon, daß sie gar nicht ergehen kann, weil sie 'den Verträgen widerspricht — würde die bisherige, wenn auch noch bescheidene Integrationsentwicklung nur hemmen können; denn vergessen Sie nicht, was wir verlangen, würden dann auch andere nationale Parlamente für sich in Anspruch nehmen. Dann 'hätten Sie die Situation, daß die Dinge, die noch europäisch entschieden werden können, von dem franzäsischen Parlament, vom holländischen Parlament oder vom deutschen Bundestag vielleicht nicht 'gebilligt würden. Es ist doch eine Erfahrungstatsache, daß der Geist der europäischen Zusammenarbeit, der Wille, gemeinsame Entscheidungen über die Nationen hinaus zu treffen, sich in der letzten Zeit nicht gerade vorwärtsentwickelt hat, obwohl wir alles tun und darauf drängen, daß sich dieser Geist verstärkt.Ich möchte zusammenfassend für meine Fraktion sagen, daß wir alles unterstützen, was die europäische Integration weiterführt. Daran kann es bei unserer Haltung keine Zweifel geben; denn wir sind angetreten nach dem Grundsatz, dieses Europa durch Integration 'zusammenzufügen. Wir stehen zu den Römischen Verträgen. Wir stehen auch zum Geist der Verträge, der ganz klar verlangt, daß diese parlamentarisch-demokratische Entwicklung weitergeführt wird. Sie können sich darauf verlassen, daß wir das alles mitmachen, 'was diesem Ziele dient. Erlauben. Sie uns aber, daß wir darüber beraten, ob wir dabei nicht vielleicht Schritte tun könnten, die dem Ziel nicht näher kommen, daß wir vielleicht sogar gefährden, was wir erreichen wollen. Aber wir können uns darüber in den Ausschüssen nocheingehend und in aller Ruhe 'unterhalten.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dichgans.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Maximal fünf Minuten! Es ist erfreulich, daß wir hier den Ansatz einer Europadebatte haben. Es ist jedoch sehr 'bedauerlich und der Wichtigkeit des Anliegens nicht angemessen, daß wir 'so sehr unter Zeitdruck stehen.Aufgabe der ersten Lesung soll es sein, einige Anregungen für die Ausschußberatungen zu geben. Ich will auf die konkreten Vorschläge hier nicht eingehen; einige halte ich für gut, andere für problematisch. Wir müssen uns darüber klar sein, daß wir in der Europapolitik nicht Initiativen, sondern Fortschritte brauchen und daß eine 'bloße formale Aktion, die sachlich nichts ändert, unter Umständen eher gefährlich ist, weil sie die Illusion eines Fortschrittes erzeugt, der nicht erzielt ist.Meine Damen und Herren! Ich bin auch für eine formale Stärkung des Europaparlaments, möchte jedoch bitten, bei den Ausschußberatungen auch die Frage einer sachlichen Anreicherung 'der Arbeit dieses Parlaments zu prüfen.Das Gewicht des Europaparlaments vermehrt sich, wenn es gute sachliche Arbeit leistet. Hier sollte die Zusammenarbeit zwischen Bundestag und Europaparlament verstärkt werden. Dazu einige konkrete Anregungen:Wir sollten uns zunächst 'die Frage vorlegen, ob wir nicht auf dem Gebiet der Rechtsangleichung weiterkommen könnten. Sollten wir uns nicht darum bemühen, ein europäisches Wechselrecht, ein europäisches Handelsrecht zu schaffen? Ich bin überzeugt, daß ein solches 'gemeinsames Gesetz, erarbeitet im: Europäischen Parlament und dann gleichmäßig verabschiedet in sechs nationalen Parlamenten, eine sehr große psychologische Wirkung haben würde.Zweitens sollten wir uns darum bemühen, die Aktivitäten der verschiedenen Ebenen in Europa und den 6 Mitgliedstaaten zu koordinieren. Ich denke da z. B. an die Aktivitäten auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe, an die Aktivitäten auf dem Gebiet der Forschung, beides Aktivitäten, die, soweit 'ich sehen kann, jetzt auf den verschiedenen Ebenen zum Teil unkoordiniert nebeneinanderlaufen.Drittens sollten wir uns auch einmal Gedanken über einen Endzustand machen, sowohl im Bundestag als auch im Europaparlament. Dieses Europa wird am Ende ein föderalistisches Europa sein mit drei Ebenen: einer Ebene in Europa, einer Ebene im Bund und einer Ebene in den Ländern. Dann müssen wir uns die Frage stellen: Wohin gehören die verschiedenen Aufgaben? Wollen wir den Wohnungsbau in Luxemburg, in Bonn oder in Düsseldorf betreiben oder in allen drei Ebenen zugleich?Meine Damen und Herren, wenn wir in den Ausschußberatungen neben den formalen Anliegen, die mir sehr wichtig erscheinen, auch die Möglichkeiten der sachlichen Anreicherung prüfen, so wird das den Beschlüssen, die wir in der zweiten und dritten Lesung zu fassen haben, mehr Gewicht geben.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964 6597
Das Wort hat der Abgeordnete Margulies.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Strobel hat mit Recht gefragt, warum ich nichts zum Antrag der SPD gesagt habe. Ich hatte aber zunächst nur unseren Antrag begründet. Erlauben Sie mir nun, In der Debatte auf die anderen Anträge und auf die abgegebenen Stellungnahmen einzugehen.Ich darf für die Freien Demokraten erklären, daß wir selbstverständlich auf dem Boden des Gedankens der Direktwahl der europäischen Abgeordneten stehen. Das gehört ja zur Vertragserfüllung. Das Europäische Parlament hatte ja den Auftrag, einen Vorschlag für die Direktwahl auszuarbeiten, der dann vom Ministerrat — man wird wohl sagen können: eigentlich schuldhaft — nicht verabschiedet worden ist. Er ist verzögert worden. Wir brauchen gar nicht nach dem Schuldigen zu suchen. Das erfahren wir sowieso nicht. Es war also der Ministerrat, der das nicht verabschiedet hat.In dem Antrag der Sozialdemokratie, dem Entwurf eines Gesetzes über die Wahl der deutschen Mitglieder in das Europäische Parlament, sehen wir einen anerkennenswerten Versuch, auf dem schmalen Bereich, den uns der Vertrag noch läßt, eine Ersatzlösung zu finden. Aber diese Ersatzlösung hat natürlich alle Nachteile eines Ersatzes. Das hat Herr Kollege Mommer in seiner Begründung auch zugegeben. Wir wissen das, wir können eben nicht anders, und wir fragen uns nur, ob einige der Vorschläge, die in diesem Entwurf enthalten sind und die uns — ich muß das offen sagen — stören, nun tatsächlich hingenommen werden können, ob es sich lohnt, eine solche, wie soll ich sagen, Surrogatdirektwahl durchzuführen.Eins, verehrter Herr Kollege Mommer, habe ich ungern gehört, nämlich daß dann die einen Abgeordneten die Nase höher tragen sollen als die anderen.
— Dazu möchte ich sagen, daß die Mitglieder des Europäischen Parlaments ohnedies den Kopf so hoch tragen, daß da wohl nicht mehr viel zu machen sein wird. Dann müßten wir eine Dienstmütze einführen, bei der die einen Abgeordneten die goldene Schnur und die anderen nur die silberne bekommen.
Ich wollte nur Anregungen für die Beratungen im Außenpolitischen Ausschuß geben. — Also das war sicher von Ihnen nicht so ernst gemeint. Es geht Ihnen wohl nur darum — wie Sie richtig sagten —, die anderen zu veranlassen, diesem Beispiel zu folgen.Ich möchte Ihnen auch nicht verheimlichen, was uns an Ihrem Vorschlag stört und was in der Ausschußberatung dann von Ihnen sicherlich ausgeräumt werden kann. Uns stört, daß — Herr Furler hat es schon gesagt — das an einem Tag gemacht werden soll. Das ergibt sich zwangsläufig aus Ihrem Vor-schlag. Ich sehe ein: Sie können natürlich nicht wegen dieser 36 Mann eine eigene Wahl in Bewegung setzen. Aber wir sind jetzt schon nicht besonders glücklich darüber, daß z. B. die Landtagswahlen mit dem geballten Einsatz Bonner Prominenz geführt werden und damit völlig denaturiert sind. Sie werden ja zweckentfremdet, sie sind gar keine Landtagswahlen mehr, sondern Probeabstimmungen für den nächsten Bundestag. Das sehen wir also jetzt schon bei den Landtagen sehr ungern, und die gleiche Erscheinung hätten wir dann hier: Wir Europäer ziehen dann herum und sprechen in dem Wahlkampf nur von Europa, und die Bundestagswahl würde dabei gar keine Rolle spielen. Diese Vermischung gefällt uns also nicht. Das ist der eine Grund.Das andere, was uns nicht gefällt, ist, daß dann wieder diese Honoratiorenliste auftaucht. Ich sehe natürlich auch hier ein, daß es schwer ist, einen anderen Vorschlag zu machen. Man wird also im Ausschuß sehr abwägen müssen, ob das, was man mit diesem Gesetz erreicht, tatsächlich soviel wert ist, daß man diese kleinen Dinge, die ich Ihnen soeben als Bedenken vorgetragen habe, schlucken kann.Nun zu der Frage der Stärkung der Rechte des Parlaments. Es ist klar, daß wir alle das gleiche wollen. Wir haben das x-mal ausgesprochen. Nicht einmal über den Weg sind wir uns uneinig. Was jetzt noch an Meinungsverschiedenheiten offenbleibt, ist doch nur die Frage, ob wir der Sache etwas Nachdruck verleihen wollen oder ob wir es bei einer Deklamation bewenden lassen. Herr Professor Furler, wir können natürlich, wenn Sie wollen, jede Woche einmal, meinetwegen sogar in den Ferien, hier zusammentreten und erklären, wir möchten mehr Rechte für das Europäische Parlament. Aber das nützt überhaupt nichts, das wissen Sie, und das weiß auch ich. Daher habe ich gesagt, wir haben dieser Sache einen Treibsatz nachgefügt. Wir wollen mit der Möglichkeit, hier im Bundestag die Entscheidung der Bundesregierung zu binden, die Sache vorwärtstreiben. Wir möchten also, daß nicht nur der Mund gespitzt wird, sondern ,es soll auch gepfiffen werden. Sie wissen so gut wie ich, wenn wir nicht Druck dahintersetzen, dann wird es nichts.Frau Strobel hat mit Recht schon angedeutet, daß man ja nicht immer nur Herrn General de Gaulle als den Alleinschuldigen hinstellen kann, sondern daß möglicherweise auch anderwärts Kräfte vorhanden sind, die in einer parlamentarischen Kontrolle eigentlich nur eine lästige Behinderung der bürokratischen Arbeit sehen. Ich glaube also, daß wir alle Veranlassung haben, das, was in unserer Macht steht, nämlich einen Beschluß darüber zu fassen, auch zu tun, um wenigstens die Kräfte bei uns, die über eine parlamentarische Kontrolle nicht besonders glücklich sind, zu veranlassen, sich energisch für den Vorschlag nach Abs. 1 einzusetzen. Das deckt sich im übrigen mit den Anträgen der SPD, die aber insofern eine Neuerung enthalten, als sie sich den Vorschlag eines Vermittlungsausschusses zu eigen machen.Hier muß ich nun sagen, daß wir im Gegensatz zu Herrn Professor Furler der Meinung sind, daß wir
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6598 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1964
Marguliesjede Möglichkeit suchen sollten, mit dem Ministerrat ins Gespräch zu kommen, der ja zunächst unserer Kontrolle nicht untersteht, mit dem wir gar keine Verbindung haben. Wir haben uns durch das Kolloquium jedes Jahr, durch die Möglichkeit der mündlichen Fragen Möglichkeiten geschaffen, und wir wollen dankbar anerkennen, daß sich der Ministerrat der Diskussion im Europäischen Parlament stellt, wenn auch sehr stark eingegrenzt — vorher vereinbartes Thema usw. Aber immerhin, er ist nach dem Vertrag dazu nicht gezwungen. Nun, vielleicht wäre er bereit, diese Freundlichkeit, dieses Entgegenkommen zu erweitern und sich zu einem gemeinsamen paritätischen Ausschuß herbeizulassen, um dort wenigstens das zu tun, was wir verlangen, nämlich uns zu sagen, warum er von unseren Vorschlägen abweicht oder welche Gründe er dafür hat. Insofern würde ich also diesen Vermittlungsausschuß, über den wir auch in Straßburg schon mehrfach gesprochen haben, als eine recht nützliche Institution ansehen. Ich sehe nicht, warum man ihn nicht verlangen sollte. Ob wir ihn bekommen, ist sowieso eine zweite Frage. Da Sie anscheinend weniger geneigt sind, etwas Nachdruck dahinter zu setzen, als einfach nur die Forderung zu stellen, sehe ich schwarz, daß wir auch etwas erreichen.Noch eines. Frau Strobel, ich bitte, mich nicht mißzuverstehen. Daß ich vorhin etwas darüber gespöttelt habe, daß wir uns so besonders brav zeigen mit qualifizierter Mehrheit und namentlicher Abstimmung, .soll nicht heißen, daß ich dagegen wäre. Ich bin nur der Meinung, daß es mit der Würde des Parlaments nicht vereinbar ist, das immer anzubieten. Wenn uns der Ministerrat sagte: Gut, wir sind bereit, auf eure Anregung einzugehen, daß wir nur einstimmig eure Gegenvorschläge ablehnen, wenn sie unter den und den Voraussetzungen gemacht worden sind, dann würde ich sagen: Gut, das kann man machen. Es wäre sowieso ganz nützlich — darüber waren wir uns auch in der letzten Debatte in Straßburg einig —, wenn z. B. die Haushalte der Gemeinschaften in namentlicher Abstimmung verabschiedet würden, damit etwas mehr Druck dahinter sitzt. Ich bin also nicht dagegen, sondern ich bin nur dagegen, daß wir es anbieten. Wir sollten uns das abhandeln lassen. Aber nun steht es geschrieben, und wir werden darüber 'weiter beraten.Ich hoffe, daß wir gemeinsam zu dem Ergebnis kommen — das muß ich allerdings als den Willen meiner Fraktion dartun —, daß wir uns nicht mit Deklamationen begnügen, mit Forderungen, von denen wir vorher wissen, daß wir sie nicht erfüllt bekommen, wenn wir nicht bereit sind, auch den Druck dahinter zu setzen, den dieses Haus dahinter setzen kann, und die Beschlüsse zufassen, die in unserer Macht liegen, um das gemeinsame Anliegen zu fördern.
Ich schließe die Beratung. Es ist vorgesehen, den Tagesordnungspunkt 18 a) an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Inneres zur Mitberatung, die Tagesordnungspunkte 18 b), c) und d) an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten zu überweisen. Darf ich Ihr Einverständnis feststellen? — Es ist so beschlossen.
Damit sind wir am Ende der heutigen Verhandlungen. Ich berufe die 'nächste Sitzung ein auf morgen, Freitag, den 26. Juni, 9 Uhr.