Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Ich darf zunächst Herrn Abgeordneten Kriedemann beglückwünschen, der am 1. März 60 Jahre alt geworden ist.
Ebenso beglückwünsche ich den Herrn Abgeordneten Gaßmann, der am 3. März das gleiche Alter erreicht hat.
Für den durch Verzicht ausgeschiedenen Abgeordneten Schütz ist am 15. Februar der Abgeordnete Schlee in ,den Bundestag eingetreten — oder wieder eingetreten. Für den verstorbenen Abgeordneten Altmaier ist am gleichen Tage der Abgeordnete Flämig in ,den Bundestag eingetreten. Ich darf die beiden Herren als Mitglieder des Hauses begrüßen und ihnen eine gute Zusammenarbeit mit uns wünschen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sollen die in ,der 61. Sitzung des Bundestages aufgerufenen, jedoch nicht überwiesenen Umsatzsteuergesetzentwürfe ohne Aussprache den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden, und zwar der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes — Drucksache IV/866 — an den Finanzausschuß, der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes — Drucksache IV/867 — an den Finanzausschuß — federführend — und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — mitberatend —. Ich nehme an, daß das Haus mit dieser Überweisung einverstanden ist. — Ich höre keinen Wiederspruch; es ist so beschlossen.In der gleichen Sitzung des Deutschen Bundestages wurde der von den Abgeordneten Dr. Schmidt , Bading, Margulies, Jacobi (Köln) und Genossen eingebrachte Antrag betreffend Raumordnung — Drucksache IV/473 — angenommen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll als Termin zur Vorlage eines ersten Berichts der Bundesregierung der 1. Oktober 1963 bestimmt werden. Ist das Haus mit dieser Änderungeinverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.In der 60. Sitzung des Deutschen Bundestages am 13. Februar 1963 ist der Entschließungsantrag der Fraktionen 'der CDU/CSU und der FDP zur Beratung des Berichts der Bundesregierung über die Lage der Landwirtschaft gemäß §§ 4 und 5 des Landwirtschaftsgeisetzes — Umdruck 185 — dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten als federführendem Ausschuß und dem Haushaltsausschuß zur Mitberatung überwiesen worden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll dieser Entschließungsantrag auf Umdruck 185 gemäß § 96 der Geschäftsordnung auch an den Haushaltsausschuß überwiesen werden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 1. März 1963 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht gestellt:Gesetz zur Änderung des Zweiten Änderungsgesetzes zum AVAVGGesetz zu dem Protokoll vom 8. Dezember 1961 über die Verlängerung der Geltungsdauer der Erklärung vom 22. November 1958 über den vorläufigen Beitritt der Schweizerischen Eidgenossenschaft zum Allgemeinen Zoll- und HandelsabkommenGesetz zur weiteren Aufbesserung von Leistungen aus Renten- und Pensionsversicherungen sowie aus Kapitalzwangsversicherungen.Der Herr Bundesminister der Verteidigung hat unter dem 23. Februar 1963 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betr. Kurzinformation über das Fernsehspiel „Stalingrad" — Drucksache IV/968 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/1015 Verteilt.Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dem 27. Februar 1963 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Besold, Brück und Genossen betr. Verhütung von Verkehrsunfällen, die ihren Grund in mangelnder Sehschärfe von Verkehrsteilnehmern haben — Drucksache IV/980 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/1018 verteilt.Der Herr Staatssekretär des Bundesministers für Gesundheitswesen hat unter dem 1. März 1963 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Hubert, Frau Dr. Maxsein und Genossen betr. Ratifizierung von Konventionen des Europarates — Drucksache IV/991 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/1023 verteilt.Der Herr Bundesschatzminister hat unter dem 28. Februar 1963 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Hahn , Dr. Wahl, Dr. Hesberg, Baier (Mosbach) und Genossen vom13. Februar 1963 betr. Freigabe des Heidelberger Exerziergeländes im Emmertsgrund — Drucksache IV/978 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/1024 verteilt.Der Herr Bundesschatzminister hat unter dem 8. Februar 1963 unter Bezug auf den Beschluß des Bundestages vom 18. Mai 1962 über die Ergebnisse der Entbehrlichkeitsprüfung und der Veräußerung von Bundesgelände zu Zwecken des Wohnungsbaues und der Eigentumsbildung berichtet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/981 verteilt.Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dem 15. Februar 1963 unter Bezug auf den Beschluß des Bundestages vom14. Dezember 1956 erneut über den Fortgang der Arbeiten zur
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2806 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963
Vizepräsident Dr. DehlerSchiffbarmachung der Mosel berichtet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/1000 verteilt.Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dem 26. Februar 1963 unter Bezug auf den Beschluß des Bundestages vom 29. Juli 1961 über die Planung der Bundesfernstraßen in den Regierungsbezirken Südwürttemberg-Hohenzollern und Südbaden berichtet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/1016 verteilt.Der Herr Vorsitzende des Außenhandelsausschusses hat mit Schreiben vom 6. Februar 1963 zum Entwurf einer Verordnung Nr.... des Rats der EWG zur Änderung der Verordnung Nr. 55. des Rats betreffend die Regelung für Kleie — Drucksache IV/934 — mitgeteilt, daß sich mit Rücksicht auf die Beschlußfassung zu dieser Verordnung im Rat der EWG eine Berichterstattung erübrige.Die Fraktion der SPD hat unter dem 21. Februar 1963 mitgeteilt, daß sie ihren Antrag betreffend Ersuchen an die Bundesregierung auf Vorlage der „Spiegel"-Berichte — Drucksache IV/ 844 — als erledigt betrachte.Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen berwiesen:Verordnung des Rats zur Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft, die die Liberalisierungsmaßnahmen für einen zweiten Abschnitt festlegt, sowie eine Richtlinie des Rats betreffend die Verwaltungsverfahren und -praktiken für Aufnahme, Beschäftigung und Aufenthalt der Arbeitnehmer eines Mitgliedstaates und ihrer Familienangehörigen in den anderen Mitgliedstaaten des Gemeinschaft — Drucksache IV/998 an den Ausschuß für Arbeit mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 17. Mai 1963,Richtlinie des Rates über die Gewichte und Abmessungen der zum Verkehr zwischen den Mitgliedstaaten zugelassenen Nutzfahrzeuge — Drucksache IV/1001 —an den Ausschuß für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 17. Mai 1963,Verordnung Nr. 1/63 EWG des Rates vom 16. Januar 1963 zur Verlegung des Zeitpunkts für den Beginn der Anwendung der Abschöpfungsregelung für einige Schweinefleischerzeugnisse
an den Außenhandelsausschuß — federführend — und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — mitberatend — mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Verordnung erhoben werden,Verordnung Nr. 6/63 EWG des Rates vom 28. Januar 1963 zur Verlängerung der Geltungsdauer der Verordnung Nr. 156 des Rates
an den Außenhandelsausschuß — federführend — und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — mitberatend — mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Verordnung erhoben werden.Ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung:Fragestunde .Ich rufe zunächst auf die. dringliche Frage des Herrn Abgeordneten Kaffka aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts:Welche Schritte hat die Bundesregierung unternommen, um die Vollstreckung des Todesurteils an dem in politischem Gewahrsam sich befindenden deutschen Staatsbürger und Soldaten Schmetz zu verhindern?Herr Staatssekretär, bitte!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Frage des Herrn Abgeordneten Kaffka darf ich wie folgt beantworten. Die Bundesregierung hat das von dem Verteidiger des Herrn Schinetz eingereichte Gnadengesuch unterstützt. Nach einer Mitteilung des Verteidigers kann mit Sicherheit damit gerechnet werden, daß dem Gnadengesuch stattgegeben werden wird.
Eine Zusatzfrage, bitte!
Herr Staatssekretär, ich möchte im Hinblick auf ähnlich gelagerte Fälle in der Vergangenheit fragen: Welche Maßnahmen hat die
Bundesregierung ergriffen, um derartige Vorfälle in Zukunft zu verhindern?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung steht mit den übrigen beteiligten Regierungen in einem Gedankenaustausch über die Frage, wie derartige Fälle verhindert werden können. Es ist allerdings notwendig, daß, solange diese Klärungen noch nicht erfolgt sind, die davon Betroffenen sich mit der Bundesregierung in Verbindung setzen, bevor sie in Länder einreisen, in denen rechtskräftige Urteile gegen sie vorliegen.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Ich rufe auf die Frage II/8 — des Abgeordneten Bauer —:
Welche Schritte hat die Bundesregierung nach Erlaß der Verordnung Nr. 122 bei der EWG-Kommission unternommen, um für das Getreidewirtschaftsjahr 1963/64 höhere Schwellenpreise für Brau- und Saatgerste, Saatweizen und Saatroggen zu sichern?
Bitte, Herr Minister!
Die Bundesregierung hat nach Erlaß der Verordnung Nr. 122 der EWG-Kommission wiederholt und nachdrücklich im Ministerrat und im Sonderausschuß Landwirtschaft auf die Notwendigkeit einer zufriedenstellenden Regelung für Braugerste und Saatgetreide hingewiesen. Auf Drängen der deutschen Delegation kam der Ministerrat überein, die aufgezeigten Probleme zu untersuchen, wobei eine Vielzahl von wirtschaftlichen, rechtlichen und technischen Gesichtspunkten zu berücksichtigen sind. Die hierzu durchgeführten Erörterungen in einem Sachverständigengremium sind noch nicht abgeschlossen. Ich bedaure deshalb, daß ich über einen Erfolg unserer Bemühungen in Brüssel, zu einer Sonderregelung für Braugerste und für Saatgetreide zu kommen, Ihnen heute noch nichts Endgültiges sagen kann. Ich möchte aber bei dieser Gelegenheit auf eine besondere Schwierigkeit hinweisen, die darin liegt, daß bei der Festsetzung von gesonderten Schwellenpreisen für Braugerste und für Saatgetreide auch gesonderte Cif- und FreiGrenz-Preise für die Berechnung der Abschöpfungen zugrunde gelegt werden müßten.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, darf ich folgende Zusatzfrage stellen: Ist nach Ihrer Meinung sichergestellt, daß bis zum Erlaß des neuen Getreidepreisgesetzes für 1963/64 die Verhandlungen auf der EWG-Ebene so weit fortgeschritten sind, daß wir hierüber Klarheit haben, wenn wir an die entsprechende deutsche Verordnung herangehen müssen?
Herr Kollege, Ihre Fragestellung geht dahin, ob ich Ihnen eine Mitteilung
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963 2807
Bundesminister Schwarzmachen kann, daß wir bis dahin zu einem erfolgreichen Ende kommen werden. Diese Zusicherung kann ich Ihnen leider nicht geben. Ich kann Ihnen nur die Zusicherung geben, daß wir uns alle Mühe geben, von seiten der deutschen Delegation aus — auch die Kommission hat sich bereit erklärt — diese außerordentlich diffizile Frage zu klären. Die Schwierigkeit liegt darin, daß man die Kriterien für Braugerste und für Futtergerste — und zwar so, daß auch die Zollbeamten beides unterscheiden können — so außerordentlich schwer feststellen kann.
Eine weitere Zusatzfrage.
Ihr Haus, Herr Minister, ist aber nach wie vor der Meinung, daß es zu einer solchen Regelung kommen muß?
Das Haus ist davon überzeugt, daß die weitere Abwicklung unserer Getreidepreisfragen, ausgehend von Futtergerste über Braugerste, Roggenbewertung usw., tatsächlich davon abhängig ist.
Frage II/2 — des Herrn Abgeordneten Bauer —:
Ist die Bundesregierung gegebenenfalls bereit, den Preis für Brau- und Saatgerste, Saatweizen und Saatroggen über die deutsche Gesetzgebung angemessen festzusetzen?
1) Bitte, Herr Minister!
Der deutsche Gesetzgeber hat zur Zeit keine Möglichkeit, im Rahmen der von ihm zu treffenden Durchführungsvorschriften zur Verordnung Nr. 19 des Rates der EWG besondere Richt-, Interventions- und Schwellenpreise für Saatgetreide und Braugerste festzusetzen. Hierzu wäre eine Änderung der geltenden EWG-Getreidemarktordnung notwendig. Dagegen prüft die Bundesregierung, ob für das Getreidewirtschaftsjahr 1963/64 ebenso wie für das laufende Getreidewirtschaftsjahr bei der Intervention von inländischer Gerste durch die Einfuhr- und Vorratsstelle besondere Zuschläge für Braugerste bestimmter Qualität mit Zustimmung des Bundesrates festgesetzt werden sollen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Ertl.
Herr Minister, ist es möglich, daß im Zuge der europäischen Marktregelungen einheitlich Qualitätsbestimmungen sowohl für Saatgetreide wie für Braugerste erlassen werden?
Herr Kollege, das ist durchaus möglich. Wir müssen aber gerade die Vorschriften für Saatgetreide sehr eingehend prüfen und sollten uns über diese Dinge heute noch nicht so
bindend auslassen, weil die Herstellungs- und Kostenmomente gerade bei Saatgetreide doch sehr unterschiedlich sind. Die Frage der einheitlichen Standards bei Futtergerste bzw. bei Brotgetreide dagegen werden wir in kürzester Zeit in Brüssel zu behandeln haben.
Ich danke Ihnen. Herr Minister.
Wir kommen zu der Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung — Frage III, gestellt von Herrn Abgeordneten Bauknecht —:
Ist der Herr Bundesverteidigungsminister bereit, sich dafür einzusetzen, daß in den Bundeswehrkantinen bzw. -unterkünften die bei der Industrie bereits bewährten und durch den Grünen Plan geförderten Milchautomaten aufgestellt werden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Milch ist für die Ernährung insbesondere der jüngeren Wehrpflichtigen und freiwilligen Soldaten besser als manches andere Getränk.
Deshalb wird der Milchverbrauch durch verstärkte Werbung, verbesserte Kühlmöglichkeiten, niedrigen Preis und verbesserte Verkaufsmöglichkeiten in den Kantinen, ferner durch Ausgabe von Milch im Rahmen der Truppenverpflegung und durch andere Maßnahmen gefördert.
In diesem Zusammenhang ist auch die Versorgung mit Milch durch Automaten geprüft worden. Dabei hat sich gezeigt, daß der Preis für Milch aus Automaten höher liegt als der Preis der Flaschenmilch. In besonders gelagerten Fällen, vor allem bei abgelegenen Truppenunterkünften, deren Versorgung durch eine Kantine nicht möglich ist, werden solche Automaten für Milch trotz des höheren Preises aufgestellt. Für eine allgemeine Aufstellung von Milchautomaten kann sich der Verteidigungsminister aber erst dann einsetzen, wenn der Preis der Automatenmilch nicht höher ist als der anderer Milch. Der Verteidigungsminister muß darauf Rücksicht nehmen, daß die jungen Soldaten, insbesondere die Wehrpflichtigen, ein geringes Einkommen haben.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Bauknecht.
Herr Staatssekretär, ist Ihr Haus bereit, trotz der Bedenken, die Sie jetzt wegen des Preises haben, einmal zu prüfen, ob nicht Milch aus Automaten durch Zuschüsse Ihres Hauses zu gleichen Preisen abgegeben werden kann, wie wenn sie lose oder in Flaschen verkauft wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, es handelt sich um die Frage, ob der Verteidigungsminister aus dem Bundeshaushalt Mittel aufwenden darf, um einen Zuschuß für eine Art von Milch zu geben, obwohl andere Milch, nämlich Flaschentrinkmilch, in den Kantinen zu einem geringeren Preis erhältlich
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2808 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963
Staatssekretär Hopfk) ist. Ich glaube nicht, daß der Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages einen solchen Zuschuß bewilligen würde. Ich würde ihn wahrscheinlich auch nicht beantragen.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Familien- und Jugendfragen. Ich rufe auf die Frage IV/1 — des Herrn Abgeordneten Eisenmann —:
Teilt die Bundesregierung die Ansicht, daß die privaten Kinderheime, die zu mehr als 40°/o durch soziale Entsendestellen wie Wohlfahrtsverbände, Krankenkassen, Fürsorgeverbände, Werksfürsorgen, Gesundheitsämter und dergleichen belegt werden, gegenüber den gemeinnützigen Kinderheimen und den Kinderheimen der öffentlichen Hand im Wettbewerb benachteiligt sind?
Der Fragesteller wird durch den Abgeordneten Dürr vertreten.
Bitte, Herr Minister.
Von gleichen Wettbewerbsbedingungen kann nur bei vergleichbaren Einrichtungen gesprochen werden. In der Fragestellung werden aber Einrichtungen, deren Ziel auf einen Erwerb gerichtet ist, den gemeinnützigen Einrichtungen der privaten und der öffentlichen Hand gegenübergestellt. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß zwischen beiden eine Wettbewerbssituation gar nicht bestehen kann.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, beharren Sie auf Ihrer Antwort, nachdem gemeinnützige Krankenanstalten und private Krankenanstalten auch miteinander verglichen werden, wenn man den privaten Krankenanstalten Steuererleichterungen gewährt, sofern sie zu mehr als 40% Patienten aus der Sozialversicherung haben?
Die Wettbewerbssituation, von der hier gesprochen worden ist, scheint mir deswegen nicht gegeben zu sein, weil die Gemeinnützigkeit, die bestimmte Vergünstigungen — insbesondere steuerlicher Art — zuläßt, nach der Gemeinnützigkeitsverordnung an zahlreiche Einschränkungen geknüpft ist. Solche gemeinnützigen Einrichtungen müssen ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen Zwecken dienen. Sie müssen dies in ihrer Satzung festlegen und ihre Geschäftsführung entsprechend einrichten. Etwaige Gewinne dürfen nur für gemeinnützige Zwecke verwandt werden. Mitglieder dieser gemeinnützigen Einrichtungen dürfen keinen Gewinnanteil oder sonstige Zuwendungen erhalten. Bei Auflösung muß das Vermögen, das die Einlagen der Mitglieder übersteigt, steuerbegünstigten Zwecken zugeführt werden.
Ich vermag nicht zu beurteilen, Herr Abgeordneter, ob in dem Fall, den Sie jetzt im Auge haben, entsprechende Voraussetzungen geschaffen worden sind.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Minister, teilen Sie meine Meinung, daß der Übergang zwischen Krankenanstalten und Kinderheimen nahezu fließend sein kann und daß es deshalb zweckmäßig ist, einmal zu prüfen, ob Kinderheime nicht wie vergleichbare Krankenanstalten gestellt werden können?
Herr Abgeordneter, ich möchte doch einen Unterschied zwischen einem Kinderheim und einem Krankenhaus beibehalten wissen. Aber die Frage als solche kann durchaus geprüft werden.
Ich rufe die zweite Frage des Abgeordneten Eisenmann auf, Frage IV/2:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um Ungleichheiten im Wettbewerb zwischen privaten und gleichartigen öffentlichen und gemeinnützigen Kinderheimen zu beseitigen?
Auch hier wird der Fragesteller durch den Abgeordneten Dürr vertreten.
Bitte, Herr Minister!
Da zur Zeit die privaten Kinderheime hinsichtlich der Wettbewerbsbedingungen nicht die notwendigen vergleichbaren Voraussetzungen erfüllen, kann von einer Benachteiligung im Wettbewerb nicht gesprochen werden. Die Bundesregierung vermag daher zur Zeit auch keine gesetzgeberischen Maßnahmen zugunsten dieser kommerziell arbeitenden Kinderheime vorzuschlagen.
Eine Zusatzfrage!
Herr Minister, darf ich aus Ihrer Antwort auf meine zweite Zusatzfrage zur vorherigen Frage entnehmen, daß Sie das Problem noch einmal prüfen werden?
Jawohl.
Ich danke Ihnen, Herr Minister. Ich rufe auf die Frage unter V —Geschäftsbereich des Bundesministers für wissenschaftliche Forschung —, gestellt von der Abgeordneten Frau Dr. Maxsein:
Bis wann kann mit der Ratifizierung des im Rahmen der OECD abgeschlossenen Übereinkommens über die Haftpflicht auf dem Gebiet der Atomenergie und des Zusatzabkommens gerechnet werden?
Herr Staatssekretär, bitte!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu dem im Rahmen der früheren OEEC — jetzt OECD — am 29. Juli 1960 abgeschlossenen Übereinkommen über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie wurde am 31. Januar 1963 von den 16 europäischen OECD-Mitgliedstaaten ein Zusatzab-
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963 2809
Staatssekretär Dr. Cartellierikommen abgeschlossen, das von der Bundesregierung am 27. Februar 1963 unterzeichnet wurde. Beide Übereinkommen bilden sachlich eine Einheit und werden deshalb gemeinsam zur Ratifikation vorgeschlagen werden. -Insgesamt werden die beiden Übereinkommsn auf europäischer Ebene einen ähnlichen Rechtszustand herbeiführen, wie er in der Bundesrepublik bereits auf Grund des seit mehr als drei Jahren geltenden Atomgesetzes besteht. Um jedoch zu gewährleisten, daß sich aus den unterschiedlichen Formulierungen in den Übereinkommen und in den Haftungsvorschriften des Atomgesetzes keine Widersprüche ergeben, ist beabsichtigt, mit dem Entwurf des Ratifikationsgesetzes den Entwurf eines umfangreicheren Änderungsgesetzes zum Atomgesetz zu verbinden, durch das ,der Inhalt der Übereinkommen in das Atomgesetz eingearbeitet wird. Solche Überarbeitungen erfordern eine gründliche Vorarbeit, insbesondere Abstimmung mit den beteiligten Wirtschaftskreisen. Die besondere Schwierigkeit ist, technische Tatbestände in juristische Formulierungen umzusetzen. Nach den bisherigen Erfahrungen wird das noch längere Zeit in Anspruch nehmen.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts.
Die Frage des Abgeordneten Dr. Friedensburg, Frage VI/1, ist zurückgezogen.
Ich rufe die von dem Abgeordneten Kahn-Ackermann gestellte Frage VI/2. auf:
Trifft es zu, daß beabsichtigt ist, den gegenwärtigen deutschen Vertreter im Exekutivrat der UNESCO abzulösen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich darf die Frage des Abgeordneten Kahn-Ackermann wie folgt beantworten.
Für das Auswärtige Amt besteht ein organisatorisches Problem. Bevor Professor von Simson zum deutschen Mitglied des Exekutivrates der UNESCO gewählt wurde, hatte diesen Sitz eine Persönlichkeit inne, die nicht Angehöriger des Auswärtigen Dienstes war. Herr von Simson ist Angehöriger des Auswärtigen Dienstes. Er ist als Botschaftsrat I. Klasse der Botschaft in Paris zugeteilt. Eine Planstelle steht bei der Botschaft hierfür jedoch nicht zur Verfügung. Herr von Simson wird vielmehr auf der Planstelle geführt, die für den Leiter der Wirtschaftsabteilung der Botschaft in Paris vorgesehen ist.
Das Problem, das sich dem Auswärtigen Amt stellt, ist daher, eine Lösung zu finden, die es verhindert, daß mit Rücksicht auf eine angemessene Vertretung der Bundesrepublik im Exekutivrat der UNESCO eine für andere Zwecke vorgesehene Planstelle der Besoldungsgruppe A 16 dauernd blockiert wird. Welche Lösung sich hier finden läßt, ist im Augenblick noch nicht zu übersehen. Sobald sich das Auswärtige Amt darüber eine Meinung gebildet
hat, wird es sich mit den beteiligten deutschen Stellen in Verbindung setzen. Auf jeden Fall wird dafür gesorgt werden, daß auch weiterhin eine sachgemäße Vertretung der deutschen Interessen in der UNESCO gewährleistet ist.
Eine Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, ist sich das Auswärtige Amt bei dieser Überlegung darüber im klaren, daß mit der Ablösung unseres gegenwärtigen Vertreters im Exekutivrat zugleich der Sitz im Exekutivrat in Frage gestellt ist, da die Bundesrepublik dort keinen ständigen Sitz hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung ist sich über diese Problematik im klaren, und sie wird bei Lösungen, die sie ins Auge faßt, dieser Problematik Rechnung tragen.
Ich rufe auf Frage VI/3 — des Herrn Abgeordneten Hansing —:
Ist die Bundesregierung bereit, mit der dänischen Regierung in Verhandlungen zu treten, um zu verhindern, daß die Absicht verwirklicht wird, am 1. April 1963 die grönländischen Fischereigrenzen von drei auf zwölf Seemeilen zu erweitern?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich darf die Frage des Herrn Abgeordneten Hansing wie folgt beantworten.Die Bundesregierung beabsichtigt, mit der dänischen Regierung wegen der Erweiterung der Fischereigrenze vor Grönland auf 12 Seemeilen Verhandlungen zu führen. In der völkerrechtlichen Frage der einseitigen Ausdehnung der Fischereizonen vertreten die beiden Regierungen verschiedene Rechtsstandpunkte. Nach wie vor ist die Bundesregierung der Auffassung, daß jede einseitige Maßnahme von Staaten, ihre Jurisdiktion über 3 Seemeilen hinaus zu erweitern, nicht dem geltenden Völkerrecht entspricht. Diese Haltung der Bundesregierung ist der dänischen Regierung bekannt. Demgegenüber hält sich die dänische Regierung jedoch für befugt, die Fischereizone vor den Küsten Grönlands ab 1. April 1963 zu erweitern. Zur Wahrung ihrer Rechtsauffassung wird die Bundesregierung deshalb, wie sie es unter anderem auch schon gegenüber Dänemark bei der Erweiterung der Fischereigrenze um die Faröer und gegenüber Island und Norwegen getan hat, der dänischen Regierung gegenüber zum Ausdruck bringen, daß sie die beabsichtigte dänische Maßnahme als nicht mit dein Völkerrecht vereinbar ansieht.Die Bundesregierung ist sich der Bedeutung der möglichen Konsequenzen, die die beabsichtigte dänische Maßnahme für die deutsche Hochseefischerei und für die deutsche Fischwirtschaft haben wird, voll bewußt. Sie prüft daher zur Zeit, auf welche Weise die historischen Rechte der deutschen Hochseefischer vor der grönländischen Küste in angemessener Form gesichert werden können. Die Bundesregierung hofft, in Verhandlungen mit der däni-
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2810 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963
Staatssekretär Dr. Carstensschen Regierung eine für die deutsche Hochseefischerei befriedigende Lösung dieses Problems zu erzielen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hansing? — Nein. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Ich rufe auf Frage VII/1 — der Frau Abgeordneten Schanzenbach —:
In wieviel Fällen hat die Versorgungsverwaltung in den letzten zwei Jahren Ausbildungsbeihilfen nach dem BVG für soziale und pflegerische Berufe bewilligt?
Bitte, Herr Minister.
Ich darf die Frage wie folgt beantworten. Ihre Frage, Frau Kollegin, bezieht sich wohl auf die Erziehungsbeihilfen nach § 27 des Bundesversorgungsgesetzes, die von den Hauptfürsorgestellen und Fürsorgestellen für Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene gewährt werden. Die vorhandenen statistischen Unterlagen enthalten keine Aufschlüsselung nach den verschiedenen Arten der Berufsausbildung. Ich halte es auch nicht für möglich, die Anzahl der mit Erziehungsbeihilfen geförderten Ausbildungsfälle in sozialen und pflegerischen Berufen etwa durch eine Umfrage bei den Ländern noch festzustellen. Eine solche Erhebung wäre bei den durchführenden Stellen mit einem sehr großen und vielleicht unzumutbaren Verwaltungsaufwand verbunden.
Eine Zusatzfrage?
Wenn Sie das schon nicht feststellen können, können Sie mir dann vielleicht sagen, ob die Fürsorgestellen, die nach dem BVG die Fürsorge durchzuführen haben, bereit sind, neben jungen Menschen auch älteren Frauen, die sich z. B. als Hauspflegerin oder Dorfhelferin ausbilden lassen wollen, Ausbildungsbeihilfen zu gewähren?
Ich werde das nachprüfen, Frau Kollegin.
Danke.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe auf Frage VII/2 — des Herrn Abgeordneten Sänger —:
War der Bundesregierung bei der Einstellung des Regierungskriminalrates Theo Saevecke in das Bundeskriminalamt bekannt, daß Herr Saevecke nicht nur den Rang eines SS-Sturmführers, sondern vorher bereits den eines SA-Sturmführers z. b. V. bekleidet hatte?
Bitte, Herr Minister.
Ich darf die Frage mit Ja beantworten. Der Bundesregierung war dieser Umstand aus den Akten, aus den Personal- und Entnazifizierungsakten, bekannt.
Zusatzfrage?
Herr Minister, darf ich dann fragen, warum diese Tatsache von verantwortlicher Stelle nicht gleich der Öffentlichkeit mitgeteilt wurde und warum ausschließlich auf den Rangausgleich zum SS-Sturmführer Bezug genommen worden ist?
Herr Kollege, habe ich Sie richtig verstanden, wenn ich annehme, daß Sie mit dieser verantwortlichen Stelle den Präsidenten des Bundeskriminalamts meinen? — Dann darf ich die Frage wie folgt beantworten. Saevecke ist als Schüler mit 17 Jahren 1928 in die SA und ein Jahr später in die NSDAP eingetreten. Der Spruchausschuß von Berlin, der am 13. November 1950 die Entnazifizierung von Saevecke durchführte, kam zu dem Ergebnis, daß die SS-Zugehörigkeit von Saevecke als unfreiwillige Dienstgradangleichung zu werten sei. Über das Wesen der sogenannten Rangangleichung herrscht weitgehend Unklarheit. Das damalige System hatte das Bestreben, die Angehörigen der Sicherheitspolizei und später auch der uniformierten Polizei als Teile einer einheitlichen polizeilichen Exekutive erscheinen zu lassen. Diesem Zwecke diente die sogenannte Rangangleichung, durch die die Polizeibeamten mit SS-Rängen ausgestattet wurden. Die rangangeglichenen Kriminalbeamten, zu denen auch Saevecke gehörte, waren nicht Mitglieder der allgemeinen SS und der SD-Nachrichtenorganisation und wurden deshalb auch nicht im Nürnberger Prozeß zu Angehörigen einer verbrecherischen Organisation erklärt.
Der Spruchausschuß von Berlin hat Saevecke rehabilitiert, so daß für den Präsidenten des Bundeskriminalamts kein Anlaß bestand, der Öffentlichkeit den früheren SA-Dienstgrad Saeveckes mitzuteilen.
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Sänger?
Herr Minister, finden Sie nicht auch, daß der Aufstieg von Saevecke bis zum Leiter des Referats Hoch- und Landesverrat in der Sicherungsgruppe Bonn, also an exponierter Stelle, eine ungewöhnliche Laufbahn ist?
Ich glaube nicht, Herr Kollege, daß das eine ungewöhnliche Laufbahn ist. Saevecke ist mit der Primareife abgegangen und wollte Seeoffizier werden. Er mußte aus Gesundheitsgründen nach dreijähriger Tätigkeit den Beruf als Seemann aufgeben und ist im Jahre 1934 als Kriminalkommissaranwärter eingetreten. Nach gut bestandener Prüfung wurde er 1937 Hilfskriminalkommissar und im Jahre 1938 Kriminalkommissar. Bis zum Jahre 1945 wurde Saevecke nur ein einziges Mal, nämlich 1943 zum Kriminalrat, befördert, der dem heutigen Kriminalhauptkommissar nach der Besoldungsgruppe A 11 entspricht. Nach dem Kriege wurde Saevecke wegen guter Leistungen im Jahre 1956 zum Regierungskriminalrat nach der Besol-
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Bundesminister Höcherldungsgruppe A 13 befördert. Diese Laufbahn ist für einen befähigten Beamten eher als bescheiden denn als ungewöhnlich oder schnell zu bezeichnen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kohut.
Herr Minister, sind Sie nicht auch der Meinung, daß hier seit Jahren unerhörte Versäumnisse der Bundesregierung vorliegen, wenn sich auf personellem Gebiet in allen Verwaltungsstellen Panne an Panne reiht und sich immer mehr Personen in hohen Stellungen als Kriegsverbrecher herausstellen?
Herr Kollege, Ihre sehr allgemein gehaltene Frage darf ich wie folgt beantworten. Herr Saevecke wurde im Jahre 1952 — darauf bezieht sich ja wohl die Frage — eingestellt. Ich glaube sogar, daß Mitgliedern dieses Hohen Hauses die Unterlagen bekannt waren. Die Bundesregierung hat im Jahre 1952 bei der Einstellung alle ihr zur Verfügung stehenden Unterlagen — Personalakten, Entnazifizierungsakten und die Akten aus dem Document-Center, soweit sie ihr zur Verfügung standen — herangezogen und genauestens geprüft. Ich kann deswegen Ihre sehr allgemeine Behauptung nicht bestätigen.
In den Jahren 1955 und 1956 wurden dann weitere Vorwürfe in der Öffentlichkeit erhoben, die dazu führten, daß die Bundesregierung an Ort und Stelle in Italien eingehende Ermittlungen anstellte. Dabei hat sich ergeben, daß eine ganze Reihe von Behauptungen, die von den gleichen Leuten aufgestellt werden und sich in Schlagzeilen niederschlagen, damals dem Vernehmungs- oder Untersuchungsbeamten keineswegs mitgeteilt worden sind.
In den letzten Wochen — ungefähr seit dem 11. Februar — sind weitere Anschuldigungen erhoben worden. Wir haben über drei Auslandsvertretungen — in Wien, in Italien und in Tunis — eingehende Ermittlungen nach den Vorschriften der Disziplinarordnung angestellt, um festzustellen, ob ein Verschweigen vorliegt und ob daraus disziplinäre Folgerungen zu ziehen sind.
Eine weitere Frage.
Ist es also ein Beweis für eine gute Verwaltung, wenn solche Feststellungen in allen Fällen — nicht nur bei Saevecke — erst nachträglich getroffen werden?
Es ist keineswegs so, daß sie nachträglich getroffen werden, sondern die Stellen, die damals zu entscheiden hatten, haben vor der Einstellung alle erreichbaren, verfügbaren Unterlagen ausgeschöpft und genau und gründlich geprüft.
Frage VII/3 — des Herrn Abgeordneten Sänger —:
War der Bundesregierung bei der Erteilung des Auftrages an den Regierungskriminalrat Theo Saevecke, das Referat Hoch-und Landesverrat in der Sicherungsgruppe Bonn des Bundeskriminalamtes zu übernehmen, bekannt, daß Herr Saevecke erst am 1. Oktober 1934 Polizeibeamter geworden ist und vorher einen anderen Beruf ausübte?
Der Bundesregierung war bekannt, daß Saevecke am 1. Oktober 1934 Polizeibeamter geworden ist und vorher, wie ich schon ausgeführt habe, einen anderen Beruf hatte. Ich bin darauf schon bei der Beantwortung der ersten Frage eingegangen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, ist die Bundesregierung bereit, den Beamten, der Saewecke, obwohl dieser doch als Vertrauensmann des Nationalsozialismus galt, damit beauftragt hat, nun in unserer demokratischen Wirklichkeit an einer besonders exponierten Stelle Hoch- und Landesverrat zu bearbeiten, dafür zur Rechenschaft zu ziehen?
Aus meinen Ausführungen und meiner Antwort auf die vorige Frage ergibt sich, daß Saevecke nicht ais Vertrauensmann der Nationalsozialisten anzusehen war. Es besteht deshalb kein Anlaß, gegen den Beamten Maßnahmen zu ergreifen, der Saevecke mit der Leitung des Referates Hoch- und Landesverrat bei der Sicherungsgruppe beauftragt hat.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Sänger.
Herr Minister, finden Sie nicht, daß es sich, wenn ein Beamter 1934 aus einem anderen Beruf einberufen wurde zu der Zeit, zu der die damaligen preußischen Beamten der Kriminalpolizei, die nicht politisch zuverlässig zu sein schienen, ausgesondert wurden, dabei um eine Berufung aus Gründen der politischen Zuverlässigkeit im Sinne des Nationalsozialismus handelte?
Herr Kollege Sanger, wir haben die Frage sehr genau nachgeprüft. Saevecke kam mit ganz anderen Vorbildungsvoraussetzungen in diesen Beruf. Die Kriminalkommissarlaufbahn war im allgemeinen Leuten vorbehalten, die aus der Schutzpolizei kamen, ohne daß eine besondere berufliche Ausbildung vorausgesetzt wurde. Seine Beförderung erfolgte sogar erst zwei Jahre später, als sie normalerweise bei gleichen Verhältnissen eintrat. Von einer Begünstigung und einem besonderen Vertrauensverhältnis kann keine Rede sein.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Kohut,
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2812 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963
Herr Minister, ist schon einmal geprüft worden, ob nicht in unserer Verwaltung Personen sitzen, die aus eigener guter Kameradschaft — SA, SS und so etwas — die Leute nachziehen, die jetzt in unserer Verwaltung so unangenehm auffallen?
Herr Kollege, eine solche Prüfung ist sehr schwer. Wir sind bereit, in dem Augenblick, in dem wir über die bisherigen Feststellungen hinaus — wobei wir heute die Zentralstelle in Ludwigsburg zusätzlich einsetzen können — etwas erfahren, jeder Anregung nachzugehen. Aber eine solche allgemeine Prüfung, wie Sie sich das vorstellen, wer wen nachzieht und wo das der Fall ist, halte ich für verwaltungsmäßig doch recht kompliziert. Eine solche Frage ist aus wenig Verwaltungserfahrung heraus gestellt.
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Dr. Kohut.
Herr Minister, sind Sie davon überzeugt, daß diese Antwort hundertprozentig zutrifft?
Immer, Herr Kollege!
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Ertl.
Herr Minister, sind Sie nicht auch der Auffassung, daß mit der Entnazifizierung Schluß sein sollte, soweit es sich nicht um kriminelle Delikte handelt?
Ich bin ganz Ihrer Meinung.
Frage VII/4 — des Herrn Abgeordneten Hammersen —:
Wann beabsichtigt die Bundesregierung eine Novellierung des § 159 des Bundesbeamtengesetzes in der Richtung vorzunehmen, daß diese mit dem Geist und der Zielsetzung des EWG-Vertrages nicht zu vereinbarenden Bestimmungen dann keine Anwendung finden, wenn der Versorgungsberechtigte seinen Wohnsitz in einem der Länder des Gemeinsamen Marktes nimmt?
Bitte, Herr Minister!
Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, eine Novellierung des § 159 des Bundesbeamtengesetzes vorzuschlagen, weil die jetzige Fassung durchaus die Berücksichtigung der Zielsetzung des EWG-Vertrages zuläßt. Das Gesetz läßt Ausnahmen von dem Ruhen der Versorgungsbezüge zu, solange der Versorgungsberechtigte seinen Wohnsitz im Ausland hat. Durch die Verwaltungsvorschriften zu § 159 des Bundesbeamtengesetzes ist entsprechend dem Wunsche des
zuständigen Ausschusses dieses Hohen Hauses sichergestellt, daß bei der Bewilligung von Ausnahmen großzügig verfahren wird. Hierzu gehört auch der Fall eines Wohnsitzes in den EWG-Ländern. Die Regelung des § 159 des Bundesbeamtengesetzes erfaßt alle Länder; eine gesetzliche Sonderregelung für die EWG-Länder hätte schwierige politische Rücksichtnahmen auf andere Länder zur Folge.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, ist die Bundesregierung bereit, jedenfalls die Verwaltungsvorschriften zu § 159 des Bundesbeamtengesetzes alsbald in dem Sinne zu ändern, daß es bei Wohnsitz oder dauerndem Aufenthalt eines Versorgungsberechtigten in einem der EWG-Länder keines Antrages bedarf, um das Ruhen der Versorgungsbezüge auszuschließen?
Herr Kollege, ich bin der Meinung, daß wir das nicht auf die EWG-Länder beschränken können — aus den Gründen, die ich soeben angeführt habe —; aber ich stehe einer solchen Ergänzung grundsätzlich auch für die übrigen Ländern durchaus wohlwollend gegenüber.
Eine weitere Zusatzfrage.
Darf ich aus dieser Antwort schließen, Herr Minister, daß Sie nicht mit mir der Meinung sind, daß es sich bei dem. § 159 des Bundesbeamtengesetzes trotz der Möglichkeiten der Verwaltungsvorschriften, Ausnahmen großzügig zuzulassen, doch um eine mit dem Geist des EWG-Vertrages nicht zu vereinbarende Vorschrift handelt?
Nein. Ich bin der Meinung, daß Ihrem Anliegen durch die Verwaltungsvorschriften und deren Handhabung jetzt schon durchaus Rechnung getragen werden kann und daß man das noch verbessern sollte in dem Sinne, wie Sie angeregt haben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mommer.
Herr Minister, meinen Sie nicht, daß eine solche Bestimmung auch mit den Freizügigkeitsbestimmungen innerhalb der EWG unvereinbar ist, selbst dann, wenn es sich um ehemalige Arbeitskräfte handelt?
Das werde ich prüfen, Herr Kollege.
Ich danke Ihnen, Herr Minister.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963 2813
Vizepräsident Dr. DehlerFragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Erste Frage — des Herrn Abgeordneten Wittrock —:Trifft es zu, daß das wiederholt von dem Bundesjustizminister angekündigte Gutachten des Bundesgesundheitsamtes zu der Frage, welcher Blutalkoholgehalt eine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit begründet, inzwischen dem Bundesjustizminister vorgelegt worden ist?Bitte, Herr Minister.
Der Bundesminister der Justiz hat gegen Ende des Jahres 1960 ein umfassendes medizinisches Gutachten des Bundesgesundheitsamtes zur Bedeutung des Alkohols im Straßenverkehr angefordert. Unter Mitwirkung einer Kommission unabhängiger Sachverständiger ist inzwischen ein erstes Teilgutachten erarbeitet und von dem Präsidenten des Bundesgesundheitsamtes Anfang April 1962 vorgelegt worden.
Die weiteren Teilgutachten, die sich vor allem mit der Höhe des sogenannten absoluten Grenzwertes der Fahrtüchtigkeit, der Zuverlässigkeit der Blutalkoholbestimmungsmethoden und der Rückrechnung von Blutalkoholkonzentrationen auf die Tatzeit befassen werden, stehen noch aus.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, trifft es zu, daß dieses erste Teilgutachten immerhin schon Erkenntnisse von einem so großen öffentlichen Interesse enthält, daß im Hinblick auf die Bedeutung des Sachgegenstandes eine Veröffentlichung dieses ersten Teilgutachtens sachdienlich und deshalb empfehlenswert wäre?
Es ist richtig, daß dieses erste Teilgutachten wichtige Erkenntnisse enthält. Ich glaube aber, eine Veröffentlichung nur dieses Teiles wäre unzweckmäßig, weil eben die anderen Fragen, die ich genannt habe, also gerade die Frage der Zuverlässigkeit der Berechnungsmethoden und die Frage der Rückrechnung, doch in so untrennbarem Zusammenhang mit dem ganzen Komplex stehen, daß ich glaube, die Diskussion würde in eine falsche Richtung laufen, wenn wir nur dieses Teilgutachten veröffentlichten.
Eine weitere Zusatzfrage.
Können Sie sagen, wann mit der Übermittlung und dann wohl Veröffentlichung der übrigen Teilgutachten zu rechnen ist? Hat das Ministerium hier irgendeine Frist gesetzt?
Wir sind glaube ich, nicht in der Lage, der Wissenschaft eine Frist zu setzen. Aber ich habe die bestimmte Erwartung, daß diese anderen Gutachten noch vor der Sommerpause eingehen und dann insgesamt auch veröffentlicht werden können.
Frage VIII/2 — des Herrn Abgeordneten Wittrock —:
Warum ist die Vorlage des Entwurfs eines Straftilgungsgesetzes bisher unterblieben, obgleich die Bundesregierung gemäß den Ausführungen des Staatssekretärs im Bundesjustizministerium in der Fragestunde des Bundestages vom 14. März 1962 der Hoffnung Ausdruck gegeben hatte, spätestens bis zum Juli 1962 einen solchen Gesetzentwurf den gesetzgebenden Körperschaften zuleiten zu können?
Im Interesse einer möglichst baldigen Verabschiedung der Strafregisternovelle hat mein Haus einen Entwurf ausgearbeitet, der sich auf die dringendsten Probleme des Strafregisterrechts beschränkt, und befand sich insoweit in Übereinstimmung mit einem Beschluß der Justizministerkonferenz in Hamburg aus dem Jahre 1959. Dieser Entwurf ist am 27. September 1962 dem Bundeskabinett zugeleitet worden. Inzwischen sind — auch mit Rücksicht auf Grundsätze, die das Bundesverfassungsgericht in verkehrsstrafrechtlichen Entscheidungen entwickelt hat — Bedenken gegen eine bloße Teilreform aufgetreten. Ich halte es auf Grund dieser Rechtsentwicklung nunmehr für unerläßlich, dem bisher auf einer Verwaltungsvorschrift beruhenden Strafregister eine gesetzliche Grundlage zu geben sowie durch Gesetz auch zu regeln, welche Entscheidungen in das Strafregister einzutragen sind und welche Stellen Auskunft über Vermerke erhalten, die noch nicht der beschränkten Auskunft unterliegen.
Bei dieser Sachlage und unter Berücksichtigung der bekannten gegenwärtigen Arbeitslage im Rechtsausschuß des Bundestages halte ich es für die bessere Lösung, nicht jetzt, sondern dann gleich zu Beginn der nächsten Wahlperiode einen vervollständigten Entwurf einzubringen.
Herr Abgeordneter Wittrock zu einer Zusatzfrage!
Herr Minister, halten Sie es für notwendig — da ja nicht nur in Hamburg, sondern auch zu einem späteren Zeitpunkt in Saarbrücken sich die Justizministerkonferenz mit der Reform des Straftilgungsrechts befaßt hat —, daß jetzt der Bundesminister der Justiz der Justizministerkonferenz Gelegenheit gibt, zu diesen neuen Überlegungen Stellung zu nehmen?
Wie ich schon ausführte, haben wir bisher in der Sache sehr eng mit den Justizministern der Länder zusammengearbeitet und auch eine sehr weitgehende sachliche Übereinstimmung erzielt. Ich halte durchaus die Überlegungen für richtig und werde das der Justizministerkonferenz unterbreiten.
Eine weitere Frage.
Herr Minister, würden Sie es für zweckmäßig und empfehlenswert halten, die etwaigen Gesetzentwürfe, unabhängig von der Arbeitslage des Bundestages, frühzeitig zu veröffentlichen, damit sich eine Diskussion darüber entwickeln kann, zumal dieses Sachgebiet — also vom
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2814 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963
Wittrockrein Sachlichen her gesehen — in einem gewissen Zusammenhang zu den Grundzielen der Strafrechtsreform steht?
Ich glaube, mein Haus ist dafür bekannt, daß es im allgemeinen großzügig im Hinblick auf die Veröffentlichung von fertiggestellten Entwürfen verfährt. Es ist auch in diesem Fall damit zu rechnen, daß der Entwurf, wenn er fertiggestellt ist, veröffentlicht wird.
Wir kommen zur Frage VIII/3 — der Abgeordneten Frau Dr. Maxsein —:
Welches ist der gegenwärtige Stand der Ratifizierung des Europäischen Übereinkommens vom 20. April 1959 über die obligatorische Haftpflichtversicherung für Kraftfahrzeuge, für das nach Auskunft des Bundesjustizministeriums in der Fragestunde vom 7. Dezember 1961 der Entwurf des Zustimmungsgesetzes bereits vor mehr als einem Jahr fertiggestellt war?
Bitte, Herr Minister!
Der Entwurf eines Zustimmungsgesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 20. April 1959 über die obligatorische Haftpflichtversicherung für Kraftfahrzeuge ist bereits seit längerer Zeit fertiggestellt. Da aber das Übereinkommen eine Reihe von Änderungen des deutschen Rechts erforderlich macht, die innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach dem Wirksamwerden des Übereinkommens durchgeführt sein müssen, muß zusammen mit diesem Zustimmungsgesetz ein Gesetz zur Durchführung des Übereinkommens vorgelegt werden. Auch die Arbeiten an diesem Gesetz sind weit fortgeschritten und werden nach Eingang der noch ausstehenden Stellungnahmen der betroffenen Behörden und Verbände voraussichtlich bald abgeschlossen werden können. Ich hoffe daher, daß die Gesetzentwürfe noch in diesem Jahr dem Bundeskabinett vorgelegt werden können.
Keine Zusatzfrage.
Die Frage VIII/4 — des Herrn Abgeordneten Jahn — wird am Freitag aufgerufen und vom Minister beantwortet werden.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen, zunächst zur Frage IX/1 — des Herrn Abgeordneten Porten, der durch Herrn Abgeordneten Riedel vertreten wird —:
Wie hoch waren die Steuerrückerstattungen aus dem Lohnsteuerjahresausgleich in den letzten drei Jahren?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zahlenangaben liegen nur über die von den Finanzämtern bearbeiteten LohnsteuerJahresausgleichsanträge vor. Von den Finanzämtern sind erstattet worden: für das Jahr 1959 rund 637 Millionen DM, für das Jahr 1960 rund 897 Millionen DM und für das Jahr 1961 rund 1,1 Milliarden DM.
Für das Jahr 1962 liegen noch keine Zahlen vor, weil der Lohnsteuerjahresausgleich noch nicht abgeschlossen ist.
In den vorbezeichneten Beträgen sind Erstattungen und Aufrechnungen, die beim Lohnsteuerjahresausgleich durch die Arbeitgeber erfolgt sind, nicht enthalten, weil hierüber Statistiken nicht vorliegen und auch nicht möglich sind.
Wir kommen zur Frage IX/2 — des Herrn Abgeordneten Ertl —:
Wann ist damit zu rechnen, daß das Rasthaus am Chiemsee von den verbündeten Streitkräften freigemacht wird und für deutsche Touristen wieder zur Verfügung steht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Rasthaus am Chiemsee ist seit dem Ende des 2. Weltkrieges von den amerikanischen Streitkräften in Anspruch genommen.
Die Liegenschaft, die Eigentum der Bundesrepublik ist, dient .den Angehörigen der amerikanischen Streitkräfte als Erholungszentrum; sie wird entsprechend den Bestimmungen des Truppenvertrages unentgeltlich genutzt.
Die amerikanischen Streitkräfte haben für das Rasthaus am Chiemsee einen Dauerbedarf geltend gemacht, so daß den vielfachen Freimachungsbemühungen der Bundesregierung und ,der Regierung des Freistaates Bayern kein Erfolg beschieden war. Hierüber hat die Bundesregierung das Hohe Haus schon mit Schreiben vom 24. November 1960 —Drucksache 2251 der 3. Wahlperiode — ausführlich unterrichtet. Der Bedarf der amerikanischen Streitkräfte an der Nutzung der Anlage besteht auch heute unverändert weiter. Er wird jetzt auch damit begründet, daß in den Erholungszentren der amerikanischen Streitkräfte in den Gebieten um Garmisch-Partenkirchen und Berchtesgaden inzwischen Einschränkungen erfolgt sind. Sofern nicht besondere Umstände eintreten, kann daher in absehbarer Zeit nicht damit gerechnet werden, daß das Rasthaus am Chiemsee wieder dem deutschen Reiseverkehr zugänglich gemacht werden kann.
Eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, gedenkt die Bundesregierung am Chiemsee oder in der Nähe des Chiemsees für die deutschen Touristen ein neues Rasthaus oder eine geeignete Raststätte zu errichten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, nicht gerade am Chiemsee! Wir sind der Meinung, daß an der Autobahnstrecke München—Salzburg bzw. Berchtesgaden genügend Rasthäuser vorhanden sind: das Rasthaus Autobahnausfahrt Holzkirchen, das Rasthaus mit Motel Irschenberg, die Raststätte Siegsdorf, die Raststätte Freilassing sowie die Raststätte bei Bad Reichenhall. Außerdem ist auf der Strecke der Inntal-Autobahn bei der Abzweigung bei Rosenheim der Bau eines Rasthauses an einem kleinen See bereits eingeplant.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963 2815
Eine weitere Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, warum benutzen die Amerikaner nicht die allgemeinen Hotels, die im Raume des Chiemsees für den Reisestrom zur Verfügung stehen, und warum beanspruchen sie ausgerechnet dieses für die Touristik so bedeutungsvolle Objekt ausschließlich für sich?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, das Rasthaus Chiemsee ist von den amerikanischen Streitkräften, nachdem es in Benutzung genommen worden ist, für ihre Zwecke weitgehend ausgebaut und erweitert worden. Bei der Beantwortung im Jahre 1960 hat die Bundesregierung bereits darauf hingewiesen, daß geprüft worden ist, ob nicht andere Möglichkeiten vorhanden sind, ob z. B. nicht die Gesellschaft für Nebenbetriebe bereit wäre, das Rasthaus Chiemsee wieder zu übernehmen. Es hat sich erwiesen, daß ein Interesse an diesem Rasthaus nicht vorhanden war, weil es zu aufwendig und für die Zwecke .des normalen Verkehrs auf der Autobahn nicht so geeignet ist, wie es wünschenswert wäre.
Frage IX/3 — des Herrn Abgeordneten Krüger —:
Glaubt die Bundesregierung die für die Hauptentschädigungsauszahlung erforderlichen Vorfinanzierungsmittel in Höhe von insgesamt 700 Millionen DM rechtzeitig beschaffen zu können?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Beantwortung dieser Frage erfordert — auch im Hinblick auf die folgenden Fragen des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja — einige Vorbemerkungen, die ich vorausschicken möchte, damit Wiederholungen vermieden werden.
Die Bundesregierung hat bereits bei früheren Anlässen vielfach zu erkennen gegeben, daß die beschleunigte Abwicklung der Hauptentschädigung ihr ganz besonderes Anliegen ist. Diese beschleunigte Abwicklung verdient sogar den Vorrang vor einer an sich wünschenswerten weiteren Verbesserung der Leistungen, weil jede Änderung zwangsläufig den Ablauf verzögert. Diese Auffassung besteht nach wie vor fort.
Nun hat der Lastenausgleichsfonds im Jahre 1962 bekanntlich außergewöhnlich hohe Auszahlungen an Hauptentschädigungen erbracht, nämlich 1619 Millionen DM gegenüber 1165 Millionen DM im Jahre 1961. Von den Auszahlungen bis Ende 1962 entfällt über 1 Milliarde auf Ansprüche, die nachträglich durch die 14. Novelle zum Lastenausgleichsgesetz begründet worden waren. Dieser hohe Ausgabenstand im Jahre 1962 konnte jedoch nur auf Grund besonderer Verhältnisse erreicht werden, vor allem auf Grund sehr namhafter einmaliger Sondereinnahmen durch Ablösung von Abgabeverpflichtungen sowie aber auch durch Vorgriffe auf Einnahmen aus dem Jahre 1963, die bereits Ende 1962 durch die Länder vorfinanziert wurden.
Die Ausgangslage des Fonds im Jahre 1963 ist von vornherein wesentlich ungünstiger: Die laufenden Einnahmen sind rückläufig; das ist teilweise durch vorausgehende Ablösungen veranlaßt. Die Sondereinnahmen fallen weg. Der Vorgriff auf die Einnahmen 1963 verkürzt naturgemäß die noch verfügbaren Ausgabemittel. Rückzahlungsverpflichtungen aus den Vorfinanzierungsmaßnahmen der Vorjahre werden jetzt fällig.
In Würdigung dieser Schwierigkeiten hat die Bundesregierung trotz gewisser Bedenken den Kreditrahmen, der in den Vorjahren mit 300 Millionen DM gezogen war, bis zur Höhe von 500 Millionen DM erhöht. Sie hat ferner vor einigen Wochen im Wege der Rechtsverordnung die Möglichkeit der Erfüllung von Ansprüchen durch die Begründung von Spareinlagen erheblich erweitert, so daß auf diesem Wege im Jahre 1963 bei einem Aufwand des Ausgleichsfonds von nur 100 Millionen DM nunmehr ein Mehrfaches dieses Betrages zusätzlich an Ansprüchen erfüllt werden kann. Soweit meine allgemeinen Vorbemerkungen.
Zu der speziellen Frage, Herr Abgeordneter Krüger, ob der Kreditrahmen für den Ausgleichsfonds 1963 über 500 Millionen DM hinaus weiter erhöht werden kann — nach Ihren Vorstellungen ja offenbar auf 700 Millionen DM —, vermag ich im gegenwärtigen Zeitpunkt eine befriedigende Antwort leider nicht zu geben. Der Präsident der Deutschen Bundesbank hat gerade in diesen Tagen dringend davon abgeraten, in dieser Beziehung zur Zeit eine Zusage zu machen, zumal der eigene Kreditbedarf des Bundes noch nicht übersehbar ist. Die weitere Entwicklung wird jedoch von der Bundesregierung beobachtet und auf etwaige weitere Möglichkeiten der Vorfinanzierung laufend geprüft werden.
Herr Abgeordneter Krüger, eine Zusatzfrage!
Ist man bei diesen Erwägungen davon ausgegangen, daß der Kontrollausschuß vorgeschlagen hat, 700 Millionen DM Vorfinanzierungsmittel zur Verfügung zu stellen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Krüger, mir ist bekannt, daß der Kontrollausschuß und der Beirat 700 Millionen DM genannt haben. Diese 700 Millionen DM beruhen aber nicht etwa auf einem genau ermittelten Bedarf, sondern auf einer Schätzung. Wir sind zur Zeit, wie ich soeben sagte, nicht in der Lage, jetzt eine Erhöhung des Kreditrahmens des Fonds für 1963 von 500 auf 700 Millionen DM zuzusagen.
Eine weitere Frage!
Sind bei den bisher zur Verfügung gestellten 500 Millionen DM irgendwelche Erwägungen angestellt, bis zu welchem Zeitpunkt1 diese Beträge zur Verfügung gestellt werden?
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2816 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir hatten solche Erwägungen mit den beteiligten Ressorts angestellt. Sie sind aber durch das von mir soeben erwähnte Schreiben des Präsidenten der Bundesbank wieder etwas überholt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Rehs.
Herr Staatssekretär, auch wenn die Ursachen in die Zeit vor Ihrem Amtsbeginn zurückreichen: Warum konnte seitens der Bundesregierung nicht rechtzeitig dafür gesorgt werden, daß diese Unterbrechung in den Hauptentschädigungszahlungen, die sehr viel Unruhe und Sorge in den Ländern bereitet hat, überhaupt nicht erst eintrat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, diese Frage hängt bereits mit der nächsten offiziell gestellten Frage zusammen. Ich darf sie vielleicht gleichzeitig damit beantworten.
Eine weitere Frage.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie versichert haben, daß die Bundesregierung die Notwendigkeit weiterer beschleunigter Zahlungen einsieht, sehen Sie nicht einen Widerspruch zu Ihrer jetzigen Erklärung, daß über die notwendigen weiteren Maßnahmen noch keine Entscheidung getroffen werden könne, wenn jetzt schon feststeht, daß wir im Sommer vor erneuten Schwierigkeiten stehen werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich sehe die Situation anders als Sie. Man muß unterscheiden zwischen den verfügbaren Kassenmitteln und der Gesamtplanung. Die verfügbaren Kassenmittel sind zur Zeit ausreichend. Man darf es aber nicht nur auf den gegenwärtigen Kassenbestand abstellen, sondern der Präsident des Bundesausgleichsamtes muß ja wohl bei der Gesamtplanung von dem Kreditrahmen ausgehen, der für ,das ganze Jahr aufgestellt ist. Wir glauben, daß wir auch im Jahre 1963 die Anträge entsprechend bedienen können.
Darf ich also fragen, Herr Staatssekretär — —
Es tut mir leid, Ihr Fragerecht ist erschöpft.
Herr Abgeordneter Kuntscher, eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, können Sie sagen, bis wann konkret über die 500 Millionen DM, die bisher bewilligt sind, durch Rechtsverordnung verfügt werden kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine konkrete Antwort kann ich Ihnen nicht geben, Herr Abgeordneter. Ich darf noch
einmal erwähnen: wir waren der Meinung, daß wir Ende April/Mai darüber befinden könnten. Die Situation ist aber durch das Schreiben des Präsidenten der Bundesbank geändert, der seine warnende Stimme mit Rücksicht auf den anderen Bedarf des Bundes erhoben hat. Darüber können wir nicht hinweggehen. Wir hoffen aber, daß es rechtzeitig geschehen wird, so daß keine Unterbrechung erfolgt.
Eine zweite Frage, Herr Abgeordneter Kuntscher!
Herr Staatssekretär, sehen Sie nicht ein, daß es durch die entstandene Unruhe unbedingt notwendig ist, daß diese Mittel so schnell wie möglich und ohne bürokratische Hemmungen flüssig gemacht werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß bürokratische Hemmungen dabei keine Rolle spielen sollten, kann aber nicht anerkennen, daß die Erwägungen des Präsidenten der Bundesbank auf bürokratischen Überlegungen beruhen.
Herr Abgeordneter Czaja zu einer Zusatzfrage!
Da die beschleunigte Auszahlung, die die Bundesregierung mit Vorrang beabsichtigt, von der Summe der Kassenmittel abhängig ist, frage ich: wie denkt man sich unter diesen Umständen 'die beschleunigte Abwicklung?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich sagte vorhin: die kassenmäßige Lage ist gar nicht ungünstig. Ich habe hier gewisse Zahlen an der Hand. Den Ausgleichsämtern waren in 1963 bisher etwa 200 Millionen DM zugewiesen worden, und die sind, wie ich soeben schon erwähnt hatte, auf 250 Millionen DM erhöht worden. Davon wurden im Januar und Februar nach vorläufiger Schätzung rund 110 Millionen DM verbraucht. Zur Zeit — ,das begründet meine vorhin aufgestellte Behauptung — stehen den Ausgleichsämtern also unverbrauchte Mittel in Höhe von etwa 140 Millionen DM zur Verfügung.
Eine weitere Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Besteht ein Weisungsoder Einspruchsrecht der Bundesbank dahin gehend, die bisherigen Vorfinanzierungen auf dem Anleihewege gegenüber den bisherigen Jahren herunterzusetzen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ein formales Einspruchsrecht sicherlich nicht. Aber Sie werden mir zugeben, daß wir darauf Rücksicht nehmen müssen, wenn eine in der Öffentlichkeit so bekannte Persönlichkeit wie Herr Blessing von der Bundesbank
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963 2817
Staatssekretär Grundsagt, jetzt im Augenblick sei es untunlich, eine Zusage zu erteilen. Dieser Brief des Präsidenten der Bundesbank ist erst einige Tage alt. Wir werden mit ihm schnellstens Fühlung nehmen, um von ihm zu erfahren, wann nach seiner Meinung die Zusage erteilt werden könne.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Leukert.
Herr Staatssekretär, bis wann, glauben Sie, könnten die Verhandlungen über den Einspruch des Bundesbankpräsidenten bezüglich der Vorfinanzierung abgeschlossen sein?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Da bin ich im Moment überfragt. Das ist auch eine Frage unseres Terminkalenders. Die nächsten Wochen sind ausgefüllt. Wir werden aber so bald wie möglich Fühlung nehmen, um diese Frage abschließend zu klären, und zwar, wie wir hoffen, in Ihrem Sinne.
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Leukert.
Herr Staatssekretär, nach der Situation am Kapitalmarkt dürfen wir doch annehmen, daß die 300 Millionen DM, die auf den Kapitalmarkt zukommen, wohl bis zum 1. April verkraftet werden können. Glauben Sie das nicht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich möchte mich dazu jetzt nicht äußern, weil tatsächlich Zweifel in dieser Richtung aufgekommen sind. Bisher waren wir derselben Meinung wie Sie.
Frage IX/4 — des Herrn Abgeordneten Krüger —:
Wann werden die Einschränkungsrichtlinien des Präsidenten des Bundesausgleichsamtes vom 19. Januar 1963 wieder aufgehoben?
Herr Staatssekretär, bitte!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Präsident des Bundesausgleichsamtes hat keine Richtlinien vom 19. Januar 1963 erlassen. Er hat in drei Schreiben — vom 1. Dezember 1962, 25. Januar 1963 und 25. Februar 1963 — die Ausgleichsbehörden darüber unterrichtet, wie bei zeitweiser Verknappung der Mittel für Hauptentschädigungen zu verfahren ist. Einer Aufhebung des Inhalts dieser drei eben genannten Schreiben bedarf es auch bei einer Änderung der Lage hinsichtlich der Mittel nicht. Die Leistungen aus dem Ausgleichsfonds — auch die Hauptentschädigung — werden jeweils nach Maßgabe der verfügbaren Mittel erbracht. Einschränkungsmaßnahmen werden daher in dem Zeitpunkt und in dem Ausmaß ohne weiteres wieder hinfällig, in dem weitere Mittel verfügbar werden.
Herr Abgeordneter Krüger!
Ist Ihnen bekannt, daß diese Schreiben — es kommt ja auf das Datum nicht so an — eine sehr große Beunruhigung ausgelöst haben, insbesondere aber bei den Ausgleichsämtern selber dazu geführt haben, daß man nun bei weiteren Bewilligungen stockend verfährt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, das berührt die nächste Frage. Ich will hier aber schon etwas vorweg sagen. Uns ist in der Tat bekannt, daß sich Schwierigkeiten ergeben haben. Inhaltlich besagen ja diese Schreiben nur, wie bei Verknappung der Mittel zu verfahren ist, daß z. B. bei besonders alten Berechtigten vorzeitige Auszahlungen möglichst über die Begründung von Spareinlagen erfolgen sollten oder daß in Bagatellfällen die Auszahlung zurückgestellt werden soll.
Ich darf die weitere Antwort im Zusammenhang mit den Fragen 5 und 6 geben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kuntscher!
Herr Staatssekretär, ist dem Bundesfinanzministerium auch bekannt, daß die nach meiner Auffassung ohnedies zu scharfen und zu harten Richtlinien in der Weisung des Präsidenten des Bundesausgleichsamtes von den jeweiligen Landesflüchtlingsverwaltungen noch verschärft und dramatisiert wurden und daß die Unruhe damit noch wesentlich verstärkt worden ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dieser Tatbestand ist mir nicht bekannt. Ich werde ihm aber nachgehen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Rehs!
Herr Staatssekretär, was also wird die Bundesregierung tun, damit künftig solche Folgen durch derartige Schreiben vermieden werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich werde beim Präsidenten des Bundesausgleichsamtes, wenn die Prüfung die Richtigkeit dieser eben aufgestellten Behauptung ergibt, anregen, daß er schnellstens mit dem zuständigen Landesausgleichsamt Fühlung nimmt, damit solche Anweisungen unterbleiben.
Ich rufe auf die Frage IX/5 — des Abgeordneten Dr. Czaja —:Ist der Bundesregierung bekannt, daß auf Grund eines wahrscheinlich falsch interpretierten Rundschreibens des Präsidenten des Bundesausgleichsamtes in Kreisen der Lastenausgleichsgeschädigten das Gerücht verbreitet wird, die Barauszahlung der Hauptentschädigung werde ganz oder teilweise gestoppt, daß zu Protestaktionen aufgerufen wird und verschiedene Ausgleichsämter die Barauszahlung für einzelne nach der Hauptentschädigungsanweisung zu bedienende Tatbestände verweigern oder hinauszögern?Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
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2818 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn es Ihnen recht ist, darf ich vielleicht die Beantwortung der beiden Fragen IX/5 und IX/6 zusammenfassen, weil diese beiden Fragen eng zusammenhängen.
Einverstanden! Dann rufe ich zusätzlich die Frage IX/6 — des Abgeordneten Dr. Czaja — auf:
Ist sichergestellt, daß in gleichem Umfang wie bisher anerkannte und nach den Tatbeständen der Hauptentschädigungsanweisung auszahlungsreife Anträge auf Hauptentschädigung nach normaler Bearbeitungszeit in den nächsten Wochen und Monaten auch mit Barzahlungen bei allen Ausgleichsämtern bedient werden?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Bundesregierung ist bekannt, daß die Folgerungen, die die Ausgleichsverwaltung aus der dargelegten zeitweisen Verknappung der Ausgabemittel ziehen mußte, nicht immer auf Verständnis, sondern teilweise auf lebhafte Kritik der Geschädigten und ihrer Verbände gestoßen sind. Die Bundesregierung hat, wie bereits dargelegt, die ihr möglich und geeignet erscheinenden Maßnahmen ergriffen, um die Situation zu erleichtern und zu verbessern. 150 Millionen DM wurden bereits im Januar durch eine Anleihe der Lastenausgleichsbank beschafft. Der inzwischen um 200 Millionen DM erhöhte Kreditrahmen für 1963 soll im April oder im Mai durch Ausgabe von Kassenobligationen ausgefüllt werden. Teilbeträge werden den Ausgleichsämtern seit Februar hierauf laufend zugewiesen. Der Zeitpunkt der Aufnahme der weiteren 150 Millionen DM hängt, wie bereits ausgeführt, von der Lage am Kapitalmarkt ab und kann im Augenblick noch nicht festgelegt werden.
Als Ihnen bekannt, Herr Abgeordneter, darf ich voraussetzen, daß in zunehmendem Maße neue Erfüllungsmaßnahmen in den Vordergrund treten. Dabei möchte ich besonders darauf hinweisen, daß 1963 erstmals Barzinsen zur Hauptentschädigung mit einem geschätzten Betrag von 170 Millionen DM bezahlt werden. Die Zinsen sind ein Teil der Hauptentschädigung. Außerdem möchte ich auf die bereits erwähnten erweiterten Möglichkeiten der Erfüllung über die Begründung von Sparkonten hinweisen. Die Ausgleichsverwaltung wird bemüht bleiben, diese neuen Erfüllungsmöglichkeiten mit den bisherigen in Einklang zu bringen und dabei Härten zu vermeiden.
Die Knappheit an Mitteln ist jedenfalls — ich erwähnte es schon —.zur Zeit erheblich geringer. Wie weit die Auswirkungen gehen, werden erst die praktischen Erfahrungen zeigen können, da es eine Statistik der Erfüllungsfälle, in denen ein Antrag nach der Hauptentschädigungsweisung vorliegt und in denen ein solcher Antrag zu erwarten ist, nicht gibt und wohl auch nicht geben kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Czaja!
Darf ich, Herr Staatssekretär, Ihre Antwort so verstehen, daß die dankenswerten Maßnahmen der Bundesregierung jetzt unmittelbar dazu führen werden, daß die Landesausgleichsämter und die Ausgleichsämter, die die Auszahlungen derzeit nicht vornehmen, in den nächsten Tagen und Wochen die Auszahlungen auch bei Kleinbeträgen und insbesondere bei den ebenfalls eingestellten Eigentumsmaßnahmen wiederaufnehmen können?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, so will meine Antwort verstanden sein.
Wir sind jetzt am Ende der heutigen Fragestunde. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.Die weiteren Fragen werden in der Freitagsitzung beantwortet.Meine Damen und Herren, wir haben die Ehre, den Herrn Präsidenten des Parlaments von Vietnam, Herrn Truong-Vinh-Le, in unserem Hause willkommen zu heißen.
Wir freuen uns darüber. Ich hoffe, daß ihm auf seiner Reise durch Deutschland gute Eindrücke zuteil werden.Ich rufe auf Punkt 2 der Tagesordnung:Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Verlängerung der Geltungsdauer des Gesetzes über die Sicherstellung von Leistungen auf dem Gebiet der gewerblichen Wirtschaft .Es ist vorgesehen, daß der Entwurf an den Wirtschaftsausschuß überwiesen wird. Besteht Einverständnis? — Ich stelle fest, daß so beschlossen ist.Die zweite und dritte Beratung sollen am Freitag erfolgen.Ich rufe dann auf Punkt 3 der Tagesordnung:Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SDP, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung des Saarlandes .Auch hier ist unmittelbare Überweisung beabsichtigt, und zwar an den Rechtsausschuß — federführend — sowie an den Finanzausschuß — mitberatend —. — Ich darf feststellen, daß so beschlossen ist.Der Tagesordnungspunkt 4 — zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Handwerkszählung 1963 — soll nach einer interfraktionellen Vereinbarung kurz zurückgestellt und später aufgerufen werden.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963 2819
Vizepräsident Dr. DehlerIch rufe auf Punkt 5 der Tagesordnung:
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2820 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963
— Es wird keine Ergänzung gewünscht. Ich danke dem Herrn Abgeordneten Becker.Wir kommen zur Einzelberatung. Ich rufe Art. 1, 2 und 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme.Ich schließe die zweite Beratung und eröffne diedritte Beratung.Wer zustimmt, erhebe sich, — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.Ich rufe auf Tagesordnungspunkt 11:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 14. Juli 1960 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg über die Gewährung von Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft an Personen, die die Anwendung der Rechtsvorschriften des Herkunftsstaates nach Artikel 14 Absatz der Verordnung Nr. 3 des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft über die Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer gewählt haben (Drucksache IV/596) ;Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (Drucksache IV/1012) (Erste Beratung 44. Sitzung).Der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Becker, verweist auf den Schriftlichen Bericht. Ich danke dem Herrn Kollegen.Wir treten in die Beratung ein. Ich rufe auf Art. 1, — 2, — 3, — Einleitung und Überschrift. — Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme.Ich schließe die zweite Beratung und eröffne diedritte Beratung.Wer zustimmt, erhebe sich. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme.Ich rufe auf Tagesordnungspunkt 12:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 25. April 1961 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Griechenland über Soziale Sicherheit ;Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (Drucksache IV/1013) (Erste Beratung 48. Sitzung).Der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Killat, verweist auf den Schriftlichen Bericht. Ich danke dem Herrn Abgeordneten.Ich rufe auf Art. 1, — 2, — 3, — 4, — Einleitung und Überschrift. — Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme.Ich schließe die zweite Beratung und eröffne diedritte Beratung.Wer zustimmt, erhebe sich. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme.Ich rufe auf Tagesordnungspunkt 13:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Allgemeinen Abkommen vom 7. Dezember 1957 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über Soziale Sicherheit ;Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (Drucksache IV/1014) (Erste Beratung 54. Sitzung).Wird eine Ergänzung des Schriftlichen Berichts des Herrn Abgeordneten Spitzmüller gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Ich rufe auf Art. 1, — 2, — 3, — 4, — 5, — Einleitung und Überschrift gemäß dem Antrag des Ausschusses. — Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme.Ich schließe die zweite Beratung und eröffne diedritte Beratung.Wer zustimmt, erhebe sich. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.Ich rufe auf Tagesordnungspunkt 14:Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung (Drucksache IV/120);Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (Drucksache IV/938 [neu] )
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963 2821
Vizepräsident Dr. DehlerIch danke den Berichterstattern, den Abgeordneten Büttner, Meyer , Killat, Kohlberger, Weber (Georgenau) und Ollesch. Wird eine Ergänzung der Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wird eine allgemeine Beratung gewünscht? — Das ist auch nicht der Fall; wir können also in die Spezialberatung eintreten. Die zahlreichen Änderungsanträge liegen Ihnen vor. *)
Wir treten nun in die Einzelberatung ein. Ich rufe auf Art. 1.
— Wir kommen zunächst zu den §§ 537 und 538. — Ich darf feststellen, daß die §§ 537 und 538 unverändert angenommen sind.Wir kommen zu § 539. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP auf Umdruck 208 vor. Ich lasse über die auf Umdruck 208 beantragte Neufassung des § 539 Abs. 1 Nr. 13 abstimmen. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Ich rufe auf die §§ 540, 541 und 542. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen!Ich rufe auf § 543. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Löbe, Dr. Sinn, Cramer und Genossen auf Umdruck 188 vor, wonach § 543 in der Fassung des Entwurfs wiederhergestelltwerden soll. Wird der Antrag begründet? — Nein. Wir kommen dann zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag auf Umdruck 188 zustimmt, gebe bitte Handzeichen. — Gegenprobe! — Der Antrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt; I§ 543 entfällt.Ich rufe auf die §§ 544, 545, 546, 547, 548. Wer zustimmt, gebe Zeichen. — Gegenprobe! — Die Bestimmungen sind angenommen.Wir kommen dann zu dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 189 Ziff. 1, hinter § 548 einen § 548 a einzufügen. — Bitte, Frau Kollegin Döhring.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die sozialdemokratische Fraktion stellt unter Ziffer 1 des Umdrucks 189 den Antrag, in das Unfallversicherungsgesetz einen § 548 a neu einzufügen, damit zukünftig auch Personen einen Leistungsanspruch erhalten, die als nasciturus, als Leibesfrucht, infolge eines Arbeitsunfalles oder einer Berufskrankheit der im Erwerbsleben stehenden, versicherten Mutter gesundheitlich geschädigt worden sind. Es geht also um die Frage, ob ein Kind, das im Zustand der Leibesfrucht infolge der Gesundheitsschädigung seiner versicherten Mutter körperlich oder geistig geschädigt worden ist, einen gesetzlichen Leistungsanspruch nach dem Unfallversicherungsrecht haben soll.Ich darf daran erinnern, daß die Zivilrechtsprechung in zufriedenstellender Weise die Leibesfrucht*) Siehe Anlagenals Rechtsträger anerkannt hat. Unsere höchstrichterliche Instanz, der Bundesgerichtshof, hat mit Urteil vom 20. Dezember 1952 entschieden, daß Kinder, die im Zustand der Leibesfrucht infolge einer gesundheitlichen Schädigung der Mutter selbst geschädigt worden sind, Schadensersatzansprüche nach §§ 823 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches geltend machen können. Nach dem Zivilrecht ist also diese Frage zufriedenstellend gelöst.In der Sozialrechtsprechung ist das gleiche Problem neuerdings für den Bereich des Bundesversorgungsgesetzes ebenfalls positiv und befriedigend geregelt worden. Ich komme nachher noch kurz darauf zu sprechen. Jedoch in einem so wichtigen Bereich wie der Arbeitswelt, meine Herren und Damen, ist es noch immer ungeklärt, ob ein Kind, das als Leibesfrucht im Zusammenhang mit einem Arbeitsunfall Schaden erlitten hat, Entschädigungsansprüche geltend machen kann oder nicht. Das kann und darf nach meiner Auffassung nicht länger so bleiben. Im Hinblick auf die große Zahl von Frauen und Müttern, die im Erwerbsleben stehen, muß das heute als eine Gesetzeslücke empfunden werden.Um diese Gesetzeslücke zu schließen, hat die sozialdemokratische Fraktion den Ihnen vorliegenden Antrag eingebracht. Die finanziellen Auswirkungen dieses Antrags — das darf ich gleich zu Anfang sagen — fallen nicht ins Gewicht, da der Personenkreis, um den es sich hierbei handelt, also die Zahl der nachweislich geschädigten Kinder, sehr begrenzt ist.Selbstverständlich — auch dies darf ich gleich am I Anfang hier betonen — ist die Voraussetzung für den Leistungsanspruch, daß der ursächliche Zusammenhang zwischen der Verletzung des werdenden Kindes und dem Arbeitsunfall bzw. der Berufskrankheit der Mutter medizinisch nachgewiesen ist. Gegebenenfalls hat dies durch ein klinisches Gutachten zu geschehen.Meine Herren und Damen, wir sind heute dabei, die Unfallversicherung neu zu gestalten. Bei der Neufassung dieses wichtigen sozialpolitischen Gesetzes sollten nach Auffassung meiner politischen Freunde und nach meiner Meinung auch die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse berücksichtigt werden. Denn als Gesetzgeber sind wir verpflichtet, das Recht in gutem Sinne fortzuentwickeln, so wie es auch im Grundgesetz durch das ausdrückliche Bekenntnis zu einem sozialen Rechtsstaat verlangt ist.Insbesondere möchte ich in diesem Zusammenhang an den Art. 6 des Grundgesetzes erinnern, in dem der besondere Schutz der Familie und des Kindes festgelegt ist. Im Hinblick auf diese Verpflichtung im Grundgesetz möchte ich an den Herrn Bundesfamilienminister — ich sehe ihn leider nicht hier in diesem Hohen Hause, ich möchte diesen Gedanken trotzdem aussprechen — ein besonderes Wort von dieser Stelle aus richten. Ich glaube, daß der Herr Bundesfamilienminister einen guten Start im Parlament hätte, wenn er dieses für Mutter und Kind so wichtige Anliegen durch sein Ja zu dem vorliegenden Antrag unterstützen würde.
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2822 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963
Frau Döhring
Mit dem Antrag meiner Fraktion ist nichts anderes gewollt, als daß das werdende Kind, das nun einmal ein unlösbarer Teil des Körpers der Mutter ist, mit geschützt ist, wenn die Mutter während der versicherten Tätigkeit gesundheitlichen Schaden erleidet. Denn erstens ist die Gesundheit der Frau bei ihrer Erwerbstätigkeit zwangsläufig bedroht, aber nicht nur ihre Gesundheit, sondern auch die ihres Kindes, das sie unter dem Herzen trägt. Das, meine Herren und Damen, ist die eine Tatsache.Zum zweiten ist zu beachten, daß die Berufstätigkeit der Frau, insbesondere auch der werdenden Mutter, unserer verfassungsmäßigen Ordnung entspricht. Dies wird durch die verschiedenen Arbeitsschutzgesetze für die berufstätige Frau bestätigt.Drittens entspricht es den Erfordernissen der Gerechtigkeit, daß, sofern ein werdendes Kind im Zusammenhang mit einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit seiner Mutter gesundheitlichen Schaden erleidet, hierfür auch eine Entschädigung gewährt wird. Denn es handelt sich hierbei um Folgen, die eben auf den Arbeitsunfall oder die Berufskrankheit zurückgehen, wobei das werdende Kind geschädigt worden ist, genauso als wenn sonst ein Organ der Mutter verletzt worden wäre.Die finanziellen Folgen dieser Gesundheitsschäden darf und kann man nicht allein den Eltern aufbürden, noch dürfen sie zu Lasten des Kindes gehen, das ohnehin schon schweres Leid zu tragen hat.Ich darf nochmals betonen, daß die Leibesfrucht infolge der biologischen Gegebenheiten an jeder versicherten Tätigkeit der Mutter passiv beteiligt ist. Das Kind ist daher genauso gefährdet wie die Mutter und erleidet das gleiche Schicksal, ja, es kann sogar — und das ist leider in vielen Fällen so — viel, viel schwerer geschädigt werden als die Mutter selbst. Die Persönlichkeit eines solchen Kindes ist von Geburt an stark gehemmt, und später ist dann nur eine verminderte oder gar keine Erwerbsfähigkeit gegeben.Ich möchte dies an zwei Beispielen kurz aufzeigen.Zunächst den Fall eines Kindes, das wegen Minderung seiner Erwerbsfähigkeit Ansprüche gegen eine landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft geltend gemacht hatte. Einige Monate vor der Geburt war die Mutter dieses Kindes bei der Ernte von einem Wagen gefallen. Die Mutter selbst hatte glücklicherweise keinen dauernden Schaden erlitten. Das Mädchen jedoch hat eine Verkrümmung der Wirbelsäule, eine Verkürzung des rechten Beines und andere gesundheitliche Störungen, die nachweislich auf den Arbeitsunfall der Mutter zurückzuführen sind, 'davongetragen. Das Bundessozialgericht hat den Anspruch bedauerlicherweise abgewiesen. Auf Grund des bisherigen Rechts konnte es diesen verneinenden Standpunkt einnehmen. Aber, meine Herren und Damen, dieses bisherige Recht stammt aus dem Jahre 1911! Sie werden doch zugeben müssen, daß sich diese Rechtsauffassung heute bei der veränderten gesellschaftspolitischen Lage der Frau einfach nicht länger vertreten läßt. Soll denn das Kind, das ohne seine Schuld sein Leben lang schwer geschädigt ist, auch zukünftig völlig leer ausgehen?Ich bin nicht der Meinung, daß sich ein solcher Standpunkt mit unseren sozialrechtlichen Grundsätzen noch länger vereinbaren läßt.Ein anderes trauriges Beispiel. Eine verheiratete Familienfürsorgerin, Mutter eines gesunden Kindes, infizierte sich während ihrer zweiten Schwangerschaft bei ihrer Berufstätigkeit mit Röteln. Die Krankheit übertrug sich medizinisch nachweislich auf das Kind, ein kleines Mädchen, das körperlich und geistig schwer geschädigt ist. Es ist bekannt, daß Röteln während der Schwangerschaft gesundheitsschädigende Auswirkungen auf das werdende Kind haben können. Sie führen insbesondere zu Seh- und Hörfehlern und zu anderen körperlichen und geistigen Schäden. Die Eltern, die mir persönlich bekannt sind, tun alles, um dem Kind jede denkbare Hilfe zu verschaffen, so u. a. durch wiederholtes Aufsuchen der Augen- und Ohrenkliniken wie auch der Universitätsklinik, um den Allgemeinzustand feststellen zu können.Sie mögen daraus, meine Herren und Damen, erkennen, daß diese Eltern alles Menschenmögliche tun, um den Zustand des Kindes zu bessern und sein Leben zu erleichtern. So wie diese handeln bekanntlich die meisten Eltern, die ein solches Kind haben. Das können wir immer wieder beobachten. Aber finanziell geht es doch fast über die Kraft der Eltern. Denn schließlich haben sie auch eine Verpflichtung ihren gesunden Kindern gegenüber, damit sie sich ohne Not richtig und gut entfalten und entwickeln können. Irgendwo aber stößt man dann an die wirtschaftlichen Grenzen. Darum bin ich der Auffassung, daß der vorliegende Antrag Annahme verdient, der das schwere Los dieser Eltern und ihrer Kinder nach menschlichem Vermögen erleichtern soll.
Diesen Entschädigungsanspruch nunmehr auch im Unfallversicherungsrecht festzulegen, ist auch deshalb dringend geboten, weil, wie ich eingangs bereits bemerkte, das Bundessozialgericht am 24. Oktober 1962 für das Bundesversorgungsgesetz entschieden hat, daß der Nasciturus Versorgungsschutz genießt.In der Urteilsbegründung, aus der ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten hier kurz zitieren darf, vertrat der Senat die Auffassung, daß „der Gesetzgeber des Bundesversorgungsgesetzes nicht daran gedacht hat, daß sich bei einem Menschen auch Schädigungen zeigen können, die auf Ereignisse zurückgehen, die vor seiner Geburt liegen. Der Gesetzgeber wollte aber andererseits grundsätzlich allen denen Schutz gewähren, die durch den Krieg Schädigungen erlitten haben. Das ist unzweifelhaft bei der Klägerin der Fall, soweit die bei ihr vorhandenen Schädigungen nach medizinischer Auffassung auf die Mißhandlungen der Mutter zurückzuführen sind. Der Senat ist der Überzeugung„ — heißt 'es in der Begründung weiter —, „daß nach Wortlaut und Sinn des § 1 des Bundesversorgungsgesetzes die Versorgung auch für Schädigungsfolgen zu gewähren ist, wenn diese Schädigungen auf Ereignisse zurückzuführen sind, die eine Person als Leibesfrucht erlitten hat. 'Da das Bundesversor-
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963 2823
Frau Döhring
gungsgesetz eine Regelung dieser Fälle nicht enthält, besteht insoweit eine Gesetzeslücke, die durch das Gericht dem Zweck des Gesetzes entsprechend zu schließen ist."Soweit die wichtigen Punkte aus der 'Begründung des Bundessozialgerichts in Kassel.Meine Herren und Damen, ich habe diesem nur noch einen Gedanken hinzuzufügen, und den bitte ich Sie zu überlegen und zu beachten. So wie der Entschädigungsgedanke im Bundesversorgungsgesetz auf die Kriegsereignisse bezogen ist, so ist im Hinblick auf die Zwangsläufigkeit der Gefahren für die Mutter und das werdende Kind im Arbeitsleben die gleiche Wertung bei der Unfallversicherung zuzugestehen. Dort die Kriegsgefahren — hier die Gefahren im Arbeitsleben.Nach allem, was ich zur 'Begründung des Antrags meiner Fraktion hier ausführen konnte, besteht nach unserer Auffassung keine Berechtigung mehr, einem Kinde bzw. einer Person, die durch Arbeitsunfall oder Berufskrankheit der Mutter geschädigt worden ist, noch weiterhin den Schutz der Unfallversicherung zu versagen. Das würde nämlich heißen, dem Kinde, das in seiner ganzen Persönlichkeit in den meisten Fällen wesentlich einschneidender beeinträchtigt ist als die Mutter, weiterhin ein selbst zu tragendes Schicksal aufzubürden. Das sollten wir als Gesetzgeber nicht tun.Meine Herren und Damen, ich habe Ihnen an einigen Beispielen die schweren Belastungen dieser Familien aufgezeigt. Sicherlich kennen auch Sie den einen oder anderen traurigen Fall, und auch ich könnte noch weitere hier nennen. Das würde jedoch zu weit führen. Ich möchte annehmen, daß ich Ihnen mit den genannten Beispielen deutlich machen konnte, wie notwendig es auch aus menschlichen und nicht zuletzt aus familienpolitischen Gründen ist, nunmehr auch in der Unfallversicherung den Entschädigungsanspruch für Personen, die im Zustand des Nasciturus wissenschaftlich nachweisbar geschädigt worden sind, zu schaffen.Wir sollten also, meine Herren und Damen, da wir das Unfallversicherungsgesetz jetzt neu regeln, das Problem des geschädigten Kindes nunmehr auch im Bereich der Arbeitswelt aus all den angeführten Gründen und nicht zuletzt um der Gerechtigkeit gegenüber dem Kinde und der Familie willen heute und hier regeln. Denn das Schicksal eines solchen Kindes geht auf die Unfallgefährdung zurück, und hierfür hat die Unfallversicherung einzustehen.Ich bitte Sie daher namens meiner Fraktion, dem Antrag Ihre Zustimmung zu geben.
Meine Damen und Herren, ich unterbreche einen Augenblick die Beratung des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes, um einen Irrtum zu beseitigen, der bei der Behandlung des Punktes 7 — Gesetz zur Änderung des Haushaltsgesetzes 1962 — unterlaufen ist. Der Gesetzentwurf sollte nur in zweiter, nicht in dritter Beratung behandelt und gemäß dem Antrag des Aus-
schusses als sachlich gegenstandslos für erledigt erklärt werden.
Ich schlage vor: das Haus beschließt, daß der Beschluß in dritter Beratung gegenstandslos ist und der Antrag des Ausschusses, der angenommen worden ist, gilt. — Ich stelle das Einverständnis des Hauses damit fest.
Wir kehren zurück zum Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz. Das Wort hat der Abgeordnete Ruf.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Namen der Koalitionsfraktionen bitte ich Sie, den Antrag der SPD-Fraktion, dem Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung einen neuen § 548 a einzugliedern, abzulehnen.
— Man kann alles übertreiben, Herr Kollege Geiger, und man kann auch die Sozialstaatklausel des Grundgesetzes überstrapazieren.
Die Unfallversicherung ist eine Tätigkeitsversicherung. In unserem Unfallversicherungsgesetz heißt es in dem ersten Paragraphen: In der Unfallversicherung sind gegen Arbeitsunfall versichert die „Beschäftigten" und die und die Tätigen. Das kann man bei der Leibesfrucht doch wahrhaftig nicht sagen.
— Jawohl, die habe ich gehört.
Im übrigen gibt es im Leben immer Schicksalsschläge, die man nicht auf die Unfallversicherung und auf die Haftpflicht der Unternehmer abwälzen kann und darf. Es gibt Schicksalsschläge, die der einzelne tragen muß. Wenn er sie nicht tragen kann, muß eben die Allgemeinheit, die Gemeinschaft eintreten, aber nicht die Unfallversicherung. Wir haben dafür vorgesorgt durch ein entsprechendes Sozialhilfegesetz.
Ich bitte Sie deshalb, den Antrag der SPD-Fraktion abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Börner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Kollegen Ruf von der CDU/CSU-Fraktion veranlassen uns, noch einmal mit aller Deutlichkeit darauf hinzuweisen, 'daß es hier nicht darum geht, einen Schicksalsschlag in irgendeiner Form in diesem Gesetz zu umschreiben und eine entsprechende Absicherung für die Schädigung einzubauen.Im Antrag der SPD ist klar der Kausalzusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall und der Schädigung des Nasciturus herausgestellt. Zum 'anderen wird — und das ist das Wesentliche — deutlich darauf Bezug genommen, daß die Beweislast bei dem geschädigten Elternteil dieses Kindes liegt. Es kann hier also nicht davon gesprochen werden, daß
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2824 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963
Börnermit dieser Bestimmung eine Ausuferung des Sozialstaatsbegriffs des Grundgesetzes gewollt sei.Gewollt ist in Anerkennung bestimmter Wandlungen der modernen Industriegesellschaft und der stärkeren Beschäftigung weiblicher Arbeitskräfte in der Industrie eine Absicherung gegen Unfälle bzw. Folgeerscheinungen für noch ungeborene Kinder, wie sie sich hin und wieder in den letzten Jahren herausgestellt haben. Ich weise nur darauf hin, welche Auswirkungen die Beschäftigung mit Giftstoffen oder mit ionisierenden Strahlen unter Umständen auf noch ungeborene Kinder haben, um klarzumachen, um welches entscheidende Problem es sich hier handelt.Ich bedaure sehr, daß die Koalitionsfraktionen die Wichtigkeit dieses Punktes, auch in bezug auf die Sicherung der Familie, die das Grundgesetz eindeutig fordert, nicht erkennen und glauben, unseren Antrag ablehnen zu müssen.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe auf den Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 189 Ziffer 1 auf Einfügung eines neuen § 548 a. Wer zustimmen will, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Wir müssen die Abstimmung wiederholen. Wer zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe auf die §§ 549, — 550, — 551, — 552, —552 a, — 553, — 554, --- 555 und 556. — Wer zustimmen will, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme.
Der Herr Berichterstatter Abgeordneter Meyer hat zu seinem Schriftlichen Bericht eine Ergänzung zu den Ausführungen im Zusammenhang mit § 557 Abs. 2 a eingereicht. Sie lautet:
Bei der Beratung des Durchgangsarztverfahrens ist auch das Werksarztproblem angesprochen worden. Der Ausschuß ist zu der Auffassung gekommen, daß bei der Bedeutung der Stellung der Werksärzte als Arbeitsmediziner eine besondere gesetzliche Regelung getroffen werden muß.
Ich rufe § 557 auf. Hierzu liegen die Änderungsanträge Umdruck 172 und Umdruck 189 Ziffer 2 vor.
Den Antrag auf Umdruck 172 begründet der Abgeordnete Dr. Hamm. Ich erteile ihm das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Änderungsantrag auf Umdruck 172, den ich begründen möchte, soll eine Verbesserung des berufsgenossenschaftlichen Heilverfahrens erreicht werden. Dazu soll der Kreis der Ärzte, die an der Behandlung Unfallverletzter mitwirken, sinnvoll erweitert werden.Nach dem Antrag müssen in Zukunft alle die Ärzte zugelassen werden, die fachlich zu einer sachgemäßen und schnellen Unfallbehandlung befähigt sind, die die dazu notwendigen Einrichtungen haben und die zur Übernahme der damit verbundenen Pflichten bereit sind. Bisher haben — und dieses Verfahren würde nach der Ausschußvorlage eine gesetzliche Grundlage erhalten — die Berufsgenossenschaften aus einer größeren Anzahl gleich qualifizierter Ärzte nur einen beschränkten Kreis ausgewählt und zugelassen. Sie haben eine Bedürfnisprüfung für die ärztliche Versorgung angestellt. Dabei konnte nicht immer vermieden werden, daß neben sachgerechten auch sachfremde Erwägungen Berücksichtigung fanden.Mit dem Änderungsantrag auf Umdruck 172 wird nach wie vor, sichergestellt, daß nur der zur Unfallbehandlung qualifizierte Arzt zugelassen wird. Er muß auch entsprechend ausgestattet sein, und er muß schließlich die mit der Unfallbehandlung verbundenen Pflichten übernehmen, wozu insbesondere die Dokumentation der Unfallfolgen gehört, die wegen später möglicher Rentenauseinandersetzungen unerläßlich ist. Die Voraussetzungen für die ärztliche Zulassung bleiben also dieselben, wie sie heute sind und wie sie wären, wenn die Ausschußvorlage Gesetz würde. Auch fernerhin wird nach dem Antrag ebenso wie nach der Ausschußvorlage verlangt, daß im Interesse einer optimalen Behandlung der Unfallverletzten nur der wirklich qualifizierte, nur der befähigte Arzt zugelassen wird.Es geht demnach bei dem Änderungsantrag allein um die Frage, ob es nicht im Interesse des Heilverfahrens liegt, von der bisherigen Behandlung abzugehen und alle — nicht nur einen kleinen Kreis — befähigten Ärzte — aber auch nur diese —an der Durchführung des Heilverfahrens zu beteiligen. Der Antrag auf Umdruck 172 bejaht das. Er will alle qualifizierten Ärzte unter den Voraussetzungen, die im Antrag niedergelegt sind, zugelassen wissen.Gelegentlich wird als Begründung für eine Beschränkung der Zulassung durch die Berufsgenossenschaften dargetan, dem einzelnen Unfallarzt müsse, um ihn mit der speziellen Aufgabe der Unfallbehandlung vertraut zu halten, eine genügende Anzahl von Behandlungsfällen sichergestellt werden; er müsse, wie man sagt, in Übung bleiben. Tatsache ist aber, daß die Arbeitsunfälle nur einen Teil aller Unfälle darstellen. Bedauerlicherweise steigt die Zahl der Verkehrs-, Sport- und Hausunfälle, die nicht Arbeitsunfälle sind, ständig. Es wird wohl niemand so vermessen sein, zu behaupten, daß die Behandlung dieser Unfälle, die nicht Arbeitsunfälle sind, etwa minderer Art sei, weil sie von allen Chirurgen und allen Orthopäden und nicht nur von einem beschränkten Kreis ausgeführt werden könne. Uns scheint, Unterschiede vom Behandlungserfolg her gesehen können in dieser Hinsicht nicht gemacht werden. Der Unfallarzt der gesetzlichen Unfallversicherung wird bei der hohen Zahl aller Unfälle genügend laufende Erfahrung sammeln können, auch wenn in Zukunft alle qualifizierten Ärzte zugelassen werden. Er wird auf dem laufenden bleiben. Das Heilverfahren wird nicht nur
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963 2825
Dr. Hamm
nicht eine Verschlechterung, sondern vielmehr eine Verbesserung erfahren.Wir sind der Meinung, es ist nicht zu verantworten, den weiten Kreis wirklicher Befähigung und die große Erfahrung, die auf dem Facharztgebiet vorhanden ist, dem Heilerfolg nicht nutzbar zu machen. Wir sind der Meinung, daß es nicht sinnvoll ist, einen kleinen Kreis von Ärzten herauszunehmen und im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung zu Spezialisten zu machen und auf dem sonstigen Arbeitsgebiet der Unfallmedizin diese Erfahrungen des Arbeitsunfalls nicht zum Tragen kommen zu lassen.Es geht aber nicht nur um die sachgemäße Heilbehandlung allein — und in diesem Punkt unterscheiden wir uns nicht von der bisherigen Regelung und auch nicht von der Ausschußvorlage —, sondern es geht auch um die möglichst bald nach dem Arbeitsunfall einsetzende schnelle Behandlung. Da sprechen die Erfahrungen gegen die bisherige Regelung und gegen die Ausschußvorlage. Es kommt insbesondere in verkehrsbelasteten Großstädten immer wieder vor, daß ein Unfallverletzter nicht schnell genug zum Arzt kommt, daß es nicht möglich ist, möglichst bald nach dem Arbeitsunfall eine Behandlung einsetzen zu lassen. Es kommt immer wieder vor, daß ein Unfallverletzter, ein Schwerverletzter an mehreren Krankenhäusern vorbeigefahren werden muß, die entsprechend qualifizierte Ärzte beschäftigen, die auch die entsprechende Ausstattung haben, daß er zu einem dritten oder vierten Krankenhaus gefahren werden muß, weil nur dieses Krankenhaus Ärzte hat, die zu der Unfallbehandlung zugelassen sind. Uns scheint, nur dadurch, daß man alle qualifizierten Ärzte zur Unfallbehandlung zuläßt, wird der Heilerfolg sichergestellt, nur dann wird eine möglichst bald nach dem Arbeitsunfall einsetzende Behandlung ermöglicht, und nur dann erfolgt eine schnelle Behandlung im Interesse des Heilerfolges.Lassen Sie mich zur Begründung noch einen weiteren Gesichtspunkt erwähnen, der sicherlich nicht gegenüber dem Interesse des Unfallverletzten im Vordergrund stehen darf. Ich bin der Meinung, daß es aus allgemein rechtlichen, aus allgemein politischen und aus gesundheitspolitischen Gründen besonders wichtig erscheint, einen breiten Leistungsstand in der Unfallmedizin zu erreichen. Wir wünschen alle, daß ein Katastrophenfall nicht eintritt. Aber wir müssen dafür gewappnet sein. Es ist einer solchen Vorbereitung sicherlich nicht zuträglich, wenn nicht die Unfallmedizin insgesamt auf ein höheres, auf ein noch besseres Niveau gehoben wird.Es ist auch nicht gerechtfertigt, aus einer Zahl gleich qualifizierter Ärzte nur einen kleinen Kreis herauszunehmen und die anderen damit in einem gewissen Grade zu diskriminieren. Wir müssen im Interesse der gesamten Gesundheitsversorgung unserer Bevölkerung dafür Sorge tragen, daß auch der ärztliche Stand entsprechend unserem Grundgesetz, entsprechend unseren rechtlichen Vorstellungen behandelt wird. Es ist nicht Theorie, was ich hier sage. Es ist tatsächlich vorgekommen, daß ein Krankenhausarzt, der am Heilverfahren beteiligt war, nicht mehr zugelassen wurde, als er sich in eigener Praxis niederließ. Er mußte zusehen, wie ein jüngerer Kollege aus dem gleichen Krankenhaus, der vorher nicht Unfallarzt war, nunmehr in der Nähe des Erstgenannten eine Zulassung von der Berufsgenossenschaft erhielt.Wenn man versucht, die ärztliche Versorgung etwas aufzulockern, wird immer wieder eingewendet, man wolle den Berufsgenossenschaften und den Versicherungsträgern das Recht der Selbstverwaltung beschneiden. Meine Damen und Herren, der Änderungsantrag bedeutet nicht, daß bestehende Einrichtungen beseitigt und die Versicherungsträger aus ihrer gesetzlichen Verantwortung für die Durchführung des Heilverfahrens entlassen werden sollen. Diese Verantwortlichkeit soll vielmehr nach wie vor bestehenbleiben. Einmal ergibt sich das schon aus der Gesetzesformulierung. Die beantragte Ergänzung des § 557 Abs. 2 ordnet sich ohne logischen Bruch in die Formulierung der Ausschußvorlage ein. Es bleiben die Berufsgenossenschaften, die alle Maßnahmen zu treffen haben, durch die eine möglichst schnell nach dem Arbeitsunfall einsetzende schnelle und sachgemäße Heilbehandlung gewährleistet wird, wie es in Satz 1 des zweiten Absatzes des § 557 unverändert heißt.Hinzu kommt, daß im Abs. 2 a der Bestimmung nochmals ausdrücklich die gesetzliche Verantwortlichkeit der Versicherungsträger für die Durchführung der Heilbehandlung festgestellt ist. Zum anderen setzt die Zulassung nach wie vor einen Antrag des Arztes an die Berufsgenossenschaft voraus. Nicht alle Ärzte, die fachlich befähigt sind, werden einen solchen Antrag stellen. Aber diejenigen, die einen Antrag stellen, müssen nach unserem Änderungsantrag zugelassen werden.Nach wie vor wird die Berufsgenossenschaft nicht anders als bisher zu prüfen haben, ob der Arzt die im Änderungsantrag verlangten Voraussetzungen der Zulassung erfüllt. Dem Versicherungsträger bleibt also die Disposition über die Durchführung des Heilverfahrens. Er hat — wenn der Änderungsantrag angenommen wird — lediglich nicht mehr die Möglichkeit, aus einer Anzahl gleichbefähigter Ärzte nur einige auszuwählen, sondern er muß einen Arzt zulassen, wenn dieser die Voraussetzungen erfüllt und einen Antrag stellt.Wir sind deshalb der Ansicht, daß das Zulassungsverfahren im Sinne des Änderungsantrages aufgelockert werden muß. Ich bitte um Ihre Zustimmung zu dem Änderungsantrag Umdruck 172.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe einen ähnlich gelagerten wie den von Herrn Dr. Hamm begründeten interfraktionellen Antrag zu begründen, den wir allerdings für weitergehend
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2826 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963
Dr. Schmidt
halten. Ich möchte versuchen, mich auf einige besondere Schwerpunkte zu beschränken, ohne dabei auf Wiederholungen einzugehen.Der Ausschuß für Sozialpolitik hat sich mit dem § 557 des vorliegenden Gesetzentwurfs befaßt und dabei auch im besonderen das sogenannte Durchgangsarztverfahren erörtert. Es steht außer Zweifel, daß sich diese Einrichtung der unfallärztlichen Versorgung durchaus bewährt hat. Das wollen wir hier feststellen. Mit diesem Antrag ist auch nicht beabsichtigt, den Versicherungsträgern die bestehenden Verantwortlichkeiten zu nehmen und sie auf andere zu übertragen.Bei seinen Beratungen kam aber der Sozialpolitische Ausschuß nicht über die Anregung hinaus, das D-Arzt-Verfahren auszubauen und damit noch bestehende Schwierigkeiten, besonders auf dem Lande, zu beseitigen. Diese Anregung des Ausschusses an die Versicherungsträger fand nicht ihren Niederschlag im Gesetzestext, weil auch Anträge der sozialdemokratischen Mitglieder des Ausschusses, die in diese Richtung zielten, abgelehnt wurden.Wir sind aber der Auffassung, daß das jetzige D-Arzt-System ausgebaut werden sollte, ohne dabei seine Struktur anzutasten. Wir sind weiter der Auffassung, daß diese Ausdehnung auch im Gesetzestext ihren Niederschlag finden sollte. Daher unser Antrag auf Umdruck 189. Es handelt sich lediglich darum, allen — ich möchte betonen: allen — unfallchirurgisch ausgebildeten Ärzten die Möglichkeit zu geben, an der unfallärztlichen Versorgung teilzunehmen, sofern sie — —
— Selbstverständlich! Wenn .er seine Ausbildung als Unfallorthopäde hat, kann er für diesen Fachbereich auch als Unfallarzt zugelassen werden. Das ist eine Selbstverständlichkeit, das wird ja heute auch schon praktiziert.Grundbedingung für diese Erweiterung muß aber die fachliche Qualifikation sein. Wir haben hier bewußt den Ausdruck „fachlich befähigt" gewählt. Wir ziehen diesen Ausdruck der Bezeichnung „Facharzt" vor, weil es einerseits eine ganze Reihe von Fachärzten in der Chirurgie gibt, deren Spezialausbildung und deren spezielle Tätigkeit sich auf andere chirurgische Fachbereiche beziehen, die überhaupt nichts mit der Unfallchirurgie zu tun haben, und weil auf der anderen Seite alle Ärzte, die eine ausreichende unfallchirurgische Ausbildung nachweisen können, an der Unfallversorgung sollen teilnehmen können.Die weiteren Voraussetzungen wurden schon genannt: die entsprechende Praxiseinrichtung, um eine optimale Behandlungschance für den Verletzten zu garantieren, und auch die Bereitschaft, die sonstigen Verpflichtungen eines D-Arztes zu übernehmen.Wir sind der Auffassung, daß eine solche Erweiterung der unfallärztlichen Versorgung das bestehende Prinzip nicht nur erhält, sondern sogarverbessert. Je mehr gut ausgebildete Ärzte an der unfallärztlichen Versorgung teilnehmen, desto mehr tragen wir zur Bildung einer breiten Schicht von Unfallärzten bei. Es geht nur darum und nicht etwa um das Problem der Einweisung in das Krankenhaus, das vorhin erwähnt wurde und das kein Problem ist; denn jeder Verletzte, ob er nun durch einen Arbeitsunfall oder durch einen anderen Unfall verletzt ist, hat das Recht, sofort in das nächste Krankenhaus gebracht und dort behandelt zu werden. Hier besteht eine Verpflichtung aller Ärzte in den Krankenhäusern, so daß dieses Problem hier gar nicht zur Debatte steht.
Wenn wir eine Ausweitung und eine Verbesserung der unfallärztlichen Versorgung durch mehr Unfallärzte erreichen, dient das auch der besseren Versorgung aller anderen Unfallverletzten, deren Verletzung nicht durch einen Arbeitsunfall bedingt ist. Es wurde schon darauf hingewiesen, daß dies auch für Not- und Katastrophenfälle nicht ohne Bedeutung ist. Zum zweiten erreichen wir mit dem Ausbau der unfallärztlichen Versorgung eine breitere Streuung, besonders in den ländlichen Gebieten, so daß heute wegen der weiten Anfahrtswege und des damit verbundenen Zeitverlusts noch bestehende Engpässe und Schwierigkeiten vermieden werden können. Auch das kommt letztlich wieder den Unfallverletzten zugute.Insoweit entspricht unser Antrag im wesentlichen dem interfraktionellen Antrag von Mitgliedern des Gesundheitsausschusses, die aus gleichen Gründen zu der gleichen Auffassung kamen.
Wir als sozialdemokratische Fraktion wollen aber noch einen Schritt weitergehen. Wir wollen nämlich das Prinzip der freien Arztwahl in dieses D-ArztVerfahren eingebaut sehen. Der Verletzte soll das Recht haben, unter den zugelassenen Ärzten frei wählen zu können. Wir glauben, daß damit eine alte Forderung der Ärzteschaft verwirklicht werden kann, ohne daß die Grundlagen der Unfallversicherung angetastet werden.Als Gegenargument wurde ursprünglich angeführt, ein solches freies Wahlrecht könne den Versicherungsträgern wegen ihrer Verantwortlichkeit für die Heilbehandlung nicht zugemutet werden. Dieses Argument trifft mit Sicherheit nicht zu. Denn schließlich handelt es sich ja bei den D-Ärzten um einen Kreis von fachlich befähigten Ärzten, die das Vertrauen der Versicherungsträger genießen.Im übrigen sind wir der festen Überzeugung, daß Sie sich unseren Argumenten deshalb anschließen werden, weil diese Ausdehnung des Durchgangsarzt-Verfahrens im Interesse einer umfassenden und optimalen unfallärztlichen Versorgung der Verletzten und auch im Interesse einer gerechten Beteiligung aller fachlich befähigten Ärzte notwendig ist.Wir bitten Sie deshalb, unserem Antrag zuzustimmen.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963 2827
Das Wort hat der Abgeordnete Porten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich Ihnen zu der im Augenblick zur Entscheidung stehenden Frage zusätzlich folgendes sagen. Jede Berufsausübung findet dort ihre natürliche Grenze, wo gesetzliche Regelungen für bestimmte Sachgebiete aus wohlerwogenen Gründen Abweichendes vorschreiben. Die Freiheit des einzelnen kann sich aber nur ganz allgemein, also nur im Rahmen der durch die Gesetze geschaffenen Rechts- und Gesellschaftsordnung auswirken. Die Arztwahl wird auch von seiten der Berufsgenossenschaften grundsätzlich anerkannt und gilt auch im Bereich der Unfallversicherung unter all den Ärzten, die infolge ihrer beruflichen Ausbildung und Qualifikation die notwendige persönliche Gewähr für beste unfallmedizinische Versorgung bieten. Diese Voraussetzungen erfüllen die Fachärzte, die auf Grund einer besonderen Ordnung und ihres Spezialkönnens und durch ihre laufende praktische Erfahrung nachgewiesen haben, daß sie sich hierzu eignen.
Hier ist auch die Forderung zu stellen, daß wir im Heilverfahren die bestmögliche Versorgung unserer Verletzten sicherstellen, damit auch durch das Heilverfahren die Erwerbsfähigkeit des einzelnen wiederhergestellt wird. Es wird gesagt, daß es auch praktische Ärzte gebe, die chirurgisch ausgebildet seien. Das mag sein. Diese Ausbildung genügt aber nach meiner Auffassung nicht, sondern angesichts der raschen Entwicklung ist eine ständige spezielle Erfahrung erforderlich, um auf dem neuesten Stand zu bleiben. Eine Gewähr hierfür ist bei den allgemein praktizierenden Ärzten aber wohl hinsichtlich der Spezialfächer nicht immer gegeben. Vor allem aber, meine Damen und Herren, diejenigen, die es angeht, — —
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte!
Herr Kollege Porten, ist Ihnen entgangen, daß der SPD-Antrag nicht von allgemein praktizierenden Ärzten, sondern von fachlich vorgebildeten Ärzten spricht? Darf ich Ihre Argumentation so verstehen, daß Sie die bisherige Praxis des DArzt-Verfahrens für ausreichend halten?
Herr Kollege, das war eine ganz allgemeine Bemerkung. Bei der Begründung Ihres Antrages habe ich sehr aufmerksam zugehört. Ich komme gleich auf diese Bemerkung zurück. Ich bin nämlich der Meinung, daß in der Selbstverwaltung der Berufsgenossenschaft sowohl die Versicherten als auch die Arbeitgeber die freie Arztwahl auf dem Gebiete der Unfallversicherung nicht absolut wünschen, sondern mit aller Entschiedenheit die Aufrechterhaltung des berufsgenossenschaftlichen Heilverfahrens fordern. Sie sind ja doch mit einer bestimmten Auflockerung einverstanden, weil zweifellos erkannt worden ist, daß das Problem in einigen Gebieten nicht ausreichend gelöst war.
Ich darf insbesondere darauf hinweisen, daß sich die Entschließung des DGB-Kongresses im Herbst 1962 in Hannover auf ,den Standpunkt der Versicherten in der Selbstverwaltung der Berufsgenossenschaften gestellt hat Das hat wohl besonders seinen Grund darin, daß die Sozialpartner erkannt haben, wie segensreich sich für die Verletzten die statistisch nachweisbaren Erfolge des berufsgenossenschaftlichen Heilverfahrens ausgewirkt haben. Das übergeordnete Interesse an einer möglichst guten Heilung des Verletzten geht, wie die Versicherten selbst anerkennen, einer unbeschränkten freien Arztwahl vor. Es ist doch wohl richtig, daß die Berufsgenossenschaften und damit die Wirtschaft die Folgen einer guten oder schlechten ärztlichen Versorgung des Verletzten zu tragen haben, weil sie bei einer schlechten Versorgung dem Verletzten auf Lebenszeit eine entsprechend höhere Rente zahlen müssen. Auch diese Überlegungen tragen dazu bei, daß die Berufsgenossenschaften um eine möglichst gute und den modernsten Erkenntnissen entsprechende Heilbehandlung besorgt sind. Sie dienen damit dem Verletzten und entlasten die Wirtschaft von unnötigen Kosten.
Zur Frage des Katastropheneinsatzes möchte ich Ihnen sagen, daß wir es doch ablehnen sollten, die Verletzten als Übungsobjekte für mögliche Katastrophenfälle anzusehen.
Im übrigen haben die Ärzte selbst vorgetragen, daß ständig soviel Unfälle außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Berufsgenossenschaften geschehen, daß die notwendige Übung auf diesem Wege erworben werden könnte.
Alle fachlich geeigneten Ärzte sollen zugelassen werden. Ich betone: fachlich geeignete Ärzte. Aber ich darf darauf hinweisen, welche Folgen eine solche Vorschrift praktisch haben wird, wie sie jetzt auf Umdruck 172 beantragt wird. Daraus werden sich bei der Zulassung und bei der Entscheidung, wer zugelassen wird, zweifellos zahllose Streitigkeiten ergeben. Damit tritt in dem guten Verhältnis zwischen den Berufsgenossenschaften und den ärztlichen Verbänden eine Störung der Beziehungen ein, was unweigerlich auch zu einer Verschlechterung des Klimas zwischen Arzt und Berufsgenossenschaft führen wird. Dazu könnte es kommen, wenn der vorliegende Antrag angenommen wird. Ich bin 'daher der Meinung, daß die im Ausschuß gefundene Formulierung insbesondere des Abs. 2 a) alle Möglichkeiten bietet, die Wünsche, die 'die Ärzte vorgetragen haben, zu erfüllen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Jungmann.
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2828 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe den Ausführungen meines Freundes Porten sehr aufmerksam zugehört und glaube, daß seine Ausführungen gegenüber den Rednern, die vorher gesprochen haben, keine nennenswerten Unterschiede enthalten. Denn auch Herr Kollege Porten hat zum Ausdruck gebracht, daß alle diejenigen Ärzte, die über die nötige Ausbildung verfügen, an der Behandlung Unfallverletzter teilnehmen sollten.Die Unterschiede müssen also woanders liegen, und ich glaube, Ihnen sagen zu können, wo sie liegen. Die Unterschiede liegen darin, daß nach der bisherigen Gesetzgebung und auch nach dem, was dieser Gesetzentwurf wieder vorschlägt, die Träger der Unfallversicherung die Heilbehandlung zwar übernehmen können, aber sie nicht zu übernehmen brauchen. Übernehmen sie die Heilbehandlung, dann müssen sie auch die Kosten dafür übernehmen. Übernehmen sie die Heilbehandlung nicht, dann trägt die Kosten die Krankenversicherung.Nun liegt in dieser Kann-Bestimmung insofern aber doch auch ein Muß, als die Berufsgenossenschaften auch in Zukunft verpflichtet sein werden und verpflichtet sein sollen, mit allen geeigneten Mitteln für die Wiederherstellung Unfallverletzter zu sorgen. Die Berufsgenossenschaften haben also in jedem Falle zu prüfen, wie sie dieser gesetzlichen Vorschrift am besten gerecht werden können. In früheren Jahrzehnten hat das Schwergewicht dieser Bestimmung „mit allen geeigneten Mitteln" auf dem Gebiet der chirurgischen Unfallversorgung gelegen. Mit der Verbesserung der allgemeinen unfallchirurgischen Versorgung der gesamten Bevölkerung hat diese Frage in gewisser Weise an Bedeutung verloren. Das Schwergewicht liegt heute mehr auf dem Gebiet der Rehabilitation, wo das allgemeine Krankenhaus, wo die allgemeine Chirurgie längst nicht das leisten kann, was die Berufsgenossenschaften, wenn sie ihre gesetzlichen Verpflichtungen erfüllen wollen, tatsächlich leisten müssen.Die Träger der Unfallversicherung haben in jedem einzelnen Fall zu prüfen, was sie im Interesse des Verletzten tun können. Ich meine, wir sollten hier nicht immer nur davon reden, daß sie in ihrem finanziellen Interesse handeln. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Das Interesse des Verletzten dürfte im übrigen ja auch mit den finanziellen Interessen der Träger der Unfallversicherung identisch sein.In der Praxis kann das auch in Zukunft nur so gehandhabt werden, daß die Träger der Unfallversicherung für alle schweren und folgenschweren Unfälle aufkommen — die Folgen sind bei Unfallverletzungen ja oft im voraus nicht zu übersehen — und daß sie dabei sehr großzügig verfahren und alle auch nur mit dem Verdacht von Folgen belasteten Unfälle übernehmen.Das deckt sich mit den Interessen der Krankenkassen, die von dem Unfallrisiko so weit wie möglich entlastet werden sollen. Es entspricht aber auch den grundsätzlichen Bestrebungen, ich glaube, aller Fraktionen dieses Hauses, die Krankenversicherung so weit wie möglich von Lasten zu befreien,die dem Sinn nach mehr der Unfallversicherung als der Krankenversicherung zukommen.Solange die Aufgaben der Krankenversicherung und der Unfallversicherung nicht eindeutig voneinander abgegrenzt werden können, müssen die dabei auftretenden Fragen durch das Zusammenwirken der Beteiligten geregelt werden. Nach dean Motto „Wer zahlt, schafft an" haben sich die Träger der Unfallversicherung in den vergangenen Jahrzehnten als Inhaber einer autonomen Monopolstellung; als Herr im Hause, wie sie es selbst ausgedrückt haben, gefühlt. Mit dem Recht des Auftraggebers, mit dem Recht des Herrn im Hause haben sie eisern und unerbittlich insbesondere darauf bestanden, daß nur sie zu bestimmen hätten, welcher Arzt mit der Behandlung Unfallverletzter beauftragt wird. Ich will mich hier nicht im einzelnen mit den Mißhelligkeiten beschäftigen, die sich aus dieser Situation ergeben. Sie haben viel böses Blut gemacht, aber wir sollten uns hier mit diesen mehr emotionalen Fragen nicht befassen. Ich stehe im übrigen auch nicht an, so wie es mein Herr Vorredner schon getan hat, an dieser Stelle festzustellen, daß das, was von den Ärzten im bisherigen berufsgenossenschaftlichen Heilverfahren geleistet worden ist, durchaus die Anerkennung auch dieses Hauses verdient. Es ist keineswegs optimal, was da geleistet worden ist. Es kann schon allein deshalb nicht optimal sein, weil den Unfallverletzten auf diese Weise sehr häufig nicht so viele unfallverletzungserfahrene Ärzte zur Verfügung gestanden haben, wie tatsächlich vorhanden sind.Die Zahl der Chirurgen betrug nach amtlichen Unterlagen am 1. Januar dieses Jahres 4488. Darunter waren über 1000 Chefärzte, über 1300 Oberärzte und wissenschaftliche Assistenten und eine ganze Anzahl anderer Krankenhausärzte sowie 1230 Ärzte in eigener Praxis. Zählt man zu diesen Fachärzten für Chirurgie, die als solche tätig sind, noch die sicherlich mehr ,als 3000 Fachärzte für Chirurgie, die sich im Laufe der Jahre aus äußeren Gründen als praktische Ärzte niedergelassen haben, sowie die mindestens 1000 umfassende Zahl der chirurgisch-orthopädisch ausgebildeten Fachärzte hinzu, so kommt man auf eine sehr große Zahl, der gegenüber die Zahl der heute an diesem Heilverfahren beteiligten Ärzte sehr klein erscheint. Das Verhältnis beträgt etwa 8- bis 9000 zu 1300.Das ist ein Luxus, den wir uns nicht mehr leisten können! Das führt nicht nur dazu, daß die Verletzten unvernünftig weite Wege und unverhältnismäßig lange Wartezeiten in Kauf nehmen müssen. Das sind nicht einmal die wichtigsten nachteiligen Folgen. Wenn sich heute ein junger Arzt für die langwierige Ausbildung auf dem Gebiete der Unfallmedizin interessieren soll, dann muß er auch eine Chance sehen, daß er später einmal auf diesem Arbeitsfeld eine ausreichende berufliche Tätigkeit ausüben kann. Wenn der junge Arzt eine solche Möglichkeit aber nicht sieht, dann ist er auch nicht bereit, sich den jahrelangen Mühen einer solchen Ausbildung zu unterziehen. Es sind in der Tat Mühen. Wer die Verhältnisse in unseren Kranken-
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963 2829
Dr. Jungmannhäusern, wer insbesondere den chronischen Assistentenmangel in den chirurgischen Abteilungen kennt und wer sich nach den Gründen erkundigt, der wird erfahren — wenn er es nicht schon weiß —, daß hier einer der wesentlichen Gründe für den Assistentenmangel in den chirurgischen Abteilungen liegt, weil die jungen Ärzte keine Möglichkeit sehen, diese speziellen Kenntnisse in der Zukunft noch einmal zu verwerten.Es ist von ärztlicher Seite immer wieder darauf hingewiesen worden, daß man bei all diesen Überlegungen auch an den Katastrophenfall denken müsse. Herr Kollege Schmidt hat ebenfalls schon darauf hingewiesen. Man braucht dabei nicht nur an den Katastrophenfall eines Krieges zu denken. Man sollte auch an die unzähligen großen und kleinen Katastrophen denken, die sich an jedem Tag auf der Straße und in den Betrieben ereignen. Wir sollten auch daran denken, wie störanfällig unsere Großstädte heute geworden sind. Denken Sie nur an die Flutkatastrophe in Hamburg, wo sich sehr große Schwierigkeiten gezeigt haben, die heute eigentlich nicht mehr möglich sein sollten.Man hat es sehr zu Unrecht als ein Scheinargument, als eine Chimäre, als Spiegelfechterei der Ärzte hingestellt, wenn sie erklärt haben, daß möglichst viele Ärzte an der Behandlung Unfallverletzter beteiligt werden sollten. Ich bedaure, daß der Herr Kollege Porten es in dem Zusammenhang abgelehnt hat, daß die bei den Berufsgenossenschaften versicherten Unfallverletzten zum „Inübunghalten" I) der Ärzte benutzt werden. Das ist eine Ausdrucksweise, Herr Kollege, die dem Sachverhalt nicht gerecht wird. Wir sollten einen Blick über die Grenzen werfen. Wir werden dann feststellen, daß man in anderen Ländern über diese Dinge grundsätzlich anders denkt und peinlich bemüht ist, möglichst viele Ärzte gerade auf chirurgischem Gebiet in Übung zu halten. Was nützen uns die schönsten Organisationspläne für den Katastrophenfall, die beim Roten Kreuz und bei den Behörden in der Schublade liegen, wenn in bezug auf diese einfachen, primitiven Voraussetzungen der Vorsorge für den Katastrophenfall in dieser Weise gesündigt wird?!Sie werden sich wohl gefragt haben, weswegen ich das Wort Durchgangsarzt bisher noch nicht in den Mund genommen habe. Ich habe einen guten Grund dafür. Das Durchgangsarztverfahren ist in einer heute noch gültigen Rechtsverordnung geregelt , die sich auf das Fünfte Buch der Reichsversicherungsordnung bezieht. In unserem Gesetzentwurf, der hier zur Beratung vorliegt, ist von diesem Fragenkomplex überhaupt nicht die Rede, und es handelt sich hier in der Tat ausschließlich um das Heilverfahren. Aber wenn wir schon vom Durchgangsarztverfahren sprechen, dann darf auch ich betonen, was schon einer meiner Herren Vorredner — ich glaube, es war Herr Porten — gesagt hat: daß die Berufsgenossenschaften ja schon selbst erkannt haben, daß die bisherige Handhabung zu starr, zu engherzig gewesen ist. Sie haben eine wesentliche Auflockerung in Aussicht gestellt. Das ist außerordentlich erfreulich, und ich glaube, daß wirdiesem Bestreben mit unserem Antrag tatsächlich nur entgegenkommen.Worum es hier geht, ist also einzig und allein die Heilbehandlung der Unfallverletzten. In Zukunft sollen für diese Heilbehandlung der Unfallverletzten alle fachlich geeigneten Ärzte zur Verfügung stehen.Ich habe gehört, daß man hier lieber das Wort „Fachärzte" sähe. Ich muß dazu feststellen, daß in dem Satz vorher, der in dem Gesetzentwurf steht, ausdrücklich schon von Fachärzten die Rede ist und daß die Formulierung „fachlich geeignete Ärzte" mit großem Bedacht gewählt worden ist, weil unsere deutschen Facharztbezeichnungen im Gegensatz zu den ausländischen Facharztbezeichnungen einen Facharzt für Unfallheilkunde nicht kennen. Es gibt Chirurgen, Orthopäden, Augenärzte und andere Ärzte, ohne deren Mitwirkung die Versorgung Unfallverletzter heutzutage gar nicht vorstellbar ist, die die einschlägigen Facharztanerkennungen haben, die aber nicht die entsprechenden unfallchirurgischen oder unfallmedizinischen Voraussetzungen mitbringen. Das muß in jedem Einzelfall geprüft werden; dafür müssen Richtlinien erarbeitet werden.Nun ist weiterhin gesagt worden, es werde eine Fülle von Streitigkeiten geben, und es ist gefragt worden, wer denn nun bestimmen solle, welche Ärzte geeignet sind und welche nicht. Ich wundere mich, daß dieses Argument vorgetragen wird, weil diese Entscheidung bisher ja auch getroffen worden ist, und zwar Jahrzehnte hindurch allein von den Selbstverwaltungen der Unfallversicherungsträger. Diese haben sich dabei wohl in der Regel des Rates eines Arztes bedient, durch den sie vor Mißgriffen bewahrt geblieben sind. Es kann aber keineswegs die Rede davon sein, daß sich die Berufsgenossenschaften etwa nicht zugetraut hätten, eine solche Auswahl selbst zu treffen.Wenn eine solche Auswahl in Zukunft getroffen werden muß, dann soll sie nach objektiven Maßstäben getroffen werden, nach Maßstäben, die zwischen den beteiligten Selbstverwaltungen, der Unfallversicherungsträger und der Ärzte, gemeinsam erarbeitet worden sind. Diese Maßstäbe müssen natürlich so hieb- und stichfest sein, daß sie auch vor dem Sozialgericht Bestand haben können. Das setze ich als selbstverständlich voraus. Ich sehe darin aber auch gar keine Schwierigkeit, weil gerade diese Frage in der deutschen Praxis der Selbstverwaltungen im Bereich der Sozialversicherung eigentlich immer anstandslos gelöst werden konnte. Im Gegenteil! Je weniger Willkür und je weniger subjektive Meinungen mitspielten, um so eher hat sich eine befriedigende Lösung finden lassen.Meine Damen und Herren, wir haben hier nicht die Wünsche der einen oder der anderen Seite zu erfüllen. Ich würde es auch ablehnen, einen solchen Standpunkt einzunehmen. Ich glaube, es handelt sich hier nicht um Interessen dieser oder jener Gruppe. Es handelt sich darum, daß wir hier klare und verständliche Verhältnisse schaffen. Wir brauchen, wie gesagt, nicht in allen Einzelheiten festzulegen, was aus der Sache heraus viel vernünftiger
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2830 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963
Dr. Jungmannund besser geregelt werden kann. Wir müssen aber die Voraussetzungen dafür schaffen, daß sich diese Entwicklung vernünftig und sachgerecht vollziehen kann.Ich bitte Sie also, den Antrag von Hamm und Genossen anzunehmen.
Herr Schmidt !
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir bitte einige kurze Worte der Erwiderung auf die Ausführungen des Herrn Kollegen Porten. Herr Kollege Porten hat im Zusammenhang mit einer möglichen Ausdehnung des Durchgangsarztverfahrens von einer möglichen Klimaverschlechterung in diesem unfallärztlichen Bereich gesprochen. Ich bin der Auffassung, daß eine Ausdehnung und Erweiterung auf alle fachlich befähigten Ärzte gerade eine Klimaverbesserung gegenüber dem jetzigen Zustand herbeiführen würde.
Lassen Sie mich das an einem kleinen Beispiel aus der heutigen Praxis aufzeigen. In einer Mittelstadt sind vier Unfallchirurgen oder fachlich befähigte Unfallärzte. Diese vier Ärzte versorgen alle vorkommenden Unfälle. Aber nur zwei dieser Ärzte sind zum D-Arzt-Verfahren zugelassen, nur zwei dürfen also die Arbeitsunfälle versorgen. Auf diese Weise wird zwischen vier gleichbefähigten und im Grunde gleich berechtigten Ärzten eine nicht vertretbare Deklassierung geschaffen, die wir nicht wollen. Wir wollen das jetzige System dahin erweitert sehen, daß alle fachlich Befähigten — das möchte ich nochmals betonen — zu der unfallärztlichen Versorgung zugelassen werden.
Das andere Argument, das hier angeführt wurde, daß die Unfallärzte in der Unfallversicherung eine ständige, spezielle Erfahrung brauchten und deshalb der Kreis möglichst klein gehalten werden müsse, wurde von Herrn Kollegen Porten selbst entkräftigt, als er etwas später sagte, daß die anderen durch die Versorgung bei anderen Unfällen durchaus in der Lage seien, sich in der unfallärztlichen Versorgung auf dem laufenden zu halten. Er hat sich also in seiner Argumentation selbst widersprochen.
Noch ein Letztes! Herr Kollege Porten hat davor gewarnt, daß durch eine eventuelle Ausdehnung des D-Arztverfahrens Experimenten Tür und Tor geöffnet werden könne. Ich glaube, daß ich im Namen aller, auch der im Bundestag vertretenen Ärzte diese Feststellung hier scharf zurückweisen muß.
Denn die Unfallversorgung wird von den Ärzten, die fachlich dazu geeignet sind und daran teilnehmen wollen, nicht als ein Experimentierfeld angesehen, sondern alle haben nur den Wunsch, daß eine optimale und schnelle Versorgung der Unfallverletzten erfolgt. In diesem Sinne bitte ich Sie
nochmals, unserem Antrag auf Erweiterung des D-Arztverfahrens zuzustimmen.
Herr Abgeordneter Memmel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den Antrag auf Umdruck 172 hat Herr Dr. Hamm, den auf Umdruck 189 Herr Dr. Schmidt begründet, und Herr Dr. Jungmann hat sich, glaube ich, hinter die beiden Anträge gestellt. Ich unterstelle, daß die drei Herren, da sie Ärzte sind, — einer davon ist sogar Facharzt, wenn ich mich nicht täusche —,
mehr davon verstehen als der „nomalverbrauchende" Abgeordnete im Hause. Aber ich muß nun folgendes sagen. Mir ist klar, daß der exklusive Kreis der Durchgangsärzte ein bißchen erweitert werden soll, und zwar — so sagen Sie, Herr Dr. Jungmann und Herr Dr. Schmidt, — im Interesse der Wundversorgung, im Interesse der Heilbehanlung der Verletzten. Das ist ein Argument, das ich gelten lasse. Es hat aber so im Unterton ein bißchen mitgeschwungen, daß der Kreis der Durchgangsärzte auch deswegen erweitert werden muß, weil das Durchgangsarztverfahren anscheinend ein sehr lukratives Geschäft ist und die anderen auch ein bißchen Anteil daran bekommen müssen.
Ich habe das, meine ich nur, so ein bißchen herausgehört.
— Nein, es ist gar nicht verboten.
— Herr Schmücker, ich bin aber dafür, daß man das dann hier auch ein bißchen ausspricht, daß man nicht alles nur unter dem Gesichtspunkt der Heilbehandlung der Verletzten sieht.Nun also zur Sache! Herr Dr. Schmidt , ich bin unbedingt dafür, daß man diesen exklusiven Kreis der Durchgangsärzte erweitert, besonders wenn gesagt wird, wie ich vorhin hörte, daß in einer bestimmten Stadt von soundsoviel Fachärzten nur zwei oder drei zugelassen sind. Aber mir kommen Bedenken insofern: Sie sagen, es sollen also alle Ärzte beteiligt werden, die zur unfallmedizinischen Versorgung fachlich befähigt sind. Wer stellt das fest? Wäre es nicht besser, wenn man hier feststehende Termini technici verwendete, also sagte: Facharzt für Chirurgie und für Orthopädie meinetwegen? Sonst kann es vorkommen, daß mancher Arzt sagt: Ich bin fachlich befähigt, ich lasse das vom Verwaltungsgericht oder vom Sozialgericht feststellen. Wenn man feste Begriffe nimmt, wie ich es angedeutet habe, wird der Kreis auch erweitert und der Zweck, den Sie im Auge haben, auch erreicht.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963 2831
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Memmel, ist Ihnen nicht bekannt, daß zur Zeit die Auslese von den Berufsgenossenschaften durchgeführt wird, und meinen Sie nicht, daß das auch in Zukunft für alle fachlich befähigten Ärzte nach demselben Verfahren durchgeführt werden kann? Ich wollte Ihnen damit in Form einer Frage die Antwort geben.
Es ist mir bekannt, Herr Dr. Schmidt, daß die Berufsgenossenschaften sich bis jetzt die Ärzte heraussuchen konnten, die sie zu Durchgangsärzten ernannt haben. Durch Ihren Antrag soll der Kreis, aus dem sie die Ärzte heraussuchen, nur erweitert werden. Aber ich meine, man sollte das etwas genauer umreißen und konkretisieren, indem man es auf die Fachärzte für Chirurgie und für Orthopädie beschränkt. — Bitte.
Herr Kollege Memmel, erinnern Sie sich noch, daß ich gesagt habe: Es geht gar nicht um die Durchgangsärzte, sondern es geht um die Heilbehandlung? Vielleicht geben Sie uns darauf einmal Auskunft.
Herr Dr. Jungmann, soviel mir bekannt ist, gibt es auf dem Lande überhaupt keine Durchgangsärzte. Auf dem Lande muß also jeder Praktiker einen Beinbruch behandeln, er muß den Bauern heilen, der sich mit der Sichel ins Bein hackt. Auf dem flachen Lande ist das ohnehin so.
— Welche Erregung?!
Nun zum Schluß. Meine Damen und Herren, ich bin mit Ihrem Antrag einverstanden, daß wir den Kreis erweitern. Aber ich bitte doch, daß man diese etwas dehnbare Bestimmung: „ ... die zur unfallmedizinischen Versorgung fachlich befähigt sind ..." etwas konkretisiert. Bei Ihnen, Herr Dr. Hamm, heißt es: „ ... die dazu fachlich befähigt sind ...". Auch das könnte man noch etwas konkretisieren.
Das Wort hat der Abgeordnete Berberich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den ausgiebigen Beratungen dieses Punktes im Sozialpolitischen Ausschuß bin ich einigermaßen überrascht, in welcher Form unsere Ärzteschaft hier ihre Angelegenheit nen aufrollt. Wir haben uns damals nach langwierigen Verhandlungen im Sozialpolitischen Ausschuß auf die Formulierung des Abs. 2 a geeinigt. Damit hatten sich ursprünglich auch die Ärzte einverstanden erklärt. Um so mehr muß die Begründung ver-
wundern, die heute vorgeschoben wird, um diese' Erweiterung durchzusetzen.
Die Berufsgenossenschaften sind bisher keineswegs nach dem Grundsatz „Wer zahlt, schafft an" und nach dem Standpunkt des Herrn im Hause verfahren, wie hier argumentiert worden ist.
— Da muß ich Ihnen einfach widersprechen. Diese Praxis ist nicht geübt worden. Man hat sich vielmehr auch schon bisher mit der Ärzteschaft über die Zulassung verständigt. In einzelnen Gebieten mögen die Dinge nicht befriedigend geregelt sein. Aber mit dieser Erweiterung machen wir praktisch genau das Gegenteil von dem, was bisher war. Wir schütten das Kind mit dem Bade aus.
Mit der Formulierung, die wir im Sozialpolitischen Ausschuß gefunden hatten, wäre den berechtigten Belangen der Ärzteschaft, nämlich einer vernünftigen Erweiterung des Kreises der zugelassenen Ärzte, durchaus Rechnung zu tragen gewesen. Das, was man hier anstrebt, widerspricht eigentlich dem Auftrag, den die Berufsgenossenschaften haben, nämlich die Verantwortung dafür zu übernehmen, daß eine ballmögliche und sachgerechte Behandlung der Unfallverletzten durchgeführt wird.
Wenn die Unfallversicherungen nicht mehr die Berechtigung haben, sich den Kreis der Ärzte auszuwählen, den sie mit der Behandlung beauftragen wollen,
dann kann man ihnen auch nicht mehr die Verantwortung für die sachgerechte Behandlung zuschieben. — Herr Kollege Börner, Sie wissen ganz genau, daß diese Erweiterung praktisch die Möglichkeiten der Unfallversicherungen aushöhlt. Das haben Sie in den Beratungen im Sozialpolitischen Ausschuß bei Ihrer damaligen Stellungnahme auch sehr deutlich zum Ausdruck gebracht.
Das Wort hat der Abgeordnete Dittrich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer der Debatte über diesen Punkt aufmerksam folgt, der wird sich fragen: Warum erhitzen sich eigentlich die Gemüter gerade bei der Frage des Durchgangsarztverfahrens? Derjenige, der mit der Materie nicht besonders vertraut ist, wird das vielleicht gar nicht verstehen.In der Tat wird an der bisherigen Übung seit Jahren und seit Jahrzehnten Kritik geübt. Es ist heute der Zeitpunkt, endlich einmal mit dem bisherigen Brauch Schluß zu machen. Wenn Herr Kollege Berberich soeben davon sprach, daß nicht allein die Berufsgenossenschaften die Durchgangsärzte ausgewählt hätten, sondern daß auch andere beteiligt ge-
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2832 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963
Dr. Dittrichwesen seien, so ist dem mit aller Entschiedenheit zu widersprechen.
Daran, Herr Kollege Berberich, rankt sich ja die Kritik auf: daß ausschließlich die Berufsgenossenschaften eine Auswahl von relativ wenigen fachlich befähigten Ärzten vorgenommen haben und die anderen alle links liegen geblieben sind.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich wollte den Gedanken noch zu Ende führen; dann bin ich gern bereit, eine Frage zu beantworten. — Das ist ja die Problematik, die sich im gegenwärtigen Zeitpunkt darstellt: daß man den Kreis derer, die Durchgangsärzte sein können — und wir halten am Durchgangsarztverfahren fest —, ausweitet.
Herr Kollege Memmel war der Ansicht, daß eine Ausweitung des Kreises der Durchgangsärzte vorgenommen werden sollte, und anscheinend sind Herr Kollege Berberich und auch Herr Kollege Porten derselben Ansicht gewesen. Aber man sollte nicht eine so weite Ausdehnung schaffen, wie Sie vermeinen, daß das in beiden Anträgen, dem, der interfraktionell gestellt wurde und die Bezeichnung „Dr Hamm und Genossen" trägt, und dem der SPD, beinhaltet ist. Meine Damen und Herren, was passiert denn bei diesen beiden Anträgen, die ich sachlich für gleichgeartet halte? — Wenn sie nicht gleichgeartet wären, dann hätten wahrscheinlich Frau Kollegin Dr. Hubert und Herr Kollege Dr. Schmidt den Antrag auf Umdruck 172 nicht mit unterschrieben; diese beiden Anträge sind praktisch identisch, sie laufen auf dasselbe hinaus.
Worum geht es? Es geht vor allem darum — und deshalb habe ich mich hier zum Wort gemeldet —, auch der Provinz draußen außerhalb der Großstädte und großen Städte ein Netz von Durchgangsärzten zu schaffen, damit nicht der Unfallverletzte gegebenenfalls einen längeren, weiteren Weg machen muß, uni den nächsten Durchgangsarzt überhaupt aufsuchen zu können. Deshalb, meine Damen und Herren, fühlte ich mich verpflichtet, als einer, der nicht in einer Großstadt beheimatet ist, sondern draußen — in diesem Falle im Bayrischen Wald — seine Heimat hat, mich dafür einzusetzen, daß der Unfallverletzte — und nur um die Heilbehandlung geht es, nicht um die Ärzte als solche — die Möglichkeit bekommt, den Durchgangsarzt möglichst nahe bei sich zu haben und ihn möglichst schnell aufzusuchen.
Herr Kollege Berberich hat etwas gesagt, das nicht unwidersprochen bleiben kann, nämlich: den Berufsgenossenschaften geht es in erster Linie darum, die Heilbehandlung so gut und so schnell wie möglich durchzuführen. Herr Kollege Berberich, nicht nur den Berufsgenossenschaften geht es darum, sondern allen geht es darum, insbesondere auch den Ärzten, die verantwortungsbewußt sind, geht es darum, die
Heilbehandlung so gut und so schnell wie möglich durchzuführen. Das Argument, das Sie in dieser Hinsicht gebracht haben, schlägt Sie eigentlich selber mit Ihrer Entscheidung.
Man hat mich gefragt: welches ist der weitergehende Antrag? Herr Dr. Schmidt, ich bin der Ansicht, 'daß der weitergehende Antrag der auf Umdruck 172 ist, den Sie selber mit unterschrieben haben. Denn dieser Antrag ist doch in Zusammenhang zu setzen mit dem Abs. 2 des § 557, so wie er sich nun in der Ausschußfassung darstellt. Das ist doch im Zusammenhang zu sehen, und der Satz, der noch in dem Antrag der SPD steht: „Der Verletzte hat das Recht, unter diesen Ärzten frei zu wählen", ist für uns eine Selbstverständlichkeit; er ergibt sich eo ipso aus unserem Antrag.
Ich empfehle deshalb — aus rein sachlichen Gesichtspunkten und nicht etwa mit Rücksicht auf ,die Interessen der Berufsgenossenschaften oder die Interessen der Ärzte —, den Antrag Umdruck 172 anzunehmen.
Herr Abgeordneter Killat verzichtet. — Dann zur Abstimmung Herr Dr. Hamm!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich für die Feststellung spreche, daß der Antrag Umdruck 172 der weitergehende ist, so gehe ich davon aus, daß es im Sinne aller liegt, ein möglichst kurzes, möglichst prägnantes Gesetz zu fassen. Ich bemühe mich, beide Anträge zu vergleichen, und muß dabei feststellen, daß der Antrag der SPD-Fraktion zweifellos mehr Worte hat, aber inhaltlich haargenau dem Antrag Umdruck 172 entspricht.
— Einen Moment, Herr Kollege, ich will Ihnen das erklären.Ich weiß, worum es Ihnen geht. Wenn Sie den Satz „Der Verletzte hat das Recht, unter diesen Ärzten frei zu wählen" hinzufügen, nehmen Sie eine Folgerung aus der gesetzlichen Formulierung Ihres Antrags mit hinzu.
Bekanntlich muß man aber im Gesetz nur das niederlegen, was verlangt wird; was daraus zu folgern ist, ergibt sich von selbst.Betrachten Sie einmal den Antrag Umdruck 172! Danach sind alle fachlich qualifizierten Ärzte, alle Ärzte, die eine entsprechende Einrichtung haben, alle Ärzte, die zur Übernahme der Pflichten bereit sind, zuzulassen, und damit haben Sie automatisch nach der seitherigen Handhabung bei 'den Berufsgenossenschaften unter diesen Ärzten die freie Arztwahl.Ich gebe Ihnen zu, Herr Kollege Schmidt: Ihr Antrag enthält ein sehr schönes Wort; der Satz ist ausgezeichnet und paßt wunderbar. Aber wir als
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963 2833
Dr. Hamm
Gesetzgeber haben die Pflicht, nicht in schönen Worten ausführlich etwas darzustellen, sondern die Bestimmungen prägnant und so zu fassen, daß sie jedermann verstehen kann.Lassen Sie mich noch etwas hinzufügen; denn die Frau Kollegin Dr. Hubert, der Herr Kollege Dr. Schmidt und auch der Herr Kollege Dr. Nissen haben ja den Antrag, der seinerzeit gestellt worden ist, mit unterschrieben: Es wäre wohl nicht sinnvoll und würde auch nicht zum 'Stil dieses Hauses, insbesondere des Geistes unter den Gesundheitspolitikern, passen, wenn man hier eine Priorität nur deshalb konstruierte, weil man ein zugegebenermaßen schmückendes Sätzchen hinzusetzt, das eine Folgerung ist, aber keine notwendige Gesetzesformulierung. In dem Antrag Umdruck 172 ist das gleiche von vornherein enthalten.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Balke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist etwas vom Standpunkt der Praxis dazu zu sagen. Ich bin weder Arzt noch Jurist, also nicht an etwaigen materiellen Dingen interessiert.
Ich befürchte nur, daß, wenn der Antrag angenommen wird, allerdings ein Berufsstand wieder Geld verdienen wird, nämlich die Juristen, weil das sehr viel Streit geben wird.
Wir sind uns darüber einig, daß das D-Arztverfahren gut ist und erhalten bleiben soll. Der Wunsch geht dahin, daß es erweitert 'werden soll. Wenn dem so ist, muß man auch die Kontrollinstanz in die Lage versetzen, die D-Ärzte auszusuchen. Ich darf daran erinnern, daß das D-Arztverfahren nicht angetastet worden ist, als die Berufsgenossenschaften in den Organen paritätisch mit den Versicherten besetzt wurden. Es ist also allgemeine Überzeugung der Versicherten und der Arbeitgeber, daß das D-Arztverfahren als Prinzip gut ist.
'Hier handelt es sich um die Frage der quantitativen Ausweitung. Zunächst 'einmal ist festzustellen, daß von den Arbeitsunfällen sowieso nur 11 bis 12 % heute durch die D-Ärzte gehen. Die Ärzte sind also zu beinahe 88 bis 89 % ohnehin an den Arbeitsunfällen beteiligt.
Erst wenn der Verletzte dem Arzt arbeitsunfähig erscheint, wird er mit der bekannten braunen Karte zum D-Arzt geschickt. Wenn Sie die Zahlen auf die gesamten Unfälle im Volksleben beziehen, ist der Prozentsatz noch sehr viel kleiner. Es ist also nicht richtig, wenn hier der Eindruck entstanden sein sollte, daß durch das bisherige D-Arztverfahren dem Arzt als solchem ein großer Teil der Behandlung der Arbeitsunfälle entzogen worden ist. Es 'handelt sich vielmehr um einen ganz kleinen Prozentsatz.
Nun kommt die Frage, ob man das D-Arztverfahren — besonders auf dem flachen Lande — erweitern kann. Dieses D-Arztverfahren ist seinerzeit aus ärztlichen Gründen eingeführt worden, weil ein großer Teil der Arbeitsunfälle nach der ersten Behandlung, wenn sie von den Ärzten — nicht von den D-Ärzten — kommen, noch einmal nachbehandelt wenden muß. Deshalb sind auch die Unfallkrankenhäuser der Berufsgenossenschaften damit betraut. Ich weiß aus eigener praktischer Erfahrung, wieviel — sagen wir ruhig — verunglückte Fälle von Verletzten nachher noch einmal behandelt werden müssen. Das D-Arztverfahren hat den Zweck, das im Interesse des Verletzten zu verhindern. Dazu ist es notwendig, daß der zugelassene Arzt von einer Kontrollinstanz ausgesucht wird.
Bei den Anträgen handelt es sich doch eigentlich um nichts anderes als um eine nochmalige Betonung einer Bestimmung, die im Gesetz schon festgelegt ist. Die Fassung des Ausschusses genügt den Erfordernissen, die hier vertreten werden, das D-Arztverfahren auszuweiten; denn es liegt ja dazu ein gesetzlicher Auftrag an die Berufsgenossenschaften vor. Mit anderen Worten, die beiden Anträge sind nicht falsch, sie sind überflüssig; es steht alles schon in der Ausschußfassung. Ich bitte Sie, diese zu beschließen.
Herr Dr. Schellenberg!
Der Herr Kollege Professor Dr. Balke hat eigentlich die Aussprache wieder aufgenommen, die meines Erachtens schon abgeschlossen war. Wir sprachen schon zur Abstimmung. Ich möchte darauf hinweisen, Herr Kollege Balke, daß die Auswahl in dem Abs. 2 a geregelt wird. Darin heißt es, daß unbeschadet der gesetzlichen Verantwortlichkeit der Versicherungsträger die Beziehungen durch Verträge geregelt werden.
Aber nun zu der Frage, die Herr Kollege Dr. Hamm in seinen Ausführungen zur Abstimmung aufgeworfen hat. Es besteht ein entscheidender Unterschied zwischen den beiden Anträgen auf den Umdrucken 172 und 189. In dem Antrag der SPD auf Umdruck 189 wird ausdrücklich das Recht des Verletzten auf freie Arztwahl festgelegt und unterstrichen. Bisher wurden von den Verletzten Beanstandungen vorgebracht, weil sie keine völlig freie Arztwahl hatten. Deshalb scheint es uns im Interesse der Verletzten notwendig zu sein, in das Gesetz die Vorschrift aufzunehmen: Der Verletzte hat die freie Arztwahl. Darum ist der Antrag auf Umdruck 189 der weitergehende.
Herr Dr. Jungmann!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Professor Balke ist in diesem Hause sicher ein hoch-
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2834 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963
Dr. Jungmanngeachteter Mann, und er wird auch von mir hochgeachtet. Aber ganz so unbeteiligt, wie er es gesagt hat, scheint er mir an diesen Dingen auch nicht zu sein.
— Vielleicht sind wir alle nicht unbeteiligt. Je mehr wir an dieser Sache interessiert sind, je mehr wir sie verstehen, um so besser ist es.Ich möchte aber noch einmal betonen: es handelt sich überhaupt nicht um das Durchgangsarztverfahren, sondern um die Heilbehandlung. Das ist ein wesentlicher Unterschied, und nur darüber haben wir zu befinden.Aber es ist Herrn Professor Balke leider auch ein sachlicher Irrtum unterlaufen, nämlich der Irrtum, der sich in einem bestimmten Schrifttum immer wieder findet; daß nur 10% bis 12% der Unfälle überhaupt von den Durchgangsärzten behandelt würden. Die Durchgangsärzte haben von Hause aus gar nicht zu behandeln; das ist gar nicht ihre Aufgabe. Aber auch die Zahlen sind mißverständlich. Es handelt sich nämlich nur um die Weiterbehandlung solcher Fälle — —
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja.
Herr Kollege Dr. Jungmann, Sie sprachen von einem „besonderen" Schrifttum. Darf
B) ich Sie fragen: Kennen Sie die „Ärztlichen Mitteilungen" und einen Aufsatz Ihres Kollegen Dr. Nienhaus in der Nummer vom 15. September 1962, wo er. sagt, daß der Anteil der praktischen Ärzte am Durchgangsarztverfahren auf 85% zu beziffern sei?
Auch hier hat Herr Dr. Nienhaus, der mir sehr gut bekannt ist, ein bestimmtes Schrifttum verwendet.
Es handelt sich hier nämlich um die sehr große Zahl von leichten Fällen, von sogenannten „Leerlauffällen", die, nachdem sie vom Durchgangsarzt behandelt worden sind, dem praktischen Arzt überwiesen werden. Es handelt sich hier aber gar nicht um den praktischen Arzt, und ich habe das Wort „praktischer Arzt" auch nicht in den Mund genommen. Mir ist die ganze Diskussion etwas peinlich, weil immer wieder unsachliche Argumente hineinzugeraten drohen. Es handelt sich hier lediglich darum, welche Fachärzte am berufsgenossenschaftlichen Heilverfahren beteiligt werden sollen. Das berufsgenossenschaftliche Heilverfahren ist seinem Wesen nach ein Facharztverfahren. Das steht in dem ersten Satz, den Sie jetzt vielleicht nicht vor sich liegen haben, ganz eindeutig und klar. An dieser Bestimmung soll überhaupt nichts geändert werden. Unter diesen Fachärzten — ich habe die Zahl mit etwa 9000 beziffert — soll nun nicht mehr eine willkürliche Auswahl getroffen werden, sondern da soll, so wie auch meine Herren Vorredner, insbesondere Herr Kollege Schmidt, schon gesagt haben, eine sachgerechte Auswahl getroffen wer-
den; denn die deutsche Bezeichnung Facharzt ist nicht ohne weiteres identisch mit einer entsprechenden Bezeichnung in der Unfallmedizin. Herr Professor Balke, ich glaube, daß das auch Ihre Zustimmung wird finden können.
Meine Damen und Herren, wir müssen abstimmen. Es obliegt mir, festzustellen, welcher Antrag der weitergehende ist. Ich muß Ihnen gestehen, daß ich keinen der beiden Anträge in seiner Formulierung für ganz eindeutig halte. Ich störe mich an dem Wort „die Ärzte zu beteiligen". Das ist mir etwas zu bestimmt und zu direkt. Wie wäre es, wenn man es so faßte — es ist ein ,Vorschlag von mir; ich weiß, der Präsident hat dieses Recht nicht, aber ich usurpiere hier ein Recht—:
An der Durchführung der Heilbehandlung sind nach Wahl des Verletzten Ärzte zu beteiligen, die...
— Gut, Sie nehmen den Vorschlag nicht an.
Dann müssen wir abstimmen. Nach meinem Dafürhalten ist der Antrag Umdruck 189 der weitergehende, weil er bestimmter ist. Ich lasse zuerst über ihn abstimmen. Wer den Änderungsantrag Umdruck 189 Ziffer 2 annehmen will, der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag Umdruck 172. Wer ihm zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ersteres war die Mehrheit; gegen zahlreiche Gegenstimmen angenommen.
Dann stimmen wir über § 557 in der nunmehrigen Fassung ab. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Das ist die große Mehrheit; angenommen.
Ich rufe auf die §§ 558, 559, 560, 561, 562, 563, 564, 565, 566, 567, 568, 569, 570, 571, 572, 573. Wer diesen Bestimmungen, zu denen keine Anträge vorliegen, zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Einstimmige Annahme.
Ich rufe auf § 574. Dazu liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 189 Ziffer 3 vor. Zur Begründung hat das Wort der Abgeordnete Killat.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu § 574 Abs. 3 beantragt die sozialdemokratische Bundestagsfraktion, den ersten Halbsatz zu streichen und durch den Halbsatz zu ersetzen:Ist die Erwerbsfähigkeit einer in den Absätzen 1 oder 2 genannten Person infolge des Arbeitsunfalles um wenigstens 80 vom Hundert gemindert, . . .Dann sollen die Folgen eintreten, d. h. die Rente soll entsprechend höher berechnet werden.Zur Begründung möchte ich auf folgendes verweisen. Die Geldleistungen in der Unfallversicherung werden bekanntlich nach dem Jahresarbeitsverdienst berechnet, den der Versicherte im letzten
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963 2835
KillatJahr vor seinem Unfallschaden gehabt hat. In § 574 wird die Berechnung geregelt für den Fall, daß der Verletzte vor dem Arbeitsunfall kein Arbeitseinkommen bezogen hatte, beispielsweise Schüler oder sonst in Berufsausbildung befindliche oder Personen, die infolge ihres jugendlichen Alters noch nicht die dem Berufs- oder Lebensalter entsprechenden Höchstsätze für ihre Tätigkeit erreicht haben.Mit der Bestimmung in Abs. 3 dieses Paragraphen soll erreicht werden, daß Verletzten, die das 25. Lebensjahr noch nicht überschritten haben, auch dann eine höhere Berechnungsgrundlage nach Lebensalter oder Berufsjahren — über das 25. Jahr hinaus — zuerkannt werden kann, wenn sie, wie es hier heißt, „einer Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgehen". Diese Formulierung „einer Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgehen" würde nach unserer Auffassung einen neuen Begriff des Grades der Erwerbsunfähigkeit schaffen, der bisher in der RVO nicht enthalten ist. In der Unfallversicherung wie auch in der Krankenversicherung kennen wir nur den Begriff „Erwerbsunfähigkeit", in der Unfallversicherung die „völlige Erwerbsunfähigkeit" oder noch speziell die „teilweise Erwerbsunfähigkeit". Nirgendwo sonst wird in der Unfallversicherung davon ausgegangen, daß eine Rente oder Leistung dann erhöht werden soll, wenn der Versicherte keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgeht. Wir sind der Meinung, daß zur Erhaltung der Klarheit der bisherigen Begriffsbestimmungen die Änderung dieses Halbsatzes vorgenommen werden sollte. Man sollte keine weiteren Begriffe zu den bisherigen in der RVO hinzufügen.Wir halten aber die Änderung der vom Ausschuß beschlossenen Fassung besonders deshalb für notwendig, weil man in der vorliegenden Fassung jungen Menschen bescheinigt, daß sie nie oder jedenfalls auf absehbare Zeit nicht mehr in der Lage sein werden, einer Erwerbstätigkeit — auch nur einer geringfügigen — nachzugehen. Wir meinen, daß mit einer solchen Formulierung — ich bitte, das zu verstehen — geradezu ein Anreiz gegeben wird, der Erwerbstätigkeit fernzubleiben, und zwar fernzubleiben, um einen höheren Rentenanspruch zu erwirken. Das würde nach unserer Auffassung auch für die Erhaltung oder Weckung des Rehabilitationswillens gerade bei den jugendlichen Versicherten unter Umständen verheerende Folgen haben.Im übrigen ist nach den zwingenden Vorschriften der RVO — § 1588 — jede Erwerbsminderung im Bescheid in Prozentsätzen anzugeben. Wir glauben, daß wir der Sache und besonders den jungen Menschen dienen, wenn wir — und dahin geht der SPD-Vorschlag — dem Geschädigten eine erhöhte Anpassung des Jahresarbeitsverdienstes zubilligen, wenn der Grad seiner Erwerbsminderung mindestens 80 v. H. erreicht. Das ist ein eindeutiger, klarer Begriff und bedeutet nicht eine Ausschließung einer Erwerbstätigkeit, die der Betreffende vielleicht noch leisten kann oder gar anstrebt.Mit unserem Vorschlag nehmen wir materiell keine Ausweitung vor, sondern erfassen genau den gleichen Personenkreis, der auch nach dem Vorschlag des Ausschusses erfaßt wird. Auf der anderenSeite würden wir für den geschädigten Menschen nicht das vernichtende ,Urteil „absolute Erwerbsunfähigkeit" sprechen oder geradezu ein Betätigungsverbot fordern. Wir glauben also, daß mit diesem Vorschlag keine materielle Änderung verbunden ist und daß daher auch die Damen und Herren der übrigen Fraktionen unserem Änderungsantrag zustimmen können.
Wird das Wort gewünscht? — Bitte schön, Herr Dr. Jungmann!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben uns mit dieser Frage auch im Kreis unserer politischen Freunde sehr sorgfältig und eingehend auseinandergesetzt und auch im Sozialpolitischen Ausschuß ist sie sehr sorgfältig beraten worden. Die Ausführungen, die Herr Kollege Killat gemacht hat, sind auf den ersten Blick sicherlich sehr einleuchtend. Sie dürfen dabei aber doch nicht völlig außer acht lassen, daß es sich nicht nur darum handelt, nun mit dem Begriff „80% Erwerbsunfähigkeit" klarere Verhältnisse zu schaffen. Es handelt sich auch nicht darum, daß man dem Betreffenden nun alle Hoffnung nehmen würde, indem man ihm, wie Herr Kollege Killat sagte, das vernichtende Urteil entgegenhält, daß er überhaupt nicht mehr erwerbsfähig sei. Wir wollen mit dieser Bestimmung vielmehr gerade diejenigen besonders hart getroffenen Menschen vor den Folgen des Unfalls schützen, die wirklich keinem Beruf mehr nachgehen können. Wir möchten aber alle diejenigen ausgenommen wissen, die trotz schwerer Schädigung wieder den Mut und den Willen zur Arbeit, zur Eingliederung, zur Rehabilitation finden sollen. Jeder, der als Arzt mit diesen Dingen zu tun hat, weiß, daß die Mobilisierung des eigenen Leistungswillens und der eigenen Leistungskraft für den von einem schweren Unfall Getroffenen eine dringende Notwendigkeit ist.
Ich glaube, Sie sollten nicht auf das Nein sehen, wenn ich Ihrem Antrag hier widerspreche, sondern Sie sollten die gute Absicht erkennen, daß wir den Menschen, die zwar schwer geschädigt sind, die aber nach unserer Gesetzgebung ganz generell wieder in den Arbeitsprozeß — auch mit lohnender Arbeit — eingegliedert werden können und tatsächlich in aller Regel auch eingegliedert werden, den inneren Auftrieb und den nötigen Schwung geben möchten, ihre Kräfte voll einzusetzen. Sollte sich im Verlauf ihres Erwerbslebens zeigen, daß ihre verbliebenen Kräfte nicht ausreichen, würde dieser Paragraph ja noch voll und ganz zum Zuge kommen können.
Ich glaube, daß wir mit dieser neuen, vom Ausschuß vorgeschlagenen Regelung, die es ja bisher im Unfallversicherungsgesetz noch nicht gegeben hat, bereits einem sehr menschlichen Bedürfnis Rechnung tragen. Ich bitte Sie deshalb, bei dem Ausschußantrag zu bleiben.
Herr Abgeordneter Killat!
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2836 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Jungmann, Sie haben hier erklärt, daß Sie durch die vom Ausschuß vorgeschlagene Lösung den jungen Menschen, die den entsprechenden inneren Schwung zur Arbeit haben, helfen wollen. Deshalb haben Sie noch einmal für die Ausschußfassung plädiert. Ich muß sagen, ich habe hier — auch vom Standpunkt eines Arztes — kein begründetes Argument gehört, das gegen unseren Vorschlag spricht. Im Gegenteil, wir haben beispielsweise in der Rentenversicherung eine Bestimmung, nach der außer der Berufsunfähigkeitsrente unter Umständen eine Erwerbsunfähigkeitsrente anfallen kann, wenn der Schaden zur völligen Erwerbsunfähigkeit führt. Aber auch in der Rentenversicherung wird eine mögliche Erwerbstätigkeit eines Rentenempfängers, der an sich erwerbsunfähig ist, nicht ausgeschlossen. In der Reichsversicherungsordnung heißt es nämlich: Erwerbsunfähig ist der Versicherte, der infolge Krankheit oder anderer Gebrechen usw. auf nicht absehbare Zeit keine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit ausüben oder nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte verdienen kann.
Ich will jetzt Ihren Argumenten, Herr Dr. Jungmann, folgen. Diesem jungen Menschen, der nach Ihrer Erklärung den Willen hat, es noch einmal zu versuchen, nehmen Sie doch den Willen dazu, begrenzt, vorübergehend oder auch nur versuchsweise eine Tätigkeit aufzunehmen, wenn damit die höhere Rente nicht gegeben wird. Ich glaube also, wenn
Sie sich das noch einmal überlegen, müssen Sie gerade aus Ihren Erwägungen heraus unserem Antrag zustimmen.
Herr Spitzmüller!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Zu dem Antrag der SPD möchte ich noch einmal auf folgendes hinweisen. Wer eine Rente bekommt, weil er zu 80 oder 90% erwerbsgemindert ist, nimmt nach dem SPD-Antrag an der allgemeinen Aktualisierung der Renten teil. Er nimmt an den Erhöhungen teil, die in § 574 vorgesehen sind, und er nimmt, wenn er zu 80 oder 90% erwerbsgemindert ist und noch im Erwerbsleben steht, auch an den allgemeinen Verdiensterhöhungen teil, insgesamt also an einer dreifachen Steigerung. Im Ausschuß sind wir ohnehin schon über die Vorlage hinausgegangen. Wir sollten es, glaube ich, bei diesem ersten Schritt, 'den zu tun wir im Ausschuß beschlossen haben, belassen und nicht im Gesetz plötzlich die Möglichkeit verankern, drei Steigerungsfaktoren anzuwenden.
Wir stimmen ab. Wer Ziffer 3 des Antrags Umdruck 189 zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
§ 574 bis § 581.
— Verzeihung. Ich habe wieder einmal nach rechts geschaut,
— Ja, weil man als Präsident nach allen Seiten aufpassen muß.
— Herr Stingl, bei Ihnen weiß man es nie.
— Das steht in Ihrer Entscheidung und Bewertung. Aber: In dubio pro reo.
Also § 574 Ibis § 580. Wer damit einverstanden ist, gebe das Handzeichen. — 'Gegenprobe! — Einstimmige Annahme.
Zu § 581 liegt der Änderungsantrag Umdruck 189 Ziffer 4 vor.
Frau Döhring hat 'das Wort.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Unter Punkt 4 des Umdrucks 189 beantragt meine Fraktion, dem § 581 Abs. 2 einen zweiten Satz mit folgendem Inhalt anzufügen:War die Erwerbsfähigkeit des Verletzten schon vor dem Arbeitsunfall dauernd gemindert, so gilt der Verletzte insoweit als erwerbsfähig, als er zur Zeit des Unfalles erwerbstätig gewesen ist.Durch die Aufnahme dieser ergänzenden Bestimmung in das Gesetz soll klargestellt werden, daß dem Verletzten, der schon vor dem Arbeitsunfall als erwerbsgemindert galt, im Augenblick des Unfalles sein tatsächliches Arbeitseinkommen für die Verletztenrente zugrunde gelegt wird. Ohne diese Bestimmung könnten unter Umständen für die Betroffenen, bei denen es sich in der Regel um schwerstbeschädigte Menschen handelt, unbillige Härten auftreten.Ein Beispiel: Ein Blinder ist als Stenotypist wieder in das Erwerbsleben eingegliedert. Infolge eines Arbeitsunfalles verliert er eine Hand und kann nun zu allem anderen Unglück seinen Beruf nicht mehr ausüben. Dann geht es darum, daß dieser blinde Stenotypist die volle Entschädigung für den Arbeitsunfall erhält, obwohl er als Blinder als erheblich erwerbsgemindert galt.Durch den vorliegenden Antrag soll also im Gesetz unmißverständlich festgelegt werden, daß dieser Blinde — um bei meinem kleinen Beispiel zu bleiben — nicht entschädigungslos ausgeht; vielmehr soll seine Erwerbsfähigkeit zum Zeitpunkt des Unfalles mit 100% angenommen werden, d. h. sei-
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Frau Döhring
ner Verletztenrente ist bei der Berechnung das tatsächliche Arbeitseinkommen zugrunde zu legen. Darüber, daß bei der Festsetzung der Unfallrente s o und nicht anders verfahren werden soll, besteht bei allen Fraktionen dieses Hohen Hauses Übereinstimmung. Das haben wenigstens die Beratungen im Sozialpolitischen Ausschuß ergeben. Meinungsverschiedenheiten bestanden nur darüber, ob diese Regelung ausdrücklich in das Gesetz aufgenommen werden sollte oder nicht.Meine Herren und Damen, ich darf Sie daran erinnern, daß dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf vom 21. März 1957 — Bundestagsdrucksache 3318 — die gleiche Auffassung zugrunde lag. Die im vorliegenden Antrag meiner Fraktion gewünschte Fassung entspricht dem § 559 Abs. 2 der damaligen Regierungsvorlage. In dem jetzigen Gesetzentwurf hat diese Bestimmung allerdings gefehlt. Man hielt sie, wie in den Beratungen des Ausschusses gesagt wurde, für überflüssig, weil nach einer bestehenden Übung der Rechtsprechung bereits so verfahren werde.Das ist alles recht und schön, aber uns Sozialdemokraten genügt das nicht. Wir möchten vermeiden — und das sollte das Anliegen von uns allen hier sein —, daß die betroffenen Versicherten unter Umständen erst auf den oft so dornenvollen Rechtsweg angewiesen sind. Wir halten deshalb die Aufnahme der vorgeschlagenen Bestimmung in das Gesetz der Klarstellung wegen für erforderlich. Dies liegt nicht nur im Interesse der Verletzten, sondern auch im Interesse der Verwaltung. Durch diese Klarstellung im Gesetz würde — und das ist äußerst wichtig — insbesondere eine unnötige Inanspruchnahme der Sozialgerichte vermieden werden.Wir sind jetzt dabei, das Unfallversicherungsgesetz neu zu fassen. Der Gesetzgeber sollte dies so klar und so unmißverständlich wie möglich tun. Da über die materielle Seite unseres Anliegens keine Meinungsverschiedenheiten bestehen, möchte ich Sie namens meiner Fraktion bitten, zur Schaffung von Rechtsklarheit unserem Antrag Ihre Zustimmung zu geben.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Klein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der CDU/ CSU hat sich mit diesem Zusatzantrag zu § 581 Abs. 2 beschäftigt und ist zu dem Entschluß gekommen, ihn abzulehnen mit der Begründung, daß ein Unfall, der nach einer schon bestehenden Erwerbsminderung eintritt, in keinem Zusammenhang mit dieser steht und .daß der Unfallgeschädigte, dessen Rente sowieso nach dem dann gezahlten Arbeitsentgelt verrechnet wird, dadurch auch keinen Schaden erleidet. Wir werden daher diesem Antrag nicht zustimmen.
Abgeordneter Börner!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Begründung, die .soeben von der CDU für die Ablehnung unseres Antrages gegeben wurde, zeigt an sich, daß es notwendig ist,. den Antrag anzunehmen. Hier ist gesagt worden, es gehe nicht um den Zusammenhang zwischen der schon bestehenden Erwerbsminderung und dem Unfall. Aber gerade das Beispiel, das Frau Kollegin Döhring dem Hause vorgetragen hat, zeigt, daß der Blinde, der noch im Erwerbsleben steht, selbstverständlich einem viel höheren Risiko ausgesetzt ist, in einen Arbeitsunfall verwickelt zu werden, weil er sich nicht im gleichen Maße wie der Sehende gegen Unfallgefahren absichern kann.
Ich glaube also, gerade mit der — lassen Sie mich das sagen — so dünnen Begründung für die Ablehnung unseres Antrages ist die Notwendigkeit seiner Annahme bewiesen worden.
Keine weiteren Wortmeldungen.
Wer dem Antrag Umdruck 189 Ziffer 4 zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wer § 581 in der Ausschußfassung zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe auf § 581 a. Hierzu liegt der Antrag Umdruck 189 Ziffer 5 vor. Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Langebeck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Mehrheit des Ausschusses hat nach längerer Diskussion beschlossen, folgenden § 581 a einzufügen:Kann ein Schwerverletzter ... infolge des Arbeitsunfalls einer Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgehen und erhält er keine Rente aus den Rentenversicherungen der Arbeiter oder der Angestellten oder der knappschaftlichen Rentenversicherung, so erhöht sich die Verletztenrente um 10 vom Hundert.Diese Regelung ist unbefriedigend. Durch sie wird derjenige begünstigt, der keine Altersvorsorge getroffen hat, und derjenige benachteiligt, der Zeit seines Lebens Beiträge für die Alterssicherung bzw. für den Fall der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit geleistet hat. Sie, meine Damen und Herren von der Regierungspartei, haben so häufig auf das Subsidiaritätsprinzip hingewiesen. Dazu steht im Widerspruch, wenn Sie der Auffassung sind, daß man nur demjenigen einen Zuschlag gewähren sollte, der keine Altersvorsorge getroffen hat.Im Ausschuß ist darüber gesprochen worden, ob nicht das Pflegegeld gemäß § 558 Abs. 3 ein Ausgleich sei. Ich darf darauf hinweisen, daß das Pflegegeld gewährt werden k a n n. Es handelt sich also um eine Kann-Bestimmung. Auf der anderen Seite sind wir ,der Auffassung, daß das Pflegegeld für den
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2838 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963
LangebeckPfleger, aber nicht für den Pflegebedürftigen bestimmt ist.Wir haben bei der Beratung im Ausschuß verschiedene Vorschläge, insbesondere von Arbeitnehmerseite, hinsichtlich der Leistungsverbesserung entgegengenommen, z. B. auch den Vorschlag, daß die Vollrente künftig drei Viertel 'des Jahresarbeitsverdienstes statt zwei Drittel betragen soll. Vom Christlichen Gewerkschaftsbund wurde vorgeschlagen, ,daß künftig eine Rente auch gewährt werden soll, wenn die Erwerbsminderung nur 10% beträgt. Die Mehrheit des Ausschusses ist diesen Vorschlägen nicht gefolgt, und zwar mit der Begründung, man wolle den Schwerstbetroffenen etwas mehr geben. Hier stehen wir jetzt vor 'der Frage, ob den Schwerstbetroffenen nicht eine Sonderzulage gewährt werden soll. Darauf ist der Antrag der Sozialdemokratischen Partei abgestellt.Unser Antrag unterscheidet sich insofern von dem Ausschußantrag, als nach unserer Fassung vorgesehen ist, daß jeder Unfallverletzte, der „durch die Unfallfolgen gesundheitlich außergewöhnlich betroffen " ist, zu seiner Vollrente eine Schwerstverletztenzulage in Höhe von einem Zehntel des Jahresarbeitsverdienstes erhält. Wir räumen ein, daß bei der Entscheidung darüber, wer als „gesundheitlich außergewöhnlich betroffen" zu gelten hat, Fragen auftreten, und haben daher vorgesehen, daß die Abgrenzung dieses Personenkreises' durch Rechtsverordnung geregelt wird.Wir werden im weiteren Verlauf der Beratungen, insbesondere bei der Beratung des Art. 2 — Änderung weiterer Vorschriften der RVO, des Angestelltenversicherungsgesetzes usw. —, noch einmal auf dieses Thema zurückkommen. Wir sind nämlich der Auffassung, daß, falls dieses Hohe Haus unserem Antrag zustimmt, die darin vorgesehene Zulage bei der Anrechnung anderer Leistungen aus der Rentenversicherung unberücksichtigt bleiben sollte.Ich darf Sie bitten, unseren Antrag anzunehmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Becker.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der CDU/CSU und auch der FDP können diesem Änderungsantrag der SPD-Fraktion nicht zustimmen. Wir waren uns im Sozialpolitischen Ausschuß einig darüber, daß wir demjenigen, der durch einen Arbeitsunfall besonders schwer getroffen und arbeitsunfähig geworden ist, eine besondere und zusätzliche Hilfe geben wollen; deshalb auch die Schaffung des § 581 a in der uns vorliegenden Ausschußfassung, wonach die Betroffenen eine zehnprozentige Verbesserung der Unfallrente haben sollen.
— Das wollte ich gerade sagen, Herr Kollege Börner.
Wir haben aber den Kreis bewußt auf diejenigen begrenzt, die keinen Anspruch auf Sozialrente, also auf Rente aus der Arbeiterrentenversicherung, Angestelltenversicherung oder auch aus der Knappschaftsversicherung haben, sondern nur einen Anspruch auf die Unfallrente.
Meine verehrten Damen und Herren, es ist heute morgen schon einige Male gesagt worden, und ich brauche es deshalb nicht zu vertiefen: der Vorschlag der SPD geht uns zu weit, und ich glaube, er hilft auch in vielen Fällen nicht wie gewollt. Mein verehrter Herr Vorredner hat ja schon angedeutet, daß im Laufe der Beratung noch von etwas mehr die Rede sein sollte. Bei einer generellen Erhöhung der Unfallrente ist nämlich in sehr vielen Fällen nicht der Unfallversicherte, sondern eben die Angestellten- oder Arbeiterrentenversicherung der Nutznießer.
— Ich halte mich an die Formulierung, wie sie hier steht.
— Entschuldigen Sie, ob Zulage oder Rente, ich glaube, es ist im Augenblick nicht am Platze, die Frage der gegenseitigen Anrechnung von Sozialrenten jetzt zu klären. Das müßte bei einer anderen Gelegenheit geschehen. Mit unserem § 581 a möchten wir im Augenblick demjenigen, der keinen Anspruch auf Sozialrente hat, ebenfalls an die 85 %-Grenze, die in der Sozialversicherung gesetzt ist, 1 heranführen. Über diese Grenze hinaus aber möchten wir im Augenblick nicht gehen. Wir bitten deshalb, den Antrag der SPD-Fraktion abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Killat.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure sehr, daß gerade Sie, Herr Kollege Becker, sich nun zum Sprecher gegen unseren Antrag gemacht haben. Sie haben zunächst darauf abgehoben, daß der Schwerverletzte unter Umständen von der zehnprozentigen Zulage — ich betone: Zulage — nichts habe, weil diese Zulage bei einer Kumulierung von Renten oder Unfallrenten— die bekanntlich 85 % der Bemessungsgrundlage oder des gehabten Einkommens nicht übersteigen sollen — aufgezehrt werde. Das stimmt nicht. Diese Frage ist in § 583 geregelt. Die Zulage soll unabhängig von der Rentenkumulierung und -beschneidung gezahlt werden.Sie selber haben den § 581 a angeführt. Mit dieser Bestimmung, die von Ihnen stammt, haben Sie in das Gesetz hineingeschrieben, daß alle diejenigen, die keine Beiträge beispielsweise zur Rentenversicherung zahlen und somit keine Vorsorge betrieben haben, obendrein noch eine zehnprozentige Zulage bekommen sollen, weil sie nicht rentenversichert waren. Ich glaube, Herr Kollege Becker und meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion, Sie werden einsehen, daß man hier eine ge-
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963 2839
Killatwisse Gleichheit des Rechts herbeiführen sollte. Man sollte also diese zehnprozentige Zulage nicht auf einen Personenkreis begrenzen, der keine Vorsorge betrieben hat, man sollte vielmehr die Zulage allen Schwerstverletzten geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Stingl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, auch Herr Killat bedauert, daß ich gegen ihn spreche. Ich weiß nicht, ob er das tut.
— Aber, Herr Kollege Killat, hier geht es einfach in der Sache um etwas anderes, als Sie es dargestellt haben. Wer eine Rente aus der Rentenversicherung der Angestellten oder der Arbeiter oder aus der knappschaftlichen Rentenversicherung bekommt, erhält neben seiner Rente aus der Unfallversicherung eben diese Rente aus der Angestelltenversicherung usw. Dabei sind als Obergrenze für die zu beziehende Rente 85 % entweder des letzten Jahresarbeitsverdienstes, ,das der Unfallrente zugrunde liegt, oder der persönlichen Bemessungsgrundlage bestimmt. Das heißt, derjenige, der eine Rente bezieht, hat eo ipso diese Zulage, meine Damen und Herren, die wir dem, der nicht in der Rentenversicherung versichert ist, gewähren wollen.
Damit ergibt sich, daß hier nicht zweierlei Recht geschaffen wird, sondern daß im Gegenteil der, der nicht rentenversichert ist, auf einen Stand gebracht ist, den der Rentenversicherte ohne weiteres hat. Es wäre also eine Vergünstigung der Rentenversicherten gegenüber den Nichtrentenversicherten in der Höhe der Unfallrente. Sinn der Bestimmung ist es jedenfalls, daß der, der auf die Rente angewiesen ist, und 'zwar auf die Unfallrente allein, die Zulage erhält, daß der andere aber, der Unfallrente und andere Rente erhält, auf 85 % des letzten Jahresarbeitsverdienstes kommt.
— Hier wird keineswegs die eigene Vorsorge bestraft.
Nein, Herr Kollege Schellenberg und Herr Kollege Killat, ich meine, das würde unsere gesamte Rentenversicherung, unser gesamtes Versicherungssystem — in Ihrem Sinne, vielleicht zu Recht — angreifen; denn der, der nicht in der Rentenversicherung versichert ist, kann nicht schlechtweg als ein Verantwortungsloser bezeichnet werden, wenn er seine Sicherung anderwärts sucht.
Das Wort hat der Abgeordnete Langebeck.
Langebeck .: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß doch dem Herrn Kollegen Stingl einiges entgegenhalten. Wir haben hier in aller Deutlichkeit darauf hingewiesen, und wir kommen jetzt wirklich dazu, daß wir, wenn wir der Ausschußmehrheit folgen, demjenigen, der keine Altersvorsorge getroffen hat, in Wahrheit aus der Unfallversicherung eine 10%ige Erhöhung geben.
Ich will in diesem Zusammenhang nicht über das Problem Haftpflichtcharakter oder Sozialversicherungscharakter sprechen, meine aber, es müsse an dieser Stelle gesagt werden, daß eine Benachteiligung desjenigen, der Vorsorge getroffen hat, nicht erfolgen sollte. Wenn ich insoweit aber den Haftpflichtcharakter bejahe, dann hat der Arbeitgeber eine Leistungspflicht für den Unfall, der sich in seinem Betrieb ereignet hat.
In diesem Zusammenhang sollte man also von der Haftpflicht sprechen. Wenn wir das tun, haben wir tatsächlich zweierlei Recht.
Meine Damen und Herren, ich weiß sehr genau, daß wir demjenigen, der durch einen Unfall beide Beine oder das Augenlicht verloren hat, die seelische Belastung, die er nun mit sich trägt, nicht mit dieser Leistung abnehmen können. Wir wollen aber nicht, daß zu der seelischen Belastung möglicherweise noch materielle Sorgen kommen.
Das ist doch der Sinn unseres Vorschlags. Ich darf Sie sehr dringend bitten, ihm zuzustimmen.
Nun noch etwas über die Größenordnung! Ich will einmal davon ausgehen, der Arbeitnehmer verdiene 600 DM im Monat. Hat er die volle Rente, so wird er bei unserer jetzigen Formulierung etwa 400 DM im Monat an Rente bekommen. Die Vorschläge der Arbeitnehmerorganisationen — sowohl des DGB als auch des CGB — gingen von drei Vierteln aus; er würde also 450 DM im Monat erhalten. Der Ausschußvorschlag will die 10 % zu der Unfallrente geben — das sind 40 DM —, aber nur jenem Kreis, der keine Altersvorsorge getroffen hat. Wir wollen den Schwerstverletzten — durch eine besondere Verordnung soll festgelegt werden, wer Schwerstverletzter ist — einen Zuschlag geben, der 10% des Jahresarbeitsverdienstes entspricht, so daß in diesem Falle eine Rente von 460 DM ermöglicht wird. Ich glaube, das ist in jeder Weise sozial gerechtfertigt.
Ich darf Sie noch einmal bitten, unserem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Stingl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß noch einmal richtigstellen: Der Betroffene — nach dem Beispiel — bekommt nicht 460 DM, wie Sie sagen, sondern er bekommt, weil
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2840 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963
Stingler die Rente aus der Rentenversicherung zusätzlich bekommt
— jawohl, weil er Beiträge gezahlt hat —, aus der Unfallversicherung und der Rente von den anderen Rentenversicherungsträgern 510 DM. Wenn Sie ihm jetzt noch 60 DM Zuschlag geben wollen, erhält er 570 DM, also mehr als derjenige, der nicht geschädigt ist und in seinem Beruf weiterarbeitet.
Herr Abgeordneter Ollesch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir sollten es bei der Ausschußfassung belassen. Sie verbessert die Situation derjenigen, die von dieser Rente leben müssen. Es kann gar nicht die Rede davon sein, daß der Kreis derer, die keine Vorsorge getroffen haben, begünstigt wird. Es kann nicht unser Ziel sein, jeden Menschen in die gesetzliche Altersversorgung hineinzudrängen. Deswegen wäre dieser Satz fehl am Platze. Ich bin der Meinung, daß die Ausschußfassung alle Fälle weitgehend berücksichtigt.
Keine Wortmeldungen mehr; dann stimmen wir ab.
Wer dem Änderungsantrag Ziffer 5 auf Umdruck 189 zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wer § 581 a in der Ausschußfassung annehmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
§ 582. Hier sind zwei Änderungsanträge angekündigt, Umdruck 189 Ziffer 6 a) und b). Ziffer b) ist gegenstandslos, da der Antrag Umdruck 189 Ziffer 5 abgelehnt worden ist.
— Gut, dann wollen wir über beide sprechen. Ich
habe gedacht, die Verletztenrente und die Schwerstverletzenzulage seien hinfällig. — Wer begründet?
Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Biermann.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf Ihnen den Antrag meiner Fraktion auf Umdruck 189 Ziffer 6 a) zu § 582 Abs. 3 begründen.
Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf wird Kinderzulage für unverheiratete Kinder mit körperlichen oder geistigen Gebrechen, die nicht in der
Lage sind, für ihren Lebensunterhalt selbst aufzukommen, nur bis zu ihrem 25. Lebensjahr gewährt. Diese Begrenzung der Kinderzulage auf ein bestimmtes Lebensalter bringt in den vorerwähnten Fällen unbillige soziale Härten für das Kind, für den Unfallverletzten und damit den Unterhaltsverpflichteten, praktisch also für die gesamte Familie. Ein Unfallverletzter hat, obwohl er infolge des Unfalls eine erhebliche Einkommenseinbuße hinnehmen muß, für sein unterhaltsberechtigtes gebrechliches Kind bis zu seinem Lebensende oder aber bis zum Lebensende dieses Kindes zu sorgen. Sein Einkommen aus der Unfallversicherung, also seine Rente, ist zweifellos erheblich niedriger als sein vorher durch seine Tätigkeit erzielter Verdienst. Dieses Weniger an Einkommen muß er auf seine Familie, also auch auf das Kind, umlegen. Sie müssen sich entsprechend einschränken.
Wenn das Kind nunmehr 25 Jahre alt geworden ist, muß dieser Unfallverletzte nach dem vorliegenden Gesetzentwurf eine weitere Einkommenseinbuße hinnehmen. Ihm wird nämlich die Kinderzulage entzogen. Es kommt zu weiteren finanziellen Einschränkungen.
Wir sind der Auffassung, daß das ein wenig zu weit geht. Die Kinderzulage für- körperlich oder geistig gebrechliche Kinder sollte über das 25. Lebensjahr hinaus gewährt werden.
Die Frage ist, das darf ich hier anfügen, in unserer Sozialversicherung nicht einmal neu; ich darf darauf verweisen, daß eine solche Regelung bereits nach dem Bundesversorgungsgesetz, nach dem Bundesbesoldungsgesetz und für Unterhaltshilfeempfänger nach dem Lastenausgleichsgesetz besteht.
Ich darf aber auch darauf hinweisen, daß die Bundesregierung in ihrer Vorlage zum Bundeskindergeldgesetz eine. gleichlautende Regelung vorschlägt. Ich bin mit meinen Freunden der Auffassung, daß man deshalb bei gleichen sozialen Tatbeständen im Sozialrecht auch gleichartige Regelungen sollte erwarten dürfen.
Deshalb bitte ich um Ihre Zustimmung zu unserem Antrag.
Herr Abgeordneter Ruf hat das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe die Ehre, Ihnen mitzuteilen, daß die CDU/CSU-Fraktion und die FDP-Fraktion vorhaben, dem Abs. b) dieses Antrages zuzustimmen. Wir wollen Ihnen allerdings empfehlen, auf die Buchstaben „st" zu verzichten
und zu sagen: „Schwerverletzten", damit der Wortlaut übereinstimmt.Dem Abs. a) aber können wir nicht zustimmen. Wenn mein Vorredner gesagt hat, man müsse gleich-
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Rufziehen mit dem Lastenausgleichsgesetz, dem Bundesversorgungsgesetz und den Beamtengesetzen, so möchte ich dazu sagen: das sind Versorgungsgesetze. Hier haben wir es mit einem Versicherungsgesetz zu tun, und wir haben bei unserer Ausschußfassung, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, mit der Rentenversicherung gleichgezogen. Ich habe mir die RVO für alle Fälle mitgenommen.
— Sie kennen sie natürlich, Herr Killat, das habe ich bei Ihnen vorausgesetzt —. Wenn Sie da nachlesen, werden Sie feststellen, daß wir mit der Rentenversicherung gleichgezogen haben. Wir beschränken die Leistungspflicht bis zum 25. Lebensjahr. Wir haben allerdings den § 1262 der RVO sogar noch verbessert, indem wir nicht zur Voraussetzung gemacht haben, daß die Gebrechlichkeit schon vor dem 18. Lebensjahr vorgelegen haben muß; sie kann auch erst nach dem 18. Lebensjahr eingetreten sein. Das ist eine Verbesserung gegenüber der Rentenversicherung. Wir wollen, Kollege Stingl, bei gegebener Gelegenheit daran denken, daß wir auch dort eine solche Korrektur vornehmen. Wir glauben Ihnen aber empfehlen zu müssen, es bei der Ausschußfassung zu belassen. Ich bitte, diesen Antrag der SPD-Fraktion abzulehnen.
Keine weitere Wortmeldung? — Dann stimmen wir ab; zunächst über Antrag Umdruck 189 Ziffer 6 Buchstabe a. — Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Nun Ziffer 6 Buchstabe b, mit der Änderung, daß es statt „Schwerstverletztenzulage" „Schwerverletztenzulage" heißen soll. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Einstimmig angenommen.
Nun stimmen wir ab über den § 582 in der so geänderten Fassung. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
§ 583! Hierzu liegt ein Änderungsantrag — Umdruck 189 Ziffer 7 — vor.
— Das „st" wollen wir durchweg streichen. Wir müssen aber trotzdem abstimmen. Wer zustimmen will, der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Nunmehr stimmen wir ab über § 583 in der so geänderten Fassung bis § 590. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
§ 591 ! Hierzu liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 191 vor. Herr Abgeordneter Klein zur Begründung des Antrags.
Herr Präsident! Meine Damen land Herren! Der Antrag Um-
druck 191 hat zum Ziel, in der Unfallversicherung das gleiche Recht wie in der üblichen Rentenversicherung herzustellen. In der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten wie auch in der knappschaftlichen Rentenversicherung wird vorausgesetzt, daß die verstorbene Ehefrau den Unterhalt der Familie überwiegend bestritten hat. Das soll nun auch in der Unfallversicherung gelten.
Wir bitten Sie deshalb, unseren Antrag anzunehmen.
Keine weiteren Wortmeldungen. Wir stimmen über den Antrag Umdruck 191 ab. Wer zustimmen will, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Wir stimmen nun über § 591 in der neuen Fassung sowie über § 592 und § 593 ab. Wer zustimmen will, gebe ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme.Jetzt Herr Abgeordneter Meyer zur Begründung des Antrags Umdruck 189 Ziffer 8!Meyer (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den SPD-Antrag zur Elternrente zu begründen. Mancher wird sich an die vielen Zuschriften erinnern, die er zu diesem Problem bekommen hat. Ich will die Frage hier nicht grundsätzlich behandeln. Bei der Rentenreform konnte die Elternrente nicht durchgesetzt werden. In der Kriegsopferversorgung ist sie durchaus unzulässig und immer wieder Gegenstand von Erörterungen und Beschwerden.Hier soll eine Regelung dahin gehend getroffen werden, daß die Elternrente gewährt wird, wenn der Verstorbene „wesentlich zum Unterhalt" der Eltern beigetragen hat oder beigetragen haben würde.Bisher ist die Elternrente auf ein Fünftel des Jahresarbeitsverdienstes festgesetzt. Fälle aus der Praxis, die mir im Laufe der Jahre immer wieder bekanntgeworden sind, haben gezeigt, daß diese Elternrente viel zu gering ist.Wir gehen aber von den Bestimmungen aus, die der Ausschuß beschlossen hat. Wenn die alte Mutter ihren einzigen Ernährer plötzlich durch einen tödlichen Unfall verloren hat, sollen zwei Zehntel des Jahresarbeitsverdienstes gewährt werden. Wir sind aber der Auffassung, daß einem Elternpaar — immer unter der Voraussetzung, daß die Bedingung hinsichtlich des Unterhalts erfüllt ist — eine etwas höhere Elternrente gewährt werden sollte, und schlagen Ihnen deshalb vor, diese Elternrente um ein Zehntel auf drei Zehntel des Jahresarbeitsverdienstes aufzustocken, wenn ein Elternpaar durch den tödlichen Unfall den einzigen Ernährer verloren hat und keine andere Versorgung hat. Diese Fälle sind nicht sehr zahlreich; es handelt sich aber um ein sozialpolitisch berechtigtes Anliegen.Ich glaube, daß sich die Mehrheit des Hauses für diesen Antrag entscheiden kann und wird.
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Keine weiteren Wortmeldungen.
Wer dem Antrag Umdruck 189 Ziffer 8 zustimmen will, gebe bitte ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Einstimmige Annahme.
Ich lasse nunmehr über den § 594 in der neuen Fassung sowie über die §§ 595 bis 600 abstimmen. Wer zustimmen will, der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme.
§ 601 ! Dazu der Antrag Umdruck 189 Ziffer 9. Wer begründet? — Herr Abgeordneter Geiger!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe volles Verständnis, wenn die Parteien der Regierungskoalition zu Mittag essen wollen. Ich kann Ihnen aber wegen der Bedeutung dieses Antrages diesen Wunsch nicht ganz erfüllen. Das Anliegen, das ich hier vortrage, begründet sich fast von selbst, so daß ich meine Ausführungen nicht nicht lange auszudehnen brauche.
Seit einer Reihe von Jahren sind die Auseinandersetzungen um die Rentenabfindung im Gange. Ich darf Sie daran erinnern, daß nach dem ersten Vorschlag des Herrn Ministers für Arbeit und Sozialordnung die Renten für Erwerbsbeschränkungen bis zu 25 %, völlig gestrichen werden sollten; ich darf weiter daran erinnern, daß darüber hinaus die Renten für Erwerbsbeschränkungen zwischen 25 und 50 v. H. zwangsweise, ohne einen Antrag des Rentenbeziehers, mit dem fünffachen Jahresbetrag abgefunden werden sollten. Hier haben Sie erfreulicherweise Ihren Standpunkt geändert. Wir Sozialdemokraten freuen uns, daß unsere jahrelange Arbeit gegen diese Pläne erfolgreich geblieben ist, wenn sie auch nicht so erfolgreich war, daß Sie diese Festlegung, die einer besonderen Idee des Herrn Bundesarbeitsministers entsprach, ganz fallenließen. Heute sind Sie wenigstens bereit, die Rentenabfindung nur noch auf Antrag vorzunehmen. Aber Sie wollen bei einer solchen Rentenabfindung auf Antrag nur den fünffachen Jahresbetrag abgelten. Wir Sozialdemokraten finden es einfach unverständlich, daß man ganz unabhängig vom Lebensalter der Verletzten — ob sie nun 20 oder 60 Jahre alt sind — nur den fünffachen Jahresbetrag abgelten will.
Die Kapitalisierung der Rente oder, wenn Sie so wollen, die Abfindung der Rente hat sich in der Kriegsopferversorgung bewährt. Dort lebt aber eine Rente nach einem bestimmten Zeitpunkt jeweils wieder auf. Warum das, was in der Kriegsopferversorgung möglich ist, nicht auch bei der Unfallversicherung gemacht wird, ist einfach unverständlich.
Darum beantragen wir, daß diese Bestimmung geändert wird und daß an die Stelle eines fünffachen Betrages der Jahresrente ein dem Kapitalwert der Rente entsprechender Betrag gesetzt wird; er soll in seiner Höhe jeweils von dem Lebensalter des einzelnen abhängig sein. Wenn das festgelegt würde, würde auch ein Teil Ihres Zieles erreicht
sein. Es wäre dann die Sicherheit gegeben, daß möglichts viele solcher Renten abgefunden werden und daß dadurch die Verwaltungsarbeit wesentlich eingeschränkt wird. Denken Sie auch daran, daß es viele solcher Renten in der Landwirtschaft gibt. Dort ist es ganz besonders notwendig, Anreize zur Wahl der Abfindung zu schaffen. Manch kleiner Landwirt könnte dann mit der Abfindung ein Häuschen bauen oder Investitionen für seinen Betrieb vornehmen. Unter den jetzigen Voraussetzungen ist das aber nicht möglich.
Wir bitten Sie deshalb, daß Sie Ihrem Herzen einen Stoß geben und nicht nur halbe Dinge, sondern, wie mein Kollege Börner immer sagt, Nägel mit Köpfen machen und einer Abfindung nach dem Kapitalwert der einzelnen Rente zustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Weber .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieser Antrag ist im Ausschuß mit Stimmengleichheit abgelehnt worden. Das, was der SPD-Antrag will, ist das seitherige Recht. Es ist die Auffassung der Mehreit meiner politischen Freunde, daß das gegenwärtige Recht bleiben soll.
Der Bundesrat hat als Abfindung den zehnfachen Betrag vorgeschlagen. Das könnte in einem Falle mehr, in einem anderen weniger !sein. Sachlich wäre das nicht richtig.
Das gegenwärtige Recht erreicht das, was wir eigentlich wollen: der Leichtverletzte soll aus der Rentenpsychose herauskommen. Es wird die Möglichkeit geschaffen, ihm, wenn er es will, praktisch zu einer Vermögensbildung zu verhelfen.
Schließlich darf ich noch sagen, daß es immerhin im Entscheidungsbereich der Berufsgenossenschaften liegt; denn es ist eine Kann-Bestimmung. Wenn es überhand nehmen sollte und wenn die Berufsgenossenschaften überfordert werden sollten, können sie sagen: Nein, es geht nicht. Sie haben dann
auch die Möglichkeit, in fragwürdigen Fällen auszulesen.
Ich bitte Sie deshalb, diesem sehr vernünftigen Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Stingl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Geiger hat gesagt, wir sollten unserem Herzen einen Stoß geben, und zuletzt wurde gesagt, es sei ein sehr vernünftiger Antrag. Wir haben uns trotzdem lange überlegen müssen, was wir zu diesem Antrag sagen sollten. Ich bin nicht hier heraufgegangen, um die Verhandlungen aufzuhalten. Wir werden dem Antrag zustimmen.
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StinglAber es sei doch gestattet, einige Bemerkungen dazu zu machen. Zunächst einmal stimmen wir dem Antrag deshalb zu, weil das, was in unserem Antrag ursprünglich dazu stand, gar nicht mehr vorhanden ist. Es ging uns darum, diese Unfallquote von 20, 25% überhaupt aus der Dauerleistung herauszunehmen. Nun aber bleibt sie in der Dauerleistung, und es steht in dem Ermessen des Betroffenen, einen Antrag zu stellen, und in dem Ermessen der Unfallberufsgenossenschaft, diesem Antrag zuzustimmen. Das ursprüngliche Bestreben, auf jeden Fall aus diesem Bereich der Renten herauszukommen, wird auch in der Ausschußdrucksache nicht mehr erfüllt. Wenn die Berufsgenossenschaften den Antrag sowieso annehmen oder ablehnen können, 'scheint es uns richtig, eine richtige Abfindung zu schaffen, damit der Betroffene selber einen Anreiz bekommt, den Antrag zu stellen. Insofern haben Sie recht.Ich darf auf meine Einbringungsrede verweisen, die hier schon Konzessionsbereitschaft zeigte. Sie können also nicht von einem Wunder sprechen, wenn wir jetzt zustimmen.Allerdings müssen wir noch einen Satz anfügen,gegen den Sie sicher keine Bedenken haben werden: Für die Abfindung dieser Leistungen bestimmt die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Berechnung des Kapitalwertes.Genauso ist es in § 613. Das müßte also angefügt werden, Herr Präsident. Ich bitte, dann gemeinsam darüber abstimmen zu lassen.
Ist das genügend zur Kenntnis genommen?
— Und da soll jemand sagen, Plenarsitzungen seien überflüssig.
Dann stimmen wir ab über diese beiden Änderungsanträge, über den von den Regierungsparteien ergänzten Antrag der Opposition — Umdruck 189 Ziffer 9 — und den ziffernlosen Antrag, den Sie kennen. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Eine Stimmenthaltung; ich will den Namen nicht nennen.
Das erste war die Mehrheit.
Wir stimmen nunmehr über § 601 in der jetzigen Fassung ab. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Einstimmige Annahme.
§ 602! Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Einstimmige Annahme.
§ 603, dazu Antrag Umdruck 189 Ziffer 10. Wer begründet?
— Ohne Begründung. Das ist die Folge aus der voraufgegangenen Änderung. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen, — Einstimmige Annahme.
Dann stimmen wir ab über die §§ 603 bis, wenn ich mich nicht täusche, 630. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme.
Meine Damen und Herren, nun schlage ich vor, in die Mittagspause einzutreten. Bis 14.30 Uhr. Einverstanden? — Dann unterbrechen wir die Sitzung bis 14.30 Uhr.
Die Sitzung ist wieder eröffnet. Wir fahren in der zweiten Beratung des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes fort. Wir stehen bei § 631 und dem Antrag auf Umdruck 192. — Herr Abgeordneter Berberich, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben zu § 631 einen Änderungsantrag gestellt. Bei der Überprüfung der Beschlüsse des Ausschusses hat sich ergeben, daß die vom Ausschuß beschlossene Fassung des § 631 nicht ganz mit dem übereinstimmt, was wir erreichen wollten. Wenn nämlich, wie es dort heißt, Verletztengeld gewährt werden kann, führt das dazu, daß in schweren Fällen durch die Satzung dieses Verletzengeld nicht gewährt werden kann, während bei leichteren Unfällen, die nicht zu einer dauernden Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit geführt haben, vom ersten Tag an Rente gewährt wird. Das kann natürlich nicht Sinn der Sache sein, sondern beide Tatbestände sollen gleich behandelt werden. Deshalb beantragen wir, daß in § 631 Abs. 1 das Wort „Verletztengeld" durch das Wort „Geldleistungen" ersetzt wird. Damit erfolgt dann eine Gleichstellung.
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung über diesen Antrag. Wer stimmt dem Antrag zu? — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Ebenfalls nicht. Der Antrag ist einstimmig angenommen.
— Ja, meine Damen und Herren, Sie werden verstehen, daß ich mit dem Blick auf das Haus bei der Abstimmung nicht ganz sicher war. Angesichts des Abstimmungsergebnisses scheint das aber nicht nötig gewesen zu sein, Herr Kollege Schellenberg.
Zu den weiteren Absätzen dieses Paragraphen liegen keine Anträge vor. Ich kann deshalb über den § 631 im ganzen mit der soeben beschlossenen Änderung abstimmen lassen. Wer stimmt dem § 631 mit der soeben beschlossenen Änderung in Abs. 1 zu?— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der § 631 ist einstimmig angenommen worden.Ich rufe § 632 auf. Wer stimmt dem § 632 zu? — Danke. Gegenprobe! "— Enthaltungen? — Einstimmig beschlossen,
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2844 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963
Vizepräsident SchoettleWir kommen zum Dritten Abschnitt des Gesetzes in der Fassung des Ausschusses, §§ 633, — 634, —637, — 638, — 639, — 640, — 641, — anschließend zum Zweiten Teil, §§ 642, — 643, — 644. — Wer stimmt den aufgerufenen Paragraphen zu? — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Gegenstimmen, keine Enthaltungen; die Paragraphen sind einstimmig beschlossen.§ 645. Hier liegen Änderungsanträge vor, und zwar auf Umdruck 201 und auf Umdruck 206 Ziffer 1. Beide sind materiell gleich.
— Die Anträge werden nicht begründet; wir kommen gleich zur Abstimmung. Wer stimmt den Änderungsanträgen auf Umdruck 201 und Umdruck 206 Ziffer 1 zu? — Gegenprobe! -- Enthaltungen? — Die Änderungsanträge sind einstimmig angenommen.Wir stimmen über den so abgeänderten § 645 ab. Wer stimmt ihm in der neuen Fassung zu? — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Paragraph ist einstimmig angenommen.Ich rufe auf die §§ 648, — 649, — 650, — 651, —652, — 653, — 654, — 655, — 656, — 657. — Hierzu liegen keine Änderungsanträge vor. Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt diesen Paragraphen zu? — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Paragraphen sind einstimmig angenommen.Zum § 658 liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 213 vor. Wird der Antrag begründet? — Bitte, Herr Abgeordneter Lang.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der deutschen Unfallversicherung bestehen ebenso wie in den Unfallversicherungen anderer Länder neben fachlich gegliederten Berufsgenossenschaften die Eigenunfallversicherungen der Unternehmen der öffentlichen Hand. Die gemeindliche Eigenunfallversicherung ist im Laufe der Jahrzehnte aus kleinen Anfängen heraus immer umfassender geworden. Das Sechste Gesetz über Änderungen in der Unfallversicherung vom 9. Februar 1942 hat unter diese Entwicklung den Schlußstrich gezogen, indem es in der allgemeinen Unfallversicherung die unbeschränkte Zuständigkeit der gemeindlichen Unfallversicherungsträger verankerte. Der frühere Reichsarbeitsminister wurde jedoch mit der Bestimmung des § 628 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung ermächtigt, im Einvernehmen mit den beteiligten Reichsministerien Näheres, auch Abweichendes, hinsichtlich der gemeindlichen Unternehmen zu bestimmen. Von dieser Ermächtigung wurde Gebrauch gemacht, indem durch den Erlaß vom 16. März 1942 die gemeindlichen Verkehrsunternehmen, Elektrizitäts-, Gas- und Wasserwerke von der Zuständigkeit der gemeindlichen Eigenunfallversicherungen ausgenommen und bei den bisher zuständigen Versicherungsträgern, den Berufsgenossenschaften, belassen wurden. Der bayerische Arbeitsminister hat mit Verordnung Nr. 63 vom 28. Mai 1946 den erwähnten Erlaß aufgehoben, weil die kriegswirtschaftlichen Gründe, die dafür maßgebend gewesen waren, inzwischen weggefallen waren. Damit wurde in Bayern dem Willen des früheren Reichsgesetzgebers entsprechend in der allgemeinen Unfallversicherung die unbeschränkte gemeindliche Unfallversicherung wieder eingeführt.Für die Beibehaltung der technischen Zuständigkeitsregelung, die ohnehin nur für die Dauer des Krieges gedacht war, ist bisher im wesentlichen vorgebracht worden, daß sie im Interesse des Weiterbestehens der beteiligten Berufsgenossenschaften und zur Sicherung des Beitragsaufkommens notwendig sei, ohne daß jedoch zwingende sachliche Gründe für die Berechtigung der jetzigen Ausnahmeregelung angeführt werden konnten. Wie die Erfahrungen im Lande Bayern seit vielen Jahren gezeigt haben, gibt es keine überzeugenden Gesichtspunkte für die Beibehaltung der bisherigen Zuständigkeitsregelung. Insbesondere trifft die Behauptung nicht zu, die gemeindlichen Unfallversicherungsverbände könnten die Unfallverhütung nicht so wirksam durchführen wie die Berufsgenossenschaften.Die im Sozialpolitischen Ausschuß aufgestellte Behauptung, bei der gemeindlichen Unfallversicherung kämen auf eine Million Versicherte nur 1,5 technische Aufsichtsbeamte, trifft nicht zu.
— Nein, entschuldigen Sie, Herr Kollege Schellenberg. Man müßte vergleichbare Berufsgenossenschaften heranziehen, also nicht den Bergbau usw. Eine solche Untersuchung mit vergleichbaren Berufsgenossenschaften, Herr Professor Schellenberg, ergibt, daß wir es bei der gemeindlichen Unfallversicherung im Schnitt mit 23 Aufsichtsbeamten zu tun haben, während vergleichbare Berufsgenossenschaften diese Zahl nicht nachweisen können, d. h.weniger haben.
Die gemeindlichen Unfallversicherungsträger haben ihren technischen Aufsichtsdienst fachlich gegliedert, führen darüber hinaus einen überregionalen technischen Aufsichtsdienst durch und unterhalten auf Bundesebene eine Zentralstelle für Unfallverhütung. Auch bezüglich der Heilbehandlung von Unfallfolgen sind die gemeindlichen Unfallversicherungsträger in gleicher Weise leistungsfähig wie die Berufsgenossenschaften.Die Versicherten haben selbstverständlich Anspruch auf die gleichen Geldleistungen wie die Versicherten der Berufsgenossenschaften. Auch hier wird behauptet, die Leistungen bei der gemeindlichen Unfallversicherung seien schlecht. Diese Behauptung kann mit Zahlen widerlegt werden. Der Jahresarbeitsverdienst wurde im Schnitt von 9000 DM nämlich auf 15 000 bis 18 000 DM ohne die jetzige Gesetzgebung erhöht.
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Lang
Es gibt somit keine ausreichenden Gründe, einem Teil der öffentlichen Hand, nämlich dem Bund und den Ländern, das Recht auf Eigenunfallversicherung zuzugestehen und einem anderen Teil der öffentlichen Hand, nämlich den Gemeinden und Gemeindeverbänden, dieses Recht zu versagen oder zu beschneiden. Es dürfte vielmehr an der Zeit sein, die seit vielen Jahren immer wieder hinausgeschobene Regelung des Rechts der unbeschränkten gemeindlichen Eigenunfallversicherung endlich zu verwirklichen.Der Bundesrat hat sich bereits im Jahre 1958 für die Einführung der unbeschränkten gemeindlichen Eigenunfallversicherung ausgesprochen. Bei der Beratung des in der 4. Legislaturperiode eingebrachten Gesetzentwurfes durch die Fachreferenten der Länder haben sich diese ebenfalls für eine Änderung des § 658 des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes ausgesprochen. Das sind die Fakten.Der Antrag Umdruck 213 sieht vor, in der allgemeinen Unfallversicherung die unbeschränkte gemeindliche Eigenunfallversicherung — mit Ausnahme der Landwirtschaft — einzuführen. Ich bitte das Hohe Haus, vor allem alle Damen und Herren, die den Gemeinden gut gesinnt sind oder die den politischen Weg dort begonnen haben, diesem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Ruf.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es tut mir leid, daß ich meinem CSU-Kollegen widersprechen muß. Ich bin aber davon überzeugt, daß ich deswegen im Freistaate Bayern weder in München noch in Vilshofen geprügelt werde, genausowenig wie ich von den Bürgermeistern meines Wahlkreises geprügelt werde, wenn ich gegen diesen Antrag spreche.
Der § 645 des Gesetzentwurfs, den Sie vorhin beschlossen haben, sieht vor, daß Träger der allgemeinen Unfallversicherung die Berufsgenossenschaften sind. In bestimmten Fällen sind einige Ausnahmen vorgesehen für den Bund, für die Länder und für die Gemeinden. Aber man sollte die Kirche im Dorf lassen und die Dinge nicht übertreiben. Man sollte eine vernünftige Handhabung Platz greifen lassen, vor allem im Interesse der Unfallverhütung. Das ist der entscheidende Gesichtspunkt, weswegen wir für die Beibehaltung der Ausschußfassung eintreten. Man sollte also die Versorgungsbetriebe der Gemeinden nicht der gemeindlichen Unfallversicherung anschließen, wie es der Antrag des Herrn Kollegen Lang versteckt anstrebt, sondern sollte die Versorgungsbetriebe der Gemeinden bei den zuständigen Berufsgenossenschaften belassen. Wir sind für die fachlich gegliederte Berufsgenossenschaft. Davon wollen wir ohne Not nicht abweichen.
Ich bitte Sie, den Antrag abzulehnen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag Umdruck 213. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das Präsidium ist sich nicht ganz einig. Wir wollen es mal durch Aufstehen probieren. Wer dem Antrag zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. — Die Gegenprobe! — Meine Damen und Herren, allein das Geräusch bei den Nein-Stimmen
war so stark, daß es unverkennbar die Mehrheit anzeigte. Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über § 658 in der vom Ausschuß vorgeschlagenen Fassung. Wer zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen wenige Stimmen und bei wenigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe auf die §§ 659, — 660, — 661, — 662, 663, — 664, — 665, — 666, — 667, — 668 — 669, — 670, — 671, — 672, — 673, — 674, — 675. und 676. — Wer den aufgerufenen Paragraphen in der Ausschußfassung zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Paragraphen sind einstimmig beschlossen.
Hier wird offenbar eine gewisse Vorratswirtschaft getrieben: „§§ 677 bis 689 bleiben frei", heißt es in der Vorlage, anscheinend für künftige Fälle.
Ich rufe auf die §§ 705, — 706 und 707. — Dazu liegen keine Änderungsanträge vor. Wer den aufgerufenen Paragraphen zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Gegenstimmen, keine Enthaltungen. Die aufgerufenen Paragraphen sind einstimmig beschlossen.
Zu § 708 liegt der Änderungsantrag Umdruck 189 Ziffer 11 vor. Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Geiger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es handelt sich hier um einen verhältnismäßig geschlossenen Komplex, und ich möchte deshalb die nachfolgenden Anträge gleichzeitig mitbegründen.Im bisherigen Teil des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes haben wir die wichtigen Abschnitte über die Unfallversicherung und die Entschädigung der vorgekommenen Betriebsunfälle behandelt. Wir kommen jetzt zu dem Teil, der nach Meinung der SPD einer der wichtigsten Teile dieses Gesetzes ist oder zumindest werden sollte, nämlich zur Unfallverhütung.Wir sind der Auffassung, daß eine wirkliche Reform der Unfallversicherung an den für unser ganzes soziales Wirken wichtigen Fragen der Verhütung von Betriebsunfällen nicht vorbeigehen kann. Auch heute noch gilt das Wort: Vorbeugen ist besser als heilen. Alle sozialpolitischen Maßnahmen müssen in erster Linie auf das Vermeiden von Tatbeständen, die eine Entschädigungspflicht zur Folge haben, hinwirken. Nach Meinung der Sozialdemokratischen Partei müssen jetzt und in diesem Gesetz die entsprechenden Festlegungen getroffen und die
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2846 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963
GeigerBeteiligten verpflichtet werden, alles zu tun, um die Entstehung von Betriebsunfällen auf das unvermeidbare Maß einzudämmen. Wir halten gesetzliche Vorschriften zur Erfüllung dieser Aufgaben für notwendig, ohne daß wir hierzu bis ins einzelne gehende Vorschriften haben wollen.Die Diskussion um die Probleme der Unfallverhütung ist in vollem Gange. Sie wird in den Kreisen aller Beteiligten geführt, und es wird erkannt, daß das Verhüten von Betriebsunfällen nicht. nur wegen der Belastung unserer Volkswirtschaft wichtig ist, sondern daß es vor allem moralische Gründe, Gründe der Menschlichkeit sind, die uns veranlassen, darauf hinzuwirken, daß Betriebsunfälle nicht nur entschädigt werden, sondern daß in erster Linie alle Voraussetzungen geschaffen werden, um ihr Entstehen auf das schon angesprochene unvermeidbare Maß zu beschränken.Meine Damen und Herren, ein modernes Unfallversicherungsgesetz oder gar die Reform unseres Unfallversicherungsrechts kann an diesen Problemen nicht vorbeigehen. Wir freuen uns über die Festlegungen, die der Ausschuß auf unser Drängen in dieser Richtung geschaffen hat. Aber diese Festlegungen sind zur Unfallverhütung nicht ausreichend. Wir schlagen Ihnen daher eine ganze Reihe von Änderungen vor, auf die wir im einzelnen noch zu sprechen kommen.Es geht uns bei unseren Vorschlägen insbesondere damm, das sicherheitsbewußte Interesse der Menschen zu wecken und das Unfallbewußtsein zu stärken. Daß bei einem solchen Bemühen Erfolge erzielt werden können, zeigen die Ergebnisse in anderen Staaten, von denen wir uns teils auch durch Besuche selbst überzeugen konnten. Wenn auch die Statistiken der einzelnen Länder wegen ihrer ungleichen Ausgangsbasis nicht absolut miteinander verglichen werden können, so ergibt sich aus ihnen doch offensichtlich, daß wir, was die Zahl der Betriebsunfälle betrifft, mit an der Spitze liegen. Wir liegen nicht nur an der Spitze, sondern die Zahl der Betriebsunfälle ist darüber hinaus bei uns auch jetzt noch weit über die Zunahme der Beschäftigten hinaus im Steigen begriffen. In den zehn Jahren von 1950 bis 1960 hat sich die Zahl der Beschäftigten in der gesamten Wirtschaft um 16% erhöht, während sich die Zahl der Betriebsunfälle, die eine Arbeitsunfähigkeit von mehr als drei Tagen zur Folge hatten, mehr als verdoppelt hat. Im Jahre 1961 wurden allein im Bereich der 36 gewerblichen Berufsgenossenschaften 2,7 Millionen Menschen durch Arbeitsunfälle verletzt, d. h. durchschnittlich muß jeder siebente Arbeitnehmer mit einem Unfall in den Betrieben der gewerblichen Wirtschaft oder auf dem Wege zur Arbeit rechnen. Allein 66 500 Arbeiter und Angestellte erlitten in diesem Jahre 1961 einen Betriebsunfall, der eine völlige, dauernde oder langjährige Erwerbsunfähigkeit mit sich brachte. Für 5052 Versicherte verlief der Unfall bzw. die Berufskrankheit tödlich. Meine Damen und Herren, das sind 241 Todesfälle mehr als im voraufgegangenen Jahr 1960, obwohl im Jahre 1960 allein im Bergbau, wo die Verhältnisse ja besonders schwierig sind, 766 Männer ihr Leben lassen und den Bergmannstod, wie man so schön sagt, erleiden mußten.Niemand, meine Damen und Herren, will eine so traurige Bilanz, die übrigens auch ein Teil unseres Wirtschaftswunders darstellt. Viele Kräfte wirken, um diese Verhältnisse zu ändern. Es kommt aber jetzt darauf an, die Trägheit zu überwinden und alle Kräfte sinnvoll zusammenzufassen,
damit in diesem Gesetz zur Neuordnung der Unfallversicherung nicht nur die Probleme der Entschädigung stattgefundener Betriebsunfälle behandelt, sondern auch die Voraussetzungen zu einer Verbesserung der Unfallverhütung geschaffen werden.Meine Damen und Herren, es handelt sich bei den Arbeitsunfällen zu einem großen Teil nicht um ein unabwendbares Schicksal für die Betroffenen, sondern um die Frage, wie weit wir Sicherheitsvoraussetzungen schaffen, die dass Entstehen von Betriebsunfällen so weit wie möglich verhindern.Ich habe schon einmal auf die Aufwendungen der gesamten Volkswirtschaft für die Betriebsunfälle hingewiesen. Allein im Jahre 1961 mußten die 36 gewerblichen Berufsgenossenschaften 1,7 Milliarden DM für die Entschädigung von Betriebsunfällen aufwenden. Das sind 17% mehr als im Vorjahre. Die Fachleute errechneten, daß ein tödlicher Betriebsunfall etwa 100 000 DM an Kosten verursacht. Wieviel größer aber, meine Damen und Herren, ist das Leid, das die Familien der Betroffenen tragen müssen!Wir schlagen 7 konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Betriebsüberwachung und zur Verbesserung der Unfallverhütung vor. Im einzelnen sind dies folgende.Erstens eine Ergänzung des § 708. Diese Ergänzung geht dahin, daß die Beschäftigten vor ihrer Beschäftigung mit Arbeiten, deren Verrichtung mit außergewöhnlichen Unfall- oder Gesundheitsgefahren für sie oder Dritte verbunden ist, vor Beginn ihrer Beschäftigung auf ihre Eignung ärztlich untersucht werden. Eine solche Verpflichtung besteht bis heute nicht; eine ärztliche Untersuchung wird nur in Einzelfällen durchgeführt. Es kommt deswegen immer wieder vor, daß ungeeignete Menschen mit Arbeiten, die besondere Unfall- und Gesundheitsgefahren in sich bergen, betraut werden.Zweitens sollen nach unseren Vorschlägen die Berufsgenossenschaften verpflichtet werden, in der Regel einmal im Jahr eine Betriebsinspektion durchzuführen. Für Betriebe mit geringerer Unfallgefahr soll eine Ausnahme gemacht werden können.Drittens. Für die nach § 718 a zu bestellenden Sicherheitsbeauftragten sollen die konkreten Aufgaben in das Gesetz aufgenommen werden, wobei die Verantwortung des Unternehmers für die Arbeitssicherheit nach §§ 913 noch einmal unterstrichen wird.Viertens sollen in Betrieben, die in der Regel 2000 oder mehr Versicherte beschäftigen, hauptamtliche Sicherheitsbeauftragte tätig sein, Auch hier
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Geigersollen den Verhältnissen entsprechend für weniger gefährliche Betriebe nach näherer Vorschrift der Berufsgenossenschaften Ausnahmen gemacht werden können.Fünftens. In Betrieben mit in der Regel 2000 oder mehr Versicherten soll ein Betriebsarzt beschäftigt werden. Sind 5000 oder mehr Beschäftigte in einem Betrieb, so soll dieser Betriebsarzt hauptamtlich sein. Vor Einstellung und Entlassung von Betriebsärzten sollen der Betriebsrat und der zuständige Gewerbearzt gehört werden. Bei außergewöhnlich hoher Unfall- und Gesundheitsgefährdung sollen die Berufsgenossenschaften auch bei geringerer Beschäftigtenzahl die Bestellung eines Betriebsarztes verlangen können.Sechstens. Durch Zu- und Abschläge, die in der Regel jeweils mindestens 25 v. H. des Jahresbedarfs für die Unfallversicherung betragen sollen, soll das wirtschaftliche Eigeninteresse der Betriebe an der Unfallverhütung gesteigert werden. Es kommt uns darauf an, daß der Betrieb, der für die Unfallverhütung mehr tut, auch einen entsprechenden wirtschaftlichen Nutzen davon hat.Meine Damen und Herren, alle diese Maßnahmen sind nach unserer Auffassung eine notwendige Voraussetzung für die Verbesserung des Unfallschutzes. Die Erfahrungen in der Vergangenheit haben gezeigt, daß durch Schaffung dieser Organe bessere Ergebnisse erzielt werden können. Hierüber gibt es auch Empfehlungen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, denen wir im Rahmen unserer Verpflichtungen nachkommen müssen. In den Betrieben der Bundesrepublik gibt es bisher nur etwa 300 hauptamtliche 'Sicherheitsingenieure und 1000 Werksärzte, von denen 400 hauptberuflich tätig sind. Diese Zahlen entsprechen nicht den EWG-Vereinbarungen, vor allem aber auch nicht der Notwendigkeit einer modernen Unfallverhütung.Siebtens. Um all diese Anstrengungen der Unfallverhütung zu koordinieren und vor allen Dingen das Unfallbewußtsein und das sicherheitsbewußte Verhalten in der gesamten Öffentlichkeit zu fördern, beantragen wir, durch § 894 die Träger der Unfallversicherung zu verpflichten, ein Kuratorium für Unfallverhütung in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins zu gründen. Gerade von solch einer Maßnahme versprechen wir uns für die Verbesserung der Unfallverhütung einen großen Erfolg. Daß auf diesem Gebiete etwas getan und geleistet werden kann und muß, hat nicht nur der Erfolg des Auslands gezeigt, sondern ist vor allen Dingen auch durch das große von der SPD-Fraktion veranlaßte Hearing von Sachverständigen über Fragen der Unfallverhütung klargeworden. Ebenso hat die Arbeitstagung der Industriegewerkschaft Metall über die Probleme der Unfallverhütung wesentliche Erkenntnisse vermittelt, die ebenfalls in unseren Gesetzesvorschlägen ihren Niederschlag gefunden haben.Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier geht es um ein großes Problem, das zur Bewältigung der Anstrengung aller bedarf. Kleinliche Erwägungen wie die Frage, ob der Gesetzgeber die Bildung eines Vereins zum Gesetzesbefehl machen kann,müssen in den Hintergrund treten. Wenn es möglich ist, durch Gesetz einen Verein zur Durchführung staatlicher Warenteste zu schaffen, muß es erst recht möglich sein, ein Kuratorium für Unfallverhütung zu schaffen, dessen Arbeit für das Lebens- und Arbeitsverhältnis der Menschen von besonderer Bedeutung ist.
Wir bitten Sie daher, unseren Vorschlägen zuzustimmen. Es kommt mit der Inkraftsetzung dieses Gesetzes darauf an — ich will das noch einmal besonders betonen—, die Zusammenarbeit aller Interessierten für die Unfallverhütung zu ermöglichen und zu fördern, ebenso wie das unfallbewußte Verhalten der Menschen zu stärken. Es kommt darauf an, durch Forschung über die Unfallursachen neue Erkenntnisse zu ermitteln. Die Sicherheit am Arbeitsplatz ist ein Teil unserer Produktivität. Bei der Behandlung all dieser Probleme muß der Mensch im Mittelpunkt aller Betrachtungen stehen. Eine solche Aufgabe könnte unter Ausnutzung aller modernen Werbemittel und mit Unterstützung namhafter Persönlichkeiten dieses Kuratorium übernehmen.Wir bitten Sie, meine Damen und Herren, darum im Interesse der Menschen noch einmal um Ihre Zustimmung.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Franz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist ganz bestimmt nicht zufällig, daß im Aufgabenkatalog der Unfallversicherung die Unfallverhütung an der ersten Stelle steht. Darüber sind wir uns einig; denn wir wissen, welche gewaltigen menschlichen Probleme alljährlich durch das Unfallgeschehen in den Betrieben aufgeworfen werden und wie hoch die Summen sind, die den einzelnen Familien und unserer Volkswirtschaft durch dieses Unfallgeschehen alljährlich verlorengehen.Was der Kollege Geiger, auf dessen Ausführungen ich jetzt im Namen der CDU/CSU-Fraktion antworten darf — wobei ich gleichzeitig unseren Antrag auf Umdruck 193 begründen möchte —, zu diesem Gesamtkomplex gesägt hat, war für mich äußerst aufschlußreich. Ich darf aus Ihren Ausführungen, lieber Herr Kollege Geiger, zwei Kernpunkte herausgreifen. Sie wollen die Aufgabe der Unfallverhütung erstens durch weitere Institutionalisierung und zweitens durch ein gezieltes finanzielles Engagement der beteiligten Betriebe bewältigen.Für die letzte Feststellung bin ich Ihnen besonders dankbar. Denn hier haben Sie zum erstenmal zugegeben, daß Sie glauben, in einem Zweig der sozialen Sicherung durch eine Stärkung der Eigenverantwortung — man könnte sie auch „Selbstbeteiligung" nennen — ein sozialpolitisches Ziel erreichen zu können.Das Zweite ist die Frage der Institutionalisierung. Ich muß feststellen, daß es hier noch keinen New
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Dr. Franzlook der sozialdemokratischen Politik gibt. Diesen New Look der sozialdemokratischen Politik wird es wohl nie geben können, wenn Sie sich nicht selber aufgeben wollen. Ihr Glaube an die Institution ist unerschütterlich. Ich meine aber, es gibt niemanden, der vom Unfallgeschehen in den Betrieben weiter weg ist als der Gesetzgeber oder auch als die Exekutive; Sie alle wissen, wie schwerfällig das Verfahren ist, eine neue Berufskrankheit in den Berufskrankheitenkatalog hineinzubringen; eine ungeheuer schwerfällige Maschinerie.Wir alle haben von den Erfahrungen profitiert, die wir im Laufe des letzten Jahres auf zwei sehr interessanten Auslandsreisen sammeln konnten.
Ich darf sagen, daß ich kein Verständnis dafür habe, wenn da und dort Kritik an solchen Auslandsreisen geübt wird. Die jüngste Erfahrung der deutschen Geschichte sollte uns ja gelehrt haben, daß unter Umständen ein ganzes Volk es sehr teuer bezahlen muß, wenn seine verantwortlichen Männer keinen Überblick haben über das, was in der Welt draußen wirklich los ist.
Ich täusche mich bestimmt nicht, wenn ich den Eindruck hatte, daß die Regelung, wie sie in den Vereinigten Staaten von Amerika besteht, Sie sehr beeindruckt hat.
Auch mich hat sie sehr beeindruckt; da gibt es keinen Zweifel. Ich glaube aber, Sie haben aus diesen Eindrücken die falschen Konsequenzen gezogen.
In den Vereinigten Staaten besteht ein dreigeteiltes System der Unfallversicherung, während bei uns diesem finanziellen Engagement, das aus Ihren Anträgen spricht, durch die Umlage als solche eine ganz natürliche Grenze gesetzt ist. In Amerika ist es den wirtschaftlich führenden Betrieben des Landes erlaubt, das gesamte Unfallgeschehen in eigener finanzieller Zuständigkeit zu regeln. Das hat zur Konsequenz, daß das System der Überwachung bis ins letzte durchorganisiert ist und daß diese Betriebe nur auf die Hälfte der nationalen Durchschnittsquote an Unfällen kommen.
Ein weiterer, größerer Teil der amerikanischen Wirtschaft — ich möchte ihn als den gehobenen Mittelstand bezeichnen — deckt sein Unfallrisiko bei der Privatversicherung. Wir haben die Erfahrung gemacht, daß diese Betriebe bis ins einzelne genau kalkuliert werden, daß die Beitragsleistung dieser Betriebe sich im Laufe eines Jahres verzehnfachen kann, wenn das Unfallgeschehen über dem Durchschnitt liegt. Nur der Rest — Gott sei es geklagt: der größere Rest — der amerikanischen Wirtschaft unterliegt der staatlichen Unfallversicherung; mit der Folge, daß diese Betriebe 200% der nationalen Unfallquote haben. Das ist das System, das wir hier haben, und das habe ich gemeint, als ich sagte, daß Ihr gezieltes finanzielles Engagement an der Umlage als solcher seine ganz natürliche Grenze findet.Ich möchte behaupten: Die Unfallverhütung — über deren Wichtigkeit wir uns klar sind; ich glaube, ich finde Ihre Zustimmung, wenn ich sage, daß die Unfallverhütung das Politikum dieser heutigen Auseinandersetzung ist — ist keine Verwaltungsaufgabe, sondern eine wirtschaftliche Führungsaufgabe.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege, halten Sie unter Würdigung dieses Gesichtspunktes, daß es keine Verwaltungsaufgabe, sondern eine innerbetriebliche Aufgabe ist,
unseren Antrag auf Einfügung eines § 718 c, der sich mit dem Betriebsarztsystem beschäftigt, für verfehlt, oder würden Sie ihm zustimmen, als Konsequenz Ihrer soeben gemachten Ausführungen?
Sie meinen, die Frage des Betriebsarztes? Herr Kollege Börner, zu diesem Teil Ihres Antrags möchte ich sagen, daß hier der Gesetzgeber in der Gefahr steht, von seinem Volk etwas zu fordern, was dieses Volk nicht erfüllen kann.
Ich habe das Wortprotokoll über das Hearing genau gelesen. Zuerst müssen Lehrstühle für Arbeitsmedizin errichtet werden, und als Konsequenz davon werden wir in einigen Jahren die nötige Anzahl von ausgebildeten Ärzten haben. Denn, Herr Kollege Geiger, mit dem Erfolg der Ärzte, die nebenamtlich in der Unfallverhütung tätig sind, können die Betriebe wohl noch nicht ganz zu frieden sein, und sie sind es auch nicht.Ich möchte noch einmal betonen: es handelt sich nicht um eine Verwaltungsaufgabe, sondern um eine betriebliche Führungsaufgabe. Ich habe mich gefreut, lieber Kollege, daß Sie anerkennen, welche großen Erfolge die Betriebe, die wir in Amerika besichtigt haben, auf dem Gebiet der Unfallverhütung erzielt haben, und ich stehe nicht an, zu behaupten, daß diese Erfolge eine brillante Leistung der freien Wirtschaft sind.Auch im Zusammenhang mit der Unfallversicherung ist viel vom Mißtrauen die Rede. Es ist gefragt worden, wie hoch denn der Prozentsatz der Betriebsunfälle sei, die auf technisches Versagen zurückzuführen seien im Vergleich zu den auf menschlicher Unzulänglichkeit beruhenden Betriebsunfällen. Hier gilt das Wort, daß sich mit Zahlen trefflich
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Dr. Franzstreiten läßt. Sie werden sich sicher an die harten Auseinandersetzungen bei dem Hearing erinnern, die es auch in Ihrer Fraktion gegeben hat.
— Aber Sie waren so freundlich, mir das Wortprotokoll zu schicken, wofür ich Ihnen herzlich danke.Jedenfalls ist der subjektive Faktor — und das ist die Quintessenz einer solchen Diskussion — im betrieblichen Unfallgeschehen außerordentlich groß. Wenn da und dort gesagt wird, daß es bei den Führungskräften im Betrieb am Interesse und bei den untergeordneten Aufsichtsinstanzen an der genügenden Aufmerksamkeit fehle, so muß ich anworten, daß ich darin auch ein Mißtrauen gegen den arbeitenden Menschen sehe; denn die Frage der Unfallverhütung richtet sich direkt an den arbeitenden Menschen. Man kann nicht die ausschließliche Verantwortung bei den betrieblichen Führungskräften suchen. Darüber gibt es gar keinen Zweifel.
— Ja.Wir sind uns darüber einig, daß es entscheidend auf die Hebung des Sicherheitsbewußtseins insgesamt ankommt. Der Herr Kollege Geiger hat das schon ausgesprochen. Das angelsächsische Beispiel ist wirklich ausgezeichnet. Sowohl in England wie in Amerika werden solche nationalen Aufgaben wie die Unfallverhütung in der modernen Industriegesellschaft irgendwie spontan in Angriff genommen.Sie fordern in Ihrem Antrag ein Kuratorium. Dabei hat Ihnen ganz sicher das National Safety Council als Vorbild gedient.
— Ich sehe in Ihrem Antrag, so wie er heute vor uns liegt, ein gewisses Mißtrauen. Ich will es nicht so stark ausdrücken, glaube aber, daß Sie doch nicht ganz auf das vertrauen, was die Berufsgenossenschaften in ihrem Gesamtverband, in ihrer Zusammenarbeit bis zum heutigen Tag getan haben. Sie setzen auch keine besonderen Hoffnungen auf die Arbeitsgemeinschaft für Arbeitssicherheit, die von Arbeitgebern und Gewerkschaften in Deutschland gegründet worden ist. Vielleicht hat sie noch keine genügende Anlaufzeit gehabt,
um die ihr zugedachte Aufgabe zu erfüllen. Auf alle Fälle glaube ich, daß ein solches Kuratorium nicht der Weisheit letzter Schluß ist.Lassen Sie mich jetzt ein paar Worte zu unserem Entschließungsantrag sagen, den wir Ihnen in der dritten Lesung vorlegen werden. Sie haben ihn vielleicht schon in Händen. Er ist die Konsequenz der letzten Regierungserklärung. Wir bitten Sie, diesem Entschließungsantrag zuzustimmen, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, baldigst ein Gesetzüber Bestellung, Ausbildung und arbeitsrechtliche Position der Sicherheitsbeauftragten vorzulegen.Zur Verdeutlichung möchte ich sagen: ich verstehe diesen Entschließungsantrag nicht so, daß nun in einem halben Jahr nachträglich Ihrem Anliegen institutionell Rechnung getragen werden soll.
— Ich meine, daß der Gesetzentwurf in einem halben Jahr da sein müßte — ich stelle mir das so vor; ich kann nicht versprechen, denn ich bin nicht der Bundesminister —, und ich wäre dankbar, wenn dieser Termin eingehalten werden könnte. Sie stimmen sicher mit mir darin überein, daß die Ausbildung und die arbeitsrechtliche Stellung dieser Sicherheitsbeauftragten im Betrieb ehestens geregelt werden muß.
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— Ich hoffe darauf, Herr Professor Schellenberg.Ich habe schon über die große Notwendigkeit der Schaffung von Lehrstühlen für Arbeitsmedizin gesprochen, von denen es jetzt nach meinem Wissen in der Bundesrepublik Deutschland nur einen einzigen gibt. Nur wenn es solche Lehrstühle gibt, werden wir im Laufe einiger Jahre einen geschulten Nachwuchs von Werksärzten haben.
— Ich habe nicht die Hoffnung, Herr Professor Schellenberg, daß wir mit der Annahme eines Antrages über Nacht die genügende Zahl von Ärzten herbeizaubern können; davon bin ich nicht überzeugt.Sie werden mir zustimmen, wenn ich sage, daß die Unfallverhütung künftig sowohl auf den Berufsschulen wie auf den Ingenieurschulen und auf den Technischen Hochschulen ihren festen und sicheren Platz haben sollte.
Ich bin der Meinung, daß ein Techniker sich nicht damit zufrieden geben kann, daß die Maschine, die er konstruiert hat, zwar technisch optimal ist, aber keinerlei Rücksicht auf die Sicherheit des Menschen zu nehmen vermag, der später einmal an ihr' arbeiten und mit ihr das Brot für sich und die Familie verdienen soll.Wir waren uns immer einig *in der Feststellung, daß die Unfallverhütung eine Frage des Betriebsklimas, eine Führungsaufgabe ist. Da fällt mir ein, daß ungefähr vor Jahresfrist die Frankfurter Allgemeine Zeitung einen hochinteressanten Beitrag darüber gebracht hat, wie das Betriebsklima sich auf den Krankenstand, und zwar auf den objektiven Krankenstand, und auf die Unfallbereitschaft auswirkt. Genauso wie es eine objektive Krankheitsbereitschaft gibt — hervorgerufen durch ungünstige äußere Umstände —, genauso gibt es eine gewisse Unfallbereitschaft.
Die Spanne kann man mit 1 : 3 angeben. Das heißt, ein Arbeitnehmer, der berechtigten Grund zur Klage über seinen Vorgesetzten, über seine Arbeitskollegen, über die Situation am Arbeitsplatz hat, ist bis zu dreimal mehr gefährdet, objektiv krank zu werden als ein anderer, bei dem die Umstände am Arbeitsplatz als geordnet gelten können. Das gilt invollem Umfang auch für den Unfall. Sie werden mir auch recht geben, wenn ich sage, daß ein Arbeiter, der familiär großen Kummer hat, dem ein Kind krank ist, dessen Frau krank ist, objektiv mehr unfallgefährdet ist als irgendein anderer, bei dem die Dinge in der Familie zum besten stehen. Aber ich glaube, an dieser unbestrittenen Feststellung wird auch die Grenze der institutionalisierten Ordnung dieses Problems ganz deutlich sichtbar. Wir wollen einen systematischen Fortschritt auf diesem wesentlichen Gebiete durch eine Art von Rahmenbestimmungen. Wir sind überzeugt, daß wir einen größeren Fortschritt durch vernünftige Darlegungen erreichen werden, wenn sie zu überzeugen vermögen, als wenn wir versuchen, die Leute durch Gesetze zu zwingen.
Das Wort hat der Abgeordnete Ollesch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen *und Herren! Anläßlich der ersten Lesung unseres Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes haben wir schon den Ausführungen des Sprechers Ihrer Fraktion, des Herrn Kollegen Professor Schellenberg, entnommen, daß uns in dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht Neues bezüglich der Unfallverhütung eingefallen sei und daß dieser Gesetzentwurf überhaupt auf diesem Gebiete bar jeder neuen Erkenntnis sei.
— Nun, Herr Professor, wir waren gespannt auf Ihre neuen Erkenntnisse, und wir haben sie heute hier schriftlich bekommen. Sie wünschen eine verstärkte Überwachung, Sie wünschen den gesetzlichen Zwang zur Anstellung von Betriebsärzten, und Sie wünschen die Einrichtung einer neuen Institution ähnlich des National Safety Council in Chikago.Meine Damen und Herren, ich bin der Meinung— und meine Fraktion teilt sie —, daß wir mit verstärkter Überwachung und mit neuen Institutionen dem Problem der Unfallverhütung und der Verhinderung von Unfällen nicht näherkommen, sondern daß es auf den einzelnen Menschen ankommt, der allein in der Lage ist, durch Unterlassung von Handlungen und durch sorgsamste Beachtung aller Vorschriften Unfälle zu vermeiden. Es steht unumstritten fest, daß wir die besten und ausgefeiltesten Unfallverhütungsvorschriften haben. Trotzdem — wir geben es zu — liegt unsere Unfallquote höher, als es beispielsweise in den USA der Fall ist. Nur ein Narr könnte es leugnen, wenn man die Dinge einmal verglichen hat. Herr Professor, da gebe ich Ihnen recht.Aber wie kommt das dort drüben zustande? Warum hat der Amerikaner weniger Unfälle als wir? Nur durch die Einrichtung von Sicherheitsausschüssen oder die Einrichtung des National Safety Council? Ich bin der Meinung, dort wirken mehrere Faktoren zusammen, und ich habe — das ist meine
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OlleschErkenntnis aus der Reise drei besondere Faktoren vordergründig gesehen. Ich meine, man sollte sie auch einmal aussprechen. Nur im Zusammenwirken dieser drei Faktoren kommen diese Erfolge zustande.Einmal das bessere Verhältnis des einzelnen Mitarbeiters im Betrieb zu seiner Arbeit, ich will sagen: das bessere Unfallbewußtsein. Es achtet eben von jeher jeder mehr darauf, Unfälle zu verhüten. Es gibt dafür gewisse Parallelen. Meine Damen und 'Herren, wir haben die besten Straßenverkehrsvorschriften und wahrscheinlich die schärfste Überwachung unseres Verkehrs im Gegensatz zu den anderen Ländern. Aber wir haben mehr Unfälle, als verschiedene andere Länder sie aufzuweisen haben.
— Herr Kollege Killat, nicht nur die Straßenverhältnisse, auch unser eigenes Verhältnis zur Technik, zur Maschine! Wir haben wahrscheinlich etwas mehr schlechte Autofahrer, als die anderen Länder sie haben. Daran gibt es auch keinen Zweifel. Es gibt gewisse Nationaleigenschaften. Sie wissen, daß beispielsweise der Amerikaner ein gutes Verhältnis zur Maschine hat, daß er beispielsweise ein guter Flugzeugführer ist; das läßt sich auch nicht leugnen.Ich meine, daß wir diesem Problem nur mit der verstärkten Überwachung und mit der Schaffung von Institutionen nicht näherkommen, wenn es uns nicht gelingt, auch durch eine bessere Menschenführung im Betriebe von vornherein dafür zu sorgen, daß mancher Unfall ausgeschaltet wird. Wir sind doch vielfach auf dem besten Wege dazu. Es ist eben eine Führungsaufgabe. Es gibt eben Menschen, die neigen zum Unfall. Es gibt auch Betriebsangehörige, die neigen mehr zum Unfall als ein anderer. Es gibt typische „Unfaller".
— Nein, ich sage ganz deutlich „Unfaller". „Umfaller" soll es in allen Schichten und, ich glaube, auch in allen Parteien geben.
Es ist die Aufgabe der Führung, diese typischen „Unfaller" zu erkennen und sie an ungefährdetere Arbeitsplätze zu bringen. Nur auf diese Art und Weise werden wir in der Lage sein — nicht durch Schaffung neuer Institutionen —, das Unfallgeschehen auf einen vernünftigen Stand herabzudrücken.Ich bin überhaupt der Meinung, wir sollten weniger Gesetze machen, wir sollten viel weniger in Gesetze fassen und viel mehr der Entwicklung und auch dem gesunden Menschenverstand überlassen. Wir sollten von aus versuchen, zu leiten, und nicht, gesetzlich verpflichten.Auch wir haben aus der Amerikareise eine kleine Erkenntnis gewonnen, Herr Professor: wir wollen es einmal mit den Sicherheitsausschüssen versuchen. Ob wir große Erfolge erreichen werden, das wissen wir nicht. Denn die beiden anderen Faktoren fehlen bei uns, nämlich einmal die Tatsache, daß der Arbeiter im Falle der Krankheit durch einen Unfall nur noch auf 60% seiner vorher erhaltenen Bezüge kommt. Ich will damit nicht sagen, daß wir unsere Leistungen wieder herunterdrücken sollten. Aber wir wollen doch ganz deutlich feststellen, daß der finanzielle Schaden durch einen Unfall auch ein Anreiz für den Arbeitnehmer ist, darauf zu achten, daß kein Unfall eintritt. Kein vernünftiger Mensch kann diesen starken Anreiz leugnen.Zum anderen besteht ein Unterschied in der Versicherungsart. Wir erheben unsere Beiträge durch Umlagen innerhalb der Berufsgenossenschaften. Wir haben in Amerika festgestellt, daß in der Mehrheit der Staaten die individuelle Versicherung besteht und daß von daher auch ein stärkerer Anreiz für die Betriebsführung da ist, das leugne ich gar nicht. Wir versuchen einen ähnlichen Weg, soweit er uns gangbar erscheint, mit der Gewährung von Zu- und Abschlägen, die wir nun obligatorisch machen. Das sind Anfänge. Wir wollen einmal abwarten, wie sie sich auswirken werden.Von den hier vorgelegten Anträgen der SPD-Fraktion werden wir dem Änderungsantrag zu § 708 zustimmen, soweit er die ärztliche Untersuchung von Versicherten betrifft. Wir tun das in Erkenntnis der Tatsache, daß dieser Vorschlag an sich kein Neuland bringt. In den meisten Betrieben wird schon so verfahren. Wir hoffen, daß sich in den restlichen Betrieben nun die Erkenntnis Bahn bricht, daß man dort etwas mehr den Arzt einschalten sollte. Von daher haben wir keine Bedenken, diesem Änderungsantrag zuzustimmen.Bezüglich des Kuratoriums, Herr Professor Schellenberg, wollen wir Ihnen heute noch nicht folgen. Wir haben eine Arbeitsgemeinschaft aller Träger der Unfallversicherung. Vielleicht entwickelt sich aus dieser Arbeitsgemeinschaft das, was Sie durch das Gesetz erzwingen wollen. Lassen wir die Dinge lieber reifen! Ich glaube, wir werden denselben Effekt haben.Damit bin ich eigentlich am Ende. Ich will nur noch einmal betonen: wir sind der Meinung, daß die besten Gesetze und die besten Vorschriften uns nicht zum Ziel bringen, wenn wir in den Menschen nicht die Erkenntnis wecken, daß der Unfall, der den einzelnen betrifft, ihm Schmerzen und Verdienstausfall und uns insgesamt Schaden bringt. Wir glauben, daß wir mit psychologischen Maßnahmen auf die Dauer gesehen zu besseren Erfolgen kommen werden, als wenn wir durch eine Vielzahl von Gesetzen die Dinge so unübersichtlich machen, daß wir hinterher feststellen: wir haben die besten Gesetze, wir haben die besten Unfallverhütungsvorschriften, leider haben wir nicht die besten Erfolge in der Unfallbekämpfung.
Das Wort hat der Abgeordnete Killat.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man sich die Diskussionsbeiträge der
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2852 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963
KillatVertreter der Mehrheitsparteien anhört, kann man den Eindruck gewinnen, daß diese Kollegen für die Anträge sprechen, die wir zum Kapitel Unfallverhütung gestellt haben. Herr Kollege Ollesch hat die Frage gestellt, welche Vorschläge von der SPD vorliegen. Dazu darf ich sagen, einmal sind all die Anträge, die nun hier im Plenum wieder vorgebracht werden, Vorschläge, die wir dem Ausschuß vorgelegt hatten und die Sie abgelehnt haben. Zum anderen darf ich feststellen, daß wir in den Beratungen im Sozialpolitischen Ausschuß Gott sei Dank immerhin einige Maßnahmen mit Ihnen gemeinsam beschlossen haben, die auch der Unfallverhütung und der Gesundheitsfürsorge für die Beschäftigten dienen sollen. Ich denke an den Sicherheitsbeauftragten, an die Sicherheitsausschüsse, an den Unfallbericht, der zu erstatten ist, usw.Aber ich glaube, ich würde meine Aufgabe hier jetzt nicht erfüllen, wenn ich nicht auf einige Dinge einginge, die doch noch etwas detaillierter vorgetragen wurden.Herr Kollege Dr. Franz, Sie glaubten, mit der Auffassung der SPD — der Sie ja teilweise auch schon zugestimmt haben —, man sollte eine stärkere Beteiligung der Unternehmer erwirken, die höhere Unfallschäden oder größere Berufskrankheitsquoten hätten, sei eigentlich von der SPD im Grunde auch die Kostenbeteiligung in der Krankenversicherung mitbejaht worden. Nun, Herr Dr. Franz, Sie wissen genauso wie wir, daß es sich bei der Frage der Kostenbeteiligung in der Krankenversicherung nicht nur um einen völlig anderen Komplex handelt, sondern daß, soweit es die Unfallversicherung betrifft, der Unternehmer mit seinen Einrichtungen, Arbeitsmethoden, Arbeitsvorgängen, der Arbeitsorganisation, der Arbeitsplatzgestaltung usw. Berufskrankheiten und Unfälle verursachen kann, die zu Lasten Dritter gehen. Hier ist eine ganz andere Verantwortlichkeit gegeben. Wenn diese Verantwortlichkeit von dem Unternehmer nicht erfüllt wird, kommen a) zu Schaden die dort Beschäftigten, also Dritte, und b) trägt unter Umständen — oder bei dem bisherigen System überhaupt — die Kosten die Gesamtheit der Versicherten innerhalb einer Berufsgenossenschaft oder Gefahrengemeinschaft. Wir sind nicht der Auffassung, daß diese Art von Verantwortung auf Grund der Unternehmensführung, aber auch auf Grund des Fürsorgegedankens gleichgesetzt werden kann mit der Eigenverantwortung des einzelnen in der Krankenversicherung, die nun einmal anders zu sehen ist.Wir stimmen Ihnen in diesem Punkt zu, und wir hätten erwartet, daß Sie seinerzeit unseren Vorschlägen im Ausschuß, die auf eine stärkere Belastung der Unternehmen und Betriebe zielten, die höhere Unfallquoten und eine größere Zahl von Berufskrankheitsschäden verursachen, gefolgt wären. Aber auch da haben Sie sich doch immerhin nur negierend auf einen Prozentsatz der Beteiligung verstanden, der nach unserer Auffassung nicht ausreichend ist.Nun zu dem Problem der Werksärzte, zu dem Problem der hauptamtlichen Sicherheitsbeauftragten. Wir haben seinerzeit bei den Beratungen im Ausschuß von der Regierung Material erhalten, mit dem uns gleichzeitig eine Empfehlung einer Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vorgelegt wurde, in der die Mitgliedstaaten aufgefordert werden, betriebsärztliche Dienste in den Betriebsstätten zu errichten. Zu dieser Empfehlung muß die Bundesregierung noch in irgendeiner Weise Stellung nehmen. Der betriebsärztliche Dienst wird gefordert einmal zum Schutze der Gesundheit, zum andern zur Verhütung von Arbeitsunfällen. In der Empfehlung wird vorgeschlagen, daß ein hauptamtlicher Werksarzt für Betriebe mit nicht mehr als 2500 Beschäftigten angestrebt wird, und es wird weiter empfohlen, daß schon in Betrieben mit 200 Beschäftigten ein Betriebsarzt, wenn auch nur nebenberuflich, als Vertragsarzt, tätig werden soll. Insofern sind wir sehr verwundert, daß angesichts einer solchen Empfehlung, die seit 1961 vorliegt, bei der Verabschiedung eines Neuregelungsgesetzes zur Unfallversicherung — nach Ihren Auslassungen auch in der Begründung ein entscheidendes Reformgesetz — auf diesem Gebiete weder das getan wird, was in modernen Industriestaaten, in Frankreich oder Amerika, in Schweden oder England, schon gang und gäbe ist, noch das getan wird, was in der Empfehlung von den sechs Mitgliedstaaten der EWG gefordert wird. Unter diesen Umständen ist es fast makaber, wenn man sich hier hinstellt und die Notwendigkeit bejaht, aber in den Ausschüssen alles abgelehnt hat. Das gilt in gleicher Weise für die Frage des hauptamtlichen Sicherheitsbeauftragten für Betriebe von einer bestimmten Größe an.Nun ist hier auch vorgetragen worden, daß die Verantwortlichkeit für das Unfallgeschehen, für die Unfallverhütung, für den Gesundheitsschutz nicht nur auf die Unternehmer abzuwälzen ist, daß vielmehr auch die Arbeitnehmer und die Ärzteschaft, vielleicht auch die Öffentlichkeit mitwirken sollen. Herr Kollege Ollesch hat von den psychologischen Momenten gesprochen. Auch das, meine Damen und Herren, ist uns bekannt. Auch dafür gibt es praktische Beispiele im Ausland. Nicht zuletzt hat ja das Hearing, das wir Sozialdemokraten veranstaltet haben, dazu beitragen sollen, das. Verständnis für die Notwendigkeit einer zeitgerechten Unfallverhütung zu wecken; und unser Vorschlag, ein Kuratorium zu errichten, das sich mit allen Maßnahmen und Fragen beschäftigt, die zur Unfallverhütung in allen betrieblichen Bereichen führen können, war mit darauf abgestellt, .daß nicht nur betrieblich Beteiligte, sondern auch Wissenschaft und Forschung sowie der Staat und sonstige an der Unfallverhütung Interessierte herangezogen werden sollen. Zu unserem großen Bedauern müssen wir feststellen, daß Sie diesen sehr lockeren Vorschlag für einen ersten Versuch abgelehnt haben.Ich könnte noch eine Vielzahl von Beispielen dafür bringen, wie sehr Ihre hier vorgetragenen Begründungen und Argumente im Widerspruch stehen zu den Taten, die Sie im Ausschuß und auch heute hier im Plenum bei der Verabschiedung dieses Gesetzes zeigen. So wird uns jetzt ein Entschließungsantrag der CDU/CSU-Fraktion zur dritten
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963 2853
KillatLesung vorgelegt, wonach die Bundesregierung entsprechend einer Ankündigung in einer Regierungserklärung ein Gesetz über hauptamtliche Sicherheitsbeauftragte und Sicherheitsingenieure vorlegen soll. Meine Damen und Herren, das hätten Sie hinsichtlich der Verpflichtung dieser Kräfte bei den Betrieben durch eine entsprechende Bestimmung und Auflage in diesem Gesetz regeln können. Aber wir erleben es so oft, daß richtige Erkenntnisse und Vorschläge über notwendige Maßnahmen von Ihnen nicht aufgegriffen und entschieden, sondern weiter auf den Sankt-Nimmerleins-Tag hinausgeschoben werden.Nach unserer Meinung — das möchte ich hier ganz eindeutig zum Ausdruck bringen — darf es auf die Dauer von niemandem mehr hingenommen und ertragen werden, daß die Bundesrepublik mit ihren steigenden Unfallquoten an der Spitze der modernen Industriestaaten in der westlichen Welt steht. Die Beispiele in anderen Ländern haben gezeigt — das ist auch bei unseren Besuchen in diesen Ländern nachgewiesen worden —, daß ihre Unfallquoten durch die Maßnahmen, die diese Länder vorgeschlagen und in den letzten sieben, acht oder zehn Jahren eingeführt haben, gesunken sind.Wir dürfen Sie deshalb bitten, diesen Anträgen, die von meinem Kollegen Geiger begründet worden sind, jetzt zuzustimmen und die Einführung der Unfallverhütungsmaßnahmen nicht auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Geiger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es hat eigentlich nicht allzuviel Scharfsinn dazu gehört, schon vorher zu wissen, daß Sie, Herr Kollege Dr. Franz, das Problem der Rückgewährung eines Beitragsanteils zur bewußten Verantwortlichmachung bei Betriebsunfällen aufgreifen und mit der Krankenversicherung verknüpfen. Das war fast selbstverständlich; ohne Gedanken lesen zu können, hätte man das von vornherein sagen können.Aber das zeigt auch, meine sehr verehrten Damen und Herren, wie Sie die Dinge verwechseln und wie Sie sie immer wieder im falschen Augenblick behandeln. Es ist doch längst auch Ihnen aufgegangen, daß es ein Unterschied ist, ob es sich um Sachen handelt wie bei der Unfallverhütung und bei der Unfallversicherung oder ob es sich um Menschen, die in der Krankenversicherung sind, und ihr körperliches Wohlbefinden handelt. Während das eine ein objektiver Tatbestand ist, den man verändern kann, sind die anderen Voraussetzungen subjektiver Natur, und der einzelne kann zu den Dingen gar nicht das Notwendige beitragen. Hier geht es um die Gesundheit der Menschen und dort um sachliche Notwendigkeiten und Voraussetzungen.Meine Damen und Herren, wir haben unsere Vorschläge nicht gemacht, weil wir ein Mißtrauen gegenüber den Berufsgenossenschaften haben. Wir haben sie gemacht, weil die bisherigen Leistungen auf diesem Gebiet für die Gesamtheit einfach nicht befriedigend sind und weil es darauf ankommt, bei den mehr und mehr steigenden Unfallzahlen und den immer noch steigenden Zahlen tödlicher Unfälle alle Kräfte zusammenzufassen und in gemeinsamen Überlegungen neue Wege zu suchen. Das Kuratorium wäre hierfür ein Anfang, das all die von Ihnen erwähnten psychologischen Voraussetzungen schaffen, das Forschung betreiben und uns allen miteinander helfen könnte, dieses große und schwierige Problem der Unfallverhütung zu lösen.Wir haben uns im Ausschuß bei vielen Lesungen dieses Gesetzes und in vielen Auseinandersetzungen bemüht, die Grundlage zu schaffen. Herr Kollege Ollesch, die Frage ist deshalb müßig, wo unsere Vorschläge sind. Ich möchte es noch einmal betonen — Herr Kollege Killat hat schon darauf hingewiesen —: Alles, was bezüglich der Unfallverhütung im Gesetz steht, ist im Ausschuß erarbeitet worden und trägt den Stempel der SPD, die in allen Fällen die Initiative ergriffen hatte. Darüber sind wir froh. Das ist keinerlei Vorwurf, sondern wir sind für Ihre Erkenntnis dankbar.Herr Kollege Dr. Franz, Sie wollen jetzt durch einen Entschließungsantrag die Regierung veranlassen, Rechtsstellung und Aufgaben dieser Organe festzulegen. Seien Sie doch ehrlich: Bedeutet das irgend etwas anderes als eine kleine Gewissensberuhigung gegenüber den vielen verunglückten Menschen und der Unruhe, die draußen bei der sich immer weiter vergrößernden Zahl von Betriebsunfällen sichtbar wird? Sie sagen, wir wollten die Dinge institutionalisieren. Nein, wir wollen mit solchen Instituten Voraussetzungen für eine bessere Unfallverhütung schaffen. Diese Institutionen sind uns also nicht Selbstzweck, sondern sie sind uns Mittel zu dem Zweck, das Optimum auf dem Gebiet der Unfallverhütung zu erreichen.Daß hier Erfolge möglich sind, zeigen die Ergebnisse der Betriebe, die sich dieser Aufgabe besonders verschrieben haben. Ich könnte Ihnen Beispiele nennen von der Gutehoffnungshütte über die Hüttenwerke Oberhausen und eine ganze Reihe anderer Firmen bis zu der Aktion Unfallverhütung, die in Baden-Württemberg durchgeführt worden ist. Es gibt doch eine Fülle von Voraussetzungen, deren Erfüllung man mit dem Bekenntnis des Glaubens, daß alles Notwendige und Mögliche getan werde, nicht näherkommt. Es kommt daher darauf an, in einem Gesetz die entsprechenden Regelungen zu schaffen, die dann auch die Privatinitiative anregen und veranlassen, daß man sich mit der Problematik wirklich beschäftigt.Natürlich, Herr Kollege Ollesch, ist das Entstehen 'von Unfällen vom Handeln der Menschen abhängig. Aber Ihre Argumentation ist doch schief: daß etwa deshalb, weil man nachher wenig Rente erhält, sich weniger Betriebsunfälle ereignen. Was kann denn der Mensch, der in den heutigen Produktionsprozeß eingerammt ist, der am Band arbeitet und vom Takt der Maschine abhängig ist, noch groß an Überlegungen anstellen, ob er etwa nach einem Betriebsunfall
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Geigerauch eine entsprechende Entschädigung erhalten wird!
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte.
Herr Abgeordneter, ist Ihnen bekannt, daß wir im Jahre 1959 weniger tödliche Unfälle hatten als im Jahre 1900 bei einer sechsfachen Beschäftigtenzahl?
Es ist mir nicht bekannt, wie ich Ihnen ganz ehrlich sagen will. Meine Studien gingen nicht bis zum Jahre 1900 zurück. Ich will Ihnen aber eine einfache Antwort darauf geben: Wir leben heute, im zweiten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts, unter völlig anderen technischen Voraussetzungen und mit ganz anderen technischen Möglichkeiten. Heute sind etwa Bergwerkskatastrophen, wie ich sie vorhin genannt habe, erfreulicherweise Ausnahmen, während sie im Jahre 1900 noch an der Tagesordnung waren, eben weil man damals noch nicht die technischen Voraussetzungen für die Verhütung hatte.
Sind Ihnen nicht die Ausarbeitungen der Gewerbeaufsicht bekannt, die über diese Frage sehr Bedeutungsvolles aussagen? Jeder
von Ihnen hat diese Ausarbeitungen bekommen.
Jawohl.
Herr Kollege Geiger, ist Ihnen nicht bekannt, daß in den letzten Jahren die Zahl der tödlichen Unfälle ständig rückläufig ist?
— Das läßt sich nicht leugnen.
Herr Kollege Ruf, das trifft nicht zu. Wenn Sie einmal die Statistiken prüfen, werden Sie feststellen, wie widersprechend diese Statistiken sind. Es kommt nämlich darauf an, ob die Statistiken von den Gewerbeaufsichtsämtern oder von den Berufsgenossenschaften selber gemacht werden.
Das ist unser Problem, und dieses Problem wollten wir mit den von uns gemachten Vorschlägen lösen. Alles andere ist nichts als eine Gewissensberuhigung und kein Beitrag zu einer besseren Unfallverhütung in der Zukunft.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag Umdruck 189 Ziffer 11 zu § 708. Praktisch handelt es sich darum, daß in Abs. 1 eine neue Nr. 3 eingeführt werden soll. Wer stimmt diesem Änderungsantrag zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Enthaltung mit großer Mehrheit angenommen.
Dann kommen wir zur Abstimmung über § 708 in der durch den soeben gefaßten Beschluß festgestellten Fassung. Wer zustimmt, den bitte ich um ein Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Gegenstimmen, keine Enthaltungen; der Paragraph ist einstimmig angenommen.
Ich rufe auf § 709. Hierzu liegen keine Änderungsanträge vor. Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt dem § 709 zu? — Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen? — § 709 ist angenommen.
§ 710! Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 209 vor. Wird der Antrag begründet? — Herr Abgeordneter Spitzmüller!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir schlagen Ihnen vor, vor das Wort „fahrlässig" das Wort „grob" einzufügen, so daß es heißt, daß eine Strafe vorzusehen ist bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Handlung gegen Unfallverhütungsvorschriften. Wir glauben, daß es der Unfallverhütung nicht dienlich ist, wenn auch der leichteste fahrlässige Verstoß gegen Unfallverhütungsvorschriften gesetzlich zwingend die Verhängung einer Ordnungsstrafe nach sich zieht. Wir möchten aber ausdrücklich betonen, daß durch den zweiten Satz, der ja im Gesetz erhalten bleibt, klar zum Ausdruck kommt, daß selbstverständlich auch leichtere fahrlässige Verstöße bestraft werden können. Es braucht aber nicht der gesetzliche Zwang hinter einer solchen Vorschrift zu stecken.
Ich bitte um Annahme unsere Antrages.
Wird dazu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt dem Antrag auf Umdruck 209 zu? — Danke. Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Ich rufe auf § 710 in der soeben geänderten Fassung. Wer stimmt dieser Bestimmung zu? — Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Bestimmung ist in der durch den soeben gefaßten Beschluß geänderten Fassung einstimmig angenommen.
Zu § 711 liegen keine Änderungsvorschläge vor; wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt dem § 711 zu? — Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Auch dieser Paragraph ist einstimmig angenommen.
Ich rufe auf § 712. Dazu liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 189 Ziff. 12 vor. Wird dieser Antrag noch einmal begründet, oder reicht die erste Begründung aus? — Dann kommen wir gleich zur Abstimmung. Wer stimmt diesem Änderungsantrag zu? — Danke. Gegenprobe! — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Vizepräsident Schoettle
— Das war Ihr Pech, Herr Kollege Geiger.
Wir stimmen ab über § 712 in der Fassung des Ausschusses. Wer stimmt dem Paragraphen zu? — Danke. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen ist § 712 mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe auf die §§ 713, 714, 715, 716, 717 und 718. Zu diesen Paragraphen liegen keine Änderungsanträge vor. Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt den aufgerufenen Paragraphen zu? Danke. Gegenprobe! - Enthaltungen? — Die Paragraphen sind einstimmig angenommen.
Zu § 718 a liegen Änderungsanträge auf Umdruck 193 und auf Umdruck 189 unter Ziff. 13 vor. Der Änderungsantrag auf Umdruck 193 bezieht sich auf den Abs. 1 des § 718 a. Soll dieser Antrag begründet werden? - Er ist begründet. Wir kommen dann zur Abstimmung. Wer stimmt dem Änderungsantrag auf Umdruck 193 zu? - Danke. Gegenprobe!
Enthaltungen? - Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zu dem Änderungsantrag auf Umdruck 189 Ziff. 13, der sich auf den Abs. 2 des § 718 a bezieht. Der Antrag scheint ebenfalls schon begründet zu sein. Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt diesem Änderungsantrag zu? - Danke. Die Gegenprobe! - Das letzte war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über § 718 a mit der vorhin beschlossenen Änderung. Ich unterstelle, meine Damen und Herren, daß bei der Abstimmung vorhin über Ziff. 13 a und 13 b abgestimmt wurde.
Wer stimmt dem § 718 a mit der vorhin beschlossenen Änderung zu? - Danke. Die Gegenprobe! — Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
§ 718 b. - Dazu liegen keine Änderungsanträge vor. Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt dem § 718 b zu? - Danke. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - § 718 b ist ebenfalls einstimmig angenommen.
Auf Umdruck 189 liegt unter Ziff. 14 der Änderungsantrag vor, hinter § 718 b einen neuen § 718 c einzufügen. Auch dieser Änderungsantrag ist begründet. Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt dem Änderungsantrag zu? - Danke. Die Gegenprobe! - Das letzte war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe auf: § 719, - § 719 a, - § 720, - § 721. -- Dazu liegen keine Änderungsanträge vor. Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt den aufgerufenen Paragraphen zu? - Danke. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Diese Paragraphen sind einstimmig angenommen.
Ich rufe den § 722 auf. Dazu liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 189 unter Ziff. 15 vor. Gehört
er zu den bereits begründeten Änderungsanträgen?
Gut, dann kommen wir gleich zur Abstimmung.
Wer stimmt dem Änderungsantrag zu? - Ich habe den Eindruck, daß das etwas müde ist. -
Danke. Gegenprobe! - Letzteres ist die Mehrheit; der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über § 722. Wer stimmt dem Paragraphen in der Fassung des Ausschusses zu? - Danke. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Paragraph ist einstimmig angenommen.
Ich rufe auf die §§ 723, - 724, - 725, - 726, -727, - 728, - 729, - 730, - 731, - 733, - 734, -735, - 736, - 737 und 738. - Hierzu liegen keine Änderungsanträge vor. Wir kommen zur Abstimmung Wer stimmt den aufgerufenen Paragraphen zu? - Danke. Gegenprobe! - Die Paragraphen sind einstimmig angenommen. - Der Antrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 216 ist zurückgezogen.
Zu § 739 liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck
194 vor. Soll er begründet werden? —
— Auf Begründung wird verzichtet. Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt dem Änderungsantrag zu? - Danke. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist einstimmig angenommen.
Wir stimmen jetzt über den § 739 in der so geänderten Fassung ab. Wer stimmt diesem § 739 zu? Ich bitte um ein Handzeichen. - Danke. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Paragraph ist in der neuen Fassung einstimmig angenommen.
Ich rufe auf die §§ 740, - 741, - 742, - 743, -744, - 745, - 746, - 747, - 748, - 749, - 750, -751, - 752, - 753, - 754, - 755, - 756, - 757, -758, - 759, - 760, - 761, - 761 a, - 762, - 763, -764, - 765, - 766, - 767, - 768, - 769, - 770, -771, - 772 und 773. - Änderungsanträge zu diesen Paragraphen liegen nicht vor. Wer stimmt diesen Paragraphen zu? - Danke. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Nein-Stimmen, keine Enthaltungen; diese Paragraphen sind einstimmig beschlossen.
Zu § 774 liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck
195 vor. Wird er begründet? - Herr Abgeordneter Becker zur Begründung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herzlichen Dank, daß Sie unserem Antrag zustimmen wollen. Aber ich glaube, die Materie ist etwas unbekannt, und deswegen sollte man hier etwas dazu sagen.
Die Aufbaugemeinschaften im rheinland-pfälzischen Weinbaugebiet sind als Körperschaften des öffentlichen Rechts versicherungsrechtlich ebenso wie die Wasser- und Bodenverbände, wie die Teilnehmergemeinschaften in Flurbereinigungsverfahren usw. zu behandeln. Sie sind deshalb in § 774 Nr. 4 mit aufzuführen, damit auch bei den Aufbaugemeinschaften des Weinbaus Arbeiten die entwe-
Becker
der als Pflicht oder zur Ablösung einer Zahlungsverpflichtung geleistet werden, versichert sind. Es will zwar niemand diese Personenkreise aus dem Versicherungsschutz ausnehmen; aber es ist in Fachkreisen eine Diskussion darüber entstanden, ob der Versicherungsschutz oder die Versicherungspflicht in den genannten Fällen gegeben ist, wenn das nicht eigens im Gesetz steht. Im Interesse der Klarstellung - es ist keine Ausweitung und keine Änderung - bitte ich um Annahme unseres Antrages.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung über diesen Änderungsantrag. Wer stimmt ihm zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den so geänderten § 774. Wer stimmt dem Paragraphen zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der § 774 ist einstimmig angenommen.
Ich rufe auf die §§ 775, - 776, - 777, - 778, - 779, - 780, - 781, - 783, - 784, - 785, - 786, - 787, -788, - 789, - 790, - 791, - 792, - 793, - 794, -795, - 796, - 797, - 798, - 799, - 800, - 801, -802, - 803, - 804, - 805, - 806, - 807, - 808, - 809, - 809 a, - 810, - 811, - 812, - 813, - 814, -815,-816,-817,-818,-819,-820,-821, - 822, - 823, - 824, - 825, - 826, - 827, - 828, - 829, - 830, - 831, - 832, - 833, - 834, - 835, - 836, - 837, - 838, - 839, - 840, - 841, - 842, - 843, - 844, - 845, - 846, - 847, - 848, - 849,
- 850, - 851, - 852, - 853, - 854, - 855, - 856, - 857, - 858, - 859, - 860, - 861, - 862, - 863, - 864, - 865, - 866, - 868, - 869, - 870, - 871,
- 872, - 873, - 874, - 875, - 876, - 877, - 878, - 879, - 880, - 881, - 882, - 883, - 884, - 885,
- 886, - 887, - 888, - 889, - 890, - 891, - 892 und 893 -.
Zu allen diesen Paragraphen liegen keine Anträge vor. Wir kommen zur Abstimmung über die soeben aufgerufenen Paragraphen. Wer stimmt ihnen zu? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? — Keine Gegenstimmen, keine Enthaltungen; diese Paragraphen sind einstimmig angenommen.
Auf Umdruck 189, Ziffer 16, liegt ein Antrag auf Anfügung eines § 894 vor. Er ist schon begründet worden. Es handelt sich um die Schaffung eines Kuratoriums für Unfallverhütung. Wir kommen zur Abstimmung über diesen Änderungsantrag. Wer stimmt ihm zu? - Gegenprobe! - Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe auf Art. 2 Nr. vor 1. Es liegt ein Antrag, Umdruck 189 Ziffer 17, vor, hinter Nr. „vor 1" eine neue Nummer „nach vor 1" einzufügen. Soll dieser Antrag begründet werden? - Herr Abgeordneter Börner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Begründung dieses Antrags ergibt sich eigentlich aus den im Gesetz vorgesehenen Bestimmungen über die Anpassung
der Renten. Sie wissen, daß es verschiedene Arten der Berechnung für die Unfallrenten gibt. Für diejenigen Renten, die nach dem Jahresarbeitsverdienst berechnet werden, sieht das Gesetz eine Reihe von wichtigen Paragraphen vor, auf die wir noch zu sprechen kommen werden. Wir meinen, daß auch die Renten, die nach dem Ortslohn berechnet werden - meistens handelt es sich um ihrer Struktur nach kleine Renten -, zusammen mit den anderen Renten angepaßt werden müssen, um ein Auseinanderklaffen verschieden berechneter Unfallrenten zu verhindern. Wir haben uns schon bei früheren Anpassungsgesetzen mit dieser Frage auseinandergesetzt. Ich kann mich auf unsere grundsätzliche Haltung zu diesem Problem beziehen.
Namens meiner Freunde möchte ich Sie nur herzlich bitten, dem Antrag auf eine Synchronisierung der Renten, die nach dem Ortslohnsystem, und der Renten, die nach dem Jahresarbeitsverdienst berechnet werden, zuzustimmen, damit sich in Zukunft die Unfallrenten nicht auseinanderentwickeln, sondern alle vom Gesetz Betroffenen gleichmäßig die Möglichkeit einer Anpassung ihrer Rente erhalten.
Wird dazu weiter das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Berberich!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir halten die Einfügung dieser Bestimmung für überflüssig, weil die Frage schon in der Unfallversicherung selbst durch die Festsetzungsausschüsse geregelt wird. Man braucht also diese Frage nicht noch einmal im Gesetz zu regeln. Wir bitten Sie deshalb, den Antrag abzulehnen.
Herr Abgeordneter Börner!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Begründung, die Herr Kollege Berberich hier soeben gegeben hat, betrifft nur einen Teil des Problems. Man kann solche Fragen nicht vom Gesetzgeber wegdelegieren. Die Bestimmung ist auch nicht überflüssig. Ich muß eindeutig feststellen: wenn wir hier nicht einen klaren gesetzgeberischen Auftrag geben, besteht die Gefahr, daß in Zukunft die Unfallrenten, die nach dem Jahresarbeitsverdienst berechnet worden sind, durch den Gesetzgeber angepaßt werden und daß die nach dem Ortslohnprinzip berechneten Renten hinterherhinken. Da sich aber schon in den letzten Jahren sozialpolitisch nicht zu vertretende Differenzen ergeben haben, halten wir es für dringend erforderlich, daß im Gesetz klar festgelegt wird, daß parallel mit der Anpassung der Renten nach dem Jahresarbeitsverdienstprinzip auch eine Anpassung der Renten nach dem Ortslohnprinzip zu erfolgen hat. Sonst würden sich die unliebsamen Zustände wiederholen, die Sie, Herr Kollege Berberich, aus der Vergangenheit sehr genau kennen.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag Umdruck 189 Ziffer 17. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das letzte war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Jetzt müssen wir über die Nummer „vor 1" abstimmen. Wer dieser Nummer „vor 1" zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Nummer „vor 1" ist angenommen.
Ich rufe auf die Nummern 1 und 2. Da der Änderungsantrag Umdruck 189 Ziffer 18 durch die Ablehnung des Änderungsantrags Umdruck 189 Ziffer 5 gegenstandslos geworden ist, kann ich gleich aufrufen die Nummern 2 a, — 3, — 4, — 5, — 6, —7, — 8, — 9, — 10, — 11, — 12, — 13, — 13 a, —13 b. — Wir kommen zur Abstimmung. Wer diesen Nummern zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen ? — Die Bestimmungen sind einstimmig angenommen.
Zu Nr. 13 c liegt auf Umdruck 196 ein Änderungsantrag vor. Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Gaßmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem mir soeben von den Kollegen von der SPD zugerufen worden ist, daß sie dem Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion — Umdruck 196 — zustimmen würden, glaube ich keine weitere Begründung für diesen Antrag mehr geben zu sollen. ich bitte, dem Antrag zuzustimmen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag Umdruck 196. Wer stimmt diesem Änderungsantrag zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist einstimmig angenommen.
Wir müssen jetzt noch über die Nr. 13 c abstimmen. Wer stimmt dieser Nr. 13 c zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Der zu Nr. 13 d vorgelegte Änderungsantrag ist gegenstandslos geworden. Dann können wir gleich über die Nummern 13 d, 14, 15, 16, 17, 18, 19 und 20 abstimmen. Wer stimmt ihnen zu? — Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Diese Nummern sind einstimmig beschlossen.
Wir kommen zu Art. 2 a. Hier liegen Änderungsanträge vor, und zwar auf Umdruck 197 eine Neufassung des gesamten Artikels. Wird hierzu das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Stingl!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Ausschußfassung liegt Ihnen ein Art. 2 a dieses Gesetzes vor, der, ausgehend von der Überlegung, daß sich seit der Begründung der Unfallversicherung eine Reihe von 'Verschiebungen sowohl in den Risiken wie auch in der Zahl der beschäftigten Personen und der damit verbundenen Lohnsummen ergeben haben, bestimmt, daß diese unterschiedlich gewordenen Belastungen nach einigen verwandten Berufsgruppen hin aufgeteilt werden.Aber schon dieser Antrag, den wir im Ausschuß vorgelegt, mehrfach eingehend begründet und dort besprochen haben, hat eine Bestimmung enthalten, die besagt, daß, wenn sich die Zahler der Beiträge, d. h. die Kreise der Wirtschaft oder die Angehörigen der Berufsgenossenschaften, zu einem anderen Verfahren entschließen, die unterschiedlich gewordene Belastung aufzuteilen und eine neue Form der Aufteilung zu finden, die Bestimmungen des Art. 2 a nicht in Kraft treten sollen. Meine Damen und Herren, an sich könnte es dabei bleiben. Jedoch hat diese Bestimmung dazu geführt, daß die betroffenen Kreise in sehr intensiven Verhandlungen — dankenswerterweise der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften — in einer Sondersitzung beschlossen haben, dem Gesetzgeber vorzuschlagen, er möge eine andere Regelung treffen, um der unterschiedlichen Belastung des Bergbaus, die nicht mehr der Relation des Unfallgeschehens im Bergbau gegenüber den anderen entspricht und andere Ursachen hat, Rechnung zu tragen.Da wir selbst zum Ausdruck gebracht hatten, daß wir durchaus bereit sind, andere Vorstellungen Gesetz werden zu lassen, stehen wir nicht an, Ihnen heute den Änderungsantrag Umdruck 197 vorzulegen. Dieser Änderungsantrag verteilt die alte Last des Bergbaus aus der Unfallversicherung, die am 1. Januar 1953 bestand und die demnach genau feststeht — und nicht die laufend zugehende Last —, auf die Gesamtheit der gewerblichen Berufsgenossenschaften. Da dies der Vorschlag aus dem Kreise der gewerblichen Berufsgenossenschaften selbst ist, halten wir dieses Verfahren für zulässig, und wir begrüßen diesen Entschluß.Wir schlagen Ihnen dabei allerdings vor, eine Lohnsumme von 30 000 DM aus diesem Verfahren und der Verteilung der alten Bergbaulast herauszunehmen, weil wir der Meinung sind, daß es in diesem Bereich Bagatellfälle geben könnte, die mehr Verwaltungsverfahren verursachen, als überhaupt an Beiträgen einkommen könnte. Zum andern glauben wir auch, daß das eine für den Mittelstand notwendige Maßnahme ist, um nicht allzusehr auch bei den kleinen Betrieben eine Neubelastung einzuführen.Meine Damen und Herren, wir wissen sehr wohl, daß diese Regelung sicherlich nicht die Zustimmung eines jeden Mitgliedsverbandes finden wird, vielleicht auch nicht eines jeden Mitglieds. Wir sind aber der Meinung, daß aus der Begründung der Unfallversicherung, die Haftung des Unternehmers durch eine solche Solidargemeinschaft der Unternehmer ablösen zu lassen, sich auch diese Regelung ergibt. Es ist keine Verpflichtung der Allgemeinheit und des Staates, es ist auch nicht ein Energieproblem, sondern es ist ein Problem der Unfallversicherung und der Solidargemeinschaft der Unternehmer untereinander, diese Last erträglich zu machen.Der seinerzeitige Gesetzgeber hätte ja auch von sich aus durchaus eine andere Abgrenzung der Unfallversicherungen bringen können. Die heutige Ab-
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Stinglgrenzung hat zu diesen unliebsamen Zuständen geführt. Wir glauben, daß wir deshalb recht tun, Ihnen dies hier vorzuschlagen.Dabei darf ich Ihnen einiges nicht verschweigen. Die Mitglieder des Ausschusses haben sicherlich sehr viele Protesttelegramme gegen die bisher vorgesehene Regelung des Art. 2 a bekommen. Nun werden wiederum einige, die gegen die vorige Regelung protestiert haben, auch gegen die jetzige Regelung protestieren. Daran wird nur deutlich, daß der Gesetzgeber oder der Ausschuß oder die Betroffenen, die damit zu tun haben, sich sehr eingehend damit auseinandergesetzt hatten und daß man in der Öffentlichkeit geneigt war, vorschnell zu protestieren.
— Herr Kollege Schellenberg, das Ganze ist nicht höchst problematisch. Allerdings ist es dann höchst problematisch, wenn man überhaupt nicht mehr dabei bleiben will, daß es weiterhin auf eine Einteilung in Berufsgenossenschaften ankommt, wenn man will, daß es eine Staatslast wird, oder wenn man überhaupt ein fortwirkendes Gemeinlastverfahren einführen will. Dies hier ist kein Gemeinlastverfahren!Ich bitte Sie, dem Antrag zuzustimmen. Insbesondere darf ich noch einmal darauf hinweisen, daß er den Wünschen der betroffenen Wirtschaftskreise entspricht.
Herr Abgeordneter Börner hat das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Anwesenheit des Herrn Bundesfinanzministers unterstreicht die Wichtigkeit dieses Tagesordnungspunktes und des Problems, das nunmehr im Rahmen dieses Gesetzentwurfs behandelt wird. Wir Sozialdemokraten hätten uns gewünscht, daß auch der für die Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik Deutschland zuständige Ressortminister bei dieser Debatte anwesend gewesen wäre, weil nämlich in diesem Änderungsantrag eine Frage von höchster wirtschaftspolitischer Bedeutung steckt.
Damit wir uns von vornherein über die Größenordnungen klar sind: hier geht es nicht um eine Bagatelle, hier geht es nicht um ein paar Millionen, sondern hier geht es um die volkswirtschaftliche Verlagerung von Milliardenbeträgen. Das muß sich jeder klarmachen, der über diesen Antrag abstimmt.Weil nicht nur für ein Jahr, sondern weil durch die Struktur des Gesetzentwurfs bzw. der dann von der CDU gestellten Änderungsanträge Weichen gestellt werden und diese Weichenstellung nicht nur für die Sozialpolitik, sondern auch für die Wirtschaftspolitik unseres Landes auf mindestens ein Jahrzehnt von Bedeutung ist, meinen wir, daß es nützlich ist, an diesem Punkt der Debatte auf einigeDinge einzugehen, die schon Gegenstand einer sehr ausgedehnten Ausschußaussprache über diese Fragen gewesen .sind und die auch — das darf ich doch wohl heute sagen — innerhalb der Koalition und der CDU zu erheblichen politischen Bauchschmerzen geführt haben.
Denn als die CDU-Fraktion vor Jahresfrist ihren Gesetzentwurf — oder die Bundesregierung ihren Gesetzentwurf unter der Flagge der CDU — hier einbrachte, da waren darin nicht die Regelungen, die heute angestrebt werden. Vielmehr entstand im Rahmen des nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampfes ein hochpolitischer Gesichtspunkt für Herrn Blank, — der uns heute die Ehre seiner Anwesenheit gibt, im Gegensatz zu den Beratungen des Sozialpolitischen Ausschusses über dieses Thema.
— Wissen Sie, wir kommen im Rahmen der weiteren Beratung noch darauf zu sprechen, ob es nicht sinnvoll gewesen wäre, wenn sich der Herr Bundesarbeitsminister, der ja sozusagen der geistige Stiefvater dieses Antrages ist, der Ausschußdebatte gestellt hätte. Nun müssen wir die Auseinandersetzung mit ihm hier führen, und ich nehme an, er wird sicher noch in seiner bekannten temperamentvollen Art in dieses Gespräch eingreifen.Aber, meine Damen und Herren, worum geht es denn letztlich? Herr Kollege Stingl hat schon darauf verwiesen, daß eine Reihe von sehr ernsten Bedenken gegen dieses Verfahren spricht, was seiner Meinung nach nicht die Übernahme einer Gemeinlast wäre, was jedoch nach unserer Meinung die Übernahme einer Gemeinlast ist. Nun, wie dem auch sei, es geht hier nicht um das Wort „Gemeinlast", sondern darum: Was steckt hier drin? Sie wollen mit Ihrem Antrag versuchen, eine sehr hohe wirtschaftpolitische, sozialpolitische Last der Bergbauberufsgenossenschaft auf die anderen Berufsgenossenschaften zu verlagern, und Sie verweisen darauf, daß es in der Struktur der Unfallversicherung liege, daß der eine für den anderen betrieblich einzustehen habe.Meine Freunde und ich glauben, daß hier die Axt an die Wurzel des berufsgenossenschaftlichen Prinzips gelegt wird.
Denn das, was Sie hier tun, bedeutet in der Auswirkung doch, daß die bisher durch die Betriebsart, durch die Struktur des Betriebes im Rahmen einer Branche gegebene überschaubare Last, die jeder Gewerbezweig selbst zu tragen hatte, nun ganz andere Dimensionen bekommt und etwas zunichte macht, was Sie auf Grund unserer sehr ernsten Vorstellungen im Sozialpolitischen Ausschuß teilweise mit in dieses Gesetz hineingenommen haben, nämlich einen Anreiz für die Betriebe, die Zahl der Unfälle zu senken. Die Auswirkung Ihres Änderungsantrages ist, daß sich in bestimmten Wirtschaftsbe-
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Börnerreichen die Umlage verdoppeln oder gar verdreifachen wird. Wir sind sehr gern bereit, mit Ihnen über die Zahlen, die sich hier ergeben, zu sprechen. Aber wir müssen darauf hinweisen, daß Sie auch mit Ihren heute vorgelegten Änderungsanträgen zum Ausschußantrag nicht um das Problem herumkommen, daß hier letztlich die Last eines Wirtschaftszweiges auf andere Wirtschaftszweige delegiert wird, die mit dem Berufsrisiko dieses Wirtschaftszweiges überhaupt nichts zu tun haben.Ich möchte aber an dieser Stelle auch etwas zur Klärung der Fronten sagen, damit hier nicht mit dem Argument gearbeitet werden kann, wir wollten den Bergbau in seiner heutigen Situation lassen, wir hätten kein Interesse daran, das, was die Bergbauberufsgenossenschaft heute an Lasten zu tragen hat, abzunehmen. Meine Damen und Herren, wer so argumentiert, der argumentiert einfach falsch und gegen die Tatsachen. Denn es ist nicht erst seit gestern, sondern schon seit Jahren die Auffassung der sozialdemokratischen Fraktion dieses Hauses, daß dem Bergbau durchgreifend geholfen werden muß. Man kann aber einem so wichtigen Wirtschaftszweig, der auch für künftige Jahrzehnte in unserer Volkswirtschaft seine Bedeutung haben wird, nicht mit sozialpolitischer Flickschusterei helfen, sondern man muß eine vernünftige Energiepolitik treiben.
Wenn Sie meinen, Sie könnten das Dilemma der deutschen Energiepolitik hier praktisch noch zwei Jahre vor sich herschieben, verkennen Sie die Schwierigkeiten, die im deutschen Bergbau wirklich vorliegen.Wir glauben aber auch, daß es keine gute Art ist, nun hier so zu tun, als könnte man mit diesem Ad-hoc-Antrag, der erst Mitte Januar gekommen ist und der nach Ihrem ursprünglichen Willen schon gleich Ende Januar verabschiedet werden sollte — damit um Gottes willen niemand merkt, was da drinsteckt —, der sozialpolitischen Seite des Problems gerecht werden.Wir meinen, daß man, wenn man dem Bergbau helfen will, Wege gehen muß, die sich von der Energiepolitik, von der Wirtschaftspolitik und von der Steuerpolitik her anbieten. Sie alle kennen sicher eine Reihe von Vorschlägen, die in den vergangenen Wochen nicht nur von den Wirtschaftszweigen gemacht worden sind, die hier jetzt mehr bezahlen sollen, sondern auch von ernstzunehmenden Menschen, die an diesem Problem finanziell überhaupt nicht interessiert sind. Es ist daher sinnvoll, an dieser Stelle einmal im einzelnen zu untersuchen, welche wirtschaftspolitischen Auswirkungen die Ausschußvorlage, die mit Ihren Stimmen angenommen worden ist, und Ihre heute vorgelegten Änderungsanträge haben. Meine Damen und Herren, in diesen noch etwas unvollständigen Unterlagen, die wir im Laufe des Vormittags zusammenstellen konnten — wir hätten es gern eher getan; aber Sie haben ja bis in die Nacht noch an der Gemeinlast herumgeraten;
man hört ja so einiges im Hause —, kommt die ganze Spannung, die in der CDU bei diesem Problem besteht, zum Ausdruck. Sie tritt in diesen verschiedenartigen und, wie ich meine, sehr unausgegorenen Vorschlägen zutage.
— Nur mit dem Unterschied, daß wir nicht so leichtsinnig mit den Milliarden umgehen, meine Herren!
— Meine Damen und Herren, Ihnen wird das Lachen in dieser Frage noch vergehen. Denn wissen Sie, was Sie hier mit diesem Vorschlag machen? Hier haben Sie praktisch eine Zeitbombe in die Mittelstandspolitik hineingelegt. Was wollen Sie mit Ihrem Antrag? Sie wollen überall in der Umlage 30 000 DM Lohnsumme ausnehmen. Das bedeutet bei der heutigen Lohnhöhe in der Tendenz, daß alle Betriebe mit mehr als acht Beschäftigten von Ihrem Vorschlag, einschneidende Umlageerhöhungen bei der Berufsgenossenschaftsumlage vorzunehmen, betroffen werden.
Wie Sie das mit Ihrer Mittelstandspolitik in Einklang bringen wollen, müssen Sie uns erst noch klarmachen.
— Wieso?
— Nun, Herr Stingl, Zahlen hin, Zahlen her, — Sie werden nicht abstreiten können, was viele Berufsgenossenschaften zu Ihrem ersten Vorschlag ganz eindeutig festgestellt haben, daß die Tendenz dieses Vorschlags in der stärkeren Belastung der mittelständischen Betriebe besteht. Daß diese Tendenz durch Ihren Änderungsantrag beseitigt worden ist, können Sie niemandem erzählen.Nun noch eine andere Frage, die sich gerade aus der Begründung ergibt, die Herr Kollege Stingl vorgetragen hat. Er hat gesagt, man solle das dem Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften überlassen; dieser habe in einer Sondersitzung zugesagt, man werde sich schon einigen. Aber Herr Stingl war so freundlich, auch gleich darauf hinzuweisen, daß einige wohl mit dieser Einigung nicht einverstanden wären. Nun, ich will die Frage nicht untersuchen, ob der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften innerhalb von vierzehn Tagen legitimiert ist, für Hunderttausende von Betrieben solche entscheidenden Versicherungen abzugeben.
Ich will nicht untersuchen, wie die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflegenach Ihrem Vorschlag betroffen wird und welche
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BörnerWeiterungen sich für andere Berufsgenossenschaften vorwiegend mit Kleinbetrieben ergeben.
— Ich komme gleich noch darauf. — Nur ein Beispiel: Auch in der chemischen Industrie, die ja bei der wirtschaftspolitischen Betrachtung dieses Problems wirklich nicht in .der schlechtesten Lage ist, wird — das liegt in der Struktur ihrer Betriebsgrößen — mit einer erheblichen Erhöhung der Beiträge zu rechnen sein.Meine Damen und Herren, alles in allem frage ich: Wer hat denn überhaupt noch ein Interesse an der Unfallverhütung, wenn durch einen solchen Beschluß seine Beiträge zur Berufsgenossenschaft praktisch verdoppelt werden? In der Begründung wird immer hervorgehoben, daß man dem Bergbau helfen müsse. Es wird aber verschwiegen, daß nach Ihrem Vorschlag die doch wirklich nicht mit guter Konjunktur gesegnete deutsche Textilindustrie erheblich mehr belastet wird. In Ihrem Vorschlag wird nicht darauf eingegangen, daß der deutschen Werftindustrie, deren wirtschaftspolitische Sorgen der Bundesregierung hinreichend bekannt sind, infolge dieses Antrags erhebliche Mehrkosten erwachsen.Wir glauben also, daß dieser Vorschlag, der aus einem unguten Wahlversprechen des Herrn Bundesarbeitsministers an den Herrn Generaldirektor Burckhardt entstanden ist, durch den Gesetzgeber ) nicht honoriert werden darf.
Nach unserer Meinung muß die Bundesregierung — da stimmen wir mit allen hier im Hause überein —, wenn sie die Notlage des deutschen Bergbaus ändern will, endlich einimal entscheidende Vorschläge zur Strukturverbesserung und zur Energiepolitik machen.Wir halten eine Entscheidung für dieses Verfahren für eine so große sozialpolitische Fehlentscheidung — um nicht zu sagen: sozialpolitische Flickschusterei —, daß wir keinem Ihrer Änderungsanträge zustimmen werden.
Das Wort hat der Herr Bundesarbeitsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zu einigem, was Sie, Herr Börner, gesagt haben, äußern.Ich habe Herrn Burckhardt kein Versprechen gegeben, sondern ich habe Herrn Burckhardt und der IG Bergbau, die in ihrer Not zu mir gekommen sind, am 19. und am 22. Juni des vergangenen Jahres das Versprechen gegeben, dem Bergbau in einer bestimmten Weise zu helfen. Das will ich Ihnen einmal darlegen.
— Das will ich Ihnen einmal darlegen, Herr Geiger. Ich habe alle Unterlagen da. Ich kann Ihnen die Unterschriften zeigen und was vereinbart ist.Seit Jahren haben wir im Bergbau eine überhöhte Unfallast. Das ist jedermann bekannt, auch Ihnen. Seit Jahren laufen Besprechungen unter den Beteiligten in der Absicht, durch Übernahme dieser Lasten auf andere Berufsgenossenschaften den Bergbau zu entlasten. Es ist allerdings nicht zu Abschlüssen gekommen. Das ist verständlich, wenn man die Größenordnungen betrachtet, um die es sich handelt.Wir hätten auch gewisse rechtliche Möglichkeiten gehabt; denn Sie wissen, daß es seit langem geltendes Recht ist, daß der Bundesarbeitsminister — früher der Reichsarbeitsminister—mit Zustimmung des Bundesrates bestimmen kann, daß mehrere Berufsgenossenschaften ihre Entschädigungslasten ganz oder teilweise gemeinsam zu tragen haben. Wir haben von der Möglichkeit, diesen Rechtsweg zu gehen, keinen Gebrauch gemacht, weil wir uns immer auf den Standpunkt gestellt haben, es sei besser und zweckmäßiger, wenn sich die Beteiligten in dieser Frage selber einigten.Herr Börner, nehmen Sie es zur Kenntnis, und fragen Sie bei der IG Bergbau an: Als meine ehemaligen Kameraden, die drei Sozialdemokraten Gutermuth, Dahlmann und van Berg — nicht von der CDU! —, in ihrer großen Not bei mir erschienen und an mich appellierten, habe ich ihnen gesagt, daß man jetzt unter Umständen die Übernahme eines Teiles dieser auf den Bergbau entfallenden Soziallasten im Zusammenhang mit der Reform der Unfallversicherung betreiben müsse. Bis dahin waren wir des Glaubens, daß die Beteiligten das selber lösen würden. Dann ist ein Antrag der CDU/CSU-Fraktion behandelt worden. Wie Sie sehen, sind die Beteiligten, weil sie diese Lösung nicht schön fanden, so übereingekommen, wie es jetzt als Antrag verdichtet vor Ihnen liegt.Was beklagen Sie eigentlich, Herr Börner? Sie beklagen, daß sich ,die beteiligten Berufsgenossenschaften bereiterklärt haben, einen Teil der überhöhten Soziallasten des deutschen Bergbaues zu übernehmen. Warum beklagen Sie das? Haben Sie etwa die Zeiten vergessen, wo wir von den Bergleuten das Alleräußerste verlangt haben? Ist etwa vergessen, wie wir hier in diesem Hause an die Bergarbeiter appelliert haben, sie möchten Sonntagsschichten machen, sie möchten Überstunden leisten?
Ist etwa vergessen, daß wir von den Bergleuten im ersten Aufbaustadium dieses Wirtschaftssystems eine Arbeitslast verlangt haben wie von keinem anderen Beruf?
Durch Umstände, die wir miteinander nicht in der Hand haben, sind die Versicherungslasten für den Bergbau so hoch angestiegen, daß sie mit über 13 % der Lohnsumme zu Buche schlagen. Es stellt
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Bundesminister Blankder deutschen Wirtschaft ein ehrendes Zeugnis aus, wenn sie jetzt in dieser Situation übereingekommen ist, einen Teil dieser Last auf sich zu nehmen.
Das hatte ich, Herr Professor Schellenberg, damals den drei Sozialdemokraten, meinen Gewerkschaftskollegen, versprochen, und ich bin dem Hohen Hause dankbar, wenn es heute durch ,die Annahme dieses Vorschlags dieses Versprechen realisiert; denn die deutschen Bergleute haben es verdient.
Das Wort hat der Abgeordnete Porten.
— Wenn Sie bereit sind zurückzustehen, dann erteile ich das Wort zunächst dem Abgeordneten Börner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundesarbeitsminister hat die Situation von 1945 vor unserem geistigen Auge beschworen und gute Worte für die Kumpel an der Ruhr gefunden, die damals die deutsche Wirtschaft mit ihrer Arbeitskraft wieder in Gang gebracht haben. Ich wäre sehr froh, wenn die Mehrheitsparteien dieses Hauses bei anderen Entscheidungen das auch immer so getan hätten.
Wenn man die Worte von Herrn Minister Blank anhört, dann könnte man fast den Eindruck gewinnen, es gehe um einen Zuschuß an die IG Bergbau. Es geht aber um einen Zuschuß an die Berufsgenossenschaft Bergbau bzw. um die Abwälzung einer Last der Unternehmer.
Ich möchte in dieser Debatte auch einmal ein Argument aufnehmen, das in den vielen Zuschriften, die wir bekommen haben, immer wiederkehrt: daß mit dieser Regelung, Herr Minister, die Ihre Koalitionsfreunde vorschlagen, unter Umständen Bundesbetriebe subventioniert werden, die es gar nicht nötig haben, in Bundesbesitz befindliche Teile des deutschen Bergbaues, die nicht in der gleichen Situation sind wie die Zechen, die an der Grenze der wirtschaftlichen Rentabilität stehen.
Die Darstellung, daß der Großmut der deutschen Wirtschaft hier sozusagen in letzter Stunde eine Einigung zustande gebracht hat, ist einfach sachlich unrichtig. Vielmehr hat der gesetzgeberische Druck, der aus dem Willen der Mehrheitsfraktion von Mitte Januar an klar erkennbar war, diese Änderung zustande gebracht. Sie haben also der Freiwilligkeit etwas nachgeholfen. Meine Damen und Herren, das müssen Sie parteipolitisch verantworten. Aber sozialpolitisch und wirtschaftspolitisch haben wir die Auswirkungen dieses Vorschlags alle miteinander zu verantworten. Wir halten sie für höchst verderblich für verschiedene Wirtschaftszweige in unserem Land, die schon heute in einer ähnlichen Situation
stehen wie der Bergbau, zugegebenermaßen aus anderen Gründen.
Wir Sozialdemokraten haben uns deshalb am Anfang dieser Diskussion dafür entschieden, daß über das Problem des Bergbaues, gerade weil es ein nationales Problem ist, weil es unter gesamtwirtschaftlichen Gesichtspunkten zu sehen ist — nicht Bergbau kontra andere Wirtschaftszweige, sondern Bundesregierung kontra Bergbau —, weiter beraten werden muß. Wo ist denn die Bereitwilligkeit der Bundesregierung, aus dem Aufkommen an Mineralölsteuer hier etwas abzuzweigen und damit eventuell das Problem zu lösen? Muß denn der Uhrmacher im Schwarzwald mit einer Verdopplung seiner Umlage bestraft werden, nur weil der CDU nichts Besseres eingefallen ist?
Dazu können Sie die Sozialdemokraten nicht zwingen. Sie werden diesen Entschluß, das kann ich Ihnen heute schon sagen, genauso bitter bereuen wie andere wirtschaftspolitische Flickschusterei, die Sie in den vergangenen Jahren gemacht haben. Machen Sie nur so weiter! Um so sicherer wird die SPD in Zukunft die Wirtschaftspolitik dieses Landes bestimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Porten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben auf Umdruck 212 einen Änderungsantrag vorgelegt, der die Erhöhung des Freibetrages von 30 000 auf 50 000 DM für alle Betriebe sichern soll, so daß dann auf dieser Basis die Beiträge errechnet würden.Ich will auf die Ausführungen des Kollegen Börner jetzt nicht eingehen. Ich glaube, Herr Kollege Börner, wir haben an anderer Stelle, zu späterer Zeit noch Gelegenheit, uns über echte Mittelstandspolitik auseinanderzusetzen. Wir brauchen das nicht bei diesem kleinen Objekt
zu tun, wo wirklich nur die Aufgabe besteht, dem Bergbau zu helfen, wozu auch der Mittelstand seine Zustimmung gegeben hat.Meine Damen und Herren, die Gespräche, die wegen der Verteilung der Last geführt worden sind, waren sehr unterschiedlicher Struktur, und in der Selbstverwaltung der Berufsgenossenschaften waren, als es um die Frage des Freibetrages ging, sehr unterschiedliche Auffassungen vorhanden. Darum hat die Selbstverwaltung eine Entscheidung zu diesem Punkt nicht getroffen. Ich glaube, es war gut so, daß wir diese Entscheidung in diesem Hohen Hause als politische Entscheidung herausstellten.Nun lassen Sie mich einige Bemerkungen zu unserem Änderungsantrag Umdruck 212 machen. Wir stellen den Antrag, den Freibetrag von 30 000 auf 50 000 DM zu erhöhen, und können dafür zwei Argumente ins Feld führen.
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PortenErstens geht es um die Verwaltungskosten. Wir haben drei Berufsgenossenschaften, die noch das System der sogenannten Kopfbeiträge haben. Das heißt, daß Betriebe mit fünf Beschäftigten den Beitrag nicht nach der Lohnsumme, sondern nach der Beschäftigtenzahl entrichten. Diese drei Berufsgenossenschaften wären praktisch nicht in der Lage, bei 30 000 DM diese Verwaltungsaufgabe durchzuführen; denn 30 000 DM, das bedeutet bei dem heutigen Lohnniveau eine Beschäftigtenzahl von drei bis vier Personen. Wir glauben, mit der Erhöhung auf 50 000 DM die Betriebe mit sechs und acht Beschäftigten zu erfassen und so auch für unsere Berufsgenossenschaften die Erfüllung dieser Aufgabe verwaltungsmäßig etwas zu vereinfachen.Durch die Veränderung des Betrages von 30 000 auf 50 000 DM — ich sagte, daß wir drei Berufsgenossenschaften haben, die den Beitrag noch nach der Kopfzahl erheben; diese Berufsgenossenschaften haben eine Mitgliederzahl von 250 000 bis 300 000 Betrieben — würde sich die Belastung der einzelnen Betriebe nach unseren Vorstellungen verlagern. Wenn wir einen Freibetrag von 0 DM vorsehen, ergeben sich 22 Pfennig je 100 DM, und wenn wir einen Freibetrag von 50 000 DM einsetzen, sind es etwa 27 Pfennig je 100 DM Lohnsumme.Bei diesem Anliegen haben wir in diesem Hohen Hause einige Vorbilder. Ich darf daran erinnern, daß bei der Kindergeldgesetzgebung auch für die kleineren Betriebe eine Ausnahme gemacht wurde, indem ein Freibetrag festgesetzt wurde. Ich darf an die Gewerbesteuer erinnern, wo auch Ausnahmen für die kleineren Betriebe gemacht wurden. Insbesondere darf ich einmal darauf hinweisen: Wir müssen für den Nachwuchs in Handwerk und Einzelhandel bei Existenzgründung innerhalb der sogenannten Durststrecke etwas tun, um für den Anlauf die notwendige breitere finanzielle Grundlage zu bieten. Ich darf z. B. darauf hinweisen, daß im Handwerk in den vergangenen Jahren durchschnittlich 35 000 Meisterprüfungen abgelegt wurden, daß sich aber nur rund 20 000 Meister selbständig gemacht haben. Für die Versorgung der Bevölkerung durch Handwerks- und Handelsbetriebe wäre es immerhin notwendig, daß sich jährlich 25 000 bis 30 000 Leute selbständig machten.Aus diesen zwei Gründen bitte ich, unserem Änderungsantrag auf Umdruck 212 die Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Philipp.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bemerkungen des Herrn Abgeordneten Börner veranlassen mich zu einer sachlichen Bemerkung zur Struktur der Berufsgenossenschaften.Herr Börner, Sie wissen selbst ganz genau, daß seit den achtziger Jahren — die Bismarcksche Sozialversicherung stammt ja aus dem vorigen Jahrhundert — naturgemäß gewisse strukturelle Änderungen in der Wirtschaft eingetreten sind. Diese schlagen sich natürlich auch in der Unfallversicherung nieder. Sie wissen selbst ganz genau, welche Entwicklung Belegschaftsstärke und Arbeitsmarktsituation in einzelnen Wirtschaftszweigen genommen haben. Sie werden nicht verkennen, daß uns ein ausgesprochen sozialpolitisches Anliegen veranlaßt hat, im Sozialpolitischen Ausschuß diese Regelung vorzuschlagen. Sie haben im Grunde genommen diese Erkenntnis sogar anerkannt, nur wollten Sie einen anderen Weg wählen, nämlich den Weg über den Staat. Sie schlugen seinerzeit vor, dem Bergbau die Silikoselasten abzunehmen und überhaupt die ganze Frage der Unfallversicherung über den Staatssektor zu lösen.Darin unterscheiden sich eben unsere Auffassungen grundsätzlich, Herr Börner. Wir sind der Meinung, daß die Unfallversicherung — das wissen Sie ganz genau — eine Ablösung der Haftung der Unternehmen gegenüber den Arbeitnehmern ist und daß diese Haftungsablösung genossenschaftlich geregelt ist.Diese Probleme kennen Sie, wie gesagt, ganz genau. Sie wollen nur im Moment den Weg nicht mitgehen, den wir aus der richtigen Erkenntnis der genossenschaftlichen Haftung gehen wollen. Es ist nach unserer Auffassung einfach ein Ding der Unmöglichkeit, diese Haftung von der Wirtschaft zu nehmen und dem Staat aufzuerlegen. Hierin unterscheiden wir uns grundsätzlich.Noch eines! Sie stellen es heute so hin, als ob diese Frage der Gemeinlast, wie Sie die Altlastverteilung nennen — es ist keine Gemeinlast —, nicht schon überhaupt — —
— Sie war ja bereits, Herr Schellenberg, seit Anno Tobak — bereits seit 1880 — im Gesetz verankert,
Sie wissen also ganz genau, daß § 715 RVO — —
— Bitte?
— Ob er nie praktiziert worden ist, ist eine andere Frage, weil nämlich die heutige Situation — Gott sei Dank, müssen wir vielleicht sagen — in den letzten 80 Jahren noch nicht eingetreten war. Aber heute ist sie eben eingetreten. Sie müssen erkennen, wie sich die gesamte Belegschaftsentwicklung in der übrigen Wirtschaft von 1956 zu heute darstellt. Sie beträgt heute rund 114% gegenüber derjenigen von 1956, während es im Bergbau nur noch 82 % sind. Diese Diskrepanz können Sie nicht negieren, Sie müssen sie sehen und im Rahmen der Unfallversicherung — also sozialpolitisch — darauf Rücksicht nehmen.Ich wiederhole: Sie stellen es heute so hin, als ob die Gemeinlastregelung überhaupt niemals gesetzlich dagewesen wäre. Natürlich ist sie dagewesen. Sie ist seit 1880 als gesetzliche Bestimmung da. Im Jahre 1925, Herr Börner, ist sogar eine weitere Be-
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Dr.-Ing. Philippstimmung eingebaut worden, daß dann, wenn sich die Berufsgenossenschaften nicht einigen, durch Verordnung des zuständigen Ministers eine Regelung erfolgen soll.Sie haben eine Frage? Bitte, Herr Börner!
Herr Kollege Philipp, wenn Sie dieses Problem jetzt zu einer Auseinandersetzung über berufsgenossenschaftliches oder staatliches Denken machen wollen und uns dabei staatliches Denken anlasten wollen, sind Sie dann auch bereit, zuzugeben, daß das Argument, der Bergbau könne die Lasten nicht tragen, nur teilweise richtig ist und daß die Ertragslage im Bergbau in den verschiedenen Zechen genauso unterschiedlich ist wie die Ertragslage in anderen Branchen unserer Wirtschaft?
Herr Börner, das hat mit der Ertragslage an sich nichts zu tun. Ich habe versucht, Ihnen klarzumachen, daß es sich in erster Linie um ein sozialpolitisches Problem handelt, das sich aus der Änderung der Struktur unserer Volkswirtschaft ergeben hat. Das ist eben ein Unterschied. Sie wissen genau, daß bei den Berufsgenossenschaften die Kosten pro anno durch Umlage aufgebracht werden und daß diejenigen Betriebe im Bergbau, die jetzt stillgelegt werden, in der Zukunft für diese Lasten, die sie selbst verursacht haben, nicht mehr haften, sondern daß die Übrigbleibenden für diese Beträge haften müssen. Das sind Strukturfragen, die Sie doch nicht einfach negieren und auch nicht mit der Energiepolitik abtun können.
Ich muß daran erinnern, daß Sie dieses Problem im Ausschuß grundsätzlich auch erkannt hatten und daß Sie nur einen anderen Weg gehen wollten als wir, nämlich über den Staat. Wir wollten den Weg über die Wirtschaft gehen, weil die Selbsthilfe der Wirtschaft bei einer Änderung in der Volkswirtschaft unserer Politik entspricht.
Herr Börner, Sie sprachen dann von der Energiepolitik. Wir haben heute keine energiepolitische Debatte. Ich habe mich gefreut, eine Große Anfrage der Fraktion der SPD zur Energiepolitik vorzufinden. Aber in der Sozialdebatte sagen Sie: Es ist keine sozialpolitische Angelegenheit, und in Ihrer Anfrage zur Energiepolitik finde ich zu meinem Erstaunen ebenfalls kein Wort über dieses Problem. Ich möchte Ihnen mit Herrn Blank sagen, ich bin erstaunt über diese Einstellung. Die Bergarbeiter an Rhein und Ruhr werden sich darüber ihre eigenen Gedanken machen.
Ich hatte hervorgehoben, daß diese Regelung bereits seit 80 Jahren eine gesetzliche Grundlage hat und daß sie auch heute schon praktiziert wird. Ich kenne einen Berufsgenossenschaftszweig, eine Sektion der Bergbauberufsgenossenschaft, in der das Prinzip der Gemeinlast intern bereits praktiziert wird. Der Aachener Bergbau, der niederrheinische Bergbau und rheinische Braunkohlenbergbau tragen bereits heute jährlich 8 Millionen DM des toten
Erzbergbaus, mit dem diese Wirtschaftszweige weder verwandt noch verschwägert sind. Hier wird also bereits intern in einer Berufsgenossenschaft der Grundsatz der Gemeinlast praktiziert. Und Sie stellen sich hier hin, als ob es eine Gemeinlast überhaupt nicht gäbe.
Sie sagen, die Unfallverhütung werde dadurch gefährdet. Das ist absolut nicht der Fall. Sie wissen ganz genau, daß auch heute trotz dieser Maßnahmen das Verhältnis der Lasten immer noch 1 : 7 ist, also der Bergbau auch nach dieser Gesetzeslage noch den siebenfachen Betrag zu leisten hat und daß nur die alten Lasten abgenommen werden, die zehn Jahre zurückliegen.
— Selbstverständlich, die Gefahrklassen und die Gefahrtarife, die wir in der Berufsgenossenschaft haben, werden nicht angetastet und bleiben nach wie vor bestehen.
Ich möchte also zusammenfassend sagen: Sie haben keine Argumente vorgetragen, die irgendwie geeignet wären, uns von dem vorliegenden Antrag abzubringen. Ich muß feststellen, ich bin erschüttert, daß Sie uns einfach keine Lösung dieses sozialpolitischen Problems vorlegen können. Sie machen der Regierung den Vorwurf, die Dinge laufen zu lassen. Ich muß Ihnen den Vorwurf machen, daß Sie die sozialpolitischen Dinge genauso laufen lassen und überhaupt jede Konzeption vermissen lassen.
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Balke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte vorschlagen, daß wir das jetzt anstehende Problem von Emotionen freihalten und uns wieder einmal auf die Tatbestände zurückziehen.
Es sind hier zwei Probleme angesprochen worden. Das eine ist die Energiepolitik, und das andere ist ein Problem, das wir über die Unfallversicherung lösen wollen; zwei Gegensätze, wenn Sie so wollen.Nun, die energiepolitische Frage, die Sie angesprochen haben, Herr Börner, liegt uns auch sehr am Herzen, und ich muß gestehen, mir wäre es auch lieber, diese Frage wäre über eine Energiewirtschaftspolitik gelöst worden. Dieses Problem ist aber nicht nur bei uns ungelöst. Wenn Sie sich in der Welt umschauen: in allen Industriestaaten einschließlich der Vereinigten Staaten von Amerika warten wir immer noch auf eine nationale und internationale — in integrierten Räumen — Energiewirtschaftspolitik. Sie wissen, daß dieses Problem im Gemeinsamen Markt, in den sechs EWG-Staaten, eine genauso große Rolle spielt wie bei uns und daß dieses Problem vorerst nicht zu lösen ist. Es ist
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Dr.-Ing. Balkealso, glaube ich, wenig sinnvoll, wenn man irgendeiner Regierung, auch der unsrigen, vorwirft: „Das energiepolitische Problem ist noch nicht gelöst." Die Lösung wird leider noch einige Zeit auf sich warten lassen.Wir haben hier einen anderen Tatbestand. Es handelt sich darum, eine Altlast abzulösen. Ich möchte bitten, eine Altlast von einer Gemeinlast zu unterscheiden. Unter einer Gemeinlast würden wir eine Belastung verstehen, die laufend weitergeht und unabsehbare Folgen hat.
Dagegen wäre ich auch. Hier handelt es sich nur um die Ablösung einer Altlast bei einer Wirtschaftsgruppe, bei einem Gewerbezweig, der, wie wir wissen, nicht in der Lage. ist, diese aus seinen eigenen Erträgen zu decken. Und jetzt ist eine methodische Frage entstanden: Soll man das über die Betroffenen lösen, in diesem Falle über die gewerblichen Berufsgenossenschaften — die landwirtschaftlichen sind nicht angesprochen —, oder soll man es, wie Sie vorschlagen, durch eine allgemeine staatliche Belastung, die also den einzelnen Staatsbürger trifft, machen? Auf jeden Fall würde ja auch bei Ihrem Vorschlag die Belastung von der Wirtschaft aufzubringen sein. Ob sie das nun über ein bekanntes System der Sozialversicherung aufbringt oder auf Grund eines neuen Gesetzes mit der Verteilung einer solchen Last auf alle Schultern — es bleibt immer die Aufgabe, diese Summe aus dem Sozialprodukt zu decken, ganz gleich, welchen Weg Sie wählen.Es ist also meiner Ansicht nach eine Frage der Zweckmäßigkeit, wie man so etwas macht. Hier hat sich die Lösung über die Unfallversicherungsträger angeboten. Der Herr Bundesarbeitsminister hat klargelegt, daß das gar nicht so einfach war; das wissen wir. Der erste Vorschlag, Gruppen zu bilden, die auf Grund ihrer besseren Ertragslage diese Last übernehmen könnten, ist verfassungsrechtlich bedenklich gewesen. Nun hat sich ein Vorschlag herausgebildet, der vielleicht — ich weiß es nicht, ich bin kein Verfassungsjurist — auch noch Angriffspunkte bieten kann, der aber doch wenigstens praktikabel erscheint.Und nun möchte ich zunächst einmal den Beschluß vorlesen, den der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften in einer ordnungsgemäß einberufenen außerordentlichen Mitgliederversammlung, die praktisch vollzählig besucht war, gefaßt hat, und zwar mit großer Mehrheit. Sie wissen, im Hauptverband hat jede Berufsgenossenschaft zwei Stimmen, ein Arbeitgeber und ein Versicherter. Dieser Beschluß ist ordnungsgemäß mit praktisch vollständiger Mehrheit zustande gekommen. Er stellt aber, das möchte ich klarstellen, keine Empfehlung und keinen Vorschlag dar.
— Das können diese ja gar nicht, das müssen sie unter sich ausmachen. — Der Beschluß lautet:Auf der außerordentlichen Mitgliederversammlung des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften wurde nach langen Auseinandersetzungen folgende Entschließung gefaßt:Zur Konsolidierung der durch die anerkannt hohe Last der Bergbauberufsgenossenschaft entstandenen schwierigen Lage hat die Mitgliederversammlung zur Abwendung einer Gemeinlast im Sinne des Artikels 2 a des Entwurfs des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes äußerstenfalls folgende Regelung mit dem System der gesetzlichen Unfallversicherung für vereinbar erachtet:1. Artikel 2 .a des Entwurfs wird gestrichen.2. Artikel 2 a erhält folgende neue Fassung:„Die Rentenlast der Bergbauberufsgenossenschaft aus Versicherungsfällen vor dem 1. 1. 53 tragen von dem 1. 1. 63 ab die gewerblichen Berufsgenossenschaften gemeinsam."3. Die Verteilung dieser Last erfolgt im Verhältnis ihrer Lohnsummen.Viertens kommt eine Bestimmung, die noch diskutiert werden müßte: „Das Nähere bestimmt der Bundesminister für Arbeit."Ich glaube, nach Lage der Dinge entspricht der Antrag unserer Fraktion der Sachlage am besten. Ich will aus den Gründen, die ich genannt habe, gar nicht behaupten, daß es eine ideale Lösung wäre.
Aber wir sollten auf diesem Wege nicht versuchen, eine Regelung zu finden, die doch wieder auf eine Sozialisierungsmaßnahme hinausliefe. Deswegen glaube ich, daß es besser ist, die Beteiligten, die nun einmal zahlen müssen, in einem vernünftigen Maße heranzuziehen. Ich betone: das darf kein Präzedenzfall sein, auch nicht für den Gesetzgeber. Diese Methode darf nicht später wiederholt werden. Es geht nur um die Ablösung der Altlast für einen not-leidenden Gewerbezweig.
Darüber sind wir uns wohl in diesem Hause einig.Ich habe sehr viel Verständnis für die Argumente der SPD-Fraktion. Aber der Antrag, den Art. 2 a einfach ersatzlos zu streichen, scheint mir der Sachlage nicht gerecht zu werden. Deshalb glaube ich, wir tun im allgemeinen Interesse des Bergbaus und der Volkswirtschaft — —
— Richtig, Herr Kollege Stingl. Ideal ist die Lösung nicht, aber sie ist praktikabel. Sie schafft ein Problem aus der Welt, das uns sonst noch sehr lange nutzlos beschäftigen wird. Ich glaube, wir können diese Lösung mit gutem Gewissen vertreten und den Antrag der CDU/CSU-Fraktion annehmen.
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Das Wort hat Herr Abgeordnete Dr. Atzenroth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe das Wort erbeten, uni den Änderungsantrag Umdruck 215 zu begründen. Dieser Änderungsantrag betrifft nicht das Problem, ob es richtig ist, die Altlast des Bergbaus auf die Berufsgenossenschaften zu übertragen, sondern bei ihm wird die Annahme des Änderungsantrags Umdruck 197 unterstellt.
Der Änderungsantrag Umdruck 197 birgt aber noch Schwierigkeiten in sich. Das hat sich daran gezeigt, daß eine Reihe von Vertretern der Berufsgenossenschaften zwar zum Teil in der Sitzung, von der Herr Professor Balke gesprochen hat, ihre Zustimmung gegeben haben, zum Teil aber auch den Beschluß abgelehnt haben. Dabei ist auf die Schwierigkeiten hingewiesen worden, die sich bei der Annahme dieses Antrags eventuell ergeben könnten.
Durch die Übernahme der Altlast des Bergbaus soll dem Bergbau geholfen werden. Seine Lasten sollen von ungefähr 13 % der Lohnsumme auf etwa 7 % gesenkt werden. Das sind globale Zahlen. Andere Berufszweige müssen also eine neue Last auf sich nehmen, und zwar in ganz unterschiedlicher Höhe. Es gibt Berufszweige, bei denen die Verhältnisse ähnlich wie beim Bergbau gelagert sind. Es gibt Berufszweige, die auch eine sehr alte Last tragen, weil sie verhältnismäßig viele Unfälle hatten. Berufszweige, die früher in großer Zahl in den Ostprovinzen des Reiches ansässig waren und infolgedessen die Unfallverletzten aus diesem Bezirk heute noch mit betreuen müssen, erleben dasselbe wie der Bergbau, nämlich die Tatsache, daß die Zahl ihrer Arbeitnehmer nach 1945 abgesunken ist und immer weiter absinkt, so daß sich die Lasten auf eine kleinere Lohnsumme verteilen. Das sind alles Argumente, die auch der Bergbau vorbringt. Mir ist von einem Teil der in einer Berufsgenossenschaft verpflichteten Mitglieder bekannt, daß dort eine Umlage, so linear durchgeführt, wie das hier vorgeschlagen wird, die Belastung von 3% der Lohnsumme auf 5% anheben würde, so daß zwischen dem Bergbau und diesem Berufszweig nur noch die kleine Spanne von 2% bestehen würde.
— Ja, das ist die Sägeindustrie. Bitte, Herr Stein, das können Sie nachrechnen. Wir stehen also vor der Gefahr, daß in einiger Zeit das Problem, das sich beim Bergbau stellt, bei einem anderen Berufszweig wieder auftaucht. Bei der Textilindustrie ist die Belastung nicht ganz so kraß, jedenfalls nach dem, was mir diese Kreise mitteilen.
Aus diesen Gründen schlagen wir vor, die Umlegung dieser Altlast nicht einfach linear nach dem Verhältnis der Lohnsummen vorzunehmen, sondern dabei die eigene Belastung aus Versicherungsfällen, die sich vor dem 1. Januar 1953 ereignet haben, angemessen zu berücksichtigen.
— Auf diesen Zwischenruf habe ich gewartet, denn Herr Professor Balke hat mir dieselbe Erklärung abgegeben, daß es in der Möglichkeit der Berufsgenossenschaften liege. Wenn das der Fall ist, ist unser Antrag hinfällig. Wenn ich diese Bestätigung bekommen könnte, würde ich unseren Antrag gern zurückziehen. Aber aus dem Wortlaut dieses Antrags kann ich das leider nicht entnehmen. Denn in dem Antrag auf Umdruck 197, Herr Professor Balke, heißt es wörtlich:
Die Beiträge der Mitglieder einer Berufsgenossenschaft für deren Anteil an der gemeinsamen Last werden ausschließlich nach dem Entgelt der Versicherten in den Unternehmen umgelegt.
— Ja, das heißt doch, die Lohnsumme ist maßgebend, nicht aber der Anteil an der eigenen alten Last vor dem 1. Januar 1953. Hier herrscht doch das Begehren nach einem größeren Maß an Gerechtigkeit vor.
— Ich habe doch nicht von Einzelbetrieben gesprochen, 'sondern von einem oder mehreren Berufszweigen.
Ich habe klarzulegen versucht, daß hier Ungerechtigkeiten entstehen, daß ganze Berufszweige — ich habe die Sägeindustrie genannt — dadurch in dichte Nähe des Bergbaus kommen. Wir werden dann in einigen Jahren bei diesen Industrien vor dieselbe Frage wie heute beim Bergbau gestellt sein.
Ich müßte eigentlich annehmen, daß die SPD meinem Antrag zustimmt. Die Ausführungen von Herrn Kollegen Börner haben gezeigt, daß er gleichartige Erfahrungen gemacht hat. Ich wäre Ihnen also dankbar, wenn mein Antrag angenommen würde oder wenn die entstandenen Unklarheiten geklärt werden könnten.
Herr Abgeordneter Börner, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Balke hat in dankenswerter Objektivität und, wie ich meine, auch in sehr richtiger Betrachtung dieses Problem als relativ bezeichnet und praktisch als das kleinere Übel angesehen, wenn auch das Wort von ihm nicht genannt wurde. Ich hätte mich in dieser Debatte nicht noch einmal gemeldet, wenn hier in der Argumentation unseres verehrten Kollegen Dr. Philipp nicht wieder bestimmte Klischeevorstellungen angeklungen wären, die der SPD in dieser Frage Motive unterschieben, die einfach nicht den Tatsachen entsprechen. Daß wir heute mit diesem
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2866 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963
BörnerGesetz in diese schwierige Lage gekommen sind, liegt nicht an der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, sondern an Ihnen, die Sie praktisch bis gestern abend 11 Uhr an dieser Frage herumgebastelt haben, ohne daß sich die anderen Fraktionen des Hauses bis heute morgen über Ihre Änderungsvorschläge haben Gedanken machen können.Man muß hier darauf hinweisen, daß es nicht darum geht, dem Kumpel an der Ruhr etwas nicht zu gönnen. Ihr Vorschlag dient nicht zur Unterstützung der Arbeiter an der Ruhr, sondern zur Unterstützung der Unternehmer. Wir müssen auch das Argument zurückweisen, daß die Sozialdemokraten keine eigenen Vorstellungen entwickelt hätten. Wer den Kumpels an der Ruhr helfen will, der muß ,das Problem der Altersgrenze im Bergbau und das Problem der Silikose mit einem Gesetzesantrag anpacken, und er wird die Zustimmung der sozialdemokratischen Fraktion haben.
Da ist doch bisher von Ihnen allerhand versäumt worden. Sie können doch nicht so tun, als seien mit dem, was in Ihrem Antrag steckt, morgen der Arbeitsplatz und die soziale Situation des Kumpels an der Ruhr ein für allemal gesichert. Wir sind bei Ihrem Argument, daß hier die Selbsthilfe der Wirtschaft zum Tragen kommen müsse, versucht, Ihnen auch einmal zu sagen, daß die Krise an der Ruhr letztlich nicht nur eine Frage der freien Marktwirtschaft ist, sondern im Gegenteil gerade durch Maßnahmen ausgelöst worden ist, die in der nationalen Wirtschaftspolitik oder auch in der übernationalen Wirtschaftspolitik gewisse Bedeutung haben.
— Ja, ich kann mir vorstellen, daß es Ihnen immer wieder ganz gerne zustatten kommt, daß heute eben keine Energiedebatte ist. Wenn Sie aber eine wirtschaftpolitische Frage praktisch mit sozialpolitischer Ummantelung vortragen, dann müssen Sie sich schon gefallen lassen, daß wir auf Ihre Versäumnisse bei anderer Gesetzgebung zu sprechen kommen.Meine Damen und Herren, wer so tut, als wäre hier die einzelne Zeche an der Ruhr mit ihren Arbeitnehmern betroffen, der muß auch gestatten, daß man über die Dividenden an der Ruhr einmal spricht. Deshalb glaube ich, daß das hier keine geeignete Methode ist, den wirklichen Problemen der Ruhr beizukommen.Zum Schluß möchte ich noch einmal gesagt haben, daß das, was Sie hier vorschlagen, dem Kumpel an der Ruhr in keiner Weise hilft, sondern nur das Problem des deutschen Bergbaus auf eine andere Ebene verlagert, wo es nicht hingehört. Wir Sozialdemokraten sind bereit, mit Ihnen jede sozialpolitische Maßnahme zu diskutieren, die dem Bergmann an der Ruhr hilft, weil wir glauben, daß das Argument richtig ist, daß wir hier alle eine Verpflichtung haben. Aber was Sie hier machen, meine Damenund Herren, ist der ungeeigneste Weg zur Lösung einer sehr schwierigen wirtschaftspolitischen Frage.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ollesch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bedaure die letzten Ausführungen des Herrn Kollegen Börner. Herr Kollege Börner, so sollten wir die Dinge nicht sehen. Die Entlastung des Bergbaus durch die Umverteilung der alten Last dient nicht nur dem Vorteil der Unternehmer, sie dient auch dem deutschen Bergbau schlechthin, zu dem die Unternehmer wie die Betriebsangehörigen des Bergbaus gehören.
Ich habe in den Stellungnahmen der IG Bergbau und Energie, der ich angehöre, andere Töne gehört als die, die Sie gerade hier vorgetragen haben, nämlich positive Stellungnahmen zum Antrag der CDU/CSU, von dem ich hoffe, daß er hier angenommen werden wird.
— Herr Professor Schellenberg, erlauben Sie uns, daß wir einmal irren können und zulernen und daß wir bei einem so schwierigen Problem uns auch von den Betroffenen einmal beraten lassen! Das gestehe ich Ihnen ehrlich: Wir hätten das etwas früher tun sollen. Aber Sie wissen ja, wie die Dinge laufen. Das wird Ihnen wahrscheinlich noch genauso oft passieren, wie es uns passieren wird. Ich meine, wir sollten dieses Problem — Arbeiterfreundlichkeit — nicht mit anderen Anträgen sozialpolitischer Art vermischen, über die demnächst hier entschiede; werden wird. Herr Börner, ich glaube, das kann kein Maßstab für die Entscheidung heute sein. Ich möchte nicht einen leichten Anflug dahingehend hier im Raum lassen, als wenn die Dividendenzahlung, über deren Höhe man sich von der Wirklichkeit weit abweichende Vorstellungen macht, durch die heute zu beschließenden Maßnahmen irgendwie betroffen werden sollte. Diese Maßnahme heute dient dem Bergbau schlechthin, sowohl den Unternehmern wie auch mir persönlich, der ich Arbeitnehmer innerhalb des deutschen Bergbaus bin.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Scheppmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Kollegen Börner veranlassen mich, zu diesen Dingen etwas zu sagen. Herr Kollege Börner, Sie haben zum Ausdruck gebracht, daß der Vorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP nicht den Kumpels an der Ruhr — so sagten Sie —, sondern nur den Unternehmern dienen werde. Ist Ihnen der Brief, der von der IG Bergbau und Energie an Ihre
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963 2867
ScheppmannFraktion gerichtet worden ist, nicht bekannt? Ich glaube, da steht etwas anderes darin.
— Herr Schellenberg, ich rede hier nicht von Panzerschrank, sondern ich rede davon, daß ein Schreiben von der zuständigen Arbeitnehmerorganisation des Bergbaus an Sie ergangen ist.Hier ist schon dargelegt worden, wie die Situation im Bergbau ist. Ich weiß, daß wir hier keine Energiedebatte führen. Aber eines darf doch wohl mit aller Klarheit gesagt werden. Herr Börner, wenn Sie den Namen „Kumpel" in den Mund nehmen, dann ist damit noch längst nicht gesagt, daß Sie die Dinge im Ruhrbergbau im einzelnen so genau kennen.
Ich glaube, daß ich mir erlauben kann, über diese Dinge etwas anderes zu sagen, weil ich den Bergbau wirklich erlebt habe und ihn aus der praktischen Arbeit heraus kenne.
Im Augenblick liegen die Dinge so, daß der Bergbau in einer schwierigen Situation ist. Wir alle sind bemüht, den Bergbau aus ihr herauszuführen, um auch die Arbeitsplätze für die Kumpel — um den Ausdruck zu gebrauchen — zu sichern.
Wir wissen, daß die Umlage zur Berufsgenossenschaft im Bergbau bei 15.5% liegt, d. h., daß 15 % von der Lohn- und Gehaltssumme eine große Belastung allein für den Bergbau darstellt. Wir wollen durch unseren Antrag bewerkstelligen, daß diese hohe Belastung nunmehr auf 7 % heruntergedrückt wird. Ich glaube, das ist ein wesentlicher Beitrag dazu, die soziale Sicherheit für die im Bergbau Beschäftigten in bester Weise zu fördern und zu sichern.
Deshalb bin ich der Meinung, daß man den Antrag, den die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP hier vorgelegt haben, wirklich unterstützen sollte. Wenn Sie sonst bei jeder Gelegenheit sagen, die SPD unterstütze alle Wünsche und Forderungen der Gewerkschaften, dann muß ich eigentlich jetzt von Ihnen erwarten, daß Sie diesem Antrag zustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Ruf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst noch dem Herrn Kollegen Atzenroth sagen, daß die Mehrbelastung für die übrigen Berufsgenossenschaften durch die Verteilung der Altlast des Bergbaus 22 Pf je 100 DM Lohnsumme betragen wird. Dabei sind allerdings die 30 000 DM Freibetrag, die in unserem Antrag vorgesehen sind, noch nicht berücksichtigt.
Nun tut es mir leid, daß ich noch bitten muß, folgende Änderung in unserem Antrag Umdruck 197 vorzunehmen. Ich bitte Sie, — —
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter! Umdruck 197? Haben Sie das schriftlich?
Das habe ich schriftlich. Ich reiche es Ihnen gleich herauf.
In § 2 Abs. 2 wird der zweite Satz zu Abs. 3, und dieser Abs. 3 bekommt folgenden Wortlaut:
Bei der Regelung nach Absatz 1 und 2 bleibt eine Jahreslohnsumme bis 30 000 Deutsche Mark je Mitglied außer Ansatz.
Wir wollen damit sagen, daß sich diese Regelung — 30 000 DM genereller Freibetrag — nicht nur auf Abs. 2, sondern ganz selbstverständlich auch auf Abs. 1 beziehen soll.
Herr Abgeordneter Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Änderungsantrag, den Herr Kollege Ruf soeben vorgetragen hat, zeigt, wie unausgegoren die Angelegenheit mit der Gemeinlast ist. Der Antrag verändert erheblich die finanzielle Struktur gegenüber der Fassung des ursprünglichen Antrages und zeigt, daß Sie bei Ihrer Nachtarbeit sehr unter Zeitdruck standen,
als Sie beschlossen, hier im Plenum einen wichtigen Änderungsantrag zur Lastenverteilung einzubringen.
Im übrigen, Herr Kollege Ruf, Sie haben von 22 Pfennig je 100 DM Lohnsumme gesprochen. Die Beitragserhöhung beträgt, da man praktisch das Aufkommen des Bergbaus absetzen muß, 22 % der gegenwärtigen Beitragssätze. Wenn für die Beiträge eine Lohnsumme bis je 30 000 DM — wie der Änderungsantrag lautet — außer Ansatz bleiben soll,
so ergibt sich eine Erhöhung aller Beiträge zu den Berufsgenossenschaften von über 30%. Das ist der wirtschaftliche Inhalt der Gemeinlastverfahren.
Keine weiteren Wortmeldungen. Wir kommen zur Abstimmung.
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2868 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963
Präsident D. Dr. GerstenmaierIch lasse zunächst abstimmen über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 189 Ziffer 20 — Art. 2 a —; das ist ohne Zweifel der weitestgehende Antrag. Nach ihm soll der Art. 2 a einschließlich Anlage 3 gestrichen werden. Wer diesem Änderungsantrag der Fraktion der SPD zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. —Gegenprobe! — Das letztere ist die Mehrheit; der Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 189 Ziffer 20 ist abgelehnt.Nun kommen drei Änderungsanträge zu dem Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Umdruck 197.Ich lasse zunächst abstimmen über den Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 215. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen
— ach, so hochdramatisch ist es gar nicht — ist der Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 215 abgelehnt.Nun folgt der Änderungsantrag der Abgeordneten Porten, Burgemeister, Wieninger, Soetebier und Genossen zum Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Umdruck 197. Es handelt sich um den Änderungsantrag auf Umdruck 212.
— Ich lasse jetzt über den Änderungsantrag auf Umdruck 212 abstimmen. Herr Abgeordneten Burgemeister, wollen Sie dazu etwas sagen?
— Aber Sie dürfen nur zur Abstimmung sprechen.
Nachdem der Antrag gestellt worden ist, einen neuen Abs. 3 einzufügen, muß auch auf dem Antrag Umdruck 212 an Stelle „Abs. 2" „Abs. 3" eingesetzt werden.
Wo muß es heißen „Abs. 3"?
Es muß heißen: In Artikel 2 a wird in § 2 Abs. 3 ...
Das wird korrigiert, meine Damen und Herren. Jedermann hat es mitbekommen. Wir stimmen also ab über den redigierten Antrag der Abgeordneten Porten, Burgemeister, Wieninger, Soetebier und Genossen auf Umdruck 212. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe!— Ich muß die Abstimmung wiederholen lassen. Wer diesem Änderungsantrag auf Umdruck 212 zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! -- Das letztere halte ich für die Mehrheit; der Änderungsantrag auf Umdruck 212 ist abgelehnt.Jetzt der Änderungsantrag Umdruck 214 der Abgeordneten Dr. Jungmann, Dr. Franz, Frau Welter zum Änderungsantrag Umdruck 197 der Fraktionen der CDU/CSU, FDP. — Herr Dr. Jungmann, wollen Sie zur Abstimmung sprechen?
— Tut mir leid; jetzt sind wir in der Abstimmung. Ich kann Ihnen das Wort nicht geben.
— Einen Schriftführer können Sie dafür nicht haftbar machen.
Tut mir leid!Wer diesem Änderungsantrag Umdruck 214 zustimmen will, gebe ein Handzeichen. — Ich habe den Eindruck, einzelne überlegen sich das noch.
Gegenprobe! — Enthaltungen? — Meine Damen und Herren, icht halte das erste für die Mehrheit; aber wenn mich die Schriftführer fragend ansehen, ist das doch keine Zustimmung.
Die Abstimmung muß wiederholt werden. Wer diesem Änderungsantrag Umdruck 214 — Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Jungmann, Dr. Franz usw. — zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Das ist erst einmal eine Minderheit. Enthaltungen? — Das ändert nichts am Bild. Der Antrag ist angenommen; denn das erste war eine klare Mehrheit. Wenn diejenigen, die sich enthalten haben, mit Nein gestimmt hätten, wäre der Antrag durchgefallen.Jetzt geht es weiter mit dem Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP Umdruck 197. Wer dem Änderungsantrag Umdruck 197 in der durch die Annahme des Änderungsantrags Umdruck 214 geänderten Fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; der Änderungsantrag Umdruck 197 ist in der geänderten Fassung angenommen.Damit ist Art. 2 a zur Abstimmung gestellt. Wer dem Art. 2 a in der so geänderten Fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. —Gegenprobe! — Enthaltungen? — Art. 2 a ist in der so geänderten Fassung angenommen.Nun Art. 3. Ich rufe auf die §§ 1, —2 — und 2 a.— Soweit keine Änderungsanträge. Wind das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. — Wer den aufgerufenen §§ 1, 2 und 2 a zustimmen will, gebe ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Jetzt der Änderungsantrag auf Umdruck 198, ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU. Ich frage, ob zur Begründung das Wort gewünscht wird? — Bitte sehr!
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963 2869
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Auftrag, den Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion auf Umdruck 198 zu begründen. Unser Antrag bezweckt die Einfügung eines neuen § 2 b in Art. 3. Dies erscheint notwendig, um die in § 1504 der Reichsversicherungsordnung vorgesehene Veränderung auch für bestimmte Betriebsunfälle vor Inkrafttreten des Gesetzes berücksichtigen zu können. Im Gegensatz zum alten Recht, nach dem 45 Tage bestimmend waren, sieht die neue Fassung vor, daß seitens der Unfallversicherung der Krankenversicherung bestimmte Kosten für Arbeitsunfälle vergütet werden, die nach Ablauf von 18 Tagen nach dem Arbeitsunfall entstehen. Mit unserem Antrag sind allerdings nur Unfälle gemeint, die nicht früher als am 45. Tage vor dem Inkrafttreten des Gesetzes eingetreten sind. Ich möchte Sie um Annahme dieses Antrags bitten.
Wird dazu das Wort gewünscht? — Keine weiteren Wortmeldungen.
Ich lasse abstimmen über den soeben begründeten Änderungsantrag Umdruck 198 betreffend die Einfügung eines neuen § 2 b. Wer zustimmen will, gebe ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist einstimmig angenommen. Damit ist ein § 2 b eingefügt.
Meine Damen und Herren, es tut mir leid, ich muß noch einmal zu Art. 3 § 2 zurück. Ich wurde darauf aufmerksam gemacht, daß in diesem Paragraphen, über den wir soeben abgestimmt haben, in die zweite Zeile noch eingefügt werden muß: § 558 Abs. 3. Ich nehme an, daß sich die Sachverständigen aller Fraktionen darüber einig sind. Ich möchte es jetzt und nicht in der dritten Lesung korrigieren. Meine Herren Sachverständigen, stimmt das so?
— Ich stelle fest: Auf Seite 139 wird unten in die zweite Zeile des § 2 eingefügt: § 558 Abs. 3. Ist das Haus einverstanden? — Es ist so beschlossen.
Nun kommt § 3. Hierzu liegt der Änderungsantrag Umdruck 199 der Fraktion der CDU/CSU vor. Wird das Wort zur Begründung dieses Antrags gewünscht? — Keine Wortmeldung. Ich lasse abstimmen. Wer dem Änderungsantrag Umdruck 199 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ebenfalls einstimmig angenommen.
Ich lasse über § 3 im ganzen in der so geänderten Fassung abstimmen. Ich verbinde damit die Abstimmung über die §§ 4, 5 und 6, zu denen Änderungsanträge nicht vorliegen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen.—Gegenprobe!Enthaltungen? — Angenommen.
Ich rufe § 7 auf. Hierzu liegen wieder eine Reihe von Änderungsanträgen vor, sämtlich Änderungsanträge der Fraktion der SPD auf Umdruck 189. Ich rufe zunächst den Änderungsantrag Ziffer 21 auf. Herr Abgeordneter Killat bitte zur Begründung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß ich mit der Begründung des Antrags Ziffer 21 die Begründung der Anträge Ziffern 23 und 24 verbinden kann.
Einen Augenblick! Sie wollen also die Anträge Ziffern 23 und 24 gleich mitbegründen. Sie haben aber doch auch noch den Eventualantrag Ziffer 22.
Herr Präsident, die Anträge Zif fern 23 und 24 sind eine logische Folgerung aus dem Antrag Ziffer 21. Ist dieser Antrag angenommen, dann erübrigt sich die Abstimmung über den Antrag Ziffer 22.
Einverstanden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hoffe, daß wir bei dem, ich möchte sagen, letzten entscheidenden Antrag, den ich zu vertreten habe und der für die Versicherten, und zwar für die Altrentner, von außerordentlicher Bedeutung ist, doch eine Übereinstimmung erzielen können. Mit der Annahme des § 579 hat das Hohe Haus beschlossen, daß bei Veränderungen der durchschnittlichen Bruttolohn- und -gehaltssumme die vom Jahresarbeitsverdienst abhängigen Geldleistungen in der Unfallversicherung durch Gesetz angepaßt werden. Das ist heute zwingend und eindeutig beschlossen worden. Es wird für die Zukunft ebenso gelten wie bisher schon für die Versicherten in der Rentenversicherung.Aus Abs. 3 dieses Paragraphen geht weiter hervor, daß aus der analogen Anwendung der §§ 1272 und 1273 gewollt ist, daß auch die Unfallrenten jährlich, wie es in der Rentenversicherung der Fall ist, angepaßt werden. Insoweit begrüßen wir den heutigen Beschluß, und ich hoffe, daß nun für die praktischen Folgerungen hieraus die Zustimmung gefunden wird.In § 579 Abs. 2 wird, allerdings in einem für den Laien schwer verständlichen Amtschinesisch, bestimmt:Die Anpassung erstreckt sich auf Geldleistungen für Unfälle, die vor Beginn des zweiten vor dem Zeitpunkt der Anpassung liegenden Kalenderjahres eingetreten sind.Für den Laien ins Deutsche übersetzt heißt das, daß alle über zwei und mehr Jahre zurückliegenden Altrenten aus der Unfallversicherung entsprechend der inzwischen eingetretenen Veränderung des Bruttolohn- und -gehaltsniveaus angepaßt werden sollen. Wenn ich unterstelle, daß die Anpassung, wie es unser Vorschlag vorsieht, am 1. Januar 1963 erfolgt, so werden damit alle Unfallrenten erfaßt, die vor dem 31. Dezember 1960 bestanden haben.Zur Ergänzung möchte ich noch bemerken, daß die letzte Anpassung in der Unfallversicherung durch das Zweite Gesetz zur vorläufigen 'Neurege-
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2870 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963
Killatlung von Geldleistungen in der gesetzlichen Unfall-versicherung vom Dezember 1960 erfolgt ist. Durch jenes Gesetz wurden seinerzeit alle Unfallrenten angepaßt, die 1956 bis einschließlich 1958 als Altrentenbestand vorhanden waren. Die weiter zurückliegenden Altrenten waren schon mit dem Ersten Neuregelungsgesetz von 1957 angepaßt worden.Daraus ergibt sich, daß zur Anpassung alle seit dem 1. Januar 1959 in der Unfallversicherung neu festgesetzten Renten anstehen. Das sind also Renten, die heute schon über vier Jahre hinter der Einkommensentwicklung zurückliegen und deshalb selbstverständlich dringend einer Anpassung bedürfen.In den Übergangsvorschriften zu dem vorliegenden Gesetz ist allgemein keine Anpassung vorgesehen. Eine Ausnahme bildet die erstmalige Neufestsetzung der Jahresarbeitsverdienste für die Gruppe der Selbständigen in der Landwirtschaft. Hier wird vorgeschlagen, eine solche Anpassung mit Wirkung vom 1. Januar 1965 vorzunehmen. Dieses Verfahren, auf alle Unfallrenten übertragen, würde praktisch bedeuten, .daß ,die Bezieher nach dem 1: Januar 1959 festgesetzter Renten sechs Jahre lang keine Anpassung erhalten, obwohl wir heute in § 579 beschlossen haben, daß alle Renten, die mehr als zwei Jahre zum Anpassungszeitraum zurückliegen, der Lohn- und Gehaltsentwicklung angepaßt, d. h. erhöht werden sollen. Es kann wohl nicht in der Absicht dieses Hauses liegen, für den bezeichneten Kreis von Altrentnern die Anpassung bis zu sechs Jahren zurückzustellen.In der Begründung zu § 7 wird von den Antragstellern zwar gesagt, diese Vorschrift setze die „vierjährige Frist" des § 781 Abs. 1 „erstmalig in Lauf". Dabei verweist man auf die Verabschiedung des Ersten und des Zweiten Neuregelungsgesetzes von 1957 bzw. 1960. Aber wir alle wissen ja, daß die vorläufigen Neuregelungsgesetze für Geldleistungen in der Unfallversicherung seinerzeit nur verabschiedet wurden, weil der Bundestag weder in seiner zweiten, noch in seiner dritten, noch bisher in seiner vierten Legislaturperiode die seinerzeit vorliegenden Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetze verabschieden konnte. Wir dürfen deshalb annehmen — das darf man auch aus der Fassung der Anpassungsbestimmung, § 579, schließen—, daß die Anpassungsvorschriften aus der Rentenversicherung analog angewandt werden sollen. Dafür spricht auch der Vorschlag in Art. 3 § 8, wonach bei der erstmaligen Anpassung die Veränderung der Lohn- und Gehaltssumme zwischen den Kalenderjahren 1961 und 1962 berücksichtigt werden soll.Meine Damen und Herren, wenn bisher im Ausschuß eine von uns beantragte Anpassung noch nicht erreicht werden konnte, so ist dies wohl nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß eine irrtümliche Darstellung über den Stand der Anpassung der Unfallrenten abgegeben worden ist. In der Begründung zu § 579 dieses Entwurfs wird von den Antragstellern behauptet, daß alle Geldleistungen aus früheren Unfällen dem Stande der Lohnentwicklung vom 1. Januar 1961 angeglichen worden sind. Dieseunrichtige Darstellung wird auch nicht wahrheitsträchtiger, Herr Kollege Ollesch, wenn Sie sie in Ihrem Bericht wiederholen.Tatsache ist, und das läßt sich aus dem Zweiten Gesetz zur Neueregelung der Geldleistungen in der Unfallversicherung ersehen, daß die seit dem 1. Januar 1959 festgelegten Unfallrenten bis heute weder der inzwischen eingetretenen Lohnentwicklung noch der Entwicklung der allgemeinen Bemessungsgrundlage angepaßt worden sind. Diesbezügliche Anträge — auch seinerzeit im Hinblick auf die Rentenanpassung — sind immer wieder vom Hohen 'Hause mit der Begründung zurückgestellt worden: das soll mit der Verabschiedung des Reformgesetzes zur Unfallversicherung endgültig geschehen.Wenn in der Begründung auch des Herrn Berichterstatters zu § 7 noch einmal gesagt wird, daß die von der SPD angestrebte Anpassung im Augenblick 'nicht vorgenommen werden könne, weil das Ausmaß der Lohn- und Gehaltsentwicklung zwischen den Kalenderjahren 1961 und 1962 noch nicht bekannt sei, so ist auch das unrichtig. Ich verweise nur auf die Mitteilungen des Statistischen Wochendienstes vom 8. Februar 1963. In diesen Mitteilungen wird ausgewiesen, daß das Einkommen aus unselbständiger Arbeit für diesen Zeitraum um 10,6 % zugenommen hat. In diesem Bericht sind auch alle übrigen Faktoren — Volkseinkommen, Bruttosozialprodukt usw. — enthalten, so daß auch in dieser Beziehung kein Hinderungsgrund vorliegt, heute eine Anpassung zu beschließen.Ich möchte, ohne auf Einzelheiten unserer Vorschläge einzugehen, zu den vorliegenden Änderungsvorschlägen für die §§ 7, 7 a und 7 b — Umdruck 189 — nur darauf hinweisen, daß wir mit unseren Vorschlägen der Systematik des Ersten und des Zweiten Neuregelungsgesetzes zur Anpassung der Geldleistungen in der Unfallversicherung gefolgt sind. Ich möchte weiter darauf hinweisen, daß wir entsprechend dem heute beschlossenen § 579 vorschlagen, die Altrenten, die bis zum Jahre 1959 und bis zum 31. Dezember 1960 angefallen sind, mit Wirkung vom 1. Januar 1963 um 12 °/o zu erhöhen. Diese 12%ige Erhöhung entspricht der in dem gleichen Zeitraum vorgenommenen Anpassung der Arbeiter- und Angestelltenrenten und auch der Erhöhung der Lohn- und Gehaltssumme allein für das einzige Jahr 1961.Meine Damen und Herren, ich glaube, das Hohe Haus wird mir darin zustimmen, daß das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz, das Verbesserungen materieller und grundsätzlicher Art und größtenteils mit rückwirkender Kraft vorsieht, unvollständig wäre, wenn man nicht wenigstens die Altrenten aus den Jahren 1959 und 1960, die teilweise schon über 4 Jahre zurückliegen, anheben würde.Ich glaube, die Enttäuschung der Versicherten aus der Unfallversicherung, deren Schäden ja besonders schicksalhaft sind und die aus dem Berufs- und Erwerbsleben stammen, müßte grenzenlos sein, wenn mit der Verabschiedung dieses Gesetzes, das tatsächlich in großen Teilen einen Fortschritt für die gesamte Unfallversicherung darstellt, nicht auch für die Altrentner eine entsprechende Anpassung er-
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963 2871
Killatfolgte. Ich darf Sie bitten, unseren Anträgen unter den Ziffern 21, 23 und 24 Ihre Zustimmung zu geben.
Meine Damen und Herren, Sie haben die Begründung dieser Änderungsanträge gehört. Wird dazu das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Stingl!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Killat hat den Antrag der sozialdemokratischen Fraktion, die Altrenten anzuheben, sehr eingehend begründet. Ich gestehe ihm zu, daß er dazu so viele Argumente anführen mußte.
Meine Damen und Herren, wie sind der Meinung, daß die Neuregelung der gesetzlichen Unfallversicherung, wie wir sie vor uns haben, nicht zum Anlaß genommen werden sollte, jetzt schon die Altrenten anzuheben. Wir muten mit der Neuregelung den Beitragszahlern, den Unternehmen, sowieso eine ganze Menge Neubelastungen zu. Wir wollen, daß diese Neubelastungen, wie man so schön sagt — ich glaube, es ist ein nicht ganz korrektes Deutsch —, erst „verkraftet" werden. Dann mag sich dieses Hohe Haus wieder mit der Anpassung der Altrenten beschäftigen.
Herr Abgeordneter Killat.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Stingl, ich muß sagen, daß mir Ihr Argument, man mute den Unternehmern etwa zu, doch sehr mager erscheint. Ich will nicht davon sprechen, wie sehr Sie sich dafür eingesetzt haben — dafür haben Sie zum Teil auch gute Gründe —, daß beispielsweise in der Altlast zur Entlastung einer bestimmten Gruppe von Unternehmen Leistungen im Gemeinlastverfahren von allen aufgebracht werden sollen. Das sind einige hundert Millionen, die dort anfallen! Auf der anderen Seite haben Sie überhaupt nicht an die Rentner gedacht. Sie haben gar nicht von den Rentnern gesprochen, deren Renten seit über 4 Jahren keine Anpassung erfahren haben. Sie und Ihre Fraktion haben seinerzeit immer darauf hingewiesen: Wir müssen zuerst das Neuregelungsgesetz verabschieden; darin werden wir dann analoge Anpassungsbestimmungen auch für die Unfallrentner, wie sie für die Rentenversicherung gelten, aufnehmen.
Nun, meine Damen und Herren, ich gebe zu, es ist eine sehr eindeutig politische Frage, die jetzt durch Abstimmung entschieden wird. Auf jeden Fall möchte ich jetzt schon darauf hinweisen, daß Sie im Falle der Ablehnung die Unfallrentner wesentlich schlechter stellen als die Versicherten der Rentenversicherung, obwohl besonders Sie, Herr Kollege Stingl, in den Beratungen des Ersten und des Zweiten Anpassungsgesetzes der Unfallversicherung immer wieder darauf hingewiesen haben, daß die Unfallrenten schon durch die Berücksichtigung der unmittelbaren Jahresarbeitsverdienste immer aktuell sind und eigentlich immer aktualisiert werden sollten. Man kann sich noch darüber streiten, ob es in der Rentenversicherung einen unterschiedlichen Berechnungsmodus geben sollte. Dort wird in einem Anpassungszeitraum von vier Jahren jeweils ein Jahr bei der Anpassung ausgelassen. Aber für die Unfallgeschädigten, für die aus der Haftungsentwicklung heraus der jetzt entfallende Lohn oder das entfallende Gehalt ersetzt werden sollen, ist es völlig unverständlich, daß die Unfallrentner, die infolge eines Betriebsunfalles aus der Produktion ausgeschieden sind, nicht mindestens in gleichem Umfang an der Erhöhung teilhaben sollen wie die Rentner aus der Rentenversicherung. Wenn es nach uns gegangen wäre — wir wollten die Debatte und die Verabschiedung dieses Gesetzes nicht mehr aufhalten —, hätte man überhaupt eine noch aktuellere Anpassung beschließen müssen.
Wir bitten also noch einmal die Mehrheitsparteien, unseren Vorschlag zu prüfen und anzunehmen.
Keine weiteren Wortmeldungen. Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 189 Ziffer 21. Wer zustimmen will, gebe bitte ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Jetzt kommt der Eventualantrag Umdruck 189 Ziffer 22. Zur Begründung der Herr Abgeordnete Frehsee.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem vorhin so eingehend über den Bergbau gesprochen wurde, ist jetzt die Landwirtschaft an der Reihe, der andere Wirtschaftszweig, der sich in Nöten befindet.In dem Antrag Umdruck 189 Ziffer 22 wird gefordert, daß die nächste Festsetzung der sogenannten durchschnittlichen Jahresarbeitsverdienste in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung nicht erst zum 1. Januar 1965, sondern schon zum 1. Juli 1963 erfolgt. — Ich darf für die Kolleginnen und Kollegen, die nicht Spezialisten sind, sagen: Das sind fiktive Jahresarbeitsverdienste, nicht die tatsächlichen Jahresarbeitsverdienste. Diese sogenannten festgesetzten durchschnittlichen Jahresarbeitsverdienste in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung sind die Bemessungsgrundlage für die Unfallrenten der in der Landwirtschaft tätigen Selbständigen, also der selbständigen Bauern und Landwirte und ihrer Ehegatten. — Die letzte Festsetzung dieser sogenannten durchschnittlichen Jahresarbeitsverdienste erfolgte mit Wirkung vom 1. Januar 1961. Das ist also mehr als zwei Jahre her. Nun soll noch fast zwei Jahre gewartet werden, bis eine Neufestsetzung erfolgt.Die mit Wirkung vom 1. Januar 1961 festgesetzten durchschnittlichen Jahresarbeitsverdienste sind außerordentlich niedrig. Sie schwanken zwischen 2100 und 3240 DM im Jahr. Im Durchschnitt liegen diese sogenannten festgesetzten durchschnittlichen
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2872 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963
FrehseeJahresarbeitsverdienste in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung also bei 2700 DM. Die Unfallrenten der landwirtschaftlichen Arbeitnehmer werden nach dem Gesetz über die vorläufige Neuregelung der Geldleistungen in der Unfallversicherung, von denen der Kollege Killat soeben gesprochen hat, nach dem tatsächlichen Jahresarbeitsverdienst bemessen; sie sind davon also nicht betroffen. Auch die mithelfenden Familienangehörigen sind nicht davon betroffen; denn ihre Unfallrenten werden nach dein Dreihundertfachen des Ortslohnes bemessen. Nur die Bauern und Landwirte und ihre Ehegatten sind also hier betroffen, und um die geht es.Die Unfallrenten betragen bei einem durchschnittlichen Jahresarbeitsverdienst von 2700 DM im Durchschnitt der 18 landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften im Höchstfall 1800 DM — im Höchstfalle! —; das sind also 150 DM monatlich als Unfallvolirente. Im statistischen Durchschnitt betragen die Unfallrenten in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung nur etwas mehr als 50 DM im Monat.Meine Damen und Herren, das ist ein Mißstand, das ist ein sozialer Notstand, der bei den selbständigen Unfallrentnern in der Landwirtschaft zu verzeichnen ist. Wir müssen diesen sozialen Notstand beheben. Die sozialdemokratische Fraktion hat zu diesem Zweck im Zusammenhang mit der Beratung des Berichts der Bundesregierung über die Lage der Landwirtschaft vor wenigen Wochen einen Finanzierungsantrag eingebracht; er wird zur Zeit in den Ausschüssen beraten. Wie verlautet, hat auch die Bundesregierung Überlegungen in dieser Richtung angestellt. Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung vom 6. Februar Andeutungen in dieser Richtung gemacht. Meine Damen und Herren, wir sind der Auffassung, man kann nicht bis zum 1. Januar 1965 warten, sondern muß — auch unter dem Eindruck des Grünen Berichts, der ausgewiesen hat, daß die Einkommen der in der Landwirtschaft Tätigen um 38 % unter dem Einkommen der gewerblichen Arbeitnehmer liegen, die auf dem Lande wohnen — auch in dieser Beziehung sozialpolitisch, hier in der Unfallversicherung, schnell helfen. Das wollen wir mit dem Antrag unter Nummer 22 des Umdrucks 189 erreichen. Wir werden über die Situation im ganzen noch im Zusammenhang mit den vorgelegten zwei Entschließungsanträgen nach Abschluß der dritten Lesung 'zu sprechen haben, deswegen will ich mich jetzt beschränken und Sie nicht mehr strapazieren. Aber dem Antrag auf Umdruck 189, Nummer 22, muß entsprochen werden, wenn zum 1. Juli 1963, in welcher Form auch immer, eine Anhebung der Unfallrenten der Bauern und Landwirte und ihrer Ehefrauen erfolgen soll.Ich bitte deswegen um Zustimmung zu diesem Eventualantrag.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Berberich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Frehsee hat dargelegt, warum die Anpassung ab 1. Juli 1963 erfolgen soll. Aber das, was für eine Anpassung der durchschnittlichen Jahresarbeitsverdienste der Ausgangspunkt ist, nämlich die Beschaffung der Geldmittel, ist leider mit der Anpassung noch nicht erledigt. Herr Kollege Frehsee hat angekündigt, daß er bei der Beratung der Entschließungsanträge noch auf verschiedene Probleme zurückkommen wird. Das behalte ich mir ebenfalls vor. Da wir aber im Moment keine Möglichkeit sehen, die Beiträge so zu erhöhen, daß die Anpassung der durchschnittlichen Jahresarbeitsverdienste wirklich vernünftig durchgeführt werden kann, hat es keinen Sinn, die Anpassung ab 1. Juli zu verlangen, ohne sie realisieren zu können.
Herr Abgeordneter Killat.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Berberich erklärte, er sehe keine Möglichkeit, diesen Antrag zu realisieren, weil es an den nötigen Mitteln fehle. Ich möchte zu der Frage der Mittelbereitstellung hinsichtlich der Unfallversicherung generell darauf hinweisen, daß ja in der Unfallversicherung grundsätzlich die Beiträge als Kostenfaktoren entsprechend von der Volksgesamtheit getragen werden. Ich gebe zu, daß für die Landwirtschaft aus ihrer schwierigen Situation heraus noch besondere Schwierigkeiten bestehen. Wir glauben aber — gerade auch aus den Ankündigungen des Herrn Bundeskanzlers — gewisse Wege zu sehen, eine solche vorfristige Anpassung zu realisieren.Aber, meine Damen und Herren, warum ich mich eigentlich noch einmal zum Wort gemeldet habe: Sie schlagen einen Termin vor, den 1. 1. 1965.
Die erste Anpassung der Geldleistungen in der Unfallversicherung erfolgte mit einem Gesetz vom Juli 1957. Die zweite Anpassung erfolgte mit einem Gesetz vom Januar 1961, und Sie beabsichtigen, die nächste Anpassung zum 1. Januar 1956,,
das heißt mit einem vierjährigen Turnus vorzunehmen. In Ihrer Begründung zum Art. 3 § 7 haben Sie auch von einer „vierjährigen Frist" gesprochen, die mit diesem Vorschlag „erstmalig in Lauf" gesetzt werden sollte.Meine Damen und Herren von den Mehrheitsparteien, insbesondere von der CDU/CSU, ich möchte vor dieser Art der Sozialpolitik warnen.
Es kann auf die Dauer nicht hingenommen werden, daß nur in jedem Wahljahr die Anpassung erfolgt' und die Rentner und die Unfallgeschädigten drei oder vier Jahre lang warten müssen, bis sie in den Genuß der ihnen rechtlich zustehenden Anpassung kommen.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963 2873
KillatWir befinden uns dabei in bester Gesellschaft. Der Herr Bundespräsident Lübke hat in einer Rede vor der Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft — die „Welt" hat darüber in ihrer Ausgabe vom 4. März berichtet — u. a. auf die Verantwortlichkeit der Staatsbürger hingewiesen, deren Verantwortungsbewußtsein gestärkt werden müsse. Er hat auch die Verantwortlichen in der Politik gewarnt, indem er sagte, es gebe immer noch Politiker, die glaubten, sich um der Wahlen willen durch Geschenke beliebt machen zu müssen.
— Werter Herr Kollege, wir haben aus 'sachlichen Gründen immer dann Anträge gestellt, wenn sie sich aus der Situation heraus ergeben haben. Sie dagegen — das können wir auch jetzt wieder verfolgen; ich möchte beinahe sagen: 'daß es so plump gemacht werden würde, hätte ich gar nicht erwartet — wollen eine Vierteljahresfrist in Lauf setzen— Sie begründeten diese Absicht sogar —, und diese Frist fällt jedesmal in das Wahljahr.Ich glaube, es ist notwendig, die Öffentlichkeit einmal auf die Unmöglichkeit nicht nur dieser Art von Sozialpolitik, sondern dieser Art von Politik überhaupt hinzuweisen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 189 Ziffer 22. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag Umdruck 189 Ziffer 22 ist abgelehnt.
Nunmehr lasse ich über den § 7, nachdem alle dazu gestellten Änderungsanträge abgelehnt worden sind, in 'der vorliegenden Fassung abstimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe § 8 auf. Wird der Änderungsantrag Umdruck 189 Ziffer 25, § 8 zu streichen, begründet?
— Herr Kollege Schellenberg, keine Begründung des Streichungsantrags?
— Dann lasse ich über diesen Änderungsantrag Umdruck 189 Ziffer 25 abstimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.
Wer .dem § 8 zustimmen will, gebe bitte ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Reihe von Enthaltungen ist der § 8 angenommen.
Ich rufe auf die §§ 8 a und 9. Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Änderungsanträge liegen nicht vor. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die beiden Paragraphen sind angenommen.
§§ 10 und 11 entfallen.
Ich rufe den § 11 a auf. Dazu liegt der Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP auf Umdruck 200 Ziffer 1 vor. Wird zur Begründung des Änderungsantrags das Wort gewünscht? — Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Änderungsantrag Umdruck 200 der Fraktionen der CDU/CSU, FDP wird beantragt, Art. 3 § 11 a die vorgelegte neue Fassung zu geben und die §§ 11 b bis 11 d zu streichen. Wir bitten, dem Antrag zu entsprechen.
Wird dazu weiter das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jedermann in diesem Hause wird bereit sein, alles zu tun, um die Selbstverwaltung zu stärken. Wir Sozialdemokraten lassen uns in dieser Hinsicht von niemand übertreffen, was wir immer bewiesen haben. Aber wir haben doch sehr ernste Bedenken, einen eingetragenen Verein, nämlich den Hauptverband, mit einer so heiklen Aufgabe wie der Vorlage eines Planes zur Auflösung bzw. Zusammenlegung von Berufsgenossenschaften zu beauftragen. Ich will die rechtliche Seite der Angelegenheit, wie nämlich der Gesetzgeber das Anliegen gegenüber einem eingetragenen Verein durchsetzen könnte, hier nicht untersuchen. Sie werden uns darin zustimmen, daß der Hauptverband gegenüber seinen eigenen Mitgliedern dadurch in eine sehr schwierige Situation kommt.Ich darf Sie — vor allen Dingen die Mitglieder des Ausschusses für Sozialpolitik — daran erinnern, was wir in den letzten Tagen und Wochen hinsichtlich der Beschlußfassung des Ausschusses über die Frage Zusammenlegung und Auflösung erlebt haben. Es ist ein offenes Geheimnis, daß prominente Repräsentanten des Hauptverbandes an der Vorbereitung der Beschlußfassung über die Zusammenlegung nicht nur passiv, sondern recht aktiv beteiligt waren.
Als dann die Schwierigkeiten in der Öffentlichkeit auftraten, wurde von einsamen Beschlüssen des Ausschusses gesprochen und das auch in Mitteilungen an die Presse weitergegeben.
Solches Hin und Her passiert uns nur einmal.
Wir sind deshalb nicht bereit, einem eingetragenen Verein durch Gesetz einen Auftrag zu erteilen, der aus der Sache heraus für diese Einrichtung undurchführbar sein könnte. Wenn dies gewährleistet sein sollte, müßte dem Hauptverband der Sta-
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2874 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963
Dr. Schellenbergtus einer Körperschaft des öffentlichen Rechts gegeben werden, wie dies bei den Organisationen der Krankenversicherung Rechtens ist. Das ist hier nicht beantragt und wird nicht gewünscht. Aber ich mache darauf aufmerksam, daß das beantragte Verfahren unmöglich ist.Wenn hinsichtlich der Änderung der Organisation etwas getan werden soll — die Mitglieder des Ausschusses für Sozialpolitik sind doch wohl der Auffassung, das könnte aus Gründen einer zweckmäßigen Gestaltung der Verwaltung und besseren Unfallverhütung ratsam sein —, dann muß der Bundesregierung ein Auftrag erteilt werden, uns einen Gesetzentwurf hierüber vorzulegen. Wir haben einen diesbezüglichen Entschließungsantrag eingereicht. Selbstverständlich hätte dann die Bundesregierung vor Ausarbeitung dieser Regierungsvorlage die Verpflichtung, mit allen, die es angeht, die Dinge eingehend zu besprechen. Dann würde das Haus, dann würde der zuständige Ausschuß selbstverständlich bei Beratung der späteren Vorlage alle, die interessiert sind, eingehend hören. Aber die Methode, durch Gesetz einem eingetragenen Verein den Auftrag zu erteilen, Pläne zur Umorganisation der gesetzlichen Unfallversicherung vorzulegen, halten wir für nicht gangbar.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Balke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Schellenberg, Sie wissen, wir beide laufen, wenn wir hier sprechen, immer Gefahr, daß wir durch Sachkenntnis zu stark belastet sind. Ich möchte auf einen Irrtum hinweisen, der hier entstehen kann. Der Antrag, den Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften zu beauftragen, einen Plan vorzulegen, bedeutet ja nicht, daß der Hauptverband diesen Plan dann durchzuführen hat. Das ist nur ein Vorschlag für die gesetzgebenden Körperschaften, etwas Vernünftiges zu tun.
Nun lassen Sie mich ein ganz offenes Wort dazu sprechen. Dieses Problem ist ja für die Berufsgenossenschaften eines der schwierigsten, die sie zu lösen haben. Wir wissen, was das Wort — —
— Kennen wir. Nun ist wieder die Frage der zweckmäßigsten Lösung, und da sind Sie der Meinung, man sollte die Regierung beauftragen, einen Gesetzentwurf zu machen. Vielleicht habe ich ein Urteil darüber, welches Maß an Sachkenntnis man einer Regierung zumuten kann. Ich darf Ihnen versichern — ich glaube nicht, daß der Herr Bundesarbeitsminister mir widersprechen wird —: mit einem solchen Auftrag an eine Regierung ist sie ganz einfach überfordert.
Was würde die Regierung dann tun müssen? Sie
müßte denselben Kreis bitten, den wir hier direkt
ansprechen, ihr die Unterlagen zu geben. Ich bin der Meinung, es ist sehr vernünftig, wenn man die Sachverständigen, die in diesem Hauptverband doch vorhanden sind, bittet oder beauftragt, einen vernünftigen Plan vorzulegen. Der geht dann auf dem üblichen Wege an die gesetzgebenden Körperschaften, und dann können wir ihn zerreißen oder wir können ihn annehmen, je nach der Sachlage. Ich glaube, Herr Kollege Schellenberg, wir tun allen Beteiligten einen Gefallen, wenn wir dieses schwierige Problem zunächst einmal dahin geben, wohin wir es hinterher bei der Beratung doch geben. Sie werden wieder Hearings veranstalten, oder wir werden das tun, und dann sind wir nur ein Jahr später an dem Punkt, an dem wir gleich sein könnten.
Ich bitte Sie, Ihre Bedenken zurückzustellen. Beauftragen Sie diejenigen, die das verstehen, und quälen Sie nicht die arme Bundesregierung mit Din- gen, die sie so nicht lösen kann!
Meine Damen und Herren, ich habe zwei Änderungsanträge. Die Gelehrten können sich darüber streiten, welcher der weitergehende ist. Ich entscheide, daß der SPD-Antrag der weitergehende ist und daß über ihn zuerst abgestimmt wird. Wenn Sie wollen: „a 11 e Ziffern streichen". Ich sage: Die Gelehrten können sich darüber streiten; denn der andere Antrag enthält einen völlig anderen Text, als er in § 11 a des Gesetzentwurfs steht. — Möchten Sie dazu noch das Wort, Herr Abgeordneter Killat?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß wir alle, die wir mehr oder weniger sozialpolitisch sachkundig sind, wissen, daß auch bei der Frage der Organisation von Sozialversicherungsträgern nicht nur Verbandsüberlegungen oder etwa Überlegungen einer einzelnen Berufsgenossenschaft ausschlaggebend sein können, sondern daß letztlich die Frage der Zweckmäßigkeit und der Notwendigkeit von vielerlei Faktoren abhängt, u. a. auch von sozialpolitischen und politischen Überlegungen.Ich meine, Herr Kollege Dr. Balke, daß die Bundesregierung jederzeit so verfahren kann, wie Sie schilderten. Ich würde sogar erwarten, daß sie immer so handelt, wenn ein solcher Vorschlag gemacht wird, wie er beispielsweise mit den Anträgen zur Ergänzung des CDU/CSU-Entwurfs seinerzeit gemacht worden ist: daß vorher die Bundesregierung die Betroffenen, die Beteiligten, die Interessenten usw. hört. Aber es ist doch, glaube ich, ein fast unmögliches Verfahren, daß der Gesetzgeber die Regierung beauftragt, daß der Hauptverband, ein eingetragener Verein, erst einmal einen solchen Plan erarbeiten soll, und damit hat sich dann die Sache. Wir sind der Meinung, das Parlament sollte den Auftrag an die Bundesregierung erteilen, und es ist Sache der Bundesregierung, welche Form, welchen Weg und welche Methoden sie wählt, um auf zweckmäßigste Weise zu dem notwendigen Ergebnis zu kommen. Deshalb beantrage ich, Herr Präsi-
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Killatdent, den SPD-Antrag zuerst zur Abstimmung zu stellen. Denn er scheint auch aus der Sache heraus der weitergehende Antrag zu sein.Da ich selbst die Ehre hatte, auch in den Selbstverwaltungsorganen der Berufsgenossenschaft tätig sein zu können, kann man mir nicht unterstellen, daß die Selbstverwaltungsorgane ausgeschlossen werden sollten. Wenn das bisher von der Regierung verabsäumt worden ist, war das ein Fehlverhalten. Wir hoffen, daß die Regierung bei Erfüllung des Auftrages, dem Bundestag ein entsprechendes Gesetz vorzulegen, auch die richtigen Mittel und Wege wählen wird.
Herr Abgeordneter Killat, ich habe Ihnen schon gesagt, daß ich den SPD-Antrag zuerst zur Abstimmung stelle. Ich lasse mich von Ihrem Sachverstand gern belehren. Man kann vom Präsidenten in den seltensten Fällen verlangen, daß er aus dem Sachverstand heraus entscheidet. Das ist überfordert. Ich kenne meine Grenzen.
Meine Damen und Herren, wer dem Antrag Umdruck 206 der Fraktion der SPD zustimmen möchte
— also Streichung —, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Abgelehnt!
Jetzt kommt der Änderungsantrag Umdruck 200. Danach werden § 11 b bis § 11 d gestrichen. Ich unterstelle, daß insofern Einvernehmen besteht. Ich lasse abstimmen über den Antrag unter Ziffer 1 des Umdrucks 200; das ist ein Änderungsantrag zu § 11 a. Wer diesem Änderungsantrag auf Umdruck 200 — der CDU/CSU und FDP — zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe!
— Das erste war die Mehrheit. Der Änderungsantrag Umdruck 200 Ziffer 1 ist angenommen. Ziffer 2
— die Streichung — ist ebenfalls erledigt. Damit ist § 11 a in neuer Fassung, wie sie soeben angenommen worden ist, beschlossen.
Wir gehen weiter zu den §§ 12 und 13, soweit keine Änderungsanträge vorliegen. Wird das Wort dazu gewünscht? — Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die §§ 12 und 13 sind angenommen.
Zu § 14 liegen Änderungsanträge auf den Umdrucken 202, 210 und 203 vor, die ich in folgender Reihenfolge aufrufe. Zunächst Änderungsantrag der CDU/CSU, FDP, Umdruck 202, und zwar ist mir hier eine Neufassung vorgelegt worden. Ist das Haus davon unterrichtet? — Wahrscheinlich haben Sie das noch nicht verteilt?
Zur Begründung Herr Abgeordneter Spitzmüller!
Ich darf Ihnen den Änderungsantrag Umdruck 202 begründen und Sie bitten, unter den vorgesehenen Text noch zu schreiben: „Artikel 2 a tritt mit Wirkung vom 1. Januar 1963 in Kraft." Zu diesem Änderungsantrag darf ich bemerken, daß ein früheres Inkraftsetzen des gesamten Gesetzes nicht zweckmäßig und sinnvoll erscheint, da die Berufsgenossenschaften ja noch eine Fülle von Aufgaben zu bewältigen haben, bevor sie das Gesetz wirklich durchführen können. Die Berufsgenossenschaften werden die Frage der Neufassung der Satzungen überprüfen müssen, die sie den neuen Gesetzesbestimmungen anpassen müssen. Selbst der Zeitpunkt 1. Juli 1963 bringt den Selbstverwaltungsorganen der Berufsgenossenschaften ohnehin eine Fülle von Arbeit, die kaum zu bewältigen ist.
Aus diesem Grunde darf ich Sie bitten, dem Antrag, das Gesetz mit Wirkung vom 1. Juli in Kraft zu setzen, zuzustimmen. Gleichzeitig darf ich darum bitten, dem Antrag, daß Art. 2 a mit Wirkung vom 1. Januar 1963 in Kraft tritt, Ihre Zustimmung zu geben, da ja ohnehin bei der Tagung der Berufsgenossenschaften in Frankfurt eine Einigung bezüglich der Übernahme der Altenlast des Bergbaus vom 1. Januar 1963 an erreicht werden konnte.
Das Haus hat die Ergänzung des Antrags auf Umdruck 202 — „Artikel 2 a tritt mit Wirkung vom 1. Januar 1963 in Kraft" — zur Kenntnis genommen. Wird dazu das Wort gewünscht? — Keine Wortmeldungen. Abstimmung! Wer diesem erweiterten Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Umdruck 202 zuzustimmen wünscht, — —
— Ach, Sie haben dem nicht zugestimmt. Im übrigen würden Sie diesem Änderungsantrag zustimmen? — Nun gut, der Sprecher der SPD stellt fest, daß die SPD-Fraktion dem Art. 2 a nicht zugestimmt hat und daß die Zustimmung zu diesem Änderungsantrag nicht eine nachträgliche materielle Zustimmung zu dem Art. 2 a bedeutet.
— Das Haus hat das zur Kenntnis genommen; es kommt ins Protokoll.Meine Damen und Herren, wer dem so erweiterten Änderungsantrag auf Umdruck 202 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das ist einstimmig angenommen.Nun kommt der Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 210. Wird das Wort zur Begründung gewünscht?
— Sie stimmen zu? — Also keine weitere Diskussion.Abstimmung! Wer dem Änderungsantrag auf Umdruck 210 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Änderungsantrag ist einstimmig angenommen.
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2876 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963
Präsident D. Dr. GerstenmaierJetzt kommt der Änderungsantrag auf Umdruck 203.
— Ja, das ist richtig. Die beiden Anträge sind identisch. Darüber ist schon abgestimmt. Damit ist der Antrag auf Umdruck 203 erledigt.Wenn ich recht sehe, kann ich nunmehr den § 14 in der so geänderten Fassung im ganzen zur Abstimmung stellen. In Abs. 2 fällt also die Nr. 3 weg. Das ist klar. Wer dem § 14 in der so geänderten Fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Einleitung und Überschrift. — Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen.Damit, meine Damen und Herren, sind wir am Ende ,der zweiten Beratung.Ich rufe auf zurdritten Beratung.Allgemeine Aussprache! Wird das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Memmel, bitte sehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte vor der dritten Lesung folgendes sagen. Es sind sehr viele Änderungsanträge gestellt worden; eine große Zahl von Änderungsanträgen ist angenommen worden. An sich müßte sich das Haus auf den § 85 Buchstabe a der Geschäftsordnung berufen, wonach jeder Abgeordnete das Recht hat, sich zunächst Klarheit darüber zu verschaffen, was alles an Änderungsanträgen in der zweiten Lesung durchgegangen ist.
Zweitens: denjenigen, die vorhaben, zur dritten Lesung Änderungsanträge zu stellen, müßte Gelegenheit gegeben werden, das zu tun. Dazu braucht man bekanntlich 15 Unterschriften. Das muß geschrieben werden; dazu braucht man auch Zeit. Es wäre eigentlich in Ordnung, wenn deswegen von Amts wegen — von Amts wegen, Herr Präsident! — auf § 85 a hingewiesen werden würde.
Drittens: ein so umfangreiches und bedeutendes Gesetzgebungswerk, wie es dieses Unfaliversicherungs-Neuregelungsgesetz darstellt, verdient es eigentlich nicht, daß es an einem Nachmittag durchgepeitscht wird. Dazu ist es wirklich zu umfangreich.
Das wollte ich hier zu Protokoll gegeben haben.
Ich habe Herrn Kollegen Memmel vorhin gesagt, er möge zehn Unterschriften bringen.
— Die hat er gebracht, aber er hat sich dann höherer Einsicht gefügt und das wieder zurückgezogen.
Dafür bedanke ich mich; denn schließlich muß auch diese Sache fertig werden.
— Immerhin muß man natürlich auch demjenigen, der sachverständig ist und hier Einwendungen erhebt, Rechnung tragen, wenn er sagt: Bevor ich zustimme, möchte ich ganz genau wissen, was die Änderungen bedeuten. Also wenn die zehn Mitglieder des Hauses darauf bestanden hätten, gäbe es jetzt keine dritte Lesung. Darüber sind wir uns im klaren.
Jetzt hat der Herr Abgeordneter Börner das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ohne die Geduld des Hohen Hauses noch auf eine harte Probe stellen zu wollen, hält es die Fraktion der SPD wegen der besonderen sozialpolitischen Bedeutung dieses Gesetzentwurfs für nötig, in der dritten Lesung noch einige allgemeine Bemerkungen zu machen.Als ich vor etwa einem Jahr namens meiner Freunde in der ersten Lesung zum Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz hier sprechen durfte, habe ich gesagt, daß die sozialdemokratische Fraktion bei diesem Gesetz wegen seiner Schwierigkeit, aber auch wegen seiner besonderen Bedeutung für die Sozialpolitik unseres Landes Paragraph für Paragraph konstruktiv mitarbeiten werde. Wir haben dies nicht nur in den zurückliegenden 13 Monaten verwirklicht, sondern praktisch schon in dem zurückliegenden Jahrzehnt immer wieder in den Beratungen dieses Bundestages und früherer Legislaturperioden gesagt, daß nach unserer Meinung bei der Gestaltung moderner Sozialpolitik die Unfallversicherung eine besondere Dringlichkeit hat.Die sozialdemokratische Fraktion hat sich bei der Mitarbeit an diesem Gesetz von zwei Prinzipien leiten lassen:Erstens. Wir waren der Meinung, daß die Unfallversicherung genau wie andere Bereiche der Sozialversicherung den Gegebenheiten des modernen Arbeitslebens und der modernen Sozialpolitik angepaßt werden müßte, sowohl in ihrer Konstruktion als auch vor allem in ihrem Leistungsrecht. Wir haben daher 'die Gelegenheit der Beratung dieses Gesetzentwurfs benutzt, um in zäher Kleinarbeit, die Substanz des Leistungsrechts so zu verbessern, daß wir heute sagen können, daß der zur Verabschiedung stehende Gesetzentwurf weit bessere sozialpolitische Grundsätze enthält und auch weit bessere materielle Leistungen bringt als die Vorlage der CDU im vergangenen Jahr.Zweitens. Wir waren der Meinung, daß bei dieser Beratung die große Frage der Unfallverhütung Vorrang vor allen anderen Problemen haben müßte. Wir haben vom ersten Tage der Ausschußberatung an unsere Bemühungen mit besonderem Gewicht auf den Ausbau der Bestimmungen über Unfallver-
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Börnerhütung gelegt. Wir bedauern, daß der Ausschuß in seiner Arbeit zum Teil durch Einwirkungen der Bundesregierung bzw. des Bundesarbeitsministers gehemmt wurde. Dieser hat zusammen mit seinen Freunden die breite Sachverständigenanhörung, die wir gewünscht hätten, verhindert, so daß wir gezwungen waren, diese Sachverständigenanhörung vor einem Gremium unserer Fraktion allein durchzuführen. Trotzdem hat die Anhörung der Sachverständigen eine Reihe wertvoller Gesichtspunkte in unsere Gesetzgebungsberatungen hineingebracht. Ich möchte heute namens meiner Freunde all denjenigen Sachverständigen herzlich danken, die uns im Rahmen dieser Beratung zur Verfügung gestanden und die unsere Arbeit durch ihren sachverständigen Rat erleichtert haben.
Daß es nicht umsonst war, daß die Opposition in diesem Hause ein besonderes Gewicht auf das Kapitel der Unfallverhütung gelegt hat, haben Sie schon aus den Beratungen der zweiten Lesung entnehmen können. Was hier an Vorstellungen über moderne Methoden der Unfallverhütung im Gesetz enthalten ist, ist zu einem großen Teil durch Änderungsanträge der SPD geschaffen worden. Wir sind stolz darauf, daß die Qualität unserer Argumente von den Mehrheitsfraktionen gewürdigt wurde. Wenn wir heute unsere Vorstellungen in dem Gesetz auch nicht hundertprozentig verwirklicht finden, so können wir doch sagen, daß die nun geschaffenen Bestimmungen eine gute Plattform für künftige Bemühungen darstellen.Die Sorge um die gerechte Behandlung des Problems der Unfallverhütung hat im Rahmen der Beratungen auch zu Auslandsreisen geführt, die von der sozialdemokratischen Fraktion angeregt wurden. Sie haben sicher zu einer guten Bereicherung des Sachwissens aller beteiligten Kollegen geführt. Wir glauben, daß der Blick über die Grenzen, den zu tun wir bei der Beratung dieses Gesetzes veranlaßt haben, auch im Hinblick auf die Lösung größerer sozialpolitischer Probleme, die in Zukunft im europäischen Raum auf uns zukommen, sehr nützlich gewesen ist.
Wenn wir heute das Leistungsrecht dieses Ge setzes analysieren und gewisse Vergleiche mit unseren Forderungen vom vergangenen Jahr anstellen, so müssen wir sagen, daß einige auch für uns wesentliche Punkte im Gesetz voll verwirklicht worden sind. Die SPD ist sehr froh, bei der Verabschiedung dieses Gesetzes feststellen zu können, daß das Prinzip der Zwangsabfindung, das im Entwurf enthalten war, endgültig gefallen ist.
Die SPD begrüßt, daß bestimmte Entwicklungen, die schon durch die Rechtsprechung aufgegriffen waren, nun im Gesetz ihre Kodifizierung gefunden haben. Ich möchte hier nur das Problem des Wegeunfalls, aber auch die Frage nennen, die mit dem Unfallschutz des Versicherten zusammenhängt, wenn er durch bargeldlose Lohnzahlung genötigt ist, dieSparkasse bzw. die Bank aufzusuchen. Wir sind froh, daß hier eine Übereinstimmung zwischen den Fraktionen erzielt werden konnte,
weil hier der Entwicklung, die sich aus der modernen Industriegesellschaft ergeben hat, im Gesetz entsprochen wurde.Meine Damen und Herren, meine Kolleginnen und Kollegen haben heute in der zweiten Beratung des Gesetzes Kritik an den nach unserer Meinung nicht vollkommenen Bestimmungen über die Unfallverhütung geübt. Das ist kein Hang zum Perfektionismus, sondern eine ernste Sorge. Sie kommt auf Grund der uns vorliegenden Statistiken über Arbeitsunfälle zum Ausdruck. Wir sind nicht der Meinung, daß schon nach allen Wegen gesucht worden ist bzw. daß die Bestimmungen des Gesetzes ausreichen, um uns, wie es dem Sinn eines Reformvorschlags entsprochen hätte, für zehn oder fünfzehn Jahre völlig von jeder weiteren Arbeit an dieser Gesetzesmaterie freizustellen.Die Statistik von 1962 weist immerhin 500 tödliche Unfälle mehr als im Vorjahr aus, und die Zahl der entschädigungspflichtigen Unfälle ist von 37 000 auf 40 000 gestiegen. Dieses Steigen der Zahlen ist nicht dazu angetan, uns zu beruhigen, sondern sagt im Gegenteil uns allen, daß das Problem der Unfallverhütung auch in Zukunft das Problem Nummer 1 im Rahmen dieses ganzen Gesetzeskomplexes ist und bleibt.Gerade weil wir das Problem der Unfallverhütung auch über den Betrieb hinaus in das Bewußtsein der breiten Öffentlichkeit bringen wollten, ist der Vorschlag entstanden, ein Kuratorium für Unfallverhütung zu schaffen. Wir bedauern, daß sich die Mehrheit des Hauses nicht bereitfinden konnte, unseren Vorstellungen zu folgen. Wir hoffen, daß bei späterer Gelegenheit Ihre Einsicht in diese Frage größer ist, als sich heute in den Abstimmungsergebnissen ausgedrückt hat.Gestatten Sie mir nun noch, ehe ich Ihnen die Haltung meiner Freunde zur Schlußabstimmung darlegen darf, einige kritische Bemerkungen, die den heutigen Tag und die in der zweiten Lesung erarbeitete Vorlage betreffen.Wir bedauern, daß heute in der zweiten Lesung auch die Frage der Abgrenzung zwischen Unfall-und Krankenversicherung sich nicht in einer über die Ausschußfassung hinausgehenden Regelung niedergeschlagen hat. Wir haben keinen Antrag gestellt, weil die Haltung der Koalitionsfraktionen im Sozialpolitischen Ausschuß uns von vornherein die Hoffnungslosigkeit eines solchen Unterfangens aufgezeigt hat. Wir bedauern aber auch, daß der Antrag, der heute von Frau Kollegin Döhring vertreten worden ist und dessen Inhalt weit über die materiellen Probleme dieses Gesetzes hinausgeht, bei Ihnen auf eine so starre Ablehnung gestoßen ist. Wir sind der Meinung, daß die Ausdehnung des Versicherungsschutzes auf diese wenigen Einzel-
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Börnerfälle ein Akt des guten Willens auch im Hinblick auf die Familienpolitik gewesen wäre.
Es wäre sicher zu diesen Komplexen, die das Leistungsrecht betreffen, noch eine ganze Menge zu sagen. Ich möchte darauf nicht mehr zurückkommen. Ich bedaure nur, daß Sie sich nicht unseren Vorstellungen über die Anpassung der Renten anschließen konnten, weil wir nun befürchten müssen, daß das Schicksal der Unfallrentner immer wieder mit in wahltaktische Überlegungen einbezogen wird. Das halten wir nicht nur für sozialpolitisch bedenklich, sondern auch im Hinblick auf "die sachliche Arbeit unseres Hauses für auf die Dauer verderblich. Wir würden uns freuen, wenn Sie bei späterer Gelegenheit hier eine Korrektur des Gesetzes zulassen könnten.Wenn ich zum Schluß einmal kritisch die Arbeit betrachte, die der Sozialpolitische Ausschuß in den letzten Wochen und Monaten leisten mußte, dann möchte ich zwei Feststellungen daraus ableiten:Erstens. Entgegen den Prophezeihungen des Bundesarbeitsministers war das kein vollkommener Gesetzentwurf, der sich in wenigen Wochen durchpeitschen ließ. Vielmehr haben gerade auch die Änderungsanträge seiner politischen Freunde gezeigt, daß viele Vorschriften des Entwurfs nur halb durchdacht waren und einer kritischen fachlichen Überprüfung bedurften.
— Darauf komme ich gleich.
Wenn wir uns heute daran erinnern, dann im Hinblick darauf, sehr verehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß auch bei anderen künftigen sozialpolitischen Gesetzen das geübt werden sollte, was diesen Gesetzentwurf heute wahrscheinlich zu einer gemeinsamen Abstimmung reif macht; es wurde nämlich das Qualitätsprinzip über das Prinzip der Schnelligkeit der Beratung gestellt.
Insofern ist es eine ungute Sache — und das bleibt zu bedauern —, daß wichtige Teile des Gesetzentwurfs, z. B. die Organisationsfrage, durch die Unschlüssigkeit — ich will nicht sagen: durch die Uneinigkeit — der Koalitionsfraktionen nun einer späteren Beratung vorbehalten bleiben. Wir hatten gehofft, mit Ihnen zusammen eine Reform verabschieden zu können. Was wir verabschieden, ist keine Reform, sondern ein Verbesserungsgesetz. Es ist im Grunde doch nur die Hälfte von dem, was sich die Optimisten in allen Fraktionen von einem solchen Gesetzentwurf erhofft hatten.Meine Damen und Herren, dieser Gedanke ist nicht ein Gedanke parteipolitischer Taktik, sondern ist eine sehr ernste Betrachtung allgemein sozialpolitischer Natur, weil nämlich diese Art, Organisationsfragen auszuklammern — wenn man das einmal auf die Gesetze überträgt, die jetzt noch kommen —, zu schwerwiegenden Rückwirkungen führen kann. Wir haben die bedauerliche Tatsache zu verzeichnen gehabt, daß noch bis gestern abend 23 Uhr in den Mehrheitsfraktionen die Auffassungen hip.-und herwogten. Sie können sagen, das sei positiv zu sehen, das sei ein Spiegelbild der demokratischen Vielschichtigkeit Ihrer Parteien. Wir meinen aber, das ist nur ein Beispiel dafür, wie man Gesetze mit so einschneidender sozialpolitischer Zielsetzung nicht machen kann. Wir bedauern es, daß der Bundestag in absehbarer Zeit diese leidigen Organisationsprobleme noch einmal beraten und entsprechende Gesetze verabschieden muß.Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir Sozialdemokraten nun zum Schluß die Vorschläge abwägen, die nicht angenommen worden sind, und wenn wir das abwägen, was von Ihnen in diesen Gesetzentwurf mit übernommen worden ist und was wir als gemeinsames Anliegen betrachten können, ergibt sich für uns in der Schlußbetrachtung das Fazit, daß dieses Gesetz zwar nicht die Summe unserer Wünsche verwirklicht, aber eine praktikable Lösung mit Leistungsverbesserungen darstellt, die wir alle anstreben. Deshalb wird die SPD diesem Gesetzentwurf in dritter Lesung zustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Franz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Namen der Bundestagsfraktion der CDU/CSU darf ich meiner Freude darüber Ausdruck geben, daß dieser Gesetzentwurf im dritten Anlauf heute in diesem Hause fertiggestellt werden konnte und daß er auch die letzte Klippe, nämlich die Klippe des Einspruches meines Kollegen Memmel, zu überwinden vermochte. Auch wir glauben, daß das Ergebnis dieser mehr als einjährigen Beratung im Sozialpolitischen Ausschuß des Bundestages positiv zu bewerten ist.Es wäre ein aussichtsloses Beginnen, wollte ich jetzt die ganze Anzahl tiefgreifender Verbesserungen aufzählen, die in diesem Gesetz verwirklicht werden. Ich darf mich auf einige, wie ich glaube, sehr wesentliche Dinge beschränken. Denken wir daran, daß die Grenze des Jahresarbeitsverdienstes 'in diesem Gesetz auf 36 000 DM festgesetzt worden ist. Das entspricht dem Schadenersatzprinzip und verhindert den sozialen Abstieg von Verunglückten, und den verdienen sie nicht. Wir tragen auch dem Anliegen der Menschen Rechnung, die in jungen Jahren das Unglück hatten, einen Unfall zu erleiden, und legen ihrer Rente ein dem Lebensalter entsprechendes Entgelt vergleichbarer Arbeitnehmergruppen zugrunde. Wir haben dem Schwerverletzten, der keinen Anspruch an die verschiedenen Zweige der sozialen Rentenversicherung hat, durch die Bestimmung in § 561 a eine Verbesserung von 10 % gegeben.Ein jeder von uns weiß, daß bei dem Ableben eines arbeitenden Menschen die Hinterbliebenen besonderen Belastungen ausgesetzt sind. Wir gewähren der Witwe, die keine Kinder hat und noch
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Dr. Franzy nicht 45 Jahre ist, künftig statt einem Fünftel des Jahresarbeitsverdienstes drei Zehntel des Jahresarbeitsverdienstes. Für die ersten drei Monate nach dem Tode des Ernährers bekommt sie zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes als Überbrückungsgeld. In Härtefällen werden künftig laufende Beihilfen gewährt, wenn ein Verstorbener länger als zehn Jahre 80 °/o erwerbsbeschränkt war, aber nicht an den Unfallfolgen gestorben ist. Hier könnten sich nämlich die geringen Beiträge zur Rentenversicherung, die derjenige, der einen Unfall hatte, zu leisten vermag, sehr negativ für seine Hinterbliebenen auswirken.In der Vergangenheit und in den verschiedenen Zweigen der Rentenversicherung haben sich wegen der Rückzahlungsforderungen besondere Härtefälle ergeben. Wir haben nun erreicht, daß diese Rückzahlungsforderungen gemildert werden und nur dann erhoben werden können, wenn sich der Empfänger wirklich bewußt war, daß er eine Leistung empfängt, die ihm nach Recht und Gesetz nicht zusteht.Ein besonders heikles Kapitel wird in § 588 des vorliegenden Entwurfs behandelt. Es kam gerade bei an Silikose Erkrankten in der Vergangenheit in Hunderten von Fällen zu Leichenobduktionen, um die Rechtmäßigkeit von Rentenansprüchen nachzuweisen. Das ist durch die neue Fassung des § 588 weitgehend ausgeräumt worden.Wesentlich ist auch noch die Bestimmung, daß künftig Krankheiten in einzelnen Fällen wie Berufskrankheiten behandelt werden können, wenn sie auch noch nicht in dem mehrfach angezogenen Berufskrankheitenkatalog enthalten sind.Ein einziger Paragraph des Gesetzes, nämlich der § 539, genügt, um den geschichtlichen Weg dieser Gesetzgebung der sozialen Sicherung nachzuzeichnen. In den Nummern 1 bis 4 sind die Personengruppen erfaßt, die schon in der Vergangenheit von diesem Gesetz abgedeckt worden sind. Unter den Nummern 5 und 6 hat man dann später die schutzbedürftigen Unternehmer einbezogen. In den Nummern 7 bis 13 wird ein Aufopferungsanspruch derjenigen Personen festgehalten, die im Interesse des allgemeinen Wohls tätig werden. In den Nummern 14 und 15 sind Sondertatbestände — Lehrende und Lernende — erfaßt.Die Grundkonzeption der sozialen Unfallversicherung ist auch in dieser Gesetzesvorlage beibehalten, wiewohl ich dem Kollegen Börner nicht recht geben kann, wenn er daraus folgert, daß wir nur von einem Verbesserungsgesetz und nicht von einer Reform sprechen könnten. Die Grundkonzeption ist nämlich die genossenschaftliche Ablösung der Unternehmerhaftpflicht. Diese ist nicht geändert. In den §§ 633 und 634 ist aber das Haftungsprivileg ausgeweitet. Bisher stand es nur dem Unternehmer und seinen Repräsentanten im Betrieb zu. Künftig sind im Interesse des Betriebsfriedens auch die Arbeitskollegen von diesem Haftungsprivileg gedeckt.Man kann sich dieses Gesetz der sozialen Unfallversicherung als in einem Gleichgewichtszustand befindlich vorstellen. Auf der einen Seite wird bürgerlich-rechtlich dem einen etwas genommen — denn unter Umständen kann er keinen vollen Schadensersatz erwarten und erhält kein Schmerzensgeld, was bürgerlich-rechtlich durchzusetzen wäre —, auf der anderen Seite aber werden Leistungen ohne Berücksichtigung eines eventuellen eigenen Verschuldens des Versicherten gewährt.Auch wir haben es bedauert, daß es im früheren Stadium der Ausschußberatungen gewisse Reibereien wegen des schnellen oder langsamen Fortgangs der Verhandlungen gegeben hat;
aber ich möchte besonders deutlich herausstellen, daß die folgenden Verhandlungen davon nicht oder kaum berührt worden sind. Auch ich möchte darauf hinweisen, daß unser Kollege Stingl schon in der ersten Lesung eine Kompromißbereitschaft unserer Fraktion in so kritischen Punkten wie dem Abfindungsparagraphen hat erkennen lassen. Das hat uns zu einer Lösung geführt, von der ich glaube, daß sie alle Teile dieses Hauses befriedigt hat. Denken wir auch an die Regelung des ersten Weges zum Bankinstitut! Wir wissen, daß sich der Deutsche Gewerkschaftsbund, bevor diese Regelung Gesetz geworden ist, wegen des fehlenden Schutzes der Unfallversicherung Gedanken darüber gemacht hat, ob man ein solches Angebot der Arbeitgeberseite, die Lohnzahlung zu vereinfachen, akzeptieren könne. Wir denken auch an den § 1546, wonach bisher — jedenfalls nach dem Gesetzestext — jemand, der seinen Anspruch nicht innerhalb von zwei Jahren anmeldete, nichts bekommen sollte. Hier hat ,die neue Fassung des Gesetzes der bisherigen Rechtsprechung Rechnung getragen. Letzten Endes ist noch festzustellen, daß alle Leistungsverbesserungen dieses Gesetzes auch für Unfälle gelten, die sich vor Inkrafttreten des Gesetzes ereignet haben.Ich freue mich, daß die Opposition ausdrücklich anerkannt hat, daß sie im Laufe dieses einen Jahres die Möglichkeit konstruktiver und positiver Mitarbeit bei der endgültigen Ausgestaltung der Vorlage gehabt hat, und deute das als ein gutes Omen für die künftigen Verhandlungen im Sozialpolitischen Ausschuß des Bundestages und in diesem Parlament.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ollesch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach fast eineinvierteljähriger Beratung verabschieden wir heute das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz in dritter Lesung. Wohl niemand hat bei der Einbringung damit gerechnet, daß ein so langer Zeitraum benötigt werden würde. Ich glaube aber, daß die Länge der Beratung dem Gesetzentwurf dienlich gewesen ist. Wir können am Ende anläßlich der dritten Lesung feststellen, daß wir in der Lage waren, in eingehender Beratung zwar nicht immer gemeinsame Auffassungen zu finden und zu gemeinsamen Entschlüs-
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Olleschsen zu kommen, aber vieles gemeinsam durchzubringen.Wir können abschließend auch feststellen, daß sich im Laufe der Zeit einige Probleme entschärft haben. Probleme, von denen wir erwarteten, daß sie große Diskussionen auslösen würden, haben sich im Laufe der Zeit als nicht so schwerwiegend erwiesen. Das scheint mir ein Vorteil gewesen zu sein. Ich glaube, daß sich die Dinge dabei zum Guten gewendet haben. Ich denke nur daran, daß die Aufteilung der Lasten zwischen den Trägern der Krankenversicherung und den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung dazu führte, daß schon einmal ein Gesetzentwurf scheiterte. Heute ist Sprengstoff heraus aus dem Gesetz, und nicht zuletzt durch 'zu erwartende Gesetze.
— Nun ist er heraus, Herr Professor Schellenberg. Sie sehen die Dinge jedenfalls nicht mehr als Sprengstoff an; Sie haben sich nicht mehr sehr bemüht, auf den Tag Null zu kommen. Das muß ich hier feststellen.Zweifellos hat die Beratung in der letzten Zeit nicht mehr im' Blickpunkt der Öffentlichkeit gestanden, zumindest nachdem die Diskussionen über das Sozialpaket begannen, als der Inhalt des Sozialpakets der Öffentlichkeit bekannt wurde. Ich glaube, diese Tatsache, daß die Beratungen aus dem Bewußtsein der Öffentlichkeit herausgerückt waren, warihnen dienlich. Im letzten Stadium, als wir wieder interessant wurden — das haben Sie ja gesehen—, reiften die Probleme doch nicht so, wie sie reifen sollten, und Irrtümer unterlaufen dann nicht nur uns, sondern auch der linken Seite des Hauses; denn auch in bezug auf die vorgesehene Auflösung der Berufsgenossenschaften war nicht alles ganz reiflich überlegt.Herr Börner, wenn Sie bedauern, daß wir die Organisationsfrage nicht gelöst haben, daß wir den Mut nicht fanden, dann möchte ich sagen: Gott sei Dank; denn der vorliegende Entwurf war auch nicht so sehr durchdacht.
Es sollte bei einer Neuorganisation die Zusammenlegung sinnvoll erfolgen; und wir geben es ehrlich zu: so ganz sinnvoll ist die Geschichte nicht gewesen. Wollen wir hoffen, daß wir bei der späteren Behandlung, genauso wie wir jetzt einige Dinge nicht mehr so schwerwiegend fanden, wie wir sie zu Anfang ansahen, uns auch mit diesen Dingen nicht mehr so schwer tun wie bisher.Wenn wir die Beratung verfolgen, stellen wir fest: Es ging heute nicht so sehr um die Aktualisierung, es ging nicht mehr um 'die Abfindung, es ging nicht um die Grenzen, es ging bei den Anträgen auch nicht so sehr um Leistungsverbesserungen, sondern um einige andere Dinge. Wir haben uns sehr lange über das D-Arzt-Verfahren unterhalten. Wer hätte das vor eineinviertel Jahr gedacht! Einengroßen Teil .der Beratung nahm dann die Umverteilung der alten Last in Anspruch, ein Problem, das sich uns vor eineinviertel Jahr noch nicht stellte.Meine Damen und Herren von der SPD, daß Sie in Fragen der Unfallverhütung nicht ganz zum Zuge kommen, liegt nicht etwa daran, daß wir diesen Fragen nicht die gleiche Aufmerksamkeit widmeten wie Sie. Wir wollen uns bemühen, unsere Gesetze etwas weniger kompliziert und personalaufwendig zu machen;
auf das letztere lege ich besonderen Wert. — Herr Professor Schellenberg, ich bin neu in diesem Hause und vielleicht etwas empfänglicher für gewisse Dinge. Mir wurde letzthin von jemand, der mit der Ausführung sozialpolitischer Gesetze zu tun hat, gesagt: „Wenn ihr in Bonn derartige Gesetze beschließt, dann denkt doch nicht nur an die Kosten, die die Leistungsverbesserungen bringen, sondern denkt einmal daran, daß die Gesetze praktiziert werden sollen, ohne daß neues Personal zur Durchführung dieser Gesetze benötigt wird."
— Herr Professor Schellenberg, wir sind noch nicht bei der Krankenversicherung. Wenn es soweit ist, werden Sie meine Stellungnahme dazu hören; ich werde meine Meinung dazu sehr freimütig äußern, auch hier im Plenum. Ich mache mir auch da meine eigenen Gedanken, zumal ich auch selber betroffen bin. — Wir wollen in der Unfallverhütung weniger auf die hauptamtliche Tätigkeit abstellen als Sie; wir wollen es der Organisationsform eines Betriebes überlassen, der Organisationsfreudigkeit und den Möglichkeiten eines Betriebes, mit Sicherheitsbeauftragten zu arbeiten, ohne daß 'der Zwang zur Hauptamtlichkeit besteht und ohne daß die Betriebe gezwungen werden, Sicherheitsingenieure anzustellen; sie sollen das aus freier Überlegung heraus tun.Meine Damen und Herren, wir haben heute fast gar nichts mehr von den Belastungen gehört, die auch 'dieses Gesetz der deutschen Wirtschaft bringen wird. Es sind rund 320 Millionen DM.
— Na, es sollten 250 Millionen DM sein; der Ausschuß hat noch einige -zig Millionen durch Leistungsverbesserung dazugepackt. Rechnen wir rund 350 Millionen, Herr Ruf. Das scheint angesichts der Milliardenbeträge, mit denen wir für die Zukunft jonglieren, ein immerhin etwas geringer Betrag zu sein. Aber ich meine, wir sollten die Belastung erkennen und anerkennen, und wir sollten uns gemeinsam darüber klar sein, daß es einmal ein Ende haben muß mit der fortwährend steigenden Belastung der Wirtschaft, von der ja nicht nur die
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OlleschUnternehmer, sondern auch die Arbeitnehmer und wir alle als Volk betroffen werden.
Deswegen, meine ich, ist es gut, daß heute nicht mehr sosehr von Leistungsverbesserung die Rede war. Es ist ein Zeichen dafür, daß wir uns gemeinsam im Ausschuß auf das mögliche Maß geeinigt haben.Es bleibt mir am Schluß nur noch festzustellen, daß wir im Sozialausschuß bei dieser immerhin recht schwierigen Materie recht gut miteinander gearbeitet haben. Das gibt mir die Hoffnung auf eine gute Behandlung weitaus schwierigerer Gesetze, die jetzt nach Beendigung dieser Arbeit anstehen.Zu Anfang sind wir von der linken Seite des Hauses als sozial rückschrittlich bezeichnet worden. Anläßlich der Koalitionsbildung hieß es doch von Ihrer Seite: Jetzt ist die sozialreaktionäre Regierung am Werke. — Ich meine, Sie werden heute mit uns feststellen, daß zumindest bei diesem Gesetzentwurf von „Sozialreaktionären" nicht gesprochen werden kann. Herr Kollege Börner, vertrauen Sie darauf, daß wir mit Vernunft und Sachlichkeit bei der kommenden Gesetzgebung viele Gesetzentwürfe gemeinsam mit Ihnen erarbeiten können!
— Nein, keineswegs. Wenn ich mir das alles zum Vorbild genommen hätte, dann hätten Sie mich mit Recht als „sozialreaktionär" verschrien. Das wollen wir doch einmal festhalten.
— Herr Geiger, auch Sie wissen ganz genau, daß wir das keineswegs sind und daß auch ich kein Sozialreaktionär bin.Abschließend möchte ich sagen, daß wir dem Gesetzeswerk in der jetzt auch mit unseren Stimmen beschlossenen Fassung unsere Zustimmung geben werden.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem Sie, wie es den Anschein hat, zum Ende der über den ganzen Tag geführten Debatte über dieses bedeutende Gesetzgebungswerk kommen, seien mir ein paar Worte erlaubt.
Ich möchte einen Satz aufgreifen, den Herr Börner gesagt hat. Er hat erklärt, dieses Gesetz sei nicht die Summe aller Wünsche. Das ist sicher richtig, besonders wenn man die Frage stellt: Wessen Wünsche? Dabei wird man feststellen müssen, daß ein Gesetz niemals alle Wünsche erfüllen kann. Man kann nur die Frage stellen, ob es ein Optimum bringt, und diese Frage kann, so meine ich, im vorliegenden Falle bejaht werden.
Auch dieses Gesetz ist Menschenwerk. Es wird sicher mit Fehlern und Mängeln behaftet sein. Das liegt in der Natur der Sache.
Ich habe den ganzen Tag Ihre Beratungen mit Aufmerksamkeit verfolgt und möchte Ihnen doch heute abend sagen, daß wir alle miteinander über das Ergebnis sehr glücklich sein dürfen.
Da mir an der Verwirklichung dieses Gesetzes immer sehr viel gelegen ,war, möchte ich den Dank der Bundesregierung allen beteiligten Fraktionen dieses Hauses für die geleistete Arbeit aussprechen.
Angesichts dessen, was im letzten anderthalb Jahr, seitdem dieser Bundestag in der vierten Legislaturperiode zusammen ist, auf sozialpolitischem Gebiet behandelt worden ist, können die Sozialpolitiker sagen, daß sie mit die Fleißigsten in diesem Deutschen Bundestag gewesen sind und daß nichts falscher war als die Prognose, die Sozialpolitik würde stagnieren und die Reformen würden nicht vorwärtsgehen.
Meine Damen und Herren, Sie haben sehr viel Arbeit geleistet. Sie haben sieh in vielen Punkten zusammengefunden. Sie sind nicht in allen Fragen der Meinung der Bundesregierung gewesen, aber das ist auch nicht die Aufgabe eines Parlaments. Sie haben gemeinsam ein Werk, geschaffen, auf das Sie stolz sein dürfen. Ich wollte Sie dazu beglückwünschen.
Das Wort hat der Abgeordnete Rutschke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Weiterentwicklung der Unfallversicherung ist sicherlich ein erstrebenswertes Ziel und wird von jedermann befürwortet werden müssen. Jeder wird gerne arbeitsversehrten Menschen helfen wollen, soweit das möglich ist. Aber es gilt auch, die richtige Rangfolge und die richtige Einordnung in die sozialen Tatbestände zu finden.
— Nein, Herr Kollege Ruf, wenn wir Gesetze verabschieden, die die Wirtschaft oder den Bundeshaushalt belasten, bleibt für noch ausstehende Gesetze, die möglicherweise eine höhere Dringlichkeit haben, nichts mehr übrig. Deshalb muß man rechtzeitig auf eine vernünftige Rangfolge hinweisen. Ich erlaube mir nur — ich habe das schon einmal bei der Verabschiedung des Sparprämiengesetzes im vorigen Bundestag getan —, darauf zu verweisen, daß es Fragen von höherer Dringlichkeit gibt, als sie seinerzeit bei dem Sparprämiengesetz anstanden oder möglicherweise hier anstehen.
Dieser Gedanke ist auch in meiner Fraktion aufgetaucht. Aber die Entwicklung ist jetzt hier schon so
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Dr. Rutschkeweit gegangen, daß eine Änderung dieser Entwicklung kaum mehr möglich erscheint.
— Eine Änderung, Herr Kollege von der SPD, hinsichtlich der Rangfolge der Notwendigkeit von Gesetzen; nur in der Richtung bitte ich das zu verstehen, und so habe ich 'das nur gemeint.
— Verehrter Herr Kollege Schellenberg, Sie werden mir sicherlich zugeben, daß sich ein Familienvater, ehe er ein Wohnzimmer einrichtet, wahrscheinlich erst darum kümmert, ob seine Kinder noch auf Strohsäcken schlafen; denn dann wird es besser sein, zunächst einmal Betten zu beschaffen, ehe er eine Wohnzimmereinrichtung kauft. So ist es auch mit der Rangfolge in der Sozialpolitik.
Ich bezweifle gar nicht, daß beides notwendig sein mag.Hier stehen die versehrten Menschen — in diesem Falle die Arbeitsopfer — zur Debatte. Es gibt aber auch noch andere, die Kriegsopfer.
— Herr Kollege Schellenberg, ich habe mir erlaubt, darauf hinzuweisen, daß es Prioritäten gibt und daß man ihnen nur dann sinnvoll gerecht werden kann, wenn man sie zur rechten Zeit sieht und wenn nochnicht alles entschieden ist.
— Nein, lassen Sie mich das erst mal zu Ende führen: dann bin ich gern bereit, Ihre Frage anzuhören.
Sie können natürlich sagen, daß hier Unterschiede seien. Sicherlich sind Unterschiede da. Demjenigen, der im Krieg gewesen ist, wird man sicherlich in bezug auf seine Verwundung oder das, was er erlitten hat, keine Fahrlässigkeit vorwerfen können, während das bei Arbeitsunfällen durchaus möglich ist, wenn ich auch nicht unterstelle, daß das jedesmal so sein muß.Es mag auch noch einen anderen Unterschied geben: die Finanzierung. Sie können sagen: Das hier zahlen die Arbeitgeber, während die Kriegsopfer aus Steuermitteln versorgt werden müssen. Aber, meine verehrten Damen und Herren, auch das sollten Sie zur Kenntnis nehmen: daß letztlich auch die Leistungen für die Arbeitsopfer vom Volk bezahlt werden, denn diese Aufwendungen sind ein Kalkulationsmoment und werden sicherlich in den Preisen weitergegeben.
— Nein, das habe ich nicht gesagt, Herr Kollege. Es ist sehr schwierig, Ihnen etwas klarzumachen, wenn Sie vorher nicht zugehört haben. Haben Sie aber nicht zugehört, so sollten Sie auf Zwischenrufe verzichten. Ich will Ihnen gern noch weitere Unterschiede zeigen, die vorhanden sind: Ein zu 40 % Kriegsbeschädigter erhält eine Rente von 45 DM. Nunmehr bekommt ein zu 40 % Arbeitsbeschädigter eine Rente von 126,20 DM.
— Das ist leider nicht so unterschiedlich. Ich weiß, daß es in diesem Fall auf eine Bemessungsgrundlage von einem durchschnittlichen Betrag von 475 DM Einkommen bezogen ist.
Herr Abgeordneter Rutschke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dittrich?
Bitte sehr!
Sagen Sie mal, Herr Rutschke, kennen Sie nicht den Unterschied zwischen der Versicherung und der Versorgung?
Der Unterschied ist mir wohl bekannt. Sie müssen daran denken, daß auch die Bundeswehrsoldaten davon betroffen werden.
Sie kennen ja die Beispiele, die vielfach gebracht werden: Der Bundeswehrsoldat und der Mann aus der Panzerwerkstatt erleiden denselben Unfall, und der eine bekommt doppelt soviel wie der andere. Wenn Sie meinen, daß die Versorgung auf jeden Fall geringer sein muß als der Versicherungsbetrag, dann sind wir nicht ganz einer Meinung. Es scheint mir nicht richtig zu sein, daß derjenige, der der Allgemeinheit dient, grundsätzlich nur die Hälfte dessen bekommen soll, was der andere erhält, der im Arbeitsleben steht, im Wirtschaftsleben tätig ist und sein Geld durch Arbeit verdient, der also mit einem Gewinnstreben seinem Broterwerb nachgeht.
Man sollte daran denken, daß es hier zwangsläufig Prioritäten gibt und daß wir vielleicht besser beraten gewesen wären, wenn wir zunächst die dringenderen Forderungen, die nun einmal vorhanden sind, befriedigt hätten. Auch die Sozialpolitik kann nur in einem Rahmen gesehen werden, und dieser Rahmen sollte sich nach dem bemessen, was am dringendsten notwendig ist.
Deshalb ist es für mich nicht möglich, diesem Gesetz zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, die Rednerliste ist erschöpft. Ich schließe die allgemeine Aussprache.Ich komme zur Einzelberatung der dritten Lesung und rufe auf Art. 1 § 658 Abs. 2 mit dem Änderungsantrag der Abgeordneten Lang ,
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Vizepräsident Dr. JaegerDr. Franz, Wieninger, Seidl und Genossen auf Umdruck 218. Bedarf der Antrag noch einer besonderen Begründung? — Das ist nicht der Fall. Wird eine Aussprache gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Dann lasse ich über den aufgerufenen Änderungsantrag Umdruck 218 abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt. — Es bestehen doch Zweifel. Ich muß widerrufen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe auch durch Erheben. — Wer sich enthalten will, den bitte ich ebenfalls, sich zu erheben. — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.Damit komme ich zu dein Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 219, in Art. 2 a § 1 den Satz 2 neu zu formulieren und den § 2 Abs. 4 zu streichen. Der Antrag liegt Ihnen vor. Wird er begründet? —
Wünschen Sie eine Aussprache? —
Ich lasse abstimmen. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.Ich komme zum Änderungsantrag der Abgeordneten Porten, Burgemeister, Wieninger, Soetebier und Genossen.
— Ich muß ihn vorlesen:
Zu der Fassung, die in der vorigen Lesung beschlossen worden ist, dort benannt als Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP, Umdruck 197, in der dritten Beratung:Der Bundestag wolle beschließen:Zu Nr. 1 des Änderungsantrags in der Fassung des Umdrucks 197:In Art. 2 a wird in § 2 Abs. 2 die Zahl „30 000" durch die Zahl „50 000" ersetzt.Dem Abs. 3 wird folgender Satz angefügt: „Rücklagen werden nicht gebildet."Ich glaube, der Text ist klar. Wird eine besondere Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wird eine Diskussion gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Dann kann ich also abstimmen lassen: die Zahl 30000 soll durch die Zahl 50 000 ersetzt werden, und: „Rücklagen werden nicht gebildet". Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Der Vorstand ist sich nicht einig. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. —Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.Ich lasse nunmehr noch über den gesamten Art. 2 a mit der soeben beschlossenen Änderung abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Meine Damen und Herren, ich mache darauf aufmerksam, daß der ganze Art. 2 a fällt, wenn ihm nicht zugestimmt wird. Es ist nur eine einzige von der CDU/CSU-Fraktion gewünschte Änderung beschlossen worden. Wer nun der Gesamtfassung mit der vorhin beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Art. 2 a ist angenommen.Meine Damen und Herren, ich werde darauf aufmerksam gemacht, daß mit Rücksicht auf die Fülle der Änderungen, die heute beschlossen worden sind, der Präsident ermächtigt werden sollte, notfalls erforderliche redaktionelle Änderungen, die nicht berücksichtigt worden sind, noch vorzunehmen.
— Allgemeines Einverständnis; es ist so beschlossen.Dann kommen wir zur Schlußabstimmung. Erklärungen dazu werden nicht mehr abgegeben. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Einige Gegenstimmen. Enthaltungen? — Ohne Enthaltungen gegen einige Stimmen angenommen.Ich darf die Gelegenheit benutzen, dem Ausschußvorsitzenden und den Berichterstattern den Dank des Hauses für die umfangreiche Arbeit auszusprechen.
Ich komme nunmehr zu Punkt 2 des Antrages des Ausschusses auf Seite 38 der Drucksache, die Eingaben und Petitionen für erledigt zu erklären. — Einstimmig beschlossen.Wir kommen zu Punkt 3 des Ausschußantrages, einem Entschließungsantrag. Wird zu diesem Entschließungsantrag — die anderen folgen später — das Wort gewünscht?
— Der des Ausschusses, auf Seite 38 der Drucksache IV/938 . —Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Ohne Enthaltungen; also einstimmig angenommen.Damit kommen wir zu den weiteren Entschließungsanträgen, zuerst zu dem der Fraktion der SPD auf Umdruck 190.Das Wort hat der Abgeordnete Frehsee.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte wahrhaftig die allgemeine Hochstimmung über diese nun mehr oder weniger gelungene Unfallversicherungsreform nicht beein-
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Frehseeträchtigen. Ich möchte unter gar keinen Umständen einen Mißton hineinbringen. Aber ich muß doch in aller Sachlichkeit feststellen, daß die Unfallversicherungsreform, die nun verabschiedet worden ist, wirklich nicht die Summe aller Wünsche erfüllt, wirklich auch nicht das Optimum darstellt, wie es der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hier gesagt hat, und im besonderen Maße, meine Damen und Herren, nicht für die Landwirtschaft. Für die Landwirtschaft stellt diese Unfallversicherungsreform in keiner Weise eine Verbesserung dar. Sie bringt ihr neue Belastungen, und zwar von 70 Millionen DM im Jahr, da sie am 1. Juli dieses Jahres in Kraft treten wird, von 35 Millionen DM für das Jahr 1963.Wir haben uns bemüht, durch den Antrag auf Änderung des § 7 in Art. 3 die gesetzliche Voraussetzung dafür zu schaffen, daß die Unfallrenten der landwirtschaftlichen Selbständigen angehoben werden können. Sie haben diesem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion Ihre Zustimmung verweigert. Wir bitten Sie nun mit diesem Entschließungsantrag auf Umdruck 190, die Bundesregierung zu ersuchen, so rechtzeitig einen Gesetzentwurf vorzulegen, daß wenigstens die Angleichung der Unfallrenten der Bauern und Landwirte sowie der Bäuerinnen und Landfrauen an die Unfallrenten der landwirtschaftlichen Arbeitnehmer ab 1. Juli 1963 möglich wird. Sie müssen doch wirklich zugeben, daß das eine sehr maßvolle Forderung ist.Ich darf Bezug nehmen auf die Ausführungen, die ich vorhin zur Begründung des Antrags auf Umdruck 189 gemacht habe. Der festgesetzte durchschnittliche Jahresarbeitsverdienst, nach dem die Unfallrenten der Bauern und Bäuerinnen bemessen werden, beträgt im Durchschnitt bei den 18 landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften 2700 DM. Die tatsächlichen Jahresarbeitsverdienste der landwirtschaftlichen Arbeitnehmer, nach denen deren Unfallrenten bemessen werden, betragen jetzt etwa 5100 DM. Dieser Gesetzentwurf der Bundesregierung soll also die Angleichung der Jahresarbeitsverdienste für Bauern und Bäuerinnen in Höhe von 2700 DM etwa an die Jahresarbeitsverdienste der landwirtschaftlichen Arbeitnehmer — 5100 DM — vorsehen.Wir schlagen Ihnen vor, meine Damen und Herren, zu beschließen, daß das so rechtzeitig erfolgt, daß die Anhebung dieser Renten ab 1. Juli 1963 möglich wird. Das ist ein verhältnismäßig kurzer Zeitraum. Und trotzdem: das läßt sich bewerkstelligen, wenn der gute Wille vorhanden ist und wenn man in bezug auf die Finanzierung entschlossen zu handeln bereit ist.Über diese Erhöhung der Unfallrenten wurde, wie wir wissen, im Kabinett gesprochen. Es gab einen Kabinettsbeschluß vom 16. Januar, durch den der Bundesminister Schwarz beauftragt wurde, konkrete Vorschläge zu entwickeln, es gab hier die Regierungserklärung des Bundeskanzlers, und es gab die Bezugnahme des Ministers Schwarz auf diese Dinge, als er den Grünen Plan einbrachte.Es ist eine verhältnismäßig einfache Angelegenheit, wenn man sich hinsichtlich der Finanzierungentschieden hat. Gesetzestechnisch läßt sich diese I Angleichung der Unfallrenten verhältnismäßig einfach bewerkstelligen. Wir hatten die notwendigen Änderungen der einschlägigen Paragraphen bereits vorbereitet, meine Damen und Herren. Sie liegen dort auf meinem Platz in meiner Akte. Es handelt sich um die Änderung der §§ 779, 781 und 800 im Art. 1 und des § 7 im Art. 3 dieses nun beschlossenen Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes. Wir haben diese Änderungsvorschläge heute dem Hohen Hause nur deshalb nicht in zweiter und dritter Beratung vorgelegt, weil wir den hier geübten Gepflogenheiten Rechnung tragen wollten. Diese Dinge sind erst spruchreif geworden, als der Sozialpolitische Ausschuß bereits mit der Beratung des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes fertig geworden war. Wir wollten Sie mit dieser verhältnismäßig neuen Materie nicht überfallen. Aber es besteht keinerlei Veranlassung, nun unter Hinweis auf die für die Erarbeitung eines solchen Gesetzentwurfes notwendige Zeit einen anderen Termin als den in diesem sozialdemokratischen Entschließungsantrag vorgesehenen 1. Juli 1963 zu wählen.Ich bitte Sie in Anbetracht der Stimmung, die hier besteht, und in Anbetracht dessen, daß die Landwirtschaft wirklich nur b e lastet wird und keinerlei Verbesserungen durch diese Unfallversicherungsreform erfährt — gut, es ist richtig: das bezieht sich auf die Selbständigen; die anderen erfahren Verbesserungen, gar kein Zweifel! —, sehr dringend, diesem Entschließungsantrag auf Umdruck 190 Ihre Zustimmung nicht auch noch zu verweigern.
Wird das Wort weiter gewünscht? — Bitte sehr, Herr Abgeordneter Berberich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf in Erwiderung auf die Begründung des Antrags von Herrn Kollegen Frehsee gleichzeitig unseren eigenen Entschließungsantrag auf Umdruck 205 begründen.Meine Damen und Herren, auch in unserer Fraktion ist man sich darüber im klaren, daß das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz eine erhebliche Neubelastung für die Landwirtschaft bringt, ohne daß die Renten für . die Selbständigen angehoben werden können. Diese Belastung wird insbesondere dadurch verstärkt, daß im Rahmen des Strukturwandels sowieso eine erhebliche Last auf die verbliebenen bäuerlichen Betriebe zukommt, und dieser Trend wird im Rahmen der EWG noch wesentlich fortgesetzt. Aus diesem Grunde ist unsere Fraktion der Meinung, daß die landwirtschaftliche Unfallversicherung für die Selbständigen und die mitarbeitenden Familienangehörigen aus dem allgemeinen Rahmen der Unfallversicherung herausgelöst werden sollte, zumindest insoweit, als zwei Sondervermögen für einen Rechtsträger geschaffen werden sollen. Aber wir sind im Gegensatz zu Herrn Kollegen Frehsee und der SPD-Fraktion der Ansicht, daß sich das nicht innerhalb von wenigen Wochen durchfüh-
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Berberichren läßt; denn unserer Meinung nach ist nicht nur die Änderung von drei Paragraphen erforderlich, sondern diese Änderung muß wesentlich weitergehen. Wir bitten deshalb die SPD-Fraktion, ihren Antrag zurückzuziehen; andernfalls müßten wir diesen Antrag ablehnen.Ich will gar nicht auf die Einzelheiten eingehen, die Herr Kollege Frehsee vorgetragen hat. Es ist zweifellos richtig, daß die Renten für die bäuerliche Bevölkerung erheblich niedriger sind als für die übrigen Sozialversicherten und Unfallversicherten. Aber es geht hier nicht um ein Problem allein der Anhebung der Jahresarbeitsverdienste, sondern ganz besonders um das Problem der Finanzierung. Auch Aufträge, diese Frage innerhalb des Kabinetts zu untersuchen, sind nicht dazu angetan, uns zu veranlassen, bereits heute Beschlüsse zu fassen, die noch nicht realisierbar sind. Wir bitten deshalb, unseren Antrag anzunehmen.
Herr Abgeordneter Frehsee!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure es außerordentlich, aber zu diesen Ausführungen des Kollegen Berberich muß ich Stellung nehmen. Er sagt, es handle sich nicht nur um drei Paragraphen. Es handelt sich nicht nur um drei Paragraphen, wenn Sie die landwirtschaftliche Unfallversicherung aus der Reichsversicherungsordnung herausnehmen wollen. Dazu besteht aber keinerlei Veranlassung. Ich möchte das im Namen der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei ausdrücklich erklären. Wenn Sie das nicht wollen, dann handelt es sich tatsächlich nur um die Änderung der drei von mir genannten Paragraphen im Art. 1 und des einen Paragraphen im Art. 3. Es kommt also darauf an, was Sie politisch wollen und wie Sie sich entscheiden.
Selbstverständlich kommt es, wie ich ja auch gesagt habe, in erster Linie auf die Finanzierung an. Selbstverständlich kommt es darauf an, ob Sie bereit sind, über den Grünen Plan, wovon vielfach die Rede war, diese Anhebung der Unfallrenten der Selbständigen zu finanzieren, wie auch in der Öffentlichkeit von namhaften Vertretern der Regierung und der Bundestagsmehrheit vielfach erklärt worden ist. Ich erkläre hier für die Opposition, daß sie dazu bereit ist und daß sie im Zusammenhang mit den Anträgen zum Grünen Plan einen konkreten Antrag auf Einsetzung von 70 Millionen DM im Grünen Plan 1963 zur Finanzierung dieser Aufgabe eingebracht hat.
Wenn Sie sich den Antrag Umdruck 205 einmal im einzelnen ansehen, geht es Ihnen vielleicht ähnlich wie mir; ich mußte mit dem Kopf schütteln, als ich das las. Ich will hinten anfangen. Was ist das für eine Logik, wenn man begründet: Da diese Entwicklung keinen Aufschub duldet, sollte das Gesetz bis zum 1. Januar 1964 in Kraft treten! — Wenn man sagt, die Regelung dieser Frage dulde keinen Aufschub, kann man doch nicht sagen, das Gesetz soll am 1. Januar 1964 in Kraft treten. Dann
müßten Sie sich doch logischerweise schon für den Termin 1. Juli 1963 einsetzen, den wir genannt haben.
Sie sagen im ersten Absatz, „daß die gesetzliche landwirtschaftliche Unfallversicherung auf Grund der besonderen Lage der deutschen Land- und Forstwirtschaft in vielfacher Hinsicht von den Verhältnissen im gewerblichen Bereich abweicht". Das ist ja eine alte Sache, daß die landwirtschaftliche Unfallversicherung von Anfang an ganz anders konzipiert war als die gewerbliche Unfallversicherung. Aber die Entwicklung in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung war doch nicht, wie Sie im Abs. 2 sagen, mit einem wirtschaftlichen Strukturwandel verbunden. Umgekehrt wird ein Schuh daraus, und genau das habe ich vorhin ausgeführt. Die Tatsache, daß sich die Landwirtschaft in einem solchen Strukturwandel, in einer wirtschaftlich und sozial sehr unglücklichen Situation befindet, wie sie der Grüne Bericht 1963 im besonderen Maße ausgewiesen hat, rechtfertigt eben Hilfsmaßnahmen besonderer Art, und hier kommt es im Rahmen des Grünen Plans jetzt auf eine sozialpolitische Hilfsmaßnahme an.
Ich kann also dem, was in dem Antrag Umdruck 205 und zur Begründung dessen gesagt wurde, was am Ende gefordert worden ist, in keiner Weise folgen. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, sich das auch noch einmal eingehend anzusehen. Die Logik spricht für den Antrag auf Umdruck 190! Es kommt lediglich auf den politischen Willen an. I Wenn Sie den haben, wie verschiedentlich erklärt, dann müssen Sie dem sozialdemokratischen Entschließungsantrag Umdruck 190 zustimmen. Ich bitte Sie noch einmal sehr darum.
Meine Damen und Herren, wir stehen in der Aussprache über die Entschließungsanträge Umdrucke 190 und 205. Wird hierzu noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Dann lasse ich abstimmen zuerst über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 190. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Ich muß die Abstimmung wiederholen lassen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.Nun lasse ich über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 205 abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht; den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die große Mehrheit; angenommen.Wir kommen zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 204. Ich erteile das Wort zur Begründung dem Abgeordneten Dr. Franz.
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2886 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963
Vizepräsident Dr. Jaeger— Danke schön. Das Wort hat Herr Abgeordneter Killat.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir bitten nur um die Einschiebung eines Termins. Ich glaube, dann können wir uns verständigen.
Wir beantragen, in der dritten Zeile hinter den Worten „eingeführten § 718 a" die Worte „bis zum 31. Dezember 1963" einzufügen.
Das bezieht sich auf den Antrag Umdruck 204. — Herr Dr. Franz!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir bitten Sie, dieser Anregung des Kollegen Killat nicht zu folgen. Wir sehen uns nicht in der Lage, der Regierung einen Termin aufzuerlegen. Ich bitte, den Entschließungsantrag in der von uns vorgelegten Fassung anzunehmen und den Antrag des Kollegen Killat abzulehnen.
— Sobald als möglich.
Herr Abgeordneter Killat!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Materie ist nicht unbekannt. Wir haben im Ausschuß erfahren, daß vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung ein solcher Vorschlag schon jahrelang bearbeitet wird und praktisch in der Schublade liegt. Es ist daher völlig unverständlich, daß man glaubt, ein solcher Gesetzentwurf könne nicht bis zum Ende dieses Jahres vergelegt werden.
Wir bitten, zumindest den genannten Termin einzuschieben. Dann stimmen wir dem Antrag zu.
Wird weiter das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Der Abgeordnete Killat hat den Antrag gestellt, im Antrag Umdruck 204 /hinter „§ 718 a" die Worte „bis zum 31. Dezember 1963" einzufügen. Ich lasse über diesen Änderungsantrag zuerst abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse nunmehr über den unveränderten Entschließungsantrag der CDU/CSU auf Umdruck 204 abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Ich komme zum Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 211. Das Wort dazu hat der Abgeordnete Killat.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963 2887
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Änderungsantrag wendet sich gegen die Perfektion der Statistik, die wir in diesem Gesetz finden. Der Bundesrat hat mit Recht festgestellt, daß eine Reihe der statistischen Angaben, die hier verlangt werden, auch in einer Repräsentativstatistik erfragt werden können. Da wird zum Beispiel nach der Staatsangehörigkeit des Inhabers von Handwerksbetrieben gefragt. Wir haben im Ausschuß Vertreter des Ministeriums darüber befragt. Die Angaben zur Begründung waren sehr dürftig, und die Begründung schien uns daher nicht ausreichend zu sein. Wir haben einstimmig gesagt: es genügt, wenn das in der Repräsentativstatistik erfaßt wird.
Genauso ist es mit dem Lebensalter. Ich hätte Verständnis dafür, wenn man einmal eine Alterssoziologie des Handwerks haben wollte. Da kann man aber nur mit dem Lebensalter der Inhaber wenig anfangen; denn gerade im Handwerk gibt es wie in der Politik sehr viele Patriarchen, die den Stab nicht aus der Hand geben. Da gibt es dann völlige Verkehrungen, und die Übersichten, die sich daraus ergeben, geben ein völlig falsches Bild. Ich habe das den Kollegen auch in Gesprächen an Hand von Einzelbeispielen klargemacht. Ich sehe mir das immer in meiner Heimatgemeinde an, und ich kann nur sagen: Statistiken über das Alter der Inhaber helfen uns nicht weiter .
Ähnlich sieht es mit der Frage nach den Rechtsverhältnissen an den Räumen aus. Meine Damen und Herren, es wird immer geklagt, es gebe zu viele Statistiken, und sie seien zu umfangreich. Hier haben wir einmal die Möglichkeit, der vernünftigen Anregung des Bundesrates zu folgen. Ich bitte um Annahme unseres Antrages.
Das Wort hat der Abgeordnete Wieninger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt veritable
*) Siehe Anlage 24
Debatten, wichtige Vorlagen, aber es gibt auch Bagatellfälle.
— Das ist Ihre Ansicht. Mir scheint die ganze Sache eine Bagatelle zu sein.
Im vorliegenden Gesetzentwurf unterscheiden wir erstens eine allgemeine Zählung, der sich alle Handwerksmeister zu unterziehen haben, und zweitens eine repräsentative Ergänzungserhebung, zu der lediglich 150 000 Betriebe herangezogen werden. Die SPD verlangt nun, daß aus der allgemeinen Zählung, die sich also auf jeden Handwerksmeister erstreckt, die Angaben über ,das Lebensalter und die Staatsangehörigkeit des Inhabers sowie Angaben über die Rechtsverhältnisse an den Räumen, die dem Betrieb des Handwerks dienen, heraus- und in die repräsentative Ergänzungserhebung, bei der nur, wie ich schon sagte, 150 000 Betriebe beteiligt sind, hinübergenommen werden sollen.
Meine Damen und Herren, ich muß diesem Antrag namens meiner Fraktion widersprechen, und zwar aus folgenden Gründen. Erstens ist überhaupt nicht einzusehen — Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, Ihre Begründung hat mich nicht überzeugt —,
warum wir eine Änderung eintreten lassen sollten.
Zweitens haben der federführende Wirtschaftsausschuß und der mitberatende Mittelstandsausschuß über diese Änderungswünsche des Ausschusses für Inneres eingehend beraten, und wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dieser Anregung des Innenausschusses' nicht zu entsprechen.
Drittens. Die Frage nach dem Altersaufbau der Handwerkerschaft und insbesondere die Frage nach den Rechtsverhältnissen an den Räumen, die dem Betrieb dienen, scheinen uns so wichtig zu sein, daß wir „auf Heller und Pfennig", ganz exakt, die Angaben in der Handwerkszählung und nicht über eine Repräsentativbefragung wünschen.
Viertens. Wir sind deswegen gegen den Antrag der SPD, weil .die Kosten der Handwerkszählung höher zu stehen kämen, wenn wir dem Antrag der SPD entsprächen. Der Vertreter der Bundesregierung, der in unseren Ausschüssen anwesend war, hat uns schlüssig und glaubwürdig dargelegt, daß in der repräsentativen Ergänzungserhebung die Zahl erheblich in die Höhe gesetzt werden müßte, weil aus .den Angaben von 150 000 zu Befragenden, wie es jetzt geplant ist, nicht eine ins Allgemeine gehende Vollständigkeit zu erreichen ist.
Weil also dem so ist, bitten wir den Antrag der SPD abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmitt-Vockenhausen.
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2888 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. März 1963
Meine Damen und Herren, mit Recht haben Sie „siehste" gesagt; denn auf diese Gründe muß man ja doch noch einmal anworten.
Ich möchte zunächst sagen, daß der Bundesrat einmütig, also mit den Stimmen aller Länder, beschlossen hat, daß diese Angaben statt in der allgemeinen Statistik in der Repräsentativstatistik gebracht werden sollen. Zweitens, Herr Kollege, handelt es sich hier nicht um die Frage des Altersaufbaues des Handwerks, sondern eben nur um die der juristischen Inhaber. Damit ist alles gesagt, und es ist klargestellt, daß hier in Wirklichkeit wieder einmal eine der vielen Statistiken mehr gemacht wird, die im Grunde nachher wirklich gar nichts aussagen. Ich könnte Ihnen das an vielen anderen Statistiken nachweisen. Aber Sie haben sich nun mal festgelegt. Ich hoffe, daß trotzdem noch viele Kollegen für diese Mehrarbeit, die man den Betrieben und der Verwaltung aufbürdet, kein Verständnis haben und unserem Antrag zustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dürr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob ich in dieser „weltbewegenden" Frage für meine ganze Fraktion sprechen kann. Aber mir erscheint letzten Endes ein Argument wesentlich: Die Handwerker beklagen sich mit Recht über den immer mehr überhandnehmenden Papierkrieg, der sie neben ihrer Arbeitszeit belastet. Den wollen wir nicht noch vergrößern, wenn es nicht nötig ist. Ich glaube nicht, daß die Repräsentativstatistik zu einem anderen Ergebnis
führt, als wenn die Angaben in allen Handwerksbetrieben verlangt werden.
Lieber Herr Kollege Wieninger, Sie machen ein betrübtes Gesicht; aber ich glaube, die wesentlichste Frage für das deutsche Handwerk ist diese Geschichte nicht.
Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Ich lasse abstimmen über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 207, und zwar zuerst über Ziffer 1: „In § 4 wird Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a gestrichen". Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Meine Damen und Herren, ich muß die Abstimmung wiederholen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Meine Damen und Herren, das ist nicht festzustellen. Das Haus ist durchweg schütter besetzt. Ich muß auszählen lassen. —
Ich gebe das Ergebnis der Auszählung bekannt. Mit Ja haben 94 Mitglieder des Hauses gestimmt, mit Nein 121 Mitglieder, enthalten haben sich 10. Damit haben sich 225 Mitglieder an der Abstimmung beteiligt. 250 wären notwendig. Das Haus ist nicht beschlußfähig.
Ich berufe die nächste Sitzung auf Freitag, den 8. März, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.