Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich dem Herrn Vizepräsidenten des Bundestages Professor Dr. Schmid die herzlichsten Glückwünsche des Hauses zum 60. Geburtstag aussprechen.
Ich habe Professor Schmid die Glückwünsche des Hauses gestern übermittelt und die Wünsche zu seiner baldigen Genesung damit verbunden.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 30. November 1956 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht gestellt:
Gesetz über Bergmannsprämien ,
Gesetz zur Änderung des Soldatengesetzes und des Besoldungsangleichungsgesetzes für den Bundesgrenzschutz,
Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern.
Zum
Gesetz zur nderung und Ergänzung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung
hat der Bundesrat verlangt, daß der Vermittlungsausschuß gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes einberufen wird. Sein Schreiben ist als Drucksache 2941 verteilt.
Der Herr Bundesminister der Justiz hat unter dem 28. November 1956 die Kleine Anfrage 286 der Fraktion der SPD betr. Jagdunfälle beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 2942 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Verteidigung hat unter dem 29. November 1956 die Kleine Anfrage 297 der Fraktion der SPD betr. Personalpolitik bei der Bundeswehr beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 2953 verteilt.
Das Wort zur Tagesordnung hat der Herr Abgeordnete Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktionen der Regierungskoalition beantrage ich, die heutige Tagesordnung zu erweitern um die zweite und dritte Lesung des Gesetzes über die Dauer des Grundwehrdienstes und die Gesamtdauer der Wehrübungen, Drucksache 2807, Ausschußbericht Drucksache 2938, und bitte, diesen Punkt als Punkt 2 der heutigen Tagesordnung zu behandeln.
Sie haben den Antrag gehört.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Merten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion widerspricht dem Antrag der Regierungskoalition, das Gesetz über die Dauer des Grundwehrdienstes und die Gesamtdauer der Wehrübungen heute auf die Tagesordnung zu setzen. Wir sind weder durch die bei der ersten Lesung dieses Gesetzes am 8. November vorgebrachten Argumente noch durch die inzwischen erfolgte Behandlung des Gesetzes von der Eilbedürftigkeit dieser Vorlage in irgendeiner Weise überzeugt worden.
Daran ändert auch nichts die Tatsache, daß der Herr Kollege Rasner gestern vor der Presse die Erklärung abgegeben hat, die Ablehnung, die-
ses Gesetz auf die Tagesordnung zu setzen, durch die SPD sei ein Mangel an politischem Stil.
Meine Damen und Herren, wenn Sie glauben, daß die rücksichtslose Majorisierung einer Minderheit im Parlament durch die Mehrheit -- —
— Warten Sie doch erst einmal ab, was ich sagen
will. Es ist eine rein theoretische Erwägung. Ich
wundere mich, daß Sie sich da so getroffen fühlen.
Ich meine, wenn jemand glauben sollte — es ist vielleicht niemand hier, der das glaubt —, daß diese Art parlamentarischer Arbeit politischer Stil sei, dann ist die SPD stolz darauf, diesen politischen Stil sehr mangelhaft zu beherrschen.
Und wenn hier überhaupt Noten über politischen Stil verteilt werden sollen, dann wären wir sehr dafür, daß das denen überlassen bliebe, die durch ihre eigene untadelige Art des politischen Stils sich für dieses Richteramt qualifiziert haben.
Bei der Beratung dieses Gesetzes im Ausschuß haben wir aber leider sehr über Mangel an politischem Stil — allerdings jetzt in unserem Sinne — klagen müssen. Wir widersprechen der Beratung der Vorlage auch deshalb, weil sie im Ausschuß nicht genügend vorbereitet ist.
— Herr Stücklen, Sie waren gar nicht dabei. Ich werde Ihnen gleich sagen, warum. Bei der ersten Lesung hat nämlich die Regierung hier eine Vorlage begründet, die mit der heutigen Vorlage lediglich im ersten und im letzten Satz übereinstimmt.
Der Herr Bundesminister für Verteidigung hat bei der ersten Lesung erklärt, daß bei der Behandlung der Vorlage in den Ausschüssen alle personellen, materiellen und ausbildungsmäßigen Maßnahmen ausführlich und gründlich beraten werden sollen. Statt dessen ist die Bundesregierung im Ausschuß von ihrer eigenen Vorlage abgerückt und hat über Abgeordnete der Koalition eine völlig neue Vorlage mit völlig neuem Inhalt eingebracht.
Nicht mit einem Wort hat die Regierung hier ihre in der ersten Lesung eingebrachte Vorlage verteidigt, sondern hat sich sofort hinter die Vorlage gestellt, die nicht etwa im Ausschuß entstanden ist, sondern die hinter den verschlossenen Türen der Koalition ausgehandelt worden ist. Die Koalition hat dem Verteidigungsminister damit, glaube ich, keinen guten Dienst getan, weil sie ihn gezwungen hat, binnen zwei Wochen von dem abzurücken, was er hier in der ersten Lesung gesagt hat. Die Opposition hat keine Gelegenheit erhalten, sich mit der völlig neuen Situation zu beschäftigen. Als Beispiel will ich nur anführen, daß wir beantragt hatten, den neuen § 2 a um zwei Tage zurückzustellen, um ihn prüfen zu können; auch das wurde abgelehnt.
Wir protestieren daher auf das energischste gegen diese Art politischen Stils. Auf diese Art und Weise wird der Wunsch, den der Verteidigungsminister in der ersten Lesung hier mit Recht geäußert hat, daß Existenz und Aufbau der Bundeswehr aus dem parteipolitischen Tageskampf herausgehalten werden, keine Erfüllung finden können. Aber die Schuld daran liegt einfach bei denen — es mögen nur einige wenige sein —, die keine Lust haben, einen Weg zu suchen und zu finden, der gemeinsam mit der Opposition gegangen werden kann.
Wir widersprechen der Veränderung der Tagesordnung auch deshalb, weil wir vor der Verabschiedung dieser Vorlage andere Gesetze für wesentlich dringlicher halten. Das Gesetz über den Alternativdienst der Kriegsdienstverweigerer liegt noch nicht einmal dem Kabinett vor. Das sehr wichtige Organisationsgesetz verzögert sich, so daß letzten Endes die vollendeten Tatsachen stärker sein werden als das, was in diesem Gesetz steht. Weiterhin haben wir die Wehrbeschwerdeordnung und die Wehrdisziplinarordnung noch gar nicht in die Beratung nehmen können, ganz abgesehen von den persönlichen Angelegenheiten der Soldaten: kein Besoldungsgesetz, kein Versorgungsgesetz, kein Unterhaltssicherungsgesetz, kein Arbeitsplatzschutzgesetz, nichts ist da! Es fehlt das Gesetz über den Vertrauensmann, und wir wissen auch, daß die Ausrüstung, die Unterkünfte und vieles andere nicht mit der Eile Schritt halten können, die hier von Ihnen laufend praktiziert wird.
In der ersten Lesung ist von dem Herrn Bundesverteidigungsminister ausdrücklich gesagt worden, daß sich die Entwicklung nur Schritt für Schritt vollziehen könne und daß das Parlament ausreichend Zeit haben müsse und haben solle, um diese Dinge in Ordnung zu bringen. Es entsteht der Eindruck, daß diese Worte zwar hier für die Öffentlichkeit des Parlaments bestimmt waren, daß aber hinter den verschlossenen Türen des Ausschusses genau das Gegenteil praktiziert werden sollte.
Wir haben auch genügend politische Gründe; ich kann sie hier im Rahmen einer Geschäftsordnungsdebatte nicht alle erwähnen. Die allenthalben sich abzeichnende Veränderung des weltpolitischen Bildes läßt es auch wegen der Schaffung eines günstigen Klimas zur Vorbereitung der Verhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands als einen schweren politischen Fehler erscheinen, eine aus überholten politischen und überholten militärischen Erwägungen entspringende Konzeption in dieser Form und mit diesem Stil weiter zu verfolgen.
Wir bitten das Hohe Haus, den Antrag der Koalition abzulehnen und es bei der vorliegenden Tagesordnung zu belassen.
Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag gehört, die Vorlage Drucksache 2938 als Punkt 2 auf die Tagesordnung zu setzen, ich nehme an, als Punkt 3, weil die Ungarn-Debatte vorausgehen soll. Die SPD widerspricht der Aufsetzung auf die Tagesordnung. Ich lasse abstimmen. Wer dem Antrag des Abgeordneten Rasner zustimmen will, den Ausschußbericht Drucksache 2938 als Punkt 3 auf die Tagesordnung zu setzen, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das erste ist die Mehrheit; der An-
trag ist angenommen. Wir setzen die Drucksache 2938 als Punkt 3 auf die heutige Tagesordnung.
Ich komme damit zur Tagesordnung und rufe Punkt 1 auf:
Wahl eines Mitgliedes des Kontrollausschusses beim Bundesausgleichsamt.
Hierzu hat mir die CDU/CSU ein Schreiben zugestellt, in dem sie mitteilt, daß sie als Nachfolger für den verstorbenen Oberbürgermeister a. D. Josef Braun in seiner Eigenschaft als stellvertretendes Mitglied des Kontrollausschusses beim Bundesausgleichsamt Herrn Dr. Hermann Lindrath, MdB, benenne. Ich frage das Haus, ob es diesem Vorschlag zustimmen will. — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich komme zu Punkt 2 der Tagesordnung und rufe auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FVP, DP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Flüchtlings-Notleistungsgesetzes .
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist vereinbart worden, daß zu den drei Punkten a, b, c des Tagesordnungspunktes 2 nur Begründungen gegeben werden und keine Aussprache erfolgen soll.
Ich gebe zunächst das Wort zur Begründung des eben aufgerufenen Antrags Drucksache 2928. Wer wünscht das Wort zur Begründung? — Herr Abgeordneter Dr. Schäfer!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktionen der Regierungskoalition, der CDU/CSU, der DP und der FVP, habe ich die Anträge Drucksachen 2928 und 2914 zu begründen. Ich glaube, ich kann mich dabei sehr kurz fassen; denn die Sachverhalte liegen uns erlebnismäßig so nahe, daß es eigentlich nicht notwendig ist, mit detaillierter Begründung das zu motivieren, was mit diesen Anträgen beabsichtigt ist.
Es handelt sich im Grunde um die Tendenz, Maßnahmen, die wir im eigenen Bereich für Angehörige unseres Volkes angewandt haben, um Leidenswege zu umgehen oder zu mildern und Notstände abzustellen, auf Vertriebene anderer Völker zu übertragen, insbesondere auf die Vertriebenen, die in diesen Tagen nach den Kampfhandlungen und nach den Auseinandersetzungen in Ungarn den Weg über unsere Grenzen finden. Wir stehen damit wieder einmal vor einer Aufgabe, die sich in unserem Zeitalter immer wieder gestellt hat. Es ist eine verhängnisvolle Aufgabe. Seit einigen Jahrzehnten haben wir so etwas wie eine neue Völkerwanderung, hervorgerufen nicht aus dem Bedürfnis der Menschen und aus der Freiheit einer Bewegung von Menschen, Gütern und Gedanken. Hier geht es nicht um den Wunsch, sich andere Möglichkeiten des Tätigwerden im Dasein zu suchen, sondern hier wirkt Terror entvölkernd und vertreibend. Hier erleben wir immer wieder den Rückfall in die Barbarei, der seit Jahrzehnten die Geschichte unserer Zeit kennzeichnet. Ach, da geht ein langer Zug zahlloser Schatten von Verfolgten auf endlosen Leidenswegen durch die Geschichte unserer Zeit.
Wir müssen dieser Zeitlage gewachsen bleiben und uns stark erweisen, mit ihr einigermaßen fertigzuwerden. Wir haben es mit immer wieder neuen Gewaltherrschern totalitärer Systeme zu tun, die versuchen, Erfolge zu erzielen, indem sie immer wieder neue Sklavenheere in den Dienst angeblicher Menschheitsbeglückung stellen. Wir stehen dem allen mit unzulänglichen Mitteln gegenüber. Wir versuchen zu helfen. Diplomatische Künste reichen nie aus, um mit diesen Dingen fertigzuwerden. Wir dürfen uns aber nicht hinstellen und uns nur auf Entsetzen und Entrüstung beschränken, sondern wir müssen unser Mitgefühl tätig werden lassen.
Ich darf in diesem Zusammenhang einen kurzen Hinweis geben auf das, was aus persönlicher Initiative in unserem Volke und in anderen Völkern lebendig geworden ist. Ich sage ein Wort des Dankes an alle Bürger der Bundesrepublik, die ihre Hilfsbereitschaft jetzt schon tätig bekundet haben, auch an die Organisationen, insbesondere die Wohlfahrtsverbände, die in dieser Richtung schon eine Initiative ergriffen haben, wo der etwas langsamere Gang der Gesetzgebung nicht schnell genug hat einsetzen können.
Ich sagte schon, daß es für uns gilt, nicht nur eine Hilfsbereitschaft zu bekunden, die wir sehr oft für Angehörige unseres eigenen Volkes haben bekunden müssen. Wir wollen bei unseren Überlegungen sogar anerkennen und davon ausgehen, daß wir in den vergangenen Jahrzehnten vielfach in der Lage gewesen sind, selber Hilfsbereitschaft anderer entgegennehmen zu müssen und die Hilfsbereitschaft anderer auf uns und für uns wirken zu lassen. Also, es steckt in unserem Vorsatz auch ein Stückchen Dankesschuldgefühl für diejenigen, die in der Vergangenheit Notleidenden und Hilfsbedürftigen aus unserem Volk Hilfe haben zuteil werden lassen.
Aber bei dieser neuen Hilfsbereitschaft kommt es darauf an, nicht Worte zu machen, sondern in hilfsbereiter Nüchternheit Taten zu bewirken. Diese Absicht ist in diesen Anträgen, in dieser Entschließung, in diesem Gesetzentwurf, die Ihnen vorliegen, bekundet. Ich möchte hervorheben, daß bei uns nicht der Gedanke vorhanden ist, dabei irgendeine Art von Assimilation zu pflegen, sondern wir wollen den Angehörigen anderer Völker, die bei uns nun eine Heimstatt finden sollen, die Möglichkeit einer eigenständigen Kulturpflege eröffnen. Wir denken dabei immer an unsere eigenen Mitbürger mit ihrem verdorbenen Schicksal. Wir haben — und das ist auch eine Triebkraft für uns — stets dieses Beispiel Ungarns, diesen beispielhaften und auch wieder beispiellosen Kampf für die Freiheit vor Augen.
Eins ist uns in dieser Auseinandersetzung der letzten Wochen vor allen Dingen sichtbar geworden — das ist etwas sehr Entscheidendes, meine Damen und Herren —: daß ein volles Jahrzehnt der Unterdrückung, der systematischen Versuche zur Auswechslung der Hirne und Seelen nicht ausgereicht hat, im Volke der Ungarn das abendländische Lebensgefühl weithin zu entwurzeln oder zu zerstören.
So ist das, was wir tun, auch für uns die Bekundung eines Bewußtseins der abendländischen Solidarität und eines Bewußtseins der europäischen
Verbundenheit. Wir stellen unsere Bemühungen in den Rahmen aller Anstrengungen, die die freie Welt macht, um eine realistische Gemeinbürgschaft der Freien zu bewirken, zu festigen und zu kräftigen. So geht das, was in diesem Gesetzentwurf und in der beantragten Entschließung gesagt ist, in seinen letzten Beweggründen über nationalstaatliche, wirtschaftliche oder gesellschaftliche Gruppenselbstsüchte hinaus und hinweg. Wir wollen uns eingliedern in die Bemühungen, Hilfe zu bringen, wie sie uns beispielhaft schon von anderen Ländern aufgezeigt worden sind. Ich denke etwa an Kanada, das aus dem Verantwortungsbewußtsein, eine naturgewachsene oder, wenn Sie wollen, gottgewollte Volkskultur zu retten und zu erhalten, in seiner Bereitschaft so weit gegangen ist, die Fakultät einer Universität zu sich zu nehmen und fortzusetzen.
Also was wir da beabsichtigen, meine Damen und Herren, das ist der Weg einer sicherlich unzulänglichen, aber immerhin ernst genommenen und ernst angestrebten Hilfe gegen die Verfahren und gegen die Methoden der Lebensverkümmerung durch immer neue Gewaltherrschaftsakte und gegen eine brutale, Menschenrecht und Menschenwürde verletzende Gewaltanbetung.
Ich möchte das Motiv, das hinter unserem Tun steht, kurz deuten. Es liegt darin so etwas wie ein Bekenntnis zu einer Weise des Seins, die vom Leben ausgeht und sich zur Rettung, zur Erhaltung und Gestaltung von Leben und Lebenskräften, die bedroht sind, bekennt. Es ist die Bemühung, gegen die Übermacht der Gewalttätigen so etwas wie eine Gegenmacht der Hilfsbereiten aufzustellen. Ich möchte da zusammenfassend ein Schillerwort abwandeln, indem ich sage: „Das Leben ist des Daseins höchstes Gut, der Übel größtes ist die Übermacht."
Meine Damen und Herren, Sie haben soeben die Begründung des Tagesordnungspunktes 2 a und 2 b gehört. Ich habe den Punkt 2 b noch nicht aufgerufen:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, FVP, DP betreffend Hilfe für ungarische Flüchtlinge .
Die Begründung ist bereits erfolgt. Ich rufe auf Punkt 2 c:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Hilfe für Flüchtlinge aus Ungarn .
Wer wünscht das Wort zur Begründung? — Herr Abgeordneter Paul!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute sind es 44 Tage, da ein ganzes Volk im Herzen Europas sich erhoben hat, um mit kühner Hand nach seinem Selbstbestimmungsrecht zu greifen und das Joch seiner Unterdrücker abzuschütteln. Es waren Arbeiter und Bauern, Intellektuelle und Soldaten, es waren vor allem junge Menschen, die zum Kampf antraten. In ganz Budapest loderte die Flamme des Aufruhrs hoch empor, und die einst so schöne Metropole Ungarns schickte sich an, wieder eine Hauptstadt freien Geistes zu werden. Die Bergarbeiter aus den Revieren um Fünfkirchen herum, das Volk von
Raab und Ödenburg standen an der Spitze des Kampfes, an der Spitze eines Ringens, das bis heute noch nicht zu Ende ist und erst zu Ende sein wird, wenn die Freiheit errungen und gesichert sein wird. Die Frauen von Budapest haben erst gestern dafür erneut einen Beweis erbracht.
Meine Damen und Herren! Der Kampf des ungarischen Volkes wäre längst zugunsten der Freiheit entschieden, hätte es das ungarische Volk nur mit seinem eigenen bolschewistischen System zu tun gehabt. Die Moskauer Machthaber mußten 22 Panzer- und 20 Infanteriedivisionen einsetzen, um in Ungarn ein ihnen genehmes Regime an der Macht zu erhalten und es so noch an sein Satellitensystem zu ketten. Wenn heute ein Teil der Arbeiter in Ungarn die Beschäftigung wieder aufgenommen hat, dann — das sollte man auch im Kreml wissen — trieb sie mehr Hunger und Kälte an ihre Werkbank zurück als die Furcht vor den sowjetischen Panzern.
Tausende Männer und Frauen starben einen Opfertod für die Freiheit. Die ganze zivilisierte Menschheit hat Anlaß, sich vor der Tat dieser Menschen und ihrem Opfer in Ehrfurcht zu verneigen. Tausende Freiheitskämpfer sind deportiert worden und gehen, soweit sie noch am Leben sind, einem bitteren Schicksal entgegen. Deportiert wurden selbst der Chef einer Koalitionsregierung und ein Teil seiner Mitarbeiter, einer Regierung, die versucht hatte, dem Willen des Volkes zu entsprechen., Es soll unsere demokratische Pflicht sein, gemeinsam mit der Mehrheit der Repräsentanten in der Versammlung der Vereinten Nationen gegen diese Deportationen zu protestieren und die Freilassung der Verschleppten zu fordern.
Aber, meine Damen und Herren, dies ist nur die eine Seite der ungarischen Tragödie. Zehntausende Männer, Frauen und Kinder, ganze Familien, ganze Schulklassen und halbe Dörfer, ganze Betriebe haben den Versuch gemacht, ihren Henkern und deren Schergen zu entkommen und die Freiheit zu gewinnen. Auch bei dieser Aktion zur Rettung ihres nackten Lebens setzten sie ihr Leben ein. Ich habe selber zu jenen gehört, die gemeinsam mit einem Ausschuß des Europarates kürzlich an der ungarischen Grenze waren. Wir haben jene Felder gesehen, die kaum von den Minen geräumt waren und nun aufs neue mit Minen verseucht worden sind, um den Flüchtlingen den Weg in die Freiheit abzuschneiden. Das ist nur unvollkommen gelungen. Nacht um Nacht und Tag um Tag kommen Tausende Ungarn über die Grenze nach Österreich. Sie waten durch Seen und Flüsse, schleichen durch verschneite Wälder und Felder, sie nehmen unsägliche Strapazen auf sich und gehen außerdem einem ungewissen Schicksal entgegen, — nur um die Luft der Freiheit atmen zu können.
Der Größe des Opfers dieser Menschen muß die Größe unserer Hilfsbereitschaft entsprechen. Wir Deutschen, die wir selber die Tragödie der Vertreibung von Millionen erleben mußten, die wir heute noch täglich Flüchtlinge aus der sowjetisch besetzten Zone unseres eigenen Landes in Empfang nehmen, gerade wir Deutschen sollten das größte Verständnis für die ungarischen Flüchtlinge besitzen; gerade wir sollten fähig sein, uns in die Lage dieser Menschen zu versetzen. Gestern noch waren die ungarischen Freiheitskämpfer in der ganzen Welt bewunderte Menschen; heute sind sie hilflose. bedürftige Flüchtlinge. An ihnen muß sich unsere Solidarität bewähren.
Der Antrag der SPD-Fraktion, den ich zu vertreten die Ehre habe, will die materiellen Voraussetzungen dafür verbessern. Wir anerkennen dabei durchaus das, was bereits geschehen ist. Wir nehmen mit Befriedigung zur Kenntnis, daß die Bundesregierung der von Vertretern unserer Fraktion im Auswärtigen Ausschuß am 16. November gegebenen Anregung entsprochen und das ursprünglich vorgesehene Limit für die Aufnahme ungarischer Flüchtlinge wesentlich erhöht hat. Die Not der Betroffenen ist aber so groß, daß sie außerordentliche Maßnahmen rechtfertigt.
Meine Damen und Herren, wir haben dabei auch die Aufgabe, an die schwere Lage unseres Nachbarstaates zu denken. Österreich ist das einzige Tor zur Freiheit für die ungarischen Flüchtlinge. Als wir am 12. und 13. November in Wien waren, haben uns österreichische amtliche Stellen versichert, daß man nur für 30 000 Flüchtlinge Raum schaffen könne. Heute sind es fast 120 000, die in Österreich Asyl gesucht haben, und jeden Tag treffen neue Tausende ein. Nur rund 40 000 konnten bis jetzt weitergeleitet werden; 80 000 sind noch in den einfachen Flüchtlingslagern Österreichs und harren der Weiterbeförderung nach den Ländern des freien Westens. Wir haben größte Hochachtung vor der Leistung, die Osterreich vollbracht hat; und weil es so ist, sollten wir nicht zögern, auch den auf uns entfallenden Teil der Bürde voll auf uns zu nehmen und noch mehr zu helfen, als es bisher der Fall war.
Solidarität darf sich nicht in Worten erschöpfen, Solidarität muß in klingende Münze, muß in Taten umgeprägt werden. Die bisher von der Bundesregierung angesetzten 10 Millionen DM scheinen uns nicht ausreichend zu sein. Deshalb verlangt ) unser Antrag Drucksache 2926, der Bundestag möge den Beschluß fassen, 25 Millionen DM für die Ungarnflüchtlinge zu bewilligen.
Wir verlangen ferner, daß uns umgehend berichtet werde, wie sich die Lage der ungarischen Flüchtlinge in der Bundesrepublik gestaltet, damit das Parlament und seine Ausschüsse die Möglichkeit haben, bei der Beratung der Bundesregierung in allen Fragen mitzuwirken.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß noch eine Bemerkung gesamtdeutscher Natur machen. Der Deutsche Bundestag ist der Sprecher des ganzen deutschen Volkes. Wir stehen auch für die Menschen in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands, und wir haben jene Solidarität zu üben, die diese nicht selbst leisten können. Die Vorgänge in Ungarn und das, was vorher schon in Polen geschah, sind eine Bestätigung dafür, daß die 17 Millionen Deutschen in der Zone und vor allem jene, die sich am 17. Juni 1953 als erste erhoben und ihren Freiheitswillen demonstriert haben, in ihrem Streben nicht allein stehen. Die Herzen und Sinne unserer Freunde in der Zone sind bei den Freiheitskämpfern in Ungarn. Wir sollen daher in dieser Stunde uns auch als Vollzugsorgane unserer Freunde in der Zone und in Ost-Berlin betrachten und auch ihren Anteil mit durch unseren Beitrag leisten.
Ich hoffe, meine Damen und Herren, daß die Anträge, die heute zur Aussprache stehen, sogleich den Ausschüssen überwiesen werden und daß die Ausschüsse rasche Arbeit leisten, damit der Bundestag noch in dieser Woche die nötigen Beschlüsse fassen kann. Geben wir der freien Welt ein Beispiel! Lassen wir uns unseren Willen zur Solidarität dadurch beweisen, daß wir den Worten unmittelbar die Tat folgen lassen!
Ich gebe das Wort zu einer Erklärung für die Fraktion der FDP der Abgeordneten Frau Dr. Ilk.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wieder fahren Flüchtlingszüge durchs Land mit Menschen, die ihr Land verlassen haben, weil sie dort im Kampf um die Freiheit unterlegen sind und sich nun vor der Rache der derzeitigen Gewalthaber unter Aufgabe von Heim und Heimat in Sicherheit bringen. Sie brachten die Opfer für uns alle, für den Gedanken der Freiheit schlechthin, und daraus erwächst uns die Verpflichtung, diesen Menschen zu helfen. Diese Verpflichtung nehmen wir freudig auf uns.
Unwillkürlich gehen unsere Gedanken zurück in die Jahre 1945, 1946, als unsere Landsleute aus dem Osten als Flüchtlinge und Vertriebene in den Westen strömten. Viel Not mußte damals und in den folgenden Jahren gelindert werden. Aus eigener Kraft konnten wir sie nicht beseitigen, und dankbar gedenken wir der Hilfe, die uns jahrelang aus anderen Ländern, aus europäischen und außereuropäischen, zuteil wurde, sei es durch Sachspenden, sei es dadurch, daß man unseren Landsleuten in den anderen Ländern eine neue Heimat bot. Wir freuen uns, daß wir heute Gelegenheit haben, auch dem hier anwesenden kanadischen Flüchtlingsminister dafür Dank zu sagen, daß er manchem unserer Landsleute eine neue Heimat in seinem Lande gab.
Aber ein Dank nur durch Worte genügt nicht. Wir wollen unseren Dank ein wenig dadurch abzutragen versuchen, daß wir hilfreich denen zur Seite stehen, die heute in solch großer Not sind, den Ungarnflüchtlingen. Vieles ist schon geschehen. Sehr zahlreiche Spenden und Hilfsmaßnahmen sind aus allen Teilen des deutschen Volkes zur Linderung der Not der Flüchtlinge aus Ungarn erfolgt. Dabei ist zu vermerken, daß auch gerade in den Kreisen der Heimatvertriebenen, die zum Teil leider auch heute noch in Notunterkünften leben müssen, in vorbildlicher Weise Hilfe geleistet und Opferbereitschaft bewiesen worden ist.
Die karitativen Organisationen, allen voran das Rote Kreuz, dessen bayerischem Landesvorstand ich anzugehören die Ehre habe, haben sich in vorbildlicher Weise zur Hilfeleistung zur Verfügung gestellt, und zahllose Helfer in kleinsten Organisationen stehen ihm zur Seite. Das Rote Kreuz wird auch seinen Suchdienst auf die Ungarnflüchtlinge ausdehnen und dazu beitragen, daß Familien, die durch die traurigen Ereignisse und die Flucht getrennt wurden, wieder Verbindung miteinander bekommen und, wenn möglich, wieder zusammengeführt werden.
Vielleicht sollte man dabei auch einmal überlegen, ob nicht dem Roten Kreuz für diese segensreiche Tätigkeit noch besondere Mittel zur Verfügung gestellt werden können. Alle Maßnahmen, die Bund, Länder und private Personen getroffen haben, reichen noch nicht aus. Hier muß noch mehr geschehen, und so bejahen wir voll und ganz die gestellten Anträge und behalten uns vor, im Ausschuß diese Anträge eventuell noch zu erweitern.
Die Betreuung muß besonders stark auf die jugendlichen Flüchtlinge ausgedehnt werden. Ist es nicht ein Phänomen, daß die jungen Menschen, die in der Ideologie des Ostens erzogen wurden und um die sich das Regime besonders bemüht hat, im Verlangen nach Freiheit ihr Leben und ihre Heimat aufs Spiel setzten? Ihnen müssen wir ganz besonders helfen. Aber materielle Hilfe allein reicht da nicht aus. Es ist besonders eine geistige Betreuung nötig. Wir müssen sie lehren, die Freiheit des Westens besonders kennen und schätzen zu lernen.
Lassen Sie uns der Rohheit und Brutalität, Herzensgüte und Hilfsbereitschaft und der Macht der Gewalt die Kraft unserer Menschlichkeit entgegenstellen.
Das Wort zu einer Erklärung für die Fraktion des GB/BHE hat der Herr Abgeordnete Dr. Strosche.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, daß es in dieser Stunde niemanden in diesem Hohen Hause geben wird, der nicht mit mir in der Darlegung der Tatsache übereinstimmen würde, daß wir alle von tiefstem menschlichen Mitleid und Mitgefühl mit den Opfern des tragischen Freiheitskampfes in Ungarn erfüllt sind, eines Freiheitskampfes, den die stets nationalbewußte, freiheitliebende ungarische Nation, geführt von jungen Arbeitern, Bauern, Studenten und Soldaten, soeben durchlitten hat, und zwar gewisse nationalkommunistisch-titoistische Linien, die man ihr vorzeichnen wollte, überschreitend. Dieses Mitgefühl ruft nach verstärkter, ja weitestmöglicher Hilfe aller freien Deutschen für alle Flüchtlinge aus Ungarn, und ich darf namens unserer Partei sagen, daß gerade wir, die wir als Heimatvertriebene in den Jahren 1945/46 Ähnliches durchlitten haben, in Rückerinnerung an jene Tage von diesem Mitgefühl ganz besonders durchdrungen sind. Aus ihm heraus fordern auch wir uneingeschränkte, höchstmögliche Hilfeleistung, damit so der Beweis gegeben werden kann, daß an Stelle von manchmal viel zuwenig verpflichtenden Reden um Europa nun europäische Taten treten können.
Das politische Bekenntnis zur europäischen oder zumindest mitteleuropäischen Solidarität mit den ungarischen Freiheitskämpfern ist aktuell und wichtig, ein Bekenntnis, das wir alle als oft allzu selbstsicher erscheinende Nutznießer westlicher Freiheit und Rechtsstaatlichkeit denjenigen gegenüber ablegen müssen, die sich zu tragisch-heldenhaften Vorkämpfern für echte europäische Rechtsstaatlichkeit und Freiheit, für das Recht auf Selbstbestimmung aller Völker und Volksgruppen in vorbildlicher Weise gemacht haben. Ich glaube, daß wir, mag die Tragödie Ungarns noch so groß sein, alle eine Gewißheit haben können: daß diese Vorkämpfer für Freiheit und Recht, insbesondere in Richtung auf den Weltkommunismus und seine Tendenzen, geschichtliche Taten gesetzt haben, die fortwirken und fortwirken werden. Dafür gebührt ihnen unser aller Dank!
Meine Damen und Herren, wir sollten allerdings, wenn wir dieses Bekenntnis zu Mitgefühl und Solidarität der Tat ablegen, manche politischen Vernunfterwägungen und -erkenntnisse zumindest nicht ganz unausgesprochen lassen, Erwägungen im Hinblick auf die bitteren nackten Tatsachen der gegenwärtigen Machtkonstellation in dieser Welt und deren Auswirkungen auch auf das ostmitteleuropäische Zwischenfeld, deren tragische Opfer die Madjaren wurden, und Erkenntnisse, die leider nicht nur f ü r die westlich-freiheitliche Welt sprechen. Denken Sie an Englands und Frankreichs ,,Polizeiaktion" zur Zeit des ungarischen Freiheitskampfes, ferner an die fragwürdige Rolle des Senders „Radio Free Europe" und manch andere bedenkliche Begleiterscheinungen!
Diese unsere Erwägungen und Erkenntnisse mahnen uns jedoch nicht nur zu höchstmöglicher Ungarnhilfe, sondern darüber hinaus, so möchte ich sagen, zu einer rechtssicheren, nach vorwärts gerichteten, realistischen Ostpolitik an Stelle einer oft geübten Ostpropaganda, aber auch zu einer planmäßig-sinnvollen Sicherheitspolitik — auch in Richtung Zivilbevölkerung! —, deren einer Teil fraglos die Wehrpolitik im engeren Sinne des Wortes ist und bleibt.
Meine Damen und Herren, dieses heute abzulegende feierliche Bekenntnis soll keineswegs durch Reminiszenzen an eigene Schicksale oder an das dauernde Problem der Sowjetzonenflüchtlinge, an dem wir ja auch fortwährend leiden, getrübt werden. Es soll auch nicht getrübt werden durch einen gewissen Eindruck, daß so manchmal fraglos versucht wird, an die ungarische Tragödie innerpolitische, vielleicht wahljahrbestimmte Emsigkeiten anzuhängen. Es soll auch nicht getrübt werden durch die sehr unangenehme, von uns wenigstens sehr unangenehm empfundene Tatsache, daß es trotz einer Aufforderung des Herrn Bundesinnenministers Dr. Schröder nicht möglich war, die vorliegende Gesetzesnovelle und die besagte Entschließung als ein Werk sämtlicher Fraktionen dieses Hauses heute auf den Tisch zu legen.
Ich glaube aber, daß es der Stunde und ihrem Gewicht Abbruch tun würde, wenn wir diese Momente jetzt und hier allzu stark herausstellen wollten.
Ich darf so namens meiner politischen Freunde sagen, daß wir der Novelle des Flüchtlingsnotleistungsgesetzes zustimmen werden, ebenso dem Entschließungsantrag der Regierungsparteien, und daß wir auch den SPD-Antrag, der praktische, d. h. finanzielle Taten fordert, begrüßen und ihm zustimmen werden.
So möge aus ehrlichstem menschlichen Mitgefühl und dem durch Realismus und Vernunft geformten politischen Bekenntnis zu einer Solidarität der freien Mitteleuropäer den madjarischen und nichtmadjarischen Ungarnflüchtlingen eine weitestmögliche praktische Hilfe zuteil werden, eine Hilfe, die zwar nicht alles Leid, alle Not und alle Tapferkeit „entschädigen" kann, die aber letztlich doch allem tragischen Opfer dieser tapferen, freiheitliebenden Nation, mit der die sudetendeutschen und südostdeutschen Heimatvertriebenen unter uns jahrhundertelang unter einem gemeinsamen Dache gewohnt haben, jene Anerkennung zukommen läßt, die diesem Opfer fraglos gebührt.
Sie naben die Begründungen und Erklärungen zu den vorliegenden Anträgen zu den Tagesordnungspunkten 2 a, b und c gehört.
Vorgesehen ist die Überweisung der Drucksache 2928 an den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung — federführend — und an den Ausschuß für Heimatvertriebene — mitberatend —, der Drucksache 2914 an den Ausschuß für Heimatvertriebene — federführend — und an den Haushaltsausschuß — mitberatend — und der Drucksache 2926 an den Ausschuß für Heimatvertriebene — federführend — und an den Haushaltsausschuß zur Mitberatung. Wer diesen Überweisungen zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.
Nunmehr kommen wir nach Abänderung der gedruckten Tagesordnung zu Punkt 3:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Dauer des Grundwehrdienstes und die Gesamtdauer der Wehrübungen ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Verteidigung (Drucksache 2938, Umdruck 858).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Josten. Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort zur mündlichen Berichterstattung wünscht. — Herr Abgeordneter Josten als Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ausschuß für Verteidigung hat in seinen Sitzungen am 12., 15. und 28. November dieses Jahres sich eingehend mit dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes über die Dauer des Grundwehrdienstes und die Gesamtdauer der Wehrübungen befaßt. In einer Generaldebatte wurde das Problem der Wehrdienstzeit besprochen. Hierbei interessierte den Ausschuß besonders, ob durch den Wechsel im Verteidigungsministerium vielleicht auch ein gewisser Wechsel in den Vorstellungen über die Wehrdienstdauer eingetreten sei. Es wurde bestätigt, daß gewisse neue Planungen und Überlegungen im Gange sind.
Bei der Frage nach ihrer Realisierbarkeit gab das Bundesverteidigungsministerium zu verstehen, es werde immer mehr erkennbar, daß eine baldige Klärung der Wehrdienstzeit notwendig sei. Auch der Bundesverteidigungsminister unterstrich in seinen Ausführungen vor dem Ausschuß, daß die Bundesregierung nach wie vor an einer Bundeswehr von 500 000 Mann festhalte. Hierbei werde natürlich an Zwischenstufen gedacht, wobei folgende Termine und Größenordnungen bei der Aufstellung der Bundeswehr für erreichbar erklärt wurden: bis zum 1. Januar 1957 etwa 70 000 Mann, bis zum 1. April 1957 weitere 20 000 Mann, zusammen also 90 000 Mann. Die Zahl 20 000 und damit die Gesamtzahl 90 000 könnte nur in dem Maße überschritten werden, in dem durch die englischen Stationierungskräfte Unterkünfte freigegeben werden. In der letzten Zeit sind, wie von seiten des Ministeriums mitgeteilt wurde, Zusagen auch schriftlich gemacht worden. Ihre Erfüllung ist aber an so viele Bedingungen bezüglich der Ersatzgestellung von Unterkünften, Depots und Wohnungen gebunden, daß man gut tut, sich auf diese Zusagen nicht zu verlassen. Außerdem ist immer eine Instandsetzung notwendig, die zwei bis sechs Monate, im Regelfall zwei bis vier Monate erfordert. Als Endziel des Jahres 1957 ist eine Gesamtstärke von 120 000 Mann vorgesehen. Erfolgen inzwischen weitere Freigaben durch die alliierten Stationierungskräfte, so kann die Grenze nach oben mit 135 000 Mann angenommen werden.
Dem Ausschuß wurden Einzelheiten über die Beratungen des Ministeriums mitgeteilt. Bezüglich der Dienstzeitdauer bestehe bei den militärischen Sachverständigen nach wie vor die Auffassung, daß eine ausreichende und gründliche Ausbildung auch unter den veränderten technischen Umständen eine Mindestzeit von 18 Monaten erfordere. Man müsse deshalb das Problem der Länge der Dienstzeit unter zwei Gesichtspunkten sehen: dem der Präsenzstärke und dem des Ausbildungsstandes. Hierzu wurde erklärt, der Gesichtspunkt der Präsenzstärke erfordere, daß ein höherer Prozentsatz an Längerdienenden, darunter allerdings nur ein Teil regelrechter Berufssoldaten, bei der Bundeswehr Dienst tun werde. Das Verhältnis zwischen Längerdienenden — darunter verstehen wir Soldaten vom Freiwilligen mit einer eineinhalbjährigen Verpflichtung bis zum Berufssoldaten — und Wehrpflichtigen würde in den Gesamtstreitkräften 2 : 3, beim Heer etwa 1 : 1, genau gesagt 55 : 45 sein.
Bezüglich des Ausbildungsstandes hat das Ministerium folgende Vorstellungen. Die letzten 6 Monate des 18monatigen Grundwehrdienstes waren für die Verbandsausbildung vorgesehen. Würde man den Ausbildungsplan, wie er für die ersten 12 Monate eines 18monatigen Grundwehrdienstes gedacht war, unverändert beibehalten, bliebe keine Zeit für die Verbandsausbildung. Die Ausbildung muß also komprimiert werden. Es muß alles Überflüssige an militärischer Formalausbildung, überhaupt alles, was unter Anlegung der Mindestmaßstäbe entbehrlich ist, weggelassen werden, um Grundausbildung, Spezialausbildung und Verbandsausbildung in 12 Monaten zu schaffen. Das Ministerium denkt besonders daran, schon bei der Einstellung der Wehrpflichtigen die Kenntnisse, welche die einzelnen in ihrem Zivilberuf erworben haben, zu berücksichtigen. So soll bei der Bundeswehr, soweit es überhaupt bei einer so großen Organisation möglich ist, eine dem Zivilberuf entsprechende Verwendung erfolgen.
Die Verkürzung des Grundwehrdienstes von 18 auf 12 Monate führt automatisch dazu, häufigere Reserveübungen durchzuführen. Hierdurch sollen die Wehrpflichtigen, die ihren Grundwehrdienst abgeleistet haben, mit dem jeweiligen Stand der Waffentechnik vertraut bleiben. Die Aufstellungsplanung vollzieht sich unverändert trotz der Ereignisse der vergangenen Wochen. Für den Arbeitsmarkt entstehen keine wesentlichen Veränderungen, ob es sich um 18 oder um 12 Monate Wehrdienst handelt.
In unserem Ausschuß für Verteidigung nahm der Minister für Verteidigung auf Wunsch ausführlich zu dem Problem der Sicherheit der Zivilbevölkerung Stellung. Er führte zur Frage eines etwaigen Rückzugs der deutschen Zivilbevölkerung aus, daß die Bundesregierung nach wie vor auf folgendem Standpunkt stehe: Alle militärischen Planungen und alle Sicherheitspolitik müssen im Rahmen einer Außenpolitik darauf abgestellt sein, den Fall des allgemeinen Krieges so weit wie überhaupt nur menschenmöglich auszuschließen und alles zu
unterlassen, was ein erhöhtes Risiko schafft. Der Gedanke, das Hauptgewicht auf die Verhinderung eines Krieges zu legen, steht bei der Bundesregierung im Vordergrund. Im übrigen gilt für den Fall des Ausbruchs von Feindseligkeiten nichts anderes, als an Ort und Stelle zu bleiben. Eine panikartige Massenflucht von Millionen Menschen im Zusammenhang mit militärischen Operationen würde das Unglück und das Elend noch um ein Vielfaches größer machen.
Der Ausschuß für Verteidigung vertrat die Ansicht, daß alle diese Dinge gesetzlich verankert werden müßten. Hier war in erster Linie an eine baldige Verabschiedung des Organisationsgesetzes gedacht, worin auch die Frage geklärt werden muß, in welchen Händen der Bevölkerungsschutz liegt. Die Vollmachten, die eine Regierung im Katastrophenfall braucht, überschreiten ihre normalen Vollmachten. Die Regierung wurde darum gebeten, einen Vorschlag auszuarbeiten. Die Bundesregierung betonte, daß es gut gewesen sei, nicht sofort das Organisationsgesetz zu erlassen, zu dem jetzt eine Zeit der Erfahrung im Aufbau der Truppe von 10 bis 11 Monate vorliege.
Die Grundsatzdebatte wurde ohne Abstimmung abgeschlossen, wobei der Wille zum 12monatigen Grundwehrdienst bei einer längeren Gesamtdauer der Wehrübungen betont wurde. Bei der Einzelberatung lag der Antrag des Abgeordneten Dr. Jaeger in der Ausschußdrucksache Nr. 177 vor. Die Meinung der Mehrheit der Ausschußmitglieder fand ihren Niederschlag in der Drucksache 2938, welche gegen die Stimmen der SPD angenommen wurde.
Von der Beratung des Gesetzes sind folgende wesentliche Punkte zu erwähnen:
Zu § 1 erklärte der Abgeordnete Mellies für die Mitglieder der sozialdemokratischen Fraktion, daß sie bei der Abstimmung über diesen Paragraphen nicht gegen die 12 Monate stimmten, sondern gegen den Grundwehrdienst überhaupt. Die Entscheidung über die allgemeine Wehrpflicht sollte dem nächsten Bundestag überlassen bleiben. Der Ausschuß sprach sich gegen die Stimmen der sozialdemokratischen Mitglieder für die Annahme des § 1 aus.
Der neue § 1 a sieht vor, daß Wehrpflichtige auf Grund freiwilliger Verpflichtung einen Grundwehrdienst von 18 Monaten als Soldaten auf Zeit leisten können. Der Bundesminister für Verteidigung teilte mit, daß schon nach der bisherigen Praxis Soldaten auf Zeit bis zu einer Dienstdauer von 18 Monaten angeworben wurden. Die Frage, ob der Soldat auf Zeit, der 18 Monate diene, in den ersten 12 Monaten finanziell besser gestellt werde als der Wehrpflichtige, ist offengelassen worden. Nach § 27 des Entwurfs zum Bundesbesoldungsgesetz soll es in den ersten 12 Monaten grundsätzlich keine Unterschiede geben.
Satz 2 in § 1 a sieht vor, daß Anträgen von Wehrpflichtigen mit einem Grundwehrdienst von 18 Monaten auf Verwendung bei einer bestimmten Waffengattung oder in einem bestimmten Truppenteil entsprochen werden soll. Ein Rechtsanspruch kann aus diesem „soll" nicht hergeleitet werden. Bezüglich dieser Formulierung gingen die Meinungen im Ausschuß auseinander, ebenso bei der Frage, von wann ab die Wehrpflichtigen mit 18 Monaten Grundwehrdienst als Soldaten auf Zeit gelten. Hier war die Mehrheit des Ausschusses der
Meinung, ,daß derjenige, welcher sich verpflichtet, 18 Monate Dienst zu leisten, vom ersten Tage an Soldat auf Zeit sei. Auch das Ministerium vertrat die Meinung, daß an der Dreiteilung: Wehrpflichtige, Soldaten auf Zeit und Berufssoldaten, aus einer Reihe von Gründen festgehalten werden müsse. — Der Ausschuß beschloß Annahme des § 1 a gegen die Stimmen der SPD-Mitglieder.
Bei § 2 wurde von der Mehrheit des Ausschusses die Meinung vertreten, daß Dauer des Grundwehrdienstes und Zahl der Übungen in einem richtigen Verhältnis stehen müssen. Da der Grundwehrdienst jetzt nur 12 Monate betragen soll, sind mehr Übungen erforderlich.
Mitglieder der SPD-Fraktion des Ausschusses hielten den § 2 Abs. 1 für nicht gerechtfertigt. Er bedeute eine große Härte für die jungen Menschen. Die Wehrübungen brächten für sie eine schwer tragbare Störung des ganzen zivilen Lebens. Das Interesse des Privatmannes und Zivilisten dürfe nicht vergessen werden.
In der Aussprache wurde von Mitgliedern der Regierungskoalition auf die Notwendigkeit einer guten militärischen Ausbildung hingewiesen. Im Interesse des Soldaten liege die Ausbildung an mehreren Waffen und eine gute Verbandsausbildung. Hohe Verluste der nicht genügend ausgebildeten ehemaligen Luftwaffenfelddivisionen wurden als Beispiele angeführt. Ein Vergleich mit der Dienstzeit anderer Länder zeigt, daß in vielen NATO-Staaten eine 24monatige Dienstzeit besteht und nur Luxemburg wie die Bundesrepublik eine 12monatige Dienstzeit hat.
Ein Antrag, in § 2 Abs. 1 Satz 1 die Zahl „neun" in „sechs" und die Zahl „achtzehn" in „zwölf" zu ändern — entsprechend dem Regierungsentwurf —, wurde gegen die Stimmen der Abgeordneten der SPD abgelehnt. Ein weiterer Antrag, der von Abg. Merten gestellt wurde, ging dahin, § 2 Abs. 1 folgende Fassung zu geben:
Die Gesamtdauer der Wehrübungen beträgt bei Mannschaften höchstens sechs, bei Unteroffizieren höchstens neun und bei Offizieren höchstens achtzehn Monate.
Auch diesen Antrag lehnte der Ausschuß gegen die Stimmen der SPD-Mitglieder ab.
Eine Anregung, im vorliegenden Gesetz noch einen Absatz anzufügen, wonach Offiziere auf Zeit des Beurlaubtenstandes, die sich über die gesetzliche Wehrpflicht hinaus zu einer festen Dienstzeit von mindestens 20 Monaten innerhalb von 10 Jahren verpflichten, den Offizieren auf Zeit nach § 35 Abs. 2 des Soldatengesetzes gleichzustellen sind, wurde nicht in diesem Gesetz berücksichtigt. Diesem Vorschlag liegt der Gedanke zugrunde, daß es Offiziere geben könne, die sich zu einer längeren Dienstzeit verpflichten, da sie beabsichtigen, Kommandeurstellungen zu bekleiden. Diesen Vorschlag will das Ministerium aufgreifen und eine Änderung im Wehrpflichtgesetz vorschlagen.
§ 2 Abs. 1 a wurde in folgender Fassung angenommen:
Leistet ein Wehrpflichtiger im Anschluß an den Grundwehrdienst freiwillig eine Wehrübung von drei Monaten und wird er daraufhin zum Unteroffizier befördert oder leistet er den verlängerten Grundwehrdienst , so verkürzt sich die Gesamtdauer der von ihm noch zu leistenden Übungen um drei Monate.
Abs. 2:
Nach Vollendung des fünfunddreißigsten Lebensjahres dürfen Mannschaften und Unteroffiziere nur noch zu Wehrübungen von insgesamt drei Monaten herangezogen werden.
In der Aussprache zu § 2 a wurde von dem Bundesminister für Verteidigung erwähnt, daß die Anordnung des Bereitschaftsdienstes nur auf Grund eines Kabinettsbeschlusses erfolgen könne. Gegenüber Bedenken von Mitgliedern der SPD wurde ausdrücklich betont, daß von Wehrübungen die Rede sei, so daß keine Möglichkeit bestehe, einen Grundwehrdienst von beliebiger Länge einzuführen. Bei Wehrübungen werde vorausgesetzt, daß der Betreffende vorher seinen Grundwehrdienst abgeleistet habe. Ein Antrag, die Entscheidung über diese Bestimmung zurückzustellen, wurde abgelehnt.
In der Schlußabstimmung über den Entwurf sprachen sich 13 Mitglieder des Ausschusses für und 9 gegen die Annahme aus.
Meine Damen und Herren, ich darf Sie daher bitten, dem Gesetzentwurf Drucksache 2807 in der vom Ausschuß für Verteidigung verabschiedeten Fassung zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seinen Bericht.
Wir treten in die zweite Lesung ein. Ich rufe auf den § 1. Wird dazu das Wort gewünscht? — Das Wort zu dem § 1 wird nicht gewünscht.
Ich komme zur Abstimmung. Wer dem § 1 zu- stimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. —Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit; der § 1 ist angenommen.
Ich rufe auf den § 1 a. Wird dazu das Wort gewünscht? — Das Wort hat der Herr Abgeordnete Heye.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf meine kurze Stellungnahme zu den §§ 1 a und 2 zusammenziehen, weil sie nach meiner Ansicht auch zusammengehören.
Einleitend erwähne ich die Versammlung der NATO-Parlamentarier in der vorigen Woche in Paris, wo wir Teilnehmer feststellen konnten — leider in Abwesenheit unserer sozialdemokratischen Kollegen —,
daß von den befreundeten Parlamentariern anderer Länder Bedenken geäußert wurden, daß wir in bezug auf die Bewaffnung und die Verteidigungsorganisation zu langsam vorwärtskämen und daß dabei auch eine gewisse Sorge über die Festlegung der Dauer des Grundwehrdienstes mit 12 Monaten zum Ausdruck kam. Ich glaube, wir können unseren Freunden im Auslande versichern, daß durch die Festlegung dieser Grundwehrzeit der Wert des deutschen Verteidigungsbeitrags infolge der vorgesehenen Ausgleichsmaßnahmen nicht absinkt.
Wir haben gegenüber unseren Partnern den Vorteil und die Chance, nach dem einmaligen geschichtlichen Vorgang der totalen Zerstörung unserer Verteidigungsorganisation unsere Erfahrungen ohne eine zu enge Bindung an stehengebliebene Fundamente auf die kommende Entwicklung zu konzentrieren. Vielleicht werden wir gerade aus diesem Grunde einmal in der Lage sein, unseren Partnern Anregungen in dieser Hinsicht zu geben. Ich bedaure persönlich, daß wir durch den Druck der Zeit, in der wir leben, nicht die Ruhe haben, noch stärker, als es bisher geschehen ist, mit allem, ich möchte einmal sagen: revolutionären Schwung, nach Wegen zu suchen, um nicht nur eine zeitgemäße Verteidigungsorganisation aufzubauen, sondern auch der kommenden Entwicklung vorzugreifen.
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter! Meine Damen und Herren, ich bitte dringend um Ruhe. Vor allem bitte ich, die Türen zu schließen.
Fahren Sie bitte fort!
Ich bin persönlich davon überzeugt, daß wir ohne Schwächung unseres Kampfwertes und auch ohne Mehrbelastung unserer Partner mit 12 Monaten Grundwehrdienst auskommen, wenn wir als eine Maßnahme die Zahl der notwendigen Spezialisten in dem Maße erhöhen, wie es früher nur bei Luftwaffe und Marine der Fall war. Die Spezialisierung auch der Armee hat ein Maß erreicht -- und es wird sich nach meiner Überzeugung noch erhöhen —, daß man durchaus auf dem Standpunkt stehen kann, die notwendigen hochwertigen Spezialisten könnten weder in 12 Monaten noch in 18 Monaten noch in 24 Monaten herangebildet werden, sondern hier sei eine längere Ausbildung, wahrscheinlich auch eine längere Vorbildung erforderlich. Diese Feststellung bedeutet nichts anderes, als daß die Hauptfunktion der Waffen-. und Gerätebedienung, also z. B. des Flugzeugführers, des Funkmeisters, des Richtschützen, des Panzerkommandanten und des Panzerschützen, des Maschinisten eines Schnellbootes, nur von solchen Spezialisten, in der Mehrzahl von Unter-Offizieren, wahrgenommen werden kann, die eine längere Zeit auf diese Aufgabe vorbereitet wurden. Die Festlegung einer Wehrdienstdauer von 12 Monaten — nach meiner Auffassung wäre es bei einer Dienstdauer von 18 Monaten nicht viel anders gewesen — bedeutet deshalb logischerweise eine Erhöhung der Zahl der freiwillig länger dienenden Soldaten, da die Wehrpflichtigen innerhalb der Grundwehrdienstzeit von 12 Monaten praktisch nur in die Tätigkeit von „Funktionshelfern" hineinwachsen können. Die Erhöhung der Zahl der länger dienenden Soldaten ist also eine der Ausgleichsmaßnahmen, die sich aus dem Beschluß, die Grundwehrdienstzeit auf 12 Monate festzulegen, ergeben.
Ich bin der Überzeugung, daß aber noch weitere Ausgleichsmaßnahmen notwendig sind. Das ist die hier festgelegte Gesamtdauer der Wehrübungen. Die CDU/CSU und die Koalition sind über den Regierungsentwurf hinausgegangen. Wir glauben, daß wir auch unseren Partnern gegenüber die Verpflichtung zumindest bezüglich der Gesamtdauer der Wehrdienstzeit erfüllen müssen, und zwar in dem Maße, wie es uns überhaupt möglich ist, ganz gleich, ob wir, wie es jetzt beabsichtigt ist, eine gebrochene Gesamtdienstzeit haben, d. h. eine kürzere Grunddienstzeit und eine Verlängerung der Zeit der Wehrübungen, statt eine lange Grundwehrdienstzeit und weniger Zeit für Übungen.
Ich glaube ferner, daß die jetzt vorliegende Regelung mit einer Grundwehrdienstzeit von 12 Monaten und als Ausgleich dafür einer Erhöhung der Gesamtdauer der Wehrübungen noch den wesentlichen militärischen Vorteil hat, daß die Angehörigen der Bundeswehr -- soweit sie Wehrpflichtige sind — durch die vorgesehenen Wehrübungen in gewissen Abständen immer mit der neuesten Entwicklung vertraut gemacht werden. Auf diese Weise wird der Wehrpflichtige wahrscheinlich in höherem Maße mit den jeweils modernsten Waffen vertraut sein können, als wenn einem längeren Wehrdienst kürzere und seltenere Wehrübungen gegenüberstehen. Ich halte gerade diesen Punkt für beachtlich und glaube, daß durch diese Regelung, wie sie hier vorliegt, erreicht wird, daß die deutsche Verteidigungsorganisation, die Bundeswehr, trotz ihrer zahlenmäßigen Schwäche wenigstens immer auf dem höchsten Stand der zeitgemäßen Entwicklung gehalten werden kann.
Es ist wohl kein Zweifel -- ich glaube, daß wir uns in dieser Frage einig sind —, daß wir uns in einer Zeit des ewigen Wechsels und des ständigen Wandels gerade auf dem Gebiete der Technik befinden. Ich bin überzeugt, daß wir, um nur ein Beispiel zu nennen, in wenigen Jahren auch in der Bundeswehr weder zu Lande noch zu Wasser noch in der Flugabwehr die uns von früher her vertrauten schweren Geschütze finden werden, sondern daß dann an deren Stelle andere, neue Waffen getreten sind. Wenn wir also längere und häufigere Wehrübungen haben und dafür die Grunddienstzeit verkürzen, werden wir die Möglichkeit haben, unsere Staatsbürger in Uniform immer so weit mit der technischen Entwicklung vertraut zu machen, daß sie, auch wenn die Grundwehrdienstzeit länger zurückliegt, immer den zeitgemäßen Ansprüchen einer modernen Bewaffnung entsprechen.
Es führt zu Trugschlüssen, wenn von besorgten Kreisen des Inlandes, aber vor allem auch des Auslandes — diese Stimmen sind täglich vernehmbar — nur die Dauer der Grundwehrdienstzeit in den verschiedenen Ländern miteinander verglichen wird und nicht die Gesamtzeit der Dienstzeit und der Ausbildung und die stärkere Verlagerung des Kampfwertes der Bundeswehr von den Wehrpflichtigen auf die länger dienenden Spezialisten. Für mich persönlich besteht kein Zweifel, daß diese Lösung den berechtigten Erwartungen unserer Bundesgenossen entsprechen wird. Ich halte es aber nicht für ausgeschlossen — ich persönlich hoffe es sogar —, daß wir im Zuge der Entwicklung und im Zuge der praktischen Erfahrungen mit der Durchführung dieses Gesetzes noch zu Lösungen kommen, die auch gegenüber dem jetzt vorliegenden Gesetz einen Fortschritt bedeuten, ohne die Kraft der Verteidigung einzuschränken.
Ich bin der Überzeugung — damit will ich meine Ausführungen zu diesen Punkten abschließen —, daß jede Verteidigung nichts anderes bedeutet als den Riegel an der Haustür in Zeiten der Unsicherheit. Ich bin sicher, daß das Gesetz in der Form, wie es jetzt vorliegt, den Forderungen, die wir an unsere Verteidigungsorganisation stellen müssen, entspricht. Wir werden nach Durchführung des Gesetzes in der Lage sein, auch gegenüber einem stärkeren Gegner zusammen mit unseren Bundesgenossen, auf deren Unterstützung wir angewiesen sind, das Risiko eines Angriffs auf uns so zu erhöhen, daß wir in einem Zustand größerer Sicherheit leben können, als es zur Zeit der Fall ist.
Wird zu § 1 a weiter das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Beratung zu diesem Paragraphen und komme zur Abstimmung. Wer ihm zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das erste ist die Mehrheit; § 1 a ist angenommen.
Ich rufe § 2 auf. Hier liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 858*) vor. Ich rufe zunächst die Ziffer 1 auf. — Zur Begründung hat das Wort der Herr Abgeordnete Merten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben Ihnen auf Umdruck 858 Ziffer 1 einen Änderungsantrag vorgelegt, der zum Ziel hat, die Regierungsvorlage, die uns in der ersten Lesung vorgelegt und begründet worden ist, wiederherzustellen. Ich sagte vorhin schon, daß die in erster Lesung eingebrachte Regierungsvorlage während der Ausschußberatungen überraschend durch eine völlig andere Vorlage ersetzt worden ist. Eine ausgiebige Prüfung der neuen Vorlage, die offensichtlich von der Bundesregierung ausgeht und hinter die sie sich im Ausschuß auch gestellt hat, war nicht möglich, weil sie in der Sitzung, in der sie eingebracht worden war, auch schon verabschiedet wurde.
In dieser neuen Vorlage standen allerlei Neuigkeiten, darunter auch die, daß die Wehrübungsdauer um 50 % gegenüber der Regierungsvorlage erhöht wurde. Die Dauer der Wehrübungen für Unteroffiziere und Mannschaften wurde von 6 auf 9 Monate und die für Offiziere von 12 auf 18 Monate erhöht. Die Begründung, die dafür im Ausschuß gegeben worden ist, war nicht überzeugend, ebensowenig wie wir eine Begründung dafür erhalten konnten, welche Umstände in wenigen Wochen eine so neue Situation geschaffen haben, daß die noch am 8. November richtigen Übungszeiten plötzlich zwei Wochen später nicht mehr richtig waren, sondern um 50 % erhöht werden mußten. Offensichtlich war bei denjenigen, die an dieser Diskussion teilgenommen haben, und auch bei meinen politischen Freunden der Eindruck entstanden, daß die Dauer des Grundwehrdienstes und die der Wehrübungen ebensowenig überlegt gewesen sind wie im Entwurf des Wehrpflichtgesetzes — sie waren ja auch damals in der Regierungsvorlage enthalten — und hier mehr oder weniger willkürlich mit Zahlen gearbeitet worden ist in der Hoffnung, daß man damit schon irgendwie durchkommen wird. Ich erinnere daran, daß in der Denkschrift der Bundesregierung vom April 1956 in sehr langen und eingehenden Ausführungen dargelegt worden ist, daß eine Wehrpflicht von 18 Monaten zwingend erforderlich sei. Dafür wurden die verschiedensten Gründe angeführt, teils militärischer, teils wirtschaftlicher Art. Es wurde auf die Stärke der einzelnen Geburtsjahrgänge verwiesen und auf vieles andere mehr.
Bei der Beratung des Wehrpflichtgesetzes ging es uns ähnlich wie heute. Die Regierung hat nämlich in diesem Punkt ihren eigenen Entwurf fallengelassen, und es waren alle Argumente, die man mit sehr viel Druckerschwärze und sehr viel Stimmaufwand verkündet hat, plötzlich gar nicht mehr wahr. Vielleicht hat man Angst bekommen vor der eigenen Courage, vielleicht auch vor der Stimmung im eigenen Land; ich weiß es nicht. Auf jeden Fall
*) Siehe Anlage 2.
tat man das Einfachste: man steckte den Kopf in den Sand und ließ die Dauer des Wehrdienstes aus dem Entwurf überhaupt heraus. Damit ist ein sehr merkwürdiges Wehrpflichtgesetz entstanden, in dem die Hauptsache, nämlich die Dienstzeit, überhaupt nicht geregelt wird.
Dann brachte die Regierung diesen Entwurf über die Dienstzeit und die Wehrübungen ein, den wir am 8. November beraten haben. Da waren es nicht mehr 18 Monate, sondern plötzlich nur noch 12 Monate, und auch die erschienen angeblich vollkommen ausreichend. Und alles das, was zugunsten der 18 Monate gesagt worden ist, hoffte man vergessen zu sehen. Die Argumente vom Sommer 1955 zogen nicht mehr, es zogen jetzt andere Argumente. Noch am 8. November glaubte man für Wehrübungen mit einer Gesamtdauer von 6 Monaten für Mannschaften und Unteroffiziere bzw. 12 Monaten für die Offiziere auszukommen. Ich weiß nicht, ob es Zufall war — aber ich nehme an, daß es ein Zufall war —, daß der Entwurf in einer Zeit eingebracht wurde, als in vier Ländern die Kommunalwahlen vorbereitet wurden.
In der ersten Lesung dieses Gesetzes hat der Minister erklärt, daß man nun dem Parlament ausreichend Zeit geben müsse, die Fragen der Wehrdienstzeit und der Dauer der Wehrübungen zu beraten, und daß in diesem Zusammenhang die gesamte Problematik der Verteidigung in voller Breite dargelegt werden müsse. Ich nahm daraufhin an — und meine Freunde haben das auch für selbstverständlich gehalten —, daß wir uns mehrere Monate Zeit lassen könnten, um von Anfang an alles das, was die Wehrdienstpflicht und die Wehrdienstzeit an Problemen aufwirft, Punkt für Punkt zu besprechen. Aber die Beratung ging dann doch ziemlich kurz vor sich, und wir konnten nur mit großem Bedauern feststellen, daß eine Vorlage in einer Sitzung überreicht und auch in derselben erledigt wurde. Es ist selbstverständlich, daß vom Minister nicht verlangt werden konnte, in dieser einen Sitzung nun Einzelheiten über das darzulegen, was ausbildungsmäßig in den einzelnen Übungen getrieben werden soll, oder einmal darüber Aufschluß zu geben, was denn nun systematisch in den bestimmten Ausbildungsabschnitten an Ausbildungszielen erreicht werden soll. Das gilt genauso bezüglich der 12 Monate Grundwehrdienst und der Zeit der Wehrübungen, und es gilt selbstverständlich und sogar im besonderen Maße bezüglich der sogenannten weißen Jahrgänge, die neben ihrem Grundwehrdienst als Unteroffiziere und Mannschaften noch 15 Monate und als Offiziere 24 Monate Wehrübungen leisten sollen. Wenn man diese Fragen entscheiden will, muß man doch zunächst einmal zeitlich genau abgestimmte Ausbildungspläne haben, aus denen man erkennen kann, was bei einer bestimmten Truppengattung etwa im dritten oder im zehnten Monat der Grundausbildung geschehen soll oder in welchen Abständen und für welche Zeitdauer später zu den Wehrübungen einberufen werden soll. Dafür liegen keine Angaben vor, ebensowenig über die Präsenzstärken, die im einzelnen auf Grund dieser Einberufungen zu Wehrübungen zu erwarten sind; denn die früher genannten Zahlen sind ja heute offensichtlich nicht mehr zutreffend. Gestern hat der Minister laut Pressemeldungen erklärt, daß am 1. April 10 000 bis 15 000 Wehrpflichtige eingezogen werden sollen. Die Zeit ist noch gar nicht allzulange her, als von 45 000 Wehrpflichtigen, die eingezogen werden sollten, die Rede war.
Noch etwas anderes muß in diesem Zusammenhang erwähnt werden, und damit möchte ich auf das eingehen, was der Kollege Heye hier gesagt hat. Es ist keineswegs so, daß durch eine kurze Dienstzeit und dafür verlängerte Wehrübungen die arbeitsmarkt- und berufspolitischen Schwierigkeiten vermindert werden, sondern ganz im Gegenteil, diese werden dadurch nur größer, als sie an und für sich schon sind. Das ist bereits in der ersten Lesung zum Ausdruck gekommen. Durch die erhebliche Verlängerung der Dauer der Wehrübungen wird ein enormer Unsicherheitsfaktor in die wirtschaftlichen und beruflichen Dispositionen des einzelnen Staatsbürgers hineingetragen. Im Falle der Annahme dieses Gesetzes wird er zwar wissen, daß er irgendwann einmal 12 Monate Wehrdienst leisten muß. Diejenigen, die sich freiwillig für 18 Monate melden, werden sogar ungefähr wissen, wann sie drankommen. Aber die anderen wissen das nicht, weil die einzelnen Jahrgänge aus bekannten Gründen ja gar nicht voll einberufen werden können. Für die Reservisten ist die Unsicherheit am allergrößten, denn sie werden niemals im voraus auch nur halbwegs ermessen können, wann sie für die jetzt doch verhältnismäßig sehr langen Zeiträume aus ihrem beruflichen Leben heraus müssen, um Übungen zu leisten. Daß damit Störungen des Arbeitsmarkts und der Volkswirtschaft verbunden sind, ist klar, und Störungen im Berufsleben des einzelnen werden durch diese Maßnahmen natürlich erst recht an der Tagesordnung sein.
Weder durch die Ausführungen im Ausschuß noch durch das, was hier im Plenum gesagt worden ist, auch nicht durch das, was der Kollege Heye gesagt hat, sind meine Freunde und ich davon überzeugt, daß militärische Gründe diese Art Wehrpflicht und diese Art Wehrübungen erforderlich machen, und vor allen Dingen, daß dann derartig lange Wehrübungen stattfinden müssen. Sie haben bei einer Besprechung, die Sie mit Parlamentariern anderer NATO-Länder in Paris hatten, allerlei darüber zu hören bekommen, daß das bei uns zu langsam gehe, daß die Ausbildungszeit zu kurz sei usw. Ich meine, man muß dann doch an diese Leute die Frage richten, warum gerade sie als Ausländer ein so großes Interesse daran haben, daß wir hier in Deutschland möglichst lange Wehrdienstzeiten haben und möglichst rasch die Aufstellung der Bundeswehr durchführen. Es ist ja nicht das deutsche Interesse, das von diesen Leuten vertreten wird, sondern das ihnen durchaus obliegende nationale Interesse.
Vielleicht steht dahinter der Gedanke, daß, wenn hier recht viel deutsche Truppen die Wacht am Eisernen Vorhang übernehmen, sie dann mehr Zeit und Gelegenheit zu militärischen Abenteuern anderwärts in der Welt haben. Wer weiß, was sonst hinter solchen Gedanken stecken kann!
Im empfehle Ihnen dringend, Ihre Freunde in der NATO das nächste Mal danach zu fragen, welche Gründe sie dazu bringen, gerade von uns derartige Dinge zu fordern, die sie ruhig uns überlassen können, genauso wie sie uns auch nicht fragen, wenn sie ihre eigene Verteidigungskraft dadurch schwächen, daß sie Truppenteile abziehen, ohne die NATO zu fragen, und anderwärts irgendwo einsetzen, wobei dann noch sehr unerwünschte Folgerungen für die Sicherheit nicht nur der NATO, sondern auch Deutschlands entstehen. Das nebenbei.
Auch der andere Gedanke, den Herr Kollege Heye hier vorbrachte, daß diese langen Wehrübungen notwendig seien, weil die Truppe immer wieder mit der neuesten Entwicklung und dem technischen Stand vertraut gemacht werden müsse, kann nicht überzeugen. Jedermann weiß, daß sowohl aus finanziellen als auch aus vielen anderen Gründen gar nicht laufend neue Waffen und Geräte eingeführt werden können. Die einmal eingeführten Typen weisen immer eine erhebliche Beharrlichkeit auf, ehe sie auf den Schrotthaufen wandern und durch neue ersetzt werden. Wenn Sie sagen, daß es anders sei, dann müßten Sie zugleich zugeben, daß die Erstausstattung der Truppe aus veraltetem Material besteht und bald ersetzt werden muß. Ich glaube kaum, daß Sie sich hier zu diesem Zugeständnis durchringen werden.
Abgesehen von diesen berufspolitischen und auch militärischen Gründen sind es auch politische Gründe, die nach unserer Auffassung gegen eine lange Wehrdienstzeit und eine lange Dienstzeit in den Wehrübungen sprechen. In der Öffentlichkeit und in der Presse ist im Zusammenhang mit diesem Gesetz immer wieder auf das Verhalten der Sowjetunion in Ungarn und wahrscheinlich, wie wir heute wissen, in einigen anderen Balkanstaaten hingewiesen worden. Hier und da, allerdings nicht so häufig, sind auch die Ereignisse im Nahen Osten herangezogen worden, um Beweise dafür zu liefern, daß größere Präsenzstärken und häufigere Übungen erforderlich seien.
Meine Damen und Herren, wenn Sie bei jedem politischen Ereignis von Bedeutung irgendwo in der Welt sogleich hier die gesamte militärische Konzeption über den Haufen werfen wollen, dann wird von einem vernünftigen Plan auf lange Sicht im Rahmen unserer Landesverteidigung noch weniger die Rede sein können, als dies bereits bisher der Fall war.
Die sozialdemokratische Fraktion ist der Auffassung, daß bei allen politischen Entscheidungen ganz gewiß die Freiheit und Sicherheit des deutschen Volkes als das Ziel des politischen Weges angesehen werden müssen. Wenn wir das sagen, dann haben wir dabei 70 Millionen Deutsche im Auge, die, wenn auch heute noch durch den Eisernen Vorhang getrennt, wieder in einem gemeinsamen Staat zusammengeführt werden müssen. Wir können unsere politischen Entscheidungen nicht nur auf die Sicherheit und Freiheit der 50 Millionen in der Bundesrepublik ausrichten, sondern wir müssen im Rahmen der Wehrpolitik immer an die 70 Millionen denken, um die es geht.
Wir sind der festen Überzeugung, daß die Mehrheit dieses Hauses auf dem Weg, den sie zu gehen entschlossen zu sein scheint, diesen Gesichtspunkt nicht in seiner vollen Bedeutung würdigt
— wir werden darüber sprechen — und auch die Sicherheit und die Freiheit der Deutschen in der Mittelzone zuwenig im Auge behält. Wenn Sie sie ganz im Auge behielten, würden Sie nämlich einsehen müssen, daß durch militärische Maßnahmen auf dieser Seite jedesmal automatisch die entsprechenden Maßnahmen auf der andern Seite nachgezogen werden.
— Wir werden darauf noch bei einem anderen Paragraphen zu sprechen kommen müssen.
Ich will Ihnen abschließend sagen, daß es für uns nicht nur militärische, sondern auch politische und wirtschaftliche Erwägungen sind, die uns dazu gebracht haben, den vorliegenden Änderungsantrag zu stellen. Mit diesem Änderungsantrag wollen wir nicht etwa gleichzeitig indirekt unsere Zustimmung dazu geben, daß überhaupt etwas Derartiges gemacht wird, sondern wir wollen nur verhindern, daß die Auswirkungen Ihrer Politik auf den einzelnen Staatsbürger unerträglich werden.
Aus diesem Grunde bitten wir Sie, unserem Antrag Ihre Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jaeger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe zu denjenigen Mitgliedern dieses Hauses gehört, die von Anfang an den Gedanken eines Grundwehrdienstes von 12 Monaten vertreten haben; ich glaube sogar, ich bin der erste gewesen, der das ausgesprochen hat. Ich bin aber auch von Anfang an dafür eingetreten, daß Grundwehrdienst und Übungen in einem bestimmten Verhältnis zueinander stehen. Je länger der Grundwehrdienst, um so weniger Übungen braucht es; je kürzer der Grundwehrdienst, um so mehr Wiederholungsübungen sind notwendig. Dieser Gedanke scheint mir doch eigentlich, wenn man vom Standpunkt der militärischen Bereitschaft des Landes ausgeht, selbstverständlich zu sein.
Unter diesem Gesichtspunkt betrachte ich es durchaus als einen Mangel, daß die Bundesregierung, als sie den Entwurf für 12 Monate Grundwehrdienst vorlegte, übersehen hat, sich damit zu beschäftigen, ob nicht die Dauer der Übungen und die Anzahl der Übungen nun erhöht werden müssen. Die Sicherheit unseres Landes, meine Damen und Herren, ist aber nicht nur Sache der Bundesregierung; sie ist noch viel mehr Sache dieses Hohen Hauses, der Volksvertretung.
Deshalb war es eine legitime Sache, daß aus der Mitte dieses Parlaments, im Verteidigungsausschuß, der Antrag gestellt wurde, jene Konsequenzen auf dem Gebiet der Reserveübungen zu ziehen, die in dem Augenblick notwendig wurden, als wir uns dafür entschieden hatten, nur 12 Monate Grundwehrdienst einzuführen.
Ich hätte gerade für diese Lösung Verständnis auf seiten der Opposition zur Linken erwarten können, da ja eine etwas mehr in Richtung auf die Miliz gehende Wehrform in früheren Zeiten und auch bei den Debatten in diesem Hohen Hause dort eigentlich immer einen gewissen Anklang gefunden hat.
Aber wahrscheinlich gehört das zu den Begriffen, die man, wie andere Vorstellungen aus den Zeiten des Erfurter Programms, Noskes oder anderer sozialdemokratischer Wehrpolitiker, inzwischen über Bord geworfen hat.
Wenn man uns auf die Schwierigkeiten hinweist, die sozial oder wirtschaftlich durch erhöhte Übungen entstehen, so kann ich Ihnen nur sagen, meine Herren: Wenn Sie allen Schwierigkeiten wirt-
schaftlicher und sozialer Art aus dem Wege gehen wollen, dann wäre es zweifellos am besten gewesen, überhaupt keine Bundeswehr aufzustellen. Da aber die nationale Sicherheit dies erforderlich macht, sind wir eben gezwungen, einen Weg zu gehen, indem wir uns mit diesen Schwierigkeiten auseinandersetzen.
Da es sicher noch nicht festliegt, ob die Zahl der Übungen, von der hier gesprochen wird, auch voll ausgeschöpft wird, liegt es auch in der Hand der Bundesregierung, die Zahl der Übungen mit den jeweiligen wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten in eine gewisse Übereinstimmung zu bringen.
Wenn uns aber weiter gesagt wird, wir könnten uns über die Zahl der Übungen erst unterhalten, wenn Ausbildungspläne bereits öffentlich bekannt seien, so kann ich dazu sagen, daß dies zweifellos eine falsche Annahme ist. Zwar braucht die Bundesregierung volle Klarheit darüber, wie ihr Ausbildungsplan aussieht, wenn sie zu einzelnen Übungen aufruft. Aber wir geben ja in diesem Augenblick nur eine Ermächtigung, die nicht in vollem Umfange ausgeschöpft werden muß. Gerade auf meinen Antrag ist das Wort „höchstens" vor der Zahl der Wehrübungen in dem Gesetzentwurf eingefügt worden, womit gesagt ist: diese Zahl von Wehrübungen muß nicht tatsächlich ausgefüllt werden. Es handelt sich nur um ein Höchstmaß, das die Regierung im Notfall in den Stand setzt, z. B. unsere früher einmal gedienten Soldaten mit neuesten Waffen vertraut zu machen. Da wir alle miteinander nicht wissen, in welchem Tempo sich die Entwicklung der Waffen in der nächsten Zeit in der Welt abspielen wird, ist es notwendig, hier einen etwas größeren Rahmen zu haben, um je nach der Entwicklung zu Wehrübungen aufzurufen oder nicht. Dabei darf ich noch bemerken, daß bei den augenblicklichen Schwierigkeiten an eine sehr rasche Einziehung zu solchen Wehrübungen vorerst nicht gedacht ist.
Ich darf damit auch das Argument zurückweisen, daß durch die Ereignisse in Ungarn sofort eine neue militärische Konzeption notwendig sei. Meine Damen und Herren, wenn wir uns, weil wir den Grundwehrdienst gesenkt haben — das war ein Beschluß schon aus der Zeit vor den Ereignissen in Ungarn —, nun gezwungen sehen, die Gesamtdauer der Wehrübungen für Unteroffiziere und Mannschaften um drei Monate zu erhöhen, so ist das, weiß Gott, noch keine neue Konzeption, sondern nur eine Vorsichtsmaßnahme, die sich in unsere gesamte militärische Konzeption einbaut. Allerdings, zu übersehen, daß die Ereignisse in Ungarn ein mindestens ebenso ernstes Menetekel an der Wand der Weltgeschichte und unseres Lebens sind wie einst die Ereignisse in Korea, das hieße doch wirklich blind sein.
Sehr bedauert habe ich die Ausführungen meines verehrten Herrn Vorredners, in denen er uns geradezu in einem gewissen Gegensatz zur NATO stellen wollte, indem er etwa sage, daß die NATO nur aus eigenen nationalen Interessen einzelner Mitgliedstaaten an unserer baldigen Aufrüstung, an unserer militärischen Bereitschaft ihr Interesse bekunde. Meine Damen und Herren, es gibt legitime nationale Interessen der Verteidigung, für Deutschland wie für unsere Verbündeten. Aber längst sind wir darüber hinausgewachsen, und wer je mit der NATO zu tun gehabt hat, weiß, wie dort — sowohl im politischen Apparat des NATO-Rates als auch nicht zuletzt in den Reihen der Militärs — das Bewußtsein einer gemeinsamen Verantwortung und eines gemeinsamen Interesses lebendig ist. Wenn unsere Verteidigungskraft schlecht ist, ist damit die Verteidigungskraft des ganzen Westens schwach, und wenn die anderer Länder geschwächt wird, ist auch wieder die gemeinsame Verteidigungskraft schwach. Gerade diejenigen, die in der NATO naturgemäß eine Führungsrolle haben, weil sie das militärische und wirtschaftliche Schwergewicht darstellen, die Amerikaner, sind ja wohl diejenigen, denen es auch die Opposition glauben sollte, daß sie an das gemeinsame Interesse der Verteidigung der freien Welt denken.
Ein letztes Wort, meine verehrten Damen und Herren, zu dem, was mein Vorredner zur Wiedervereinigung gesagt hat. Es ist zweifellos richtig, daß dieses Hohe Haus bei allen seinen Beschlüssen den Gedanken der Wiedervereinigung vor Augen haben sollte. Es erscheint mir aber nicht zweckmäßig, bei jedem Beschluß, der mit der Wiedervereinigung überhaupt nicht in Zusammenhang steht, auf diese Dinge hinzuweisen. Denn, ob wir die Wehrpflicht einführen oder nicht, das mag eine Frage sein, die auch mit dem Problem der Wiedervereinigung zusammenhängt; ob wir aber drei Monate mehr Wehrübungen machen oder nicht, das hat nun wirklich auf die Frage der Wiedervereinigung keinen Einfluß. Deshalb bitte ich Sie, die Anträge der Opposition abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bucher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! § 2 in der ursprünglichen Fassung der Regierungsvorlage entspricht, wie übrigens auch § 1, der Konzeption, die die FDP schon immer für den Fall der Einführung der Wehrpflicht vertreten hat. Das Wesentliche des Gedankens, daß man von 18 Monaten auf 12 Monate heruntergehen sollte, dem sich nun auch die Bundesregierung angeschlossen hat, liegt doch darin, daß man die Frage der Dienstzeit nicht rein quantitativ betrachten, sondern daß man anstreben soll, in möglichst kurzer Zeit eine möglichst gute und gründliche Ausbildung zu geben.
Die Frage, ob man die kürzere Grunddienstzeit durch längere Wehrübungen ausgleichen müßte, wird von Herrn Kollegen Jaeger bejaht, obwohl er mit Recht betont, daß er immer für die kürzere Dienstzeit gewesen ist. Man kann natürlich sehr viele Argumente dafür und dawider anführen. Ich möchte jedoch Argumente wie die Lehren aus den Ereignissen in Ungarn einerseits und die Erschwerung der Wiedervereinigung andererseits bei dieser mehr technischen Frage nicht bemühen.
Wir können einerseits feststellen — und das hat sicher auch die Bundesregierung bei ihren Erwägungen berücksichtigt —, daß volkswirtschaftliche und arbeitsmarktpolitische Gründe für eine kürzere Dauer der Wehrübungen sprechen. Andererseits können wir heute noch nicht übersehen, wie sich die Erfahrungen bei der Ausbildung usw. auswirken werden, welche militärtechnischen Gründe also in Zukunft für eine kürzere oder längere Übungsdauer sprechen werden. Solange wir das noch nicht übersehen können, ist es, glaube ich,
richtig, daß wir uns zunächst aus den geschilderten volkswirtschaftlichen Gründen auf eine kürzere Dauer der Wehrübungen festlegen. Alle Kollegen dieses Hohen Hauses, die Soldaten waren, wissen ja, welch große Versuchung für die militärische Führung in friedlichen Zeiten darin liegt, daß sie sehr viel Zeit zur Verfügung hat. Mit dieser vielen Zeit wird doch oft sehr viel Unfug getrieben, und wir sollten hier von vornherein eine Bremse einschalten. Wenn dann später die militärischen Erfahrungen zeigen, daß die Zeit, die wir vorgesehen haben, zu kurz ist, dann steht nichts im Wege, das zu ändern. Heute aber glauben wir, daß die ursprünglich vorgesehenen Zeiten von 6 bzw. 12 Monaten richtig sind, und da der Antrag der SPD bezweckt, diese Vorlage wiederherzustellen, schließen wir uns diesem Antrag an.
Das Wort hat der Abgeordnete von Manteuffel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur wenige Sätze sagen, weil ich dem Kollegen M e r t e n etwas antworten möchte. Ich werde Sie und Ihre Kollegen nicht davon überzeugen können, daß die häufigen und längeren Wehrübungen notwendig sind. Aber wenn Sie schon nicht an die Umstellung bei den neuen Waffen glauben, weil sie langlebiger sind, als wir annehmen, so darf ich doch aus der Erfahrung heraus sagen: es handelt sich ja auch um die Weiterentwicklung der Waffen und vor allen Dingen auch, verehrter Herr Kollege Merten, um den Wechsel in der Zusammensetzung. Wir haben heute, wo wir Menschen durch Feuerkraft ersetzen wollen, sehr viele Maschinenwaffen, Waffen und Maschinen, bei denen eben eine ganze Teambesatzung arbeitet. Ich meine damit nicht nur den Panzer, ich meine ebenso das Radargerät und die Nachrichtengeräte, bei denen eben ein Wechsel in der Funktion notwendig ist. Bei dieser Ausbildung von Wechselbesatzung und Wechselfunktionen wird man ganz zweifellos nicht in den zwölf Monaten die Fertigkeit erreichen, die zum Schutze des Mannes selber vorgesehen ist. Denn was hilft es, wenn der Funker oder der Fahrer beispielsweise eines Panzers — lassen Sie mich davon sprechen, weil ich davon etwas verstehe — ausfällt und nun kein anderer Mann da ist, der das Fahrzeug vom Gefechtsfeld weg und in Deckung fahren kann. Das erreichen wir einfach in den zwölf Monaten nicht. Ich warne aus meiner leider langjährigen Erfahrung in zwei Kriegen davor, daß man nachher etwa unausgebildete Leute in den Krieg schicken muß;
denn nur die gute Ausbildung erspart wirklich Blut. Ich erinnere an das, was mein Herr Vorredner sagte, und es sind viele Kollegen hier, die selber Soldat waren: Denken Sie an das unglückliche Experiment der Luftwaffen-Felddivision; wir haben es draußen erlebt. Die Schreibstuben wurden durchgekämmt und auch das sonstige Personal wurde herausgeholt. Die Leute wurden in die Truppenteile gesteckt, und dann kamen die furchtbaren Verluste, weil sie sich gar nicht auf dem Gefechtsfeld bewegen konnten. Aber dieses Moment wird Sie wahrscheinlich nicht überzeugen.
Mir liegen aber zwei Fragen sehr am Herzen, die ich Herrn Kollegen Merten beantworten wollte.
Das eine ist die Störung des Arbeitsmarktes. Da I sehe ich überhaupt keine wesentlichen Schwierigkeiten, zumindest keine Schwierigkeiten, die nicht behoben werden könnten, wenn wir den Verteidigungsminister bitten, die Wehrersatzämter dahin zu instruieren, daß die Leute rechtzeitig — darunter verstehe ich vorsorglich vielleicht sechs Monate vorher; ich weiß nicht, welche Vorstellungen der Herr Bundesverteidigungsminister da hat — zu unterrichten sind, wann sie zu diesen Übungen oder ganz allgemein zum Grundwehrdienst herangezogen werden können. Das kann nicht unüberwindlich sein.
Aber etwas anderes, Herr Kollege Merten, hat mich geschmerzt. Sie sprachen zum Kollegen Heye, der ebenso wie ich von dem Gespräch der NATO- Parlamentarier in Paris zurückgekommen ist. Sie gaben nun eine Argumentation, womit Sie die Absage an die Aufstellung der Bundeswehr rechtfertigen wollten, daß nämlich unsere Verbündeten ihre Truppen etwa zu Abenteuern anderswo frei hätten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Arbeitsgemeinschaft der Freien Volkspartei und der Deutschen Partei lehnt eine derartige Unterstellung gegenüber unseren benachbarten und mit uns befreundeten Nationen deshalb ab. weil diese auch in Deutschland für Deutschland Opfer gebracht haben.
Denken Sie allein an die Luftbrücke Berlin! Es gibt aber auch noch andere Opfer, die sie gebracht haben. Ich kann nur sagen, Herr Kollege Merten: wenn Sie derartige Unterstellungen aussprechen wollen, aber das verhindern wollen, was Sie sagten, dann hätten Sie rechtzeitig mit uns zusammen in die EVG eintreten sollen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen zu dem Änderungsantrag auf Umdruck 858 Ziffer 1*) liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache über diesen Punkt 1 des Änderungsantrags und komme zur Abstimmung.
Wer ihm zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Änderungsantrag auf Umdruck 858 Ziffer 1 ist abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über den § 2 in der Fassung des Ausschusses. Wer dieser Fassung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit; § 2 ist in der Fassung des Ausschusses angenommen.
Ich rufe auf den § 2 a. Hier liegt wieder ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor, Umdruck 858 Ziffer 2. — Herr Abgeordneter Merten zur Begründung!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion beantragt, daß in dem vorliegenden Entwurf der § 2 a gestrichen wird. In diesem Paragraphen ist die Rede davon, inwieweit die Zeiten des Bereitschaftsdienstes au( die Wehrübungen angerechnet werden. Eine gesetzliche Definition des Begriffs „Bereitschaftsdienst" gibt es bisher nicht. Nach den Aufklärungen, die wir im Ausschuß erhalten haben, sollen darunter offenbar die Einberufungen von Reservisten im
*) Siehe Anlage 2.
Falle drohender Gefahr zur Besetzung von bestimmten Verteidigungsanlagen und für bestimmte Wachaufgaben verstanden werden. Selbstverständlich können im Rahmen des Bereitschaftsdienstes auch Reserveeinheiten einberufen werden. Mit anderen Worten, es kann eine Mobilmachung verschiedenen Ausmaßes, groß oder klein, in Form des Bereitschaftsdienstes erfolgen.
Nun haben wir bereits im Ausschuß vorgebracht und wiederholen das hier, daß wir aus der Geschichte wissen, was es mit derartigen Mobilmachungen unter Umständen auf sich hat. Schon allein der Gedanke daran, daß bei den Spannungen der letzten Wochen plötzlich ein Bereitschaftsdienst an der deutschen Ostgrenze angeordnet worden wäre, läßt keine sehr erfreulichen Perspektiven für jeden einzelnen von uns zu. Selbstverständlich wären entsprechende Maßnahmen auch von der anderen Seite erfolgt, hätten ihrerseits nun wieder Maßnahmen auslösen müssen von seiten der so viel zitierten NATO oder der deutschen Behörden und militärischen Stellen, und jedermann weiß, wie durch Teilmobilmachung schwierige Situationen verschärft oder gar bis zu einem Gefahrenpunkt getrieben werden können. Wenn ich mich recht erinnere, ist der Angriff der Israelis auf Ägypten ja auch durch Teilmobilmachungen der anderen Seite ausgelöst worden. Und nach der Auslösung hat dann eine Regierung die Dinge gewöhnlich nicht mehr in der Hand, sondern wird zwangsläufig von einer Maßnahme zur anderen getrieben, und letzten Endes könnte durch diese außerordentlich unklare Ermächtigung der Art. 59 a des Grundgesetzes zur leeren Form herabgedrückt werden, nach dem der Bundestag die Feststellung des Verteidigungsfalles zu treffen hat.
Meine Fraktion hatte im Ausschuß gebeten, zur Klärung der sich aus der Grundgesetzbestimmung ergebenden Fragen und zur weiteren Klärung des Ausmaßes der Maßnahmen, die noch als Bereitschaftsdienst, aber nicht mehr als Mobilmachung angesehen werden können, die Behandlung dieses Paragraphen um zwei Tage zurückzustellen. Dieser Wunsch war um so mehr berechtigt, als in der Regierungsvorlage, wie Sie wissen, von dieser Materie überhaupt nicht die Rede gewesen ist und sie daher völlig neu in den Ausschuß gekommen ist. Diesem Wunsch ist aus Gründen, die wir nicht verstehen, nicht stattgegeben worden. Ich weiß nicht, ob hier vielleicht der neue politische Stil vorexerziert werden sollte, dessen Mangelhaftigkeit von unserer Seite ja so sehr beklagt wird. Aber wir gedenken vorläufig noch auf diesen Stil zu verzichten und möchten klar herausstellen, daß auch die sozialdemokratische Fraktion von der Notwendigkeit eines Bereitschaftsdienstes in gewissen Situationen überzeugt ist, daß sie ihn gar nicht bestreiten will und auch nicht bestreiten kann, daß wir aber zuvor, bevor das geregelt wird, klar erkennen wollen, wie weit diese Ermächtigung der Regierung geht und ob gewisse Gefahren, die ohne jeden Zweifel in diesem Zusammenhang auftreten können, abgewendet werden können.
Im übrigen gilt für diesen § 2 a dasselbe, was auch für das ganze Gesetz gilt, und es gilt für diesen § 2 a in besonderer Weise: er ist absolut nicht dringend. Die Regelung dieser Frage hat noch lange Zeit, weil das Problem der Anrechenbarkeit von Wehrübungen auf den Bereitschaftsdienst sich frühestens überhaupt erst in zwei Jahren stellen wird und auch dann nur bei besonders ungünstigen Umständen. Bis dahin könnte diese Frage ruhig offenbleiben, ohne daß das geringste passierte.
Die Erteilung der Ermächtigung an die Bundesregierung, überhaupt einen Bereitschaftsdienst anzuordnen, gehört auch gar nicht in dieses Gesetz und muß an anderer Stelle geregelt werden. Auch sie ist keineswegs eilig, weil sich die Bundesregierung jederzeit durch die Einberufung von Reservisten zu Wehrübungen helfen kann, wenn sie das für notwendig hält.
Der Herr Bundesminister für Verteidigung hat bei der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs erklärt, daß Existenz und Aufbau der Bundeswehr aus dem parteipolitischen Streit herausgehalten werden müßten. Wir unterschreiben diese Erklärung Wort für Wort. Aber ich muß noch einmal in allem Ernst sagen, daß die Methoden, die gerade bei der Behandlung dieses Paragraphen im Ausschuß angewandt worden sind, genau das Gegenteil von dem bewirken, was der Herr Bundesverteidigungsminister für richtig gehalten hat. Wir möchten auch ganz klar herausstellen, wer die Verantwortung für diesen Zustand trägt.
Wir beklagen auch bei dieser Gelegenheit — deswegen müssen wir uns jetzt im Plenum über diese Dinge unterhalten — die mangelhafte Bereitschaft der Mehrheit, die Fragen auszudiskutieren, und wir beklagen das Fehlen einer aufrichtigen Mühe, an vielen Stellen mit der Opposition einen gemeinsamen Weg zu suchen, auch unter der Bedingung, daß man von seinen eigenen Vorhaben einmal hin und wieder einen Punkt abstreichen muß. Mit der Methode „Vogel friß oder stirb" können Sie die Truppe aus dem parteipolitischen Hader nicht heraushalten. Sie werden sie im Gegenteil gerade hineinziehen, insbesondere dann, wenn Sie diese Fragen, die heute hier vorliegen, so durchpeitschen wollen, wie Sie sich das offenbar vorgenommen haben, obwohl nach Ihren eigenen Aufstellungsplänen Wehrpflichtige vor Ende 1957 überhaupt nicht gebraucht werden. Sie hätten also die Regelung dieser Frage beruhigt dem nächsten Bundestag überlassen können. Aber statt dessen wollen Sie mit dem § 2 a sogar noch Bestimmungen in das Gesetz hineinnehmen, die vielleicht überhaupt erst nach Jahren einmal zur Anwendung kommen können.
Wir sind der Überzeugung, daß die Bundeswehr für ihren Aufbau unter schwierigsten Verhältnissen nichts mehr braucht als Ruhe. Sie tragen durch die Art und Weise der Behandlung dieser Dinge, d. h. durch Ihren politischen Stil, dauernd neue Unruhe nicht nur in die politische Öffentlichkeit — das wäre zu ertragen —, sondern vor allen Dingen auch in die Truppe. Solange Sie die nun einmal von Ihnen für richtig gehaltene Art und Weise der Zusammenarbeit mit der Opposition nicht überprüfen, wird sich das nur zum Schaden der Truppe auswirken, ganz abgesehen von dem Schaden, den Sie dem Gedanken der parlamentarischen Demokratie in der Öffentlichkeit zufügen.
Wir beantragen die Streichung dieses Paragraphen, den selbst die Bundesregierung vor vier Wochen noch gar nicht für notwendig gehalten hat. Er ist überflüssig und kann unter Umständen sogar gefährlich sein.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Mende.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! So sehr wir eben dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion zustimmen konnten, weil er die Wiederherstellung der Fassung der Regierungsvorlage forderte, so entschieden müssen wir diesem Antrag der Sozialdemokraten widersprechen.
Jede verantwortliche Bundesregierung, welche politischen Kräfte sie in Zukunft auch immer bilden werden, könnte niemals leichtfertig den Bereitschaftszustand verkünden. Ein solcher Bereitschaftszustand würde erhebliche materielle Rückwirkungen auf unsere gesamte Volkswirtschaft haben. Wir sehen an dem Beispiel Englands, wohin es führt, wenn zwei Partner des Nordatlantikpaktes eigenwillig vorgehen, ohne ihre Partner auch nur zu verständigen. Die gestrigen Ausführungen des britischen Schatzkanzlers Macmillan zeigten, daß dieses eigenwillige gescheiterte Vorgehen allein den britischen Staatshaushalt mindestens 1 Milliarde DM gekostet hat.
Außerdem dürfte unsere Bundesregierung gar nicht isoliert vorgehen, weil sie in ihren Befugnissen in das atlantische Bündnissystem eingeklammert ist. Ich sehe den Bereitschaftsdienst als das an, was die Amerikaner vor wenigen Wochen mit der Verkündung der Alarmstufe 1 für ihre auf deutschem Boden stationierten Truppen ausgelöst haben. Wenn es dann eine solche Möglichkeit, die Dauer der Wehrdienstübungen zu verlängern, nicht gibt, kann es passieren, daß nach einer gewissen Zeit die zum Bereitschaftsdienst Einberufenen einfach nach Hause gehen könnten. Das kann sich keine Bundesregierung leisten.
Daher ist diese Einschränkung der Beendigung der Dienstzeit eine Maßnahme, die der Bereitschaftsdienst als logische Folge mit sich bringt. — Herr Kollege, das ganze ist mehr oder weniger Zukunftsmusik. Wenn man es aber für richtig hält — und die Mehrheit des Hauses hat es für richtig gehalten —, bereits heute diese Gesetze zu beschließen, dann sollen sie so gut und so perfekt wie möglich sein. Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab.
Das Wort hat der Bundesminister für Verteidigung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist meine Absicht, zu einigen hier vorgetragenen Argumenten, nicht zu dem Gesamtproblem Stellung zu nehmen.
Gegen das Argument, § 2 a könnte zu unkontrollierbaren Masseneinberufungen führen, muß man geltend machen, daß sich nach Art. 87 a des Grundgesetzes die zahlenmäßige Stärke der vom Bund zur Verteidigung aufgestellten Streitkräfte aus dem Haushaltsplan ergibt. Dazu gehört auch die Anzahl der zu Übungen einberufenen Reservisten, auch wenn hier eine finanzielle Verfügungsmöglichkeit geschaffen wird. Die Grenzen können aber vom Parlament in jedem Haushaltsplan oder im
Einzelbeschluß so gezogen werden, daß eine über das Maß des Notwendigen hinausgehende Einberufung von Reservisten allein nach Regierungsermessen nicht stattfinden kann; der Haushaltsplan wird ja durch Gesetz festgestellt.
Ich darf zweitens bemerken, daß diese Kräfte der Heimatverteidigung, der sogenannten bodenständigen Verteidigung, um die es sich hier handelt, auch nicht im nationalen Ermessen in uferlosen Ausmaßen aufgestellt werden dürfen, sondern daß deren Aufstellung durch ein besonderes innerhalb der Mitgliedstaaten der Westeuropäischen Union zu treffendes Abkommen geregelt werden muß.
Ich darf drittens feststellen, daß mit der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen, Kollege Merten, nicht die Gefahr verbunden ist, daß die Regierung die Dinge nicht mehr in der Hand hätte und damit automatisch in größere Aktionen oder Abenteuer hineinschlittern würde. Hier muß man aus den Ereignissen gewisse Schlußfolgerungen ziehen, die vielleicht vor Monaten, als die Regierungsvorlage im Bundesverteidigungsministerium ausgearbeitet und dem Bundeskabinett zugeleitet wurde, noch nicht in dieser Weise gezogen worden waren. Es ist nicht möglich, genau zu trennen zwischen dem reinen und normalen Friedensfall und dem exakten, sauberen Verteidigungsfall, der leider meistens schon der Kriegsfall wäre. Die Erfahrungen der letzten Monate haben gezeigt, daß es zwischen diesen beiden Möglichkeiten einen Zustand geben kann, der erhöhte Bereitschaft erfordert. Diese erhöhte Bereitschaft liegt ja nicht im Interesse der Bundesregierung oder ihrer politischen Ansichten, sie liegt letzten Endes im Interesse des deutschen Volkes, der Sicherheit, des Lebens, des Eigentums und der Freiheit der Bürger.
Damit Sie aber sehen, daß diese Überlegungen nicht per Zufall oder in freiem Ermessen entstanden sind, darf ich Ihnen aus der „Neuen Zürcher Zeitung" vom Montag, dem 3. Dezember, also von vorgestern, mit Genehmigung des Präsidenten einige Sätze über eine Maßnahme verlesen, die in diesen Wochen von der Schweizer Regierung dem Schweizer Parlament vorgeschlagen worden ist.
Wir wußten von der Maßnahme der Schweiz wahrscheinlich genausowenig, wie die Schweizer Regierung von der Änderung des Dienstzeitdauergesetzes etwas wußte. Aber man soll sich nicht unbedingt bemühen, aus den Ereignissen nichts zu lernen, um hinter den Notwendigkeiten herzuhinken.
Die „Neue Zürcher Zeitung" schreibt — —
— Ich nehme an, Herr Kollege Wehner, daß sich die „Neue Zürcher Zeitung" genau in der Mitte zwischen Ihren und meinen weltanschaulichen Ansichten befindet.
— Allerdings, Sie haben recht: man darf Weltanschauung und Weltbild nicht verwechseln.
Wie bereits gemeldet wurde ..., schlägt der
Bundesrat den eidgenössischen Räten den Er-
laß eines bis Ende 1957 befristeten dringlichen Bundesbeschlusses vor, wonach Dienstleistungen, wie sie nun im Zusammenhang mit der Hilfsaktion für Flüchtlinge stehen, nicht als Aktivdienst zu erklären seien, sondern als Instruktionsdienst; damit würden die geschilderten Rechtsfolgen
— die vorher aufgeführt waren —
unterbleiben. Der Bundesrat soll darnach ausdrücklich ermächtigt werden, „Truppen und Stäbe zur Durchführung von Hilfsaktionen ... zu außerordentlichen und zusätzlichen Dienstleistungen aufzubieten und sie so lange im Dienst zu behalten, als die Umstände es erfordern, in der Regel nicht mehr als drei Wochen".
Das ist der erste Teil der Vorschläge des Schweizer Bundesrats. Nun komme ich zum zweiten Teil, der genau unserem Vorschlag entspricht:
Der gleiche dringliche Bundesbeschluß mit den geschilderten Wirkungen soll ferner auch gelten für Aufgebot „zur Durchführung von vorbereitenden Maßnahmen der Landesverteidigung". Die knapp gehaltene Botschaft zu diesem Beschlußentwurf, die am Samstag aufgelegt wurde, erklärt, was die Landesverteidigung betreffe, sei es selbstverständlich, daß der Bundesrat intern durch verwaltungsmäßige Vorkehren gewisse Vorbereitungsmaßnahmen getroffen habe, die folgenden in der gleichen Botschaft einleitend gemachten Feststellungen und Bemerkungen des Bundesrats gerecht werden: .,Die internationale Lage hat in der letzten Zeit rasche Wandlungen durchgemacht und schließt für die Zukunft Entwicklungsmöglichkeiten in sich, die kaum mit genügender Bestimmtheit und rechtzeitig vorausgesehen werden können. Es können Ereignisse eintreten, welche uns veranlassen müßten, rasch militärische Maßnahmen zu treffen, ohne daß es bereits notwendig ist, die gesetzlichen Bestimmungen über die bewaffnete Neutralität anzuwenden",
— also den Verteidigungsfall.
Die Botschaft fährt fort, je nach der Entwicklung der Lage sehe der Bundesrat die Notwendigkeit voraus, „auf verschiedenen Gebieten die Bereitschaft in viel weitergehendem Maße zu erhöhen. Hierzu werden die Mittel der Verwaltung nicht mehr ausreichen. Dies hat zur Folge, daß dann Truppen zu gewissen Arbeiten herangezogen werden müßten. Dabei kann es sich darum handeln, Anlagen verschiedener Art in eine erhöhte Bereitschaft zu versetzen. Diese mehr technischen Arbeiten müssen durch geschlossene Truppenverbände, welche normalerweise diesen Anlagen zugeteilt sind, ausgeführt werden. Die Dringlichkeit kann es erfordern, daß die entsprechenden Einheiten mit vollen Beständen und nicht nur mit den stark reduzierten Wiederholungs- bzw. Ergänzungskursbeständen aufgeboten werden. Es kann notwendig sein, eine verstärkte Überwachung oder eine Bewachung einzelner Objekte anzuordnen."
Ich glaube kaum, daß die Schweiz mit ihrer klassischen Friedens- und Neutralitätspolitik
und mit ihrer uralten demokratischen Militärtradition etwa durch eine solche Maßnahme die Möglichkeit zur provokatorischen militärischen Maßnahmen ins Auge gefaßt hat oder an Aktionen dieser Art denkt. Das, was sich für die Schweiz in ihrer geographischen Situation schon jetzt als notwendig erweist und von ihrer Regierung als Schlußfolgerung gezogen wird, muß bei uns von jeder Regierung, auch von der, die Sie sich für das letzte Quartal des nächsten Jahres vorstellen, ebenfalls als Schlußfolgerung gezogen werden.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kliesing.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es muß doch eigentlich jeden objektiven Zuhörer merkwürdig berühren, wenn hier, wie es in den Ausführungen des Kollegen Merten geschehen ist, erklärt wird, auch die SPD anerkenne, daß es Situationen gebe, in denen ein erhöhter Bereitschaftsdienst erforderlich sei, und im gleichen Atemzug der Versuch unternommen wird, eine gesetzliche Fundierung und Ermöglichung dieses Bereitschaftsdienstes zunichte zu machen. Der Herr Verteidigungsminister hat hier eine klare und eindeutige Umschreibung des Begriffs Bereitschaftsdient gegeben, und er hat inhaltlich damit die Erklärung wiederholt, die er in anderer Form, wie es ja auch von Herrn Kollegen Merten bereits bemerkt wurde, im Verteidigungsausschuß abgegeben hat. Um so mehr muß es aber in Erstaunen setzen und eigentlich befremden, daß trotz dieser Erklärung der Begriff „Bereitschaftsdienst" fälschlicherweise wieder in Zusammenhang mit dem Begriff „Mobilmachung" gebracht wird, obwohl durch die Verhandlungen im Verteidigungsausschuß eindeutig klar war, daß diese beiden Dinge aber auch absolut gar nichts miteinander zu tun haben.
Wir müssen uns mit aller Entschiedenheit gegen die Behauptung wenden, daß, wie es in den Worten des Kollegen Merten durchklang, sich hier schon die Möglichkeit ergebe, daß der Verteidigungszustand bzw. der Krieg unter Umgehung der Bestimmungen des Grundgesetzes herbeigeführt werden könne.
Geradezu ungeheuerlich aber mutet in diesem Zusammenhang die Unterstellung an, es sei die Absicht der Bundesregierung, mit dieser Maßnahme eine Unruhe ins deutsche Volk hineinzutragen.
Wenn es hier eine Beunruhigung des deutschen Volkes geben kann, meine Damen und Herren, dann nur durch eine falsche Interpretation des Begriffsinhaltes „Bereitschaftsdienst".
Vor einem derartigen Experiment möchten wir nachdrücklich warnen; denn die geschichtliche Erfahrung beweist, daß derartige Versuche für denjenigen, der sie unternimmt, sich, auf lange Sicht gesehen, politisch sehr schlecht auszahlen.
Meine Damen und Herren, was kann denn in der Praxis überhaupt durch das Hineintragen einer Beunruhigung in das Volk erreicht werden? Das kann doch letzten Endes nur dazu führen, daß die Bereitschaft des deutschen Volkes zur Verteidigung geschwächt wird. Es muß einmal ganz klar und öffentlich gesagt werden, daß derjenige, der derartige Versuche unternimmt, sich darüber im klaren sein muß, daß er damit die volle Verantwortung für alle daraus sich ergebenden Folgen übernimmt, mögen sie für dieses Volk noch so katastrophal sein.
Die Erfahrungen der letzten Wochen haben uns unter anderem auch gezeigt, daß in weiten Kreisen des deutschen Volkes angesichts ,der weltpolitischen Spannungen, die ja noch heute nicht überwunden sind, eine tiefe Beunruhigung eingetreten war. Deshalb wehren wir uns mit aller Entschiedenheit gegen jeden Versuch, dieses deutsche Volk aus parteipolitischen Gründen jetzt noch mehr zu beunruhigen.
Herr Abgeordneter Merten!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann einige Dinge, die Herr Kollege Kliesing hier gesagt hat, deswegen nicht unwidersprochen lassen, weil er sich hier befremdend und zum Teil sogar mit der Bezeichnung „ungeheuerlich" über Dinge geäußert hat, die i c h auf jeden Fall hier in diesem Raume heute nicht ausgesprochen habe.
Wenn der Unterschied zwischen Mobilmachung und Bereitschaftsdienst im Ausschuß klar herausgestellt worden wäre, dann hätte auch ich mit meiner vielleicht nicht überragenden, aber immerhin durchschnittlichen Intelligenz das einigermaßen mitbekommen. Sie haben uns ja daran gehindert, diese Frage ausführlich zu prüfen, und haben, obwohl wir nur den Wunsch geäußert hatten, das zwei Tage später zu regeln, geglaubt, auf diesen Wunsch nicht eingehen zu sollen. Ich habe vorhin nicht gesagt, welche Gründe dafür bei Ihnen hätten maßgebend sein können. Vielleicht wünschten Sie gar nicht, daß die Aufklärung gegeben wurde, nach der wir so dringend verlangt haben — das darf ich Ihnen auch einmal sagen —, was ich für ungeheuerlich halte.
Das Zweite: Ich habe kein Wort davon gesagt, daß Unruhe ins deutsche Volk hineingetragen würde,
sondern ich habe davon gesprochen, daß die Truppe die Ruhe, die sie für ihre Aufstellung braucht, nicht bekommt, wenn am laufenden Band derartige Dinge hier in dieser Methode behandelt werden und dadurch das erreicht wird, was der Herr Verteidigungsminister nicht will und was wir alle nicht wollen, daß nämlich der parteipolitische Hader in die Truppe hineingetragen wird und sich auf die Truppe und ihre Ausbildung und ihre Aufstellung auswirkt. Das habe ich gesagt. Sie hätten sich das alles ersparen können, wenn Sie bereit gewesen wären, mit uns in einer vernünftigen Zeitspanne und mit einer vernünftigen Methode diese Dinge auszudiskutieren. Auch wir — habe ich gesagt — sind dafür, daß die Bundesregierung die Möglichkeit hat, weil das ganz selbstverständlich ist, in gewissen Situationen so etwas wie das, was hier Bereitschaftsdienst genannt wird, zu tun. Ich habe gesagt, daß wir nur deshalb gegen diesen Paragraphen stimmen, weil das nicht vollkommen klar ausdiskutiert werden konnte. Ich habe es nicht gesagt, um, wie Sie glauben annehmen zu müssen, die Sicherheit und die Verteidigungskraft des deutschen Volkes zu schmälern. Ich muß mich hier in ,aller Form und mit allem Ernst gegen derartige ungeheuerliche Unterstellungen verwahren, zugleich auch im Namen meiner politischen Freunde.
— Dann beraten Sie es erst einmal anständig!
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen zu diesem Änderungsantrag liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag Umdruck 858*) Ziffer 2. Wer ihm zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das letzte ist die Mehrheit; der Änderungsantrag unter Ziffer 2 ist abgelehnt.
Ich lasse über § 2 a in der Ausschußfassung abstimmen. Wer dieser Fassung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! —Das erste war die Mehrheit; § 2 a ist angenommen.
Ich rufe § 3 auf. Wird das Wort dazu gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem § 3 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen.
— Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit; § 3 ist angenommen.
Ich lasse abstimmen über Einleitung und Überschrift. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit; angenommen.
Damit ist die zweite Lesung erledigt.
Änderungsanträge sind nicht angenommen worden. Wir kommen zur
dritten Beratung,
und ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lenz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zur dritten Lesung einige allgemeine politische Bemerkungen machen. Ich glaube, wir sind uns darüber einig, daß die abschließende Beratung des Dienstzeitgesetzes in einen Zeitpunkt fällt, der völlig neue politische Aspekte gibt. Als die Beratungen über die Wehrpflicht begannen, glaubten
— nicht nur in Deutschland — viele, daß die politische Lage sich beruhigt habe. Die Abkehr vom Stalinismus auf dem XX. Parteikongreß der KPSU, die Keep-smiling-Reisen von Bulganin und Chruschtschow wurden dahin gedeutet, daß die Sowjetunion auch außenpolitisch eine versöhnlichere und nachgiebigere Linie verfolgen werde. Die Koexistenz -Freudigkeit bei vielen Politikern stieg ins Ungemessene, und Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, haben diese Situation benutzt,
*) Siehe Anlage 2.
um immer wieder zu verkünden, daß ein deutscher Verteidigungsbeitrag gar nicht mehr zeitgemäß sei und daß alle mit der Wehrpflicht zusammenhängenden Fragen nur noch eine sekundäre Bedeutung hätten. Sie haben mehr oder weniger zum Ausdruck gebracht, daß nur der nach Ihrer Auffassung verfehlte Eintritt der Bundesrepublik in das Nordatlantische Verteidigungsbündnis, die NATO, die Schuld daran trage, daß wir uns überhaupt noch mit militärpolitischen Fragen jetzt befassen müßten.
Aber, meine Damen und Herren — und das sage ich zu uns —, auch wir selbst, die wir von der Notwendigkeit des NATO-Bündnisses und der Aufstellung deutscher Verteidigungsstreitkräfte überzeugt waren, sind zeitweise in den Fehler verfallen, die ganze Sache mehr oder weniger als eine akademische Aufgabe zu betrachten. Wir haben zum Teil einen Perfektionismus betrieben, der der Sache nicht förderlich war, und wir haben auf Nebenpunkte Gewicht gelegt, die es vielleicht nicht in dem Umfang verdienten. Das alles ist angesichts unserer politischen Entwicklung verständlich. Aber die jüngsten politischen Ereignisse sollten uns gezeigt haben, daß beim Aufbau unserer Verteidigung Eile nottut, und zwar bitter nottut. Die Vorgänge in Ungarn und im Vorderen Orient haben die Labilität der Weltlage blitzartig erleuchtet, und ich glaube, der rosenrote Optimismus, der hinsichtlich der Weltlage und der politischen Entwicklung in der Sowjetunion vor wenigen Wochen noch herrschte, ist zerstoben. Man glaubte noch lange, friedfertige Gesten und eine freundliche Haltung könnten die Sowjetunion bewegen, nachzugeben und eine Entwicklung des mitteleuropäischen Raumes zu größerer Freiheit und Selbständigkeit zuzulassen.
Mit einem tiefen inneren Erschrecken hat das deutsche Volk die Ereignisse in Ungarn verfolgt.
Was dort vor sich ging, spielte sich unmittelbar in der Nähe unserer Grenzen ab, und viele Deutsche haben es an Ort und Stelle miterlebt. Die ungeteilte Sympathie des ganzen deutschen Volkes galt den ungarischen Freiheitskämpfern. Ich muß sagen: es ist mir unverständlich, daß einer der Vorsitzenden des DGB, nämlich Herr Wönner, Pressenachrichten zufolge äußern konnte, Deutschland habe weder Veranlassung, sich um den faschistischen Aufstand in Ungarn
noch um den faschistischen Nasser zu kümmern.
Meine Damen und Herren, ich glaube, die ungarische Freiheitsbewegung ist eines der größten weltpolitischen Ereignisse der Nachkriegszeit, und seine Auswirkungen sind noch nicht abzusehen. Nur zunächst ist der Freiheitskampf des ungarischen Volkes durch sowjetische Panzer erstickt worden. Durch die Entwaffnung der rumänischen Armee hat es die Sowjetunion fertig gebracht, dort jedes Aufbegehren zu verhindern. In Polen versucht sie durch stärksten Druck, alle freiheitlichen Errungenschaften wieder rückgängig zu machen, und in der DDR läuft eine neue Verhaftungswelle an.
Was ist die Lehre? Die Sowjetunion hat gezeigt, daß sie alle Loslösungsbestrebungen in den Satellitenstaaten als eine Gefährdung ihrer Machtposition betrachtet und daß sie eisern entschlossen ist, nichts von dem Raum aufzugeben, den sie sich unterworfen hat.
— Aber meine Damen und Herren, Sie haben die Vertagung dieses Gesetzes mit allgemeinpolitischen Gründen ja beantragt, also werden wir es mit allgemeinpolitischen Gründen rechtfertigen.
Trotz des Erschreckens über die Verwandlung
einer friedlich scheinenden Weltbühne in ein
Schauspiel von Angst und Schrecken, von Leichen
und Trümmern, Deportationen und Entführungen
weigern sich heute noch viele, zu glauben, daß ein
solches Schicksal auch uns bereitet werden könnte.
Manche meinen sogar, daß es gut wäre, keine Soldaten zu haben, weil man dann verschont bliebe. Meine Damen und Herren, dadurch, daß man keinen Revolver in die Tasche steckt, hat man noch niemals einen Raubüberfall verhindert,
und noch kein Staat ist vor dem Schicksal, von einem böswilligen Nachbarn angegriffen zu werden, deshalb verschont geblieben, weil er wehrlos war. Die Schweiz und Schweden sind trotz ihrer traditionellen Neutralität auch heute hoch gerüstet. Wir haben ja bei Hitler gesehen, wie man Anlässe finden kann, ein Nachbarland anzugreifen. Und überhören wir nicht, daß in der sowjetischen Agitation jetzt geflissentlich die ungeheuerliche Lüge verbreitet wird, daß von der Bundesrepublik her konterrevolutionäre Bataillone aufgestellt und nach Ungarn geschleust worden seien! Man sprach von Handgranaten in Konservenbüchsen. Man hat die bewundernswerte Opferbereitschaft der Mitglieder des Deutschen Roten Kreuzes und des deutschen Lazarettzuges diffamiert, indem man behauptet hat, daß er zwar wenig Verbandsmaterial, aber viel Waffen transportiert habe.
Und überhören wir nicht, daß als Sprachrohr der Pankower Machthaber Herr Eisler vor kurzem gesagt hat: Wenn man in Westdeutschland nur mit Worten gegen den Wiederaufbau des Militarismus protestiert, dann mag der Tag kommen, an dem man die Streitkräfte der DDR um Hilfe bittet.
Ich nehme an, Sie wissen, daß in Polen seit einigen Tagen eine riesige Agitationswelle mit dem Ziel anläuft, das Mißtrauen gegen Deutschland aufzustacheln. Man behauptet, die Bundesrepublik warte nur darauf, bei einer Lösung Polens von der Sowjetunion die alten Grenzen an Oder und Neiße mit Gewalt wiederherzustellen. Die feierlichen Erklärungen des Bundeskanzlers und unseres Außenministers, daß wir unsere Ansprüche auf diese Gebiete jenseits der Oder-Neiße-Linie niemals mit Gewalt durchsetzen würden, läßt man unter den Tisch fallen. Ich erkläre hier nochmals, daß wir hinter diesen Erklärungen der Bundesregierung stehen.
Die ganze Geschichte der Nachkriegszeit ist die Geschichte mehr oder weniger massiger Eingriffe der Sowjetunion in die Verhältnisse anderer Staaten. Schließlich ist ja die Unterwerfung Polens, Ungarns, Bulgariens, Rumäniens und der Tschechoslowakei auf diese Weise erfolgt. Wer bisher glaubte, daß sich insoweit die sowjetische Politik geändert habe, müßte angesichts der Vorgänge im mitteleuropäischen Raum sein Urteil gründlich revidieren. Daß Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, bei dieser Situation der Verabschiedung der Wehrgesetze immer noch jede Schwierigkeit bereiten wollen, das mögen Sie vor dem deutschen Volk verantworten.
Noch gestern haben Sie in Ihrem Pressedienst erklärt, Sie sähen keine zwingende Notwendigkeit zur Verabschiedung dieses Gesetzes.
Dasselbe haben Sie vorhin in der Geschäftsordnungsdebatte ausgeführt. Meine Damen und Herren, sehen Sie wirklich keinen zwingenden Grund?
Ich muß sagen, daß es mir im Auslande den Atem verschlagen hat, als Sie bei der letzten außenpolitischen Debatte angesichts der Vorgänge in Ungarn den Austritt aus der NATO und aus der WEU beantragt haben.
Ich habe heute morgen gelesen, daß das Herr Ollenhauer in den letzten Tagen wiederholt hat. Aber wissen Sie: noch schlimmer finde ich es, daß Sie hinsichtlich der NATO und der Wehrpflicht zwei Sprachen sprechen. Als unser Kollege Blank neulich die Behauptung aufstellte, auch die SPD werde, wenn sie an die Regierung komme, die Wehrpflicht nicht abschaffen und auch nicht aus der NATO austreten, erklärte Herr Dr. Arndt, die Behauptungen Theodor Blanks über das voraussichtliche Verhalten einer späteren sozialdemokratischen Bundesregierung, insbesondere die Unterstellung, daß eine sozialdemokratisch geführte Regierung weder die Wehrpflicht abschaffen noch sich um eine Revision der Pariser Verträge bemühen werde, entbehre jeder Grundlage; die Äußerung Blanks beweise nichts als ein völliges Unvermögen, die Überzeugung von politisch Andersdenkenden zu verstehen und zu achten.
— Kurz, aber beleidigend, jawohl.
Am 4. Dezember führte Herr Stampfer, ein nicht gerade unbekannter Mann aus Ihren Reihen, in der „Westfälischen Rundschau" folgendes aus.
— Aber, verzeihen Sie, Herr Stampfer ist immer noch ein maßgebender Mann der SPD.
— Nun, bitte sehr, was die „Westfälische Rundschau" schreibt, das gilt als Ihre Stimme.
Er hat also in seinem Artikel ausgeführt:
Zwar strebt die SPD mit aller Kraft einer Zukunft entgegen, in der es ein wiedervereintes Deutschland, aber keine militärische Machtblöcke und keine allgemeine Wehrpflicht mehr geben soll. Daraus aber zu folgern, daß ein sozialdemokratischer Wahlsieg die sofortige Abschaffung der Wehrpflicht bringen wird, wäre voreilig, Versprechungen solcher Art zu geben, unvorsichtig. Mit einer ihm folgenden bitteren Enttäuschung der Wähler, ganz besonders der jungen, wäre ein Wahlsieg zu teuer erkauft.
— Das kann ich gar nicht leugnen, Herr Mellies. Wenn Ihnen ein Artikel gelegen kommt, zitieren Sie ihn auch.
— Sehr verehrter Herr Kollege Mellies, ich bin der festen Überzeugung, daß Herr Kollege Ollenhauer bei seiner Reise in dieser Richtung sehr vorsichtige Erklärungen abgegeben hat.
Aber, meine Damen und Herren, ich muß feststellen, daß in Deutschland erfreulicherweise die Einsicht immer mehr wächst, daß die Parole nicht „Heraus aus der NATO!" lauten kann, sondern „Stärkt die NATO!" heißen muß.
Ich freue mich, daß das sowohl die FDP als auch der BHE zum Ausdruck gebracht haben.
Es hat mich doch menschlich sehr beeindruckt, als der Kollege Prinz zu Löwenstein nach seiner Reise nach Budapest mir neulich sagte: „Wenn wir uns angesichts der Vorgänge in Ungarn nicht zur Verteidigung zusammenschließen, dann können wir in Kürze in einem sowjetrussischen Konzentrationslager über unsere Versäumnisse nachdenken".
Und Sie können gewiß sein, meine Damen und Herren von der Opposition, daß Sie sich dann in unserer Gesellschaft befinden.
Abgesehen davon, wissen Sie ja ganz genau, daß der Austritt aus der NATO nichts ist, was den Osten zu einer anderen Politik bewegen würde. Das ist das eindeutige Echo, das Ihre Austrittsforderungen im Osten immer wieder gefunden haben. Im übrigen hat schon Bulganin hierzu 1955 auf der ersten Genfer Konferenz erklärt, eine Liquidation des Stützpunktsystems der NATO könne vielleicht eine Verhandlung über die deutsche Wiedervereinigung erleichtern. Damit war aber klar zum Ausdruck gebracht, daß das Ziel seiner Politik in erster Linie die Auflösung des westlichen Verteidigungspaktes ist, ohne dafür irgendwelche konkrete Zugeständnisse zu machen. Hieran hat sich nichts geändert.
Glauben Sie wirklich, meine Damen und Herren von der Opposition, wie es in einem Plakat Ihrer Partei zum Ausdruck kommt, daß eine UNO- Polizei eine sowjetische Intervention verhindern könne? Sie kann allenfalls die Rolle einer Feuerwehr spielen, die nachher die Trümmer registriert, wenn der Brand erloschen ist. Die UNO konnte bis-
her nur dann Erfolg haben, wenn der andere freiwillig nachgegeben hat. Welch beschämendes Schauspiel ist es, daß die UNO in der Ungarn-Tragödie es noch nicht einmal fertigbringt, die Entsendung einer Beobachterdelegation durchzusetzen!
Wie heißt es weiter auf Ihrem Plakat? „Nicht Militärbündnisse sichern den Frieden, sondern ein allgemeiner Sicherheitspakt". Ist die UNO nicht auch ein Sicherheitspakt, und hat die UNO den Ausbruch dieser kriegerischen Aktionen verhindern können?
Die Sowjetunion hat ohne jede Rücksicht auf die Entschlüsse der UNO ihre militärischen Operationen durchgeführt. Wenn Herr Kollege Mellies eine Stärkung der UNO verlangt, so können wir nur sagen, daß dies von Anbeginn an auch unser Wunsch war. Es hat sich aber wiederholt und gerade in letzter Zeit gezeigt, wie rasch Völker überrollt werden, ehe die erste UNO-Sitzung darüber stattfindet. Es wäre deshalb einfach selbstmörderisch, aus dem einzigen Militärvertrag, der uns Sicherheit gibt, auszutreten und all unser Hoffen auf ein schnelles und wirksames Funktionieren der UNO zu richten. Ich selbst bin nach wie vor der festen Überzeugung, daß wir nur gestützt auf diesen Vertrag eine reale Chance zur Wiedervereinigung haben. Das Verlangen, aus der NATO auszutreten, ist wirklich eine Aufforderung, sich zwischen sämtliche vorhandenen Stühle zu setzen.
Können wir uns aber wundern, wenn schließlich die ständige Wiederholung der Parole „Deutschland muß heraus aus der NATO!" dazu führt, daß amerikanische Zeitungen sich auf den Standpunkt stellen: Wenn die Deutschen absolut nicht wollen, dann laßt uns doch die Konsequenzen ziehen? — Es ist sehr erfreulich, daß ,die amerikanische Regierung klargestellt hat, daß sie gerade angesichts der letzten Ereignisse mit aller Entschiedenheit an der atlantischen Verteidigungsgemeinschaft festhält.
Wir erwarten allerdings im Interesse der Wiederbefestigung der westlichen Solidarität, daß die militärischen Aktionen am Suez-Kanal liquidiert werden und eine gemeinsame Politik der NATO- Mächte miteinander abgestimmt wird. Aber wenn man an den Suez-Kanal denkt, dann sollte man auch an die russischen Waffenlager auf der Sinai-Halbinsel und an die Vorgänge in Syrien denken.
Meine Damen und Herren! Angesichts dieser Weltlage ist es an uns, alles zu tun, was wir tun können, um unsere Verteidigung so schnell wie möglich aufzubauen und zusammen mit dem Westen sicherzustellen. Wenn man die Ereignisse der letzten Wochen betrachtet, dann kann man nur sagen: wir sind vielleicht noch einmal davongekommen. Können wir uns darauf verlassen, daß uns das Schicksal immer so gnädig ist? Was muß noch alles passieren, so frage ich mich besorgt, meine Damen und Herren von der Opposition, bis Sie bereit sind, den harten Realitäten Rechnung zu tragen?
Wir wollen gewiß keine Politik der starken Gesten. Aber es ist unsere Pflicht, alles für die Sicherheit unseres Volkes zu tun. Die Bundesregierung hat wiederholt und mit Nachdruck erklärt, daß wir uns jedem Sicherheitspakt anschließen, der wirklich uns und den anderen Völkern Sicherheit bietet. Aber wir können keinen Pakt annehmen, der der Sowjetunion nur eine bessere Basis für die Ausdehnung ihres Machtbereichs bieten würde.
Meine Damen und Herren! Die Wehrpflicht ist nun einmal ein Kernstück unserer Verteidigung. Lassen Sie uns in diesen schweren Zeiten wenigstens zusammenstehen
in dem Bestreben, unser Land zu sichern und damit die wesentliche Voraussetzung für die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit zu schaffen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Erler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben eben aus dem Munde unseres Kollegen Lenz ein interessantes Beispiel dafür gehört, wie man mit variablen Argumenten die ewig gleiche Politik zu verteidigen sich bemüht. Ich werde im Laufe meiner Ausführungen auch auf den außenpolitischen Teil der Darlegungen des Kollegen Lenz zurückkommen, möchte mich aber zunächst doch mit der Materie selbst befassen.
Es handelt sich bei dem vorliegenden Gesetz um ein Gesetz, das in Wahrheit Bestandteil des Wehrpflichtgesetzes ist. Wir haben das Wehrpflichtgesetz abgelehnt; wir werden aus den gleichen Gründen auch dieses Gesetz ablehnen.
Die Planung, die die Bundesregierung seinerzeit zur Begründung des Wehrpflichtgesetzes vorgelegt hat, ist ja von ihr selbst als undurchführbar inzwischen aufgegeben worden. Wo sind die Behauptungen geblieben, daß die Pariser Verträge uns zur Aufstellung einer Armee von 500 000 Mann in drei Jahren verpflichteten und daß man infolgedessen zur Erfüllung dieser Verpflichtung unbedingt die allgemeine Wehrpflicht brauche? Der neue Herr Verteidigungsminister hat als vor einer seiner ersten und wahrscheinlich unangenehmsten Aufgaben vor der Frage gestanden, wie er es nun fertigbekommt, der Atlantikpaktorganisation gegenüber den Offenbarungseid zu leisten.
Als Ergebnis dieses Offenbarungseides können wir heute feststellen, daß beabsichtigt ist -- nach Ihren eigenen, nunmehr revidierten Plänen —, bis Ende 1957 etwa 120 000 Mann, oder vielleicht auch ein paar mehr, unter den Waffen zu haben. So sieht die drängende Eile aus, von der der Kollege Lenz eben gesprochen hat. Aber ich gebe zu, mir ist dieser geruhsame Aufbau wesentlich sympathischer als die hektische Eile von einst.
Aber ich frage mich dann, ob es bei dieser Planung — 120 000 Mann bis Ende 1957 — nicht auch von Ihrer Situation aus zweckmäßiger wäre, daß Ganze auf der Grundlage der Freiwilligkeit zu machen. Denn das ist auch ohne die unser Volk sehr beunruhigende Einführung der allgemeinen
Wehrpflicht zu schaffen; für dieses Ziel, das Sie sich gesteckt haben, brauchen Sie die Wehrpflicht nicht.
Meine Damen und Herren, ich erinnere mich noch gut der Debatte im letzten Sommer. Es hat — darauf ist heute schon aufmerksam gemacht worden — damals eine fast weltanschaulich gefärbte Begründung dafür gegeben, daß die Dienstzeit unter allen Umständen mindestens 18 Monate, wenn es ginge, eigentlich sogar 24 Monate betragen müsse. Ein Kollege verstieg sich sogar zu der Erklärung, daß eine kürzere Ausbildung gewissermaßen dem Mord gleichkäme. Und jetzt? Wir haben kein Wort der militärischen Begründung dafür gehört, durch welche neuen Tatsachen und Beweggründe die Bundesregierung veranlaßt worden ist, ihre damalige Haltung in so kurzer Zeit um einen so erheblichen Grad zu wechseln, daß sie jetzt glaubt, bei der Einführung der Wehrpflicht mit einer Dienstzeit von 12 Monaten auskommen zu können.
— Jawohl, man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die höheren politischen Einsichten, nämlich die kommenden Wahlen, hier die eigenen militärischen Argumente von einst vom Tisch hinweggefegt haben.
Meine Damen und Herren! Die Bundeswehr — erkundigen Sie sich doch bitte einmal bei den verantwortlichen Soldaten im Ministerium und in der Truppe selbst! — ist augenblicklich und auch noch zu dem Zeitpunkt, den Sie dafür vorgesehen haben, gar nicht imstande, Wehrpflichtige in vernünftiger Weise aufzunehmen und auszubilden. Sie bürden ihr damit eine Aufgabe auf, die praktisch die Kräfte dieser jungen Pflanze übersteigt. Der Kollege Schmidt hat in seiner Rede vom 8. November 1956 mit einer Fülle von Material zu diesem Tatbestand hier aufgewartet. Ich darf nur an die Fragen der Unterkunft, der Ausstattung, der Ausbildung und der ganzen geistigen Entwicklung erinnern. Es fehlen ja weitgehend sogar noch die Voraussetzungen für den Aufbau der Freiwilligenkader. Und einer so unausgereiften Organisation wollen Sie nun einen Teil der jungen Mannschaft unseres Volkes auf der Grundlage der Wehrpflicht anvertrauen? Das ist nicht zu verantworten. Dabei hätten Sie doch reichlich Arbeit, um selbst das, was Sie sich selber als erstes Ziel gesteckt haben, nämlich zunächst den Aufbau der Kader, ohne die Wehrpflichtigen in vernünftiger Weise zu einem gewissen Abschluß zubringen.
Eine ganze Reihe von Gesetzen fehlt. Es ist davon gesprochen worden: Besoldung, Versorgung, Organisation. Auch das Gesetz, das die Wehrpflichtigen in besonderem Maße interessiert, aber auch für die anderen Soldaten und für das Parlament selbst von großem Interesse ist, das Gesetz über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, ist noch nicht verabschiedet. Schließlich fehlen alle Bestimmungen, die sich mit der Frage des Ersatzdienstes für die Kriegsdienstverweigerer befassen. Dennoch haben Sie sich vorgenommen, jetzt eine politische Demonstration zu veranstalten und durch dieses Gesetz Ihren Willen zu bekunden: Am 1. April soll eingezogen werden. Daß das Ganze nicht mehr als eine Demonstration ist, wissen Sie auch. Zum 1. April sollen nicht mehr als 10 000 Wehrpflichtige — „sogenannte Wehrpflichtige" hätte ich beinahe gesagt — eingezogen werden. Um irgendwelche Unzuträglichkeiten zu vermeiden, werden Sie schon dafür sorgen, daß das in Wahrheit Freiwillige sind, die sich nun zu dem Zeitpunkt, der am wenigsten ihren späteren beruflichen Wünschen 'widerspricht, zur Ableistung der Wehrpflicht melden. Damit soll nur noch vor der Bundestagswahl gezeigt werden: Der Herr Bundeskanzler mit seiner Mannschaft hat doch noch demonstrativ seinen Willen gegen die Volksmeinung durchgesetzt.
Bundeskanzler Dr. Adenauers Wille soll oberstes
Gesetz in diesem Bundestag bleiben, bis zum letzten Tage, der dieser Regierung noch beschieden ist.
— Das empfinden Sie! Das werden wir später sehen, was hier in der Bevölkerung als Widerspruch empfunden wird und was nicht, meine Damen und Herren!
Sie wollen weiter den Alliierten gegenüber Zusagen scheinbar erfüllen, ohne zu bedenken, daß eine solche Modelleinziehung von Wehrpflichtigen, die gar keine sind, ein völlig falsches Bild für die Ausbildung von Wehrpflichtigen in der Truppe geben wird. Das ist kein repräsentativer Querschnitt dessen, was Sie dann später bei der vollen Durchführung der Wehrpflicht an Soldaten in der Truppe hätten. Damit lassen sich nicht einmal brauchbare Erfahrungen gewinnen für die Aufgabe, die sich dann für die Truppe stellen wird.
Meine Damen und Herren! Ich verstehe auch nicht, daß wir für eine solche Demonstration nun auch noch die erheblichen Kosten zu tragen haben. Die Wehrersatzverwaltung umfaßt zur Zeit bereits 2200 Personen. Demnächst werden vom Geburtsjahrgang 1937 die in der Zeit vom 1. Juli bis 30. September Geborenen gemustert; das sind etwa 100 000 junge Männer. Bei diesen rechnet man mit einer 50% igen Verfügbarkeit. Es wären also 50 000. Davon sollen zum 1. April nur 10 000 eingezogen werden und von den übrigen 40 000 weitere 30 000 zu einem so späten Zeitpunkt, daß man die vor der endgültigen Einberufung noch einmal nachuntersuchen muß, was neue Kosten verursacht. Wenn Sie das nachrechnen, dann kommen Sie dazu, daß Sie zum 1. April für die dann einzuziehenden Wehrpflichtigen ein Verhältnis von vier Eingezogenen auf einen Musterungsbeamten haben.
Das nennt man eine rationell aufgebaute Verwaltung!
Meine Damen und Herren! Bei diesem Verfahren habe ich begründete Zweifel daran, ob Sie überhaupt noch von einer allgemeinen Wehrpflicht sprechen können, ob der Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz nicht durch diese Art der Durchführung des Gesetzes im Kern verletzt ist.
Meine Damen und Herren, nun zu den politischen Bemerkungen, die in dieser Debatte bereits gemacht worden sind. Wir bleiben dabei: Die Wehrpflicht im geteilten Deutschland ist schädlich. Sie verschärft die Spaltung unseres Landes. Denken Sie allein schon an die sicher nicht allzu weltbewegende, aber doch in ihren Folgen verhängnisvolle Frage der Wehrüberwachung, und die Ge-
wissenskonflikte, die in unserem Volke gerade um diese Frage entbrannt sind, sind Ihnen ja genauso gut bekannt wie uns.
Der Kollege Majonica hat in der ersten Lesung des Gesetzes das Argument gebraucht, die Folgen, von denen wir gesprochen hätten, seien doch sichtbar gar nicht eingetreten. Ich kann dazu nur sagen: das Wehrpflichtgesetz ist ja auch noch nicht durchgeführt. Darüber werden wir uns unterhalten, wenn dieses Gesetz nach Ihrem Wunsch einmal Wirklichkeit werden sollte.
Unabhängig von der Schädlichkeit der Wehrpflicht ist in der Situation, in der wir leben, die Wehrpflicht aber auch allen Ernstes überflüssig. Trotz oder gerade wegen der Beschwörungen des Kollegen Lenz fühle ich mich zu dieser Bemerkung verpflichtet. Wir können hier nicht das Unmögliche planen, nämlich eine militärische Auseinandersetzung mit der Sowjetunion, falls die Sowjetunion entschlossen wäre, mit dem ganzen Gewicht ihrer Armeen eine gezielte Aggression gegen die Bundesrepublik zu verüben. Einer solchen Auseinandersetzung wären wir nicht gewachsen, mit keiner Form der Bundeswehr, ob Wehrpflicht oder nicht. Die Abschreckung dagegen liegt nur
in dem weltpolitischen Risiko, das es für die Sowjetunion bedeuten muß, ein solches Land anzugreifen.
Die Form, die Sie gewählt haben, schützt das halbe Deutschland; die Form, die wir wählen wollen, soll das ganze Deutschland schützen.
Das ist der Unterschied.
— Meine Damen und Herren, fragen Sie den Kollegen Kiesinger! Er hat selbst einmal gesagt, daß für ihn die NATO kein Dogma sei, und ich beglückwünsche ihn dazu.
— Dann hufen Sie doch bei diesen Reden nicht immer wieder zurück und machen Sie jetzt nicht wieder aus der NATO eine neue Weltanschauung, nachdem wir Gott sei Dank über diesen Punkt endlich hinweggekommen waren!
Eine lösbare Aufgabe wäre es, ein Gegengewicht gegen die sogenannte Volksarmee drüben zu schaffen, von deren Wert Sie ja wahrscheinlich auch nicht gerade sehr hochgespannte Vorstellungen haben. Dazu genügen Freiwillige, gutgegliedert und beweglich.
Der Sowjetblock — um auf dieses Problem zu kommen — ist nach den Vorgängen — und gerade Ungarn ist ein Beweis dafür — doch in Wahrheit auch kein Block mehr.
Die Sowjetunion hat selber alle Hände voll zu tun, um die unter ihren Einfluß gezwungenen Staaten mit Brachialgewalt unter sowjetischer Herrschaft zu halten.
Die Rechnung, die Sie uns früher hier aufgemacht haben, daß wir also hier ein Gegengewicht schaffen müßten, um alle Divisionen der sowjetischen Satellitenstaaten auszubalancieren, stimmt doch gar nicht!
Die Sowjetunion braucht eine genauso große Anzahl von Divisionen, um auf ihre eigenen Satelliten aufzupassen, wie die Satelliten selber Divisionen haben mögen.
Das ist keine Verstärkung, sondern ein Abzug an sowjetischer Kraft. Sehen Sie, das ist das Neue, das Sie dann aber auch in Ihre Argumentation mit einfügen müßten. Die Divisionen in jenem anderen Bereich können Sie doch nicht ausgerechnet in der gegenwärtigen Situation als zuverlässige Stützen der sowjetischen Herrschaft einrechnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte!
Meint der Herr Kollege Erler nicht, daß unter diesen Umständen, die er soeben dargestellt hat, 500 000 Mann Bundesheer doch eine Macht gegenüber Sowjetrußland sind?
Ich will Ihnen ganz offen sagen: ich spreche von den Satellitenstaaten und nicht von der Sowjetunion selbst. Wie stark die Rote Armee ist und wie stark die Bundeswehr ist, das wissen Sie selbst.
Aber offenbar ist gegen das alte deutsche Übel der Selbstüberschätzung immer noch kein Kraut gewachsen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ein paar Worte zu den tragischen Ereignissen in Ungarn sagen. Der Freiheitskampf des ungarischen Volkes hat die Gemüter in unserem Volke auf das allertiefste aufgewühlt. Es gibt niemanden in diesem Saale, der das nicht weiß. Es gibt niemanden, der nicht erschüttert ist von der Tragödie, die sich dort abgespielt hat. Aber wir sollten in der Argumentation, die wir hier für die Aufstellung der Bundeswehr anwenden, sehr vorsichtig sein. Ich glaube, es darf nicht etwa der Klang entstehen, daß die Bundeswehr unter Umständen auch das Ziel haben könne, in einem solchen Konflikt zu intervenieren.
Wo wären wir hingekommen?! Ich habe mich gefreut, als gestern in der Pressekonferenz der Herr Bundestagspräsident in dieser Frage ganz eindeutig den gleichen Standpunkt bezogen hat. Aber auch die Wehrverfassung — ob Wehrpflicht oder nicht
— sollten Sie im Zusammenhang mit Ungarn aus der Debatte herauslassen.
Ich will es Ihnen sagen, warum: weil die Ungarn nämlich die allgemeine Wehrpflicht hatten, und das hat ihnen auch nicht geholfen.
Das Entscheidende an der ungarischen Situation — und das ist das Tragische für unser Volk, dessen eine Hälfte genauso unter der sowjetischen Gewaltherrschaft schmachtet wie das ungarische Volk — ist die Anwesenheit der sowjetischen Truppen gewesen. Hauptaufgabe der deutschen Politik unter diesen Umständen ist es, die politischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß in dem heute noch unter kommunistischer Herrschaft lebenden Teil Deutschlands das Instrument der sowjetischen Herrschaft, nämlich die Rote Armee, verschwindet. Das ist die Aufgabe, auf die es ankommt.
Nur so ist wirklich Sicherheit für das deutsche Volk zu schaffen. Sie wissen genau, daß diese Aufgabe nicht lösbar ist mit der Vorstellung, der auch der Herr Verteidigungsminister immer noch anzuhängen scheint, daß dieses Ziel erreichbar sei, indem man von der Sowjetunion zu erlangen hofft, daß sie die Sowjetzone preisgibt, um sie zum militärischen Operationsfeld des Atlantikpaktes werden zu Jassen.
Sie wissen genau, daß das die Forderung nach der Wiedervereinigung Deutschlands mit einer unerfüllbaren Bedingung verkoppeln heißt, daß das also ein Schlag gegen die deutsche Einheit ist.
Daher unser Ringen um ein wirksames und nicht scheinbares System der kollektiven Sicherheit, zu dem das wiedervereinigte Deutschland selbstverständlich seinen eigenen Beitrag — auch mit militärischen Mitteln — leisten müßte, einen Beitrag zum Schutze seines eigenen Landes, zum Schutze der wiedervereinigten Heimat.
Herr Minister Strauß hat in der ersten Lesung von der atlantisch -europäischen Verteidigungsgemeinschaft gesprochen, und Herr von Manteuffel hat sich heute noch einmal mit warmen Worten zu diesem Thema geäußert. Meine Damen und Herren, ist nicht die Sicherheit der Partner dieser Gemeinschaft durch einige der Partner stärker geschwächt worden,
als die Einführung der Wehrpflicht in der Bundesrepublik überhaupt ausgleichen könnte?
Das gilt nicht für die Vereinigten Staaten, aber das gilt für die englisch-französische Aktion am Suezkanal, die uns alle hart an den Rand des Krieges herangebracht hat, die die Kräfte, auf die Sie alle einmal für die gemeinsame Verteidigung der westlichen Freiheit gezählt hatten, in Abenteuern verzettelt hat, deren Unkosten auch wir hätten bezahlen müssen,
die Gefahren geschaffen hat, neue Gefahren statt Sicherheit. Wir sind noch einmal davongekommen, auch in dieser Frage, jawohl; es gibt nicht nur Ungarn, es gibt auch Ägypten.
In dieser Situation haben manche Leute gut spotten über die Vereinten Nationen. Ich beklage zutiefst, daß die Vereinten Nationen nicht imstande gewesen sind, in wirksamer Weise dem ungarischen Volk in seinem Kampf beizustehen. Aber auch hier muß es heißen: Unsere Forderung ist die Stärkung der Vereinten Nationen; denn eine Probe haben sie bestanden. Sie haben nämlich erreicht, daß aus Ägypten nicht ein neuer Weltbrand geworden ist, und das sollten wir nicht vergessen.
Auf der Konferenz der Interparlannentarischen Union in Bangkok haben auch unsere Kollegen von der Christlich -Demokratischen Union einer Resolution in der Ahrüstungsfrage zugestimmt, in der außer anderen Punkten folgendes gefordert wurde: Pine wesentliche Herabsetzung der klassischen Streitkräfte und Rüstungen aller Staaten als erste wichtige Etappe zu einer Gesamtlösung des Abrüstungsproblems.
— Natürlich. aller. —Ein sehr wrichtiger Gedankengang. Wir haben uns — ich habe selbst dazu gesprochen — dazu bekannt. daß Abrüstung auf Gegenseitigkeit beruhen muß. daß sie international kontrolliert werden muß. Aber wenn man auch im eigenen Land vor Entscheidungen steht. sollte man hei ieder Maßnahme. die man selber trifft, prüfen, ob sie nicht in Widerspruch zu dem Ziel gerät, das man selbst mit unterschrieben hat. Aufgabe unserer Politik sollte es sein, auch bei der Herstellung des durch die Verträge nun einmal stipulierten Sicherheitsinstrumentes für die Bundesrepublik sich so zu verhalten, daß ein Abrüstungsabkommen erleichtert und nicht erschwert wird.
Dazu gehören zwei Dinge: eines, was der Herr Verteidigungsminister immerhin teilweise bereits in Angriff genommen hat, eine Berichtigung der Zahlenplanungen, und zweitens, daß wir zunächst einmal. um den Fortgang dieser Dinge, von denen das Schicksal der Menschheit abhängen kann, zu erleichtern, in dieser Situation von der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in Deutschland Abstand nehmen.
Meine Damen und Herren, der Kollege Merten hat sich vorhin zu den Verschlechterungen. die die Regierungsvorlage im Ausschuß noch erlitten hat, geäußert. Ich möchte hier in Erinnerung rufen, was der Herr Verteidigungsministerzum Thema der Wehrühungen hei Mannschaften. Unteroffizieren und Offizieren in der ersten Lesung getagt hat. Die Regierungsvorlage enthielt Übungszeiten von 6 Monaten bei Mannschaften und Unteroffizieren und 12 Monaten bei Offizieren. Dazu sagte der Herr Minister wörtlich:
Diese Zeiten . . . sind gleichzeitig die Höchstgrenze dessen, was vom Staate dem einzelnen zugemutet werden soll.
Das ist noch keine vier Wochen her; so vergänglich sind Ministerworte! Heute steht das plötzlich
ganz Landers in der Vorlage, und der Minister hat
das andere im Ausschuß und auch hier vertreten. Entgegen dieser sehr klaren Erklärung sieht die Ausschußvorlage Wehrübungen für Mannschaften von 9 und für die weißen Jahrgänge sogar von 15 Monaten vor statt 6 und bei den Offizieren 18 statt 12 Monate. Mir ist unerfindlich, wozu man für die weißen Jahrgänge überhaupt den verkürzten Grundwehrdienst vorgesehen hat, der eine gewisse Erleichterung sein soll, wenn man ihnen die Zeit, um die der Grunddienst kürzer ist, unverkürzt zusätzlich aufbrummt, so daß sie praktisch doch den vollen Wehrdienst abzuleisten haben.
Es war interessant, zu erfahren, wie nach den neuen Plänen das Verhältnis von Wehrpflichtigen zu Berufssoldaten und längerdienenden Freiwilligen aussehen soll. Ich will hier nur zwei Waffengattungen herausgreifen — sie täuschen etwas das Gesamtbild
— ja, etwa 55 zu 45 —, wobei der überwiegende Teil Berufssoldaten und längerdienende Freiwillige sind. Bei der Luftwaffe machen die Wehrpflichtigen nur 10 % aus, bei der Marine nur 5 %. Nun frage ich mich allen Ernstes: Was tun Wehrpflichtige z. B. bei der Marine? Was tun 5 % Leute auf einem großen Schiff im Verhältnis zu den anderen 95 %, die eine längere Ausbildung hinter sich haben? Sind das die Deckputzer? Wozu soll dann ein solcher in dieser offensichtlich im Verhältnis zu der qualifizierten Tätigkeit anderer untergeordneten Funktion dienender Mann, wenn er das Pech hat, ein Angehöriger eines weißen Jahrgangs zu sein, 15 Monate diese Tätigkeit ausüben? Das ist mir schlechthin unerfindlich.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie, Herr Kollege, eine Zwischenfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, gern.
Herr Kollege, in Ihrer Abwesenheit ist die Frage, die Sie soeben gestellt haben, im Ausschuß sehr eingehend besprochen worden.
Ich habe die Protokolle gelesen; daher habe ich es!
Dann haben Sie wahrscheinlich überlesen, daß es sich hier darum handelt, Angehörige der Handelsmarine, die im Kriegsfall oder im Verteidigungsfall besondere Aufgaben bekommen, nicht wie Rekruten auszubilden, sondern für ihre Aufgabe im Verteidigungsfall heranzubilden, also nicht zum Deckputzen, sondern für wirklich sehr wichtige Aufgaben.
Das war zwar keine Frage, sondern ein Diskussionsbeitrag. Aber da wir noch keine große Zivilluftfahrt haben, selbst wenn es stimmen dürfte, daß es eine zivile Marine gibt, scheint es mir für die 10 % bei der Luftwaffe noch genauso zweifelhaft zu sein; also überzeugt haben Sie mich nicht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Bitte, gern.
Herr Kollege Erler, habe ich Sie richtig verstanden — nach der Gesamtheit dessen, was Sie gesagt haben, und vor diesem speziellen Hintergrund —, daß Sie zwar gegen die Wehrpflicht, aber durchaus für die sofortige Aufstellung einer starken Berufsarmee sind?
Ich werde Ihnen die Antwort darauf nicht schuldig bleiben. Ich habe das nämlich noch auf meinem Programm.
Seien Sie unbesorgt! — Ihre Zündung kam etwas spät. Ich war inzwischen bei den militärischen Details. Ich will das erst zu Ende bringen.
Ich will zunächst einer Legendenbildung entgegentreten, die sich in diesem Hause, in der Presse draußen und auch im Kommunalwahlkampf breitgemacht hat. Um weiteren künftigen Legenden ähnlicher Art vorzubeugen, möchte ich Ihnen noch einmal in Erinnerung rufen, was sich in diesem Hause eigentlich abgespielt hat.
Es ist verschiedentlich behauptet worden, die Grundgesetzergänzungen dieses Jahres hätten die Voraussetzungen für die Wehrpflicht oder gar für die Bundeswehr geschaffen. Da muß ich Ihr Gedächtnis etwas stärken: Am 26. März 1954 gab es eine Grundgesetzänderung, die dem Bund die Zuständigkeit für die Verteidigung verlieh, einschließlich der Wehrpflicht für Männer vom vollendeten 18. Lebensjahr an und des Schutzes der Zivilbevölkerung. Diese Grundgesetzänderung ist gegen die Sozialdemokraten beschlossen worden, und zwar von der damals noch einmütigen Mehrheit der damaligen Koalitionsparteien, also Freie Demokraten und BHE auch noch eingeschlossen. Diese Grundgesetzänderung ist die Grundlage für die Einführung der Wehrpflicht. Daran kann gar kein Zweifel bestehen. Mit dem Aufbau der Bundeswehr haben Sie lange vor den Grundgesetzänderungen vom 19. März 1956 begonnen. Sie haben in den damaligen Diskussionen immer gesagt, daß Sie entschlossen seien, die Bundeswehr mit der Wehrpflicht auch ohne weitere Grundgesetzergänzungen aufzubauen.
Das läßt sich alles aus den Protokollen des Bundestages beweisen.
Jene Grundgesetzergänzungen, die jetzt plötzlich für eine Legendenbildung herhalten müssen, sind in Zusammenarbeit großer Teile dieses Hauses gegen den Widerstand des Herrn Bundeskanzlers erkämpft worden.
Vielleicht denken Sie einmal an manche heißbewegte Fraktionssitzung in Ihren eigenen Reihen zurück. — Es handelt sich dabei um Sicherungen der staatsbürgerlichen Freiheiten der Staatsbürger in Uniform und derer, die keine Uniform tragen, es handelt sich um die Rechte des Parlaments. Herr Minister Strauß hat ja einen dieser neuen Artikel mit seinen weittragenden Konsequenzen über die Mitbestimmungsrechte des Parlaments, den Art. 87 a, selber hier angeführt. Jawohl, auf den sind wir stolz! Es handelt sich um das Verhältnis des demokratischen Staates zu seiner bewaffneten Macht und um das Interesse der Bevölkerung und der Soldaten daran, daß die militärische Gewalt nicht mißbraucht wird. Das ist das Thema der
Grundgesetzergänzungen vom 19. März 1956, nicht die Einführung der Bundeswehr überhaupt oder die Einführung der Wehrpflicht. Die beiden letzteren Dinge sind von Ihnen am 26. März 1954 gegen uns beschlossen worden. Sie sind doch sonst so mutig, warum versuchen Sie plötzlich, die Verantwortung für die Politik der Pariser Verträge, die Verantwortung für die Aufrüstung im zweigeteilten Deutschland und für die Einführung der Wehrpflicht auf die Opposition abzuschieben?
Das müssen Sie alleine tragen.
Wir hoffen, daß der Souverän — um den Schweizer Ausdruck zu gebrauchen —, das wahlberechtigte Volk, im Jahre 1957 Gelegenheit nehmen wird, manche Fehlentscheidungen dieses Hauses zu korrigieren.
Ich darf Ihnen hier im Gegensatz zu Herrn Friedrich Stampfer — den ich im übrigen sehr schätze und verehre — ganz eindeutig erklären in Übereinstimmung mit einem einstimmigen Beschluß des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei — und nach unserer Tradition sind das Beschlüsse, an die wir uns zu halten pflegen —, daß wir uns, wenn wir von der Wählerschaft stark genug gemacht werden, dafür einsetzen werden, daß die Wehrpflicht wieder abgeschafft wird.
Herr Rasner, ich habe ja noch nicht die Hoffnung, daß Sie dann vielleicht mit uns stimmen werden — vielleicht kommt auch das noch —, aber auf alle Fälle darf ich Ihnen sagen, daß wir bei denen sein werden, die sich für die Abschaffung der Wehrpflicht einsetzen. Von der Wählerschaft wird es abhängen, wie stark unsere Bundesgenossenschaft bei dieser Entscheidung sein wird.
Meine Damen und Herren, das geht auch, ohne vertragsbrüchig zu werden.
Jetzt komme ich zu der Frage, die Sie vorhin gestellt haben. Die Pariser Verträge, die von einem frei gewählten Parlament gegen unseren erbitterten Widerstand ratifiziert worden sind, sind geltendes Recht. Wir bedauern das, aber sie sind da. Und eine sozialdemokratische Regierung wird — auch nach alten Traditionen — nie ihre Hand dazu hergeben, daß Verträge nach Hitlerseher Manier zerrissen werden.
Dann bekommen wir nämlich künftig überhaupt keinen Vertrag, nicht einmal einen mit der Sowjetunion über die Wiedervereinigung, weil man sagt: Wenn sie heute einen Vertrag mit denen zerreißen, zerreißen sie morgen auch einen Vertrag mit uns.
Aber, meine Damen und Herren, die Verträge, die auch nach Ihrer Meinung nicht sakrosankt sind, können im Einvernehmen mit den Vertragspartnern, wenn sich eine deutsche Regierung findet,
die den Mut hat, diese Fragen mit den Vertragspartnern einmal offen durchzudiskutieren, auch geändert werden. Wir werden uns dafür einsetzen, daß mit Zustimmung der Vertragspartner einige Teile dieser Verträge verändert werden. Das Wichtigste ist die Diskussion mit unseren Vertragspartnern über den militärischen Status für das wiedervereinigte Deutschland, das — das ist heute, glaube ich, Allgemeingut — nicht zustande kommen kann, wenn man vorsieht, daß es Bestandteil des Atlantikpaktes sein soll.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Einen Augenblick! Ich komme gleich darauf zurück. Lassen Sie mich das noch zu Ende sagen!
Zum Zweiten: eine Änderung jener Bestimmungen, die durch eine ganz bestimmte Form der militärischen Integration bei unseren Vertragspartnern geradezu ein Interesse an der Verhinderung der Wiedervereinigung Deutschlands schaffen, weil ein Interesse daran geschaffen wird, die in die Atlantikorganisation hineingewobenen deutschen Verbände auch um der Wiedervereinigung willen nicht wieder herauszulassen.
Deshalb müssen wir mit unseren Vertragspartnern diese Frage freundschaftlich erörtern; denn sonst treibt man das Spiel der Russen, daß eines Tages die Wiedervereinigung nur durch das Ende des Atlantikpaktes erreicht werden kann. Wir wollen gar nicht, daß der Atlantikpakt durch ein späteres Hinauslösen der Deutschen völlig aktionsunfähig wird, weil er aus tausend Wunden blutet. Deswegen soll man beizeiten diese Frage des deutschen Status und auch der militärischen Integration der Deutschen mit den Bundesgenossen erörtern.
Nun stehe ich zu der Frage gern bereit.
Ich habe Sie also richtig verstanden, Herr Kollege Erler,
daß Sie bis zum Abschluß eines neuen Sicherheitsvertrags Mitgliedschaft in der NATO und Beibehaltung einer starken Berufsarmee bejahen?
Bis zur Änderung der Verträge in Übereinstimmung mit den Vertragspartnern zerreißt eine sozialdemokratische Regierung keinen Vertrag. Ich bedaure, daß Ihnen das bisher offenbar noch nicht bekannt gewesen ist.
Zweitens. Wir stark die Armee ist, die zur Erfüllung der nach den Verträgen erforderlichen Verpflichtungen von der Bundesrepublik unterhalten werden muß, bis wir zu einem umfassenden Sicherheitsabkommen kommen, das zu entscheiden wird Sache des neuen Deutschen Bundestags sein.
Aber ich bin sehr erstaunt, wirklich erstaunt, daß diese Selbstverständlichkeiten Ihnen gesagt werden müssen. Es zeigt, wie wenig Ihnen bisher bekannt war, daß die Sozialdemokratische Partei
als demokratische Partei völkerrechtliche Verpflichtungen respektiert.
Meine Damen und Herren, weitere Punkte der Verträge! Ich wurde vorhin daran erinnert, als Sie hier — — Sie lächeln alle so freundlich! Ich weiß, daß Sie die Absicht haben,
Ihren Wählern zu verkünden: Die Sozialdemokraten werden die Bundeswehr so lange nicht abschaffen, wie sie nicht mit den Vertragspartnern die Revision der Verträge erledigt haben. Ich bin sehr froh, daß Sie dieses Stück Aufklärungsarbeit künftig übernehmen. Sagen Sie aber bitte auch gleichzeitig hinzu: Die Sozialdemokraten werden dafür wenigstens die Wehrpflicht abschaffen, wenn sie stark genug werden. Dann bin ich zufrieden.
Meine Damen und Herren, hier wurde vorhin von dem Bereitschaftsdienst gesprochen. Auch das zeigt, welcher Punkt noch revidiert werden muß. Nämlich auch die Fragen des Notstandes müssen mit unseren Vertragspartnern noch einmal diskutiert werden. Denn bis zur Stunde gilt noch alliiertes Notstandsrecht, solange wir nicht selber diese Materie in die eigenen Hände nehmen. Auch die Fragen der Gerichtsbarkeit, etwa für die anderen Truppen in unserem Lande, müssen diskutiert werden, -- alles Punkte, die Ihnen zeigen sollen, daß es uns mit der Revision der Verträge genau auf der Linie unserer Argumentation im Kampf gegen die Verträge völlig ernst ist.
Lassen Sie mich zum Abschluß folgendes sagen: Man kann die Politik des Gegners für falsch halten — das ist Ihr gutes Recht; dieses Recht nehmen wir uns auch heraus —, aber man muß eine wirkliche Politik bekämpfen, nicht das, was man fälschlicherweise für die Politik des Gegners ausgibt.
Die Bundesregierung ist mit ihrer Politik in eine Sackgasse geraten. Sie hat uns der Einheit nicht nähergebracht. Sie hat den Bundesgenossen zu große Versprechungen gemacht und mit ihrem Offenbarungseid dort das Vertrauen spürbar erschüttert. Die Militärallianzen hüben wie drüben sind in eine schwere Krise hineingeraten, wie die Vorgänge im Sowjetblock beweisen, aber auch andererseits das, was durch die Eigenmächtigkeiten des französischen und des englischen Partners der Atlantikorganisation an Belastungsproben aufgebürdet worden ist.
Es ist offensichtlich — der Herr Bundestagspräsident hat uns das gestern noch als das Ergebnis seiner Reise aus den Vereinigten Staaten mitgebracht —, daß infolgedessen ein Umdenken auch und gerade gegenüber diesen Problemen erforderlich ist. Für dieses Umdenken müssen wir Raum und Zeit gewinnen. Die Chancen dazu sollten wir uns nicht durch voreilige Beschlüsse verbauen. Deshalb sollten wir jetzt nicht mit diesem Gesetz den Schlußstein in das Gebäude der Wehrpflicht einfügen, und deshalb werden meine Freunde dieses Gesetz ablehnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Verteidigung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf auf einige Argumente des Kollegen Erler eingehen. Ich möchte meiner Stellungnahme eine grundsätzliche Bemerkung vorausschicken. Da wir auf beiden Seiten nicht in Klischees reden wollen, Herr Kollege Erler, ist es für beide Seiten in diesem Hause zweckmäßig, Gewicht, Vorteile und Nachteile der einzelnen Argumente, gleichgültig von wem sie gebraucht worden sind, sorgfältig gegeneinander abzuwägen.
Sind Sie sich aber ,darüber im klaren, daß Ernsthaftigkeit und Gewicht Ihrer Argumente im einzelnen zwangsläufig immer darunter leiden müssen, daß Sie im Grundsätzlichen zu allem nein sagen?
— Meine Damen und Herren, ich glaube, bei Ihnen geht es mit dem Mitdenken doch schwieriger, als ich dachte.
Wenn ich hier von der Ernsthaftigkeit der Argumente und von ihrer Würdigung im militärischen Bereich sprach, bezog sich selbstverständlich meine Feststellung, daß das Gewicht Ihrer Argumente zwangsläufig leiden muß, auf die Tatsache, daß Sie die Institution der Bundeswehr, als eines Freiwilligen- oder eines Berufsheeres, von vornherein abgelehnt haben und ihre Schaffung haben verhindern wollen. Daran ist doch kein Zweifel. Nachdem Sie die Institution als solche haben verhindern wollen, wird Ihnen zwangsläufig doch immer unterstellt, daß Ihre Argumentation im einzelnen noch dem gleichen Ziele dient.
— Darf ich den Satz vielleicht noch zu Ende sprechen. — Das meinte ich vorhin, als ich sagte, daß es sehr schwer ist, mit einer Opposition, die im Grundsatz die Bundeswehr in ihrer Existenz und in ihrem Aufbau negiert, über die technische Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Einzelheiten zu diskutieren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Minister, haben Sie schon einmal etwas davon gehört, daß es Menschen geben soll, die sich sogar um die Erziehung und Aufzucht von ursprünglich unerwünschten Kindern kümmern?
Wenn Sie bereit sind, die Alimente zu zahlen, bin ich dafür.
Aber Sie wollen ja auch die Alimente dafür nicht bezahlen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme zu einem zweiten Argument des Kollegen Erler. Mir schien diese grundsätzliche Feststellung notwendig zu sein. Sie haben im letzten Teil Ihrer Ausführungen davon gesprochen, daß die Wehrpflicht im Falle einer absoluten Majorität der SPD auf alle Fälle wieder abgeschafft werden würde, daß Sie aber die Bundeswehr — so sagten Sie nach der Frage des Kollegen Rasner — im Sinne einer starken, aus Freiwilligen oder Berufssoldaten bestehenden Armee so lange fortsetzen würden, bis eine Revision des NATO-Paktes erreicht sei. Etwas vorher haben Sie erklärt, daß die Bundesrepublik, da ja nach Ihrer Auffassung das Ziel der Revision des NATO-Paktes die Wiedervereinigung sein sollte, auch unter einer SPD-Regierung bereit sein müßte, einen militärischen Beitrag zur kollektiven Sicherheit zu leisten.
— Dann seien Sie froh, daß ich das jetzt endlich verstanden habe!
Ich darf zur Wehrpflicht und zur Verwendung von Berufssoldaten und längerdienenden Freiwilligen einige Bemerkungen machen. Es gibt kein Landesverteidigungssystem, gleichgültig für wen, ob für die Bundesrepublik, ob für ein wiedervereinigtes Deutschland, gleichgültig ob in Form der bewaffneten Neutralität oder in Form der Mitgliedschaft in einem Allianzsystem, in dem auf die Verteidigungspflicht des Bürgers in dem betreffenden Staat, wenn auch in differenzierten Funktionen, verzichtet werden kann. Der Verzicht auf die Verteidigungspflicht des Bürgers bedeutet unabhängig von den innenpolitischen Argumenten, die man dafür oder dagegen aussprechen kann, nichts anderes, als daß eine mobile Legion aufgestellt wird, die man vielleicht als UNO-Polizei irgendwo verwenden kann. Der Verzicht auf die Verteidigungspflicht des Bürgers — ich sage es ohne jede moralisierende Wertung nach der einen oder anderen Seite hin — bedeutet praktisch, daß ein Landesverteidigungssystem nicht aufgebaut werden kann.
Was wir allgemeine Wehrpflicht nennen, ist ja ein Ausschnitt aus der Bundesverteidigungspflicht des Bürgers, ein limitierter Ausschnitt, dessen Durchführung gegenüber den Vorstellungen, die sich seit 1813 eingebürgert haben, durchaus korrigiert werden muß. Ich glaube, darüber kann man im einzelnen sehr wohl sprechen und zu sehr vernünftigen Lösungen kommen.
Es gibt ein zweites Argument dafür. Sie können es verwenden, wenn ich es hier gebrauche. Ich unterstelle das, genauso wie Sie uns unterstellen, daß wir im Wahlkampf das gegen Sie verwenden, was Sie sagen. Aber wir sollten bei diesem Thema in der Diskussion nicht an die günstigste Themenposition und Themengewinnung für den Wahlkampf des nächsten Jahres denken.
— Aber ich muß es hier jedenfalls so tun, Kollege Mellies.
Sie haben aus den vorhin genannten Zahlen für Heer, Luftwaffe und Marine entnommen, daß der Prozentsatz der Berufssoldaten plus länger dienenden Freiwilligen lange Zeit und auch nach unserer
Endplanung größer sein wird als der der Wehrpflichtigen im Rahmen der mobilen Einheiten. Ganz anders sähe es bei der bodenständigen Verteidigung aus, und ganz anders sieht es bei der Heimatluftverteidigung aus, wo nur kleine Kader von Längerdienenden oder Berufssoldaten über die ganze Zeit hinweg unterhalten werden müssen, während für den Bereitschaftsfall die Auffüllung erst mit dem verteidigungspflichtigen Bürger erfolgen würde, der .bei der Kompliziertheit und Schwierigkeit der Apparate allerdings rechtzeitig darauf vorbereitet werden muß. Aber selbst wenn wir uns auf Ihren Grundsatz der Aufstellung einer in ihrer menschlichen, sozialen und individuellen Zusammensetzung erwünschten Bundeswehr in Form von Freiwilligen beschränkten, müßte die Bundesverteidigungspflicht jedes Bürgers dahinter stehen, damit sich die richtigen Freiwilligen melden, Kollege Erler.
— Ach, das ist ein dummes Argument „Melden Sie sich mal!" Ich mache eine Reserveübung. Entschuldigen Sie, mit solchen Argumenten wie dem „Melden Sie sich mal!" sollte man hier nicht operieren.
Ich bemühe mich wirklich, mich mit den Argumenten auseinanderzusetzen.
Ich komme zu dem dritten Problem bei der Konstituierung der Wehrpflicht. Ich würde lieber „Bundesverteidigungspflicht" sagen, wenn das eine Basis wäre, auf der wir zu einer gemeinsamen vernünftigen Konzeption kommen könnten. Auch bei dem von Ihnen begrüßten, im kollektiven Sinn sich auswirkenden Sicherheitssystem mit einem automatischen gegenseitigen Sicherheitsmechanismus, über dessen Auslösung und über dessen Konstruktion man ebenfalls noch reden kann, weil noch viele unbestimmte Dinge drin sind, müßte die Durchführung der Verteidigungspflicht des Bürgers den anderen mit der Wehr- und Verteidigungspflicht belasteten Partnern, die sich ihrerseits für uns seit Jahren schwere personelle und finanzielle Opfer auferlegen, die Gewißheit geben, daß wir nicht um des leichteren Weges oder um einer falschen Popularität willen auf die Verteidigungspflicht verzichten und uns darauf beschränken, den bequemen Weg der Freiwilligenwerbung zu gehen.
Diese drei Argumente — Landesverteidigungssystem, die Notwendigkeit, die richtige Auswahl der Freiwilligen zu treffen, und das Erfordernis, ein ausgewogenes System der Rechte und Pflichten innerhalb eines Bündnissystems zu finden — sind die Gründe, warum ich auch als zweiter Verteidigungsminister der Bundesregierung an dem Grundsatz der Bundesverteidigungspflicht mit einem Ausschnitt Wehrpflicht für die mobilen Divisionen festhalten muß, wenngleich für eine lange Aufbauperiode die lebenslänglich dienenden Berufssoldaten und die länger dienenden Freiwilligen schon rein zahlenmäßig und auf Grund ihres technischen Könnens das Schwergewicht in diesem Teil der Bundeswehr ausmachen werden und ausmachen müssen.
Ich glaube ebenfalls — Sie haben mit dieser Kritik nicht unrecht —, daß die Verkürzung des Grundwehrdienstes von 18 auf 12 Monate vielleicht in einer Art Kurzschlußreaktion auf die Bekanntgabe des schriftlich ja nicht vorliegenden Radford-
planes zu suchen ist; die übrigen Teile des Dienstzeitgesetzes sind ja unverändert gelassen. Ich möchte sagen, daß diese Verkürzung des Grundwehrdienstes naturgemäß Ansätze zu berechtigter Kritik bietet. Ich hatte hier das zu vertreten, was am 8. November als Regierungsentwurf vorlag. Ich habe dabei allerdings angekündigt, daß die Einzelheiten, die sich aus diesem Dienstzeitgesetz ergeben, im Ausschuß beraten werden müssen, da man das in dieser Breite bei der ersten Lesung nicht tun kann. Die Einzelheiten haben dann zu einem Ergebnis geführt, das Sie, wie wir erwartet haben, ablehnen; aber immerhin haben Sie sich an der Diskussion und der Erarbeitung dieser Einzelheiten beteiligt.
Wenn Sie sagen, Herr Kollege Erler, daß die Voraussetzungen für den Aufbau der Freiwilligenkader fehlen, dann denken wir nicht so sehr an Freiwilligenkader als an fertige Einheiten. Die Aufstellung der Kader für eine heute noch nicht übersehbare Endplanung der Bundeswehr ist nicht der richtige Weg, um Schritt für Schritt voranzugehen. Wenn Sie aber das Fehlen der Voraussetzungen bemängeln, dann darf ich allerdings auch feststellen, daß Sie und Ihre Fraktion vieles dazu beigetragen haben, die Voraussetzungen zu verhindern oder sie erst möglichst spät in Erscheinung treten zu lassen.
— Ich wollte Ihnen gerade dieses Wort aus dem Munde nehmen. Sie haben von Ihrem Standpunkt aus natürlich die Möglichkeit, zu sagen, daß wir die Mehrheit hätten und von ihrem Recht Gebrauch hätten machen können. Dann wäre aber von Ihrer Seite sofort das Argument gekommen, daß die Minderheit vergewaltigt würde und daß auch die Minderheit in diesem Hause Rechte habe.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sind Sie nicht der Meinung, daß dann die Mehrheit wenigstens die richtige Reihenfolge hätte wählen können, statt das Pferd am Schwanz aufzuzäumen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Darf ich einen Augenblick unterbrechen. Meine Damen und Herren, Zwischenfragen sind sehr schön, aber es müssen effektive Fragen sein und keine rhetorischen. Hier hat sich etwas eingebürgert. Rhetorische Fragen sind keine echten Fragen.
Herr Kollege Erler, da ich die Reihenfolge selber nicht genau weiß, vermag ich das nicht zu entscheiden. Sie würden es aber sicher als Eingriff der Exekutive in die Legislative betrachten, wenn ausgerechnet der Bundesverteidigungsminister an den
Entscheidungen des Ältestenrats seine Kritik auslassen würde.
— Ich vermute, daß der Ältestenrat die Reihenfolge festgesetzt hat, soweit die Gesetze eingebracht waren.
Ich darf zu Ihrer Beruhigung sagen, daß von der Regierung alles, was noch an Gesetzen fehlt, bis Januar vorgelegt sein wird, so daß von dieser Seite dem Tatendrang zur Schaffung der Voraussetzungen dann keinerlei offizielle Hindernisse mehr entgegenstehen.
— Es gab schon schlechtere Weihnachten, Kollege Mellies!
Gerade die Opposition hat unabhängig von ihrer politischen Einstellung zur Existenz und zur Problematik der Bundeswehr immer betont, daß sie sich um die sozialen, wirtschaftlichen und individuellen Interessen der durch den Aufbau der Bundeswehr — sei es als Freiwillige, sei es als Wehrpflichtige — betroffenen Menschen kümmern wolle. Nachdem das Wehrpflichtgesetz verabschiedet ist und ein feststehendes Faktum darstellt, dient doch dieses Gesetz ais ein ausgeklammerter Teil des Wehrpflichtgesetzes der aus einer Reihe von Gründen notwendigen Klärung, damit die Leute wissen, mit welchen Belastungen sie auf einmal und für die Dauer ihres militärfähigen Lebens rechnen müssen.
Ich habe Sie nicht ganz verstanden, Herr Kollege Erler, wenn Sie mit donnernden Worten gegen die Wehrpflicht zu Felde gezogen sind und ihre Durchführung als eine ungeheuerliche politische Belastung — ich zitiere nicht wörtlich, aber dem Sinn nach — bezeichnet haben, aber im selben Atemzuge festgestellt haben, es seien eigentlich gar keine Wehrpflichtigen, sondern durch die Wehrpflicht mehr oder minder durch freiwillige Meldungen gekommene junge Leute. Sie haben weiter gesagt, an diesen Wehrpflichtigen, die keine seien, an diesen „Modell -Wehrpflichtigen" von denen Sie gesprochen haben, ließen sich keine Erfahrungen gewinnen. Statt daß Sie für diese Form, die jedenfalls für einige Jahre unvermeidbar ist — wie es auf die Dauer sein wird, weiß heute bei dem technischen Umdenken kein Mensch —, also für diese Art Auswahlwehrpflicht Verständnis aufbringen, werfen Sie uns jetzt vor, mit diesen könnten wir keine Erfahrungen gewinnen; wenn wir Erfahrungen gewinnen wollten — so sagen Sie —, müßten wir die Leute zwangsweise holen, aber zunächst hätten wir ja nur solche zur Verfügung, die bereit seien, ihre Wehrpflicht im Vorwege abzudienen.
Ich verstehe nicht, warum Sie sich über die Belastung der Wehrpflicht aufregen und sich gleichzeitig darüber ereifern, daß es eigentlich keine Wehrpflicht ist.
— Ja, Wehrpflicht als Bestandteil der Verteidigungspflicht; ja, einwandfrei ja!
— Ja, freiwillig im Sinne der Schichtung, von der ich vorher gesprochen habe.
— O nein! Die Zahlen werden erfüllt werden, Herr Kollege, genau mit den Leuten, deren militärischen Dienst wir für richtig und notwendig halten. — Aber in demselben Sinne liegt es, Kollege Erler, wenn Sie diese Durchführung, oder sagen wir: nur teilweise Durchführung der Wehrpflicht im Sinne einer Auswahlwehrpflicht für den zusammenhängenden Grundwehrdienst — anders wird es aussehen bei der bodenständigen Verteidigung, der Heimatluftverteidigung — unter Bezugnahme auf den Grundsatz der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz beanstanden. Denn damit würden Sie jetzt den Bogen schlagen wollen von der Wehrpflicht zum Einziehungszwang. Wir sprechen nur von der Bundesverteidigungspflicht, aber nicht von dem Zwang, jedermann unter den gleichen Lasten und mit den gleichen Voraussetzungen an dieser Bundesverteidigunqspflicht teilhaben zu lassen.
Sie sagten, die Wehrpflicht sei schädlich für die Wiedervereinigung. Damit stellen Sie eine These auf, die durch häufige Wiederholung genausowenig richtiger wird wie die gegenteilige These. Das ist die Form der Klischees, in der wir uns leider schon seit Jahren oft bei außenpolitischen Unterhaltungen gegenseitig anzureden pflegen. Sie können die Richtigkeit Ihrer These nicht beweisen; niemand kann mit mathematischer Genauigkeit auf unserer Seite die Richtigkeit unserer These beweisen.
Sie sagten weiter, die Wehrpflicht sei überflüssig. Dazu habe ich Stellung genommen. Und dann haben Sie allerdings ein Argument gebraucht, das ich mit aller Entschiedenheit als sachlich unrichtig ablehnen muß. Sie sagten: „Diese Bundeswehr ist ja, auch wenn sie 500 000 Mann stark ist, wenn sie modern ausgerüstet ist, einem Angriff der Sowjetunion, einem Angriff der Roten Armee nicht gewachsen." Wir teilen genau diese Auffassung; aber wir ziehen daraus ,die Schlußfolgerung, daß wir deshalb Bündnispartner in einem internationalen System sein müssen, dessen zusammengefaßte Abwehrkraft der Kraft der Roten Armee überlegen wäre.
Wenn Sie mit Recht von dem weltpolitischen Abschreckungsrisiko — Sie haben das Wort nicht gebraucht — aber von der indirekten Verteidigung gesprochen haben, nämlich von der Abschrekkungsverteidigung, deren erstes Ziel ist, den Krieg zu verhindern, nicht einen Krieg zu gewinnen, dann müssen Sie bei sachlicher Betrachtung des Problems auch davon überzeugt sein, daß die Einfügung der Bundeswehr in die NATO eine zwingende Notwendigkeit ist. Es ist ja nicht eine Integration im Sinne der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. Eine moderne Luftverteidigung läßt sich ja ohne eine solche Integration auf gewissen Gebieten überhaupt nicht durchführen. Lesen Sie die Rede Montgomerys nach, nachdem Sie ja sicherlich die Äußerung amerikanischer und englischer Generäle für kompetenter halten als die Äußerungen deutscher Politiker — Sie brauchen es nicht von mir abzunehmen —, lesen Sie Montgomery nach, dann werden Sie feststellen, daß dieser Gedanke dort in den letzten zwei Jahren zu Ende gedacht worden ist.
Wenn Sie aber von einer Abschreckung mit weltpolitischem Risiko gesprochen haben, dann ist doch die Bundeswehr nicht ein Instrument einer nationalen Militärpolitik, mit der man irgendwelche abenteuerlichen Aktionen, Interventionen und damit Risiken schaffe, sondern nur eine Komplettierung, und zwar eine leider unentbehrliche Komplettierung, im System der Abschreckung, damit das eintritt, was Sie für notwendig halten.
Sie sagten: „Die Bundeswehr schützt das halbe Deutschland." Also: „Ihre Bundeswehr, die Bundeswehr der Regierungsmehrheit, schützt das halbe Deutschland, und wir schützen das ganze Deutschland."
Wollen Sie damit sagen, daß, 'wenn wir in der Bundesrepublik auf die Aufstellung der Bundeswehr verzichten würden — was ja Ihr ursprüngliches Ziel war, gleichgültig, in welcher Form —, damit das ganze Deutschland geschützt wäre?
Wenn Sie das unterstellen, -- —
— Ich habe hier doch wörtlich mitgeschrieben. Sie haben — Herr Kollege Erler, ich sage es doch wirklich nur in sachlicher Ruhe — die Verschiedenheit der Konzeption so dargestellt: „Sie mit Ihrer Aufstellung der Bundeswehr schützen die Bundesrepublik, d. h. das halbe Deutschland; wir wollen das ganze Deutschland schützen."
— Lesen Sie das im Protokoll nach. „Wir schützen das ganze Deutschland, ihr schützt das halbe Deutschland." So habe ich es mir notiert.
— Aber lassen Sie mich doch den Gedankengang fortsetzen. Wenn man diesen Gedankengang in der etwas vereinfachten Gegenüberstellung hier fortsetzt, dann würde das heißen: Wenn wir unsere Gedanken hätten durchführen können, wenn wir die politische Mehrheit gehabt und die Aufstellung der Bundeswehr damit hätten verhindern können, dann hätten wir damit einen Beitrag zum Schutz des ganzen Deutschlands geleistet. Darüber läßt sich reden, wenn man der Meinung ist, daß die Bundesrepublik Deutschland ein eigener politischer Aktionen und eigener politischer — ich sage nicht: militärischer — Interventionen unfähiges Protektorat der Amerikaner und der Westmächte bleiben soll.
Denn sonst unterstellen Sie das, was Sie sicherlich nicht glauben, Kollege Erler, daß die Sowjetunion keine potentielle Gefahr darstelle. Das glauben Sie genausowenig, wie wir es glauben.
Mit der Vorstellung: Wir schützen das ganze Deutschland, indem wir jetzt keine Bundeswehr aufstellen, sagen Sie doch nichts anderes, als daß wir — in dem Fall Opposition — an die Zuver-
Lässigkeit, wenn nicht der NATO, dann der amerikanischen Sicherheitsgarantie glauben, d. h. Sie unterstellen damit die Bundesrepublik der amerikanischen Sicherheitsgarantie in Form eines Atomprotektorats, ein Begriff, der uns im Laufe der nächsten Jahre — darüber gibt es gar keinen Zweifel — noch viel zu schaffen machen wird. Dabei unterstellen Sie auch, daß Sie gewissermaßen ein unfehlbares und untrügliches Rezept für die zukünftige amerikanische Politik in Händen haben, deren verantwortliche Träger diese Sicherheitsgarantie in ihrem eigenen Interesse niemals aufheben können, und das glauben wir Ihnen aus der Verantwortung heraus einfach nicht.
Wir halten es für einen wesentlich realistischeren Weg — in welcher Form, darüber mag man verschiedener Meinung sein —, in diesem System der Abschreckung, das ja ein komplexes militärisches System darstellt, eine zwar bescheidene, aber so unentbehrliche Rolle zu spielen, daß die Verlängerung oder Aufhebung der Sicherheitsgarantie nicht im diskretionären Ermessen einer Großmacht liegt, sondern mit einem gleichberechtigten Partner abgestimmt werden muß.
Das ist unsere Auffassung, die man immerhin genauso ernsthaft respektieren sollte, wie ich mich bemühe, Herr Kollege Erler, Ihre Argumente zu respektieren.
Sie haben recht, wenn Sie sagen, daß der Sowjetblock kein Block mehr ist. Er ist jedenfalls nicht mehr ein Block, der die alte strategische Rechnung
rechtfertigt, eine strategische Rechnung, die darin bestand, daß man einfach sowjetische Divisionen und Satellitendivisionen addiert hat und, um ein Gegengewicht aufzustellen, Gegenforderungen erhoben hat. Es kommt ohne Zweifel heute zum technischen reappraisal das politische reappraisal hinzu. Eine strategische Konzeption, die nur auf die Wandlung der Technik aufgebaut wird, ist falsch. Sie muß durch die Berücksichtigung der Wandlungen der politischen Faktoren ergänzt werden. Daß es aber so weit gekommen ist — wir wollen nicht von großen Verdiensten oder von Schuld in dem Fall reden —, liegt doch in erster Linie daran, daß der Westen noch rechtzeitig zu einem Sicherheitssystem gefunden hat,
indem die Dynamik der sowjetischen Politik wiederum nach innen zurückgeschlagen hat, statt sich nach außen entladen zu können.
Man sollte über diese Dinge nicht so leichtfertig lachen, wie es hier zum Teil geschieht. Es sind ganz ernsthafte Überlegungen. Natürlich ist das irreal, wie der Gang der Politik verlaufen wäre, wenn vom Jahre 1949 oder 1950 an nach der Korea-Aggression die Reaktion des Westens in Europa im Abzug der Amerikaner und in der Resignation der europäischen Westmächte bestanden hätte.
Daß diese Resignation nicht eingetreten ist, geht nicht zuletzt auf die zum Teil erfüllte Hoffnung zurück, daß die Bundesrepublik in diesem System eine wesentliche Rolle spielen wird, und daß sie
diese Rolle spielt, ist doch der seit 1949 konsequent vertretenen Politik, in erster Linie was die Bundesrepublik anbetrifft, zu verdanken.
Sie haben ohne Zweifel recht: Das Problem besteht für uns darin, zu überlegen, wie man es herbeiführen kann, daß die Rote Armee aus der Zone verschwindet. Es ist billig, hier einfach Prophezeiungen oder billige Rezepte dafür aufzustellen. Sicherlich ist es aber ein Argument von erheblicher Bedeutung, daß gerade jetzt die Sowjets bewiesen haben, daß sie, ohne von außen bedroht zu sein, nicht einen Quadratmillimeter ihres Herrschaftsbereichs aufzugeben bereit sind, vielleicht nicht in erster Linie aus imperialistischen Gründen, sondern wegen der inneren Entwicklung in ihrem Lande, vielleicht weil eine solche Entwicklung auch an den Toren des Reiches der Sowjetunion unter Umständen nicht mehr haltgemacht hätte. Wenn aber die Dinge so liegen, dann ist es ohne Zweifel eine schwierige Probe geworden, von der Sowjetunion zu erwarten, daß sie die Klammer der Roten Armee, die über die Satellitenstaaten hinweg bis zum letzten Mohikaner des Stalinismus, Herrn Ulbricht, reicht, zurückziehen soll, etwa durch ein Neutralitätsangebot eines noch lange nicht wiedervereinigten Deutschlands. Das ist doch das politische Problem!
Wir sind uns in dem Ziel — —
— Gerade Österreich ist ein wesentliches Argument für die Überlegung, die ich angestellt habe. Glauben Sie, daß die Amerikaner rein provokativ gehandelt haben, als sie vor wenigen Wochen, an die Adresse der Sowjets gerichtet, erklärt haben, sie würden eine Wiederbesetzung Österreichs als einen feindseligen Akt betrachten und mit entsprechenden Maßnahmen darauf reagieren? Das ist doch von Eisenhower erklärt worden!
— Die Rote Armee ist ja bei uns da!
— Bitte sehr!
Glauben Sie, daß die Rote Armee aus Österreich abgezogen wäre, wenn man gefordert hätte, daß Österreich dann Mitglied des Atlantikpakts wird?
Herr Kollege Erler, ich darf mit Ihren eigenen Worten antworten. Weil ich mir aber das für die Schlußsätze aufgehoben habe, bitte ich, nicht auf einer unmittelbaren Antwort zu bestehen; denn Sie werden nachher feststellen, daß wir darauf eine Antwort zu geben wissen.
Das Problem lautet doch: Wie bringen wir die Rote Armee zum Abzug aus der Sowjetzone? Ich möchte jetzt keine langen Betrachtungen darüber anstellen, daß die Dinge in Österreich und in der Sowjetzone seit den ersten Besetzungstagen ganz verschieden gelaufen sind, weil die Zielsetzungen
ganz verschieden lagen. Wäre die Rote Armee in der Sowjetzone heute reine Besetzungsarmee, wie sie es in Österreich gewesen ist, und hätte man die Sowjetzone nicht zum Satellitenstaat gemacht, wäre das Problem viel leichter zu lösen.
Aber jetzt im Zusammenhang mit diesem Thema in die Vergangenheit zurückzugehen, hat keinen Zweck.
— Seien Sie doch unbesorgt und nicht so nervös! In Ihrer Antwort auf die Frage, die Kollege Rasner gestellt hat — Bundeswehr, Berufsarmee, Kündigung der NATO-Verträge —, sprechen Sie ja nicht von einer Aufhebung der NATO-Verträge, aus dem guten und sehr begrüßenswerten und von Ihrer Partei in einer jahrzehntelangen Geschichte beinahe geheiligten Grundsatz: pacta sunt servanda und aus den Erfahrungen mit dem dolosen Verhalten der Machthaber des Dritten Reiches und den schauerlichen Folgen, die daraus erwachsen sind. Lesen Sie den Eden-Plan! Lesen Sie die Deutschlandnote, die das Auswärtige Amt im Auftrage der Bundesregierung an die Adresse Moskaus gerichtet hat! Ist darin nicht angeboten, daß zwar nicht über die Existenz der Bundesrepublik in der NATO, aber über ihre Stellung und auch über die Möglichkeiten der Modifizierung dieser Stellung in der NATO gesprochen wird?
In einem haben Sie Unrecht. Sie legen den Deutschlandvertrag objektiv falsch aus. Ein wiedervereinigtes Deutschland hat das freie Recht der Selbstbestimmung. Es ist nicht durch die Automatik der Verträge an den Westblock gebunden. Das ist die Auslegung, wie ich sie hier im Bundestag gehört habe und wie sie mehrfach wiederholt worden ist. Ich kann mir keine andere Version vorstellen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Frage, Herr Minister. Ist Ihnen bekannt, daß in den Verträgen in Art. 7 von einem gemeinsamen Ziel, also einem politischen Ziel der vertragschließenden Parteien die Rede ist? Es handelt sich also nicht um die Automatik, sondern um das erklärte Ziel, daß das wiedervereinigte Deutschland im Atlantikpakt sein soll.
Nicht um recht zu haben: Wenn ich den Art. 7 Ziffer 3 richtig in Erinnerung habe, dann haben darin, und zwar, glaube ich, gerade auf Wunsch der deutschen Verhandlungspartner, die Westmächte das für sie nicht leichte Bekenntnis ablegen, die nicht leichte Verpflichtung eingehen müssen, daß die Wiedervereinigung Deutschlands eo ipso ohne Bindung des wiedervereinigten Deutschlands an die Automatik des Vertragssystems zu ihren politischen Zielen gehört.
Solange wir den Grundsatz „pacta sunt servanda" auf unserer Seite aufrechterhalten, unsere vertraglichen Verpflichtungen erfüllen, geben wir auch keinem anderen Vertragspartner die Möglichkeit, sich aus vielleicht unangenehmen Implikationen des Vertrages einseitig zu lösen. Das ist der Sinn dieser Bündnispolitik.
Ich darf noch einen Irrtum korrigieren. Kollege Erler, Sie haben die Dienstzeiten — damit komme ich wieder zum Thema und zum Ausgangspunkt zurück — addiert und haben sie in einem Fall falsch addiert. Ich möchte das nur richtigstellen, obwohl es sicherlich nicht als großes Thema für Sie oder für mich brauchbar ist. Wenn vom verkürzten Grundwehrdienst gesprochen wird, sind damit nicht die „weißen Jahrgänge" gemeint, für die sich die Reservedienstzeiten noch einmal um sechs Monate erhöhen, sondern die voll wehrpflichtigen Jahrgänge, bei denen aber mangels technischer Möglichkeiten oder auf Grund militärischer Besonderheiten der Grundwehrdienst zusammenhängend in sechs Monaten abgeleistet wird, während die übrigen sechs Monate dann der Zukunft der Wehrübungen überlassen bleiben. Diese Bestimmung ist doch notwendig nach dem von Ihnen zitierten Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz. Wir können nicht von ein und demselben Jahrgang, von ein und derselben Tauglichkeitsklasse wahlweise mit allen Unbestimmbarkeiten, die der Beeinflussung unterliegen, von vornherein schon nach dem Gesetz den einen zu einem halben und den andern zu einem Jahr heranziehen. Das ist, glaube ich, eine objektiv unrichtige Auslegung. Es handelt sich in diesem Zusammenhang um die „schwarzen Jahrgänge", wenn ich so sagen darf,
nicht um die „weißen Jahrgänge".
Ich habe heute einmal die Schweiz zitiert. In diesen Tagen hat die Schweizer Sozialdemokratische Partei betont, daß sie an die Initiative, die zu einer Verringerung der Schweizer Landesverteidigung führen sollte, nicht beteiligt war und daß ihr Parteisekretär selbst die Zurückziehung dieser Initiative betrieben hat. Sie hat in dem Zusammenhang an ihren Beschluß vom Jahre 1947 erinnert, der folgendermaßen heißt:
Wir wollen den Frieden, die staatliche Selbständigkeit, die politische Willensfreiheit.
— Die politische Willensfreiheit! —Dazu brauchen wir eine Landesverteidigung, die sich auch auf eine kriegstüchtige Armee stützen kann. Die Reform unserer Armee ist eines der Mittel, um die Abwehrkraft unseres Landes im Hinblick auf die Entwicklung der modernen Kriegstechnik zu verstärken.
Leider nur die Sozialdemokratische Partei der Schweiz!
Es wäre gut, wenn Sie, Kollege Erler, zu der Einsicht zurückkehrten, die Sie im November 1955 gehabt haben, als Sie im Zusammenhang mit dem Problem der Wehrdienstverweigerung golden richtige Worte sagten,
— ja, golden richtige Worte, die ich abschließend zitieren darf. Das ist nicht der Herr Stampfer, der nicht in diesem Hause sitzt, sondern der Herr Erler, der ganz vorn in diesen Reihen sitzt. Es heißt bei ihm:
Es wäre eine Illusion, die Wehrpflicht mit dem Mittel der Kriegsdienstverweigerung aushöhlen zu wollen.
— Einverstanden! —
Damit käme man automatisch zu einem reinen
Freiwilligenheer, das wahrscheinlich innen-
und außenpolitisch größeren Bedenken begegnet als eine Streitkraft, die einen wirklichen Querschnitt durch alle Schichten der Nation gibt.
Wenn wir uns hinsichtlich der politischen Notwendigkeiten einig wären, dann könnten wir hinsichtlich der Grenzen der Durchführung, glaube ich, die Basis finden, die — das muß ich immer wieder betonen, und das muß jeder Verteidigungsminister betonen, auch der nächste, wenn er mit dem Buchstaben E anfangen sollte —
lautet: die Existenz der Bundeswehr und der Aufbau der Bundeswehr müssen dem parteipolitischen
Streit im engeren Sinne des Wortes entzogen sein.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Herr Abgeordnete Erler hat gebeten, ihm vorab das Wort zur Abgabe einer ganz kurzen Erklärung zu geben.
Herr Minister! Sie haben absolut richtig zitiert. Ich möchte nur sagen: ich bin stolz darauf, daß die Grundgesetzänderungen, die wir dann mit einem Teil des Hauses gemeinsam errungen haben, die Voraussetzungen dafür geschaffen haben, daß wir mit gutem Gewissen eine Armee von Freiwilligen in den demokratischen Staat wirksam einzufügen imstande sind. Der Artikel war aus der Zeit vorher. Ich danke Ihnen, daß Sie dazu beigetragen haben, daß eine Freiwilligenarmee keine Gefahr mehr ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Mende.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der Freien Demokratischen Partei hat das Wehrpflichtgesetz in der Schlußabstimmung am 7. Juli dieses Jahres abgelehnt.
Die Gründe hierfür waren verschiedene. Ein Teil bemängelte das Fehlen der materiellen Voraussetzungen für ein Wehrpflichtgesetz; es lagen weder das sehr wichtige Besoldungsgesetz noch das Versorgungsgesetz, noch das Organisationsgesetz, noch die Beschwerde- und Disziplinarordnung vor, Gesetze, die leider auch bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht verabschiedet werden konnten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein; erst am Schluß meiner Darstellung.
Ein anderer Teil bemängelte insbesondere das Nichtvorliegen der psychologischen Voraussetzungen für die Verabschiedung eines Wehrpflichtgesetzes zu diesem Zeitpunkt. Wir erinnerten in unseren Darlegungen an die auch heute noch nicht abschließend gelöste Frage der Kriegsverurteilten. Immer noch stehen etwa 50 ehemalige Soldaten der deutschen Wehrmacht vor der bitteren Tatsache, das zwölfte Weihnachtsfest nach dem Zusammenbruch in alliierten Gefängnissen verleben zu müssen. Wir dachten auch an die ideelle und materielle Wiedergutmachung am alten Soldatentum und zitierten damals die leider bis jetzt noch nicht vorliegenden Gesetze, insbesondere die 2. Novelle zu dem Gesetz nach Art. 131.
Auch politische Bedenken waren ein Grund dafür, daß kein Mitglied unserer Fraktion — Herr Kollege Jaeger, ich weiß, welche Frage Sie stellen wollten — in der Lage war, dem Wehrpflichtgesetz zuzustimmen, sondern daß ein Teil sich der Stimme enthielt und ein anderer Teil mit Nein stimmte; aber nicht ein einziger Abgeordneter hat am 7. Juli zu dem Wehrpflichtgesetz ja gesagt. Leider haben auch die politischen Bedenken die Mehrheit dieses Hauses nicht beeindrucken können. Die politischen Bedenken ergaben sich aus der Zweiteilung unseres Vaterlandes. Wir haben den Antrag gestellt, die etwa 200 000 jungen Deutschen aus der Sowjetzone, die hier in der Bundesrepublik wohnhaft sind, soweit sie noch Verwandte ersten Grades in Mitteldeutschland haben, von der Wehrpflicht freizustellen. Wir wollten die freie Bewegung vor allem der jungen Menschen zwischen beiden Teilen Deutschlands nicht erschweren. Notwendigerweise bringt das Wehrpflichtgesetz durch die Wehrüberwachung und durch die Gefahr, dort festgehalten zu werden, um hier nicht dienstpflichtig zu sein, eine Erschwerung des freien Verkehrs.
Schließlich haben wir auch bemängelt, daß zu allgemeiner Überraschung die Dienstzeit, die ursprünglich mit 18 Monaten angesetzt war, ausgeklammert wurde. Wir haben zu dem bekannten § 5 den Antrag gestellt, eine Dienstzeit von 12 Monaten als Grundwehrdienstzeit einzuführen. Dieser Antrag ist sowohl in der zweiten wie auch in der dritten Lesung abgelehnt worden. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion, was alles hätten Sie sich ersparen können, wenn Sie damals am 6. und 7. Juli bereit gewesen wären, unseren Antrag anzunehmen! Sie hätten sich zwei Plenarsitzungen zur Behandlung dieses Dienstzeitgesetzes ersparen können, nämlich die erste Lesung dieses Gesetzes am 8. November und heute die zweite und dritte Lesung — wir gehen bereits in die fünfte Stunde unserer Debatte —, und Sie hätten sich etwa 12 Sitzungen im Ausschuß für Verteidigung erspart, wenn Sie damals unseren Antrag angenommen hätten. Sie hätten es nicht nötig gehabt, durch ein besonderes Gesetz in drei Lesungen das nachzuholen, was wörtlich der Inhalt unseres Antrages war.
Es rächt sich eben, wenn man deswegen nein sagt, weil ein solcher Antrag nun einmal aus anderen politischen Reihen kommt.
Wir haben schon in der ersten Lesung unserer Genugtuung darüber Ausdruck gegeben, daß dieses Dienstzeitgesetz wörtlich die Vorstellungen unseres Antrages übernimmt. Daher stimmt unsere Fraktion mit gutem Gewissen diesem Gesetz, d. h. ihrem eigenen Antrag vom 6. und 7. Juli, zu.
Lassen Sie mich aber auch auf einige Ergänzungen eingehen, die wir schon bei der Wehrpflichtdebatte gemacht haben und die wir auch bei der ersten Lesung dieses Dienstzeitgesetzes zu machen für nötig hielten. Der Herr Bundesverteidigungsminister hat selber in der Entgegnung auf die
Ausführungen des Kollegen Erler das bestätigt, was wir schon vor Monaten in diesem Hause dargelegt haben, nämlich daß die allgemeine Wehrpflicht alter Vorstellungen überholt ist. Der Verteidigungsminister sagte wörtlich, daß die allgemeine Wehrpflicht nur ein Ausschnitt aus der allgemeinen Verteidigungspflicht aller Bürger sei. Wir sind sehr angetan davon, daß offensichtlich nunmehr auch in der offiziellen Planung der viel zu enge Begriff der allgemeinen Wehrpflicht so erweitert wird, wie es den modernen Vorstellungen entspricht. Denn die allgemeine Wehrpflicht ist schon deswegen nicht mehr zeitgemäß, weil heute in einem totalen Krieg Strategie nicht nur eine Angelegenheit der Soldaten und der militärtechnischen Dinge allein ist. Im totalen Krieg ist Strategie die Summe politischer, wirtschaftlicher, sozialer, propagandistischer und militärtechnischer Maßnahmen.
Wie kann man auch von einer allgemeinen Wehrpflicht sprechen, wenn ganze Berufszweige ausgeklammert werden? Niemandem wird es einfallen, einen einzigen Bergmann, der vor Ort unter Tage die für uns so wichtige Kohle fördert, etwa einzuziehen. Niemandem in diesem Hause wird es einfallen, auch aus anderen Schlüsselindustrien, vielleicht aus der eisenschaffenden Industrie, vielleicht aus der Bauindustrie, jene Kräfte einzuziehen, die für uns in ihrem zivilen Sektor in der Gesamtplanung wesentlich wichtiger sind, als wenn wir sie lediglich mit der Waffe vertraut machten.
In diesem Sinne haben wir die Erweiterung des früheren Wehrpflichtbegriffs auf eine allgemeine Verteidigungspflicht aller Bürger gefordert. Wir haben erklärt, daß die Verteidigungspflicht aller
Bürger das selbstverständliche Korrelat zu den Grundrechten einer rechtsstaatlichen Demokratie sein muß. In einer rechtsstaatlichen, demokratischen Ordnung kann man nicht nur Grundrechte für sich in Anspruch nehmen. Man muß auch bereit sein, ein gewisses Maß von Grundpflichten auf sich zu nehmen, und eine dieser Pflichten ist die Übernahme soldatischen oder soldatenähnlichen Dienstes oder sonstiger Verpflichtungen im Rahmen der allgemeinen Verteidigungsbereitschaft eines Volkes.
Wir haben bei der ersten Lesung dieses Gesetzes und auch bei der Beratung des Wehrpflichtgesetzes erklärt — und tun es jetzt, nachdem unsere Ansicht durch die letzten Erfahrungen in Ägypten und Ungarn bestätigt worden ist, erst recht —: bei einem möglichen bewaffneten Konflikt ist für uns der Arzt, der in den zonennahen Gebieten am Operationstisch ausharrt und weiteroperiert, ist die Krankenschwester, die ihm weiter assistiert, sind die Techniker in den Wasser- und Elektrizitätswerken, die an Ort und Stelle bleiben und für die Versorgung weiter tätig sind, sind die Lastwagenfahrer, die die Großstädte weiter mit Grundnahrungsmitteln versorgen, sind die Menschen im Bahn- und Postwesen, die weiter den geordneten Betrieb aufrechterhalten, wesentlich wichtiger als die mobile Truppe, die nicht Aktionen unternehmen kann, wenn es zu einer allgemeinen versorgungsmäßigen Katastrophe schon in den ersten Phasen kommt. In Budapest hat man in der ersten Phase nach Medikamenten, nach Blutkonserven und Antibiotika gerufen, nach Verbandstoffen, in der zweiten nach Grundnahrungsmitteln und erst in der dritten nach Waffen und Gerät. Der erste Leidtragende eines bewaffneten Konflikts ist nicht wie noch 1813 oder 1870/71 der Soldat, sondern im Zeitalter der modernen Massenvernichtungswaffen ist der erste Leidtragende eines bewaffneten Konflikts die Zivilbevölkerung und ist das Wichtigste die Erhaltung des gesamten Versorgungswesens, weil nur auf dieser Basis mobile Aktionen der Truppe überhaupt möglich sind.
Wir hoffen, daß die Erweiterung des Wehrpflichtbegriffs alter Art zu dem wesentlich moderneren Begriff der allgemeinen Verteidigungspflicht auch bei der kommenden Wehrgesetzgebung immer mehr in Erscheinung treten wird. Gerade der Verteidigungsminister weiß am besten, wie viele Gesetze noch nötig sind, um das sicherzustellen, was ich eben als die Voraussetzung einer mobilen Abwehraktion dargelegt habe.
Wie sich im allgemeinen im Rahmen der Entwicklung thermonuklearer und elektronischer Waffen die modernen Armeen darstellen werden, ist hier schon — sogar mit Ziffern — dargelegt worden. Der Schwerpunkt moderner militärischer Planung verlagert sich immer mehr von der früheren Vorstellung der Mobilmachungen und ,der levée en masse im Soldatenrock zu dem hochqualifizierten und beweglichen Heer der Berufssoldaten und längerdienenden Freiwilligen. Man hat in modernen Kriegen gar keine Zeit, noch Mobilmachungsmaßnahmen durchzuführen, wie es früheren Vorstellungen entspricht. Ebenso, wie wir heute nicht nur in den Großstädten, sondern auch in den Mittel- und Kleinstädten eine Berufsfeuerwehr nötig haben und uns nicht mehr auf die früheren freiwilligen Feuerwehren allein verlassen können, so geht auch bei den Armeen der Zug der Zeit nach einer hochbeweglichen, hochqualifizierten Berufsarmee. Sie wird dann jeweils das Schwert sein, während der Schild dargestellt wird durch das, was aus bodenständigen Heimatverteidigungskräften aufgebaut werden kann, die in den Einzugsräumen des möglichen Gegners sehr schnell im wahrsten Sinne des Wortes Haus und Hof schützen.
In diesem Sinne halten wir nach wie vor an unserer Idealvorstellung fest: Eine hochbewegliche Armee von Berufssoldaten und längerdienenden Freiwilligen sollte das der NATO zur Verfügung stehende Schwert sein, während der Schild von einer Miliz gebildet werden sollte, für die man selbstverständlich eine Verpflichtung der Bürger braucht, eine kurzfristige Verpflichtung im Rahmen eines allgemeinen Verteidigungsdienstes. Dieser Schild, bestehend sowohl aus Reservisten in Uniform wie aus Verteidigern in Zivil, soll die Funktionsfähigkeit der neuralgischen Punkte, der Wasser- und Elektrizitätswerke, der Straßen, des Post- und Fernmeldewesens u. a. sicherstellen. Denn die Bevölkerung darf sich in einer solchen Situation nicht panikartig auf die Straßen ergießen und alle Bewegungen lähmen, wie das im Jahre 1940 nicht zuletzt auch zum Todeskampf der französischen Verbände geführt hat. Herr Kollege Heye hat das durch einzelne Beispiele aus dem Mechanismus einer modernen Armee unterstrichen. Herr Kollege Erler und der Herr Bundesverteidigungsminister haben außerdem einzelne Zahlen genannt. Ich kann mich hier auf die Feststellung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung beschränken. Die Bundesregierung selbst kommt dieser These, die wir vertreten, dadurch näher, daß sie bei einem Limit von 500 000 Mann, das ebenfalls nur noch Theorie ist, den Anteil der Berufssoldaten und länger dienenden Freiwilligen von 230 000 auf 300 000 Mann erhöht. Das heißt: sollten wir zu
500 000 Mann Höchststärke kommen, dann werden von fünf Soldaten immerhin drei Berufssoldaten und länger dienende Freiwillige sein. Bei der Marine und bei der Luftwaffe werden es von zehn neun sein, und beim Heer werden es von zehn sechs sein, also 90 % bei der Luftwaffe und Marine und 60 % beim Heer — ich nenne runde Zahlen — dürften dem Stand des Berufssoldaten und länger dienenden Freiwilligen angehören, weil weder in 12, wie Herr Kollege Heye richtig sagte, noch in 24 Monaten das technische Wissen vermittelt werden kann, das nun einmal in einer hochmodernen Armee nötig ist.
Nun ist hier davon gesprochen worden, daß am 1. April des nächsten Jahres die ersten Einziehungen erfolgen. Meine Damen und Herren, freiwillige Wehrpflichtige, das ist an sich eine contradictio in adjecto, das ist ein Widerspruch in sich. Seien wir doch ehrlich und erklären wir: die CDU/CSU hat sich entschlossen, aus gewissen Erkentnissen innerpolitischer Art mit der Einziehung echter Wehrpflichtiger bis zu den Bundestagswahlen zu warten und lediglich freiwillige Bewerber in der Zahl von 10 000 am 1. April 1957 in die Kasernen aufzufordern. Das ist dann nicht die Praktizierung des Wehrpflichtgesetzes, sondern das ist im Grunde genommen die Einberufung von länger dienenden Freiwilligen; denn es ist anzunehmen, daß ein großer Teil gerade dieser 10 000 von der Vergünstigung des § 1 a Gebrauch machen wird, den auch wir sehr unterstreichen. Wir wissen, daß Herr Kollege Jaeger, insbesondere aus seiner Kenntnis der österreichischen guten Erfahrung, diese freiwillige Verpflichtung für 18 Monate bejaht. Wir schließen uns völlig seinen Argumenten an. Viele der jungen Menschen werden aus dem Reiz der Technik der modernen Waffen sich dazu entschließen, länger zu bleiben, zumal dann, wenn sie außerdem für ihren längeren Dienst auch eine Abfindung bekommen, was ja in dem Soldatenversorgungsgesetz ebenfalls geplant ist.
Ich darf mich auf diese allgemeinen Bemerkungen zur dritten Lesung beschränken und erklären, daß die Fraktion der Freien Demokratischen Partei diesem Dienstzeitgesetz zustimmt, wenn auch das Wehrpflichtgesetz gegen ihren Entschluß in diesem Haus leider viel zu früh, in einer nicht perfektionierten Form und bei Fehlen der entsprechenden materiellen und psychologischen Voraussetzungen beschlossen wurde. Wenn ein solches Gesetz beschlossen und im Gesetzblatt verkündet ist, dann gebietet es die demokratische Regel, dieses Gesetz zu respektieren und in der Ausführung das Beste daraus zu machen. Wir sind dazu bereit.
Lassen Sie mich nunmehr auf einige Argumente eingehen, die der Herr Kollege Dr. Lenz hier in Ausweitung unserer militärpolitischen zu einer außenpolitischen Debatte gebracht hat.
Doch zuvor noch, um der historischen Wahrheit willen, eine Bemerkung zu der Bindungsklausel. Der Herr Bundesverteidigungsminister hat mit Recht erklärt, daß ursprünglich im Deutschlandvertrag eine Bindungsklausel war, d. h. das wiedervereinigte Deutschland sollte automatisch auch in der atlantischen Verteidigungsgemeinschaft Mitglied bleiben. Es ist den Vorstellungen insbesondere der Freien Demokraten zu verdanken, daß diese Bindungsklausel fiel und daß das wiedervereinigte Deutschland in seiner Entscheidung völlig frei ist und mit den Partnern dann in jene Verhandlungen eintreten muß, die sich aus der neuen Situation ergeben. Daß die Bindungsklausel fiel, ist nicht so sehr der Regierungspartei der CDU/ CSU zu verdanken, sondern in erster Linie den Freien Demokraten, die damals noch in der Regierungskoalition vertreten waren.
Es ist sehr wenig geschmackvoll, wenn man die Ereignisse in Ungarn und in Ägypten zu innerpolitischem Tageskampf zu mißbrauchen versucht.
Dazu sind sie viel zu tragisch, als daß die eine oder andere Partei in Deutschland sich anmaßen könnte, daraus ihren Wahlkampf bestreiten zu wollen.
Wir sind der Meinung, daß die Ereignisse — so, wie wir sie aus der Entfernung sehen — noch gar nicht, mit wenigen Ausnahmen, allgemeingültige Schlüsse zulassen. Noch gefährlicher ist es, wenn man alles Schwergewicht der Betrachtung nur auf das eine tragische Ereignis lenkt und geflissentlich versucht, aus irgendeiner falsch verstandenen Rücksichtnahme das andere Ereignis zu beschönigen. Für uns Freie Demokraten sind Recht und Menschlichkeit unteilbar. Wir beklagen die Opfer des Blutterrors von Budapest ebenso wie die toten Menschen in Ismaïlija und in Port Said.
Was hat sich aus den tragischen Ereignissen in Ungarn und Ägypten für die deutsche Politik ergeben? Eines steht fest: der alte Heraklit hat wieder einmal recht behalten; es ist alles in Bewegung gekommen. Niemand kann behaupten, er habe es vorausgesehen, er habe recht behalten. Wir alle haben uns geirrt, als wir glaubten, die Ostblockstaaten seien ein Block. Es hat sich vielmehr gezeigt, daß weder Polen noch Ungarn — über die anderen kann ich mir noch kein Urteil erlauben — als echte Satelliten und Blockpartner des Warschauer Paktes zu betrachten sind. Ja, es hat sich sogar das Phänomen ergeben, daß die Jugend, die zehn Jahre im Kommunismus erzogen wurde, ihre Erkenntnisse gegen den Kommunismus verwendet hat. Es hat sich gezeigt, daß die vormilitärische Ausbildung, die die jungen Ungarn und die jungen Posener erfahren haben, gerade gegen jene Panzer der Sowjettruppen angewendet wurden, denen sie beistehen sollten im Kampf gegen den sogenannten westlichen Imperialismus und Kapitalismus. Das ist wahrlich ein Phänomen! Der Warschauer Pakt hat durch diese Entwicklung seine Grundlage verloren. Denn ich kann mir nicht denken, daß die Sowjets ihrerseits auf die vormilitärische Ausbildung der mitteldeutschen Jugend und auf die vormilitärische Ausbildung der Jugend in den heute noch von ihnen besetzten Staaten weiterhin Wert legen werden, wenn sie befürchten müssen, daß ihnen eines Tages genau dasselbe geschehen kann, was sie in Budapest seitens der Budapester Jugend, der Studenten, der Arbeiter und später auch der Armee erleben mußten.
Aber auch die NATO ist in Mitleidenschaft gezogen worden, und niemand von uns darf so tun, als wenn die eigenwilligen Aktionen Englands und Frankreichs die NATO nicht in eine schwere Krise gebracht hätten. Ich empfehle Ihnen, doch einmal den Art. 1, den Art. 4, den Art. 5, den Art. 7 des NATO-Vertrags zu lesen, um festzustellen, wieweit diese eigenwillige Aktion Englands und Frank-
reichs einen Vertragsbruch darstellt, jene Aktion, die geschehen ist, ohne auch nur die Partner zu informieren. Lesen Sie auch den Art. VII des Vertrages der Westeuropäischen Union über das Konsultativrecht und die Konsultativpflicht, um zu erkennen, wie wenig auch das Konsultativrecht und die Konsultativpflicht der Westeuropäischen Union uns und den anderen gegenüber beachtet wurden! Erinnern Sie sich doch der dramatischen Worte des britischen Oppositionsführers Gaitskell, der am 4. November erklärte: „Wir stehen heute in England als Aggressor da! Wir haben alles verraten", so sagte Gaitskell, „wofür wir zehn Jahre eingetreten waren!" „Wir stehen heute als diejenigen da, die gegen den Beschluß der Vereinten Nationen Gewalt anwenden, die die Charta der Vereinten Nationen gebrochen haben!" Ja, er ging sogar so weit, zu erklären: daß die Engländer sich selbst durch ihre Aktion jene moralischen Waffen aus der Hand geschlagen haben, mit denen die ganze öffentliche Meinung gegen Budapest hätte auftreten können.
Aber die öffentliche Meinung war gespalten. Es wurde von der Tragödie von Budapest leider auch abgelenkt durch die nicht minderen Tragödien, die sich in Ägypten abgespielt haben. Daher wird zwangsläufig aus der Erschütterung der NATO einerseits und aus dem Verlust der Basis des Warschauer Paktes andererseits eine neue Bewegung in die Weltpolitik kommen.
Für uns Freie Demokraten die wir die Verträge bejaht haben — wir stehen auch heute noch zu unserem Ja —, waren diese Verträge niemals der Weisheit letzter Schluß! Wir stellen diese Verträge in die jeweilige allgemeine weltpolitische Lage, auch in die strategische Situation hinein. Und,
) meine Damen und Herren, wer leugnet es, daß seit 1955 etwas eingetreten ist, was uns im Jahre 1954 beim Abschluß der Verträge noch nicht sichtbar war! Es ist nämlich das atomare Gleichgewicht der beiden Weltblöcke eingetreten. Während der Westen, während die Amerikaner bis etwa Mitte 1955 im Besitz der atomaren Überlegenheit waren, d. h. sie allein das Geheimnis der Herstellung und des Einsatzes der nuklearen Waffen, insbesondere der Atombombe, besaßen, sind die Sowjets ab 1955 auch im Besitz jener nuklearen und thermonuklearen Waffen, die nicht mehr mit Flugzeugen, sondern durch Transkontinentalraketen über Kontinente hinweg geschossen werden können. Das ist doch der Hintergrund der ersten Genfer Konferenz, auf der man ganz anders miteinander sprach.
Wenn Sie mich fragen: Warum ist denn in der Gratwanderung zwischen Krieg und Frieden der dritte Weltkrieg gottlob noch einmal vermieden worden?, dann sage ich: Doch nur dadurch, daß der eine entscheidende Machtblock dieser Erde, Washington, durch seine Botschafter in London und Paris intervenierte und erklärte: Wenn ihr nicht baldigst den Feuereinstellungsbefehl gebt, können wir euch bei einer Zuspitzung der Situation und bei einer Erfüllung der Bulganinschen Drohung unsere Hilfe nicht zuteil werden lassen. Darum doch die rasche Feuereinstellung! Herr Eden wollte noch 36 Stunden Frist, Herr Mollet sagte: 12 Stunden. Man hat sich noch in der gleichen Nacht geeinigt, den Feuereinstellungsbefehl zu geben.
Die andere Weltmacht dieser Erde, ebenfalls im Besitz jener elektronisch gesteuerten Wasserstoffoder Atomraketen, hat gedroht, gegen Malta, Gibraltar und vielleicht sogar gegen Südengland zu schießen. Diese Raketenwaffen wären ohne Rücksicht auf die Neutralität gewisser Länder auch über Kontinente geflogen. Ein Beweis mehr, daß Neutralität im 20. Jahrhundert rein technisch nicht mehr haltbar ist, sondern man die Bündnissysteme so in sich verzahnen muß, daß im Rahmen solcher Bündnissysteme der Weltfrieden erreicht werden kann.
Auch wir bejahen darum jene Diskussionen, die gegenwärtig in den USA begonnen haben. Auch wir sind für eine Weiterentwicklung der beiden Paktsysteme. Wir glauben, daß eine Wiedervereinigung nicht kommen kann, wenn sich an der Elbe und Werra die beiden Paktsysteme auf Nahkampfentfernung gegenüberliegen, sondern erst dann, wenn es gelingt, die beiden gegenwärtigen Paktsysteme, die ihre vorderen Linien mitten in Deutschland haben, weiterzuentwickeln zu einem europäischen kollektiven Sicherheitssystem, dessen Partner sowohl der eine Gigant Washington wie der andere Gigant Moskau sein müßten und das man durch Hereinnahme der osteuropäischen und der westeuropäischen Staaten und durch Einklammerung des wiedervereinigten Deutschlands so ineinander verzahnen könnte, daß dann eine bessere Garantie des Weltfriedens gegeben wäre als gegenwärtig, vor allem dann, wenn man sich noch entschließt, die Vereinten Nationen zu stärken.
Wir Freien Demokraten befürworten, soweit es überhaupt in unserer Macht steht, die Aufstellung einer ständigen, einsatzbereiten Alarmtruppe der Vereinten Nationen, etwa in der Größe von 10 bis 25 Divisionen, die an den neuralgischen Punkten dieser Erde, wo sich Konfliktstoff ansammelt, stationiert werden könnten. Was wäre gewesen, wenn nicht ein so dynamischer Mann wie Hammarskjöld sich rechtzeitig zwischen die Streitenden in Ägypten gestellt und damit die Infiltration sowjetischer und rotchinesischer Freiwilliger verhindert hätte! Was wäre geschehen, wenn die Vereinten Nationen gezögert hätten!
Lassen Sie mich auch hier denen unseren Dank aussprechen, die durch ihre persönliche Initiative den Frieden zu wahren in der Lage waren. Es waren die Vereinten Nationen und es war nicht zuletzt die Politik der Vereinigten Staaten, die in der Krise dieser Welt mit einer Beständigkeit ohnegleichen alle diejenigen Lügen gestraft haben, die da erklärten, die Amerikaner seien Imperialisten und Kriegshetzer. Das ist jene bekannte Platte der sowjetzonalen kommunistischen Propaganda! Wenn jemals das Gegenteil bewiesen werden konnte, dann haben die Vereinigten Staaten mit ihrer festen und klaren Haltung, mit der sie sich streng an die Charta der Vereinten Nationen gehalten haben, dieses getan, ja, sie haben den Vereinten Nationen überhaupt erst den Rückhalt gegeben.
Lassen Sie mich daher mit einer Warnung abschließen! Der Wahlkampf hat schon begonnen! Jeder versucht recht zu behalten! Im Grunde genommen haben wir uns alle getäuscht und müssen alle von neuen Standpunkten aus eine neue Konzeption erarbeiten. Wir sollten dabei so weit wie möglich zusammenrücken, auch im Wahljahr 1957. Als gefährlich — nicht in ihrer Wirkung nach innen; denn wir verstehen, was gemeint ist; aber als gefährlich in iher Wirkung nach außen, weil es mißverstanden wird — sehe ich es an, wenn man ständig mit dem Schlagwort „Politik der Stärke" operiert und so tut, als müßte am deutschen militärischen Wesen die NATO genesen. Die eine Frage, die von einem Kollegen der CDU gestellt
wurde, deutete doch sehr auf diese Begriffsverwirrung hin. Es wurde gefragt: Glauben Sie nicht, daß 500 000 deutsche Soldaten den Sowjets gerade angesichts der Satellitensituation einen Respekt abnötigen könnten? Ich unterschätze wahrlich den deutschen Soldaten nicht; ich überschätze ihn schon lange nicht. Aber wer weiß, daß mit über 200 Divisionen die Sowjetunion nicht besiegt werden konnte, der wird sich hüten, aus den 12 deutschen Divisionen etwa eine Politik der Stärke gegenüber der Sowjetunion ableiten zu wollen. Wir sollten daher weniger von der Politik der Stärke reden als vielmehr von einer Politik der Hilfsbereitschaft des deutschen Volkes nach Ägypten und nach Ungarn hin und einer Politik der Wiedervereinigung im Wege internationaler Verhandlungen. Wir haben immer dann großes Unglück gehabt, wenn wir mit besonders starken Worten in die Geschichte eintreten wollten, von des Kaisers schimmernder Wehr, die jeden zerschmettern wollte, bis zum totalen Krieg. Sie erinnern sich noch des hysterischen Gebrülls im Berliner Sportpalast: „Wir wollen den totalen Krieg!" Beachten wir, daß ähnliche starke Formulierungen mißverstanden werden und daß die durchaus friedfertige Politik der Bundesrepublik draußen in der gegnerischen Propaganda ins Gegenteil verkehrt werden könnte.
Angesichts dessen, was Herr Kollege Dr. Lenz hier zu der außenpolitischen Situation zu sagen für richtig hielt, war es unser Recht, dazu ebenfalls unsere Stellungnahme dem Hause darzulegen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Reichstein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Kollegen Lenz veranlassen mich, zunächst darauf hinzuweisen, daß meine Fraktion den NATO-Verträgen zugestimmt hat und auch den Konsequenzen, die sich aus diesen Verträgen ergeben, einschließlich der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik. Man sollte, Herr Kollege Lenz, bei solchen Ausführungen auf die Details achten. Sie scheinen mir nicht richtig zu sein, besonders wenn man sie, wie ich annehme, als einer der Wahlkampfleiter der CDU für die nächsten Wahlen hier gemacht hat.
Wir empfinden es aus der Sache und wegen der Sache als eine sehr bittere Tragik, daß soviel Mißverständnis wie ein Bann über der Wehrgesetzgebung von Anfang an liegt, ein Bann und eine Tragik, von welchen auch die Bevölkerung, wie ich glaube, weit über ihr eigenes Denken hinaus berührt wird, ein Bann und eine Tragik, in welchen sich auch die Soldaten der Bundeswehr nicht glücklich fühlen können.
Es ist zu bedauern, daß besonders in wichtigen wehrpolitischen Fragen bei einer großen Mehrheit dieses Hauses eigentlich nur der Wechsel der Anschauung beständig ist. Man möge nicht vergessen, daß man durch häufigen Wechsel der Argumente Zweifel an der Glaubwürdigkeit dieser Argumente geradezu herausfordert. Auch in der Wehrpolitik sollte man der Überzeugung sein, daß Wahrheit und Klarheit weder durch stramme Haltung noch durch Weltanschauung ersetzt werden können.
Viele unserer Argumente finden wir heute als Argumente der Bundesregierung oder anderer Parteien wieder. Wir empfinden darüber nicht einmal eine Befriedigung, denn wir sehen in diesem Sospät-Kommen mit eine Ursache für die von mir eingangs erwähnte Tragik, die über der ganzen Wehrpolitik steht. Hätte man nach unserer Anregung die Wehrgesetzgebung mit der notwendigen, aus sich heraus notwendigen Systematik betrieben, hätte man nicht nur eine Verminderung vieler Schwierigkeiten mit Sicherheit erreicht, man hätte auch berechtigte Kritik in ganz erheblichem Maße abgeschwächt. Heute, meine ich, war es doch hier im Hause zu spüren, daß, hätte man die grundsätzliche Debatte nicht im Juli, sondern heute geführt, wahrscheinlich eine ganz andere Möglichkeit eines Sich-Näherkommens sich gefunden hätte.
Wir haben heute ein Gesetz zu beschließen, das die Dienstzeit der Wehrpflichtigen auf zwölf Monate beschränkt. Trotz aller schönen Worte, trotz aller Begründung und aller Argumente, die von derselben Seite immer da sind, können wir uns nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Problematik einer solchen Dienstzeitdauer immer noch besteht. Ich will gar nicht auf die auffallend enge Beziehung in der Dauer der Dienstzeit zum Lande Luxemburg hinweisen. Ich möchte der Hoffnung Ausdruck geben, daß die Erfahrungen, die man mit diesem Gesetz im Laufe der Zeit machen wird, den Erwartungen, die man an dieses Gesetz knüpft — daß der Ausgleich, wie man meint, durch längere und häufigere Übung erzielt wird —, entsprechen.
Im Laufe der Debatte hat das Problem der Teilnahme der Bundesrepublik an den NATO-Verträgen bei fast allen Rednern eine mehr oder weniger große Rolle gespielt. Ich will hier keine Wiederholungen bringen. Wir haben bei der Beratung des Wehrpflichtgesetzes unsere Stellung zu diesem Problem in aller Deutlichkeit und unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, und wir haben die damalige Äußerung des Herrn Kollegen Kiesinger sehr begrüßt, daß — für ihn wie für uns — die NATO kein Dogma sei. Wir sind der Meinung — das möchte ich in aller Offenheit und Deutlichkeit sagen —, daß, obwohl einige unserer Bündnispartner durch die Wahrnehmung nationaler oder vermeintlicher nationaler Interessen auf das gröblichste gegen Geist und Wortlaut der Verträge verstoßen haben, es unsere Pflicht ist, dieses System zu stärken, solange kein besseres, weil umfassenderes Sicherheitssystem an diese Stelle getreten ist.
Auch die Tragik Ungarns hat hier immer wieder eine Rolle gespielt. Erlauben Sie mir bitte, ein, wie ich meinen möchte, besinnliches und zum Nachdenken anregendes Wort auch zu dieser Frage zu sagen. Fest steht wohl eines — bei allen Unklarheiten, die immer noch über dieses Ereignis ausgebreitet sind —: daß Ungarns Jugend in ihrem Opfergang dem Weltkommunismus einen tödlichen Schlag versetzt hat. Aber Sie haben vielleicht heute nachmittag bei dem Gang zum Bundeshaus auf den Anschlagsäulen sehr große Plakate gesehen mit einem Panzer, dem Wort „Ungarn" und einer Mahnung, zu beherzigen, was dort geschehen sei. Ich habe den Eindruck, daß die einem solchen Plakat zugrunde liegenden Gedanken sich immer wieder auch hier in die Beratung über politische Probleme in diesem Hause einschleichen. Das scheint mir nicht sehr gut zu sein. Ist nicht eine Gefahr ge-
geben, wenn man aus Haß und Abscheu über Gewaltanwendung, über das Verhalten der sowjetischen Politik auch hier Politik machen will? Enthält das nicht die Gefahr, daß man in der gegenteiligen Situation ein freundliches Lächeln überbewerten könnte, um auch daraus politische Folgerungen zu ziehen?
Herr Kollege Kiesinger hatte die Befürchtung, es habe uns in Fulda ein Ostwind allzu arg um die Nase geweht. Nun, Herr Kollege Kiesinger, ich möchte hier feststellen: Wir haben eine feste Haltung gegenüber der sowjetischen Auffassung von der Lebens- und Staatsform, gegenüber dem sowjetischen Imperialismus, und eine feste Haltung in unserer Einstellung in bezug auf die Abwehr dieser Gefahr. Ich meine, eine solche Haltung hat man, oder man hat sie nicht.
Aber sie wird durch solche Ereignisse nicht so maßgeblich beeinflußt, wie es bei vielen der Fall zu sein scheint.
Eine solche Grundhaltung, hoffe ich, haben wir gemeinsam mit allen Menschen, die die Freiheit lieben, und eine solche Grundhaltung kann weder durch ein Lächeln noch durch brutale Gewaltanwendung im Kern berührt werden. Wir sind deshalb auch der Meinung, daß sich die frei gebliebenen Völker zum Schutze der freien Welt zusammenschließen müssen, aber nicht in einer Politik, die dem Gefühl nachgeht, auch in keiner Politik der Stärke, sondern in einer Politik der Sicherheit, die sich nur auf nüchterne Überlegung und Feststellung der Tatsachen beziehen kann.
Ich glaube, daß dieses Haus auch in diesem Zusammenhang ein Wort Talleyrands beherzigen sollte: „Entrüstung ist keine politische Haltung."
Durch das vorliegende Gesetz wird, wenn es angenommen wird — woran ja nicht zu zweifeln ist —, das Gesetz über die allgemeine Wehrpflicht in vollem Umfange anwendbar. Bis zum praktischen Wirksamwerden ist zweifellos noch ausreichend Zeit, viele der von uns in der zweiten und dritten Lesung genannten Gründe gegen unsere Zustimmung zu dem Gesetz auszuräumen, ist insbesondere, so nehmen wir an, hinreichend Zeit, auf dem Gebiete der sozialen Gesetzgebung, sowohl der die Bundeswehr direkt betreffenden als auch im allgemeinen, viele Schwierigkeiten, die noch bestehen, auszuräumen, besteht immer noch die Möglichkeit, das unglücklicherweise noch ungelöste Problem der noch in Kriegsgefangenschaft befindlichen Väter der Söhne, die wir jetzt einziehen werden, zu lösen.
Durch die Anwendbarkeit dieses Gesetzes werden wir — auch das sollte man sehr ernst berücksichtigen — für eine andere Mächtegruppe, der gegenüber wir bisher politische Gegner waren, nun politische und militärische Gegner. Ich meine, daß uns vor allem die Pflicht zum ausreichenden Schutz, insbesondere der Zivilbevölkerung, auferlegt. Unsere eigene Auffassung ist seit je gewesen, daß wir ein Bündnissystem und Soldaten nur zum Schutz unseres freien Lebens haben wollen. Die Äußerungen des neuen NATO-Oberbefehlshabers über die vermutliche Anwendung gewisser Waffen im Falle eines Konflikts zeigen, wie notwendig es ist, sich auf einen Schutz der Zivilbevölkerung einzurichten. Hier — das ist ein offenes Geheimnis —, sind die bisher getroffenen Maßnahmen nicht nur völlig unzureichend, sondern überhaupt nicht zu verantworten.
Wenn wir diesem Gesetz in klarer Verfolgung der Einstellung, die wir zu diesen Fragen von Anfang an haben, zustimmen, dann tun wir das auch in der Hoffnung und Erwartung, daß auf dem von mir genannten Gebiet der Bemühungen, einen ausreichenden Schutz für die Zivilbevölkerung zu schaffen, die Bundesregierung und insbesondere auch der Verteidigungsminister eine glücklichere Hand haben werden, damit wir wenigstens in dieser Frage, die die gesamte Bevölkerung betrifft, frei bleiben von der Tragik, die über unserer Wehrgesetzgebung bisher noch liegt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir sind damit am Schluß der Debatte, da weitere Wortmeldungen nicht vorliegen.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe auf das gesamte Gesetz einschließlich Einleitung und Überschrift. Zur Abstimmung in dritter Beratung bitte ich alle diejenigen, welche dem Gesetz in der Ausschußfassung zustimmen, sich zu erheben. — Dann bitte ich um die Gegenprobe. — Danke. Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; das Gesetz ist in dritter Lesung angenommen.
Ich bitte damit einverstanden zu sein, daß wir Punkt 5 der Tagesordnung vorab beraten; es wird, wie ich schätze, nur zwei Minuten ciauern:
Zweite Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wirtschaftsstrafgesetzes 1954 ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik (Drucksache 2891 Nr. 2).
Es handelt sich hier um einen Beschluß, der bei der Beratung der Änderung des Wirtschaftsstrafgesetzes hatte ausgesetzt werden müssen, weil nicht sicher war, ob die endgültige Auszählung der namentlichen Abstimmung das gleiche Ergebnis wie die vorläufige haben würde. Dieser ist jetzt nachzuholen. Die endgültige Auszählung hat das gleiche Ergebnis gehabt. Das Gesetz ist mit vier Stimmen Mehrheit angenommen worden, und damit ist der Antrag des Ausschusses, der dahin geht, die weiter vorhandene Vorlage der SPD als durch die Beschlußfassung erledigt zu erklären, spruchreif. Wer für diesen Antrag des Ausschusses ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Dann ist dieser Beschluß gemäß dem Antrag Drucksache 2891 Nr. 2 hiermit gefaßt.
Ich rufe auf Punkt 4 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Landbeschaffung für Aufgaben der Verteidigung (Drucksache 1977);
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung
Berichterstatter ist Abgeordneter Dr. Schranz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Bericht liegt schriftlich vor.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Berichterstatter verweist auf seinen Schriftlichen Bericht*). Ich danke ihm.
Ich rufe dann die einzelnen Bestimmungen in der zweiten Lesung auf.
Ich rufe auf § 1. Hierzu liegen Änderungsanträge vor auf den Umdrucken 852 Ziffer 1, 865 Ziffer 1 und 867. Der Antrag Umdruck 852 Ziffer 1 möchte dem Abs. 2 Satz 2 eine neue Fassung geben. Der Antrag Umdruck 865 Ziffer 1 sieht für den gesamten Abs. 2, also nicht nur für den Satz 2, eine neue Fassung vor. Der Antrag Umdruck 867 bezieht sich auf Abs. 3.
Ich rufe zunächst als weitestgehenden Antrag den Änderungsantrag Umdruck 865 Ziffer 1**) auf. Das Wort hat der Abgeordnete Schmitt .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Änderungsantrag meiner Fraktion zu § 1 Abs. 2 beruht auf der in der deutschen Öffentlichkeit hinreichend bekannten Tatsache, daß die heutigen Stationierungsmächte während der Zeit des Besatzungsregimes in sehr großem Umfange Land, ich will ruhig einmal sagen: gehortet haben. Wir werden uns an anderer Stelle dieses Gesetzes, bei § 61 Abs. 2, noch einmal mit dieser Tatsache bzw. mit ihren Auswirkungen zu beschäftigen haben. Wir haben uns sowohl im Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung als auch im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit dieser Frage sehr eingehend beschäftigt. Ich darf Ihnen zu unserem Antrag einige Zahlenangaben machen, damit Sie sehen, daß er sachlich berechtigt ist. Der bundeseigene Landbesitz beläuft sich zur Zeit auf etwa 265 000 ha; das ist die letzte Angabe im Ausschuß. Davon wurden etwa 200 000 ha von der ehemaligen deutschen Wehrmacht benutzt. Nach dem letzten Ausschußbericht nutzen die Stationierungsmächte von diesen 200 000 ha militärisch 195 000 ha. Zusätzlich werden 110 000 ha in Anspruch genommen.
Für 500 000 Soldaten der früheren deutschen Wehrmacht im Jahre 1937 hat im Bundesgebiet ein Übungsgelände von 230 000 ha genügt. Meine Damen und Herren, wir sind uns doch darüber klar, daß die ehemalige deutsche Wehrmacht bei den Landinanspruchnahmen auch nicht kleinlich gewesen ist, sondern daß man schon damals bei der Anlegung von Truppenübungsplätzen und Kasernen sehr weitgehend landwirtschaftlich genutztes Gelände in Anspruch genommen und durchaus keine Rücksicht auf die Belange der Landwirtschaft genommen hat, obwohl man diese Rücksicht nach außen immer zum Ausdruck gebracht hat. Ende 1957 wird die benötigte Fläche — ich unterstelle einmal: bei 120 000 deutschen Soldaten und bei
*) Siehe Anlage 3. **) Siehe Anlage 10.
etwa 350 000 Angehörigen der Stationierungsmächte — viel größer sein, weil die Allierten vor allem für Munitionslager, Flugplätze usw. eine sehr große Fläche beanspruchen. Die Klagen aus der Bevölkerung über die von den Alliierten nicht oder nicht genügend genutzten Grundstücke reißen nicht ab.
Außerdem müssen wir auch verlangen, daß die Einrichtungen, die von den Alliierten in den Jahren, als es noch keine deutschen Streitkräfte gab, angelegt worden sind, in Zukunft gemeinsam von der Bundeswehr und von den alliierten Streitkräften benutzt werden. Die kürzlich von der Bundesregierung gegebene Auskunft, daß man über entsprechende Genehmigungen in weitem Umfang verhandelt, genügt uns nicht. Schließlich bestehen auch noch in den Nachbarländern große Übungsplätze, deren Benutzung und Mitbenutzung verstärkt werden kann.
Wir bitten deshalb im Hinblick auf die immer kleiner werdenden landwirtschaftlich genutzten Flächen um Annahme unseres Antrags, damit die Bundesregierung gehindert wird, zusätzlich Land in Anspruch zu nehmen, das in Wirklichkeit nicht benötigt wird, weil noch große Reserveflächen sowohl bei den Stationierungsmächten wie auch im bundeseigenen Besitz vorhanden sind.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Atzenroth.
Meine Damen und Herren, ich will keinen Antrag stellen, aber ich habe eine Frage an den Herrn Berichterstatter zu richten. In dem § 1 heißt es nach der Formulierung, die der Ausschuß gefunden hat:
Der Bund kann nach Maßgabe der Vorschriften dieses Gesetzes Grundstücke beschaffen...
und dann folgt eine Aufzählung der Nrn. 1 bis 5. Diese Aufzählung war in der Regierungsvorlage gleichmäßig. Der Ausschuß dagegen hat unter Nr. 2 dieser Aufzählung die beiden Worte „insbesondere auch" hinzugesetzt. Weder aus dem Ausschußbericht noch aus den sonstigen Unterlagen geht hervor, mit weicher Begründung man diese Nr. 2 durch die Worte „insbesondere auch" von den anderen vier Nummern heraushebt. Man muß sich doch dabei etwas gedacht haben, und ich wäre dem Herrn Berichterstatter dankbar, wenn er uns darüber Aufklärung gäbe.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat als Berichterstatter Herr Dr. Schranz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben damit, Herr Kollege Atzenroth, einem Wunsch des Bundesrates entsprochen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung.
Wie ich schon sagte, ist meiner Ansicht nach der Antrag auf Umdruck 865*) Ziffer 1 der weitestgehende Antrag, also der Antrag, den der Kollege Schmitt begründet hat. Wenn er angenommen wird, wird der ganze Abs. 2 in der Ausschußfas*) Siehe Anlage 10.
sung dadurch verändert, daß er die im Umdruck 865 Ziffer 1 vorgesehene Fassung erhält. Ich bitte diejenigen, die für den Antrag auf Umdruck 865 Ziffer 1 zu stimmen beabsichtigen, um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das Ergebnis ist unklar; wir wiederholen die Abstimmung. Ich bitte diejenigen, welche für den Antrag auf Umdruck 865 Ziffer 1 zu stimmen wünschen, sich zu erheben. — Ich danke Ihnen. Ich bitte um die Gegenprobe. — Ich bitte Platz zu nehmen. Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen dann zum Antrag auf Umdruck 852**) Ziffer 1. Hier ist vorgeschlagen, in Abs. 2 nur einen Satz, nämlich den Satz 2, anders zu fassen. Ich bitte diejenigen, welche für diesen Antrag, also für die Änderung nur des Satzes 2 im Abs. 2 zu stimmen wünschen, um das Handzeichen.
— Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen?
— Angenommen.
Wir kommen dann zum Abs. 3. Hier liegt auf Umdruck 867***) ein Antrag vor, nach dem der zweite Satz im Abs. 3 folgende Fassung erhalten soll: „Weicht der zuständige Bundesminister von der Stellungnahme der Landesregierung ab, so entscheidet die Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Bundesrat". Ich bitte diejenigen, welche für diesen Antrag zu stimmen wünschen, — —
— Verzeihung! Das Wort hat der Staatssekretär im Bundesministerium des Innern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen ) und Herren! Die Bundesregierung bittet, den Antrag abzulehnen. Sie hat verfassungsrechtliche Bedenken, weil damit dem Bundesrat eine nach dem Grundgesetz nicht vorgesehene Aufgabe zugeteilt würde.
Die Bundesregierung darf ferner darauf hinweisen, daß der § 1 Abs. 3 in der Fassung des 8. Ausschusses mit der entsprechenden Bestimmung des Schutzbereichgesetzes übereinstimmt, deren Fassung seinerzeit im Vermittlungsausschuß erarbeitet worden ist. Es erscheint der Bundesregierung unzweckmäßig, bei gleicher Sachlage von der dort gefundenen Regelung abzuweichen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, eigentlich hätte ich diese Äußerung nicht mehr zulassen dürfen, denn wir waren bereits in der Abstimmung.
— Die Debatte war geschlossen, wir hatten mit der Abstimmung begonnen.
— Natürlich, ich habe alle Anträge aufgerufen, dann habe ich die Debatte eröffnet, dann haben zwei Herren gesprochen, der Berichterstatter hat gesprochen, und dann war es aus.
Wir sind in der Abstimmung. Ich habe jetzt die Frage an Sie zu richten, ob Sie, nachdem der Vertreter der Regierung gesprochen hat, bereit sind, nun noch einen Antragsteller zu dem Antrag auf
**) Siehe Anlage 6.
***) Siehe Anlage 12.
Umdruck 867 zu hören. Darf ich Ihre Zustimmung annehmen?
— Dann hat Herr Kollege Weber das Wort.
— Ja, hier ist mir zugerufen worden: Ja!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Durch den Änderungsantrag auf Umdruck 867*) soll eine nach dem Gesetzentwurf fragliche Rechtslage geklärt werden. In Abs. 2 des § 1 in der Ausschußfassung heißt es:
Sollen Grundstücke für die in Absatz 1 genannten Zwecke beschafft werden, so ist die Landesregierung zu hören, die nach Anhörung der betroffenen Gemeinde ... unter ... Berücksichtigung der Erfordernisse der Raumordnung, insbesondere der landwirtschaftlichen und wirtschaftlichen Interessen sowie der Belange des Städtebaues und des Naturschutzes, zu dem Vorhaben Stellung nimmt.
In Abs. 3 des § 1 wird gesagt:
Will der zuständige Bundesminister von der Stellungnahme der Landesregierung
— die die Gemeinden, die Städte sowie die Organisationen und Körperschaften angehört hat —
abweichen, so unterrichtet er die betreffende
Landesregierung vor seiner Entscheidung.
Und damit Schluß. Das bedeutet, daß der Bundesminister dann seine Entscheidung treffen kann, ohne daß die Gewichte und die Kräfte ausgewogen sind. Das ist eine Rechtslage, die keinem demokratischen Staat entspricht. Schauen wir in der Geschichte zurück! Friedrich der Große konnte die Mühle von Sanssouci nicht wegnehmen, weil die Rechtsgrundlage dazu nicht gegeben war. Wir würden hier eine solche Rechtsgrundlage schaffen. Dem will dieser Änderungsantrag entgegentreten. Nicht der zuständige Bundesminister soll das letzte Wort haben, sondern das Kabinett, die Bundesregierung, soll im Einvernehmen mit den Ländern entscheiden. Damit ist der Ring wieder geschlossen. Ich glaube, daß der Wortlaut des Änderungsantrages das klar ersichtlich macht.
Ich möchte Sie dringend bitten, diesem Änderungsantrag zuzustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Debatte ist nun endgültig geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Umdruck 867*). Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe den § 1 in der geänderten Fassung auf. Wer dem § 1 in dieser Fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Angenommen.
Ich rufe § 2 auf. Anträge liegen nicht vor. Ich eröffne die Debatte. — Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte.
*) Siehe Anlage 12.
Wer den § 2 in der Ausschußfassung anzunehmen bereit ist, den bitte ich um das Handzeichen.
— Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen?
— Angenommen.
Nunmehr, meine Damen und Herren, wird es etwas schwierig. Der § 3 sieht vor, daß demjenigen, dessen Grundstück enteignet werden soll, gewisse Mitteilungen und Belehrungen über seine Rechte zukommen sollen. Welche Rechte er hat, steht aber erst in § 23. Zu beiden Paragraphen liegen Änderungsanträge vor. Da aber logischerweise die Rechte vorher festgestellt sein müssen, ehe festgestellt werden kann, welche Belehrung über den Inhalt der Rechte dem Betroffenen zugehen soll, muß ich also bitten, damit einverstanden zu sein, daß zunächst der § 23 nebst den dazu gestellten Änderungsanträgen behandelt wird.
Ich rufe also den § 23 auf. Dazu liegen Änderungsanträge vor auf Umdruck 848**) Ziffer 2 a und 2 b und auf Umdruck 852***) Ziffer 3. Wir werden uns darüber zu unterhalten haben, welches der weitergehende Antrag ist.
Ich darf auf folgendes aufmerksam machen. Der Änderungsantrag auf Umdruck 852 Ziffer 3 sieht eine Fassung vor, die mit folgenden Worten beginnt:
Wird ein Grundstück enteignet, so kann der Eigentümer verlangen, daß . . .
Damit wird also, wenn ich den Antrag richtig interpretiere, ein Anspruch begründet. In Umdruck 848 Nr. 2 a heißt es: Abs. 1 erhält folgende Fassung:
Bei Enteignung eines Grundstücks kann auf Antrag dem Eigentümer Ersatzland gewährt werden, wenn . . .
Diese Formulierung „kann gewährt werden" gibt der zuständigen Behörde eine Möglichkeit, nach Ermessen zu entscheiden, während der andere Antrag dem Betroffenen ein Recht gibt. Er scheint mir also weiter zu gehen. Ich wollte das nur vorausschicken, um zu sagen, wo die Schwierigkeiten bei der Verabschiedung dieses Paragraphen liegen.
Ich stelle nun den § 23 und die aufgerufenen Anträge zur Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Schmitt !
Nur zu der Frage, Herr Präsident, welches der weitergehende Antrag ist. Daß der SPD-Antrag zu § 23 Abs. 2 weiter geht, weil er die Streichung der Worte „wenn es zu angemessenen Bedingungen beschafft werden kann" wünscht, ist unstreitig. Das ist ja eine entscheidende Einschränkung, die in der CDU-Formulierung enthalten ist, so daß in jedem Fall unser Antrag der weitergehende ist. Ich glaube, das ist unbestritten, zumal Abs. 2 bereits in der Fassung des Ausschusses eine Muß-Vorschrift ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, ich hatte zu Abs. 1 gesprochen! Zu Abs. 2 komme ich anschließend. Bei den Anträgen zu Abs. 2 — das kann ich Ihnen gleich sagen — ist die Sache klar in Ihrem Sinn.
Zu Abs. 1 wollte ich noch bemerken, daß auch dort bei uns die
**) Siehe Anlage 4. **) Siehe Anlage 6.
Worte ,,zu angemesenen Bedingungen", die für die Regierung praktisch ein Ausweg sind, dem vorgesehenen Verlangen nicht nachzukommen, gestrichen sind. Wir sind deshalb der Auffassung, daß diese Fassung weitergehend ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wird das Wort weiter gewünscht? — Ich habe sämliche Anträge, die ich aufgerufen habe, auch zur Debatte aufgerufen. — Bitte, Herr Kollege!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Koalitionsfreunde und ich vertreten die Ansicht, daß wir dem Staate zu geben haben, was des Staates ist, daß aber auch der Staat, d. h. in diesem Fall der Bund, in diesem Gesetz 'den Betroffenen — und das sind die Bauern — ihr Recht zu geben hat. Infolgedessen haben wir uns bei der Planung dafür ausgesprochen — und in diesem Gesetz entsprechend präzisiert —, daß der Bundeswehr das nötige Land von den Bauern zur Verfügung zu stellen ist. Der Bund soll nach diesem Gesetz den betroffenen Bauern aber auch das entsprechende Ersatzland oder die entsprechende gerechte Entschädigung geben. Daher haben wir den Antrag eingebracht, zu bestimmen, daß derjenige, dem ein Grundstück enteignet wird, Entschädigung teilweise oder ganz in Land verlangen kann. Es ist also eine Muß-Vorschrift, wogegen der Beschluß des 8. Ausschusses lautet „es kann gewährt werden". Ich bitte Sie deshalb, meine Damen und Herren, dem Antrag der Koalition stattzugeben und den Antrag der SPD abzulehnen.
Bei Abs. 2 handelt es sich in der Hauptsache um verpachtete Betriebe, die landwirtschaftlich oder gärtnerisch genutzt werden. Bei der Fassung dieses Paragraphen ist ein Fehler unterlaufen. Es darf nicht heißen „Familienbetrieb", sondern es muß einfach heißen „Betrieb". Familienbetriebe sind kleine Betriebe, die nur von Familienangehörigen bewirtschaftet werden. Hat also ein mittlerer Bauer einen Betrieb, in dem er auch einen Angestellten oder einen Arbeiter beschäftigt, dann ist das genau genommen kein Familienbetrieb mehr. Dieser verpachtete Betrieb würde also schlechter gestellt sein als der Betrieb, den der Bauer persönlich bewirtschaftet. Infolgedessen muß es hier einfach „Betrieb" heißen. Ich bitte, entsprechend zu verfahren und den Antrag anzunehmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, darf ich das so verstehen, daß in Ihrem Antrag Umdruck 852 Ziffer 3 zu § 23 Abs. 2 — den Sie soeben begründet haben —, wo das Wort „Familienbetriebe" wieder vorkommt, die Silben „Familien" gestrichen werden sollen? — Sind die antragstellenden Fraktionen damit einverstanden?
— Gut. Dann bitte ich also, in diesem Antrag an der genannten Stelle die Silben „Familien" zu streichen, so daß es in der dritten Zeile des beantragten § 23 Abs. 2 nur heißt „Betriebe".
Wird sonst noch das Wort gewünscht? — Bitte, Herr Kollege Schmidt!
Meine Damen und Herren! Ich spreche zur Begründung des Änderungsantrags Umdruck 848 Ziffer 2.
Der § 23 ist neben den §§ 1 und 17 einer der Kernpunkte im ganzen Landbeschaffungsgesetz. Er hat in den Ausschüssen ein sehr wechselvolles Schicksal gehabt. Er ist zum Teil einmal vom Innenausschuß sogar in der Formulierung des Ernährungsausschusses angenommen worden. Allerdings wurde diese Abstimmung nachher rückgängig gemacht, und wir haben heute eine Fassung vorliegen, die im großen und ganzen untragbar erscheint.
Im Abs. 1 des § 23 ist die Entschädigung in Land vom Ermessen der Enteignungsbehörde abhängig gemacht, ebenso die Entscheidung der Frage, ob das Land zu angemessenen Bedingungen beschafft werden kann. Ich meine, schon aus grundsätzlichen Erwägungen kann man dem nicht zustimmen. Man würde damit gewissermaßen den Richter in eigener Sache entscheiden lassen. Das, was hier der Innenausschuß beschlossen hat, würde wahrscheinlich einen unendlichen Flurschaden anrichten. Wir müssen also dafür sorgen, daß diese Bestimmung herauskommt.
Zum andern ist die Ersatzlandbeschaffung davon abhängig, daß das Land zu angemessenen Bedingungen beschafft werden kann. Diese Bestimmung „zu angemessenen Bedingungen" ist so vage und gibt der Behörde so große Ausweichmöglichkeiten, daß in der Praxis eine Ersatzlandbeschaffung überhaupt nicht in Frage kommen wird. Weil wir das befürchten, beantragen wir, daß der Passus „ , wenn es zu angemessenen Bedingungen beschafft werden kann" gestrichen wird.
— Sehr richtig! Wir greifen ja, Herr Kollege Conring, nur das auf, was der Ernährungsausschuß einstimmig, also mit den Stimmen Ihrer Kollegen beschlossen hat. Wir hoffen, daß Sie nachher mit auf unserer Seite sind.
In § 23 Abs. 2 ist die Ersatzlandgestellung für die bäuerlichen Familienbetriebe, d. h. für die Klein- und Mittelbetriebe geregelt. Hier gibt es eine Muß-Bestimmung. Aber diese Muß-Bestimmung wird wieder illusorisch gemacht durch den angehängten Halbsatz „wenn es" — das Land —zu angemessenen Bedingungen beschafft werden kann". Das heißt, es ist eine Farce, ein sinnloses Versprechen. Unser Berichterstatter irrt, wenn er in seinem Bericht schreibt, daß damit ein echter Rechtsanspruch gegeben sei. Das ist ein absoluter Irrtum. Es ist nur ein sehr, sehr bedingter Rechtsanspruch. Aus diesem Grunde beantragen wir, diesen Nebensatz zu streichen.
In Folgerung dessen, was ich eben gesagt habe, ist dann der Abs. 3 überflüssig.
Nun noch eine allgemeine Bemerkung zu § 23! Als der Innenausschuß darüber abstimmte, stand er unter dem Eindruck der sehr massiven Erklärungen des Vertreters des Finanzministers, der nämlich davon sprach, daß bereits heute auf dem Grundstücksmarkt große Preissteigerungen zu verzeichnen seien und daß dieser Paragraph in der Fassung des Ernährungsausschusses dazu führen würde, daß weitere Preissteigerungen einträten. — Das ist falsch, das kann man nicht abnehmen, und zwar deshalb nicht, weil die Preissteigerungen — die in der Tat vorhanden sind — ja auch durch den Finanzminister betrieben werden. Er beteiligt sich nämlich an diesen Preissteigerungen in sehr erheblichem Maße. Im übrigen weise ich Sie darauf hin, daß die Mehrheit beschlossen hat, die Preisvorschriften aufzuheben, und im neuen Grundstücksverkehrsgesetz tut sie das gleiche. Wenn man also selber an der Beseitigung der Regulative beteiligt ist, kann man sich nicht wundern, wenn ein zügelloses Durcheinander entsteht.
Wir wollen also — um das zusammenfassend zu sagen — mit unserem Änderungsantrag den Appetit der militärischen Stellen etwas dämpfen, der durch falsche Vorbilder in der letzten Zeit sehr groß geworden ist. Wir wollen darüber hinaus den knappen Raum, den wir in Deutschland für unsere Landwirtschaft zur Verfügung haben, erhalten, insbesondere aber die bäuerlichen Existenzen erhalten. Das ist unser Anliegen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Höcherl hat das Wort.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann den Ausführungen meines Vorredners nicht beipflichten. Entscheidend ist doch folgendes. Unser Änderungsantrag Umdruck 852 zu § 23 Abs. 1 gibt etwas, wie der Herr Präsident schon ausgeführt hat, was bisher überhaupt nicht vorgesehen war: einen echten Rechtsanspruch. Damit ist alles, was auf diesem Gebiet für die Ersatzlandbeschaffung. für die Erhaltung des bäuerlichen Grundeigentums möglich ist, unter angemessener Berücksichtigung des anderen Zwecks dieses Gesetzes, nämlich die Verteidigungsaufgaben ordentlich und vertragsgetreu zu lösen, getan. Ich möchte Sie bitten, unserer Formulierung zuzustimmen. In Antrag Umdruck 848 ist nämlich für den Abs. 1 nur eine Kann-Vorschrift vorgesehen, die bei weitem schwächer als unsere Fassung ist.
Wenn ich nun auf der einen Seite eine stärkere Fassung habe und die Aussichten und die Möglichkeiten für den Landwirt, der Grundstücke abgeben muß, verbessere, muß ich andererseits dem zweiten, dem eigentlichen Sinn des Gesetzes wieder gerecht werden und muß die Einschränkung machen, daß angemessene Bedingungen die Voraussetzung dafür sind, daß das Ersatzland beschafft werden kann. Der Abs. 3 ist deswegen notwendig.
Ich würde Sie bitten — um den Gesetzeszweck zu erreichen und gleichzeitig dem Landwirt und dem Bauern das zu geben, was er braucht: einen echten Rechtsanspruch —, unserem Antrag Umdruck 852 Ziffer 3 zu entsprechen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Staatssekretär von Lex.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung bittet, den Antrag Umdruck 848, über den zur Zeit diskutiert wird, abzulehnen. Die Worte „angemessene Bedingungen" müssen erhalten bleiben, weil sonst der Anspruch auf Ersatzlandbeschaffung in einem Umfang ausgedehnt würde, daß eine Realisierung der Landbeschaffung dadurch unmöglich gemacht würde. Im übrigen würden daraus auch unabsehbare finanzielle Folgen für den Bund sich ergeben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Herr Abgeordneter Professor Baade.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Staatssekretärs veranlassen mich, hier das Wort zu nehmen und insbesondere die landwirtschaftlichen Kollegen aus dem ganzen Hause anzusprechen. Worum handelt es sich? Es ist, wie mein Freund Schmitt schon festgestellt hat, reichlich, ja überreichlich Land für Aufgaben der Verteidigung vorhanden, insbesondere das Land, das die heutigen Stationierungsmächte und früheren Besatzungsmächte zu einer Zeit beschlagnahmt haben, als Deutsche kein Mitspracherecht in diesen Dingen hatten. Der Fall, daß jetzt weiter enteignet werden muß, ist daher nur außerordentlich schwer denkbar. An und für sich kann der gesamte Landbedarf der neuen Streitkräfte in Deutschland aus dem Land gedeckt werden, das die frühere deutsche Armee dafür gehabt hat, zuzüglich der 110 000 ha, die die Besatzungsmächte noch den Bauern weggenommen haben. Sie wissen, wie schmerzlich diese Landwegnahmen waren und zu welchen Protesten sie geführt haben. Nun wollen wir wenigstens den Bauern gegen weitere Enteignung schützen, und zwar gegen Enteignung, bei der die Gestellung von Ersatzland unter dem Vorwand verweigert wird, daß das Ersatzland nicht zu angemessenen Bedingungen beschafft werden kann.
Ich darf ankündigen, daß wir unseren vorhin abgelehnten Antrag zu § 1 in der dritten Lesung wieder stellen werden. Ich werde dann noch einiges dazu sagen. Jetzt aber bitte ich insbesondere die landwirtschaftlichen Kollegen, die im landwirtschaftlichen Unterausschuß sämtlich mit uns für die Streichung dieser Worte eingetreten sind, uns bei dieser Abstimmung nicht im Stich zu lassen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Glasmeyer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu dem Antrag der SPD Umdruck 848 Ziffer 2 b sprechen, in Abs. 2 die Worte ,,, wenn es zu angemessenen Bedingungen beschafft werden kann" zu streichen. Es stimmt zwar, daß der Landwirtschaftsausschuß diese Worte gestrichen hat; es stimmt aber ebenso, daß der federführende Ausschuß, der Ausschuß Nr. 8, sie so hineingesetzt hat. Im Ausschuß für innere Verwaltung hat sich eine scharfe Debatte darüber ergeben, was „angemessen" ist. Es wurde gesagt: Gut, was betrieblich zu tragen ist! Dagegen habe ich persönlich Einspruch eingelegt, und wir haben dann in § 23 Abs. 3 — Herr Kollege Schmitt! — das Wörtchen „volkswirtschaftlich" vor „vertretbar" eingefügt. Die Bestimmung lautet nämlich folgendermaßen:
Die Bedingungen für die Beschaffung von Ersatzland sind angemessen, wenn die Kosten der Beschaffung und einer etwa erforderlichen Herrichtung des Ersatzlandes volkswirtschaftlich vertretbar sind.
Was ist nun „volkswirtschaftlich vertretbar"? Volkswirtschaftlich vertretbar ist z. B. die Kultivierung von Hochmoorflächen. Volkswirtschaftlich vertretbar ist die Eindeichung und die Anlage von Poldern an der Nordsee usw. Die sind nicht betrieblich vertretbar, aber volkswirtschaftlich vertretbar. Hingegen würde es z. B. volkswirtschaftlich nicht vertretbar sein, wenn meinetwegen ein Grundstück in einer Größe von zehn Morgen als
Ersatzland bezeichnet würde, auf dem sich ein Berg mit einer Höhe von 30 Metern befindet. Die Kultivierung dieses Grundstücks ist nicht volkswirtschaftlich. Wenn sich dies auf eine große Fläche von 100 ha bezieht, ist es volkswirtschaftlich vertretbar. Wir wollten also den Staat davor schützen, für irgendeinen Zweck eine unendliche Menge Geld auszugeben, und das ist geschehen. Darum möchte ich noch einmal bitten, die Anträge der SPD abzulehnen und die Anträge der Koalition anzunehmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich stelle als den weitestgehenden Antrag zu § 23 Abs. 1 zunächst den Antrag Umdruck 852*) Ziffer 3 zur Abstimmung. Wer für die Fassung des Abs. 1 nach diesem Antrag ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Angenommen.
Wir kommen zu dem Antrag zu Abs. 2 auf demselben Umdruck, also Umdruck 852 Ziffer 3. Er bezieht sich nur auf verpachtete Betriebe, während in Abs. 1 von den eigenbewirtschafteten Betrieben die Rede war. Wer für Abs. 2 in dieser Fassung zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Angenommen.
Dann kommen wir zu dem Antrag Umdruck 848**) Ziffer 2 betreffend § 23 Abs. 1.
— Nein, das ist nicht der weitergehende; er ist deshalb nicht der weitergehende, weil er keinen Rechtsanspruch gibt. Der andere gab einen Rechtsanspruch; ich habe es ja vorhin auseinandergesetzt. Dieser gibt der Behörde nur die Möglichkeit einer Ermessensentscheidung an die Hand. Ich bin der Meinung, daß dieser Antrag zu § 23 Abs. 1 durch die Beschlußfassung über den Antrag Umdruck 852 Ziffer 3 erledigt ist. Ich glaube, ich darf das feststellen.
Dann haben wir noch den Antrag Umdruck 848 Ziffer 2 b zu bescheiden. Dieser Antrag ist noch aktuell, weil in der Fassung des Abs. 2, die wir eben angenommen haben, die Worte ,,, wenn es zu angemessenen Bedingungen beschafft werden kann" enthalten sind. Sie stehen sogar neuerdings wieder in Abs. 1, und zwar dadurch, daß wir Abs. 1 in der neuen Fassung angenommen haben. Darf ich fragen, ob der Antrag Umdruck 848 Ziffer 2 Buchstabe b jetzt nicht nur auf den Abs. 2, sondern auch auf den Abs. 1 zu beziehen ist? Dieser Teil des Antrags würde also nunmehr lauten:
... sind in Absatz 1 und Absatz 2 die Worte ,, wenn es zu angemessenen Bedingungen beschafft werden kann" zu streichen.
Ist der Antrag so zu verstehen?
— Sie sind mit dieser Änderung ohne Debatte einverstanden. Dann darf ich den Antrag zur Abstimmung stellen. Wer mit diesem Streichungsantrag sowohl zu Abs. 1 wie zu Abs. 2 einver-
*) Siehe Anlage 6. **) Siehe Anlage 4.
standen ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Wir müssen die Abstimmung wiederholen; das Büro ist über das Ergebnis zweifelhaft. Wer also für diesen Änderungsantrag ist, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Danke. Der Antrag ist abgelehnt.
Ich muß noch einmal zu § 23 zurückkommen. Es liegt noch ein Antrag vor — und zwar in Umdruck 848 Ziffer 2 Buchstabe c —, wonach in § 23 der Abs. 3 ganz gestrichen werden soll. Das heißt also, daß folgende Worte gestrichen werden sollen:
Die Bedingungen für die Beschaffung von Ersatzland sind angemessen, wenn die Kosten ... volkswirtschaftlich vertretbar sind... .
Ich glaube, nachdem der Antrag, die Worte „ , wenn es zu angemessenen Bedingungen beschafft werden kann" zu streichen, abgelehnt ist, muß dieser Abs. 3 zweifellos stehenbleiben, weil sonst der Abs. 2 keinen Sinn mehr hat. Sind die Herren Antragsteller damit einverstanden?
— Dann ist dieser Streichungsantrag also zurückgezogen.
Dann kommen wir zu § 3 zurück. § 3 bezieht sich darauf, was von den eben in § 23 festgelegten Rechten in Form eines Merkblatts — oder wie es sonst gedacht ist — dem Betreffenden, dem etwas enteignet werden soll, mitzugeben ist. Dazu liegt der Antrag Umdruck 852 Ziffer 2 vor. Hier wird beantragt, daß in § 3 Buchstaben a und c statt der Worte „gewährt werden kann" die Worte „zu gewähren ist" zu setzen sind. Es liegt also der Antrag vor, in das Merkblatt ein Recht hineinzuschaffen, das eigentlich im Ausschuß in § 23 hätte geschaffen werden sollen und das nunmehr durch unsere Beschlußfassung geschaffen ist. Ich halte diesen Änderungsantrag praktisch für überflüssig; denn wenn die Rechte da sind, genügt es, wenn dem Betreffenden mitgeteilt wird, daß er das Recht hat.
— Herr Glasmeyer hat das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich die Sache richtig durchschaue, dann handelt es sich bei dem § 3 auch noch um die Planung, also um das ganze Vorverfahren, und wir legen selbstverständlich als Landwirte sehr starkes Gewicht darauf, daß unsere Rechte von Anfang an auch entsprechend gesichert sind. Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen vorhin gesagt, daß wir die Rechte des Staates achten. Die Rechte des Betroffenen werden aber hier im § 3 festgesetzt. Die ursprüngliche Fassung des Paragraphen lautet ja: „Es kann dem Betroffenen gewährt werden." Hier heißt es aber: „Es ist ihm zu gewähren." Und genauso heißt es unter Buchstabe b: . . insbesondere dann dieses Ersatzland gewährt werden muß, wenn es sich um persönlich bewirtschaftete Betriebe handelt".
Ich halte den Antrag für so wichtig, daß wir unbedingt darauf bestehen müssen, und weil er von der Fraktion gestellt worden ist, denke ich doch auch, daß mich die Fraktion in diesem Fall nicht im Stich läßt, sondern daß sie auch zustimmt.
Wird noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung über Umdruck 852*) Ziffer 2 a und b zusammen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Dann darf ich über § 3 in der nunmehr geänderten Form abstimmen lassen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
§§ 4 und 5 entfallen. Wir kommen zu §§ 6 und 7. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich komme zu § 8 und dem Umdruck 864**). Wer wünscht das Wort? — Bitte sehr, Herr Abgeordneter Schmitt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es handelt sich um einen von Kollegen aus allen Fraktionen unterstützten Antrag, der den Zweck hat, daß nicht die Gemeinden die Kosten für Ersatzbauten tragen müssen. Wir haben die Sache heute morgen noch einmal im Ausschuß besprochen. Da der Bericht bereits fertiggestellt war, konnte diese Bestimmung nicht mehr eingefügt werden. Ich bitte im Namen aller beteiligten Ausschußmitglieder um Annahme.
Meine Damen und Herren! Wird noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer dem Antrag Umdruck 864 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.
Ich lasse über § 8 in der nunmehr geänderten Form abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe § 9 und den Umdruck 851 ***auf. Wird das Wort gewünscht? — Bitte sehr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf einmal darauf hinweisen, daß da ein Redaktionsfehler vorliegt. Es muß „soll" statt „kann" heißen. Also der Text soll lauten: „Kommt eine Abfindung in Land in Betracht, so" — statt „kann" muß es jetzt „soll" heißen —soll ein gemeinnütziges Siedlungsunternehmen im Sinne des Reichssiedlungsgesetzes mit der Beschaffung des Ersatzlandes beauftragt werden."
Wir haben den Antrag gestellt, um zu verhindern, daß irgendwelche Wehrmachtsbehörden eigene Siedlungsgesellschaften errichten. Man mag einwenden, das sei auch gar nicht beabsichtigt. Meine Damen und Herren, derartige Apparaturen haben den immanenten Drang, sich zu verselbständigen und ihre Aufgaben in eigener Regie zu erledigen. Die eingearbeiteten Siedlungsunternehmen in den Ländern haben ihre örtlichen Erfahrungen; ihre Erfahrungen reichen über Generationen; sie kennen die Möglichkeiten, Ersatzland zu
*) Siehe Anlage 6. **) Siehe Anlage 9. ***) Siehe Anlage 5.
beschaffen, vielleicht auch in anderen Teilen des Landes. Deshalb möchten wir, daß die bestehenden gemeinnützigen Siedlungsunternehmen für die Erfüllung dieser Aufgaben auf alle Fälle eingeschaltet werden. Wir bitten, dem Antrag zuzustimmen.
Wird hierzu noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer dem Umdruck 851**) zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wer dem § 9 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen.
— Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe §§ 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16 und 16 a auf.
— Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Paragraphen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe § 17 und den Umdruck 866***) auf. Wird das Wort gewünscht? Bitte sehr, Herr Abgeordneter Dr. Conring, zur Begründung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir schlagen Ihnen in unserem Antrag vor, in § 17 die Worte „Grundstücke eines bäuerlichen Betriebes" zu ersetzen durch die Worte „Grundstücke eines landwirtschaftlichen Betriebes". Wir glauben, es ist nützlich, das zu tun. Einmal ist die Feststellung, was ein „bäuerlicher" Betrieb ist, rechtlich und wirtschaftlich nicht ganz einfach. Die Auffassungen darüber sind verschieden. Ein Kleinbetrieb, der nicht zu den „bäuerlichen" Betrieben zählt, kann aber auf das Land ebenso angewiesen sein wie ein bäuerlicher Betrieb; es wäre schade, wenn man dem Kleinbetrieb das Land wegnähme. Die Begrenzung auf „bäuerliche" Betriebe würde die kleineren, aber auch die größeren Betriebe, die auf das Grundstück, das ihnen weggenommen werden soll, ebenso angewiesen sind wie ein bäuerlicher Betrieb, in vermeidbare Schwierigkeiten bringen. Es ist nicht recht einzusehen, daß man Land enteignen will, um einen anderen Enteigneten zu entschädigen — denn darum handelt es sich hier —, und daß man gleichzeitig durch diese Enteignung einem anderen landwirtschaftlichen Betrieb Grundstücke wegnimmt, auf deren Bewirtschaftung er angewiesen ist.
Wir halten es daher für richtig, die Worte „eines bäuerlichen Betriebes" durch „eines landwirtschaftlichen Betriebes" zu ersetzen, zumal nach unserer Auffassung der Richter die Existenzbedingungen eines landwirtschaftlichen Betriebes leichter feststellen kann als die eines bäuerlichen Betriebes. Wir bitten Sie deshalb, unseren Änderungsantrag anzunehmen.
Das Wort hat Herr Staatssekretär Ritter von Lex.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die vorher zu § 23 Abs. 1 und 2 beschlossenen Änderungen bringen eine so wesentliche Erweiterung des Anspruchs auf Gewährung von Ersatzland an Stelle einer Barentschädigung, daß sie nur tragbar erscheint, wenn der Kreis der
**) Siehe Anlage 5.
***) Siehe Anlage 11.
Grundstücke jn § 17, die von der Heranziehung für die Ersatzlandbeschaffung befreit sind, nicht ebenfalls erweitert wird. Die Ersetzung des Begriffs „bäuerlicher Betrieb" durch den viel weitergehenden Begriff „landwirtschaftlicher Betrieb" würde eine ganz erhebliche Erweiterung bedeuten, weil die gesamte landwirtschaftlich genutzte Fläche im Bundesgebiet damit umfaßt werden könnte. Eine solche Erweiterung des Kreises der befreiten Grundstücke würde die Möglichkeiten der Ersatzlandbeschaffung einschränken und damit nach Auffassung der Bundesregierung die Realisierung des im § 23 gewährten Anspruchs auf Gewährung von Ersatzland erschweren. Dies aber hätte wiederum zur Folge, daß auch die Landbeschaffung für Verteidigungszwecke selbst erschwert würde. Grenzfälle können nach Auffassung der Bundesregierung durch Verwaltungsvorschriften zu einer guten Regelung gebracht werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Glasmeyer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Conring, mein lieber Freund, hat von kleinen Betrieben gesprochen. Meine Damen und Herren, ich will Ihnen mal die Begriffe erklären. Wenn man über solche Sachen abstimmen will, muß man wissen, was vorliegt.
Ich bin sehr dafür, daß die kleinen landwirtschaftlichen Betriebe geschützt werden. Unbedingt, meine Damen und Herren! Also setzen wir doch einfach hinein: „Grundstücke eines landwirtschaftlichen Kleinbetriebes und eines bäuerlichen Betriebes"! Dann ist alles klar.
Wenn wir aber hier statt „bäuerlich" „landwirtschaftlich" sagen, dann sind — das hat Herr Kollege Conring zwar nicht gesagt — darin auch die Großgrundbetriebe enthalten. Meine Damen und Herren, ich will Ihnen offen sagen: ich schäme mich als Bauer, daß dieser Antrag von Bauern gestellt worden ist, denn er geht gegen den bäuerlichen Besitz. Sie wollen die Sache bitte richtig verstehen. Wer wird erfaßt? Der bäuerliche Betrieb! Und der bäuerliche Betrieb muß Ersatzland bekommen. Wenn nun der Großgrundbesitz, gegen den ich an und für sich nichts habe, bei bestimmten Voraussetzungen von der Gestellung von Ersatzland ausgenommen ist, wer kommt dann noch in Frage? Eben wieder der bäuerliche Betrieb, und der Großbetrieb wird ausgeschlossen.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie inständig
— ich sage es noch einmal: inständig —, diesen Antrag abzulehnen, dagegen den Kleinbesitz dadurch zu schützen, daß wir — Herr Präsident — vor den Worten „eines bäuerlichen Betriebes" die Worte einfügen: „eines landwirtschaftlichen Kleinbetriebes und". Dann ist die Sache in Ordnung.
— Kleinbetriebe, Herr Kollege Schmidt, sind die Betriebe unter etwa — je nach Güte des Bodens —30 bis 80 Morgen.
— Gut, ich kann es noch anders erklären: bis zur Größe eines landwirtschaftlichen oder bäuerlichen
Familienbetriebes; bäuerliche Familienbetriebe sind, je nach Bodenqualität, Betriebe von etwa 30 bis 80 Morgen; was darunter liegt, sind Kleinbetriebe.
Herr Abgeordneter Dr. Glasmeyer, wenn Sie einen Antrag stellen wollen, muß das schriftlich geschehen.
— Herr Abgeordneter Dr. Glasmeyer, es würde die Verhandlungen erleichtern, wenn Sie den Antrag in der dritten Lesung stellten.
— Nein, er muß schriftlich vorliegen, wenn darüber abgestimmt wird; sonst ist keine Sicherheit des Verfahrens gegeben.
— Sie verzichten jetzt in der zweiten Lesung darauf, den Antrag zu stellen.
Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Ich lasse abstimmen über den Änderungsantrag Dr. Conring und Genossen, Umdruck 866*). Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Meine Damen und Herren, wir müssen die Abstimmung wiederholen. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag Dr. Conring zuzustimmen wünschen, sich von den Plätzen zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse abstimmen über § 17 in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; § 17 ist in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe § 18 auf. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; § 18 ist angenommen.
Ich rufe auf § 19 mit dem Änderungsantrag Umdruck 848**) Ziffer 1. — Herr Abgeordneter Schmitt zur Begründung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Entgegen der Regierungsvorlage hat die Mehrheit des Ausschusses eine völlige Freigabe der Bodenpreise bei der Anwendung dieses Gesetzes beschlossen. Die zuständigen Herren Ressortminister bzw. ihre Vertreter haben auf unsere Fragen in den Beratungen sehr große Bedenken gegen diesen Beschluß geltend gemacht. Wir kennen eine ganze Reihe von Beispielen aus der jüngsten Zeit, die zeigen, daß eine Freigabe der Preise sich außerordentlich ungünstig auswirkt. Der Herr Vertreter des Bundesfinanzministeriums hat uns von Preissteigerungen um 25 bis 50 und mehr Prozent berichtet. Uns ist ein Fall von Enteignungen für einen Flugplatz bei Regensburg bekanntgeworden, in dem die Preise von 70 000 auf 200 000 und nachher noch auf viele hunderttausend Mark hochgegangen sind.
Wir verkennen nicht, meine Damen und Herren, daß die Preisvorschriften bei einer starren Anwen-
*) Siehe Anlage 11.
**) Siehe Anlage 4.
dung zu Härten führen können. Wir schlagen Ihnen deshalb vor, zu bestimmen, daß Preisvorschriften, die beim Inkrafttreten dieses Gesetzes bestehen, unberücksichtigt bleiben können, soweit sie zu einem unangemessenen Ergebnis oder zu unbilligen Härten führen. Ich glaube, daß wir damit auch die Interessen der betroffenen Eigentümer wahren.
Es ist auch ein Hinweis auf das Grundstücksverkehrsgesetz, das in der vorletzten Woche im Bundesrat beraten worden ist, gemacht worden. Sie wissen, daß der Regierungsentwurf eine Freigabe der Preise vorsieht. Wir glauben, daß dieser Hinweis nicht durchschlagend ist. Hier handelt es sich um eine Teillösung, und wenn überhaupt, dann kann diese Frage nur im Rahmen des Grundstücksverkehrsgesetzes gelöst werden. Das war übrigens auch die Auffassung der beteiligten Ressorts bei der Beratung dieses Gesetzes. Ich glaube auch, daß eine Reihe von Ländern große Bedenken gegen eine völlige Freigabe der Preise haben.
Ich möchte Sie, meine Damen und Herren, bitten, im Interesse der Abwehr von Spekulationen unserem Antrag, der einerseits die Interessen der betroffenen Eigentümer berücksichtigt, andererseits aber auch der Spekulation entgegenwirkt, zuzustimmen.
Wird noch das Wort gewünscht? — Herr Dr. Glasmeyer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der von der SPD gestellte Antrag scheint mir viel zu labil zu sein, als daß wir ihn annehmen könnten. Was heißt das überhaupt: „unangemessenes Ergebnis oder unbillige Härten"? Wer soll das prüfen? Dann haben wir unter Umständen 40 000 Prozesse. Wollen wir das denn? In dem von der Koalition angenommenen § 19 steht klipp und klar: „Die bisherigen Preisvorschriften finden für dieses Gesetz keine Anwendung". Außerdem steht in § 20, daß die Entschädigungen für andere durch die Enteignung eintretende Vermögensnachteile unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten festzusetzen sind.
Meine Damen und Herren! Eine Vorleistung bringt in jedem Fall der Bauer, der das Opfer auf sich nimmt, sein Gelände für den Staat, für die Wehrmacht zur Verfügung zu stellen. Er hat also für die Allgemeinheit bereits geopfert. Daß er dann einen anständigen Preis bekommt, halte ich für absolut notwendig. Ich möchte die Koalition wiederum bitten, den Antrag der SPD abzulehnen und es bei der Fassung des 8. Ausschusses zu belassen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmitt .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich brauche Sie in Erwiderung der Ausführungen des Kollegen Glasmeyer nur auf die Verhältnisse bei der Landbeschaffung für Wohnraumbauten hinzuweisen. In Zukunft wird es doch so sein, daß jeder Landwirt und jeder von dem Gesetz Betroffene gern Land für die Bundeswehr zur Verfügung stellt und daß die Städte und Gemeinden und wer sonst im Rahmen des sozialen Wohnungsbaues bauen will, nicht mehr in der Lage sind, Gelände zu angemessenen Preisen zu bekommen. Das ist die natürliche Konsequenz dieser Entwicklung. Diese
Entwicklung ist in einigen Gebieten bereits eingetreten; Sie wissen das alle aus der Presse. Ich möchte nur noch einmal sagen: es ist mir unverständlich, wie Herr Kollege Glasmeyer soviel Mißtrauen gegen seine eigene Regierung haben kann, daß sie nicht in der Lage sein soll, die Grundstücksbesitzer angemessen zu entschädigen. Wir möchten Sie nochmals um Zustimmung zu diesem Antrag bitten.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Glasmeyer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was unsere Regierung betrifft, so kann ich nur eines sagen: unsere Regierung hat ihr Einverständnis mit der Fassung des 8. Ausschusses erklärt. Im übrigen möchte ich Ihnen folgendes sagen. Wir haben heutzutage einen doppelten Preismarkt. Wir haben einen schwarzen Preismarkt und einen, der den Notar erreicht, und ich glaube, es ist allerhöchste Zeit, daß wir diesem Kuddelmuddel im Grundstücksverkehr und in den Preisen einmal ein Ende setzen. Es ist absolut notwendig, daß damit einmal angefangen wird und daß hier auf Grund dieses Paragraphen nach den Beschlüssen des Ausschusses für Rechtswesen, des Ausschusses für die Landwirtschaft und des Ausschusses für die innere Verwaltung gehandelt wird. Ich bitte Sie noch einmal, den Antrag der Opposition abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Könen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist richtig, daß die Preisstoppverordnungen für Grundstückspreise zu originellen Ergebnissen führen. Aber noch origineller scheint mir es zu sein, diesem grauen oder schwarzen Markt eine kräftige Spritze zu geben, so daß er noch besser funktioniert, indem man das in das Landbeschaffungsgesetz hineinbringt. So geht es ja nun, meine Herrschaften, schließlich auch nicht!
Das Wort hat der Abgeordnete Höcherl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin sehr überrascht von der Formulierung, daß der Preistopp zu originellen Ergebnissen führt. Es sind sicher nicht originelle Ergebnisse, sondern beschämende Ergebnisse, wenn durch die gänzlich veralteten, überholten und unmöglichen Bestimmungen sogar Behörden gezwungen werden, an strafbaren Handlungen mitzuwirken. Deshalb müssen wir auf diesem Gebiet zu einer Bereinigung kommen. Wir müssen eine Bresche schlagen und müssen das Grundgesetz ausführen. Ich muß darauf hinweisen, daß bereits eine ganze Reihe von Gerichtsurteilen ergangen sind, die die Preisstoppregelung für ungültig erklärt haben. Das ist der Ansatzpunkt. So müssen wir nach dem Art. 14 Abs. 3 des Grundgesetzes verfahren. Auch das Grundstücksverkehrsgesetz hat die Absicht der Bundesregierung zum Ausdruck gebracht, mit diesem alten Zopf, mit diesem längst überholten und unmöglichen Verfahren aufzuhören, dem einen einen Aufopferungsanspruch zuzumuten und alle übrigen Preise sich entwickeln zu lassen. Es ist völlig ausgeschlossen, daß sich dabei ein Markt entwickelt. Wenn die Preise frei sind, wird sich sehr bald herausstellen, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen, sondern daß wir auch auf diesem Gebiet eine echte Marktsituation bekommen. Die anderen Gebiete, Wohnungsbau usw., stehen hier nicht zur Debatte. Das Gesetz hat seinen Zweck genau umrissen, und nur dafür gilt es. Auf anderen Gebieten wird man vielleicht zu anderen Regelungen kommen. Auf jeden Fall ist es allerhöchste Zeit und ist hier der geeignete Platz, klare und ehrliche Verhältnisse zu schaffen und mit den Umgehungen und Schwindeleien — nennen wir es gleich beim richtigen Namen — aufzuhören.
Wird noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich lasse abstimmen über den Antrag der SPD Umdruck 848*) Ziffer 1. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse abstimmen über den § 19 in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf die §§ 20, — 21 und 22. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Paragraphen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe wieder den § 23 auf. Ich darf feststellen, daß die Änderungsanträge alle beschieden sind. — Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Ich lasse damit abstimmen über § 23 in der Form, die er auf Grund der Einzelabstimmungen, die über diesen Paragraphen bereits vorgenommen worden sind, erhalten hat. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf die §§ 24, — 25, — 25 a, — 26, —27, — 28, — und 29. — Das Wort wird nicht ge- wünscht. Wer den aufgerufenen Paragraphen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
§ 30 entfällt. Zu § 31 ist, wie ich sehe, erst für die dritte Beratung ein Änderungsantrag gestellt, der hier also nicht interessiert. — Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. — Wer dem § 31 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf die §§ 32, — 33, — 34, — 35, — 36, — 37, — 37 a, — 38, — 39, — 40, — 41, — 42, — 43, — 44, — 45, — 46, — 47, — 48, — 49, —49 a, — 50, — 51 und 52. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Paragraphen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
*) Siehe Anlage 4.
Zu § 53 liegt ein Änderungsantrag auch erst zur dritten Beratung vor. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer § 53 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf die §§ 53 a, — 54, — 55 und 56. —Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Paragraphen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf § 57. Ein Änderungsantrag liegt erst zur dritten Beratung vor. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer § 57 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf die §§ 58, — 59, — 60 und 60 a. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Paragraphen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf den § 61 und dazu die Änderungsanträge auf Umdruck 848*) Ziffer 3 und Umdruck 859**) Ziffer 1. — Das Wort wird von Herrn Abgeordneten Schmitt gewünscht. Er hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf Sie bitten, unserem Antrag zuzustimmen. Wir haben die Erfahrung gemacht, daß in vielen Fällen die Stationierungsmächte, dank der Hilfe des von Ihnen beschlossenen Fortgeltungsgesetzes, auf einer Reihe von Grundstücken, die sie in Anspruch genommen hatten, provisorisch Bauten begonnen haben, um dann dieses Gelände nach den Bestimmungen des Landbeschaffungsgesetzes weiter in Anspruch nehmen zu können. Wir wollen dem durch die Einfügung dieser Vorschrift einen Riegel vorschieben.
Wird das Wort weiter gewünscht? — Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kihn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag steht im Widerspruch zu den Verpflichtungen aus dem Truppenvertrag. Nach Art. 48 Abs. 2 dieses Vertrages hat die Bundesrepublik alle Liegenschaften weiterhin zur Verfügung zu stellen, sofern deren Inanspruchnahme für Zwecke der Streitkräfte oder ihrer Mitglieder über den 5. Mai 1956 hinaus erforderlich ist. Die Frage, welche Liegenschaften im einzelnen für den Bedarf der ausländischen Streitkräfte erforderlich sind, kann nicht einseitig, auch nicht im Wege der Gesetzgebung, von einer Vertragspartei entschieden werden, sondern nur im gegenseitigen Benehmen. Vorhin ist allgemein ein Bekenntnis zu dem Grundsatz ausgesprochen worden „pacta sunt servanda". Ich bitte, hiernach zu handeln und den Antrag abzulehnen.
Wird des weiteren das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann lasse ich abstimmen über den Antrag auf Umdruck 848***) Ziffer 3, Änderungsantrag der Fraktion der SPD. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Ge-
*) Siehe Anlage 4. **) Siehe Anlage 8. ***) Siehe Anlage 4. genprobe. — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse abstimmen über den Antrag auf Umdruck 859*) Ziffer 1, interfraktioneller Antrag. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich lasse abstimmen über § 61 in der nunmehr geänderten Fassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf § 61 a. Das Wort wird nicht gewünscht. — Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf § 61 b. Dazu liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 859 Ziffer 2 vor. Wird hierzu das Wort gewünscht?
— Es ist ein interfraktioneller Antrag. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Antrag auf Umdruck 859 Ziffer 2 auf Einfügung eines § 61 b zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf § 62 in Verbindung mit dem Antrag auf Umdruck 853**). Wird hierzu das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Engel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beantragen die Streichung des § 62. Auch der Bundesrat hat vorgeschlagen:
Die hier behandelte Frage soll im Grundstücksverkehrsgesetz generell geregelt werden. Aus diesem Grunde kann die im Entwurf vorgesehene Regelung entfallen.
Sollte das Grundstücksverkehrsgesetz erst nach dem vorliegenden Entwurf in Kraft treten, so kann in Kauf genommen werden, daß die hier behandelten Tatbestände für eine Übergangszeit in vollem Umfange nach den allgemeinen Vorschriften genehmigt werden müssen.
Wenn wir diesen § 62 in der vorliegenden Form annehmen, bekommt jeder ohne Rücksicht auf Herkunft seines Landbesitzes ein Recht auf zehn Jahre, am freien Markt als Käufer aufzutreten und landwirtschaftliche Grundstücke zu erwerben. Er braucht nicht die Genehmigung der Grundstücksverkehrskommission. Er braucht nicht das siedlungsrechtliche Vorkaufsrecht zu beachten. Er erhält quasi auf dem Grundstücksmarkt für zehn Jahre einen Jagdschein und wird in der Bundesrepublik herumfahren und versuchen, ein Ersatzgrundstück zu beschaffen. Meine Damen und Herren, dabei können Sie gar nicht verhindern, daß Leute, die auf durchaus fragwürdige Weise zu Grund und Boden gekommen sind, solchen wieder erwerben können. Es ist in Anbetracht der allgemeinen Situation auf dem Grundstücksmarkt und in Anbetracht der Tatsache, daß Tausende von heimatvertriebenen Bauern nicht wieder angesetzt werden können, völlig unvertretbar, daß einem Nichtlandwirt, der vielleicht Kriegs- und Konjunkturgewinne in Grund und Boden angelegt hat, ein Freischein ausgestellt wird, mit dem alle Beschränkungen, die bisher bestanden, aufgehoben werden und mit dem er für das ihm enteignete und
*) Siehe Anlage 8. **) Siehe Anlage 7.
voll bezahlte Land jederzeit wieder Land in gleicher Größe kaufen kann. Ich weiß nicht, wie man einen solchen Standpunkt vertreten kann angesichts der Notlage, die für weite Kreise besteht, die auf ihren angestammten Beruf verzichten und nolens volens einen anderen Beruf ausüben müssen.
Ich möchte Sie dringend bitten, dem Vorschlag des Bundesrates zuzustimmen und den § 62 zu streichen. In dem neuen Grundstücksverkehrsgesetz können Sie dann diesbezügliche Bestimmungen festlegen. Auf der unteren Ebene wird man in den Grundstückskommissionen feststellen können, wie der Mann zu bewerten ist. Auf der anderen Seite wird die Grundstücksverkehrskommission auch einem Nichtlandwirt, dessen Land enteignet wurde, die Möglichkeit geben, wieder ein Grundstück zu kaufen, wenn keine schwerwiegenden Gründe dagegen sprechen. Wenn wir den § 62 so genehmigen, werden wir ganz sicherlich eines Tages Skandalfälle erleben. Man wird uns fragen: wie konntet ihr überhaupt einen solchen Beschluß fassen?
Wir bitten Sie also, dem Streichungsantrag zuzustimmen.
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Es ist beantragt, den § 62 total zu streichen. Das wird nach der Übung des Hauses so gehandhabt, daß über den § 62 abgestimmt wird. Wird er abgelehnt, dann ist damit dem Streichungsantrag stattgegeben. Ich lasse also über den § 62 abstimmen. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Meine Damen und Herren, ich muß die Abstimmung nochmals wiederholen. Ich bitte diejenigen, die dem § 62 zuzustimmen wünschen, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Der Vorstand ist sich nicht einig; ich muß leider durch Auszählen abstimmen lassen. Wir stimmen über den § 62 in der Form ab, daß diejenigen, die wollen, daß er in der Ausschußfassung erhalten bleibt, durch die Ja-Türe, und die, die die Streichung wollen, durch die Nein-Türe gehen. Ich bitte, den Saal zu räumen und die Türen zu schließen.
Ich eröffne die Abstimmung. Ich bitte, die Türen zu öffnen.
— Ich bitte, die Abstimmung zu beschleunigen.
Ich bitte, die Türen zu schließen. Die Abstimmung ist geschlossen.
Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der Abstimmung durch Auszählen bekannt. Mit Ja haben gestimmt 164 Mitglieder des Hauses, mit Nein 154, enthalten haben sich 5; § 62 ist angenommen.
Ich rufe auf die §§ 63, — 64, — 65, — 65 a, — 65 b — und 66. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Paragraphen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; die aufgerufenen Paragraphen sind angenommen.
Ich rufe auf Antrag Umdruck 848*) Nr. 4 auf Einfügung eines § 66 a. Das Wort hat der Abgeordnete Schmitt .
*) Siehe Anlage 4.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! § 66a in der von uns vorgeschlagenen Fassung schließt lediglich eine Lücke. Wenn militärische Bauten auf bundeseigenem Gelände errichtet werden, sollen die in den §§ 6 bis 10 festgelegten Grundsätze auch dafür gelten. Ich bitte um Ihre Zustimmung.
Meine Damen und Herren, wird noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer dem Änderungsantrag der SPD auf Umdruck 848 Nr. 4 auf Einfügung des § 66a zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Meine Damen und Herren, ich muß wiederholen, Wer dem Änderungsantrag der SPD zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe auf die §§ 67, — 67a, — 68, — Einleitung und Überschrift. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Damit stehen wir am Ende der zweiten Beratung. Ich komme zur
dritten Beratung
und eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Höcherl.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt keinen Rechtsstaat, der auf ein solches Instrument verzichten könnte, wie es jetzt geschaffen werden soll. Ich betone ausdrücklich, daß es keinen Rechtsstaat gibt, der das könnte; andere Staaten wußten sich sehr wohl zu helfen. Der Weg, der hier eingeschlagen werden muß, ist eindeutig vorgezeichnet, und der Rahmen ist klar und deutlich durch den Art. 14 des Grundgesetzes abgesteckt. Dieser Art. 14 des Grundgesetzes, der in Abs. 2 von der Verpflichtung des Eigentums spricht, enthält in Abs. 3 die Enteignungsvoraussetzungen. Sie sind eng umrissen, und zwar unter dem Gesichtspunkt des Allgemeinwohls, dem einzig gültigen Enteignungsgrund. Ich bin der Auffassung, daß das vorliegende Gesetz mit seinen Enteignungsgründen, Verteidigung und Erfüllung völkerrechtlicher Verträge, nach allgemeinwohl -bestimmten Gesichtspunkten allerersten Ranges ausgerichtet ist. Damit sind die Enteignungsvoraussetzungen erfüllt.
Ferner gibt es keinen Zweifel darüber, daß das Gesetz seinem inneren Wesen nach subsidiären Charakter hat, d. h. daß es erst angewendet werden soll und darf, wenn keine anderen Möglichkeiten, vor allem nicht die Möglichkeit des freien Erwerbs von Grundstücken und die Möglichkeit, den Bedarf aus der öffentlichen Hand zu decken, gegeben sind.
Ich halte es für notwendig und richtig, daß diese beiden Gesichtspunkte im Gesetz in Soll-Vorschriften zum Ausdruck kommen. Es hat einen längeren Streit darüber gegeben, ob man hier Soll-Vorschriften oder Muß-Vorschriften vorsehen sollte. Verwaltungsrechtliche Überlegungen lassen eine Muß-Vorschrift nicht zu. Eine Überprüfung von Ermessensmißbräuchen ist auch bei einer SollVorschrift möglich.
Die entscheidende Frage ist die der Entschädigung, die nach Art. 14 Abs. 3 des Grundgesetzes sofort in dem Beschaffungsgesetz mit geregelt werden muß. In dieser Entschädigungsfrage ist zum erstenmal ein sehr mutiger Weg beschritten worden. Es ist zum erstenmal wieder die Preiswahrheit und auch die Vertragswahrheit zum Vorschein gekommen, indem einmal der Preisstopp aufgehoben worden ist. Ich habe vorhin schon Gelegenheit gehabt, dazu Stellung zu nehmen. Es ist einfach ein unmöglicher Zustand, daß Bestimmungen aus dem Jahre 1936 in unsere Gegenwart mit hereingenommen werden, die ganz andere Verhältnisse aufzuweisen hat, die eine ganz andere Kaufkraftentwicklung hat. Infolgedessen war es höchste Zeit, daß der Preisstopp verschwand.
Damit wird dieses Gesetz auf diesem Gebiet auch einen weitgehend präjudiziellen Charakter haben. Es wird in alle Zukunft in diesem Hause kein Entschädigungsgesetz mehr geben, das nicht auf diese Grundsätze zurückgreifen müßte. Es ist ein Streit darüber entstanden, ob nach Art. 14 Abs. 3 des Grundgesetzes, der eine gerechte Abwägung zwischen den Interessen des Allgemeinwohls und den Interessen der Betroffenen vorschreibt, die Entschädigung nach dem gemeinen Wert, d. h. nach dem Verkehrswert unter Aufhebung des Preisstopps, zu verantworten ist. Es gibt darüber Urteile. Der Ton dieser ganzen Vorschrift liegt auf dem Begriff der gerechten Abwägung. Alle diese Urteile hoher und höchster Gerichte haben sich so ausgesprochen, daß eine gerechte Abwägung in einem echten Wertausgleich und einer Entschädigung des wirklichen Wertes besteht. Fragen der Abschöpfung von Spekulationsgewinnen und ähnliche Dinge haben in diesem Gesetz keinen Platz; der geometrische Ort für solche Überlegungen liegt ganz woanders.
Auch die Frage des Ersatzlandes war eine der Kernfragen, weil das bäuerliche Land geschützt werden muß. Es wird sowieso immer schmäler. Ich glaube, daß mit den Vorschriften des § 23 Abs. 1, 2 und 3 eine Regelung gefunden worden ist, die einen echten Anspruch begründet und die Rücksicht nimmt, die verlangt werden kann.
Das Gesetz hat die Aufgabe, die Verteidigungsplanung zu erfüllen, unsere Verträge ausführen zu helfen, auf der anderen Seite den gleichwichtigen Zweck, das Bauernland zu erhalten. Mit dieser Lösung, auf der einen Seite der Planung freie Hand zu geben und auf der anderen Seite einen echten Anspruch auf Ersatzland, wenn es unter angemessenen Bedingungen beschafft werden kann, zu normieren, scheint mir ein echter, vernünftiger und sauberer Kompromiß für diese beiden gegeneinanderstehenden Interessen gefunden worden zu sein.
Ich darf noch einmal auf den starken präjudiziellen Charakter dieses Gesetzes hinweisen. Dieses Gesetz allein ist nicht entscheidend, sondern entscheidend ist etwas anderes, entscheidend ist der Geist, in dem dieses Gesetz angewandt wird, entscheidend ist, ob sich die anwendenden Behörden jederzeit dessen bewußt sind, daß das Gesetz subsidiären Charakter hat, daß es erst in zweiter Linie anzuwenden ist, nicht eher, bis die anderen Möglichkeiten ausgeschöpft worden sind. Das Maßgebende ist nicht das Gesetz, sondern der Geist dieses Gesetzes. Ich habe das Vertrauen zu der Regierung, daß sie es im richtigen Geist anwenden wird. Ich bitte, dem Gesetz in der dritten Lesung so zuzustimmen, wie es in der zweiten Lesung beschlossen worden ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmitt .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion hat sich bei der Beratung dieses Gesetzes wie auch schon bei dem mit dem Landbeschaffungsgesetz unmittelbar zusammenhängenden Bundesleistungsgesetz und dem Schutzbereichgesetz bemüht, alles zu tun, um die Auswirkungen des Gesetzes zu mildern und dem Gesetz selbst eine rechtsstaatlich vertretbare Fassung zu geben.
Leider haben die Verhandlungen in allen Ausschüssen sehr darunter gelitten, daß bisher immer noch ein Raumordnungsgesetz fehlt. Gerade der Wunsch der Bundesregierung, wieder in größerem Umfange Grund und Boden für militärische Zwecke in Anspruch zu nehmen, hätte sie veranlassen müssen, auf diesem Gebiet mehr Initiative zu entfalten. Das Gegenteil war aber der Fall. Es ist der Regierung gelungen, unter Hinweis auf eigene Vorschläge den Entwurf eines Rahmengegesetzes zur Raumordnung Drucksache 1656 von der Tagesordnung der Ausschüsse verschwinden zu lassen. Es fehlt aber immer noch eine entsprechende Regierungsvorlage. Unsere Bemühungen, die Grundsätze der Raumordnung wenigstens in dem Landbeschaffungsgesetz zu verankern, können immer nur eine Hilfslösung, aber kein Ersatz für ein Raumordnungsgesetz sein. Wir haben uns bei den Beratungen dieses Gesetzes immer wieder vor Augen gehalten, daß die vorgesehene Inanspruchnahme von 100 000 ha, seien sie nun im Eigentum des Bundes oder nicht, weil sie ja in jedem Fall landwirtschaftlich genutzt sind, Tausende, vielleicht sogar Zehntausende selbständiger landwirtschaftlicher Existenzen zerschlagen kann und daß viele andere landwirtschaftliche Existenzen in ihrer Grundlage geschmälert werden. Wir alle wissen, wie stark ohnehin der laufende Verlust an landwirtschaftlicher Bodenfläche durch Straßenbau usw. ist, und wir wollen unter allen Umständen vermeiden, daß eine weitere Verschärfung der Lage für unsere Landwirtschaft eintritt.
Ich bedaure in diesem Zusammenhang sehr, daß die Mehrheit des Hauses unseren Antrag zu § 1 Abs. 2 abgelehnt hat. Ich will nicht wiederholen, was ich hierzu gesagt habe. Wir werden uns erlauben, diesen Antrag in der dritten Lesung dem Hohen Hause noch einmal vorzulegen, und wir hoffen, daß Sie in der dritten Lesung diesem Antrag zustimmen.
Erfreulich sind verschiedene andere Änderungen, an deren Gestaltung die sozialdemokratische Fraktion maßgeblichen Anteil hat. Ich denke dabei an die Sicherstellung des Rechtsschutzes für die Betroffenen. Wir konnten in vielen Punkten erhebliche Verbesserungen erreichen. Leider kann man nicht sagen, daß die gesamte Gesetzgebungsarbeit von der Bundesregierung sehr sorgfältig vorbereitet war. Ich möchte hier nur auf einige Punkte hinweisen.
Die Fragen der Raumordnung waren völlig unberücksichtigt geblieben. Der Kostenersatz für die öffentlich-rechtlichen Körperschaften war völlig
unzureichend. Weitere Fragen betrafen den Schutz von Grundstücken, die unter Natur- und Denkmalschutz stehen, die Sicherung der Familienbetriebe bei der Ersatzlandbeschaffung, die Schaffung der Naturalwertrente im Altersfall, die Verbesserung der Verfahrensvorschriften und nicht zuletzt die Sicherung der Bereitstellung von Wohnraum für diejenigen Betroffenen, die ihre Wohnungen verlieren, ferner die zeitliche Begrenzung der Besitzeinweisungsbeschlüsse. Ich glaube, daß wir mit dem Beschluß im Ausschuß allen Betroffenen einen großen Dienst geleistet haben.
Ich habe das Gefühl, daß eine Reihe von Kollegen aus der Landwirtschaft sich eigentlich erst jetzt der ganzen Konsequenzen dessen, was auf die Landwirtschaft zukommt, bewußt geworden ist. Wenn ich an die Ausführungen des Kollegen Dr. Glasmeyer in der ersten Lesung und an das denke, was in den Ausschußberatungen und jetzt übriggeblieben ist, dann muß ich sagen: da besteht doch ein sehr großer Unterschied. Er hat damals hier mit großen Worten davon gesprochen, die Landwirtschaft wolle alles tun, um das notwendige Übungsgelände bereitzustellen. Aber den Realitäten haben diese großen Worte nicht standgehalten.
Leider hat die Ablehnung unseres Antrags zu § 19 Abs. 4 bezüglich der Preisvorschriften unseres Erachtens der Bodenspekulation weitgehend Tür und Tor geöffnet. Wir werden aber bei § 23 noch einmal versuchen, die Bestimmung des Abs. 1 durch Streichung des Halbsatzes bezüglich der angemessenen Bedingungen zugunsten der Landwirtschaft zu verbessern.
Wir haben bei der Beratung dises Gesetzes noch einige Tatsachen zu verzeichnen, die hier nicht unerwähnt bleiben können. Es ist offensichtlich Übung geworden, daß Ressorts, die in den Vorberatungen eines Gesetzes bei der Abstimmung im Kabinett unterliegen, sich an einzelne Abgeordnete wenden und daß diese Abgeordneten daraufhin als eigene Anträge die Wünsche eines bestimmten Ressorts vorbringen. Ich möchte alle Kollegen bitten, sich diese Praxis 'und ihre Auswirkungen einmal in Ruhe zu überlegen. Wohin soll das führen, wenn wir diesen Weg allgemein einschlagen? Ich fürchte, er ist schon fast zu einem Trampelpfad oder zu einer breiten Autobahn für manche Leute geworden. Ich möchte Sie, meine Damen und Herren, doch sehr bitten, an Ihre eigene Entscheidungsfreiheit zu denken und nicht mit Anträgen zu kommen, deren Konsequenzen offensichtlich nur von dem betreffenden Ressort vorausgesehen werden.
Es sind schließlich noch zwei Fragen zu erörtern, die in den Ausschußberatungen eine Rolle gespielt haben und die im Zusammenhang mit dem Schutzbereichsgesetz stehen. Der Ausschuß hat sich in seinen letzten Beratungen über die Fassung des § 1 zur Frage der Anhörung der Gemeinden die Vorschläge des Vermittlungsausschusses zu eigen gemacht. Ich möchte ausdrücklich betonen: wenn wir dazu kommen, daß wir bei der Beschlußfassung über Gesetze die Praxis des Vermittlungsausschusses hier zur Richtlinie machen, wie das in dem vorliegenden Fall geschehen ist, dann wird das zu Auswirkungen für die Gesetzgebung führen, die meines Erachtens unerwünscht sind. Wir möchten das in diesem Sinne 'als Ausnahmefall gewertet wissen. Wir haben keinen Änderungsantrag gestellt, weil wir uns bei der Lage im Hause im
klaren sind, daß er in jedem Fall abgelehnt würde.
Schließlich bleibt noch ein Wort zu der Frage der Anhörung der Gemeinden überhaupt zu sagen. Wir können hier die Auffassung des Bundesrates nicht teilen, daß die Gemeinden nach dem Bundesgesetz nicht unmittelbar zur Anhörung herangezogen werden können. Es würde heute abend bei der vorgeschrittenen Zeit zu weit führen, eine Reihe von Gesetzen zu erwähnen, in denen auch die Beteiligung der Gemeinden sichergestellt ist. Jedenfalls sollte es im Verhältnis zwischen Bund und Ländern nicht zu dem Grundsatz kommen, daß nur die Länder und nicht die 'Gemeinden unmittelbar angesprochen werden können. Das ist ja eine Frage, die auch im Zusammenhang mit dem Art. 106 unseres Grundgesetzes, der Frage der Finanzverfassung steht. Ich möchte nur ausdrücklich sagen, daß wir keine Anerkennung dieses Rechtsstandpunktes des Bundesrates hinnehmen möchten, auch wenn wir keinen Änderungsantrag gestellt haben.
Insgesamt darf ich Ihnen sagen, daß die sozialdemokratische Fraktion das Gesetz ablehnen wird, weil Inhalt und Begründung des Gesetzes zeigen, daß es ein Folgegesetz der von Ihnen gebilligten Pariser Verträge ist. Wir sind nach wie vor nicht bereit, diesen Folgen auf dem Gebiet der Landbeschaffung für das innerdeutsche Recht zuzustimmen, weil wir die Vertragspolitik der Regierung weiterhin ablehnen.
Die Auswirkungen und die Tragweite dieses Gesetzes hängen wie auch beim Bundesleistungsgesetz weitgehend von dem immer noch nicht abgeschlossenen Stationierungsvertrag zwischen den NATO- Mächten und der Bundesrepublik ab. Wir haben bereits am 12. April und dann noch einmal am 5. Juli auf die Versäumnisse der Regierung bei der Aufnahme der Beratungen hingewiesen. Sie werden nun schon über ein Jahr lang geführt, und ihr Abschluß ist noch nicht abzusehen. Alles, was bisher über diese Verhandlungen bekanntgeworden ist, deutet darauf hin, daß diese Verhandlungen nicht nur in der Frage der deutschen Gleichberechtigung, sondern auch in der Frage der deutschen Leistungen neue Zugeständnisse der Bundesregierung bringen werden. Es ist selbstverständlich, daß diese dann auch zu neuen Landbeschaffungen führen müssen, vor allem wenn die Stationierungsmächte Wünsche der Bundesregierung auf Mitbenutzung und Überlassung von militärischem Gelände ablehnen. Da dieser Vertrag noch nicht abgeschlossen ist, ist auch nicht zu übersehen, wie er sich auswirken wird, und da die Bestimmungen des Landbeschaffungsgesetzes die Möglichkeit der Landbeschaffung nicht begrenzen, sehen wir uns auch aus diesem Grunde zu einer Zustimmung zu dem Gesetz nicht in der Lage.
Ich darf schließlich noch erwähnen, daß wir die Sicherstellung der Familienbetriebe in der jetzt angenommenen Fassung als ungenügend ansehen, weil der Hinweis auf die Beschaffung von „Ersatzland zu angemessenen Bedingungen" einen solchen Spielraum für die Regierung läßt, daß damit in keiner Weise den Interessen der Landwirtschaft gedient wird.
Darüber hinaus, meine Damen und Herren, haben Sie unseren Antrag abgelehnt, in dem wir uns mit dem Land beschäftigen, das die Stationierungsmächte nach unserer Auffassung noch über den wirklich benötigten Rahmen hinaus benutzen.
Aus all diesen Gründen werden wir dem Gesetz nicht zustimmen können und es in der dritten Lesung ablehnen.
Wir haben noch einen Wunsch. Wir bitten, den Entschließungsantrag des Ausschusses dahin zu ergänzen, daß in dem jeweiligen Haushaltsplan des zuständigen Bundesministeriums in den Erläuterungen für den Haushaltsansatz „Landbeschaffung" zu veranschlagen ist, welche Grundstücke und für welche Zwecke sie erworben werden sollen. Auf diese Weise hat das Hohe Haus eine ständige Kontrolle über die vorgesehenen Projekte. Ich glaube, das ist im Interesse aller Beteiligten nützlich und ist für uns ein guter Erinnerungsposten, uns mit den Landbeschaffungsmaßnahmen, die vorgesehen sind, in jedem Jahre erneut zu beschäftigen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Ilk.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das vorliegende Gesetz greift entscheidend in die Besitzrechte vieler Staatsbürger ein. Es war daher unsere größte Sorge, bei der Ausschußberatung darauf hinzuwirken, daß das Eigentum des einzelnen weitestgehend vor Zugriffen des Staates geschützt wird und der Eigentümer, wenn ihm das Eigentum entzogen werden muß, eine entsprechende Entschädigung — sei es in Geld, sei es in Land — erhalten sollte.
Wenn wir heute diesem Gesetz zustimmen, haben wir die Bitte an die Enteignungsbehörden, alles zu tun, um so wenig wie möglich privaten Besitz zu enteignen, sondern weitestgehend auf den Besitz der öffentlichen Hand zurückzugreifen. Wir bitten auch, darauf bedacht zu sein, daß kein Quadratzentimeter Boden unnötig für militärische Zwecke enteignet wird. Wir bitten weiterhin, alles zu versuchen, daß, wenn Grund und Boden erworben werden muß, dem freihändigen Erwerb der Vorzug gegeben wird. Es sollten alle Wege beschritten werden, um durch freihändigen Erwerb den benötigten Grund und Boden zu gewinnen. Auch bei einer Beschlagnahme und einer Enteignung und vor allen Dingen schon bei der Planung muß darauf Bedacht genommen werden, daß nur solche Grundstücke beschlagnahmt werden, die nicht gerade von bester Bonität sind.
Ich bedauere es namens meiner Fraktion sehr, daß auch dieses Gesetz unter einem gewissen Zeitdruck verabschiedet werden mußte.
Die Beratung hat nicht nur unter Zeitdruck gestanden, sondern — das möchte ich auch sagen — sicher auch dadurch gelitten. Vielleicht wäre da oder dort noch eine bessere Formulierung oder eine bessere Lösung gefunden worden, wenn nicht der Zwang bestanden hätte, bis zum 1. Januar 1957 durch ein neues Gesetz das noch in Kraft befindliche Fortgeltungsgesetz abzulösen. Das ist sehr bedauerlich, und es wird sich vielleicht im Laufe der Zeit herausstellen, daß da oder dort eine Änderung durch eine Novelle notwendig sein wird. Das wäre vermieden worden, wenn dieses Gesetz mit einer größeren Ruhe hätte behandelt und durchgearbeitet werden können.
Nachdem das Schutzbereichgesetz und das Bundesleistungsgesetz verabschiedet sind, ist in der
Reihe der zur Ablösung des Fortgeltungsgesetzes notwendigen Gesetze das Landbeschaffungsgesetz als drittes zu verabschieden. Aus diesem Grunde und weil es notwendig ist, die Besitz-, Eigentums- und Entschädigungsverhältnisse derjenigen schnellstens zu klären, die für die Stationierungsstreitkräfte bereits Land hergeben mußten, stimmen wir diesem Gesetz zu.
Das Wort hat der Abgeordnete Engell.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das vorliegende Gesetz soll der Bundesregierung die Möglichkeit geben, Land für Zwecke der militärischen Verteidigung zu beschaffen. Dabei wird die Beschaffung durch freien Ankauf und die Hergabe von Ländereien der öffentlichen Hand in den Vordergrund gestellt. Geben wir uns keinen Täuschungen hin: aus geographischen Gründen wird es vielfach notwendig sein, Land auch bei bäuerlichen Betrieben in Anspruch zu nehmen.
Wenn überhaupt eine Möglichkeit besteht, dieses Gesetz in beschränkterem Umfang anzuwenden, dann dadurch, daß der Herr Bundesverteidigungsminister an die Landplanungen nur sehr vorsichtig herangeht, damit wir nicht wieder wie bei den sonstigen vorherigen Planungen des Bundesverteidigungsministeriums erleben müssen, daß mit Zahlen gearbeitet wird, die gar nicht real sind. Wir glauben, daß dann die Möglichkeit besteht, nur im äußersten Falle Land enteignen zu müssen. Wenn bezüglich der Ländereien, die schon Wehrmachtsbesitz waren und heute von den Stationierungsstreitkräften in Anspruch genommen sind, Überprüfungen vorgenommen und zwischen dem Bundesverteidigungsministerium und den Stationierungsstreitkräften Regelungen getroffen werden, die eine noch intensivere Ausnutzung dieser Ländereien gewährleisten, können wir unseren zusätzlichen Bedarf einschränken.
Bei der Beratung des Gesetzes haben wir allen weitgehenden Anträgen zugestimmt, die sicherstellen sollten, daß bäuerliche Familien, die von der Inanspruchnahme betroffen werden, Ersatzland bekommen. Meine Damen und Herren, wir wollen Ihnen ganz offen gestehen, daß wir nicht ohne Bitternis daran gedacht haben, wie teilweise auch Mitglieder dieses Hauses sich damals bei der Frage verhalten haben, als es im Jahre 1953 darum ging, nun auch heimatvertriebene Bauern unterzubringen,
und welche Schwierigkeiten und Einwendungen
völlig nichtiger Art man hier erhoben hat. Es ging
damals nicht um Enteignung, sondern nur um Förderungsmaßnahmen, diese Menschen unterzubringen. Das habe ich hier heute morgen noch nachgelesen. Es war damals sehr beschämend.
Aber, meine Damen und Herren, wir haben uns von diesen bedauerlichen Vorkommnissen — das müssen Sie uns alle bezeugen — nicht im geringsten beeinflussen lassen, sondern wir sind hier rückhaltlos für die Erhaltung des bäuerlichen Besitzstandes und der bäuerlichen Familie eingetreten. Aber gesagt werden mußte es von uns einmal an dieser Stelle; das war für uns unausweichlich.
Meine Damen und Herren, zum Schluß darf ich Ihnen noch folgendes sagen. Durch die Ablehnung unseres Antrages, den § 62 zu streichen, machen Sie es uns außerordentlich schwer, diesem Gesetz zuzustimmen. Wir haben daher beschlossen, diesen Antrag in dritter Lesung nochmals vorzubringen, und werden unsere endgültige Entscheidung davon abhängig machen, wie Sie sich in dritter Lesung verhalten werden. Es ist für uns völlig unvertretbar, daß Tausende und Zehntausende bäuerlicher Menschen aus dem deutschen Osten hier als Hilfsarbeiter in der gewerblichen Wirtschaft verheizt werden, während Leute, die vielleicht Kriegs- und Konjunkturgewinne in Land angelegt haben, das Recht haben sollen, wieder Land zu kaufen, ohne irgendwie behindert zu sein.
Wir werden dann vielleicht Fälle erleben, wo, sagen wir mal, Schieber, die zu Land gekommen sind, heimatvertriebene Bauern als Knechte beschäftigen. Das sind völlig unvertretbare Dinge. Es wäre sehr bedauerlich und es wäre nicht im wohlverstandenen Interesse des Bauernstandes selbst, wenn Sie für diese psychologischen Dinge, die auch rechtlich völlig unvertretbar sind, kein Verständnis hätten.
Das Wort wird nicht mehr begehrt. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung der dritten Lesung. Ich rufe auf § 1 mit dem Umdruck 869*).
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Baade.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die unerschütterliche Geschlossenheit, mit der die Kollegen und Kolleginnen von der Regierungskoalition unseren Antrag, den wir in der zweiten Lesung gestellt hatten, abgelehnt haben, hat mich nachdenklich gestimmt. Ich betreibe meinen parlamentarischen Beruf gern in der Weise, daß ich versuche, mich in die Seele und in das Denken des Partners und des Gegners hineinzudenken. Bei dieser Forschungsreise durch Ihre Seelen glaube ich einen merkwürdigen Irrtum festgestellt zu haben, der bei Ihnen vorherrscht. Ein sehr erheblicher Teil von Ihnen ist, glaube ich, ehrlich der Meinung, es handle sich bei der Entscheidung über unseren Änderungsantrag zu § 1 um eine Fortsetzung der Wehrdebatte. Das heißt, primitiv ausgedrückt: Diese bösen Sozis, erst stimmen sie gegen die Dienstpflicht und wollen uns keine auf Grund einer Dienstpflicht eingezogenen Soldaten geben, und wenn wir ihnen das verbauen und die Dienstpflicht gegen sie beschließen, wollen sie uns für die Soldaten keine Truppenübungsplätze geben!
— Das Gesetz lehnen wir ab, und zwar aus den Gründen, die mein Kollege hier dargelegt hat.
Ich bin Ihnen für diesen Zwischenruf sehr dankbar, denn er ermöglicht es mir, Ihnen den Unterschied zwischen der grundsätzlichen Ablehnung eines Gesetzes und der produktiven Mitarbeit an Verbesserungen eines solchen Gesetzes darzulegen.
*) Siehe Anlage 14. Wir begrüßen es beispielsweise ehrlich — und ich bin dankbar, daß ich jetzt noch Gelegenheit habe, diesen Punkt zu erwähnen —, daß schon in einem sehr frühen Stadium der Beratungen die Rücksichtnahme auf die Erfordernisse des Naturschutzes in das Gesetz eingebaut worden ist, eine Rücksichtnahme, die in der Regierungsvorlage nicht gestanden hatte. Ich glaube, wir alle sind darüber einig, daß ein wesentliches Bedenken gegen die Auswirkungen des Gesetzes dadurch ausgeräumt worden ist. Sie wissen, wieviel Kummer die Bevölkerung in vielen Teilen Deutschlands und insbesondere die norddeutsche Bevölkerung durch die Verwüstung des Naturschutzgebietes der Lüneburger Heide durch englische Panzer gehabt hat. Daß jetzt die Rücksichtnahme auf den Naturschutz als eine unabdingbare Forderung in diesem Gesetz steht — ihre Aufnahme in das Gesetz ist durch überfraktionelle Zusammenarbeit zustande gekommen —, ist eine Verbesserung.
Nun aber möchte ich um die Erlaubnis bitten, Ihnen an ganz nüchternen Zahlen zu zeigen, daß unser Änderungsvorschlag nichts mit unserer grundsätzlichen Einstellung zu den Fragen der Wiederbewaffnung zu tun hat, sondern daß es sich auch hier um eine klare Verbesserung des Gesetzes handelt. Mein Kollege Schmitt hat Ihnen vorhin schon die Zahlen vorgetragen, die uns in Beantwortung einer vom landwirtschaftlichen Unterausschuß auf meinen Antrag an die Regierung gerichtete Anfrage mitgeteilt worden sind. Die Stationierungskräfte nehmen zur Zeit etwa 295 000 ha in Anspruch, aber von der früheren Wehrmacht wurden nur 185 000 ha beansprucht. 110 000 ha werden also zusätzlich durch die Stationierungskräfte in Anspruch genommen. In derselben Sitzung hat der Sprecher der Regierung — ich glaube, er ist hier am Regierungstisch — auf eine weitere Frage über die Pläne des Verteidigungsministeriums bezüglich weiterer Inanspruchnahme von Land gesagt:
An bundeseigenem Gelände sind zur Zeit etwa 25 000 ha verplant. Für die weitere Planung ist beabsichtigt, besonders Liegenschaften in Anspruch zu nehmen, die zur Zeit von den Stationierungskräften benutzt werden.
Der Zweck unseres Antrags, den Sie vorhin abgelehnt haben, den wir jetzt wieder stellen und bei dem ich Sie nochmals bitte, sich ernstlich zu überlegen, ob Sie ihn jetzt nicht annehmen wollen, ist also nur, den deutschen Stellen für die erforderlichen Verhandlungen mit den Stationierungskräften den Rücken zu stärken.
Das Verteidigungsministerium hat in der Zeit, als die Militärpläne das größte Volumen hatten, als man von einer zweijährigen Dienstpflicht und von einem 500 000-Mann-Heer ausging, nur 25 000 ha Bundesbesitz verplant und hoffte, das, was darüber hinaus noch nötig sein würde, im wesentlichen durch Verhandlungen mit den Stationierungskräften frei machen zu können. Daraufhin kann ich überhaupt nicht begreifen, wie Sie in dem Antrag, den wir hier gestellt haben und den ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten vorlesen möchte, damit er jedem klar ist, eine Gefährdung der von Ihnen beabsichtigten Zwecke des Gesetzes oder gar der Landesverteidigung sehen können. Wir sagen ganz schlicht:
Land darf erst beschafft werden, wenn der dem Bunde gehörende Grundbesitz, der für militärische Zwecke geeignet ist oder hierfür bereits genutzt wird oder der den Streitkräften auswärtiger Staaten im Bundesgebiet zur Verfügung gestellt worden ist, nach Feststellung der Landesregierung für diese Zwecke voll ausgenutzt ist.
Ich kann beim besten Willen nicht verstehen,
wie durch eine solche Formulierung die pflichtgemäße Durchführung der Aufgaben des Verteidigungsministeriums erschwert werden könnte. Erschwert werden, wenn man ihn ablehnt, die Verhandlungen, die das Ziel haben, den Stationierungsmächten zu Unrecht in Anspruch genommenen Boden wieder wegzunehmen, um ihn für die Zwecke der deutschen Truppen zu benutzen. Wenn Sie diesen Antrag ablehnen, 'erschweren Sie die Erreichung des Zieles, das immer Ihr eingestandenes Ziel gewesen ist: nicht nur den einzelnen Bauern zu schützen, sondern die deutsche Landwirtschaft zu schützen.
Und da gestatten Sie mir zum Schluß eine ganz nüchterne volkswirtschaftliche Feststellung. In jedem hochindustrialisierten Land erleben wir einen jahrzehntelangen und im Prinzip nicht zu verhindernden Schrumpfungsprozeß der landwirtschaftlich genutzten Bodenfläche. Es ist klar, daß jede neue Siedlung — Sie brauchen sich nur den Raum Bonn anzusehen — landwirtschaftliche Nutzfläche kostet, leider in vielen Fällen gerade die fruchtbarsten Teile der landwirtschaftlichen Nutzfläche.
Dieser Entwicklung muß da, wo es möglich ist, ein Riegel vorgeschoben werden. Insbesondere muß verhindert werden, daß in diesem Fall und bei dieser Gelegenheit ein weiterer unnötiger Eingriff in die landwirtschaftliche Nutzfläche erfolgt. Hierzu möchte ich eine Zahl anführen. Wir sind stolz darauf, daß wir unter Aufwendung sehr erheblicher öffentlicher Gelder der Nordsee von Zeit zu Zeit ein Stück Land durch Einpolderungen entreißen. Das für das deutsche Volk in dieser Beziehung stolzeste Projekt sind die Eindeichungen am Hindenburg-damm, der zur Insel Sylt herüberführt. In 25 Jahren ist durch die Landgewinnung und die Eindeichung am Hindenburgdamm eine Fläche von 1200 ha gewonnen worden. Die Besatzungsmächte haben in einer Zeit, als wir Deutschen rechtlos waren, 110 000 ha zusätzlich in Anspruch genommen. Helfen Sie uns, daß das wiedergutgemacht wird!
Wird noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag Umdruck 869*) der Fraktion der SPD, der soeben begründet wurde. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über § 1 in der Fassung der zweiten Beratung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich
*) Siehe Anlage 14. bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf § 17. Hierzu liegt der Änderungsantrag des Abgeordneten Dr. Glasmeyer vor, den er bereits in der zweiten Lesung stellen wollte und den er dann zurückgestellt hat. Er lautet:
In § 17 Abs. 2 werden die Worte „eines bäuerlichen Betriebes" abgeändert in die Worte: „eines landwirtschaftlichen Kleinbetriebes und eines bäuerlichen Betriebes"**).
Ein solcher Antrag bedarf der Unterstützung durch 15 Mitglieder dieses Hauses. Herr Dr. Glasmeyer war vorhin so liebenswürdig, ihn zurückzustellen. Wer unterstützt den Antrag? — Es sind mehr als 15 Mitglieder.
Das Wort zur Begründung hat Herr Dr. Glasmeyer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Kollege Dr. Conring hat vorhin in so warmen Worten der kleinen Landwirtschaft gedacht. Ich glaube, es liegt tatsächlich im sozialen Interesse der Beteiligten, den von mir nunmehr gestellten, abgeänderten Antrag anzunehmen.
Meine Damen und Herren, wird weiter das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich habe Ihnen den Antrag vorgelesen. Er ist begründet. Wer dem Antrag Dr. Glasmeyer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Nun lasse ich abstimmen über § 17 in der nunmehr geänderten Form. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf § 23 und dazu den Antrag Umdruck 870*). Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmidt.
Meine Damen und Herren! Ich mache Sie noch einmal darauf aufmerksam, daß die jetzige Fassung des § 23 die Ersatzlandbeschaffung für bäuerliche Betriebe unmöglich macht. Die Worte „Die Beschaffung ist nur dann gegeben, wenn das Land zu angemessenen Bedingungen beschafft werden kann" bilden tatsächlich ein Hindernis für die Ersatzlandgestellung. Die Regierung hat damit alle Möglichkeiten auszuweichen, und das wird sie tun. Mit diesem Begriff ist das Verfahren nicht kontrollierbar.
Ich darf Sie daher bitten, unserem Antrag zuzustimmen. Es wird bei den Betroffenen ein bitteres Erwachen geben, wenn sie erfahren, daß dieser Nebensatz im Gesetz steht, und ich wundere mich nur, daß Herr Kollege Glasmeyer von seiner Rede in der ersten Lesung scheinbar nichts mehr wissen will. Damals hat er sich für die kleinbäuerlichen Betriebe und für die Ersatzlandgestellung stark gemacht.
**) Vgl. S. 9785 C. *) Siehe Anlage 15.
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Meine Damen und Herren, ich kann doch über den Antrag Umdruck 870 im ganzen abstimmen lassen?
Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD zu § 23 auf Umdruck 870, der soeben begründet wurde, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse abstimmen über § 23 in der Fassung der zweiten Beratung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; § 23 ist angenommen.
Ich rufe auf die §§ 31, 53 und 57 mit dem Antrag Umdruck 860*) Ziffern 1, 2 und 3. — Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kopf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem Antrag Umdruck 860 soll das Wort „Zivilgerichten" in drei Paragraphen durch die Worte „ordentlichen Gerichten" ersetzt werden.
Das Hohe Haus hat sich bereits am 5. Juli 1956 bei der Beratung des Bundesleistungsgesetzes mit der Frage der Verwendung des Wortes „Zivilgerichte" befaßt und hat dieses Wort durch die Worte „ordentliche Gerichte" ersetzt. Es handelt sich hierbei nicht nur um eine terminologische Meinungsverschiedenheit; man muß vielmehr die Wahl dieses Wortes im Lichte der größeren Zusammenhänge betrachten. Unser Grundgesetz spricht in Art. 19 vom „ordentlichen Rechtsweg", und in Art. 96 spricht es von dem Gebiet der „ordentlichen, der Verwaltungs-, der Finanz-, der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit".
Was ist ordentliche Gerichtsbarkeit? — Diejenige Gerichtsbarkeit, die durch die Amtsgerichte, Landgerichte, Oberlandesgerichte und den Bundesgerichtshof ausgeübt wird und die sich auf drei Rechtsgebieten, dem der bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, der Strafrechtspflege und der freiwilligen Gerichtsbarkeit, betätigt.
Das Grundgesetz hat durch die Schaffung von Spezialgerichtsbarkeiten bereits eine weitgehende Aufspaltung der Gerichtsverfahren gebracht. Der Gesetzgeber ging dabei von der Überzeugung aus, daß Spezialkenntnisse und besonderer Sachverstand dazu befähigen, bestimmte Sachverhalte sachkundig zu beurteilen.
Auf der anderen Seite aber ist die Erkenntnis, daß die Rechtseinheit aufrechterhalten werden muß, im Wachsen. Ich nehme Bezug auf die Ausführungen, die der Herr Kollege Dr. Bucher vor wenigen Wochen als Berichterstatter des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht gemacht hat. Er hat bei der Behandlung der Frage der Rechtseinheit und des Verfahrensrechts darauf hingewiesen, daß der weiteren Rechtszersplitterung entgegengewirkt werden muß. Wenn wir daher nunmehr bitten, das Wort „ordentliche Gerichte", das im Grundgesetz verwendet ist, einzuführen, so möchten wir damit vermeiden, daß die Rechtspflege, die bereits jetzt in fünf verschiedene
*) Siehe Anlage 13. Säulen aufgespalten ist, eine weitere Aufspaltung erleidet, indem die ordentliche Gerichtsbarkeit in ihre drei Zweige zerlegt wird. Wir möchten daher nicht nur eine geeignetere Bezeichnung einführen, sondern damit auch einem gemeinsamen Anliegen dienen, der Erhaltung und der Wiederherstellung der Einheit unseres Rechts.
Wird noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Meine Damen und Herren, ich darf berichtigen: Auf dem Antrag Umdruck 860*), den der Abgeordnete Kopf soeben begründet hat, muß es unter Ziffer 3 heißen: „§ 57 Abs. 1", nicht „Abs. 2".
Ich darf wohl über den Antrag im ganzen abstimmen lassen, da es sich um dasselbe Begehren handelt. Wer dem Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Kopf, Dr. Weber , Seidl (Dorfen), Dr. Furler und Genossen auf Umdruck 860 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Mit Mehrheit angenommen.
Ich lasse jetzt abstimmen über die §§ 31, 53 und 57 in der nunmehr geänderten Form. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich komme nunmehr zum § 62 und rufe dazu auf einen Änderungsantrag der Fraktion des GB/BHE, der heißt: „§ 62 wird gestrichen". Hierzu hat das Wort der Abgeordnete Dr. Gille.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wiederholen hiermit den Antrag, den Sie in zweiter Lesung mittels Hammelsprungs abgelehnt haben. Lassen Sie mich bitte noch einmal wenige Worte zur Begründung sagen. Wir haben den Eindruck, daß nicht alle Mitglieder des Hauses — was bei einem so langatmigen Gesetz keinen Vorwurf bedeuten soll — ganz im Bilde waren, worum es uns dabei ging.
Der § 62 besagt jetzt, daß allen Landbesitzern, denen im Wege der Enteignung Land abgenommen worden ist, für zehn Jahre das Recht zugebilligt wird, ohne Inanspruchnahme und ohne Nachprüfung durch die Genehmigungsbehörden des Grundstücksverkehrsgesetzes überall Land zu kaufen, wo sie es für richtig halten.
— Ja, ja! Weshalb ist es uns ein besonderes Anliegen, für eine Streichung dieser Bestimmung zu sprechen? Wir vermögen nicht einzusehen, daß außerhalb des Kreises der Berufslandwirte — und es gibt solche — ein derart weitgehendes Recht in einer Zeit zugebilligt werden soll, in der noch 10 000 vertriebene Bauern leider Gottes auf ein Stück Land warten müssen. Um mehr handelt es sich nicht. Im Einzelfall, wenn solch ein Nichtberufslandwirt meinetwegen einen Sohn hat, dem er den Besitz übergeben wollte, haben die Genehmigungsbehörden jederzeit das Recht, dies zu berücksichtigen.
*) Siehe Anlage 13.
Wir bitten doch, das Anliegen richtig zu verstehen. Wer noch Bedenken haben sollte, einem Antrag gerade meiner Fraktion zuzustimmen, den darf ich daran erinnern, daß der Bundesrat in seiner Mehrheit den gleichen Gedanken gefaßt und diesen Gedanken auch beschlußmäßig festgelegt hat. Ich bitte Sie herzlich darum, meine Damen und Herren: Machen Sie es so, wie es sich seit Jahrzehnten durchaus bewährt hat. Auch in der Frage der Beschaffung des Ersatzlandes soll die Genehmigungskommission, in der ja überwiegend Vertreter des Bauernstandes sind, ihr Votum abgeben. Dann können wir in besonders bösen Fällen — wir denken eben in der Tat an Landbesitz eines Nichtberufslandwirts — eine Ablehnung vermeiden. Mehr steckt in unserem Antrag auf Streichung dieses Paragraphen nicht drin. Ich bitte noch einmal herzlich darum, den § 62 zu streichen. Dadurch wird weder die Praktizierbarkeit dieses Gesetzes erschwert, noch werden dadurch irgendwelche echten bäuerlichen Interessen berührt.
Wir bitten Sie darum, aus den genannten Gründen unserem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Glasmeyer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte Ihnen ganz offen folgendes sagen. Als Bauer habe ich ein Interesse daran, daß der Streichungsantrag des Kollegen Engell angenommen wird.
Meine Damen und Herren, wird weiter das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Es handelt sich also um denselben Antrag, über den wir vorhin durch Auszählen abgestimmt haben. Vielleicht geht es diesmal einfacher. Ich bitte um Ihr Einverständnis, damit es in der Beurteilung der Sache keine Schwierigkeiten gibt, daß wir genauso wie vorhin abstimmen. Wer für den Paragraphen ist, stimmt mit Ja, und wer für die Streichung ist, stimmt mit Nein. — Das Haus ist einverstanden. Wer dem § 62 in der Fassung der zweiten Beratung zustimmt, ihn also erhalten wissen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer gegen den § 62 ist, ihn also im Sinne des Antrags Engell streichen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Das zweite ist die Mehrheit; der Paragraph ist gestrichen.
Ich rufe § 66 a mit Umdruck 871*) auf. Nach dem Antrag auf diesem Umdruck soll ein neuer § 66 a eingefügt werden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmitt .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Hoffnung, daß bei manchen Mitgliedern des Hauses vorhin bei der Abstimmung ein Mißverständnis vorlag. Der von uns vorgeschlagene Paragraph soll lediglich sicherstellen, daß die Bestimmungen der §§ 6, 7, 8 und 10, die Grundsatzbestimmungen für die
*) Siehe Anlage 16. Landbeschaffungen sind, auch in den Fällen Anwendung finden, in denen auf bundeseigenem Gelände Kasernen und sonstige Bundeswehrbauten errichtet werden. Ich glaube, wir können dieser Bestimmung um so mehr zustimmen, als sie doch nur eine Sicherstellung der Verkehrseinrichtungen, der Wasserversorgung und ähnlicher Einrichtungen bezweckt und als sie darüber hinaus die Sicherstellung der in § 8 angesprochenen gemeindlichen Einrichtungen im Auge hat.
Ich möchte Sie also noch einmal bitten, diesem Antrag jetzt in der 3. Lesung zuzustimmen.
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wer dem Antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 871 auf Einfügung eines § 66 a zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Meine Damen und Herren, ich habe noch eine Berichtigung nachzutragen. In dem Antrag des Abgeordneten Dr. Glasmeyer soll es, wenn ich ihn recht verstanden habe, nicht, wie es schriftlich vorliegt, heißen „eines landwirtschaftlichen Kleinbetriebes und eines bäuerlichen Betriebes", sondern „eines landwirtschaftlichen Kleinbetriebes oder eines bäuerlichen Betriebes". Die Berichtigung ist festgestellt.
Wir kommen damit zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; gegen die Stimmen der sozialdemokratischen Fraktion angenommen.
Wir kommen nunmehr zu Ziffer 2 des Ausschußantrags auf Drucksache 2909, die eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Wir kommen nunmehr zu der Entschließung und damit auch zum Umdruck 865*) Ziffer 2.
Das Wort hat der Herr Staatssekretär Ritter von Lex.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 865 Ziffer 2, die zum Gesetz vorgeschlagene Entschließung durch einen haushaltsmäßigen Hinweis zu ergänzen, wirft eine Reihe von haushaltsrechtlichen und haushaltstechnischen Fragen auf, die einer näheren Prüfung bedürfen. Die Bundesregierung bittet daher, diesen Antrag zunächst dem Haushaltsausschuß zur Prüfung zu überweisen.
Meine Damen und Herren, wird noch das Wort gewünscht? — Dann muß ich zuerst abstimmen lassen über den Änderungs- bzw. Ergänzungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 865 Ziffer 2. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich
*) Siehe Anlage 10.
bitte um die Gegenprobe. - Das zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Damit kommen wir zur Entschließung, wie sie in Ziffer 3 des Ausschußantrags auf Drucksache 2909 vorgelegt ist. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen.
Meine Damen und Herren, damit sind wir schon kurz vor 21 Uhr. Ich berufe die nächste, die 177. Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 6. Dezember 1956, 14 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.