Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 141. Sitzung des Deutschen Bundestages.
Sie erinnern sich von gestern her, daß wir die Tagesordnung umgestellt haben. Um Mißverständnisse zu vermeiden, will ich den gestrigen Beschluß wiederholen. Wir werden zunächst die beiden Vermittlungsausschußsachen verhandeln. Dann kommt die zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Dritten Gesetzes über Änderungen und Ergänzungen von Vorschriften des Zweiten Buches der Reichsversicherungsordnung, Gesetz über Krankenversicherung der Rentner. Danach kommt die erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die friedliche Verwendung der Kernenergie und sodann als Punkt 5 die Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Zuschußsperre gegen den Sozialistischen Deutschen Studentenbund. Dann geht die Tagesordnung so, wie sie Ihnen gedruckt vorliegt, weiter.
Ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz über die Tilgung von Ausgleichsforderungen (Drucksache 2248).
Das Wort zur Berichterstattung hat Herr Senator Dr. Klein .
Dr. Klein, Senator des Landes Berlin, Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ihnen heute erneut vorliegende Gesetzentwurf befaßt sich mit der Tilgung der Ausgleichsforderungen, d. h. der Schuldforderungen, die den Geldinstituten, Versicherungsunternehmen und Bausparkassen infolge der Währungsreform zugeteilt wurden, und zwar zum Ausgleich der Passiven, die durch den Verlust oder die Wertminderung von Aktiven nicht mehr gedeckt wurden. Die Summe dieser Ausgleichsforderungen beträgt rund 20 'Milliarden DM, von denen etwa 121/2 Milliarden DM gegen die Länder und 71/2 Milliarden DM gegen den Bund gerichtet sind.
Es besteht Einigkeit darüber, daß diese Papiere, die wegen ihrer geringen Verzinsung — es handelt sich um 3 bis 41/2 % im Jahr —, ihres Zwangskurses und ihrer praktisch nicht vorhandenen Handelbarkeit einen Fremdkörper in unserem Finanzwesen darstellen, der soweit als möglich beseitigt werden sollte.
Es bestehen nun Zweifel über die Art und den Umfang der Tilgung. In dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf ist neben einer vom Schuldner zu bewirkenden linearen Tilgung mit halbjährlich 1/20/o zuzüglich der durch die fortschreitende Tilgung ersparten Zinsen die Bildung eines Ankaufsfonds bei der Bank deutscher Länder vorgesehen, der in der Hauptsache aus dem Reingewinn der Bank deutscher Länder mit jährlich 40 Millionen DM, von 1980 ab mit jährlich 30 Millionen DM gespeist wird und der diejenigen Ausgleichsforderungen ankaufen soll, deren endgültige Übernahme geboten erscheint, um den Gläubigern die Erfüllung fälliger Verbindlichkeiten zu ermöglichen.
Der Bundesrat hat im ersten Durchgang des Gesetzes einige Änderungen vorgeschlagen, denen der Bundestag jedoch mit Ausnahme des Vorschlags eines späteren Tilgungsbeginns -- 1. 1. 56 statt 1. 1. 55 — nicht gefolgt ist.
Beim zweiten Durchgang des Gesetzes hat der Bundesrat beschlossen, den Vermittlungsausschuß mit zwei Zielen anzurufen: erstens, § 9 Abs. 4, der vom Bundestag verändert worden ist, in der Fassung der Regierungsvorlage wiederherzustellen, und zweitens, § 13 Abs. • 3 zu streichen, eine Forderung, die schon im ersten Durchgang erhoben wurde.
§ 9 Abs. 4 beschäftigt sich mit der Verwendung der Mittel aus dem Ankaufsfonds. In der Fassung der Regierungsvorlage wird vorgeschrieben, daß zur Verwendung dieser Mittel die Zustimmung der Bundesminister der Finanzen und für Wirtschaft erforderlich ist und den nach Landesrecht zuständigen Stellen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden muß.
In der vom Bundestag beschlossenen Fassung des § 9 Abs. 4 ist nur gesagt, daß die Bank deutscher Länder die Mittel erst verwenden darf, wenn die Bundesminister für Wirtschaft und der Finanzen den Grundsätzen der beabsichtigten Verwendung zugestimmt haben.
Diese Einschränkung scheint dem Bundesrat bedenklich zu sein. Er ist der Auffassung, daß die Länder daran interessiert sind, bei der Verwendung der Mittel des Ankaufsfonds gehört zu wer-
den, weil sie auf Grund ihrer Verwaltungspraxis die Ermessensfrage des Bedürfnisses im Einzelfall am besten beurteilen können.
§ 13 Abs. 3 enthält eine Bestimmung, deren Zweck es ist, die Bundesregierung zu ermächtigen, diejenigen Summen, die im Zusammenhang mit der Liquidation der Reichsbank und der Deutschen Golddiskontbank zu zahlen sein werden, innerhalb gewisser Grenzen mit den aus dem Gewinn der Bank deutscher Länder an den Ausgleichsfonds zu zahlenden Beträgen zu verrechnen. Der Bundesrat hatte die Streichung dieser Bestimmung verlangt, weil er der Ansicht ist, daß die Bank deutscher Länder den Hauptgewinn aus dem gesamten Zentralbanksystem zieht und es aus diesem Grunde nicht mehr als recht und billig wäre, daß den Ländern in Form der Zahlungen an den Ausgleichsfonds aus dem Reingewinn der Bank deutscher Länder wenigstens ein Teil des Gewinns des Zentralbanksystems dadurch zugute kommt, daß auch Ausgleichsforderungen gegen die Länder durch Mittel des Ankaufsfonds getilgt werden können. Der Vermittlungsausschuß, der sich mit dem Entwurf in seiner Sitzung am 22. März 1956 beschäftigte, hat dem Antrag des Bundesrates auf Streichung des § 13 Abs. 3 nicht zugestimmt. Er hat jedoch den Bedenken des Bundesrates hinsichtlich der vom Bundestag beschlossenen Fassung des § 9 Abs. 4, in der eine Mitwirkung der Länder nicht vorgesehen war, Rechnung getragen und schlägt als einzige Änderung vor, an die vom Bundestag beschlossene Fassung des § 9 Abs. 4 einen Satz anzufügen, nämlich den Satz:
Den nach Landesrecht zuständigen Stellen ist zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben,
im übrigen aber das Gesetz unverändert anzunehmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Nach der Geschäftsordnung ist ohne Aussprache über den Antrag des Vermittlungsausschusses abzustimmen. Wer für den Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe Punkt 2 auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes zu dem Zweiten Gesetz zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit (Drucksache 2292).
Das Wort zur Berichterstattung hat der Abgeordnete Dr. Arndt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Zweite Gesetz zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit betrifft das deutsch-österreichische Staatsangehörigkeitsproblem. Gegen dieses Gesetz hat der Bundesrat den Vermittlungsausschuß mit drei verschiedenen Anliegen angerufen.
Erstens wollte der Bundesrat in § 1 und § 6 eine Änderung des Kreises der Beteiligten haben. Ich glaube, daß dieses recht schwierige Problem hier nicht noch einmal auseinandergesetzt zu werden braucht, weil der Vermittlungsausschuß einstimmig — bei einer Stimmenthaltung — den
Wunsch des Bundesrates nicht glaubte erfüllen zu können. Infolgedessen bleibt es bei der vom Bundestage mit großer Mehrheit beschlossenen Gesetzesfassung.
Zweitens wollte der Bundesrat haben, daß in § 5 der Stichtag bestehenbliebe, wie er sich im Jahre 1945 durch die Wiederbegründung der Bundesrepublik Österreich ergeben hat. Der Bundesrat wollte also nicht die Erleichterung gewähren, auf die sich Bundestag und Bundesregierung geeinigt hatten, daß nämlich praktisch jeder, der bis zum Erlaß des Grundgesetzes seinen Wohnsitz in Deutschland genommen hat. sich durch eine einfache Erklärung die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten kann. Der Vermittlungsausschuß ist aber auch hier mit 13 gegen 2 Stimmen zu dem Ergebnis gekommen, daß die Gesetzesfassung, wie der Bundestag sie beschlossen hat, die richtigere sei, zumal die Verwaltungsbedenken, die dagegen erhoben worden waren, nicht stichhaltig erschienen und überdies Herr Staatssekretär Dr. Hallstein für die Bundesregierung die Erklärung abgab, daß auch die Bundesrepublik Österreich sich mit einer solchen Regelung einverstanden erklärt habe.
Drittens hat der Bundesrat bemängelt, daß die Fristen in § 8 zu kurz seien. Diese Kritik erschien dem Vermittlungsausschuß richtig. Der § 8 soll deshalb in der Weise neu gefaßt werden, daß die Endtermine der Fristen weiter hinausgesetzt werden. Insbesondere können die Erklärungen nicht nur bis zum Schlusse dieses Jahres, sondern bis zum 30. Juni 1957 abgegeben werden. Daraus erklärt sich die Änderung in § 8 Abs. 1, so wie sie aus der Ihnen vorliegenden Drucksache 2292 ersichtlich ist.
Der Vermittlungsausschuß hat beschlossen, daß es sich um einen einheitlichen Vermittlungsvorschlag handelt, so daß eine Gesamtabstimmung vorzunehmen ist.
Namens des Vermittlungsausschusses darf ich Sie bitten, diesem Vermittlungsantrage zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Auch hier wird ohne Aussprache entschieden werden müssen. Wer für den Ausschußantrag ist, den bitte ich um ein Handzeichen. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle auch hier einstimmige Annahme fest.
Wir kommen nunmehr zum neuen Punkt 3 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Dritten Gesetzes über Änderungen und Ergänzungen von Vorschriften des Zweiten Buches der Reichsversicherungsordnung (Drucksache 1234);
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (Drucksachen 2256, zu 2256, Änderungsanträge Umdrucke 567, 568 [neu], 569, 570, 571 [neu]).
Das Wort zur Berichterstattung hat der Abgeordnete Ruf, — es sei denn, daß das Haus auf mündliche Berichterstattung verzichten will. Verzichtet das Haus auf mündliche Berichterstattung?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bericht des Sozialpolitischen Ausschusses liegt dem Hohen Hause bereits schriftlich vor*). Ich kann daher auf eine ausführliche Berichterstattung im Augenblick verzichten. Ich will lediglich einige wichtige Punkte aus dem Schriftlichen Bericht herausgreifen, die von allgemeinerem Interesse sein dürften.
Zunächst lassen Sie mich einiges zu der Grundsatzentscheidung der Vorlage sagen. Der vorliegende Entwurf macht die Krankenversicherung der Rentner zu einer Aufgabe der sozialen Krankenversicherung, d. h. der Krankenversicherungsschutz für die Rentner ist nicht mehr wie bisher eine Auftragsangelegenheit für die Krankenkassen, sondern eine wesenseigene Aufgabe der Krankenversicherung. Diese Zuordnung der Krankenversicherung der Rentner in die soziale Krankenversicherung bewirkt der Entwurf, was ja auch schon aus der Überschrift hervorgeht, durch Änderungen und Ergänzungen von Vorschriften des Zweiten Buchs der Reichsversicherungsordnung. Hierdurch wird eine klare und saubere Trennung der Zuständigkeits- und Aufgabenbereiche dieser beiden Sozialversicherungszweige herbeigeführt.
In der Vergangenheit kam es nämlich immer wieder zu gewissen Spannungen zwischen den Rentenversicherungsträgern und der Krankenversicherung. Diese Spannungen waren unvermeidlich. Denn die Krankenkassen verlangten ihrerseits von ihren Auftraggebern den vollen Ersatz ihrer Aufwendungen für die Krankenversicherung der Rentner. Die Rentenversicherungen hatten aber kaum einen Einfluß auf das, was sie bezahlen mußten, nämlich auf die Leistungen für die Krankenversicherung der Rentner.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, doch ein wenig dem Redner zuzuhören.
Nunmehr wird der auch sonst übliche und eigentlich doch selbstverständliche Grundsatz durchgeführt, daß Verantwortung für die Finanzen und Verantwortung für die Aufgaben zusammengehören. Träger einer Aufgabe soll der sein, der sie in eigener Verantwortung auch in finanzieller Hinsicht durchführt.
Nun lassen Sie mich einige kurze Bemerkungen zum Personenkreis machen, eine Frage, die im Ausschuß im Verlaufe der Beratungen ganz besonders viel diskutiert wurde und umstritten war. Bisher waren in die Krankenversicherung der Rentner schlechthin alle Rentner einbezogen. Das soll in Zukunft nicht mehr der Fall sein. In Zukunft werden einige Gruppen von Rentnern aus der Krankenversicherung der Rentner ausgeschlossen. Es werden zunächst einmal diejenigen ausgeschlossen, die schon auf Grund von Beschäftigung versichert sind. Das bedeutet für diese Gruppe keine Härte. Es werden ferner diejenigen Rentner ausgeschlossen, die schon anderweitig einen Versicherungsschutz in der Krankenversicherung haben, etwa, weil für sie Beiträge vom Lastenausgleich oder von der Arbeitslosenversicherung gezahlt werden. Ferner werden diejenigen nicht mehr einbezogen, die es nie nötig hatten, im Laufe ihres Arbeitslebens Beiträge für die Versicherungsgemeinschaft der Krankenversicherung
*) Siehe Anlage 2.
zu zahlen. Der Entwurf in der Fassung, die ihm durch den Ausschuß gegeben wurde, bestimmt ferner, daß diejenigen Rentner, die während der letzten fünf Jahre vor Stellung des Rentenantrages nicht mindestens 52 Wochen versichert waren, hier nicht einbezogen werden sollen. Der Ausschuß hat aber beschlossen, daß diejenigen Rentner, die vor dem Rentenbezug nicht krankenversichert waren, sich freiwillig versichern können, wenn ihr jährliches Einkommen den Betrag von 6000 DM nicht übersteigt.
Nun einiges zu den Leistungen! Die Rentner werden in Zukunft vollwertige Mitglieder der sozialen Krankenversicherung; sie haben also Anspruch auf die gleichen Leistungen wie die aktiven Versicherten. Sie bekommen, wie das bisher schon der Fall war, lediglich kein Krankengeld. Auf Krankengeld haben sie deswegen keinen Anspruch, weil die Rente für die Dauer der Krankheit vom Rentenversicherungsträger weitergezahlt wird. Darüber hinaus bekommen sie sämtliche Barleistungen der Krankenversicherung. Das bedeutet insbesondere, daß sie in Zukunft, was sie bisher nicht hatten, einen Anspruch haben auf Zuschüsse für Zahnersatz, für größere Heil- und Hilfsmittel, daß Rentnerinnen gegebenenfalls Schwangerschaftsgeld, Wochengeld und Stillgeld bekommen.
Die in der Regierungsvorlage vorgesehene Kostenbeteiligung der aktiven Versicherten und der Rentner ist vom Ausschuß nicht behandelt worden. Diese Frage wurde zurückgestellt, bis nach der Reform der Rentenversicherung die Reform der sozialen Krankenversicherung in Angriff genommen wird.
Eine Neuregelung ist für das Sterbegeld beschlossen worden. Bisher erhielten die Rentner als Sterbegeld lediglich feste Beträge, die im Bundesgebiet uneinheitlich festgesetzt waren. In Zukunft sollen die Rentner, wiederum wie die aktiven Versicherten, 20 °/o des Grundlohnes bekommen. Es wurde ein Mindestbetrag festgesetzt; er wurde gegenüber der Regierungsvorlage auf 100 DM erhöht. Die Satzungen können von sich aus bestimmen, daß dieser Betrag noch einmal auf 150 DM erhöht wird. Das finden Sie in den Nummern 12 bis 14 des Art. 1 der Vorlage.
Zur Frage der Zusatzversicherung eine kurze Bemerkung! Bisher gab es für die Rentner Zusatzversicherungen für größere Heilmittel, für Hilfsmittel gegen Verunstaltungen und für Zahnersatz. Diese Zusatzversicherungen erlöschen. Sie können ruhig erlöschen; das bedeutet keine Härte, denn diese Leistungen werden jetzt kraft Gesetzes gewährt. Die bestehenden Zusatzsterbegeldversicherungen sollen auslaufen. Neue Zusatzversicherungen auf Sterbegeld sollen in Zukunft nicht mehr möglich sein. Der Besitzstand wird aber gewahrt.
Neu sind auch die Bestimmungen bezüglich des Familiensterbegeldes. Bisher war das Familiensterbegeld im Bundesgebiet ebenfalls uneinheitlich. Es war eine Kann-Leistung; in Zukunft soll es eine Pflichtleistung der Krankenversicherung werden. Gleichzeitig wurde ein Mindestbetrag von 50 DM festgesetzt. Auch das bedeutet eine beachtliche Verbesserung der Leistungen in der Krankenversicherung für die Rentner, die man doch nicht übersehen sollte.
Nun noch ein Punkt, der von besonderer Bedeutung für die Rentner ist! Das ist die Bestimmung, wonach in Zukunft der Versicherungsschutz
beim Ausscheiden aus dem Arbeitsleben nicht mehr unterbrochen werden soll. Der Krankenversicherungsschutz wird in Zukunft nämlich nicht wie bisher erst nach Erteilung des Rentenbescheides, sondern schon nach Stellung des Rentenantrags dem Rentner gewährt werden. Auch diese Bestimmung finden Sie in Artikel 1 Nr. 1 a und Nr. 23.
Zur Frage der Kassenzuständigkeit. Es ist Ihnen bekannt, daß bisher ein Monopol der Ortskrankenkassen bzw. Landkrankenkassen bestanden hat. In Zukunft sollen die Rentner möglichst bei der Kasse verbleiben, der sie während ihres Arbeitslebens angehört haben. Diese Regelung entspricht einem vielfach. geäußerten Wunsch der Rentner selber. Wer als Rentner nach den bisher geltenden Vorschriften bereits bei den Allgemeinen Ortskrankenkassen bzw. Landkrankenkassen versichert ist, aber den Wunsch hat, zu seiner früheren Kasse — Ersatzkasse, Betriebskrankenkasse oder Innungskrankenkasse — zurückzukehren, kann bis zum 31. Dezember 1956 die Mitgliedschaft bei der Kasse beantragen, der er während der letzten fünf Jahre vor Stellung des Rentenantrages mindestens 52 Wochen angehört hat. Das finden Sie im Art. 2 § 1.
Nun, meine Damen und Herren, darf ich meinen Schriftlichen Bericht noch in einem Punkt ergänzen. Ich habe im Abschnitt III des Berichts erwähnt, daß der Entwurf eine Vereinheitlichung des Krankenversicherungsrechts insofern herbeiführt, als er für die §§ 165 bis 167 der Reichsversicherungsordnung die Fassung der sogenannten Vereinfachungsverordnung vom 17. März 1945 übernimmt. Diese Verordnung ist seinerzeit — sie stammt aus den letzten Kriegstagen — lediglich in der britischen Zone in vollem Umfang in Kraft getreten, während es damals in der amerikanischen und in der französischen Zone beim alten Recht verblieben ist. Wir hatten also ein uneinheitliches Recht auf diesem relativ wichtigen Gebiet. Allerdings muß hinzugefügt werden: sie ist für ganz bestimmte Tatbestände durch zwei Entscheidungen des ehemaligen bayerischen Versicherungsamtes auch für idas Land Bayern für gültig erklärt worden. Sie sehen, meine Damen und Herren, eine Vereinheitlichung des Rechts war also dringend notwendig.
Nun hat ein Mitglied des Sozialpolitischen Ausschusses bedauert, daß dieses einheitliche Recht nicht schon früher und auch auf anderen Gebieten hergestellt worden ist. Ein anderes Mitglied des Sozialpolitischen Ausschusses hat gegen eine unveränderte Übernahme der Fassung der britischen Zone, also der Fassung der erwähnten Vereinfachungsverordnung, Einwendungen erhoben; es hat insbesondere darauf hingewiesen, daß hierdurch für die frühere amerikanische und französische Zone der Personenkreis der in der Krankenversicherung Versicherungspflichtigen ausgedehnt wird. Gedacht wurde hierbei vor allem an die von jeher viel diskutierte Frage der Versicherungspflicht auf Grund des Nebenberufs und die Versicherungspflicht der sogenannten arbeitnehmerähnlichen Selbständigen. Der Sozialpolitische Ausschuß hat jedoch mit Mehrheit die Übernahme der Fassung der erwähnten Vereinfachungsverordnung gebilligt.
Ich will das Problem hier jetzt nicht vertiefen, möchte lediglich der Fairneß und der Vollständigkeit der Berichterstattung halber noch auf diese Einwände hingewiesen haben. Bezüglich aller weiteren Einzelheiten darf ich Sie auf den Schriftlichen Bericht verweisen.
Ich habe die Ehre, Ihnen die Annahme des Gesetzentwurfs in der vom Sozialpolitischen Ausschuß beschlossenen, vom Gesundheitsausschuß mit Mehrheit gebilligten Fassung zu empfehlen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe Art. 1 auf. Ich werde die verschiedenen Änderungsanträge, die gestellt sind, zu den einzelnen Nummern dieses Artikels aufrufen und bitte darum, sich bei der Aussprache an das Thema der einzelnen Ziffer zu halten, die gerade in Behandlung ist.
Zu Art. 1 Nr. 1 liegen ein Änderungsantrag der SPD Umdruck 569 und ein Änderungsantrag der Fraktion der Deutschen Partei Umdruck 568 vor.
Es sind also diese beiden Anträge, die nunmehr zunächst behandelt werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Freidhof.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte den Änderungsantrag der sozialdemokratischen Fraktion Umdruck 569*) kurz begründen. Nach dem Entwurf, wie er uns vorliegt, und nach den Beschlüssen des 28. Ausschusses werden Rentner, die jetzt allgemein in der Rentnerkrankenversicherung sind, in der Zukunft nur noch dann in die Rentnerkrankenversicherung übernommen, wenn sie vor der Stellung ihres Rentenantrags mindestens 52 Wochen in der gesetzlichen Krankenversicherung gewesen sind.
Seither war es so, daß alle Rentner, gleichgültig, ob sie krankenversicherungspflichtig gewesen waren oder nicht, automatisch in die Rentnerkrankenversicherung übergeführt wurden. Wenn das nicht mehr der Fall ist, dann bedeutet das eine erhebliche Verschlechterung für einen Teil der Rentner, weil sie dann nicht mehr in die Rentnerkrankenversicherung übergeführt werden können, wenn sie nicht 52 Wochen in den letzten fünf Jahren vor Stellung ihres Antrags krankenversicherungspflichtig gewesen sind.
Wir haben deshalb den Antrag gestellt, den Zustand, wie er jetzt besteht, zu belassen, und bitten Sie, die beabsichtigte Verschlechterung abzulehnen, weil sie besonders für die freiwillig Versicherten, vor allen Dingen für die Handwerker, die nach dem Handwerkerversicherungspflichtgesetz zwar sozialversichert sein müssen, aber nicht unter allen Umständen auch der Krankenkasse anzugehören brauchen, Nachteile mit sich bringt. Dieser Personenkreis wurde seither automatisch in die Rentnerkrankenversicherung übergeführt. Nach der jetzt beschlossenen Fassung des § 165 Absätze 3 und 4 wäre das nicht mehr der Fall. Um diese Ungerechtigkeit auszugleichen, haben wir unseren Änderungsantrag gestellt. Ich bitte Sie, ihm zuzustimmen, um so mehr, als auch die CDU/CSU selber im Ausschuß zuerst für unsern Antrag eingetreten ist.
Ich glaube, es ist ein Akt der Gerechtigkeit und der Billigkeit, den seitherigen Zustand zu belassen. Ich bitte Sie deshalb nochmals, unserem Antrag zuzustimmen.
*) Siehe Anlage 5.
.) Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ehe ich den Änderungsantrag Umdruck 568 begründe, der ein Antrag nicht nur der Deutschen Partei, sondern ein gemeinsamer Antrag der Fraktionen der Deutschen Partei, der Demokratischen Arbeitsgemeinschaft und der Freien Demokratischen Partei ist, bitte ich, zu Art. 1 Ziffer 1 Stellung nehmen zu dürfen. Die Änderungsanträge berühren die Ziffer 1 des Art. 1 noch nicht.
Ich bin dem Herrn Kollegen Ruf dankbar, daß er in seiner Ergänzung zu dem Bericht noch auf das außerordentlich wichtige Problem hingewiesen hat, das sich in den Art. 1 dieses Gesetzes so ganz nebenher — am Rande — ja sozusagen aus dem Hintergrund hineingeschlichen hat. Ich nahm ursprünglich an, daß der Kollege Ruf die Probleme des § 165 RVO in seinem Bericht vielleicht nicht nur aus Versehen, sondern mit einer gewissen Absicht nicht erwähnt hat. Ich bin aber immer bereit, meine Meinung zu revidieren, und das tue ich hier mit Freude, indem ich den Verdacht zurücknehme. Ich freue mich, daß er mir durch seine zusätzliche Erklärung heute Gelegenheit gibt, in dieser so bedeutungsvollen, wichtigen Frage grundsätzlich Stellung zu nehmen.
Es ist zweifelsohne so, daß die drei Fraktionen, die nachher auch zur Frage der Versicherungspflicht gemeinsam ihren Willen bekunden, schon im 1. Bundestag, und zwar schon damals erfreulicherweise in voller Übereinstimmung auch mit der CDU/CSU — ich möchte jetzt gleich zu Beginn unserer Beratungen daran die Hoffnung knüpfen, daß wir am Ende der Beratungen diese volle Übereinstimmung wiederherstellen können —, darin einig waren — ich kann nur sagen, daß ich heute noch diese Einigkeit als eine der wichtigsten Voraussetzungen empfinde —, als Voraussetzung jeder Reform die Rechtseinheit herzustellen. Aber, meine Herren und Damen, die Rechtseinheit herstellen kann nicht bedeuten, daß man aus der Rechtszersplitterung nach der einen oder anderen Seite gewisse Dinge herauspickt, die dem einen oder dem andern sympathisch sind, und die großen, grundsätzlichen Fragen, seien sie auch unangenehm, erfordern sie auch politischen Mut, erfordern sie sogar Gewissensentscheidungen, einfach hintansetzt und nicht entscheidet. Es ist nicht ganz so, wie aus den Ausführungen des verehrter Kollegen Ruf geschlossen werden könnte, als behandle die Verordnung vom 17. März 1945, die in der britischen Zone in Kraft getreten ist, aber auch für Bremen und Bayern gilt, nur den § 165 RVO. Sie behandelt ein ganzes Gebiet des Versicherungsrechts und schließt eine Reihe von Paragraphen mit ein, die die Fragen der Versicherungspflicht, der Versicherungsberechtigung und vieles andere mehr entscheidend verändert haben. Man mag über den Geist der Verordnung von 1945 unterschiedlicher Meinung sein, in einem muß man doch übereinstimmen: daß man sich für die eine oder andere Lösung erst dann entscheiden darf, wenn man die Voraussetzungen, aber auch die Wirkungen dieser Lösung übersieht.
Der Kollege Dr. Atzenroth, der stellvertretend in den Ausschuß kam, hat den berechtigten Wunsch geäußert, doch einmal den genauen Text des § 165 alter Fassung dem Text neuer Fassung gegenüberzustellen und dann zumindest im Ausschußprotokoll den Katalog, wer denn nun in Zukunft versicherungspflichtig sein soll, genau festzulegen. Das ist abgelehnt worden. Meine Bedenken, daß sich die Herstellung der Rechtseinheit nur auf die §§ 165, 166 und 167 neuer Fassung beziehen soll, daß -dagegen die übrigen Paragraphen, die ebenfalls die Versicherungsfreiheit und die Versicherungspflicht zum Inhalt haben, nicht mitbehandelt werden sollen, sind vom Ausschuß sicherlich anerkannt worden; das hat die Diskussion ergeben. Aber aus einer gewissen, ich möchte nicht sagen: Bequemlichkeit, aber aus einer Sorge darum — so steht es im Protokoll zu lesen
daß eine Debatte über die Frage der Versicherungspflicht entbrennen könnte, hat man diesen Wünschen nicht Rechnung getragen.
Nun, meine Herren und Damen, um diese Debatte kommen wir niemals herum, wie wir auch um Grundsatzentscheidungen niemals herumkommen werden, wenn es uns wirklich damit ernst ist, die Grenzen, die die Voraussetzungen für den Versicherungszwang sind, richtig zu ziehen, sie neu festzusetzen und sie den gegebenen Verhältnissen anzupassen. Ich will beileibe heute nicht eine Debatte etwa um das gesamte Problem der Versicherungspflicht eröffnen.
— Sie dürfen beruhigt sein, lieber Kollege Arndgen, das würde den ganzen Vormittag füllen. Ich habe nicht die Absicht, die übrigen Probleme zu kurz kommen zu lassen. Aber ich würde mich einer Gewissensverletzung schuldig machen, wenn ich nicht darauf hinweisen würde, was denn diese Änderung bedeutet.
Ich muß leider mit einer gewissen Besorgnis über die Form, wie wir Gesetze machen, feststellen, daß in der Begründung der Bundesregierung zu diesem Art. 1 überhaupt nichts gesagt ist und daß auch in der Begründung des Bundesrates zu diesem Art. 1 Abs. 1 — und der Bundesrat ist sonst doch sehr gründlich — nichts gesagt ist, wobei ich mich des Verdachts nicht erwehren kann, daß bei den sonst gründlichen Sachverständigen des Bundesrates vielleicht ähnliche Argumente Pate gestanden haben wie bei den Ausschußmitgliedern des Bundestages: beileibe nicht Schwierigkeiten zu diskutieren, die sich aus gegenteiligen Meinungen der Koalitionen in den Ländern ergeben könnten. Aber der Auftrag des Politikers ist es, den Schwierigkeiten nicht auszuweichen. So wie wir tagtäglich in unserem Gewissen — und nur da allein — Entscheidungen treffen müssen, auch wenn die verschiedenen Interessen aufeinanderprallen, so müssen wir uns tagtäglich entscheiden, selbst wenn uns unsere eigene Fraktion, selbst wenn uns alle Freunde verlassen sollten, nur nach dem Gewissen zu handeln. Ich will es für diejenigen, denen die schwierige Materie nicht so interessant zu sein scheint, weil sie durch ihre Gespräche eben andere Interessen verraten, ganz deutlich sagen: In dem Augenblick, wo Sie Zwangsversicherte werden und Beiträge zahlen müssen, sind Sie immer sehr interessiert; in dem Augenblick, wo Ihnen Leistungen versagt werden, die Sie gern haben möchten, sind Sie ebenso interessiert.
Der § 165 der Reichsversicherungsordnung alter Fassung hat zwei Bestimmungen gehabt; die sich in der Praxis als sehr wichtig erwiesen haben. Es hieß darin, daß „Betriebsbeamte, Werkmeister und andere Angestellte in gehobener Stellung" — also
das Problem der leitenden Angestellten — dann versicherungspflichtig sein sollen, wenn diese Beschäftigung ihren Hauptberuf bildet. Es hieß weiter, daß „Angestellte in Berufen der Erziehung, des Unterrichts, der Fürsorge, der Kranken- und Wohlfahrtspflege dann versicherungspflichtig sein sollen, wenn diese Beschäftigung ihren Hauptberuf und die Hauptquelle ihrer Nebeneinnahmen bildet."
Das Abgehen von diesen Bestimmungen bedeutet also sowohl für die leitenden Angestellten als auch für alle Personen, bei denen sich aus der Nebenbeschäftigung Zweifelsfragen ergeben, eine erhebliche Erweiterung der Versicherungspflicht. Dagegen sind alle anderen Fragen wie z. B. die der Versicherungsfreiheit, die sich aus dem § 165 in der Fassung der amerikanischen und französischen Zone ergeben, damit aufgehoben. Die Vereinheitlichung des Rechts ist also nur von den Problemen ausgegangen, in denen durch die Verordnung vom 17. März 1945 eine Ausweitung erfolgt ist. Sie hat aber jene anderen bedeutsamen Schritte der Verordnung, die man sehr wohl auch hätte prüfen müssen, aus der Prüfung einfach herausgelassen.
Auf den § 165 konzentriert, möchte ich an zwei praktischen Beispielen sagen, welche Folgen das hat. Ein beamteter Professor, der nebenher Stunden gibt, z. B. in orientalischen Sprachen oder Klavierunterricht oder was immer, kann sich also durch die Nebenbeschäftigung des Stundengebens versicherungspflichtig machen. Ein selbständiger Handwerker, der nicht versicherungspflichtig ist, kann durch den Unterricht in der Berufsschule versicherungspflichtig werden. Vielleicht ein noch viel treffenderes Beispiel: ein Tierarzt, der nebenamtlich als Fleischbeschauer tätig ist, oder ein selbständiger Landwirt, der diese Fleischbeschauertätigkeit ausübt und dafür eine Vergütung von 100 DM im Monat bekommt, die in gar keinem Verhältnis zu seinen gesamten Einnahmen steht, wird durch diese Bestimmung versicherungspflichtig.
Herr Ruf hat mit Recht darauf hingewiesen, daß die vielfältigen Probleme im Verhältnis zur Versicherungspflicht — ich erinnere nur an die Fragen der Meistersöhne, der Beschäftigung der Kinder im Betrieb der Eltern, des Verhältnisses der leitenden Angestellten in Gesellschaften mit beschränkter Haftung usw., an die Frage der ehrenamtlichen Tätigkeit der Oberbürgermeister und Landräte, die nur eine Aufwandsentschädigung bekommen — in den verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich behandelt worden sind. Hier entsteht wirklich die Frage: Warum haben wir dann nicht lieber den Antrag des Kollegen Schellenberg angenommen, der das Problem der Rentner im Rahmen der Versicherungspflicht in einem besonderen Paragraphen nach 165 im Ausschuß zur Lösung vorschlug, wenn die Bundesregierung noch nicht in der Lage war, in einem besonderen Gesetz die Rechtseinheit unter Berücksichtigung aller Probleme herbeizuführen?
Warum ist die Frage des § 168 der Reichsversicherungsordnung, die doch so bedeutungsvoll ist — nämlich die Versicherungsfreiheit bei vorübergehenden Dienstleistungen —, oder die Frage des § 172 neuer Fassung — die Versicherungsfreiheit von Personen, die zu oder während ihrer wissenschaftlichen Ausbildung für den zukünftigen Beruf gegen Entgelt tätig sind — hierbei nicht behandelt worden?
Ich hatte keine Gelegenheit, im Ausschuß meine Meinung durchzusetzen. Meine Kollegen aus den
übrigen Fraktionen konnten das auch nicht. Ich entledige mich hier einer Verpflichtung, auf dieses wichtige Problem hinzuweisen, und erinnere mit dem Wunsche, daß Sie alle das Protokoll zur Kenntnis nehmen möchten, an die Zusage, die im Ausschuß gegeben wurde, mit der Ablehnung meines Antrages nicht die gründliche Prüfung all dieser Fragen abzulehnen. Ich erinnere auch an die Zusage des Ministeriums, daß damit nicht etwa endgültig das Problem des § 165 neuer Fassung in die Reform eingehen soll. Auf Grund dieser Zusage habe ich keinen Änderungsantrag gestellt, weil ich die Verabschiedung des Gesetzes über die Krankenversicherung der Rentner mit seinen vielen anderen Problemen nicht gefährden möchte. Ich hoffe, daß diese Auffassung aber dazu führen wird, daß wir noch in dieser Legislaturperiode die Rechtseinheit mit allem Ernst auch in den Fragen der Versicherungspflicht, der Versicherungsfreiheit, der Versicherungsberechtigung und des Endes der Versicherungspflicht und der Versicherungsberechtigung prüfen werden.
Und nun gestatten Sie mir, zu unserem Änderungsantrag *) zu § 165 Stellung zu nehmen. Mit der in unserem Änderungsantrag geforderten Ersetzung des kleinen Wörtchens „versichert" durch das Wort „pflichtversichert" ist nicht etwa, wie der Kollege Freidhof sagte, eine Verschlechterung für die Rentner oder für die Handwerker beinhaltet, sondern der ganze große Komplex der Grundsatzentscheidungen über die Versicherungspflicht. Was ich bei der Debatte über die Arbeitslosenfürsorge gesagt habe, gilt hier wieder vollinhaltlich. Wir können von Sozialreform, von sozialer Verantwortung und von der Erhaltung all der Impulse, die unserer gesetzlichen Sozialversicherung innewohnen, nämlich der Solidarhaftung, nicht sprechen, wenn wir bei der Gesetzgebung immer wieder von dem, was wir offiziell vertreten und theoretisch begründen, in der Praxis abweichen.
Lassen Sie mich ganz kurz auf die historische Entwicklung der Gesetzesvorlage eingehen.
— Meine Kollegen, Sie haben die vorhergehenden Beschlüsse mit gefaßt und dürfen nicht böse sein, Kollege Arndgen, wenn ich an diese Beschlüsse erinnern muß. — Der Antrag meiner Fraktion im 1. Bundestag führte zu dem Beschluß vom 20. März 1953 und zu dem Beschluß des Sozialpolitischen Ausschusses vom 26. Februar 1953, Drucksache Nr. 4144. Nun könnten wir, wie der Kollege Dr. Maier von der FDP mit württembergischem Akzent gelegentlich sagte, feststellen: „Was geht mich mein Geschwätz vom 1. Bundestag an", wenn es sich nicht um so grundsätzliche Dinge handelte. Aber auch einige Kollegen, die erst dem 2. Bundestag angehören, haben mich im Ausschuß und im Einzelgespräch darauf aufmerksam gemacht, daß das, was der 1. Bundestag beschlossen habe, ja nun gar nichts mit dem 2. Bundestag zu tun habe. Das mag nach der Geschäftsordnung so sein. Aber wenn man im 1. Bundestag eine Grundsatzentscheidung mit Mehrheit getroffen hat, dann sollte man von dieser Grundsatzentscheidung nur dann abgehen, wenn wesentliche Erkenntnisse und wesentliche Veränderungen der Grundlagen dieser Erkenntnisse dazu führen.
Wir haben damals auf Grund unseres Antrags, den ich nicht ganz vorlesen will, sondern von dem
*) Siehe Anlage 5.
ich nur drei Punkte wiederhole, beschlossen, den Kreis der Versicherten neu festzusetzen, die Durchführung der Rentnerkrankenversicherung den Versicherungsträgern zu übergeben, bei denen der Rentner während der Zeit seiner Arbeitsfähigkeit pflicht- oder freiwillig versichert war, und die freiwillige Weiterversicherung der krankenversickerten Rentner neu zu ordnen. Der Mündliche Bericht des Ausschusses sagte ganz ausdrücklich:
1. Die Krankenversicherung schutzbedürftiger Rentner wird von den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung durchgeführt.
2. Der Rentner erhält zur Durchführung . . . von den Rentenversicherungsträgern einen Pauschalbetrag, . . .
3. Die freiwillige Versicherung kann bei der Kasse seiner Wahl . . . fortgesetzt werden.
Im 2. Bundestag hat die Fraktion der Deutschen Partei erneut einen Antrag gestellt, Drucksache 19. Auf Grund dieses Antrags, der wiederum zu einem einstimmigen Beschluß des Bundestages führte, ist dann die Regierungsvorlage gekommen. Meine Herren und Damen, man erfährt ja dadurch, daß Referentenentwürfe vorher mit den Beteiligten beraten werden, oft auch etwas über die Geschichte eines solchen Entwurfs. Ich habe damals mit großer Befriedigung festgestellt, daß der Herr Bundesminister für Arbeit in seinem ersten Entwurf genau das vorgesehen hatte, was er auch heute immer wieder betont — was der 1. Bundestag beschlossen hatte und worin ich mit ihm hundertprozentig übereinstimme —: daß nämlich „die Versicherungspflicht der Rentner begrenzt sein soll". Trotzdem erhielten wir dann eine Regierungsvorlage, in der dann keine Begrenzung nach diesen Grundsätzen erschien, sondern das Recht auf Weiterversicherung und Selbstversicherung in der Form behandelt wurde, in der der Kollege Freidhof heute den totalen Versicherungszwang für alle begründet: als seien eben alle Rentner soziologisch gleichzustellen und als sei die wirtschaftliche und soziale Situation der Rentner nicht unterschiedlich.
Ich bitte die sachverständigen Kollegen auch der Christlich-Demokratischen Union, mir doch in der folgenden Betrachtung zu folgen. Hätten wir in den Rentenversicherungen etwa eine Versicherungspflichtgrenze wie in der Krankenversicherung von 500 DM, dann wäre es eigentlich selbstverständlich, daß alle Pflichtversicherten dies auch als Rentner bleiben müßten, da ihre Bezüge aus der Rente oder aus sonstigen zusätzlichen Einkünften diese Grenze normalerweise niemals überschreiten könnten. Da das aber nicht der Fall ist, da in der deutschen Rentenversicherung jedermann ohne Rücksicht auf die Höhe seines Einkommens und ohne Rücksicht auf seine wirtschaftliche Situation versichert sein kann, auch ohne Rücksicht darauf, ob er Arbeiter, Angestellter, Bauer, Arzt oder Selbständiger in irgendeinem Beruf ist — selbst Beamte mit einem Anspruch auf Pension können daneben einen Anspruch auf eine Angestelltenrente oder eine Invalidenrente haben, wenn sie ihre Versicherung fortgesetzt haben —, kann man nicht sagen, daß soziologisch alle Rentner gleich sind, und daher nicht folgern, daß man alle Rentner mit dem Versicherungszwang zu einer Krankenversicherung zwingen muß.
Ich erinnere nur an die Debatte vom 20. Februar 1952 und an unsere Auseinandersetzung um dieses Problem. Ich brauche meinen Ausführungen nach
vier Jahren kein einziges Wort hinzuzufügen; sie gelten noch heute unverändert.
Der Herr Ministerpräsident Storch hat am 5. Mai — —
— Herr Arbeitsminister Storch! Nun, meine Herren, er kann es noch werden! So ist das nicht.
Jeder kann in diesem Staat Minister oder Ministerpräsident werden!
— Mein Einfluß in der Politik, Kollege Schellenberg, ist nicht so groß, daß die Chancen des Herrn Storch von mir allein abhingen! Herr Bundesminister für Arbeit Storch hat am 5. Mai 1955 hier im Plenum laut Protokoll gesagt, daß „1941 die Krankenversicherung der Rentner unter Entlastung der Fürsorge zu Lasten der Rentenversicherung geschaffen wurde, ohne daß ein ordentliches Parlament die Regeln festgelegt hat". Ich bin mit ihm in dieser Frage einig wie in der Schlußfolgerung, die er daraus gezogen hat. Er hat nämlich gesagt — wörtlich nachzulesen im Protokoll —: „Vor 1941 war der Rentner freiwillig weiterversichert. Er zahlte Beiträge, obwohl die Renten damals in der Regel kaum 40 RM ausmachten." Und ein Referent des Bundesministers für Arbeit hat in der Zeitschrift „Die Sozialversicherung", die in der Fachliteratur in letzter Zeit vielfach zitiert worden ist, bezüglich der Gründe für die unterschiedliche Rechtsgestaltung hinsichtlich des Umfanges der Krankenversicherung der Rentner bestätigt, daß es „nicht erforderlich erscheint, daß jeder Rentner der gesetzlichen Rentenversicherung der Krankenversicherungspflicht unterliegt, da schon vor 1941 zahlreiche Rentner in der sozialen oder in der privaten Krankenversicherung freiwillig versichert und durchaus keinem sozialen Notstand unterworfen waren".
Während wir uns in der Debatte vom 20. Februar 1952 noch heftig auseinandersetzen mußten, insbesondere der Kollege Schellenberg und ich, über die Fragen der Solidarhaftung, der sozialen Situation der Rentner bzw. ihrer Schutzbedürftigkeit, hat Herr Kollege Schellenberg — sicherlich nicht zuletzt auf Grund der Erfahrungen mit der Krankenversicherung der Rentner in seiner Krankenversicherungsanstalt und aus seiner Sachkenntnis in. diesen Fragen — im Ausschuß, als die Sachverständigen zu dem Problem Stellung nahmen, bestätigt, was mir eine ganz besondere Freude war und was ich ihm nachher gern wortwörtlich verlesen will. — Er pflichtete den Ausführungen des Sachverständigen Vesper vom Verband der Angestelltenkrankenkassen bei und sagte wörtlich: „Nicht jeder Rentner ist der Ärmste der Armen."
Noch ein Weiteres, meine Damen und Herren, und auch das können alle, die daran interessiert sind, im Protokoll des Ausschusses für Sozialpolitik vom 17. November 1955 nachlesen. In der Debatte haben die Vertreter der Ersatzkassen daraus hingewiesen, daß es viele Versicherte gibt, die trotz kostenloser Krankenversicherung bei den Ortskrankenkassen ihre Beiträge weiterzahlen. 1952
sagte ich Ihnen, daß es bei einer Ersatzkasse allein 25 000 waren. Heute sind es bei dieser Ersatzkasse 150 000 Rentner — also 15 % der gesamten Mitglieder —, die in der Lage sind, ihre Beiträge trotzdem weiterzuzahlen, obwohl sie bei der AOK kostenlosen Versicherungsschutz haben. Das sollte doch all denen zu denken geben, die von dem Willen oder dem Können der Rentner, ihre Versicherung selber in Ordnung zu halten, eine so geringe Meinung haben.
Die Kollegen im Ausschuß sind auch von den Sachverständigen belehrt worden — und Herr Storch hat das oft von dieser Stelle gesagt —, daß der Rentner heute nicht nur von seiner Rente lebt, sondern daß eine große Anzahl der Rentner neben dieser Rente andere Einkünfte haben. Das trifft zweifelsohne zu für alle Selbständigen, die eine Rente beziehen, für die freien Berufe, für die Beamten, das trifft aber auch für die gesamten Behördenangestellten zu, deren Zahl täglich wächst und die nach TOA eine zusätzliche Höherversicherung haben müssen; das trifft für alle diejenigen zu, die aus Tarifverträgen neben ihrer Rente Pensionseinnahmen haben, und für alle Arbeiter und Angestellten, die aus betrieblichen Sozialleistungen zusätzliche Renten erhalten. Ich sage das nicht etwa, weil ich die Rentner für wohlhabende Leute halte, sondern weil ich genau weiß, daß zwischen Rentner und Rentner genau so ein Unterschied besteht wie zwischen den Staatsbürgern schlechthin. So wie es Menschen mit geringem Einkommen gibt und solche, die mehr verdienen, weil sie mehr Möglichkeiten oder größere Fähigkeiten haben, gibt es auch Rentner mit unterschiedlich hohen Einkommen. Man muß diese Differenziertheit auch in der Sozialpolitik berücksichtigen, wenn man nicht eben der Auffassung ist, daß durch kollektive Lösungen alles nivelliert werden soll.
Ich muß auch hier betonen, daß der Vorschlag, der von mir im Ausschuß gemacht wurde und von den Kollegen der übrigen Fraktionen bestätigt worden ist, nicht etwa meiner persönlichen ursprünglichen Konzeption entspringt. Meine Konzeption war nur — und das muß ich hier noch einmal aussprechen —, daß jeder Rentner das Recht haben soll, sich bei seiner gesetzlichen Krankenkasse weiter zu versichern oder sich privat zu versichern nach den Möglichkeiten, die er wirtschaftlich und sozialpolitisch hat. Der Ihnen heute vorliegende Vorschlag ist ein Kompromißvorschlag. Er ist ein Kompromißvorschlag — es sei offen ausgesprochen — in dem Gedanken, daß einige Kollegen der SPD und die Mehrheit der CDU unserer Auffassung von den Grenzen der Versicherungspflicht zustimmen können. Aus diesem Gedankengang heraus haben wir Ihnen diesen Kompromißvorschlag heute vorgelegt, der auch gleichzeitig der Konzeption entspricht, die wir zum mindesten in der Koalition immer gemeinsam vertreten haben: nämlich daß die Versicherungspflicht ihre Grenze da haben muß, wo der Mensch aus eigener Kraft in der Lage ist, auch im Krankheitsfall für sich einzutreten, und daß die Grenze deshalb da sein muß, damit nicht auf Grund der Solidarhaftung die Armen etwa für die Reichen in Anspruch genommen werden könnten. Allerdings setze ich besser an die Stelle des Wortes „Reiche" die „Wohlhabenderen"; denn Reiche wird es unter diesem Personenkreis sehr wenige geben.
Für die Grenze der Weiterversicherung ist es außerordentlich wichtig, daß wir in der Frage der Gefährdung der Solidarhaftung, auf die ich hingewiesen habe, nicht weiteren Sprengstoff in die
Versichertengemeinschaften unserer Krankenkassen tragen. Sie wissen, welche Auseinandersetzungen die Ortskrankenkassen mit dem Bundesminister für Arbeit in der Vergangenheit gehabt haben. Ich habe mir sehr ernsthaft Gedanken darüber gemacht, warum wohl die Ortskrankenkassen ihre alte Idee von der totalen Versicherungspflicht aller Rentner nicht mehr vertreten. Sie sind aber wahrscheinlich genau wie der Kollege Schellenberg durch die Erfahrung in der Praxis zu Erkenntnissen gekommen und haben eingesehen, daß die bisherige Auffassung in der Alltagswirklichkeit die Zerstörung der Solidarhaftung in der Sozialversicherung zur Folge haben würde! Wenn heute schon bei 5 Millionen Rentnern — wir haben 18 Millionen Pflichtversicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung — die Belastung und damit die Überbeanspruchung der Solidarhaftung so groß ist, daß die Beiträge erhöht werden mußten, wenn das in einzelnen Kassen in einem solch unverhältnismäßig hohen Maße der Fall ist — wir werden bei § 5 a noch darüber sprechen —, dann darf diese Frage — das zeigen auch die Anträge, die heute auf dem Tisch liegen — nicht einfach am Rande behandelt werden.
Niemand, wo er auch politisch steht, kann wünschen, daß unsere gesetzlichen Krankenkassen Staatszuschüsse nötig haben. Niemand kann das wollen, weil damit die Selbstverwaltung beseitigt werden würde. Niemand kann wünschen, daß durch weitere Konsequenzen das System unserer Krankenversicherung ins Rutschen kommt.
Eine Abgrenzung der Personenkreise der Rentner entspricht aber auch einer Grundkonzeption, die von den bisherigen Koalitionspartnern hier im Bundestag mehrmals beschlossen worden ist. Wir haben uns im Ausschuß — dies war unser erster Entscheidungspunkt, und es ist betont worden, daß das nicht nur eine Verwaltungsentscheidung, sondern eine Grundsatzentscheidung sein sollte — dafür ausgesprochen, daß die Krankenversicherung der Rentner eine Aufgabe der Krankenversicherung und nicht eine Aufgabe der Rentenversicherung sein soll. Wenn sie aber eine Aufgabe der Krankenversicherung sein soll, dann können doch — das ist doch logisch und konsequent — für alle Mitglieder der Krankenversicherung nur die gleichen Voraussetzungen gelten. Also muß bei allen Mitgliedern der Krankenversicherung genau festgestellt werden: Wer ist versicherungspflichtig, wer hat das Recht auf Weiterversicherung. wer ist versicherungsberechtigt? Die Sozialpolitik hat aber auch einen moralischen Auftrag. Der Herr Präsident hat gestern in seiner Eigenschaft als Abgeordneter in einem anderen Zusammenhang sehr richtig gesagt, ,.daß sich die Moral eigentlich von selbst verstehen sollte". Meine Herren und Damen, das gilt nicht nur für alle politischen Belange, die wir zu entscheiden haben, das gilt insbesondere für die Sozialpolitik. Die sozialethische Aufgabe der Sozialpolitik ist auch, den Menschen zur Selbstverantwortung zu erziehen. Ich glaube, es steht im Vokabular vieler Kollegen in diesem Hause. daß die Solidarität, die Selbstverantwortung, die Selbstzucht und die Rücksicht auf die Solidarhaftung Grundsatzforderungen sind. denen man vor seinem Gewissen nicht ausweichen kann.
Ich habe im Ausschuß dem Kollegen Richter eine Frage vorgelegt, die er mir nicht beantwortet hat, die ich aber heute den Kollegen noch einmal vorlege, die etwa einen Zweifel daran haben könnten
— j a, nur deshalb, weil wir noch nicht klar miteinander sind, Kollege Arndgen! —,
daß unser Antrag mit der Versicherungspflicht folgende Konsequenz hat. Einem Arbeiter oder Angestellten, der 300 DM brutto verdient und zwei Kinder zu versorgen hat, nehmen Sie ohne Gewissenskonflikt 7 % gleich 21 DM Beitrag ab. Dagegen haben Sie Gewissenskonflikte, einem Rentner, der 240 oder 300 DM Rente netto hat und daneben eine Beamtenpension oder ein Geschäft oder eine zusätzliche Altersversorgung, auch nur 3 DM abzunehmen. Ich kann das nicht als verantwortungsbewußtes Handeln ansehen.
Ein gravierendes Merkmal der Versicherung ist der Beitrag. Sie haben im Ausschuß — das möchte ich wiederholen — unsere Anträge deshalb abgelehnt, weil Sie Sorge hatten, daß Rentner Beiträge bezahlen müßten. Nun, ich habe diese Sorge nicht; denn ich glaube, daß die vielen Frauen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind — und das sind heute fast 50 % — und die alle hohe Pflichtversicherungsbeiträge bezahlen müssen, genau so wenig damit einverstanden sein können wie die gering verdienenden Arbeiter, daß andere Leute mit höheren Einkünften aus ihrer Solidarhaftung Vorteile haben.
Unser Antrag wird es - wenn er angenommen wird — der Krankenversicherung gestatten, für Weiterversicherte und Versicherungsberechtigte nach dem Einkommen gestaffelte Beiträge zu erheben. Er entlastet den Arbeitsminister, er entlastet die Kranken- und die Rentenversicherung und er entspricht den sozial-ethischen Grundsätzen, die doch auch Sie gemeinsam mit uns verteidigen wollen.
Es ist Angst oder Befürchtung geäußert worden, daß diese Beiträge zu hoch sein könnten. Dafür finden Sie aber in der Reichsversicherungsordnung die entsprechenden Grenzen und Schranken für die Selbstverwaltung. Der Versicherte selber kann auch beantragen, in eine niedrigere Klasse eingestuft zu werden, wenn sein Einkommen absinkt.
Ich darf zum Schluß noch
um eines bitten: Zerstören Sie nicht die Selbstverantwortung! In der Zeitschrift „Sozialer Fortschritt", die immer ein offenes Ohr für gewerkschaftliche Probleme hat, war die entscheidende Frage vor kurzem dargestellt. Dort heißt es nämlich — und ich bitte die Gewerkschaftler, besonders herzuhören —, „daß das Problem nur gelöst werden kann, wenn entweder die Leistungen nivelliert oder die Beiträge erhöht werden". — Wir wollen nicht, daß die Leistungen für die Rentner nivelliert werden. Wir wollen aber auch nicht, daß die Solidarhaftung zerstört, die Selbstverwaltung beseitigt wird. Auf die Konsequenzen hat auch der Kollege Schellenberg sehr richtig hingewiesen. Die Schaffung von Altersreserven in der Krankenversicherung würde notwendig werden, und jeglicher Leistungsausbau würde verhindert. Wir wollen nicht das Verbauen jedes sozialpolitischen Planens und Fortschritts, die Unmöglichkeit der Fortzahlung des Krankengeldes und die Unmöglichkeit der Finanzierung vorbeugender Maßnahmen und vieles mehr, was für die Reform geplant ist. All diese Pläne zerstören Sie, wenn Sie die Grenzen der Leistungskraft der gesetzlichen Krankenversicherung nicht
sehen. Ich werde nachher im Zusammenhang mit dem § 5 a darauf hinweisen, wie es bei den Krankenkassen aussieht, und möchte Sie heute noch einmal bitten, unserem Antrag auf die Begrenzung der Versicherungspflicht zuzustimmen, um damit auch für die Reform der Sozialversicherung in der Sparte Krankenversicherung jene Impulse zu verwirklichen, die wir gemeinsam geben müssen, wenn wir den Armen unter den Rentnern wirklich helfen wollen.
Meine Damen und Herren, ich verstehe Ihre Erregung nicht. Die Rednerin hat nur von ihrem Recht Gebrauch gemacht, eine Stunde zu dem Punkt zu sprechen, der aufgerufen worden ist.
Das Wort hat der- Abgeordnete Stingl. Er hat wie jeder andere Abgeordnete dieses Hauses das Recht, eine Stunde zu sprechen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf Ihnen gleich versichern, daß diese Stunde auch nicht annähernd von mir in Anspruch genommen werden wird.
Zu Beginn meiner Bemerkungen möchte ich Frau Kalinke doch daran erinnern, daß es uns bei diesem Gesetz darum geht, den Krankenschutz der Rentner in Ordnung zu bringen. Wir sehen durchaus die Problematik, die sich sonst noch in der Krankenversicherung ergibt. Zu gegebener Zeit werden wir über diese Dinge durchaus offen diskutieren. Wir haben in Abs. 1 nur deshalb eine Neuregelung bringen müssen, weil darauf der Krankenschutz der Rentner aufgebaut ist. Wir mußten da ein einheitliches Recht haben.
Aber nun zu den Anträgen, die sowohl Frau Kalinke als auch Herr Kollege Freidhof begründet haben: Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bitte Sie, diese Anträge abzulehnen. Der Antrag von Frau Kalinke, statt des Wortes „versichert" „pflichtversichert" zu setzen, hat zur Folge, daß jemand, der aus Verbundenheit freiwillig oder als Weiterversicherter in der gesetzlichen Krankenversicherung war, gerade in dem Augenblick, in dem er Rentner wird — also sein Lebensstandard im allgemeinen, jedenfalls nach dem jetzigen Recht, absinkt —, weiterhin nur freiwillig versichert bleiben kann, während er nach der Bestimmung, die wir getroffen haben, den Krankenschutz nach § 165 genießt und damit an der solidarischen Leistung derjenigen teilhat, für die er selber aus freiem Entschluß vorher auch solidarisch immer mit tätig gewesen ist. Wir meinen also, daß es berechtigt ist, jemandem, der in seinem Einkommen absinkt, wenn er Rentner wird, den Krankenschutz nach § 165 zu geben. Wir meinen weiter, daß wir das vergleichen können mit jemandem, der, bevor er Rentner wird, in seinem Arbeitseinkommen absinkt und dadurch wieder unter die Pflichtgrenze kommt und wieder nach § 165 versichert ist. Es ist nicht einzusehen, daß jemand, der infolge seiner Rentnereigenschaft im Lebensstandard sinkt, nicht so geschützt werden soll, wie jemand, der absinkt, weil sich sein Arbeitsplatz oder sein Arbeitseinkommen ändert,
Frau Kalinke meinte, daß dadurch ein Kreis besonders begünstigt sein könnte, nämlich der derjenigen, die auch als Rentner weit über 500 DM Einkommen haben, denn diese werden, wenn sie sich vorher freiwillig versichert haben, weiter ebenfalls an der Solidarhaftung teilnehmen. Ich glaube nicht, daß das eine sehr große Zahl sein wird, denn es ist ja gemeinhin bekannt, daß die Renten nicht im allgemeinen weit über 500 DM liegen. Ihr Vorschlag, Frau Kalinke, gibt jemand, der Rentner wird und nach Ihrer Meinung nicht über § 165 versichert wäre, einen Anreiz, ein Jahr lang neben seiner Rente ein Scheinarbeitsverhältnis oder ein Arbeitsverhältnis mit geringer Entlohnung einzugehen, also über § 165 Nr. 1 versichert zu sein und so, wenn er dann zu arbeiten aufhört, auch die Vorteile des § 165 Nr. 3 — seine Hinterbliebenen die Vorteile der Nr. 4 — in Anspruch zu nehmen.
Ich bitte Sie aus diesen Gründen, um der Gleichbehandlung derer willen, die im Arbeitsprozeß stehen, und derer, die Rentner werden, den Antrag, den Frau Kalinke begründet hat,. abzulehnen.
Ich bitte Sie aber auch, den Antrag der SPD abzulehnen. Dieser Antrag hätte zur Folge, daß jemand, der, als er über seine Versicherungspflichtgrenze hinaus Einkommen hatte und es nicht für nötig fand, in der solidarischen Haftung gemäß § 313 in der Krankenversicherung zu bleiben oder, im anderen Fall, sich über § 176 zu versichern, dann nach § 165 automatisch Versicherter wäre, auch wenn er als Rentner noch über 500 DM Einkommen hat. Er hat es nicht für nötig befunden, sich vorher in der gesetzlichen Krankenversicherung zu versichern, also braucht er, da er ja immerhin über 500 DM Einkommen hat, auch später nicht die solidarische Verpflichtung der über § 165 Nrn. 1 und 2 Versicherten in Anspruch zu nehmen. Für den Fall, daß er unter 500 DM absinkt, ist ja in der Ausschußfassung schon Sorge dafür getroffen, daß er sich freiwillig über § 176 der Reichsversicherungsordnung versichern kann.
Es ist nach meiner Überzeugung die gerechteste Lösung — wie sie jetzt in der Ausschußfassung vorgesehen ist —, daß jemand, der versichert war oder der sich freiwillig versicherte, diese Versicherungszeit in Anspruch nehmen kann für eine solidarische Haftung derer, die jetzt in der Krankenversicherung sind, daß aber derjenige, der trotz eines hohen Einkommens als Rentner sich vorher nicht versichert hat, diesen Versicherungsschutz eben auch nicht genießen kann.
Aus diesen Gründen bitte ich Sie, die Anträge abzulehnen.
Sie haben Ihr Soll nicht erfüllt!
Das Wort hat der Abgeordnete Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit den grundsätzlichen Ausführungen von Frau Kollegin Kalinke beschäftige ich mich nicht. Das werden wir gelegentlich einer Diskussion über eine Sozialreform gründlich tun.
Aber eine Bemerkung zur Richtigstellung zu dem, was der Herr Kollege Stingl gesagt hat. Es ist leider nach dem geltenden Sozialrecht nicht so,
daß jemand, der in der Zeit seiner Arbeit nicht krankenversicherungspflichtig war, weil er ein höheres Gehalt bezogen hat oder weil er Selbständiger war, als Rentner sozial geschützt ist. Vielmehr ist der Tatbestand leider sehr oft der — und das ist der Inhalt des gegenwärtigen Rentenrechts —, daß der Rentner sehr erheblich absinkt, daß er sogar absinken kann auf einen Lebensstandard, der noch unter den Fürsorgesätzen liegt. Deshalb sind die Sozialdemokraten der Ansicht, daß wie bisher alle Rentner den Schutz der Krankenversicherung haben sollten.
Wird noch das Wort gewünscht? — Das Wort hat Frau Abgordnete Kalinke.
— Nein, sie hat noch 3 Minuten!
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich möchte dem, was Herr Kollege Schellenberg gesagt hat, hinzufügen: Er hat recht, daß die Konsequenzen, die Herr Stingl darstellte, nicht absolut das treffen, was die Sozialgesetzgebung heute beinhaltet. Ich möchte Herrn Stingl auch sagen, daß die Möglichkeit eines Scheinarbeitsverhältnisses und die Möglichkeit der Umgehung der Gesetze immer gegeben ist und daß wir davon ausgehend nicht Grundsatzentscheidungen beeinflussen sollten.
Herrn Kollegen Schellenberg, Herrn Stingl und allen Kollegen hier im Hause — besonders der CDU — möchte ich in Erinnerung rufen, daß es der Wunsch des Bundeskanzlers — und Ihrer Fraktion, dachte ich — war, mit uns gemeinsam die Sozialreform noch in dieser Legislaturperiode einzuleiten und bei jedem Gesetz, das wir machen, die Brücke zu den Entscheidungen zu schlagen, die wir bei der Sozialreform treffen wollen. Herr Kollege Schellenberg, ich freue mich, daß Ihr Rentenentwurf gestern der Presse übergeben worden ist. Aber gerade wenn Ihr Rentenentwurf Wirklichkeit werden würde, werden wir eine große Zahl neuer Rentner mit hohen Leistungen haben — das hoffen wir doch — für die. gleiche Ansprüche geltend gemacht werden können.
— Daß Sie vier Wochen oder ein Vierteljahr vor der Wahl etwa Grundsatzentscheidungen treffen werden, ist aus den Erfahrungen der Politik in diesem Hause — das werden Sie mir zugeben — ganz bestimmt nicht zu erwarten. Herr Kollege Schellenberg, ich verstehe Ihren Wunsch, jetzige Entscheidungen zu verhindern, recht gut; wenn ich in der SPD säße, würde ich vielleicht ähnlich handeln.
Ich bin aber nicht Opposition, sondern trage mit Verantwortung,
und Verantwortung tragen heißt Mut auch zu unpopulären Entscheidungen haben. Bitte, meine Kollegen und Kolleginnen, haben Sie diesen Mut und stimmen Sie einer Entscheidung zu, die im Grunde auch Ihrer Konzeption entsprechen sollte.
Wird weiter das Wort gewünscht? — Das scheint nicht der Fall zu sein.
Wir kommen zur Abstimmung. Von den beiden Anträgen, die uns vorliegen, geht am weitesten der Antrag Umdruck 569 *) Ziffer 1. Es kann ja wohl kein Zweifel darüber bestehen, daß er weitergeht als der Antrag Umdruck 568 Ziffer 1. Ich lasse zunächst abstimmen über den Antrag Umdruck 569 Ziffer 1, den Antrag der sozialdemokratischen Fraktion. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Darf ich bitten, die Abstimmung durch Erheben von den Sitzen zu wiederholen. Wer dafür ist, der möge sich von seinem Sitz erheben. — Gegenprobe! — Letzteres ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse nunmehr abstimmen über den Antrag Umdruck 568 **) Ziff. 1. Wer für diesen Antrag ist — den Antrag, den Frau Abgeordnete Kalinke gestellt hat —, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse nunmehr abstimmen über Art. 1 Nrn. 1 bis 23 einschließlich. Wer für die Bestimmungen ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit; diese Bestimmungen sind angenommen.
Zu Nr. 24 des Art. 1 liegt ein Änderungsantrag vor. Sie finden ihn auf Umdruck 567 ***) Ziffer 1. Der Antrag ist von Dr. Krone und Fraktion unterschrieben. Wird er begründet?
Das Wort hat der Abgeordnete Ruf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Änderungsantrag versteht sich eigentlich von selbst. Er dient dem Schutz der Rentner. Es könnte der Fall eintreten, daß einem Rentner die Rente entzogen wird und darüber noch ein Rechtsstreit schwebt. Der Rentner soll für die Dauer des Rechtsstreits ebenfalls den Schutz der Rentnerkrankenversicherung erhalten. Deswegen bitten wir, in § 312 Abs. 2 das Wort „endgültigen" einzufügen, so daß es heißt: „... dem endgültigen Entzug der Rente ...".
Wird hierzu das Wort gewünscht? — Das scheint nicht der Fall zu sein.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Wir stimmen nunmehr ab über die Ziffern von der abgeänderten Ziffer 24 bis einschließlich Ziffer 28. Wer für die Annahme dieser Bestimmungen ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Zu Ziffer 29 ist ein Änderungsantrag gestellt, Sie finden ihn auf Umdruck 568 Ziffer 2. Der Antrag trägt dieselben Unterschriften wie der, der jüngst von Frau Kalinke begründet worden ist. Wer begründet den Antrag?
Das Wort hat Frau Kalinke!
*) Siehe Anlage 5. **) Siehe Anlage 4. ***) Siehe Anlage 3.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Bei der Begründung dieses Antrags kann ich mich, weil es sich um ein einfaches Problem handelt, wesentlich kürzer fassen.
— Es ist nicht immer die Menge, sondern die Qualität ist wichtig!
— Ich freue mich Ihrer Zustimmung, aber ich würde mich noch mehr freuen, wenn Sie danach handelten.
Meine Damen und Herren! Die Gleichheit vor dem Gesetz, die in Art. 3 des Grundgesetzes verankert ist, wird uns in diesem Hause noch viele Male beschäftigen. In der Sozialversicherung sollte es eigentlich selbstverständlich sein, daß alle Versicherten nach gleichen Grundsätzen behandelt werden. Mit diesem Gesetzentwurf wird ein Kreis von Personen neu pflichtversichert, die vorher nicht pflichtversichert waren. Dieser Personenkreis, der nicht zwangsversichert war, erhielt bisher den vollen Beitrag für die Krankenversicherung von der Rentenversicherung als Auftragsangelegenheit, auch wenn das im Gesetz bisher nicht so klar deklariert war. Er erhält in Zukunft einen Betrag von der Rentenversicherung zu dem Beitrag, der etwa bei 9,50 DM liegen wird. Ausgeschlossen von dieser Vergütung wird ausgerechnet der Kreis, der Selbstverantwortung gezeigt hat und der sich nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht nicht auf die Solidarhaftung der gesetzlichen Krankenversicherung verließ, sondern sich individuell versichert hat. Ausgeschlossen werden auch diejenigen sein, die neu versicherungsberechtigt werden.
Über den § 176 haben wir bereits gesprochen. In ihm ist nur ein Stück unseres Gesamtantrages übernommen worden. Dieser Antrag paßt nur dann in die Konzeption, wenn auch der vorliegende Antrag Wirklichkeit wird und die davon betroffenen Personen gleichermaßen Mitglieder der Krankenversicherung der Rentner werden.
Der Bundestag hat am 20. März 1953 schon beschlossen, daß die Rentner zur Durchführung ihrer Krankenversicherung von den Rentenversicherungsträgern einen Pauschalbetrag bekommen sollen; damit sollen sie eine individuelle Versicherung durchführen können. Der Rentner muß wissen, was seine Versicherung kostet. Wer sich aber schon bisher seine Versicherung etwas kosten ließ, soll nicht bestraft und nicht schlechter gestellt werden. Herr Dr. Hammer und Kollege Horn haben am 5. Mai eine Begründung dafür gegeben, daß eine solche Regelung gerecht und auch den Gedankengängen der Versicherung adäquat ist.
Lassen Sie mich die Begründung mit dem abschließen, was ein Referent des Bundesministers für Arbeit anläßlich der Beratungen über das Handwerkerversorgungsgesetz ausgeführt hat, und was gegen die Regelung des vorliegenden Entwurfs spricht. Er wies darauf hin, daß es nicht nur dem Grundgesetz entspreche, sondern auch in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Dezember 1953 festgestellt worden sei, daß „gleichgelagerte Tatbestände, die aus der Natur der Sache heraus und unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit klar eine gleichartige Behandlung erfordern, nicht ohne ausreichenden sachlichen Grund und ohne ausreichende Berücksichtigung der For-
derung der Gerechtigkeit ungleich behandelt werden können". Ich darf Sie bitten, diesem Grundsatz der Verfassung zu entsprechen und ihn für die Zukunft auch in die Sozialversicherung zu übernehmen, damit gleiche Rechte und gleiche Pflichten gleichermaßen in allen Versicherungsgemeinschaften gelten.
Das Wort hat der Abgeordnete Arndgen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Freunde und ich sind der Meinung, daß man diesem Antrag auf Umdruck 568 Ziffer 2 bezüglich der Nr. 29 zustimmen sollte; aber es müßten einige Worte gestrichen werden. Ich stelle den Antrag, in der sechsten Zeile von unten „weiter" und in der folgenden Zeile die Worte „oder versicherungsberechtigt" zu streichen. Ich bitte, diesem Antrag zuzustimmen.
Ich bitte ums Wort vom Platze aus, nur zur Richtigstellung! Ich habe leider versäumt, darauf hinzuweisen, — —
Dann darf ich Sie bitten, ans Mikrophon zu treten, noch besser, zur Tribüne zu kommen. Es tut mir leid, daß ich Ihnen diesen Weg zumuten muß.
Nur eine Bemerkung zur Vervollständigung und um ein Versäumnis nachzuholen. Ich bitte dann, statt des Wortes „Versicherungsberechtigte" in der ersten Zeile das Wort „Personen" zu setzen; dann ist es vollkommen klar. Und wenn wir es ganz korrekt machen wollten, sollten wir in der Zeile, von der eben der Kollege Arndgen gesprochen hat, formulieren: „in der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 313 oder § 176 RVO versichert . . .".
Keine weiteren Wortmeldungen? — Dann wäre zunächst über die Änderungsanträge zum Änderungsantrag abzustimmen, und zwar müssen wir hier ganz kindlich vorgehen, wenn wir uns nicht in diesem Irrgarten verirren wollen. Ich schlage Ihnen daher zunächst vor, darüber abzustimmen, ob wir statt des ersten Wortes „Versicherungsberechtigte" setzen wollen: „Personen". Ist das Haus einverstanden? — Kein Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Nun kommen wir zu dem weiteren Änderungsantrag. In der sechsten Zeile von unten soll das Wort „weiterversichert" in „versichert" geändert und sollen die Worte „oder versicherungsberechtigt" gestrichen und vor „versichert" hinzugefügt werden: „nach § 313 oder § 176 RVO". Habe ich Sie recht verstanden?
Das Wort hat Abgeordneter Stingl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kalinke, die Anführung dieser beiden Paragraphen ist nicht richtig, weil es keinen Rentner gibt, der nur über § 313 versichert ist; denn sobald er über § 313 versichert ist, ist er nach den vorhergehenden Bestimmungen, die wir angenommen haben, dann, wenn er nur noch auf die Rente angewiesen ist, über § 165 Abs. 3 versichert.
Wollen Sie dazu das Wort ergreifen, Frau Abgeordnete Kalinke. — Dann bitte ich Sie, sich hierher zu bemühen.
Diese Formulierung paßt in die Konzeption meiner Anträge zu Art. 1, die ich leider in der dritten Lesung wiederholen muß. Ich bin aber damit einverstanden, daß der Zusatz gestrichen wird, wenn dem Kollegen Stingl damit die Zustimmung ermöglicht wird.
' Vizepräsident Dr. Schmid: Dann nehmen Sie Ihren Antrag, diese beiden Paragraphen einzufügen, zurück?
Damit haben wir über die Änderungsanträge zum Änderungsantrag abgestimmt.
Wir stimmen nunmehr über den geänderten Änderungsantrag ab. Wer für die Annahme ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Nunmehr stimmen wir über die veränderte Ziffer 29 und die unveränderte Ziffer 30 ab. Wer für die Annahme dieser Bestimmungen ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Zu Ziffer 31 ist ein weiterer Änderungsantrag gestellt. Sie finden ihn auf Umdruck 569*) Ziffer 2 a.
Das Wort hat der Abgeordnete Bals.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion darf ich den Änderungsantrag zu Ziffer 31 — § 385 — begründen. Wir wünschen, daß nach Abs. 2 zwei weitere Absätze als Abs. 3 und Abs. 4 eingefügt werden. Unsere Vorlage sieht vor — ich darf das vorlesen —:
In § 385 werden nach dem Abs. 2 zwei neue Absätze 3 und 4 angefügt:
Wird das prozentuale Verhältnis der Zahl der in § 165 Abs. 1 Nr. 3 und 4 bezeichneten Versicherten (ausgenommen Waisenrentner) zur Zahl der sonstigen Versicherten bei einer Krankenkasse gegenüber dem entsprechenden Verhältnis bei der Gesamtheit der Krankenkassen und Ersatzkassen um mindestens ein Zehntel über- oder unterschritten, so ist der Beitrag zur Krankenkasse bei Überschreitungen zu erhöhen, bei Unterschreitungen zu ermäßigen. Die Erhöhung oder Ermäßigung beträgt für den Kalendermonat der Über- oder Unterschreitung bei einer Abweichung um
mindestens ein Zehntel 2 v. H.
mindestens ein Viertel 4 v. H.
mindestens die Hälfte 6 v. H.
Übersteigen ungeachtet des Absatzes 3 bei einer Krankenkasse die Ausgaben für die in § 165 Abs. 1 Nr. 3 und 4 bezeichneten Versicherten die Beiträge dieser Versicherten während eines Geschäftsjahres um mehr als 10 v. H., so mindert sich die Kürzung des Grundlohnes gemäß Absatz 2 in dem Umfange, daß der übersteigende Betrag der Ausgaben nur 10 v. H. beträgt.
*) Siehe Anlage 5.
Wir wollen mit dem Einfügen der neuen Absätze 3 und 4 eine unterschiedliche Belastung der Versicherten vermeiden. Sie müssen dabei berücksichtigen, daß wir in der Bundesrepublik über Kassen verfügen, bei denen auf 100 Versicherte 24 Rentner kommen, aber auch über Kassen, bei denen auf 100 Versicherte bis zu 130 Rentner kommen. Das bedeutet ungeheure Belastungsunterschiede bei den verschiedenen Kassen. Ich darf dabei an die Kassen im Zonenrandgebiet oder im südostbayerischen Raum erinnern. Diese Kassen, die an und für sich schon, arbeitsmarktpolitisch gesehen, darunter leiden, daß in ihrem Bereich keine ausreichende Zahl von Arbeitsplätzen vorhanden ist, sind auch dadurch benachteiligt, daß sie über eine sehr große Anzahl von Rentnern verfügen.
Wir wollen das vermeiden, indem wir eine Staffelung, auf- oder abgerundet, durchführen wollen. Wir bitten Sie, unserem Antrag zu Nr. 31
— § 385 — zuzustimmen.
Wollen Sie nicht gleich Ihre Anträge zu den Nrn. 32 und 33 mitbegründen?
— Ach so! — Wird dazu das Wort gewünscht? Das Wort hat der Abgeordnete Horn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dieser Nr. 31 und den sich daraus ergebenden Nrn. 32 und 33 sind wir ohne Frage bei einem Kernstück der ganzen Vorlage, nämlich bei der Finanzierung. Es ist bekannt und uns durch vielerlei Zuschriften auch immer wieder deutlich gemacht worden, daß vor allen Dingen in den Kreisen der Ortskrankenkassen gegen die jetzige Fassung der Vorlage noch sehr erhebliche Bedenken insofern bestehen, als man befürchtet, daß die Handhabung dieses neuen Gesetzes auch in der Zukunft noch zu wesentlichen Belastungen der Krankenkassen führen könnte. Auch die Krankenkassen, die jetzt neu in die Betreuung der Rentner eintreten, sind nicht völlig frei von der Sorge, wie sich diese Praxis gestalten wird.
Auch der Sozialpolitische Ausschuß hat in sehr eingehenden und, wie ich sagen muß, von hohem Verantwortungsgefühl getragenen Beratungen sich des öftern mit dieser Frage der Finanzierung beschäftigt. Dabei sind die verschiedensten Lösungsmöglichkeiten erwogen worden, auch Lösungen ähnlich denen, wie sie uns jetzt in den Anträgen der sozialdemokratischen Fraktion vorgeschlagen werden. Aber meine politischen Freunde und auch wohl die übrigen Koalitionsvertreter haben sich schließlich dahin entschlossen, die Dinge in der Form der jetzigen Ausschußvorlage zu lösen. Ich darf darauf aufmerksam machen, daß dabei noch eine sehr wesentliche Verbesserung gegenüber dem Regierungsentwurf insofern erfolgt ist, als wir die in der Regierungsvorlage vorgesehene Kürzung um 40 % auf 15 % ermäßigt haben. Das ist ein im Interesse der Krankenkassen sehr wesentlicher Fortschritt. Ich darf weiter darauf hinweisen, daß der Ausschuß auch einen § 5 a eingefügt hat, der vorsieht, daß in den Fällen, in denen in der Tat besondere Schwierigkeiten auftreten, die weitere
Möglichkeit gegeben werden soll, für eine gewisse Zeitdauer auch diese 15 % völlig entfallen zu lassen.
Und nun gestatten Sie mir bitte noch einen weiteren Gedanken auszusprechen. Wir werden demnächst eine Neuordnung der sozialen Rentenversicherung vornehmen, und wir sind nach allem, was erkennbar ist, heute schon der Überzeugung — wir alle wollen dahin arbeiten —, daß danach eine sehr erhebliche Erhöhung der Renten der Invaliden- und der Angestelltenversicherung eintreten wird. Es wird dann in der Tat von einer den Verhältnissen angepaßten Alterssicherung gesprochen werden können. Diese Dinge sind auch bei den Beratungen im Ausschuß insofern angesprochen worden, als von mehreren Seiten, auch von der Opposition, ohne daß dem widersprochen worden wäre, erklärt wurde, daß, wenn diese Erhöhung der Renten vollzogen sein wird, auch eine erneute Überprüfung der heute anstehenden Lösung erfolgen muß. Wir stehen dann vor der Lage, daß wir mit aller Wahrscheinlichkeit auch die Rentner in etwa beitragspflichtig machen müssen, mit anderen Worten, daß wir sie dann auch in dieser Beziehung in mitverantwortlicher Form in die Krankenversicherung einbauen müssen. Wenn das der Fall sein wird, dann verliert die Lösung, die wir heute hier beschließen, in erheblichem Umfang die Grundlage. Für die wenigen Monate, die zwischen dem Inkrafttreten dieses Gesetzes und der demnächstigen Neuordnung der Rentenversicherung liegen, können die Krankenkassen nach unserer Meinung eine solche Lösung zunächst einmal sehr wohl hinnehmen. Daher sollten wir uns in diesem Hohen Hause, u. a. auch aus diesen Erwägungen, heute mit der Ausschußvorlage einverstanden erklären, die in sehr mühsamer Arbeit zustande gekommen ist. Wir glauben jedenfalls von dieser Lösung, daß sie zunächst einmal tragbar ist.
Aus diesem Grunde bitte ich Sie namens meiner politischen Freunde, der Ausschußvorlage zuzustimmen und die hier gestellten Änderungsanträge der SPD abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jentzsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den Beratungen des Sozialpolitischen Ausschusses haben wir die Quote von 40 % auf 15 % ermäßigt. Aber Sie werden sich erinnern, Herr Horn, daß wir bei den 15 % immerhin Bedenken geäußert haben, ob das ausreichen würde. Die Situation bei den Allgemeinen Ortskrankenkassen ist bekannt; sie nähert sich immer mehr einem kritischen Stadium, so daß eine dringende Unterstützung notwendig ist. So sehr ich es begrüße, daß wir auf 15 % gekommen sind, so wenig halte ich aber auch das für ausreichend. Aus diesem Grunde sind meine politischen Freunde und ich der Auffassung, daß wir alle Mittel ergreifen müssen, die den Allgemeinen Ortskrankenkassen eine entsprechende Stützung geben. Deshalb werden wir dem Antrag der SPD zustimmen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.
Namens meiner politischen Freunde gebe ich zu den beiden Änderungsanträgen der SPD und der CDU folgende Erklärung ab.
Wir waren im Ausschuß gegen den Antrag des Kollegen Schellenberg und der SPD, weil wir glaubten, daß durch die mögliche Annahme unseres Antrags in der zweiten Lesung den Krankenkassen die Möglichkeit der Beitragserhebung für einen Teil der Rentner und damit die Möglichkeit eines sozialen Ausgleichs gegeben werde. Ich glaube, daß die Gesetzesvorlage und der Antrag der CDU keine gute, keine endgültige Lösung des Problems bringen, sondern zu unendlichen Schwierigkeiten zwischen den Krankenkassen und dem Arbeitsministerium führen werden. Wir befürchten auch, daß sich die Situation der Kassen bei dem Ansteigen der Rentenempfänger durch die Reformpläne des Bundesministers für Arbeit und der SPD weitgehend verschlechtern wird. Wir können nicht verantworten, daß die Solidarhaftung in der gesetzlichen Krankenversicherung, insbesondere in den Ortskrankenkassen, ins Wanken gerät. Bei den niedersächsischen Ortskrankenkassen haben wir schon heute auf 100 allgemein Versicherte 67 Rentner. Dieses Bild finden Sie in anderen Ländern in ähnlicher Form. Wie Sie wissen, ist die Situation bei den Mitgliedern der Rentenversicherung vollkommen anders als bei den übrigen Versicherten, weil es bei ihnen den Begriff der Arbeitsunfähigkeit und damit die Beendigung der Krankheit durch Arbeitsfähigkeit nicht gibt, weil die Kosten laufend steigen und weil im Zusammenhang mit den berechtigten Honorarforderungen der Ärzte und mit sonstigen Kostensteigerungen jeder Leistungsausbau in der gesetzlichen Krankenversicherung verhindert wird, wenn wir die Solidarhaftung so überstrapazieren.
Aus diesem Grunde werden auch meine politischen Freunde dem Antrag der SPD zustimmen. Wir sind bereit, in der dritten Lesung, falls Sie doch noch auf unseren Antrag eingehen und den Kreis der Pflichtversicherten begrenzen und damit die schon erklärten Möglichkeiten geben, unsere Haltung auch zu diesem Problem sinngemäß zu ändern und auf die Regierungsvorlage oder den Antrag der CDU zurückzugehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Sozialdemokraten sind mit allen Fraktionen darin einig, daß wir im Zusammenhang mit einer Rentenreform selbstverständlich auch eine Neuordnung der Krankenversicherung der Rentner durchführen müssen. Aber für die Zwischenzeit müssen klare Finanzverhältnisse geschaffen werden, weil sonst die Leistungen der Krankenversicherung bis dahin beeinträchtigt werden. Unser Änderungsantrag dient dem Anliegen, bis zur Reform Defizite zu vermeiden. Wir haben den gemeinsamen Wunsch, daß wir recht bald im Zusammenhang mit der Beratung einer Rentenreform auch zu einer Anpassung der Rentnerkrankenversicherung kommen.
Das Wort hat der Abgeordnete Arndgen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich die Meinung vertreten, daß wir in diesem Hause nicht Anwälte der Krankenkassen sind, sondern die Aufgabe haben, dafür zu sorgen, daß
die Belastungen, die sich sowohl bei den Rentenversicherungsträgern als auch bei den Krankenkassen ergeben, möglichst gerecht verteilt werden. Denn beide Einrichtungen haben Gelder zu verwalten, die aus der Arbeitnehmerschaft kommen. Die in unserem Vorschlag vorgesehene Interessenquote von 15 % bedeutet rechnerisch nur eine Quote von 8 bis 10 %. Wir sind der Meinung, daß mit dieser Interessenquote von 15 % den berechtigten Finanzwünschen der Ortskrankenkassen und der Krankenkassen Rechnung getragen ist.
Wir haben — ich möchte auch daran erinnern — hier einen Antrag vorgelegt, der sich mit den Bestimmungen des § 5 a beschäftigt. Wir haben in diesem Antrag gewünscht, anstatt „über 50 %" „über ein Drittel" zu sagen. Wenn auch diese Formel angenommen wird, dann ist der Weg offen, durch eine Ermächtigung, die dem Herrn Bundesarbeitsminister gegeben ist, den Krankenkassen, die durch diese Bestimmung allzu stark belastet sind — es mag einige geben —, Erleichterungen zu schaffen.
Ich bitte daher im Interesse beider Versicherungsträger, sowohl der Rentenversicherungsträger als auch der Ortskrankenkassen, die Vorschläge des Ausschusses anzunehmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur noch eine Klarstellung: Es geht hier nicht um Interessen der Krankenversicherung oder der Rentenversicherung, sondern es geht um das gemeinsame soziale Interesse. Unser Antrag bezweckt, daß die Kassen, die verhältnismäßig wenig Rentner haben, einen geringeren Anteil bekommen, und jene Kassen, die eine verhältnismäßig große Anzahl von Rentnern haben, einen entsprechend höheren Anteil erhalten. Das geht nicht zu Lasten der Rentenversicherung, sondern das soll innerhalb der Krankenversicherung gerecht ausgeglichen werden. Das ist unser wesentliches Anliegen. Wenn wir das sichern, dann haben wir den Bedürfnissen sowohl der Rentenversicherung als auch der Krankenversicherung und vor allem den Bedürfnissen des kranken und alten Menschen gedient. Das ist der Inhalt unseres Antrags.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Wir stimmen ab — damit Klarheit besteht, will ich es wiederholen — über den Antrag Umdruck 569 Ziffer 2 a. Wer für diesen Antrag ist, bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Ich muß Sie bitten, die Abstimmung durch Erheben zu wiederholen. Wer dafür ist, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Meine Damen und Herren, das Präsidium kann sich nicht einigen; wir müssen auszählen. Ich bitte, den Saal zu verlassen.
Ich bitte, sich etwas zu beeilen. — Ich bitte, die Türen zu schließen. — Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen.
Meine Damen und Herren, dies ist das Ergebnis*) der Abstimmung: An der Abstimmung haben teilgenommen 336 Mitglieder des Hauses, mit Ja haben gestimmt 170 Mitglieder des Hauses, mit Nein 165, 1 Mitglied hat sich der Stimme enthalten. Damit ist der Änderungsantrag angenommen.
Wir stimmen nunmehr ab über Nr. 31 in der geänderten Fassung. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit der vorigen Mehrheit angenommen.
Bedarf der Änderungsantrag unter Ziffer 2 b des Umdrucks 569 noch der Begründung? — Wir brauchen ihn nicht weiter zu begründen. Ich lasse gleich darüber abstimmen. Es ist ja die Konsequenz der Annahme des vorigen Antrags. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Mit der bisherigen Mehrheit angenommen.
Nun folgt der Änderungsantrag auf Umdruck 569 Ziffer 2 c zu Nr. 33. Auch hier lasse ich gleich abstimmen, denn er braucht wohl nicht begründet zu werden. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Auch hier ist die vorige Mehrheit da. Der Änderungsantrag ist angenommen.
Nunmehr lasse ich abstimmen über die Nummern 32 bis einschließlich 32 b. Wer für die Annahme ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Auch das war die vorige Mehrheit; die Bestimmungen sind angenommen.
Nunmehr rufe ich auf Nr. 33. Hier liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 567 Ziffer 2 vor, das Wort „während" durch die Worte „bei Beendigung" zu ersetzen. — Das Wort hat der Abgeordnete Ruf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Änderungsantrag dient lediglich der Klarstellung dessen, was gemeint ist. Aus dem Wortlaut des § 514 könnte entnommen werden, daß die Versicherten während ihres ganzen letzten Beschäftigungsverhältnisses bei den Ersatzkassen versichert sein mußten. Das war offensichtlich nicht die Absicht des Sozialpolitischen Ausschusses. Ich empfehle Ihnen daher die Annahme dieses Änderungsantrags.
Keine weiteren Wortmeldungen.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer für die Annahme dieses Antrags ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einmütige Annahme fest.
Nunmehr stimmen wir ab über Nr. 33, praktisch über den Rest von Art. 1. Wer für die Annahme dieser Bestimmungen ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einmütige Annahme fest. Damit ist Art. 1 erledigt.
Wir kommen zu Art. 2. Da ist zu § 1 ein Änderungsantrag angekündigt, den Sie auf Umdruck 570 finden. Er trägt die Unterschrift „Seiboth und Fraktion". — Das Wort hat Frau Abgeordnete Finselberger.
Meine Herren und Damen! Nach dem hier zur Beratung stehenden Gesetz haben alle Angestellten unter bestimmten Voraussetzungen, nämlich wenn sie innerhalb der letzten fünf Jahre 52 Wochen in einer Ersatzkasse versichert waren, die Möglichkeit, dort wieder Anschluß zu finden. Ein bestimmter Kreis von Angestellten, nämlich diejenigen, die früher einmal im Sudetenland beheimatet waren und die nun auf Grund des Fremdrentengesetzes Renten und Ruhegeld beziehen, sind von der Möglichkeit ausgeschlossen, an ihre frühere Ersatzkasse wieder Anschluß zu finden. Wenn auch feststeht, daß die Krankenkassen dieses Kreises der Angestellten, die dort im Sudetenland bestanden haben, bis 1938 ihrem Charakter nach Ersatzkassen gewesen sind, so sind hier auf Grund von Besprechungen, die gestern stattgefunden haben, wohl doch Zweifel entstanden, ob dieser Charakter der Angestelltenersatzkassen auch nach 1938 gewahrt worden ist. Wenn diese Ersatzkassen auch nicht mehr bestehen, weil diese Angestellten das Schicksal der Vertreibung haben durchmachen müssen, so kann man doch die Angestellten dafür nicht verantwortlich machen, daß sie heute nicht mehr die Möglichkeit haben, in ihren früheren Ersatzkassen wieder die Mitgliedschaft zu erwerben. Deshalb sollte, meine ich, diesen Angestellten die Möglichkeit gegeben werden, soweit sie es wollen und soweit sie sich dazu entschließen können, wie alle anderen Angestelltenkreise zu wählen, ob sie wieder einer Ersatzkasse angehören wollen.
Das ist das eigentliche Anliegen des Antrags Umdruck 570*) meiner Fraktion. Nach der Meinung zu einem Urteil berufener sudetendeutscher Kollegen dieses Hauses handelt es sich dabei durchaus auch um ein sozial-rechtliches Anliegen. Wenn wir so häufig von einem Gleichheitsgrundsatz sprechen, dann sollten wir, glaube ich, auch diese im sozialen Bereich bestehende Lücke schließen. Diese Menschen haben ohne ihre Schuld nun keine Ersatzkasse aus ihrer früheren engeren Heimat mehr, und wir sollten also auf diese Weise diese Lücke schließen, indem wir ihnen die Möglichkeit geben, sich einer hier in der Bundesrepublik bestehenden Ersatzkasse anzuschließen.
Weiter möchte ich darauf hinweisen, daß sich diese Kreise der Angestellten aus dem Sudetengau auch durchaus darum bemüht haben, ihre früheren Ersatzkassen wieder zu errichten. Sie haben sich damit sehr viel Mühe gegeben; aber das war aus bestimmten Gründen — die Schuld daran liegt nicht bei diesen Angestellten — nicht möglich, und deshalb scheint mir dieses Anliegen sehr berechtigt zu sein. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie unseren Antrag unterstützten.
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung. Wer für den Änderungsantrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einige Enthaltungen sind festzustellen. Das erste war die Mehrheit; der Änderungsantrag ist angenommen.
Nunmehr lasse ich über Art. 2 abstimmen, § 1, —§ 2,— § 3,—§4,—§ 5.—Wer für die Annahme dieser Bestimmungen in der nunmehr festgestellten Fassung ist, den bitte ich, die Hand zu
*) Siehe Anlage 7.
erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Nunmehr kommt § 5 a. Hierzu ist ein Antrag Dr. Krone und Fraktion gestellt. Wer begründet den Antrag?
— Dann ist der Antrag unter Ziffer 3 des Umdrucks 567, zu dem auch Frau Kalinke Ausführungen machen wollte, die sie schon angekündigt hat, zurückgezogen?
— Für die zweite Lesung. Dann stimmen wir über die §§ 5 a, — 6, — 7 und 8 in der Ausschußfassung ab. — Wer für diese Bestimmungen ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Nun rufe ich § 9 auf. Hierzu liegt unter Ziffer 4 des Umdrucks 567 *) ein Änderungsantrag vor. Dem § 9 soll ein Abs. 3 angefügt werden. Wird auch dieser Antrag zurückgezogen?
— Bitte, wollen Sie den Antrag begründen, Herr Abgeordneter Ruf!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Änderungsantrag dient dem Schutz einer nicht unbeachtlichen Zahl von Personen, die freiwillig bei Ersatzkassen versichert sind und dort einen Anspruch auf ein höheres Sterbegeld haben, als es hier in dieser Vorlage vorgesesehen ist. Ihr Besitzstand soll gewahrt werden. Das ist das Anliegen des Änderungsantrags. Ich empfehle Ihnen, diesen Änderungsantrag anzunehmen.
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung über diesen Antrag. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Nunmehr stimmen wir über die §§ 9, - 10 und 11 sowie über Art. 3, — Art. 4, — Einleitung und Überschrift ab. Wer für die Annahme dieser Bestimmungen ist, den bitte ich um das Handzeichen.
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest. Damit, meine Damen und Herren, ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Auf der Tagesordnung steht, daß auch die dritte Beratung heute erfolgen soll. Ich rufe auf zur
dritten Beratung
und eröffne die allgemeine Aussprache. — Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Zur dritten Beratung beantrage ich erneut im Namen der Fraktionen der DP, DA und FDP zu Art. 1, in Nr. 1 Buchstabe a das Wort „versichert" durch das Wort „pflichtversichert" zu ersetzen. Ich beziehe mich auf meine grundsätzlichen Ausführungen in der zweiten Lesung und füge hinzu — für diejenigen, die nicht zugehört haben oder nicht im Saal waren —, daß auch die Bundesregierung unter der Zustimmung der Mehrheit dieses Hauses bei der Vorlage der
*) Siehe Anlage 3. Drucksache 67 vom 16. November 1953, die dem
Sozialpolitischen Ausschuß noch zur Beratung vorliegt, in der Begründung ausdrücklich gesagt hat: Die deutsche Sozialversicherung will bewußt nur Personen erfassen, die wegen ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage eines Schutzes gegen die Wechselfälle des Lebens bedürfen. Auch die Vergünstigungen der freiwilligen Versicherung sollen nur Personen zuteil werden, deren Einkommen eine bestimmte Grenze nicht überschreitet.
Was die Bundesregierung hier zur Begründung ihrer Vorlage und an vielen anderen Stellen gesagt hat, trifft vollinhaltlich auf das Problem der Krankenversicherung der Rentner zu. Die Vorteile der Sozialversicherung, die Vorteile der Solidarhaftung dürfen nur denen zugute kommen, die dieses Schutzes wirklich bedürfen. Welche Gefahren darin liegen, daß man etwa so argumentiert, wie es leider geschieht, daß alle Rentner die Ärmsten der Armen seien, meine Herren und Damen, das möge Ihnen, die Sie alle Politiker sind, besonders klarwerden, wenn Sie „Arbeit und Sozialfürsorge", Heft Nr. 6, lesen wollten, das in der DDR erscheint. In diesem Heft werden die Ausführungen des früheren sozialdemokratischen Arbeitsministers in Baden-Württemberg, des Herrn Hohlwegler , kommentiert, die er im „Mannheimer Morgen" gemacht hat, daß nämlich in der westdeutschen Bundesrepublik 10,5 Millionen Bürger — so hat Herr Hohlwegler gesagt — an der Grenze des Existensminimums und darunter existieren, daß der Durchschnittsnettobetrag aller Sozialleistungen nur 62 Mark monatlich ausmacht, daß die Lage der Invalidenrentner, der Frühinvaliden und ihrer Familien die bitterste Not zeigt, daß der Raubbau an der Gesundheit der Schaffenden alarmierend ist und weiteres mehr, was ich Sie nachzulesen bitte. Dazu kommentiert „Arbeit und Sozialfürsorge", daß in der westdeutschen Bundesrepublik die Situation besteht — —
— Wenn Sie sie auch lesen, dann sollten Sie wissen, daß es in dieser Kommentierung heißt, „daß der soziale Fortschritt der DDR heute einen Sog auf westdeutsche Arbeiter ausübe". Wenn Sie bedenken, welche ungeheuren politischen Wirkungen diese Polemik hat, dann bitte ich doch, in solchen grundsätzlichen Entscheidungen sich auf die sozialethische Forderung zu besinnen, die uns verpflichtet, auch einmal nein zu sagen, wo wir den wirklich Schwachen schützen müssen, und uns gegen die Polemik im politischen Tageskampf zu verwahren, die ein vollkommen falsches Bild von der sozialen Sicherung und der sozialen Situation unserer Bundesrepublik gibt. Der Arbeitsminister Hohlwegler hätte als Gewerkschaftler eigentlich wissen müssen, was Arbeiter verdienen und wie es ihnen wirklich geht. Der Arbeitsminister hätte als Politiker wenigstens die Beihilfegrundsätze seines Landes kennen müssen und die Rechtsansprüche, die die Bürger seines Landes haben. Er mußte aber auch wissen, wie fragwürdig solche statistischen Durchschnittszahlen sind! Wir alle sollten gemeinsam den Mut haben, so grundsätzliche Entscheidungen, zu denen wir heute aufgerufen sind, nur aus der Verantwortung unseres Gewissens zu treffen. Um die Schwierigkeit, die sich eben aus dem Ergebnis der Abstimmung ergab, zu beseitigen, bitte ich Sie erneut, zuzustimmen und diejenigen Beiträge zahlen zu lassen, die dazu in der Lage sind, damit die Kassen entlastet werden.
Ich bitte Sie deshalb noch einmal: Stimmen Sie dem Antrag zu Art. 1 zu und schaffen Sie damit die Voraussetzungen für die Einordnung der Rentner als echte Mitglieder der Krankenversicherung. Erhalten Sie damit die Konzeption, in der die gesetzliche Krankenversicherung in Deutschland besteht!
Meine Damen und Herren, Frau Kalinke hat nicht nur zur allgemeinen Aussprache gesprochen, sondern auch einen Antrag zur dritten Lesung eingebracht. Sie finden den Antrag auf Umdruck 568 unter Ziffer 1*).
Das Wort zur allgemeinen Aussprache hat der Abgeordnete Jentzsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Schriftlichen Bericht, den der Herr Kollege Ruf vorgelegt hat, ist zu entnehmen, daß bereits im Jahre 1952 der 1. Deutsche Bundestag die Bundesregierung beauftragt hat, den Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Krankenversicherung der Rentner vorzulegen. Nach drei Jahren ist ein solcher Entwurf den gesetzgebenden Körperschaften zugeleitet worden. In diesen Entwurf ist aber, wie der Herr Berichterstatter in dem letzten Absatz seines Berichts angibt, auf Veranlassung des Herrn Bundesarbeitsministers eine Vorschrift eingefügt worden, die dem Zwecke dienen soll, den gegenwärtigen Rechtszustand in der Rentenversicherung und der Arbeitslosenversicherung nicht zu ändern, damit den diesbezüglichen gesetzlichen Neuordnungen dieser Versicherungszweige nicht vorgegriffen wird. Wir haben also die betrübende Tatsache festzustellen, daß heute, vier Jahre nach der Erteilung eines entsprechenden Auftrags, die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorlegt, der unvollkommen ist und dessen Unvollkommenheit mit dem Hinweis auf die kommende Sozialreform entschuldigt wird. Dieser Umstand ist einer der bedauerlichen Mängel, die dem Entwurf anhaften.
Im Auftrage meiner politischen Freunde habe ich zu erklären, daß wir grundsätzliche Bedenken gegen diesen Entwurf geltend machen. Unsere Bedenken richten sich nicht gegen die endlich erfolgte Regelung zugunsten der Rentner, sondern gegen die fehlende Konzeption der schon so lange ausstehenden Sozialreform. Eine solche eindeutige Konzeption hätte gerade dem vorliegenden Entwurf zugrunde gelegt werden müssen. Trotz dieser schwerwiegenden Bedenken werden wir der vom Sozialpolitischen Ausschuß beschlossenen Form des Gesetzentwurfs in der Drucksache 2256 unter Berücksichtigung der von uns mitunterzeichneten Änderungsanträge zustimmen.
Wir begrüßen es, daß jetzt endlich eine Klärung in der grundsätzlichen Frage herbeigeführt worden ist, ob die Krankenversicherung der Rentner eine Angelegenheit der Krankenversicherung oder der Rentenversicherung ist. Die Zuordnung der Rentnerkrankenversicherung zum Zweiten Such der Reichsversicherungsordnung halten wir für richtig. Die Pflichtmitgliedschaft der Rentner in der sozialen Krankenversicherung ist logisch. Sie ist aber nur logisch insoweit, als die Rentner beim Träger der gesetzlichen Krankenversicherung versichert waren. Darüber hinaus sind wir der Auffassung, daß es sich bei diesen versicherten Rentnern um pflichtversicherte Rentner handeln muß, damit der Grundgedanke der Selbstverantwortung, der ja in
*) Siehe Anlage 4.
der angestrebten Sozialreform tragend sein soll, bereits hier gebührend zur Geltung kommt.
Wir begrüßen es, daß durch die Gleichstellung der Rentner mit den übrigen Versicherten eine Verbesserung der den Rentnern zustehenden Leistungen bewirkt wird. Die nichtkrankenversicherten Rentner, welche aus der sozialen Krankenversicherung ausgeschieden sind, jedoch an sich die Voraussetzungen für den Bezug einer Rente aus der Angestelltenversicherung oder der Invalidenversicherung erfüllen, sollten unserer Auffassung nach auf ihren Antrag hin einen Betrag zu ihrem Krankenversicherungsbeitrag erhalten, wenn sie nachweisen, daß sie in der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig weiterversichert, versicherungsberechtigt oder privat gegen Krankheit versichert sind. Wir wünschen, daß auch hier die Selbstverantwortung, die diese Rentner beweisen, eine entsprechende Honorierung erfährt und daß eine offenkundige Benachteiligung ausgeschaltet wird.
Eine Kostenbeteiligung der Rentner lehnen auch wir ab, da unserer Auffassung nach eine solche Maßnahme nicht gerade bei einer so bedürftigen Schicht, wie es die Rentner nun einmal sind, begonnen werden kann. Allerdings sind wir der Meinung, daß im Falle einer merklichen Anhebung der Renten, etwa im Zuge der in Aussicht stehenden Sozialreform, eine Möglichkeit der Kostenbeteiligung geprüft werden muß, damit dem Prinzip der Selbstverantwortung ein möglichst breiter Raum gegeben wird. Der vorliegende Enwurf sieht eine Beteiligung der Rentner an der Aufbringung der Mittel nicht vor.
Die bisherige Regelung, durch die auf die Krankenkassen eine außergewöhnliche Belastung entfallen ist, bei der in zahlreichen Fällen bereits ein kritisches Stadium eingetreten ist, war auch nach unserer Auffassung unhaltbar. Wir begrüßen daher die vom Sozialpolitischen Ausschuß getroffene Regelung, durch die die Kürzung des Grundlohnes von 40 % auf 15 % ermäßigt worden ist. Aus diesem Grunde haben wir auch dem Zusatzantrag, der vorhin von der SPD gestellt worden ist, entsprochen. Dadurch wird die dringend notwendige Entlastung der Krankenkassen herbeigeführt. Auch eine weitere mögliche Ermäßigung in der Grundlohnfestsetzung durch den Herrn Bundesarbeitsminister halten wir für eine notwendige und den tatsächlichen Verhältnissen Rechnung tragende Maßnahme.
Durch den vom Sozialpolitischen Ausschuß abgeänderten Entwurf und die Veränderungen, die vorhin beschlossen worden sind, wird die Honorierung der Ärzte gegenüber den früheren unzulänglichen Verhältnissen verbessert. Es werden jetzt auch den Kassen Mittel für eine angemessene Honorierung der Ärzte zur Verfügung stehen. Die Freien Demokraten begrüßen diese Verbesserung sowohl im Interesse der Rentner wie auch im Interesse der Ärzte.
Die Neuregelung der Rentnerkrankenversicherung ist eine Maßnahme, die nicht länger auf sich warten lassen durfte. Wir bedauern, daß die Regierung die Vorschläge für die seit langem angekündigte Sozialreform immer noch nicht vorgelegt hat. Wir bedauern das insbesondere deswegen, weil wir so wieder einmal genötigt sind, ein wichtiges Teilstück isoliert von den anderen Teilen unvollkommen zu verabschieden. Sosehr wir die Subsidiaritätspflicht gelten lassen wollen, sosehr wenden wir uns gegen jede Möglichkeit des Miß-
brauchs, die durch Außerachtlassung des Prinzips der Selbstverantwortung leider auch mit dem vorliegenden Entwurf noch gegeben ist. Wir können daher nur unter ernsten Bedenken und nur, um einem eklatanten Notstand abzuhelfen, dem Entwurf unsere Zustimmung geben.
Das Wort hat der Herr Bundesarbeitsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen von Herrn Jentzsch zwingen mich, hier einiges klarzustellen. Im Jahre 1952, und zwar am 20. Februar, ist der Antrag der Deutschen Partei eingereicht worden. Dieser Antrag ist im Sozialpolitischen Ausschuß des Bundestags bis zum 20. März 1953 behandelt worden. Es lag hier also eine Verschiebung von über einem Jahr vor. Jeder wußte, daß von da bis zur Neuwahl des Bundestags eine gesetzliche Erledigung dieser Angelegenheiten nicht mehr möglich war. Die Bundesregierung hat die Vorlage des heute zu verabschiedenden Gesetzes am 28. Februar 1955, also vor über einem Jahr, in die Gesetzgebung gebracht. Der Entwurf lag wiederum über ein Jahr in der Gesetzgebung. Deshalb darf man nicht hergehen und der Bundesregierung Vorwürfe machen, als sei sie schuld an der verspäteten Verabschiedung des Gesetzes. Darüber hinaus haben Sie, Herr Dr. Jentzsch, jetzt gesagt, das Gesetz sei unvollkommen, man hätte etwas Vollkommeneres im Sinne der Sozialreform vorlegen sollen. Ich möchte Ihnen erwidern: bei diesem Gesetz handelt es sich um ein Vorbereitungsgesetz für die endgültigen Neuordnungen in der Krankenversicherung und in der Rentenversicherung. Die Krankenversicherung der Rentner ist zur Zeit in einer Zwitterstellung. Auf der einen Seite führen die Ortskrankenkassen die Rentnerkrankenversicherung selbständig durch; auf der anderen Seite müssen die Rentenversicherungsträger die Kosten bezahlen. Dabei werden die Rentner in den Verzeichnissen der Versicherten bei den Krankenkassen noch nicht einmal namentlich geführt. Der Rentenversicherungsträger muß aber für alle Renten, die im Bereich der Kasse gezahlt werden, einen festen Beitrag an die Krankenkasse entrichten. Das ist eine anonyme Versicherung der Rentner. Wir haben das größte Gewicht darauf gelegt, durch dieses Gesetz endlich wieder klare Verhältnisse zu schaffen. Aus einer Auftragsangelegenheit der Rentenversicherungsträger muß wieder eine selbstverantwortliche Aufgabe der Krankenversicherungsträger werden.
Sehen wir doch die Dinge so, wie sie sind, und kommen wir doch um Gottes willen zum Schluß, nicht mit solchen Vorwürfen: unvollkommen, zu spät eingereicht usw.! Verabschieden Sie das Gesetz, damit wir für die Neuordnung der Dinge endlich die Grundlagen haben: auf der einen Seite den ganz klaren Versichertenbestand in der Rentenversicherung und auf der anderen Seite den klaren Bestand der Versicherten in der Krankenversicherung. Ich meine, so sollten Sie das Gesetz beurteilen und auch verabschieden.
Das Wort hat der Abgeordnete Horn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Hinblick darauf, daß die Zeit ohnehin schon sehr strapaziert worden ist, möchte ich mich zur Generaldebatte auf ein paar ganz kurze Bemerkungen beschränken.
Ich brauche eigentlich nicht erneut zu sagen, daß die Christlich-Demokratische Union diesen ersten Schritt zur Neuordnung der sozialen Leistungen, für die mit der Regierungsvorlage der Grund gelegt wird, mit besonderer Betonung begrüßt hat. Wir haben den Einbau der Rentnerkrankenversicherung in das Zweite Buch der Reichsversicherungsordnung mit voller Überzeugung mitgemacht, weil wir damit den Rentnern den großen Dienst erweisen, daß wir ihnen, ebenso wie allen anderen Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung, im Gegensatz zu der Vergangenheit den Anspruch auf die vollen Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung geben. Das sollte auch draußen bei der Publikmachung dieser Gesetzesvorlage mit dem notwendigen Nachdruck gesagt werden.
Die Sorgen der Allgemeinen Ortskrankenkassen — das möchte ich auch hier bei der Generaldebatte wiederholen — haben wir durch die Ausschußvorlage und unseren Zusatzantrag in der zweiten Lesung erheblich gemildert. Was man jetzt für den Anlauf und die Zukunft an Bedenken hat, das sind zunächst ja nur einmal Befürchtungen und noch keineswegs bewiesene Tatsachen. Deshalb sollte man die Dinge auch einmal in der Praxis ruhig an sich herankommen lassen.
Meine Damen und Herren, wir haben die in der Regierungsvorlage vorgesehene Kostenbeteiligung auch der Rentner und die Neuregelung der Kostenbeteiligung für die Versicherten in der Krankenversicherung allgemein aus der Vorlage in Übereinstimmung mit allen Fraktionen gestrichen, weil wir meinen, daß diese Dinge bei der Neuordnung der gesetzlichen Krankenversicherung ihre Regelung werden finden müssen. Die Wiederherstellung eines einheitlichen Rechtes in der Bundesrepublik muß dabei ein wesentliches Ziel sein. Ich wiederhole, was ich vorhin in der zweiten Lesung schon gesagt habe: Wenn die Leistungen der Rentenversicherung auf diese wesentlich bessere Basis gestellt sein werden, dann ist es auch an der Zeit, sich über die Kostenbeteiligung und auch über einen eventuellen Beitragsanteil der krankenversicherten Rentner mit allem Ernst zu unterhalten.
Wir sind der Meinung, daß unter angemessenen sozialen Rücksichtnahmen auch eine Beteiligung der Rentner dann sehr wohl verantwortet werden kann.
Wir geben unter diesen Voraussetzungen der Regierungsvorlage mit den vom Ausschuß vorgenommenen Änderungen gerne unsere Zustimmung und verbinden damit gleichzeitig den Wunsch, daß auch die endgültige Verabschiedung und Verkündung der Gesetzesvorlage möglichst ohne weitere Schwierigkeiten und Verzögerungen über die Bühne gehen möge, damit diese neue Regelung alsbald Gesetz werden kann. Bei den großen Reformvorlagen werden wir uns dann, wie gesagt, erneut mit der Materie zu beschäftigen haben.
h.) Wenn der Herr Präsident gestattet, möchte ich jetzt sofort unsere Anträge zur dritten Lesung mit vortragen. Meine Fraktion beantragt zur dritten Lesung bei den Nrn. 31, 32 und 33 die Wiederherstellung der Ausschußvorlage und für den Fall der Annahme dieses Antrages auch die Fassung des § 5 a, wie wir sie in unserem Änderungsantrag zur zweiten Lesung beantragt haben.
Über den Antrag auf Wiederherstellung der Ausschußvorlage darf ich hiermit im Namen meiner Fraktion namentliche Abstimmung beantragen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schon bei den ersten Beratungen der Fragen der Krankenversicherung der Rentner in diesem Hause im Jahre 1952 hatten die Sozialdemokraten zu dieser Neuordnung vier Anliegen.
Das erste Anliegen war, daß in Zukunft die Rentner leistungsmäßig allen anderen Krankenversicherten gleichgestellt werden. Diesem Anliegen wird nunmehr entsprochen, und darüber sind wir sehr froh.
Das zweite Anliegen der Sozialdemokraten war eine finanzielle Sicherung der Leistungen; der Leistungen für die Rentner, der Leistungen für die Krankenversicherten. Mit der Annahme unseres Antrags zu Nr. 31 ist dem zwar nicht voll, aber doch einigermaßen ausreichend, jedenfalls für den Bereich besonderer Belastungen, Rechnung getragen. Wir bedauern es deshalb außerordentlich, daß die CDU-Fraktion jetzt zur dritten Lesung versucht, die Ergebnisse der zweiten Lesung wieder aufzuheben, und zu dem probaten Mittel der namentlichen Abstimmung greifen will, um damit ihre Schäflein zusammenzuhalten.
Wir glauben, daß das eine schlechte Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs ist, an dem wir doch alle gemeinsam gearbeitet haben.
Und nun ein Drittes. Die Beratung dieses Gesetzentwurfes hat sehr lange Zeit in Anspruch genommen. Der Herr Bundesarbeitsminister hat darauf hingewiesen, daß das nicht das Verschulden seines Hauses gewesen sei. Ich sage: nicht nur das Verschulden seines Hauses, sondern auch seiner Fraktion, der CDU. Denn, meine Damen und Herren, was war der sozialpolitisch entscheidende Punkt in diesem Gesetzentwurf? Daß mit ihm allgemeine Krankenscheingebühren für Rentner, Kostenbeteiligungen und Rentenkürzungen bei Krankenhausaufenthalt eingeführt werden sollten.
Die Sozialdemokraten haben bei der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs erklärt, daß er in dieser Form unannehmbar ist.
— Ich glaube, Sie lesen die Protokolle des Plenums
nicht. Herr Kollege Pelster, Sie nehmen an den
Beratungen des Sozialpolitischen Ausschusses nicht
teil, und Sie scheinen auch die Ausschußprotokolle nicht zu lesen.
Im Plenum hat Ihr Herr Kollege Dr. Franz bei der ersten Lesung erklärt, dieser Gesetzentwurf sei der erste konstruktive Schritt zu einer Sozialreform, mit dem Inhalt der Kostenbeteiligung, die wir abgelehnt haben.
— Meine Herren, wir Sozialdemokraten sind froh darüber und betrachten es als einen Erfolg unserer Arbeit, daß diese Leistungssenkungen mit Zustimmung aller Parteien jetzt aus dem Gesetzentwurf verschwunden sind,
und wir hoffen sehr, daß diese Richtung die zukünftige Arbeit an der Sozialreform bestimmen wird.
Dann werden wir uns über viele Dinge schnell einig werden.
Und noch ein viertes Anliegen haben die Sozialdemokraten immer gehabt: daß a 11 e Rentner in den Genuß der Leistungen der Rentnerkrankenversicherung kommen. Diesem Anliegen ist nach den Ausschußberatungen noch nicht voll entsprochen. Deshalb müssen wir zur dritten Lesung noch einen Änderungsantrag stellen.
Aber alles in allem ist — und darüber sind wir froh — dieser Gesetzentwurf ein Fortschritt. Wir hoffen, daß nach Ablehnung der CDU-Anträge zur dritten Lesung und mit Annahme unserer Anträge bezüglich des Kreises der Leistungsberechtigten das Gesetz zu einer wirklichen Verbesserung der Leistungen für alle Rentner führen wird. Dann kann es ein erster bescheidener Schritt zu einer Sozialreform sein.
Das Wort hat der Herr Bundesarbeitsminister.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das, was wir jetzt zum Schluß gehört haben, muß einfach den notwendigen Widerspruch hervorrufen. Herr Professor Schellenberg, Sie wissen ganz genau, daß in dem ersten Entwurf des Arbeitsministeriums die Beteiligung an den Kosten nicht enthalten war und daß wir alle derartigen Gesetzentwürfe selbstverständlich erst mit den Beteiligten durchgehen, ehe wir sie einbringen. Auf die Bitte der Beteiligten sind diese Bestimmungen aufgenommen worden.
Wir haben in den Ausschußberatungen von unserem Ministerium keinerlei Widerspruch dagegen erhoben, als der Ausschuß dazu kam, diese Bestimmungen aus dem Gesetz herauszunehmen.
Ich persönlich war von vornherein der Meinung,
daß in diesem Gesetz nur die Grundsätzlichkeit
der Versicherung neu geordnet werden sollte, während man an alle anderen Probleme der Krankenversicherung in dem Augenblick herangehen sollte, in dem man die Reform der Krankenversicherung behandelt. Der Sinn dieses Gesetzes ist von mir charakterisiert worden, und dieser Sinn wird durch das vorliegende Gesetz erreicht. Wer aber glaubt, bereits über ein derartiges Übergangsgesetz Reformarbeiten in der Sozialversicherung leisten zu können, der hat meines Erachtens den Sinn dieser großen Reformarbeit noch gar nicht begriffen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schellenberg. — Herr Abgeordneter Schellenberg, Sie haben sich zum Wort gemeldet.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesarbeitsminister hat hier ,mitgeteilt, daß er einen Gesetzentwurf eingebracht habe, der nicht seiner Auffassung entspricht. Herr Bundesarbeitsminister, wir bedauern es sehr, wenn Sie wider Ihre Überzeugung in einer sozialpolitisch bedeutsamen Angelegenheit, nämlich in der Frage, ob die Rentner an den Krankenhauskosten beteiligt werden sollen, dem Druck irgendwelcher Institutionen nachgeben. Das ist außerordentlich bedauerlich.
Herr Bundesarbeitsminister, bei der Beratung in der ersten Lesung haben Sie den Sozialdemokraten, als sie sich gegen eine Kostenbeteiligung wandten, den Vorwurf gemacht — ich kann das aus dem Protokoll noch zitieren —, daß wir auf die Tränendrüse drückten, als wir erklärten, es solle keine neue Kostenbeteiligung vorgenommen werden.
Unser sozialpolitisches Anliegen ist jetzt erfüllt, und deshalb werden wir dem Gesetzentwurf zustimmen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Der Bundesminister für Arbeit hat den Vorwurf, daß dieser Gesetzentwurf etwas spät an den Bundestag gekommen sei, zurückgewiesen. Den Vorwurf der Verspätung habe ich ihm gegenüber nicht erhoben, und ich möchte mich einem solchen Vorwurf auch nicht anschließen. Ich möchte mich aber dem Vorwurf anschließen, daß eine so grundsätzliche Entscheidung, wie wir sie 1953 im Ausschuß und im Plenum dieses Hohen Hauses mit absoluter Mehrheit getroffen haben, in der Grundtendenz, daß die Rentner echte Mitglieder der Krankenversicherung werden sollen, zwar in einem Punkt in der Vorlage enthalten ist, aber nicht die logisch und konsequent daraus zu ziehenden Folgerungen, daß dann die Rentner genau so eingeordnet werden müssen wie die übrigen Versicherten auch, nämlich als Pflichtversicherte, als Weiterversicherte und als Versicherungsberechtigte, wie es der Gliederung der Versichertenkreise in unserer gesetzlichen Krankenversicherung 'entspricht.
Was aber die Konzeption zur Sozialreform angeht, so kann ich mich, sosehr ich das um der
Sache willen bedaure, nur dem Kollegen Schellenberg anschließen.
— Nicht weil es Ihre Meinung ist; ich achte Ihre Sachkenntnis, Herr Kollege Schellenberg. Ich bedaure es in diesem Punkt in bezug auf den Herrn Arbeitsminister, daß wir in einer gemeinsamen Front gegen ihn sagen müssen, wir wünschten ihm die Kraft und die Stärke und auch den Hintergrund seiner Fraktion für seine Position. Denn eine solche Rückenstärkung braucht er natürlich, um in Zukunft gegen alle Interessierten und Interessenten, seien es Krankenkassen, Rentenversicherungsträger oder Einzelpersönlichkeiten, eine Grundkonzeption durchzusetzen, die er gehabt hat und die er heute noch hat, wie er mir sagte, und die die Bundesregierung beschlossen und immer wieder verkündet hat, die er aber nicht durchsetzen konnte. Ich wünsche ihm, daß er für den Rest der schweren und verantwortungsvollen Aufgaben, die wir gemeinsam zu lösen haben, nicht nur seine Partei und die Bundesregierung hinter sich hat, sondern alle diejenigen von uns, die wir gemeinsam mit ihm an der Lösung arbeiten wollen. Es scheint mir, daß wir in der Abstimmung heute — es gibt noch eine Chance dazu beim § 1 — diesen Auftrag noch nicht erfüllt haben, daß wir die Chance nicht genutzt haben.
Wenn der Herr Bundesminister für Arbeit allerdings der Auffassung ist, daß dies Gesetz nur ein Vorbereitungsgesetz sei, so möchte ich mir erlauben, ihn darauf aufmerksam zu machen, daß auch in Vorbereitungsgesetzen die Weichen richtig gestellt werden müssen. Sonst geht der Zug verkehrt in das endgültige Gesetz, oder wir finden nicht mehr den Tunnel, durch den wir hindurch müssen, um das Ziel zu erreichen.
— Ich bin kein Verkehrspolitiker; da haben Sie in Ihrer Fraktion Experten, die Ihnen das Bild vielleicht näher erklären.
Der Minister Storch — der hier im Bundestag unser Kollege ist — sollte aber nicht unterstellen, daß diejenigen Abgeordneten dieses Hauses, die, säßen sie bei der SPD, ganz links, oder bei der DP, ganz rechts, verlangen, daß die Weichen schon in jedem Gesetz gestellt werden, den Sinn der großen Aufgabe etwa nicht begriffen hätten. Wir sind doch alle darin einig, daß es eine Sozialreform in Form eines großen, dicken Buchs mit vielen Siegeln, in dem alles vollkommen geregelt ist, nicht geben kann und nicht gehen wird und daß viele Einzelgesetze die Probleme der Neuordnung der sozialen Leistungen berühren werden und lösen müssen.
Aber zur Reform gehören nicht nur die Leistungen. Hier möchte ich ganz positiv sagen: Wenn sich meine Freunde entschließen, gegen alle Bedenken und vorbehaltlich der Abstimmung zu unserem Antrag zu 1 in der dritten Lesung dem Gesetz zuzustimmen, dann deshalb, weil wir die Leistungsverbesserungen für notwendig halten, damit die Rentner dieselben Leistungen erhalten wie die übrigen Versicherten. Wir glauben aber, daß man, wenn man von gleichen Rechten spricht, auch von gleichen Pflichten sprechen muß. Wir bedauern — ich denke an die Solidarhaftung und ihre Überstrapazierung —, daß das nicht geschehen ist. Wir sind uns einig gewesen — das war nicht nur Herr Schellenberg oder die SPD, sondern wir alle im Ausschuß, nämlich alle Fraktionen, die mitberaten haben —, daß man mit einer Selbstbeteiligung,
deren Notwendigkeit auch ich anerkenne, am schlechtesten beim Rentner beginnen kann. Es war, sozialpolitisch sehr ungeschickt, das, obwohl es in der Gesamtkonzeption außerordentlich nötig ist, in diesem Gesetz anzubringen. Leider hat sich der Herr Minister ein wenig in Widersprüche verwickelt. Er spricht von der Gesamtkonzeption, die irgendwann kommen wird, am Tage X, hat aber doch einen Teil dieser Gesamtkonzeption hier vorwegnehmen wollen, was in der Sache richtig, in der Form, im Zeitpunkt und für die Betroffenen unglücklich ist. Deshalb begrüßen wir, daß die Selbstbeteiligung nicht gerade bei den Rentnern ausprobiert werden soll; sie muß bei denen probiert werden, die als Weiterversicherte und Berechtigte wirtschafts- und sozialpolitisch mehr Möglichkeiten haben, Verantwortung zu übernehmen.
Herr Kollege Horn hat gesagt, daß es ein erster Schritt sein soll. Ich muß hier wiederholen, was der offizielle Sprecher der CDU-Fraktion bei der ersten Lesung gesagt hat: „Dies ist ein Teilstück der Reform." So ist es in sämtlichen Zeitungen propagiert worden, und . ich möchte auch unterstreichen, daß es ein Teilstück der Reform ist. Der Herr Minister hat auf den Sozialpolitischen Ausschuß hingewiesen, und er hat recht damit; ich könnte hier ein sehr bitteres Klagelied über die Vorlagen singen, die im Ausschuß ruhen und nicht behandelt worden sind, obwohl der Inhalt sehr wichtig und grundsätzlich ist. Der Herr Minister hat gesagt, daß es damals im Jahre 1953, vor der Neuwahl, nicht mehr möglich war, Entscheidungen zu treffen. Ja, glauben Sie denn, Herr Minister, daß im nächsten Jahre vor der Neuwahl, wenn sich die Schatten des Wahlkampfes über dieses Parlament senken werden, sozialpolitische Grundsatzentscheidungen so weit) gehender Art noch möglich sein werden?
Meine Herren und Damen, ich möchte auf die vorgeschrittene Zeit Rücksicht nehmen. Ich weiß, Sie sind alle ungeduldig.
— Ich weiß, Sie sind leider alle ungeduldig, wenn Probleme der Sozialpolitik behandelt werden.
Sie irren sich nur, wenn Sie glauben, daß nur die Lohnsteuer oder die Vermögensteuer Ihr Portemonnaie betrifft. Die Probleme der Sozialreform und die Sozialsteuern betreffen Ihr Portemonnaie ganz entscheidend.
So wie Sie die Weichen hier stellen, wird die Steuer von morgen aussehen. Wenn Sie nicht den Mut zu Entscheidungen und zur Klarheit haben, dann werden wir eine Steuerreform, wie Sie sie alle gefordert haben, nicht machen können, weil dann die Sozialreform uns vor Probleme stellen wird, die wir vor dem Wahlkampf sicherlich nicht gut lösen können.
Ich bin mit Herrn Dr. Jentzsch und Herrn Schellenberg einig; auch wir bedauern, daß eine Grundkonzeption zur Sozialreform auch heute nicht einmal angeklungen ist. Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, daß durch die Entscheidung zum Art. 1 und über unseren Antrag wenigstens ein Teilstück dieser Konzeption aufleuchten möge.
Lassen Sie mich wiederholen und mit dem Appell schließen: Lassen Sie bei der Beratung der sozialen Fragen unserer Zeit erkennen, daß für Sie die
Sozialreform nicht nur eine finanzielle Angelegenheit, nicht nur eine Sache der Auseinandersetzungen mit den Wählern oder interessierten Organisationen ist. Lassen Sie durch Ihre Abstimmungen erkennen, daß es sich auch um eine Gesinnungsreform handelt. Wenn nicht jedes Stückchen der Sozialreform diese Gesinnungsreform erkennen läßt, dann werden Sie bei jeder sozialpolitischen Entscheidung große Teile unseres Volkes weiter enttäuschen und den sozialen Frieden, den wir von den Reformen erwarten, nicht erreichen. Aber ich habe die Hoffnung, daß dieses Gesetz als Teilstück dem sozialen Fortschritt dienen möge und daß die unangenehmen Erfahrungen solcher Debatten, wie wir sie heute leider wieder führen müssen, auch wenn Sie sie unwillig ertragen, Sie zu der Einsicht bringen, daß — wenn irgendwo — gerade in der Sozialpolitik zu dem Sachverstand unabänderlich auch der Mut der politischen Entscheidung und der Mut gehört, in Gewissenskonflikten ein klares Ja oder Nein zu sagen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Finselberger.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Zunächst möchte ich sagen, daß ich die Absicht habe, sehr kurz zu sprechen.
Ich hoffe, daß sich daraus nicht etwa die Schlußfolgerung ergibt, daß ich wenig Interesse an sozialpolitischen Problemen hätte.
Ich glaube, es kommt auf die Konzentration der Dinge an, die hier besprochen werden müssen.
Ich darf daran erinnern, daß ich in der ersten Beratung dieses Gesetzes darauf hingewiesen habe, wie sehr meine politischen Freunde vom Gesamtdeutschen Block/BHE und ich davon enttäuscht waren, daß in diesem Gesetz eine Kostenbeteiligung der Rentner vorgesehen war. Ich möchte aber auch offen und ehrlich unserer Freude darüber Ausdruck geben, daß alle Bedenken gegen die erste Vorlage, die eine Belastung der Rentner darstellte, dadurch beseitigt wurden, daß eine Kostenbeteiligung der Rentner nicht mehr in Frage kommt, daß im übrigen auch ein Anschluß an die früheren Ersatz- und Betriebskrankenkassen wieder unter bestimmten Voraussetzungen gefunden werden kann und daß — was ich ganz besonders herausstellen möchte — auch die Rentner im Falle der Erkrankung die gleiche Behandlung erfahren wie alle übrigen Versicherten.
Sicher ist eine sehr schöne Team-Arbeit im Sozialpolitischen Ausschuß zu verzeichnen gewesen. Ich gehöre zu denen, die zwar keine Krankenversicherungsexperten sind, die aber mit außerordentlich großem Interesse den Diskussionen im Ausschuß gefolgt sind, und ich glaube, man sollte einmal den Mitgliedern des Ausschusses, die, ganz gleich, welcher Fraktion sie angehören, sich auf diesem speziellen Gebiet ernsthaft bemüht haben, das Beste aus dem Gesetz zu machen — und dazu gehören auch diejenigen, die nicht Experten in der Krankenversicherung sind —, hier einmal Dank sagen.
Auch andere Verbesserungen stellen einen sehr wesentlichen Fortschritt dar — es sei an die Erhöhung des Sterbegeldes erinnert —, so daß wir unter Einschluß unseres Änderungsantrags Umdruck 570, den wir sehr ernst nehmen, dem Gesetz zustimmen werden.
Ich möchte aber auch ein freundliches Wort an den Herrn Bundesarbeitsminister richten. Eins ist heute in der Diskussion nicht ganz zum Ausdruck gekommen: Ist dies nun ein Vorstoß in den Raum der Sozialreform oder nicht? Ich will das nicht weiter erörtern. Herr Bundesarbeitsminister, Sie haben nur gesagt, daß es ein Vorbereitungsgesetz sei. Ich möchte im Auftrage meiner politischen Freunde sehr dringend bitten, sich nun nicht mehr allzu lange auf die Sozialreform vorzubereiten. Nachdem wir so lange gewartet haben, dürfen wir wohl erwarten, daß nun endlich die Rentenreform auf den Tisch des Hauses gelegt wird und dem bald auch die übrigen Abschnitte einer Sozialreform folgen werden. Wir haben eine außerordentlich große Geduld aufgebracht, und ich glaube, es ist am Platze, hier noch einmal daran zu erinnern, daß die Rentenreform mit all den übrigen Gesetzen, die ihr nachzufolgen haben, nun kommen muß, nachdem die verschiedensten Verlautbarungen seitens der Bundesregierung ergangen sind, ohne daß wir bisher etwas von den Gesetzen gesehen haben. Diese Bitte hier vorzutragen, ist unser ganz besonderes Anliegen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schellenberg.
Meine Damen und Herren! Im Interesse der Klarheit bin ich, da ich vorhin aus dem Gedächtnis den Herrn Bundesarbeitsminister zitiert habe, verpflichtet, ihn wörtlich zu zitieren. Bei der Auseinandersetzung über die Frage der Kostenbeteiligung und insbesondere der Rentenkürzung bei Krankenhausaufenthalt führte der Herr Bundesarbeitsminister wörtlich aus:
Wenn Sie
- zu mir gewandt —
so sehr auf die Tränendrüsen gedrückt haben mit dem armen, armen Rentner, der nachher ins Krankenhaus kommt, 40 % seiner Rente eventuell aufgeben muß, dann muß ich fragen: Wer bekommt denn die Rente, wenn der Rentner im Krankenhaus ist? Das sind doch in den meisten Fällen diejenigen, die die alten Leute, vor allem im Winter, nicht zu Hause haben wollen.
Das waren die Ausführungen des Herrn Bundesarbeitsministers. Die Sozialdemokraten sind glücklich darüber, daß diese Auffassung jetzt vom gesamten Hause abgelehnt wird.
Das Wort hat der Bundesarbeitsminister.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie sehen aus dem, was Herr Schellenberg jetzt vorgetragen hat, daß das, was er vorher gesagt hat, gar nicht richtig war. Ich habe hier auf keinen Fall irgendwelche Beteiligungen an Arzneilieferungen usw. verteidigt. Ich habe wohl die Meinung vertreten, daß ein Rentner, wenn ich ihm eine Rente für seinen Lebensunterhalt gebe und er nachher in eine Anstalt übernommen wird, eben einen Teil seiner Rente für den eigentlichen Zweck verwenden soll.
Wenn diese Ansicht nachher wegen der grundsätzlichen Neuregelung bei der Reform von uns nicht verteidigt worden ist, dann aus den Gründen, die ich Ihnen vorhin genannt habe: Wenn man allerdings immer so verfahren wollte, daß man die Reden aus der ersten Lesung eines Gesetzes in der zweiten und dritten Lesung noch einmal wiederholt, müßte man für die abschließende Behandlung derartiger Gesetze zwei Tage ansetzen.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Jentzsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der Fraktionen der Deutschen Partei, der Demokratischen Arbeitsgemeinschaft und der Freien Demokratischen Partei beantrage ich namentliche Abstimmung zu dem Änderungsantrag der Frau Kollegin Kalinke zu Art. 1 Nr. 1.
Wird dieser Antrag von 50 Mitgliedern des Hauses unterstützt? Darf ich um ein Handzeichen bitten? — Ich sehe nur 22 Mitglieder des Hauses, die die namentliche Abstimmung unterstützen.
— Zur Geschäftsordnung Frau Abgeordnete Kalinke!
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! In unserer Geschäftsordnung ist bisher immer so verfahren worden,
daß, wenn ganze Fraktionen den Antrag gestellt haben — und hier haben ihn drei Fraktionen gestellt, deren Mitgliederzahlen bekannt sind —, diesem Antrag stattgegeben worden ist. Wenn diese Mitglieder auch nicht alle hier im Saale sind, so ist doch gar nicht bestimmt, ob sie nicht doch im Hause sind. Wir sind bisher immer so verfahren.
Frau Abgeordnete Kalinke, Sie irren sich. In der Geschäftsordnung steht: 50 „anwesende" Mitglieder.
Danach ist immer verfahren worden. Es ist die Obliegenheit des Präsidenten, die Geschäftsordnung zu wahren.
Wir kommen nunmehr, da weitere Wortmeldungen nicht vorliegen, zur Abstimmung. Ich schlage Ihnen folgenden Abstimmungsplan — denn man muß hier schon einigermaßen planen — für die dritte Lesung vor: Zunächst wird über Ziffer 1 des Änderungsantrags Umdruck 568 abgestimmt,
dann über Ziffer 3 des Umdrucks 571 , dann über den mündlich gestellten Antrag, bei Art. 1 die Nrn. 31, 32 und 33 im Sinne der Ausschußfassung wiederherzustellen. Falls dieser Antrag durchgehen sollte, käme eine vierte Abstimmung, bei Art. 2 über den zu § 5 a gestellten Änderungsantrag abzustimmen, der vorhin für die zweite Lesung zurückgezogen wurde. In der letzten Abstimmung wird über Ziffer 2 des Umdrucks 571 (neu) entschieden. Besteht überall die erforderliche Klarheit, damit jeder weiß, wofür und wogegen er seine Stimme abgeben will?
Im Falle der dritten Abstimmung — Wiederherstellung der Ausschußvorlage bei den Nrn. 31, 32 und 33 — ist namentliche Abstimmung verlangt. Am besten ist es wohl, ich stelle gleich jetzt die Frage, ob dieser Antrag genügend unterstützt ist.
— Ja nun, ich muß fragen, ob Sie so viele anwesende Mitglieder haben. Es gibt Sünder auf jeder Seite dieses Hauses.
Aber ich sehe, Ihre Fraktion ist recht zahlreich anwesend. Sie haben sich auf diese Weise das Benefiz der namentlichen Abstimmung erstritten.
Wir stimmen nunmehr über Ziffer 1 des Umdrucks 568 *) ab. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe!
— Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Zweite Abstimmung: Umdruck 571 **) zu Nr. 3. Es handelt sich um Ziffer 1 des Umdrucks 571 (neu), der Nr. 3 des Art. 1 betrifft. Damit es ganz klar ist! Wer für die Annahme ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das letzte war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Nunmehr kommt die namentliche Abstimmung über die Wiederherstellung der Ausschußvorlage bei Art. 1 Nrn. 31, 32 und 33. Ich bitte die Damen und Herren der Schriftführung, sich mit den Urnen zu bewaffnen und, so rasch es ihnen möglich ist, durch die Reihen zu gehen.
Sind noch Damen und Herren im Saal, die ihre Stimme abzugeben wünschen? — Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die namentliche Abstimmung.
Meine Damen und Herren, ich darf das vorläufige Ergebnis***) der namentlichen Abstimmung über Wiederherstellung der Ausschußfassung bezüglich Art. 1 Nrn. 31, 32 und 33 im Gesetz über Krankenversicherung der Rentner bekanntgeben. Es haben sich 374 stimmberechtigte Abgeordnete beteiligt. Mit Ja haben gestimmt 196, mit Nein 178, enthalten hat sich niemand; der Antrag ist angenommen. — Von 16 Berliner Abgeordneten stimmten 5 mit Ja und 11 mit Nein, enthalten hat sich auch hier niemand.
*) Siehe Anlage 4. **) Siehe Anlage 7. ***) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 7357.
Nachdem dieser Antrag angenommen ist, kommen wir zur Abstimmung über Art. 2 § 5 a. Wird hierzu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
— Ja, ebenfalls Änderungsantrag der CDU/CSU, der im Zusammenhang mit dem eben angenommenen Antrag steht.
Wer dem Antrag zuzustimemn wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen nunmehr zu dem wiederholten Antrag Umdruck 571 *) Ziffer 2, der zu Art. 2 § 7 von der Fraktion der SPD gestellt wird. Wird hierzu das Wort gewünscht? — Bitte, Herr Professor Schellenberg!
Meine Damen und Herren! Dieser Artikel bezweckt, daß wenigstens die Rentner, die heute den Schutz der Rentnerkrankenversicherung genießen, ihn auch in Zukunft behalten. Er beinhaltet also die allgemein übliche Besitzstandswahrung. Wir bitten Sie doch dringend, wenigstens diesem Anliegen zu entsprechen, damit der Rentner, der heute die Leistungen der Rentnerkrankenversicherung erhält, sie auch in Zukunft ohne eigene Beitragsleistung weiter gesichert hat.
Das Wort hat der Abgeordnete Stingl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir halten diesen Änderungsantrag nicht für notwendig, weil der Besitzstand insofern gewahrt wird, als jeder, der unter 500 DM Einkommen einschließlich der Rente hat. sich über § 176 freiwillig versichern kann und nach der Änderung, die wir in § 381 vorgenommen haben dazu einen Beitrag erhält. Der Besitzstand wird lediglich für den nicht gewahrt, der als Rentner über 500 DM Einkommen hat und der sich vorher nicht irgendwo freiwillig versichert hatte. Der kann, wenn er in einer privaten Krankenversicherung versichert ist, über § 381 einen Beitrag erhalten. Wenn er selbst nicht vorgesorgt hat, ist allerdings für ihn der Besitzstand nicht gewahrt. Das halten wir nicht für erforderlich.
Herr Dr. Schellenberg.
Es tritt doch eine Verschlechterung ein.
— Jawohl! Sie müssen den Gesetzentwurf kennen, meine Damen und Herren. Es tritt eine Verschlechterung derart ein, daß der bisher versicherte Rentner, der kraft Gesetzes ohne jede eigene Beitragsleistung seit Jahren einen Krankenversicherungsschutz hat, sich jetzt freiwillig versichern und dazu einen Beitrag leisten muß. Er bekommt aber nur einen Teil dieses Beitrags erstattet, weil nach Ihrem Finanzierungssystem eigene Anteile der Krankenversicherung verbleiben. Infolgedessen bedeutet das eine effektive Senkung der gegenwärtigen Rentenleistung. Wir sind bereit — und haben das
*) Siehe Anlage 7.
wiederholt zum Ausdruck gebracht —, im Zusammenhang mit der Reform der Rentenversicherung auch die Rentnerkrankenversicherung neu zu ordnen. Wir halten es aber für sozial untragbar, heute, bevor eine Rentenreform durchgeführt ist, irgendwelche Leistungsverschlechterungen vorzunehmen.
— Doch, natürlich!
Wir bitten deshalb, unserem Antrag zuzustimmen.
Das Wort wird nicht mehr begehrt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 571 *) Ziffer 2 zu Art. 2 § 7. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letztere ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Damit sind alle Änderungsanträge erledigt.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich von seinem Sitz zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Offenbar keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen ohne Gegenstimmen angenommen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die friedliche Verwendung der Kernenergie .
Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Dr. Drechsel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Vorlage eines Gesetzentwurfs zur friedlichen Verwendung der Kernenergie haben wir von zwei Tatsachen auszugehen. Einmal ist der Bundesrepublik durch den Abschluß der Pariser Verträge Anfang Mai 1955 auch auf diesem Gebiet die Souveränität gegeben worden. Zum andern hat die Konferenz in Genf im August 1955 der Weltöffentlichkeit und uns die Bedeutung dieser neuen Energiequelle, den ganzen Entwicklungsstand der maßgebenden Staaten, aber auch die damit verbundenen Gefahren offen demonstriert.
Es ist leider festzustellen, daß von seiten der Bundesregierung nach mehr als einjähriger Vorbereitungszeit keine Vorlage zur Ablösung der alliierten Gesetzgebung gebracht wurde und auch kaum Maßnahmen ergriffen wurden, um eine gewisse Ausrichtung für die deutschen Notwendigkeiten zu geben. Damit fehlt jede Grundlage für eine langfristige Arbeit und Planung von Wissenschaft und Wirtschaft im staatlichen und zwischenstaatlichen Raum.
Die Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft griff schon im Frühjahr vergangenen Jahres diese Dinge auf, und zahlreiche Mitglieder sämtlicher Fraktionen dieses Hauses brachten nach der Genfer Atomkonferenz eine Große Anfrage über den geplanten Reaktorbau in Karlsruhe und einen Antrag ein, in welchem die Bundesregierung gebeten wird, bestimmte Maßnahmen durchzuführen, um die
s) Siehe Anlage 7.
friedliche Nutzung der Kernenergie rasch in die Wege zu leiten. In diesem Antrag sind bereits viele Gedanken enthalten, die in den vorliegenden Gesetzentwurf — Drucksache 2142 — aufgenommen sind und die im September und Oktober 1955 eine weitgehende Zustimmung bei Mitgliedern dieses Hohen Hauses gefunden haben. Die Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft bemühte sich dann, einen Gesetzentwurf zu formulieren, was auch unter Hinzuziehung und einer nicht genug anzuerkennenden tatkräftigen Mitarbeit hervorragender Sachverständiger bis Oktober vorigen Jahres weitgehend gelungen war. Ich möchte ausdrücklich erklären, daß der nunmehr vorliegende Entwurf der Freien Demokratischen Partei auf diesen Vorarbeiten aufbaut, wir also nicht den Ehrgeiz haben, für unsere Vorschläge in allen Einzelheiten das Prioritätsrecht in Anspruch nehmen zu wollen.
Inzwischen war das Bundeswirtschaftsministerium wohl zum siebten oder achten Entwurf eines Kernenergiegesetzes gekommen, und im Oktober 1955 wurde das Bundesministerium für Atomfragen gebildet. Am 25. Oktober 1955 erklärte Herr Bundesminister Strauß, daß sein Atomausschuß etwa am 15. November stehen und dann der Entwurf eines Kernenergiegesetzes noch im Dezember vergangenen Jahres das Bundeskabinett passiert haben würde. Auf seine Bitte sahen die beteiligten Abgeordneten dieses Hauses — ich betone nochmals: Abgeordnete aller Fraktionen — davon ab, das vorbereitete Initiativgesetz einzureichen. Aber erst am 26. Januar dieses Jahres trat diese Atomkommission zur konstituierenden Sitzung zusammen, also mit einer Verspätung von etwa zwei Monaten. Eine weitere Ankündigung von Herrn Minister Strauß, daß nunmehr der Gesetzentwurf der Bundesregierung im Februar vorgelegt werden würde, ist auch schon um zwei Monate überholt; heute noch liegt er nicht vor. Ebenfalls steht die Stellungnahme der Bundesregierung zu der bereits erwähnten Großen Anfrage vom September 1955 — im übrigen ohne Beachtung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages — und zum Antrag vom Oktober 1955 nach mehr als einem halben Jahre noch aus.
Ich mußte diese Vorgeschichte darlegen, um Ihr Verständnis dafür zu erhalten, daß die Freie Demokratische Partei nun zu dem Entschluß gekommen ist, mit der Vorlage eines Entwurfs initiativ zu werden.
Es besteht zweifellos bei allen Beteiligten, auch bei der Bundesregierung, und in diesem Hause Übereinstimmung, daß ein solches Kernenergiegesetz äußerst dringlich ist. Wissenschaft und Wirtschaft drängen schon seit Monaten und geben ihrer Verstimmung über diese unerklärliche Verzögerung offen Ausdruck. Unter anderem finden wir solche Forderungen seit Spätherbst 1955 auch von der Ständigen Konferenz der Kultusminister ebenso wie von der Westdeutschen Rektorenkonferenz.
Man sollte sich doch nun darüber klar geworden sein, welche Bedeutung die friedliche Nutzung der Kernenergie für viele Sektoren hat — ich nenne nur Medizin, Biologie, Landwirtschaft und Industrie —, wobei nicht gleich an die Energiegewinnung selbst gedacht ist, die zweifellos noch einige Jahre Entwicklung voraussetzen dürfte. Aber Vorteile der Isotopenanwendung für Diagnose und Therapie, für landwirtschaftliche Züchtung und Fruchtverbesserung, für Überwachung und Verbesserung von Fertigungsvorgängen sind in anderen Ländern schon seit Jahren eingeführt
und haben erheblichen Vorsprung und Nutzen gebracht.
Wir hatten geglaubt, diese Dinge bei dem bereits erwähnten Antrag vom Oktober 1955 vor diesem Hause behandeln zu können. Es reizt mich, heute mehr zu sagen zu der Frage der Nutzung der Energie. Aber mit Rücksicht auf den üblichen Zeitmangel in diesem Hause möchte ich mich auf die Begründung des vorliegenden Entwurfs beschränken.
Die deutsche Öffentlichkeit hat ein Recht, über diese Dinge auch von hier aus aufgeklärt zu werden, um insonderheit erkennen zu können, daß diese Dinge mit aller Sorgfalt und Energie von Legislative und Exekutive behandelt werden. Man will und muß nun endlich wissen, nach welchen gesetzlichen Richtlinien man forschen, lehren und arbeiten und mit welcher staatlichen Hilfe man hinsichtlich der finanziellen und organisatorischen Grundlagen rechnen kann. Die finanziellen und organisatorischen Voraussetzungen sind meiner Auffassung nach für alle derartigen Arbeiten unerläßlich.
Im Vordergrund steht der Schutz der Bevölkerung, der gewährleistet sein muß, damit diese neue, nach den ersten Anwendungen im Kriege als so unheimlich erkannte Energiequelle kein Unheil bringt, weder in psychologischer, noch weniger aber in praktischer Hinsicht.
Die Voraussetzungen für eine notwendige internationale Vereinbarung und Verpflichtung müssen geschaffen werden. Ich bin für meine Person davon überzeugt, daß schon viel nützliche Zeit verloren ist, weil bisher gerade diese Grundlagen fehlten.
Am 13. Februar 1956 haben wir nun den Vertrag mit den Vereinigten Staaten von Nordamerika zum Bezuge von 6 kg Uran-Brennstoff unterzeichnet. Was soll eigentlich mit diesem Material geschehen? Ich sehe noch keine Vorbereitungen zum Einsatz, und wir hätten das so dringend notwendig gerade auf dem Gebiet der Forschung und Ausbildung unserer noch sehr wenig zahlreichen Fachkräfte. Ebenso ungeklärt sieht es auf dem Gebiet der Bezüge von Isotopen und deren kontrollierter Verwendung in der Bundesrepublik aus. Ich meine also, daß das Parlament das Recht, ja sogar die Pflicht hat, initiativ zu werden, wenn die Exekutive — aus welchen Gründen auch immer — auf wichtigen Gebieten eine Gesetzgebung nicht in Gang bringt, obwohl unzweifelhaft ist, daß dem Bund die Gesetzgebung auf dem Gebiete der Kernenergie zusteht. Leider konnte nicht erreicht werden, daß die Vorlage über die Zusammenarbeit in der von mir erwähnten Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft erfolgte, was meiner Auffassung nach schon deshalb hätte sehr begrüßt werden müssen, weil man nur gut daran tut, diese Materie ohne allzu großen politischen Einschlag zu behandeln.
Der nun von der FDP vorgelegte Entwurf eines Gesetzes über die Verwendung der Kernenergie, zu dessen Begründung einige, natürlich nicht erschöpfende Bemerkungen gestattet seien, bezieht sich ausdrücklich nur auf die friedliche Nutzung. Für die Bundesrepublik ist jede militärische Betätigung auf diesem Gebiete durch die Pariser Verträge untersagt. Es erschien uns daher nicht erforderlich, im Gesetz das Verbot, welches sich auch mit dem Wunsch und Wollen aller deutschen Menschen deckt, zu wiederholen und eine entsprechende Strafbestimmung zu schaffen.
Ein grundlegender Ausgangspunkt unserer Vorlage sei besonders hervorgehoben, weil es ein besonderes Anliegen gerade meiner Freunde ist. Wir sind wie immer so auch bei der Lösung dieser neuen Probleme um die friedliche Nutzung der Kernenergie der Auffassung, daß eine rasche technische Entwicklung nur dann geschaffen werden kann, wenn die freie Entfaltung sichergestellt ist. Es kann nicht genug betont werden, daß eine erfolgreiche technische Entwicklung gerade der Freiheit bedarf, unter selbstverständlicher Anerkennung einer notwendigen Ordnung des Gemeinschaftslebens. Die Gefahr dirigistischer Eingriffe ist bei jeder Staatstätigkeit vorhanden. Bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie sollte sich die Tätigkeit des Staates nach unserer Auffassung auf den Schutz der Sicherheit und Gesundheit der Bevölkerung beschränken, was unerläßlich ist, sollte aber auch eine maßgebliche Unterstützung von Forschung, Lehre und Ausbildung ebenfalls zu ihrem vordringlichsten und vornehmsten Aufgabengebiet rechnen. Der Herr Atomminister hat dazu im „Bulletin" vom 3. November 1955 gesagt, daß die Bundesregierung in erster Linie die Atompolitik zu machen hat und soweit irgend möglich die administrativen Aufgaben abgeben sollte. Hierin gehen wir mit seinen Ansichten vollständig einig.
§ 1 unseres Entwurfs hält diese dargelegten Grundsätze für die Bundesrepublik ebenso wie für die zwischenstaatliche Zusammenarbeit fest. Im Zusammenhang hiermit steht § 4, der der öffentlichen Hand bei der wirtschaftlichen Betätigung zum Zwecke der friedlichen Verwendung der Kernenergie nur dann jede Möglichkeit läßt, wenn der Zweck nicht ebensogut durch die freie Wirtschaft erreicht werden kann, ohne daß damit eine Verwendung der Kernenergie für Unternehmen, die sich vollständig oder teilweise im Besitz der öffentlichen Hand befinden, untersagt werden sollte.
Im weiteren will ich mich nur auf einige wesentliche Punkte beschränken, die unseren Entwurf kennzeichnen. In allen Ländern, die sich auf dem Gebiete der Nutzung der Kernenergie betätigen, ist ein großes Problem die Einschaltung von Sachverständigen aller betroffenen Kreise bei einer anerkannten und notwendigen Staatskontrolle. Bei der in raschem Fluß befindlichen Entwicklung und den ungenügenden Erfahrungen bei der praktischen Nutzung wissenschaftlicher Erkenntnisse ist eine möglichst bewegliche Organisationsform die beste. In den USA ist man mit der Atomic Energy Commission so weit gegangen, daß man diese Kommission sogar vom Präsidenten unabhängig gemacht hat und daß sie selbst eigene Rechtsbefugnisse im Rahmen des Atomenergiegesetzes besitzt. In Großbritannien ist die Atomic Energy Authority eine selbständige juristische Person des öffentlichen Rechts und steht unter der Aufsicht des Lordpresident of the Council, d. h. also des Präsidenten des Geheimen Staatsrates, und nicht eines Fachministers. Auch in Frankreich hat ein für diese Fragen gebildetes Kommissariat den Charakter einer öffentlichen Anstalt.
Man sollte unserer Auffassung nach in der Bundesrepublik aus den Erfahrungen und Konstruktionen anderer Länder lernen, wenn auch bekanntlich die Ausgangspositionen weitgehend verschieden sind, da ja bei uns Erwägungen keine Rolle zu spielen haben. Wir haben in unserem Entwurf nicht eine oberste Bundesbehörde
vorgesehen, sondern die Rechtsform einer Bundesanstalt vorgeschlagen. Diese Form halten wir auch für international zweckmäßig als Partner für die erwähnten Kommissionen anderer Staaten. Ja, wir versprechen uns geradezu eine Förderung einer guten Zusammenarbeit, wenn diese auch außerhalb der Ministerialbürokratie erfolgen kann, also über den Rahmen von Sachverständigengremien hinweg. Gleichzeitig haben wir versucht, außer durch ein sachverständiges Direktorium dieser Bundesanstalt durch einen Verwaltungsrat der Notwendigkeit weitgehender Beteiligung von Legislative, Wissenschaft, Wirtschaft, Arbeitnehmerschaft und kommunalen Spitzenverbänden Rechnung zu tragen. Es bleibt abzugrenzen, wie ein solches Sachverständigengremium am günstigsten zusammengebracht werden kann und wie und wann es beratend oder entscheidend sein soll. Diese Frage spielt im übrigen für alle anderen Länder ebenfalls eine große Rolle, auch wenn dort die Bezeichnung als „Atomausschuß" oder „-kommission" eine andere ist. Der Einfluß der Bundesregierung und damit die Staatsaufsicht wird dadurch gewährleistet, daß sowohl Mitglieder des Verwaltungsrats als auch die des Direktoriums von der Bundesregierung ernannt werden und der zuständige Ressortminister an den Sitzungen des Verwaltungsrates teilnimmt.
Es sind nun Bedenken erhoben worden, ob die Bundesanstalt, wie wir sie vorgeschlagen haben, verfassungsgemäß ist. Nach Art. 87 Abs. 3 des Grundgesetzes können Bundesoberbehörden errichtet werden, die eine gewisse Selbständigkeit haben dürfen, wenn ein Bedarf besteht. Derartige Organisationsformen hat man beispielsweise bei den Einfuhr- und Vorratsstellen, bei der Bundesbahn, beim Bundesausgleichsamt und auch bei der Bundesanstalt für den Güterfernverkehr gewählt; dies nur als Beispiele genannt. Der zuständige Bundesminister hat dabei immer noch hinreichende Einwirkungsmöglichkeiten Wesentlich ist aber, daß in allen solchen Fällen eine entsprechende Mitwirkung der betroffenen Sachverständigenkreise eingebaut werden kann. Gerade diese Mitwirkung halten wir bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie für unerläßlich. Wir meinen, daß die von uns vorgeschlagene Bundesanstalt mit einem entsprechend zusammengesetzten Verwaltungsrat nicht außerhalb jeder Verwaltungspraxis liegt und sich in den vom Grundgesetz gezogenen Grenzen hält.
Durch diese Bundesanstalt soll dann der Einsatz der Mittel für Forschung und Entwicklung einheitlich erfolgen. Ihre besondere Aufgabe ist die Beratung der Bundesregierung ebenso wie die der Länder und Gemeinden in Fragen der Sicherheit und aller Schutzmaßnahmen, die bei der Beförderung und der Verwendung der Kernbrennstoffe und radioaktiver Substanzen notwendig sind. Es ist anzunehmen und anzustreben, daß gerade auf diesen zuletzt genannten Gebieten eine internationale Zusammenarbeit erfolgt. Auch da wird die Organisationsform einer Bundesanstalt als Verhandlungspartner gegenüber den Autoritäten anderer Staaten oder den Sachverständigen solcher Staaten besonders geeignet und elastisch sein.
Auf die Anstalt wurde im dritten und fünften Abschnitt des Gesetzentwurfs die unumgänglich notwendige Kontrolle über Verwendung und Verbleib der Kernbrennstoffe und der radioaktiven Substanzen übertragen. Die Anstalt hat eine Verwendungsgenehmigung zu erteilen und alle erzeugten oder eingeführten Kernbrennstoffe in Verwahrung und Verwaltung zu nehmen.
Es ist dabei nach unserer Auffassung durchaus nicht notwendig, daß das Eigentum an den Kernbrennstoffen auf den Staat übertragen wird, sondern wir haben sogar eine weitgehende Verfügungsberechtigung der Eigentümer durch Anweisung an Dritte vorgesehen, ohne daß die Kontrolle durch die Bundesanstalt lückenhaft werden kann. Die Anstalt übt also in gewissem Sinne die Funktion einer Kernbrennstoffbank aus.
Es ist weiterhin anzunehmen, daß dem bereits erwähnten deutsch-amerikanischen Vertrag, der die Übernahme von 6 kg Uranbrennstoff vorsieht, noch ähnliche Vereinbarungen folgen werden. Sie werden wissen, daß am 22. Februar dieses Jahres Präsident Eisenhower angeboten hat, 20 000 kg Uran 235, also einen der zur Zeit wichtigsten Kernbrennstoffe, an befreundete Länder abzugeben. Ein deutsches Kernenergiegesetz muß rechtlich und organisatorisch vorsehen, daß zwischenstaatliche Vereinbarungen und übernommene Verpflichtungen auch ordnungsgemäß abgeschlossen und eingehalten werden. Auch hierfür halten wir als Verhandlungs- und Abschlußpartner die Organisationsform der Bundesanstalt für recht zweckmäßig.
Die Bundesanstalt hat ferner festzustellen, welche Stoffe als Kernbrennstoffe anzusprechen sind. Sie hat Übersichten über die im Bundesgebiet vorhandenen Ausgangsstoffe zu führen. Sie ist bei Fragen der Ausfuhr solcher Stoffe zu beteiligen. Die Anstalt hat die Aufgabe, Material zur Verfügung zu stellen, um die Bevölkerung darüber aufzuklären, daß mit dieser Energiequelle nach unserem Wollen nicht Zerstörung, sondern Aufbau verbunden sein soll; eine sehr wesentliche Aufgabe. Selbstverständlich ist eine Dokumentationsstelle und eine Auskunftsstelle vorgesehen. Die Bundesanstalt soll eingeschaltet werden bei der Unschädlichmachung der so gefährlichen Abfallstoffe, ein Problem, welches auch in den maßgeblichen Ländern, die sich schon seit Jahren mit der Nutzung der Kernenergie befassen, noch nicht zufriedenstellend gelöst ist.
Im 6. Abschnitt unseres Gesetzentwurfs haben wir versucht, eine Nutzung von Entwicklungspatenten sicherzustellen, was uns wesentlich genug erschien, um diese Angelegenheit mit in das Gesetz einzubeziehen.
Eine Institution wie die Bundesanstalt hat eine große Möglichkeit, zur Koordinierung der verschiedenen Pläne von Wissenschaft und Wirtschaft beizutragen. Es wäre hier nicht zu verstehen, wenn die Aufstellung eines entsprechenden Programms durch ein so umfassendes und sachverständiges Gremium, wie wir es für den Verwaltungsrat der Bundesanstalt vorgesehen haben, als zu dirigistisch abgelehnt würde. Eine möglichst weit vorausschauende Planung ist gerade auf dem Gebiet der Kernenergie ebenso notwendig wie eine elastische Anpassung an immer neue Erkenntnisse, wie das Vermeiden von Fehlinvestitionen, die zu einer Zersplitterung im Einsatz unserer beschränkten Mittel und unserer noch nicht so zahlreichen Fachleute führen würden. Gelingt hier, auf welchem Weg auch immer, eine Koordinierung, beginnend bei Forschung, Lehre und Nachwuchsausbildung bis zur praktischen Nutzung der Kernenergie nicht, so wird es auch nicht gelingen, daß die Bundesrepublik den Rückstand in einer angemessenen Zeit aufholt. Man muß dazu die Berechtigung einer einheitlichen
Ausrichtung der administrativen Betreuung anerkennen, wobei die vorerwähnte beratende Funktion der Bundesanstalt für Bund, Länder und Gemeinden ihre Bedeutung haben wird.
Nach unserem Vorschlag ist also eine grundlegende Genehmigung der Bundesanstalt für die Verwendung von Kernbrennstoffen erforderlich, ohne daß damit die üblichen Genehmigungsverfahren in bau-, gesundheits- und wasserpolizeilicher Hinsicht durch die zuständigen Landesbehörden, also die Kompetenzen der Länder, ausgeschaltet werden. Ebenso werden in anderem Rahmen zu regeln sein: Schutzvorrichtungen gegen zu große Strahlungen auf Luft, Boden und Wasser, also Verhinderung einer radioaktiven Verseuchung.
Eine besonders schwierige und wichtige Frage dürfte die Regelung des Versicherungswesens, der Haftpflicht und des Nachbarrechts sein. Man muß sich aber darüber im klaren sein, daß durch die Nutzung der Kernenergie Fragen auf allen Lebensgebieten entstehen und zu ordnen sind. Wir meinen jedoch, daß es schwer möglich und auch unzweckmäßig wäre, wenn man die Dinge alle in einem Gesetz zusammenfassen wollte. Es ist auf diesem Gebiete noch alles in Fluß. Wir müssen eigene Erfahrungen sammeln, um gegebenenfalls zu einer weiteren Gesetzgebung oder auch einer Ausgestaltung vorhandener Gesetze zu kommen.
Als Grundlage dafür bitten wir unseren Gesetzentwurf entgegenzunehmen. In den Ausschußberatungen wird sicherlich noch über manches zu diskutieren sein. Wir werden dann vielleicht auch den Gesetzentwurf der Bundesregierung, auf den wir sehr gespannt sind, mitbehandeln können. Der Herr Bundesminister für Atomfragen hat wohl manche Veröffentlichung und Erklärung herausgegeben und dabei auf wichtige Punkte hingewiesen, die bei einer Gesetzgebung zu berücksichtigen sind. Aber leider ist es bisher dabei geblieben. obwohl wir der Lebendigkeit dieses Ministers ein schnelleres Voranbringen der Gesetzgebung zugetraut hätten.
Wir haben uns mehr an die Äußerungen des Herrn Bundesinnenministers gehalten, der — ich glaube, es war gelegentlich der Debatte über das Luftschutzgesetz — gesagt hat: Ich frage mich, ob der Voraufwand immer gerechtfertigt ist; besser ist eine schnelle und noch nicht ganz vollkommene Vorlage. In diesem Sinne hat die Freie Demokratische Partei diesen Entwurf eingereicht.
Im Auftrage meiner Fraktion darf ich abschließend den Antrag stellen, unseren Entwurf eines Gesetzes über die friedliche Verwendung der Kernenergie dem Ausschuß für Atomfragen als federführendem Ausschuß und dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zur Mitberatung zu überweisen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Atomfragen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Antragsteller hat auf die Vorgeschichte hingewiesen. Ihm sind hier neben richtigen Erinnerungen auch einige Gedächtnisfehler unterlaufen. Ich darf zunächst darauf hinweisen, daß die Beantwortung der Großen Anfrage, die er angemahnt hat, nicht durch mein oder der Bundesregierung Eingreifen bisher unterblieben ist, sondern daß ich lediglich ein einziges Mal den Ältestenrat gebeten habe, die Behandlung dieser Großen Anfrage deshalb zu verschieben, weil der Herr Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg aus seiner verständlichen Interessenhaltung heraus die Behandlung dieser Großen Anfrage im Deutschen Bundestag in seiner Anwesenheit vorgenommen wissen wollte, damit er notfalls das Wort ergreifen könne. Er war zu diesem Zeitpunkt auf einer längeren Reise in den Vereinigten Staaten von Amerika. Seit dieser Zeit — es dürfte etwa der 15. November gewesen sein — ist die Bundesregierung jederzeit bereit, die Anfrage zu beantworten.
Ich darf zum zweiten erklären, daß die Behandlung des Antrags Drucksache 1734 nach Auffassung der Bundesregierung zum Teil erledigt ist, zum Teil durch die Vorlage von Gesetzentwürfen über die Verwendung der Kernenergie für friedliche Zwecke überholt ist.
Daß aber dieser Antrag keine Fortsetzung gefunden hat in einem interfraktionellen Gesetzentwurf der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft, geht nicht auf eine Unterschätzung der Termine meinerseits zurück — ich habe einen unrichtigen Termin genannt, weil ich die Schwierigkeiten genausowenig überblickt habe wie Sie noch heute, Herr Kollege Drechsel, was ich Ihnen auf Grund Ihrer Ausführungen hier leider bestätigen muß —, sondern darauf, daß dieser Gesetzentwurf — ich habe berechtigte Gründe zu dieser Annahme — erhebliche Bedenken zumindest bei den großen Fraktionen dieses Hauses gefunden hätte. Es fällt mir nicht leicht, mir vorzustellen, daß die sozialdemokratischen Unterzeichner des Antrags Drucksache 1734, in dem das Eigentumsrecht am Kernbrennstoff freigestellt wird, auch der privaten Wirtschaft überlassen wird, etwa auch heute noch den gleichen Standpunkt einnehmen würden, nach dem, was ich in der Zwischenzeit aus ihren Reihen an Verlautbarungen gehört habe, was ich an ihrer Haltung in Paris beim Zusammentritt des MonnetKomitees bemerkt habe, und nach den Äußerungen, die von gewisser Seite in der Deutschen Atomkommission gefallen sind. Ich glaube nicht, daß der Antrag Drucksache 1734 und der daraus resultierende Gesetzentwurf der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft jemals ein interfraktioneller Gesetzentwurf hätte werden können, genausowenig wie das bei Ihrer Vorlage, Herr Kollege Drechsel, möglich gewesen wäre. Soviel darf ich zur Berichtigung der Vorgeschichte erklären.
Es ist richtig, daß bereits im November ein Regierungsentwurf vorlag. Das war die achte Fassung, die das Wirtschaftsministerium, das bis zum 20. Oktober federführend gewesen war, diesem Entwurf gegeben hatte. Ich habe mit der Arbeit an diesem Gesetz am 1. Dezember begonnen.
— Ich habe mit der Arbeit an diesem Gesetzentwurf am 1. Dezember letzten Jahres begonnen.
— Heuer ist ja schwer möglich, Herr Kollege! — Die vorliegenden Entwürfe bieten ohne Zweifel wertvolle Vorarbeit, sind aber für eine wirkliche Verwendung der Kernenergie für friedliche Zwecke für eine auch verwaltungsrechtlich einwandfreie Durchführung leider nicht praktikabel,
weder die Entwürfe, die bisher in den Referaten ausgearbeitet worden waren, noch die Entwürfe, die Sie verwendet haben, Herr Kollege Drechsel, noch, wie ich Ihnen hernach beweisen werde, Ihr vorliegender Entwurf. Insbesondere wird hier an wesentlichen Fragen vorbeigegangen, an denen die Öffentlichkeit ein berechtigtes und ein überall gezeigtes Interesse hat, z. B. an einer ausreichenden haftungsrechtlichen Sicherung und einem ausreichenden Versicherungsschutz. Ich werde darauf noch kurz zu sprechen kommen.
Ich erkenne die Dringlichkeit eines solchen Gesetzentwurfs als selbstverständlich an. Das Besatzungsrecht muß auf diesem Gebiet aufgehoben werden. Das Besatzungsrecht erlaubt nicht eine wirtschaftliche Ausnutzung der Kernenergie. Es gibt nach dem Besatzungsrecht — Gesetz 22, Gesetz 53 und Gesetz 61 — auch keine Ausnahmegenehmigung. Darum ist deutsches Recht notwendig. Aber die Fassung dieses deutschen Rechtes muß sehr gründlich überlegt werden.
Ich darf darauf hinweisen, daß die Deutsche Atomkommission sich am 26. Januar dieses Jahres zum erstenmal mit den Grundgedanken des Gesetzes befaßt hat, daß die Deutsche Atomkommission eine eigene Fachkommission für dieses Gesetz errichtet hat, daß diese Fachkommission einen besonderen Arbeitsausschuß für alle haftungs- und versicherungsrechtlichen Fragen unter Leitung von Professor Esser eingerichtet hat, dessen Arbeitsergebnisse in dem kommenden Regierungsentwurf weitgehend ihren Niederschlag finden werden. Die Atomkommission hat sich in ihrer zweiten Sitzung im Februar dieses Jahres mit dem ersten, dem materiellen Teil dieses Gesetzes befaßt. Sie wird morgen zum dritten Male zusammentreten und wird die bisher im Ministerium vorliegenden Arbeiten abschließend behandeln. Morgen liegt nach Verabschiedung durch die Atomkommission ein fertiger Ressortentwurf vor. Nach der Geschäftsordnung der Bundesregierung wird dieser Ressortentwurf mit den zuständigen Länderreferaten und mit den beteiligten Ressorts des Bundes noch gebührend verhandelt werden, um dann seinen Weg über das Bundeskabinett in den Lauf der Gesetzgebung anzutreten.
Ich sagte, daß die wirtschaftliche Ausnutzung der Kernenergie auf Grund der gegenwärtigen Rechtslage nicht möglich ist, weshalb die Dringlichkeit anerkannt werden muß. Ich darf aber zugleich betonen, daß weder die Vorarbeiten zum Bau eines deutschen Reaktors noch die Verhandlungen über den Ankauf ausländischer Reaktoren auch nur einen einzigen Tag Unterbrechung erfahren haben. Ich muß hier etwas Wasser in den Wein mancher günstigen Prognosen und optimistischer Prognosen gießen. Die Lieferfrist für den Ankauf des einfachsten Forschungsreaktors aus den Vereinigten Staaten von Amerika beträgt mindestens 12 Monate. Bis jetzt haben die an der Lieferung solcher Reaktoren beteiligten Länder zwar ihre Sachverständigen nach den Vereinigten Staaten und nach England entsandt; sie waren aber noch nicht in der Lage, obwohl wir ihnen alle Voraussetzungen geboten haben, sich auf einen bestimmten Typ zu einigen. Der Bau eines deutschen Reaktors, wie er wahrscheinlich in Karlsruhe vorgesehen ist, erfordert eine Gesamtzeit von mindestens drei Jahren.
Darum ist bei aller Anerkennung der Dringlichkeit eines solchen Gesetzentwurfs die Zeit für eine ausreichende Beratung — Sie werden im Ausschuß
Gelegenheit haben, die Richtigkeit dieser Gedankengänge zu bestätigen — durchaus gegeben; denn bevor der erste Reaktor, und zwar der einfachste Forschungsreaktor kleinster Art, der Hot-Waterboiler oder Swimming-Pool, in Deutschland betrieben werden kann, wird noch mehr als ein Jahr ins Land ziehen.
Eine ersatzlose Aufhebung des Besatzungsrechts — und darin hat Kollege Drechsel ebenfalls recht — ist nicht möglich, weil gewisse im Besatzungsrecht vorgesehene Kontrollen auch im deutschen Recht niedergelegt werden müssen, da eine völlige Freigabe nach der Natur der Sache nicht in Betracht kommt. Ich darf trotzdem darauf hinweisen, daß eine gründliche Vorbereitung und eine gründliche Behandlung dieses neuen Gesetzes erforderlich ist, weil es doch mindestens für einige Jahre ausreichen soll, ferner weil es die gewonnenen ausländischen Erfahrungen verwerten soll. Das schließt auf der anderen Seite aber aus, daß wir heute bereits Lösungen in letzter Vollkommenheit suchen, weil wir uns da über die Behandlung mancher Probleme, z. B. die letzte Ergründung der versicherungsrechtlichen Fragen, Jahre unterhalten könnten.
Wir betreten mit diesem Gesetz ein Neuland. Es ist ein Grundgesetz für die Einleitung des Atomzeitalters in der Bundesrepublik. Wir haben den Vorteil, ausländische Erfahrungen übernehmen und im Ausland gemachte Fehler vermeiden zu können. Ich darf aber gerade angesichts dieses Entwurfs sagen, daß eine automatische Übernahme ausländischer Rechtsvorstellungen und Rechtsnormen besonders in staatsrechtlicher und in gesetzestechnischer Hinsicht nicht möglich ist. Eine Übernahme solcher ausländischer Vorstellungen ist in dem Vorentwurf der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft erfolgt und auch in dem Gesetzentwurf der FDP. Ich möchte nicht — höchstens als Anwalt — an den Prozessen beteiligt sein, die vor den Gerichten — vom Verfassungsgericht über zahlreiche Verwaltungsgerichtshöfe und über normale Gerichte — möglich wären, wenn das Gesetz, das Sie schaffen wollen, in dieser Form jemals Wirklichkeit würde.
Das gilt insbesondere für die im angelsächsischen Recht übliche Festsetzung von Richtlinien, wie sie auch hier wieder niedergelegt worden sind. Richtlinien liegen in ihrer Wertigkeit unterhalb einer Rechtsnorm und sind nach unserer verfassungsrechtlichen Lage nicht verbindlich. Ich habe volles Verständnis dafür, daß sich die Antragsteller der FDP nach der Unmöglichkeit, einen interfraktionellen Entwurf einzureichen, die Vorarbeiten zunutze gemacht und einen eigenen Entwurf eingereicht haben, der allerdings im gesamten materiellen Teil der erwähnten Vorlage gleicht, im verfahrensrechtlichen Teil einige Änderungen aufweist und im übrigen eine liberale Glasglocke darüber bekommen hat, damit er sich entsprechend präsentieren kann.
1. Der Entwurf enthält — ich darf auf Grund Ihrer Ausführungen, Herr Kollege Drechsel, in eine Einzelkritik eingehen — keine Bestimmung über die Genehmigung von Anlagen. Er enthält nur allgemeine Bestimmungen, daß die Verwendung von Kernbrennstoffen genehmigt werden muß, aber er enthält keine Bestimmung über die Genehmigung von Anlagen. So können beispielsweise Reaktoren ohne besondere Genehmigung errichtet werden, da Reaktoren auch nicht zu den genehmigungspflichtigen Anlagen im Sinne des § 16 der Gewerbeordnung zählen. Erst wenn jemand diesen Reaktor mit Brennstoff beschickt und mit diesem Brennstoff be-
stimmte Prozeduren vornehmen will, bedarf er einer Genehmigung. Die im Entwurf vorgesehene Bundesanstalt für Kernenergie kann zwar die Errichtung von Reaktoren auf dem Umweg der Verwendungsgenehmigung für Kernbrennstoffe —§ 17 — beeinflussen. Richtiger ist es jedoch ohne Zweifel — auch nach den ausländischen Erfahrungen —, auf rechtlich geordnetem Wege unter Aufzählung von Genehmigungsvoraussetzungen und Versagungsgründen unter Beachtung der Belange der Bevölkerung, insbesondere der Nachbarn, schon die Errichtung von einschlägigen Anlagen, insbesondere von Reaktoren, einer staatlichen Genehmigung zu unterwerfen.
2. Der Entwurf enthält auch keine ausreichenden Anhaltspunkte, unter welchen Voraussetzungen und Bedingungen die Verwaltungsbehörde eine Verwendungsgenehmigung für Brennstoffe erteilen kann oder erteilen muß. Das widerspricht rechtsstaatlichen Grundsätzen und praktischen Bedürfnissen. Wer Kernbrennstoffe verwenden will, muß wissen, unter welchen Voraussetzungen er eine Genehmigung beantragen kann. Die Genehmigungsbehörde muß eine Richtschnur ihres Handelns und eine Grundlage für die Auflagen und Bedingungen haben, z. B. auch für den Nachweis eines ausreichenden Versicherungsschutzes, der bei Ihnen überhaupt nicht vorgesehen ist.
3. Wegen des Fehlens von Bestimmungen über die Genehmigung von Anlagen kann der Entwurf auch keine dem § 26 der Gewerbeordnung entsprechende Schutzvorschrift für genehmigte Anlagen enthalten. Das hat zur Folge, daß Nachbarn, die durch den Betrieb eines Reaktors beeinträchtigt werden oder sich nur beeinträchtigt fühlen, nicht nur auf die Herstellung von Schutzeinrichtungen wie bei Anlagen nach der Gewerbeordnung, sondern auch auf Unterlassung des ganzen weiteren Betriebes klagen können.
4. Eine weitere Folge des Fehlens von Bestimmungen über die Genehmigung von Anlagen ist, daß der Entwurf auch keine Vorschriften über die Untersagung der weiteren Benutzung einer Anlage enthalten kann. Soweit nicht § 51 der Gewerbeordnung oder allgemeine polizeiliche Gesichtspunkte eine hinreichende Grundlage bieten, könnte der Betrieb eines Reaktors nur wieder auf dem rechtsstaatlich bedenklichen Umwege eines Widerrufs der Verwendungsgenehmigung für Kernbrennstoffe erfolgen. Nur der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, daß der Entwurf auch die Möglichkeit eines Widerrufs einer Verwendungsgenehmigung für Kernbrennstoffe speziell in diesem Gesetz nicht vorsieht.
5. Der Entwurf enthält ferner keine Bestimmung über die Beaufsichtigung von einschlägigen Anlagen. Kollege Drechsel hat in der Begründung seines Gesetzentwurfs von dem berechtigten Schutzbedürfnis und Schutzinteresse der Bevölkerung gesprochen. Er wird aber merken, daß im Regierungsentwurf seinen Forderungen Rechnung getragen ist, in seinem eigenen Entwurf jedoch in keiner Weise, weil für die notwendigen Schutzvorrichtungen, für die Einzelheiten von Schutzvorrichtungen in seinem Entwurf keinerlei Rechtsgrundlagen gelegt werden. Diese Frage ist nur in § 12 angedeutet, in dem die Beratung der zuständigen Stellen des Bundes, der Länder und der Gemeinden bei der Überwachung der Verwendung von Kernbrennstoffen zur Aufgabe der Bundesanstalt für Kernernergie erklärt wird. Es bedarf keiner weiteren Erörterung, daß ein Gesetz über
die friedliche Verwendung der Kernenergie eine strenge Überwachung des Betriebes von einschlägigen Anlagen vorsehen muß. Die Vorschriften der Gewerbeordnung reichen hier keinesfalls aus. Sie erstrecken sich überdies nur auf gewerbliche Anlagen und werden nach Art. 83 des Grundgesetzes von den Ländern als eigene Angelegenheit gehandhabt, was einen ausreichenden Einfluß des Bundes nicht gewährleistet.
6. Der Entwurf enthält keine Haftungsbestimmungen. Sachlich erscheint es geboten, dem Inhaber von Anlagen zur Erzeugung, Spaltung und Aufarbeitung von Kernbrennstoffen ebenso wie dem Halter eines Kraftfahrzeuges, eines Luftfahrzeuges oder einem Eisenbahnunternehmer eine Haftung ohne Rücksicht auf sein Verschulden, eine sogenannte Gefährdungshaftung, gesetzlich aufzuerlegen. Der Betrieb dieser Anlagen bringt gewisse Gefahren mit sich, für die der Inhaber billigerweise auch dann einstehen muß, wenn ihn ein konkretes Verschulden im strafrechtlichen Sinne nicht trifft.
Verständlich erscheint, daß die Verfasser des Entwurfs an die schwierige Frage des Kausalitätsnachweises bei Strahlungsschäden nicht gedacht haben. Die Schwierigkeit des Nachweises eines ausreichenden Kausalzusammenhangs zwischen dem schadenstiftenden Ereignis und dem Strahlungsschaden kann möglicherweise zu einer grundlegenden Umgestaltung unseres gesamten Haftungsrechts führen. Wenn diese Fragen im jetzigen Stadium auch noch nicht gelöst werden können, so müssen sie doch wenigstens berücksichtigt werden.
7. Die Verfasser des Entwurfs haben sich wohl infolge der Nichteinfügung von Haftungsbestimmungen und infolge der Tatsache, daß im Entwurf keine Bestimmung über die Genehmigung von Anlagen enthalten ist, auch nicht darüber geäußert, in welcher Weise der Inhaber von einschlägigen Anlagen Vorsorge für die Erfüllung möglicher Schadensersatzverpflichtungen zu treffen hat.
8. In dem Entwurf fehlen ausreichende Strafbestimmungen. Der Entwurf sieht nur Strafen für sogenanntes Verwaltungsunrecht vor. Die Strafen für Verwaltungsunrecht sind außerordentlich hoch. Z. B. ist eine Gefängnisstrafe nicht unter drei Jahren für die Verwendung von Kernbrennstoff ohne Genehmigung oder in Abweichung von der Genehmigung angedroht. Ich fürchte, daß diese Bestimmung in zwangsläufiger Konsequenz manchem kleinen Sünder drei Jahre Gefängnis einbringen müßte.
Andererseits berücksichtigen aber die Strafbestimmungen des Entwurfs nicht die Notwendigkeit hoher Strafdrohungen gegen den verbrecherischen und gemeingefährlichen Gebrauch von Kernbrennstoffen und von radioaktiven Substanzen. Die Anwendbarkeit des Gesetzes gegen verbrecherischen und gemeingefährlichen Gebrauch von Sprengstoff ist nach den bisherigen Untersuchungen des Bundesjustiz- und des Bundesinnenministeriums, die sich daran beteiligt haben, für atomare Sprengstoffe sehr fraglich, für die ebenso gefährliche Verwendung von radioaktiven Substanzen zum Zwekke der Verseuchung ganzer Gebiete praktisch ausgeschlossen. Das könnte zur Folge haben, daß die gemeingefährliche Verwendung von Atombomben oder radioaktiven Substanzen milder bestraft wird als die gemeingefährliche Verwendung einer einzigen Handgranate.
9. Der Entwurf enthält keine Definition für Kernbrennstoffe, begnügt sich vielmehr damit, die Bezeichnung der als Kernbrennstoffe geltenden Stoffe der Bundesanstalt für Kernenergie zu überlassen — § 2 Nr. 2 —. Dieser Weg ist verfassungsrechtlich unzulässig. Eine solche Feststellung müßte mindestens in Form einer Rechtsverordnung getroffen werden, was nicht vorgesehen ist. Darüber hinaus erhebt sich die Frage, ob nicht überhaupt die Definition der Kernbrennstoffe eine Aufgabe des Gesetzgebers wäre, da nach dem Grundgedanken des Art. 129 des Grundgesetzes gesetzesvertretende Rechtsverordnungen — d. h. Verordnungen, die die Gesetze nicht nur hinsichtlich gewisser technischer Einzelheiten ergänzen — unzulässig sind.
10. Der Entwurf enthält ferner keine verfassungsrechtlich zulässige Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen. Z. B. soll Grundlage der außerordentlich wichtigen und sachlich sehr umfangreichen Strahlenschutzverordnung folgende Bestimmung Ihres Entwurfs sein, Kollege Drechsel:
Die Bundesregierung ist ermächtigt, auf Vorschlag der Bundesanstalt Rechtsverordnungen
zu erlassen über den Strahlenschutz bei der
Verwendung von radioaktiven Substanzen, .. . So heißt es in § 28 Abs. 1 Buchstabe a. Demgegenüber verlangt Art. 80 des Grundgesetzes, daß Inhalt, Zweck und Ausmaß einer Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen in einem Gesetz genau bestimmt werden müssen. Die im Entwurf vorgesehene Ermächtigung wäre deshalb als ungültig anzusehen, da nicht vorausgesehen werden kann, in welchen Fällen und mit welcher Tendenz von ihr Gebrauch gemacht werden wird und welchen Inhalt die zu erlassenden Verordnungen haben sollen.
11. Verfassungsrechtlich bedenklich ist ferner, daß der Entwurf die Bundesanstalt für Kernenergie ermächtigt — keine oberste Bundesbehörde, sondern eine obere Bundesbehörde —, Richtlinien über die Verteilung von Kernbrennstoffen und über die Erzeugung, die Einfuhr und die Weitergabe von radioaktiven Substanzen zu erlassen —§§ 15 und 20 —. Der Begriff der Richtlinien ist aus dem angloamerikanischen Recht — standards, wie es dort heißt — übernommen. In .der deutschen Rechtspraxis hat der Begriff der Richtlinien zwar einen gewissen Eingang gefunden; man wird aber nach wie vor auf dem Standpunkt stehen müssen, daß Rechtsnormen, die allgemein verbindlich sein sollen, nicht in der Form von Richtlinien ergehen können, sondern als Gesetze oder als Rechtsverordnungen zu erlassen sind.
12. Verfassungsrechtlich bedenklich erscheint ferner, daß § 1 die friedliche Verwendung der Kernenergie der Aufsicht des Bundes unterstellt. Nicht Bundesgesetze, sondern das Grundgesetz regelt die Zuständigkeit der Bundesverwaltung.
Nur der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, daß der Entwurf im übrigen den in § 1 aufgezeigten — verfassungsrechtlich bedenklichen — Weg nicht konsequent weiterführt. Aus dem Entwurf ist nicht zu ersehen, wer beispielsweise Anlagen zur Verwendung von Kernbrennstoffen oder den Umgang mit radioaktiven Substanzen überwachen soll. Offenbar soll die Überwachung nicht Aufgabe der Bundesanstalt sein, da die Bundesanstalt entsprechend §§ 12 und 20 Abs. 2 des Entwurfs auf diesem Gebiet nur eine beratende Funktion ausüben soll.
13. Keiner weiteren Erörterung bedarf, daß der FDP-Entwurf die Stellung des Bundesministers für Atomfragen — ich sage es ohne jeden persönlichen Hintergrund — in unzulässiger Weise einengt. Aufgabe einer Bundesanstalt für Kernenergie könnte allenfalls die Ausführung von Bundesgesetzen, also eine rein verwaltende Tätigkeit sein, nicht aber eine den obersten Bundesbehörden vorbehaltene Regierungsfunktion. Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, daß ich im Bulletin vor einiger Zeit geschrieben habe, die Aufgabe des Ministers sei die Atompolitik und er wünsche nicht, von der Atomverwaltung belastet zu werden. Sie drehen aber die Verhältnisse um. Sie legen die Atompolitik in die Hände der Bundesanstalt. Sie weisen der Bundesanstalt fast keine verwaltungsmäßigen Aufgaben zu und lassen es offen, wer die eigentliche Atomverwaltung bei uns ausüben soll.
Gemäß Art. 65 des Grundgesetzes leitet jeder Bundesminister innerhalb der Richtlinien der Politik seinen Geschäftsbereich selbständig und unter eigener Verantwortung. Der geringe Einfluß, den der Entwurf dem Bundesminister für Atomfragen einräumt — die Anstalt unterliegt der Aufsicht der Bundesregierung, der Minister hat das Recht der Teilnahme an den Sitzungen des Verwaltungsrats und sicherlich auch das Recht zur Ausstellung der Dienstausweise für die Mitglieder des Verwaltungsrats und sicherlich auch für die Mitglieder der Bundesanstalt —, wird der in Art. 65 GG festgelegten Verantwortung des Ministers für die Leitung seines Geschäftsbereichs nicht gerecht. Im übrigen bitte ich es nicht als Anmaßung aufzufassen, wenn ich mir das Urteil erlaube, daß die Zusammensetzung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Kernenergie: ein Vertreter jeder Fraktion des Bundestages — das sind sechs Bundestagsmitglieder —, ein Vertreter des Bundesrates — dabei würde es sicherlich nicht bleiben, davon sind Sie und ich überzeugt! —, 15 weitere Mitglieder, davon neun als Vertreter der Gesamtwirtschaft, fünf als Vertreter der Wissenschaft und einer von der Bundesvereinigung der Kommunalen Spitzenverbände, nicht die Gewähr dafür gibt, daß das in Wirtschaft und Wissenschaft vorhandene Potential an Sachverstand bei uns in vollem Umfang ausgenutzt werden kann. Ich sehe hier auch die fragwürdige Vermengung von Legislative und Exekutive in einer nach Ihrer Auffassung rein exekutiv gedachten Behörde, ohne daß ich daraus irgendwelche weiteren Schlußfolgerungen ziehen möchte. Insbesondere ist die Bundesanstalt nicht in der Lage — da sie ja nur eine obere Bundesbehörde ist —, die interministerielle Koordinierung durchzuführen, denn die Befassung mit Angelegenheiten der friedlichen Ausnutzung der Kernenergie erstreckt sich auf eine Reihe von Ministerien, wobei allerdings die Federführung in dieser Aufgabe dann bei einem Bundesministerium liegen soll.
14. So sehr im Entwurf Bestandteile, die ein überlegtes Gesetz enthalten sollte, auf der einen Seite nicht enthalten sind, z. B. eine klare Abgrenzung der Verwaltungszuständigkeiten, so sehr enthält der Entwurf auf der anderen Seite überflüssige und, Kollege Drechsel, für eine liberale Partei unausführbare Bestimmungen. Nach § 21 hat die Bundesanstalt Aufzeichnungen zu führen, aus denen zu jeder Zeit die Art und die Menge der radioaktiven Substanzen im Besitz natürlicher und juristischer Personen im Bundesgebiet zu ersehen
sind. Sie wissen, daß eine ganze Reihe von radioaktiven Substanzen ihre Radioaktivität oft nur während eines ganz kurzen Zeitraumes haben, eine halbe Stunde, eine Stunde, zwei Stunden. Keine Verwaltungsbehörde wäre in der Lage, dem Sinn und dem Buchstaben dieses Gesetzentwurfs gerecht zu werden, ohne einen Registraturapparat aufzuführen, der allmählich den Umfang etwa unseres Bundespresse- und Informationsamtes oder des Statistischen Bundesamtes aufweisen würde.
— Noch größer werden, meinen Sie? Ich habe einen Vergleich gewählt, der mir die Chance bieten konnte, noch auszuweiten, Herr Kollege Mellies.
— Die Führung einer richtigen Übersicht ist angesichts der Kurzlebigkeit verschiedener radioaktiver Substanzen einfach unmöglich. Im übrigen würde eine auch nur annähernd richtige Obersicht bei der stets steigenden Verwendung radioaktiver Substanzen einen ungeheuren, durch keine sachliche Notwendigkeit begründeten Verwaltungsaufwand mit sich bringen.
Es ist richtig — hier möchte ich mich dem Antragsteller auch für die Bundesregierung anschließen —, wenn dieser Gesetzentwurf im Ausschuß für Fragen der Kernenergie als federführendem Ausschuß und im Ausschuß für Rechts- und Verfassungswesen als mitberatendem Ausschuß behandelt wird. Ich habe vorhin die Termine genannt, die dem Regierungsentwurf bevorstehen. Morgen ist der Ressortentwurf nach der dritten Sitzung der Atomkommission fertig.
— Eile mit Weile! Lebendigkeit muß auch mit Vernunft gepaart sein. Ein inpraktikabler Entwurf, der rasch entsteht, ist schlechter als ein überlegter Entwurf, der noch rechtzeitig entsteht. Das möchte ich nur allgemein dazu sagen.
Über die Grundzüge eines deutschen Atomprogramms, dessen Fehlen der Kollege Drechsel festgestellt hat, darf ich nur sagen, daß dieses Atomprogramm feststeht, daß es in drei Sitzungen der Atomkommission beraten worden ist und daß der Ausschuß für Fragen der Kernenergie ausreichend Gelegenheit haben wird, davon Kenntnis zu nehmen, ferner daß ich die Grundzüge dieses Atomprogramms bei der Beratung meines Haushalts für 1956 in diesem Hause vorlegen werde.
Das Wort hat der Abgeordnete Geiger .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Drechsel hat uns den langen Weg geschildert, der notwendig gewesen ist bis zum heutigen Tage, wo uns zum erstenmal der Entwurf eines Kernenergiegesetzes vorgelegt wird. Herr Minister Strauß hat dann in seinen Ausführungen darauf hingewiesen, daß dieser Entwurf mit erheblichen Mängeln belastet ist. Ich bin über die Feststellung keineswegs überrascht. Denn ich bin mir vollständig darüber klar, daß es sich hier um eine außerordentlich schwierige Materie handelt, eine Materie, die auch deshalb schwierig ist, weil wir die Vorbilder in anderen Ländern, insbesondere in England, Amerika und
Frankreich, keineswegs benutzen können, da dort die Entwicklung der Nutzung der Atomkräfte einen ganz anderen Weg gegangen ist als den Weg, den wir vor uns haben. Man ist in diesen Ländern vorwiegend ausgegangen von den militärischen Bedürfnissen und von militärischen Gesichtspunkten, während wir in Deutschland nur an die friedliche Nutzung der Atomkräfte denken.
Der Herr Minister Strauß hat es nun bei seiner Kritik gegenüber dem Herrn Kollegen Drechsel verhältnismäßig leicht gehabt, denn Herr Minister Strauß konnte sich auf die Arbeiten einer sehr kompetenten Kommission stützen. Er hat diese Kommission im vergangenen Jahre berufen. Sie ist im Januar zum erstenmal zusammengetreten und hat in vielen, vielen Sitzungen in emsiger Arbeit sich sehr intensiv mit diesem Problem beschäftigt. Ich würde nur wünschen, daß uns ein Ergebnis der Arbeiten möglichst bald in einer konkreten Form, in einem Gesetzentwurf, vorgelegt wird. Herr Minister Strauß hat uns dazu noch keinen endgültigen Termin genannt. Aber wenn nun morgen die ersten Beratungen abgeschlossen sind und nunmehr der Gesetzentwurf, der in seinem Ministerium als Ressortentwurf fertiggestellt ist, in die allgemeine Beratung mit den Ländern und mit den anderen Ministerien kommt, so darf ich doch damit rechnen, daß wir bereits in einer der nächsten Arbeitswochen den Entwurf eines Kernenergiegesetzes vor uns haben werden. Wir werden uns dann erneut mit dieser Angelegenheit zu befassen haben, wir werden wiederum eine erste Lesung haben, wir werden wiederum grundsätzliche Debatten über diese Frage führen müssen.
Angesichts der Belastung, mit der unser Haus sowieso zu kämpfen hat, haben meine Parteifreunde mir die Anregung gegeben, ich sollte mich sehr kurz fassen und das, was zu einem Kernenergiegesetz grundsätzlich zu sagen ist, auf den Zeitpunkt verschieben, wo uns von der Bundesregierung der Entwurf eines Kernenergiegesetzes vorgelegt wird. Ich glaube, daß auch Herr Kollege Drechsel dies richtig verstehen wird. Denn wenn ich seine Worte richtig verstanden habe, so denkt er selbst daran, daß das von ihm erarbeitete und von ihm eingebrachte Kernenergiegesetz gleichzeitig mit dem Entwurf der Bundesregierung beraten wird.
Es ist also keineswegs eine Vernachlässigung oder eine ungenügende Beachtung der Arbeit, die bisher geleistet worden ist, wenn ich mich in meinen Erläuterungen hierzu kurz fasse und das, was grundsätzlich zu sagen ist, auf den Zeitpunkt verschiebe, wo uns von der Bundesregierung der Gesetzentwurf vorgelegt wird.
Im übrigen trete auch ich dem Vorschlag bei, diesen Entwurf dem Ausschuß für Atomfragen und dem Rechtsausschuß zu überweisen.
Angesichts des Umfangs der noch vor uns stehenden Tagesordnung und der Absicht, ohne Unterbrechung bis zur Erledigung ,der Tagesordnung durchzutagen, darf ich die Kürze dieses Redners den nachfolgenden Rednern empfehlen.
Herr Dr. Elbrächter!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es war sowieso meine Absicht, mich kurz zu fassen. Ich hatte ebenso wie Herr Kollege Geiger nicht vor, auf die grundlegenden Fragen einzugehen. Ich wollte nur im Namen meiner Freunde von der Fraktion der Deutschen Partei unserer Freude darüber Ausdruck geben, daß nun endlich diesem Hohen Hause Gelegenheit gegeben wird, sich überhaupt mit konkreten Vorstellungen auseinanderzusetzen. Wir sind dafür, daß im Ausschuß für Atomfragen diese sachliche Diskussion stattfindet. Dieser Ausschuß, der sich erst kürzlich konstituiert hat, wird dann zum erstenmal Gelegenheit haben, sich mit konkreten Dingen zu befassen. Der Ausschuß wird insbesondere zu prüfen haben, ob der § 1 Abs. 1 dieses Entwurfs in Übereinstimmung steht mit der Entschließung, die auf die Initiative des MonnetAusschusses zurückgeht und die dieses Haus mit großer Mehrheit kürzlich angenommen hat.
Neben dieser Freude, daß wir zum erstenmal Gelegenheit haben, die Materie in diesem Hohen Hause richtig zu behandeln, möchte ich auch meinem Bedauern Ausdruck geben, daß wir bislang noch nicht die konkreten Vorstellungen gehört haben, die Ihr Haus, Herr Minister Strauß, inzwischen entwickelt hat. Ich freue mich, ,daß wir durch diesen Anstoß, der von Herrn Kollegen Drechsel gekommen ist, Gelegenheit hatten, zum erstenmal etwas Näheres von Ihnen zu hören, wenn Sie Ihre Vorstellungen auch nur in Form einer negativen Kritik entwickelt haben. Es ist natürlich sehr viel leichter, Herr Minister, gestützt auf die große Sachkenntnis Ihres Gremiums, nicht nur Ihres Hauses, sondern auch des Atomausschusses, die Mängel dieses Entwurfs herauszustellen. Aber uns waren diese Mängel auch bekannt. Herr Kollege Drechsel hat, wenn ich ihn richtig verstanden habe, selbst auf diese Mängel hingewiesen.
Wir sollten aber doch dankbar sein, daß eine Fraktion den Mut gehabt hat, diese Frage überhaupt einmal aufzurollen. Ich bin überzeugt — vielleicht irre ich mich —, daß gerade dieser Antrag Ihr Haus veranlaßt hat, aus dem Dornröschenschlaf in bezug auf diese Materie zu erwachen.
Ich habe — und ich glaube, ich stehe nicht allein —manchmal den Eindruck, daß die Befassung mit Atomenergiefragen oder, besser gesagt, Kernenergiefragen eine sehr einschläfernde Wirkung haben muß — das stelle ich auch angesichts der Besetzung dieses Hauses fest —, obwohl es sich doch wahrscheinlich um die wichtigsten Fragen handelt, die von der Wissenschaft und der Technik jetzt zu lösen sind. Ich möchte darauf hinweisen, daß wir bei der Behandlung der Kernenergiefragen vor Aufgaben von einer geradezu epochalen Tragweite gestellt sein werden.
Ich sehe dabei diese Fragen nicht so sehr unter dem Aspekt der wissenschaftlichen Forschung — das ist selbstverständlich auch ein großes Gebiet, und ich brauche meine Sympathie für diese Seite der Angelegenheit hier nicht besonders zu bekunden —, sondern ich sehe sie mehr unter dem Gesichtspunkt, den ich auch in Berlin anläßlich der Konjunkturdebatte schon ganz kurz gestreift habe. Ich glaube nämlich, daß allein die Schaffung neuer Energieformen, sei es aus dem spaltbaren Material oder durch die Methode der „fusion", also des Aufbaus von Heliumkernen aus Wasserstoff, in
der Lage sein wird, das kommende Energiedefizit zu decken. Ich behalte mir vor, gelegentlich der Aussprache bei der Beratung der Großen Anfrage der SPD zur Kohlefrage diese Seite des Problems noch näher anzusprechen.
Ich schließe mich der Auffassung von Herrn Geiger an, daß wir angesichts der Länge der Tagesordnung und auch angesichts der Tatsache, daß wir demnächst hier konkrete Vorstellungen der Bundesregierung hören werden, zur Zeit auf eine weitere sachliche Diskussion verzichten können.
Das Wort hat der Abgeordnete Margulies.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesminister hat sich die Sache wohl ein wenig leicht gemacht. Man könnte seiner ganzen Rede einen Satz entgegenhalten: Kritisieren ist leicht, Bessermachen schwer. Wenn das aber nun ausgerechnet der Bundesminister tut, den wir seit über einem halben Jahr auf allen möglichen Wegen drängen, irgendeine Äußerung von sich zu geben, wenn er die Vorschläge kritisiert, die von denen gemacht werden, die sich, weil er nichts von sich gibt, darum bemühen, dann sind, wie mir scheint, die Verhältnisse doch auf den Kopf gestellt. Selbstverständlich wissen wir, daß unser Vorschlag nicht der Weisheit letzter Schluß ist, und wir erwarten von Herrn Minister Strauß natürlich nicht, daß er den liberalen Geistesgehalt dieses Entwurfs versteht; da wäre er ja wohl überfordert.
Aber wir erwarten mindestens eine Würdigung der Arbeit, die in diesem Entwurf drinsteckt. Wenn ich mir etwa vorstelle, daß die Gedankengänge, die der Herr Bundesminister jetzt erstmals hat anklingen lassen, sich in Gesetzesform verdichten, dann weiß ich wirklich nicht mehr, was Perfektionismus ist.
Der Herr Bundesminister hat die Angelegenheit mehrfach als dringend bezeichnet. Darin stimmen wir ihm allerdings zu; das ist unsere Meinung schon seit mindestens 3/4 Jahren, ganz davon zu schweigen, daß die Bundesregierung auf anderen Gebieten durchaus Möglichkeiten gesehen hat, sich zu betätigen und vorbereitende Arbeiten vorzunehmen, auch bevor wir das Recht hatten, uns selbst damit zu befassen.
Der Herr Bundesminister hat entdeckt, daß Bundesanstalten rechtswidrig sind, also da werden wir ja eine Menge Arbeit bekommen; denn meines Wissens haben wir eine ganze Anzahl. Wenn die alle rechtswidrig sind, werden wir uns in nächster Zeit mit diesem Problem häufiger befassen müssen.
Ich möchte, um die Sache nicht unnötig aufzuhalten, nur sagen, daß wir es sehr bedauern, daß der Herr Bundesminister für Atomfragen nichts besseres gewußt hat, als einen Entwurf, in dem sehr viel ehrliche Mühe und recht viele gute Gedanken stekken, hier in einer Weise zu zerrupfen, wie er es als derjenige, der einen Entwurf hätte vorlegen müssen, sicherlich nicht hätte tun dürfen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kleindinst.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieser Gesetzentwurf gibt Anlaß, trotz der vorgerückten Zeit einige sehr grundsätzliche Ausführungen zu machen. Zunächst möchte ich bemerken, daß wir uns die Gesetzgebung etwas zu leicht machen, wenn wir davon ausgehen und in der Bevölkerung den Eindruck erwecken, als ob es nur irgendeiner Gesetzesvorlage der Regierung oder der Gesetzesinitiative des Bundestages bedarf, um irgendeine Sache auf dem Abstimmungswege zu erledigen.
— Ich sage das nicht Ihnen gegenüber, sondern aus grundsätzlichen Erwägungen, weil sich durch die Leichtigkeit, mit der man uns zwingt, uns mit Gesetzentwürfen zu befassen, dieser Eindruck in der Öffentlichkeit immer mehr ausbreitet.
Zweitens — und das muß auch hervorgehoben werden — ist der Gesetzentwurf verfassungsrechtlich unklar. Ich erwähne nur die Punkte: Genehmigung dès Haushalts und des Stellenplans seitens des Verwaltungsrates, Beschluß über die Besetzung der Stellen, Verwendung der Mittel für Forschungsaufträge. Hier ist ein Zusammenhang mit der Verantwortung der Bundesregierung nicht mehr gegeben.
Dann möchte ich nur ganz kurz auf eine Entwicklung aufmerksam machen. Wir haben jetzt auch eine Denkschrift von der Industrie erhalten. Darin wird wieder eine Bundesanstalt gefordert, und zwar für den Bau der Fern- und Autostraßen. Die Verwaltung soll nun ebenfalls einer Anstalt übertragen werden, in der die Interessenvertreter vorherrschen. Es wird also der Versuch gemacht, gesetzlich Anstalten zu errichten, die finanzielle Fundierung dem Bundeshaushalt zu übertragen, aber die Durchführung außenstehenden Kräften zu überlassen. Die Verantwortung auch für die Ausführung von Hoheitsaufgaben bleibt natürlich bei der Bundesregierung und dem Bundestag.
Hier müssen also die Aufgaben in verfassungsrechtlicher Beziehung, in verwaltungsrechtlicher Beziehung und in all den Rechtszusammenhängen klar durchdacht werden. Gerade bei einer derartigen Materie wie hier, wo wiederum, wie das in früheren Jahrzehnten der Fall war, der Zusammenhang von Wissenschaft, Wirtschaft und Technik so eng ist, muß das ganz besonders ins Auge gefaßt werden. Diese gesetzgebungs- und verwaltungspolitischen Gesichtspunkte wollte ich nur einmal wieder grundsätzlich hervorheben und sie auch dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht auf den Weg geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Kurlbaum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Selbstverständlich begrüßt es auch die SPD aufs lebhafteste, daß die Gesetzesinitiative der FDP uns heute Gelegenheit gibt, hier im Plenum über dieses sehr dringende Problem der Kernenergie zu sprechen. Wir begrüßen diese Initiative und deshalb besonders, weil sie uns Anlaß gibt, nicht nur hier im Plenum darüber zu sprechen, sondern diese Probleme auch in den zuständigen Ausschüssen sehr eingehend zu besprechen. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß die Arbeit an diesen Problemen kurzfristig aufgenommen werden muß, schon allein angesichts
der Tatsache, daß es bereits eine Menge gefährlicher Stoffe gibt, die sich in der Bundesrepublik im Handel befinden, ohne daß wir ein modernes Gesetz und moderne Rechts- und Schutzbestimmungen besitzen. Es kann auch kein Zweifel sein, daß angesichts des Rückstandes, in dem wir uns in der Entwicklung einer Atomenergiewirtschaft befinden, die ganze Angelegenheit außerordentlich dringend ist.
Der Herr Atomminister hat uns hier einen gewissen Terminablauf bezüglich der Arbeiten am Regierungsentwurf geschildert. Wir als Opposition richten ja die Frage bezüglich der Dringlichkeit dieser Angelegenheit nicht nur an den Atomminister, sondern an die Bundesregierung schlechthin, und wir fragen, glaube ich, mit Recht: Warum hat man erst am 28. Januar an diesen Dingen wirklich entscheidend zu arbeiten begonnen? Das, glaube ich, ist eine berechtigte Frage. Der Herr Kollege Geiger hat vorhin angedeutet, daß man den Regierungsentwurf erst abwarten sollte. Dazu möchte ich gleich folgendes sagen. Wir haben heute, obwohl wir sehnlichst darauf gewartet haben, von dem Herrn Atomminister nicht ein Wort gehört, wann denn nun der Regierungsentwurf dem Bundestag vorgelegt werden soll. Angesichts dieses Ablaufes der Ereignisse müssen wir, glaube ich, mit Recht befürchten, daß der Atomausschuß nicht einmal vor Beginn der Sommerferien seine Arbeiten an diesem Regierungsentwurf wird aufnehmen können.
Es kann doch, glaube ich, kein Zweifel sein, daß wir auf keinen Fall damit warten können, an dem Gesetzentwurf der FDP zu arbeiten, wenn diese Gefahr besteht. Ich möchte also hier ausdrücklich der Anregung des Herrn Kollegen Geiger widersprechen und möchte schon jetzt klarmachen, daß die SPD sich sehr energisch dafür einsetzen wird, daß unmittelbar nach der Überweisung des Antrages der FDP, die ja heute vermutlich stattfinden wird, nun auch tatkräftig in dem neuen Ausschuß an den Dingen gearbeitet wird. Das wird dem -Herrn Minister dann vielleicht Gelegenheit geben, sich auch an den Ausschußsitzungen zu beteiligen und durch die Ergebnisse, die seine Mitarbeiter bisher zutage gefördert haben, auch unsere Arbeit zu fördern.
Nun möchte ich selbstverständlich nicht in eine Kritik an Einzelheiten des Gesetzentwurfes der FDP eintreten. Dazu ist hier auch gar nicht der Platz. Das wäre nachher die Arbeit des Ausschusses. Aber ich möchte doch einige grundsätzliche Bemerkungen zu ihm machen und klar zum Ausdruck bringen, daß wir in der Tat Zweifel haben, ob dieser Entwurf wirklich das Bedürfnis befriedigen kann, das gerade auch in der Bevölkerung am stärksten vorhanden ist, nämlich das Sicherheitsbedürfnis. Wir wissen alle um die ungeheure Bedrohung, die allein schon von einer verhältnismäßig kleinen Menge Kernenergiestoffen ausgehen kann, wenn die Voraussetzungen zu explosiver Freisetzung von Energie gegeben sind. Wir wissen auch, welche ungeheuren Gefahren heraufbeschworen werden können, wenn größere Mengen radioaktiver Stoffe hergestellt und in den Verkehr gebracht werden, biologische Gefahren für die ganze Bevölkerung. Wir verlangen daher grundsätzlich eine wirksame Überwachung solcher Stoffe einschließlich ihrer Behandlung und Bearbeitung. Die Gefahr, daß Irre und Verantwortungs-
lose diese Stoffe mißbrauchen, ist nach dem jetzigen Stand der Technik unübersehbar groß.
Wir sind darüber hinaus der Meinung, daß die Überwachung dieser Vorgänge und die Verantwortung dieser Überwachung nicht auf Privatpersonen und Privatunternehmungen abgeschoben werden kann. Es liegt in der Natur der Sache, daß in privatwirtschaftlich organisierten Unternehmungen der Aufwand für die Sicherung, die die Bevölkerung beanspruchen kann, beeinträchtigt wird — jedenfalls kann sich eine solche Tendenz herausbilden — durch das in Privatunternehmen nun einmal naturnotwendig gegebene Streben nach einem möglichst hohen Ertrag. Auf diesen Gesichtspunkt eines möglichst hohen privatwirtschaftlichen Ertrages können wir aber bei dem jetzigen Stand der Technik und bei der Größe der Gefahr für die Bevölkerung nicht Rücksicht nehmen zu Lasten einer hundertprozentigen Durchsetzung des Sicherheitsbedürfnisses.
Unsere erste Mindestforderung geht daher dahin, daß Kernstoffe mit potentiellen Sprengstoffeigenschaften ohne Unterschied und daß größere Mengen gefährlicher radioaktiver Stoffe nur in Anstalten hergestellt und behandelt werden dürfen, die unter lückenloser öffentlicher Kontrolle stehen. Praktisch ist eine solche durchgreifende lückenlose öffentliche Kontrolle nur durchführbar in Unternehmungen, die sich im öffentlichen Eigentum befinden. Es ist also unser klarer Standpunkt, daß auf diesem Gebiet, das ich eben klar zu umgrenzen versucht habe, im Gegensatz zu der in dem Entwurf der FDP erkennbaren Tendenz eine freie wirtschaftliche Betätigung nach unserer Ansicht nicht verantwortet werden kann.
Zu diesem beherrschenden Gesichtspunkt der Sicherung der Bevölkerung kommen aber noch andere Gesichtspunkte. Es kann, soweit wir die Dinge heute technisch übersehen können, auch kein Zweifel darüber bestehen, daß der finanzielle Aufwand für die wichtigsten Anlagen, die wir in der Atomwirtschaft in Zukunft brauchen werden, so gewaltig sein wird, daß die Privatwirtschaft diese Beträge auf keinen Fall allein oder auch nur maßgebend wird aufbringen können. Wenn das aber so ist, dann kann man auch dem Steuerzahler nicht zumuten, daß zu irgendeinem späteren Zeitpunkt seine Steuermittel in irgendeiner Form, sei es offen oder verschleiert — in den meisten Fällen wird es nach unseren Erfahrungen verschleiert vor sich gehen —, sang- und klanglos in das Privatvermögen einzelner Bevorzugter übergehen. Ich erinnere in diesem Zusammenhang auch noch an die großen Gefahren, die für eine schnelle und ausreichende Entwicklung auf diesem Gebiet entstehen können, wenn hier private Interessengegensätze zum Zuge kommen.
Und noch ein Zweites. Wie haben in der deutschen Wirtschaft — das ist uns insbesondere auch bei den Beratungen über das Kartellgesetz im Bundestagsausschuß zum Bewußtsein gekommen — schon heute eine genügende Anzahl von privatwirtschaftlichen Machtstellungen. Ich bitte Sie alle, zu berücksichtigen, was es bedeutet, wenn man durch einseitige Verschiebung auch der Atomwirtschaft auf das privatwirtschaftliche Gebiet noch weitere Chancen eröffnet, daß sich unter Umständen noch viel größere rein privatwirtschaftliche Machtstellungen ergeben oder zum Nachteil der gesamten Volkswirtschaft und des Verbrauchers ausgebaut werden.
Der Herr Atomminister hat hier mit Recht auch auf das Versicherungsproblem hingewiesen. Wer ist heute überhaupt in der Lage, anzugeben, in welchem Umfang in Zukunft ein Privatunternehmen aus der Behandlung und Verarbeitung solcher Stoffe in Anspruch genommen werden muß? Das kann angesichts des heutigen Standes der Technik in diesem Augenblick überhaupt noch niemand übersehen. Wer könnte es verantworten, daß unter Umständen ein Privatunternehmen einen Schaden anrichtet, für den aufzukommen es selbst oder sein Versicherungsunternehmen überhaupt nicht in der Lage ist?
Neben dieser ersten Mindestforderung, die wir bezüglich der größeren Anlagen auf dem Gebiet der Atomwirtschaft aufstellen müssen, haben wir noch eine zweite Mindestforderung. Unabhängig von der Menge muß es eine lückenlose Kontrolle über den Verbleib aller gefährlichen Stoffe geben. Wir haben große Zweifel — darin stimme ich dem Herrn Atomminister zu —, ob das System, das die FDP uns hier in ihrem Antrag empfohlen hat, überhaupt ausreichend ist, um eine solche lückenlose Kontrolle für den Verbleib aller dieser gefährlichen Stoffe durchzuführen. Für ganz besonders gefährlich würde ich es halten, wenn man dazu überginge, wie das hier empfohlen wird, allgemeine Genehmigungen an Privatunternehmungen zu erteilen für die Einfuhr, den Erwerb und den Besitz von Kernstoffen.
In diesem Zusammenhang ergibt sich die Frage nach einem geeigneten juristischen Instrument für die Durchführung der Kontrolle des Verbleibs aller gefährlichen Stoffe. Ich bin mir darüber klar, daß dieses zweifellos sehr schwierige praktische und auch juristische Problem nur in sehr eingehenden Ausschußberatungen geklärt werden kann. Ich möchte aber schon heute darauf hinweisen, daß es sehr notwendig séin wird, einmal zu prüfen, ob angesichts dieser Revolution in den technischen Möglichkeiten unsere herkömmlichen juristischen Eigentumsbegriffe für die Durchführung einer solchen Kontrolle überhaupt noch geeignet sind.
Abschließend möchte ich zu der Frage der Überwachung der Anlagen und der Stoffe selbst noch folgende Bemerkung machen. Wir sind uns durchaus der Problematik eines wirkungsvollen Schutzes, einer wirkungsvollen Sicherung im Hinblick auf das notwendige Maß der Freiheit für die Betätigung der produktiven, der schöpferischen Persönlichkeit bewußt. Wir werden bei der Behandlung gerade aller dieser Fragen im Ausschuß dem Problem der Förderung der schöpferischen Einzelpersönlichkeit im Rahmen unserer Wissenschaft und auch im Rahmen unserer Technik unsere besondere Aufmerksamkeit widmen.
Nun lassen Sie mich aber auch noch etwas zum Institutionellen sagen. Auch hierüber ist in dem Vorschlag der FDP schon etwas enthalten. Es ist unser Standpunkt, daß eine irgendwie geartete innerdeutsche Anstalt oder Behörde einer wirksamen parlamentarischen Kontrolle unterliegen muß. Es mag sein, daß man in anderen Staaten, z. B. in den Vereinigten Staaten mit ihrem ganz anderen Verfassungsrecht, mit guten Gründen einen anderen Weg hat gehen können. Unsere Verhältnisse sind aber anders. Ich möchte keinen Zweifel darüber lassen, daß wir erhebliche Bedenken
dagegen haben, daß uns die FDP vorgeschlagen hat, einen Verwaltungsrat zu bilden, in dem — hören Sie bitte zu — jede Fraktion durch ein Mitglied vertreten sein soll. Ich glaube, daß wir Anlaß haben, uns sehr zu überlegen, ob gerade die Erfahrungen mit den Verwaltungsräten anderer selbständiger Institutionen uns nicht nahelegen, hier in Zukunft andere Wege zu gehen. Es könnte nämlich sein, daß wir zu der berechtigten Meinung kommen, daß man gerade eine wirksame Kontrolle durch das ganze Parlament dann nicht erreicht, wenn man einzelne Personen aus dem Parlament in solche Gremien delegiert.
Die SPD begrüßt es, daß wir — das habe ich vorhin schon gesagt — nunmehr mit der Beratung wirklich beginnen können. Wir würden es aber darüber hinaus auch noch begrüßen, wenn die Beratung über die innerdeutsche Regelung dieser Probleme gleichzeitig ein Anlaß wäre, uns im Ausschuß auch mit den supranationalen und internationalen Problemen zu beschäftigen, die von der innerdeutschen Regelung überhaupt nicht getrennt werden können. Ich würde es besonders begrüßen, wenn die Arbeit in den Ausschüssen dazu beitrüge, daß die Bundesregierung ihre Arbeit gerade an den Maßnahmen beschleunigt, die ihr der Bundestag gelegentlich der Beschlußfassung über die Anträge Drucksachen 2152 und 2229 aufgegeben hat. Es handelt sich dabei um die beiden Anträge betreffend die europäische Organisation für Atomenergie und die Errichtung eines gemeinsamen Marktes und betreffend Schaffung einer europäischen Kommission für Atomenergie. Wir halten es für außerordentlich wichtig, daß auch diese beiden Anträge durch eine intensive parlamentarische Arbeit weiter gefördert werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Geiger .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie, daß ich mich noch mit ein paar Worten an Herrn Kollegen Kurlbaum wende. Herr Kollege Kurlbaum, ich glaube, Sie haben mich mißverstanden. Ich habe ausgeführt, daß meine politischen Freunde mich gebeten haben, mich in der heutigen Debatte sehr kurz zu fassen, da wir uns in einer der nächsten Arbeitswochen sowieso mit dem Entwurf der Bundesregierung beschäftigen würden und dann praktisch eine ähnliche oder eine gleiche Debatte zu bestreiten hätten. Herrn Kollegen Dr. Drechsel hatte ich in diesem Zusammenhang gebeten, diese Haltung nicht etwa so aufzufassen, als wenn wir seine Arbeit nicht entsprechend würdigten. Und in Parenthese habe ich gesagt, ich glaube, annehmen zu dürfen, daß er das richtig auffasse, weil ich aus seinen Worten heraushören konnte, daß er sowieso damit rechne, daß sein Entwurf und der Entwurf der Bundesregierung in einer zeitlich zusammenfallenden Arbeit im Ausschuß behandelt würden. Darauf habe ich von Herrn Kollegen Drechsel keine Absage gehört.
Meine Einstellung ist folgende, und die darf ich hier bekanntgeben. Ich betrachte es als zweckmäßig, in eine Beratung dieses Gesetzes einzutreteten. Ich bin davon überzeugt, daß uns dieser Gesetzentwurf im Ausschuß sehr viele Anregungen ganz allgemeiner, grundsätzlicher Art geben wird und daß wir uns damit noch zu einer Zeit beschäftigen werden, wo uns die Bundesregierung ihren Entwurf vorlegen wird, so daß es tatsächlich bei der Behandlung der beiden Gesetzentwürfe zu einer zeitlichen Koinzidenz kommen wird. Ich glaube, Herr Kollege Kurlbaum, daß Sie jetzt auch meine Haltung richtig verstehen und würdigen werden.
Meine Damen und Herren, es liegt keine weitere Wortmeldung mehr vor. Ich schlage Ihnen vor, den Gesetzentwurf an den Ausschuß für Atomenergiefragen — federführend — und an den Ausschuß für Kommunalpolitik — mitberatend — zu überweisen.
— Der ist nach dem Vorschlag des Ältestenrates nicht vorgesehen. Aber Sie stellen den Antrag?
- Ich halte mich nur an die Vorschläge des Ältestenrates. Wenn Sie einen andern Antrag stellen, bitte ich, ihn zu begründen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag ist bereits von mir gestellt worden: Überweisung an den Ausschuß für Atomenergiefragen — federführend — und an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zur Mitberatung. Ich glaube, Herrn Minister Strauß so verstanden zu haben, daß sich die Bundesregierung dem Antrag anschließt, und ich glaube, auch die CDU/CSU; Herr Geiger hat denselben Antrag gestellt.
Es ist also der Antrag gestellt, den Gesetzentwurf an den Ausschuß für Atomenergiefragen — federführend — und an den Ausschuß für Rechtswesen — mitberatend — zu überweisen. Der Ausschuß für Kommunalpolitik kommt nicht in Frage. Erfolgt Widerspruch? — Das ist nicht der Fall; dann ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung:
Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Zuschußsperre gegen den Sozialistischen Deutschen Studentenbund .
Das Wort zur Begründung der Großen Anfrage hat der Abgeordnete Kühn .
Kühn (SPD), Anfragender: Meine Damen und Herren! Der die schriftliche Formulierung unserer Großen Anfrage ergänzenden mündlichen Begründung, die ich Ihnen vorzutragen habe, sei eine kurze Tatbestandsschilderung des Ereignisses vorausgeschickt, das zu der Maßnahme des Herrn Innenministers, die hier Gegenstand der Diskussion ist, geführt hat.
Im Juli 1955 veröffentlichte die Zeitschrift „Standpunkt", Organ des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes, einen Artikel, der sich sehr scharf mit der Wiederbewaffnungspolitik der Mehrheit dieses Hauses auseinandersetzt und in dem ein Satz steht, der auch nach unserer Auffassung in der Form über das Maß des selbst von schärfster Kritik Gebotenen hinausgeht. Ich will
Ihnen diesen Satz im Wortlaut vorlesen. Es heißt da:
Das gegenwärtige Treiben der Bonner Politiker ist ein einziger Schildbürgerstreich.
Dieses Parlament der Jasager ist keine verantwortliche Volksvertretung mehr.
Es ist dies selbst dann nicht, wenn man zugibt, daß die Mehrheit der Bevölkerung hinter der Mehrheit des Bundestages steht. Die Aufgabe der Volksvertreter ist es nicht, immer das zu tun, was die Dümmsten für richtig halten.
Soweit das Zitat eines jungen Menschen, der sich leidenschaftlich gegen die Politik der Bundesregierung in einer ihn zutiefst aufwühlenden Frage wendet
und sich dabei zu Formulierungen bewegen läßt, die ich hier in aller Form als ungut und als einer sachlichen Auseinandersetzung unzuträglich kennzeichnen möchte.
— Sie wollen vielleicht, Herr Kollege Dresbach, eine härtere Verurteilung als meine Worte „ungut" und „unsachlich".
— Ein in der Tat nicht unbekannter Herr. Aber ich hoffe, daß Sie nicht zu denen gehören, denen nach der alten Weisheit hier das Zitat zwar verhaßt, aber dennoch ganz lieb ist, weil es Veranlassung zur Empörung geben könnte.
Sie, meine Herren von der CDU, wollen eine härtere Beurteilung. Wenn ich härter urteilen wollte als „ungut" und „unsachlich", müßte man in den sachlichen Inhalt dieses Artikels einsteigen. Das ist nicht unsere Aufgabe am heutigen Tage. Sie werden nicht erwarten, daß ich beispielsweise bereit wäre, zu bestreiten, daß die Wiederbewaffnungspolitik der Regierung vom Standpunkt des National-Notwendigen in der gegebenen historischen Situation Deutschlands töricht und unglücklich ist. Das ist ein politisches Urteil, und ich glaube, man sollte auch bei Formulierungen, die sehr scharf sind, insbesondere wenn sie aus dem Munde junger Menschen kommen, nicht immer einen überscharfen Maßstab anlegen. Ich hoffe, daß Sie in der CDU auf jeden Fall ein gewisses Verständnis dafür haben, daß Sie einmal als die Mehrheit der bedingungslosen Ja-Sager bezeichnet werden, nachdem es so sehr zu Ihren Gepflogenheiten gehört, die sozialdemokratische Opposition als eine Partei der permanenten und bedingungslosen Nein-Sager zu kennzeichnen.
Diese Auseinandersetzung hätte allerdings — ich wiederhole es — zwar der Sache nach in gleicher Schärfe, jedoch der Form nach in einem anderen Stil in jenem Artikel erfolgen können und erfolgen sollen.
Es ist aber nicht nur dieser Satz, sondern auch ein anderer in der ursprünglichen Stellungnahme des Bundesinnenministeriums inkriminiert worden, und bei diesem anderen Satz vermag ich, dem Inhalt und der Form nach, nicht zu erkennen, wo dort etwas Inkriminierenswertes liegen sollte. Dieser Satz heißt nämlich:
Der Bundeskanzler ist ein merkwürdiger Demokrat. Es gehört viel Zuversicht dazu, ihn überhaupt für einen solchen zu halten.
Hier würde ich der Form und dem Inhalt nach keine Beanstandungen haben.
Es ist ein reines politisches Urteil. Es hat sich doch zu einem durchgängigen Überzeugungsgut bis weitgehend in die Kreise Ihrer eigenen Fraktion hinein durchgesetzt, daß sich auch ohne das Zutun der Wähler diese Ihre Reihen bedenklich lichten würden, wenn Sie nicht mehr bereit wären, denjenigen, die dieses Urteil über den Herrn Bundeskanzler haben, die Wiederkandidatur zu gestatten. Ein Mitglied Ihrer eigenen Fraktion hat es vor wenigen Tagen in der Beziehung geradezu als lyrisch-bescheiden genannt, was über den Herrn Bundeskanzler in jenem Artikel steht.
Noch eines zur Bewertung dieses Artikels. Ich möchte ihn auf die gleiche Stufe stellen wie jenen Artikel in der November-Nummer der Zeitschrift „Civis", der Zeitschrift für christlich-demokratische Politik, herausgegeben vom Bundesvorstand des Rings christlich-demokratischer Studenten. Darin heißt es zur Kritik der deutschen Filmproduktion wörtlich:
Da sollte man denn doch lieber vorher ein paar Produzenten an die Laternen hängen, rein des Versuchs halber, um zu sehen, ob sich dann etwas ändert.
Meine Damen und Herren, jeder, bei dem nicht die Galle die Funktion des Hirns ausübt, wird darin ganz gewiß nicht den Ausdruck eines Mordgelüstes erblicken. Aber ich glaube, man sollte ebensowenig in der eben zitierten politischen Meinungsäußerung den Ausdruck einer Verfassungsfeindlichkeit erblicken wollen, sosehr in der Form dieses politischen Urteils ein Mißgriff vorliegen mag.
Der Vorsitzende des Rings der christlich-demokratischen Studenten hat gesagt, der Artikel in „Civis", der der Form nach zum Mord aufruft, sei nichts anderes als das Sich-Luft-Schaffen eines Menschen, der von einem tiefen Ärger erfüllt sei. Und wer wollte bestreiten, daß es zumindest möglich ist, davon überzeugt zu sein, daß die Qualität einer gewissen Politik noch weniger gut ist als die Qualität einer gewissen Filmproduktion.
Was aber geschah, nachdem dieser vom Bundesinnenministerium beanstandete Artikel erschienen war? Auf den „Civis"-Artikel erfolgte berechtigterweise gar nichts. Auf den „Standpunkt"-Artikel erfolgte unberechtigterweise einiges, was zu unserer Großen Anfrage geführt hat. Zunächst geschah auch hier vier Monate lang nichts. Wir würden es durchaus anzuerkennen in der Lage sein, wenn der Herr Bundesminister des Innern sich in erlaubter und geeigneter Weise um die, ich
möchte sagen, Pazifizierung der politischen Auseinandersetzung in der jungen Generation und um sachliche Aufklärung über die Gesinnungsgrundlagen des beanstandeten Artikels bemüht hätte.
Dazu hätten sich mehrere Wege angeboten. Einmal ein Aufklärung fordernder, mahnender Brief seitens der Jugendabteilung, der Hochschulabteilung des Bundesinnenministeriums, vielleicht über den Referenten für Hochschul- und Studentenangelegenheiten. Besser aber, scheint mir, wäre es gewesen, einen Appell an die Selbstkontrolle der Jugend zu richten. Es gibt ein eigens geschaffenes Organ, den sogenannten Aktionsausschuß der Jugendverbände, die vom Bundesjugendplan betreut werden, als Beratungsgremium für die Bundesregierung. Es ist von den Jugendorganisationen selbst geschaffen worden und tagt gelegentlich unter Vorsitz des Herrn Staatssekretärs Bleek. In ihm wird vor allen Dingen auch die Frage der finanziellen Förderung der Jugendorganisationen aus dem Bundesjugendplan behandelt.
Es wäre, glaube ich, gut gewesen, es zum Gegenstand der Selbstkritik, der Selbstbereinigung der Jugendorganisationen zu machen, einmal über so etwas wie einen solchen Artikel zu sprechen. Ein solcher Appell an die Selbstüberprüfung der Jugend wäre naheliegend, und er wäre vertretbar gewesen. Unvertretbar jedoch ist die ministerialbürokratische Autoritätsmanifestation, die nunmehr unter dem Motto erfolgt ist: „Hängen wir ihnen den Brotkorb höher! Rasseln wir mit den goldenen Ketten der finanziellen Subvention!"
Eben das aber tat der zuständige Ministerialrat und verfügte die Sperrung der Förderungsmittel aus dem Bundesjugendplan für den Sozialistischen Deutschen Studentenbund.
Er suchte nicht etwa die Unterredung, sondern er lehnte im Gegenteil zunächst einmal die Unterredung mit einem Vertreter dieser Studentenorganisation ab. Der zuständige Ministerialrat lehnte es zunächst ab, den neuen Bundesvorsitzenden dieser Studentenorganisation zu empfangen.
Er begründete das damit, daß dieser Verband in jüngster Zeit eine Politik getrieben habe, die es fraglich erscheinen lasse, ob ein Gespräch mit den Repräsentanten dieses Verbandes noch möglich sei.
Nun, es kam trotzdem zu dieser Unterhaltung, und dabei wurden in der Rangordnung so, wie ich es hier aufzähle, drei Beanstandungen vorgetragen. Das erste war ein Artikel, der im Sozialdemokratischen Pressedienst, mit dem diese Jugendorganisation also gar nichts zu tun hat, erschienen ist und der sich mit der Frage der Mittelzuteilung durch das Bundesinnenministerium kritisch auseinandersetzt. Erst an zweiter Stelle in der Reihenfolge der zu beanstandenden Vorgänge erschien dann dieser in dem entscheidenden Passus eben von mir vorgelesene Artikel, den der Herr Ministerialrat als „flapsig" bezeichnete. Und an dritter Stelle hieß es dann, der Delegiertentag des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes in Göttingen habe einen Beschluß gefaßt, der zum Ungehorsam gegen Gesetze auffordere.
Nun stellt sich dabei aber heraus, daß der Herr Ministerialrat den Wortlaut dieses Beschlusses des Studentenkongresses gar nicht kannte,
sondern in seiner Argumentation sagte: Sehen Sie mal, wie wird das dann, wenn das in verkürzten „Bild"-Überschriften erscheint, draußen wirken? — Aber ich glaube, das Urteil eines verantwortlichen Mannes in einem Ministerium sollte sich nicht aus den journalistisch verkürzten Meldungen einer Boulevard-Zeitung, sondern aus dem Studium der Dokumente selbst ergeben. Nachdem der Herr Ministerialrat in den Wortlaut des auf jenem Kongreß gefaßten Beschlusses hat Einsicht nehmen können, hat er auch anerkannt, daß diese Beanstandung wegfiel.
Die erste Beanstandung stand ihm überhaupt nicht zu; denn wenn in einem Pressedienst, der gar nicht zu dieser Studentenorganisation gehört, ein Artikel erscheint, so kann man dies dieser Organisation ganz gewiß nicht zum Vorwurf machen.
Der Herr Ministerialrat hat auch anerkannt, daß er keineswegs sagen wolle, daß dieser Studentenverband undemokratisch sei und aus einer undemokratischen Grundkonzeption keiner Förderung wert sei. Eindeutig — und mit Genehmigung des Herrn Präsidenten möchte ich diese Stelle vorlesen — hat er in Bestätigung der Unterhaltung in einem Brief am 30. November 1955 geschrieben:
Es trifft insbesondere zu, daß ich erklärt habe, Ihren Verband nicht für undemokratisch zu halten. Andererseits zwingen mich einige Vorfälle,
— und dies waren die drei, die ich Ihnen eben zitiert habe —
die ich nur als grobe Verstöße gegen den politischen Stil unseres demokratischen Lebens betrachten kann,
dazu, die bisherige Förderung des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes so lange nicht fortzusetzen, bis erkennbar geworden ist, daß der Sozialistische Deutsche Studentenbund sich von ihnen distanziert.
An einer anderen Stelle dieses Briefes wird dann von der „groben Verletzung des zum Funktionieren des freiheitlichen demokratischen Lebens unerläßlichen politischen Taktes" gesprochen.
Nun, meine Damen und Herren, die Ministerialbürokratie als Mentor des politischen Stils! Das ist eine demokratische Stilwidrigkeit par excellence.
Hier wird eine Urteilsbefugnis usurpiert, die der Ministerialbürokratie nicht zusteht. Es steht weder der Ministerialbürokratie noch dem Herrn Innenminister zu, für einen Artikel, den der Herr Ministerialrat als „flapsig" zu bezeichnen vielleicht einige Veranlassung hat, einem ganzen, von ihm selbst als demokratisch und förderungswürdig bezeichneten Verband die finanzielle Förderung zu nehmen, die der Bundestag durch eine ausdrück-
liche Zweckbestimmung für die Förderung der demokratischen Jugendorganisationen bereitgestellt hat.
Wo sollte es überhaupt hinführen, wenn Verstöße gegen den politischen Stil und gegen den politischen Takt mit dem Entzug finanzieller Mittel geahndet würden? Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir diese Frage und nehmen Sie mir sie nicht allzu übel: Wo sollte denn der Herr Bundeskanzler noch sein Gehalt herbeziehen?
— Meine Damen und Herren, zügeln Sie sich mit Ihrem „Pfui"!
Aber versuchen Sie wenigstens einiges Verständnis dafür aufzubringen, daß es in der Vergangenheit eine Reihe von Vorkommnissen, verursacht durch den Herrn Bundeskanzler, gegeben hat,
die wir nicht gerade als die Erfüllung eines demokratischen Stils empfinden können. Ich glaube, das Verhalten des Herrn Bundeskanzlers in der Frage Schroth-Scharley damals vor dem Wahlkampf war nicht dem demokratischen Stil entsprechend.
Nun, über das, was demokratischer Stil und politischer Takt ist, steht, glaube ich, der Ministerialbürokratie nicht die Befugnis zum Urteil zu.
Der Ministerialrat hat darüber hinaus eine Erklärung abgegeben, in der es heißt: „Die Beobachtung der Regeln des politischen Stils kann und muß vom Staat als der unparteiischen Institution, die für das gute Recht aller politischen Richtungen verantwortlich ist, gefordert werden." Meine Herren von der CDU, wie stehen Sie zu dieser Staatstheorie, die Ihnen im Augenblick regierungspolitisch in den Kram passen mag, die Ihnen aber selbst als unvereinbar erkenntlich sein muß mit vielen Grundsätzen, die Sie wenigstens theoretisch immer vertreten haben. Hier dulden Sie es, sind Sie bereit es hinzunehmen, daß ein hoher Ministerialbeamter dem Staat eine Befugnis zuspricht, die ihm nach Ihrer eigenen Staatstheorie nicht zustehen kann.
Ich will mich nicht der Versuchung hingeben, zu dem Thema zu sprechen, inwieweit dieser Staat insbesondere heute überhaupt geeignet ist, als eine unparteiische Institution akzeptiert zu werden, inwieweit er nicht vielmehr durch eine Fülle von Maßnahmen, zu denen auch die hier getroffenen gehören, immer stärker in die Gefahr gerät, zum Hilfsinstrument einer politischen Richtung und einer Regierungspolitik gemacht zu werden.
Wir kennen insbesondere im Ruhrgebiet eine Krankheitserscheinung, die Silikose, jene durch langandauernde Einatmung von Gesteinsstaub entstehende Atmungsbeschränkung. So, wie es die Silikose gibt, gibt es auch — wie ich sie einmal nennen möchte — die Globkose —, durch langandauernde Vergiftung des politischen Lebens entstehen Atmungsbeschränkungen der Freiheit, die immer gefährlicher werden!
Wir werden zu gegebener Zeit auf diese Dinge bei der Etatberatung zurückkommen, und wir werden den Katalog unserer Beanstandungen dann zu vertreten haben.
Was wir heute zu dieser Maßnahme des Innenministeriums feststellen müssen, ist, daß der Versuch gemacht wird, den Bundesjugendplan zu einem Regierungslenkungsinstrument zu machen.
Das ist ja, meine Damen und Herren, nicht der erste Fall! Diesmal ist es ein Fall, der aus unserer Richtung beanstandet wird. Die „Liberale Studentenzeitung" hat vor einiger Zeit daran erinnert, daß dem Verband Deutscher Studentenschaften mit dem Entzug der Bundesjugendplan-Mittel gedroht wurde, als er die Beteiligung der Studentenschaft am Technischen Hilfswerk ablehnte.
Die „Liberale Studentenzeitung" hat an einen zweiten Fall erinnert: daß das Bundespresseamt seinen Zuschuß für die Deutsche Studentenzeitung davon abhängig machte, daß sie eine Veröffentlichung der Arbeitsgemeinschaft demokratischer Kreise abdrucke,
jener völlig privaten Wahl- und Propagandahilfsinstitution der Bundesregierung.
Herr Minister, ich weiß nicht, ob es zu Ihrer Kenntnis gelangt ist, daß Ende des Jahres Ihr persönlicher Referent in einer Unterhaltung, an der nicht nur ein Vertreter des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes teilgenommen hat, sondern auch der stellvertretende Bundesgeschäftsführer der CDU, erklärt hat, daß die Mittel des Ministeriums — überhaupt schon eine merkwürdige Definition bei Mitteln, die das Parlament zur Verfügung gestellt hat —, dazu da seien, die Politik der Bundesregierung zu popularisieren.
Diese Erklärung des Vertreters Ihres Ministeriums hat nicht nur den scharfen Widerspruch des Vertreters des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes gefunden, sondern — um der Wahrheit die Ehre zu geben — auch der stellvertretende Geschäftsführer der CDU hat dieser Auffassung Ihres Ministerialvertreters schärfstens widersprochen. Aber eine solche Haltung ist charakteristisch, und ich hoffe, daß nach einer Überprüfung der Herr Bundesinnenminister in aller Form wenigstens erklären wird, daß er eine solche Haltung nicht billigt.
Wenn es aber so wäre — unterstellen wir dies einmal —, daß alle die von mir geäußerten Befürchtungen über gewisse Absichten, den Bundesjugendplan hier zu mißbrauchen, ungerechtfertigt wären, dann bleibt für den ganzen Vorgang nur die Deutung, die ein CDU-Kollege dieses Hauses im privaten Gespräch geäußert hat, als er meinte, diese Maßnahme sei der Ausdruck des subalternen Geistes der dritten Garnitur,
und dann sollten Sie, Herr Innenminister, um so
eher bemüht sein, zu verhindern, daß das, was ursprünglich als eine jugendlich unreife Flapserei
qualifiziert wurde, jetzt nicht zu einer staatsgefährdenden Verfassungswidrigkeit dramatisiert wird, nur weil das Prestige einer Bürokratie auf dem Spiel steht, die völlig ungerechtfertigterweise das Wächteramt über den politischen Stil der Demokratie für sich in Anspruch nimmt.
Man hat versucht, aus diesem Artikel, den auch ich — ich habe es mehrfach gesagt — zu kritisieren habe und den ich hier nicht vertrete, den ich für nicht gut und für nicht glücklich halte, eine Beleidigung des Deutschen Bundestages zu machen.
— Nun, meine Herren, viele unter Ihnen rufen „Sehr richtig!". Ich hoffe, daß Sie die gleiche Empfindlichkeit gehabt haben — damals allerdings haben wir sie vermißt —, als ein Herr Dr. Emil Franzel von der „Abendländischen Akademie",
der j a auch Bundesminister nahestehen — rufen Sie nicht „aha!" —, in einem Artikel geschrieben hat, eine Staatsform, in der jeder Schafskopf wählen dürfe, müsse es sich auch gefallen lassen, daß die Schafsköpfe ihresgleichen mit einem Mandat ausstatten würden.
Der Mann macht heute in seiner Zeitung sehr intensive Propaganda, die nicht für uns spricht. Sie dürfen dreimal raten, für wen sie spricht.
— Ihre Entrüstung über Stilverletzungen und staatsgefährdende Äußerungen sollte nicht erst dann beginnen, wenn es sich um junge Menschen handelt, die Bundeszuschüsse für die Förderung ihrer Jugendarbeit bekommen, sondern Sie` haben politisch die gleiche Verantwortung gegenüber denen, die aus anderen, obskureren Geldquellen finanziert werden und nicht aus dem Bundesjugendplan.
Bereits im Dezember hat der Verfasser des Artikels in jener Zeitschrift „Standpunkt" dem persönlichen Referenten des Herrn Ministers gegenüber erklärt — und ich glaube, daß man dies mit Aufmerksamkeit zur Kenntnis nehmen sollte —, sein Artikel habe keineswegs eine Herabsetzung des Bundestags als Institution bedeuten sollen, sondern habe das Verhalten der Mehrheit des Bundestages in der konkreten Frage der Behandlung der Wiederaufrüstung im Bundestag kritisieren sollen.
Am 14. Februar 1956 hat der Sozialistische Deutsche Studentenbund offiziell als Studentenbund an den Herrn Bundestagspräsidenten einen Brief gerichtet, in dem es heißt:
Sie dürfen, sehr geehrter Herr Präsident, gewiß sein, daß unser Verband niemals eine Herabsetzung des Deutschen Bundestages als des souveränen Organs des deutschen Volkes billigen würde.
Keine weiteren Beanstandungen des Herrn Bundestagspräsidenten sind erfolgt, und wir dürfen annehmen, daß er daraufhin für sein Teil wenigstens die Sache ebenso als beendet empfunden hat wie der Immunitätsausschuß dieses Hauses. Der Berichterstatter, der nicht meiner Fraktion angehört, hat — nach dem Protokoll zitiert — dort erklärt, er sei der Auffassung, daß es sich im vorliegenden Falle einer politischen Auseinandersetzung nicht um eine Beleidigung des Bundestages in seiner Gesamtheit handeln könne. Er beantragte, die Ermächtigung zur Strafverfolgung nicht zu erteilen, und der Immunitätsausschuß hat sich dieser Auffassung einstimmig angeschlossen. So sieht die Beurteilung des speziellen Falles aus.
Fügen Sie nun die grundsätzliche Erklärung des zuständigen Ministerialbeamten hinzu, daß der Sozialistische Deutsche Studentenbund durchaus als demokratisch anzuerkennen sei, dann bleibt nur eins: die unverzügliche Aufhebung einer Maßnahme, die in dieser Form unvertretbar ist. Sie wissen, Herr Minister, daß Sie den geschlossenen Unwillen der gesamten Jugendorganisationen gegen Ihr Ministerium gerichtet haben,
— der gesamten Jugendorganisationen aller Richtungen, auch derjenigen, die Ihrer Partei nahestehen.
Die Christlich-Demokratische Studentenschaft steht in gleicher Solidarität in dieser Frage zu den sozialistischen Studenten, wie es die liberalen Studenten tun. Ihnen, Herr Minister, ist gewiß die Presseerklärung bekannt, die offensichtlich einem Teil der Kollegen der CDU unbekannt ist, die von diesen Organisationen geschlossen vertreten wurde, und in der es heißt:
Unabhängig von ihrer Haltung zu dem umstrittenen Artikel des Bundesorgans des SDS
— denn das ist eine zweite Frage, die nicht zur Diskussion steht, ob man diesen Artikel anerkennt oder nicht; es geht um die Beurteilung der Maßnahme des Ministeriums als Antwort auf den Artikel —
sind der Verband Deutscher Studentenschaften und die aus dem Bundesjugendplan geförderten Verbände der Meinung, daß die Entscheidung des Bundesministers des Innern eine grobe Verletzung der zum Funktionieren des freiheitlichen demokratischen Lebens unerläßlichen Rechtsnormen darstellt.
Es geht in der Tat nicht um den Artikel und die Beurteilung des Artikels,
in der wir sehr viel einiger sind als in der Beurteilung der vom Ministerium getroffenen Maßnahme, die ihm nicht zusteht. Wir glauben, daß aus dieser Situation sich nur eine Konsequenz ergibt, Herr Minister: die Aufhebung der Strafmaßnahme, die mit den Methoden und dem Geist der Demokratie unvereinbar ist.
Die Antwort der Bundesregierung gibt der Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Kühn hat zur Begründung der Ihnen vorliegenden Große Anfrage eine Reihe von Ausführungen gemacht, die ich nicht jetzt sofort in dieser formulierten Antwort behandeln werde. Auf einzelne seiner Ausführungen werde ich im Laufe der Debatte zurückkommen. Ich darf mich nun zunächst der Großen Anfrage zuwenden, die ich für die Bundesregierung wie folgt beantworte.
Erstens. Der damalige erste Vorsitzende des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes, Herr Ulrich Lohmar, hat in der Zeitschrift seines Verbandes „Standpunkt" vom 5. Juli 1955 einen Aufsatz unter der Überschrift „Der Kanzler will es" veröffentlicht. Dieser Aufsatz ist auch in der Sozialdemokratischen Zeitung „Freie Presse" in Bielefeld vom 29. Juni 1955 erschienen. Herr Lohmar ist ständiger Mitarbeiter dieser Zeitung und heute Redakteur in der SPD-Presse. Der Aufsatz „Der Kanzler will es" befaßt sich mit dem Beschluß des Bundestages über die Pariser Verträge. Die entscheidenden Sätze dieses Aufsatzes, um den es hier geht, lauten wie folgt:
Das gegenwärtige Treiben der Bonner Politiker ist ein einziger Schildbürgerstreich.
Dieses Parlament der Ja-Sager ist keine verantwortliche Volksvertretung mehr;
es ist dies selbst dann nicht, wenn man zugibt, daß die Mehrheit der Bevölkerung hinter der Mehrheit des Bundestages steht.
Die Aufgabe der Volksvertreter ist es nicht, immer das zu tun, was die Dümmsten für richtig halten.
Zweitens. Der Sozialistische Deutsche Studentenbund gehört zu den Organisationen, die aus Mitteln des Bundeshaushalts Zuschüsse insbesondere zur Förderung der staatspolitischen Bildungsarbeit erhalten. Wie gesagt, ist der genannte Aufsatz von dem damaligen ersten Vorsitzenden des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes an zwei Stellen veröffentlicht worden. Hier interessiert in erster Linie die Veröffentlichung in dem Bundesorgan des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes.
Drittens. Die Ausführungen von Lohmar übertreffen an Verunglimpfung alles, was bisher über den Bundestag und seine Arbeit gesagt worden ist;
sie verzichten auf jegliche sachliche Auseinandersetzung — —
Ich wiederhole den Satz: sie verzichten auf jegliche sachliche Auseinandersetzung, sondern gehen bewußt darauf aus, das Parlament in der öffentlichen Meinung herabzusetzen.
Sie verneinen den Grundsatz der Mehrheitsentscheidung, auf dem die parlamentarische Demokratie aufgebaut ist. Niemand denkt daran, der Minderheit das Recht zur Kritik zu nehmen. Hier aber wird der Mehrheit das Recht zur verbindlichen Entscheidung bestritten
und damit an dem Grundpfeiler der parlamentarischen Demokratie gerüttelt.
Wohin Gedankengänge dieser Art führen, läßt sich an einem anderen Zitat verdeutlichen, das ich hier mit Genehmigung des Herrn Präsidenten einfügen möchte:
Es ist nicht das Ziel unseres heutigen demokratischen Parlamentarismus, etwa eine Versammlung von Weisen zu bilden, als vielmehr eine Schar geistig abhängiger Nullen zusammenzustellen, deren Leitung nach bestimmten Richtlinien um so leichter wird, je größer die persönliche Beschränktheit des einzelnen ist.
Meine Damen und Herren! Ich schlage Ihnen vor, erst die Erklärung des Herrn Ministers zu hören und dann darüber zu diskutieren.
Dr. Schröder: Bundesminister des Innern: Dieses Zitat unterscheidet sich in der Sache nicht von den Lohmar'schen Formulierungen. Autor dieses Zitats ist allerdings Adolf Hitler,
und Sie finden es in „Mein Kampf" auf Seite 98/99.
Viertens. Unsere parlamentarisch-demokratische Regierungsform hat in Deutschland noch keine allzufeste Tradition.
Um so mehr können wir darum von Staaten mit alter parlamentarischer Tradition lernen.
— Sie sind freundlichst dazu aufgefordert. Vielleicht wollen Sie meinen nächsten Sätzen folgen. In Großbritannien gibt es das Vergehen des „Contempt of Parliament", das weittragende Konsequenzen nach sich zieht. Dort wäre der Autor einer
solchen Äußerung, von der gerichtlichen Verfolgung ganz abgesehen, von der öffentlichen Meinung in die gesellschaftliche und politische Acht erklärt worden, wenn er es nicht vorgezogen hätte, sich umgehend zu entschuldigen.
Ich bin sicher, er hätte sich sofort entschuldigt.
In Deutschland scheint das im Augenblick noch nicht erreichbar zu sein.
Unter diesen Umständen macht es uns der SDS durch seine Haltung unmöglich, ihn aus den Haushaltsmitteln zu fördern.
Fünftens. Die Befürchtung, daß durch uns die „Unabhängigkeit der Verbände und die Meinungsfreiheit" gefährdet werden könnte, ist nicht begründet.
Wie weit wir die Grenzen der Meinungsfreiheit ausgelegt haben, sehen Sie vielleicht am besten aus einem weiteren Aufsatz in der Mai-JuniNummer 1955 des SDS-Bundesorgans „Standpunkt". Dort heißt es:
. . . Adenauer, der bei den Westmächten den fragwürdigen Ruhm hat, als einziger zuverlässiger Deutscher zu gelten,
weil er stets tut, was man von ihm erwartet, und die amerikanische Außenpolitik in Deutschland vertritt,
statt die deutschen Interessen den Alliierten nahezubringen, bestärkt die allgemeine Beunruhigung durch die absurde Behauptung, die Lösung aus der NATO würde den Sieg der Volksdemokratie in Deutschland bedeuten.
Der Verfasser dieses Aufsatzes heißt Schoenberner. Auch dies ist wie weitere Ausführungen im Lohmarschen Aufsatz „Der Kanzler will es" ein überscharfer, ein beleidigender Angriff auf die Politik der Bundesregierung, insbesondere auf die Person des Bundeskanzlers. Ein Angriff dieser Art hat einem hervorragenden Mitglied von der linken Seite dieses Hauses in der 1. Legislaturperiode den Ausschluß von vielen Sitzungstagen eingebracht. Gleichwohl haben wir diese Ausfälle des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes ohne Konsequenzen gelassen.
Erst der unqualifizierbare Angriff auf den Bundestag selbst, den unmittelbaren Ausdruck des
Volkswillens und die Verkörperung der Gesamtheit, hat zu der hier erörterten Folge geführt.
— Herr Arndt, wer von uns lesen kann, brauchen wir nicht zu erörtern.
Sechstens. Die Mittel zur Jugend- und Studentenförderung dienen nach dem Willen des Bundestags der staatsbürgerlichen Bildung. Sie sollen, wie es in den Richtlinien des Bundesjugendplans heißt, helfen, „das staatsbürgerliche Verantwortungsbewußtsein zu wahren und zu vertiefen". Wir können unmöglich die Mittel für das Gegenteil der für sie festgelegten Zielsetzung mißbrauchen lassen.
Wir entsprechen also gerade der im Haushaltsgesetz selbst vorgesehenen Zweckbestimmung.
Die Sperre gilt so lange, bis der SDS in gehörigen Formen
zu erkennen gibt, daß er sich von dieser Verunglimpfung der deutschen Volksvertretung distanziert.
Siebentens. Es wird ferner danach gefragt, warum das Beratungsgremium für Jugendfragen nicht vorher eingeschaltet worden sei. Die Antwort ergibt sich aus dem, was ich oben ausgeführt habe. Hier liegt ein ganz ungewöhnlicher Angriff auf das Parlament selbst vor.
Dieser Angriff ist nicht aus der Perspektive einer
Jugendangelegenheit, sondern nach grundsätzlichen staatspolitischen Erwägungen zu behandeln.
Achtens. In der Zwischenzeit haben sich verschiedene Seiten darum bemüht, diesen Vorfall zu bereinigen. Leider hat der Sozialistische Deutsche Studentenbund das Grundsätzliche in der Auseinandersetzung nicht erkannt. Es geht nicht um eine Interpretation der Ausführungen von Lohmar, sondern es geht um die Distanzierung von der Verunglimpfung des Parlaments.
Dazu fanden sich die jungen Leute des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes nicht bereit. Sie
beriefen sich darauf, daß sie ja Anhänger des freiheitlich-demokratischen Staates seien und daß demnach die Kritik ihrer Verbandszeitschrift nicht böse gemeint sein könne. Meine Antwort kann nur lauten: Gerade wenn sie sich für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einsetzen, gerade wenn sie sich zu dem politisch aufgeweckten Teil der deutschen Universitätsjugend zählen, dann müssen sie erst recht bei ihrer Kritik — und das Recht dazu soll ihnen unbenommen bleiben — eines beachten, daß nämlich keineswegs bei jedem Leser oder Zuhörer das Bewußtsein für die Vorzüge der freiheitlichen Gesellschaftsordnung und ihrer Institutionen lebt und wach ist.
Ich habe von den jungen Leuten des SDS nichts anderes gefordert als ein Wort der Distanzierung. An meiner Bereitwilligkeit, diese Sache in gehörigen Formen zu erledigen, hat sich auch inzwischen nichts geändert.
Neuntens. Der Bundesjugendplan will nach seinen Grundsätzen der Jugend helfen, sich u. a. auf ihre künftige Verantwortung in Volk und Staat vorzubereiten. Ich möchte daher die Beantwortung der Großen Anfrage schließen, indem ich an den Staatsakt für den verstorbenen Präsidenten des Deutschen Bundestages Hermann Ehlers erinnere, an die Trauerkundgebung hier in diesem Saale am 2. November 1954. Damals hielt der Vizepräsident des Hohen Hauses, Herr Professor Schmid, eine Ansprache, die alle Zuhörer tief beeindruckte. Professor Schmid würdigte den großen Toten als den „getreuen Eckart" des Parlaments, als den „Hüter und Verteidiger seiner Rechte". Hermann Ehlers, so sagte Professor Schmid rühmend,
hat gewußt, daß die Demokratie, die Herrschaft des Volkes, nur dort ihre Wurzeln fest in das Erdreich der Nation zu senken vermag, wo sie fordernd und Achtung heischend auftritt. Und darum hat er, auch in den äußeren Symbolen und in der Art der Vergegenwärtigung des Parlaments nach innen und nach außen, eifersüchtig darüber gewacht, daß die
anderen Gewalten des Staates diesem
obersten Organ der Volksherrschaft,
den Respekt erwiesen, der einer Körperschaft gebührt, die unmittelbarer Ausdruck des Volkswillens ist.
Professor Schmid sagte weiter:
Das vom Volke gewählte Parlament sollte — nach Hermann Ehlers' Willen —
Träger und Verwirklicher dieser Autorität sein, dem gegenüber es im politischen Bereich keine Autorität höheren
— oder gleichen — Ranges geben könne.
Im Parlament soll der „Träger der Legitimität" gesehen werden, „wie man in früheren Zeiten ihn in der Krone sah".
Dieses Bewußtsein bis zur Kraft eines, Bekenntnisses im Volke zu verbreiten und, wo
es schon vorhanden sein mochte, zu vertiefen, dem galt sein oberstes Bemühen.
Meine Damen und Herren, von diesem Bemühen allein läßt sich die Bundesregierung in ihrer Beurteilung des vorliegenden Falles leiten!
Meine Damen und Herren, wünschen Sie eine Besprechung der Großen Anfrage?
— Das ist der Fall. Dann beginnen wir mit der Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Majonica.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mir wird von der linken Seite des Hauses entgegengerufen, ich sei „Berufsjugendlicher". Ich darf Sie bitten, im Handbuch nachzusehen: Ich bin Anwalt; vielleicht beruhigt Sie das!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir dürfen der sozialdemokratischen Fraktion dankbar sein, daß sie durch die Große Anfrage, Drucksache 2217, diese Angelegenheit heute vor dieses Hohe Haus, vor das Parlament gebracht hat. Wenn ich etwas in der Angelegenheit vermißt habe, dann das, daß wir uns nicht schon viel früher mit dieser massiven Beleidigung des gesamten Parlaments beschäftigt haben.
Ich meine, daß es Angelegenheit des Parlaments ist, dann, wenn es angegriffen wird, sich mit den Angreifern auseinanderzusetzen.
Wenn Sie, Herr Kollege Kühn, heute versucht haben, in einer meines Erachtens unzulässigen Verschiebung der Akzente
zwischen der Beleidigung des Parlaments und der Sperrung der Mittel viel zu sehr die Sperrung der Mittel in den Vordergrund zu schieben, um die Beleidigung des Parlaments in den Hintergrund treten zu lassen,
dann haben wir uns zunächst einmal ausführlich mit der Frage der Beleidigung zu befassen. Und ich darf Ihnen noch ein Weiteres sagen, Herr Kollege Kühn: Ich glaube, daß die Entschuldigung für diesen Artikel, die Sie hier vorgebracht haben, in Wirklichkeit eine neue Bestätigung von Form und Inhalt dessen gewesen ist, wie der Sozialistische Deutsche Studentenbund das Parlament beleidigt hat.
Sie haben hier von einer „törichten Politik" gesprochen. Ich muß diesen Ausdruck „töricht" zurückweisen. Ich glaube, daß wir diesen Ausdruck niemals auf die sozialdemokratische Fraktion und
auf die sozialdemokratische Politik angewandt haben.
Nun darf ich auf den Wortlaut selbst, der hier zur Debatte steht, und auf die Frage, die hier diskutiert worden ist, zurückgehen. Ich darf zu einigen Punkten, ohne daß ich den Wortlaut, der hier dankenswerterweise schon zweimal zitiert worden ist, noch einmal zitieren möchte, auf das Wesentliche hinweisen, was aus diesem Artikel spricht. Hier ist nämlich zunächst nicht eine politische Persönlichkeit beleidigt worden; das geschieht im selben Artikel und ist häufig genug im „Standpunkt" geschehen. Hier ist auch nicht eine politische Gruppe oder eine politische Partei beleidigt worden, sondern hier ist das Parlament beleidigt worden.
Wenn Herr Kollege Arndt soeben den Zwischenruf gemacht hat: „Nein, das ist nur die Mehrheit gewesen", dann darf ich darauf hinweisen, Herr Kollege Arndt, daß ich es für selbstverständlich halte, daß ein Mitglied des Sozialistischen Studentenbundes bei Beleidigung des Parlaments seine eigene Fraktion ausnimmt; denn ich bin der Meinung, ohne Sie mit Hitler oder der NSDAP zu vergleichen, daß auch bei den Worten, die Herr Bundesinnenminister Dr. Schröder aus „Mein Kampf" zitiert hat, Hitler nicht gerade an seine eigene Fraktion gedacht hat, obwohl das vielleicht in diesem Zusammenhang richtig gewesen wäre.
Ich darf weiter sagen, daß es sich hier — auch das ist leider in den Ausführungen von Herrn Kühn nicht zum Tragen gekommen — nicht um irgendein Mitglied des Sozialistischen Studentenbundes handelt, daß hier nicht irgendein unwesentlicher Diskussionsbeitrag geleistet worden ist, sondern dieser Artikel — das muß mit großem Nachdruck betont werden, um ihn richtig würdigen zu können — ist von dem damaligen Bundesvorsitzenden des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes geschrieben worden. Und dann kann man doch nicht einfach hieran vorbeigehen und sagen, es sei irgendein Jugendlicher gewesen, der diese Dinge in irgendeiner überstürzten Hast vorgetragen habe. Was muß ein Bund für eine Ordnung haben, wenn er „irgendeinen Jugendlichen" zu seinem Bundesvorsitzenden wählt! Ich meine, auch das muß in diesem Zusammenhang hier gesagt werden.
Wir sind in Deutschland Angriffe auf das Parlament gewohnt, und wir sind sicherlich auch nicht besonders zimperlich, wenn Radikale das Parlament angreifen. Sicherlich soll auch hier diesen Angreifern mit allen legalen Mitteln entgegengetreten werden. Alle Angreifer sollen wissen, daß im Gegensatz zur Weimarer Republik unser heutiger Staat, unsere heutige Demokratie nicht Selbstmord ist.
Aber hier ist ja nicht von irgendeinem Radikalen, von irgendeinem Radikalinski ein Angriff auf das Parlament geübt worden, sondern der Angriff kommt von dem Zweig einer großen, unzweifelhaft demokratischen Partei. Ich glaube, gerade das ist das besonders Bedenkliche, was hieraus spricht.
Die Demokratie, die freiheitliche Grundordnung unseres Staates manifestiert sich gerade in ihren Organen, vor allen Dingen in ihrem Parlament. Wer die Demokratie angreifen will, wer den freiheitlichen Staat und die freiheitliche Grundordnung angreift, greift zunächst einmal das Parlament an, um diese freiheitliche Grundordnung zu zerstören. Der Herr Bundesinnenminister hat ja soeben in seiner Regierungserklärung dafür Beispiele gegeben.
Gerade Sie, meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion, haben doch in diesem Hause so oft gegen die Exekutive und für die Würde des Parlaments gekämpft, wenn Sie glaubten, daß die Exekutive der Würde des Parlaments nicht gerecht würde. Sie haben dabei unsere Unterstützung gefunden. Warum aber haben Sie diese Meinung nicht vertreten, wo es sich um eine Gliederung Ihres eigenen politischen Raumes handelte?
Es gibt im Englischen ein Sprichwort „Charity begins at home" — die Achtung vor der politischen Würde, vor allen Dingen vor der Würde des Parlaments, beginnt im eigenen politischen Raum; sonst muß man es sich gefallen lassen, daß einem vorgehalten wird, daß man den Kampf für die Würde des Parlaments nur von Zeit zu Zeit als ein Mittel des politischen Kampfes Anwendung finden lassen will.
Das geht nicht.
Diese politische Entgleisung des damaligen Bundesvorsitzenden des sozialdemokratischen Studentenbundes
erscheint mir im wesentlichen — darin mögen Sie eine gewisse Entschuldigung sehen — als das Ergebnis einer Propaganda, die leider von Ihnen gestartet worden ist. Es ist immer so, daß man zunächst gegen Einzelerscheinungen eines Staates, einer Gesellschaft Sturm läuft und Propaganda treibt, zuletzt aber dann den gemeinsamen Staat in Frage stellt.
Ich denke hier vor allen Dingen an die „Ohnemich-Propaganda", eine Propaganda, die, wie ich befürchte, jetzt bei der Diskussion Berufswehrmacht oder allgemeine Dienstpflicht in veränderter Form wiederaufleben wird. Wenn Sie aber, meine Damen und Herren, den jungen Menschen auffordern, sich einer bestimmten Pflicht zu entziehen, wird er sich zum Schluß der gesamten Pflicht gegenüber seinem Volke, gegenüber seinem Staate entziehen. Dann bricht er einfach aus der Gemeinschaft seines Staates aus.
Ich muß sagen, daß wir ein leider sehr trauriges Beispiel dieser Gesamtverneinung in Tübingen gefunden haben.
— Ja, ich darf Sie vorher darauf aufmerksam machen, daß Ihr Pressedienst PPP sich gestern von diesem Tübinger Ereignis distanziert hat.
Herr Abgeordneter Majonica, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja.
Herr Abgeordneter Schmidt zu einer Zwischenfrage!
Herr Kollege Majonica, Sie geben diesem Artikel eine außerordentlich große Bedeutung. Wie erklären Sie sich eigentlich, daß sich Ihr Parteikollege, dessen Äußerungen Herr Kühn vorhin zitiert hat, in voller Kenntnis des Sachverhalts seinerzeit ganz anders ausgedrückt hat? Wie erklären Sie sich eigentlich die Tatsache, daß Ihre Kollegen im Immunitätsausschuß die Dinge gewichtsmäßig ganz anders bewertet haben? Muß man nicht den Eindruck gewinnen, daß Sie, um die unvertretbaren Maßnahmen der Bürokratie des Herrn Bundesinnenministers zu verdecken, heute einer Sache, die längst gewesen ist,
nachträglich ein politisches Gewicht geben, so daß vielmehr Sie sich hier einer Akzentverschiebung schuldig machen?
Ich darf zunächst einmal für diesen ausführlichen Diskussionsbeitrag vom Kollegen Schmidt danken. Ich möchte sagen, daß ich hier zunächst einmal eine eigene politische Meinung vertrete. Wir sind in unserer Fraktion gar nicht so konform, daß jeder immer den anderen vertreten muß, sondern ich vertrete hier meine eigene politische Überzeugung.
Nun darf ich zu dem Tübinger Ereignis kommen. Sie haben zwar gestern im PPP eine Distanzierung des Bundesvorstands des Studentenbundes von dem Tübinger Ereignis gebracht, aber ich muß doch sagen: reichlich spät. Dieses Ereignis ist meines Erachtens zum erstenmal in „Christ und Welt" am 5. April dieses Jahres veröffentlicht worden. Es hat dann in einer ganzen Reihe anderer Publikationsorgane seinen Niederschlag gefunden. Ich denke an den „Heimkehrer", die Stimme des Heimkehrerverbandes, ich denke an eine ganze Reihe von Tageszeitungen. Erst jetzt, als es feststand,
daß diese Debatte in diesem Hause stattfinden würde, kam eine Distanzierung zu diesem Artikel. Aber selbst wenn Sie sich distanziert haben, hat es dieses Ereignis immerhin im Rahmen des Sozialistischen Studentenbundes gegeben. Daran können Sie nicht vorbeigehen. Das ist dagewesen. Das hat im Aushangkasten Ihres Studentenbundes gehangen, und der Vorsitzende des Studentenbundes in Tübingen hat diesen Diskussionsbeitrag begrüßt als einen Auftakt „für eine von Vorurteilen ungetrübte, von Verunglimpfungen freie, aber fundamentale Diskussion".
— Jetzt lassen Sie mich diese Dinge vorlesen, Herr Kollege Wienand; dann können Sie Ihre Fragen dazu stellen. Ich bin sogar gern bereit, Ihnen eine Gesamtabschrift davon zuzustellen. — Ich darf vielleicht nur einige wenige Dinge aus diesem Artikel
Ihnen vorlesen, die, wie gesagt, vom Vorsitzenden des Studentenbundes in Tübingen als fundamentaler Diskussionsbeitrag bezeichnet worden sind. Hier heißt es unter anderem:
Wir halten jeden, der sich der neuen Wehrmacht
anschließt ,
für opportunistisch oder massiv beschränkt.
Wenn die Wehrmacht schon aufgestellt wird, dann soll das nicht allein ohne uns geschehen, es soll gegen uns geschehen. Wir wollen, wo immer wir können, die Brutalität und Geriebenheit der soldatischen Schlägermoral an den Pranger stellen.
Man wärmt uns neuerdings die Begriffe auf, die schon zweimal Millionen von Menschen Prothesen und Himmelfahrt eintrugen — allen voran das Wort „Vaterland". Wir sagen dazu:
— Und jetzt kommt der eigentliche Satz, der in Tübingen von Ihnen und Ihren Freunden zur Diskussion gestellt worden ist —
Es ist besser, zehnmal sein Vaterland zu verraten, als einmal fürs Vaterland zu sterben.
— Einen Augenblick! Ich darf Ihnen diesen Ausdruck „von Ihnen" erklären. Soviel ich weiß, ist der Sozialistische Deutsche Studentenbund ein Organ der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.
— Wollen Sie davon abrücken? Gut, dann können Sie sich ja nachher hiervon distanzieren. Ich würde es sehr begrüßen, wenn man sich hiervon distanzieren würde.
Es heißt dann weiter:
Wichtig ist freilich die Wahrung soldatischen Erbes: die Rabauken- und Gaunermoral des alten deutschen Kämpfers.
Nun, meine Damen und Herren, ersparen Sie mir, weiter aus diesem Pamphlet, das einen wirklich anekelt, vorzulesen. Ich glaube, Sie werden mit mir alle einer Meinung sein, daß es sich hier nicht um einen Diskussionsbeitrag handelt, sondern einfach um eine Verunglimpfung des deutschen Soldaten, wie wir sie bisher noch nie gehört haben.
— Ich glaube, Herr Kollege Wienand, daß Sie sich das Wort „Jetzt kommt die Platte auch noch" nicht richtig überlegt haben. Ich glaube, ich gehe besser nicht darauf ein.
Ich darf aber den Kernsatz, um den es hier geht, noch einmal vorlesen:
Es ist besser, zehnmal sein Vaterland zu verraten, als einmal fürs Vaterland zu sterben.
Hier wird doch einfach jedes Opfer abgelehnt. Hier wird doch zum Landesverrat in seiner schärfsten Form aufgerufen. Und ich darf noch einmal sagen: Sie haben sich davon distanziert, leider sehr spät distanziert.
Aber wenn Sie sich in dieser Frage distanzieren, warum dann nicht auch in der Frage, die heute zur Diskussion steht?
Warum sind Sie dann nicht in dieser Frage ganz deutlich abgerückt?
Dann brauchte diese Angelegenheit heute in diesem Hause nicht erörtert zu werden.
Herr Abgeordneter Majonica, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Wenn wir hier gemeinsam einen Appell an unsere christliche Gesinnung richten würden, Herr Mellies, dann brauchte diese Debatte heute in diesem Hause gar nicht stattzufinden.
Dann darf ich dazu sagen: Selbstverständlich glaube ich, daß Ihr Vorstand jetzt in diesen Tagen erst zusammentritt, aber — —
— Der Vorstand, gut, gut! Also ich werde mich in Zukunft bemühen, den Sozialistischen Studentenbund und die Sozialdemokratische Partei Deutschlands sehr sorgfältig zu trennen. Ob das auch Ihren Studenten so gefällt, weiß ich nicht.
Aber ich darf dazu folgendes sagen. Wenn der Vorstand auch erst in diesen Tagen zusammengetreten ist, meine ich doch, daß ein Bundesvorsitzender Macht genug haben sollte, sich von einer solchen Sache auch ohne Sitzung des Vorstands distanzieren zu können.
Aber ich darf vielleicht auch das noch dazu sagen: Tübingen und der hier zur Debatte stehende Artikel sind meines Erachtens — und da werden Sie mir vielleicht zustimmen — Zeichen dafür, daß unser politisches Klima, daß unser politischer Stil im allgemeinen nicht so ist, wie gerade wir als junge Menschen in der politischen Auseinandersetzung es haben möchten.
Ich meine, wir sollten uns gemeinsam darum bemühen, diesen politischen Stil zu bessern.
Gerade die Reserviertheit der Jugend gegenüber unserem Staat kommt ja daraus, daß wir den echten Stil, der auch die Jugend anspricht, bisher noch nicht gefunden haben, und ich bedauere es deshalb so ganz besonders, daß die Ereignisse, die wir heute hier diskutieren müssen, in dem Raum der Jugend vorgekommen sind; denn gerade wir jungen Menschen sollten uns gemeinsam in allen politischen Gruppierungen um eine Besserung der Verhältnisse bemühen. Ich weiß, daß das eine sehr schwierige Aufgabe ist; denn es ist viel leichter, einen andern zu verdächtigen, als sich sachlich mit ihm auseinanderzusetzen.
— Ich freue mich über Ihre Zustimmung. Vielleicht können wir dann gemeinsam zu einer Besserung der Verhältnisse kommen, wenn Sie diese Zustimmung auch in die Tat umsetzen.
Gerade diese politische Verdächtigung zeichnet sich bei der Frage der Wiedervereinigung ab. Wir wissen doch alle, daß die Frage der Wiedervereinigung uns allen als erstes nationales Anliegen am Herzen liegt. Jede demokratische Partei sollte über den Verdacht erhaben sein, in der Frage der Wiedervereinigung nicht alles zu tun, was zum Erfolg führen kann. Ich betrachte es gerade als eine besondere Verwilderung der politischen Sitten, wenn diese Verdächtigungen im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung aus konfessionellen Gründen heraus gespeist werden und damit einem großen Teil unseres Volkes, so wie zur Zeit der Weimarer Republik, die nationale Zuverlässigkeit einfach abgesprochen wird.
— Ja, fragen Sie einmal! Jetzt muß ich mich an sich etwas mehr nach rechts wenden, denn bei diesen letzten Worten habe ich mehr an Herrn Dehler als an die Sozialdemokratische Partei Deutschlands gedacht.
Nun glaube ich aber, daß wir aus der gemeinsamen Vergangenheit, gerade auch in den einzelnen Konfessionen, soviel gelernt haben — und das sei Herrn Dr. Dehler ganz besonders gesagt —, daß, wer eine Konfession in Deutschland angreift, immer zur gleichen Zeit beide angreift.
An dieser Vergiftung der politischen Atmosphäre und des politischen Klimas haben sich nicht nur Politiker, sondern auch gewisse Publikationsorgane beteiligt. Ich möchte die „Stimme der Gemeinde", zum Teil auch den „Spiegel" nennen und hier mit besonderem Nachdruck wieder darauf hinweisen, daß die Vergiftung unserer Atmosphäre durch Ressentiments und Komplexe betrieben wird, die wiederum hauptsächlich aus dem konfessionellen Bereich hervorgeholt werden.
Wir sollten uns mit allen Mitteln bemühen, dies nun abzustellen. Mag aber das vergiftete politische Klima die Entgleisungen des Studentenbundes erklären, entschuldigt werden können sie dadurch nicht.
Ich möchte nun im einzelnen auf die Fragen eingehen, die hier vom Kollegen Kühn behandelt worden sind und die in der Großen Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion ihren Niederschlag gefunden haben.
Zur ersten Frage: Dem Willen des Bundestages gemäß soll der Bundesjugendplan all den Verbänden, die auf dem Boden des demokratischen Staates stehen, Hilfe zuteil werden lassen. Von meinem Standpunkt aus leisten all diese Verbände eine sehr wertvolle Arbeit, und es muß unser gemeinsames Bemühen sein, nicht solche Redewendungen wie „Jugendfunktionär" oder sogar das Wort vom „Berufsjugendlichen", das mir eingangs zugerufen wurde, zu gebrauchen, sondern nachdrücklich zu erklären, daß verantwortungsbewußte und staatserhaltende Arbeit gerade durch diese Verbände geleistet wird. Ich danke dem Bundesinnenministerium, dem Haushaltsausschuß und allen Damen und Herren, die daran mitgewirkt haben, daß gerade im studentischen Bereich die Leistungen laufend erhöht werden konnten, um diese Arbeit zu fördern. Im laufenden Haushaltsjahr sind 350 000 DM für Verbandsarbeit, 1,6 Millionen DM für Studentenwohnheime und 4 Millionen DM für Flüchtlingsstudenten ausgegeben worden. Daß an diesen Mitteln der SDS bisher paritätisch beteiligt worden ist, ist eine Selbstverständlichkeit. Das erste Ziel beim Einsatz aller dieser Mittel, die im Zusammenwirken von Bundestag und Bundesregierung verteilt wurden, war eben die Begegnung der Jugend mit unserem demokratischen Staat. Ich bin der Meinung, daß die Weimarer Republik im wesentlichen daran gescheitert ist, daß diese Begegnung von Jugend und Staat nicht stattgefunden hat und daß wir deshalb mit allen Mitteln bemüht sein müssen, diese Begegnung herbeizuführen.
Es heißt dann in den Richtlinien zum Bundesjugendplan: Diese Mittel sollen aufgewandt werden, um das staatsbürgerliche Verantwortungsbewußtsein zu wahren und zu vertiefen. Ich muß sagen, daß ich in diesen Vorkommnissen das Verantwortungsbewußtsein, das die Richtlinien erfordern, nicht erkennen kann. Ich meine, hier handelt es sich um das genaue Gegenteil. Der Herr Bundesinnenminister hat nach meinem Ermessen völlig im Einklang mit diesen von uns aufgestellten Richtlinien gehandelt, wenn er dem Mißbrauch der Mittel entgegengetreten ist. Hätte er das nicht getan, hätte er sein Amt als demokratischer Minister nicht richtig ausgeübt.
Wir erwarten, daß der Minister auch in Zukunft jeden Mißbrauch der Mittel in überparteilicher Weise verhindert. Wir bitten ihn aber sehr dringend, wenn sich wiederum ein solcher Fall ereignen sollte, das Parlament unmittelbar zu informieren, damit wir hier als die einzig zuständige Stelle uns mit diesen Dingen auseinandersetzen können.
Wir begrüßen vor allen Dingen auch die Erklärung des Herrn Bundesinnenministers, daß dann, wenn der Sozialistische Deutsche Studentenbund sich von seinen unqualifizierten Beleidigungen des Parlaments distanziert, die Mittel weiter geleistet werden sollen. Ich finde, daß hier doch eine goldene Brücke für die Studenten gebaut worden ist, und ich finde, daß man sich nicht aus Prestigegründen, aus irgendwelchem Beharren auf einem einmal eingenommenen Standpunkt weigern sollte, diesem Entgegenkommen auch seinerseits entgegenzukommen.
Gerade in diesem Zusammenhang darf ich Sie darauf hinweisen, daß das letzte Verhalten des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes ja auch dazu geführt hat, daß die vielleicht anfänglich vorhandene Bereitwilligkeit anderer Studentenverbände, seinen Standpunkt zu vertreten, nicht mehr besteht. Der Ring Christlich-Demokratischer Studenten schreibt nämlich:
Der Herr Bundesinnenminister hat in den letzten Wochen persönlich versucht, die Auseinandersetzung mit dem SDS beizulegen. Er ging dabei nach wie vor davon aus, daß der SDS demokratisch integer und grundsätzlich förderungswürdig sei. Leider blieben seine Bemühungen jedoch erfolglos. Die Versteifung der Fronten veranlaßt den RCDS zu der Feststellung, daß hier von der Seite des SDS her die Gelegenheit gesucht wird, eine Bedrohung der Meinungsfreiheit zu konstruieren, was politisch ausmünzbar erscheint.
Hierzu kann der SDS die Zustimmung weder des RCDS noch der Mehrheit der übrigen Studentenverbände erwarten.
Gerade aus diesem letzten Verhalten hat der Ring Christlich-Demokratischer Studenten die Folgerung gezogen. Er hat, weil der SDS nicht bereit war, dem Bundesinnenminister entgegenzukommen, diese Konsequenzen gezogen.
Es wird doch vom Sozialistischen Deutschen Studentenbund nur verlangt, sich zu distanzieren. Ich meine, das ist keine unzumutbare Forderung. Wenn er aber nicht bereit ist, diese Distanzierung vorzunehmen, dann ist er — und ich glaube, das ist ein hartes, aber richtiges Wort — auch nicht mehr förderungswürdig.
— Nein, das ist kein Erpressungsakt, sondern hier wird nur verlangt, daß der Anlaß für die Sperrung der Mittel vom SDS beseitigt wird. Das hat mit einer Erpressung nichts zu tun, sondern das ist eine sehr richtige und gute Forderung, die aufgestellt worden ist.
Herr Abgeordneter Majonica, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Herr Abgeordneter Wittrock zu einer Zwischenfrage!
Herr Kollege, wenn es zutreffend ist, daß hier eine Beleidigung des Bundestages vorliegt, dann ist doch das angemessene Mittel das Mittel des Strafprozesses und nicht — —
— Herr Kollege, wenn eine Beleidigung des Parlaments vorliegt, dann ist das entsprechende Mittel, um eine derartige Beleidigung zu ahnden, das strafprozessuale Mittel. Und, Herr Kollege, glauben Sie nicht, — —
Herr Abgeordneter Wittrock, Sie müssen schon eine Frage stellen und nicht eine Bemerkung machen.
Herr Kollege, glauben Sie nicht, daß eine Korrumpierung der Jugend eintritt, wenn Beleidigungen dadurch geahndet werden, daß man einer Organisation die finanziellen Möglichkeiten zu ihrer staatspolitischen Betätigung streicht?
Ich darf auch auf diesen Diskussionsbeitrag antworten. Zu eins halte ich es nicht für das richtige Vorgehen, zwischen Parlament und Jugendverband mit Strafprozessen zu kommen.
Ich gaube nicht, daß das gerade die richtige Methode ist, diese Verhältnisse zu regeln.
Und zu zwei handelt es sich hier gar nicht darum, eine Beleidigung zu sühnen, sondern es handelt sich darum, die Förderungswürdigkeit des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes dadurch, daß er sich von dieser Beleidigung der Volksvertreter distanziert, wiederherzustellen. Das ist ganz klar das Problem.
Ich darf aber jetzt zur zweiten Frage übergehen.
— Jetzt möchte ich auch einmal zu Ende kommen. Sie können dann am Schluß die Frage stellen. Ich lasse jetzt keine Frage mehr zu.
Man kann ja aus einem Referat hier nicht ein Zwiegespräch machen.
Meine Damen und Herren, es ist das geschäftsordnungsmäßige Recht eines Abgeordneten, eine Frage nicht zuzulassen.
Herr Präsident, ich mache darauf aufmerksam, daß Herr D r. Arndt gesagt hat, ich hätte die Unwahrheit gesagt. Ich hoffe, daß Herr Dr. Arndt am Schluß meines Referats den Wahrheitsbeweis für diese Behauptung antritt.
— Nein, jetzt nicht.
Ich bitte, den Redner zu Ende reden zu lassen.
Ich bin zweitens der Meinung, daß die Unabhängigkeit — —
— Die werden Sie am Schluß stellen können. Ob ich Angst vor Fragen habe oder nicht, Herr Dr. Arndt, das können Sie, glaube ich, gar nicht entscheiden.
— Ja, eben, eben! Sie werden gleich noch Gelegenheit genug haben. Ich glaube, Sie haben von Ihrem Fragerecht bisher heute nachmittag gar nicht so zaghaft Gebrauch gemacht.
Ich darf zur zweiten Frage kommen. Ich bin zunächst einmal der Ansicht, daß die Meinungsfreiheit und die Unabhängigkeit des Verbandes nicht unmittelbar gefährdet worden sind. Unmittelbare Maßnahmen sind weder gegen den Schreiber noch gegen das Blatt ergriffen worden. Herr Lohmar schreibt weiter, der „Standpunkt" erscheint weiter, ohne daß irgend etwas hier geschehen ist. Ich glaube, meine sehr verehrten Herren und Damen von der SPD, bei anderen Angriffen auf die parlamentarische Demokratie hat die SPD erheblich schärfere Maßnahmen gefordert, als sie hier vom Herrn Bundesinnenminister eingeleitet worden sind.
Man stelle sich nur einmal Ihre Reaktion vor, wenn diese Beleidigung des Parlaments von einer andern Seite des Hauses erfolgt wäre als von Ihrer!
Hart im Geben, schwach im Nehmen, so kann es nun einmal in der Demokratie nicht sein.
Ich darf gerade zu dieser Sache noch etwas Weiteres sagen. Herr Kollege Kühn hat hier den Fall Franzel aufgezeigt. Nun ist ja gerade der Fall Franzel ein Beispiel für eine heftige Reaktion — deren Berechtigung ich Ihnen gar nicht abstreiten möchte — aus Ihren Reihen; denn, soviel ich weiß, bezieht Herr Franzel eine Pension als Bibliotheksrat — ich bin nicht so genau informiert —, und Sie haben ein Disziplinarverfahren gegen den Herrn Franzel eingeleitet mit dem Ziel, ihm diese Pension zu nehmen. Ich weiß nicht, ob das nicht auch eine scharfe Reaktion ist, die da von Ihrer Seite gekommen ist. Hier handelt es sich doch nicht nur
darum, irgendwelchem Mißbrauch staatlicher Mittel entgegenzutreten, sondern hier handelt es sich darum, einem, soviel ich weiß, kriegsbeschädigten Mann seine Existenz zum Teil zu nehmen.
Ich erwähne das nur einmal in diesem Zusammenhang und nur deshalb, um die Schärfe der Reaktion zu erweisen. Ich habe das aus keinem anderen Grunde gesagt als aus dem, um die Schärfe der Reaktion aus Ihren Reihen auch in diesem Fall einmal unter Beweis zu stellen. Noch einmal: Hart im Geben, schwach im Nehmen, — das ist Ihr Grundsatz!
Ich glaube, ich darf also noch einmal feststellen: Was würde es für Sie bedeuten, wenn von einer andern Seite des Hauses als von Ihrer Seite eine derartige Beleidigung des Parlaments erfolgte!
Aber, meine Damen und Herren, hier geht es meines Erachtens primär — ich möchte das noch einmal herausstellen — gar nicht um die Frage der Meinungsfreiheit, sondern die Frage ist ganz einfach und klar so zu stellen: Sind Verbände, die derartige Angriffe auf die Demokratie und das Parlament richten, sind derartige Verbände, die dann nachher nicht den Mut haben, sich davon zu distanzieren, würdig, aus allgemeinen Mitteln gefördert zu werden?
Das ist die Frage, die ganz klar und deutlich beantwortet werden muß.
Ich bin der Meinung, daß Bundesmittel nicht für derartige Verbände, wenn sie sich mit diesen Dingen identifizieren, zur Verfügung gestellt werden dürfen, weil dies ganz einfach den Richtlinien, die wir dem Bundesinnenministerium mit auf den Weg gegeben haben, widerspricht.
Ich möchte doch den Grundsatz aufstellen — und ich hoffe, daß Sie diesem Grundsatz zustimmen werden —: Wer den Staat in einer solchen Weise angreift, darf nicht durch den Staat finanziert werden.
Viel schärfer, als ich es getan habe, hat zu dieser Frage die Zeitschrift „Christ und Welt" Stellung genommen. Ich empfehle Ihnen, einmal nachzulesen, was diese Zeitung im Zusammenhang mit dem Tübinger Ereignis gerade über diese Frage geschrieben hat.
Ich darf noch ein Weiteres sagen. Die Meinungsfreiheit — und ich hoffe, daß wir da auch eine gemeinsame Überzeugung haben —
ist ein sehr hohes Gut. Niemand denkt daran, daß diese Meinungsfreiheit vernichtet werden soll. Aber hier aus dem Standpunkt des RCDS — ich glaube, das haben unsere jungen Freunde sehr deutlich beobachtet —, geht ganz klar hervor, daß Sie diese Dinge hier ja mit Bewußtsein zu der heutigen Debatte getrieben haben, weil es Ihnen
großartig in den Kram paßte, nun wiederum ein Glied in der Kette zu haben:
die Freiheit des Geistes ist bedroht, der deutsche Geist darf nicht dahin wehen, wohin er will, — obgleich ich nicht ganz klar erkennen kann, ob in den hier zitierten Äußerungen der deutsche Geist irgendwie weht.
Aber ich möchte ganz deutlich und ganz klar sagen, daß diese Äußerungen, wie sie hier gefallen sind, mit echter Meinungsfreiheit nicht mehr viel gemein haben. Echte Meinungsfreiheit muß ihre Grenze da haben, wo der Staat selber in Frage gestellt wird,
oder der Staat gibt sich selber auf. Ich meine, das müßte für jeden Demokraten eine bare Selbstverständlichkeit sein.
Ich komme noch einmal auf die einzelnen Fragen Ihrer Großen Anfrage zurück. Es handelt sich bei diesem Angriff ja nicht um den Angriff eines unmaßgeblichen Mitglieds des Studentenbundes, irgendeinen unmaßgeblichen Diskussionsbeitrag, sondern es handelt sich um den Bundesvorsitzenden, und es handelt sich darum, daß der Vorstand sich davon nicht distanziert hat, sondern ihn gedeckt hat.
Deshalb möchte ich zusammenfassend deutlich feststellen, daß es sich hier nicht um eine mißbräuchliche Einflußnahme — mißbräuchlich vom Innenministerium her — auf den politischen Stil handelt. Hier handelt es sich um viel mehr als um politischen Stil. Hier handelt es sich nicht darum, einen Angriff auf die Meinungsfreiheit zu führen, sondern hier handelt es sich darum, daß Verbände, die den demokratischen Staat in seinen Institutionen angreifen
— und das Parlament ist nun einmal die vornehmste Institution in einer Demokratie —, so lange nicht für förderungswürdig angesehen werden können, solange sie sich nicht in aller Deutlichkeit von diesen Angriffen distanziert haben. Hiermit ist keine unzumutbare Forderung aufgestellt worden, sondern hier ist nur der Selbstachtung der Demokratie und der Demokraten Genüge geleistet worden.
Nun zur dritten Frage! Zustimmen möchte ich dem Herrn Minister darin, daß hier keine Frage angeschnitten ist, die zunächst einmal das Jugendkuratorium angeht, weil sie eine reine Jugendangelegenheit ist. Das ist eine Frage, die den Staat, die unser Parlament angeht. Hier soll auch nicht irgendein Kuratorium hinter verschlossenen Türen handeln, sondern hier soll der Minister handeln, den wir vor das Forum dieses Hauses zitieren können;
denn wir wollen mit ihm diese Dinge ausdiskutieren können. Diesen Grundsatz darf sich das Parlament überhaupt nicht nehmen lassen.
Damit haben wir in diesem Hohen Hause und vor der deutschen Öffentlichkeit unseren Standpunkt zu der Frage deutlich und klar dargelegt.
Ich möchte aber zum Schluß — obwohl mir Ihre Reaktion keinen großen Mut dazu gibt — auch noch deutlich sagen, daß wir uns doch hier im Hause und in der Öffentlichkeit bemühen sollten, den politisch Andersdenkenden ernster zu nehmen und nicht in ihm den Gegner zu sehen,
den man unter allen Umständen vernichten muß. Stärken wir die sachliche Auseinandersetzung!
— Nein, heute muß ich nun einmal auf Grund der Ereignisse nach links gucken, das liegt in der Natur der Sache!
— Nein, vorwärtsschauen ist die Hauptsache, Herr Kollege Wienand! Ich meine, wir sollten uns alle bemühen, in diesem Hohen Hause wirklich alle Anstrengungen zu unternehmen, daß eine sachliche Auseinandersetzung statt des Kampfes, der heute herrscht, eintritt. Wenn wir diese Aufgabe erfüllt haben, dann, meine Damen und Herren, wird in Zukunft das Hohe Haus sich nicht mehr mit so bedauerlichen Dingen auseinandersetzen müssen, wie sie heute hier auf der Tagesordnung gestanden haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmid .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte nicht die Absicht, zu diesem Punkt der Tagesordnung das Wort zu ergreifen. Aber einige sachliche Ausführungen des Herrn Innenministers und die Art der Ausführungen meines Vorredners haben mich veranlaßt, mich zum Wort zu melden.
Zunächst zu letzterem.
— Ja, dazu will ich gerade sprechen, hören Sie gut zu! — Diese Ausführungen sind so gehalten gewesen, als ob man diesem Teil des Hauses, der Sozialdemokratischen Partei, unterstellen wolle, daß sie sich voll hinter die Pamphlete stelle, von denen wir reden
und von denen einige, wie ich Ihnen hier sagen will, von mir für abscheulich gehalten werden.
— Aber hören Sie mir bitte weiter zu! Damit ist
gegen eine demokratische Partei indirekt ein Vorwurf erhoben worden, der ebenso abscheulich ist!
Denn in dieser Partei, Herr Majonica, sind im
Dritten Reich Hunderte und Tausende in den KZs
totgeschlagen worden, als einige Mitglieder der Bundesregierung noch die Uniform des Dritten Reichs trugen!
— Ich habe die Uniform der Wehrmacht getragen und war kein Goldfasan; das ist ein Unterschied.
Wenn man schon Hitler zitiert, dann sollte man
mit denen, die einmal zu Hitler geschworen haben
— nicht um ihr bißchen Stellung zu halten, sondern weil sie meinten, in ihm sei das deutsche Volk wieder auferstanden—, noch einmal „Mein Kampf" lesen und sie fragen, was sie heute darüber denken.
Herr Bundesinnenminister! Ich glaube, daß Sie mit einigen Ihrer Ausführungen sachlich nicht recht haben. Der Immunitätsausschuß dieses Hauses hat einstimmig den Beschluß gefaßt, daß sich das inkriminierte Pamphlet, von dem ja mein Freund Kühn wohl ausreichend abgerückt ist,
sich nicht gegen das Parlament als Institution richtet,
sondern die Mehrheit in diesem Parlament. Man sollte daher nicht übersehen, daß zwar parlamentarische Demokratie nicht anders möglich ist als so, daß sich die überstimmte Minderheit dem Mehrheitsbeschluß fügt und die ordnungsgemäß erlassenen Gesetze ausführt. Aber niemand kann doch diese Mehrheit zwingen, nachträglich auch gutzuheißen, was die Mehrheit beschlossen hat!
Das ist übrigens ein Lehrsatz, den ein von Ihnen sehr hochverehrter Kirchenvater in „De regime principum" — Herr Kollege Kliesing, Sie kennen das Büchlein vielleicht — deutlich genug ausgesprochen hat.
Der Staat kann von seinen Bürgern verlangen, daß sie seinen Willen ausführen, er kann nicht von ihnen verlangen, daß sie seine Absichten und seinen Willen billigen.
Das gleiche gilt von der Mehrheit. Wenn Sie das aber zugeben, dann müssen Sie einer Minderheit auch das Recht zugestehen, auch nachdem ein Gesetz ordnungsgemäß von einer Mehrheit beschlossen worden ist und daher ausgeführt werden muß, an dieser Mehrheit Kritik zu üben.
Diese Kritik mag Ihnen nicht gefallen. Sie können
aber der Minderheit dieses Recht nicht bestreiten
und sagen: Weil an dem Beschluß der Mehrheit Kritik geübt wird,
deswegen wird hier gegen die Demokratie verstoßen!
— Das ist gesagt worden, und dagegen wehre ich mich.
Es ist davon gesprochen worden, daß die Mittel des Bundesjugendplans dazu dienen sollten, die staatsbürgerliche Erziehung zu fördern. Das ist eine gute Absicht und richtig. Es wäre sehr verkehrt, wenn man Mittel auswürfe, um etwa Staatsfeinde zu fördern. Aber staatsbürgerliche Bildung, staatsbürgerliche Gesinnung fördern, heißt doch nicht den Konformismus verlangen!
Aber das ist es, was Sie offensichtlich unter Förderung staatsbürgerlicher Erziehung verstehen.
Wenn dem nicht so sein sollte, dann haben Sie Gelegenheit, durch Ihr Verhalten zu beweisen, daß ich mich in diesr Auffassung geirrt habe; aber Sie müssen das durch Ihr Verhalten beweisen
und nicht nur durch Zwischenrufe und einige Erklärungen.
Der Herr Minister hat mir die Ehre angetan, einige Worte zu zitieren, die ich anläßlich des Heimgangs unseres verehrten früheren Präsidenten Ehlers gesprochen habe, Worte, von denen ich nie in meinem Leben auch nur ein Komma zurücknehmen werde. Respekt vor dem Parlament
— gewiß! Ich sprach davon, daß der Hüter der Prärogative des Parlaments — eben sein Präsident
— darüber zu wachen habe, daß die anderen Gewalten des Staates dem Parlament den Respekt erweisen, der ihm als dem obersten Organ der Republik gebührt. Ich habe nicht immer den Eindruck gehabt, daß z. B. die ausführende Gewalt in unserem Staat unserem Parlament immer den Respekt erwiesen hat, den man z. B. in England den Unterhaus erweist.
Ich denke dabei auch an die Debatte von gestern. Die Art und Weise, wie die Bundesregierung durch ihren Vertreter auf die Fragen des Parlaments hat antworten lassen, verrät entweder ein geringes Maß von Respekt oder etwas anderes, das ich nicht qualifizieren möchte.
Sehen Sie doch die Dinge, wie sie wirklich sind. Es handelt sich um junge Leute, um Studenten. Denken Sie doch an das Wort über den Scholaren in Faust 2. Teil: „Original, fahr hin in deiner Pracht! — Wie würde dich die Einsicht kränken ..."
Denken Sie doch auch daran. Man muß diesen Dingen mit ein bißchen Humor
begegnen können.
Wenn ich von Humor spreche, meine Damen und Herren, dann meine ich allerdings nicht die Mätzchen, die man gelegentlich in diesem Hause für Humor ausgibt,
dann meine ich damit etwas anderes, dann meine ich damit eine echte Tugend, nämlich die Tugend der Großherzigkeit,
ohne die wir gerade in der Demokratie nicht auskommen können.
Was diese jungen Leute wollten, war doch nicht das, was Adolf Hitler mit den Ausführungen sagen wollte, die eben zitiert worden sind; sie wollten uns doch nicht vorwerfen, wir hätten zuviel Parlament, sondern sie wollten uns sagen, wir hätten zuwenig Parlament; das war doch der Inhalt ihres Vorwurfs.
— Ja, warum entschuldigen sie sich nicht! Sie wissen, Herr Rasner, daß Besprechungen stattgefunden haben. Ich glaube, daß bei diesen Besprechungen — ich war nicht dabei, aber ich habe davon gehört — auf beiden Seiten guter Wille gewesen ist. Nur hätte man eines nicht tun sollen: Man hätte von dieser Jugend nicht verlangen sollen, daß sie sich bei ihren Entschuldigungen unter ein kaudinisches Joch beugt.
Das darf man nicht verlangen, wenn man den Menschen nicht die Selbstachtung nehmen will.
Selbst jemand, der sich verfehlt, hat einen Anspruch darauf, daß man ihn so behandelt, daß er auf Selbstachtung nicht zu verzichten braucht, wenn er in seinem Leben weiter bestehen will;
das ist es, was ich sagen wollte, und ich weiß nicht, wer mir den Zuruf — —
Gestatten Sie eine Frage?
Ja.
Herr Professor Schmid, glauben Sie nicht, daß es gerade im Interesse der Selbstachtung viel eher erforderlich wäre, daß man den Mut hätte, Beleidigungen und Kränkungen der Ehre eines anderen zurückzunehmen?
Sicher, Herr Kollege Kliesing, das ist richtig. Ich bekenne hier offen, daß ich in meinem Leben manchmal Gelegenheit genommen habe, Beleidigungen, die mir unterlaufen waren, zurückzunehmen.
Ich schäme mich dessen nicht. Aber in diesem Fall hat man von den Jungen verlangt, daß sie dies in einer bestimmten Weise unter Verwendung bestimmter Redewendungen tun,
und ich glaube, das war nicht richtig.
Und nun kehren wir zu dem Tübinger Fall zurück! Herr Kollege Majonica, ich nehme an, daß Ihnen die Dinge nicht voll bekannt sind, so wie sie mir auch erst seit heute bekannt sind. Dieses, wie ich wiederholen möchte, abscheuliche Pamphlet ist nicht von der Studentengruppe, sondern unbefugt von einem Studenten aus der Sowjetzone angebracht worden, und die Tübinger Studentengruppe ist von dieser Sache alsbald abgerückt.
Herr Abgeordneter Majonica zu einer Zwischenfrage.
Herr Professor Schmid, in der Zeitungsnotiz, die mir zur Verfügung stand, in „Christ und Welt", war davon gesprochen, daß der Vorsitzende des Sozialistischen Studentenbundes in Tübingen, Mossmayer, diesen Beitrag als „fundamentalen Beitrag ohne Übertreibungen" begrüßt habe. Wie bringen Sie diese Meldung mit Ihrer jetzt gegebenen Darstellung in Einklang?
Vielleicht kann Ihnen mein Fraktionsfreund Heinz Kühn, der diese Dinge besser kennt als ich, nachher eine Antwort geben.
Nun, Herr Minister Schröder, es hat in der Geschichte unserer europäischen Staaten viele Polizeiminister gegeben. Es gab auch solche, die ein Gefühl für das spezifische Gewicht der Dinge hatten, mit denen sie sich beschäftigen mußten. Ich glaube, Sie haben jetzt eine Gelegenheit, durch Ihr Verhalten späteren Chronisten die Möglichkeit zu geben, zu schreiben, daß auch Sie zu diesen gehört haben.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie werden verstehen, daß ich, da ich apostrophiert worden bin, gleich noch einige Worte sagen muß. Dabei kann ich auch noch einige tatsächliche Mitteilungen machen.
Herr Kollege Schmid, „Polizeiminister", das
— Ich bin nicht die richtige Adresse für diese Art von Vorwürfen.
— Herr Kollege Mellies, der Kreis meiner Pflichten ist leider nach Gesetz und Recht schon sehr weit gezogen. Bitte, erweitern Sie ihn doch nicht unnötig!
Ich darf dann einige Worte zu dem Immunitätsausschuß sagen. Ich habe sehr sorgfältig das Protokoll über die Sitzung des Immunitätsausschusses gelesen, und ich möchte wirklich an alle Damen und Herren hier im Hause die dringende Bitte richten, sich selbst einmal dieser Mühe zu unterziehen. Ich muß aus dem Gedächtnis zitieren; es ist, glaube ich, Protokoll Nr. 14. Meine Damen und Herren, dort ist bereits vom Vorsitzenden zurückgewiesen worden - denn das war nicht etwa die einmütige Meinung des Immunitätsausschusses —, daß das hier eine Beleidigung nur eines Teils des Bundestages und deswegen wenig interessant sei. Das hatte der Berichterstatter in der Tat dort vorgetragen. Mir ist es völlig unverständlich. Ich möchte mich aber damit nicht weiter auseinandersetzen. Der Antrag war nicht von der Bundesregie-
rung gestellt. Kanzler und Bundesregierung haben es sogar abgelehnt, Strafanträge zu stellen; das, um etwas zu Ihrem Appell an die Großzügigkeit zu sagen. — Ich lege gar keinen Wert darauf, mich mit Dutzenden von Strafprozessen zu belasten. Hier geht es aber um etwas ganz anderes. Hier lag nicht nur wegen des Aufsatzes im „Standpunkt", sondern auch wegen des Artikels in der „Freien Presse" in Bielefeld ein Antrag des zuständigen Oberstaatsanwalts vor. Da hat der Bundestag davon abgesehen, wie er bei Dutzenden von Anträgen, Beleidigungsprozesse gegen Kommunisten zu führen, ebenfalls davon absieht, Strafantrag zu stellen.
— Aber ich erwähne gerade die Kommunisten. Es wird mir doch erlaubt sein, die Kommunisten zu erwähnen, mit denen ich mich ja in ziemlich erheblichen Auseinandersetzungen befinde.
— Herr Kollege Mellies, verdächtigen Sie doch nicht meine Motive! Ich sage, daß ich es im Gegensatz z. B. zu dem, was früher bei uns üblich war, allgemein abgelehnt habe, solche Strafanträge gegen Kommunisten zu stellen, weil das nicht zu dem geringsten führt und der Strafprozeß — ich muß leider hinzufügen, in unserem Vaterlande — das ungeeignetste Mittel ist, solche Dinge in Ordnung zu bringen.
Ich habe die Absicht, dieses Thema demnächst in
diesem Hohen Hause ausführlicher anzuschneiden.
— Ja, das ist eine sehr wichtige Sache. Ein Ausschuß beschäftigt sich ja im Moment mit einem verwandten Thema. Die Bundesregierung wird in aller Kürze eine Stellungnahme dazu abgeben. Das ist ein Thema, dessen wir uns durchaus gemeinsam annehmen können.
Herr Kollege Schmid, Sie haben gemeint, man sollte in einem solchen Fall die Entschuldigung leicht machen. Ich bin nach der Haltung, die Sie vorhin eingenommen haben — ich würde das von Ihnen auch nie anders annehmen —, der Überzeugung, daß Sie, wären Sie bei den Verhandlungen gewesen, die ich geführt habe, zugeben würden, daß ich bis an den Rand dessen gegangen bin, was möglich war, um es den betreffenden Herren
— ich will ihre Namen jetzt nicht nennen —, die auf meinen Wunsch bei mir waren, zu ermöglichen, aus dieser Sache herauszukommen. Sie haben, klassisch sehr gebildet, das kaudinische Joch, das ja als etwas ganz Schreckliches erscheinen muß, zitiert. Ich denke nicht daran, jedenfalls nicht in diesem Bereich, irgend jemanden unter ein kaudinisches Joch zu zwingen. Die Erledigung wäre sehr viel einfacher und leichter zu haben gewesen. Leider hatten sich die Herren in einer Weise verhärtet, die es ihnen eben nicht ermöglicht hat, auch nur mit einiger — wenn Sie mir den Ausdruck verzeihen — Eleganz aus einer solchen Sache herauszukommen, die sehr grundsätzlich ist. Das bitte ich nicht zu verkennen, Herr Kollege Schmid. Leider haben auch Sie das nicht ganz gesehen.
Es ist nicht so, als ob hier eine Mehrheit die Minderheit nachträglich veranlassen möchte, nun auch aus vollem Herzen zu irgend etwas ja zu sagen, wozu sie vorher nein gesagt hat. Sie waren bei der Rede, die ich gehalten habe, leider nicht von Anfang an da. Sie haben nur den Schlußteil gehört. Ich habe zu Ihrer Sachlichkeit das Zutrauen, daß Sie, wenn Sie diese Erklärung ganz durchlesen, mir zustimmen werden. Zu diesem Punkt habe ich gesagt:
Sie
— nämlich jene Ausführungen —
verneinen den Grundsatz der Mehrheitsentscheidungen, auf dem die parlamentarische Demokratie aufgebaut ist. Niemand denkt daran,
— habe ich gesagt —
der Minderheit das Recht zur Kritik zu nehmen. Hier aber wird der Mehrheit das Recht zur verbindlichen Entscheidung bestritten und damit an den Grundpfeilern der parlamentarischen Demokratie gerüttelt.
Meine Damen und Herren, das und nichts anderes ist der Punkt,
und jemand, der nicht in der Lage ist, das einzusehen, fällt eben nicht unter die Kategorie, die uns als förderungswürdig aufgegeben ist. Daran kann ich nichts ändern, sondern das liegt dann an den Beteiligten.
Sie haben nun den Bogen weiter gespannt und davon gesprochen, die Exekutive sei doch sonst nicht so ängstlich bemüht, Respekt vor der gesetzgebenden Gewalt, also vor diesem Hause zu haben. Herr Kollege Schmid, meine Haltung werden Sie am besten immer dann verstehen — bei allem, was Sie an mir beurteilen mögen —, wenn Sie davon ausgehen, daß es mein ganzer Stolz ist, diesem Hause vom ersten Tage an, an dem es zusammengetreten ist, als ein Abgeordneter angehört zu haben, ohne Rücksicht auf das Amt, das ich derzeit ausübe. Gerade weil ich mich als Abgeordneter fühle mit den besonderen Pflichten, die mein derzeitiges Amt mir gibt, habe ich so gehandelt, wie Sie es wissen.
Das Wort hat der Abgeordnete Prinz zu Löwenstein.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gegenstand der Großen Anfrage der Fraktion der SPD hat mich seit langem zutiefst beschäftigt, und zwar in meiner doppelten Eigenschaft einmal als Mitglied der Freien Demokratischen Partei, also einer liberalen Partei, und zum andern, weil ich wohl der letzte Vorsitzende des Republikanischen Studentenbundes gewesen bin vor dessen Auflösung durch den Nationalsozialismus.
Aber ich darf zuerst eine technische Bemerkung einflechten, eine Erklärung dafür, daß unsere Fraktion nur noch so spärlich vertreten ist. Das ist nicht etwa auf einen Mangel an Interesse zurückzufüh-
ren, sondern darauf, daß wir den Parteitag in Würzburg haben.
Meine Damen und Herren, die zum Teil recht stürmische Diskussion ist ein durchaus gesundes Zeichen dafür, daß dieses Parlament sich auch leidenschaftlich mit dein Problem der Jugend zu befassen weiß. Ich glaube, daß dies jenseits des Eisernen Vorhangs in einer für uns außerordentlich wichtigen Weise verstanden werden wird, nämlich so, daß man hier bei uns in aller Freiheit diskutieren kann. Es sind allerdings im Rahmen dieser Diskussion einige Bemerkungen gefallen, die ich nicht so ohne weiteres hinnehmen kann.
Der Abgeordnete Majonica hielt es für richtig, den nicht anwesenden Vorsitzenden der Freien Demokratischen Partei Dr. Thomas Dehler persönlich anzugreifen.
— Nein, nein, lieber Herr Kollege! Sie wußten, daß er nicht da ist, und Sie wußten auch, daß er des Parteitages in Würzburg wegen nach 2 Uhr nicht mehr hier sein konnte. Sie haben aber etwas getan, was von allgemeiner Bedeutung ist. Sie haben nämlich gesagt, daß Dr. Dehler — das hätte an sich gar nichts mit dieser Diskussion zu tun, und ich frage mich überhaupt, warum Sie es hier hereingebracht haben —
gegen die Konfessionen in Deutschland Stellung nimmt.
Ich kann diese Erklärung nur als eine Diffamierung bezeichnen
und möchte sie aufs schärfste zurückweisen. Dr. Dehler wie unsere ganze Fraktion wehrt sich gegen eines: gegen den Mißbrauch der Religion für politische Zwecke!
Ich meine, es ist für uns alle eine Erfahrungstatsache, daß gerade die Universitäten der Freiheit, und zwar der vollen Freiheit bedürfen, um wirken zu können, daß das Ansehen der deutschen Universitäten in der Welt immer dann am größten war, wenn sie am freiesten waren, weil nur vor einer wirklich freien, vor einer politisch verantwortungsbewußten studentischen Jugend akademische Lehrer ihr Bestes hergeben können. Das gilt auch in unserem technischen Zeitalter.
Diese wesentlichste Tradition der abendländischen Nationen und ihrer Universitäten kann nur in der Luft der Freiheit fortgesetzt werden. Diese Luft, die Luft der Freiheit, ist keine weichliche Luft, sie ist eine harsche Luft; so hat Conrad Ferdinand Meyer in „Huttens letzte Tage" es genannt. Es ist ein würdiges und edles Tun, hier, wie der fränkische Ritter in dieser großen Dichtung, „zu spornen und zu stacheln, früh und spät".
Freiheit als Wesensbestandteil des menschlichen Geistes — ein unfreier Geist, welch ein Widerspruch im Beiwort! Dennoch, Freiheit im Rahmen der Gemeinschaft, Freiheit auch als politisches Grundrecht, wird einem nicht geschenkt, sie muß immer wieder errungen werden, man muß sie immer wieder verteidigen, schon in der allerersten Bedrohung.
Es ist ein dornenvoller, aber ruhmreicher Weg, den die deutsche studentische Jugend seit ihrer ersten modernen politischen Selbstbesinnung in den Freiheitskriegen gegangen ist. Trotz Metternichschem Polizeisystem, trotz Karlsbader Beschlüssen, trotz Bespitzelung und Unterdrückung jeder Art stand die studentische Jugend 1848 auf den Barrikaden für ein einiges Reich des Rechts und der Freiheit. Trotz des Terrors der nationalsozialistischen Schandherrschaft, die sich sofort auf die studentische und akademische Freiheit stürzte, ist heute wieder eine Jugend da, die klar, mutig, kritisch, unsentimental, aber bewußt der Werte, auf die es ankommt, den Aufbau des Vaterlandes trägt. Nicht nur übrigens in der Bundesrepublik, lassen Sie mich das hier einschalten. Die Zahl der Blut- und Zuchthausurteile gegen junge Arbeiter, gegen Lehrlinge, Schüler und Studenten in der Sowjetzone beweist, daß gerade dort, wo die Unterdrükkung am größten ist, das Freiheitssehnen es gleichfalls ist.
Herr Abgeordneter Majonica hat die Vorgänge in Tübingen angeprangert. Aber Kollege Schmid hat daraufhin meiner Meinung nach bereits abschließend geantwortet. Ich will diesem Hohen Hause nur noch eines zu bedenken geben. Wäre es nicht möglich, daß diese zweifellos widerwärtige, tiefst abzulehnende Äußerung in Tübingen aus einer tiefen Enttäuschung entstanden ist, mit einem Mißbrauch von Worten und Begriffen zweifellos, aber doch aus einem Motiv, das wir nicht billigen können, aber das wir vielleicht doch irgendwie verstehen müssen, wenn wir uns mit der Jugend befassen? Wir hörten von Herrn Kollegen Carlo Schmid, daß es junge Menschen aus der Sowjetzone gewesen sind, die doch mit einem großen Glauben hier herüber kamen. Ist es nicht an der Zeit, einmal die Frage aufzuwerfen, ob wir dem Materialismus des Bolschewismus eine ausreichende geistige Kraft entgegensetzen oder ob wir nicht selber bereits in einem Nützlichkeitsstandpunkt verfangen sind, in einem Materialismus, den man nicht mehr billigen kann und mit dem allein man zweifellos den Bolschewismus nicht abwehren kann?
Mir fiel, als ich über das Thema dieser Debatte nachdachte, eine Rede ein, die ein großer Pädagoge, Gustav Wyneken, vor vielen Jahren einmal über das Thema — genau das, was wir heute diskutieren — der jugendlichen Freiheit gehalten hat. Ich habe sie wieder nachgeschlagen: Januar 1911, eine Kampfrede gegen einen geistig verholzten, von sich überzogenen reaktionären Regierungsvertreter. „Solche Ansichten können nicht geduldet werden", das ist der Titel jener Rede Wynekens, abgedruckt in seinem Buche „Der Kampf um die Jugend". Das Wort „Solche Ansichten können nicht geduldet werden" stammt von jenem eben gekennzeichneten Regierungsvertreter, der sie im Meininger Landtag in bezug auf Wynekens literarische Meinungen bei der Gestaltung des Wickersdorfer Lehrplans ausgesprochen hat.
— Ja, „Die ganze Richtung paßt uns nicht!" das gehört alles hier hinein.
Wyneken wirft in seiner Rede die Frage auf: Was tut man also von behördlicher Seite, wenn man Ansichten nicht dulden will? Er sagte: Es gibt nur zwei folgerichtige Mittel, die Nichtduldung durchzuführen; entweder man versucht, den oder die Träger solcher Ansichten zu vernichten — das ist in der Geschichte häufig genug geschehen, aber natürlich hat man 1910 nicht angenommen, daß es je wieder passieren könnte —, oder aber man übernimmt es, die Ansichten, die man nicht dulden will, dadurch zu beseitigen, daß man ihre Gründe widerlegt.
Das Bundesinnenministerium hat hingegen einen dritten Weg gewählt. Es hat dem Sozialistischen Studentenbund die Geldmittel gesperrt. Das darf man dann vielleicht die globkale Lösung des Jugendproblems nennen.
Was für Mittel sind denn das? Mittel aus den Steuergeldern des deutschen Volkes,
die wir ohne Unterschied der Partei bewilligt haben,
bezahlt vom deutschen Volk ohne Unterschied der
Partei, zweckgebunden zur Förderung der Jugend.
— Sehr gern: Förderungswürdige Organisationen.
Ich habe erwähnt, daß ich der letzte Vorsitzende des republikanischen Studentenbundes gewesen bin. Ich kenne den Sozialistischen Studentenbund seit 25 Jahren, und ich weiß, was er in der Weimarer Republik für die Demokratie getan hat. Ich weiß, was viele seiner Mitglieder unter der nazistischen Diktatur getan und erlitten haben.
Einem solchen Bund eines Zeitungsartikels wegen zu bescheinigen, er sei nicht demokratisch zuverlässig, finde ich eine Ungeheuerlichkeit.
— Herr Abgeordneter Majonica hat keinen Zweifel darüber gelassen, daß er den ganzen Bund in seiner demokratischen Zuverlässigkeit bereits bezweifelte.
— Bitte, wiederholen Sie genau!
Ich habe nur gesagt, daß der Bund, solange er nicht von diesem Angriff auf das Parlament abrücke und sich davon distanziere, nicht förderungswürdig sei. Damit habe ich seine demokratische Grundhaltung anerkannt. Sonst könnte ich die Wiederbewilligung der Mittel nicht von der Distanzierung abhängig machen.
Herr Abgeordneter, der Redner hatte einen seiner Vorredner um eine
Aufklärung gebeten. Ich habe dem Wunsch entsprochen.
— Ich habe allgemeines Einverständnis angenommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe mich einer Voreiligkeit schuldig gemacht; ich hätte selbstverständlich warten müssen, bis Sie die Erlaubnis gaben.
Meine Damen und Herren! Der Artikel im „Standpunkt" vom Juli 1955 ist bereits genügend gekennzeichnet worden. Ich möchte eines sagen, und zwar auch im Namen aller meiner politischen Freunde; wir haben es sehr ausführlich in der Fraktion besprochen. Wir haben uns nicht beleidigt gefühlt. Wir waren auch auf Grund der Pressemeldungen der Meinung, daß der Herr Präsident des Deutschen Bundestages, Dr. Gerstenmaier, sich gleichfalls nicht beleidigt gefühlt hat. Ich verweise auf den letzten Bericht darüber in einer bekannten Wochenzeitschrift.
— Dieser Brief ist mir bis dahin unbekannt gewesen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir alle fördern die Diskussion, wenn wir die Redner aussprechen lassen, ohne sie allzusehr mit Zwischenrufen zu bedenken.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe einen Bericht gegeben. Ich kenne jetzt den Brief, aus dem übrigens die persönliche Meinung des Herrn Präsidenten nicht ohne weiteres hervorgeht.
Außerdem — darauf ist ebenfalls schon hingewiesen worden — müssen wir die Frage stellen, ob es nicht schon andere Kränkungen — um nicht das Wort Beleidigungen zu verwenden — des Bundestags gegeben hat,
nämlich dann, wenn die Bürokratie meinte, mit den Mitteln, die vom Bundestag bewilligt wurden, in einer bürokratischen Weise umspringen zu dürfen.
Ich erinnere mich auch an einen Auftritt hier in diesem Hohen Hause, nachdem unser Kollege Herr Dr. Max Becker gesprochen hatte, und ich erinnere mich an einen ähnlichen Auftritt, nachdem unser Kollege Reinhold Maier gesprochen hatte, in welcher Weise der Herr Bundeskanzler diesen beiden Abgeordneten entgegengetreten ist.
Es ist eine betrübliche Tatsache, daß man immer wieder mit der Sperrung von Geldmitteln arbeitet. Ich kann darin nicht eine Erziehung zur wahren Demokratie erblicken. Ich verweise auf die Sper-
rung der Geldmittel für den Deutschen Saarbund, dessen Ansicht man auch nicht dulden wollte.
Eigentlich sollte dieses Hohe Haus einmal die Frage stellen, was mit diesen 1,3 Millionen DM geworden ist, die zusätzlich zu allen öffentlichen und geheimen Fonds der Bundesregierung zur Verfügung stehen. Ich kann darüber nicht das Letzte aussagen; aber nach dem, was man hört und in der Presse liest, wäre es ja auch interessant, die Quelle festzustellen und zu ermitteln, ob diese 1,3 Millionen DM wirklich aus dem Säckel des Herrn Bundesfinanzministers stammen, also wiederum aus Steuergeldern, die von allen Deutschen gezahlt worden sind.
Wenn ich die Geheimfonds, das Bundespresse- und Informationsamt und ähnliches erwähnt habe, muß ich weiter fragen: Wie lange eigentlich noch ohne jede Kontrolle?
Meine Herren vom Bundespresse- und Informationsamt, bei Philippi sehen wir uns wieder, nämlich bei der Haushaltsdebatte!
— Es gehört hier in höherem Maße her als das, was Sie glaubten über den Vorsitzenden einer großen demokratischen Partei sagen zu müssen!
Es war für uns alle, die wir dem Parlament angehören und insbesondere für die, die aus der studentischen Jugendbewegung stammen, eine besondere Freude; daß man von einer studentischen Einheitsfront sprechen kann. Das oberste Gesetz jugendlichen Lebensstils heißt Kameradschaft. Der Liberale Studentenbund, der der Freien Demokratischen Partei nahesteht, hat sich, wie Sie wissen, sofort auf die Seite seiner angegriffenen sozialistischen Kommilitonen gestellt. Schon vor Monaten haben hier in meinem Büro im Bundeshaus entsprechende Gespräche stattgefunden. Auch der Bundesvorstand der deutschen Jungdemokraten hat im Februar dieses Jahres ein sehr deutliches Schreiben an das Bundesinnenministerium gerichtet, und daß die übrigen Bünde und Vereinigungen sich fast ohne Ausnahme solidarisch erklärt haben, ist doch ein sehr gutes Zeichen für die innere Haltung der deutschen Jugend.
Ich bedaure diesen Zusammenstoß sehr lebhaft; denn ich weiß, daß die Beziehungen zwischen der Jugendabteilung des Bundesinnenministeriums und der Jugend sehr gute sind. Es ist tragisch und besonders unerfreulich, daß es zwischen der Studentenabteilung und der Studentenschaft zu dieser Entwicklung gekommen ist. Der Herr Minister ist wohl erst viel später überhaupt damit befaßt worden. Ich sehe in der ganzen Angelegenheit einen Schaden für alle Beteiligten, für das Ansehen des Ministeriums und auch für alle übrigen Studentenorganisationen. Auch hier gilt wieder das Wort, daß die Freiheit unteilbar ist.
Man fängt mit einem Bund, mit einer Organisation an, und letzten Endes werden es dann alle zu tragen haben.
Die Freiheit aller ist angetastet, auch wenn es zunächst die Freiheit einer Gruppe ist.
Das ist doch etwas, was wir alle im Laufe unseres Lebens gesehen und gelernt haben.
Ich darf in dem Zusammenhang allerdings noch auf eine andere Gefahr hinweisen. Herr Kollege Majonica, niemand ist der Meinung, daß Sie ein professioneller Jugendlicher sind.
Ich muß diese kleine Bemerkung vorausschicken, damit Sie nicht das, was ich jetzt sagen will, mißverstehen oder gar persönlich deuten; ich hatte mir die Notizen bereits gemacht, bevor Sie glaubten, sich gegen den Vorwurf zur Wehr setzen zu müssen. Es besteht doch heute — und Sie werden mir zustimmen — eine Gefahr, die wir nicht übersehen können, nämlich die einer Institutionalisierung der Jugend und der Herausbildung eines Jugendfunktionärstums.
Die Gefahr ist doch zweifellos da, und ich möchte zu bedenken geben, ob man nicht auch noch ein anderes Ziel anstreben müßte, nämlich die Jugend unabhängiger zu machen, unter Umständen auch durch steuerliche Maßnahmen, die es ermöglichen, die Jugend in viel größerem Maße als bisher aus privaten Quellen zu fördern. Die Verwaltung der öffentlichen Mittel erfordert große Arbeit und sehr viel Zeit. Ich halte das für eine sehr wesentliche Betrachtung. Das ist ungefähr die Lage in den angloamerikanischen Demokratien. Aber solange das heutige System besteht, ist es natürlich völlig unmöglich, einen finanziellen Druck auszuüben, weil man Ansichten demokratischer, staatsbejahender Organisationen nicht dulden kann. Lassen Sie mich das wiederholen. Was wollen wir denn in Deutschland? Wollen wir mit allen Kräften eine Staatsjugend heranzüchten, eine Jugend, die nur noch das widerhallt, was von seiten der Bürokratie in sie hineingerufen wird?!
Soll die Jugend Teil der Bürokratie werden?! Gott bewahre uns davor! Goethe hat einmal geschrieben: „Ins Innere der Natur dringt kein erschaffener Geist." Aber iris Innere der Bürokratie dringt der Geist noch viel weniger,
vielleicht deshalb, weil auch hier wieder ein Widerspruch im Beiwort auftreten würde, nämlich zwischen Bürokratie und Geist. Mit Recht trägt eine kleine Schrift des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes den Titel „Principiis obsta!" Man muß ergänzen: „sero medicina paratur." Es geht hier um das Anliegen aller, um das Anliegen der Jugend und des ganzen Parlaments. Wir wollen eine Jugend, die frei ist, und ich füge nicht hinzu: auch wenn sie manchmal über die Stränge schlägt, — ein schauerliches Wort, patronisierend und auf die Schulter klopfend.
Aber eines wollen wir auch sehr deutlich sagen: Man kann sich nicht wundern, wenn die Jugend
skeptisch ist. So schön und vollkommen ist schließlich die Welt, die die Erwachsenen fabriziert haben, wieder nicht.
Wir werden also schon einiges tun müssen, bevor man uns wieder als ganz glaubwürdig betrachtet. Wir können uns nicht auf unsere höhere Weisheit berufen nur deshalb, weil wir älter sind.
Das nimmt uns die neuere Generation bestimmt nicht ab, und ich bin froh, daß sie skeptisch ist, daß sie sehr kritisch ist und daß sehr viel nötig ist, um sie zu überzeugen. Aber sie läßt sich überzeugen.
Ich meine, daß gerade die Aufgabe des Politikers darin besteht, auch ein Pädagoge zu sein. Ich bedaure es daher, daß der Herr Kollege Majonica, der aus der Jugendbewegung stammt, in seiner Erwiderung viel schärfer gewesen und in der Verurteilung unserer Kommilitonen weiter gegangen ist, als es durch das angesprochene Bundesinnenministerium geschehen ist. Ich bin der Meinung — und ich glaube, ich kann aus Erfahrung sprechen —, daß in dieser heutigen skeptischen Jugend, die zum Teil unsägliche Ausdrücke verwendet — das neue Deutsch ist überhaupt nichts besonders Schönes,
auch das wird oft von höherer Stelle vorexerziert —, doch sehr viel Verantwortungsgefühl ist und daß es unsere Aufgabe wäre, Beispiele der Demokratie zu geben, die dann in Freiheit befolgt werden können.
Diese akademische Jugend und die Jugend als solche weiß, daß ihre Freiheit 1933 zuerst gestürzt wurde, als man daranging, die Freiheit der ganzen Nation zu stürzen.
Daher ist sie empfindlich, und sie ist es mit Recht; sie wittert sehr leicht neue Karlsbader Beschlüsse und den Versuch einer neuen Gleichschaltung.
Wenn diese Debatte dazu beigetragen haben sollte, die Jugend erkennen zu lassen, daß man ihre Rechte und ihre Freiheiten in diesem Hohen Hause sehr ernst nimmt, dann ist zweifellos etwas Positives geleistet worden. Geist und Freiheit, sagte ich, sind einander untrennbar verbunden. Ich denke an die Weiheinschrift, die Friedrich Gundolf über das Portal der neuen Universität in Heidelberg gesetzt hat: „Dem lebendigen Geiste". Wenn ich eine Begebenheit einflechten darf, die die ganze Tragik unserer Zeit beleuchtet: Als die Buchstaben angebracht wurden, meinte er zu Freunden: Das wird das einzige meiner Werke sein, das mich überleben wird. Es dauerte nicht lange, da wurde der lebendige Geist von den Portalen der Universität Heidelberg heruntergerissen, und erst, nachdem unser Volk durch ein Meer von Blut und Tränen hindurchgegangen war, hat sich der lebendige Geist wieder zeigen können über dem Eingang der Universität Heidelberg und über allen deutschen Universitäten.
Daher noch einmal zum Schluß: Ich begrüße diese Große Anfrage. Denn sie hat zum Ausdruck gebracht, daß wir gemeinsam mit der Jugend über dem lebendigen Geiste wachen wollen, nicht nur hier und nicht nur für uns in der Bundesrepublik, sondern in gesamtdeutscher Sicht. Es kommt darauf an, der Jugend in der Sowjetzone zu zeigen, daß hier die Fackel des Geistes und der Freiheit wachgehalten wird.
Es kommt darauf an, in diese Knechtung dort drüben hineinzuleuchten, um die Kraft der Freiheit zu stärken, die größte revolutionäre Kraft, die es gibt, damit auch für unsere Brüder in der Sowjetzone der Tag des lebendigen Geistes kommen kann.
Das Wort hat der Abgeordnete Becker .
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Mit jener epischen und lyrischen Breite, mit der mein Vorredner eben gesprochen hat, will ich nicht sprechen und kann ich auch nicht sprechen. Ich möchte nur einige ganz wenige handfeste praktischen Bemerkungen zu dem behandelten Thema machen.
Es gibt unter den begabten jungen Menschen in unserer Bevölkerung viele, die durch das Schicksal, infolge wirtschaftlicher oder familiärer Verhältnsise nicht in der Lage sind, ein Studium an einer Hochschule zu absolvieren. Angesichts der Tatsache, daß die Studenten an unseren Hochschulen gegenüber der übrigen Jugend dadurch, daß sie studieren, schon eine Bevorzugung erfahren, muß man, glaube ich, gerade von den Studenten erwarten, daß sie im Ton ihrer Äußerungen einen anständigen menschlichen Stil zeigen. Sie sollen keinen schlechten politischen Stil zeigen, und von dem bestimmten politischen Stil, von dem hier gesprochen worden ist, will ich nicht sprechen.
Wenn Sie die hier nun schon so manchmal zitierte Äußerung des damaligen Vorsitzenden des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes lesen und lesen dort: „Die Aufgabe der Volksvertreter ist es nicht, immer das zu tun, was die Dümmsten für richtig halten", so sehen Sie ja aus dieser Feststellung, daß diese jungen Leute glauben, daß sie die Weisheit mit Löffeln gegessen haben
und daß die überwiegende Mehrheit unseres Volkes, die hinter dieser Bundesregierung steht, aus Dummköpfen besteht. Zu der politischen Seite der ganzen Angelegenheit kommt hier noch eine Anmaßung dazu,
die allein schon, glaube ich, Anlaß sein könnte, erst einmal eine gewisse Erziehungsmaßnahme wirksam werden zu lassen.
Meine Damen und Herren, es ist hier von Strafmaßnahmen die Rede gewesen,
die seitens des Bundesinnenministeriums verhängt worden seien. Das ist doch eine Verschiebung des Tatbestandes. Niemand ist bestraft worden, niemand ist angeklagt worden wegen Verfassungsgefährdung — obwohl in dieser Feststellung ein ganz gefährlicher Kern liegt —, sondern es sind lediglich die Gelder, die in Form von mühselig erarbeiteten Groschen gerade der Arbeiter und von mühselig erarbeiteten Markstücken der gesamten Bevölkerung aufgebracht werden
Herr Abgeordneter Becker, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Eine Zwischenfrage für Herrn Schmidt aus Hamburg.
Herr Abgeordneter Schmidt zu einer Zwischenfrage!
Herr Kollege Becker, erinnerten Sie sich bei Ihren Ausführungen über den politischen Stil, die Sie soeben machten, an die Tatsache, daß Sie vor einigen Jahren in der Hamburger Bürgerschaft die Bundesflagge als schwarzrotgelb bezeichnet haben?
Es ist mir sehr lieb, mein lieber Kollege Schmidt, daß Sie jetzt, bei dieser Gelegenheit, diese Sache wieder vorbringen, damit ich endlich einmal die Möglichkeit habe, hier vor diesem Plenum die Dinge klarzustellen.
Ich habe damals, bevor es eine Bundesrepublik Deutschland gab und bevor das Grundgesetz verabschiedet war, gesagt, als es um die Debatte ging, wie die Farben unserer neuen Bundesrepublik sein sollten, daß ich die Farben Schwarz-Weiß-Rot lieber gesehen hätte
als — ich sage jetzt wörtlich—die Farben SchwarzRot-Gold oder Schwarz-Rot-Gelb.
In diesem Augenblick wurde ich von der kommunistischen und sozialistischen Seite innerhalb der Hamburger Bürgerschaft durch Lärmszenen unterbrochen.
Ich darf darauf hinweisen, daß während der Beratungen im Parlamentarischen Rat, um einen Flaggenstreit zu vermeiden, Vorschläge gemacht worden sind, beide Farben, die in der Vergangenheit in Deutschland gegolten haben, in dem neuen Symbol miteinander zu verschmelzen. Ich stelle aber ausdrücklich fest, daß ich zu keinem Zeitpunkt die Flagge und die Farben der Bundesrepublik Deutschland in irgendeiner Weise beschimpft habe, sondern daß ich lediglich einen Diskussionsbeitrag geliefert habe
zu einer Zeit, als es nicht die Farben der Bundesrepublik Deutschland gewesen sind und als durchaus noch offen war, wie die Farben aussehen würden. Außerdem werden ja — wir haben es im
Verlauf dieser Debatte gesehen — diese Zwischenfragen von seiten der sozialdemokratischen Fraktion immer an den Stellen gestellt, wo ihnen aus sachlichen Gründen die Ausführungen des jeweiligen Redners unangenehm werden.
Herr Abgeordneter Becker, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mellies.
Ich bitte Sie, Herr Mellies, diese Frage am Schluß meiner Ausführungen zu stellen. Ich bin gleich zu Ende.
Wer hat den Zwischenruf „Feige sind Sie auch noch!" gemacht? — Herr Abgeordneter Eschmann, ich rufe Sie zur Ordnung!
Meine Damen und Herren, wenn der Herr Bundesinnenminister diese Maßnahme nicht ergriffen hätte — bzw. seine Beamten. und er hat sie gedeckt —, dann hätten wir als Bundestag zu einem späteren Zeitpunkt dieselbe Maßnahme ergreifen müssen.
Wenn von Professor Carlo Schmid die Tugend der Großmut angeführt und an die Großherzigkeit appelliert worden ist, so muß ich dazu sagen: dieser Appell ist berechtigt, er wendet sich meiner Ansicht nach nur nach der falschen Seite. Denn wer die Engherzigkeit erlebt hat, die in den vergangenen Tagen in gewissen Fragen bei Äußerungen, die von der rechten Seite des Hauses gekommen sind, vorgewaltet hat, der muß sich doch wundern, daß nun in diesem Fall an die Großherzigkeit der anderen Seite appelliert wird. Mit einer geradezu alttestamentarischen Geschäftigkeit
hat man doch versucht, totalitäre Splitter der Unduldsamkeit in den Augen der rechten Seite zu suchen, aber der eigene Balken der Unduldsamkeit. der in den Augen der SPD manchmal zu finden ist, wurde nicht gesehen.
Deswegen meine ich, der Bundesinnenminister hat dem ganzen Hause einen guten Dienst geleistet. Denn wenn er ihn nicht geleistet hätte, hätten wir es nachträglich selber tun müssen. Ich bin sicher, daß die Mehrheit des Bundestages, wenn der Sozialistische Deutsche Studentenbund von den Bemerkungen nicht abrückt, in Zukunft nicht in der Lage sein wird, im kommenden Haushalt diese Mittel wieder zu bewilligen.
Ich bedaure selber, daß die Mittel, die für die Studentenverbände zur Verfügung gestellt werden, überhaupt so gering sind.
Ich bitte Sie, Herr Mellies, jetzt Ihre Frage zu stellen, wenn Sie noch den Wunsch haben.
Kann man aus Ihren Darlegungen, Herr Kollege Becker, die Sie über die Vorgänge in der Hamburger Bürgerschaft gegeben haben, entnehmen, daß Sie zwar nicht den Mut hatten, etwas Abfälliges über die Farben der zukünftigen Bundesrepublik zu sagen, aber feige genug waren, die Farben der Weimarer Republik zu beschimpfen?
Ich stelle noch einmal fest, daß ich nach meiner Ansicht zu keinem Zeitpunkt irgendwann einmal weder die Farben der Weimarer Republik noch die der jetzigen Bundesrepublik beschimpft habe, sondern daß ich damals, als ich den Satz ausgesprochen habe „Schwarz-RotGold oder schwarzrotgelb", unterbrochen worden bin. Es handelte sich damals um die Farben der Bundesflagge und des Bundeswappens, und es haben im Anschluß an diesen Zwischenfall in der Öffentlichkeit und in den Zeitungen ja noch Diskussionen stattgefunden. Es ist darauf hingewiesen worden, daß z. B. in der Heraldik die Farbe Gold gelb dargestellt wird. Die beleidigende Absicht ist schon damals mir nur unterschoben worden. Im Laufe der Jahre — es sind jetzt fast zehn —, wo die Bundesrepublik bestanden hat, ist ja diese Frage der Flaggenfarben weitgehend nicht mehr in diesem Sinne aktuell. Ich glaube, daß eines Tages eine Einigkeit im gesamtdeutschen Volk darüber sein wird, daß das Bundeswappen unseres deutschen Vaterlandes schwarzrotgold ist. Ich glaube aber auch, daß die alten Farben SchwarzWeiß-Rot in ihrer stolzen Tradition unvergessen bleiben werden für alle Zeiten. Ich sehe durchaus die Möglichkeit, daß eines Tages einmal bei unserer Marine, bei unserer Handelsschiffahrt
diese Farben, die ja auch während der Weimarer Republik Gültigkeit gehabt haben, wieder gezeigt werden können aus praktischen Gründen und aus Gründen der Tradition.
Herr Abgeordneter Becker scheint nicht geneigt zu sein, weitere Fragen zu beantworten.
— Er ist nicht geneigt; damit ist die Angelegenheit erledigt.
Ich möchte aber doch darum bitten, daß wir jetzt nicht weiter in eine Diskussion über Vorgänge in der Hamburger Bürgerschaft eintreten, sondern wieder zum Thema zurückkehren. — Das Wort hat der Abgeordnete Kutschera.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unserer Fraktion, dem Gesamtdeutschen Block/BHE, geht es nicht darum, sich in das nunmehr entstandene Streitgespräch einzumischen, sondern wir wollen versuchen, auf den Kern der Auseinandersetzung zurückzukommen. Ich möchte vorausschicken, daß wir die Ausführungen, die heute des öfteren zitiert wurden, absolut zurückweisen. Wir sind der Auffassung, daß sich auch der Sozialistische Deutsche
Studentenbund gut überlegen sollte, welche Publikationen er in Zukunft bringt. Es gibt eben auch für junge Menschen, von denen wir erwarten, daß sie in ihrer Kritik frei und offen sind, die Grenzen des Anstands und des Taktes, und die scheinen auch uns bei diesen Ausführungen weitgehend überschritten zu sein.
Wir möchten aber vor einer Gefahr warnen. Bei dem ganzen Vorgang bekommt man das Gefühl, daß auf Grund von Maßnahmen oder Äußerungen die Entscheidung über die weitere Arbeit der betreffenden Organisation sofort durch das Ministerium gefällt wird. Ein so außerordentlicher Notstand bestand nicht, daß nicht noch Zeit gewesen wäre, einen Kreis — ich denke insbesondere an den Aktionsausschuß für Bundesjugendplanmittel, der ja verhältnismäßig klein ist — zusammenzurufen, um die Dinge zu besprechen und dann zu einer Entscheidung zu kommen. Es mag sein, daß die Entscheidung so ausgefallen wäre, wie sie jetzt ist. Aber nur vom Ministerium aus Entscheidungen in dieser Richtung zu fällen, kann zu leicht den Gedanken aufkommen lassen, man könne mit Geld alles machen.
Es ist das Vorrecht der jungen Generation, allen politischen Handlungen außerordentlich kritisch gegenüberzustehen. Ja, wir fordern sie direkt auf dazu und verlangen von ihr, daß sie sich äußert. Nun besteht die große Gefahr, daß man nicht klar genug zwischen den Vorgängen, die heute zur Debatte stehen, und dem Verhalten im allgemeinen trennen kann. Es wäre sehr betrüblich, wenn die junge Generation das Gefühl bekäme, sie müsse für die Mittel, die ihr der Staat zum Aufbau und weiteren Ausbau ihrer Verbände zur Verfügung stellt, eine gewisse Gegenleistung erbringen.
— Ich habe mich ja zu Beginn meiner Ausführungen deutlich genug von diesen augenblicklichen Maßnahmen distanziert; ich bitte das doch zur Kenntnis zu nehmen.
Die Überschreitung der Zuständigkeit ist es also, die uns bewegt, überhaupt noch etwas zu sagen, und ich meine, der Herr Innenminister sollte sich noch stärker als bisher als Anwalt der Jugend fühlen, denn er hat in seinem Ministerium die Abteilung Jugend, die sich speziell mit diesen Fragen beschäftigt und die — auch das muß hier festgestellt werden — in sehr engem Kontakt mit den zuständigen Gremien steht. Daher ist es um so bedauerlicher, daß gerade in dieser Situation dieser Kontakt nicht ausgenutzt worden ist. Damit hätte man wahrscheinlich viele Dinge ausschalten können, und die heutige Diskussion hätte sich nicht so unendlich hingezogen. Wir müssen uns davor hüten, die Kritik durch eine Unterbindung der Finanzierung abzutöten. Damit würde man dem demokratischen Anliegen den allerschlechtesten Dienst erweisen.
Man sprach hier immer wieder — und in diesem Falle mit Recht — vom guten Stil. Es wäre hier vielleicht eine Möglichkeit, einmal zu überprüfen, ob unser Haus immer diesen guten Stil wahrt, den wir von der jungen Generation verlangen
die bis heute noch gar keine Möglichkeit hatte, sich zu beweisen. Wir sollten auch nicht vergessen, daß die junge Generation einen Anspruch darauf hat, ernst genommen zu werden.
Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet ist es, meine ich, nicht richtig, wenn der Minister für Inneres sagt, die Frage sei nicht eine Frage der Jugendverbände und des Kuratoriums, sondern ausschließlich eine Frage des Parlaments.
Ich meine, daß wir damit die Stellung des Kuratoriums und des Aktionsausschusses unterminieren. Der Aktionsausschuß ist nun einmal dazu da, die Mittelverteilung zu regeln und genau die Sätze festzustellen. Wir sollten ihm soviel Verantwortung zutrauen, daß wir ihn in kritischen Fällen, ehe die zugesagten Mittel gestrichen werden, mitsprechen lassen.
- Das steht wieder auf dem anderen Blatt; ich sagte es deutlich genug.
Aber ich glaube auch nicht, um auf diesen Zwischenruf: „Wir brauchen uns nicht beleidigen zu lassen" zu antworten, daß das Kuratorium diese Beleidigung zur Kenntnis genommen hätte. Das ist mir unvorstellbar. Ich kenne die Menschen in dem Kuratorium, und ich bin überzeugt, daß sie sofort Stellung genommen hätten und daß sie einen Weg beschritten hätten, auf dem man innerhalb der Gemeinschaft dieser jungen Menschen eine Form hätte finden können, die nicht zu Verzerrungen geführt hätte, wie es hier der Fall gewesen ist.
Keiner in diesem Hohen hause will doch bei der jungen Generation das Gefühl aufkommen lassen, man wollte nur, daß Inge Menschen sich fügen und zu rechtgebenden Duckmäusern werden,
die nicht bereit sind, auch ein Wort der Kritik zu sagen, das dem einen oder anderen unangenehm ist.
Herr Abgeordneter Kutschera, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Aber gern!
Herr Abgeordneter Dr. Kliesing zu einer Zwischenfrage!
Herr Kollege, Sie wandten sich dagegen, daß diese Dinge nicht im Kuratorium geklärt, sondern statt dessen ins Parlament gebracht worden seien.
Darf ich Ihnen die Frage vorlegen, wie und von welcher Seite aus diese Dinge ins Parlament getragen worden sind?
Meine Damen und Herren! Ich bitte doch, dem Redner Gelegenheit zur Antwort zu geben.
Worauf es mir ankommt, ist doch, festzustellen, daß man diese Frage nicht, bevor die Verhängung der Sanktion kam, in diesem Kuratorium besprochen hat.
Das war es also, was ich wollte, mehr nicht.
Aber ich darf mir eine Zwischenbemerkung erlauben. Ich freue mich außerordentlich, und sicherlich freut sich jeder, der sich Jugendfragen als Hauptaufgabe widmet, mit mir darüber, daß das Plenum bei dieser Frage so ausdauernd ist. Sonst war es immer so, daß wir für Jugendfragen an und für sich sehr wenig Zeit zur Verfügung hatten.
Ich möchte meine Ausführungen mit der Feststellung abschließen: Die Dinge, die in Tübingen passiert sind, und die Dinge, die hier mit dem Schreiben des damaligen 1. Vorsitzenden des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes zitiert worden sind, möchten meine Fraktion und ich ausgeklammert haben, weil wir uns davon sehr deutlich distanzieren. Meine Ausführungen hatten nur den Sinn, auf die Gefahr hinzuweisen, die entstehen könnte, wenn man sich angewöhnen würde, sofort, ohne ein Gremium zu hören, Maßnahmen einzuleiten, die Auswirkungen haben, wie wir sie heute erlebt haben.
Wir müssen hier eines tun, was die junge Generation auf alle Fälle erwartet und was wir ihr auch schuldig sind: beispielhaft wirken und arbeiten!
Das Wort hat der Abgeordnete Hübner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei allen gegensätzlichen Auffassungen, die hier zum Ausdruck gekommen sind, ist doch immerhin eine einmütige Erkenntnis festzustellen, der ich mich für die Fraktion der Demokratischen Arbeitsgemeinschaft anschließen möchte, nämlich daß wir uns nachdrücklich gegen die Form der Ausführungen, die hier die Grundlage der Debatte bilden, zur Wehr setzen. Ich möchte darüber hinaus erklären, daß wir uns nicht nur nachdrücklich gegen die Form wenden, sondern auch gegen den Sachinhalt stellen.
— Die Fraktion der Demokratischen Arbeitsgemeinschaft, für die ich spreche.
- Sie haben wahrscheinlich — entschuldigen Sie
— Ihre Ohren nicht ganz hier gehabt; ich habe es nämlich eben gesagt.
Meine Damen und Herren, der Herr Kollege Kühn hat anfangs davon gesprochen, daß dieser ganze Vorgang „Atmungsbeschwerden der Freiheit" auslösen müsse, und der Kollege Prinz zu Löwenstein ist, glaube ich, noch weiter gegangen; er sah eine unmittelbare „Gefährdung der Freiheit" vor sich.
Es ist unsere Aufgabe in diesem Hause, eine Aufgabe, der wir täglich obliegen, Millimeterarbeit in der Begriffsfindung zu leisten, um einen klaren Sachverhalt in einen passenden Begriff zu kleiden. Ich finde nun aber, daß hier für' diesen eindeutigen Sachverhalt ein falscher, übersteigernder Begriff benutzt wird, wenn man von Atmungsbeschwerden der Freiheit oder sogar von einer Gefährdung der Freiheit spricht. Es handelt sich doch um nichts weiter als um eine Mittelsperre,
und ich glaube, daß durch Übertreibungen Behauptungen nicht an Überzeugungskraft gewinnen.
Es stellt sich allerdings die Frage — und nur die ist hier zu behandeln —, ob die Mittelsperre berechtigt war. Nun, meine Damen und Herren, die Mittel des Bundesjugendplans dienen zur Pflege einer übergeordneten staatspolitischen Einstellung. Es wird dabei immer der Ausdruck „zur staatsbürgerlichen Erziehung" verwendet. Ich selbst benutze diesen Begriff nicht gern; wir sollten hier nicht von Erziehung, sondern besser von staatsbürgerlichem Erleben sprechen. Auf keinen Fall ist aber bei dieser Mittelverwendung daran gedacht, sie für eine Propagierung im Sinne richtungspolitischer Zwecke einzusetzen und zu verwenden. Gerade eine solche Verwendung ist doch von Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, in diesem Hause mehrfach kritisiert worden. Hierbei muß besonders bedacht werden, daß der gleiche Aufsatz immerhin in einer SPD-Zeitung in Bielefeld erschienen ist und sich damit das Kolorit einer parteipolitischen Färbung zugelegt hat.
— Das braucht nicht schrecklich zu sein, ich stelle das nur fest. Damit steht doch fest, daß es sich um parteipolitische Bekenntnisse handelt. Für solche Bekenntnisse sind die Mittel aber nicht gedacht. Ich bin überzeugt, daß die Öffentlichkeit, wenn sie erfährt, daß die Mittel des Bundesjugendplans dazu dienen sollen, parteipolitische Propaganda zu machen, dafür kein Verständnis finden wird.
Auf gar keinen Fall können diese Mittel der Öffentlichkeit dazu bestimmt sein, auf dem Rükken der Jugendbewegung parteipolitische Kämpfe auszutragen. Die Öffentlichkeit ist mit Recht sehr empfindlich, wenn sie die Verwendung von Steuergeldern für parteipolitische Auseinandersetzungen feststellen muß.
Das setze ich absolut voraus. Aber Sie sind sich auch klar darüber — und das sollten Sie berücksichtigen —: Mit Herabwürdigungen von Institutionen des Staates fing schon immer der Kampf gegen den Staat an
und hörte immer das Ringen um den Staat auf. Der Staat darf auch nicht in den Konflikt gestellt werden, für die Entwertung seiner eigenen fundamentalen Institutionen Spenden leisten zu müssen. Ich bin auch der Meinung, daß für den Fall, daß die Mittel des Bundesjugendplanes für solche Zwecke in Zukunft mißbraucht werden sollten, ihre Zweckbindung tatsächlich enger gefaßt werden müßte, um derartige Auswüchse zu unterbinden.
Meine Damen und Herren, in dem Aufsatz, den Sie selbst zwar nicht, aber dessen Erscheinen Sie verteidigen, ist weder gedanklich noch in der Form ein Beispiel jugendfördernder Arbeit geliefert worden, und Sie täten gut daran, sich davon zu distanzieren. Sie könnten sich sonst bald in unangenehmster politischer Gesellschaft befinden.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dresbach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein scherzhaftes Wort zur Einleitung! Als Herr Goethe Exzellenz geworden war, berühmt geworden war, gelang es ihm, die Schriftstellerhonorare mächtig zu steigern. Ich könnte mir vorstellen, daß mein engerer Landsmann Lohmar, der Sohn eines guten Freundes — er gehört zwar einer anderen politischen Konfession an —,
nachdem sich der Bundestag so stundenlang mit ihm befaßt hat, nunmehr vor seinen Verleger tritt und sagt: Ich bin berühmt geworden wie Exzellenz Goethe; herauf mit den Honoraren für Zeile und Gehalt!
Aber nun ein ernsthaftes Wort allgemein, meine Damen und Herren: Mir sind doch starke Bedenken gekommen ob des Zustandes, daß Organisationen und insbesondere Jugendorganisationen vom Staate dotiert oder teilweise finanziert werden. Ich kann mir nicht vorstellen, daß jene jugendbewegten Menschen, prächtige Menschen,
die seinerzeit zum Hohen Meißner emporgezogen
sind, vom Staate Geld entgegengenommen hätten.
Es liegt etwas im Wesen dessen, der Geld gibt, daß er Einfluß zu nehmen gedenkt.
Das hat der Staat mit dem Bankier gemeinsam.
Nun aber ein ernstes Wort noch zu dem speziellen Fall. Ich habe mich gefreut, daß Herr Kühn und auch Herr Schmid erkannt und erklärt haben, daß Ulrich Lohmar vorbeigefochten hat. Nun, das kann mal vorkommen. Das sehe ich etwas weniger streng im Gegensatz zu meinem Kollegen Majonica, der noch rank, schlank und jugendfrisch ist. Ich war es auch einmal.
Aber die Verfettung hat auch etwas Gutes: sie macht nachdenklich und duldsam.
Aber der Kollege Schmid hat sehr nett gesagt: Man muß auch den Mut zum — na, ich darf mal in alter Studentensprache sprechen — Revozieren und Deprezieren haben, wenn man eingesehen hat, daß man einen Bock geschossen hat. Ich darf aus meiner studentischen Vergangenheit etwas erzählen. Ich hatte mal an der Georgia Augusta geramscht und kontrahiert, und nun erklärte mir das Ehrengericht: Nee, du kriegst keine Genehmigung, anzutreten! Du hast dich vorbeibenommen! Du revozierst und deprezierst jetzt, d. h. du nimmst das mit dem Ausdruck des Bedauerns zurück!
Und nun sehen Sie mal, meine Herren von der Sozialdemokratie: Wenn Sie den Ulrich Lohmar — er ist ja auch nicht mehr so jung — beim Ohrläppchen genommen und ihm gesagt hätten: Nun nimm das mal mit dem Ausdruck des Bedauerns zurück, du hast vorbeigeknallt, das kann passieren! Aber wenn man sich vorbeibenommen hat, dann nimmt man das mit dem Ausdruck des Bedauerns zurück! — Und Herr Kollege Kühn: Sie distanzieren sich ja sehr stark vom Sozialistischen Studentenbund, aber eine gewisse Konzernzugehörigkeit ist doch da!
Jedenfalls, meine Herren von der Sozialdemokratie, wenn Sie den Lohmar wohlwollend beim Ohrläppchen genommen und ihm gesagt hätten: Nimm das zurück, du hast vorbeigeknallt!, dann wäre uns diese Debatte, die ich an sich nicht bedaure, doch wohl erspart geblieben.
Das Wort hat der Abgeordnete Jacobi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich merke aus Ihrem Murren, daß Sie sehr böse darüber sind, daß sich noch mehr Redner melden, an einem Donnerstagnachmittag vor einem sitzungsfreien Freitag. Aber ein paar kurze Bemerkungen möchte ich mir doch erlauben
und dabei an das anknüpfen, was der Herr Kollege Dr. Dresbach gesagt hat.
Ich glaube, die Affäre ist von beiden Seiten nicht sehr glücklich angepackt worden. Es besteht nach meiner Auffassung nicht das Recht zur vollen Identifizierung der Äußerungen von Herrn Lohmar und der Mitglieder des Sozialistischen Studentenbundes; und auf der andern Seite ist es so, daß wir, meine Damen und Herren, allen Anlaß haben sollten, für uns alle eine nützliche Lehre zu ziehen. Es ist doch fraglos so, daß nach den Erklärungen, die in diesem Hause abgegeben worden sind, kein Zweifel darüber bestehen kann, daß auch bei der sozialdemokratischen Fraktion erhebliche Monita geltend gemacht worden sind gegen das, was Herr Lohmar geschrieben hat. Das Hineinziehen der Tübinger Geschichte wird von meinem Kollegen Kühn am Schluß noch zum Gegenstand von Darlegungen gemacht werden.
Weshalb ich mich melde, meine Damen und Herren, ist etwas anderes. Herr Kollege Prinz zu Löwenstein hat Bezug genommen auf die Situation vor 1933 und auf die Schwierigkeiten, die der demokratischen Willensbildung an den Universitäten damals entgegenstanden. Es will der Zufall, daß ich vor ihm der Reichsvorsitzende des Deutschen Republikanischen Studentenbundes gewesen bin. Ich war aber gleichzeitig eine Zeitlang Mitglied der Sozialistischen Hochschulgemeinschaft, die ungefähr mit dem identisch ist, was heute als Sozialistischer Studentenbund existiert. Ich bin damals in einem sehr schweren Konflikt aus der Sozialistischen Hochschulgemeinschaft ausgetreten. Es handelte sich um einen Fall, der dem ähnelt, der hier heute diskutiert worden ist. Meine Damen und Herren, ich muß sagen, ich bin heute noch froh darüber, daß damals an unseren Universitäten nicht nur allgemein ein freier Geist herrschte, sondern daß in den Studentengruppen auch unterschiedliche Meinungen diskutiert und gelegentlich zum Gegenstand lebhaftester Auseinandersetzung gemacht wurden.
Wir haben uns nach 1945 mit Recht immer wieder gegen eine Kollektivhaftung und eine Kollektivschuld gewehrt. Wir sollten es auch hier tun, indem wir nicht eine ganze Gruppe dafür strafen und in ihrer Arbeit hindern, daß eines ihrer Mitglieder, das heute nicht einmal mehr Vorsitzender ist, vielleicht aus der Reihe getanzt ist.
— Wir hab en uns distanziert! Verzeihen Sie gütigst, Herr Kollege Majonica, deutlicher konnte man das nicht zum Ausdruck bringen, als das heute hier im Hause erklärt worden ist. Ich bin deshalb ein wenig traurig darüber, daß der Herr Minister, als er sich hier noch einmal zum Wort meldete und zunächst darauf hinwies, er werde noch eine tatsächliche Erklärung abgeben — so daß ich den Eindruck hatte, er werde unter dem Gewicht der Ausführungen von Herrn Professor Schmid hier irgendeine Geste zu erkennen geben —, zum Schluß doch erklärte: „Was meine Beamten verfügt haben und was ich gebilligt habe, ist Rechtens und bleibt."
In diesem Zusammenhang nur ein Hinweis. Es ist nicht nur der Sozialistische Studentenbund, der Schwierigkeiten gehabt hat. Es gibt eine ganze Reihe von Organisationen, die gefördert werden und die unter dem ständigen Druck gewisser be-
amteter Kreise stehen, vor dem sie sich fürchten und von dem sie immer wieder befürchten müssen, daß sie dadurch in ihrer Arbeit eingeschränkt werden.
— Meine Damen und Herren, ich will hier keine Mitglieder dieses Hauses als Zeugen anrufen. Es gibt deren in allen Fraktionen, und einige lächeln mir zu; sie wissen genau, worum es geht.
Ich bitte den Herrn Minister, dafür Sorge zu tragen, daß dieser Fall mit dazu führt, daß bei aller wachsamen Kontrolle aus zu unterstützenden Schutzprinzipien der Demokratie nicht Beamte gewissermaßen mit der ständigen Drohung, Geldmittel zu entziehen, in die Gewissens- und Meinungsfreiheit eingreifen. Das ist in der Vergangenheit geschehen und droht zu bleiben, wenn diese Dinge nicht vom Herrn Bundesinnenminister in loyaler Weise im Interesse der Demokratie sehr sorgfältig beobachtet werden.
Als letzter Redner auf der Rednerliste hat das Wort der Abgeordnete Kühn .
Meine Damen und Herren! Herr Kollege Majonica hat die Ereignisse von Tübingen sehr stark in den Mittelpunkt seines Diskussionsbeitrages gestellt. Ich will gern in aller Klarheit dazu Stellung nehmen. Aber lassen Sie mich vorher noch eines ebenso klar sagen. Ich bedauere sehr den Tenor der Darlegungen des Kollegen Majonica, den Tenor der ständig mitschwingenden Unterstellung gegen uns, der mich ein klein wenig an zurückliegende Zeiten erinnert hat, in denen man uns „vaterlandslose Gesellen" zu nennen pflegte.
— Indem Sie uns, Herr Kollege Majonica, gegen Ihr besseres Wissen mit den Tübinger Ereignissen identifiziert haben, haben Sie dies getan.
Sie haben auf die Darlegungen meines Freundes Carlo Schmid gerufen: Ja, wenn Herr Kollege Kühn das gesagt hätte, was Sie gesagt haben! In dem Augenblick, als ich sprach, standen nicht die Ereignisse in Tübingen zur Diskussion, sondern der Artikel, der im „Standpunkt" veröffentlicht ist. Herr Kollege Schmid hat gesagt, er sei der Meinung, daß ich in ausreichender Deutlichkeit von diesem „Standpunkt"-Artikel Abstand genommen hätte. Ich stehe nicht an, hier meinerseits zu sagen, daß ich die Tübinger Ereignisse genauso beurteile, wie sie der Kollege Carlo Schmid eben beurteilt hat. Aber der „Standpunkt"-Artikel, der hier zur Diskussion stand, hat nichts zu tun, steht himmelweit getrennt von den Ereignissen in Tübingen und ist nicht auf die gleiche Ebene zu stellen.
Was liegt den Darlegungen des Kollegen Majonica zugrunde? Zunächst einmal eine Veröffentlichung dieses Pamphlets in „Christ und Welt" unter der Überschrift „Anarchisten am Werk". In dieser Darlegung heißt es, daß der Sozialistische Studentenbund in Tübingen dieses Pamphlet, das wir alle miteinander ablehnen, in seinem Aushängekasten ausgehängt und daß sich der Vorsitzende des Sozialistischen Studentenbundes mit diesem Pamphlet identifiziert habe. Sehen Sie,
Herr Kollege Majonica, Sie gehen einfach auf eine solche Pressenotiz ein, ohne sich der Unterlagen zu bedienen, die Ihnen mittlerweile wie jedem anderen Mitglied dieses Hauses zur Verfügung stehen. Sie sind eifrig bemüht, alle diejenigen Seiten an den Ereignissen zu zitieren und gegen uns zu gebrauchen, mit denen man die Sozialdemokratische Partei mißkreditieren kann. Aber Sie bekunden keineswegs den gleichen Eifer bei der Hinzuziehung all derjenigen Gesichtspunkte, die dieser Ihrer wohlüberlegten Absicht im Wege stehen.
Es war töricht, zu sagen: Am 5. ist dieser Artikel dort erschienen, und bis zum 15. hat der Sozialistische Deutsche Studentenbund noch nicht davon Abstand genommen. Es war ja nicht seine Publikation, und Sie werden nicht erwarten können, daß der Bundesvorstand einer Organisation innerhalb von acht Tagen zusammentritt. Sie haben genauso wie jeder andere gewußt, daß der Bundesvorstand des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes in der ersten Sitzung, die er seitdem gehabt hat, eine Presseverlautbarung herausgegeben hat, die ich nach diesen Ihren Darlegungen gezwungen bin mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten Ihnen im Wortlaut vorzulesen. Es heißt darin:
Er stellt dazu fest, daß die dort
— in diesem Tübinger Dokument — wiedergegebene Stellungnahme der Tübinger „Studentischen Aktion" bei der Veröffentlichung im Aushangkasten der Tübinger SDS-Gruppe deutlich als nicht die Meinung des SDS wiedergebend gekennzeichnet war.
Der Bundesvorstand distanziert sich scharf von diesem Pamphlet, das in Inhalt und Ton jede Fairneß in der politischen Auseinandersetzung vermissen läßt und damit gerade jenen einen schlechten Dienst erweist, denen es mit dem Kampf gegen die Wiederaufrüstung in einem geteilten Deutschland ernst ist. Aus diesem Grunde mißbilligt der Bundesvorstand die Veröffentlichung dieser Meinungsäußerung durch eine SDS-Gruppe. Denn dadurch konnte der Eindruck entstehen, der SDS identifiziere sich zumindest mit dieser Form der politischen Diskussion.
Sehen Sie, Herr Kollege Majonica, das hat in der Presse gestanden, das ist veröffentlicht worden, das liegt seit einigen Tagen auf dem Tisch. Wenn Sie sich hier hinstellen und eine Debattenrede halten, sind Sie verpflichtet, sich all der Elemente der Tatsachenerkenntnis zu bedienen, die Ihnen zur Verfügung standen. Ich bin kaum in der Lage, zu glauben, daß Sie das nicht gekannt haben.
Nun darf ich dem schlecht unterrichteten Kollegen und besser zu unterrichtenden Kollegen Majonica zu seiner besseren Unterrichtung noch etwas hinzufügen, was er nicht hat wissen können, wie ich annehme. Der Vorsitzende der SDS-Gruppe in Tübingen, der von Ihnen zitierte Herr Mossmayer, hat in einem Brief an „Christ und Welt" wörtlich geschrieben: „Ich habe das Pamphlet weder begrüßt noch angepriesen". Er hat aber geglaubt, aus Motiven, über die ich noch sprechen werde, es einer Diskussion unterbreiten zu sollen. Er hat in diesem Brief an „Christ und Welt" weiter etwas geschrieben, was ich Ihnen zitieren möchte, denn ich glaube, es ist des ernsten Zuhörens wert. Herr Mossmayer, den Sie angriffen und von dem Sie unterstellten, daß er sich dieses Pamphlet zu eigen
machte, hat geschrieben — eine Formulierung, über die Sie diskutieren können; aber ich glaube, Sie sollten sie ernsthaft anhören —:
Ob ich mein Vaterland bejahe oder nicht, hängt für mich von den konkreten Verhältnissen im Vaterland ab. Beispielsweise bekenne ich mich zu den Männern des 20. Juli 1944, die Verbindung knüpften zu Deutschlands Kriegsgegnern. Andererseits würde ich für die Bundesrepublik, falls der Bolschewismus sich anschickte, sie militärisch anzugreifen, mein Leben einsetzen, weil mir das gegenwärtige Sowjetrußland weitaus mehr mißfällt als die gegenwärtige Bundesrepublik.
Ich glaube, daß man über diese Formulierung diskutieren kann; aber ich glaube auch, daß sie nicht das Bild eines Mannes darstellt, das Sie eben zu entwickeln versucht haben.
Nun, meine Herren, ich sage: auch diese Formulierungen sind umstreitbar. Aber lassen Sie mich hier ein Wort zu ihrem Inhalt sagen. Wer wagt zu bestreiten, daß sich ein sehr ernst zu nehmender Wahrheitskern in ihrem Inhalt befindet? Wer will bestreiten, daß Begriffe wie „christliches Abendland" und „deutsches Vaterland" von nicht wenigen in unserem Volk als Tarnformel höchst materialistischer, antichristlicher, antivaterländischer Interessen mißbraucht werden;
derart mißbraucht werden, bis zur Ekelerregung mißbraucht werden, daß die Empörung über eine solche Entwertung und Entwürdigung insbesondere bei jungen Menschen zu ressentimenterfüllten Formulierungen führen kann, die mit dem denaturierten Klischee, das man hier attackiert, gleichzeitig auch den uns allen gemeinsamen hohen Wert dieser Begriffe in Frage zu stellen droht?
Wie oft verbirgt sich nicht die satte Spießigkeit so mancher Bundesbürger hinter diesen bierbankgeschwollenen Phrasen vom Vaterland!
Wer aus meinem Munde nicht gern eine solche Erklärung vernimmt, der mag das in dem unlängst erschienenen Buch des Jesuitenpaters Brockmüller nachlesen. Ich glaube, er wird darin sehr viel Material aus der gleichen Erkenntnis finden.
Es sollte Ihnen, meine Herren, sehr zu denken geben — ohne daß ich damit auch nur im mindesten als Verteidiger dieses Pamphlets von Tübingen mißverstanden werden möchte —, daß diese „Studentische Aktion", die es herausgegeben hat, — und das war ein kleines Mißverständnis meines Freundes Carlo Schmid — aus anerkannten politischen Flüchtlingen aus der Sowjetzone besteht. Vielleicht haben die Erlebnisse, die sie bei uns gehabt haben, dazu geführt, daß sie aus einem Gefühl der Enttäuschung heraus sich in Formulierungen gesteigert haben, die wir verabscheuen, die wir für falsch halten und die wir nicht hinnehmen können.
Der Wert des Vaterlandes hängt — und insoweit möchte ich die Worte des SDS-Vorsitzenden aus Tübingen durchaus unterstützen — von der inneren Ordnung dieses Vaterlandes nach sittlichen Prinzipien ab. Was die sozialistischen Studenten in Tübingen gesagt haben, ist keine Flucht vor den Pflichten dem Vaterland gegenüber, sondern, wie
ich glaube, die Forderung nach der höchsten Erfüllung der Pflicht dem Vaterland gegenüber, so wie es Sozialisten von Anfang an gefordert haben. Ich denke an das schöne Bild von dem Vaterland als einem in höchster Vollendung anzustrebenden Ziel, das Jean Jaurès, der große Führer der französischen Sozialisten, vor Ausbruch des ersten Weltkriegs einmal in die Formulierung kleidete:
Wir wollen, daß jedes Vaterland in höchster Erfüllung schwingende Saite an der Lyra der Menschheit ist.
Aber die deutschen Sozialdemokraten? werden Sie fragen. Sie haben kein Recht zu dieser Frage; denn die Sozialdemokratische Partei hat nie Veranlassung gegeben, an ihrer Vaterlandsbejahung irgendwie zu zweifeln.
Nein, die deutschen Sozialdemokraten, denen mit manchem Unterton der heutigen Debatte, wie ich jedenfalls herauszuhören glaubte, ein Vorwurf gemacht wurde, die deutschen Sozialdemokraten haben in August Bebel einen Zeugen, den ich Ihnen hier auch zitieren möchte. August Bebel hat in einer Reichstagsdebatte einmal gesagt:
Wenn es sich um die Existenz Deutschlands handelt, dann sind wir bis zum letzten Mann bereit, die Flinte auf den Buckel zu nehmen und unseren deutschen Boden zu verteidigen, nicht Ihnen,
— an die bürgerliche Seite des Hauses gerichtet —
sondern uns zuliebe, selbst meinetwegen Ihnen zum Trotz. Wir leben und kämpfen auf diesem Boden, unser Heimatland, das so gut unser Vaterland, vielleicht noch mehr als Ihr Vaterland ist, so zu gestalten, daß es eine Freude ist, in demselben zu leben, auch für den letzten unter uns. Das ist unser Bestreben, das suchen wir zu erreichen, und deshalb werden wir jeden Versuch, von diesem Vaterland ein Stück Boden wegzureißen, mit allen uns zu Gebote stehenden Kräften bis zum letzten Atemzug zurückweisen.
Ich hoffe, daß Ihre Einsicht Ihnen gestattet, diese sozialdemokratische Gesinnung zu respektieren.
Nun zur Sache des Tages. Ich möchte bei der Debatte, die wir hier über die Maßnahmen des Innenministeriums zu führen haben, davon absehen, mich mit den Ausführungen des Herrn Kollegen Becker von der DP zu beschäftigen. Ich akzeptiere diejenigen nicht als Gralshüter der Demokratie, die Uns gelegentlich Veranlassung geben, nach ihren Formulierungen zu vermuten, daß ihnen die Demokratie nichts anderes ist als die momentane Verhinderung ihres Gegenteils.
Nun, wenn der Herr Kollege Becker, das Ministerium rechtfertigend, von „gewissen Erziehungsmaßnahmen gesprochen hat, die hier am Platze" seien, so habe ich ein wenig das Gefühl gehabt, daß, um seine eigenen Worte zu gebrauchen, diese Erziehungsmaßnahmen von ihm gemeint sind aus dem „Geist stolzer schwarz-weiß-roter Tradition."
Und da gehört noch etwas anderes hinein. Ich habe einen Zettel bekommen von einem meiner Kollegen, der es besser gehört hat. Er gehört nicht einmal zu meiner Fraktion. Danach hat der Herr
Professor Brühler einen Zwischenruf gemacht, der uns entgangen ist. Er soll nach dieser Notiz gerufen haben: „Es soll mal endlich Kommiß kommen! Der tut ihnen sehr gut! Da werden sie wahrhaft freie Leute!"
Nun zu den ernsten Auseinandersetzungen um das Problem, obschon auch die eben behandelten Bemerkungen, da sie in diesem Hause gefallen sind, mit ins Bild der Debatte gehören. Der Herr Bundesinnenminister hat gesagt: Die Darlegungen von Herrn Lohmar im „Standpunkt" übertreffen alles, was bisher in der Bundesrepublik gegen die Demokratie veröffentlicht worden ist.
— Genauer zitieren? Habe ich Sie mißverstanden? Dann wäre ich für einen Zwischenruf dankbar.
Sie zitieren nicht genau. Der Satz heißt: „Die Ausführungen von Herrn Lohmar übertreffen an Verunglimpfung alles, was bisher über den Bundestag und seine Arbeit gesagt worden ist."
Ich bin Ihnen für diese Aufklärung sehr dankbar. Sie steht nicht im Gegensatz zu dem, was ich gesagt habe, sondern sie ergänzt nur. Und da möchte ich nun einmal an die Formulierung erinnern, die der Herr Bundesinnenminister, jedenfalls in dieser seiner Darlegung, ausgeklammert hat. Sie kommt aus dem Bereich der „Abendländischen Aktion", da, wo es beispielsweise im „Ordnungsbild der Abendländischen Aktion", Nr. 16, heißt:
Die Behauptung, daß nur derjenige Staat, der aus Massenwahlen unter Anwendung des allgemeinen, gleichen Wahlrechts hervorgeht, der einzig wahre Staat sei, ist eine Irrlehre.
Ich könnte eine Reihe anderer Zitate bringen. Die Zeit erlaubt es nicht. Vielleicht noch eins: „Ein Volk, das sich in Parteien auflöst, ist ein sich zersetzendes Volk, das seine innere Einheit längst verloren hat. Der natürlichen Ordnung entsprechen die Berufsstände, nicht die Parteien." Vielleicht ist das der Aufmerksamkeit derjenigen entgangen, die sonst Gralshüter der Demokratie in der Prägung des Grundgesetzes sind, weil eben einige Bundesminister zumindest eine Zeitlang hindurch dieser Abendländischen Aktion sehr nahe gestanden haben. Im Zusammenhang damit — ich habe das Zitat von Herrn Dr. Emil Franzel gebraucht — hat es Herr Majonica für gut befunden, etwas, ich möchte fast sagen, wehleidig zu sagen, wir Sozialdemokraten wollten diesem kriegsbeschädigten Mann seine Rente nehmen.
— Aber Sie haben es doch mit einem Ton der Kritik vermerkt, daß diesem Mann die Beamtenpension von uns genommen werden soll.
- Nun, dann wäre ich dankbar, wenn es die Geschäftsordnung des Parlaments erlaubte, diesen
Satz vom Magnetophonband hier noch einmal vorzuspielen. Wenn wir die Beamtenpension einem Mann nehmen wollen, der das gegen die Demokratie geschrieben hat, was ich eben in meiner Einleitungsrede zitiert habe, sollten Sie dafür Verständnis haben; denn dieser Mann hat Sie selbst einen Schafskopf genannt,
er hat die Abgeordneten in der Demokratie und unser Parlament als Institution so tituliert.
— Uns beide, sicher, einverstanden, uns alle miteinander!
Nun hat der Kollege Dresbach ein sehr ernstes Problem angegriffen. Er hat gesprochen über die Problematik der Finanzierung der Jugendarbeit aus öffentlichen Mitteln, und ich glaube, daß hier in der Tat ein sehr ernstes Problem vorliegt. Die Selbstgestaltung aus dem Geist der Jugendbewegung, aus der viele unter uns hervorgegangen sind, beruhte materiell auf den Mitteln, die wir uns selbst haben erarbeiten müssen.
Die öffentliche Unterstützung der Jugendorganisationen hat auch dann ihre problematische Seite, wenn es nicht so ist, daß der Geldgeber auch immer der Richtungsgeber der geistigen Orientierung sein will.
Ich habe aus den gleichen Gründen, die Herr Kollege Dresbach angetippt hat, Sorge um unsere Jugendbewegung heute in Deutschland. Die Finanzierung der Jugendorganisationen aus öffentlichen Mitteln scheint mir nur erträglich zu sein, falls sie ohne jede Auflage erfolgt, ohne jede Forderung einer Regierung nach Sollerfüllung einer bestimmten Gesinnung und Haltung, die der Regierung genehm ist. Wir haben bestimmte Grundsätze, daß sie auf dem Boden der freiheitlichen Ordnung unseres Grundgesetzes stehen müssen. Aber das ist die einzige Begrenzung, die es geben darf. Wenn eine Regierung die Institution ist, die das Geld verteilt, dann — und ich greife die Argumentation von Herrn Dresbach auf — ist es fast immer so, daß diese Regierung diese Definition, daß die Organisation auf der Basis des Grundgesetzes zu stehen hat, so interpretiert, daß sie regierungsgefügig zu sein hat. Hier liegt ein Problem.
Ich weiß, der Herr Innenminister hat erklärt, daß dies der Regierung fern liege. Aber ich glaube, daß ich mich hier zumindest mit Herrn Kollegen Dresbach in Übereinstimmung befinde, wenn ich sagte: Diese Gefahr zumindest ist immer wieder da. Ich kann mir kaum eine Regierung vorstellen, die diese Möglichkeit nicht doch gelegentlich zu benutzen und Staat und Regierung miteinander zu identifizieren geneigt sein wird.
Wenn aber, dann wollen wir, daß die öffentlichen Mittel zur Verfügung gestellt werden in Unabhängigkeit und in Großzügigkeit als Förderungsmaßnahmen und nicht als Lenkungsmaßnahmen. Dann aber, meine Damen und Herren, können sie und in der gegebenen historischen Situation Deutschlands sind sie sogar wichtig und richtig. Denn wenn man sieht, mit welchen Mitteln in anderen politischen Systemen gearbeitet wird, dann müssen auch wir etwas für die freiheitliche Erziehung unserer Jugend tun.
Aber ich habe das Gefühl, daß gelegentlich bei dieser unserer Regierung eine gefährliche Tendenz sichtbar wird, die Vergabe und die Manipulierung dieser Mittel aus einer Haltung zu betreiben, die nicht der ursprünglichen Absicht entspricht.
Herr Kollege Majonica, Sie haben davon gesprochen, daß eine Akzentverschiebung in der Debatte erfolgt sei, daß die Beleidigung des Parlaments im Vordergrund zu stehen habe und nicht die Diskussion über die Maßnahme der Sperrung der Mittel. Über den Inhalt des Artikels glaube ich eingangs das Notwendige gesagt zu haben. Ich habe ihn als ungut, als unsachlich bezeichnet. Es steht hier nicht so sehr zur Diskussion, diesen Artikel zu analysieren, zu diskutieren und zu beurteilen, sondern die Aufgabe dieses Hauses ist es, zu untersuchen, ob die Regierung in der geeigneten Weise darauf reagiert hat. Dies ist das zentrale Anliegen unserer Großen Anfrage gewesen. Und hier habe ich das Gefühl, Herr Minister — lassen Sie mich das an Ihre Adresse sagen —, Sie verlangen, auf dem hochgezäumten Roß des Prestiges sitzend: Der Sozialistische Deutsche Studentenbund soll die Mittelsperre dadurch beseitigen, daß er sein Bedauern ausdrückt. Begreifen Sie nicht, was in der Diskussion schon mehrfach gesagt worden ist, daß Sie hier eine — mißverstehen Sie das jetzt nicht! — Selbstentwürdigung nach dieser Ihrer Maßnahme fordern?
Wenn Sie v o r her an diesen Verband herangetreten wären, ohne die Methode des vorherigen Brotkorb-Höherhängens zu praktizieren, dann würde ich dies durchaus verstanden haben. Aber jetzt bedeutet dies: Es wäre würdelos, sich darauf einzulassen, wie es meines Erachtens würdelos ist, dies zu erwarten, nachdem diese Maßnahme ergriffen worden ist. Das eine ist nicht die Voraussetzung des anderen, und das andere ist nicht die Vorausestzung des einen.
Sie können doch nicht im Ernste fordern: Erst müßt ihr zu Kreuze kriechen, und dann kriegt ihr wieder Förderungsmittel! Das ist ebensowenig zu erwarten und ebensowenig moralisch gut, wie vom Sozialistischen Studentenbund zu erwarten, daß er argumentiert: Wenn die Förderungsmittel wieder fließen, dann werden wir uns entschuldigen, als Honorar gewissermaßen. Das wäre doch nicht die Haltung, die Sie ernstlich erwarten können, wenn es Ihnen darum geht, die Würde des Parlaments durch die Jugendorganisationen respektiert zu sehen, wenn Sie sagen: Entschuldigt euch mal, dann kriegt ihr wieder Geld! Wir wollen doch nur ein Bekenntnis erwarten, das aus Freiwilligkeit und aus Einsicht und nicht tinter dem Druck der Verhängung einer Sperre der materiellen Mittel erfolgt.
Einer der Diskussionsredner — ich weiß es nicht, wer — hat gesagt, es sei doch vom Innenministerium eine goldene Brücke gebaut worden. — Eine goldene Brücke der Unterwerfung! Meine Herren, diese Brücke ist mir eben zu golden, als daß ich sie als moralisch anerkennen möchte.
Der Sozialistische. Deutsche Studentenbund hat eine Erklärung abgegeben, die mir ausreichend erscheint. Er hat die Erklärung abgegeben, daß er mit diesem Artikel nicht die demokratische Grundordnung antasten wollte, — —
— Lassen Sie mich bitte ausreden; ich bin noch nicht am Ende, ich bin erst beim Komma. — Ob darüber hinaus eine weitergehende Erklärung erfolgen sollte, kann nicht zum Gegenstand einer vorherigen Kapitulationserklärung gemacht werden. Wir haben hier an die Adresse des Ministeriums zu sagen: Die Maßnahme des Innenministers ist ungerechtfertigt, und weil sie dies ist, muß sie aufgehoben werden.
Herr Abgeordneter Kühn, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Gerne!
Herr Abgeordneter Majonica zu einer Zwischenfrage!
Herr Abgeordneter Kühn, ist Ihnen der Unterschied zwischen Distanzierung und Interpretation in diesem Zusammenhang bewußt?
Selbstverständlich ist mir das bewußt. Aber ich bin noch nicht am Ende. Das, was meine eigentliche Antwort auf Ihre Frage ist, kommt jetzt.
Wir haben heute zum erstenmal aus dem Munde des Herrn Innenministers erfahren, daß es einen Brief des Bundestagspräsidenten gibt, in dem er sagt, daß er den Brief, den ihm der Sozialistische Deutsche Studentenbund geschickt hat, als nicht ausreichend empfinde. Gestatten Sie mir, auch in Abwesenheit des Präsidenten zu sagen, daß es mir befremdlich erscheint, daß der Herr Präsident nicht der Organisation, die ihm den Brief geschrieben hat, selbst mitgeteilt hat, daß ihre Haltung ihm nicht ausreichend ist,
denn dann hätte eine weitere Verhandlung stattfinden können. Mir hat der Bundesvorsitzende des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes mitgeteilt, er habe den Brief, aus dem ich Ihnen eben zitiert habe, dem Herrn Bundestagspräsidenten geschrieben; eine Antwort sei nicht erfolgt, und deshalb nehme er an, daß der Herr Bundestagspräsident diesen Brief akzeptiert.
Ich weiß, daß der Verband bereit ist, an die Adresse des entscheidenden Hüters der. Würde unseres Parlaments, des Herrn Bundestagspräsidenten, jede vertretbare Erklärung abzugeben, nicht aber an die Adresse des Herrn Bundesinnenministers unter der Auflage: Ihr bekommt erst Mittel, wenn ihr das tut!
Diese Haltung des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes, dem Herrn Bundestagspräsidenten gegenüber — der nichts mit der Vergabe von Mitteln zu tun hat — eine befriedigende Erklärung abzugeben, halte ich für moralisch würdiger als irgendeine andere Erklärung an die Adresse eines Mannes, der mit dem Geldbeutel winken kann.
Ich glaube, daß damit auch eine Antwort auf die Anregung des Kollegen Dresbach gegeben ist, der gesagt hat, daß es nicht unehrenhaft ist, zu revozieren, wenn man sich vergaloppiert hat. Ohne jeden Zweifel glaube ich, daß eine solche Revozierung am Platze ist; aber es kommt auf die Umstände und Bedingungen an, unter denen sie allein möglich ist. Ich glaube also, der Sozialistische Deutsche Studentenbund ist dazu bereit, auch ohne daß Sie seine „Konzernzugehörigkeit" zu uns strapazieren.
Abschließend: Sie wissen ganz genau, Herr Bundesinnenminister, daß in der Art der Beurteilung Ihrer Maßnahme, die Mittelsperre zu verhängen, ohne vorher mit der betroffenen Organisation gesprochen zu haben, an der Seite des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes alle die anderen Organisationen stehen.
Die entscheidende Frage ist, Herr Bundesinnenminister, ob ohne jeden weiteren Versuch, die Dinge anders aus der Welt zu räumen, die erste Maßnahme die Mittelsperre sein sollte. In der Ablehnung dieser Ihrer Praxis standen die gesamten Jugendorganisationen an der Seite des SDS. Ich halte es nicht für gut, daß Sie in Ihren Darlegungen, wenn ich Sie nicht falsch verstanden habe, gesagt haben, daß Sie auch künftig in der Beurteilung solcher politischen Dinge nicht die Selbstentscheidungskörperschaft, die sich die Jugendorganisationen geschaffen haben, als Berater der Bundesregierung hören wollen. Ich halte es für eine verhängnisvolle Entscheidung, wenn Sie das so praktizieren würden, für einen verhängnisvollen Schritt weg von der demokratischen Selbsterziehung der Jugend und hin zu einer politischen Domestizierung mit den goldenen Ketten der finanziellen Subvention, dann beginnt ein Tanz um das goldene Kalb, — mit der Erwartung von Sondergratifikationen für besonderen Konformismus.
Zumindest züchten Sie bei charakterlich anfälligen Menschen die Tendenz, so zu reagieren.
Die ursprüngliche Zweckbestimmung des Bundesjugendplan wäre damit verfälscht. Der Bundesjugendplan wäre ins Gegenteil dessen verkehrt, als was er von der Gesamtheit dieses Hauses gemeinsam getragen wurde: eine Maßnahme zur Förderung der freiheitlichen Selbstentfaltung der demokratischen Jugend aller weltanschaulichen und aller politischen Richtungen gegen die Ziele und gegen die Methoden einer im Osten betriebenen Regierungssubvention mit dem Ziel der politischen Ausrichtung der Jugend. Ich fürchte, daß die Praxis, die hier beginnen könnte, viel mehr an die Praxis herankommt, gegen die wir den Bundesjugendplan gedacht haben.
Und nun abschließend ein Wort zu dem besonderen Anlaß unserer heutigen Debatte und zu dem besonderen Wunsch unserer Großen Anfrage. Ich weiß, daß Sie, Herr Bundesinnenminister, in diesem Hause noch über eine Mehrheit verfügen,
die Ihnen ein Festhalten an diesem Prestigestandpunkt gestattet. Aber ich hoffe — mindestens im
Namen aller einsichtsvollen Mitglieder dieses Hauses — erwarten zu dürfen: machen Sie eine Maßnahme rückgängig, die stilwidrige Äußerungen mit noch stilwidrigeren Mitteln ahndet,
die mit einer Methode der kollektiven Sippenhaftung einen grundsätzlich auch von Ihnen als demokratisch anerkannten Verband für einen Artikel maßregeln möchte.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst ein Wort an die Adresse des Herrn Kollegen Jacob i. Er hat hier die Behauptung aufgestellt, daß es zahlreiche Kollegen unter uns gäbe, die mit Beamten der Ministerien — ich muß wohl annehmen: der Bundesministerien — Erfahrungen dahin gemacht hätten, daß im Gesetz oder im Haushaltsgesetz vorgesehene Zuwendungen an unzulässige Auflagen geknüpft worden seien. Ich fordere ihn auf, Roß und Reiter zu nennen.
— Bitte sehr!
Ich darf dann zusammenfassend mit Rücksicht auf die vorgerückte Zeit nur noch ganz kurz folgendes sagen: Herr Kollege Kühn, Ihr Schlußwort enthielt ähnlich wie Ihre Ausführungen zu Beginn der Debatte eine Reihe von — ich drücke mich bescheiden aus — kräftigen Übertreibungen, um nur das Wort „kollektive Sippenhaftung" hier zu nennen.
Meine Damen und Herren, ich bitte wirklich, den Tatbestand so zu lassen, wie er ist. Hier ist keine Unterdrückung der Meinungsfreiheit vorgenommen worden. Der „Standpunkt" und Aufsätze von Herrn Lohmar erscheinen ungehindert, ohne Beleidigungsverfahren, ohne irgend etwas anderes; hier ist nicht etwa mit dem Gummiknüppel gearbeitet worden.
Die Meinungsfreiheit ist hier unangetastet. Der „Standpunkt", das Bundesorgan der sozialistischen Studenten, ist deswegen nicht ein einziges Mal weniger erschienen als bisher. Also bitte, bringen Sie nichts auf, was mit den Tatsachen nicht übereinstimmt! Wir machen dem „Standpunkt" keine Vorschriften, was er schreiben soll, aber wir werden die Mittel, über die die Verfügung uns anvertraut ist, so verwenden, wie es die Zweckbestimmung vorsieht, die dieses Haus selbst festgesetzt hat.
Das bedeutet keine goldenen Ketten; sie können schreiben, was sie wollen, solange sie sich im Rahmen der Verfassungsbestimmungen halten. Hier soll niemand unter ein kaudinisches Joch gehen. Aber niemand soll von uns verlangen, daß wir klar und bewußt gegen die Bestimmungen handeln, die dieses Hohe Haus selbst festgesetzt hat.
Der Tatbestand ist wesentlich einfacher, als das hier gelegentlich gesagt worden ist. Wenn Sie den Tatbestand sehen wollen, brauchen Sie nur noch einmal einen Blick in das Bulletin der Bundesregierung vom 19. Januar zu werfen. Dort steht das wirklich eindeutig: das und nichts anderes ist der Gegenstand der Debatte.
Wenn hier von dem Kollegen Prinz zu Löwenstein davon gesprochen worden ist, „Dem lebendigen Geiste", jenem Gundolf-Wort über dem Tor der Heidelberger Universität würde hier etwas angetan, wenn so gesprochen wird, als ob die Luft der Freiheit in der Bundesrepublik nicht mehr wehe, — meine Damen und Herren, eine gröbere Verzerrung der Tatsachen in unserem Vaterlande kann ich mir kaum vorstellen!
Es hat keine Zeit in Deutschland gegeben, in der ein solches Maß von Geistesfreiheit geherrscht hätte.
Meine Damen und Herren, — —
Meine Damen und Herren, — —
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, den Herrn Minister doch reden zu lassen. Man kann ihn nicht einmal hier oben verstehen.
Meine Damen und Herren, bringen wir den Tatbestand auf das, was ist! Und was ist das, was ist? Das sind Ausführungen, von denen sich mindestens die Mehrzahl der Redner, ich glaube, ich kann beinahe sagen: ohne Ausnahme, völlig distanziert hat. Herr Kollege Kühn hat in seinen einleitenden Worten sehr danach gesucht, wie weit er gehen sollte, ob er sie nur töricht nennen sollte, ob er sie — —; ich habe die einzelnen Ausdrücke nicht mehr in Erinnerung. Jedenfalls unterschieden sich eigentlich alle Redner keineswegs darin, daß diese Ausführungen zu verurteilen seien. Aber worum geht es dann noch? Dann geht es nur noch darum, daß das, was Sie hier getan haben — richtigerweise; niemand hätte etwas anderes erwartet; ich habe genug Unterhaltungen mit Kollegen aus der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion gehabt, um zu wissen, daß ihre Fraktion niemals daran denken könnte und würde, diese Äußerungen etwa unterstützen zu wollen daß also das, was Sie getan haben, diejenigen tun, die es angeht. Es hat hier nicht irgendein beliebiger Jugendlicher etwas geschrieben, was wir mit kollektiver Sippenhaft belegen wollten, sondern hier ist von dem 1. Vorsitzenden der Sozialistischen Studenten im Bundesorgan eine ganz bestimmte Publikation erfolgt. Wenn S i e sich davon distanzieren können, meine
Damen und Herren, um wieviel leichter sollte das den Sozialistischen Studenten selbst fallen!
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Arndt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, warum durch die Reihen der CDU eine so starke Bewegung geht.
Denn ich habe meinerseits nicht die Absicht, den schlechten Stil des Herrn Bundesministers des Innern nachzuahmen.
— Ich werde gleich darauf kommen.
Meine Damen und Herren, ich bitte den Abgeordneten Dr. Arndt doch zuerst reden zu lassen, ehe Sie ihn kritisieren.
Es wird hier etwas von dem Herrn Bundesminister des Innern dramatisiert und in einer ganz irrigen Weise dargestellt.
Niemand hat je bezweifelt, daß die Formulierung des Herrn Lohmar schlecht ist. Das will ich einmal ganz allgemein sagen.
Das ist von vornherein erklärt worden. Ich selbst habe mich sehr und lange bemüht, diesen Zwischenfall beizulegen. Deshalb, Herr Majonica, habe ich gesagt, es sei nicht wahr, wenn Sie hier behauptet haben, es sei absichtlich auf die Spitze getrieben worden.
— Nein, von niemanden meiner Fraktion! — Ich habe mich durch Anrufe bei Herrn Staatssekretär Bleek und gegenüber dem Herrn Bundesinnenminister sehr lebhaft bemüht, diese Dinge beizulegen, und ich glaube, das hätte möglich sein sollen. In einem Brief vom März habe ich dem Herrn Bundesminister des Innern geschrieben:
Weder ich noch einer meiner Freunde halten die von Herrn Ulrich Lohmar gebrauchten Formulierungen für besonders geistvoll oder gar glücklich.
— Ich komme gleich darauf.
Nun sagt der Herr Bundesinnenminister — und das ist diese maßlose Übertreibung —: das, was Herr Lohmar geschrieben habe, übertreffe alles an Verunglimpfung des Bundestages, was bisher dagewesen sei. Dann wird es unter Umständen notwendig, den gesamten Artikel vorzulesen; denn es geht eindeutig daraus hervor, daß er nichts anderes zum Inhalt hat, als die Politik der Mehrheit zu kritisieren.
Meine Damen und Herren, Sie haben uns, der Opposition, uns, der Minderheit, seit sieben Jahren vorgeworfen, daß wir die verantwortungslosen Nein-Sager seien,
daß wir das Nein nur um des Neins willens aussprächen, daß wir nicht Opposition, sondern Obstruktion trieben. Nun kommt einmal ein 27jähriger junger Mensch und sagt mit denselben Worten, mit denen Sie uns das sieben Jahre vorgeworfen haben, Sie seien die verantwortungslosen Ja-Sager. Da auf einmal ist das ein Staatsverbrechen.
Messen Sie doch mit gleichen Maßen, und machen Sie sich nicht lächerlich, indem Sie behaupten, das sei gegen den Bundestag als eine demokratische Institution gerichtet gewesen. Das ist doch einfach nicht wahr. Und genauso ist es nicht wahr, wenn der Herr Bundesminister des Innern sagt, daß hier der Mehrheit die Befugnis abgesprochen werde, verbindliche Entscheidungen zu treffen. Ich hoffe, ich habe Sie richtig zitiert. Das mögen Sie mir mal aus diesem Aufsatz nachweisen. Das steht nicht drin. Es wird darüber diskutiert, ob dies eine politisch richtige Entscheidung gewesen sei und ob sie einen geschichtlichen Auftrag in der Stunde des Gespaltenseins unseres Vaterlandes erfüllt habe. Das muß man allerdings sagen können. Darüber gibt es nun in Deutschland Zweifel. Aber Sie identifizieren sich nicht nur mit dem Parlament, sondern auch mit dem Staat, und da kommt dann diese ganze Meinungsverschiedenheit her.
Herr Kollege Dresbach, Ihre Worte sind immer so unerhört begütigend. Ich bin noch nicht so gesetzt wie Sie und bin leicht geneigt, mich aufzuregen. Aber ich glaube, es wird doch für Sie alles verständlicher werden, wenn ich auch das gegen den Herrn Bundesinnenminister sage: Der Verband als solcher, der kollektiv für die Äußerung seines früheren Vorsitzenden erst nach dessen Ausscheiden aus dem Vorsitz zur Verantwortung gezogen ist, hat niemals einen Zweifel daran gelassen, daß er bereit ist, dem Herrn Präsidenten des Bundestages jede Genugtuung zu geben, weil er weiß, daß weder Herrn Lohmar noch einem seiner Mitglieder daran gelegen war, das Parlament als solches zu kränken oder zu beleidigen.
Das Schreiben an den Herrn Bundestagspräsidenten ist, während die Verhandlungen liefen, bedingungslos geschrieben worden. Allerdings hat der Verband es abgelehnt, diesen Brief vorher von dem Herrn Bundesinnenminister zensieren zu lassen. Das würde ich auch tun, und Sie, Herr Kollege Dresbach, täten das auch. Der Verband hat es auch abgelehnt, sich dem Herrn Bundesminister gegenüber zu entschuldigen, abgelehnt, eine zur Veröffentlichung bestimmte Entschuldigungserklärung an den Bundesinnenminister als das über den Geldbeutel verfügende Exekutivorgan auszustellen. Auch das mußte der Verband tun. Ich glaube, Herr Bundesinnenminister, es ist Ihrerseits kein sehr demokratisches und der Demokratie förderliches Verhalten gewesen, daß Sie solche Anforderungen gestellt haben.
Ich schließe mit dem nochmaligen Hinweis, daß der Verband bereit ist, diese Genugtuung zu geben. Wir haben es heute erstmals gehört, daß der Herr Bundestagspräsident mit der Erklärung nicht zufrieden ist, die abgegeben wurde. Es wundert uns; denn immerhin ist der Immunitätsausschuß einstimmig der Meinung gewesen, daß das Parlament als solches überhaupt nicht beleidigt worden ist. Aber der Verband ist, wie ich weiß, bereit, diese Genugtuung zu geben; jedoch ist er nicht bereit, nun unter ein kaudinisches Joch zu kriechen. Herr' Bundesinnenminister, damit würde — und da mögen Sie sich noch so aufregen — die geistige Freiheit bei der Jugend und in ganz Deutschland wirklich ganz beträchtlich bedroht werden.
In welche Bundesgenossenschaft Sie sich begeben, das mögen Sie sich einmal überlegen, wenn Sie daran denken, daß der einzige Bundesgenosse, den Sie hier gehabt haben, derjenige war, der von einer „alttestamentarischen Geschäftigkeit" gesprochen hat.
Ich wundere mich, daß niemand im Hause Gelegenheit nahm, ein so scheußliches Wort hier zurückzuweisen. Hören Sie auf, vom Staate aus Mentor über den Stil sein zu wollen!
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Verlauf einer solchen Debatte nötigt einen bedauerlicherweise oft, Tatsachen preiszugeben, die man, wenn man nicht genötigt würde, auch anders behandeln könnte. Herr Kollege Arndt, ich habe vor mir — ich will das jetzt so zurückhaltend wie möglich darstellen — den Brief eines Mitgliedes Ihrer Fraktion, der sich auf einen geplanten Brief des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes an den Herrn Bundestagspräsidenten bezieht, in dem das Haus — mein Ministerium — gefragt wird, ob dieser Brief unseren Überlegungen entspreche; in ganz ordentlichen Formen! So etwas ist also mal vorgesehen gewesen.
Ich habe diesen Punkt dann später auch mit den beiden Vertretern — ich glaube, dem Geschäftsführer und dem 1. Vorsitzenden des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes —, die davon wohl nichts gewußt hatten, besprochen. Aber daß muß ich hier doch einmal sagen: nicht wir sind von' uns auf die Idee gekommen, Briefe zu zensieren, sondern man hat vorher gefragt, ob ein bestimmter Brief geeignet sei, die Sache aus der Welt zu bringen. Ich habe immer den Gedanken, daß diese Sache im unmittelbaren Verkehr mit dem Herrn Bundestagspräsidenten in dem, was ich als gehörige Formen bezeichnet habe, bereinigt werden könnte, für richtig gehalten und halte ihn auch heute noch für richtig. Ich habe die Hoffnung, daß man diese Art des Inordnungbringens für nichts weiter ansieht als das, was zu dem bei uns durchschnittlichen Verkehrston gehören sollte. Auf diese Weise ist von mir aus jedenfalls nichts verbaut. Ich habe meine Bereitwilligkeit — ich bitte Sie, meine Erklärung nachzulesen — als unverändert bezeichnet.
Aber, Herr Kollege Arndt, der andere Punkt ist noch sehr viel ernster als das, was ich zu diesem Teil gesagt habe. Und es ist eigentlich sehr schade, daß wir nicht Ihre Unterstützung, die gerade in diesem Punkt sehr wertvoll wäre, haben können, um das klarzustellen, was ein Angriff nur so auf
eine Gruppe und was ein Angriff auf die Institution ist.
Sie selbst ein viel zu scharfsinniger Mann — und Sie werden das richtig verstehen als den Ausdruck meiner Überzeugung, wenn ich das sage —, als daß Sie diesen entscheidenden Punkt nicht sähen.
Sie haben damit geschlossen, eine Bemerkung zu zitieren, die derjenige, der sie in der Diskussion gebraucht hat, sicherlich ohne irgendeine böse Absicht oder Meinung gemacht hat. Ich möchte die Bemerkung nicht wiederholen. Sie sollten ihr keinerlei Arg unterschieben. Es wäre sehr traurig, wenn man auf einen anderen Gedanken käme. Aber das Entscheidende ist, Herr Kollege Arndt
— und das sage ich jetzt noch einmal zu dem ganzen Hause —, daß hier eben einiges drinsteckt, was die Kritik am Pfeiler selbst enthält. Sie werden das hören — damit werde ich schließen —, wenn ich dieses Zitat noch einmal vorlese:
Das gegenwärtige Treiben der Bonner Politiker ist ein einziger Schildbürgerstreich. Dieses Parlament der Jasager
— als Jasager lassen wir uns gerne bezeichnen; nun kommt es aber —
ist keine verantwortliche Volksvertretung mehr. Es ist dies selbst dann nicht
— nämlich keine verantwortliche Volksvertretung —,
wenn man zugibt, daß die Mehrheit der Bevölkerung hinter der Mehrheit des Bundestages steht. Die Aufgabe der Volksvertreter ist es nicht, immer das zu tun, was die Dümmsten für richtig halten.
Meine Damen und Herren, ich schließe damit. Ich freue mich, daß Sie selbst davon so weit wie möglich abgerückt sind. Aber ich habe wirklich den Wunsch, daß die anderen, die die Autoren sind und die es bisher gedeckt haben, denselben Mut finden mögen wie Sie, nämlich sich davon eindeutig zu distanzieren.
Meine Damen und Herren, damit ist die bald vierstündige Debatte über Punkt 5 abgeschlossen. Im Hinblick auf diese Dauer darf ich wohl von der Anregung des einen Kollegen, einen Teil durch Abspielen des Magnetophonbandes wiederholen zu lassen, absehen.
Ich rufe auf Punkt 6 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die vorläufige Fortgeltung der Inanspruchnahme von Gegenständen für Zwecke der ausländischen Streitkräfte und ihrer Mitglieder ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung (Drucksache 2305, Umdrucke 574, 575, 576).
Das Wort als Berichterstatter hat der Abgeordnete Dr. Storm.
Meine Damen und Herren! Die vorliegende Drucksache 2268, das sogenannte Fortgeltungsgesetz oder
Inanspruchnahmegesetz, behandelt die vorläufige Fortgeltung der Inanspruchnahme von Gegenständen für Zwecke der ausländischen Streitkräfte und ihrer Mitglieder. Der Entwurf der Bundesregierung, der bekanntlich vom Bundesrat im ersten Durchgang mit Mehrheit abgelehnt wurde, hat auch im federführenden Ausschuß, im Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung, große Bedenken erweckt und Anlaß gegeben, diesen Entwurf der Bundesregierung in vielen Punkten abweichend zu gestalten. Die vom Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung erarbeitete neue Fassung liegt Ihnen in der Drucksache 2305 heute vor.
Der Entwurf der Bundesregierung wollte die bisher in Art. 48 Abs. 1 des Truppenvertrages vorgesehene Regelung summarisch bis zum 31. Dezember 1956 verlängern. Bedenken gegen diese Regelung mußten deshalb aufkommen, weil die Frist bis zum 31. Dezember dieses Jahres zu lang erschien und für die Übergangszeit eine Entschädigungsregelung nach deutschem Recht nicht vorgesehen war. Nicht zuletzt bestanden Bedenken, weil der Entwurf der Bundesregierung alle in Betracht kommenden Sachgebiete einer einheitlichen Regelung unterwerfen wollte, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, daß die tatsächlichen, rechtlichen und sozialen Verhältnisse in den einzelnen Sachgebieten verschieden zu beurteilen sind. Insbesondere schien es erforderlich, auf das Schicksal der früheren Inhaber von beschlagnahmten Wohnungen Rücksicht zu nehmen. Der federführende Ausschuß war daher der Überzeugung, daß diese Gruppe der Besatzungsgeschädigten eine besondere Berücksichtigung verdient. Der nunmehr vorgelegte Entwurf des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung Drucksache 2305 trägt diesem Gedanken Rechnung. Auf die Einzelheiten darf ich später noch zurückkommen.
Ich möchte aber an diesem Fragenkreis nicht vorübergehen, ohne gleichzeitig auch einen Appell an die alliierten Streitkräfte zu richten. Der federführende Ausschuß ist der Meinung, daß die Bundesrepublik Deutschland sich ihrer Verpflichtung aus dem Truppenvertrag durchaus bewußt ist und sich ihr nicht entziehen will. Andererseits muß aber auch von den Streitkräften erwartet werden, daß sie auch ihrerseits sich immer wieder der Tatsache bewußt sind, daß die Souveränität der Bundesrepublik seit fast einem Jahr besteht und daher die unter dem Besatzungsrecht entstandenen Verhältnisse endlich ihren Abschluß finden müssen. Wir erwarten ferner die Anerkennung einer moralischen Verpflichtung, bei der Freigabe der Objekte spürbares Entgegenkommen auch nach der menschlichen Seite zu zeigen. Zu dem menschlichen Entgegenkommen gehört nach Auffassung des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung auch eine Einschränkung des Aufwandes, der in der Besatzungszeit wohl hingenommen werden mußte, der aber der jetzigen Vertragslage nicht mehr entspricht. Trotz der Bedenken, die sich aus meinen bisherigen Ausführungen ergeben, hat sich der Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung davon überzeugt, daß eine gesetzliche Regelung der weiteren Inanspruchnahme nicht zuletzt auch im Interesse der Geschädigten notwendig ist.
Ich darf nunmehr ganz kurz die einzelnen Paragraphen des vorliegenden Gesetzentwurfes streifen. § 1 Abs. 1 sieht vor, daß alle bis zum 5. Mai dieses Jahres nicht freigegebenen Objekte zunächst
noch bis zum 30. September dieses Jahres weiter beansprucht werden dürfen.
Abs. 2 bringt die außerordentlich wichtige Einschränkung, daß Wohnungen mit ihren Einrichtungsgegenständen nur noch bis zum 30. Juni dieses Jahres kraft Gesetzes als in Anspruch genommen gelten. Über diesen Zeitpunkt hinaus bedarf jede weitere Inanspruchnahme einer besonderen Anforderung bei der zuständigen deutschen Behörde. Diese darf der Anforderung im Einzelfalle nicht stattgeben, wenn durch sie der betroffene deutsche Wohnungsinhaber oder Nutznießer eine unbillige Härte erleiden würde. Auf diese Weise erhalten die deutschen Verwaltungsbehörden die Möglichkeit, den berechtigten Wünschen der in Frage kommenden Geschädigten weitgehend zu entsprechen.
In Abs. 3 des § 1 wird eine weitere bedeutende Erleichterung vorgesehen. Danach können die Grundstücke der privaten Hand, die den alliierten Streitkräften als Erholungsheime oder für sonstige gesellschaftliche Zwecke dienen, freigegeben werden, ferner auch alle Grundstücke, die von den alliierten Streitkräften für kulturelle und sportliche Veranstaltungen benötigt werden oder benötigt worden sind. Auf die Freigabe dieser Grundstücke haben die Eigentümer zum 31. Juli dieses Jahres Anspruch.
Den rechtsstaatlichen Erfordernissen wird in § 2 Genüge getan. Diese Vorschrift gewährt einen Anspruch auf Freigabe der Gegenstände, falls sie nicht mehr für Zwecke der ausländischen Streitkräfte und ihrer Mitglieder benötigt werden. Bei Ablehnung eines Antrags auf Freigabe kann die Nachprüfung durch die Verwaltungsbehörden und durch die Verwaltungsgerichte der Länder erwirkt werden.
Die wichtige Frage der Entschädigung wird in § 3 geregelt. Er führt jetzt deutsches Recht für dieses Sachgebiet ein. Die Festsetzung der Entschädigung regelt sich somit nicht mehr nach besatzungsrechtlichen Grundsätzen.
Aus Gründen der technischen Vereinfachung wird die Entschädigung für die Inanspruchnahme von Gegenständen durch Verweisung auf die entsprechenden Bestimmungen des Flüchtlingsnotleistungsgesetzes geregelt. Die Ansprüche auf Ersatzleistung für Schäden an freigegebenen Gegenständen regeln sich nach den entsprechenden Vorschriften des Gesetzes über die Abgeltung von Besatzungsschäden. Diese Regelung ist nur als vorläufige gedacht. Die hiernach zu zahlenden Entschädigungen werden daher als Abschlagszahlungen zu gelten haben. Endgültig sollen die drei bekannten Gesetze, das Bundesleistungsgesetz, das Landbeschaffungsgesetz und das Schutzbereichsgesetz, die Entschädigungsfrage klären. Hierbeit ist allerdings davon auszugehen, daß die Entschädigungsregelung nach diesen Gesetzen mit rückwirkender Kraft zum 5. Mai 1955 einsetzt.
Die §§ 4 und 5 entsprechen den üblichen Formulierungen, so daß eine nähere Erklärung hierfür nicht notwendig ist.
Im Auftrage des federführenden Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung, der die wesentlichen Bestimmungen des Gesetzes einmütig gebilligt hat, bitte ich den Deutschen Bundestag, der Gesetzesvorlage zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Meine Damen und Herren, wir kommen zur zweiten Beratung. Ich rufe auf den § 1 mit dem Umdruck 575*) und einem weiteren Änderungsantrag Schlick und Genossen, der mir soeben übergeben wurde, Ihnen aber wohl noch nicht vorliegt**). Ich nehme an, daß der Abgeordnete Schlick, dem ich jetzt das Wort erteile, ihn vorlesen und begründen wird.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe bereits in der ersten Lesung im Namen einer Anzahl meiner Freunde erklärt, daß wir diesem Gesetz in der vorgelegten Form nicht zustimmen können. Zwar hat das Gesetz durch die Ausschußberatung von seiner Härte einiges verloren. Aber wir sehen uns trotzdem nicht in der Lage, ihm in der Ausschußfassung zuzustimmen. Ich habe daher mit meinen Freunden einen Änderungsantrag gestellt, den ich Ihnen kurz erläutern möchte.
Wir beantragen, in § 1 Abs. 1 hinter das Wort „Gegenstände" die Worte „ausgenommen Wohnungen" zu setzen. Damit werden am 5. Mai automatisch sämtliche von Alliierten und Angehörigen der Alliierten besetzten Wohnungen frei, d. h. sie müssen von diesem Termin ab freigegeben werden. Wenn Sie diese Änderung vornehmen, dann können wir weiter die Ziffer 2 des § 1 streichen.
Wir haben den Antrag, Wohnungen von der Verlängerung über den 5. Mai hinaus auszunehmen, deshalb gestellt, weil wir wissen, daß eine große Anzahl jetzt noch nicht freigegebener Wohnungen überhaupt nicht mehr von Angehörigen der Stationierungsstreitkräfte besetzt sind, sondern leerstehen. Es bestehen also keinerlei Schwierigkeiten, diese Wohnungen dem deutschen Eigentümer bzw. dem deutschen Mieter zurückzugeben. Wir wissen ferner, daß in einer Reihe weiterer Fälle solche Wohnungen von Angehörigen der Stationierungsstreitkräfte bewohnt sind, die selber zur Zeit nicht mehr in Deutschland, sondern irgendwoanders in Europa stehen.
Ich darf hinzufügen, daß für meine Freunde, für die ich hier spreche, und für mich die Annahme dieses Gesetzes nur möglich ist, wenn das Hohe Haus diesem Änderungsantrag seine Zustimmung gibt, um die ich Sie hiermit herzlich gebeten haben möchte.
Sie haben bereits den Änderungsantrag Umdruck 575 vor sich liegen. Ich bitte Sie, diesen Antrag zurückzustellen, bis über den soeben von mir begründeten Antrag die Entscheidung gefallen ist.
Meine Damen und Herren, Sie haben die Ausführungen des Abgeordneten Schlick gehört. Ich darf noch einmal darauf hinweisen, daß der neu eingebrachte Antrag Schlick, Spies und Genossen, den Sie nicht vorliegen haben, in § 1 Abs. 1 nach dem Wort „Gegenstände" eingefügt haben will „ausgenommen Wohnungen". Damit würde der zweite Absatz wegfallen. In diesem Fall würde über den Änderungsantrag 575 des Abgeordneten Schlick nicht mehr abzustimmen sein, denn der Abs. 2 wäre ja weggefallen. So ist die Angelegenheit wohl gemeint.
Das Wort hat der Bundesminister des Innern.
*) Siehe Anlage 9. **) Siehe Anlage 10.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Bitte an das Hohe Haus, den Antrag, den Herr Kollege Schlick zu § 1 Abs. 1 gestellt hat, abzulehnen. Die Ausschußvorlage, so wie sie jetzt ist, stellt ein von niemandem begrüßtes, aber, wie ich leider nach Lage der Dinge fürchte, notwendiges Kompromiß dar. Das Kompromiß würde völlig wertlos, und die Ziele, die damit verfolgt sind, nämlich ein kurzbefristetes, aber nach allen Seiten erträgliches Übergangsstadium zu schaffen, würden hierdurch aufs schwerste gefährdet. Ich möchte deswegen herzlich bitten, diesen Antrag abzulehnen.
Wird noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann lasse ich abstimmen über den Änderungsantrag Schlick, Spies, Kemper, Hilbert, Becker und Genossen*): In § 1 Abs. 1 sind hinter dem Wort „Gegenstände" die Worte „ausgenommen Wohnungen" einzufügen. Der Abs. 2 des § 1 ist zu streichen. Der Sachverhalt ist klar. Wer dem Antrag Schlick und Genossen, den ich verlesen habe, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Meine Damen und Herren, es ist schlecht festzustellen. Darf ich die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, bitten, sich vom Platz zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Meine Damen und Herren, der Vorstand ist sich nicht einig. Wir müssen die Stimmen auszählen. Ich bitte, den Saal zu räumen zum Auszählen der Stimmen.
Ich bitte noch einen Schriftführer, an die Türe rechts zu gehen.
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Abstimmung über den Änderungsantrag Schlick und Genossen, nach dem Wohnungen von der Regelung des § 1 völlig ausgenommen werden sollen. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich, durch die Ja-Tür zu gehen, wer dagegen ist, durch die Nein-Tür, Enthaltungen durch die Mitteltür.
Meine Damen und Herren, ich bitte, die Abstimmung zu beschleunigen.
Ich bitte noch einmal — zum letztenmal —, die Abstimmung zu beschleunigen.
Meine Damen und Herren, die Abstimmung ist beendet. — Ich darf das Ergebnis der Abstimmung bekanntgeben. Mit Ja, also für den Antrag haben 161 Mitglieder des Hohen Hauses gestimmt, mit Nein 111; enthalten haben sich 3. Der Antrag ist angenommen. Damit entfällt der Änderungsantrag 575*).
Meine Damen und Herren, ich komme nunmehr zur Abstimmung über § 1 in der geänderten Form. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf die §§ 2, — 3, — 4, — 5, — Einleitung und Überschrift. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
*) Siehe Anlage 10. *) Siehe Anlage 9.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Stammberger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Bundestagsfraktion der Freien Demokratischen Partei habe ich zur dritten Lesung dieses Gesetzes folgende Erklärung abzugeben.
Die Bundestagsfraktion der Freien Demokratischen Partei verkennt nicht die Notwendigkeit, auf Grund des Art. 48 Abs. 1 des Truppenvertrages auch nach dem 5. Mai 1956 noch Gegenstände in Anspruch zu nehmen, soweit militärische Erfordernisse dies rechtfertigen. Sie hält daher den baldigen Erlaß des Bundesleistungsgesetzes, des Landbeschaffungsgesetzes und des Schutzbereichgesetzes für erforderlich, um die dadurch notwendig werdenden Beeinträchtigungen der verfassungsmäßigen Grundrechte der Staatsbürger nur unter strengster Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze durchzuführen.
Obwohl einerseits der Bundesregierung der Termin vom 5. Mai 1956 und die zu diesem Zeitpunkt eintretenden Folgen aus den Bestimmungen der Pariser Verträge bekannt waren und obwohl andererseits zu erwarten war, daß gerade das Bundesleistungsgesetz, das Landbeschaffungsgesetz und das Schutzbereichgesetz einer besonders eingehenden Beratung im Parlament bedurften, hat die Bundesregierung die entsprechenden Gesetzesvorlagen so spät eingebracht, daß diese Gesetze bis zum 5. Mai 1956 nicht mehr verabschiedet werden können. Um die dadurch entstehende Lücke zu schließen, hat die Bundesregierung kurz vor Ablauf der Frist einen Gesetzentwurf vorgelegt, der gegen die in der Verfassung festgelegten rechtsstaatlichen Grundsätze verstieß.
Es soll nicht bestritten werden, daß die an der Beratung des Entwurfs beteiligten Ausschüsse des Bundestages, insbesondere der federführende Ausschuß, der Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung, diesen Entwurf erheblich verbessern und in der vorliegenden Ausschußfassung einige der gegen den Regierungsentwurf sprechenden Argumente beseitigen konnten. Dennoch bleibt die Tatsache bestehen, daß durch ein verspätet eingebrachtes und nunmehr durchgepeitschtes Gesetz wieder einmal das Parlament nachträglich die Zustimmung geben soll zu Maßnahmen, die die Verwaltung bereits getroffen hat, und sich so vor die Notwendigkeit von Entscheidungen gestellt sieht, die sich bei einer geordneten Gesetzgebung, beginnend mit der rechtzeitigen Vorlage von Regierungsentwürfen, hätten vermeiden lassen.
Die Bundestagsfraktion der Freien Demokratischen Partei sieht sich daher aus grundsätzlichen Erwägungen außerstande, dem Gesetzentwurf ihre Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Engell.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will auf den Sachverhalt nicht näher eingehen. Der Herr Kollege Stammberger hat ihn schon geschildert; er ist uns allen bekannt. Was uns aber in Erstaunen versetzt, ist, daß hier von uns verlangt wird, einsichtig dem Entwurf
der Regierung zuzustimmen, und daß von der Mehrheitspartei des Hauses, die schließlich auch die Verantwortung für die Dinge trägt, nun ein Änderungsantrag vorgebracht wird, der, wie der Herr Minister selbst erklärt, dieses ganze Gesetz für ihn praktisch unbrauchbar macht.
Meine Damen und Herren, so kann man nicht verfahren. Sie muten anderen zu, mitverantwortlich zu zeichnen, und im gegebenen Augenblick wollen Sie aus Rücksicht auf irgendwelche Wählerkreise und Betroffene, deren Stimmung wir durchaus verstehen, von uns verlangen, daß wir hier hart bleiben und nun die Sache mit übernehmen. In anderen Fällen — daran darf ich Sie erinnern — ist es Ihnen immer gelungen, Ihre Fraktion einheitlich und geschlossen für eine Abstimmung zu bekommen. Hier handelt es sich um eine Abstimmung, die notwendig wird auf Grund von Verträgen, die Sie einmütig abgeschlossen haben. Wenn Sie jetzt aber aus dieser Front ausbrechen, sieht sich meine Fraktion nicht mehr in der Lage, diesem Gesetz zuzustimmen.
Das Wort hat der Dr. von Buchka.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch in meiner Fraktion ist umfängliche Kritik an diesem Gesetzentwurf geübt worden. Es sind, wie Sie wissen, auch im Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht nicht unwesentliche rechtliche und rechtspolitische Bedenken erhoben worden. Immerhin glaube ich, daß doch wohl durch die Beratung im federführenden Ausschuß die größten Bedenken gemildert, wenn nicht beseitigt worden sind, und im Gegensatz zu dem Herrn Bundesminister des Innern meine ich auch, daß der eben in zweiter Lesung mit Mehrheit angenommene Antrag des Kollegen Schlick eine gewisse Verbesserung bedeutet. Ich bitte Sie deshalb, wie die Verhältnisse nun einmal liegen, dieser Vorlage, wenn auch ohne große Begeisterung, in dritter Beratung zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmitt .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die eigentliche Lage, wie sie sich dem Hause darbietet, hat ja der Kollege Engell mit einigen treffenden Worten charakterisiert. Für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion habe ich folgende Erklärung zur dritten Lesung abzugeben:
Die Bundesregierung hat versucht, durch das Einbringen des Fortgeltungsgesetzes ihr Versagen in der Frage der Freimachung der von den Besatzungsmächten und jetzigen Stationierungsstreitkräften in Anspruch genommenen Wohnungen und Liegenschaften zu verschleiern. Die gesetzgeberischen Vorbereitungen der Bundesregierung waren unzureichend, und auch die Verhandlungen zur Ablösung des Truppenvertrages sind zu spät und nicht mit dem erforderlichen Nachdruck aufgenommen worden.
Die Bundesregierung hat weiterhin in Kauf genommen, daß es bei den Ausschußberatungen — das hat sich eindeutig ergeben — zu einem Zeitnotstand kam, der voll von ihr vertreten werden muß.
Wir haben es weiterhin mit einem Blitzgesetz zu tun gehabt. Die Vorlage war schlecht und hat in keiner Weise den Erfordernissen eines modernen Rechtsstaates genügt, wie der Bundesrat das auch in seiner Stellungnahme erkannt hat.
Durch die Umgestaltung sind die wichtigsten und entscheidendsten Mängel des Gesetzes beseitigt worden. Es ist zu begrüßen, daß die Mehrheit des Hauses im Sinne unserer Vorschläge daran mitgewirkt hat, diese Umgestaltung herbeizuführen. Dazu gehört auch der soeben angenommene Antrag.
Gleichwohl sieht sich die sozialdemokratische Fraktion nicht in der Lage, durch eine Zustimmung in der Schlußabstimmung zu diesem Gesetz das Versagen und das Verhalten der Bundesregierung nachträglich zu billigen. Sie wird dem Gesetz, das die von ihr abgelehnten Pariser Verträge im innerdeutschen Recht verlängert, nicht zustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schranz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der Deutschen Partei hat sich mit dem vorliegenden Gesetz in eingehender Aussprache beschäftigt. Sie glaubt trotz der Verbesserungen, die die Beratungen im Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung gebracht haben, dem Gesetz nicht zustimmen zu können. Sie hält es einfach für unerträglich, daß einer wenn auch kleinen Gruppe von Menschen, die seit zehn und elf Jahren aus ihrem Eigentum verdrängt ist, der bestehende Zustand zugemutet wird. Sie glaubt darüber hinaus, daß die Besatzungsstreitkräfte nach der Veränderung des Status nun auch ihrerseits den guten Willen aufbringen müßten, mit uns zusammen in den gleichen Häusern zu wohnen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich brauche dem Hohen Hause nicht zu sagen, daß es mir peinlich genug ist, mich mit dieser Sache, mit der mein Ressort eigentlich mehr par malheur federführend beschäftigt worden ist, hier auseinandersetzen zu müssen. Ich möchte dem Hohen Hause aber trotzdem, noch einmal anknüpfend an Gedankengänge, wie ich sie bei der Einbringung der Vorlage entwickelt habe, folgendes sagen.
Wir wissen, daß, wenn nicht eine gesetzliche Regelung geschaffen wird, nach dem 5. Mai — ich glaube, am 5. Mai genau ab 12 Uhr — ein ungeregelter Zustand eintritt. Das beklagen wir alle gleichmäßig. Die deutschen Gesetze, die, sagen wir einmal, umfassenden Gesetze, die hier die anschließende Lösung schaffen sollten, sind nicht fristgemäß fertiggeworden. Die Schuld dafür da oder dort suchen zu wollen, ist ein ganz müßiges Unterfangen, das bringt nicht weiter. Mit Vorwürfen zu kommen, daß, statt, sagen wir, 85 000 Wohnungen jetzt nur, wie es geschehen ist, 70 000 gebaut worden sind, ist auch eine ziemlich billige Sache, wie ich glaube. Ich möchte das im Moment nicht vertiefen.
Ich kann nur noch einmal sagen, daß sich das Hohe Haus doch tatsächlich vor der Schlußabstim-
mung noch einmal überlegen möge, ob es auch mit. seiner eigenen Würde vereinbar ist, bewußt — bewußt, sage ich — einen gesetzlosen Zustand eintreten zu lassen. Es gibt sehr oft Situationen, in denen eigentlich jeder ganz gegen die eigene Empfindung zustimmt. Meine Damen und Herren, das Hohe Haus ist nicht dazu da, in diesem Augenblick seinen Empfindungen Ausdruck zu geben, sondern es ist dazu da, in Deutschland kontinuierliches Recht zu setzen.
Das geht nicht anders als durch eine solche Vorlage, wie sie unterbreitet worden ist, und ich habe die Hoffnung, daß es trotz der Änderungen, die in der zweiten Beratung vorgenommen worden sind, vielleicht mit Hilfe des Bundesrats, der ja mit einem Teil dieser Dinge weiter befaßt sein wird, gelingen könnte, eine Übergangslösung zu finden.
Ich darf noch einmal im Namen der Bundesregierung herzlich darum bitten, dieser wie immer unvollkommenen Lösung nun doch nicht die Zustimmung zu versagen.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der CDU/ CSU bitte ich vor der Schlußabstimmung über dieses Gesetz um eine Unterbrechung der Sitzung für die Dauer einer halben Stunde.
Meine Damen und Herren, es liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Es ist üblich, daß einem solchen Wunsche entsprochen wird. Wir haben jetzt 6.05 Uhr. Ich unterbreche die Sitzung bis 6.35 Uhr.
Ich darf aber noch bekanntgeben, daß die Fraktionssitzung der Sozialdemokratischen Partei nicht heute, sondern morgen vormittag um 9 Uhr stattfindet. Die Christlich-Demokratische und -Soziale Union haben jetzt sofort Fraktionssitzung.
— Die Sozialdemokratische Partei hat jetzt auch sofort Fraktionssitzung, der BHE ebenfalls. Die Herren rechts auch? — Offenbar nicht.
Ich unterbreche die Sitzung.
Die Sitzung wird um 18 Uhr 39 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Jaeger wieder eröffnet.
Die unterbrochene Sitzung wird wieder aufgenommen.
Meine Damen und Herren, das Wort wird nicht mehr gewünscht. Ich schließe die allgemeine Aussprache in dritter Lesung. Wir kommen damit zur Schlußabstimmung.
— Über die Entschließung wird anschließend debattiert; erst kommt das Gesetz.
Wir kommen also zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem in dritter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben.
— Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen?
— Bei zahlreichen Enthaltungen gegen Gegenstimmen angenommen.
Wir kommen nunmehr zur Entschließung auf Umdruck 574. *) Das Wort hat der Abgeordnete Hübner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die voraufgegangene Debatte und auch die Berichterstattung haben gezeigt, daß die Durchführung dieses Gesetzes außerordentlichen Schwierigkeiten begegnen wird. Wir haben Ihnen jetzt eine Entschließung vorgelegt und hoffen, daß dadurch eine Minderung dieser Schwierigkeiten erreicht werden kann. Der Herr Berichterstatter hat schon einen Appell an die alliierten Streitkräfte gerichtet. Wir möchten diesem Appell jetzt eine konkrete Anregung hinzufügen. Ich darf Ihnen unseren Entschließungsantrag, der in Übereinstimmung mit der CDU/CSU verfaßt wurde, vorlesen:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird ersucht,
alle Maßnahmen zu ergreifen, um alsbald die Freimachung der noch in Anspruch genommenen Wohnungen zu ermöglichen, insbesondere in Verhandlungen mit den beteiligten Mächten sicherzustellen, daß unverzüglich mit den etwa noch erforderlichen weiteren Ersatzbauprogrammen begonnen wird.
Ich bitte das Hohe Haus, sich diesem Entschließungsantrag anzuschließen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmitt .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den Entschließungsantrag des Herrn Kollegen Hübner kann ich nicht ganz verstehen. Er versucht durch ihn, statt eines sachlichen Beitrags, noch etwas zu leisten. Der Entschließungsantrag ist in der Sache längst durch den Antrag des Kollegen Schlick, den wir angenommen haben, und durch die Fassung des Gesetzes überholt, wonach mit dem 5. Mai die Beschlagnahme der Wohnungen aufhört. Ich glaube also, der Entschließungsantrag ist in dieser Form als erledigt anzusehen.
Im übrigen nehme ich an, daß wir alle erwarten, daß die Gesamtabwicklung reibungslos erfolgt. Es gibt immer noch allzu viele Dienst- und Kommandostellen, die noch keine Vorstellungen über das Verhältnis zwischen Hausherrn und Gästen haben. Wenn der Begriff der Souveränität nicht völlig entwertet werden soll, dann ist hier ein schnelles und nachdrückliches Handeln notwendig. Wir hoffen und wünschen, daß keine Ressortschwierigkeiten und bürokratischen Hemmungen mehr eintreten und daß die Wohnungen jetzt ohne Verzögerung frei gemacht werden.
Wird noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich lasse über den Entschließungsantrag der Fraktion der DA abstimmen.
— Halten die Antragsteller den Antrag für erledigt?
*) Siehe Anlage 8.
— Das ist nicht der Fall. Dann muß ich darüber abstimmen lassen.
Wer dem Entschließungsantrag Umdruck 574 *) zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen.
— Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen?
— Bei zahlreichen Enthaltungen und einigen Gegenstimmen angenommen.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Rechnungsjahr 1955 (Drucksachen 2047, 2180);
Mündlicher Bericht des Haushaltsausschusses (Drucksache 2308, Umdruck 573).
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Blank als Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir müssen diese Vorlage heute unter allen Umständen noch verabschieden. Gestatten Sie mir als Berichterstatter des Haushaltsausschusses, dazu einige wenige Worte zu sagen.
In der Drucksache 2308 liegt Ihnen der zweite Nachtrag zum Bundeshaushaltsplan für das Rechnungsjahr 1955 vor. Er beschäftigt sich mit den Einzelplänen 14 und 35. Es handelt sich um die beiden Ergänzungsvorlagen zum Bundeshaushalt Drucksachen 2047 und 2180. Beide Vorlagen sind in gemeinsamer Sitzung vom Haushaltsausschuß und vom Ausschuß für Verteidigung am 9. März beraten worden.
Der zweite Nachtrag enthält ausschließlich Personalforderungen für den militärischen und zivilen Bereich sowohl des Ministeriums wie der nachgeordneten Dienststellen. Das Schwergewicht des zweiten Nachtrags liegt in der Bewilligung von 20 000 Planstellen für Soldaten und von 1600 Planstellen für Beamte und der Genehmigung zur Einstellung von 5840 Angestellten und 4035 Arbeitern, insgesamt 9875 zivilen Bediensteten.
Nach Ausschöpfung der auf Grund des Freiwilligengesetzes vom 23. Juli 1955 bewilligten 6000 Planstellen für Freiwillige mußte Vorsorge getroffen werden, daß der Aufbau der Bundeswehr in Erfüllung der eingegangenen internationalen Verpflichtungen termingerecht fortgesetzt werden kann. Im gegenwärtigen Stadium kommt es insbesondere darauf an, die Grundlage für die Ausbildungseinheiten zu schaffen sowie das hierfür benötigte Personal einzustellen und zu schulen. Es muß ferner dafür gesorgt werden, daß nach dem mit den Alliierten abgestimmten Programm die inzwischen für die Teilstreitkräfte im In- und Ausland angelaufenen Lehrgänge ohne Verzug beschickt werden können.
Der Haushaltsausschuß und der Ausschuß für Verteidigung haben auf Anregung des Bundes-
*) Siehe Anlage 8.
rates die Zahl der Generalmajore um 6 Stellen auf insgesamt 8 erhöht. Die zusätzlichen 6 Generalmajorstellen sind für die Wehrbereichskommandeure vorgesehen.
Die Frage des Status der in der Bundeswehr beschäftigten Ärzte ist durch den Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages dahin entschieden worden, daß diese Ärzte als Sanitätsoffiziere einzustellen sind. Dementsprechend sind die dafür vorgesehenen Dienstgradbezeichnungen bei den Besoldungsgruppen B 7 a usw. des Titels 102 des Kapitels 1401 eingesetzt worden.
In unmittelbarem sachlichem Zusammenhang mit der Bewilligung der zusätzlichen 20 000 Soldatenplanstellen steht der weitere Bedarf von 1600 Beamtenplanstellen und 9875 Angestellten und Arbeitern. Diese zivilen Kräfte werden benötigt, um die entsprechenden militärischen und zivilen Verwaltungsstellen für die im Rechnungsjahr 1956 geplante Einberufung von rund 150 000 Soldaten einzurichten. Es handelt sich hierbei um erste vorbereitende Maßnahmen für die Einrichtung der Wehrbereichs-, Standort- und Depotverwaltungen. Die zivilen Dienstkräfte für den militärischen Bereich sind für die Truppenverwaltung vorgesehen. Die höher besoldeten Angestellten der Gruppen I bis III sollen in erster Linie für Unterrichtszwecke und für den Fremdsprachendienst verwendet werden. Der überwiegende Teil der Angestellten soll als Bürohilfskräfte und Schreibkräfte beschäftigt werden. Die verhältnismäßig große Zahl von Arbeitern ist vorwiegend für die militärischen und zivilen Depots vorgesehen, die, soweit sie nicht bereits angelaufen sind, vordringlich eingerichtet werden müssen, um die ebenfalls bereits anlaufenden Materialanlieferungen aufnehmen zu können.
In der Forderung von 1600 Beamtenplanstellen und 5840 Angestellten ist auch der erste Bedarf für das Wehrersatzwesen mit 152 Beamtenplanstellen und 180 Angestellten enthalten. Um die organisatorische Gestaltung des Wehrersatzwesens nicht zu präjudizieren, haben der Haushaltsausschuß und der Ausschuß für Verteidigung des Deutschen Bundestages die für das Wehrersatzwesen vorgesehenen Stellen, und zwar für Beamte und Angestellte, vorerst gesperrt. Die Sperre kann nur auf Beschluß der beiden Ausschüsse aufgehoben werden.
Der zweite Nachtrag enthält außerdem 513 Planstellen für Beamte bei Kap. 1401 Tit. 101 und 80 Planstellen für Beamte bei Kap. 1421 für das Ministerium sowie für Zwecke außerhalb des Ministeriums und für die Außenabteilung Koblenz — Abteilung XI — des Bundesverteidigungsministeriums.
Ich darf noch darauf hinweisen, daß mit der Genehmigung dieser Planstellen die in der zweiten Vorwegbewilligung für einen Nachtrag zum Einzelplan 14 des Bundeshaushaltsplanes 1955 bei Kap. 1401 Tit. 103 und bei Kap. 1421 Tit. 103 veranschlagten Stellen wegfallen.
Namens des Haushaltsausschusses darf ich das Hohe Haus bitten, den drei Anträgen, wie sie aus der Drucksache 2308 hervorgehen, zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Das Wort hat der Abgeordnete Lenz als Berichterstatter. — Der Abgeordnete Lenz (Trossingen) ist. im Augenblick nicht im Saal. Ich
nehme an, Sie sind einverstanden, wenn ich unterstelle, daß das Haus auf die Berichterstattung verzichtet. — Widerspruch erfolgt nicht.
Dann rufe ich auf den Einzelplan 14 auf Anlage 3 der Drucksache 2308 zusammen mit dem Änderungsantrag Umdruck 573*).
Das Wort hat der Abgeordnete Wienand.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den ehrenvollen Auftrag, im Namen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion den Ihnen auf Umdruck 573 vorliegenden Änderungsantrag der Fraktion der SPD zu begründen. Von dem Herrn Berichterstatter, dem Kollegen Dr. Blank, ist schon darauf hingewiesen worden, daß die Stellen, die wir zu streichen wünschen, in der gemeinsamen Sitzung des Verteidigungs- und des Haushaltsausschusses mit einem Sperrvermerk versehen worden sind.
Wir sind damals bei unseren Anträgen, diese Stellen zu streichen, von der Tatsache ausgegangen, daß bis zur Zeit diesem Hohen Hause noch kein Wehrpflichtgesetz und noch kein Gesetz über die Wehrersatzverwaltung vorliegen. Aus diesen Gründen haben wir die Meinung vertreten, daß es zweckmäßig ist, diese Stellen zu streichen, um hier, wie es uns schien, sehr gefährliche Präjudizierungen zu vermeiden. Wir haben im Rahmen der Vorwegbewilligungen, die wir nicht für sehr gut gehalten haben, aus haushaltsrechtlichen Gründen, mit Rücksicht auf die geforderte Haushaltswahrheit und -klarheit, immer wieder darauf hingewiesen, daß nach Möglichkeit, bevor einzelne präjudizierende Vorwegbewilligungen vorgenommen werden, den Abgeordneten dieses Hohen Hauses zumindest die Pläne im gesamten dargelegt werden müssen, was man letztlich will und worauf diese nunmehr in kleinen Anfangsbeträgen vorweg zu bewilligenden Ansätze nachher im gesamten hinauslaufen. So ist es in der Diskussion um das Flottenbauprogramm, so ist es in der zur Zeit noch geführten Diskussion um das Flugzeugprogramm und um das Programm der wiederaufzubauenden Flugzeugindustrie gewesen.
Aus diesen Gründen wünschen wir die uns gefährlich erscheinenden Präjudizierungen zu vermeiden, die erfolgen würden, wenn wir diese 152 Beamtenstellen, die für das Wehrersatzwesen vorgesehen sind, in diese Vorwegbewilligung hineinnehmen, bevor diesem Hohen Hause die Gesetzentwürfe der Regierung für das Wehrpflichtgesetz und für die Wehrersatzverwaltung vorgelegt worden sind und bevor dieses Hohe Haus die Möglichkeit hatte, diese Gesetze zu verabschieden. Es scheint uns, daß erst dann die Berechtigung gegeben ist, die entsprechenden Stellen einzurichten, wenn vom Gesetzgeber eindeutig klargestellt worden ist, worauf das alles in letzter Konsequenz hinauslaufen soll. Die Erfahrungen mit dem vorhin angeführten Flottenbauprogramm und die Erfahrungen, die wir in der Diskussion um die einzelnen Beschaffungsprogramme gesammelt haben, bestätigen die Befürchtungen, die ich ausgesprochen habe.
Wir bitten, nunmehr nicht darauf hinzuweisen, daß die Sperrvermerke genügen, sondern unserem Änderungsantrag auf Umdruck 573 zu entsprechen.
*) Siehe Anlage 11.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kliesing.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte den Änderungsantrag der Fraktion der SPD abzulehnen, und tue das mit folgender Begründung. Wie Kollege Wienand schon ausführte, handelt es sich unter der Ziffer 1 dieses Antrages um Planstellen, deren Besetzung erst mit der Verabschiedung des Wehrpflichtgesetzes akut wird. Nun ist durch die Einfügung von Sperrvermerken noch nichts präjudiziert, andererseits aber wird dieses Hohe Haus sich in der nächsten Zeit mit der Frage der Wehrpflicht zu befassen haben.
Ganz gleich, wie hier entschieden wird, die Anbringung der Sperrvermerke ist, glaube ich, die glücklichste Lösung. Denn wenn das Hohe Haus sich nicht für die Einführung der Wehrpflicht entscheiden sollte, bestünde wegen der Sperrvermerke noch die Möglichkeit, diese Stellen nicht zu besetzen, und wenn es sich dafür entscheiden sollte, wären wir, wenn wir dem Änderungsantrag zustimmten, gezwungen, uns dann mit einem eigenen Nachtragshaushalt zu beschäftigen. Aber ich glaube, schon aus praktischen Gründen wäre es richtiger, es bei der Lösung zu belassen, die der Haushaltsausschuß uns vorschlägt.
Es kommt aber hinzu, daß im Gegensatz zu der Tatsache, daß durch die jetzt vorgesehene Lösung nichts präjudiziert wird, durch eine Streichung dieser Stellen jetzt in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen könnte, durch die Annahme des Änderungsantrages sollte etwas präjudiziert werden.
Zu Ziffer 2 noch kurz folgende Bemerkung: Es handelt sich hierbei ursprünglich keineswegs um ein Anliegen der Bundesregierung, sondern dieser Vorschlag kommt vom Bundesrat. Wir wissen, daß die Wiederbewaffnung und die Schaffung der Behörden tief in die Interessen der Länder eingreifen. Die Länder haben zu verstehen gegeben, daß für sie ein dringendes Bedürfnis besteht, mit den künftigen Chefs der Wehrbereichskommandos, d. h. mit den Männern, die später verantwortlich sind, unmittelbar ins Gespräch zu kommen und nicht mit irgendwelchen Stellvertretern.Ich glaube, es besteht kein Anlaß, diesem Wunsch der Länder nicht zu entsprechen. Aus diesem Grunde bitte ich Sie, auch die Ziffer 2 des Änderungsantrages abzulehnen.
Meine Damen und Herren, das Wort wird nicht mehr gewünscht. Ich darf die Antragsteller fragen: Kann ich über die Ziffern 1 und 2 in einem abstimmen lassen oder wünschen Sie getrennte Abstimmung?
— Dann lasse ich abstimmen über den Umdruck 573*), Änderungsantrag der Fraktion der SPD, und zwar über die Ziffern 1 und 2 insgesamt. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letztere ist die Mehrheit. Der Antrag ist
— bei etlichen Enthaltungen — abgelehnt.
Meine Damen und Herren, ich darf dann, wenn Sie einverstanden sind, der Einfachheit halber über den Einzelplan 14 mit sämtlichen Titeln abstimmen
lassen. — Widerspruch erfolgt nicht. Wer dem Einzelplan 14 mit sämtlichen Titeln zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei Gegenstimmen und Enthaltungen angenommen.
Ich rufe dann auf Anlage 4, Einzelplan 35. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Einzelplan 35 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Einzelplan ist angenommen.
Ich rufe nunmehr auf den Entwurf eines Gesamtplans zum Zweiten Nachtragshaushalt in der anliegenden Fassung . — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem aufgerufenen Gesamtplan zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Gesamtplan ist angenommen.
Damit komme ich zum Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Rechnungsjahr 1955 und rufe in zweiter Lesung auf § 1, — § 2, — § 3, — Einleitung und Überschrift. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Gegen die Stimmen der sozialdemokratischen Fraktion angenommen.
Ich rufe auf Punkt 8 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Dritten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Rechnungsjahr 1955 (Drucksache 2226);
Mündlicher Bericht des Haushaltsausschusses (Drucksache 2309).
Das Wort als Berichterstatter hat der Abgeordnete Niederalt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundestagsdrucksachen 2226 und 2309 enthalten einen Nachtrag zum Bundeshaushaltsplan 1955, und zwar im einzelnen einen Nachtrag zu den Einzelplänen 30, 31 und 32.
Der Nachtrag zum Einzelplan 30 beinhaltet die haushaltsmäßigen Auswirkungen der Tatsache, daß durch die Ernennung eines Bundesministers für Atomfragen ein Bundesminister für besondere Aufgaben weggefallen ist. Der Minderbedarf, der dadurch bei dem Einzelplan 30 entstanden ist, beträgt vier Planstellen und die Haushaltsansätze für je drei Angestellte und Arbeiter. Er beziffert sich insgesamt, einschließlich des Minderbedarfs an Sachausgaben, für die Zeit vom 1. Dezember 1955 bis 31. März 1956 auf 57 600 DM.
Zu dem vorliegenden Nachtrag zum Einzelplan 31 darf ich zunächst auf einige Daten hinweisen. Die Bundesregierung hat bekanntlich am 6. Oktober 1955 beschlossen, daß ein Bundesministerium für Atomfragen errichtet und für dieses ein eigener Haushaltsplan aufgestellt wird. Der Herr Bundespräsident hat daraufhin am 20. Oktober 1955 einen Bundesminister für Atomfragen ernannt.
Der vorliegende Haushaltsnachtrag enthält die für die Zeit vom 1. Dezember 1955 bis 31. März 1956 hierfür erforderlichen Mittel. Sie umfassen bei einem zugrunde gelegten Stand von 30 Beamten, 39 Angestellten und 16 Arbeitern 317 600 DM Personalausgaben, 106 300 DM allgemeine und Sachausgaben und 126 300 DM einmalige Ausgaben, mithin eine Gesamtausgabe von 550 200 DM. Davon wurde der Betrag von rund 311 000 DM tatsächlich verbraucht.
Da mit dieser Vorlage das Parlament erstmals mit der Errichtung des Ministeriums für Atomfragen befaßt war, hat der Haushaltsausschuß bei der Beratung dieser Vorlage eine eingehende Generaldebatte über die Bedeutung, über die Notwendigkeit und über den Umfang der Aufgaben des Bundesministeriums für Atomfragen geführt. Bei dieser allgemeinen Debatte hat der Herr Bundesminister für Atomfragen, Herr Minister Strauß, einen ausführlichen und äußerst instruktiven Bericht über einen großen Teil von Fragen gegeben, die mit der Erforschung und Nutzung der Kernenergie für friedliche Zwecke zusammenhängen. Er ist dabei ebenso auf die verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten gerade auf diesem Gebiet innerhalb der Bundesrepublik eingegangen wie auch auf Fragen der Organisation und Notwendigkeit und auch auf den Stand der Wissenschaft und Technik in anderen Staaten auf diesem Gebiet. Der Bericht des Bundesministers für Atomfragen hat den lebhaften und ungeteilten Beifall des gesamten Haushaltsausschusses gefunden. Der Haushaltsausschuß hat daraufhin dem Nachtragshaushalt in der Ihnen vorliegenden Fassung auf Drucksache 2309 einstimmig zugestimmt und bittet den Bundestag, der Vorlage ebenfalls zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich rufe auf die Einzelpläne 30, 31 und 32. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Einzelplänen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf den Gesamtplan zum Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung eines Dritten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan 1955. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem aufgerufenen Gesamtplan zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich komme zum Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung eines Dritten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Rechnungsjahr 1955, § 1, — § 2, — § 3, — Einleitung und Überschrift. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich komme zur
dritten Lesung
und eröffne die allgemeine Aussprache. — Das
Wort wird nicht gewünscht; ich schließe die allge-
meine Aussprache. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Die Herren, die noch stehen, wollen wohl nicht dagegen stimmen? - Enthaltungen ? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 9 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über eine Statistik der Wohn- und Mietverhältnisse und des Wohnungsbedarfs (Drucksache 2145);
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wiederaufbau und Wohnungswesen (Drucksache 2240).
Der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Lücke, hat einen Schriftlichen • Bericht*) erstattet, so daß sich eine mündliche Berichterstattung erübrigt. Ich danke ihm für den Bericht.
') Siehe Anlage 12.
Ich rufe auf in zweiter Lesung die §§ 1, - 2, -3, - 4, - 5, - 6, - 7, - 8, - 9, - 10, - Einleitung und Überschrift. - Das Wort wird nicht begehrt. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich komme zur
dritten Beratung
und eröffne die allgemeine Aussprache. - Das Wort wird nicht gewünscht; ich schließe die allgemeine Aussprache. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende einer inhaltsreichen und umfangreichen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste, die 142. Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 3. Mai 1956, 9 Uhr. Die Sitzung ist geschlossen.