Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ehe ich den Änderungsantrag Umdruck 568 begründe, der ein Antrag nicht nur der Deutschen Partei, sondern ein gemeinsamer Antrag der Fraktionen der Deutschen Partei, der Demokratischen Arbeitsgemeinschaft und der Freien Demokratischen Partei ist, bitte ich, zu Art. 1 Ziffer 1 Stellung nehmen zu dürfen. Die Änderungsanträge berühren die Ziffer 1 des Art. 1 noch nicht.
Ich bin dem Herrn Kollegen Ruf dankbar, daß er in seiner Ergänzung zu dem Bericht noch auf das außerordentlich wichtige Problem hingewiesen hat, das sich in den Art. 1 dieses Gesetzes so ganz nebenher — am Rande — ja sozusagen aus dem Hintergrund hineingeschlichen hat. Ich nahm ursprünglich an, daß der Kollege Ruf die Probleme des § 165 RVO in seinem Bericht vielleicht nicht nur aus Versehen, sondern mit einer gewissen Absicht nicht erwähnt hat. Ich bin aber immer bereit, meine Meinung zu revidieren, und das tue ich hier mit Freude, indem ich den Verdacht zurücknehme. Ich freue mich, daß er mir durch seine zusätzliche Erklärung heute Gelegenheit gibt, in dieser so bedeutungsvollen, wichtigen Frage grundsätzlich Stellung zu nehmen.
Es ist zweifelsohne so, daß die drei Fraktionen, die nachher auch zur Frage der Versicherungspflicht gemeinsam ihren Willen bekunden, schon im 1. Bundestag, und zwar schon damals erfreulicherweise in voller Übereinstimmung auch mit der CDU/CSU — ich möchte jetzt gleich zu Beginn unserer Beratungen daran die Hoffnung knüpfen, daß wir am Ende der Beratungen diese volle Übereinstimmung wiederherstellen können —, darin einig waren — ich kann nur sagen, daß ich heute noch diese Einigkeit als eine der wichtigsten Voraussetzungen empfinde —, als Voraussetzung jeder Reform die Rechtseinheit herzustellen. Aber, meine Herren und Damen, die Rechtseinheit herstellen kann nicht bedeuten, daß man aus der Rechtszersplitterung nach der einen oder anderen Seite gewisse Dinge herauspickt, die dem einen oder dem andern sympathisch sind, und die großen, grundsätzlichen Fragen, seien sie auch unangenehm, erfordern sie auch politischen Mut, erfordern sie sogar Gewissensentscheidungen, einfach hintansetzt und nicht entscheidet. Es ist nicht ganz so, wie aus den Ausführungen des verehrter Kollegen Ruf geschlossen werden könnte, als behandle die Verordnung vom 17. März 1945, die in der britischen Zone in Kraft getreten ist, aber auch für Bremen und Bayern gilt, nur den § 165 RVO. Sie behandelt ein ganzes Gebiet des Versicherungsrechts und schließt eine Reihe von Paragraphen mit ein, die die Fragen der Versicherungspflicht, der Versicherungsberechtigung und vieles andere mehr entscheidend verändert haben. Man mag über den Geist der Verordnung von 1945 unterschiedlicher Meinung sein, in einem muß man doch übereinstimmen: daß man sich für die eine oder andere Lösung erst dann entscheiden darf, wenn man die Voraussetzungen, aber auch die Wirkungen dieser Lösung übersieht.
Der Kollege Dr. Atzenroth, der stellvertretend in den Ausschuß kam, hat den berechtigten Wunsch geäußert, doch einmal den genauen Text des § 165 alter Fassung dem Text neuer Fassung gegenüberzustellen und dann zumindest im Ausschußprotokoll den Katalog, wer denn nun in Zukunft versicherungspflichtig sein soll, genau festzulegen. Das ist abgelehnt worden. Meine Bedenken, daß sich die Herstellung der Rechtseinheit nur auf die §§ 165, 166 und 167 neuer Fassung beziehen soll, daß -dagegen die übrigen Paragraphen, die ebenfalls die Versicherungsfreiheit und die Versicherungspflicht zum Inhalt haben, nicht mitbehandelt werden sollen, sind vom Ausschuß sicherlich anerkannt worden; das hat die Diskussion ergeben. Aber aus einer gewissen, ich möchte nicht sagen: Bequemlichkeit, aber aus einer Sorge darum — so steht es im Protokoll zu lesen
daß eine Debatte über die Frage der Versicherungspflicht entbrennen könnte, hat man diesen Wünschen nicht Rechnung getragen.
Nun, meine Herren und Damen, um diese Debatte kommen wir niemals herum, wie wir auch um Grundsatzentscheidungen niemals herumkommen werden, wenn es uns wirklich damit ernst ist, die Grenzen, die die Voraussetzungen für den Versicherungszwang sind, richtig zu ziehen, sie neu festzusetzen und sie den gegebenen Verhältnissen anzupassen. Ich will beileibe heute nicht eine Debatte etwa um das gesamte Problem der Versicherungspflicht eröffnen.
— Sie dürfen beruhigt sein, lieber Kollege Arndgen, das würde den ganzen Vormittag füllen. Ich habe nicht die Absicht, die übrigen Probleme zu kurz kommen zu lassen. Aber ich würde mich einer Gewissensverletzung schuldig machen, wenn ich nicht darauf hinweisen würde, was denn diese Änderung bedeutet.
Ich muß leider mit einer gewissen Besorgnis über die Form, wie wir Gesetze machen, feststellen, daß in der Begründung der Bundesregierung zu diesem Art. 1 überhaupt nichts gesagt ist und daß auch in der Begründung des Bundesrates zu diesem Art. 1 Abs. 1 — und der Bundesrat ist sonst doch sehr gründlich — nichts gesagt ist, wobei ich mich des Verdachts nicht erwehren kann, daß bei den sonst gründlichen Sachverständigen des Bundesrates vielleicht ähnliche Argumente Pate gestanden haben wie bei den Ausschußmitgliedern des Bundestages: beileibe nicht Schwierigkeiten zu diskutieren, die sich aus gegenteiligen Meinungen der Koalitionen in den Ländern ergeben könnten. Aber der Auftrag des Politikers ist es, den Schwierigkeiten nicht auszuweichen. So wie wir tagtäglich in unserem Gewissen — und nur da allein — Entscheidungen treffen müssen, auch wenn die verschiedenen Interessen aufeinanderprallen, so müssen wir uns tagtäglich entscheiden, selbst wenn uns unsere eigene Fraktion, selbst wenn uns alle Freunde verlassen sollten, nur nach dem Gewissen zu handeln. Ich will es für diejenigen, denen die schwierige Materie nicht so interessant zu sein scheint, weil sie durch ihre Gespräche eben andere Interessen verraten, ganz deutlich sagen: In dem Augenblick, wo Sie Zwangsversicherte werden und Beiträge zahlen müssen, sind Sie immer sehr interessiert; in dem Augenblick, wo Ihnen Leistungen versagt werden, die Sie gern haben möchten, sind Sie ebenso interessiert.
Der § 165 der Reichsversicherungsordnung alter Fassung hat zwei Bestimmungen gehabt; die sich in der Praxis als sehr wichtig erwiesen haben. Es hieß darin, daß „Betriebsbeamte, Werkmeister und andere Angestellte in gehobener Stellung" — also
das Problem der leitenden Angestellten — dann versicherungspflichtig sein sollen, wenn diese Beschäftigung ihren Hauptberuf bildet. Es hieß weiter, daß „Angestellte in Berufen der Erziehung, des Unterrichts, der Fürsorge, der Kranken- und Wohlfahrtspflege dann versicherungspflichtig sein sollen, wenn diese Beschäftigung ihren Hauptberuf und die Hauptquelle ihrer Nebeneinnahmen bildet."
Das Abgehen von diesen Bestimmungen bedeutet also sowohl für die leitenden Angestellten als auch für alle Personen, bei denen sich aus der Nebenbeschäftigung Zweifelsfragen ergeben, eine erhebliche Erweiterung der Versicherungspflicht. Dagegen sind alle anderen Fragen wie z. B. die der Versicherungsfreiheit, die sich aus dem § 165 in der Fassung der amerikanischen und französischen Zone ergeben, damit aufgehoben. Die Vereinheitlichung des Rechts ist also nur von den Problemen ausgegangen, in denen durch die Verordnung vom 17. März 1945 eine Ausweitung erfolgt ist. Sie hat aber jene anderen bedeutsamen Schritte der Verordnung, die man sehr wohl auch hätte prüfen müssen, aus der Prüfung einfach herausgelassen.
Auf den § 165 konzentriert, möchte ich an zwei praktischen Beispielen sagen, welche Folgen das hat. Ein beamteter Professor, der nebenher Stunden gibt, z. B. in orientalischen Sprachen oder Klavierunterricht oder was immer, kann sich also durch die Nebenbeschäftigung des Stundengebens versicherungspflichtig machen. Ein selbständiger Handwerker, der nicht versicherungspflichtig ist, kann durch den Unterricht in der Berufsschule versicherungspflichtig werden. Vielleicht ein noch viel treffenderes Beispiel: ein Tierarzt, der nebenamtlich als Fleischbeschauer tätig ist, oder ein selbständiger Landwirt, der diese Fleischbeschauertätigkeit ausübt und dafür eine Vergütung von 100 DM im Monat bekommt, die in gar keinem Verhältnis zu seinen gesamten Einnahmen steht, wird durch diese Bestimmung versicherungspflichtig.
Herr Ruf hat mit Recht darauf hingewiesen, daß die vielfältigen Probleme im Verhältnis zur Versicherungspflicht — ich erinnere nur an die Fragen der Meistersöhne, der Beschäftigung der Kinder im Betrieb der Eltern, des Verhältnisses der leitenden Angestellten in Gesellschaften mit beschränkter Haftung usw., an die Frage der ehrenamtlichen Tätigkeit der Oberbürgermeister und Landräte, die nur eine Aufwandsentschädigung bekommen — in den verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich behandelt worden sind. Hier entsteht wirklich die Frage: Warum haben wir dann nicht lieber den Antrag des Kollegen Schellenberg angenommen, der das Problem der Rentner im Rahmen der Versicherungspflicht in einem besonderen Paragraphen nach 165 im Ausschuß zur Lösung vorschlug, wenn die Bundesregierung noch nicht in der Lage war, in einem besonderen Gesetz die Rechtseinheit unter Berücksichtigung aller Probleme herbeizuführen?
Warum ist die Frage des § 168 der Reichsversicherungsordnung, die doch so bedeutungsvoll ist — nämlich die Versicherungsfreiheit bei vorübergehenden Dienstleistungen —, oder die Frage des § 172 neuer Fassung — die Versicherungsfreiheit von Personen, die zu oder während ihrer wissenschaftlichen Ausbildung für den zukünftigen Beruf gegen Entgelt tätig sind — hierbei nicht behandelt worden?
Ich hatte keine Gelegenheit, im Ausschuß meine Meinung durchzusetzen. Meine Kollegen aus den
übrigen Fraktionen konnten das auch nicht. Ich entledige mich hier einer Verpflichtung, auf dieses wichtige Problem hinzuweisen, und erinnere mit dem Wunsche, daß Sie alle das Protokoll zur Kenntnis nehmen möchten, an die Zusage, die im Ausschuß gegeben wurde, mit der Ablehnung meines Antrages nicht die gründliche Prüfung all dieser Fragen abzulehnen. Ich erinnere auch an die Zusage des Ministeriums, daß damit nicht etwa endgültig das Problem des § 165 neuer Fassung in die Reform eingehen soll. Auf Grund dieser Zusage habe ich keinen Änderungsantrag gestellt, weil ich die Verabschiedung des Gesetzes über die Krankenversicherung der Rentner mit seinen vielen anderen Problemen nicht gefährden möchte. Ich hoffe, daß diese Auffassung aber dazu führen wird, daß wir noch in dieser Legislaturperiode die Rechtseinheit mit allem Ernst auch in den Fragen der Versicherungspflicht, der Versicherungsfreiheit, der Versicherungsberechtigung und des Endes der Versicherungspflicht und der Versicherungsberechtigung prüfen werden.
Und nun gestatten Sie mir, zu unserem Änderungsantrag *) zu § 165 Stellung zu nehmen. Mit der in unserem Änderungsantrag geforderten Ersetzung des kleinen Wörtchens „versichert" durch das Wort „pflichtversichert" ist nicht etwa, wie der Kollege Freidhof sagte, eine Verschlechterung für die Rentner oder für die Handwerker beinhaltet, sondern der ganze große Komplex der Grundsatzentscheidungen über die Versicherungspflicht. Was ich bei der Debatte über die Arbeitslosenfürsorge gesagt habe, gilt hier wieder vollinhaltlich. Wir können von Sozialreform, von sozialer Verantwortung und von der Erhaltung all der Impulse, die unserer gesetzlichen Sozialversicherung innewohnen, nämlich der Solidarhaftung, nicht sprechen, wenn wir bei der Gesetzgebung immer wieder von dem, was wir offiziell vertreten und theoretisch begründen, in der Praxis abweichen.
Lassen Sie mich ganz kurz auf die historische Entwicklung der Gesetzesvorlage eingehen.
— Meine Kollegen, Sie haben die vorhergehenden Beschlüsse mit gefaßt und dürfen nicht böse sein, Kollege Arndgen, wenn ich an diese Beschlüsse erinnern muß. — Der Antrag meiner Fraktion im 1. Bundestag führte zu dem Beschluß vom 20. März 1953 und zu dem Beschluß des Sozialpolitischen Ausschusses vom 26. Februar 1953, Drucksache Nr. 4144. Nun könnten wir, wie der Kollege Dr. Maier von der FDP mit württembergischem Akzent gelegentlich sagte, feststellen: „Was geht mich mein Geschwätz vom 1. Bundestag an", wenn es sich nicht um so grundsätzliche Dinge handelte. Aber auch einige Kollegen, die erst dem 2. Bundestag angehören, haben mich im Ausschuß und im Einzelgespräch darauf aufmerksam gemacht, daß das, was der 1. Bundestag beschlossen habe, ja nun gar nichts mit dem 2. Bundestag zu tun habe. Das mag nach der Geschäftsordnung so sein. Aber wenn man im 1. Bundestag eine Grundsatzentscheidung mit Mehrheit getroffen hat, dann sollte man von dieser Grundsatzentscheidung nur dann abgehen, wenn wesentliche Erkenntnisse und wesentliche Veränderungen der Grundlagen dieser Erkenntnisse dazu führen.
Wir haben damals auf Grund unseres Antrags, den ich nicht ganz vorlesen will, sondern von dem
*) Siehe Anlage 5.
ich nur drei Punkte wiederhole, beschlossen, den Kreis der Versicherten neu festzusetzen, die Durchführung der Rentnerkrankenversicherung den Versicherungsträgern zu übergeben, bei denen der Rentner während der Zeit seiner Arbeitsfähigkeit pflicht- oder freiwillig versichert war, und die freiwillige Weiterversicherung der krankenversickerten Rentner neu zu ordnen. Der Mündliche Bericht des Ausschusses sagte ganz ausdrücklich:
1. Die Krankenversicherung schutzbedürftiger Rentner wird von den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung durchgeführt.
2. Der Rentner erhält zur Durchführung . . . von den Rentenversicherungsträgern einen Pauschalbetrag, . . .
3. Die freiwillige Versicherung kann bei der Kasse seiner Wahl . . . fortgesetzt werden.
Im 2. Bundestag hat die Fraktion der Deutschen Partei erneut einen Antrag gestellt, Drucksache 19. Auf Grund dieses Antrags, der wiederum zu einem einstimmigen Beschluß des Bundestages führte, ist dann die Regierungsvorlage gekommen. Meine Herren und Damen, man erfährt ja dadurch, daß Referentenentwürfe vorher mit den Beteiligten beraten werden, oft auch etwas über die Geschichte eines solchen Entwurfs. Ich habe damals mit großer Befriedigung festgestellt, daß der Herr Bundesminister für Arbeit in seinem ersten Entwurf genau das vorgesehen hatte, was er auch heute immer wieder betont — was der 1. Bundestag beschlossen hatte und worin ich mit ihm hundertprozentig übereinstimme —: daß nämlich „die Versicherungspflicht der Rentner begrenzt sein soll". Trotzdem erhielten wir dann eine Regierungsvorlage, in der dann keine Begrenzung nach diesen Grundsätzen erschien, sondern das Recht auf Weiterversicherung und Selbstversicherung in der Form behandelt wurde, in der der Kollege Freidhof heute den totalen Versicherungszwang für alle begründet: als seien eben alle Rentner soziologisch gleichzustellen und als sei die wirtschaftliche und soziale Situation der Rentner nicht unterschiedlich.
Ich bitte die sachverständigen Kollegen auch der Christlich-Demokratischen Union, mir doch in der folgenden Betrachtung zu folgen. Hätten wir in den Rentenversicherungen etwa eine Versicherungspflichtgrenze wie in der Krankenversicherung von 500 DM, dann wäre es eigentlich selbstverständlich, daß alle Pflichtversicherten dies auch als Rentner bleiben müßten, da ihre Bezüge aus der Rente oder aus sonstigen zusätzlichen Einkünften diese Grenze normalerweise niemals überschreiten könnten. Da das aber nicht der Fall ist, da in der deutschen Rentenversicherung jedermann ohne Rücksicht auf die Höhe seines Einkommens und ohne Rücksicht auf seine wirtschaftliche Situation versichert sein kann, auch ohne Rücksicht darauf, ob er Arbeiter, Angestellter, Bauer, Arzt oder Selbständiger in irgendeinem Beruf ist — selbst Beamte mit einem Anspruch auf Pension können daneben einen Anspruch auf eine Angestelltenrente oder eine Invalidenrente haben, wenn sie ihre Versicherung fortgesetzt haben —, kann man nicht sagen, daß soziologisch alle Rentner gleich sind, und daher nicht folgern, daß man alle Rentner mit dem Versicherungszwang zu einer Krankenversicherung zwingen muß.
Ich erinnere nur an die Debatte vom 20. Februar 1952 und an unsere Auseinandersetzung um dieses Problem. Ich brauche meinen Ausführungen nach
vier Jahren kein einziges Wort hinzuzufügen; sie gelten noch heute unverändert.
Der Herr Ministerpräsident Storch hat am 5. Mai — —
— Herr Arbeitsminister Storch! Nun, meine Herren, er kann es noch werden! So ist das nicht.
Jeder kann in diesem Staat Minister oder Ministerpräsident werden!
— Mein Einfluß in der Politik, Kollege Schellenberg, ist nicht so groß, daß die Chancen des Herrn Storch von mir allein abhingen! Herr Bundesminister für Arbeit Storch hat am 5. Mai 1955 hier im Plenum laut Protokoll gesagt, daß „1941 die Krankenversicherung der Rentner unter Entlastung der Fürsorge zu Lasten der Rentenversicherung geschaffen wurde, ohne daß ein ordentliches Parlament die Regeln festgelegt hat". Ich bin mit ihm in dieser Frage einig wie in der Schlußfolgerung, die er daraus gezogen hat. Er hat nämlich gesagt — wörtlich nachzulesen im Protokoll —: „Vor 1941 war der Rentner freiwillig weiterversichert. Er zahlte Beiträge, obwohl die Renten damals in der Regel kaum 40 RM ausmachten." Und ein Referent des Bundesministers für Arbeit hat in der Zeitschrift „Die Sozialversicherung", die in der Fachliteratur in letzter Zeit vielfach zitiert worden ist, bezüglich der Gründe für die unterschiedliche Rechtsgestaltung hinsichtlich des Umfanges der Krankenversicherung der Rentner bestätigt, daß es „nicht erforderlich erscheint, daß jeder Rentner der gesetzlichen Rentenversicherung der Krankenversicherungspflicht unterliegt, da schon vor 1941 zahlreiche Rentner in der sozialen oder in der privaten Krankenversicherung freiwillig versichert und durchaus keinem sozialen Notstand unterworfen waren".
Während wir uns in der Debatte vom 20. Februar 1952 noch heftig auseinandersetzen mußten, insbesondere der Kollege Schellenberg und ich, über die Fragen der Solidarhaftung, der sozialen Situation der Rentner bzw. ihrer Schutzbedürftigkeit, hat Herr Kollege Schellenberg — sicherlich nicht zuletzt auf Grund der Erfahrungen mit der Krankenversicherung der Rentner in seiner Krankenversicherungsanstalt und aus seiner Sachkenntnis in. diesen Fragen — im Ausschuß, als die Sachverständigen zu dem Problem Stellung nahmen, bestätigt, was mir eine ganz besondere Freude war und was ich ihm nachher gern wortwörtlich verlesen will. — Er pflichtete den Ausführungen des Sachverständigen Vesper vom Verband der Angestelltenkrankenkassen bei und sagte wörtlich: „Nicht jeder Rentner ist der Ärmste der Armen."
Noch ein Weiteres, meine Damen und Herren, und auch das können alle, die daran interessiert sind, im Protokoll des Ausschusses für Sozialpolitik vom 17. November 1955 nachlesen. In der Debatte haben die Vertreter der Ersatzkassen daraus hingewiesen, daß es viele Versicherte gibt, die trotz kostenloser Krankenversicherung bei den Ortskrankenkassen ihre Beiträge weiterzahlen. 1952
sagte ich Ihnen, daß es bei einer Ersatzkasse allein 25 000 waren. Heute sind es bei dieser Ersatzkasse 150 000 Rentner — also 15 % der gesamten Mitglieder —, die in der Lage sind, ihre Beiträge trotzdem weiterzuzahlen, obwohl sie bei der AOK kostenlosen Versicherungsschutz haben. Das sollte doch all denen zu denken geben, die von dem Willen oder dem Können der Rentner, ihre Versicherung selber in Ordnung zu halten, eine so geringe Meinung haben.
Die Kollegen im Ausschuß sind auch von den Sachverständigen belehrt worden — und Herr Storch hat das oft von dieser Stelle gesagt —, daß der Rentner heute nicht nur von seiner Rente lebt, sondern daß eine große Anzahl der Rentner neben dieser Rente andere Einkünfte haben. Das trifft zweifelsohne zu für alle Selbständigen, die eine Rente beziehen, für die freien Berufe, für die Beamten, das trifft aber auch für die gesamten Behördenangestellten zu, deren Zahl täglich wächst und die nach TOA eine zusätzliche Höherversicherung haben müssen; das trifft für alle diejenigen zu, die aus Tarifverträgen neben ihrer Rente Pensionseinnahmen haben, und für alle Arbeiter und Angestellten, die aus betrieblichen Sozialleistungen zusätzliche Renten erhalten. Ich sage das nicht etwa, weil ich die Rentner für wohlhabende Leute halte, sondern weil ich genau weiß, daß zwischen Rentner und Rentner genau so ein Unterschied besteht wie zwischen den Staatsbürgern schlechthin. So wie es Menschen mit geringem Einkommen gibt und solche, die mehr verdienen, weil sie mehr Möglichkeiten oder größere Fähigkeiten haben, gibt es auch Rentner mit unterschiedlich hohen Einkommen. Man muß diese Differenziertheit auch in der Sozialpolitik berücksichtigen, wenn man nicht eben der Auffassung ist, daß durch kollektive Lösungen alles nivelliert werden soll.
Ich muß auch hier betonen, daß der Vorschlag, der von mir im Ausschuß gemacht wurde und von den Kollegen der übrigen Fraktionen bestätigt worden ist, nicht etwa meiner persönlichen ursprünglichen Konzeption entspringt. Meine Konzeption war nur — und das muß ich hier noch einmal aussprechen —, daß jeder Rentner das Recht haben soll, sich bei seiner gesetzlichen Krankenkasse weiter zu versichern oder sich privat zu versichern nach den Möglichkeiten, die er wirtschaftlich und sozialpolitisch hat. Der Ihnen heute vorliegende Vorschlag ist ein Kompromißvorschlag. Er ist ein Kompromißvorschlag — es sei offen ausgesprochen — in dem Gedanken, daß einige Kollegen der SPD und die Mehrheit der CDU unserer Auffassung von den Grenzen der Versicherungspflicht zustimmen können. Aus diesem Gedankengang heraus haben wir Ihnen diesen Kompromißvorschlag heute vorgelegt, der auch gleichzeitig der Konzeption entspricht, die wir zum mindesten in der Koalition immer gemeinsam vertreten haben: nämlich daß die Versicherungspflicht ihre Grenze da haben muß, wo der Mensch aus eigener Kraft in der Lage ist, auch im Krankheitsfall für sich einzutreten, und daß die Grenze deshalb da sein muß, damit nicht auf Grund der Solidarhaftung die Armen etwa für die Reichen in Anspruch genommen werden könnten. Allerdings setze ich besser an die Stelle des Wortes „Reiche" die „Wohlhabenderen"; denn Reiche wird es unter diesem Personenkreis sehr wenige geben.
Für die Grenze der Weiterversicherung ist es außerordentlich wichtig, daß wir in der Frage der Gefährdung der Solidarhaftung, auf die ich hingewiesen habe, nicht weiteren Sprengstoff in die
Versichertengemeinschaften unserer Krankenkassen tragen. Sie wissen, welche Auseinandersetzungen die Ortskrankenkassen mit dem Bundesminister für Arbeit in der Vergangenheit gehabt haben. Ich habe mir sehr ernsthaft Gedanken darüber gemacht, warum wohl die Ortskrankenkassen ihre alte Idee von der totalen Versicherungspflicht aller Rentner nicht mehr vertreten. Sie sind aber wahrscheinlich genau wie der Kollege Schellenberg durch die Erfahrung in der Praxis zu Erkenntnissen gekommen und haben eingesehen, daß die bisherige Auffassung in der Alltagswirklichkeit die Zerstörung der Solidarhaftung in der Sozialversicherung zur Folge haben würde! Wenn heute schon bei 5 Millionen Rentnern — wir haben 18 Millionen Pflichtversicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung — die Belastung und damit die Überbeanspruchung der Solidarhaftung so groß ist, daß die Beiträge erhöht werden mußten, wenn das in einzelnen Kassen in einem solch unverhältnismäßig hohen Maße der Fall ist — wir werden bei § 5 a noch darüber sprechen —, dann darf diese Frage — das zeigen auch die Anträge, die heute auf dem Tisch liegen — nicht einfach am Rande behandelt werden.
Niemand, wo er auch politisch steht, kann wünschen, daß unsere gesetzlichen Krankenkassen Staatszuschüsse nötig haben. Niemand kann das wollen, weil damit die Selbstverwaltung beseitigt werden würde. Niemand kann wünschen, daß durch weitere Konsequenzen das System unserer Krankenversicherung ins Rutschen kommt.
Eine Abgrenzung der Personenkreise der Rentner entspricht aber auch einer Grundkonzeption, die von den bisherigen Koalitionspartnern hier im Bundestag mehrmals beschlossen worden ist. Wir haben uns im Ausschuß — dies war unser erster Entscheidungspunkt, und es ist betont worden, daß das nicht nur eine Verwaltungsentscheidung, sondern eine Grundsatzentscheidung sein sollte — dafür ausgesprochen, daß die Krankenversicherung der Rentner eine Aufgabe der Krankenversicherung und nicht eine Aufgabe der Rentenversicherung sein soll. Wenn sie aber eine Aufgabe der Krankenversicherung sein soll, dann können doch — das ist doch logisch und konsequent — für alle Mitglieder der Krankenversicherung nur die gleichen Voraussetzungen gelten. Also muß bei allen Mitgliedern der Krankenversicherung genau festgestellt werden: Wer ist versicherungspflichtig, wer hat das Recht auf Weiterversicherung. wer ist versicherungsberechtigt? Die Sozialpolitik hat aber auch einen moralischen Auftrag. Der Herr Präsident hat gestern in seiner Eigenschaft als Abgeordneter in einem anderen Zusammenhang sehr richtig gesagt, ,.daß sich die Moral eigentlich von selbst verstehen sollte". Meine Herren und Damen, das gilt nicht nur für alle politischen Belange, die wir zu entscheiden haben, das gilt insbesondere für die Sozialpolitik. Die sozialethische Aufgabe der Sozialpolitik ist auch, den Menschen zur Selbstverantwortung zu erziehen. Ich glaube, es steht im Vokabular vieler Kollegen in diesem Hause. daß die Solidarität, die Selbstverantwortung, die Selbstzucht und die Rücksicht auf die Solidarhaftung Grundsatzforderungen sind. denen man vor seinem Gewissen nicht ausweichen kann.
Ich habe im Ausschuß dem Kollegen Richter eine Frage vorgelegt, die er mir nicht beantwortet hat, die ich aber heute den Kollegen noch einmal vorlege, die etwa einen Zweifel daran haben könnten
— j a, nur deshalb, weil wir noch nicht klar miteinander sind, Kollege Arndgen! —,
daß unser Antrag mit der Versicherungspflicht folgende Konsequenz hat. Einem Arbeiter oder Angestellten, der 300 DM brutto verdient und zwei Kinder zu versorgen hat, nehmen Sie ohne Gewissenskonflikt 7 % gleich 21 DM Beitrag ab. Dagegen haben Sie Gewissenskonflikte, einem Rentner, der 240 oder 300 DM Rente netto hat und daneben eine Beamtenpension oder ein Geschäft oder eine zusätzliche Altersversorgung, auch nur 3 DM abzunehmen. Ich kann das nicht als verantwortungsbewußtes Handeln ansehen.
Ein gravierendes Merkmal der Versicherung ist der Beitrag. Sie haben im Ausschuß — das möchte ich wiederholen — unsere Anträge deshalb abgelehnt, weil Sie Sorge hatten, daß Rentner Beiträge bezahlen müßten. Nun, ich habe diese Sorge nicht; denn ich glaube, daß die vielen Frauen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind — und das sind heute fast 50 % — und die alle hohe Pflichtversicherungsbeiträge bezahlen müssen, genau so wenig damit einverstanden sein können wie die gering verdienenden Arbeiter, daß andere Leute mit höheren Einkünften aus ihrer Solidarhaftung Vorteile haben.
Unser Antrag wird es - wenn er angenommen wird — der Krankenversicherung gestatten, für Weiterversicherte und Versicherungsberechtigte nach dem Einkommen gestaffelte Beiträge zu erheben. Er entlastet den Arbeitsminister, er entlastet die Kranken- und die Rentenversicherung und er entspricht den sozial-ethischen Grundsätzen, die doch auch Sie gemeinsam mit uns verteidigen wollen.
Es ist Angst oder Befürchtung geäußert worden, daß diese Beiträge zu hoch sein könnten. Dafür finden Sie aber in der Reichsversicherungsordnung die entsprechenden Grenzen und Schranken für die Selbstverwaltung. Der Versicherte selber kann auch beantragen, in eine niedrigere Klasse eingestuft zu werden, wenn sein Einkommen absinkt.
Ich darf zum Schluß noch
um eines bitten: Zerstören Sie nicht die Selbstverantwortung! In der Zeitschrift „Sozialer Fortschritt", die immer ein offenes Ohr für gewerkschaftliche Probleme hat, war die entscheidende Frage vor kurzem dargestellt. Dort heißt es nämlich — und ich bitte die Gewerkschaftler, besonders herzuhören —, „daß das Problem nur gelöst werden kann, wenn entweder die Leistungen nivelliert oder die Beiträge erhöht werden". — Wir wollen nicht, daß die Leistungen für die Rentner nivelliert werden. Wir wollen aber auch nicht, daß die Solidarhaftung zerstört, die Selbstverwaltung beseitigt wird. Auf die Konsequenzen hat auch der Kollege Schellenberg sehr richtig hingewiesen. Die Schaffung von Altersreserven in der Krankenversicherung würde notwendig werden, und jeglicher Leistungsausbau würde verhindert. Wir wollen nicht das Verbauen jedes sozialpolitischen Planens und Fortschritts, die Unmöglichkeit der Fortzahlung des Krankengeldes und die Unmöglichkeit der Finanzierung vorbeugender Maßnahmen und vieles mehr, was für die Reform geplant ist. All diese Pläne zerstören Sie, wenn Sie die Grenzen der Leistungskraft der gesetzlichen Krankenversicherung nicht
sehen. Ich werde nachher im Zusammenhang mit dem § 5 a darauf hinweisen, wie es bei den Krankenkassen aussieht, und möchte Sie heute noch einmal bitten, unserem Antrag auf die Begrenzung der Versicherungspflicht zuzustimmen, um damit auch für die Reform der Sozialversicherung in der Sparte Krankenversicherung jene Impulse zu verwirklichen, die wir gemeinsam geben müssen, wenn wir den Armen unter den Rentnern wirklich helfen wollen.