Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich die Glückwünsche des ganzen Hauses aussprechen zum heutigen 65. Geburtstage dem Herrn Abgeordneten Rümmele.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat unter dem 30. April 1955 die Kleine Anfrage 146 der Fraktion der FDP betreffend Flugzeugwerke — Drucksache 1145 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 1375 vervielfältigt.
Zur Tagesordnung gebe ich bekannt, daß der Bundestag gestern übend übereingekommen ist, den Punkt 3 der Tagesordnung von gestern als Punkt 3 auf die heutige Tagesordnung zu setzen.
Ich komme zur Tagesordnung und rufe auf Punkt 1:
Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Röchling'sche Eisen- und Stahlwerke in Völklingen .
Wird das Wort zur Begründung gewünscht?
— Herr Kollege Trittelvitz ist noch nicht da. Wir verändern dann die Reihenfolge der Tagesordnung. Ich stelle Punkt 1 zurück und rufe auf Punkt 2 der heutigen Tagesordnung: •
Beratung des Antrags der Fraktion der FDP betreffend Plenarsitzung in Berlin .
Wird zur Begründung des Antrags das Wort gewünscht? — Wenn das Wort zur Begründung nicht gewünscht wird, eröffne ich die allgemeine Aussprache über diesen Punkt. Wird dazu das Wort gewünscht? — Der Herr Abgeordnete Dr. Krone!
Auch unser Antrag muß mitberaten werden, ohne Begründung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe dann auf zur Mitberatung den Antrag Umdruck 349.*) Das ist ein Änderungsantrag, der Ihnen vorliegt. Zur Begründung ,der. Abgeordnete Dr. Krone?
Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? — Herr Abgeordneter Blachstein!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die beiden vorliegenden Anträge rufen in diesem Hause wieder einmal eine Debatte über unser Verhältnis zu Berlin hervor und über die Frage, in welcher Weise wir als Bundestag für Berlin mehr tun können als bisher. Ich hätte erwartet, daß sowohl der Antrag der Freien Demokraten wie der Änderungsantrag der CDU und DP hier begründet worden wären. Ich glaube, daß es bei der Sache, mit der sich die beiden Anträge beschäftigen, notwendig gewesen wäre, vor dem Haus ein Wort zu den Dingen zu sagen.
Wir haben als Sozialdemokraten immer wieder darauf gedrängt, daß so viel an Bundesverwaltungen und auch an Bundesregierung wie möglich in Berlin tätig wird. Wir möchten heute hinzufügen, daß nach unserer Meinung auch der Bundestag mehr als bisher seine Arbeit nach Berlin verlegen könnte. Warum war der Deutsche Bundestag bisher noch nicht zu einer Plenarsitzung in Berlin? Warum haben nicht mehr Ausschüsse ihre Arbeit nach Berlin verlegt oder öfter als bisher in Berlin getagt? Wir haben den Wunsch, daß in der Zukunft mehr Arbeitssitzungen nach Berlin gelegt werden. Das scheint uns sinnvoll und möglich zu sein. Die Erfahrungen, die wir bisher dabei in Berlin gemacht haben, auch die Erfahrung mit der
*)Siehe Anlage 2. Bundesversammlung im vorigen Jahr, zeigen, daß es möglich ist, dort zu arbeiten, und daß es politisch richtig ist, in gewissen Abständen in Berlin zu arbeiten.
Der Antrag der Freien Demokraten auf Drucksache 1270 erscheint uns aber unzweckmäßig. Der 17. Juni sollte als Tag der Deutschen Einheit nicht nur zu einer parlamentarischen Sache werden. Wir bekennen uns zu diesem Tage, dem Aufstand der mitteldeutschen Arbeiter ,und der ganzen freiheitlichen Bevölkerung der sowjetischen Besatzungszone. In unserer Geschichte gibt es wenige Tage wie gerade diesen, an denen sich unser Volk erhob, um sein Joch abzuschütteln und sich die Freiheit selbst zu erkämpfen. Wir wollen an diesem Tage die Opfer dieses Kampfes ehren und wir wollen denen, die in der Zone leben, unsere Verbundenheit und unseren Willen ausdrücken, in allem, was wir hier tun, niemals von der Verpflichtung abzuweichen, den kürzesten Weg zur Wiedervereinigung in Freiheit zu suchen. Wäre unsere Politik in der Bundesrepublik täglich und praktisch auf die Wiedervereinigung eingestellt, dann würden wir nicht von Zeit zu Zeit jenen Wettbewerb in Wiedervereinigungssymbolik erleben und über uns ergehen lassen müssen.
Wir halten nichts von Gesten und möchten auch keine Veranstaltungen, die dem Kalten Krieg dienen. Wer der Bevölkerung in der sowjetischen Besatzungszone helfen will — und das wollen wir doch alle in diesem Hause —, der vergesse niemals, daß eine Verschärfung der Gegensätze der Großmächte der deutschen Wiedervereinigung nur schadet, daß die Einheit Deutschlands nur bei einer fortschreitenden Entspannung erreichbar sein wird.
Wir sind für würdige Feiern zum 17. Juni, aber der 17. Juni sollte nicht nur eine Sache Berlins sein, sondern er gehört dem ganzen deutschen Volk. Wir wollen die Besinnung an diesem Tag nicht an die Berliner delegieren, sondern wir sollten darauf drängen, daß dieser Tag in der ganzen Bundesrepublik feierlich begangen wird. Es sollte kein Feiertag amtlichen Zeremoniells sein, sondern unter Beteiligung möglichst breiter Schichten unseres Volkes, wie es im vorigen Jahr auch schon in vielen Städten der Fall war, ein Gedenktag aller Deutschen, die die Freiheit über alles lieben.
Die Feier in Berlin, der Stadt, in der der Volksaufstand begann, hat ihren besonderen Sinn und ihre besondere Bedeutung. Wir halten die Beteiligung einer Delegation des Deutschen Bundestages an dieser Feier für gut, um unsere Teilnahme am Schicksal Berlins und unsere Verbundenheit mit ganz Berlin und der Zone sichtbar zu dokumentieren. Statt einer Feier des ganzen Bundestages in Berlin, die nur im parlamentarischen Rahmen stattfinden würde, möchten wir die Teilnahme einer Delegation an der Feier des Berliner Senats, zu der die ganze Bevölkerung Berlins aufgerufen wird. Schon im vorigen Jahr haben Abgeordnete des Deutschen Bundestages an der Gedenkstunde in Berlin teilgenommen. Diejenigen von uns, die an einer solchen Delegation des Deutschen Bundestages nicht teilnehmen würden, sollten in ihren Wohnorten und Wahlkreisen an den Feiern zum 17. Juni in der Bundesrepublik teilnehmen. Wir stimmen darum diesem Punkt des Änderungsantrags auf Umdruck 349 zu.
In diesem Änderungsantrag wird weiter die Errichtung einer „Stiftung 17. Juni" gefordert. Wir wissen bisher nicht, was unter dieser Stiftung verstanden werden soll, wie sie ausgestattet sein soll, welchen Zwecken sie dienen soll. Darüber wird zu sprechen sein. Aber wir halten auch auf diesem Gebiet nichts von Gesten. Wir empfinden brennende Scham darüber, daß für aie Opfer der Gewaltherrschaft der sowjetischen Besatzungszone so viel schöne Worte geredet werden und so wenig echte Hilfe geleistet wird.
Viele dieser Menschen, die sich in die Bundesrepublik retten konnten, leben in Not und Elend und sind mit Recht enttäuscht und verbittert. Sie, meine Damen und Herren von der Mehrheit des Hauses, und die Bundesregierung haben bisher Ihre Versprechen nicht eingelöst.
Ich hörte, daß der Gesetzentwurf zur Regelung der Ansprüche der ehemaligen Gefangenen aus der sowjetischen Besatzungszone dem Bundesrat zugeleitet sein soll. Darüber wird später auch in diesem Hause zu reden sein. Es ist vieles versäumt worden. Aber wenn es auch spät ist, so ist es nicht zu spät, daß den Menschen, die auch für uns ihre Freiheit geopfert haben und die einen moralischen Anspruch an uns zu stellen haben, geholfen wird. Aber mag diese Gruppe nicht das gleiche tragische Schicksal erfahren wie ihre Leidensbrüder aus der Zeit der braunen Diktatur! Mögen ihre Ansprüche nicht von den gleichen Bürokraten und Richtern in der gleichen zynischen Weise mißachtet werden!
Die mangelnde Bereitschaft zur Wiedergutmachung an den Opfern der Diktatur, gleich welcher, scheint in der Bundesrepublik aus behaglicher Selbstzufriedenheit zu sprießen, die sich durch nichts erschüttern und durch nichts aus der Ruhe bringen läßt. Wir werden nicht aufhören, zu mahnen, daß gesetzliche Regelungen für die Opfer des Stalinismus geschaffen und aus einem Geist echter kameradschaftlicher Hilfe durchgeführt werden.
Wenn Sie darüber hinaus eine Stiftung für besondere Zwecke schaffen wollen, wollen wir gern mitwirken. Wir möchten nur nicht — das möchten wir heute deutlich sagen —, daß neue Hoffnungen geweckt und später nicht eingelöst werden. Wir dürfen die Menschen, die vertrauensvoll zu uns gekommen sind, nicht enttäuschen. Leere Gesten müssen in einem solchen Fall wie Hohn wirken. Das darf nicht geschehen. Was wir in diesen Dingen tun und was wir unterlassen, zeugt bis in die Zone für die wirkliche Moral in diesem Teile Deutschlands.
Eines können wir hier tun: wir könnten einer für den anderen aufkommen und damit ein Beispiel für das Ganze setzen. Aber daran hat es leider bisher gefehlt.
Wir stimmen dem Antrag Umdruck 349 zu.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Lüders.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie kennen den Inhalt des Antrages meiner Fraktion, am 17. Juni, dem „Tage der Deutschen Einheit", eine Sitzung des Bundestages in Berlin abzuhalten zum feierlichen Gedenken an das furchtlose Bekenntnis von Millionen Deutscher der Ostzone und Berlins, ein Bekenntnis unter Einsatz von Leben und Freiheit unter den Augen ihrer Gewalthaber.
Einen Augenblick, Frau Abgeordnete!
Meine Damen und Herren, wir probieren heute zur Abwechslung eine andere Anlage aus.
Ich muß um Ihre Nachsicht bitten. Wir haben hier oben die größte Mühe, das Wort des Redners bzw. der Rednerin zu verstehen. Wir werden hoffentlich binnen kurzem zu einer endgültigen Regelung kommen, welche von den beiden Anlagen wir nun nehmen. Die eine ist so schwierig wie die andere, wie mir scheint.
Fahren Sie bitte fort, Frau Abgeordnete!
— Nein, fahren Sie bitte fort!
Es wird nicht notwendig sein, so dachte ich, den ganz einfachen menschlichen und politischen Sinn unseres Anliegens in langen Ausführungen zu erläutern und auf alles das einzugehen, was hinter den Kulissen über diesen Antrag — allerdings ohne meine Mitwirkung — besprochen worden ist. Wir glauben, daß unsere Brüder und Schwestern in der Ostzone, für die jede freimütige Bekundung ihres Willens und Sehnens mit neuen Gefahren und Unterdrükkungen verbunden ist, einen ganz selbstverständlichen Anspruch darauf haben, daß der Deutsche Bundestag stellvertretend für sie eintritt, daß wir für sie unsere Stimme erheben und vor aller Welt für sie sprechen, daß wir uns nicht mit den gewohnten und aller Welt bekannten Verbundenheitsbeteuerungen aus gesicherter Ferne an diesem Tage begnügen,
sondern unter ihren Augen ihren Feiertag für sie begehen. Wir wollen unser geistig-seelisches Einssein mit ihnen durch unsere persönliche Nähe erneut bezeugen.
Ich hatte nicht gedacht — und glaube es auch heute noch nicht —, daß es jemanden geben könnte, bei dem diese ganz selbstverständliche politische und menschliche Verpflichtung, den Weg zu denen zu finden, denen der Weg zu uns versperrt ist, auf irgendwelche Zweifel oder Deutungen stoßen könnte. Ich kann es mir auch jetzt nicht denken und bitte Sie deshalb, unserem Antrag zuzustimmen, damit der Name dieses Tages nicht zu einem leeren Wort wird, sondern ein wirkliches Zeugnis unserer politischen und menschlichen, unserer inneren und äußeren Bindung an unsere Brüder und Schwestern drüben — heute und immer — ist.
Ich bitte, das Wort „Alljährlich" in unserem Antrag zu streichen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Krone.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben über diese Frage schon zwei-, drei- oder gar viermal im Ältestenrat gesprochen, und es ist tief bedauerlich, daß wir im Ältestenrat über diese Frage keine Einigung gefunden haben.
Man ist sich, glaube ich, völlig einig in der Hilfe für Berlin, und daß es eine echte Hilfe sein muß und nur sein kann. Aber alles andere, was darüber hinausgeht und was nach einer Regelung aussieht, die nicht eine echte Regelung ist, geht meines Erachtens daneben. Ich habe die Hoffnung, daß im Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen noch eine Regelung gefunden werden kann, und beantrage, beide Anträge diesem Ausschuß zu überweisen.
Das Wort hat der Abgeordnete Seiboth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte vorweg mitteilen, daß die Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks/BHE dem Antrag der Fraktion der Freien Demokraten zustimmen wird. Wir haben gleichwohl nichts dagegen, sondern sind dafür, daß beide Anträge dem Gesamtdeutschen Ausschuß zur Beratung überwiesen werden.
Ich möchte kurz unsere Einstellung zu dieser Frage bekanntgeben. Wir sind der Meinung, sowohl die Ereignisse des 17. Juni im Jahre 1953 I wie der „Tag der deutschen Einheit", zu dem der 17. Juni dann erklärt wurde, sind Angelegenheiten des ganzen deutschen Volkes, und wenn zum Gedenken an die Ereignisse jenes 17. Juni eine Feierstunde abgehalten wird, geziemt es der höchsten parlamentarischen Vertretung des deutschen Volkes, daß sie diese Feierstunde veranstaltet.
Hinsichtlich des Ortes, in der Wahl zwischen Bonn
und Berlin, sind wir der Meinung, besonders in
diesem Falle müssen wir mitten unter unseren
Brüdern und Schwestern aus der Zone drüben in
Berlin sein. Das ist der Grund, warum wir uns für
eine vom Deutschen Bundestag veranstaltete Feierstunde anläßlich des 17. Juni in Berlin aussprechen.
Ich möchte auch mein Bedauern und das Bedauern unserer Fraktion darüber aussprechen, daß im Ältestenrat in dieser so ernsten Frage keine Einigung erzielt werden konnte, und noch mehr unser Bedauern vor allem darüber ausdrücken, daß schon tage-, ja wochenlang in der Presse fast täglich eine neue Version über die Absichten hinsichtlich der Gestaltung dieses Tages zu lesen war. Das dient dem hohen Ziele nicht, das wir alle anstreben. Das dient der Sache nicht, und wir sollten uns künftig bei ähnlichen Anlässen immer bemühen, ohne allzu sehr die Öffentlichkeit zu strapazieren, zu einer Einigung in solchen Fragen zu kommen.
Ich möchte ein Weiteres sagen. Es ist uns gesagt worden — und wir haben an sich Verständnis dafür —, es habe auch eine finanzielle Seite, wenn der ganze Bundestag, meinetwegen auch im Sinne des ursprünglichen Vorschlags des Herrn Präsidenten des Bundestages, für eine ganze Arbeitswoche nach Berlin gehe.
Man sollte nicht nur sagen: So viel wie möglich Regierung und so viel wie möglich Verwaltung nach Berlin! Soweit es die Umstände zulassen, sollten wir auch sagen: So viel wie möglich bzw. so oft wie möglich Bundestag nach Berlin!
Es ließe sich durchaus mit diesem Zweck und dem Ziel, das wir hier verfolgen wollen, vereinbaren, wenn wir die ganze Woche, in der der 17. Juni liegt, als Bundestag oder wenigstens als die Ausschüsse des Bundestages drüben in Berlin wären und dort arbeiteten. Man sollte die Berechnungen, was das kosten würde — gewiß, es ist aufwendig, das wissen wir —, in diesem Zusammenhang nicht aufstellen. Es könnte ja auch jemand auf die Idee verfallen, zu sagen, die Heimatvertriebenen, die in diesem Jahre anläßlich der zehnten Wiederkehr des Tages des Beginns der Vertreibung ihre großen Kundgebungen begehen, täten besser daran, wenn sie die Gelder — und das kostet alles viel Geld — zusammenlegten, um ihre armen Schicksalsgefährten damit zu unterstützen. Ich bin überzeugt, daß gerade die Ärmsten der Vertriebenen sagen würden: Nein, in diesem Zusammenhang und bei diesem Anlaß sind politische Kundgebungen wichtig, unseres Rechtes wegen.
Ich bin überzeugt, daß wir bei den Opfern des 17. Juni, insbesondere auch bei den Flüchtlingen aus der Zone und bei der ganzen Bevölkerung in der Zone, aber auch bei unserer westdeutschen Bevölkerung Verständnis dafür finden würden, wenn wir sagten: In diesem Fall gehen wir nach Berlin. Die Beschwernisse, die es dabei gibt, sollten wir bei diesem Zweck und der Absicht, die wir damit verfolgen, nicht zu hoch einschätzen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.
Meine Damen und Herren, ehe wir über den Antrag auf Überweisung an den Gesamtdeutschen Ausschuß abstimmen, darf ich bitten, zu notieren, daß die Antragsteller des Antrags Drucksache 1270 beantragt haben, das Wort „Alljährlich" in ihrem Antrag zu streichen.
Meine Damen und Herren, ich stelle den Vorschlag zur Abstimmung, beide Anträge, also den Antrag der Fraktion der FDP, Drucksache 1270, mit der vorhin bekanntgegebenen Änderung und den Änderungsantrag, Umdruck 349, an den Gesamtdeutschen Ausschuß zu überweisen. Wer der Überweisung an den Gesamtdeutschen Ausschuß zustimmen will, den bitte ich urn ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei wenigen Enthaltungen ist Überweisung an den Gesamtdeutschen Ausschuß beschlossen.
Ich gehe zurück zu Punkt 1 der Tagesordnung und rufe noch einmal auf
Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Röchling'sche Eisen- und Stahlwerke in Völklingen .
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Der Abgeordnete Trittelvitz zur Begründung.
Trittelvitz , Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der drohende Verkauf der Völklinger Hütte im Herbst 1954 war der Anlaß zu der Großen Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion. Meine Freunde brachten diese Anfrage aus der berechtigten Sorge um das Schicksal der Saar ein, und diese Sorge fand ihre besondere Berechtigung in dem wenige Tage später geschlossenen Saarabkommen. In entscheidendem Maße ist die politische Zukunft dieses deutschen Landesteils doch von seiner wirtschaftlichen Situation abhängig. Die Prosperität seiner Wirtschaft, die Wohlfahrt seiner Bewohner ist davon abhängig, w e r über die Wirtschaft des Landes verfügt und w o die Kommandostellen ihren Sitz haben. Gerade in diesem Land, gerade an der Saar, wo Gruben, Banken, Versicherungen durch Kauf, durch Beschlagnahme in die Hand der Besatzungsmacht geraten sind, ist die Überantwortung des Eigentums an Unternehmungen von entscheidendem Einfluß auf 'das künftige politische und wirtschaftliche Geschick. Besorgniserregend mußte es deswegen erscheinen, wenn ein weiteres Unternehmen der Schwerindustrie mit einer Kapazität, die ein Drittel der gesamten Stahlkapazität des Saarlandes ausmacht, nunmehr auch in ausländischen Besitz übergehen sollte.
Im Jahre 1954 war das auch die Auffassung der Bundesregierung, und im Jahre 1954 konnten uns Zusicherungen der Bundesregierung und des Bundeswirtschaftsministeriums, sich gegen einen Verkauf dieses Unternehmens zu wenden, dazu bestimmen, die Große Anfrage Drucksache 905 zurückzustellen.
Im Jahre 1951 hatte die Bundesregierung selbst in einem Schreiben an die Hohen Kommissare zu dem Reparationsproblem an der Saar allgemein festgestellt, wie zweifelhaft gewisse Forderungen der französischen Besatzungsmacht an gewisse Werke an der Saar seien und wie schwierig es sei, einen Rechtsanspruch aus jener Verfügung der Interalliierten Reparationsagentur zur Überantwortung des Gesamtkomplexes der Saarwirtschaft an die französische Besatzungsmacht zu entwickeln, und wie schwierig die Herleitung dinglicher Rechtsansprüche gegen einzelne bestimmte Unternehmungen an der Saar sei.
Diese zweifelhafte Rechtsgrundlage war doch das Entscheidende, was uns hätte helfen können, die Eigentumsfrage an bestimmten Werken an der Saar in einem anderen Sinne zu bearbeiten, als es geschehen ist. Dabei geht es nicht nur um die Völklinger Hütte, sondern auch um die anderen Werke: das Neunkirchener Eisenwerk, die Mannesmann-Röhrenwerke in Bous und die Dynamitwerke in Saarwellingen. Eis geht bei diesem Problem aber auch um andere Dinge, nicht nur um Unternehmen der Schwerindustrie, die unter die Verfügung der Interalliierten Reparationsagentur fallen, sondern auch um andere, unter Sequester gestellte Unternehmungen im Saargebiet wie Druckereien und Verlage, deren Schicksal heute ebenfalls ungewiß und ungeklärt ist. Wenn heute die Bundesregierung, vor ein französisches Ultimatum gestellt, in der Frage der Völklinger Hütte erneut nachgegeben hat und bestimmte Vereinbarungen über die Überführung des Unternehmens in französischdeutschen Besitz getroffen hat, dann hat sie trotz rechtlich unhaltbarer Ansprüche Frankreichs
die französischen Machtpositionen gestärkt und die Position der 'deutschen Politik an der Saar geschwächt.
Die Position der deutschen Interessen ist in einer Form geschwächt, die der deutschen Politik im Rahmen des Saarstatuts kaum noch eine Plattform zu politischer Aktivität zu geben vermag. Darum legen wir heute diese Anfrage vor; darum ist dies eine Frage von größerer Bedeutung als die Eigentumsfrage eines einzelnen Unternehmens oder vielleicht die Frage des Verhaltens einer Industriellenfamilie in jenem schwierigen Dschungel an der Saar. Uns kommt es darauf an, zu erfahren, ob mit Zustimmung der Bundesregierung ein weiteres Unternehmen mit Tausenden von Arbeitern in ein vor allen Dingen auch sozialpolitisch gefährliches System einer Politik lückenloser Bevormundung eingebaut werden kann und soll, wie wir es nirgends anders als im Saargebiet kennen.
Die geringen politischen Möglichkeiten, die uns, die wir von der Saar kommen, gegeben sind, das Schicksal dieses Landes zu wenden, werden durch diese wirtschaftliche Politik nicht verbessert. Darum ist es ein wesentlicher Punkt unserer heutigen Großen Anfrage, zu erfahren, ob die Bundesregierung bereit ist, weitere Einbrüche in die deutschen Positionen an der Saar zu verhindern.
Das Wort zur Beantwortung der Großen Anfrage hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Die Beantwortung der Großen Anfrage verlangt eine Darlegung der Verhandlungen zwischen dem Herrn französischen Außenminister Pinay und mir von der vergangenen Woche. Die Röchlingsche Erbengemeinschaft hat den beiden Regierungen am 30. April 1955 eine Option auf den Erwerb der Eisen- und Stahlwerke Völklingen eingeräumt. Diese Option entspricht inhaltlich der Option, von der die heute zu behandelnde Große Anfrage ausgeht. Sie läuft bis 15. Juni 1955. Die französische und die deutsche Regierung haben sich verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zur fristgerechten Ausübung der Option zu treffen. Sie ist von beiden Regierungen gemeinsam auszuüben. Rechte und Pflichten aus der Option verteilen sich auf beide Regierungen zu gleichen Teilen.
Es ist ferner vereinbart worden, daß das Völklinger Werk in Form einer Aktiengesellschaft betrieben wird, deren Anteile zu je 50 % zunächst bei den beiden Regierungen liegen. Bei beiden besteht die Absicht, ihre Beteiligungen später zu reprivatisieren. Die Aktien sollen vinkulierte Namensaktien sein, deren Übertragung der Zustimmung einer Dreiviertelmehrheit des Vorstandes bedarf.
Was die künftige Leitung des Unternehmens anbetrifft, so besteht Einigkeit über den Grundsatz einer gerecht ausgewogenen Verteilung der leitenden Posten des Unternehmens. Dies wird in den getroffenen Vereinbarungen ausdrücklich festgestellt und äußert sich einmal darin, daß sich der Vorstand aus der gleichen Zahl von Vertretern der französischen und der deutschen Interessen zusammensetzen wird, ferner darin, daß der genannte Grundsatz auf die Wahl des Vorsitzers
des Aufsichtsrats und des Vorsitzers des Vorstandes sowie auf die Bestimmung der leitenden Angestellten des Unternehmens Anwendung finden soll. Der Vorsitzer des Vorstands soll in der Anfangszeit ein Franzose sein. In der darauffolgenden Amtsperiode werden bei der Wahl der vorerwähnte Grundsatz, die Satzung und die Interessenlage des Betriebes ausschließlich maßgebend sein.
— Ist das nicht verständlich?
Ich will es wiederholen.
Sie müssen die beiden Sätze zusammennehmen.
Der Vorsitzer des Vorstandes soll in der Anfangszeit — also in der ersten Periode, und ich darf hinzusetzen: diese Periode wird je nachdem 3 bis 5 Jahre betragen — ein Franzose sein.
— Ich würde so etwas nicht sagen.
In der darauffolgenden Periode werden bei der Wahl der vorerwähnte Grundsatz — der gleichmäßigen, ausgewogenen Vertretung —, die Satzung und die Interessenlage des Betriebes ausschließlich maßgebend sein. Die Amtszeit des Vorstandes wird durch die Satzung noch geregelt werden, wobei die gesetzliche Höchstdauer 5 Jahre beträgt. Zur Wahl des Vorsitzers des Aufsichtsrats und des Vorstandes bedarf es einer Dreiviertelmehrheit.
Das deutsch-französische Abkommen über das Werk Völklingen, in dem diese Fragen im einzelnen behandelt werden, wird in den nächsten Tagen veröffentlicht werden.
Gestatten Sie mir nun, zu den einzelnen Fragen der Großen Anfrage Stellung zu nehmen.
Zu Frage 1:
Welches ist der Stand der französischen Reparationsansprüche im Saargebiet?
Die Frage ist nur in bezug auf das Werk Völklingen, nicht in der hier bezeichneten allgemeinen Form, Gegenstand deutsch-französischer Besprechungen in der letzten Zeit gewesen. Die Bundesregierung kann zu der Frage in dieser allgemeinen Form keine neuen Erklärungen abgeben.
Zu Frage 2:
Wie ist im besonderen die Lage bei den Röchlingschen Eisen- und Stahlwerken in Völklingen?
In dem deutsch-französischen Abkommen über Völklingen ist vereinbart, daß die Höhe der von der französischen Regierung auf Grund der sogenannten biens transférables erhobenen Ansprüche zunächst Gegenstand von Gutachten, die von jeder der beiden Seiten, also von Frankreich und Deutschland, eingeholt werden, sein soll, und anschließend soll eine Vereinbarung beider Regierungen über die Höhe der Ansprüche folgen. Der Betrag, über den sich die beiden Regierungen einigen werden, entfällt zu 50 % auf die deutsche Seite entsprechend der 50% igen Beteiligung. Es ist vereinbart, daß bei der Reprivatisierung beide Gruppen gleiche Lasten zu tragen haben.
Zu Frage 3:
Was war der Bundesregierung bekannt von dem drohenden Verkauf des Unternehmens an eine französische Gruppe, und was hat sie getan und was gedenkt sie zu tun, um den Übergang des wichtigsten deutschen Montanbetriebes im Saargebiet in ausländischen Besitz zu vermeiden?
Die Frage ist insofern überholt, als es zu dem seinerzeit drohenden Verkauf an französische Gruppen nicht gekommen ist. Die französische Seite hat — ich darf das in die Erinnerung zurückrufen — von der ihr von der Erbengemeinschaft seinerzeit gegebenen Option in Höhe von 200 Millionen Schweizer Franken keinen Gebrauch gemacht. Die nunmehr getroffene Regelung habe ich Ihnen vorgetragen. Die in der Anfrage zum Ausdruck kommende Sorge, daß der wichtigste deutsche Montanbetrieb im Saargebiet in ausländischen Besitz übergehe, ist durch diese Regelung vermieden worden.
Zu Frage 4:
Was hat die Bundesregierung getan, um deutsche Eigentumsrechte im Saargebiet wiederherzustellen?
Die Bundesregierung hat anläßlich der nach Abschluß des Saarabkommens geführten ersten Gespräche über die Durchführung des Art. XII des Abkommens zum Ausdruck gebracht, daß sie in den Verhandlungen über die künftige Behandlung' der sich im Verhältnis zwischen dem Saargebiet und der Bundesrepublik Deutschland ergebenden notwendigen wirtschaftlichen Fragen auch diese Frage anschneiden wird. Diese Verhandlungen sind bisher noch nicht aufgenommen worden. Die Bundesregierung wird jedoch nicht verfehlen, auf diese Frage sowohl gegenüber der französischen Regierung als auch gegenüber der Saarregierung zurückzukommen.
Sie haben die Antwort des Herrn Bundeskanzlers gehört. Ich frage, ob in die Beratung eingetreten werden soll. — Die Beratung wird gewünscht und ist ausreichend unterstützt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Atzenroth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Welcher Unterschied in den Ausführungen in diesem Hause gestern und heute! Zumindest die Koalitionsparteien haben gestern ihrer Befriedigung darüber Ausdruck verliehen, daß idas Besatzungsstatut ein Ende gefunden hat, daß die deutsche Souveränität wiederhergestellt warden ist und daß wir mit unseren westlichen Freunden nunmehr in ein vertrauensvolles Verhältnis gekommen sind. Und heute müssen wir uns über einen Vertrag unterhalten, der eigentlich aus der ersten Zeit 'des Besatzungsregimes stammen könnte.
Weil Frankreich das Verlangen gestellt hat, ein
altes deutsches Geschlecht müsse aus dem Saar-
1 gebiet herausgehen, haben wir einen Vertrag unterzeichnet, der vielleicht wirtschaftlich tragbar ist, aber unter keinen Umständen dem Geist entspricht, den Sie, Herr Bundeskanzler, bei den Beratungen über das Saarstatut als idas künftige Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich angekündigt haben.
im allgemeinen gut sind, und ich will ihn nicht kritisieren. Aber sie sind ausschlaggebend. Für diesen Generaldirektor gilt etwas ganz anderes als nach dem Aktiengesetz.
Hier wird der Generaldirektor nach politischen Gesichtspunkten bestimmt und ernannt, und die Franzosen werden ihren besten und tüchtigsten Mann an diese Stelle entsenden, einen Mann, der es in diesen drei bis fünf Jahren verstehen wird, die Gesellschaft in ihren leitenden Posten im französischen Sinne zu durchdringen und auch die geschäftlichen Verbindungen und Beziehungen in diesen Jahren in dem Sinne vorzubereiten und auszubauen, in dem Frankreich dieses Abkommen sieht. Auch die Tatsache der beiden saarländischen Vertreter im Aufsichtsrat, die vielleicht eine gewisse Gewichtsverschiebung bei den Entscheidungen des Aufsichtsrats aus Idem 50 -zu -50-Prozentsatz heraus ergeben könnte, wird sich praktisch nur in personellen Dingen und vor allem in sozialen Dingen auswirken. Durch die Person des Generaldirektors werden die Röchling-Werke unter französichen Einfluß geraten, so wie es Herr Pinay und sein Parlament gewünscht haben.
Die Bundesregierung ist uns noch eine Erklärung darüber schuldig, woher nun diese 100 Millionen genommen werden, die wir als Kaufpreis bezahlen sollen. Vielleicht wird der Herr Bundesfinanzminister uns darüber Aufklärung geben. Dazu kommt dann noch der ja wohl auch übernommene deutsche Anteil an den biens transférables.
Ich darf noch auf eine bedauerliche Tatsache hinweisen. Wir haben in den Jahren nach der Währungsreform mit unserem Wirtschaftssystem ganz bedeutende Erfolge erzielen können, größere jedenfalls, als sie das französische Wirtschaftssystem aufzuweisen hat. Durch den Vertrag geraten wir an dieser Stelle bei den Röchling-Werken in den Strudel der französischen Wirtschaftsauffassung,
in der der Staatskapitalismus eine große Rolle spielt. Man hat uns zwar versichert, daß man so schnell wie möglich an die Privatisierung zum mindesten des deutschen Anteils gehen wolle. Aber welcher deutsche Privatunternehmer ist bereit, sich hier innerhalb einer völlig andersartigen Wirtschaftsauffassung zu betätigen, wenn er unter dem Damoklesschwert steht, daß ein führender Politiker des Landes von ihm eine geschäftliche Handlung dadurch erzwingen kann, daß er ihm andernfalls die Gewaltlösung androht?
Professor Röpke, der sicherlich diesen Dingen unvoreingenommen gegenübersteht, hat vorgestern in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" von Rechtszynismus gesprochen. Mir scheint, daß dieses Wort hier auf das Verhalten des französischen Außenministers anzuwenden ist. Diese Abschrekkung wird sich leider auch auf die geplante kapitalmäßige Verflechtung zwischen der französischen und deutschen Industrie übertragen, z. B. in den Teilen Afrikas.
Ich darf weiter daran erinnern, daß Abgeordnete dieses Hauses im allgemeinen seinerzeit eine gewisse Beruhigung empfunden haben, als wir in der Drucksache 1062 die deutsche Übersetzung des Briefes lasen, den der Herr Bundeskanzler dem französischen Ministerpräsidenten — damals Mendès-France — in seinem Schreiben vom selben Tag bestätigt hatte. Da wird davon gesprochen, daß die Sequesterverwaltungen noch vor der Volksabstimmung „aufgehoben" werden. Jetzt stellen wir fest, wie die Franzosen dieses französische Wort „liquidés" auslegen, und es erhebt sich die Frage an den Herrn Bundeskanzler, wie es nun mit den weiteren immer noch bestehenden Sequesterverwaltungen werden wird. Werden sie einfach verschwinden, wie wir es nach der Übersetzung des Briefes in der Drucksache gehofft haben, oder werden sie auch „liquidés"? Werden sie „geregelt" werden, wenn man vielleicht diesen anderen Ausdruck anwenden will? Dann können uns vielleicht noch manche Überraschungen auch auf diesem Gebiete bevorstehen.
Und eine weitere Frage: Der Röchlingbesitz erstreckt sich auch auf das Aachener Kohlengebiet, und ich möchte die Frage stellen: Ist dieser Besitzanteil nunmehr auch an die neue Aktiengesellschaft übergegangen, also zur Hälfte an Frankreich und zur Hälfte an Deutschland? Das wäre eine überaus bedauerliche Tatsache, denn dann würde auch fast der letzte deutsche Besitz in diesem Gebiet in ausländische Hände übergegangen sein.
In den französischen Zeitungen spricht man davon, daß die Franzosen mit diesem Abkommen unzufrieden sein. Das haben die Franzosen bisher immer sehr geschickt getan; sie haben jedesmal, wenn ein Vertrag abgeschlossen worden ist, ihre Unzufriedenheit gegenüber ihrem Regierungschef bekundet. Ich glaube, die größere Unzufriedenheit liegt diesmal auf der deutschen Seite. Wenn selbst ein Presseorgan, das Ihnen so nahesteht, Herr Bundeskanzler, wie der „Rheinische Merkur", diese Lösung als untragbar bezeichnet, ist das doch wohl ein deutliches Beispiel, wieweit die Unzufriedenheit geht, und wir würden Sie bitten, da dieser Vertrag seine letzte Vollendung noch nicht gefunden hat, doch noch alles aufzuwenden, um den Vertrag in echtem deutschem Sinne zu verbessern.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Der Abgeordnete Atzenroth hat eine Reihe von Fragen gestellt. Ich bitte Sie, diese Fragen im Auswärtigen Ausschuß zu behandeln; sie eignen sich im gegenwärtigen Augenblick nicht zur Verhandlung in der Offentlichkeit.
Dann eine weitere Bemerkung: jetzt soll mir auch der „Merkur" nahestehen. Ich wäre mal sehr gespannt, zu hören, wieviel Zeitungen mir nahestehen. Ich merke sehr wenig davon.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mommer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frankreich hat den Versuch gemacht und macht ihn weiter, die Saar politisch und wirtschaftlich zu beherrschen. Die politische Beherrschung macht die wirtschaftliche Beherrschung möglich, und die wirtschaftliche Beherrschung unterbaut die politische. Frankreich hat das Kommando über die Gruben, die Banken, die Versicherungen und über einen Teil der Hütten. Das Völklinger Stahlwerk bedeutete bisher eine Lücke in diesem System, eine Lücke, die durch die Sequesterverwaltung überbrückt wurde. Aber Sequesterverwaltungen können nicht ewig dauern, sie können auf keinen Fall ewig dauern, auch dann nicht, wenn nicht ein solcher Saarvertrag in Kraft tritt wie der jetzige. Daher bemühte sich Frankreich seit Jahren darum, in den rechtmäßigen Besitz des Völklinger Werks zu kommen.
Weil die französische Regierung über die Festigung ihrer ökonomischen Position die Festigung ihrer politischen an der Saar erstrebte, deswegen haben wir an die Bundesregierung die Aufforderung gerichtet, sich diesem französischen . Streben zu widersetzen. Es ging also um ein nationalpolitisches Anliegen. Es handelte sich für uns dabei nicht um Personen und um Familien. Wir haben uns mit diesen Personen niemals des näheren befaßt. Die Diskussion über Wert und Unwert, über Wohlverhalten oder nicht richtiges Verhalten dieser Familie in dieser Angelegenheit führt nur auf ein Nebengeleise dieser Frage, wenn nicht gar auf ein falsches Geleise. In Paris und in separatistischen Kreisen Saarbrückens hat man so getan, als ob es darum ginge, bestimmte Personen, denen bestimmte Dinge zur Last gelegt werden, zu vertreiben. In Wirklichkeit geht es diesen Leuten in Saarbrücken und Paris natürlich darum, den antiseparatistischen deutschen Einfluß an der Saar zu vertreiben.
Wir Sozialdemokraten werden das auch dann nicht mitmachen, wenn der Versuch gemacht wird, bei dieser Gelegenheit unsere antikapitalistischen Gefühle in Anspruch zu nehmen und sie gegen nationalpolitische Notwendigkeiten auszuspielen. Diesem Manöver werden wir unsere Hilfe nicht leihen. In unserem sozialdemokratischen Aktionsprogramm wird die Vergesellschaftung der Montanindustrie gefordert. Wir fordern diese Vergesellschaftung hier in der Bundesrepublik, und wir werden sie immer für ganz Deutschland einschließlich der Saar fordern. Auch jetzt hätten wir Sozialisie-
rungsmaßnahmen an der Saar durchaus sympathisch finden können, wenn die Umstände eben nicht bewiesen, daß die sozialistischen Ideen hier dieselbe Rolle spielen sollen, die bisher die Europaidee in dem Kampf um die Saar gespielt hat.
Aber das Manöver ist zu durchsichtig, als daß jemand darauf hereinfallen könnte. Der Kampf gegen die französische imperialistische Politik, gegen den Versuch der dauernden Festigung der französischen Herrschaft an der Saar ist für uns eine Aufgabe, und der Kampf für eine neue Wirtschaftsordnung ist eine andere.
Der Familie Röchling, die sich hier in der Diskussion befindet, geht der Ruf voran, Wahrer des Deutschtums an der Saar gewesen zu sein und bis jetzt zu sein. Ehe ich zu dem für uns allein entscheidenden Punkt komme, nämlich welche Rolle die Bundesregierung hier gespielt hat und welche sie weiter zu spielen gedenkt, möchte ich einige Worte auch zu diesem Problem sagen. Seit zehn Jahren wird die Familie von der industriellen Betätigung in ihren Betrieben ferngehalten. Ihre Ungeduld ist insofern durchaus verständlich. Die Bundesregierung hätte, wenn sich diese Ungeduld in der Familie der Besitzer zeigte, die Aufgabe gehabt, denjenigen, die da durchhalten wollten, den Rücken zu stärken. Sie hätte alles vernünftigerweise Mögliche tun müssen, um der Familie das Verbleiben dort möglich zu machen. Das ist eine sehr politische Frage, und da werden wir noch nachforschen müssen, wie sich das im einzelnen verhalten hat. Wie weit hat hier die Bundesregierung ihre Aufgabe erfüllt? Hat sie denjenigen, die da aushalten wollten, den Rücken gestärkt, oder hat sie vielleicht umgekehrt auf diejenigen, die stark sein wollten, einen negativen Einfluß ausgeübt und sie dazu bewogen, eine Position preiszugeben?
Aber nun einige kritische Worte zu dem Verhalten der Röchlings. Da sind einige Dinge, die man unbedingt auch sehen muß. Es scheint so, daß der Preis, der für die Werke gefordert wurde, in den letzten Jahren in erstaunlicher Weise in die Höhe gegangen ist. Es wurde einmal die Zahl von 60 Millionen genannt, es scheint über 112 Millionen gegangen zu sein, und schließlich waren es 200 Millionen. Die letzte Zahl scheint nach sachverständiger Schätzung 60 bis 80 Millionen über dem Verkehrswert des Werkes zu liegen.
Außerdem muß man ein zweites sehen. Wenn die Eigentümer diese Summe bekommen, dann bekommen sie einen Preis, der festgesetzt ist, als lägen überhaupt keine politischen Lasten auf dem Werk, als gäbe es die französische Reparationsforderung nicht. In den Abmachungen mit der französischen Regierung ist festgelegt, daß diese bisher in ihrer Berechtigung und in ihrer Höhe noch völlig fraglichen französischen Ansprüche nicht nachträglich an die Eigentümer gestellt werden, sondern die Bundesregierung und die französische Regierung zu gleichen Teilen diesen zusätzlichen Preis noch zahlen werden.
Die entscheidende Frage ist, ob die Röchlings gezwungen wurden zu verkaufen und sich dann in diesem Zwang mit einem sehr runden Preis halt getröstet haben. Es wird genauer zu untersuchen sein, wieviel Zwang und welcher Zwang dort angewandt worden sein könnte. Aber wir müssen doch zwei Feststellungen treffen. Es war der Zwang zu einem recht guten Geschäft, und es kann auch nicht bestritten werden, daß schon im April 1954 jene Option zum Kauf einer Schweizer Bank übertragen wurde. Meine Damen und Herren, ein Patriot kann sich immer widersetzen, wenn er bereit ist, nicht nur auf ein gutes Geschäft zu verzichten, sondern wenn er darüber hinaus bereit ist, auch Opfer zu bringen. Hätten die Röchlings diesen Willen gezeigt, auf ein gutes Geschäft zu verzichten, und den Willen gezeigt, auch Opfer zu bringen, nun, dann würden wir sie Patrioten nennen. Wir bedauern, daß es uns in dieser Lage nicht möglich ist, diesen Ausdruck zu verwenden.
Aber indem wir das sagen, möchten wir nicht dem Herrn Bundeskanzler zu Hilfe kommen, so auf der Linie, die sich etwa in seiner Ludwigshafener Rede abgezeichnet hat. Denn damit dieses Geschäft zustande kommen konnte, mußten zwei darauf verzichten, von ihrem Vetorecht Gebrauch zu machen, nämlich erstens die Eigentümer selbst — sie hatten das Vetorecht, sie konnten nein sagen — und zweitens die Bundesregierung; sie hatte auch das Vetorecht und konnte auch nein sagen. Es ist doch in Wirklichkeit so, daß man die Röchlings nicht hätte zwingen können. Das wäre der Bundesregierung sehr schlecht bekommen, wenn sie einen wirklich äußersten Zwang ausgeübt hätte und die Röchlings an die deutsche Öffentlichkeit appelliert und sie zu Hilfe gerufen hätten. Dann hätte es einen wirklichen Zwang der Bundesregierung nicht geben können.
Die Franzosen haben von der „solution de force" gesprochen. Nun, das wäre für sie sehr unverdaulich gewesen. Es ist doch geradezu grotesk, daß zum Schluß diese Verträge, von denen angeblich das Heil der westlichen Welt abhängt, in ihrem Zustandekommen oder in ihrem Scheitern davon abhingen, daß die Mehrheit der Aktien an einem Stahlwerk auf die französische Regierung überging.
Nun wollte die französische Regierung wirklich das Heil der westlichen Welt an dieser Frage scheitern lassen? Ich sehe das noch nicht. Es wäre sehr wohl möglich gewesen, es auf diese „solution de force" einmal ankommen zu lassen.
Die Röchlings haben sich vor sehr kurzer Zeit unter Berufung auf die Menschenrechte in einem Telegramm an alle Staatsoberhäupter der westlichen Welt gewandt. Wenn sie das taten, dann durften sie eben auch nachher nicht weich werden; dann durften sie besonders dann nicht weich werden, wenn bei dem Weichwerden der Verdacht entsteht, daß nicht der Zwang zu dem Geschäft geführt hat, sondern die Verlockung der runden Summe, die einem Opfer bei anderer Entscheidung gegenüberstand.
Nein, die SPD setzt sich bei dieser Sache nicht für einen bestimmten Eigentümer, für eine bestimmte Familie ein, sondern es ging darum, deutschen Einfluß auf ein bedeutendes Industriewerk in einem bedrohten deutschen Grenzland zu erhalten. Es war auch die Hauptaufgabe der Bundesregierung, diesen Einfluß zu erhalten. Die Frage ist: wie hat sie sich ihrer Aufgabe entledigt? Die Teilfrage über ihr Verhalten gegenüber den Eigentümern habe ich schon gestreift, und ich glaube, auch in dieser Debatte werden wir da noch einiges Interessante erfahren. Wir sehen zunächst das Resultat: die Hütte, die in rein deutschem Besitz war
— mit ungeklärten französischen Reparationsansprüchen —, geht aus einem vorläufigen Besatzungsregime, der Sequesterverwaltung, in die dauernde und vertraglich verankerte französische Verwaltung über. Das ist die Wirklichkeit. Die Fifty-fifty-Lösung ist nur eine Augentäuschung. In Wirklichkeit ist das französische Übergewicht gesichert.
Herr Bundeskanzler, — —
— Ich kann verstehen, daß der Herr Bundeskanzler diese ganzen Dinge lieber nicht mehr besprochen hätte.
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter! Der Herr Bundeskanzler hat mir mitgeteilt, daß er durch eine zwingende dienstliche Verpflichtung kurz nach 10 Uhr im Palais Schaumburg sein müsse. Er hat deshalb bedauert, daß wir nicht mit Punkt 1 anfangen konnten. — Ich bitte, fortzufahren.
Dr. Mommer , Anfragender: Danke sehr! — Wenn die Bundesregierung mit dem französischen Außenminister die Abmachung getroffen hat, daß für die ersten fünf Jahre der Generaldirektor ein Franzose sein wird, dann hätte dieser Bestimmung bei einer echten Fifty-fifty-Lösung die andere entgegenstehen müssen, daß nachher für fünf Jahre ein Deutscher Generaldirektor des Werks sein wird. Das wäre die Partnerschaft gewesen. Aber an Stelle dieses Gegengewichts steht die Bestimmung, daß dann nur nach den Interessen des Werks usw. verfahren werden wird. Daran sehen wir, daß von Partnerschaft keine Rede ist, sondern daß das Gleichgewicht im Besitz zugunsten Frankreichs durch Bestimmungen über die Verwaltung in eine Vorherrschaft Frankreichs umgewandelt wird. Das ist das Entscheidende in dieser Sache: daß zu dem Zeitpunkt, da der Saarvertrag in Kraft tritt, nach dessen Bestimmungen zwischen dem Saargebiet und der Bundesrepublik gleichartige Beziehungen geschaffen werden sollten, wie sie zwischen dem Saargebiet und Frankreich bestehen, noch schnell der schon so weit zurückgedrängte deutsche Einfluß weiter geschwächt und eine weitere wirtschaftliche Kommandoposition für Frankreich geschaffen wird.
Aber jetzt auch eine Bemerkung zu diesem Überpreis, der für das Werk gezahlt wird: 200 Millionen — von Sachverständigen geschätzter Preis etwa 120 Millionen —, dazu die französischen Ansprüche, die sich auf 56 % des Wertes beziffern. Nun, das ist zunächst ein Anspruch. Immerhin könnte bei der jetzt folgenden Untersuchung herauskommen — theoretisch wenigstens —, daß zu den 200 Millionen noch 112 Millionen hinzukommen. Das ist die obere Grenze. Die untere Grenze kennen wir nicht. Jedenfalls kommt hier zu dem schon enormen Preis noch ein zusätzlicher Preis hinzu.
Dann muß man die Bestimmung beachten, daß dieser Besitz wieder privatisiert werden soll. Zu welchem Preis wird er privatisiert werden können? Die privaten Erwerber werden rechnen, und sie werden nicht bereit sein, einen Preis zu zahlen, der durch die Ertragslage des Werkes nicht gerechtfertigt ist. Es entsteht also zwischen dem
Kaufpreis und dem Verkaufspreis eine Differenz, die sich für die Bundesregierung, allein für deren Anteil, auf 40 bis 60 Millionen DM beziffern könnte. Es entsteht also die Notwendigkeit, diesen Verlust auf den Steuerzahler der Bundesrepublik zu übernehmen,
und hier — wir werden uns im Hause noch damit zu befassen haben, nehme ich an — wird die Rechnung präsentiert werden.
Natürlich wird man sagen, es sei ein politischer Preis. Gewiß! Wir wollen die politischen Umstände nicht aus dem Auge verlieren, und wenn bei diesem Kauf zu einem unmäßigen Preis das Werk gerettet worden wäre, dann ließe sich darüber reden. Es ist aber nicht gerettet worden, sondern es kommt entscheidend in die französische Verwaltung. Ich bin kein Geschäftsmann, aber ich kann mir vorstellen, daß einem Geschäftsmann, wenn er diesen Kauf des näheren studiert, die Haare zu Berge stehen würden.
Es ist ein politisches Geschäft. Aber auch da ist zu sagen, daß die politische Zwangssituation, in der sich die Bundesregierung befand, von ihr selbst mit geschaffen worden ist. Es war doch ihr Drang nach der Verwirklichung der Pariser Verträge, der es Frankeich seit Jahren ermöglicht hat, das Saar-Junktim herzustellen und einen Preis nach dem andern als Zusatzpreis für die französische Zustimmung zur Wiederaufrüstung der Bundesrepublick zu verlangen. Die Bundesregierung hat .auch selbst zu verantworten, daß hier, nachdem sie zuerst gezwungen worden war, ein Saarstatut zu unterschreiben, schließlich weitere Forderungen kamen.
Zunächst die französische Forderung, mit der Saarbrücker Behörde allein einen Wirtschaftsvertrag abzuschließen. Es ist ja interessant, daß von diesem Wirtschaftsvertrag, der jetzt unterzeichnet worden ist, bei den Besprechungen mit Herrn Pinay überhaupt nicht die Rede gewesen ist.
Wenn die Bundesregierung der Meinung ist, daß sie vielleicht jetzt nach Inkrafttreten der Verträge in ihrer Verhandlung mit der französischen Regierung stärker sein wird, so bleibt doch die Tatsache, daß in den Verhandlungen des Herrn Hoffmann mit der französischen Regierung durch diesen Wirtschaftsvertrag Fakten geschaffen worden sind, die ihre Wirkung auch auf zukünftige Verhandlungen haben werden. In der allerbedenklichsten Weise hat die französische Regierung ihre Position ausgenutzt, um der Bundesregierung aber auch alles zuzumuten. Die Bundesregierung befand sich durch ihre eigene Politik in einer solchen Zwangslage, daß sie jede Zumutung der französischen Regierung schweigend hinnehmen mußte.
Schließlich kam diese Röchling-Affäre als letzte Forderung Frankreichs vor der Hinterlegung der Verträge. Frankreich verlangte: die Röchlings müssen raus. Wir müssen feststellen: sie sind draußen und werden draußen bleiben.
Der Herr Bundeskanzler hat soeben hier eine kleine Tatsache aus den Abmachungen erwähnt, nämlich daß die Veräußerung an Private nur mit Dreiviertelmehrheit im Aufsichtsrat beschlossen werden könne. Das bedeutet doch nur dies: daß die Franzosen sich mit dieser Klausel dagegen gesichert haben, daß der deutsche Anteil in Zu-
kunft in Hände geraten könnte, die politisch den Franzosen nicht gefallen würden.
Die Röchlings mußten raus, und sie sind draußen und können nicht wieder zurück. Und dabei redet man auf Ihrer Seite soviel von der Heiligkeit des Eigentums und von dem Recht auf die Heimat!
Frankreich wollte das Werk beherrschen. Wir stellen fest: es wird das Werk beherrschen — nicht mehr kraft Besatzungsgewalt, sondern gestützt auf vertragliches Recht.
Diese Preisgabe des Völklinger Stahlwerks ist auch noch die Gabe eines Preises für die französische Zustimmung zu unserer westdeutschen Souveränität und zu unserem westdeutschen Recht auf Wiederbewaffnung.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Leverkuehn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Einwendungen gegen die Regelung über die Völklinger Werke, die die Bundesregierung mit der französischen Regierung vereinbart hat, — diese Einwendungen, die wir soeben gehört haben, können nach meiner Auffassung logisch nicht ganz überzeugen; sie können eigentlich überhaupt nicht überzeugen, denn sie widersprechen sich in den wesentlichsten Punkten, und sie widersprechen auch dem Ablauf wirtschaftlichen Lebens.
Ich greife z. B. heraus, 'daß gesagt worden ist, der Vergleich zwischen der deutschen und der französischen Wirtschaftsführung in den letzten Jahren habe gezeigt, daß die deutsche Wirtschaftsführung überlegen sei, und nun müsse also ein zur Hälfte aus Deutschen bestehender Vorstand in eine Verwaltung hineingehen, die nach nicht so guten Prinzipien arbeiten werde. Auf der anderen Seite ist uns gesagt worden, daß die Franzosen natürlich 'den Posten des Generaldirektors politisch besetzen und daß sie ihren besten Mann dort hineinsetzen würden. Soll damit eigentlich gesagt sein, daß sie ihren politisch besten Mann hineinsetzen wollen, oder ihren fachlich besten Mann?
— Das setzt einen hohen Grad des Vertrauens in die französische wirtschaftliche Intelligenz voraus, daß es sowohl der beste politische wie der beste fachliche Mann sein soll.
— Ich glaube, diese Erwägungen sind durchaus ernsthaft. Denn die etwas oberflächliche Art, immer davon zu sprechen, daß ein Mann ja der beste sein müsse, wirtschaftlich und politisch, führt zu gar nichts, sondern die Logik der wirtschaftlichen Entwicklung ist so, daß ein gemischtes französischdeutsches Vorstands- und Aufsichtsratsgremium vorhanden sein wird. Ich habe zu den deutschen Mitgliedern, die in ein solches Gremium eintreten, gerade weil die Überlegenheit der deutschen Wirtschaft, die uns eben vor Augen geführt worden ist, sich als evident erwiesen hat, das Vertrauen, daß sie sich in diesen Gremien bei dem Aufbau des Werkes durchsetzen werden und daß sich das auch sehr heilsam auswirken wird. Daß diese Werke in den letzten Jahren unter einem Besatzungsstatut und
unter der Zwangswirtschaft, ,die in der Saar geherrscht hat, nicht zu der vollen wirtschaftlichen Entfaltung 'haben kommen können, die man ihnen gewünscht hätte, darüber besteht gar kein Zweifel. Was jetzt beabsichtigt ist, ist eben, den Werken eine durchaus fachliche, sachliche Leitung zu geben, und dann habe ich das Vertrauen, daß diese Werke wirklich den Stand erreichen können und erreichen werden, der ihnen angemessen ist, angemessen gerade auch auf Grund des unternehmerischen Namens, den diese Werke jahrzehntelang gehabt haben.
Ein Wort zur Frage des Preises. Der Preis, der gezahlt wird, entspricht dem, was die Eigentümer gefordert haben. Wenn weniger gewährt warden wäre, dann wäre der Vorwurf des Zwanges, der hier mehrfach erhoben worden ist, bestimmt in noch stärkeren Tonarten erhoben worden, und vielleicht sogar mit Recht. Daß aber aus diesen Werken etwas zu machen ist und daß man sich bemühen wird, in diesen Preis hineinzuwachsen, dieses Vertrauen habe ich zu der Leitung, zu der wir ja nun 50 0/o beisteuern.
Nun zu der Frage der Familie. Meine Damen und Herren, alle einzelnen Vorgänge zu beleuchten die sich abgespielt haben, ist, glaube ich, müßig, da sie der Vergangenheit angehören und auf die Zukunft keine Auswirkung mehr haben. Aber soviel, meine ich, sollte man sagen: daß wir die unternehmerische und die deutsche Leistung dieser Familie oder wenigstens sehr bedeutender Mitglieder dieser Familie nicht vergessen wollen. Damit wissen wir uns auch mit der Saarbevölkerung einig.
Wir sind also der Auffassung, daß die Bundesregierung in dieser Sache ihre Pflicht, auch was das Finanzielle und Wirtschaftliche angeht, durchaus erfüllt hat. Die Bestimmung, daß bei gewissen Beschlüssen Dreiviertelmehrheit 'erforderlich ist — ein Moment, das von Herrn Abgeordneten Mommer moniert worden ist —, dient mindestens ebensosehr der Sicherheit der Deutschen wie der Sicherheit der Franzosen. Darüber kann gar kein Zweifel sein.
Nun ist auch ,das Wort gefallen, daß dieser Kauf das politische Klima ungünstig beeinflusse. Das ist nun, glaube ich, wirklich die allergrößte Verkennung der Dinge. Um das politische Klima zu verbessern, haben beide Partner auf die Durchfechtung ihres Standpunkts verzichtet und sich auf 50 : 50 geeinigt. Das ist der Sinn 'der ganzen Sache. Und sollen wir denn nun die gemeinsame Arbeit mit Mißtrauen 'anfangen? Ich erinnere Sie daran, daß wir über Zusammenarbeit mit französischen Kreisen schon öfter gesprochen haben, z. B. über Zusammenarbeit in überseeischen Gebieten. Der ganze Straßburg-Plan beruht auf dem Prinzip des Zusammenarbeitens. Und schließlich und endlich: worauf beruht denn die ganze Montan-Union? Sie beruht doch auf dem Zusammenarbeiten; und ich glaube nicht, daß unsere deutschen Kollegen, die in diesen Gremien arbeiten, sich über Mangel an Zusammenarbeit bisher beschwert haben.
Wir stehen also auf dem Standpunkt, daß es der Bundesregierung gelungen ist, zur Bereinigung des politischen Klimas und zur Vorbereitung einer echten Z'usammenarbeit mit Frankreich auch in dieser wirtschaftlichen und zunächst im wesentlichen privatwirtschaftlichen Frage ein Ergebnis zu erzielen, das wir begrüßen.
Das Wort hat der Abgeordnete Prinz zu Löwenstein.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Mittelpunkt der heutigen Debatte steht der Name einer Familie; es ist jedoch ein gesamtdeutsches, ja ein europäisches Problem, das durch den Fall Röchling aufgezeigt wind. Aber ich möchte auch die Meinung aussprechen, daß selbst dann, wenn es sich nur um eine Familie und sonst um gar nichts handeln würde, es immer noch dafür stünde, daß sich der Deutsche Bundestag damit befaßt.
Meine Damen und Herren, es ist die Größe Englands gewesen, daß es sich um jeden einzelnen Staatsbürger, ganz gleich wer er ist und wo er lebt, bekümmert und sich für ihn eingesetzt hat. Und ich meine, daß es die Pflicht eines demokratischen Staates, eines Staates, der etwas auf sich hält, ist, sich unbedingt voll und ganz für jeden seiner Staatsbürger einzusetzen. Ich sehe nicht, daß diese selbstverständliche Forderung hier wirklich bis ins Letzte erfüllt wurde.
Die Familie Röchling, die seit 250 Jahren im Saargebiet sitzt und Immerhin einiges getan hat, um das Saargebiet aufzubauen, kann nunmehr auf Grund dieses Abkommens zwischen der deutschen und der französischen Regierung vom 30. April dieses Jahres nicht an die Stätte ihres Wirkens zurückkehren. Auch Kollege Dr. Mommer hat die Familie Röchling sehr stark in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt. Er hat gesagt, es sei nicht die Aufgabe der Sozialdemokratischen Partei, diese Familie zu verteidigen. Es ist auch nicht meine Aufgabe, auch nicht als Geschäftsführer ohne Auftrag. Aber ich meine doch, daß die Familie und das, was sich um diese Familie herum abgespielt hat, so stark und so intensiv mit dem politischen Problem verknüpft ist, daß es auch vom sachlichsten Gesichtspunkt aus berechtigt ist, auf diese Familie ein wenig einzugehen.
Es ist doch ein sehr schwerwiegender Tatbestand, der mit dem deutschen und dem europäischen Recht und Rechtsempfinden nicht vereinbar ist, daß diese Familie nicht an die Stätte ihrer Arbeit zurückkehren kann. Mit vollem Gewicht ist darauf hingewiesen worden, daß es sich hier um das Heimatrecht handelt. Dieses Heimatrecht besteht nicht nur darin, daß jemand irgendwo wohnen und irgendwohin reisen kann, sondern auch darin, daß man sich frei und ungehindert betätigen und seinen Beruf ausüben kann, noch dazu im deutschen Saargebiet. Da sind also nun Staatsbürger minderer staatsbürgerlicher Rechte entstanden.
Das Saargebiet steht zwar im Augenblick, wie wir wissen, außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes, aber die deutsche Regierung ist gehalten, auf deutsche Staatsbürger deutsches Verfassungsrecht, deutsche Verfassungsgrundsätze anzuwenden. Man behandelt ja schließlich auch nicht Deutsche aus der Sowjetzone nach sowjetischem sogenannten Recht. Es ist also sicherlich berechtigt, wenn wir in diesem Zusammenhang auf einige dieser Verfassungsgrundsätze hinweisen. Art. 3 Absatz 3 des Grundgesetzes verbietet jede Benachteiligung der Heimat und der Herkunft 'wegen. Art. 9 Absatz 1 bestimmt: „Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden." Wir hören heute vom Herrn Bundeskanzler, daß in einer Klausel dafür gesorgt ist oder gesorgt werden kann, daß eine ganz bestimmte Familie von diesem Grundsatz im Geschäftlichen, im Betrieblichen, keinen Gebrauch machen kann. Der Art. 12 des Grundgesetzes sagt, daß alle Deutschen das Recht haben, Beruf und Arbeitsplatz frei zu wählen.
Schließlich und mit Recht 'ist auf den Art. 14 hingewiesen worden, der das Eigentum gewährleistet. Enteignung liegt schon dann vor, wenn mit Mitteln irgendwelcher Art — ich werde vielleicht noch darauf zu sprechen kommen — auf den freien Willen eingewirkt wird zur Aufgabe des Eigentums. Die Frage der Entschädigung ist dabei gar nicht einmal das Entscheidende. Wir denken so an bestimmte Vorgänge, die sich in den vergangenen Jahren abgespielt haben. Man nannte das damals „Arisierung" von Betrieben. Jetzt ist es halt die „Entröchlingisierung" von Völklingen.
Moralisch ist selbstverständlich ein gewaltiger gradueller Unterschied. Ich bin mir aber nicht ganz sicher darüber, ob der Unterschied zwischen der einen Maßnahme damals und den Maßnahmen jetzt auch in der Essenz ein sehr starker ist.
Der Herr Bundeskanzler wies in dieser Besprechung darauf hin, daß er Europa nicht mit einer „solution de force" beginnen könne, wie Frankreich sie angedroht habe. Er appellierte an den Patriotismus der Familie Röchling und wies darauf hin, daß Monsieur Pinay nicht anders könne, weil er sozusagen vertraglich an sein Parlament gebunden sei.
— Ja, es steht hinter Monsieur Pinay ein starkes Parlament, meine Damen und Herren, und wir alle hoffen und wir arbeiten dafür, daß dieses Hohe Haus auch ein starkes Parlament werden möge.
Es kam dann an diesem selben Tage, .am 30. April 1955, zu dem Abkommen. Hierüber — soviel ich informiert bin; ich möchte mich nicht irgendwie wörtlich festlegen, es ist nur eine allgemeine Information, die ich habe, aber doch wohl eine nicht ungenaue — kam es zu einem Schreiben des Herrn Bundeskanzlers an die Familie Röchling, in dem es heißt, daß eine friedliche Beilegung der Meinungsverschiedenheiten i.sowohl im Interesse der Bundesrepublik wie im europäischen Interesse liege, und daher sei es unausweichlich, eine Lösung zu finden, durch die das Eigentum an Frankreich und die Bundesrepublik übertragen werde. Soviel ich informiert bin, gibt es dann einen Satz, der wohl wörtlich lauten dürfte:
Ich erkenne an, daß Sie mit der Entscheidung, dieser Lösung zuzustimmen, aus politischer Verantwortung gehandelt haben.
Meine Damen und Herren, das ist ein wichtiger Satz. Das können Sie nun in das Negative projizieren. Es würde doch gesagt worden sein, wenn .die Familie Röchling nicht zugestimmt hätte, sie habe sozusagen die europäische Verteidigung aus Habsucht, aus Besitzgier sabotiert. Es ist doch ein außerordentlich schwerer Vorwurf, der dahinter stünde! Ich glaube, es ist vom Kollegen Mommer schon darauf hingewiesen worden: gleichzeitig welch mesquine Politik! Man will Europa schaffen, aber sagt: Zuerst muß ich noch das Röchlingsche Stahlwerk in Völklingen bekommen! Das ist doch eigentlich eine Politik, in der wir die europäische Größe nicht ohne weiteres entdecken können.
Aber man muß vielleicht noch eins idazu sagen. Herr Kollege Leverkuehn, Sie haben über die französischdeutsche Zusammenarbeit bei 50 : 50 %-Beteiligungen gesprochen. Ach, Herr Kollege Dr. Leverkuehn, ein so kluger, weitagereister Mann wie Sie muß doch wissen, wozu diese Fifty-Fifty-Beteiligungen schon so oft geführt haben. Sie kennen sicherlich die Wirtschaftskarten — ich habe sie hier, ich stelle sie Ihnen gern zur Verfügung —, aus denen sich die Liquidierung — wunderbares Wort, dieses liquider, es kommt so oft vor! — der deutschen Beteiligungen in den letzten 120 Jahren ergibt. Schauen Sie sich diese Karten an, wie das mal soaussah und wie Schritt für Schritt — es beginnt unter Napoleon III. — diese 50 : 50-Beteiligungen ausschließlich französisch geworden sind. Und ich fürchte, wenn wir nicht sehr achtgeben — eine Aufgabe dieses Parlaments! —, daß sich die 50:50-Beteiligung in Völklingen, dieses Gleichgewicht, nicht sehr lange halten wird, daß ein
Übergewicht zu der Seite hin entstehen wird, die ja heute bereits und noch immer — leider Gottes — politisch das Übergewicht im Saargebiet hat. Welche Garantie ist gegeben, daß aus dem deutschen Anteil nicht auch nur ein einziges Prozent in französische Hände kommt, wodurch sie die Majorität hätten?
Es ;gibt vinkulierte Namensaktien, wie man hört, die wohl zum Schutze gegen Röchling ausgegeben wurden, nicht zum Schutze gegen Frankreich. Wir leben in einer Zeit eigenartiger Begriffsverwirrungen in Deutschland. Wenn man diese Namensaktien so vinkulieren könnte, daß sie nicht auf die andere Seite hinüberkönnen das ist wohl aktienrechtlich nicht möglich —, dann wäre der Sache wahrscheinlich besser gedient.
Dias Wichtigste scheint mir aber zu sein, daß in diese Diskussion schon beim Abschluß der Option und in der Ludwigshafener Rede und auch sonst die Sorge um Europa hineingetragen wurde. Frage: Kann man Europa schaffen durch Preisgabe der europäischen Rechtsordnung?
Nehmen Sie das Recht weg von Europa, und was bleibt übrig? Das ist keine Verständigung, was da geschehen ist. Das schafft neue Konflikte.
Wenn gestern über die Souveränität gesprochen wurde --- Herr Kollege Atzenroth hat mit Recht darauf hingewiesen —, was soll man heute sagen? Es ist eine Belastung der Außenpolitik eingetreten, so wie seit dem Abschluß jenes Saarvertrages mehr Disput über die Saar entstanden ist als in langer Zeit vorher. Ich darf noch einmal Bismarck zitieren, daß sich Fehler in der Außenpolitik nicht sofort auswirken, daß die Achivi qui plectuntur, das Volk, das weint, diejenigen, die die Folgen zu tragen haben, nicht immer die Zeitgenossen derer sind, die die Fehler begangen haben.
Die Option, die auf so eigenartiger Weise erzielt wurde, läuft bis zum 15. Juni. Noch ist es vielleicht nicht zu spät, einen schweren Fehler wiedergutzumachen. Der Weg ist gegeben; er ist sogar schon während der Verhandlungen in Paris angedeutet worden. Der Weg bestünde in der Anrufung eines internationalen Gerichtshofs zur Feststellung der Grundlagen und der Höhe der sogenannten Reparationshypothek. Wird dieser Weg beschritten, dann ruht meiner Meinung nach die deutsch -französische Verständigung auf einer viel sichereren Grundlage als jetzt, und kommende Geschlechter werden nicht wieder für etwas büßen müssen, was von den Heutigen getan wurde und worauf sie keinen Einfluß hatten.
Das Wort hat der Abgeordnete Walz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie Ihnen bekannt ist, gehöre auch ich zu denjenigen, die nicht immer mit gewissen Regelungen an der Saar einverstanden waren und es auch nicht sein konnten. Ich gehöre auch jetzt mit zu denjenigen, die nicht direkt begeistert werden konnten, als sie davon hörten, daß sowohl die Familie Röchling ihren bisherigen Standpunkt aufgegeben als auch die Bundesregierung nachgegeben hatte.
Obwohl ich nicht über die Unterrichtung von seiten der Familie Röchling verfüge wie mein Vorredner, weiß ich doch, daß die Familie Röchling gerade in den letzten Jahrzehnten sehr viel für das Deutschtum an der Saar getan hat und auch jetzt noch dazu bereit gewesen wäre, für das Deutschtum einzutreten. Ich glaube, wir würden einen ganzen großen Fehler begehen, wenn wir jetzt letztlich vielleicht die Familie Röchling dafür verantwortlich machen würden, daß diese Regelung zustande kam. Ja, in gewisser Beziehung, glaube ich, hat die Familie Röchling verhindert, daß bei den Röchling-Werken eine sogenannte Mehrheitsbeteiligung in französischem Sinne zustande kam. Es gibt — das muß in diesem Hohen Hause bekanntgegeben werden — deutsche Firmen, die in den vergangenen Jahren für saarländische Unternehmen eine Mehrheitsbeteiligung eingeräumt haben. Daran ist aber das Deutschtum an der Saar nicht zugrunde gegangen. Im Gegenteil, wir stellen fest, daß sich gerade in der letzten Zeit eine durchaus befriedigende psychologische Entwicklung für Deutsche an der Saar bemerkbar macht. Daß sich heute Röchling-Arbeiter und Wirtschaftler an der Saar dazu entschließen, z. B. in einer großen Veranstaltung in Völklingen mit einer Beteiligung von etwa 1500 Leuten das Eigentumsrecht für die Familie Röchling zurückzufordern, ist gegenüber dem an der Saar herrschenden System schon ein ganz großer Fortschritt, und es gehörte dazu schon ein gewisser Mut.
Ich führe diesen letzten Vorgang einerseits auf das unzweifelhaft vorhandene hohe nationale Ansehen der Röchlingschen Familie zurück. Andererseits wird es nicht nur Liebe zur Familie Röchling gewesen sein, sondern auch das große Vertrauen in die unternehmerische Leistung der Familie Röchling und vor allen Dingen das große Vertrauen, daß es den Bemühungen der Familie Röchling gelingen werde, zu vermeiden, was immer noch als eine ganz große Gefahr über uns allen an der Saar schwebt: daß zum Nachteile ausgesprochen saarländischer wirtschaftlicher Interessen irgendwelche französischen Interessen in den Vordergrund gerückt werden; daß gerade die Familie Röchling eine solche Entwicklung verhindert und damit die Existenz von etwa 13 000 Röchling -Arbeitern und -Angestellten gesichert hätte; daß also diese dominierende wirtschaftliche Position dem Saargebiet erhalten würde. Aber daran wird das Deutschtum an der Saar schließlich nicht scheitern. Ich glaube, daß der jahrelange Kampf der Familie Röchling und jetzt diese Regelung uns die Möglichkeit geben, eine ausgesprochene französische Mehrheitsbildung, zunächst bei Röchling und vielleicht im Laufe der Entwicklung auch in der übrigen saarländischen Wirtschaft, zu verhindern bzw. zu korrigieren.
Gestatten Sie mir, daß ich nun noch auf folgendes hinweise: Durch diese Regelung ist jetzt zum ersten Male wieder deutscher Einfluß, und zwar auf dem wirtschaftlichen Sektor, an der Saar erreicht worden. Obwohl ich, wie Sie gehört haben, sehr kritisch zu dieser Regelung stehe, neige ich zu der Auffassung, daß praktisch — juristisch will ich das nicht beurteilen und dies den Juristen überlassen --- ein ganz großer Erfolg der deutschen Politik darin liegt, jetzt gerade bei diesem größten deutschen Hüttenwerk an der Saar wieder deutschen Einfluß ermöglicht zu haben.
Daran möchte ich gewisse Hoffnungen für die Zukunft knüpfen. Ich glaube, daß es uns durch
unsere aufrichtigen Bemühungen um deutsch-französische Verständigung vor allem an der Saar und durch unsere aufrichtigen europäischen Bemühungen in nicht allzu ferner Zeit gelingt, Frankreich von seinem Mißtrauen uns gegenüber zu befreien und eine Saarregelung in unserem Sinne herbeizuführen, die ein Akt der Versöhnung sein und die die europäische Zusammenführung aller in Europa erheblich begünstigen würde.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gille.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es liegt nicht der geringste Anlaß vor, in dieser Stunde, in der wir uns im Deutschen Bundestag mit dem Für und Wider dieser Einigung bezügich der Röchling-Werke befassen, irgendwie Freude, Genugtuung oder Befriedigung zu empfinden. Ich möchte hoffen, daß auch die Bundesregierung nicht etwa den Eindruck vermitteln will — ich habe das aus den Worten des Herrn Bundeskanzlers nicht entnommen —, daß die Bundesregierung das, was dort abgesprochen ist, als eine Ideallösung empfindet. Es bleibt doch ein erheblicher Rest an Peinlichkeit übrig, wenn man versucht, ganz nüchtern an die Regelung heranzugehen. Gewissermaßen fünf Minuten vor zwölf sind das Besatzungsrecht und alle aus diesem Recht herausgewachsenen unklaren Positionen noch einmal eingesetzt worden, um einseitig einen Standpunkt der französischen Regierung durchzusetzen, fünf Minuten vor zwölf, nachdem doch bei den verschiedensten Gelegenheiten von französischen Politikern und hier im Deutschen Bundestag besonders nachhaltig immer wieder der europäische Geist, der Wille zu europäischer Zusammenarbeit demonstriert und ausgedrückt worden ist.
Das politische Tauziehen zwischen Frankreich und der Bundesrepublik an der Saar war schon peinlich genug. Ich finde, nachdem nun noch geschäftliche Interessen in einer Größenordnung von mehreren Hundert Millionen dabei eine Rolle spielen, ist weder die Kräfteverteilung, sind weder die Fronten klarer geworden, noch ist etwas von der Peinlichkeit dieses Tauziehens von uns genommen worden.
Ich empfinde nicht die Legitimation, irgend etwas über das Wirken der Familie Röchling in der Vergangenheit zu sagen. Ich meine, es trifft schon zu, was hier von mehreren Rednern zum Ausdruck gebracht wurde, daß der Name Röchling von der Saar, von der Saarwirtschaft, aber auch von der Deutscherhaltung der Saar in der Vergangenheit einfach nicht wegzudenken ist; das ist eine Einheit. 'Sehr klar hat nach meiner Auffassung Herr Dr. Mommer zum Ausdruck gebracht, daß die deutsche Position in dieser Frage von zwei Instanzen aus hätte gewahrt werden können, einmal von der Familie Röchling als dem Inhaber und rechtmäßigen Eigentümer der Betriebe und zweitens von der Bundesregierung. Insoweit, Herr Mommer, haben Sie, glaube ich, die Dinge durchaus klar und richtig ausgedrückt. Ich möchte noch hinzufügen, daß der deutsche Standpunkt am besten vertreten worden wäre, wenn es gelungen wäre, diese beiden Instanzen zu einer festen Einheit mit einheitlichem Plan und einheitlichem Ziel zusammenzubringen. Wir können wohl feststellen, daß diese Voraussetzung nicht geschaffen worden ist. Es ist sehr schwer zu beurteilen, ob das ein Verschulden der einen oder der anderen Seite war. Meine politischen Freunde bedauern, daß dieser Versuch nicht schon sehr frühzeitig gemacht worden ist. Denn daß die Situation eines Tages so sein würde, wie sie nachher in den letzten Apriltagen in Bonn gewesen ist, das war doch auch ohne besondere Prophetengabe wenigstens schon seit einigen Monaten vorauszusehen.
Über eines ist doch nicht hinwegzukommen — und davon hat mich auch manches lobende und anerkennende Wort, das über die Familie Röchling gesagt worden ist, nicht abbringen können —: es ist doch nicht ernstlich zu bestreiten, daß die Familie Röchling etwa vor einem Jahr, ich glaube, im April 1954, für eine mehrmonatige Dauer ein Optionsrecht an eine Schweizer Bankgruppe gegeben hat. Wenn nun gesagt wird, dabei sei nicht zu erkennen gewesen, daß diese Schweizer Bankgruppe die Möglichkeit gehabt habe, dieses Optionsrecht weiterzureichen und von einer kapitalistischen Gruppe rein französischer Zusammensetzung erfüllen zu lassen, so kann, verehrter Prinz zu Löwenstein, diese Entschuldigung doch nicht ernstlich entgegengenommen werden. Die Tatsache ist doch nicht zu bestreiten, daß die Familie Röchling — und, wenn ich recht orientiert bin, ohne mit der Bundesregierung etwa Absprache zu treffen, ohne ¡die Bundesregierung darüber zu orientieren; ich bitte, mich zu berichtigen, wenn meine Informationen nicht zutreffen — dieses Optionsrecht gegeben hat — und damit war doch die Gefahr in unmittelbare Nähe gerückt —, ohne daß der zweite Partner, der die Verpflichtung hatte, den deutschen Standpunkt zu wahren, nämlich die Bundesregierung, in dieser Situation irgend etwas hätte machen können.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Dr. Gille, Sie sagten, die Bundesregierung sei über diese Verhandlungen mit der Schweizer Bank bezüglich der Option nicht informiert gewesen. Darf ich die Frage stellen, ob Sie über die Besprechungen, die zwischen den Vertretern der Familie Röchling und den Vertretern der Bundesregierung darüber stattgefunden haben, noch keine Nachricht erhalten haben.
Ich darf Ihnen darauf antworten. Ich habe mit Angehörigen der Familie Röchling nicht sprechen können, sondern ich beziehe mich auf Informationen — aber ich nehme an, daß Herr Professor Hallstein dazu etwas wird sagen können —, Informationen, die von seiten der Bundesregierung stammen und denen — bisher jedenfalls — keiner ernstlich widersprochen hat, daß die deutsche Bundesregierung über das beabsichtigte Optionsrecht nicht vorher unterrichtet worden ist. Wenn Sie etwas anderes dazu wissen, — ich kenne allein diese Informationen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die deutsche Bundesregierung war in allen Einzelheiten und von Anfang an über diese Verhandlungen informiert.
Darauf kann ich nicht antworten, verehrter Prinz zu Löwenstein. Das wird vielleicht Herr Staatssekretär Hallstein tun. Ich gehe jedenfalls bei meinen Betrachtungen — und dies sind auch die Betrachtungen meiner politischen Freunde — davon aus, daß die Information, die mir geworden ist, tatsächlich zutrifft. Aber bitte, das war Vergangenheit, diese Gefahr ist glücklich an uns vorübergegangen.
Wie war aber nun die Situation in den Verhandlungen Ende April? Ich will sehr ernstlich prüfen, ob die Bundesregierung tatsächlich alles getan hat, was ihr zu tun oblag. Das Ergebnis ist unerfreulich. Es ist kein Grund, hier etwa über einen politischen oder diplomatischen Erfolg zu triumphieren und sich zu freuen.
Das Ergebnis ist unbefriedigend. Aber von dieser Feststellung ist ja noch ein weiterer Schritt bis zu der Frage: Was hätte die Bundesregierung in dieser Situation nach all dem, was in der Vergangenheit nun einmal geschehen war, noch tun können?
Hierzu bitte ich noch um eine Auskunft. Das Optionsrecht über 200 Millionen DM oder 200 Millionen Schweizer Franken war von der Familie Röchling zu gleichen Teilen an die französische Regierung und an die Regierung der Bundesrepublik gegeben worden. Wenn nun die Bundesregierung hier nein gesagt hätte, bestand dann irgendeine Aussicht oder auch nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit, daß das Optionsrecht, das jetzt neu gegeben wurde, seitens der Familie unter allen Umständen unterblieben wäre? Ich weise darauf hin, daß diese Frage deshalb berechtigt ist, weil ja ein halbes oder ein Jahr früher einmal eine solche Situation geschaffen war. Es ist also keine Unterstellung und kann nicht ohne weiteres zurückgewiesen werden.
Wir kommen dann zu der weiteren Frage: Was hätte Frankreich dann tun können? — Ich neige auch der Auffassung zu, daß Frankreich wahrscheinlich einiges hätte tun können, aber wahrscheinlich nicht mehr eine Lösung allein vom Machtstandpunkt aus. Ich möchte meinen, daß dazu die Situation in Europa doch zu weit gediehen war. Es ist ja merkwürdig, daß die Verflechtung privatrechtlicher Verhältnisse, noch dazu in einer derartigen Größenordnung, das europäische Gewissen viel schärfer gemacht hat, als das ansonsten der Fall war. Ich möchte also auch meinen, daß die Drohung, die Frage mit Gewalt zu lösen, wahrscheinlich für die französische Regierung praktisch nicht mehr zu verwirklichen war.
— Ich möchte auch meinen, daß das wahrscheinlich die Antwort sein wird.
Ich halte es aber für gut und für richtig, daß der Deutsche Bundestag, nachdem diese Vereinbarungen zustande gekommen sind, in dieser Deutlichkeit und Klarheit seitens wohl aller Parteien, wenn auch der Ton und die Nuance verschieden war, der deutschen und europäischen Offentlichkeit gesagt hat, daß wir uns unter dem Geist europäischer Zusammenarbeit wahrlich etwas anderes vorstellen, als was sich noch in den letzten Stunden in diesen Absprachen offenbart hat.
Das kann kein Fehler sein. Ich glaube, das sollten gerade diejenigen laut und deutlich betonen — und sie haben auch ein Recht dazu, das so laut und deutlich zu sagen —, die bereit waren, manches andere an kaum zumutbaren Voraussetzungen zu schlucken, wenn ich mich so volkstümlich ausdrükken darf, und mit in Kauf zu nehmen, um den Weg für eine gute europäische Zusammenarbeit zu bahnen.
Im gegenwärtigen Augenblick empfinde ich es aber nicht als besonders glücklich — einer der Herren hat es schon angedeutet —, nachdem nunmehr eine wirtschaftliche Zusammenarbeit an einer konkreten Aufgabe vor uns liegt, am Anfang dieser gemeinsamen Aufgabe nichts ,anderes zu tun, als all die Bosheiten und Gehässigkeiten aufzuzählen, die ein untreuer Vertragspartner auf diesem Gebiet zu tun in der Lage ist. Selbstverständlich kann Ihnen niemand diese Dinge widerlegen. Der Weg bis Europa ist sicherlich weit, und wir wissen auch, daß er mit Hindernissen mannigfachster Art gepflastert ist. Ich meine, aus dieser Situation sollte man nunmehr ehrlich, wenn auch mit allem inneren Vorbehalt oder besser mit aller inneren Vorsicht der die Lösung der gemeinsamen Aufgabe herangehen. Wir können eigentlich in diesem Augenblick nicht nur unserer deutschen Sache, sondern auch der Sache Europas keinen anderen Wunsch und keine andere Hoffnung mit auf den Weg geben, als daß es trotz aller schwarzen Prognosen und düsteren Aussichten doch noch gelingt, vielleicht gerade an diesem konkreten Beispiel einmal zu zeigen, daß es nicht nur ein leerer Traum und eine leere Illusion ist, wenn wir so oft und so nachhaltig von deutsch-französischer Zusammenarbeit sprechen. Vielleicht — möge die Entwicklung so laufen — wird dann in absehbarer Zeit manches von den berechtigten Befürchtungen, die heute hier vorgebracht worden sind, sich nicht erfüllen.
Ich darf wiederholen, Herr Staatssekretär: ich wäre dankbar, wenn Sie uns zu der speziellen Frage, die ich gestellt habe, eine Erklärung abgäben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Staatssekretär des Auswärtigen.
Dr. Hallstein, Staatsekretär des Auswärtigen Amts: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich antworte auf die beiden Fragen, die ausdrücklich an mich gerichtet worden sind.
Die erste Frage lautete, ob es zutrifft, daß wir von der Erteilung der Option durch die Eigentümer des Werkes Völklingen an die Schweizerische Kreditanstalt vor oder nach der Erteilung dieser Option unterrichtet worden sind.
Die Antwortet lautet: Nach der Vereinbarung der Option!
Erst in diesem Augenblick wurde der Bundesregierung auch bekannt, daß hinter der Schweizerischen Kreditanstalt eine französische Gruppe, und zwar die Gruppe Schneider-Creuzot, stand.
Die zweite Frage lautete: Was würde die Folge gewesen sein, wenn die Bundesregierung die solution de force nicht über dieses Werk ergehen lassen wollte? Würde dann insbesondere die Gefahr bestanden haben, daß eine Option zugunsten der französischen Regierung allein begründet worden wäre?
Die Antwort lautet: Ja, dies wäre in der Tat die Gefahr gewesen. Die Situation, vor der wir uns befanden — und ich darf damit gleichzeitig die Entscheidung der Bundesregierung in dieser speziellen Frage rechtfertigen — war diese: Es bestand die Gefahr einer solution de force. Die Familie Röchling war bereit, diese solution de force über sich ergehen zu lassen, aber nur unter der Bedingung, daß die Bundesregierung sie deckte gegen das Risiko, das darin lag, und zwar deckte bis zur Höhe der Chance, für 200 Millionen Schweizer Franken das ganze Werk verkaufen zu können.
Die Frage, vor der die Bundesregierung stand, war also folgende. Ein Risiko oder eine Aufwendung in Höhe von 200 Millionen Franken oder eines Anteils daran war unter. allen Umständen unvermeidlich. War es in dieser Lage besser, das Risiko der solution de force zu laufen? Hier muß ich sagen: in diesem Risiko der solution de force lag die Gefahr, daß das ganze Werk in französische Hände geriete.
— Das ist nicht eine Frage des europäischen Geistes, Herr Abgeordneter Menzel, sondern das ist eine Frage der Rechtslage.
— Die Rechtslage ist in dieser Frage des Rechts des Sequesters, das Unternehmen zu veräußern, leider nicht so günstig gewesen, wie hier von einigen Rednern, die in der Diskussion gesprochen haben, unterstellt worden ist.
Diese Frage ist auch nicht — um dieses Mißverständnis zu bereinigen — identisch mit der Frage der rechtlichen Begründetheit der französischen Reparationsansprüche. Das ist eine völlig andere Frage, eine Frage übrigens, in der die Haltung der Bundesregierung ja bekannt ist.
Ich will nicht ins Detail jener Rechtsfrage eingehen. Bei der Bewertung der Chance, gegen eine solution de force anzugehen, mußte selbstverständlich auch die Frage eine Rolle spielen, ob eine Instanz, ein Richter gefunden werden konnte, vor dem wir unsere etwa entgegengesetzte Rechtsauffassung vertreten konnten.
Auf der anderen Seite stand die Möglichkeit, sich an der Option, die zu erwerben die französisische Regierung bereit war und die der französischen Regierung zu gewähren die Familie Röchling bereit war, zur Hälfte zu beteiligen. Bei der Bewertung dieser Alternative hat es die Bundesregierung für richtig gehalten, die zweite Lösung vorzuziehen, und ich glaube, niemand, der die Tatsachen so sieht, wie sie sind, kann finden, daß die Bundesregierung dabei unrichtig gehandelt hat.
Eine Frage, Herr Präsident! Darf ich eine Frage an den Herrn Staatssekretär stellen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Entschuldigen Sie, Herr Abgeordneter, der Herr Staatssekretär ist ja nicht mehr am Rednerpult. Aber wenn er Ihnen eine Frage gestattet, habe ich nichts dagegen.
Meine Frage ist die folgende. Es scheint, daß der Versuch gemacht wird, ein gewisses Dunkel über die Frage zu verbreiten, wann die Regierung von dem von der Familie Röchling erteilten Optionsrecht erfahren hat. Wie man gehört hat, ist das Optionsrecht im April 1954 gegeben worden. Ich wäre dem Herrn Staatssekretär dankbar, wenn er dem Hohen Hause mitteilte, wann die Regierung von dem Optionsrecht über 200 Millionen an eine Schweizer Bank Kenntnis erhalten hat. Ich weise darauf hin, daß die Regierung im Oktober 1954 Mitteilungen gemacht hat, aus denen hervorging, daß sie davon wußte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich nehme an, Herr Abgeordneter, daß Sie nicht im Saale waren, als ich die Frage des Herrn Abgeordneten Prinz zu Löwenstein beantwortete.
— Es war dieselbe Frage, die er gestellt hat: wann die Bundesregierung von der Erteilung der Option erfahren habe.
Die Frage bezieht sich auf den Zeitpunkt. Ich frage: Wann, zu welchem Zeitpunkt, hat die Bundesregierung von dem von der Familie Röchling erteilten Optionsrecht erfahren?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nachdem diese Option vereinbart war.
— Ach, Sie wollen das Datum wissen.
— Am 21. April 1954.
Also unmittelbar nach der Erteilung der Option?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Unmittelbar danach.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete von Merkatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion hat zunächst gezögert, überhaupt zu diesem Fragenkomplex Stellung zu nehmen, weil wir der Bundesregierung für ihr Verhalten und für die Führung der
Geschäfte in dieser Frage keinen Tadel aussprechen können. Nachdem die Diskussion aber einige prinzipielle Fragen aufgeworfen hat, sehe ich mich genötigt, folgendes vollkommen klarzustellen; und ich glaube, das ist die Auffassung des ganzen Hauses.
In dieser Regelung — ich bin besonders davon beeindruckt, daß unser Kollege Walz, wenn auch mit sehr großen inneren Reserven, die ich gespürt habe, sagt, sie sei ein Weg, den man nun gehen müsse — liegen prinzipielle Verletzungen von Rechten, die wir nicht unwidersprochen lassen können. Einmal ist das Recht des Eigentums, zum andern ist das Recht auf die Heimat verletzt. Das sind zwei Tatsachen, die festgestellt werden müssen; darum kommt man nicht herum, und das soll man auch nicht beschönigen. Das ist aber, wie gesagt, kein Tadel, den ich der Bundesregierung ausspreche.
Ich möchte eines deutlich machen. Diese Probleme, die sich nun in den letzten Ausläufern des politischen Erdbebens zeigen, sind alle aus einer falschen und schlechten Rechtsvorstellung erwachsen. Daß man den Besiegten unter Verletzung klarer rechtlicher Prinzipien so wie geschehen behandeln konnte, das gehört alles noch zu den Ausläufern der Situation, die durch die Niederlage Deutschlands und seine Zerschlagung zustande gekommen ist.
Unsere Regierung und auch wir als Koalition haben die Verantwortung dafür getragen und uns darum bemüht, an die Stelle dieser Rechtsverwirrung, die in den Jahren 1949, 1950, 1951, 1952 noch sehr deutlich war und die heute noch nicht ganz überwunden ist — ich möchte nur die Stationen unseres Weges an Ihrem Auge vorüberziehen lassen —, an die Stelle dieses Sieger- und Besiegtendenkens die Möglichkeit einer Neuordnung Europas im Wege der Verständigung zu setzen, das heißt, dieses ganz verderbliche Denken zu beendigen und an seine Stelle ein Denken zu setzen, das den Frieden und die Zusammenarbeit in der Zukunft gewährleistet.
Das ist der Sinn unserer Politik. Aber das entbindet uns natürlich nicht von der Feststellung, daß es der Regierung nach den Umständen nicht gelingen konnte, die Verletzung des Eigentumsrechts und die Verletzung des Heimatrechts einer hochverdienten Familie abzuwehren.
Die Familie Röchling hat nicht nur für das Gebiet an der Saar, sondern überhaupt für den deutschen Namen einen guten Ruf erworben. Man kann ihrer hier nur mit Dankbarkeit und Achtung gedenken. Ich muß sagen, daß es eine patriotische Haltung ist — daran soll man in diesem Hause nicht mäkeln —, daß sie bis zum Letzten um ihr Recht gerungen hat, daß sie dann aber auch den Weg zu ermöglichen versucht hat, den die Bundesregierung schließlich gegangen ist. Niemand ist im Stich gelassen worden. Weder ist die Familie Röchling von der Bundesregierung im Stich gelassen worden, noch hat die Familie Röchling die Bundesregierung im Stich gelassen. Das sind keine Wertungen, unter denen man den Ablauf überhaupt betrachten darf.
Wir stehen gewiß mit dem gleichen Schmerz wie alle einem solchen Endergebnis gegenüber; aber wir müssen auch bejahen, daß man einen Weg gefunden hat, der aus dieser Rechtssphäre des
Siegers und Besiegten herausführen kann, um zu neuen Grundlagen vorzustoßen. Wir wollen diese Regelung nicht gerade beschönigen. Das liegt keineswegs im deutschen Interesse. Wir hoffen aber, daß gerade aus diesem Fall und seiner Diskussion nicht nur bei uns, sondern in der Welt, in Europa die Einsicht erwächst, welche Methoden man nicht anwenden darf und was den europäischen Gedanken zu töten und was ihn andererseits zu verwirklichen geeignet wäre. Vielleicht denkt man über diesen Tatbestand allgemein in der Welt etwas nach und wird dabei erkennen, daß die deutsche Regierung und die deutschen Parteien, die den Kurs der Regierung gestützt haben, an die äußerste Grenze ihrer Bemühungen gegangen sind, um ein negatives Denken durch ein positives Denken abzulösen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Prinz zu Löwenstein!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte der historischen Korrektheit wegen eine kleine Ergänzung zu dem machen, was der Herr Staatssekretär vorgetragen hat. Es ist nämlich in diesem Hohen Hause der Eindruck entstanden, daß die Mitteilung der Option zwar erfolgt ist, aber doch in einem so späten Zeitpunkt, daß man praktisch damit nur noch wenig anfangen konnte. Herr Staatssekretär, ich darf darauf hinweisen, daß die Bundesregierung — ich habe es schon in meinen Ausführungen vorhin erwähnt — durch einen Brief vom 28. Dezember 1953 über diese Option informiert wurde.
Ich wiederhole meine Ausführungen: Es war ein
Brief des Vorsitzenden des Familienverbandes
Röchling, Dr. Sarazin, gerichtet an Herrn Vizekanzler Blücher. Ich bin in der Lage, Ihnen daraus
einiges zu zitieren. In diesem Brief wird auf die
große Bedeutung für die Außenpolitik hingewiesen,
die mit dem Völklinger Werk verbunden ist, also
Ihr Ressort, Herr Staatssekretär. Weiterhin wird
gesagt, daß bislang die Bundesregierung nicht
Glauben geschenkt habe, wenn auf die Möglichkeit,
plötzlich Entschlüsse fassen zu müssen, hingewiesen
wurde. Hinter diesen Bemerkungen steht noch eine
weitere Tatsache. Die Vertreter der Familie Röchling haben schon vor diesem Termin unzählige
Male — ich kann mich nicht auf eine Zahl festlegen, aber zwischen 20- und 30mal wird es gewesen sein — im Auswärtigen Amt vorgesprochen,
um dort Informationen zu geben.
In diesem Brief wird ,darauf Bezug genommen und dann gesagt, daß jetzt der Augenblick gekommen sei, wo ein Entschluß gefaßt werden müsse, da eine Schweizer Großbank, Crédit Suisse, dieses Angebot gemacht habe. In demselben Brief wird — ich habe es vorhin schon zitiert — die Befürchtung ausgesprochen, daß eine französische Gruppe dahinterstehen könne. Dann kommt der Satz, den ich auch schon zitiert habe, nämlich daß man es begrüßen würde, nicht verkaufen zu müssen.
Die Bundesregierung wird in demselben Brief gebeten, das Risiko mitzutragen, und zwar im Betrage von 60 bis 80 Millionen DM, nicht in Bargeld,
sondern in Form einer Beteiligung — der alte Gedanke, der durch die ganzen Verhandlungen ging — an einem Unternehmen im Bundesgebiet, das in Bundesbesitz zurückübertragen würde, sobald Völklingen frei wird. Dann wird gesagt, daß das größere Risiko immer noch bei der Familie liege und daß — ich zitiere wörtlich — „ein solches Opfer keiner anderen privaten Gruppe zugemutet wurde".
Man darf vielleicht noch hinzufügen, daß nach der Entnahme der 500 Millionen Franken, das sind 6 Millionen DM, ;durch Herrn Thédrel die Familie Röchling zum erstenmal Antrag auf einen Remontagekredit stellte, soviel ich weiß, datiert vom 13. März 1953; ich kann das Datum im Augenblick nicht feststellen. Es handelt sich um einen Remontagekredit auf Grund des eingetretenen Schadens, um im Bundesgebiet eine entsprechende Tätigkeit aufnehmen zu können.
Schließlich kommt der sehr wesentliche, vielleicht entscheidende Punkt, daß die Bundesregierung in diesem salomonischen Urteil den Franzosen wenigstens 50 % — die Hälfte also — noch entrissen habe, weil das Werk sonst ganz in französische Hände gefallen wäre.
Ich berichte nach meinen Informationen einige historische Tatsachen: Am 22. März 1955 fand in Paris eine Besprechung statt. Anwesend waren Herr Grandval, Antoine Pinay und der Vertreter Röchlings in Paris, Herr von Bose. Grandval greift bei dieser Besprechung Röchling scharf an und behauptet, daß Röchling weitere geheime Verhandlungen führe, und zwar mit Schneider-Creusot. Diese Behauptung, die völlig aus der Luft gegriffen war, wird auf das schärfste dementiert. Hierüber gibt es einen Brief von Herrn von Bose an Pinay. In diesem Brief wird erklärt, daß keinerlei solche Verhandlungen stattfinden.
Am 25. März wird Dr. Ernst Röchling nach Paris eingeladen und hat ein Gespräch mit Pinay. In diesem Gespräch werden ihm drei Punkte zur Wahl vorgelegt: entweder Verkauf oder Gewährung einer Minderheitsbeteiligung für die Familie Röchling oder „solution de force".
Was den Verkauf anbelangt, hat Pinay, wie er es in seinen eigenen Worten ausdrückt, ein besseres Angebot gemacht als das seinerzeitige schweizerische, nämlich ein Angebot von ungefähr 230 Millionen Schweizer Franken. Ohne allzu sehr diplomatische Geheimnisse preiszugeben — ich bin der Meinung, die deutsche Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, die Dinge zu erfahren — möchte ich mitteilen: Pinay hat sogar gesagt, er würde fast eine Kränkung Frankreichs darin sehen, wenn dieses Angebot nicht angenommen würde,
nachdem doch einer schweizerischen Bank eine Option gegeben worden war: warum also einer schweizerischen Bank etwas anbieten, was man der französischen Regierung verweigere?
Das zweite war der Vorschlag einer Minderheitsbeteiligung der Familie Röchling, was ebenfalls abgelehnt wurde. Das dritte, was aber durch das Ganze hindurchging, war die Drohung mit der „ solution de force". Wir wollen doch ein etwas einfacheres deutsches Wort dafür nehmen: Gewaltanwendung; das ist es nämlich. Ich frage Sie in diesem Hohen Haus: wenn Sie ;als privater Geschäftsmann Verhandlungen führen und in jedem Angebot, das man Ihnen macht, die Drohung mit
Gewaltanwendung steckt, wie bezeichnen Sie ein solches Vorgehen? Die internationale Höflichkeit verbietet mir, an dieser Stelle den juristischen Ausdruck zu gebrauchen.
— Der freiwillige Zwang, den wir kennen; ganz richtig!
— Ganz richtig!
Man darf vielleicht zusammenfassend sagen, daß die Vertreter der Familie Röchling ein klares Nein geantwortet haben, daß sie nicht bereit waren zu verkaufen. Es stimmt also nach meinen Informationen nicht, daß die Familie Röchling den Franzosen eine solche Option eingeräumt habe. Es gibt hierüber einen Brief, in dem zum Ausdruck gebracht wird, daß kein Angebot vorliegt, ein Brief vom 12. April dieses Jahres. Darin steht weiter, daß Expertisen einzuholen sind, was die biens transférables, die Höhe oder die Grundlage dieser Forderungenanbelangt.
Das ist vielleicht das Entscheidende, was gesagt werden mußte, abgesehen von einem letzten Punkt: die Abnahme des Risikos bei der Gewaltanwendung. Ich würde nichts Näheres ;darüber sagen, wenn nicht auch diese Angelegenheit politische Verwirrung anrichtete. Es ist schon richtig, daß Röchling eine Übernahme zumindest des Teilrisikos bei -der Gewaltanwendung erbeten hat, was ja eigentlich auch moralisch keineswegs abzulehnen ist. Ich möchte wissen, wo sich heutzutage die Märtyrer in solchen Scharen finden, daß man darauf mit dem Finger zeigen dürfte. Aber es ist auch etwas Sachliches dazu zu sagen. Es lag das Angebot vor, Völklingen der Bundesregierung zu übertragen und den Kampf um Välklingen im Auftrage und im Interesse der Bundesregierung zu führen, selbstverständlich unter der Garantie, die Werte des Bundesvermögens diesem zurückzugeben, sobald der Kampf entschieden ist. Wir können hier nicht darüber streiten — es wäre müßig —, ob dieser Rechtskampf siegreich und in absehbarer Zeit hätte ausgefochten werden können. Ich bin der Meinung, ;daß es im Zeichen der europäischen Verständigung, von der wir soviel hören, Frankreich wohl doch nicht möglich gewesen wäre, bei dieser Gewaltanwendung zu verharren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Euler.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn ich noch kurz das Wort ergreife, dann nur deshalb, um für Regelungen der Zukunft, die noch offenstehen, einen Hinweis zu geben, dessen Bedeutung auf der Hand liegt. Wir sind alle daran interessiert, daß auf dem Boden der partnerschaftlichen Regelung, der je 50% igen Beteiligung der Bundesregierung und der französischen Regierung an dem in ein neues Unternehmen zu überführenden Hüttenwerk Völklingen die Ausgestaltung der Leitung so erfolgt, daß der Grundgedanke der Partnerschaft auf eine faire Weise zur realen Durchführung gelangt. Wenn man aus den Verhandlungen gehört hat, daß es
die Bundesregierung für ratsam hielt, auf das französische Verlangen einzugehen, den ersten Vorstandsvorsitzer, der für fünf Jahre amtieren kann, den Franzosen zuzugestehen, dann wäre in diesen Verhandlungen an sich das deutsche Gegenverlangen völlig legitim gewesen, den ersten Aufsichtsratsvorsitzer für die entsprechende Zeit der deutschen Seite zuzugestehen.
Das ist einstweilen nicht vereinbart worden; aber die entsprechende Entscheidung ist noch zu fällen. Deshalb sollte sich der Deutsche Bundestag das Verlangen gegenüber der Bundesregierung zu eigen machen, daß darauf beharrt wird, daß der Aufsichtsratsvorsitz der deutschen Seite zufällt, so wie wir bereits das Zugeständnis gemacht haben, daß der erste Vorstandsvorsitzer der französischen Seite zufällt. Dieses deutsche Verlangen ist völlig legitim. Es ist lediglich der Ausdruck der Auffassung, daß der Partnerschaftsgedanke auch in der Gestaltung der Leitung einen fairen Niederschlag finden muß. Dieser Gedanke für die Zusammensetzung der Leitung kann noch verwirklicht werden, wenn sich die Bundesregierung bei den weiteren Verhandlungen nicht davon abbringen läßt, daß es nur eine Komplettierung der bisherigen Regelung über den Vorstandsvorsitz zugunsten der französischen Seite gibt, nämlich für die entsprechend lange Zeit, für die der französische Vorstandsvorsitzende amtieren wird, den Aufsichtsratsvorsitz der deutschen Seite zuzugestehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Staatssekretär Hallstein.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die neuen Ausführungen des Herrn Abgeordneten Prinz zu Löwenstein veranlassen mich, das, was ich vorhin vorgetragen habe, noch zu ergänzen. Ich habe den Eindruck, daß durch diese neuen Ausführungen ein Mißverständnis entstanden ist. Der Herr Abgeordnete hat von anderen Sachverhalten gesprochen als ich. Ich möchte das aufklären.
Man muß unterscheiden die Frage von Verhandlungen der Eigentümer von Völklingen überhaupt und die Frage dieser ganz konkreten, in einer bestimmten Urkunde niedergelegten Option. Diese in einer ganz bestimmten Urkunde niedergelegte Option ist deshalb so wichtig, weil, wie der Herr Bundeskanzler heute früh hier dem Hohen Hause mitgeteilt hat, die Option, die nunmehr der französischen Regierung und der Bundesregierung gemeinsam gewährt worden ist, identisch ist mit dieser der Schweizerischen Kreditanstalt erteilten Option. Die äußere Form der Optionserteilung am Abschluß des Besuches des Herrn französischen Außenministers war die, daß man nur in einer kleinen Mantelerklärung auf jene der Schweizerischen Kreditanstalt gewährte Option Bezug ,genommen und verwiesen hat.
Etwas ganz anderes ist die Frage der Verhandlungen der Röchlings — wenn ich diese Bezeichnung benutzen darf — wegen eines Verkaufs von Völklingen. Diese Verhandlungen dauern schon länger, und über diese Verhandlungen im ganzen sind wir — das möchte ich genau sagen — in folgendem Umfang unterrichtet.
Erstens. Nach unserer Kenntnis haben seit dem Herbst 1953 Verhandlungen zwischen Röchling und der französischen Gruppe Chatillon-Commentry stattgefunden. Nach unseren Informationen wurden diese Verhandlungen auf der Basis einer Beteiligung von 51 % für Chatillon-Commentry und 49 % für Röchling geführt. Röchling hielt die finanziellen Bedingungen dieser Verhandlungen für nicht günstig und hat die Verhandlungen nicht weiter verfolgt.
Die Bundesregierung war, ich sagte es schon, von diesem Hergang unterrichtet.
Zweitens. Am 1. Februar 1954 wurde die Bundesregierung von Röchling unterrichtet, daß eine neue Kaufneigung, und zwar eine finanziell weit vorteilhaftere, vorliege über die Schweizer Kreditanstalt, nämlich eine Anregung von dort, eine Option zu 200 Millionen Schweizer Franken zu gewähren. Wer hinter der Schweizer Kreditanstalt stand, war damals nicht bekannt, jedenfalls der Bundesregierung nicht. Wir waren auf Vermutungen angewiesen. Diese Vermutungen liefen zeitweilig dahin daß eine luxemburgische Gruppe die eigentliche Trägerin ides Angebots sei. Es ist dann zwischen Röchling und der Bundesregierung darüber verhandelt worden, wie dieser Kauf vermieden werden könne.
Drittens. Noch während diese Verhandlungen schwebten — also ehe es zu einem Abschluß dieser Verhandlungen gekommen war —, hat uns am 21. April die Mitteilung überrascht, von der ich vorhin dem Hohen Hause Kenntnis gegeben habe, nämlich daß die Option gewährt sei. In diesem Augenblick auch erst wurde uns mitgeteilt, daß die französische Gruppe Schneider-Creusot nunmehr hinter diesem Angebot stand. Auch damals haben wir noch nicht den Wortlaut dieser Option erfahren; das geschah erst später.
Dies ist der Sachverhalt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
— Herr Abgeordneter Mommer!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, alle Anwesenden haben den Eindruck gehabt, daß es sich hier um ein sehr interessantes Kapitel europäisch-kapitalistischer Politik handelt. Die Auskünfte, die wir bekommen haben, können uns nicht befriedigen. Es sind Tatsachen vorgebracht und Gegentatsachen angeführt worden, die kein abschließendes Urteil erlauben. Der Herr Bundeskanzler hat selber angekündigt, daß er bestimmte Fragen, die an ihn gerichtet worden sind, im Auswärtigen Ausschuß beantworten will. Wir werden die Gelegenheit dann wahrnehmen, tiefer in diese interessante Materie einzudringen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Prinz zu Löwenstein.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte ganz kurz auf eine Bemerkung des Herrn Staatssekretärs betreffs der Gruppe Chatillon-Commentry
eingehen, was die Information oder Nichtinformation der Bundesregierung anlangt. In einer Unterredung, die am 1. Februar 1954 stattfand, hat der Anwalt der Familie Röchling, Dr. Kranzbühler, den Saarreferenten des Auswärtigen Amts, Herrn Dr. Thierfelder, über diesen aufgetauchten Plan informiert. Und zwar ging es nicht um 51 zu 49 %, vielmehr bestand der Plan darin, Völklingen einerseits mit 50 % und andererseits die Gruppe Chatillon-Commentry in eine neue Gesellschaft ebenfalls mit 50 % einzubringen. Der Generaldirektor der Gruppe Chatillon-Commentry, Monsieur Bureau, hat jedoch die französische Führung verlangt, was die Familie Röchling abgelehnt hat.
Bei derselben Unterredung hat der Anwalt der Familie Röchling auch noch einmal auf die Schweizer Gruppe und auf den Verdacht hingewiesen, daß die französischen Interessen dahinterstehen könnten. Es gab eine weitere Unterredung am 6. April 1954: Dr. Rust vom Wirtschaftsministerium, Dr. Thierfelder, Dr. Ophüls vom Auswärtigen Amt, Vertreter der Familie Röchling. Es war vorher gebeten worden, Herrn Staatssekretär Hallstein oder Herrn Dr. Blankenhorn informieren zu können. Herr Dr. Thierfelder hat bei dieser Unterredung — sechs Wochen nach der ersten — das Bedauern ausgedrückt, daß die beiden Herren bis jetzt keine Zeit gehabt haben.
Herr Dr. Thierfelder hat nach meinen Informationen in positiver Weise auf den damals vorgetragenen Plan Oh atillon-Commentry hingewiesen, nachdem er ausgeführt hatte, das Schweizer Angebot sei wohl nicht seriös gemeint, da die französische Regierung nichts davon wisse. Das Gespräch fand zu diesem Punkt seinen Abschluß, als darauf hingewiesen wurde — ich glaube, von Herrn Dr. Kranzbühler —, daß die Gruppe Chatillon-Commentry sowieso nicht mehr interessiert sei, da sie nun 200 000 t Drahtproduktion aus der Drahtstraße der demontierten Werke von Watenstedt-Salzgitter habe.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung zu Punkt 1, der damit gleichzeitig erledigt ist. Punkt 2 ist schon erledigt.
Ich habe hier eine Notiz vorgefunden, worin ich gebeten werde, den Punkt 5 der heutigen Tagesordnung und auch den Punkt 6 vorzuziehen. Ich frage das Haus, ob es damit einverstanden ist. — Ich höre keinen Widerspruch. Dann verfahre ich so.
Ich rufe auf Punkt 5 der heutigen Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Leistungen zur Unterbringung von Deutschen aus der sowjetischen Besatzungszone oder dem sowjetisch besetzten Sektor von Berlin (Drucksache 1210);
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen (Drucksache 1358).
Ich erteile das Wort der Berichterstatterin Abgeordneten Frau Dr. Brökelschen.
Frau Dr. Brökelschen , Berichterstatterin: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Inhalt des vorliegenden Gesetzentwurfs ist in einem Satz umschrieben. Er dient lediglich der Verlängerung und Aufrechterhaltung des am 9. März 1953 im 1. Deutschen Bundestag verabschiedeten Gesetzes über Leistungen zur Unterbringung von Deutschen aus der sowjetischen Besatzungszone oder dem sowjetisch besetzten Sektor von Berlin, das allgemein als Flüchtlings-Notleistungsgesetz bekannt ist. Es enthält diesem gegenüber materiell keine Änderungen.
Das Flüchtlings-Notleistungsgesetz, das auf einhelligen Wunsch der Ministerpräsidenten zurückgeht, wurde geschaffen, als der Flüchtlingsstrom in Berlin eine sehr stark ansteigende Tendenz zeigte und vor allen Dingen die Zusammenballung der Flüchtlinge in Berlin eine äußerst schwierige Situation entstehen ließ. Zu dem materiellen Inhalt dieses Flüchtlings-Notleistungsgesetzes darf ich auf meinen Bericht in der 252. Sitzung des 1. Deutschen Bundestages vom 4. März 1953 verweisen.
Man hat damals das Flüchtlings-Notleistungsgesetz wegen seiner weitgehenden Eingriffsmöglichkeiten in die private Rechtssphäre bewußt befristet. Man hoffte, die Situation würde sich innerhalb von zwei Jahren soweit beruhigen, daß man auf eine solche Notleistungsregelung verzichten könne, und beschloß darum, das Gesetz am 31. März 1955 auslaufen zu lassen. So befinden sich die zuständigen Stellen augenblicklich in der Situation, daß irgendeine Möglichkeit der Beschlagnahme von Räumen für die Unterbringung von Sowjetzonenflüchtlingen nicht mehr besteht.
Gegenwärtig bestehen aber noch 1193 Flüchtlingslager in der Bundesrepublik; in diesen Lagern sind rund 126 000 Zonenflüchtlinge untergebracht, für die bisher weder Wohnraum noch wohnraumähnliche Unterkünfte haben beschafft werden können. Die größte Zahl dieser Lager 'ist in den Ländern Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg, und zwar sind in 953 nordrhein-westfälischen kommunalen Lagern rund 36 000 Personen und in 99 kommunalen Lagern in Baden-Württemberg 28 500 Personen untergebracht.
Der Flüchtlingsstrom aus der Sowjetzone und dem sowjetisch besetzten Sektor von Berlin hält zudem nach wie vor an und zeigt überdies zur Zeit eine ansteigende Tendenz. Mit durchschnittlich 15 000 Flüchtlingen im Monat liegt er um ein Viertel höher als zur selben Zeit im Vorjahr.
Aus diesen Tatsachen ergeben sich die Gründe, die für eine Verlängerung des Notleistungsgesetzes sprechen. Einmal muß nach Ansicht des Ausschusses für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen den zuständigen Stellen die Möglichkeit gegeben werden, die Flüchtlinge so schnell wie möglich an ihre Arbeitsplätze heranzuführen und, wenn die Einweisungen da sind, irgendwelche Unterbringungsmöglichkeiten zu schaffen. Der zweite, ebenso wichtige Grund ergibt sich aus der durch die Einrichtung sogenannter Gastlager geschaffenen Situation. Diese Gastlager sind entstanden durch Vereinbarungen von Aufnahmeländern, die keine Möglichkeit mehr zur Unterbringung der ihnen überwiesenen Flüchtlinge hatten, mit anderen Ländern, in deren Bereich es solche Möglichkeiten gab, vor allem durch das Vorhandensein von Einrichtungen, die zum früheren Reichseigentum gehörten, also von Kasernen oder Barackenlagern.
Zur Zeit befinden sich etwa 70 000 Flüchtlinge in solchen Gastlagern, wobei Nordrhein-Westfalen mit 17 und Baden-Württemberg mit 10 solcher Lager an der Spitze stehen. Nun ist aber im Zusammenhang mit den Aufgaben, die sich mit der Wiedereinführung der Wehrpflicht stellen, die Notwendigkeit, solche Gastlager aufzulösen, in greifbare Nähe gerückt. Damit steht man also nicht nur vor der Situation, daß die gegenwärtig in diesen Lagern befindlichen 70 000 Flüchtlinge untergebracht werden müssen, sondern für die Zukunft fallen diese 70 000 Plätze für die Unterbringung neuer Flüchtlinge aus. Vor allem aber — das ist der wichtigste Grund für die Verlängerung des Gesetzes — muß stets mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß wir wieder vor unerwarteten Situationen stehen, für die rechtzeitig Vorsorge zu treffen ist.
Auch bei einer Verlängerung des Gesetzes — das möchte ich ausdrücklich betonen — wird sich nichts daran ändern, daß die Räume, die beschlagnahmt werden können, nur zur vorübergehenden Unterbringung dienen dürfen, daß man also keinesfalls dadurch, daß man den Kreisen und Kommunen die Möglichkeit zur Beschlagnahme gibt, sie von der Verpflichtung zur Schaffung von endgültigem Wahnraum entbindet.
Es muß zum Schluß noch darauf hingewiesen werden, daß nach den bisherigen Erfahrungen in den meisten Fällen schon der Hinweis auf das Vorhandensein des Gesetzes genügte, um freiwillige Vereinbarungen zustande zu bringen.
Der Bundesrat hat dem Gesetzentwurf, der eine Verlängerung der Beschlagnahmemöglichkeit bis 31. März 1957 vorsieht, in der Sitzung vom 11. Februar 1955 zugestimmt. Auch der Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen hat der Verlängerung einstimmig seine Zustimmung gegeben.
An den Ausschußberatungen des Gesetzentwurf es war der Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung mitbeteiligt. Da es wegen der dortigen Geschäftslage nicht möglich war, die Beratungen so bald durchzuführen, wie es die Dringlichkeit dieser Angelegenheit erforderte, wurde dem Vorsitzenden dieses Ausschusses vorgeschlagen, eine eventuell von dem Beschluß des federführenden Ausschusses abweichende Ansicht bei den heutigen Beratungen in geeigneter Form zum Ausdruck zu bringen. Der Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen hat nur in § 3 eine Änderung des Regierungsentwurfs vorgenommen. Da man vermeiden wollte, daß auch nur vorübergehend ein gesetzloser Zustand eintritt, hat man das Inkrafttreten des Gesetzes auf den 1. April 1955 zurückdatiert, hat aber gleichzeitig dem Art. 103 Abs. 2 des Grundgesetzes, nach dem eine Rückwirkung von Strafvorschriften und damit auch von Bestimmungen hinsichtlich Ordnungswidrigkeiten unzulässig ist, dadurch Rechnung getragen, daß diese Bestimmungen erst mit der Verkündung des Gesetzes in Kraft treten sollen.
Ich darf im Namen des Ausschusses für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen das Hohe Haus bitten, dem Gesetzentwurf Drucksache 1210 in der vom Ausschuß vorgeschlagenen Fassung zuzustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich danke der Frau Berichterstatterin.
Wir treten in die zweite Lesung ein. Ich rufe auf § 1. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer § 1 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf § 2. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall; ich komme zur Abstimmung. Wer § 2 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe § 3 in der Einzelberatung auf. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall; ich schließe die Einzelberatung und komme zur Abstimmung. Wer dem § 3 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig verabschiedet.
Damit ist die zweite Lesung des Gesetzes beendet. Wir treten in die
dritte Lesung
ein. Da Änderungsanträge zur dritten Lesung nicht vorliegen, darf ich diejenigen, die dem Gesetz in der soeben beschlossenen Fassung auch in der dritten Lesung im ganzen zustimmen, bitten, sich vom Sitz zu erheben. — Das Gesetz ist einstimmig verabschiedet.
Ich rufe auf Punkt 6:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über weitere Ergänzungen und Änderungen des D-Markbilanzergänzungsgesetzes sowie über Ergänzungen des Altbanken-Bilanzgesetzes (Drucksache 1019); Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen (19. Ausschuß) (Drucksache 1364).
Hier liegt der Schriftliche Bericht*) des Kollegen Abgeordneten Seuffert vor. Er ist heute nicht da. Er hat mir aber sagen lassen, daß er seinem Schriftlichen Bericht auch heute keine ergänzenden Bemerkungen mehr hinzuzufügen habe. Ist das Haus damit einverstanden, daß ich sofort in die zweite Beratung eintrete? — Das ist der Fall.
Ich rufe auf Art. 1 in der Ausschußfassung. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe in der Ausschußfassung auf Art. 2, —3, — 4, — 5, — 6, — 7, — 8, — 9, — Einleitung und Überschrift. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den soeben aufgerufenen Artikeln, der Einleitung und der Überschrift in der zweiten Lesung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig verabschiedet.
Wir treten in die
dritte Lesung
ein. Änderungsanträge liegen nicht vor. Wer dem soeben in der zweiten Lesung verabschiedeten Gesetz in der dritten Lesung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Sitz zu erheben. — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
*) Siehe Anlage 3.
Meine Damen und Herren, ich gebe nun noch bekannt, daß wir interfraktionell vereinbart haben, die Punkte 3 — nämlich die Zündwarensteuer — und 4 — Zahlung einer Teuerungszulage an Rentner der Pensionskasse Deutscher Eisenbahner — der heutigen gedruckten Tagesordnung abzusetzen.
Ich rufe auf Punkt 3, der ursprünglich heute nicht dran war; er ist wohl von gestern übriggeblieben:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP, GB/BHE, DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung des Bundesversicherungsamts, die Aufsicht über die Sozialversicherungsträger und die Regelung von Verwaltungszuständigkeiten in der Sozialversicherung und der betrieblichen Altersfürsorge (Drucksache 1178).
Gestern wurde mir im Laufe der Verhandlungen schon einmal gesagt, daß die Einbringer auf eine mündliche Begründung verzichten wollten. Gilt das auch heute noch?
Ist das Haus damit einverstanden? — Dann verfahre ich so und eröffne sofort die Debatte in der ersten Lesung. Wer wünscht das Wort? — Abgeordneter Hansing!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Koalitionsparteien haben mit der Drucksache 1178 einen Gesetzentwurf eingebracht, der die Errichtung eines Bundesversicherungsamtes erstrebt. Die Größe des Bundesversicherungsamts, das errichtet werden soll, soll erheblich sein. Man rechnet für dieses Bundesversicherungsamt rund 100 Bedienstete; die Aufwendungen für dieses Versicherungsamt sind mit rund 1,4 Millionen veranschlagt.
Wenn ich heute den ablehnenden Standpunkt meiner Fraktion vertrete, so befinde ich mich in der angenehmen Lage, darauf verweisen zu können, daß unsere Beurteilung von maßgebenden Leuten der verschiedensten Lager geteilt wird. Nicht nur die Gewerkschaften, sondern auch die Arbeitgeberverbände lehnen diesen Gesetzentwurf ab, und das offizielle Organ der Ersatzkassen schreibt in der Aprilnummer, daß das Bundesversicherungsamt nicht notwendig sei. Ich glaube, daß, wenn ich die Gesichtspunkte einzeln aufgeführt habe, auch die Befürworter — ich hoffe das jedenfalls — davon überzeugt sind, daß ihr Gesetzentwurf keine Berechtigung hat.
Dieser Gesetzentwurf hat eine längere Entwicklung durchgemacht, ohne daß man nun sagen kann, daß er dadurch lebensfähiger geworden ist. Ganz im Gegenteil, ich glaube, heute hat der Gesetzentwurf weniger Berechtigung als vor drei Jahren. In dem Gesetzentwurf wird davon gesprochen, daß dieses Bundesversicherungsamt die Aufsicht über einige Nebenaufgaben und die Aufsicht über die bundesunmittelbaren Versicherungsträger ausüben soll. Ich meine, schon der Begriff, den der Entwurf für die Begrenzung der bundesunmittelbaren Versicherungsträger zugrunde legt, ist dem Grundgesetz nach sehr zweifelhaft. Schon hieraus ergibt sich die Wahrscheinlichkeit, daß das ohnehin schmale Aufgabengebiet noch verringert wird.
Die Antragsteller ziehen das Reichsversicherungsamt zum Vergleich heran. Ich bin der Meinung, dieser Vergleich des Reichsversicherungsamtes mit dem Bundesversicherungsamt sticht nicht; denn die letzten Entscheidungen, die früher vom Reichsversicherungsamt gefällt wurden, können heute vom Bundesversicherungsamt nicht mehr gefällt werden. Das Reichsversicherungsamt war in der Lage, Rechtsverordnungen herauszugeben. Nach dem Grundgesetz ist diese Regelung für das Bundesversicherungsamt nicht mehr möglich.
Geht man von dem Begriff des bundesunmittelbaren Versicherungsträgers aus, den der Entwurf zugrunde legt, dann ist von 17 Landesversicherungsanstalten eine einzige bundesunmittelbar, und zwar die viertkleinste. 16 Landesversicherungsanstalten, die teils größer, teils kleiner sind, sind zweifelsfrei landesunmittelbar. Weitere Beispiele ließen sich für die verschiedensten Gruppen der Sozialversicherungsträger bringen.
Ich meine aber, daß die Struktur unseres Verfassungsrechts es nicht zuläßt, dem Bundesversicherungsamt diese Aufgaben zu übertragen. Nach dem Grundgesetz unterstehen die meisten Sozialversicherungsträger den Landesbehörden. Der Entwurf hätte eine gewisse größere Resonanz und auch eine Berechtigung, wenn man beispielsweise den größten Sozialversicherungsträger, nämlich die Bundesanstalt für Angestelltenversicherung, ebenfalls unter dieses Bundesversicherungsamt stellte. Noch größer würde der Aufgabenbereich des Bundesversicherungsamtes, wenn man ihm auch die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung unterstellte. Liest man sich aber einmal den Gesetzentwurf durch, so stellt man fest, daß das Bundesarbeitsministerium dieses Bundesversicherungsamt deswegen wünscht, weil es sich von reinen Verwaltungsarbeiten entlasten will. Angenommen, es wäre so. Warum wird dann die Bundesanstalt für Angestelltenversicherung nicht diesem Bundesversicherungsamt unterstellt? Ich meine also, man kann nicht auf der einen Seite davon sprechen, sich von Verwaltungsarbeiten entlasten zu wollen, wenn man auf der andern Seite die beiden größten Sozialversicherungsträger nicht der Aufsicht dieses Bundesversicherungsamtes unterstellt. Das Bundesversicherungsamt wird einige Ersatzkassen, die Berufsgenossenschaften, die Seekasse und eine Landesversicherungsanstalt zu betreuen haben.
Ein weiterer entscheidender Punkt für unsere Ablehnung betrifft die Arbeitsausschüsse, die das Gesetz im Rahmen des Bundesversicherungsamtes vorsieht. Hier ist offensichtlich das Bestreben am Werke, die nicht ausreichende Substanz dadurch zu erweitern, daß man sich Arbeiten aneignet, die unmittelbar den einzelnen Ministern der Länder zustehen.
Ich glaube deshalb, daß schon aus diesen Gründen das Bundesversicherungsamt nicht existenzfähig ist.
Wenn man von einer Entlastung spricht, dann hätte das Bundesministerium für Arbeit — denn daher stammt der Entwurf — wenigstens die größten Sozialversicherungsträger, die bundesunmittelbar sind, in den Entwurf hineinnehmen sollen. Wir sollten alles tun, der gerade einigermaßen auf den Beinen stehenden Selbstverwaltung unserer Sozialversicherungsträger jede nur mögliche Unterstützung zu geben. Wir sollten aber alles unter-
lassen, was der Selbstverwaltung im Wege und ein Hindernis sein kann. Wenn man dagegen einwenden wollte, daß die Aufgabe der Koordination zwischen den einzelnen Versicherungsträgern heute durch die Selbstverwaltung nicht ausreichend erledigt werde, so kann gerade dieser Einwand nur meine Forderung unterstützen, den Selbstverwaltungen möglichst weite und große Entfaltung zu geben.
Dieses Bundesversicherungsamt wird als Bundesoberbehörde bestrebt sein, Arbeiten an sich zu ziehen, die in die Sphäre der Selbstverwaltung gehören. Wenn die Grenzen nicht direkt überschritten werden, so werden sie indirekt überschritten. 108 Bedienstete müssen nicht nur, sondern wollen auch beschäftigt werden, und Ausschüsse wollen nicht nur tagen, sondern wollen auch kraft ihres Amtes walten.
Wenn man sich diesen ganzen Entwurf näher betrachtet, kommt man zu dem Schluß, daß hinter ihm nicht etwa notwendige Interessen, sondern einzelne Interessengruppen und einzelne Interessenverbände stehen.
— Ich sagte, daß hier vielleicht jemand unbedingt Präsident der Anstalt werden will!
Ich habe schon einleitend gesagt, daß dieser Gesetzentwurf trotz seiner langen Entwicklung nicht lebensfähig geworden ist. Dieses Bundesversicherungsamt ist nicht nur überflüssig, sondern wird auch der Selbstverwaltung unserer Versicherungsträger im Wege stehen. Wir sollten der Selbstverwaltung mehr Raum und mehr Luft zum Leben geben, damit die Selbstverwaltung für die Sozialversicherungsträger wirklich ersprießlich arbeiten kann.
Es ist möglich, daß der Vertreter der Koalitionsparteien den Antrag stellen wird, diesen Entwurf dem Sozialpolitischen Ausschuß zu überweisen.
Der Sozialpolitische Auschuß hat zur Zeit soviel andere Aufgaben, daß er sich mit einem derartigen Entwurf, der meines Erachtens überflüssig ist, nicht beschäftigen sollte.
Ich stelle daher den Antrag, diesen Entwurf abzulehnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Ruf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will ganz kurz auf die Einwände des Vertreters der SPD-Fraktion eingehen. Er hat erklärt, dieser Gesetzentwurf sei überflüssig, wir brauchten ihn gar nicht einzubringen. Ich will Ihnen sagen, meine Damen und Herren: Dieser Gesetzentwurf ist tatsächlich notwendig. Es handelt sich ja nicht nur um die Errichtung des Bundesversicherungsamtes.
— Ich mache Ihnen ja auch nicht solche Vorwürfe, wenn Sie Gesetzentwürfe einbringen, Herr Kollege Richter.
Ich darf Ihnen ganz kurz sagen, worum es geht. Es geht darum, die Aufsicht über die Sozialversicherungsträger unid die Verwaltungszuständigkeiten in der Sozialversicherung neu zu regeln und neu zu ordnen. Da besteht wirklich ein Bedürfnis; das werden Sie nicht bestreiten können, Herr Kollege Richter.
Was nun das Bundesversicherungsamt angeht: Wenn jetzt durch die Schaffung des Sozialgerichtsgesetzes auch eine wesentliche Aufgabe des früheren Reichsversicherungsamtes weggefallen ist, so brauchen wir trotzdem für bestimmte Aufgaben ein Bundesversicherungsamt. Es ist nämlich gar nicht so, daß diesem Bundesversicherungsamt nur ein ganz geringer Kreis von Aufsichtsbefugnissen obliegen würde. Ich darf Ihnen sagen, welche bundesunmittelbaren Sozialversicherungsträger dem Bundesversicherungsamt unterstellt werden sollen. Es handelt sich um fünf Arbeiterersatzkassen; es handelt sich um sieben Angestelltenersatzkassen, darunter sehr 'große Ersatzkassen; es handelt sich um eine Ortskrankenkasse; ,es handelt sich um eine ganze Reihe von Betriebskrankenkassen, die über das Gebiet eines Landes hinausgehen. Wie ich hier sehe, sind es 92 Betriebskrankenkassen. Weiter handelt es sich vor allem um den größten Teil der gewerblichen Berufsgenossenschaften.
Sie haben vorhin erklärt, diese Sozialversicherungsträger hätten es abgelehnt, jedenfalls hätten sie gesagt, ein Bundesversicherungsamt sei nicht notwendig. Aber gerade die Vertreter der wichtigsten Gruppe, nämlich der gewerblichen Berufsgenossenschaften, haben sich seinerzeit bei der Besprechurig im Bundesarbeitsministerium für die Errichtung eines Bundesversicherungsamtes ausgesprochen.
Wenn die Bundesanstalt für Angestelltenversicherung nicht dem Bundesversicherungsamt unterstellt wird, dann darf ich Sie darauf verweisen, daß die Angestelltenversicherung bis 1934 im Arbeitsministerium war. Erst im Jahre 1934 ist sie dem Reichsversicherungsamt unterstellt worden. Die Bundesanstalt in Nürnberg ist noch nie dem Reichsversicherungsamt unterstellt gewesen; sie war von jeher im Reichsarbeitsministerium bzw. im Bundesarbeitsministerium — aus ganz guten sachlichen Gründen.
Ich meine überhaupt, es handelt sich hier doch mehr oder weniger um organisatorische Fragen und nicht um Fragen, die weltanschaulichen, grundsätzlichen Charakter haben. Wir brauchen uns gar nicht zu streiten, wir können uns im Ausschuß wirklich in aller Ruhe über diese Zweckmäßigkeitsfragen unterhalten. Ich glaube, wir sollten jetzt nicht allzusehr auf Einzelheiten eingehen.
Nur auf eines möchte ich Sie noch aufmerksam machen, Herr Kollege. Sie sagen, durch diesen Gesetzentwurf könnte die Selbstverwaltung eingeschränkt werden. Das ist eben nicht der Fall. In diesem Gesetzentwurf wird ausdrücklich gesagt, daß sich die Aufsicht — im Gegensatz zu früher — lediglich auf die Einhaltung von Gesetz und Satzung beschränken soll. Es wird keine neue Aufsicht geschaffen, Herr Kollege Richter, sondern das Aufsichtswesen, das doch sehr zersplittert ist, das gesetzlich gar nicht genügend geregelt ist — das
werden Sie nicht bestreiten -, wird lediglich koordiniert. Denn daß der Arbeitsminister, ich glaube, im Jahre 1941, seine Aufsichtsbefugnisse durch Erlaß auf die Arbeitsminister der Länder delegiert hat, das ist immerhin rechtlich etwas fragwürdig. Ich meine, von diesem Gesichtspunkt her gesehen, besteht wirklich ein Bedürfnis, diese Dinge zu regeln. Die Selbstverwaltung also wird nicht eingeschränkt; im Gegenteil, sie wird geschützt.
Nun zu den Arbeitsausschüssen. Ich weiß nicht, ob es nicht doch gut wäre, wenn wir heute schon solche Arbeitsausschüsse hätten. Wir haben alle miteinander im Zusammenhang mit dem Kassenarztrecht von den Ortskrankenkassen diese kleine Broschüre zugeschickt bekommen. Sie kennen die Angriffe auf die Sozialversicherung, die in letzter Zeit in der illustrierten Presse usw. gestartet worden sind. Da wird nun von einem Vertreter der Sozialversicherung gesagt, die Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger sollten mit den Bundesverbänden der Ärzte usw. eine gemeinsame Abwehrstelle errichten. Wäre es nicht gut, wenn wir jetzt schon eine solche gemeinsame Abwehrstelle hätten? Ich glaube, wir würden der ganzen Sozialversicherung wirklich einen Dienst erweisen, wenn wir uns im Ausschuß darüber noch irgendwie Gedanken machten.
Ich meine, es hat auch seinen Sinn, wenn unter dem Vorsitz des Bundesarbeitsministers die Vertreter der Sozialversicherung, die Vertreter der Länderminister beisammensitzen. Sie wissen ja, daß die Aufsicht - ich habe es vorhin schon gesagt - sehr zersplittert ist. Es ist gut, wenn diese Aufsicht in etwa koordiniert wird. Aber haben Sie
keine Angst vor dem Wort „koordinieren". Sie sind ja dabei. Es wird ja kein zusätzlicher Zwang dadurch geschaffen.
Wir haben uns als Koalitionsparteien natürlich Gedanken darüber gemacht, ob wir diesen Entwurf, den die Freunde aus dem 1. Bundestag in seinen Hauptpunkten ja schon kennen, wieder einbringen sollten. Wir haben uns dazu entschlossen, weil wir der Überzeugung sind, daß es höchste Zeit ist, diese organisatorischen Fragen zu regeln und auf diesem Gebiet zu einem Abschluß zu kommen.
Deswegen, meine Damen und Herren, bitte ich Sie, der Überweisung an den Sozialpolitischen Ausschuß - er ist zugegebenermaßen stark belastet, aber er muß sich eben nun einmal auch dieser Aufgabe annehmen - zuzustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung der ersten Lesung des Gesetzes. Es liegen zwei Anträge vor: der eine, die Drucksache 1178 an den Ausschuß für Sozialpolitik zu überweisen, der andere, das Gesetz schon in der ersten Lesung abzulehnen. Über den Antrag auf Ausschußüberweisung muß nach unserer Geschäftsordnung zuerst abgestimmt werden. Wer dem Überweisungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit; die Überweisung ist erfolgt.
Damit, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind wir am Schluß unserer heutigen Plenarsitzung. Ich berufe die nächste, die 82. Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 25. Mai 1955, 14 Uhr, und schließe die heutige Sitzung.