Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren Abgeordneten des Deutschen Bundestages! Es ist nicht mein Verdienst, daß ich hier heute, einem alten Brauche folgend, an dieser Stelle stehe. Es war der Wunsch des Herrn Bundeskanzlers, in Übereinstimmung mit Art. 69 Abs. 3 des Grundgesetzes von seinem altersmäßigen Vorrang keinen Gebrauch zu machen, und es ist ein für mich gütiges Geschick, das mich alt genug hat werden lassen, um zu Ihnen, meine Damen und Herren, sprechen und die zweite Wahlperiode des Deutschen Bundestages gemäß § 1 Abs. 2 der Geschäftsordnung des ersten Deutschen Bundestages eröffnen zu dürfen.
Meine Damen und Herren, ich bin geboren am 25. Juni 1878. Ich darf fragen, ob sich ein Mitglied im Hohen Hause befindet, das zu einem früheren Termin geboren ist. Dann bitte ich es, sich zu melden. — Das ist offenbar nicht der Fall.
Dann erkläre ich die erste Sitzung der zweiten Wahlperiode des Deutschen Bundestages der Bundesrepublik Deutschland für eröffnet.
Ich darf zunächst vier Mitglieder des Hohen Hauses bitten, mir als vorläufige Schriftführer zur Seite zu stehen, und zwar bitte ich die Abgeordnete Frau Albertz, Herrn Abgeordneten Huth, Herrn Abgeordneten Karpf und Herrn Abgeordneten Matzner, dieses Amt zu übernehmen. Ich. darf Frau Abgeordnete Albertz und Herrn Abgeordneten Huth bitten, neben mir Platz zu nehmen. Die beiden anderen Mitglieder des Hohen Hauses bitte ich, sich zu den Wahlurnen zu begeben, sobald wir zur Wahl des Präsidenten kommen.
Meine Damen und Herren, diese Stunde wird durch die Erinnerung an den schmerzlichen Verlust überschattet,
der uns alle mit dem Tode des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Professor Dr. Ernst Reuter, meines Vorsitzenden und Kollegen im Berliner Stadtrat, getroffen hat. Wir gedenken heute vor allen anderen der trauernden Familie. Wir gedenken seiner Witwe, seiner treuen Begleiterin und unermüdlich sorgenden Helferin. Wir gedenken neben ihr der Kinder und Schwiegerkinder, die des wegweisenden Vorbildes beraubt worden sind.
Der Regierende Bürgermeister von Berlin ist mitten im Kampf um die Freiheit Berlins, um die Wiedervereinigung Deutschlands von unserer Seite gerissen worden. In ihm hat nicht nur Berlin, hat nicht nur Deutschland, sondern in ihm hat die ganze Freiheit und Recht verteidigende Welt einen unerschütterlichen Kampfgenossen verloren, dessen leidenschaftlichen Willen nur ,der Tod zu brechen vermochte. Das wissen vor allem die, welche — wie ich selber — in den dunkelsten Jahren Berlins unter seiner' Führung unserem höchsten Ziele zugestrebt und dafür gearbeitet haben.
Der Lebenslauf dieses erfahrenen, immer tätigen und — wie es schien — nimmermüden Mannes ist den meisten von Ihnen aus vielfacher persönlicher Begegnung bekannt. Mit Ihrer Arbeit, meine Damen und Herren, war er als Vertreter Berlins beim Bundesrat eng verbunden.
Von Jahr zu Jahr, von Stunde zu Stunde wuchs die Last seiner Aufgabe im Ringen gegen die schwerste wirtschaftliche und soziale Not, gegen die politische Bedrohung Berlins aus dem Osten. Der Kampf Berlins, der nach und nach zu einem Kampf Deutschlands, zu einem Weltkampf der Geister zwischen Licht und Finsternis wurde, verlangte Hilfe von allen Seiten. Sie wurde gestellt aus Deutschland von Parlament und Bundesregierung. Die freie Welt jenseits unserer Grenzen trat an unsere Seite in dem Kampf um die Rückgewinnung der heimatlichen Erde für Millionen Deutscher „zu einem freien Leben auf freiem Grund". Es ist nicht zuletzt das Verdienst des heimgegangenen Regierenden Bürgermeisters von Berlin, daß sich nach und nach die immer noch fühlbare Skepsis in den guten Willen und in die Aufrichtigkeit des politischen Wollens Deutschlands in Achtung und schließlich in Vertrauen gewandelt hat. Es ist nicht zuletzt auch sein Verdienst, daß man jenseits des Eisernen Vorhangs doch so weit wenigstens Respekt verspürte, daß die stets griffbereite Hand, auf Berlin und die übrige freie Welt zuzuschlagen, bislang gelähmt worden ist.
Für all das danken wir alle dem toten Vorkämpfer, der zu einer symbolhaften Figur für die Hoffnung auf die Erfüllung unseres letzten großen politischen Wunsches geworden ist.
Sie haben sich zu seinem ehrenden Gedenken erhoben. Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren! Auch der erste Bundestag und mit ihm die Regierung haben in der Zeit nach seinem ersten Zusammentritt schwer ringen müssen. Alle staatlichen und verwaltungsorganisatorischen Grundlagen mußten nach dem allgemeinen Zusammenbruch, der alles mit sich riß, neu aufgerichtet werden. Das in Teile zerfallene Gebiet der drei westlichen Besatzungszonen mußte zu einem einheitlichen Staatswesen zusammengefügt werden. Aber nicht nur die Schaffung einer neuen äußeren Form war die ihnen gestellte Aufgabe, sondern diese Form mußte für die irregeführten Bewohner unseres Landes mit einem neuen Staatsinhalt erfüllt werden, der ihre skrupellos mißbrauchte Gläubigkeit und ihre so bitter enttäuschte Hoffnung wiederbelebte. In der üblichen Form ,der Gesetzgebung und des Aufbaus der zerstörten Verwaltung allein konnte die Aufgabe nicht bewältigt werden. Sie lag weitgehend im Menschlichen gegenüber den Millionen von tiefster Not Bedrohten.
Gleichzeitig — und was bedeutet das in diesem Zusammenhang: gleichzeitig! — waren die schwierigsten innen- und außenpolitischen Entscheidungen zu treffen, bei denen Sie, meine Damen und Herren, nur zu oft auf vielleicht verständliche und doch unverständige Widerstände von außen stießen. Der erste Bundestag mußte die auf Jahrzehnte und länger berechnete natürliche Wachstumsphase eines jeden Staates auf wenige Jahre zusammendrängen. Er mußte dabei — sehr gegen seinen Willen — dem Zwang zu überhasteter Gesetzgebung unterliegen, deren häufige Änderungen die Außenstehenden verstimmten. Dem neuen Bundestag kann man nur von Herzen wünschen, daß er in Zukunft mit weit größerer Gelassenheit und dadurch auch mit erhöhter Sorgfalt die vom ersten Bundestag geschaffenen Grundlagen ausbaut und vieles vollenden kann, was jener Bundestag begonnen hat.
Aber neben der notwendigen Konsolidierung der inneren Ordnung stehen auch weiterhin gewaltige Aufgaben aus den noch keineswegs überwundenen Folgen des Krieges und seines katastrophalen Endes vor uns. An erster Stelle steht für uns alle die staatliche Vereinigung des geschichtlich gewordenen Volksraumes, nicht nur in geographischer und wirtschaftlicher, sondern auch in sozialer und mitmenschlicher Beziehung. Das ist nicht nur ein nationalpolitisches Ziel, sondern es ist der wesentliche Beitrag zum Frieden in der Welt überhaupt. Voraussetzung für diesen unsern Friedensbeitrag ist allerdings, daß man uns die Möglichkeit dazu gibt, uns dafür in Freiheit zu betätigen. Das wird auch der Prüfstein für den echten Friedenswillen der großen Mächte in der Welt sein, ob und inwieweit sie den Weg zur deutschen Wiedervereinigung uns zu öffnen bereit sind. Der letzte Beweis, daß a 11 e dieses guten Willens sind, wird an dem Tage erbracht sein, an dem auch der letzte deutsche Gefangene in seine Heimat zurückgekehrt ist und die Versöhnung der Völker dem Tode von Millionen nachträglich doch noch einen Sinn gibt.
Die Festigung des Weltfriedens wird von dem Erfolg der Bemühungen abhängen, die europäischen Staaten nach einem Jahrtausend immer neu entbrennender Fehden miteinander endgültig zu versöhnen und zu verbinden.
Schwere und mühselige, ja vor allem liebevolle Arbeit, meine Damen und Herren, liegt noch immer vor uns in dem Bemühen, die wirtschaftlichen und menschlichen Trümmer aus dem Zusammenbruch der Lebensgrundlage von Millionen fortzuräumen. Die große soziale Aufgabe unserer Zeit liegt darin, die Entwurzelten wieder zu verwurzeln, die aus Heim und Heimat Vertriebenen, aus Arbeit und Brot Gerissenen mit menschlicher Wärme und seelischer Hilfe in die neue Heimat, in neue Arbeitsplätze einzugliedern. Sie besteht darin, aus Mitbewohnern echte, voll und gern anerkannte Mitbürger, aus Versorgten wieder auf eigenen Füßen stehende Versorger zu machen. Eine menschliche Gesellschaftsordnung kann nicht nur mit Gesetzen hergestellt werden. Dem Menschen muß die Möglichkeit gegeben werden, als Mensch in Freiheit und Gesittung zu leben, bereit, in eigener, echter Lebensverantwortung für sich und ,die Seinen einzustehen.
Aber, meine Damen und Herren, auch dafür gilt K a n t s Wort — und das möge die Welt wissen —: Der Mensch muß fr ei sein, um sich seiner Kräfte zweckmäßig bedienen zu können.
Seßhafte, mit Staat und Gesellschaft auch seelisch verbundene Bürger bedürfen der Wohnungen als Heim und Pflanzstätten gesunden Familienlebens. Sie bedürfen der materiellen Grundlage durch gesicherte Arbeit. Der erste Bundestag hat einen sehr verdienstvollen Anfang auf beiden Gebieten gemacht trotz des unaufhaltsamen, immer neuen Zustroms aus der auf uns wartenden östlichen Heimat. Aber das Werk der deutschen Neuordnung ist noch lange nicht zu Ende! Noch treten Millionen durch fremde Haustüren in fremde Räume, noch hetzen zahllose Witwen zur Arbeit aus dem Haus, die Kinder voller Sorge hinter sich lassend. Noch finden zahllose Versehrte nicht die menschlich mittragende Hilfe, die ihnen die körperlichen Leiden leichter macht. Noch stehen Hunderttausende, denen es besser geht als jenen, abseits, die mit dem Einsatz der „Politik des Herzens" den Alten, Kranken, den familienlosen Jungen viele dunkle Stunden des trüben Alltags erhellen und sie davor bewahren könnten, zu Feinden der Gesellschaft zu werden, mit Gott und der Welt zu hadern.
Auch für die auf der Schattenseite des Lebens Stehenden hat der erste Bundestag sehr große Anstrengungen gemacht und vielfältige Not bereits gelindert. Die Voraussetzung für weitere Erfolge ist und bleibt aber die Steigerung der Produktivität durch erhöhten Leistungswillen und erhöhter Ertrag, an dem alle teilhaben können. Es ist Sache der politischen Entscheidung, die noch vielfach umstrittenen, geeigneten Modalitäten zu finden, um gemeinsam auf dem Weg zu dem erstrebten Ziel fortzuschreiten. Auch das wird dazu beitragen, neben den zerstörten materiellen Werten die unersetzlichen inneren, die zerbrochenen menschlichen Werte wiederaufzurichten, indem wir Lebensbedingungen schaffen, in denen echte humane Gesinnung und Betätigung wieder gedeihen können. Daß dies möglich ist, meine Damen und Herren, beweist die ungebrochene deutsche Lebens-
kraft, die aus geistigen Quellen genährt wird und sich auch in die Leistung des letzten Werktätigen umsetzt.
Damit steht auch die Gestaltung des äußeren kulturellen Rahmens, des Erziehungs- und Bildungswesens in engem Zusammenhang. Das ist zwar nicht die unmittelbare Aufgabe der Bundesgesetzgebung im einzelnen, aber die politischen und gesellschaftlichen Bedingungen sind für jedes Gesetz von Bedeutung, und so auch auf diesem Gebiet.
Aber, ich sagte es schon, Gesetze allein tun es nicht, sondern die persönliche Haltung jedes einzelnen in der Familie, in den Organisationen und, meine Damen und Herren, auch hier in diesem Hohen Hause ist letztlich entscheidend. Der Wahlkampf liegt hinter uns; die sachliche Arbeit beginnt. Schlagworte und Parolen haben ihren Wert und ihre Anziehungskraft verloren; Erfahrung, Kenntnisse, Erkenntnisse, Fähigkeiten und der Wille zur Duldsamkeit müssen an ihre Stelle treten und sollen sich bewähren. Ohne sie ist die Durchführung der uns gestellten Aufgaben unmöglich.
Und noch ein kurzes Wort zur Presse. Gestern fand sich in einer großen Tageszeitung eine Betrachtung mit der Überschrift „Start für den neuen Bundestag". Das Wort „Start" bedeutet, daß man zu einem Wettlauf angetreten ist. Meine Damen und Herren, treten wir diesen Wettlauf an um gute Gedanken und nicht um laute Worte, treten wir ihn an mit der Gesinnung der Loyalität auch gegenüber dem eventuellen Verlierer. Seien wir uns bewußt, daß die Presse mit ermunterndem Zuruf und ebenso mit ernster Kritik unsere Arbeit fördern kann und wir dafür dankbar sein müssen. Die Presse aber bedenke auch, daß sie mit willkürlich auf die Rennbahn gelegten Hindernissen nicht nur den einzelnen Läufer, nicht nur das ganze Team, sondern in unserem Fall ganz Deutschland zu Fall bringen kann.
Es bleibt mir noch, all jenen zu danken, die diesen erweiterten Raum, in dem wir jetzt tagen sollen, für uns mit bewundernswerter Pünktlichkeit in nie erlahmender Leistungsbereitschaft aller Beteiligten hergestellt haben.
Auch dieser Raum, meine Damen und Herren — und ich sage das offen, nicht nur als Berlinerin, sondern als Deutsche —, soll trotz aller darauf verwendeten Mühe nur provisorisch sein.
Wir haben noch kein gesamtdeutsches Parlament; aber wir werden es bekommen.
Wir werden es deshalb bekommen, weil wir in diesem gemeinsamen Willen zusammenstehen. Ich darf die Hoffnung aussprechen, die Sie gewiß alle mit mir teilen werden, daß der nächste Alterspräsident in der früheren Hauptstadt Berlin wieder den Deutschen Reichstag — oder wie immer er heißen mag — wird eröffnen können.
Meine Damen und Herren, wir werden es erreichen, wenn wir alle zu jeder Stunde des Wortes eingedenk sind: „Der Mensch hat immer noch Kraft genug, um das zu tun, was er als recht erkannt hat."
Leben und arbeiten wir in dieser Gewißheit, so können wir vielleicht hoffen, am Ende unseres Lebens mit dem Apostel Paulus im zweiten Brief an Timotheus sagen zu können: „Ich habe einen guten Kampf gekämpft."
Ich bitte nun den Schriftführer zu meiner Rechten, die Namen der entschuldigten Abgeordneten bekanntzugeben.
Es suchen für längere Zeit um Urlaub nach Abgeordneter Brockmann für vier Wochen wegen Krankheit, Abgeordneter Dr. Arndt für vier Wochen wegen Krankheit, Abgeordneter Dr. Maier (Stuttgart) für vier Wochen wegen Krankheit, Abgeordneter Böhner für vier Wochen wegen Krankheit, Abgeordneter Richter für vier Wochen wegen Krankheit, Abgeordneter Dr. Vogel für vier Wochen wegen Krankheit, Abgeordneter Struve für drei Wochen wegen Krankheit, Abgeordneter Müller-Hermann für drei Wochen wegen Krankheit.
Ich darf unterstellen, daß das Haus mit der Erteilung des erbetenen, über eine Woche hinausgehenden Urlaubs einverstanden ist. — Das ist der Fall.
Entschuldigt fehlt der Abgeordnete Neuburger.
Nach der Tagesordnung müßte nunmehr der Namensaufruf erfolgen. Ich schlage Ihnen vor, zur Vereinfachung des Geschäftsganges den Namensaufruf mit Punkt 2 der Tagesordnung:
Wahl des Präsidenten
zu verbinden. — Ich 'darf annehmen, daß das Hohe Haus mit diesem Vorschlag einverstanden ist.
Wir schreiten nun zur Wahl des Präsidenten des Deutschen Bundestages. Der Sitzungsvorstand ist sich darüber einig, daß das Haus beschlußfähig ist.
Ich bitte um einen Vorschlag zur Wahl des Präsidenten.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Namen der Fraktion der Christlich-Demokratischen und der ChristlichSozialen Union schlage ich als Präsidenten des zweiten Deutschen Bundestages den Abgeordneten Dr. Hermann Ehlers vor.
Sie haben den Vorschlag gehört. Werden Gegenvorschläge gemacht? — Das ist nicht der Fall.
Ich bitte die Herren Abgeordneten Karpf und Matzner, sich bei den Urnen aufzustellen. Bei der Wahlhandlung bitte ich die Mitglieder des Hauses sich der weißen Karten ohne Namenaufdruck zu bedienen und den Namen des Abgeordneten daraufzuschreiben, den sie wählen wollen. Bei Stimmenthaltung bitte ich die Karte unbeschrieben abzugeben.
Ich bitte den Schriftführer zur Rechten, mit dem alphabetischen Namensaufruf zu beginnen. Die aufgerufenen Damen und Herren bitte ich, ihre Stimmzettel in die Urne einzuwerfen und dabei ihren Namen laut zu nennen. Auf Ihren Plätzen, meine Damen und Herren, liegt eine
alphabetische Mitgliederliste auf. Ich darf Sie zur Beschleunigung der Abstimmung bitten, die Liste zu verfolgen und sich nach vorn zu bemühen, sobald Sie an der Reihe sind. Ich mache dabei darauf aufmerksam, daß für die Berliner Abgeordneten eine besondere Urne aufgestellt ist.
Meine Damen und Herren, ich darf noch einmal darauf aufmerksam machen, daß jeder Abgeordnete, der seinen Zettel an der Urne abgibt, seinen Namen laut und deutlich bekanntgibt.
Meine Damen und Herren, ich möchte fragen, ob sich ein Mitglied des Hauses im Saal befindet, dessen Name nicht verlesen worden ist. — Das ist nicht der Fall. Dann erkläre ich die Wahl für geschlossen und bitte die Schriftführer, die Stimmen auszuzählen.
Ich darf mir den Vorschlag erlauben, daß wir 15 Minuten Pause machen, um den Schriftführern genügend Zeit zu geben.
Meine Damen und Herren! Die Wahl hat folgendes vorläufiges Ergebnis*) : Es wurden 499 Stimmen abgegeben. Damit ist die Beschlußfähigkeit des Hohen Hauses bestätigt.
Es wurden 29 weiße Karten abgegeben. Drei Stimmen waren ungültig. Nach § 2 der Geschäftsordnung ist der Kandidat gewählt, auf den die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen entfällt. Mit Namen versehene Stimmen sind 467 abgegeben worden. Der Abgeordnete D r. Ehlers erhielt 467 von diesen 467 Stimmen.
Damit ist der Abgeordnete Dr. Ehlers mit der Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen gewählt.
Herr Abgeordneter Dr. Ehlers, ich frage Sie: Nehmen Sie die Wahl an?
Ich nehme die Wahl an.
Durch die Annahme der Wahl wurden Sie gemäß Art. 40 des Grundgesetzes und § 2 der Geschäftsordnung ordnungsgemäß bestellter Präsident des Deutschen Bundestages mit den Rechten und Pflichten, die sich aus Art. 40 des Grundgesetzes und § 7 der Geschäftsordnung ergeben. Ich übermittle Ihnen die Glückwünsche des Hauses und meine persönlichen Glückwünsche und bitte Sie, Ihren Platz hier oben einzunehmen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe Ihnen für die Wahl zum Präsidenten des zweiten Deutschen Bundes-
*) Endgültiges Ergebnis:
Abgegebene Stimmen 500
Weiße Karten 30
Ungültig 4
Gültige Stimmen für den
Abgeordneten D. Dr. Ehlers . . . . 466
tages zu danken und ,darf hoffen, daß ich dem freundlichen Hinweis der Frau Alterspräsidentin auf die Pflichten des Präsidenten zu entsprechen vermag.
Ich danke der Frau Alterspräsidentin, daß sie sich der ehrenvollen Mühe, ich darf auch wohl sagen, mit Freude unterzogen hat, die erste Sitzung des zweiten Deutschen Bundestages in dieser eindrucksvollen und uns verpflichtenden Weise zu eröffnen.
In den vergangenen drei Jahren habe ich die Ehre gehabt, daß mich ,alle Kollegen des Bundestages bei dem Bemühen, dem deutschen Parlament ein Gesicht zu geben und seine Würde in der Öffentlichkeit zu sichern, in mannigfacher Weise unterstützt haben. Ich kann heute nichtsanderes tun, als Sie zu bitten, daß meine Herren Stellvertreter und ich die Gewißheit dieser Unterstützung auch für ,die Zukunft haben dürfen.
Wir sind uns alle der tragischen Folgen bewußt, die daraus entstanden sind, daß vor dreißig Jahren das deutsche Volk die Aufgabe und die Verpflichtung seines Parlaments nicht verstanden hat. Erst die unheilvolle und unbegründete Distanzierung zwischen Parlament und Volk, die trotz vieler ehrlicher Bemühungen damals nicht hinreichend überwunden werden konnte, hat es gewissenlosen Demagogen möglich gemacht, die Herrschaft in Deutschland an sich zu bringen und unser ganzes Volk in ein namenloses Unglück zu stürzen. Es ist an uns allen, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, durch die Darstellung unseres Wollens und durch unsere Arbeit daran mitzuwirken, daß heute eine andere innere Verbindung zwischen Volk und Parlament wächst und die Bürger unseres Staates ein tragfähigeres Verhältnis zu dem von ihnen gewählten Parlament gewinnen. Wir werden sicher bereit sein, jede gerechtfertigte Kritik an unserer Arbeit zu hören, und wir werden 'uns mühen, unsere Arbeit so gut und wirksam zu tun, wie es unsere Kräfte und die allgemeinen Verhältnisse zulassen. Jedem aber, der mit leeren Phrasen und kaum getarnter Feindschaft gegen die Institutionen unseres Staates unser Volk noch einmal auf den Weg des Unheils führen will, werden wir mit aller Tatkraft entgegenzutreten haben.
Hier ist eine Aufgabe ides ganzen Parlaments gegeben.
Die Wahl, der der zweite Deutsche Bundestag seine Existenz verdankt, ist entsprechend dem Grundgesetz und gemäß der politischen Lage unseres Staates als eine scharfe Auseinandersetzung der Parteien durchgeführt worden. Auch nachdem die Wahlen vorüber sind, gibt es in diesem Hause Parteien und politische Meinungsverschiedenheiten. Wir dürfen aber hoffen, daß das Gewicht nun nicht in der Fortsetzung der Wahlkampfdebatten, sondern in der praktischen parlamentarischen Arbeit für unser Volk liegen wird.
Wir haben nicht das Ideal, immer ein e Meinung zu haben, und diejenigen Menschen, denen dieses Ideal vorschwebt, scheinen sich der Gefahren einer falschen Einstimmigkeit, die wir deutlich vor Augen geführt bekommen haben, nicht mehr bewußt zu sein.
Aber es wäre gut, wenn wir die Grenze, bis zu der eine gemeinsame Arbeit und Entscheidung möglich ist, immer wieder neu überprüfen würden und wenn besonders die entscheidenden Fragen unseres staatlichen und volklichen Lebens von einer möglichst breiten Basis aus entschieden werden könnten.
Eines ist aber über Parteien und politischen Meinungsstreit hinaus uns allen befohlen: die Wahrung der Würde und der Rechte des Parlaments insgesamt. Die Demokratie und ihre Ordnung ist uns allen anvertraut. Das Grundgesetz unseres Staates gibt dem Parlament seine besondere Stellung neben den übrigen Organen des Staates. Diese Stellung zu wahren, sie mit Leben zu erfüllen und sie notfalls auch zu verteidigen, müßte unser aller gemeinsames Anliegen sein.
Nur so kann das Parlament ein Niederschlag des politischen Willens der Nation, nur so kann es der belebende und prägende Faktor für das politische Leben unseres Volkes überhaupt sein.
Ich bitte alle, die die Möglichkeit dazu haben, uns bei der Erfüllung dieser Aufgabe zu unterstützen. Das gilt insbesondere den Stellen und Menschen, denen die Aufgabe der Unterrichtung des Volkes über das parlamentarische Leben gestellt ist. Wenn der erste Deutsche Bundestag in zunehmendem Maße sich des Verständnisses und der Achtung weiter Kreise des Volkes erfreuen konnte, so ist das nicht zum wenigsten denen zu danken, die in objektiver und in förderlich kritischer Weise über die Arbeit des Parlaments in der Presse und im Rundfunk berichtet haben.
Wir geben uns nicht der Erwartung hin, daß wir künftig allen zu Gefallen arbeiten können. Aber wir sind bereit, auch künftig jede sachlich gerechtfertigte Kritik zu hören. Wir haben nur die Bitte, daß Berichterstattung und Kritik das Maß des Möglichen erkennen und mit uns zusammen dem Ziel dienen, die Erfüllung der uns gestellten Aufgaben im Interesse des ganzen Volkes zu erleichtern.
Ich habe heute allen denen zu danken, die im ersten Deutschen Bundestag ihren Beitrag zu dieser großen Aufgabe geleistet haben. Den Kollegen, die aus eigenem Entschluß oder durch die Entscheidung der Wähler nicht wiedergekehrt sind und die ihre Kraft vier Jahre hindurch dem Aufbau einer neuen staatlichen Ordnung in unserem Volke geweiht haben, zu danken, ist mir Pflicht und Bedürfnis.
Ich begrüße die Abgeordneten, die ihren Platz in diesem Hause erneut eingenommen haben. Sie sind die Träger 'der parlamentarischen Tradition, die — wenn auch vielleicht erst in bescheidenem Maße — unter uns gewachsen ist. Und ich heiße die Kollegen willkommen, die zum erstenmal dem Deutschen Bundestag angehören. Ich bin gewiß, daß sie, wenn auch zunächst nicht mit der parlamentarischen Routine, aber — was wichtiger ist — mit dem festen Willen hergekommen sind, die ihnen vom Volk aufgetragene Verantwortung mit aller Sorgfalt und dem notwendigen Einsatz wahrzunehmen.
Ich begrüße an dem Tage, an dem der Deutsche Bundestag des heimgerufenen Regierenden Bürgermeisters der Stadt Berlin, des Professors Ernst
Reuter, so ehrend gedacht hat, insbesondere die 22 Abgeordneten, die die Bevölkerung Berlins unter uns vertreten.
Durch Umstände, die nicht unserem Willen entsprechen, stehen sie in diesem Hause noch unter dem Sondergesetz, daß sie nicht stimmberechtigt sind. Ich meine, daß der zweite Deutsche Bundestag die gute Praxis des ersten fortsetzen wird, daß er in 'der Praxis der täglichen Arbeit einen Unterschied zwischen den Abgeordneten Berlins und denen der anderen deutschen Länder nicht kennt. Diese Sonderstellung mag uns daran erinnern, daß die Aufgaben dieses Bundestags nicht erfüllt sind, solange unsere Berliner Kollegen unter Sonderrecht stehen, solange diese tapfere Stadt geteilt ist, daß dieser Bundestag und unser ganzes Volk aber nicht ruhen dürfen, bis die unheilvolle Spaltung Deutschlands überwunden ist.
Wir wissen, daß in diesem Augenblick nicht nur die Bürger der Bundesrepublik Deutschland und Berlins, sondern vielleicht noch mehr die Deutschen in den zur Zeit von uns getrennten Gebieten mit ihren Gedanken und ihren Wünschen, ja mit ihren Gebeten bei uns sind. Sie sollen in dieser Stunde auch vom zweiten Deutschen Bundestag hören, daß er sich 'der Verpflichtung, die Wiedervereinigung unseres ganzen Volkes in Freiheit herbeizuführen, in ,allen seinen Entscheidungen bewußt sein wird.
Unser Gruß gilt allen, die in Unfreiheit leben müssen. Sie sind unsere Brüder. Ihnen gilt unsere Arbeit an jedem neuen Tage.
Wir haben ,die große Freude gehabt, daß in den letzten Tagen mehrere Transporte von Kriegsgefangenen aus Rußland eingetroffen sind. Der Deutsche Bundestag grüßt die aus namenlosem Leid heimgekehrten deutschen Brüder in dieser Stunde bewegten Herzens.
Er gedenkt in Ehrfurcht 'derer, die in den Tod haben gehen müssen, bevor ihnen die Stunde der Rückkehr schlug. Und er gedenkt derer, 'denen sich die Tore der Freiheit noch nicht geöffnet haben. Er bittet alle, die Macht und Einfluß haben, dafür zu sorgen, daß auch die letzten der noch lebenden deutschen Kriegsgefangenen in die Heimat zurückkehren können. Er erwartet, daß die Ankunft der Gefangenen aus 'dem Osten ein Anstoß dazu ist, daß Deutsche, die irgendwo in der Welt unschuldig festgehalten werden, den Tag der Freiheit und der Heimkehr bald erleben 'dürfen.
Der Deutsche Bundestag weiß sich verantwortlich für alle Deutschen, vor allem für die, die der Hilfe in allerlei Not besonders bedürfen.
Am Grabe 'des Berliner Bürgermeisters Ernst Reuter erklang als letzter Gruß das Lied „Freiheit, die ich meine". Ein Parlament soll eine Stätte nüchterner Arbeit sein, fern dem Pathos. Aber dieses Lied an diesem Grabe mag auch uns auf 'dem Wege mahnen, den wir vor uns haben, wenn es dort klingt:
Wo sich Männer finden, die für Ehr und Recht mutig sich verbinden, weilt ein frei Geschlecht!
Meine Damen und Herren, wir fahren in der Tagesordnung fort:
Wahl der Stellvertreter des Präsidenten und der Schriftführer.
Von den in Frage kommenden Parteien sind als Stellvertreter des Präsidenten vorgeschlagen die Herren Abgeordneten Professor Dr. Schmid, Dr. Schäfer und Dr. Jaeger.
Ich frage, ob weitere Vorschläge gemacht werden. — Das ist nicht der Fall. Dann darf ich das Einverständnis des Hauses unterstellen, daß die Wahl der drei Stellvertreter durch Zuruf gemeinsam vorgenommen wird. — Das Haus ist damit einverstanden.
Meine Damen und Herren, ich bitte die Abgeordneten, die der Wahl der Herren Professor Dr. Schmid, Dr. Schäfer und Dr. Jaeger zu Stellvertretern des Präsidenten des zweiten Deutschen Bundestages zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? — Bei Stimmenthaltung der unmittelbar Beteiligten ist die Wahl einstimmig erfolgt.
Ich frage den Herrn Abgeordneten Professor Dr. Schmid, ob er die Wahl annimmt.
Dr. Schmid (SPD): Ich nehme ,die
Wahl an.
Ich frage den Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer, ob er die Wahl annimmt.
Ich nehme die Wahl an.
Ich stelle die gleiche Frage an Herrn Abgeordneten Dr. Jaeger.
Ich nehme die Wahl an.
Ich darf namens des Hauses den drei gewählten Herren Stellvertretern die Glückwünsche des Hauses aussprechen und darf meine Hoffnung auf eine gute und der Arbeit dieses Hauses dienende, förderliche Zusammenarbeit, eine Fortsetzung der bisherigen guten Zusammenarbeit, zum Ausdruck bringen.
Meine Damen und Herren, es gehört weiter zu den Aufgaben des Bundestages, die Schriftführer zu wählen. Ich danke den vier von der Frau Alterspräsidentin berufenen vorläufigen Schriftführern, daß sie heute bei der Eröffnung der Sitzung ihre Aufgaben liebenswürdigerweise wahrgenommen haben. Die Wahl der Schriftführer erfolgt nach einem gemeinsamen Vorschlag der Fraktionen, der Ihnen als Drucksache 3 vorliegt, und zwar aufgeteilt nach dem d'Hondtschen System.
Ich bitte die Damen und Herren, die der Wahl der Ihnen in Drucksache 3 von den Fraktionen vorgeschlagenen Schriftführer zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Die Wahl ist einstimmig erfolgt.
Meine Damen und Herren, ich unterstelle, daß sich die Fraktionen vor Benennung der Schriftführer des Einverständnisses' der Schriftführer versichert haben, so daß ich die Frage, ob die Wahl angenommen wird, nicht im einzelnen zu stellen brauche. — Das ist der Fall. Ich begrüße die als Schriftführer gewählten Abgeordneten und danke ihnen bereits im voraus für ihre Mühewaltung.
Weiterhin ist über die Stärke des Ältestenrats Beschluß zu fassen. Nach der Geschäftsordnung muß die Stärke des Ältestenrats — die zahlenmäßige Stärke natürlich —
vom Bundestag beschlossen werden. Sie haben eine Drucksache 4 vorliegen, in der die Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP — d. h. alle Fraktionen des Hauses —den Antrag stellen, die Zahl der Mitglieder des Ältestenrats auf 15 festzusetzen. Der Text des Antrags liegt Ihnen in Drucksache 4 vor. Wird dazu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag, der in Drucksache 4 gestellt ist, zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag in Drucksache 4 ist einstimmig angenommen. Die Fraktionen werden die Liebenswürdigkeit haben, entsprechend der Geschäftsordnung die von ihnen in den Ältestenrat zu entsendenden Mitglieder des Hauses baldigst zu benennen.
Damit sind die heute auf der Tagesordnung stehenden Punkte erledigt. Darf ich fragen, ob noch weitere Anträge zustellen sind? — Das ist nicht der Fall.
Ich berufe die nächste Sitzung des zweiten Deutschen Bundestages ,auf Freitag, ,den 9. Oktober 1953, 12 Uhr mittags, ein mit der Tagesordnung: Wahl des Bundeskanzlers.
Damit ist die erste Sitzung des zweiten Deutschen Bundestages beendet. Ich schließe die Sitzung.