Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie zuunserer Plenarsitzung . Bevor wir in die Regierungsbefra-gung eintreten, möchte ich Sie auf die interfraktionelleVereinbarung aufmerksam machen, den Tagesordnungs-punkt 18 – da geht es um den Armuts- und Reichtums-bericht der Bundesregierung – nach dem Tagesord-nungspunkt 2 mit einer Debattenzeit von 60 Minutenaufzurufen . Darf ich dazu Ihr Einvernehmen feststel-len? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann können wirnachher so verfahren .Ich rufe jetzt unseren Tagesordnungspunkt 1 auf:Befragung der BundesregierungDie Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-binettssitzung mitgeteilt: Bericht der Bundesregierungzur internationalen Kooperation in Bildung, Wissen-schaft und Forschung 2014 – 2016.Dafür erhält wie üblich das Wort für einen einleiten-den fünfminütigen Bericht die zuständige Bundesminis-terin für Bildung und Forschung, Frau Dr . Wanka . Fallses, unabhängig vom Bericht, schon feste Wortmeldungs-absichten gibt, bitte ich, mir diese anzuzeigen; dann kannich schon einmal mit dem Sortieren der Fragen begin-nen . – Bitte schön, Frau Wanka .Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Vielen Dank . – Herr Präsident! Sehr geehrte Damenund Herren Abgeordnete! Meine Damen und Herren!Wir hatten heute im Kabinett den Bericht der Bundesre-gierung zur internationalen Kooperation in den Themen-feldern Bildung, Wissenschaft und Forschung . Das istder erste Bericht dieser Art . Wir werden ihn auf Wunschdes Bundestages alle zwei Jahre erstellen. Ich finde dassehr gut . In diesem Bericht ziehen wir Bilanz über dieJahre 2014 bis 2016 . Es gibt bereits – vom DeutschenAkademischen Austauschdienst – einen jährlichen Be-richt über die Auslandsmobilität . Der vorliegende Be-richt zur internationalen Kooperation beinhaltet weiterePunkte . Ich glaube, dass dieser Bericht sehr informativist für alle, die wissen wollen, was in der Bundesregie-rung – nicht nur in unserem Ressort, sondern auch imBMZ und im Auswärtigen Amt – für die internationaleKooperation in Wissenschaft und Forschung getan wird .Ich nenne im Folgenden die vier Punkte, die für unsganz entscheidend sind:Das ist erstens das Thema Mobilität, das wir hierschon vertieft behandelt haben .Das sind zweitens – ein Punkt, der in den letztenJahren sehr an Intensität gewonnen hat – die internati-onalen Kooperationen zu Forschungsfragen, die globaleine Rolle spielen, zum Beispiel in Bezug auf die Kli-maanpassung . Dabei geht es nicht nur um Konsortien,sondern auch um Resultate . Hinsichtlich Landnutzungund Klimaanpassung finden Sie in dem Bericht Informa-tionen über unsere zwei großen Zentren WASCAL undSASSCAL in Afrika . In diesen Zentren geht es nicht nurdarum, zu erforschen, wie man Land nutzen und Wassersparen kann, sondern es geht auch um die Schulung derBauern und anderer Betroffener.Der dritte Punkt ist der gemeinsame Betrieb vonGroßforschungsanlagen . Das wird zunehmend wichtiger,weil auch starke Forschungsnationen wie Deutschlandnicht mehr ohne Weiteres in der Lage sind, solche großenAnlagen alleine zu betreiben . Der Betrieb und der Bausolcher Anlagen sind sehr ambitionierte Vorhaben, diedurch die internationale Beteiligung nicht immer einfachzu koordinieren sind . Das war ein Grund für uns, diesenPunkt auf der G-7-Wissenschaftsministertagung, die vorzwei Jahren hier in Berlin stattfand, zu thematisieren undzu versuchen, ihn gemeinsam anzugehen .Der vierte wichtige Punkt ist das Thema beruflicheBildung. Hier finden Sie Angaben und Aussagen zumBerufsbildungsexport und darüber, wie wir im Bereichder beruflichen Bildung Länder entsprechend beratenund unterstützen und welche Pilotvorhaben wir durch-führen .Wir setzen uns in diesem Bericht, der alle zwei Jahrevorgelegt wird, auch einen Schwerpunkt . Der Schwer-punkt in diesem Jahr ist der Europäische Forschungs-
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raum, bei dem für mich drei Punkte außerordentlichwichtig sind – dazu finden Sie hier auch Informationen –:Erstens . Wenn es um die Forschung, um Forschungs-rahmenprogramme und um Exzellenz geht, setzen wir inEuropa ganz oben an, weil wir uns nur mit Exzellenz undexzellenten Ergebnissen im internationalen Wettbewerbbehaupten können . Deswegen machen wir keine Abstri-che bei diesem Prinzip .Zweitens . Wir haben in Europa sehr forschungsstarkeNationen, die große Beträge aus Horizon 2020, also ausdem EU-Rahmenprogramm für Forschung und Innova-tion, erhalten . Die EU-13-Länder haben dagegen bishernur einen sehr kleinen Teil aus diesem Forschungsrah-menprogramm bekommen . Es geht nicht darum, hier et-was mit der Gießkanne zu verteilen oder Strukturförde-rung zu betreiben, sondern um Antworten auf die Fragen:Wie kann man diese Länder unterstützen? Welche neuenInstrumente können wir nutzen, um Exzellenz, exzellen-te Forschung und auch Spitzenforschung in diesen Län-dern zu ermöglichen?Drittens . Wir in Europa sind in der Lage, uns in Bezugauf Grundlagenforschung, unsere Ideen, weltmarktrele-vante Patente und andere Bereiche mit wirklich jedemzu messen . Es geht aber auch um die Überführung vonIdeen in Produkte und um die Übersetzung in Produk-tionszyklen – nicht nur in einem Land, sondern in ganzEuropa –, sodass es einen Mehrwert gibt . Deswegen binich ein sehr starker Verfechter der neuen Idee, die auchvon deutscher Seite transportiert wurde, nämlich nichtnur einen Europäischen Forschungsrat, sondern auch ei-nen Europäischen Innovationsrat zu installieren .Wir alle wissen, dass sich die internationalen Bedin-gungen verändern, ob nun durch den Brexit, die neue Si-tuation in den USA oder an anderer Stelle . Ich habe mirgerade angeschaut, welche Summen in den USA nachden Planungen 2018 gekürzt werden sollen . Das sindzum Beispiel über 7 Milliarden Euro bei den NationalInstitutes of Health und weitere Milliarden an anderenStellen .Seit 2005 ist der Wissenschaftsstandort Deutschlandwesentlich sichtbarer geworden . Das hat sich auch da-durch bemerkbar gemacht, dass wir bei der Anzahl derausländischen Studierenden und beim Wissenschaftler-austausch jetzt zu den stärksten Nationen gehören . Ichglaube, diese Tendenzen werden sich noch verstärken .Wir sagen: Wir sind für Toleranz . Wir brauchen Köpfe,die frei denken können . – Das ist immer das Pfund derWissenschaft .Dass wir keine Abwerbestrategie betreiben, halte ichauch im internationalen Kontext für richtig . Wir machenaber deutlich, dass wir Wissenschaftler und Forscher ein-laden möchten, zu uns zu kommen – wenn auch eventuellnur temporär –, wenn sie das möchten . Auch unter die-sem Aspekt ist es, glaube ich, gut, dass wir einen solchenBericht haben . So können wir gegenüber dem Bundestagund der gesamten Öffentlichkeit demonstrieren, was wirin der Bundesregierung in diesem Bereich tun .Danke .
Vielen Dank . – Ich habe mir 13 Wortmeldungen no-
tiert . Wenn wir sie jeweils mit einer Minute Frage und
Antwort bewältigt bekommen, dann sind wir genau in
der Zeit, die wir für die Regierungsbefragung eigent-
lich vorgesehen haben . – Wir fangen mit dem Kollegen
Lenkert an .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Frau Ministerin, welt-
weit gibt es Flüchtlingsströme und Flüchtlingslager . Die
Bundesrepublik Deutschland gibt nicht einmal 2 Prozent
ihrer Mittel in der Flüchtlingshilfe für Bildung aus . Wir
sind uns ja einig, dass es gerade in Krisenregionen ausge-
sprochen wichtig ist, in Bildung zu investieren, damit in
friedlichen Zeiten der Bildungsstandard so hoch ist, um
einen Wiederaufbau zu ermöglichen .
Welche Möglichkeiten sehen Sie in Ihrem Ministeri-
um, an dieser Stelle entscheidend voranzukommen, um
damit zur Konfliktlösung beizutragen, aber eben auch für
Perspektiven und Chancen der Menschen in ihren Hei-
matländern zu sorgen und im Prinzip eine humanitäre
Gesellschaft voranzubringen? In Ihrem Vortrag habe ich
nichts davon gehört, wie Sie an dieser Stelle vorankom-
men wollen, um von Chancengleichheit eben nicht nur zu
reden, sondern sie auch zu erreichen .
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
In fünf Minuten kann man nicht alles sagen; klar . Zu
dem Thema Unterstützung der Menschen in ihren Län-
dern findet man in dem Bericht viel. Es ist eine irrige An-
nahme, dass die Förderung von Bildung in einem Land
automatisch dazu führt, dass weniger Flüchtlinge zu uns
kommen . Die wissenschaftlichen Erkenntnisse besagen,
dass dann dafür in der Regel andere Menschen ihr Land
verlassen .
Nichtsdestotrotz ist uns ganz wichtig, in diesen Län-
dern Bildung zu stärken . Das geschieht auf vielfältige
Art und Weise, unterschiedlich in den einzelnen Län-
dern, zum Beispiel durch die Etablierung von beruflicher
Bildung – das bietet den jungen Leuten, die von hoher
Jugendarbeitslosigkeit betroffen sind, an vielen Stellen
Chancen –, durch den Aufbau einer Reihe von Institutio-
nen, also Universitäten, die bilateral betrieben werden,
oder durch Kooperationen mit Fachhochschulen wie bei-
spielsweise bei der Deutsch-Jordanischen Universität .
Durch die Forschungskooperationen wird deutlich
gemacht, wie das Leben in diesen Ländern verbessert
werden kann . Ich denke dabei – das ist ein Forschungs-
schwerpunkt in Deutschland – an das Thema „Sauberes
Wasser“ . In diesem Bereich sind wir in vielen Staaten
der Welt unterwegs . Das sind alles Möglichkeiten, um
die Lebensbedingungen vor Ort zu verändern und für Ge-
nerationen Chancen zu schaffen.
Stefan Kaufmann .Bundesministerin Dr. Johanna Wanka
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Frau Ministerin, wir diskutieren im Rahmen von
Horizon 2020 intensiv über die Frage, wie wir die EU-
13-Staaten – Sie haben das angesprochen – über Wide-
ning Participation teilhaben lassen können . Sie haben in
diesem Zusammenhang auch für die Bundesregierung
gesprochen . Was ist die Strategie der Bundesregierung,
um die Forschungs- und Innovationslücke zu den EU-
13-Staaten, also den mittel- und osteuropäischen Staaten,
zu schließen?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Es ist in der Diskussion, im Rahmen der EU dafür
zu werben, diese Lücke zu schließen . Es darf nicht das
Gesetz des Stärkeren gelten . Wir haben bei uns Instru-
mente geschaffen, die es uns ermöglichen, dass wir zum
Beispiel Forschungsmanager aus diesen Ländern zu uns
einladen, damit sie hier – in Anführungszeichen – „ge-
schult“ werden, um dann gemeinsam mit anderen in grö-
ßerem Rahmen Projektanträge bei der EU einzureichen .
Es geht also um eine Schulung derer, die in der Lage sein
müssen, Gelder zu akquirieren .
Auch überlegen wir völlig unabhängig davon, ob ein
Instrument wie Spitzencluster, das in Deutschland exzel-
lent funktioniert hat – dies führt auch zu einer Internati-
onalisierung –, in Form eines Spitzenclusterwettbewerbs
auf europäischer Ebene dazu führen würde, dass auch
kleine Partner mit Spezialkenntnissen eingebunden und
dadurch in ihrer Leistungskraft gestärkt werden .
Kollege Gehring .
Vielen Dank, Frau Ministerin . Danke auch, dass wir
den Bericht um 12 .23 Uhr erhalten haben . – Ich habe die
Frage, welche Rolle Forschung und Wissenschaft im Rah-
men der G-20-Präsidentschaft und auf dem G-20-Gipfel
in Deutschland spielen werden . Was speisen Sie dort ein?
Damit im Zusammenhang steht auch: Werden Sie denn
den Marshallplan mit Afrika in den Punkten Wissenschaft
und Forschung nachbessern und ergänzen? Das BMZ hat
diese Bereiche offensichtlich gänzlich vergessen. Das
passt nicht zur Strategie der Bundesregierung . Also, ein-
mal eine Frage zu G 20 und einmal zum Marshall plan mit
Afrika: Werden Sie dort tätig oder nicht?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Innerhalb der Bundesregierung versuchen wir im-
mer – ich sage das mit Blick auf die Landnutzungszen-
tren in Afrika oder auf die Gesundheitsnetzwerke in
Subsahara-Afrika –, Wissenschaft und Forschung mit
konkreter Umsetzung zu verbinden . Diese Dinge werden
dann nicht aus unserem Haus finanziert, sondern von der
GIZ oder vom BMZ . Da haben wir die Kooperation in
den letzten Jahren verstärkt . Aber wir haben noch Luft
nach oben, Herr Gehring .
In dem Marshallplan ist – ich denke, Sie haben die
Orientierung gelesen – vor allen Dingen die Aktivierung
von viel privatem Kapital vorgesehen . Wir müssen also
nicht nur die öffentliche Hand für Entwicklungsprojekte
begeistern .
Diese Linie unterstütze ich sehr, und ich begrüße es,
dass wir dort nicht gegeneinander arbeiten, sondern man-
ches komplementär machen, zum Beispiel wenn wir uns
im Zusammenhang mit Tunesien mit der Frage befassen,
ob wir dort eine Uni oder eine Fachhochschule aufbauen
oder ob wir eher auf berufliche Bildung setzen, und in
welcher Größenordnung wir das angehen . In diesen Fra-
gen versuchen wir, noch besser als in den letzten Jahren
zusammenzuarbeiten .
Was die G 20 angeht, sind die entscheidenden Papiere
zum Beispiel im Bereich globale Gesundheit, etwa zum
Thema Antibiotika, selbstverständlich durch die Gruppe
der Akademien wissenschaftlich erarbeitet worden . Da-
bei ist die Leopoldina federführend . Wissenschaftlichen
Input gibt es aber auch zum Thema „Bekämpfung des
Hungers“ als einem der wichtigsten Nachhaltigkeitszie-
le der UN oder zum Thema „Sauberkeit der Meere“ . All
diese Themen sind ohne wissenschaftliche Vorbereitung
und Begleitung nicht denkbar .
Kollege Diaby .
Frau Ministerin, im internationalen Zusammenhanggeht es vor allem um das Thema Solidarität mit Men-schen, die geflüchtet sind. Wir sind eines der beliebtes-ten Länder, wenn es um internationale Mobilität vonerfolgreichen Forscherinnen und Forschern geht . DiePhilipp-Schwartz-Initiative ist eine der erfolgreichstenInitiativen, die wir momentan in diesem Bereich haben .Deshalb ist meine Frage: Welche Strategie verfolgt dieBundesregierung, um diese Initiative zu stärken? Denndie Nachfrage ist sehr viel größer, als Plätze verfügbarsind, und die Krisen sind vielfältiger . Deshalb frage ichSie nach der Strategie und der zukünftigen Ausrichtungdieser Initiative und anderen .Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Die Philipp-Schwartz-Initiative ist eine kluge Mög-lichkeit, um Wissenschaftler in bedrohten Ländern zuunterstützen, und die Arbeitsteilung in der Bundesregie-rung sieht folgendermaßen aus: Wir finanzieren vor al-lem Ausgaben in Zusammenhang mit dem Aufenthalt derWissenschaftler bei uns, und bei den Instrumenten, die imAusland eingesetzt werden, ist das Auswärtige Amt fe-derführend . Ich glaube, dass wir – damit beziehe ich auchden Außenminister mit ein – gegebenenfalls sehr wohl
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in der Lage wären, das auszuweiten bzw . mehr Mittelzur Verfügung zu stellen . Die Alexander-von- Humboldt-Stiftung ist gut ausgestattet . Sie hat in den letzten Jahrenhohe Steigerungsraten verzeichnet, und ich kann sie nurloben: Sie setzt das Geld klug und geschickt ein .
Frau Gohlke .
Vielen Dank . – Die 21 . Sozialerhebung des Deutschen
Studentenwerks, die wir gestern präsentiert bekommen
haben, stellt einen Rückgang der Auslandsmobilität
bei Studierenden höherer Semester fest . Als Barrieren
werden finanzielle Mehrbelastungen, Verlängerung der
Studienzeit und Wegfall von Verdienstmöglichkeiten
genannt . Wie will die Bundesregierung künftig darauf
reagieren, und welche Konsequenzen zieht sie daraus?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Ein Blick auf die Auslandsmobilität zeigt, dass es
durchaus Unterschiede gibt . In der Promotionsphase
zum Beispiel zeigt sich eine größere Zurückhaltung, da-
für nimmt sie in der Postdoc-Phase zu . Unterschiede gibt
es auch bei den Studierenden . Wir können nicht in die
Lebensplanung der einzelnen Studierenden eingreifen,
die vielleicht erst einmal ihren Master vor Ort machen
wollen . Durch das Auslands-BAföG und die großzügi-
ge Auslegung des Erasmus-Programms wie auch durch
vielfältige internationale Forschungskooperationen er-
möglichen wir diesen jungen Leuten, temporär im Aus-
land zu arbeiten und zu forschen . Wir haben also ein sehr
breites Portfolio an Möglichkeiten, wie wir sie unterstüt-
zen können .
Ich glaube – das möchte ich an dieser Stelle noch ein-
mal sagen –, dass wir, was Auslandsmobilität betrifft, in-
zwischen einen Spitzenplatz einnehmen . Es gab Jahre, in
denen nur wenige Ausland wollten . Jetzt gehen 36 oder
37 Prozent der Studierenden temporär ins Ausland . Das
ist im Vergleich zu den USA oder den Niederlanden ein
sehr hoher Wert . Wir wollen, dass die Zahl weiter zu-
nimmt, aber nicht, indem wir die jungen Menschen zwin-
gen, sondern indem wir attraktive Angebote machen .
Frau Giousouf .
Frau Ministerin, Deutschland befindet sich im in-
ternationalen Wettbewerb um die besten Ideen und die
klügsten Köpfe . Wie wollen Sie – Stichwort „Fachkräf-
temangel“ – diesen Balanceakt zwischen internationaler
Kooperation und unseren eigenen Interessen schaffen?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Internationale Kooperation ist ein wichtiges Mittel,
um die eigene Leistungsfähigkeit zu stärken . Wir versu-
chen, die weltweit Besten zu den jeweiligen Themenbe-
reichen zu uns zu holen oder mit ihnen gemeinsam zu
arbeiten . Viel Geld für eine exzellente Spitzenforschung
bedeutet auch, dass man internationale Kapazitäten mit
einbeziehen kann und dass man durch diese Kooperatio-
nen bzw . durch Forschungsverbünde bessere Ergebnisse
erzielen kann, was aufgrund globaler Herausforderungen
wichtig ist .
Dies kann auch ein wichtiges Instrument sein, um et-
was gegen den Fachkräftemangel in Deutschland zu tun .
Ich habe schon mehrfach gesagt: Da wir jetzt einen Spit-
zenplatz hinsichtlich der Studierenden, die aus aller Welt
zu uns kommen, haben – es sind über 300 000; das gab
es noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik –, plä-
diere ich dafür, dass wir es wie in den USA handhaben .
Wenn die Studierenden hier in Deutschland fünf Jahre
studiert und beispielsweise einen Ingenieurabschluss
gemacht haben, dann soll sich unsere eigene Wirtschaft
darum bemühen können, dass diese Leute für einige
Zeit – es muss nicht für immer sein – hier in Deutschland
arbeiten . Damit würde die Fachkräftesituation ein Stück
weit entspannt werden . Das ist ein Beispiel . Wir machen
aber noch weitere Schritte, zum Beispiel mit dem Aner-
kennungsgesetz, um für Deutschland als Arbeitsstandort
zu werben .
Kollege Mutlu .
Danke, Herr Präsident . – Frau Ministerin, ich habeeine Frage zu der konkreten Lage der sogenannten Exil-wissenschaftlerinnen und Exilwissenschaftler aus derTürkei, die zurzeit in unserem Land leben . Zur interna-tionalen Kooperation gehört auch, dass Wissenschaftle-rinnen und Wissenschaftler, die aufgrund von Bedrohungder Wissenschaftsfreiheit oder der persönlichen Freiheitin ihrem Heimatland nicht arbeiten können, in Deutsch-land eine Chance bekommen, in Sicherheit und Freiheitzu leben . In diesem Zusammenhang möchte ich gernevon Ihnen wissen, was die Bundesregierung in den letz-ten zwölf Monaten konkret getan hat, um drei zentraleProbleme von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-lern aus der Türkei, die in Deutschland Zuflucht gesuchthaben, zu lösen .Erstens: aufenthaltsrechtlicher Status . Was haben Siegemacht, um den unsicheren Status von diesen betrof-fenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu be-enden? Zweitens: Eine Arbeitsaufnahme in Deutschlandist oft nicht erlaubt . Was haben Sie getan, damit derenLebensunterhalt gesichert ist? Drittens: Was haben Siegetan, um die Unsicherheit, wie diese Wissenschaftlerihre Forschungsarbeit in unserem Land fortsetzen kön-nen, zu beenden?Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Aufent-haltsrecht müssen die entsprechenden Institutionen imEinzelfall treffen. Da gibt es keine pauschale Regelung.Das ist Ihnen so klar wie mir . Wir haben für diejenigen,Bundesministerin Dr. Johanna Wanka
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die zum Beispiel ein Studium unterbrechen, weil sie dieTürkei verlassen müssen, und in Deutschland weiterstu-dieren wollen, in den letzten zwölf Monaten und auchschon davor viele Programme aufgelegt, damit sie bei unsan den Hochschulen für das Studium in Deutschland fitgemacht werden können, was Sprache und andere Quali-fikationen anbetrifft. Das richtet sich an die Geflüchtetenund auch an die Betroffenen aus der Türkei.Unsere großen Forschungsinstitutionen haben Pro-gramme, die besonders attraktiv sind. Das betrifft dieMax-Planck-Gesellschaft und andere . Sie machen Wis-senschaftlern, die schon wissenschaftlich arbeiten, An-gebote, ihre Forschungsarbeiten an den Institutionenin Deutschland temporär weiterzuführen . Das sind ein,zwei Beispiele dafür, was gemacht wurde, aber der Kata-log ist noch umfangreicher .
Kollege Rossmann .
Ich knüpfe an die Frage von Herrn Kaufmann an, was
die europäische Entwicklung angeht . Deutschland ist
stolz darauf, 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für
Forschung und Entwicklung auszugeben, Griechenland
gibt 0,6 Prozent aus . Unser Eindruck ist, dass die Eu-
ropäische Kommission die Forschung nicht an die erste
Stelle ihrer Agenda, was das Zukunftsbild Europa 2025
betrifft, setzt. Meine Frage lautet: Teilt die Bundesregie-
rung diese Einschätzung? Was haben Sie als Erklärung
dafür, dass andere Fragen der Europäischen Kommission
wichtiger sind? Was unternimmt die Bundesregierung,
um Forschung und Entwicklung ganz oben auf die Prio-
ritätenliste der Europa-Agenda 2025 zu setzen?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Wir haben in Europa das Ziel, dass bis 2020 jede Na-
tion 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung
und Entwicklung ausgibt . Das ist bei uns natürlich viel
Geld, weil wir ein hohes Bruttoinlandsprodukt haben .
Wir haben große Unterschiede in Europa; Sie haben das
Beispiel Griechenland genannt . Hier greifen zum Bei-
spiel die Strukturfondsmittel, die wir in Europa haben .
Wir haben sie in Deutschland in manchen Bundesländern
genutzt, um zum Beispiel mit EFRE Forschungsstruktu-
ren aufzubauen . Diese Möglichkeit besteht auch dort . Es
liegt aber in der Entscheidung der Länder, ob man die
Mittel für ein Gewerbegebiet oder zum Aufbau von For-
schungsstrukturen einsetzt .
Ich bin der Meinung, dass wir gemeinsam dafür kämp-
fen müssen, dass im Rahmen der Europäischen Union
Forschung und Entwicklung eine höhere Priorität in der
Wahrnehmung haben . Ich erinnere mich an das erste
Juncker- Programm . Da wurde ein Milliardenbetrag aus
dem Programm Horizon 2020 genommen, ausgerech-
net aus dem Programm mit der größten Hebelwirkung .
Deswegen engagiere ich mich dafür und werbe auf den
Wegen, die mir offenstehen, und mithilfe der Kanzlerin
dafür, den Blick darauf zu richten, dass für die Zukunft
Europas Forschung das Entscheidende ist . Da sind wir
ganz nahe beieinander .
Herr Kollege Lengsfeld .
Frau Ministerin, ich schließe da unmittelbar an . BeimThema „Internationale Kooperation“ geht es ja auch im-mer um die kontinuierliche Steigerung der Attraktivitätdes Innovationsstandortes Deutschland . Als Forschungs-und Innovationspolitiker diskutieren wir jetzt sehr inten-siv die Einführung einer steuerlichen Forschungs- undEntwicklungsförderung .
Wie würden Sie es einschätzen: Würde das die Attrak-tivität des Innovationsstandorts Deutschland steigern?Und wenn ja: Wie müssen wir die Förderung ausgestal-ten, damit die Attraktivitätssteigerung möglichst effektivist?Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Steuerliche FuE-Förderung gibt es in verschiedenenLändern . Sie ist nicht per se gut oder schlecht . Man machtsie entweder schlecht wie in Frankreich, wo nämlich dieProjektförderung praktisch auf null reduziert wurde undnur steuerliche FuE-Förderung gemacht wird, oder mankann sie auch gut machen .Wir haben jetzt entschieden: Wir wollen die steuer-liche Absetzbarkeit von Forschungs- und Entwicklungs-ausgaben . Jetzt kommt es darauf an, das so zu gestalten,dass es für Deutschland passt . Meine Zielsetzung ist,dass viele kleinere Unternehmen, die bis jetzt nichtsim Bereich FuE tun, weil sie das gar nicht schaffen, da-durch angeregt werden, die Möglichkeiten, die wir überFraunhofer- Institute, Fachhochschulen etc . haben, zunutzen . Das heißt dann, nicht nur die Absetzbarkeit vonPersonalkosten zu ermöglichen, sondern auch dafür zusorgen – das ist für mich wichtig –, dass Unternehmenwie Start-ups, die noch keine Gewinne machen und diedaher von der Absetzbarkeit von bestimmten Kostennicht profitieren, gefördert werden.Ich glaube: Es ist gut, nicht eine Schranke in Formeiner bestimmten Anzahl von Beschäftigten einzuführen,sondern eine finanzielle Schranke, um die ganze Sachehandhabbar zu machen . Aber ganz entscheidend ist, dasswir uns die Ausgestaltung von steuerlicher FuE-Förde-rung in Deutschland genau überlegen . Ansonsten bestehtdie Gefahr, dass wir es falsch machen .
– Sie sind ja gar nicht auf die Idee gekommen, HerrGehring .
Bundesministerin Dr. Johanna Wanka
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Kollegin Hein, bitte .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Frau Ministerin, Sie
haben vorhin in Ihrem Eingangsstatement die duale Aus-
bildung als einen Punkt der internationalen Kooperation
angemahnt, der Ihnen sehr wichtig sei .
Nun wissen wir seit der Kleinen Anfrage der Grünen,
dass im Rahmen dieser internationalen Kooperation zur
dualen Ausbildung nur relativ wenige Ausbildungsplät-
ze entstanden sind und sich einige Länder auch schon
zurückgezogen haben . Das deutet darauf hin, dass die
Passfähigkeit im Hinblick auf die Wirtschaftssysteme der
Länder, die sich bei uns danach erkundigt haben, wie du-
ale Ausbildung geht, offensichtlich doch nicht so groß ist.
Ich frage Sie daher, welche Konsequenzen und welche
Einsichten daraus erwachsen sind . Müssen wir vielleicht
anders vorgehen? Welche anderen Schwerpunkte setzen
Sie, um in der beruflichen Bildung Kooperationen zu be-
fördern?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Man kann keine Pauschalregel machen . Man kann vor
allen Dingen das System, das wir in Deutschland haben,
nicht eins zu eins irgendwohin übertragen . Viele Länder
schauen auf Deutschland: auf unsere geringe Jugendar-
beitslosigkeit und auf unsere hohe Wirtschaftskraft . Sie
möchten duale Ausbildung, haben aber zum Teil ganz
andere Vorstellungen .
Beispiel Indien . Der indische Premierminister Modi
wollte flächendeckend in Indien – da geht es gleich um
Hunderte Millionen von Menschen – die schulische Seite
der dualen Ausbildung einführen . Das ist natürlich keine
duale Ausbildung . Deutschland kann vor Ort die Ausbil-
dungsplätze nicht schaffen; das ist nicht unsere Aufgabe.
Aber wir haben zum Beispiel in Indien – ich erläutere das
nur an diesem einzigen Beispiel – einen großen Versuch
gemacht für die Branche der Mechatroniker oder Instal-
lateure in Pune . Dort haben wir mit vielen kleinen Un-
ternehmen wirklich einmal duale Ausbildung durchexer-
ziert und gezeigt, wie es in Indien vor Ort funktionieren
kann. Jetzt gibt es den schönen Effekt, dass die Weltbank
der indischen Regierung über 170 Millionen Euro gibt,
damit dieses Element, das im Pilotversuch funktioniert
hat, jetzt in der Fläche in Indien ausprobiert wird .
Frau Lücking-Michel .
Vielen Dank . – Frau Ministerin, ich will ein Thema
ansprechen, das im Bericht breiten Raum einnimmt:
Erasmus+ . Wir haben vor kurzem ein Jubiläum gefei-
ert und uns über das erfolgreiche Projekt gefreut . Meine
Frage lautet: Was ist aus Ihrer Sicht das Spezifische an
diesem Programm? Und vor allen Dingen: Was kann man
aus den guten Erfahrungen lernen, um es vielleicht in die
Zukunft fortzuschreiben als Programm mit dem jetzigen
Zuschnitt oder mit Blick auf neue Herkunfts- und Ziel-
länder? Kann man es auch auf Austauschprogramme mit
Afrika anwenden?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Da muss man über die Finanzierung nachdenken und
genau wissen, was man will. Für Afrika müssen spezifi-
sche Instrumente gefunden werden . Mit Erasmus haben
wir in der Europäischen Union ein Erfolgsprojekt . Über
10 Millionen Menschen haben im Rahmen dieses Pro-
gramms unterschiedliche europäische Länder kennen-
gelernt . Der Punkt, der mir besonders am Herzen liegt
und wo ich unbedingt Verbesserungsbedarf sehe, ist, die
vorhandenen Mittel für die berufliche Bildung einzuset-
zen; dafür ist beispielsweise eine verstärkte Werbung er-
forderlich . Jemand, der beispielsweise Koch oder Bäcker
lernt, sollte die Möglichkeit haben, einen Monat oder so-
gar ein halbes Jahr in Italien zu verbringen . Das macht
die berufliche Ausbildung attraktiver. Die Gelder sind
vorhanden, werden aber nicht in ausreichendem Maße
genutzt . Das ist ein ganz konkretes Projekt .
Ansonsten müssen wir dafür kämpfen, dass Erasmus
weiterhin attraktiv bleibt . Wir wissen allerdings noch
nicht, wie sich die britische Regierung entscheidet . Im
Moment kann man im Rahmen von Erasmus in Groß-
britannien ohne Studiengebühren studieren . Wir wissen
aber nicht, ob das so bleibt . Das sind wichtige Punkte .
Die entscheidende Frage lautet: Wie können wir die At-
traktivität sichern, auch wenn sich die internationalen
Gegebenheiten verändern?
Frau Walter-Rosenheimer .
Frau Ministerin, die Umsetzung der europäischenJugendgarantie war in den vergangenen Jahren immerwieder von Problemen geprägt . So wurden zum Beispieldie Mittel für die Beschäftigungsinitiative in geringeremUmfang abgerufen . Sieht die Bundesregierung da Feh-ler? Würden Sie das anders aufstellen? Können Sie mirdazu etwas sagen, bitte?Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Dieses Thema beschäftigt die Arbeitsministerin sehr .Ich kann mich an die Diskussionen hier im Parlamenterinnern, als die Jugendgarantie beschlossen wurde . Da-mals kamen aus gewissen Richtungen Redebeiträge mitdem Tenor, das sei viel zu wenig Geld und reiche über-haupt nicht. Aber dann ist der Effekt eingetreten, dass dasGeld nicht genutzt und nicht abgerufen wird . Deshalbbesteht eine Aktivität des Arbeitsministeriums darin, vorOrt zu unterstützen und zu werben sowie Möglichkei-ten zu schaffen, dass die Gelder dort eingesetzt werden.Dabei spielt aber auch die Frage eine Rolle, ob es nicht
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besser ist, dass manches eher in Deutschland passiert alsvor Ort, um die Jugendgarantie langfristig umzusetzen .
Thomas Feist .
Vielen Dank, Frau Ministerin, dass Sie in Ihrer Erklä-
rung auf die berufliche Bildung explizit abgehoben ha-
ben. Internationalisierung und berufliche Bildung gehör-
ten vor einigen Jahren noch nicht so selbstverständlich
dazu . Nun haben wir heute im Ausschuss über Forschung
und Innovation und auch darüber diskutiert, inwiefern
Menschen mit einem höheren Berufsabschluss im Rah-
men der beruflichen Aus- und Weiterbildung einen wich-
tigen Beitrag zu Innovationen leisten . Sie haben Ihre Idee
der europäischen Innovationszentren dargelegt . Welche
Rolle müssten dort diejenigen spielen, die in Deutsch-
land beispielsweise als Meister, Techniker und Fachwirte
tätig sind? Wie könnten sich Technologie und Forschung
in diesem Bereich befruchten?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Es ist schwierig, diese Frage zu beantworten, weil wir
uns noch auf dem Weg befinden. Wie kann ein Europä-
ischer Innovationsrat aussehen? Was kann er leisten?
Welche Struktur ist vorstellbar? Dazu hat Kommissar
Moedas im April einen ersten Vorschlag gemacht . Da-
rüber wird nun in den Ausschüssen diskutiert . Der von
Ihnen angesprochene Aspekt, wie sich das zum Beispiel
mit dem Erfahrungswissen der Meister und Meisterinnen
verbinden lässt, ist dort noch kein Thema . Ich greife das
aber gerne als Anregung auf .
Kollege Gehring .
Vielen Dank . – Frau Ministerin, die EU-Kommission
hat am 7 . Juni sehr zum Bedauern von uns Grünen im
Bundestag und im Europäischen Parlament vorgeschla-
gen, dass im nächsten EU-Haushalt 500 Millionen Euro
jährlich bis 2020 für Militärforschung veranschlagt wer-
den sollen . Die Staats- und Regierungschefs begrüßten
diesen Vorstoß am 22 . und 23 . Juni einhellig . Auch Frau
Merkel ist für diese zusätzlichen Unsummen für die Mi-
litärforschung . Nun möchten wir von Ihnen gerne wis-
sen, wie Sie sicherstellen wollen, dass wichtige zivile
Forschungsprojekte nicht unter mehr EU-Geldern für die
Verteidigungsforschung in finanzieller Hinsicht leiden.
Wir jedenfalls sind der Meinung, dass Friedensforschung
und Forschung zugunsten von Konfliktprävention viel
bedeutsamer und wichtiger sind . Wie wollen Sie sicher-
stellen, dass das nicht zulasten dieser Forschung geht?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Wenn ich es alleine machen könnte, könnte ich gleich
antworten . Ansonsten sage ich: Ich bin sehr dafür, dass
mit 500 Millionen Euro eine militärische Forschung in
Europa etabliert wird . Das halte ich für zwingend not-
wendig und richtig . Ich würde außerdem die Friedens-
und Konfliktforschung nicht im Kontrast dazu sehen.
Wir fördern diese Forschung in meinem Haus sehr inten-
siv . Ursula von der Leyen und ich haben uns positioniert .
Wir erwarten – das ist zwingend notwendig – eine klare
Abgrenzung der zivilen Forschung von der militärischen
Forschung; sonst kommen wir in riesige Problemlagen .
Horizon 2020 muss ein nichtmilitärisches Programm
bleiben . Wir müssen gemeinsam dafür kämpfen, dass
nicht der bequeme Weg gegangen wird und ein Teil der
Forschungsausgaben dort hineinfließt. Die Gefahr ist
nicht ganz von der Hand zu weisen .
Kollege Mutlu .
Danke, Herr Präsident . – Ich möchte an meine Frage
von vorhin anknüpfen und fragen: Frau Ministerin, was
hat die Bundesregierung konkret getan im Gespräch mit
dem NATO-Partner und engen Freund Deutschlands Tür-
kei, um sich über die Lage der Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler, der Akademikerinnen und Akademiker
auszutauschen, insbesondere hinsichtlich der Gefähr-
dung der Freiheit der Lehre und der Wissenschaft und der
Tatsache, dass etliche Wissenschaftlerinnen und Wissen-
schaftler, die vor circa einem Jahr einen Friedensappell
unterzeichnet haben, fast alle jetzt arbeitslos sind? Viele
von ihnen sind sogar im Gefängnis . Haben Sie diesbe-
züglich Gespräche mit Ankara und mit Ihrem Konterpart
in der Türkei geführt?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Natürlich habe ich mich sofort, als in der Türkei die
Verfolgung von Wissenschaftlern, die Entlassung von
Dekanen und anderes begannen und wir davon gehört
haben, öffentlich positioniert und klargestellt, wie wich-
tig Wissenschaftsfreiheit ist und was die Erwartung aus
deutscher Sicht ist . Wir sind mit dem Auswärtigen Amt,
das dort die engsten Beziehungen hat, aber auch mit dem
deutschen Botschafter in der Türkei in Kontakt . Wir ha-
ben darüber hinaus direkte Gespräche zum Beispiel mit
dem YÖK-Präsidenten über diese Themen geführt, wo-
bei das nicht – ich glaube, das werden Sie mir bestäti-
gen – sehr einfach war .
Wenn ich jetzt niemanden übersehen habe, gibt es zudiesem Themenkomplex keine weiteren Fragen mehr .Dann schließe ich diesen Teil der Regierungsbefra-gung . – Vielen Dank, Frau Ministerin .Bundesministerin Dr. Johanna Wanka
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(D)
Gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabi-nettssitzung? – Das ist nicht der Fall .Gibt es sonstige Fragen an die Bundesregierung? –Das ist der Fall . Volker Beck, bitte .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Meine Damen und
Herren, ich komme zurück auf eine Frage, die ich der
Bundesregierung schon am 31 . Mai 2017 in der Regie-
rungsbefragung gestellt habe . Es ist eine Frage zu einer
Konferenz im Auswärtigen Amt zur Friedensverantwor-
tung der Religionen . Ich habe nach Herrn Torabi vom
Islamischen Zentrum in Hamburg gefragt, einem regel-
mäßigen Teilnehmer an den Al-Quds-Demonstrationen .
Staatsminister Michael Roth antwortete damals:
Es war eine Einladung zum Dialog, und dieser Ein-
ladung zum Dialog haben viele Folge geleistet, aber
nicht Herr Torabi .
In der taz sagte Herr Torabi am 5 . Juni 2017:
Und es ist wahr, dass ich an dieser Friedenskonfe-
renz teilgenommen habe .
Auf Nachfrage in der letzten Sitzungswoche antworte-
te mir das Auswärtige Amt:
Bei der eigentlichen Konferenz von 100 Religions-
vertretern vom 21 . bis 23 . Mai war Herr Dr . Torabi
nicht präsent .
Der Bild-Zeitung sagte das Auswärtige Amt am
13 . Juni 2017:
Herr Torabi hatte keine Einladung zu dieser Kon-
ferenz .
Vor diesem Hintergrund, Herr Roth, frage ich Sie:
Welcher Einladung, die Herr Torabi erhalten hat, hat
Herr Torabi nicht Folge geleistet? Wie bewerten Sie die-
sen Vorgang?
Die Frage richtet sich natürlich an die Bundesregie-
rung . Möglicherweise kann Staatsminister Roth sie für
dieselbe beantworten . – Bitte schön .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Herr Kollege Beck,
ich bin verpflichtet, Fragen aus der Mitte des Deutschen
Bundestages nach bestem Wissen und Gewissen zu be-
antworten . Ich habe auf Ihre sicherlich nicht ganz spon-
tane Frage in der Regierungsbefragung bestmöglich zu
antworten versucht .
Gestatten Sie mir diesen persönlichen Hinweis: Da-
her zu insinuieren, dass ich nicht zutreffend geantwortet
hätte, weise ich in aller Schärfe von mir . Ich habe über
mein Haus eine Präzisierung meiner damaligen Antwort
auf Ihre Frage, über die ich ja vorher nicht informiert
worden bin, zu leisten versucht, und ich will jetzt noch
einmal klarstellen, dass die Konferenz zur Friedensver-
antwortung der Religionen, zu der mein Haus eingeladen
hat, aus zwei Veranstaltungselementen bestand: aus ei-
nem öffentlichen Teil, zu dem wir insgesamt 1 000 Gäste
eingeladen haben, und aus einem internen Teil, der sich
an 100 religiöse Führerinnen und Führer aller Weltreligi-
onen richtete . Eine Einladung an Herrn Torabi für den öf-
fentlichen Teil der Veranstaltung wurde ausgesprochen .
Dies sehe ich auch als eine Einladung zum Dialog . Diese
Einladung hat er auch wahrgenommen . Aber es ist keine
Einladung ausgesprochen worden für den internen Teil .
Dies haben wir schon präzisiert . Ich bin dankbar dafür,
dies hier im Bundestag noch einmal so beantworten zu
können .
Zusatzfrage, Herr Beck .
Ich will Sie nicht interpretieren; deshalb will ich es
einfach fragen . Also, hat Herr Torabi eine Einladung
erhalten, der er nicht Folge geleistet hat, wie Sie in der
Antwort gesagt haben? Ich will gar nicht zum Ausdruck
bringen, dass Sie da irgendwie vorsätzlich etwas Fal-
sches gesagt haben; ich möchte bloß wissen: War der
Satz als umfassende Information des Parlaments damals
richtig oder falsch? Hat Herr Torabi eine Einladung er-
halten, der er nicht Folge geleistet hat, oder war die Aus-
sage von Ihnen in der Befragung einfach ein Versehen,
was ich vollständig akzeptieren würde? Ich möchte zu
diesem Vorgang bloß endlich eine wahrheitsgemäße Ant-
wort bekommen .
Herr Präsident! Herr Kollege Beck, Sie insinuie-
ren, dass wir nicht wahrheitsgemäß geantwortet haben .
Selbstverständlich haben wir dies getan .
Ich habe darauf hingewiesen, dass Herr Torabi zu dem öf-
fentlichen Teil der Veranstaltung eine Einladung erhalten
hat. Dieser Einladung zu einer öffentlichen Veranstaltung
hat er Folge geleistet; er hat daran teilgenommen . Eine
Einladung zum Dialog, die sich auf die interne Veranstal-
tung bezieht, hat Herr Torabi nicht bekommen . Er konnte
einer solchen Einladung überhaupt nicht Folge leisten,
weil er gar nicht eingeladen war .
Ich finde das jetzt eigentlich hinreichend übersicht-
lich .
Die nächste Frage hat die Kollegin Dröge .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Wir haben in den letz-ten Tagen den Medien einige handelspolitische Neuig-keiten entnehmen dürfen . Einmal haben die SüddeutschePräsident Dr. Norbert Lammert
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(D)
Zeitung und die Tagesschau über Verhandlungsdokumen-te zu dem geplanten EU-Japan-Abkommen berichtet .Zum anderen hat sich Frau Merkel gestern gemeinsammit dem amerikanischen Handelsminister, Herrn Ross,für eine Fortsetzung der Verhandlungen zum geplantenTTIP-Abkommen ausgesprochen . Aus diesem Grundefrage ich die Bundesregierung:Die erste Frage: Über das EU-Japan-Abkommen solles auf dem EU-Japan-Gipfel am 6 . Juli eine politischeEinigung geben . Kann die Bundesregierung bestätigen,dass es bislang keine abgeschlossenen Verhandlungsdo-kumente zu diesem Abkommen gibt?Die zweite Frage: Wäre es aus Sicht der Bundesregie-rung denkbar, ein solches Abkommen ohne Schiedsge-richte – ISDS oder ICS – abzuschließen?Die dritte Frage: Kann die Bundesregierung darle-gen, wie die Gremien zur regulatorischen Kooperationin diesem EU-Japan-Abkommen ausgestaltet sein sol-len? Also: Wer ist in diesen Gremien, und wie sind dieParlamente an der Fortentwicklung des Vertragstextesbeteiligt?
Bitte schön, Frau Gleicke .
I
Liebe Kollegin Dröge, wie heute Vormittag im Aus-
schuss schon länger vorgetragen, ist es so, dass die Ver-
handlungen mit Japan noch nicht abgeschlossen sind,
sondern weiterlaufen . Am 6 . Juli soll es eine Einigung
in groben Zügen geben . Verhandlungen sind jedoch auf
jeden Fall bis zum Ende des Jahres angesetzt .
Ob es ein Kapitel zu Schiedsgerichten gibt, ist noch
nicht geklärt . Wir setzen uns als Bundesregierung dafür
ein, dass Investor-Staat-Streitigkeiten durch einen un-
abhängigen, transparenten Investitionsgerichtshof mit
öffentlich ernannten Richtern und einem Berufungsme-
chanismus – vergleichbar dem, was wir bei CETA ha-
ben – entschieden werden . Das hätte den Vorteil, dass wir
das dann in mehreren Abkommen verabredet hätten .
Ansonsten verweise ich gern auf Ihre 39 Fragen um-
fassende Kleine Anfrage, die wir am Montag auf 17 Sei-
ten hinlänglich beantwortet haben .
Es gibt noch eine Nachfrage . – Bitte schön .
Vielen Dank . – Ich möchte noch einmal nach den
Gremien fragen, die es nach JEFTA geben soll, weil Sie
das jetzt nicht beantwortet haben, weil das in der Ant-
wort auf die Kleine Anfrage nicht beantwortet wurde und
weil das auch schon in CETA eine offene Frage war. Wer
soll in diesen Gremien sitzen, etwa im Joint Committee,
das nach Vorstellung der Bundesregierung den Vertrags-
text weiterentwickelt, und welche Kompetenzen sollen
diese Gremien bei der Fortentwicklung des Abkommens
haben? Dazu muss die Bundesregierung ja eine Haltung
haben . Und: Wie sollen die Parlamente, sowohl das Eu-
ropaparlament als auch der Deutsche Bundestag, bei der
Fortentwicklung des Abkommens eingebunden werden?
Bei CETA entscheidet über diese Fragen jetzt das Bun-
desverfassungsgericht, weil sie nicht ausreichend geklärt
sind . Das könnten Sie bei JEFTA besser machen, wenn
Sie eine Haltung dazu hätten .
I
Frau Kollegin Dröge, die Bundesregierung hat eine
Haltung . Die Europäische Union verhandelt mit Japan
dieses Abkommen . Wir nehmen im Rahmen unserer
mitgliedstaatlichen Treffen Einfluss auf diese Verhand-
lungen . Der Bundestag bekommt die Informationen über
EuDoX. Dort findet man die Dokumente, die dem Parla-
ment regelmäßig zur Verfügung gestellt werden . Es liegt
in der Natur der Sache, dort jetzt noch keine endgültigen
Papiere vorzufinden, da die Verhandlungen noch nicht
abgeschlossen sind . Deswegen können wir Ihre Frage be-
züglich der Mechanismen nicht beantworten . Wir halten
Sie gerne über das weitere Verfahren auf dem Laufen-
den . Es ist nicht der Unwille der Bundesregierung, aber
es gibt noch keine Ergebnisse .
Kollege Lenkert .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Es geht um dasselbe
Thema . Wie aus Dokumenten bekannt wurde, ist das
Verhandlungsmandat von 2012 . Die Verhandlungen zwi-
schen Japan und der EU sind weit fortgeschritten, zu-
mindest wenn man den geliebten Dokumenten Glauben
schenken darf . Die Fragen, die mich bewegen, lauten:
Wann beabsichtigt die Bundesregierung, den Deutschen
Bundestag über das Verhandlungsmandat, das der EU
übertragen worden ist, zu informieren? Wie wird den
Bundestagsabgeordneten ermöglicht, Zwischenstände –
so wie bei TTIP, den Verhandlungen mit den USA – zu
erfahren? Kann die Bundesregierung heute sagen, ob es
ein reines EU-Handelsabkommen – das behauptet die
EU-Kommission – oder ein gemischtes Abkommen ist?
Diese Fragen bewegen mich so wie auch die folgende
Frage: Inwieweit hat die Bundesregierung darauf ge-
drungen, dass auch Sozial-, Umwelt- sowie Gesund-
heitsschutzstandards in das Abkommen aufgenommen
werden und nicht nur die Interessen von Investoren ver-
teidigt werden?
I
Auf Ihre Fragen antworte ich Ihnen gerne . Das Ver-handlungsmandat würden wir gerne veröffentlichen.Unterdessen haben wir auch die EU-Kommission davonüberzeugen können, allerdings liegt noch nicht die Zu-stimmung aller Mitgliedstaaten vor . Sie wissen, dass dasKatharina Dröge
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(D)
ein EU-Verhandlungsmandat ist . Aber wir bemühen unsdarum .Zum Zweiten würde ich Ihnen gerne vorschlagen, sowie Frau Dröge, in EuDoX nachzusehen . Das ist die Do-kumentationssammlung des Deutschen Bundestages, inder wir den Bundestagsabgeordneten die zur Verfügungstehenden Informationen immer bereitstellen .Die Bundesregierung setzt sich bei allen Verhand-lungen zu Freihandelsabkommen für ein starkes Nach-haltigkeitskapitel ein . Wir wollen dort zum Beispiel dieRatifizierung der ILO-Kernarbeitsnormen und auch dieThemen Umweltschutz, Klimaschutz und viele anderemehr verankern . Das ist unser Ziel . Ob es sich um eingemischtes oder ein EU-only-Abkommen handelt, wirddann zu beantworten sein, wenn uns alle Verhandlungs-ergebnisse zur Verfügung stehen .
Noch eine Zusatzfrage?
Ja . – In EuDoX sind keine Verhandlungsprotokolle,
keine Dokumente und keine Vertragstexte zu finden.
Insofern fällt es einem Bundestagsabgeordneten ausge-
sprochen schwer, den Stand nachvollziehen zu können .
Wir sollen aber darüber beschließen .
Die nächste Nachfrage: Haben Sie sich im Rahmen
dieser Verhandlungen zumindest dafür eingesetzt, dass
der kommerzielle Walfang von Japan eingestellt wird?
Oder ist auch das für Sie kein Thema?
I
Herr Kollege Lenkert, ich habe Ihnen schon gesagt,
dass die Verhandlungen noch nicht abgeschlossen sind
und es daher noch keine entsprechenden Ergebnisse gibt .
Die können sich demzufolge auch nicht in EuDoX befin-
den . Sie fragten explizit nach Zwischenergebnissen . Da
werden Sie sicher bei EuDoX fündig werden .
Zur Frage des Walfangs ist ganz klar: Walfang und die
Einfuhr von Walfleisch in die EU sind verboten. Daran
wird auch durch dieses Abkommen nichts geändert . Das
Thema Nachhaltigkeitskapitel habe ich Ihnen eben schon
erläutert .
Kollege Mutlu .
Herr Präsident, ich habe auch eine Frage an die Bun-
desregierung . Es gibt erneut Medienberichterstattungen
darüber, dass Mitglieder dieses Hauses, also Bundestags-
abgeordnete, vom türkischen Geheimdienst in Deutsch-
land ausgespäht werden . Das ist nach Februar bereits das
zweite Mal, dass das veröffentlicht wird. Ich würde ger-
ne von der Bundesregierung wissen, ob seit dem ersten
Vorfall oder den entsprechenden Berichterstattungen und
Nachweisen diesbezüglich Gespräche mit der türkischen
Regierung stattgefunden haben, dass es sich nicht gehört,
Abgeordnete hier oder drüben vom Nachrichtendienst
des jeweiligen Partnerlandes abzuhören oder zu obser-
vieren .
Ich nehme einmal an, dass das Innenministerium ant-
worten will . Oder das Außenministerium? Verständigen
Sie sich bitte .
Herr Präsident! Herr Kollege Mutlu, in aller Klarheit:
Ja, das haben wir immer wieder deutlich angesprochen,
haben auch auf die Konsequenzen hingewiesen und un-
serer größten Sorge darüber Ausdruck verliehen . Dem
kann ich nichts weiter hinzufügen .
Dann frage ich nach: Welche Konsequenzen zie-
hen Sie jetzt aus den jüngsten Vorfällen? Was werden
Sie jetzt konkret tun, damit unser Partnerland und der
EU-Beitrittskandidat Türkei Ihren Wünschen endlich
Gehör schenkt?
Eine der Konsequenzen, Herr Präsident, Herr Kollege
Mutlu, ist sicherlich, dass dies alles andere als vertrau-
ensbildend ist und dass das auch die notwendigen Ge-
spräche zwischen Deutschland und der Türkei nicht be-
fördert; das Gegenteil ist eher der Fall . Trotzdem bleiben
wir weiter in dem Dialog, und wir werden dies abermals
in aller Deutlichkeit zur Sprache bringen . Wenn ich von
uns rede, meine ich nicht alleine das Auswärtige Amt,
sondern da beziehe ich natürlich die verschiedenen Res-
sorts inklusive des Kanzleramtes mit ein .
Weitere Fragen an die Bundesregierung sehe ich nicht .Ich beende damit die Regierungsbefragung .Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:FragestundeDrucksache 18/12876Hier werden die Fragen, wie üblich, in der Ihnen be-kanntgegebenen Reihenfolge der Ressorts aufgerufen .Wir beginnen heute mit dem Geschäftsbereich desBundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen undJugend . Für die Beantwortung steht die ParlamentarischeStaatssekretärin Caren Marks zur Verfügung .Ich rufe zunächst die Frage 1 der Kollegin CorinnaRüffer auf:Warum ist die für die Conterganstiftung zuständige Da-tenschutzbeauftragte nur für die Geschäftsstelle der Stiftungzuständig, ausdrücklich aber nicht für andere Organe der Stif-tung, wie zum Beispiel Vorstand oder medizinische Kommis-Parl. Staatssekretärin Iris Gleicke
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(D)
sion, obwohl nach § 4f des Bundesdatenschutzgesetzes für alleOrgane und Bereiche der Stiftung ein interner Datenschutzbe-
und wann wird die Bundesregierung diesen Zustand ändern?C
Vielen Dank, Herr Präsident . – Liebe Frau Kollegin
Rüffer, gerne beantworte ich Ihre Frage wie folgt: Die für
die beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaft-
liche Aufgaben angesiedelte Geschäftsstelle der Con-
terganstiftung zuständige Datenschutzbeauftragte ist zu-
gleich Beauftragte für den Datenschutz des BAFzA . Sie
hat dem Vorstand der Conterganstiftung mitgeteilt, dass
sie nur für Angelegenheiten der Geschäftsstelle, nicht
aber für die gesamte Stiftung zuständig ist .
Die Bemühungen des Vorstandes um eine Daten-
schutzbeauftragte oder einen Datenschutzbeauftragten
für die gesamte Stiftung, sehr geehrte Frau Kollegin, sind
noch nicht abgeschlossen . Für uns, für die Bundesregie-
rung, war es bisher nicht geboten, tätig zu werden, da der
Vorstand der Conterganstiftung sich im Einvernehmen
mit der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die
Informationsfreiheit aktiv um eine Lösung bemüht . Im
Auftrag des Vorstandes der Stiftung werden zudem der-
zeit Datenschutzrichtlinien für den Umgang mit Daten
und auch Akten der Conterganstiftung erarbeitet .
Zusatzfrage?
Ja . – Vielen Dank für die Beantwortung der Frage bis
hierhin . Die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und
die Informationsfreiheit hat in ihrem 26 . Tätigkeitsbe-
richt vom Mai 2017 – er ist also wenige Wochen alt –
festgestellt, dass die Conterganstiftung erstens – ich zi-
tiere – „sehr sensible Gesundheitsdaten“ verarbeitet und
dass es zweitens – ich zitiere wiederum – „ungewöhn-
lich“ ist, dass die Bestellung der Datenschutzbeauftrag-
ten „sich nicht auf die ganze Conterganstiftung erstreck-
te, sondern ausschließlich auf ihre Geschäftsstelle“, nicht
eben auf andere Organe wie den Vorstand . Sie zog daraus
den Schluss, die Stiftung explizit darauf hinzuweisen,
dass die Conterganstiftung einen Datenschutzbeauftrag-
ten braucht, der für alle Organe und Bereiche zuständig
ist . Das lässt an Deutlichkeit nichts vermissen . Die Frage
ist: Warum wird das nicht zügig umgesetzt?
C
Sehr geehrte Frau Kollegin, in Bezug auf Ihre Nach-
frage kann ich nur noch einmal unterstreichen: Erstens ist
die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die In-
formationsfreiheit da entsprechend eingebunden . Zwei-
tens geht es, wie ich schon ausführte, darum, eine Lösung
für die gesamte Stiftung zu finden, weil es grundsätzlich
als notwendig angesehen wird . Es gibt dafür noch kei-
ne Lösung, aber das liegt nicht daran, dass man nicht
willens ist, es schnellstmöglich umzusetzen, sondern
daran – darauf bezieht sich Ihre nächste Frage, die ich
gleich beantworte –, dass man noch kein entsprechendes
Personal gefunden hat .
Ich rufe die Frage 2 der Kollegin Corinna Rüffer auf:
Welche Datenschutzverstöße und -probleme durch die
Conterganstiftung sind der Bundesregierung bekannt, und
was wird sie unternehmen, um Datenschutzverstöße durch die
Conterganstiftung künftig zu verhindern?
C
Liebe Frau Kollegin Rüffer, Ihre Nachfrage geht im
Prinzip in Ihre zweite Frage über . Uns als Bundesregie-
rung ist sehr wohl bekannt, dass es über die Fragen des
Datenschutzes unterschiedliche Meinungen zwischen
dem Vorstand und einem Stiftungsratsmitglied sowie
zwischen der Stiftung und einer Betroffenen gibt. Die
Meinungsverschiedenheiten werden derzeit vor Gericht
ausgetragen .
Ich will an dieser Stelle deutlich machen, dass derzeit
erstens entsprechende Datenschutzrichtlinien erarbeitet
werden und zweitens die Conterganstiftung so schnell
wie möglich eine Beauftragte für den Datenschutz be-
kommen soll .
Ich möchte noch darauf hinweisen: Der Stiftungsvor-
stand hat bei Datenschutzbeauftragten anderer Ministe-
rien nachgefragt, ob die Bereitschaft vorhanden ist, das
Amt der Datenschutzbeauftragten in der Conterganstif-
tung zu übernehmen; denn dem Vorstand ist natürlich da-
ran gelegen, eine Datenschutzbeauftragte für die gesamte
Stiftung zu bekommen . Leider hat der Stiftungsvorstand
bisher nur Absagen bekommen . Es liegt also nicht daran,
dass der Stiftungsvorstand nicht aktiv ist, sondern daran,
dass es auf Nachfragen bisher leider nur Absagen gege-
ben hat . Die Juristen der Geschäftsstelle der Contergan-
stiftung sind leider nicht bereit, die Fortbildungen, die
für dieses Amt notwendig sind, zu beginnen . Ich möchte
deutlich machen, dass es ein ganz aktives Bemühen gibt
und sich alle einig sind, dass eine Datenschutzbeauftrag-
te für die Conterganstiftung notwendig ist . Auch ich hof-
fe, dass die Stelle schnell besetzt wird .
Frau Rüffer.
Sie sprechen von Meinungsverschiedenheiten . Allen,die sich mit der Stiftung auskennen, sind diese hinläng-lich bekannt, aber sie betreffen nicht nur den Datenschutz.In diesem Fall ist es so, dass die Bundesdatenschutzbe-auftragte in dem genannten Bericht schreibt:Bei einem Besuch der Conterganstiftung zeigtensich verschiedene datenschutzrechtliche Probleme,von denen einige ungewöhnlich … waren .Nun gehe ich davon aus, dass Sie sich im Ministeriummit diesen Fällen beschäftigt haben . Vielleicht könnenSie uns etwas zu den Verstößen sagen und dazu, was SiePräsident Dr. Norbert Lammert
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(C)
(D)
konkret dagegen zu tun gedenken . Es scheint ja mehr zusein als eine Meinungsverschiedenheit zwischen den Ak-teuren . Ansonsten hätte sich die Datenschutzbeauftragtenicht in dieser Weise geäußert .C
Sehr geehrte Frau Kollegin Rüffer, man kann die Stel-
lungnahme der Datenschutzbeauftragten so bewerten,
wie Sie es getan haben . Man kann sie auch so bewerten,
dass es aufgrund der Einlassungen der Datenschutzbe-
auftragten notwendig ist, dass die gesamte Stiftung eine
Datenschutzbeauftragte bekommt . Die Personalsuche
wird aktiv angegangen .
Sie stellen für sich fest, dass Verstöße vorliegen . Ich
kann nur wiederholen: Es gibt unterschiedliche Mei-
nungen darüber, ob es sich um Verstöße handelt . Die
Meinungsverschiedenheiten werden derzeit vor Gericht
ausgetragen . Ich bitte um Verständnis, dass ich mich
nicht – so ist es üblich – zu laufenden Gerichtsverhand-
lungen äußern werde .
Weitere Zusatzfrage .
Dann würde ich mich gerne dazu äußern . In der
102 . Stiftungsratssitzung – das war am 15 . Juni 2016 –
hat ein Betroffenenvertreter berichtet, dass sämtliche
beantragten und bewilligten spezifischen Bedarfe aller
Conterganopfer unter Angaben des jeweiligen Aktenzei-
chens und der Schadenspunkte unverschlüsselt und un-
gesichert per Rundmail an einen größeren Verteiler ver-
schickt wurden . Jetzt würde mich interessieren: Stellen
Sie diesen Fakt infrage? Wenn Sie das nicht tun, dann
ist klar, dass hier offensichtlich ein Problem besteht. Ich
möchte auch wissen: Wie soll das Problem zukünftig ge-
löst werden?
C
Gelöst wird es im Prinzip dadurch, dass derzeit Richt-
linien zum Umgang mit Daten und Akten innerhalb der
Stiftung erarbeitet werden; das habe ich in der Antwort
auf Ihre erste Frage schon deutlich formuliert . Zum an-
deren soll eine Datenschutzbeauftragte bestellt werden,
die für die gesamte Stiftung zuständig ist . Die Reibungen
und unterschiedlichen Meinungen zeigen, dass klar gere-
gelt werden muss, wie der Umgang mit sensiblen Daten
gehandhabt wird .
Da es zu diesem Geschäftsbereich keine weiteren Fra-
gen gibt, gehe ich zum nächsten Geschäftsbereich, zum
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr
und digitale Infrastruktur, über . Hier übernimmt der Par-
lamentarische Staatssekretär Herr Ferlemann die Beant-
wortung der Fragen .
Ich rufe zunächst die Frage 3 des Abgeordneten
Matthias Gastel auf:
Welche Konsequenzen für die Vorbereitung einer neuen
Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung zieht
die Bundesregierung aus den Tatsachen, dass das Durch-
schnittsalter der Eisenbahnbrücken in Deutschland in der
Laufzeit der LuFV I und LuFV II weiter angestiegen ist und
die notwendige Anzahl der zu erneuernden Bahnbrücken für
den Ausschluss eines weiteren Substanzverfalls bei weitem
rung angesichts der notwendigerweise steigenden Anzahl von
Baumaßnahmen an den für die Aufrechterhaltung eines ver-
lässlichen Schienenverkehrs sensiblen Ingenieurbauwerken
die Begrenzung negativer Auswirkun-
gen auf den Schienenverkehr beispielsweise in der LuFV III
steuern?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort .
E
Herzlichen Dank . – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Ich
beantworte die Frage wie folgt: Der Bund stellte im Rah-
men der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung auch
für die Eisenbahnüberführungen bedarfsgerecht Bundes-
mittel für Ersatzinvestitionen zur Verfügung . Der Einsatz
der Mittel ist Aufgabe der DB Netz AG .
Herr Gastel .
Das, lieber Herr Staatssekretär, hätte ich jetzt nicht ge-
wusst . Deswegen vielen Dank für diese aufschlussreiche
Information . – Wir haben ja die Situation, dass wir rein
rechnerisch – wenn man einmal von der durchschnittli-
chen Lebenszeit einer Brücke von 100 Jahren ausgeht
und die Gesamtzahl der Brücken berücksichtigt – pro
Jahr 257 Brücken sanieren bzw . ersetzen müssten . Der-
zeit ist dies bei nicht einmal der Hälfte der Brücken,
nämlich bei 115, der Fall . Damit ist aber das Ziel nicht
erreichbar, hier tatsächlich nachhaltig eine Verbesserung
der baulichen Substanz herzustellen .
Ich möchte gerne – weil Sie sich ja in der Verhandlung
über die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung III
befinden – wissen, inwiefern Sie hier bei der Planungska-
pazität bei der Deutschen Bahn ansetzen wollen . Gibt es
da Kriterien, diese zu bewerten, damit es dann vorange-
hen kann? Und gibt es die Absicht und auch die Möglich-
keit, die Mittel dann so einzusetzen, dass die Deutsche
Bahn ihr Planungspersonal einer Verstetigung der Mittel
anpassen kann?
E
Herr Kollege, wir befinden uns noch nicht in denVerhandlungen zu LuFV III . Die werden erst im Herbstdieses Jahres beginnen . Gleichwohl bereiten wir uns aufdie Verhandlungen zu der neuen Leistungs- und Finan-zierungsvereinbarung vor . Das haben wir in der Weisegemacht, dass wir im Hinblick auf die künftig notwen-dige Mittelausstattung der LuFV III sowie auf die darausCorinna Rüffer
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 242 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 28 . Juni 2017 24797
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(D)
resultierende Bemessung des Bundesbeitrages ein Gut-achten in Auftrag gegeben haben, worin auch die soge-nannten Eisenbahnüberführungen Bestandteil sind . Dasheißt, wir wissen sehr genau, wie viele Brücken in demanstehenden Fünfjahreszeitraum zusätzlich saniert wer-den sollen und welche Mittel – die man dann in der LuFVwiederfinden kann – wir dafür aufwenden müssen. DieMessung erfolgt über die Qualitätskennzahlen .Im Übrigen läuft die jetzige Leistungs- und Finanzie-rungsvereinbarung noch bis einschließlich 2019 . Sie wis-sen, dass 875 Brücken zu sanieren sind . Ich gehe davonaus, dass die Bahn diese Qualitätskennzahl auch einhal-ten wird .
Herr Gastel .
Vielen Dank . – Herr Ferlemann, damit haben Sie mir
schon das Stichwort für meine zweite Nachfrage gege-
ben . In der derzeit gültigen LuFV II sind 875 Eisenbahn-
brücken erfasst . Wir haben aber über 25 000 Brücken . Sie
haben gerade darauf hingewiesen, dass Sie sich in Vor-
gesprächen befinden. Das heißt, Sie überlegen sich auch
seitens der Bundesregierung: Was muss bei der LuFV III
anders werden? Deswegen schließe ich da die Frage an:
Diskutieren Sie auch darüber, die Anzahl der erfassten
Brücken zu erhöhen und es nicht nur bei den 875 von
insgesamt 25 000 Brücken zu belassen? Beabsichtigen
Sie vielleicht auch, alle Brücken in die LuFV III mit hi-
neinzunehmen?
E
Ich muss die Frage schon ein bisschen interpretieren,
sonst könnte ich sie gar nicht beantworten . Deswegen
drücke ich es einmal so aus: Wir erfassen alle Brücken,
Herr Gastel, nicht nur die 875 Brücken aus der LuFV II .
Wir haben alle Brücken in dem 34 000 Kilometer umfas-
senden Netz der DB Netz AG erfasst . Wir überprüfen, in
welchem Zustand sich die einzelnen Brücken befinden.
Das wird in einem festgelegten Abstand für jede einzelne
Brücke gemacht . Daraus ergeben sich Zustandsklassen .
Logischerweise brauchen wir bei den Brücken, die
sich in den Zustandsklassen I oder II befinden, überhaupt
keine weiteren Maßnahmen vorzunehmen . Bei Brücken
in der Zustandsklasse III haben wir in der Regel etwas
größere Überwachungsfristen . Wir gucken lediglich dort
genauer nach, wo die Brücken in ihrem Bestand gefähr-
det sind . Bei diesen Brücken werden Maßnahmen vorge-
sehen, und dabei wird wiederum abgeschichtet: Welche
müssen zwingend notwendig in der nächsten Zeit saniert
werden? Wo sind kleinere und wo größere Maßnahmen
notwendig? Das wird dann im Einzelnen festgelegt . Da-
für werden auch Mittel hinterlegt . Diese werden über
die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung zur Ver-
fügung gestellt . Dann kommt es zur Ausführung . Die
nimmt in dem Fall für uns die DB Netz AG vor .
Insofern kennen wir den Zustand der Brücken sehr
genau . Sie kennen ihn übrigens auch sehr genau, weil
Sie mich nach dem Zustand jeder einzelnen Brücke in
Deutschland gefragt haben und Sie von mir bezogen
auf jede Brücke in Deutschland eine explizite Auskunft
bekommen haben . So etwas hat es bisher im Deutschen
Bundestag noch nie gegeben . Sie sollten dankbar sein,
dass wir bereit sind, Ihnen diese Daten zu geben .
Die Frage 4 des Abgeordneten Stephan Kühn wird
schriftlich beantwortet .
Damit leite ich über zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Re-
aktorsicherheit . Die Parlamentarische Staatssekretärin
Frau Schwarzelühr-Sutter übernimmt die Beantwortung .
Die Frage 5 der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl
wird schriftlich beantwortet .
Ich rufe die Frage 6 der Abgeordneten Rita Stockhofe
auf:
Wann ist mit der Ausschreibung für weitere Labore als das
Senckenberg-Institut für Wolfsgenetik zu rechnen, von denen
der Staatssekretär im Bundesministerium für Umwelt, Natur-
schutz, Bau und Reaktorsicherheit Jochen Flasbarth in seinem
Interview mit der taz.die tageszeitung vom 17 . Juni 2017
spricht?
Frau Staatssekretärin .
Ri
Sehr geehrte Frau Stockhofe, das Senckenberg-For-
schungsinstitut, Außenstelle Gelnhausen, ist auf Emp-
fehlung des Ständigen Ausschusses „Arten- und Bio-
topschutz“ der Länderarbeitsgemeinschaft Naturschutz,
Landschaftspflege und Erholung, kurz LANA genannt,
im Oktober des Jahres 2009 das nationale Referenzzent-
rum für populationsgenetische Untersuchungen bei Wolf
und Luchs geworden .
Im
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn die genetische Untersuchung von Rissen ein
Engpass ist, muss man gucken, ob das nicht auch
andere machen können . Darüber reden wir mit den
Ländern .
Derzeit gibt es allerdings keinen Engpass bei der ge-
netischen Bearbeitung von Rissproben . Die reine Bear-
beitungszeit liegt bei zehn Werktagen . Daher ist derzeit
eine Beauftragung weiterer Laboratorien im Hinblick
auf populationsgenetische Analysen zum Wolf inklusive
Nutztierrissanalysen nicht erforderlich und auch nicht
geplant .
Frau Stockhofe, haben Sie eine Nachfrage?
Bei welcher Bearbeitungsdauer wäre denn ein „Eng-pass“ erreicht? Sie haben gerade von einem DurchschnittParl. Staatssekretär Enak Ferlemann
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gesprochen . Wir haben Erfahrungsberichte von Prakti-kern, in denen von einer längeren Zeitspanne gesprochenwird .Hat das Senckenberg-Institut festgestellt, dass es sichbei den eingereichten Proben häufiger um Proben vonHybriden, also weder Wolf noch Hund, handelte? AndereInstitute, die solche Proben untersucht haben, haben hier-von berichtet und auf ihre Nachfrage beim Senckenberg-Institut eine sehr unfreundliche Antwort erhalten .Ri
Das Senckenberg-Institut hat sich natürlich im Laufe
der Zeit weiter darauf eingestellt und die Technik moder-
nisiert . Das ist ein sehr etabliertes Institut . Das Institut
führt Nutztierrissanalysen durch und bestimmt, zu wel-
cher Population die Wölfe gehören . Das Senckenberg-
Institut erkennt sicherlich auch, ob es Hybride gibt oder
nicht .
– Zur Anzahl der gefundenen Hybriden kann ich im Mo-
ment keine Auskunft geben .
Ich rufe die Frage 7 des Abgeordneten Oliver
Grundmann auf:
Wodurch qualifiziert sich das Senckenberg-Institut – laut
Bundesregierung – als nationales Re-
ferenzinstitut für Wolfsgenetik in Deutschland?
Frau Staatssekretärin .
Ri
Frau Präsidentin! Herr Kollege Grundmann, im For-
schungs- und Entwicklungsvorhaben des Bundesamtes
für Naturschutz „Rahmenplan Wolf“ wurde im Jahr 2009
eine konkrete Bewertung von potenziellen Laboren vor-
genommen, welche als nationales Referenzzentrum für
genetische Untersuchungen von Großraubtieren infrage
kommen . Hierbei wurde das Aufgabenspektrum sowie
die Fragestellung, die mittels der genetischen Analysen
beantwortet werden sollten, den einzelnen Laboren vor-
gestellt und um Abgabe eines Angebots gebeten .
Hierbei qualifizierte sich das Senckenberg-Institut
durch die Verwendung von aktuellen Methoden sowie
eine große Erfahrung bei der Bearbeitung von nicht in-
vasiv gesammeltem Probenmaterial . Dies umfasst zum
Beispiel Kot-, Urin- und Haarproben, also nicht nur
Rissproben . Zusätzlich zu der umfangreichen Erfahrung
im Hinblick auf molekulargenetische Methoden konnte
es auch Erfahrungen als Servicedienstleister vorweisen .
Hinzu kam die weithin anerkannte wissenschaftliche Re-
putation .
Herr Grundmann, möchten Sie eine Nachfrage stel-
len?
Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, vielen Dank für
die Beantwortung der Frage . – In meinem Wahlkreis
häufen sich mittlerweile Wolfssichtungen; wir haben au-
ßerdem eine starke Zunahme von Nutztierrissen . Gerade
letzte Woche war in der Zeitung nachzulesen: Die Wölfe
spazieren mittlerweile über die Höfe . In der letzten Wo-
che ist ein Wolf sehr interessiert und neugierig mehrere
Hundert Meter einem Schlepper hinterhergelaufen und
hat überhaupt keine Scheu gezeigt .
Ich habe schon mehrfach von Tierhaltern gehört,
dass ihre Anfragen an das Senckenberg-Institut zur ge-
netischen Bestimmung von Wolfsverdachtsfällen abge-
lehnt wurden – ganz entgegen Ihrer Beantwortung, die
Sie eben ausgeführt haben . Die Ablehnung erfolgte mit
der Begründung – das kann ich auch zitieren –, dass die
dafür notwendigen Abstimmungen, inklusive Vergabe
neuer Aufträge, Rechnungsadressen und der nicht immer
einfachen Kommunikation, eine erhebliche Mehrarbeit
darstellen und als nicht sinnvoll erachtet werden . – Das
war eine Kommunikation vom Senckenberg-Institut . In
Kurzform dargestellt: Der Aufwand lohnt nicht, es ent-
stehen zu hohe Kosten und eine aufwendige Bürokratie .
Meine Frage: Ist der Bundesregierung bekannt, dass
das Senckenberg-Institut die Annahme von DNA-Proben
verweigert? Und was gedenkt die Bundesregierung zu
unternehmen, damit künftig Anfragen service- und kun-
denorientiert umfänglich bearbeitet werden?
Ri
Herr Kollege Grundmann, dieser Vorgang ist uns nicht
bekannt . Wir werden dem nachgehen .
Haben Sie eine zweite Frage? Bitte halten Sie sich an
die Zeit .
Ich habe noch eine Frage zum günstigen Erhaltungs-zustand der Wolfspopulation, die Sie letztes Mal nichtausreichend beantwortet haben . Das Umweltministeriumschreibt, dass eine Neubewertung der Erhaltungspopu-lation erst im Rahmen der turnusmäßigen EU-Berichts-pflicht im Jahr 2019 erfolgen soll. Meine Frage: Hält dieBundesregierung an einer früheren Bewertung fest bzw .wird eine Neubewertung als erforderlich angesehen,wenn wir ein jährliches Wachstum von Wolfspopulatio-nen von mehr als 30 Prozent haben? Ich frage vor allenDingen deshalb, weil Wölfe mittlerweile in unmittelbarerNähe zu Wohngebieten auftauchen; dort herrscht ein sehrstarkes Annäherungsverhalten vor, und es besteht keineScheu mehr .Rita Stockhofehttp://www.taz.de
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Ri
Herr Kollege Grundmann, Stichwort „Monitoring“ .
Es gibt einen Bericht von 2015/2016 über ein Monito-
ring . Dort ist ganz genau festgelegt, wie die Populations-
größe festgestellt wird . Ich weiß nicht, woher Sie wis-
sen, dass die Wolfspopulation um mehr als 30 Prozent
angewachsen ist; das Verfahren wird beim BfN wissen-
schaftlich vorgenommen und ausgewertet . Es gibt also
das Wolfs-Monitoring 2015/2016 . Wir sind bei den Vor-
bereitungen für die Auswertungen des nächsten Monito-
rings 2016/2017 . Das werden wir natürlich – so wie es
immer war – durchführen .
Im Übrigen darf ich eines noch ergänzen: Sie haben
im Nachgang durchaus noch ausführlich Informationen
zu der Frage, die ich auf Anhieb nicht beantworten konn-
te, erhalten; das will ich einfach festhalten .
Ich rufe jetzt die Frage 8 des Abgeordneten Albert
Weiler auf:
Mit welchen Laboren arbeitet nach Kenntnis der Bundes-
regierung das Senckenberg-Institut als nationales Referenzin-
stitut für Wolfsgenetik in Deutschland zwecks methodischer
Standardisierung der Auswertung von Wolfsspuren zusam-
men?
Frau Staatssekretärin .
Ri
Herr Weiler, das Senckenberg-Forschungsinstitut,
Standort Gelnhausen, ist Mitgründer des „CEwolf“-Kon-
sortiums . Dieses Konsortium wurde im Jahr 2014 ge-
gründet und widmet sich der Erforschung der europä-
ischen Wolfspopulation und deren Populations- und
Ausbreitungsdynamik . Seit dem Jahr 2000 breiten sich
Wölfe in Mittel- und Westeuropa weiter aus und besie-
deln neue Gebiete, wie etwa Dänemark, Tschechien und
die Niederlande . Durch das Konsortium soll die Verein-
heitlichung von Labor- und Auswertungsstandards er-
reicht werden, um so der Ausbreitungsdynamik des Wol-
fes Rechnung zu tragen .
Bislang sind vier Mitgliedsländer in diesem Konsorti-
um vertreten . Das ist Dänemark mit dem Department of
Bioscience an der Aarhus University; es ist Deutschland
mit dem Fachgebiet Naturschutzgenetik, Senckenberg-
Forschungsinstitut; es sind die Niederlande mit dem
Animal Ecology Team an der Alterra-Wageningen Uni-
versity und Polen mit dem Institute of Genetics and Bio-
technology an der University of Warsaw .
Mittels der Harmonisierung der Labor- und Auswer-
tungsstandards können zukünftig grenzüberschreitende
Individuen sicher den Quellpopulationen zugeordnet
werden . Auch mit zusätzlichen Institutionen sowie La-
boren im Ausland wie etwa in Frankreich, Italien oder
der Schweiz werden Proben ausgetauscht und analysiert .
Herr Weiler, wünschen Sie eine Nachfrage?
Ja . – Vielen Dank, Frau Staatssekretärin . Gibt es auch
schon Untersuchungen vom Senckenberg-Forschungsin-
stitut oder von anderen Instituten, wie man der Wolfspo-
pulation Herr werden will, wenn sie zu groß wird? Ich
weiß, dass die Menschen in meinem Wahlkreis schon
jetzt Bedenken haben, ihre Kinder in den Wald zu schi-
cken, wenn es Wölfe gibt .
Ich weiß, dass das von dem einen oder anderen belächelt
wird, wie ich sehe, auch von Herrn Lenkert von der Lin-
ken . Aber es ist nun einmal so, dass – ich will jetzt nicht
in die Märchenwelt von Rotkäppchen gehen – die Angst
begründet ist . Der Wolf hat eine Rückenhöhe von bis zu
1 Meter, vielleicht sogar noch mehr . Da besteht schon die
Angst, dass man als Kind oder als Erwachsener, insbe-
sondere als Frau, angefallen wird . Gibt es zum zukünfti-
gen Vorgehen schon Vorschläge?
Ri
Herr Kollege Weiler, wir nehmen die Ängste durch-
aus ernst . Wir haben darauf reagiert und mit den Ländern
einen runden Tisch eingerichtet . Wir haben die Doku-
mentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema
Wolf geschaffen. Wir haben den günstigen Erhaltungs-
zustand noch nicht erreicht . Ich will aber auch festhal-
ten, dass wir in Europa keine Fälle beobachten wie in
Alaska . Der Wolf ist ein wildes Tier, ein Raubtier . Man
muss aber nicht in Panik ausbrechen . Uns liegen bisher
keine Vorfälle mit Wölfen vor . Wenn ein Wolf allerdings
dabei beobachtet wird, wie er im Abfall gräbt, sollte man
ihn vertreiben. Wenn es sich um einen verhaltensauffäl-
ligen Wolf handelt, dann kann er trotz Schutz durch die
FFH-Richtlinie der Europäischen Union entfernt werden,
wie es bei MT6, also Problemwolf Kurti, der Fall war .
Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Beermann auf:
Liegen der Bundesregierung Informationen vor, durch wel-
che Qualitätsmanagementsysteme das Senckenberg-Institut
für Wolfsgenetik die Qualität seiner DNA-Analysen sicher-
stellt?
Ri
Herr Kollege Beermann, auch Sie interessieren sichfür den Wolf . In der genetischen Wildtierforschung gibtes keine Normierung von Qualitätsmanagementsyste-men . Durch die Implementierung von Negativ- sowiePositivproben in allen Laborschritten und die zusätzli-che Amplifizierung von mehreren Replikaten führt dasSenckenberg- Institut ein eigen entwickeltes Kontrollsys-tem durch .
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Speziell die Analyse von Proben mit geringemDNA-Gehalt wie etwa Rissproben und Kotproben be-darf spezieller räumlicher und arbeitstechnischer An-passungen, um die Kontaminationsgefahr möglichst ge-ring zu halten . Hierbei spielt die langjährige Erfahrungdes Senckenberg-Instituts eine besondere Rolle . In denvergangenen Jahren konnten mehr als 10 000 nicht in-vasiv gesammelte Proben von diversen Wildtieren be-arbeitet werden . Hierbei wurde die laborinterne Quali-tätssicherung weiterentwickelt . Zusätzliche Ring- sowieBlindtests werden regelmäßig mit den Mitgliedern desCEwolf-Konsortiums durchgeführt und die Ergebnisseprotokolliert .
Herr Beermann .
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin, für die Beant-
wortung . – Natürlich interessiere ich mich als Nieder-
sachse für den Wolf . Er ist bei uns aktuell ein großes
Thema, gerade auch in der Landwirtschaft . Mich wür-
de daher interessieren, ob der Bundesregierung mögli-
cherweise bekannt ist, welche molekulare Methodik das
Senckenberg- Institut zur DNA-Analyse von Wolfsspu-
ren bei Nutztierrissen verwendet und ob die DNA durch
andere Labore reproduzierbar ist .
Ri
Das Senckenberg-Institut ist sehr etabliert und hat in-
ternational weit über 30 Publikationen auf den Weg ge-
bracht . Ich denke, gerade was die Methode angeht, ist
das Senckenberg-Institut innovativ . Es hat eine neue Me-
thode auf den Weg gebracht, nämlich die Single-Nucleo-
tide-Polymorphismus-Methode . – Das Bundesminis-
terium für Forschung stimmt nickend zu . – Es ist ein
etabliertes, renommiertes Institut, und die Wissenschaft-
ler sind weltweit anerkannt . Insofern ist, glaube ich, be-
stätigt, dass das Institut eine wertvolle Arbeit verrichtet .
Herr Beermann, wünschen Sie eine zweite Nachfra-
ge? – Nein . Dann hat Frau Keul zu diesem Themenkom-
plex noch eine Frage .
Frau Staatssekretärin, können Sie sich erklären, wa-
rum die Unionsabgeordneten, die vier Jahre lang in der
Fragestunde kaum Fragen gestellt haben, jetzt ein so
intensives Interesse am Wolf zeigen? Halten Sie diese
Angst der Union vor dem Wolf vor dem Hintergrund,
dass es bisher noch keinen Schaden zulasten eines Men-
schen gegeben hat, während die statistische Wahrschein-
lichkeit, durch den Hund eines unverantwortlichen Hun-
dehalters, von denen es in dieser Republik ja genug gibt,
angegriffen und verletzt zu werden und damit zu Schaden
zu kommen, um ein Tausendfaches höher ist, für nach-
vollziehbar?
Ri
Ich will jetzt einmal für meine Kolleginnen und Kolle-
gen insgesamt sprechen . Sie haben sich im Ausschuss für
Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit sehr
intensiv mit dieser Frage beschäftigt . Wir haben auch ei-
nen sehr dicken Bericht dazu vorgelegt, weil es natürlich
durchaus Ängste und auch Zielkonflikte mit den Nutz-
tierhaltern gibt . Diese nehmen wir ernst, und deswegen
muss man sich miteinander entsprechend austauschen
und darüber reden, wie weit sich die Populationen in Mit-
teleuropa weiter ausbreiten .
Es ist natürlich auch wichtig, zu wissen, wie sich die
Anzahl der Rudel entwickelt . Es gibt ganz viele, die ge-
nau wissen, wie der Bestand ist . Wie das ermittelt wurde,
weiß man wiederum nicht . Damit meine ich nicht unbe-
dingt die Kollegen . In den Medien – vor allem in den
sozialen Medien – gibt es durchaus ein breites Interesse
daran .
Warum das Interesse genau jetzt so hoch ist? Das wür-
de ich gar nicht in irgendeinen Zusammenhang stellen,
sondern das ist sozusagen die Fortführung unserer letzten
Fragestunde zum Thema Wolf vor ein paar Wochen, und
es wird auch nicht die letzte Fragestunde sein, in der der
Wolf ein Thema ist .
– Es wird sicherlich auch nicht die letzte für die nächsten
Jahre sein .
Aber für heute . – Wir kommen nun zu einem ande-
ren Geschäftsbereich, nämlich zum Geschäftsbereich
des Bundesministeriums für Bildung und Forschung .
Der Parlamentarische Staatssekretär Stefan Müller über-
nimmt die Beantwortung .
Ich rufe zunächst die Frage 10 der Abgeordneten
Dr . Daniela De Ridder auf:
In welcher Höhe sind finanzielle Mittel im Bundeshaus-
terium für Bildung und Forschung für die Folgehaushalte bis
2020 potenziell vor?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort .
S
Frau Präsidentin! Liebe Frau Kollegin De Ridder, ichbeantworte Ihre Frage gerne: Für die Fördermaßnahme„EU-Strategie-FH“ – und ich möchte gerne ergänzen:Parl. Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter
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und für die Fördermaßnahme „EU-Antrag-FH“ – sind imBundeshaushalt ab 2017 folgende Mittel hinterlegt: fürdas Jahr 2017 750 000 Euro, für das Jahr 2018 2 200 000Euro, für das Jahr 2019 1 500 000 Euro und für das Jahr2020 1 500 000 Euro .Für die Förderrichtlinie „Lebensqualität durch sozialeInnovationen“ – kurz: „FH-Sozial“ – im Programm „For-schung an Fachhochschulen“ sind im Bundeshaushalt ab2017 hinterlegt: für 2017 4 Millionen Euro, für 2018 5 Millionen Euro, für 2019 5 Millionen Euro und für2020 ebenfalls 5 Millionen Euro .
Frau Dr . De Ridder, wünschen Sie eine Nachfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, sehr gerne, Frau Präsidentin . – Vielen Dank für die
Ausführungen, Herr Staatssekretär . Das ist ja ein Pro-
gramm zur Stärkung der sogenannten SAGE-Fächer, also
der Fächer Soziale Arbeit, Gesundheit und Erziehung .
Wir wissen, dass das im Kontrast zu MINT-Programmen
steht . Ich würde Sie gerne fragen: Wie schätzen Sie das
Volumen an den Fachhochschulen im Vergleich zu den
Förderungen ein, die Sie im MINT-Bereich vornehmen?
Ist das üppig? Ist das weniger üppig? Ist das bescheiden?
S
Wir haben in den vergangenen Jahren ja gemeinsam
sehr viel Wert darauf gelegt, dass unser Innovationsbe-
griff sehr breit gefasst ist. Heute Vormittag haben wir im
Ausschuss auch über die Hightech-Strategie gesprochen,
und ich glaube, wir können gemeinsam stolz darauf sein,
Frau Kollegin, dass wir als Koalition in dieser Wahlpe-
riode erreicht haben, dass der Begriff „Innovation“ eben
nicht nur technologisch ausgelegt wird, sondern dass
auch soziale Innovationen darunter verstanden werden .
Das ist ja auch der Grund, weswegen es in diesen Pro-
grammen entsprechende Veränderungen gegeben hat .
Es bleibt dem neuen Deutschen Bundestag aber natür-
lich unbenommen, hier noch weitere Schwerpunkte zu
setzen .
Ich persönlich bin der Meinung, dass wir bei den
Fächern der Geistes- und Sozialwissenschaften im Ver-
gleich zu den MINT-Fächern durchaus noch weiteres Po-
tenzial haben .
Frau Dr . De Ridder, wünschen Sie eine zweite Nach-
frage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gerne . Vielen Dank dafür, dass Sie sie zulassen . –
Sie sehen mich hier, werter Herr Kollege, mit stolzge-
schwellter Brust stehen, gerade was die Förderung der
Fachhochschulen insgesamt angeht .
Ich möchte aber gerne dezidiert nachfragen, ob Sie
das auch vor dem Hintergrund der Genderkonzepte so
einordnen . Können Sie einmal sagen, wie sich hier die
eben beschriebenen und finanzierten Programme einord-
nen lassen? Welche Effekte erwarten Sie in Bezug auf die
Chancengleichheit von Frauen, die gerade in den soge-
nannten SAGE-Fächern überproportional vertreten sind?
Welche Chancen sehen Sie hier für die Rekrutierung jun-
ger Männer für das Studium, aber auch von etablierten
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern für die Pro-
fessuren in Bezug auf das Genderverhältnis?
S
Nun glaube ich, dass mit den genannten Fördermaß-
nahmen – das wissen auch Sie – nicht primär das Ziel
verfolgt wird, besonders die Gendergesichtspunkte he-
rauszuarbeiten, wenngleich einzelne Projekte Genderfra-
gen selbstverständlich mit aufnehmen .
Wir haben gemeinsam vereinbart, den Fokus auf
dieses Thema zu setzen, was wir im Übrigen in dieser
Wahlperiode bereits gemacht haben . Ich glaube, dass das,
wenn ich die Dynamik des Themas richtig einschätze,
für die kommende Wahlperiode ein Handlungsfeld ist, in
dem weitere Schwerpunkte gesetzt werden .
Herr Lenkert wünscht eine Nachfrage zu diesem The-
ma .
Herr Staatssekretär, vielen Dank für Ihre Ausführun-
gen. – Ich hoffe sehr, dass Sie gerade die Fachhochschu-
len, die in ländlichen und strukturschwachen Räumen
vertreten sind, deutlich stärker fördern . Als Vergleichs-
maßstab nehme ich einmal die Exzellenzinitiative, die
auf wenige Standorte konzentriert ist und die Ihnen meh-
rere 100 Millionen Euro pro Jahr wert ist . Im Zusammen-
hang mit den Fachhochschulen reden wir von Beträgen
von 750 000 Euro, 2,2 Millionen Euro und 1,5 Millionen
Euro pro Jahr. Diese Differenzierung ist aus unserer Sicht
nicht nachvollziehbar .
Ich frage Sie deswegen: Haben Sie zumindest in der
mittelfristigen Planung eine deutliche Aufstockung der
Mittel für diese Programme vorgesehen, damit sie an-
nähernd in eine Relation zu dem kommen, was Sie im
Rahmen der Exzellenzinitiative, die natürlich nicht in
den ländlichen Räumen stattfindet, auf wenige Standorte
dauerhaft fixieren?
S
Herr Kollege Lenkert, Sie sind ja zu klug, um nicht zuwissen, dass sich die Förderung der Fachhochschulen imBereich der Forschung nicht auf 750 000 Euro in einer –in einer! – Förderlinie reduzieren lässt . Die Mittel für dasProgramm „Forschung an Fachhochschulen“ umfassen,wenn ich das richtig in Erinnerung habe, 55 MillionenEuro allein in 2017 . Ich möchte Sie darauf hinweisen,dass wir in der kommenden Woche die Namen der er-Parl. Staatssekretär Stefan Müller
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folgreichen Hochschulen, die sich für die Förderinitiative„Innovative Hochschule“ von Bund und Ländern bewor-ben haben und in den nächsten fünf Jahren Fördermittelbekommen werden, bekannt geben werden .Wir reden hier über ein Programm, das sich insbe-sondere an Fachhochschulen sowie kleine und mittlereUniversitäten richtet . Mindestens die Hälfte dessen, wasan Fördermitteln ausbezahlt wird, geht an die Fachhoch-schulen . Wir reden für die gesamte Initiative in der Sum-me über eine Größenordnung von 550 Millionen Euro,Herr Kollege .
Damit rufe ich jetzt die Frage 11 ebenfalls der Abge-
ordneten Dr . Daniela De Ridder auf:
Warum wird mit „FH-Sozial“ eine in Teilen konkurrierende
Förderlinie zur bereits bestehenden Linie „Soziale Innovatio-
nen für Lebensqualität im Alter“ aufgelegt, obwohl
nach der Veröffentlichung der Empfehlungen des Wissen-
schaftsrates von Oktober 2016 das Problem des mangelnden
professoralen Nachwuchses als prioritär anzusehen ist?
Herr Staatssekretär .
S
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Frau Kollegin
De Ridder, ich möchte Ihnen gerne antworten, dass es
sich bei der Förderlinie „Lebensqualität durch sozia-
le Innovationen“, kurz: „FH-Sozial“, nicht um eine zur
SILQUA-FH konkurrierende Förderlinie handelt .
Die Förderlinie SILQUA-FH wurde 2015/2016 evalu-
iert, und daraus resultierend wurde als Nachfolgeförder-
linie oder -initiative „FH-Sozial“ konzipiert . Selbstver-
ständlich werden im Rahmen der auslaufenden Projekte
aus SILQUA-FH alle bereits bewilligten Projekte bis
zum Abschluss weiter finanziert und gefördert.
Frau Kollegin, wünschen Sie eine Nachfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, sehr gerne . Vielen Dank, dass Sie diese zulassen . –
In diesem Kontext möchte ich gerne wissen, ob Sie im
Rahmen der angesprochenen Förderung Chancen sehen,
den wissenschaftlichen Nachwuchs an Fachhochschulen
gerade in den eben aufgeführten Fächern der sogenann-
ten SAGE-Disziplinen zu stärken . Hier interessiert mich,
wie Sie diese Linie insgesamt in die Nachwuchsförde-
rung einbetten, die die Bundesregierung für Fachhoch-
schulen – da hätten wir vielleicht ein bisschen mehr tun
können – auflegt.
S
Frau Kollegin, ich möchte hier keine Konkurrenz
zwischen den Programmen aufmachen, die wir explizit
für soziale Innovationen aufgelegt haben, und der Fra-
ge: Wie gehen wir mit der, wie ich finde, berechtigten
Forderung um, Personalgewinnung und -entwicklung
an Fachhochschulen zu unterstützen? Das eine ist für
mich, ehrlich gesagt, unabhängig von dem anderen, weil
wir beides brauchen und weil wir beides machen müs-
sen . Demzufolge möchte ich Ihnen antworten, dass, je-
denfalls unabhängig von der Förderung von Forschung
an Fachhochschulen, wir als Ministerium ein Interesse
daran haben, zusammen mit der Gemeinsamen Wissen-
schaftskonferenz hier voranzukommen .
Am 7 . April hat die GWK beschlossen, Eckpunkte
für ein mögliches Bund-Länder-Programm vorzulegen
bzw . zunächst einmal zu diskutieren . Das wird bei der
nächsten Sitzung der GWK im November 2017 der Fall
sein . Zur Vorbereitung dieser Sitzung wurde auch unter
Zugrundelegung der Analyse der Wissenschaftsratsemp-
fehlungen eine Facharbeitsgruppe zwischen Bund und
Ländern ins Leben gerufen, die derzeit Vorschläge für
die Sitzung der Wissenschaftskonferenz im November
erarbeitet .
Wünschen Sie eine weitere Nachfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, davon würde ich gerne Gebrauch machen . Danke
schon jetzt für die Beantwortung . – Ich würde von Herrn
Staatssekretär Müller gerne wissen, warum es nicht
schon eher gelungen ist, gerade bei den Professuren zwi-
schen Universitäten und Fachhochschulen eine Analogie
zu schaffen. Wir kennen das Problem seit längerem und
wissen, wie sehr und wie hart die Fachhochschulen bei
der Rekrutierung um professoralen Nachwuchs kämpfen .
Insofern wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie noch
einmal kurz zusammenfassen könnten, welche Investiti-
onen in den wissenschaftlichen Nachwuchs bzw . in die
Karrierepfade und -wege einer FH-Professur Sie getätigt
haben . Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das auch unter
Gendergesichtspunkten deutlich machen könnten .
S
Frau Kollegin, wir haben uns sowohl zwischen Bundund Ländern, aber übrigens auch in unserer gemeinsa-men Koalition darauf verständigt, dass wir die Frage derPersonalgewinnung und -entwicklung an Fachhochschu-len diskutieren, sobald der Wissenschaftsrat zu entspre-chenden Empfehlungen kommt . Diese Empfehlungenliegen inzwischen vor .Meines Wissens hat es auch zwischen den Regierungs-fraktionen eine Verständigung darüber gegeben, dassman erst ab diesem Zeitpunkt darüber sprechen kann,dass wir die Vorschläge des Wissenschaftsrates dann prü-fen und dass wir, jedenfalls was die Bundesregierung an-geht, uns mit den Ländern ins Benehmen setzen, wie wirunter Berücksichtigung all der Fragen, die auch Sie ebenaufgeworfen haben, damit umgehen .Ich fürchte, Frau Kollegin, ich muss Sie noch umGeduld bitten, bis die Bund-Länder-Arbeitsgruppe hierzu einem Ergebnis kommt und wir im November nachder GWK-Sitzung auch gemeinsam mit den Ländern zuParl. Staatssekretär Stefan Müller
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einer Verständigung darüber kommen, was Inhalt einesgemeinsamen Bund-Länder-Programms sein könnte .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit gehen wir
über zum nächsten Geschäftsbereich, dem Geschäfts-
bereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung . Hier übernimmt der
Parlamentarische Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel
die Beantwortung der Fragen .
Zunächst rufe ich die Frage 12 des Abgeordneten
Kekeritz auf:
Wie schätzt die Bundesregierung die Folgen der von der
Trump-Administration geplanten Aufkündigung des Dodd-
Frank Act hinsichtlich des Abbaus von Konfliktmineralien im
der Misereor-Studie „Globale Energiewirtschaft und Men-
schenrechte“, die eklatante Menschenrechtsverletzungen und
Umweltzerstörung auch durch deutsche Energieunternehmen
schenrechtliche Sorgfaltspflichten einzuführen?
Ha
Der Dodd-Frank Act ist eine US-amerikanische
Rechtsvorschrift, nach der börsennotierte US-Unter-
nehmen gehalten sind, öffentlich darzulegen, ob sie bei
ihrer Produktion Konfliktmaterialien aus Ländern Afri-
kas benutzen . Diese Vorschrift besteht seit sechs Jahren,
und wir sehen, dass seit der Verabschiedung ein robuster
Trend zu mehr Verantwortung im Rohstoffbereich ent-
lang der gesamten Lieferkette entstanden ist .
Konsequenzen einer temporären Aussetzung bzw .
Aufkündigung dieser Vorschrift für das Engagement
der USA und amerikanischer Unternehmen insbeson-
dere in der Demokratischen Republik Kongo und ihren
Nachbarstaaten zur Einhaltung von Sorgfaltspflichten
sind derzeit noch nicht abzusehen . Es bleibt abzuwarten,
ob und gegebenenfalls wie führende US-Unternehmen,
welche den Dodd-Frank Act und andere internationale
Prozesse aktiv unterstützen, diese Vorschriften freiwillig
weiter anwenden .
Unabhängig davon wurde bekanntlich am 17 . Mai
2017 die neue EU-Verordnung zu Konfliktmineralien
verabschiedet . Die ist davon natürlich unabhängig . Sie
bietet die Basis dafür, dass wir diese Problematik stärker
ins Auge fassen können .
Herr Kekeritz, wünschen Sie eine Nachfrage?
Ja . – Herr Staatssekretär, herzlichen Dank für die Ant-
wort . Vor allen Dingen ist die Botschaft, die Sie mit der
Antwort gegeben haben, sehr positiv . Der Dodd-Frank
Act hat sehr positiv gewirkt. Auch die EU-Konfliktmine-
ralienverordnung wird positiv wirken . Nur, wenn es tat-
sächlich zur Aufkündigung des Dodd-Frank Acts kommt,
würden positive Entwicklungen rückgängig gemacht .
Die Milizen, die die Gegend verlassen haben, würden
wieder zurückkommen und die Minen wieder besetzen
und ihr Geschäft weiterbetreiben . Deswegen wäre es
nach unserer Meinung sinnvoll, dass die EU-Konfliktmi-
neralienverordnung relativ zügig umgesetzt wird . So,
wie es geplant ist, dauert es noch sehr lange, bis sie Wir-
kung erzeugt .
Wären Sie als Bundesregierung denn bereit, sich auf
EU-Ebene dafür einzusetzen, dass diese Konfliktminera-
lienverordnung früher und schneller umgesetzt wird?
Ha
Die Bundesregierung hätte sehr gerne eine kürzere
Übergangsfrist, Herr Kollege . Wir werden das auch unter
dem Gesichtspunkt dieser Entwicklung weiter betreiben .
Wir müssen jedoch anerkennen, dass einige Mitgliedstaa-
ten erst die zuständigen Behörden aufbauen müssen, um
entsprechend mitwirken zu können . Das kostet einfach
Zeit . Unter diesen Gesichtspunkten ist es bei der Anwen-
dung des sogenannten Trilogverfahrens gar nicht so ein-
fach, den bisher gefundenen Kompromiss zwischen dem
Europäischen Parlament, dem Europäischen Rat und der
Europäischen Kommission zu verändern .
Herr Kekeritz, wünschen Sie eine zweite Nachfrage?
Ja. – Grundsätzlich geht es ja um Sorgfaltspflich-
ten. Das ist sicherlich nicht auf Konfliktmineralien be-
schränkt . Es geht auch um Bergwerke, um Plantagen, um
Fischerei und letztendlich um sämtliche Investitionen,
auch im Textilbereich . Nun hat Minister Müller neulich
deutlich gesagt, dass er sich von der Textilindustrie zum
Teil hinters Licht geführt gefühlt habe . Er werde sich
deshalb verbindliche Regelungen überlegen .
Das ist eine großartige Sache . Er hat hierfür volle
Unterstützung von unserer Seite . Nur, das Problem mit
Herrn Minister Müller ist, dass er oft etwas verkündet,
das aber in keinster Weise mit dem Kabinett abspricht .
Solche Regelungen müssten natürlich auch juristisch
fundiert formuliert werden . Da ist das Justizministerium
verantwortlich, da ist das Wirtschaftsministerium verant-
wortlich . Sind denn die Aussagen, die Minister Müller
hier öffentlich tätigt, tatsächlich schon im Kabinett abge-
sprochen? Kann man davon ausgehen, dass das tatsäch-
lich irgendwann zur Kabinettsmeinung wird?
Ha
Herr Kollege, Minister Müller war der Allererste, der
sich auf den Weg gemacht hat, hier überhaupt erst ein-
mal Grundlagen zu schaffen und diese Probleme in An-
griff zu nehmen. Wir haben mit dem Textilbündnis auf
freiwilliger Basis immerhin erreicht, dass sich Firmen,
Pa
Rede von: Unbekanntinfo_outline
//www.nytimes.com/aponline/2017/06/07/world/africa/ap-af-africa-conflict-minerals.html?smid=tw-share&_r=0http://www.nytimes.com/aponline/2017/06/07/world/africa/ap-af-africa-conflict-minerals.html?smid=tw-share&_r=0http://www.nytimes.com/aponline/2017/06/07/world/africa/ap-af-africa-conflict-minerals.html?smid=tw-share&_r=0http://www.misereor.de/fileadmin/user_upload/Energie-und-Menschenrechte-Bericht-2017.pdfhttp://www.misereor.de/fileadmin/user_upload/Energie-und-Menschenrechte-Bericht-2017.pdf
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die circa 45 bis 55 Prozent des Marktanteils im Textilbe-reich haben, zwischenzeitlich den Prinzipien verpflichtethaben . Das ist, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten,doch mehr als null .Es wäre denkbar gewesen, dass das politische Kräf-te vor uns begonnen hätten; denn die Probleme gab esauch schon damals . Daher sollten Sie durchaus dem Mi-nister einen Vertrauensvorschuss geben . Zunächst sollendiese Maßnahmen freiwillig weitergeführt werden . Wirmüssen dann prüfen, was daraus wird, bevor wir weitereAussagen treffen.
Ich komme zur Frage 13 des Kollegen Uwe Kekeritz:
Was genau meint die Bundeskanzlerin Dr . Angela Merkel,
wenn sie die Handelsverträge der EU mit Afrika teilweise als
sungen in den Handelsbeziehungen der EU mit Afrika will die
Bundesregierung nach der Ankündigung der Bundeskanzlerin
Dr . Angela Merkel, die Handelsbeziehungen auf dem nächsten
EU-Afrika-Gipfel im November dieses Jahres neu verhandeln
zu wollen, erreichen?
Herr Staatssekretär .
Ha
Sie beziehen sich auf die Reuters-Meldung . Ich möch-
te konkret sagen, dass Frau Bundeskanzlerin Dr . Merkel
sich zweimal geäußert hat . Am 19 . Juni hat sie beim
Civil20-Dialogforum eine Rede gehalten und mit den
Vertretern der Zivilgesellschaft über den anstehenden
G-20-Gipfel in Hamburg diskutiert . Am gleichen Tag hat
die Bundeskanzlerin beim Verbrauchertag des Verbrau-
cherzentrale Bundesverbandes eine Rede gehalten . Ich
gebe Ihnen gern die originalen Redetexte, damit Sie das
nachvollziehen können .
Bei ihren Ausführungen zu den Handelsverträgen
der EU mit Afrika ging es der Kanzlerin darum, auf die
Diskrepanz bei den Rahmenbedingungen für Handel
zwischen den ärmsten Ländern und den sogenannten
Schwellenländern, also den Mitteleinkommensländern,
hinzuweisen . Die Kanzlerin hatte bereits vorher – es ist
also keine ganz so große Neuigkeit an diesem Tag pas-
siert – bei der Afrika-Konferenz am 12 . und 13 . Juni in
Berlin betont, dass die Handelsbeziehungen mit Afrika
fair ausgestaltet werden müssen . „Fair“ bedeutet, dass
Wertschöpfung auch in Afrika stattfindet und dort Jobs
entstehen können .
Sie hat in der weiteren Perspektive dargestellt, dass
diese politischen Fragen in den anstehenden politischen
Prozessen weiter bearbeitet werden müssen: Das ist der
EU-Afrika-Gipfel im November dieses Jahres, und das
ist der Post-Cotonou-Prozess, der, wie Sie auch wissen,
zu weiteren Ergebnissen im Jahr 2020 geführt werden
muss .
Herr Kollege Kekeritz, wünschen Sie hierzu eine
Nachfrage?
Ja . – Herzlichen Dank . – Ich freue mich, wenn Sie mir
die Rede zur Verfügung stellen . Soweit ich informiert
bin, hat sich die Kanzlerin ganz konkret auf die EU-Han-
delsverträge mit Afrika bezogen . Dabei kann es sich aus
meiner Sicht nur um die sogenannten EPAs handeln, die
2014/2015 auf Brüsseler Ebene abgeschlossen worden
sind und sehr viele Mängel aufweisen . Insofern wäre es
sehr konsequent und sehr gut, wenn die Kanzlerin jetzt
sagt: Da müssen Änderungen vollzogen werden .
Natürlich ist die Zivilgesellschaft C20 im Rahmen der
G-20-Veranstaltung eine interessante Plattform, aber sie
ist keine Plattform, die irgendetwas ändern kann . Ändern
muss man das in Brüssel . Was wird denn ganz konkret
geplant von der Regierung oder von Ihrer Seite aus, um
eine Nachbesserung dieser Verträge zu erreichen?
Ha
Niemand hat je behauptet, dass die EPAs der letzte
Schritt in der Entwicklung der europäisch-afrikanischen
Handelsbeziehungen sind . Wir alle wissen, dass diese
EPAs immer nur bestimmte Räume in Afrika heraus-
greifen und dass sie auch dort nicht von allen Ländern
in gleichem Maße vorangebracht werden . Das führt au-
tomatisch dazu, dass natürlich nicht alles, was man sich
hier vorgenommen hat, schon so in bester Form wirkt .
Daher ist es doch konsequent, dass die Politik weiter
prüft, was getan werden kann und muss, um sowohl in
der Beziehung zwischen Afrika und Europa als auch in
Afrika selbst Verbesserungen zu erreichen .
Ich möchte ein kleines Beispiel nennen . Wir haben
zwar neue Möglichkeiten, dass die Länder Waren nach
Europa ausführen . Wenn aber die Produkte nicht die ge-
forderte Qualität haben oder nicht zertifiziert sind, dann
steht das zwar auf dem Papier, ist aber in der Realität sehr
schwierig . Deswegen ist auch eine der Aufgaben, dass
wir zum Beispiel Zertifizierungsverfahren entwickeln
und entwickeln helfen, damit das, was in den EPAs bis
jetzt auf dem Papier steht, auch in der Praxis stattfinden
kann .
Herr Kekeritz .
Danke schön . – Sie haben richtig gesagt: Es ist kon-sequent, an diesen Verträgen weiterzuarbeiten . – MeineFrage war dahin gehend: Was machen Sie denn jetzt ganzkonkret?Als zweite Frage interessiert mich jetzt, wie Sie mitden sogenannten Interimsverträgen umgehen, die mitder Elfenbeinküste und mit Ghana abgeschlossen wur-den . Hauptziel dieser EPAs war die regionale Integrati-Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel
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on zum Beispiel der ECOWAS . Inzwischen sind Sie soweit, dass Sie mit einzelnen Ländern, die Sie sich he-rauspicken, Interims-EPAs abschließen . Damit stören Sieganz massiv die regionale Integration dieser Länder . Waswollen Sie dagegen tun? Und wann stoppen Sie diese In-terims-EPAs?Ha
Es handelt sich ja immer um zwei Seiten, Herr Kol-
lege Kekeritz . Dazu gehört auch ein starker Wille der
betreffenden Länder, die vorankommen und die in den
EPAs vom Grundsatz her formulierten Möglichkeiten
nutzen möchten . Auf diese Art und Weise entstehen Akti-
vitäten, die von der EU akzeptiert werden . Das kann bei
guter Wirksamkeit dazu beitragen, dass andere merken,
dass solche EPAs insgesamt mehr Qualität haben . Au-
ßerdem sollten wir erst einmal abwarten, wie sie wirken;
denn wir reden bisher über Dinge, die wir in ihrer vollen
Ausgestaltung in der Praxis noch gar nicht erlebt haben .
Frau Hänsel .
Danke schön, Frau Präsidentin . – Ich möchte nach-
haken, Herr Staatssekretär Fuchtel . Bei Ihren Antworten
ist nicht deutlich geworden, ob die Kanzlerin die Wirt-
schaftspartnerschaftsabkommen mit Afrika meint, wenn
sie kritisiert, dass es unfaire Verträge gibt . Wenn dem
so ist, dann frage ich Sie: Wieso kommt die Kanzlerin
denn jetzt, am Ende der Legislatur, darauf? Wir disku-
tieren diese Wirtschaftspartnerschaftsabkommen seit
vier Jahren . Die Kanzlerin hat vor zwei Jahren mit ihrem
Afrikabeauftragten, Herrn Nooke, der diese Abkommen
schon seit Jahren kritisiert, an Diskussionen in unserem
Ausschuss teilgenommen . Ich persönlich habe die Kanz-
lerin darauf angesprochen, ob sie denn allen Ernstes die
Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit Afrika in dieser
Form verantworten kann, obwohl sie ungerecht sind und
die Fluchtursachen verstärken . Daraufhin sagte sie, nein,
ich würde übertreiben und sie sehe es nicht so . Sie konn-
te auch nicht verstehen, dass ihr Afrikabeauftragter diese
Abkommen kritisiert .
Wie kommt die Kanzlerin jetzt dazu, die Abkommen
zu kritisieren? Woher kommt der Sinneswandel kurz vor
der Wahl?
Ha
Das hat nichts damit zu tun, dass wir kurz vor der
Wahl stehen .
Erstens . Es ist ein großes Verdienst der Bundeskanzlerin,
dass sie dafür gesorgt hat, dass Afrika in der Gesamtdis-
kussion einen ganz neuen Stellenwert bekommen hat .
Zweitens . Wir stehen zu den bisherigen EPAs . Sie
sind für uns Vereinbarungen, die so lange wirken, bis
es Besseres gibt . Es ist gar nicht so leicht, Besseres zu
schaffen, weil die WTO mit ihren 164 Mitgliedstaaten
noch ein Wörtchen mitzureden hat . Deswegen gibt es gar
keinen anderen Weg, als nun – im Herbst findet eine gro-
ße gemeinsame Konferenz zwischen Afrika und Europa
statt – diese Fragen aufzuwerfen und entsprechend zu
analysieren . Es ist doch nicht verboten, nach Besserem
zu suchen . Auch die Kanzlerin hat den Anspruch, das in
die Diskussion einzubringen .
Ich will nur kurz darauf hinweisen, dass die Frage-
stunde um 15 .30 Uhr endet .
Herr Movassat hat zu diesem Komplex noch eine
Nachfrage .
Danke . – Herr Staatssekretär, wir freuen uns, dass die
Bundeskanzlerin nach zwölf Jahren Kanzlerschaft die
Kritik an den Handelsabkommen anerkennt und sich für
einen fairen Handel ausspricht . Auch Ihr Minister Müller
hat sich kritisch zu den Handelsabkommen geäußert; das
war in vielen Pressemeldungen zu lesen . Nichtsdesto-
trotz hat er 2014 die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen
mit den westafrikanischen Staaten unterschrieben . Mich
interessiert, ob Herr Müller angesichts seiner aktuellen
Kritik und der Kritik der Kanzlerin diese Abkommen er-
neut unterschreiben würde, ja oder nein?
Ha
Es geht um einen etwas anderen Sachverhalt als den,den Sie versuchen darzulegen . Der Sachverhalt ist, dassdie EPAs einen Schritt darstellen, um vor allem denSchwellenländern die Problematik zu ersparen, plötzlichunter die Gesamtregularien der WTO zu fallen; das istsehr wichtig .
Aber das blenden Sie in Ihren Überlegungen einfach aus .Wer solche Fragen stellt, sollte wagen, auch darauf eineAntwort zu geben .
Was jetzt geschieht, baut auf dem auf, was bisher ge-schaffen wurde: Es werden weitere Überlegungen ange-stellt, die auf etwas Großräumigeres abzielen . Warumbraucht man diese Großräumigkeit? Es ist ganz klar: So-lange diese Kleinräumigkeit besteht und der Raum derGültigkeit solcher Abkommen nur beschränkt ist, so lan-ge ist es umso schwerer, die Wirtschaft im größeren Um-fang nach Afrika zu bekommen; denn die Unternehmermöchten natürlich einen Wirtschaftsraum von einer ge-wissen Größe vorfinden, in dem sie ihre Produkte abset-zen können . Wenn dieser Raum – auch durch die Ausge-Uwe Kekeritz
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staltung von Zollregelungen – sehr kleinräumig und sehrdisponibel ist, dann ist das eine Riesenerschwernis, umeinen Gesamtimpuls zu geben . Auch das ist ein wichtigesArgument, wenn man in der jetzigen Zeit diese Fragenvoranbringen will .
Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der weite-
ren Fragen steht Ihnen immer nur eine Minute zur Verfü-
gung, nicht zwei Minuten .
Ha
Ich kann das Lichtsignal hier vorne nicht immer so
gut sehen .
Ach . Das ist schon sehr deutlich . Aber ich habe es ja
deshalb noch einmal gesagt .
Frau Keul hat eine Nachfrage zu dem gleichen Kom-
plex .
Vielen Dank . – Nur eine ganz kurze Frage . Herr
Staatssekretär, was meinen Sie eigentlich mit „Schwel-
lenländern“? Nach meiner Kenntnis befindet sich unter
den ECOWAS-Staaten kein Schwellenland .
Ha
Ich meinte damit Mitteleinkommensländer – wenn Sie
das bitte konkretisiert so zur Kenntnis nehmen wollen .
Jetzt rufe ich Frage 14 des Abgeordneten Niema
Movassat auf:
Zu welchen Schlussfolgerungen kommt der Bundesminister
Dr . Gerd Müller nach der Überprüfung des auch aus deutschen
Haushaltsmitteln finanzierten Africa Agriculture and Trade
Investment Fund , die er in der Arte-Doku „Konzer-
(Ansiedlung in Luxemburg, Wasserfallprinzip, Art der Finan-
zierungen), und welche möglichen Änderungen der Fonds-
strukturen plant die Bundesregierung?
Herr Staatssekretär, bitte .
Ha
Zur Beantwortung dieser Frage haben wir die Dinge
sehr genau untersucht . Wir weichen nicht davon ab, dass
Fonds eine gute Lösung sind, um Problematiken, wie
wir sie hier haben – es geht um Schwierigkeiten, mehr
mittelständisches Wirtschaften nach Afrika zu bringen –,
zu bewältigen . Das ist trotz dieser Überprüfung nach wie
vor unsere Position . Wir sind ferner der Meinung, dass
Luxemburg ein guter Standort ist, und zwar deswegen,
weil dort die notwendigen Grundlagen gegeben sind, um
einen solchen Fonds effektiv zu fahren.
Außerdem sind wir für diese Konstruktionen, weil wir
einfach viel mehr Geld auf den Markt bringen müssen,
um all die Aufgaben anzugehen, die hier anzugehen sind .
Schließlich werden durch die ODA-Quote gerade einmal
15 Prozent des Kapitalzuflusses in die Entwicklungs-
länder erbracht; 85 Prozent kommen vom Privatsektor .
Wenn dem so ist, muss man Konstruktionen finden,
durch die man diese Entwicklung verstärken kann, wenn
man mehr Geld auf dem Markt haben möchte . Das ge-
schieht mit den vorhandenen Konstruktionen; denn man
muss Lösungen finden, die es für das private Kapital in-
teressant machen, sich dort zu engagieren .
Herr Movassat .
Danke, Herr Staatssekretär . – Ich habe mir angeschaut,
welche Unternehmen im Rahmen des AATIF finanziert
worden sind. Eins der so finanzierten Unternehmen ist
der Finanzinvestor Agrivision . Agrivision hat seinen Sitz
im Steuerparadies Mauritius und ist in Sambia tätig; es
ist kein mittelständisches Unternehmen . Vor kurzem
wurde die Finanzierung von Agrivision in Sambia um
fünf weitere Jahre verlängert . Mich würde jetzt interes-
sieren, warum Agrivision aus Sicht der Bundesregierung
ein Erfolgsmodell ist? Inwiefern werden damit entwick-
lungspolitische Ziele wie Bekämpfung der Armut, Schaf-
fung von mehr Arbeitsplätzen, Zahlung besserer Löhne
erreicht?
Ha
So etwas wird sehr wohl erreicht . Ich bin auch Auf-
sichtsratsvorsitzender der DEG, die für den Privatsektor
innerhalb der KfW zuständig ist . Ich kann Ihnen sagen,
dass die Zahl der Arbeitsplätze, die durch solche Kon-
struktionen geschaffen oder erhalten werden, wodurch in
den Ländern dann auch Steuern gezahlt werden, eine sehr
erfreuliche Entwicklung genommen hat und sich auf eine
Größenordnung zubewegt, die uns veranlassen sollte, all
den Finanzierungsinstrumenten noch mehr Aufmerksam-
keit zu geben .
Herr Movassat .
Danke . – Herr Staatssekretär, dass Sie zu dem kon-
kreten Finanzierungsmodell der Agrivision leider keine
Angabe machen konnten, ist bedauerlich . Sie sagen: Es
ist alles sehr erfolgreich . – In der Tat, in dem Eckpunk-
tepapier „Wirtschaftliche Entwicklung Afrikas – Heraus-
forderungen und Optionen“ vom 7 . Juni bezeichnet die
Bundesregierung AATIF als ein innovatives Modell zur
Mobilisierung privaten Kapitals und hebt es als Positiv-
beispiel hervor, wie Sie es jetzt auch getan haben . Mich
Pa
Rede von: Unbekanntinfo_outline
//www.arte.tv/de/videos/059525-000-A/konzerne-als-retterhttp://www.arte.tv/de/videos/059525-000-A/konzerne-als-retter
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interessiert: Auf welcher Grundlage kommen Sie zu Ih-rer Einschätzung? Also: Wurden bestimmte Projekte, diedurch AATIF finanziert werden, evaluiert? Wenn es eineEvaluation gab: Zu welchem Ergebnis kam diese?Ha
Die DEG
– AATIF, der Fonds, hängt mit der DEG zusammen –
geht grundsätzlich so vor: Überall dort, wo sie an einem
Fonds beteiligt ist, aus dem Unternehmen entwickelt
oder gestützt werden, führt sie Monitoringverfahren
durch und weiß durchaus sehr gut, zeitversetzt, welche
Entwicklung ausgelöst wurde und was dabei herausge-
kommen ist .
Herr Kekeritz .
Herr Staatssekretär, ich wundere mich jetzt über Ihre
Detailkenntnisse . Im Vertrag steht, dass dieses Projekt
erst im Jahr 2020/21 gemonitort wird . Das heißt, es sind
zehn Jahre, die nicht gemonitort werden . Arbeitsplätze –
das haben Sie angesprochen – sollen geschaffen werden.
1 600 wurden in Sambia versprochen . Realisiert wurden
208 – immerhin: 208 Arbeitsplätze . In der Kalkulation
vergessen Sie aber immer, zu sagen, wie viele Existenzen
Sie durch diese Landraubprojekte vernichten . Man muss
wissen, dass ungefähr 20 000 Familien dort gelebt haben
und auch leben konnten, was sie jetzt nicht mehr können .
Dazu meine Frage . Es ist bekannt geworden, dass im
Jahr 2016 Zinsen in Höhe von 6,1 Millionen US-Dol-
lar aus Afrika in diesen Fonds nach Luxemburg geflos-
sen sind . Für die gesamte Zeit, also von 2011 bis 2016,
wurden aber nur Dividenden in Höhe von 3,2 Millionen
US-Dollar ausgezahlt . Natürlich ist es so, dass die Pri-
vaten höhere Dividendenansprüche haben als die staat-
lichen Stellen. Aber wie wird eigentlich die Differenz
zwischen Dividendenauszahlung und Zinseinnahmen
verwaltet? Wie werden diese Überschüsse verrechnet?
Oder werden davon Kosten beglichen, die dieser Fonds
hat? Wenn das so ist, dann muss dieser Fonds extrem gut
bezahlte Jobs haben .
Ha
Herr Kollege, das kann ich Ihnen jetzt aus dem Stand
beim besten Willen nicht in jedem Detail beantworten;
das muss ich Ihnen schriftlich nachliefern, was ich gern
tue . Ich könnte Ihnen jetzt noch die Proportionen zwi-
schen der privaten Seite und der öffentlichen aufzeigen,
aber das tue ich dann auch im Zusammenhang mit mei-
ner schriftlichen Mitteilung .
Der Staatssekretär hat zugesagt, dass die Antwort
schriftlich nachgeliefert wird .
Damit, liebe Kollegen, verlassen wir diesen Ge-
schäftsbereich und gehen zum Geschäftsbereich der
Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes über . Hier
übernimmt die Beantwortung der Fragen die Staatsmi-
nisterin Professor Monika Grütters .
Ich rufe die Frage 15 der Abgeordneten Tabea Rößner
auf:
Wann wird die Bundesregierung den laut Beschlusslage des
Deutschen Bundestages alle vier Jahre vorzulegenden und seit
dem Jahr 2008 nicht mehr vorgelegten Medien- und Kommu-
nikationsbericht vorlegen, damit noch in dieser Wahlperiode
parlamentarisch über die Situation der Medienlandschaft bera-
ten werden kann, und falls dieser Bericht nicht mehr bis zum
Beginn der parlamentarischen Sommerpause vorgelegt wer-
den kann, was sind die Gründe für den Verzug?
Frau Staatsministerin .
M
So wie sich eben die grüne Kollegin Keul über dasUnionsinteresse an Wölfen gewundert hat, bin ich einbisschen erstaunt darüber, liebe Frau Kollegin Rößner,dass Sie ausgerechnet die Gelegenheit der letzten Fra-gestunde dieser Legislaturperiode nutzen, um sich nachdem Medien- und Kommunikationsbericht der Bundes-regierung zu erkundigen, weil Ihre Fraktion bisher wenigInteresse daran gezeigt hat; zumindest war ein solchesInteresse für mich nicht erkennbar .
Aber gerade heute, wo das Thema jetzt, um 15 Uhr, aufder Tagesordnung des Kulturausschusses steht, freue ichmich natürlich über Ihr hiesiges vorgelagertes Interesse .Zur Sache: Die Zeitspanne zwischen den Medienbe-richten variiert stark, und das hat gute Gründe . Der letzteBericht stammt aus dem Jahr 2008 . In der 17 . Legisla-turperiode hat es die Enquete-Kommission „Internet unddigitale Gesellschaft“ gegeben . Deshalb hat der Bundes-tag damals auf einen eigenen Medien- und Kommuni-kationsbericht verzichtet, aber als Ergebnis der Enquete-Kommission eine Bund-Länder-Medienkommission zurMedienkonvergenz eingesetzt . Diese hat von 2015 bis2016 getagt . Wir hielten es – übrigens in Abstimmungmit den MdB – für richtig, für inhaltlich ergiebig und ausRespekt vor den Ergebnissen der Bund-Länder-Kom-mission zur Medienkonvergenz auch für geboten, denMedien- und Kommunikationsbericht erst fertigzustel-len, wenn die Ergebnisse dieser Kommission vorliegen .Der Abschlussbericht der Kommission, der schon imHerbst 2016 vorgelegt wurde und der Leitlinien für dieNiema Movassat
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Weiterentwicklung der Medienordnung in Deutschlandaufzeigt, rechtfertigt meines Erachtens dieses Vorgehenund erfüllt die hohen Erwartungen, die mit der Einset-zung der Kommission von Bund und Ländern einher-gingen . Übrigens war daran Baden-Württemberg – unddamit auch die Grünen – beteiligt .Wir haben die, wie Sie wissen, erforderliche Ausschrei-bung für das Gutachten, das wie üblich die wissenschaft-liche Basis für den Medien- und Kommunikationsberichtist, im Lichte der Ergebnisse der Bund-Länder-Kommis-sion formuliert . Dies haben wir ohne Zeitverlust bewerk-stelligt, allerdings wohlwissend, dass die Vorlage mitdem Ende der Legislaturperiode kollidiert .Die Bund-Länder-Kommission zur Medienkonver-genz hat übrigens 2015 ihre Arbeit aufgenommen . Eswäre gut gewesen, im Ausschuss oder auch an dieserStelle einmal die Frage zu erörtern: Was erwarten wirvon den Ergebnissen der Kommission für den Bericht?
Frau Kollegin, Sie haben das Wort .
Vielen Dank, Frau Staatsministerin Grütters . Ich halte
Ihre Vorbemerkung vonseiten der Bundesregierung für
nicht angemessen, was ich hier anmerken möchte; denn
schließlich gab es verschiedene Anfragen von verschie-
denen Fraktionen, auch von unserer parlamentarischen
Geschäftsführung bereits vor zwei Jahren, wann dieser
Bericht vorgelegt wird . Wir haben in der Obleuterunde
des Kultur- und Medienausschusses seit Anfang des Jah-
res immer wieder darüber gesprochen – im Übrigen von
Kollegen Ihrer Fraktion –, dass er noch vor der Sommer-
pause vorliegen und besprochen werden soll . Deshalb
verstehe ich Ihre Vorbemerkung nicht .
Der angemahnte Bericht unterscheidet sich von dem
der Bund-Länder-Kommission zur Medienkonvergenz,
weil es darum geht, eine Bewertung abzugeben über die
zunehmende Medienkonzentration, über die Medien-
landschaft, über die Medienvielfalt in diesem Land, was
für unseren demokratisch-freiheitlichen Diskursprozess
und Meinungsbildungsprozess von essenzieller Bedeu-
tung ist . Ich verstehe nicht ganz, warum Sie sich über den
Beschluss des Bundestages, alle vier Jahre einen solchen
Bericht vorzulegen, hinwegsetzen . Daher die Frage: In
welchem Stadium befindet sich der Bericht, und können
nicht bereits fertiggestellte Teile, die über das genannte
Gutachten des Hans-Bredow-Instituts hinausgehen, noch
vorgelegt werden?
M
Wie gesagt, das von der Bundesregierung beauftragte
wissenschaftliche Gutachten des Hans-Bredow-Institutes
ist die Grundlage . Jetzt wird das Gutachten ausgewertet .
Uns ist dabei wichtig, dass das nicht einseitig durch BKM
geschieht, sondern im Austausch mit Ihnen . Wie Sie wis-
sen, liegt das Gutachten seit April 2017 vor . Wir haben es
am 6 . Juni an den Kulturausschuss gesandt, versehen mit
einer fünfseitigen aus unserer Sicht ersten Auswertung
und politischen Bewertung . Seit dem 27 . Juni, also seit
gestern, ist das Gutachten online .
Wir wollen diese Themen gemeinsam mit dem Bun-
destag erörtern . Wir können natürlich auch eine einsei-
tige, regierungsseitige politische Bewertung vornehmen .
Das war aber bislang unüblich und soll es auch künftig
sein . Es ist klar: Das fällt in die Diskontinuität dieser Le-
gislaturperiode . Eine gemeinsame Erörterung erscheint
uns aber wichtiger, als allein eine regierungsamtliche
politische Bewertung vorzunehmen . Das ist im Übrigen
auch der Grund, warum das Thema jetzt im Kulturaus-
schuss des Deutschen Bundestages behandelt wird . Die
SPD-Fraktion macht übrigens auch einen Medienpoliti-
schen Dialog dazu; das durfte ich wohl weitersagen .
Die Einordnung des Themas war, denke ich, notwen-
dig . Ich hätte es überhaupt nicht nachvollziehen können,
wenn wir die Ergebnisse der Bund-Länder-Kommission
zur Medienkonvergenz in keiner Weise in diesem Bericht
gewürdigt hätten .
Frau Rößner .
Ich habe die Nachfrage, wann Sie zu der Erkenntnis
gekommen sind, dass Sie diesen Bericht in diesem Jahr
nicht mehr vorlegen, nachdem es in der Vergangenheit
in entsprechenden Antworten immer wieder Vertröstun-
gen gab, dass der Bericht noch kommen wird, und wir im
Kultur- und Medienausschuss fest damit gerechnet ha-
ben, den Bericht noch vor der Sommerpause diskutieren
zu können .
M
Wenn die wissenschaftliche Grundlage erst im Aprilvorliegt, dann kann sich jeder, der mitreden will, aus-rechnen, dass das bis zur Sommerpause nur in dem Maßegeht . Sie haben das Thema auch nicht eher auf die Tages-ordnung des Kulturausschusses gesetzt .
– Ja . Wir haben eine erste fünfseitige Einordnung vorge-nommen; die liegt Ihnen seit dem 6 . Juni vor .
Ich denke, schneller war es nicht möglich .Ich habe Ihnen im Übrigen die drei großen The-menblöcke genannt, die aus unserer Sicht wichtig sind:Regulierung sozialer Netzwerke sowie Maßnahmengegen Hasskriminalität, zukünftige Aufgabe der öffent-lich-rechtlichen Grundversorgung, Sicherung vielfältigerAngebote von Qualitätsmedien . All das ist dem Aus-schuss und seinen Mitgliedern am 6 . Juni auf mehrerenStaatsministerin Monika Grütters
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Seiten zugegangen . Wie gesagt, das wissenschaftlicheGutachten liegt Ihnen auch vor .
– Wir können den Bericht natürlich auch ohne Einbezie-hung des Deutschen Bundestages erstellen . Ich glaubeaber, dass das wesentlich unwürdiger gewesen wäre .
Liebe Kollegin, Ihre Fragen sind damit beantwortet .
Die Frage 16 der Abgeordneten Martina Renner wird
schriftlich beantwortet .
Ich leite dann zum nächsten Geschäftsbereich über,
nämlich zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts .
Hier übernimmt der Staatsminister Michael Roth die Be-
antwortung der Fragen .
Die Fragen 17 und 18 des Abgeordneten Özcan Mutlu,
die Frage 19 der Abgeordneten Erika Steinbach und
die Frage 20 des Abgeordneten Andrej Hunko werden
schriftlich beantwortet .
Ich rufe Frage 21 der Abgeordneten Heike Hänsel auf:
Über welche eigenen oder
auch im Rahmen der NATO erhaltenen Erkenntnisse verfügt
die Bundesregierung über den Abschuss eines Kampfflugzeu-
ges der syrischen Luftwaffe durch das US-Militär nahe Rakka?
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Frau Kollegin
Hänsel, der Bundesregierung liegen über den Abschuss
eines syrischen Kampfflugzeugs durch die Vereinigten
Staaten von Amerika keine eigenen Erkenntnisse und
auch keine Erkenntnisse im Rahmen der NATO, die wir
möglicherweise erhalten haben könnten, vor . Die Infor-
mationen, die uns zur Verfügung stehen, sind jene, zu de-
nen auch Sie Zugang haben. Sie finden sich nämlich in
der auf einer Website veröffentlichten Stellungnahme der
Anti-IS-Koalition .
Die sogenannte Combined Joint Task Force der Ope-
ration Inherent Resolve hat sich nach dem Vorfall öffent-
lich dazu geäußert und Stellung bezogen . Wie gesagt,
Sie können diese Stellungnahme lesen; sie ist relativ
ausführlich . Demnach erfolgte der Abschuss des Kampf-
jets, nachdem dieser Kampfjet Einheiten der von der An-
ti-IS-Koalition unterstützten Syrian Democratic Forces
angegriffen haben soll.
Frau Hänsel .
Danke schön . – Herr Staatsminister, die NATO ist ja
mittlerweile Teil der Anti-IS-Koalition . Im Rahmen des-
sen muss es ja einen Informationsaustausch geben . Die
Bundeswehr hat ja, wie wir alle wissen, bisher Tornados
in Incirlik stationiert – sie werden jetzt nach Jordanien
verlegt –, die Aufklärung betreiben . Insofern möchte ich
nachhaken . Es kann ja wohl nicht der Ernst sein, dass die
Bundesregierung über keine umfassenderen Erkenntnis-
se verfügt als jene, die auf dieser Website zu finden sind;
es erschreckt mich eigentlich schon .
In diesem Zusammenhang möchte ich festhalten, dass
es dazu widerstreitende Darstellungen gibt . Die syrische
Luftwaffe sagt, dass sie nicht SDF-Kämpfer bombar-
diert, sondern die IS-Stellung bei al-Rusafa angegriffen
haben . Ist Ihnen darüber etwas bekannt?
Liebe Frau Kollegin Hänsel, Ihre Nachfrage gibt mir
Gelegenheit, klarzustellen, dass die deutschen Tornados
vom 19. bis zum 22. Juni keine Aufklärungsflüge durch-
geführt haben . Insofern liegen uns logischerweise keine
eigenen Erkenntnisse vor . Das war auch ein Beitrag zur
Deeskalation . Wir haben die Flugzeuge erst wieder seit
dem 24 . Juni eingesetzt
– Entschuldigung, seit dem 23 . Juni – und seit dem
24 . Juni auch über dem östlichen Teil Syriens .
Frau Hänsel .
Ich habe noch eine generelle Frage zu dem Abschuss
des syrischen Kampfflugzeugs und auch iranischer Droh-
nen durch das US-Militär in Syrien . Das ist ja eine äu-
ßerst gefährliche Situation und Zuspitzung, zumal die
russische Seite die Kooperation mit den USA aufgekün-
digt hat . Im Rahmen des Memorandums zur Flugsicher-
heit soll solchen Vorfällen vorgebeugt und sich umfas-
send über die Flugbewegungen ausgetauscht werden .
Russland wirft den USA vor, das Memorandum gebro-
chen zu haben, indem sie den Angriff vorher nicht an-
gekündigt, sondern sofort reagiert haben . Was macht die
Bundesregierung ganz konkret, um eine weitere Zuspit-
zung in dieser Region – womöglich greifen sich russi-
sche und US-amerikanische Kampfflugzeuge gegenseitig
an oder das russische und das US-amerikanische Militär
geraten in eine direkte militärische Auseinandersetzung
mit weitreichenden Folgen – im Rahmen der NATO zu
verhindern?
Frau Kollegin Hänsel, der Zwischenfall zeigt erneut,wie schwierig und komplex die Lage ist und wie schwie-rig auch der notwendige Kampf gegen die Terrororgani-sation „Islamischer Staat“ ist .Ich will noch einmal klarstellen: Wir führen eine mili-tärische Auseinandersetzung gegen eine Terrororganisa-tion, aber nicht gegen einen Staat und auch nicht gegendemokratische Kräfte, die in den sogenannten Syrian De-mocratic Forces zusammengefasst werden .Sie haben darüber hinaus darauf hingewiesen, dassRussland infolge des Abschusses des Flugzeuges öffent-lich erklärt hat, das sogenannte Deconflicting einzustel-len . Wir fühlen uns – und damit meine ich die gesamteAnti-IS-Koalition – weiterhin dem Prinzip von Decon-Staatsministerin Monika Grütters
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flicting verpflichtet. Ich habe auch den Eindruck, dassdas nach wie vor im Interesse aller Beteiligten und allerParteien ist .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit sind die Fra-
gen zu diesem Geschäftsbereich abgeschlossen .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums des Innern . Hier übernimmt die Beantwor-
tung der Fragen der Parlamentarische Staatssekretär
Dr . Günter Krings .
Die Frage 22 des Kollegen Oliver Krischer wird
schriftlich beantwortet .
Ich rufe die Frage 23 des Kollegen Volker Beck auf:
Welche straf- und dienstrechtlichen Maßnahmen prüft
bzw . ergreift die Bundespolizeidirektion in Pirna im Zusam-
menhang mit dem an die Öffentlichkeit gelangten Protokoll
der WhatsApp-Gruppe der AfD Sachsen-Anhalt, ausweislich
dessen mindestens ein mutmaßlicher Bundespolizist Äußerun-
gen, die der freiheitlichen demokratischen Ordnung zuwider-
ticle2l0986363/Bundespolizei-prueft-nach-AfD-Leak-Konse-
quenzen-fuer-Beamte .html; https://twitter .com/LarsWienand),
und inwiefern plant bzw . ergreift die Bundesregierung Maß-
nahmen, um auf die verfassungswidrigen Äußerungen mut-
maßlicher Bundespolizisten, die im Netz veröffentlicht wor-
den sind ,
zu reagieren?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort .
D
Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Lieber Kollege Beck, die Bundespolizeidirektion
Pirna hat unmittelbar nach Bekanntwerden des inkrimi-
nierten Chatverlaufs gegen einen Beamten der Bundes-
polizei wegen möglicher Verstöße gegen die politische
Neutralitäts- und Mäßigungspflicht, gegen die Pflicht
zum Bekenntnis zur und zum Eintreten für die freiheit-
liche demokratische Grundordnung sowie die Pflicht zu
achtungs- und vertrauensgerechtem Verhalten innerhalb
und außerhalb des Dienstes ein Disziplinarverfahren ein-
geleitet . In diesem Zusammenhang wird allerdings da-
rauf hingewiesen, dass nach dem bisherigen Stand der
Ermittlungen zu den 221 Seiten umfassenden Protokoll
des WhatsApp-Chatverlaufes unter Beteiligung unter-
schiedlicher Personen die beispielhaft zitierte Äußerung
„Nach der Machtübernahme Journalisten sieben“ – wir
kennen sie aus der Presse – nicht von diesem Teilneh-
mer des WhatsApp-Chats stammt, der nach derzeitigen
Erkenntnissen der Bundespolizei angehören könnte .
Über den Einzelfall hinaus bleibt festzuhalten – das ist
mir besonders wichtig, Herr Kollege Beck –, dass weder
die Bundespolizei noch das innerhalb der Bundesregie-
rung für die Bundespolizei zuständige Bundesinnenmi-
nisterium verfassungswidrige Äußerungen oder Verstöße
gegen die politische Neutralitäts- und Mäßigungspflicht
oder andere Pflichtverstöße ihrer Beamten tolerieren.
Werden mögliche Verstöße bekannt, so werden – wie
auch dieser Einzelfall zeigt – aufgrund sofort aufgenom-
mener Ermittlungen etwaige disziplinarrechtliche Maß-
nahmen geprüft und gegebenenfalls Disziplinarverfahren
eingeleitet . Weiter gehende Maßnahmen der Strafverfol-
gung obliegen den zuständigen Strafverfolgungsbehör-
den .
Herr Beck .
Können Sie denn eine Aussage darüber treffen, wem
diese Aussage zuzuordnen ist?
Im wiederstand sind wir schon lange alle, aber wir
haben uns bis jetzt klein und unauffällig gemacht,
vor allem um uns und unsere familien und soziale
Kontakte zu schützen . . . Aber es wird sich zuneh-
mend ändern und irgendwann nicht mehr so weiter-
gehen . Ich hab schon lange keine lust mehr mich zu
verstecken!
Dasselbe gilt für die Äußerung, die Sie teilweise zi-
tiert haben und die ja nach dem „sieben“ wie folgt weiter
geht: „Chefs sofort entlassen, volksfeindliche Medien
verbieten“ . Diese Äußerung ist von der Intention her aus-
drücklich darauf ausgerichtet, die freiheitlich-demokra-
tische Grundordnung, zu der die freie Presse gehört, zu
untergraben .
Wird das Bundespolizisten zugeordnet oder welchen
anderen Personen, die sich ja auch in dem Chat befan-
den? Man muss ja fragen: Hätten die das nicht aus dienst-
lichen Gründen melden bzw . anzeigen müssen? Denn
hier besteht doch schon die Gefahr, dass das auf Straf-
bzw . Gewalttaten ausgerichtet ist .
Herr Staatssekretär .
D
Also, wir können bisher nur bestätigen, dass es sich
um einen Bundespolizisten – das betrifft den Geschäfts-
bereich des Bundesministeriums des Innern – handeln
könnte oder wahrscheinlich handelt . Ich will das mit al-
ler Vorsicht formulieren . Gegen den gibt es ein Diszipli-
narverfahren . Ich kenne jetzt nicht den gesamten Chat-
verlauf und kann nicht alle Äußerungen hier auswendig
zuordnen . Deshalb kann ich nicht sagen, ob auch das Äu-
ßerungen von ihm sind . Das mag sein; ich kann das jetzt
nicht nachvollziehen . Jedenfalls wird all das dezidiert im
Disziplinarverfahren eine Rolle spielen . Wir nehmen die-
sen Sachverhalt nicht leicht .
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das nachreichenkönnten .Ich habe noch eine Nachfrage . Der gesamte Chatver-lauf liegt ja jetzt den Behörden vor . Weil auch der Vor-sitzende der sachsen-anhaltinischen AfD, Poggenburg,Mitglied dieser Chatgruppe war, möchte ich fragen, obdas nicht ein Grund ist, zu überprüfen, ob nicht zumin-dest Gliederungen der AfD vom Bundesamt für Verfas-Staatsminister Michael Rothhttp://www.morgenpost.de/politik/article2l0986363/Bundespolizei-prueft-nach-AfD-Leak-Konsequenzen-fuer-Beamte.htmlhttp://www.morgenpost.de/politik/article2l0986363/Bundespolizei-prueft-nach-AfD-Leak-Konsequenzen-fuer-Beamte.htmlhttp://www.morgenpost.de/politik/article2l0986363/Bundespolizei-prueft-nach-AfD-Leak-Konsequenzen-fuer-Beamte.htmlhttps://twitter.com/LarsWienandhttps://linksunten.indymedia.org/de/node/215841
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sungsschutz nach dem geltenden Recht beobachtet wer-den müssten .D
Es geht jetzt erst einmal um dieses Disziplinarver-
fahren . Natürlich kann ich nicht ausschließen – das will
ich auch gar nicht –, dass daraus weitere Erkenntnisse
gewonnen und Schlussfolgerungen gezogen werden kön-
nen . Zum jetzigen Zeitpunkt würde ich es für verfrüht
halten, damit sofort Maßnahmen des Verfassungsschut-
zes zu verbinden . Aber natürlich muss man diese Er-
kenntnisse – wie vieles andere auch – auswerten und
schauen, ob weitere Konsequenzen zu ziehen sind .
Dann rufe ich jetzt die Frage 24 auf, ebenfalls vom
Kollegen Beck:
Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die
Auffassung, dass die Eröffnung dieser Moschee fälschlicher-
weise mit der Gülen-Bewegung in Zusammenhang gebracht
wurde, auf die Beziehungen zu der türkischen Regierung so-
wie den der türkischen Regierung rechtlich oder faktisch zu-
geordneten Stellen in Deutschland, insbesondere der DITIB
Herr Staatssekretär .
D
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber
Herr Kollege Beck, die Bundesregierung verfolgt die Re-
aktionen auf die Eröffnung der Ibn-Rushd-Goethe-Mo-
schee in Berlin natürlich sehr aufmerksam. Das betrifft
sowohl die nationalen als auch die internationalen Reak-
tionen, die uns bekannt geworden sind . Für die Durch-
führung von gegebenenfalls erforderlichen Gefährdeten-
ansprachen bzw . Sensibilisierungsgesprächen sowie für
die Ergreifung gegebenenfalls erforderlicher polizeili-
cher Schutzmaßnahmen sind natürlich originär die Län-
der, also hier das Land Berlin, zuständig .
Sie wissen das wahrscheinlich; ich betone es aber
noch einmal für die Kollegen: Die Sprecher des Auswär-
tigen Amtes und unseres Ministeriums, des BMI, haben
am vergangenen Freitag in der Pressekonferenz der Bun-
desregierung in Reaktion insbesondere auf Stellungnah-
men der staatlichen türkischen Religionsbehörde Diya-
net und auch der staatlichen ägyptischen sogenannten
Fatwah-Behörde Dar al-Ifta in aller Klarheit Äußerun-
gen zurückgewiesen, die offensichtlich darauf abzielen,
Menschen in Deutschland das Recht zur freien Ausübung
ihrer Religionsfreiheit abzusprechen bzw . das Recht auf
freie Meinungsäußerung einzuschränken .
Deutschland ist ein Staat, der weltanschaulich und re-
ligiös neutral ist und in dem das Grundrecht der indivi-
duellen und kollektiven Religionsfreiheit gilt . Religiöse
Gemeinschaften haben das Recht, ihre Angelegenheiten
selbst zu bestimmen . Insbesondere Äußerungen, die die-
se Rechte infrage stellen oder gar geeignet sein könnten,
den öffentlichen Frieden zu stören, sind nicht hinnehm-
bar . Es wurde angekündigt, dies im Rahmen der bilatera-
len Beziehungen mit den betroffenen Staaten zur Sprache
zu bringen .
Herr Beck .
Dieser Vorgang bietet erheblichen Anlass zur Sorge,
zum einen, weil türkische Medien fälschlicherweise
behauptet haben, ein gewisser Herr Karakoyun von der
Stiftung Dialog und Bildung – das ist eine Gülen-nahe
Organisation – habe mit dieser Moschee etwas zu tun
und dieser daraufhin mehrere Morddrohungen erhal-
ten hat . Das zeigt, dass man wieder versucht, alles in
die Gülen-Ecke zu schieben, obwohl diese Moschee
vollkommen unverdächtig ist . Zum anderen darf man
natürlich auch nicht einen Gülen-Anhänger mit Mord-
drohungen überziehen . Deshalb möchte ich wissen: Wie
schätzen Sie die Sicherheitslage sowohl für die liberale
Moschee als auch von Mitgliedern der Stiftung Dialog
und Bildung ein, die ein ganz anderes Islamverständnis
haben, als es bei dieser liberalen Moschee der Fall ist?
D
Lieber Kollege Beck, ich habe ja gesagt, dass wir das
sehr ernst nehmen, was unseren Zuständigkeitsbereich
anbelangt . Wir würden aber, glaube ich, nicht fachge-
recht handeln, wenn wir die konkrete Gefährdungsein-
schätzung vor Ort den Berliner Behörden abnehmen
würden . Das müssen die Berliner Behörden tun . Ich habe
auch keinen Grund, anzunehmen, dass sie das bei beiden
Sachverhalten nicht in aller Sorgfältigkeit und Ernsthaf-
tigkeit tun .
Dann noch eine eher religionspolitische Frage . Dievier Verbände im Koordinierungsrat für Muslime sindauch Teil der Deutschen Islam Konferenz . Diese Ver-bände haben jeweils sicher ein anderes Verständnis vomIslam als Frau Ates . Es ist beiden Seiten gleichermaßenunbenommen, ihre Religion so unterschiedlich zu inter-pretieren, wie wir das auch im Christentum und im Ju-dentum zu tun pflegen.
Aber wäre es nicht überlegenswert, diese Verbändedurch eine Anregung des Bundesinnenministers dazu zubekommen, sich gemeinsam vor die Pluralität zu stellenund zu sagen: „Unabhängig davon, für wie islamisch wirdas halten, ist das von der Religionsfreiheit gedeckt . So,wie wir unser konservatives Verständnis von der Rechts-Volker Beck
http://www.welt.de/vermischtes/article165722820/Morddrohungen-wegen-Eroeffnung-von-liberaler-Moschee-in-Berlin.htmlhttp://www.welt.de/vermischtes/article165722820/Morddrohungen-wegen-Eroeffnung-von-liberaler-Moschee-in-Berlin.htmlhttp://www.welt.de/vermischtes/article165722820/Morddrohungen-wegen-Eroeffnung-von-liberaler-Moschee-in-Berlin.html
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ordnung respektiert wissen wollen, verlangen wir, dassauch andere Verständnisse respektiert werden“? Wir re-den hier über Morddrohungen und über Äußerungen vonDiyanet, die ja zum Beispiel die Aufsichtsbehörde derDITIB ist .D
Kollege Beck, eine Bemerkung zum Schluss: DITIB
jedenfalls hat sich hierzu nicht geäußert . Das ist viel-
leicht einer der wenigen positiven Punkte, die man in
letzter Zeit über DITIB berichten konnte .
Sie haben zunächst einmal vollkommen recht: Als In-
nenministerium ist es uns ein Anliegen – das haben wir
über diesen Fall hinaus gezeigt –, diese Verbände zusam-
menzubringen und sie zu gemeinsamen Äußerungen zu
bewegen, sich auch abzugrenzen von Äußerungen, die
nicht mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung
übereinstimmen und nicht auf der Akzeptanz der Reli-
gionsfreiheit basieren . Das wäre an dieser Stelle sicher
auch ein Ansatz .
Zum Thema Diyanet will ich ganz klar sagen: Der
Äußerung, die die Grundlage Ihrer Frage bildet, liegt of-
fenbar ein vollkommen anderes Verständnis von Religi-
onsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit zugrunde . Man darf
dieses Verständnis äußern . Das ist aber nicht das gemein-
hin europäische Verständnis von Religionsfreiheit und
Rechtsstaatlichkeit .
– Ich werde diese Anregung ins Haus mitnehmen . Wir
werden schauen, in welcher Form wir diesen Fall wei-
terverfolgen .
Ich rufe die Frage 25 der Kollegin Tabea Rößner auf:
Unter welchen Umständen kann die Einreisesperre bei ei-
ner trotz Ausbildungsduldung erfolgten Abschiebung aufgeho-
ben werden, und wie kann es der abgeschobenen Armenierin
Marine Nikoghosyan ermöglicht werden, ihre Ausbildung
Herr Staatssekretär .
D
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
Kollegin, ich muss Ihnen sagen: Die Entscheidung über
die Aufhebung oder Verkürzung einer Einreisesperre,
worum es bei diesem ganz konkreten Fall geht, liegt al-
lein bei der zuständigen Ausländerbehörde .
Ich weise darauf hin, dass der von Ihnen zitierte Sach-
verhalt aus unserer Sicht eine Reihe ungeklärter Fragen
aufweist, zu denen aktuell ein Verfahren vor dem Ober-
verwaltungsgericht Koblenz anhängig ist . Von hier aus
ist es uns daher leider nicht möglich, alle Einzelheiten
des Falles abschließend juristisch zu bewerten .
Frau Rößner .
Wir haben gehört, dass das kein Einzelfall ist und so
etwas öfter vorkommt . Arbeitgeberinnen und Arbeitge-
ber haben natürlich ein Interesse daran, dass diejenigen,
die sie ausbilden, bleiben können und es eine Sicherheit
gibt . Was unternimmt denn die Bundesregierung, damit
es nicht zu Abschiebungen während der Ausbildung
kommt, und wie steht die Bundesregierung zu einer Ver-
längerung der Duldung auf fünf Jahre, also während der
Ausbildungszeit und darüber hinaus?
D
Frau Kollegin, ich habe das vorhin so betont, weil Sie
einen konkreten Fall genannt haben . Wenn ich mich im
Einzelnen dazu äußern soll, will ich dabei nicht in die-
sen Rechtsstreit eingreifen . Uns liegen einfach nicht alle
Fakten vor . Ich habe Informationen – das sage ich mit
aller Vorsicht –, dass in diesem Fall ein Problem darin be-
stand, dass das Bleiberecht wegen einer Ausbildung zwar
gewollt war, die Ausbildung, jedenfalls die ursprüngli-
che, aber abgebrochen worden ist, was eine weitere Ver-
komplizierung darstellt . Ich will gar nicht abschließend
bewerten, ob es trotzdem eine Möglichkeit gibt .
Ich will nur sagen: Was die Bundesregierung machen
kann und auch macht, ist, dem Deutschen Bundestag Ge-
setzentwürfe vorzulegen . Er hat Folgendes verabschie-
det: Nach § 11 Absatz 4 des Aufenthaltsgesetzes gibt
es grundsätzlich Möglichkeiten – danach haben Sie ge-
fragt –, Einreisesperren zu verkürzen . In § 17 des Aufent-
haltsgesetzes wird eine Ausbildung als mögliche Voraus-
setzung für ein Visum angesehen . Das liegt aber immer
im pflichtgemäßen Ermessen der örtlichen Ausländerbe-
hörde, zum Teil auch der Bundesagentur für Arbeit .
Frau Rößner .
Eine konkrete Nachfrage: Wenn ich abgeschoben wor-den bin und mich im Ausland befinde und es eine Einrei-sesperre gibt, unter welchen Umständen kann ich dieseumgehen, um zurückzukommen? Alle Beteiligten wollenja, dass die Ausbildung fortgesetzt wird .Volker Beck
http://www.allgemeine-zeitung.de/politik/rheinland-pfalz/neue-fragen-im-fall-der-nach-armenien-abgeschobenen-marine-nikoghosyan_17917975.htmhttp://www.allgemeine-zeitung.de/politik/rheinland-pfalz/neue-fragen-im-fall-der-nach-armenien-abgeschobenen-marine-nikoghosyan_17917975.htmhttp://www.allgemeine-zeitung.de/politik/rheinland-pfalz/neue-fragen-im-fall-der-nach-armenien-abgeschobenen-marine-nikoghosyan_17917975.htmhttp://www.allgemeine-zeitung.de/politik/rheinland-pfalz/mainz-kreuznach-armenierin-ministerium-abschiebung-ministerium_17927000.htmhttp://www.allgemeine-zeitung.de/politik/rheinland-pfalz/mainz-kreuznach-armenierin-ministerium-abschiebung-ministerium_17927000.htmhttp://www.allgemeine-zeitung.de/politik/rheinland-pfalz/mainz-kreuznach-armenierin-ministerium-abschiebung-ministerium_17927000.htm
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D
Ich will noch einmal betonen, dass ich mich nicht zu
dem Fall äußern möchte .
Generell gibt es natürlich nicht die Möglichkeit,
Einreisesperren zu umgehen . Ich weiß nicht, ob es sie
faktisch gibt, aber als Vertreter des Bundesinnenminis-
teriums würde ich dringend davon abraten, geltendes
Recht, das der Deutsche Bundestag beschlossen hat und
worüber Sie alle mehrheitlich abgestimmt haben, zu
umgehen . Aber es gibt die Möglichkeit, Einreisesperren
zu verkürzen. Das wiederum steht im pflichtgemäßen
Ermessen der Behörde . Dazu gibt es bestimmte Anfor-
derungen, die ich im Einzelfall jetzt nicht nennen kann .
Diese Möglichkeiten sieht das Gesetz natürlich vor, wie
ein Blick in § 11 des Aufenthaltsgesetzes zeigt .
Die Fragen 26 und 27 der Kollegin Ulla Jelpke aus
diesem Geschäftsbereich werden schriftlich beantwortet .
Damit kommen wir zu Frage 28 der Kollegin Luise
Amtsberg, die ich aber nicht sehe .
Daher wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vor-
gesehen .
Das gilt dann auch für die Frage 29 der Kollegin Luise
Amtsberg .
Damit kommen wir zu Frage 30 des Abgeordneten
Hans-Christian Ströbele:
pflichtgemäße Koordinierung und „zentrale Auswertung“ der
Erkenntnisse über dessen bundesländerübergreifende Aktivi-
täten, bei?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort .
D
Vielen Dank . – Dass Frau Amtsberg nicht da ist, be-
daure ich ausdrücklich, aber in der letzten Sitzungswoche
habe ich für vieles Verständnis; das ist eine anspruchs-
volle letzte Sitzungswoche . Grüßen Sie sie herzlich .
Ich wende mich jetzt aber Herrn Ströbele zu . Es ist
wahrscheinlich die letzte Frage von Ihnen, die ich hier
in der Fragestunde beantworten darf . Wir haben schon
mehrfach die Gelegenheit gehabt . Ich fürchte, dass ich
auch diesmal nicht zu Ihrer vollumfänglichen Zufrieden-
heit antworten kann, weil Sie, wie so oft, neuralgische
und sensible Themen ansprechen .
Ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten: Die Aus-
wertung der Kommunikation des Anis Amri und die
Identität seiner Kontaktpersonen sind Gegenstand lau-
fender Ermittlungen . Deshalb müssen Auskünfte zum
ersten Teil Ihrer eigentlich zweiteiligen Fragestellung lei-
der unterbleiben . Trotz der grundsätzlichen verfassungs-
rechtlichen Pflicht, Informationsansprüche des Deut-
schen Bundestages zu erfüllen, tritt hier nach sorgfältiger
Abwägung der betroffenen Belange im Einzelfall das
Informationsinteresse des Parlaments hinter das berech-
tigte Geheimhaltungsinteresse zurück . Eine Auskunft zu
Erkenntnissen aus dem Ermittlungsverfahren würde kon-
kret weiter gehende Ermittlungsmaßnahmen erschweren
oder gar vereiteln, weshalb aus dem Prinzip der Rechts-
staatlichkeit folgt, dass hier das betroffene Interesse der
Allgemeinheit an der Gewährleistung einer funktions-
tüchtigen Strafrechtspflege und Strafverfolgung Vorrang
vor dem Informationsinteresse hat .
Vielleicht kann ich Sie mit dem Hinweis auf die Straf-
rechtspflege eher überzeugen als mit meinen Versuchen,
Ihnen in anderen Zusammenhängen die Arbeit der Nach-
richtendienste als schutzwürdig nahezubringen .
Ich würde gerne zum zweiten Teil Ihrer Frage aus-
führen, dass im Rahmen der gesetzlichen Aufgabener-
füllung des BfV, des Bundesamts für Verfassungsschutz,
die Person Amri seit Bekanntwerden Anfang 2016 durch
das BfV bearbeitet, Erkenntnisse zu Amri be- und aus-
gewertet sowie im Rahmen des GTAZ erörtert wurden .
Dabei weise ich erneut darauf hin, dass der Fall Amri von
Beginn an durch die Polizeibehörden der Länder Nord-
rhein-Westfalen und Berlin federführend bearbeitet wur-
de . Die wesentlichen Erkenntnisse sind damit durch die
Strafverfolgungsbehörden erhoben worden . Eine eigene
Überwachung Amris durch das BfV mit nachrichten-
dienstlichen Mitteln fand zu keiner Zeit statt .
Herr Ströbele .
Herr Staatssekretär, das war ja nicht sehr nett .
D
Aber leider notwendig .
Den ersten Teil Ihrer Antwort kann ich schon fast aus-wendig, weil der immer gleichlautend ist .
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 242 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 28 . Juni 201724814
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D
Ich habe ein bisschen variiert heute .
Ein bisschen variiert war es nicht .
Ich frage Sie noch einmal ganz konkret; denn wenn
das in der Zeitung steht, hat doch der Abgeordnete das
Bedürfnis, zu erfahren, ob da was dran ist, gerade in ei-
nem so wichtigen Fall wie Amri . Am 21 . Juni 2017 steht
in der Welt sogar der Kampfname: Abu Baraa al-Iraqi .
Das soll der Chatpartner, der Telefonpartner von Amri
in Libyen gewesen sein . Wir wissen ja, dass bei Amri
libysche Telefonnummern festgestellt worden sind, bei
denen er sich gemeldet und darum gebeten hat, ihm Hin-
weise zu geben, wie er einen Anschlag durchführen kann .
Könnte das diese Person sein, bzw . gibt es – ich sage es
noch einmal allgemeiner – überhaupt eine Person, die in-
zwischen ermittelt ist, mit der er Anschlagspläne in Sy-
rien erörtert hat?
Herr Staatssekretär .
D
Ja, Frau Präsidentin . – Ich habe eben ausgeführt, dass
es sich um laufende Ermittlungen handelt. Offenbar lesen
wir auch nicht dieselben Zeitungen . Ich hätte Sie eher für
eine andere Zeitung in Verdacht gehabt. Aber offenbar le-
sen Sie die Welt ausführlicher und intensiver, als ich das
tue . Ich kenne diesen Artikel nicht . Ich will auch nicht
ausschließen, dass dort Namen genannt worden sind .
Aber es ist immer noch etwas anderes, ob eine Zeitung,
aus welchen Quellen auch immer, bestimmte angebliche
Informationen oder Behauptungen niederschreibt oder
ob ich hier etwas dementiere oder bestätige, also ob sozu-
sagen regierungsamtlich etwas verlautbart wird . Das hat
nach wie vor Konsequenzen für laufende Ermittlungen,
die ich bitte sehr ernst zu nehmen . Es geht hier auch um
den Schutz der Strafrechtspflege.
Liebe Kollegen, es tut mir leid, aber ich muss die Fra-
gestunde an dieser Stelle beenden .
– Herr Ströbele, Sie können Ihre Frage noch stellen .
Dann frage ich Sie nach einer zweiten Person, und
zwar heißt die Ben Ammar . Das ist die Person, die – öf-
fentlich bekannt, auch in offiziellen Berichten stehend –
mit Herrn Amri kurz vor dem schrecklichen Anschlag
in Berlin abends zusammen in einer Kneipe gewesen ist
und gegessen hat . Diese Person ist dann festgenommen
und nach Tunesien abgeschoben worden, sodass man von
ihr keine Informationen mehr bekommen kann . Können
Sie sagen, welche Verdachtsmomente zu dieser Person,
deren Name auch offiziell bekannt gegeben worden ist,
im Fall Amri bestehen?
D
Ich kann die ganzen Fakten, Frau Präsidentin, jetzt
nicht im Detail berichten . Aber ich kann versprechen,
dass wir das nachliefern, wenn Sie dazu konkrete Nach-
fragen haben . Ich kann aus meiner Erinnerung heraus
nur sagen, dass natürlich eine Abschiebung erfolgt ist,
aber erst nachdem sich die Sicherheitsbehörden mit die-
ser Person beschäftigt hatten . Die Abschiebung hat also
nicht dazu geführt, dass keine Erkenntnisse erlangt wer-
den konnten, die man sonst hätte erlangen können . Erst
haben die Sicherheitsbehörden ihre Arbeit gemacht, und
dann wurde entschieden, ihn abzuschieben . Das ist übri-
gens auch die Politik der Bundesregierung: dass wir die
Menschen, die wir für Gefährder, für gefährlich halten
und die keinen Aufenthaltsstatus haben, lieber nicht in
unserem Land haben wollen .
Wenn Sie dazu noch konkrete Fragen haben, bin ich
gerne bereit, dem noch einmal nachzugehen . Ich lade Sie
ein, mir das noch einmal schriftlich zu geben .
– Wir haben noch den ganzen Sommer . Seien Sie im Üb-
rigen weiterhin meiner Wertschätzung versichert .
– Das hoffe ich doch.
Kollege Ströbele, wir haben jetzt noch drei Minuten .Sie müssten mir sagen, ob Sie zu Ihrer nächsten Fra-ge – Europarechtswidrigkeit der Vorratsspeicherung vonVerkehrs- und Standortdaten – lieber eine schriftlicheAntwort haben wollen oder ob Sie die Frage mündlichbeantwortet haben möchten .
Dazu hätte ich gerne eine schriftliche Antwort, ob-wohl ich den Medien entnommen habe – man soll sichja immer gut in den Medien informieren –, dass offen-bar meinem Wunsch, den ich in dieser Frage geäußerthabe, nämlich die Vorratsdatenspeicherung mindestensauszusetzen, inzwischen stattgegeben worden ist . Wennmir das noch offiziell bestätigt wird, wäre ich sehr zufrie-den . – Danke sehr .
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 242 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 28 . Juni 2017 24815
(C)
(D)
Dann rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums der Justiz und für Verbraucherschutz auf . – Herr
Staatssekretär Lange .
C
Frau Präsidentin, ich kann nach unserer Geschäftsord-
nung nur auf die schriftlich eingereichte Frage des Kol-
legen antworten .
Dann rufe ich jetzt die Frage 31 des Kollegen Ströbele
auf:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem
Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 22 . Juni
2017 , wonach die auf Initiative der Bun-
desregierung im Dezember 2015 durch die Koalitionsmehrheit
im Bundestag beschlossene und ab dem 1 . Juli 2017 in Kraft
tretende Pflicht von Telekomanbietern gemäß § 113b TKG
zur pauschalen, anlasslosen Vorratsspeicherung von Verkehrs-
und Standortdaten ihrer Nutzer europarechtswidrig sei, näm-
lich die EU-Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommu-
nikation 2002/58/EG vom 12 . Juli 2002 verletze, und wird die
Bundesregierung nun jene Gesetzespflicht wenigstens rasch
aussetzen lassen oder – wie vom Provider-Branchenverband
eco verlangt – mit „einer Grundsatzentscheidung … die Vor-
ratsdatenspeicherung endgültig … stoppen“, damit die Unter-
nehmen kein „europarechts- und verfassungswidriges Gesetz
umsetzen … müssen und damit Gelder in Millionenhöhe in
C
Ich will die Frage gerne beantworten . Wenn es dazu
eine Nachfrage geben sollte, werde ich auch die gerne
beantworten .
Aber zunächst einmal zu Ihrer Frage . Ich beantwor-
te die Frage wie folgt: Die zitierte Entscheidung des
Oberverwaltungsgerichts Münster ist am vergangenen
Donnerstag in einem Eilverfahren ergangen . Die Bun-
desregierung wird zunächst die Entscheidung des Ober-
verwaltungsgerichts in der Hauptsache und die Entschei-
dung des Bundesverfassungsgerichts in der Hauptsache
über die dort gegen das Gesetz anhängigen Klagen ab-
warten . In diesem Zusammenhang weist die Bundesre-
gierung darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht
bereits zwei Eilanträge zu dem Gesetz abgelehnt hat .
Herr Ströbele, haben Sie dazu eine Nachfrage?
Also stimmt es nicht, dass die Bundesregierung veran-
lasst hat, dass die Vorratsdatenspeicherung so lange nicht
praktiziert wird? Das soll die Regierung beschlossen ha-
ben .
Herr Staatssekretär .
C
Herr Kollege Ströbele, Ihre Nachfrage beantworte ich
wie folgt: Für die Durchsetzung der Speicherpflicht ist
die Bundesnetzagentur zuständig . Hierbei handelt es sich
um eine nachgeordnete Behörde des Bundesministeri-
ums für Wirtschaft und Energie . Sie sprechen die heute
auf der Homepage der Bundesnetzagentur veröffentlichte
Presseerklärung an . In dieser Presseerklärung der nach-
geordneten Behörde des Bundeswirtschaftsministeriums
heißt es – ich darf zwei Sätze daraus zitieren –:
Aufgrund dieser Entscheidung und ihrer über den
Einzelfall hinausgehenden Begründung sieht die
Bundesnetzagentur bis zum rechtskräftigen Ab-
schluss eines Hauptsacheverfahrens von Anordnun-
gen und sonstigen Maßnahmen zur Durchsetzung
der in § 113b TKG geregelten Speicherverpflich-
tungen gegenüber allen verpflichteten Unternehmen
ab . Bis dahin werden auch keine Bußgeldverfahren
wegen einer nicht erfolgten Umsetzung gegen die
verpflichteten Unternehmen eingeleitet.
So weit aus der Presseerklärung der Bundesnetzagentur .
Damit ist die Fragestunde beendet . – Die Fragen, diejetzt nicht beantwortet werden können, werden schrift-lich beantwortet .Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 18:Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungLebenslagen in Deutschland – Fünfter Ar-muts- und ReichtumsberichtDrucksache 18/11980Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz FinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzung Ausschuss für TourismusVereinbart ist eine Debattenzeit von 60 Minuten . – Siesind damit einverstanden .Einen Moment, bitte . Wenn ich das einmal so sagen darf:Wir haben hier ein kleines Chaos .Ich eröffne die Aussprache. Die Bundesministerin fürArbeit und Soziales, Frau Nahles, eröffnet die Debatte. –Frau Nahles, Sie haben das Wort .
http://bit.ly/2rVus57
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 242 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 28 . Juni 201724816
(C)
(D)
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-ziales:Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnenund Kollegen! Es hat ein paar Tage gedauert, bis der Ar-muts- und Reichtumsbericht fertig war . Warum solltenwir also nicht auch an dieser Stelle eine kleine Verzöge-rung haben?Deutschland geht es gut . Wir haben ein über Jahreanhaltendes Wachstum, wir haben solide Haushalte vonStaat und Sozialversicherungen, wir haben eine Rekord-beschäftigung, und die Arbeitslosigkeit ist auf dem nied-rigsten Stand seit Jahrzehnten .
Wir können uns also über gute Zahlen freuen, und ichfinde, das sollten wir auch tun.
Allerdings gibt es eben auch noch eine differenzier-tere Sicht; denn dass die Löhne im unteren Bereich vonder Mitte abgekoppelt sind und real stagnieren, dass hoheVermögen immer weniger durch eigene Leistung gebil-det werden, sondern vererbt oder geschenkt sind und dassAufstiege immer seltener werden, ist eben auch gesell-schaftliche Realität .
Ich meine, auch dazu muss die Bundesregierung Stellungbeziehen, und das tun wir mit diesem Armuts- und Reich-tumsbericht .Wir können es uns als Bundesregierung auch nichtvorstellen, dass wir das auslagern und an Experten dele-gieren . Das ist eine eminent politische Frage .
Daher ist und bleibt der Armuts- und Reichtumsberichtwichtig, und zwar als Bericht der Regierung .
Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich hervorheben,dass wir die Forschung dazu in einem sehr transparentenVerfahren ausgewertet haben . Alles, was wir gemacht ha-ben, haben wir öffentlich zugänglich gemacht. Studien,Indikatoren, Ergebnisse: Alles liegt offen, nichts ist unterVerschluss . Jeder kann darauf zugreifen . Das macht eineinformierte und fundierte Debatte in der Gesellschaftüberhaupt erst möglich .Was sind nun die Schlussfolgerungen, die ich aus ei-nem differenzierten Bericht ziehen will, der weder allesschwarzmalt noch die Situation beschönigt? Mein zen-traler Befund ist: Für viele Menschen sind die Verspre-chen der sozialen Marktwirtschaft brüchig geworden .Trotz bester Arbeitsmarktsituation entsteht bei vielenMenschen der Eindruck, dass die Schere zwischen Armund Reich weiter auseinandergeht .
Die Berichterstattung über riesige Managergehälter aufder einen und vermeintlich zu erwartende Altersarmutauf der anderen Seite trägt mit dazu bei .Es gibt aber auch ganz reale Anknüpfungspunkte, zumBeispiel die Tatsache, dass trotz der guten Wirtschaftsla-ge die Löhne in den unteren Lohngruppen im langfristi-gen Vergleich real sogar gesunken sind; bei den unteren40 Prozent der Löhne ist das der Fall . Oder ein andererPunkt ist die Tatsache, dass in den letzten Jahren vor al-lem Jüngere stark von Leiharbeit und befristeter Beschäf-tigung betroffen gewesen sind. Damit ist unmittelbar un-ser Verständnis von Armut angesprochen .Wir, die Bundesregierung, nutzen ganz klar einen rela-tiven Armutsbegriff, der darauf abstellt, was in der Mitteder Gesellschaft normal ist .
In der öffentlichen Debatte wird häufig verkürzt auf Ein-kommensarmut geschaut, oder es werden ausschließlichArmutsrisikoquoten bemüht . Wir als Bundesregierungversuchen, einen relativen Armutsbericht zu etablieren .Selbstverständlich: Einkommen, insbesondere Er-werbseinkommen, sind zentrale Voraussetzung, einnormales Leben zu führen . Aber ein gleich hohes Ein-kommen kann für zwei Personen völlig unterschiedlicheTeilhabechancen zur Folge haben . Ich will es einmal be-schreiben: Welche Bildung habe ich? Bin ich nur kurz-fristig in einem bestimmten Bereich oder über viele Jahrein einem Niedriglohnbereich tätig? All das macht einenRiesenunterschied in der Antwort auf die Frage: Wie sinddie Teilhabechancen eines Menschen?Jede und jeder weiß und erlebt es doch selbst: Nichtdas Erreichen von Mindeststandards bestimmt, ob Men-schen das Gefühl haben, am gesellschaftlichen Lebengerecht teilhaben zu können, am Wohlstand, den wir inunserem Land gemeinsam erwirtschaften; ob Menschendas Gefühl haben, voranzukommen, sozial aufsteigen zukönnen, wenn sie sich anstrengen . Menschen sehen, wiees anderen geht . Sie vergleichen sich; das ist eine ganznormale menschliche Regung . Sie fühlen sich integriertoder ausgegrenzt . Es geht um die Relation, um die Bezie-hung zu anderen, zur Gesellschaft .Aufgrund meiner begrenzten Redezeit möchte icheinen Punkt herausgreifen: die Kinderarmut . Die wich-tigste Maßnahme zum Abbau der Kinderarmut ist dieBeschäftigung der Eltern . In Familien, in denen keinElternteil beschäftigt ist, liegt das Armutsrisiko der Kin-der bei über 60 Prozent . Schon bei einem Elternteil inVollzeit sinkt diese Quote auf 15 Prozent . Arbeiten beide,liegt das Risiko bei 3 Prozent, unterhalb der allgemeinenArmutsrisikoquote .
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Was jetzt gerade wichtig ist, ist der Blick auf Alleiner-ziehende . Damit diese einer Erwerbstätigkeit überhauptnachgehen können, brauchen wir weitere Verbesserun-gen bei der Kinderbetreuung .
Ich spreche hier ausdrücklich das Thema Betreuung inRandzeiten an . 26 Prozent der deutschen Beschäftigtenarbeiten zwischen 18 und 23 Uhr . Nun muss man einmalgucken, wie die Öffnungszeiten von Kitas und Schulensind. Von diesen Arbeitszeiten betroffen sind viele Berufeim Bereich Handel, aber auch in der Altenpflege.Wir haben nachgefragt: Was stellen sich Alleinerzie-hende vor? Was sind das für Berufe? Sind das typischeFrauenberufe? Die Antwort war: Ja, das sind Berufe imHandel und in der Pflege; das können sie sich vorstellen.Dann gucken Sie sich die Arbeitszeit in diesen Bereichenund die Möglichkeiten der Betreuung für Kinder an .Dann erkennen wir an dieser Stelle ein entscheidendesProblem .Wir können also etwas verändern . Das sollte uns an-spornen, weiterhin alles für eine hohe Beschäftigung,gute Löhne und eine gute Vermittlung zu tun, damit dieEltern in Arbeit und die Kinder raus aus der Armut kom-men . Das ist ein ganz zentraler Punkt .
Wir müssen in gute Betreuung investieren, gerade auch,wie ich sagte, in Randzeiten, auch nach der Kitazeit .Meine Tochter wird jetzt eingeschult . Damit ist die Be-treuung auf einmal schwieriger geworden . Das ist genaudas, was wir überall in Deutschland erleben: Es geht alsoauch um Ganztagsschulen .Wir müssen auch dafür sorgen, dass Alleinerziehendenicht in Niedriglohnjobs, vor allem auch in Minijobs undTeilzeitjobs, stecken bleiben, da diese kein eigenständi-ges Einkommen ermöglichen, von dem man außerhalbder Armutszone leben kann . Das haben wir mit der For-derung nach einem Recht auf Rückkehr in Vollzeit zu be-fördern versucht, was leider nicht gelungen ist .
Wir müssen uns um einen Pakt für anständige Löhnebemühen . Ich hatte dazu für den 19 . Juni dieses Jahres zueinem Spitzengespräch mit allen relevanten Gruppen inder Gesellschaft eingeladen . Bei allen Unterschieden, diedabei deutlich geworden sind, waren wir uns sehr einig,dass es tatsächlich wichtig und richtig war, in dieser Le-gislaturperiode den Mindestlohn einzuführen . Aber derMindestlohn ist kein guter Lohn . Der Mindestlohn reicht,über ein ganzes Leben betrachtet, nicht für ein gutes Ein-kommen bzw . eine gute Rente .
Deswegen müssen wir genau da ansetzen und dafürSorge tragen, dass die Tarifstrukturen gestärkt werdenund auch im Dienstleistungsbereich, gerade in der Ar-beit von Mensch zu Mensch, wo die Löhne besondersschlecht sind, im Logistikbereich und in verschiedenenanderen Bereichen und Branchen anständige Löhne ge-zahlt werden .
Hier hat übrigens jeder Verantwortung, zuallererst na-türlich die Tarifpartner, die Sozialpartner, aber eben auchKirchen – im Bereich Pflege – oder die Zivilgesellschaftund nicht zuletzt die Politik . Ich denke, es gibt noch vielzu tun .Wir haben in dieser Legislatur sehr viel geschafft – da-für möchte ich mich bedanken; das ist heute meine letzteRede an dieser Stelle in dieser Legislatur –, aber es istnoch genug zu tun . Wenn es dafür eines Beweises bedurfthätte, dann ist das der Armuts- und Reichtumsbericht .Vielen Dank .
Das Wort hat die Kollegin Katja Kipping für die Frak-
tion Die Linke .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir dis-kutieren heute über den Armuts- und Reichtumsbericht .Die CDU/CSU-Fraktion hat ursprünglich gar nicht vor-gehabt, diesen Bericht hier im Bundestag zu behandeln .
Erst die gezielte Nachfrage des linken RentenexpertenMatthias W. Birkwald in einer öffentlichen Anhörung hatBewegung in die Sache gebracht . Hier zeigt sich wiedereinmal: Links wirkt .
Laut diesem Bericht leben hierzulande 13 MillionenMenschen in Armut; das ist jeder Sechste . Die Zahl derMenschen in verfestigter Armut – das heißt über vieleJahre hinweg – hat sich verdoppelt . Auch das gehört zurBilanz der Regierung Merkel .Inzwischen wissen wir – der Bericht bestätigt dasauch –: Es geht ein Riss durch die Gesellschaft . Denn jeärmer die Menschen sind und je geringer das Einkom-men in einem Viertel ist, desto geringer sind die politi-sche Teilhabe und die Wahlbeteiligung .
Das heißt, die soziale Spaltung gefährdet die Demokra-tie. Auch deshalb werden wir uns niemals damit abfin-den, dass Menschen hierzulande in Armut leben müssen .
Bundesministerin Andrea Nahles
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Armut wird auch am gesellschaftlichen Standard ge-messen . Armut bedeutet aber auch ganz konkret, wennder Kühlschrank kaputtgeht, nicht zu wissen, wie maneinen neuen finanzieren soll. Armut bedeutet, wenn amEnde des Geldes leider oft noch viel vom Monat übrigist . Armut bedeutet, dass, wenn ein runder Familienge-burtstag in einer anderen Stadt stattfindet, manche über-legen müssen: Kann ich mir überhaupt das Fahrgeld undein kleines Geschenk leisten, oder muss ich mit irgend-welchen vorgetäuschten Ausreden absagen?Armut bedeutet für Millionen Eltern in diesem Land,im Sommer den Kindern erklären zu müssen, dass mansich den Besuch im Schwimmbad eigentlich gar nichtoder wenn, dann nur ganz selten leisten kann . VersuchenSie einmal, das einem Kind zu erklären, wenn die Kita-freunde alle dort hingehen .19,9 Prozent der Familien mit Kindern in diesemLand, also jeder Fünfte, kann sich nicht einmal eine Wo-che Familienurlaub leisten . Das heißt, wenn die Kindernach den Ferien alle wieder in der Schule zusammen-kommen und von ihrem Urlaub berichten, haben dieseKinder keine Geschichte beizusteuern . Auch das ist eineForm von Armut und Ausgrenzung, mit der ich mich nie-mals abfinden werde.
Ich bin überzeugt: Kinderarmut erschwert den Startins Leben . Deswegen müssen wir jedes Kind und jedenJugendlichen vor Armut schützen . Deswegen machenwir mit einem breiten Bündnis Druck für eine Kinder-grundsicherung in Höhe von rund 570 Euro . Denn jedesKind hat das Recht auf einen guten Start ins Leben .
Leider werden auch die Bildungschancen vom Ein-kommensstatus der Eltern beeinflusst. Der Armutsberichtmacht das ganz deutlich . Aus den armen Haushalten gehtgerade einmal jedes vierte Kind aufs Gymnasium, ausnichtarmen Haushalten immerhin jedes zweite .Nun ist mir als Mutter einer Tochter bewusst: Nichtjedes Kind muss aufs Gymnasium gehen . Auch ein ande-rer Schulabschluss mit einer anschließenden Berufsaus-bildung kann eine tolle Ausbildung sein. Aber ich finde,es ist ungerecht, wenn der Bildungsweg durch das Porte-monnaie und den Kontostand der Eltern vorgeprägt wird .Das muss sich ändern .
Um dies zu ändern, brauchen wir Kitas und Schulen,in denen die Erzieher und Lehrkräfte für die einzelnenKinder Zeit haben, auch für die, die vom Elternhaus nichtso viel Bildungskapital mitbringen . Um das zu ändern,brauchen wir schlichtweg längeres gemeinsames Lernen .
Der Armuts- und Reichtumsbericht hat auchSchwächen, zum Beispiel, wenn behauptet wird, derHartz-IV-Regelsatz würde das soziokulturelle Existenz-minium abdecken . Hier widerspricht die Linke ganzentschieden . Der Hartz-IV-Regelsatz ist immer wiedervon allen Vorgängerregierungen gezielt kleingerechnetworden, leider unter Schwarz-Rot . Wir Linke sagen ganzklar: Der Regelsatz für einen Erwachsenen müsste min-destens 150 Euro höher ausfallen .
Wer nun meint: „Hartz IV sind nur die anderen; dashat nichts mit meinem Leben zu tun“, der irrt . DennHartz IV befördert Existenzängste und Abstiegsängste .Wer Angst hat, der sagt eher Ja zu niedrigen Löhnen oderzu ungesunden Arbeitszeiten . Wer Angst hat, ist weni-ger bereit, zu teilen . Deswegen fällt der lange Schattenvon Hartz IV bereits jetzt auf die gesamte Gesellschaft .Auch deswegen werden wir immer sagen: Dieses Sys-tem gehört abgeschafft. Wir wollen es durch gute Arbeitund eine sanktionsfreie Mindestsicherung in Höhe von1 050 Euro ersetzen .
Der Bericht heißt Armuts- und Reichtumsbericht .Ich finde es gut, dass der Bericht versucht, einmal dieSituation der Hochvermögenden zu beschreiben undmehr Licht in deren Situation zu bringen . Zwei Drittelder Hochvermögenden geben an, dass für ihren Reich-tum auch Schenkungen und Erbschaften relevant waren,also sicherlich eher Schenkungen innerhalb der Familie .Rufen wir uns in Erinnerung: Die Kinder, die in armenFamilien geboren werden, haben geringere Chancen, aufein Gymnasium zu gehen . Der Lebensweg wird also ganzstark davon geprägt, in welche Familien Kinder hinein-geboren werden .Frau Klatten und ihr Bruder, die Erben des BMW-Ak-tienpakets, sind auf der Sonnenseite geboren worden . Siebekommen pro Jahr, ohne einen Finger krumm machenzu müssen, 1 Milliarde Euro allein durch das Aktienpa-ket. Ich finde, hier müssen wir über eine ordentliche Mil-lionärssteuer Ausgleich schaffen.
Ich komme zum Schluss . Auch deswegen ist es soärgerlich, dass man beim Thema Reichtumsbesteuerungdie SPD so zum Jagen tragen muss . Wir brauchen dieEinnahmen aus einer Vermögensteuer, damit wir mehrGeld in Bildungsgerechtigkeit stecken können . Die Pro-bleme von Armut und von Bildungsungerechtigkeit sindso groß, dass wir nicht einfach so weitermachen könnenwie bisher . Die Menschen hierzulande brauchen einenAufbruch hin zur Sanktionsfreiheit, hin zu einer Gesell-schaft, die frei von Armut ist, und hin zu sozialer Gerech-tigkeit für alle .Vielen Dank .
Das Wort hat der Kollege Kai Whittaker für die CDU/CSU-Fraktion .
Katja Kipping
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Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Das Ziel des Ar-muts- und Reichtumsberichts ist es, dass wir die Lebens-lagen von Millionen von Menschen in Deutschland be-sprechen. Ich finde, insbesondere die Menschen, die inArmut leben, hätten es verdient, dass wir sie besondersin den Blick nehmen; denn sie haben keine Lobby, undsie hoffen darauf, dass wir als Politiker ihnen zuhörenund ihre Situation verstehen, wissend, vor welchen He-rausforderungen sie stehen, und wir ihnen mit unserenKonzepten helfen .Aber, Frau Kollegin Kipping, stattdessen haben Siesich mal wieder dafür entschieden, eine billige Dreigro-schenoper aufzuführen .
Im ersten Akt rücken Sie das Land nahe an den sozialenAbgrund .
Im zweiten Akt werfen Sie der Regierung Untätigkeitvor, und im dritten Akt kommen Sie mit Lösungskon-zepten um die Ecke, die niemandem, insbesondere nichtden Armen, helfen . Ich weiß nicht, wie ich das bezeich-nen soll, ob es eine Tragödie oder eine Komödie ist . Ichfürchte bloß, dass das, was Sie hier aufführen, nicht ein-mal drei Groschen wert ist .
Ich habe Verständnis dafür, wenn Sie die soziale Un-gerechtigkeit in diesem Land anprangern, wenn Sie dieSpaltung unseres Landes beklagen . Das ist Ihr Geschäfts-modell . Darauf basiert Ihr politisches Modell . OhneArmut hätten Sie keinen politischen Auftrag in diesemLand .
Aber die Fakten sprechen eine andere Sprache . Ichweiß, dass Sie das nicht gerne hören . Aber ich kann Ihnendas nicht ersparen . Fakt ist, dass wir 4 Millionen Men-schen seit 2005 mehr in Arbeit haben .
Fakt ist: Im Berichtszeitraum dieses Armuts- undReichtumsberichts sind die Löhne stärker gestiegen alsdie Einkommen aus Vermögen und Unternehmen .
Fakt ist, dass die Mittelschicht in Deutschland nichtschrumpft, sondern nach wie vor zwei von drei Deut-schen ihr angehören . Fakt ist, dass die Zahl der Langzeit-arbeitslosen, seitdem wir regieren, halbiert worden ist .Fakt ist, dass die Einkommen zwischen der reicheren undder ärmeren Hälfte in Deutschland seit zehn Jahren stabilgleich verteilt sind. Fakt ist, dass der Gini-Koeffizient,ein internationales Maß,
in ganz Deutschland seit 2005 konstant um die 0,3 liegt .Das ist einer der niedrigsten Werte, den es in der OECDgibt .
Fakt ist, dass die absolute Armut in diesem Land umcirca 20 Prozent in den letzten zwei Jahren gesunken ist .Fakt ist, dass seit 2005 die Zahl der sogenannten WorkingPoor, also derer, die von ihrem Gehalt nicht leben kön-nen, konstant niedrig ist .
Fakt ist, dass die Zahl der SGB-II-Empfänger seitEinführung um fast 20 Prozent zurückgegangen ist . UndFakt ist, dass über 70 Prozent der Menschen in diesemLand sagen, ihnen ginge es noch nie so gut wie heute .
Genau deshalb funktioniert diese Ungerechtigkeitsde-batte nicht . Ihre Wirklichkeit existiert nur hier in diesemPlenum . In Deutschland sieht es wesentlich besser aus,als Sie es wahrhaben wollen .
Ich möchte in diesem Punkt auch einige Worte andie SPD richten: Ihre innere Zerrissenheit macht michmanchmal schon fassungslos . Sie müssen sich entschei-den: Entweder Sie sind stolz auf diese Entwicklungen,die wir gemeinsam in dieser Bundesregierung erreichthaben;
dann hören Sie aber im Wahlkampf bitte mit dieser Jam-merei auf . Oder Sie beklagen wortreich diese angebli-chen Ungerechtigkeiten . Aber dann haben Sie eine Mit-schuld daran . Dann gehören Sie in die Opposition undnicht ins Kanzleramt .
Ihr Problem ist auch, dass Sie alles sehr statisch sehen .
Die Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaft enthältzur Einkommensungleichheit Folgendes – ich zitiere –:Es liegt nahe, „dass die Alterszusammensetzung eineentscheidende Rolle für Ungleichheitsanalysen spielt .Insbesondere bei der Interpretation jährlicher Einkom-mensungleichheit im Bevölkerungsquerschnitt sollte
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dies beachtet werden: Die Ungleichheit ist in einer Ge-sellschaft mit relativ vielen älteren Erwerbstätigen höherals in einer Gesellschaft mit vielen 30-Jährigen .“
Herr Kollege Whittaker, gestatten Sie eine Frage oder
Bemerkung aus den Reihen Ihres Koalitionspartners?
Wer genau?
– Herr Rosemann, auf diese Gelegenheit habe ich vier
Jahre lang warten müssen .
Herr Whittaker, vielen Dank, dass Sie die Zwischen-
frage gestatten . – Wenn ich gewusst hätte, dass Sie so
scharf darauf sind, dass ich Ihnen eine Zwischenfrage
stelle, hätte ich das bestimmt früher gemacht . Aber ich
verspreche Ihnen: In der nächsten Legislaturperiode stel-
le ich Ihnen früher eine Zwischenfrage .
Ich würde Ihnen gern zwei Fragen stellen . Die erste
Frage lautet: Herr Whittaker, sind Sie vielleicht auch der
Auffassung, dass es die Aufgabe verantwortungsvoller
Politik ist, dass wir einerseits auf die Dinge, die wir ge-
leistet haben, stolz sind und auch immer wieder deutlich
machen, wo die Erfolge von politischem Handeln liegen,
dass wir auf der anderen Seite immer aufgerufen sind,
nicht blauäugig durch diese Welt zu laufen, sondern dort,
wo es Probleme gibt, diese zu erkennen, zu benennen
und nach Lösungen zu suchen,
anstatt sich nur auf den Lorbeeren der Vergangenheit aus-
zuruhen?
Eine zweite Frage möchte ich Ihnen stellen, nachdem
Sie die Erfolge seit 2005 hier aufgezählt haben, die an-
scheinend wundersamerweise dadurch entstanden sind,
dass Frau Dr . Merkel zur Bundeskanzlerin gewählt wor-
den ist .
Können Sie mir eigentlich mal erklären, welchen Beitrag
Frau Dr . Merkel und die von ihr geführten Bundesregie-
rungen sowie die CDU/CSU eigentlich dazu geleistet ha-
ben, nachdem 16 Jahre lang Reformen in diesem Land
durch die Regierung von CDU/CSU und FDP verschla-
fen worden sind und die großen Reformen am Arbeits-
markt und in den Sozialsystemen in den sieben Jahren
von Rot-Grün durch Gerhard Schröder und seine Bun-
desregierung vorgenommen worden sind?
Erklären Sie mir und diesem Hohen Haus doch mal, wel-
chen Anteil denn Sie und Ihre Fraktion daran haben und
welchen Beitrag Sie geleistet haben .
Herr Kollege .
Herr Kollege Rosemann, ich bin ja schon fast über-
rascht über so eine Frage . Denn wenn ich die Geschichts-
schreibung richtig in Erinnerung habe, war es nicht die
schwarz-gelbe Bundesregierung von 1994 bis 1998, die
Reformen verschlafen hat, sondern eine rot-grüne Mehr-
heit im Bundesrat hat sämtliche Sozialreformen und
andere Reformen, die wir im Bundestag vorhatten, blo-
ckiert .
Das ist genau der Unterschied, den wir damals un-
ter Ihrer Bundesregierung gemacht haben, als Sie die
Agenda 2010 eingeführt haben . Wir haben die Partei
hintangestellt und die Verantwortung für dieses Land
übernommen und im Bundesrat zugestimmt, damit die
Agenda 2010 durchgeht .
Mit Blick auf diese Bundesregierung sind wir offen-
sichtlich die einzige regierungstragende Fraktion, die
dieses Erbe noch verteidigt .
Ich komme gerade von einer Podiumsdiskussion mit Ih-
rer Ministerpräsidentin Dreyer, die gut und gerne das ge-
samte Hartz-IV-System abschaffen möchte.
Ich sehe nicht, dass die SPD noch zu der Reform steht,
die Sie eben lobpreisend dargestellt haben .
Helfen Sie mir auf die Sprünge, Herr Rosemann, wie
die erste Frage, die Sie gestellt haben, lautete?
Ich bitte um Unterstützung, indem die erste Frage
noch einmal kurz umrissen wird .
Ist es denn nicht Aufgabe verantwortungsvoller Poli-tik, sich nicht nur auf den Lorbeeren der VergangenheitKai Whittaker
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auszuruhen und die eigenen Erfolge abzufeiern, sondernimmer wieder auch zu schauen, wo Probleme bestehen,sie zu benennen und dann Lösungen aufzuzeichnen?
Richtig, Herr Rosemann, damit habe ich überhauptkein Problem . Ich muss Sie da nur um etwas Geduld bit-ten; denn das kommt am Ende meiner Rede .
Also, Deutschland – da war ich stehen geblieben – istein Land, das schneller altert . Und es ist ganz klar: ÄltereMenschen verdienen mehr als jüngere . Deshalb könnenSie die heutige Situation nicht mit der Situation von vor20 oder 30 Jahren vergleichen, wenn Sie Ungleichheitbewerten wollen .Ich finde auch, dass Sie unredlich vorgehen. Sie un-terschlagen beispielsweise die Bedeutung der gesetzli-chen Rentenversicherung bei der Vermögensbetrachtung .Wenn man sich die vielen Vermögensungleichheitsstudi-en anschaut, dann stellt man fest, dass die gesetzlicheRente nicht berücksichtigt wird . Würde man das tun,dann würde man feststellen, dass 40 Prozent des deut-schen Gesamtvermögens in der gesetzlichen Rentenver-sicherung sind . Obwohl Sie sonst die gesetzliche Renten-versicherung hier immer hochhalten, unterschlagen Siederen Stellenwert in diesem Punkt .
Wenn man die gesetzliche Rentenversicherung einbe-zieht, dann sinkt der Gini-Koeffizient um ein Drittel.Aber ich weiß, dass nach Ihrem Dafürhalten die Unionan allem schuld ist . Das ist ein beliebtes Spiel .Ich rate nur, einen Blick in den Haushalt zu werfen .Dort haben wir in dieser Legislaturperiode den Anteil derAusgaben für Soziales von 53 auf 56 Prozent gesteigert .Das sind immerhin 16 Milliarden Euro pro Jahr zusätz-lich . Was haben wir damit gemacht? Der Bund bezahltnun für die Betriebskosten der Kitas über 6 MilliardenEuro . Der Bund hat einen Rechtsanspruch auf frühkind-liche Bildung geschaffen. Der Bund hat die Bildungsaus-gaben um die Hälfte gesteigert . Der Bund hat das BAföGerhöht . Der Bund hat 20 Milliarden Euro für den Hoch-schulpakt lockergemacht. Der Bund hat die beruflicheWeiterbildung insbesondere für Ältere und Langzeitar-beitslose gestärkt . Die Reallöhne sind überproportionalgestiegen, insbesondere bei Geringqualifizierten, Teil-zeitbeschäftigten und Frauen . Der Bund hat die Renteverbessert, insbesondere die Erwerbsminderungsrente .Das haben wir sogar zweimal in dieser Legislaturperiodegemacht .
Der Bund hat den Unterhaltsvorschuss für Alleinerzie-hende ausgeweitet .Sie können der Bundesregierung nun vorwerfen, dassnicht jeden Tag die Sonne über Deutschland scheint .Aber im Bereich „Arbeit und Soziales“ sowie für Allein-erziehende und Geringqualifizierte haben wir mehr ge-macht als jede Bundesregierung zuvor seit der deutschenWiedervereinigung .
Wir brauchen definitiv keine Belehrungen darüber,wie Wohlstand in diesem Land funktioniert . Wir könnenWohlstand sehr wohl .
Unser Ziel ist deshalb klar . Es geht nicht um das Ver-teilen von Almosen . Die Würde des Menschen bemisstsich nicht nach der Höhe des Sozialtransfers, sondern da-nach, ob er mit seiner eigenen Hände Arbeit sein Lebenbestreiten und auf den eigenen Beinen stehen kann . Dasist unser Anspruch als Christdemokraten .
Auch Ihre Schlussfolgerung, dass wir in Deutsch-land mehr Umverteilung brauchen, ist falsch . Sie wol-len Hartz IV erhöhen, die Sanktionen abschaffen und dasRentenniveau allgemein steigern . Sie vergessen zum ei-nen, dass die Umverteilung schon sehr gut funktioniert .Die oberen 10 Prozent sorgen für mehr als die Hälfte desgesamten Steueraufkommens .
Die untere Hälfte trägt nur zu 7 Prozent zum Steuerauf-kommen bei .
Zum anderen ist den Armen mit Ihren Vorschlägennicht geholfen . Auf die sollten Sie einmal Ihren Blickrichten . Nehmen wir nur einmal alleinerziehende Frauen,bei denen die Armutsquote am höchsten ist . Was nutztdiesen Frauen ein höherer Hartz-IV-Satz, wenn sie kei-nen Anspruch auf einen Ganztagsplatz in der Kita oderder Grundschule haben?
Was nutzt Menschen ohne Berufsabschluss ein höhererHartz-IV-Satz, wenn sie in einem Hochtechnologielandwie Deutschland keine Chance haben, einen Berufsab-schluss zu erwerben? Was nutzt Migranten ein höhererDr. Martin Rosemann
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Hartz-IV-Satz, wenn es keine Sprachkurse gibt und siekein Deutsch lernen können?
Was nutzt Langzeitarbeitslosen ein höherer Hartz-IV-Satz, wenn wir uns um sie nicht intensiver kümmern?
Was nutzt insbesondere Kindern aus Hartz-IV-Famili-en – die Ministerin hat das angesprochen – ein höhererHartz-IV-Satz, wenn ihnen nicht vorgelebt wird, wie manseinen Lebensunterhalt durch Arbeit bestreitet?
Nebenbei bemerkt, liebe Kollegen von der SPD, auchein höheres Rentenniveau hilft den Gruppen, die von Ar-mut betroffen sind, nicht.
Ich zitiere die Forscher der Bertelsmann-Studie:Die Stabilisierung des Rentenniveaus bei 46 Pro-zent zielt nicht direkt auf Haushalte an der Armuts-schwelle ab .
Es bekümmert mich schon, dass Sie da nicht die Armenin diesem Land im Blick haben . Unser Ziel ist ganz klar:Wir orientieren uns am Menschen . Unser oberstes Zielbleibt, die Wirtschaft auf Kurs zu halten . Arbeit ist – dieMinisterin hat da recht – das beste Mittel, um Armut zubekämpfen .Wir brauchen keine unnötigen Steuererhöhungsdebat-ten, die die Leute verunsichern, sondern wir müssen dieSteuern senken, insbesondere für die Familien .
Wir brauchen eine Ganztagsbetreuung auch in Grund-schulen . Wir müssen alles dafür tun, dass die Menschenvon ihrem Geld wieder etwas aufbauen können, dass sieihr eigenes Häuschen kaufen können, dass sie Vermögenansparen können .
Wir sind wild dazu entschlossen, das Versprechen vonLudwig Erhard einzuhalten, dass Wohlstand für alle indiesem Land möglich ist . Deshalb wollen wir auch – andiesem Ziel halten wir fest – das Ziel der Vollbeschäf-tigung in den Blick nehmen . Dazu brauchen wir Anrei-ze für lebenslange Weiterbildung . Das heißt auch, dasswir gerade im Bereich der Langzeitarbeitslosen dringendeine bessere und engere Betreuung brauchen . Wir müs-sen konsequent auf Sprachkurse setzen und Ausbildungs-berufe in den Vordergrund stellen .Insofern ziehen wir als Union frohen Mutes in denWahlkampf . Ich glaube, die Alternativen liegen deutlichauf dem Tisch .
Wir wollen, dass sich die Menschen hocharbeiten kön-nen . Wir wollen, dass sie ein freies und selbstbestimmtesLeben führen können . Wir wollen Chancen und Möglich-keiten für die Menschen eröffnen, damit sie sagen kön-nen: Die Union steht für ein Deutschland, in dem wir gutund gerne leben .Herzlichen Dank .
Das Wort hat der Kollege Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Helmut Kohl hat einmal gesagt: Wichtig ist, was amEnde rauskommt . –
Was am Ende rauskommt, das steht hier in diesem Ar-muts- und Reichtumsbericht . Sie können noch so vieldarauf verweisen, was die Bundesregierung alles ge-macht hat – fleißig waren Sie, ja –: Hier steht aber drin,was rausgekommen ist, und zwar, wenn es um Armut inDeutschland geht . Wir können uns die Zahlen einmal an-schauen: Die Armutsquote ist trotz guter ökonomischerSituation in diesem Land gestiegen .
Meine Kollegin Katja Kipping hat die Zahl eben schoneinmal genannt: 13 Millionen Menschen in Deutschlandleben in Armut . 13 Millionen Menschen in Deutschlandleben auf Hartz-IV-Niveau oder sogar darunter . DieZahlen müssen Sie sich einmal anschauen und das zurKenntnis nehmen . 2,5 Millionen Kinder in Deutschlandleben in Armut; das ist jedes fünfte Kind .
Das ist angesichts der ökonomischen Lage ein Skandal,und der gehört beendet .
Kai Whittaker
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Sie haben gesagt, Ihr Ziel sei es, dass man von seinerHände Arbeit leben kann . Wenn man sich die vorliegen-den Zahlen anschaut, stellt man fest: Es ist viel schlim-mer geworden . Die Zahl derjenigen, die trotz Erwerbstä-tigkeit in Armut leben, also der Working Poor, ist deutlichangestiegen, seit die CDU regiert . Es sind mittlerweileüber 9 Prozent . Das klingt erstmal nicht viel . Aber 9 Pro-zent von 43 Millionen Menschen bedeutet, dass 4 Milli-onen Erwerbstätige von ihrer Hände Arbeit nicht lebenkönnen . Auch das ist ein Skandal, der beendet gehört .
Wir haben eben gehört, wie hoch die Armutsquote beidenjenigen ist, bei denen eine Person Vollzeit erwerbstä-tig ist: Da beträgt die Armutsquote 15 Prozent . Das heißt,bei jeder sechsten Familie, in der eine Person Vollzeiterwerbstätig ist, reicht das Einkommen nicht aus . Auchdas müssen wir angehen und beenden . Diese Situationist also alles andere als dazu geeignet, sie schönzureden .Wir haben ein Ungleichheitsniveau, das auf Rekord-maß liegt und trotz guter ökonomischer Situation nichtgesunken ist . Wir haben jetzt schon seit weit über zehnJahren ein Rekordmaß an Armut auf weitgehend kon-stantem Niveau . Es ist der CDU-geführten Regierung inden fast acht Jahren, in denen sie zusammen mit der SPDregiert hat, nicht gelungen, diese Armutsquote zu senken .Wir müssen uns aber daranmachen, die Armutsquote inDeutschland zu senken .
Wir haben hier ja sogar im Rahmen der sogenanntenSDGs, der Nachhaltigkeitsziele, die auch für Deutsch-land gelten, gemeinsam beschlossen, dass wir bis 2030die Armut in Deutschland halbieren wollen . Das steht dadrin . Da sind Sie aber keinen Zentimeter vorangekom-men . Deswegen ist dieser Armuts- und Reichtumsberichteigentlich einmal ein Anlass, darüber zu diskutieren, wiewir Armut in Deutschland senken wollen . Wir als Grünehaben dazu Vorschläge gemacht . Ich will nur drei Punkteherauspicken, weil ich relativ wenig Zeit habe .Das Erste ist: Wir brauchen eine Grundsicherung, dietatsächlich vor Armut schützt –
nicht mit Regelsätzen, für deren Ermittlung die Ver-gleichsgruppe arme Menschen sind und wobei das Er-gebnis noch um 25 Prozent heruntergerechnet wird .Das kann nicht vor Armut schützen . Wir brauchen eineGrundsicherung, die tatsächlich bei den Menschen an-kommt, die unbürokratisch ist, die vereinfacht ist, dienicht mit solchen Hürden versehen ist, wie wir sie jetzthaben . Die sogenannte Rechtsvereinfachung, die im letz-ten Jahr von der Großen Koalition verabschiedet wordenist, war ein Rohrkrepierer . Sie hat nichts genützt . Wirbrauchen eine einfache Grundsicherung .
Und wir brauchen eine Grundsicherung, die ohne Sank-tionen ist .
Denn das Existenzminimum ist ein Grundrecht; so hatuns das Bundesverfassungsgericht gesagt .Punkt zwei: Kinderarmut . Ich habe gesagt: 2,5 Milli-onen Kinder in Armut . Das muss für uns Mahnung sein,endlich da ranzugehen . Wir brauchen eine Kindergrund-sicherung, die endlich die Ungerechtigkeit beseitigt, dassMenschen mit hohem Einkommen – wie wir Bundestags-abgeordnete – für ihre Kinder mehr bekommen als Leute,die Kindergeld erhalten .
Wir brauchen eine Kindergrundsicherung in der Größen-ordnung von 300 Euro pro Monat, einkommensunabhän-gig . Für die Einkommensschwachen reicht das nicht aus .Für sie brauchen wir einen Kindergeldbonus – so nennenwir Grünen das –, der zusammen mit dem Kindergeldoder der Kindergrundsicherung ausgezahlt wird, damitbei Menschen mit geringem Einkommen das Existenz-minimum der Kinder unbürokratisch gedeckt wird . Daswären Maßnahmen, mit denen wir Kinderarmut effektivverringern könnten .
Der dritte Punkt betrifft die Rente. Die Altersarmutsteigt an . Die Altersgruppe der Rentner ist diejenige, inder die Armutsquoten am stärksten steigen .
Es ist zwar so, dass bei ihnen die Altersarmutsquote nurdurchschnittlich ist, aber sie war lange Zeit unterdurch-schnittlich, und sie steigt stark an . Es ist – Sie haben dendemografischen Wandel angesprochen – eine größer wer-dende Gruppe, die Angst vor Altersarmut greift um sich,und auch die faktische Altersarmut erhöht sich . GehenSie doch mal raus auf die Straße, und schauen sich an,wie viele alte Menschen in den Mülleimern nach Pfand-flaschen suchen!
Es sind zunehmend auch Leute, die nicht obdachlos sind,sondern die ordentlich gekleidet sind, bei denen aberganz offensichtlich die Rente einfach zu gering ist.Deswegen geht unser Vorschlag in die Richtung: DieRente muss zum Leben reichen – die Rente! –,
und zwar ohne Bedürftigkeitsprüfung . Wenn man in derRentenversicherung versichert war, muss am Ende eineGarantierente herauskommen, die über dem Grundsiche-rungsniveau liegt
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
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und bei der eben nicht auf Bedürftigkeit geprüft wird wiebeim Modell der Linken oder beim SPD-Modell . Wirwollen eine solche Rente ohne Bedürftigkeitsprüfung,für die das Ersparte nicht offengelegt werden muss, fürdie nicht der Partner oder die Partnerin gefragt werdenmuss, sondern bei der betriebliche Altersvorsorge undprivate Altersvorsorge obendrauf kommt . Das erhöht dieAkzeptanz der Rentenversicherung und ist ein Riegel vorsteigender Altersarmut .
Ich will in den letzten paar Sekunden noch einenwichtigen Punkt ansprechen . Ich habe eben schon gesagt:Wenn man mal rausgeht, bemerkt man die Menschen, dieauf der Straße leben müssen . Falls Sie mit der U-Bahnfahren, sehen Sie: An der Friedrichstraße sitzen immerdie gleichen Leute . – Die Bundesregierung hat es nichtmal geschafft, dazu eine Statistik zu veröffentlichen.
Das kommt zu den Zahlen, die im Armuts- und Reich-tumsbericht stehen, noch dazu . Diese Menschen sind inden 15 Prozent, den 13 Millionen, noch gar nicht enthal-ten .
Es sind in etwa 300 000 . Das ist keine amtliche Statistik,sondern das sind Schätzungen von Wohnungslosenini-tiativen . Auch das ist noch ein wichtiger Punkt für dennächsten Armuts- und Reichtumsbericht: Wir brauchendazu ordentliche Zahlen .Wir brauchen aber natürlich auch Maßnahmen . Wirbrauchen ein nationales Programm gegen Obdachlosig-keit; denn es ist eine Schande, dass bei uns Menschenauf der Straße leben müssen . Das müssen wir verhindern;denn auch Wohnen ist ein Grundrecht .
Es gibt noch viel mehr, was zu tun ist; das haben wirin einem Antrag beschrieben . Ich habe jetzt vor allenDingen über finanzielle Leistungen geredet, die das Exis-tenzminimum absichern . Aber wir brauchen natürlichnoch mehr . Wir brauchen einen inklusiven Arbeitsmarkt .Wir brauchen inklusive Bildung .
Wir brauchen einen sozialen Arbeitsmarkt für Langzeit-arbeitslose . Wir brauchen ein Gesundheitssystem, mitdem alle vernünftig abgesichert sind . Wir müssen beimWohnen mehr machen, damit Wohnen nicht zu Armutführt . All das passiert bei der Großen Koalition viel zuwenig . Wir sehen: Die Armut sinkt nicht . Deswegen istes wichtig, in den nächsten Wochen und Monaten vor derBundestagswahl darüber zu streiten, wer die besserenKonzepte hat, um Armut in Deutschland tatsächlich zuverringern .Vielen Dank .
Das Wort hat die Kollegin Daniela Kolbe für die
SPD-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Ich will in meiner Rede zum Armuts- undReichtumsbericht mit viel Positivem beginnen .
Ich freue mich zunächst einmal, dass dieser Tagesord-nungspunkt heute, trotz pickepackevoller Tagesordnung,doch zu einer sehr prominenten Zeit mit aufgesetzt undausreichend Redezeit vorgesehen wurde . Klar, wir könn-ten noch viel mehr Zeit damit füllen . Auf alle Fälle wirddas aber dem Thema gerecht . Darüber freue ich michsehr .
Dieser Armuts- und Reichtumsbericht unterliegt nichtder Diskontinuität, das heißt, auch nach den Wahlen ister noch aktuell .
Viele Erkenntnisse aus diesem Bericht gehören in dennächsten Koalitionsvertrag . Wir als SPD-Fraktion wer-den uns dafür einsetzen, dass viele der Erkenntnisse dorteinfließen.
Wenn man mit den Menschen spricht, die an der Ent-stehung des Berichts beteiligt waren, nimmt man zudemeine große Zufriedenheit wahr . Überall wird die Transpa-renz gelobt, die Beteiligung gelobt, die Website gelobt,in der man jede Studie, jede Zahl findet. Ich will diesesLob auch Andrea Nahles und ihrem Haus aussprechen .Es war eine harte, eine intensive, vor allem eine gute undtransparente Arbeit, die da geleistet worden ist .
Ich stimme auch zu, dass es sich auszahlt, dass es sichum einen Regierungsbericht handelt . Bei aller Kritik istdas immer eine Abwägungsfrage, aber kaum ein Berichthat eine so große Prominenz und Öffentlichkeit wie un-ser Armuts- und Reichtumsbericht . Das liegt auch da-ran, dass darüber, wenn es einmal Unstimmigkeiten inder Regierung gibt, öffentlich verhandelt wird und dassDr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
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Ministerinnen und Minister diesen Bericht vorstellen undhinter diesem Bericht stehen. Ich finde, das sollte so blei-ben .
Das war es jetzt aber mit der unumwundenen Freudeund Zufriedenheit . Wenn ich in diesen Bericht schaue,dann stelle ich fest: Sein Inhalt lädt eher zu Nachdenk-lichkeit ein und fordert heraus, und zwar zum Handeln .Bei aller Freude über die guten Arbeitsmarktzahlen – unddie Freude gehört dazu –: Die Schere zwischen Arm undReich ist in unserem Land zu weit auseinandergegangen .Ja, sie mag nicht weiter auseinandergehen, aber sie istzu weit auseinander. Ich finde, das muss man zunächsteinmal offen ansprechen.Herr Whittaker, es liegt auf dem Tisch, dass wir sehrunterschiedliche Ansätze haben, mit dem Thema Armutund Reichtum umzugehen . Sie versuchen, mit doch sehrkruden Ansätzen zu erklären, warum die Schere so weitauseinander ist und warum das okay ist .
Wir sagen: Nein, wir wollen das ändern . Wir wollen zueiner anderen Verteilung in diesem Land kommen .
Sie umschiffen das Thema Kinderarmut und wollen amliebsten nicht darüber reden .
Wir sagen: Wir müssen genau hinschauen, wie es denKindern in unserem Land geht . Jedes Kind, das in Armutaufwächst, ist ein Kind zu viel .
Auch deshalb, weil es uns um Verteilungsgerechtig-keit geht, haben wir ein gutes und ausgewogenes Steu-erkonzept vorgelegt . Das stellen wir zur Wahl, und dieMenschen werden im September auch darüber abstim-men, ob kleine und mittlere Einkommen entlastet wer-den, ob Familien entlastet werden und ob höhere undhöchste Einkommen stärker belastet werden . Das ist einrichtiger Schritt hin zu mehr Verteilungsgerechtigkeit .
Wer den Bericht und die Studien liest, stellt auch fest:Wir haben eine Herausforderung im Bereich der atypi-schen Beschäftigung . Wenn man sich die Zahlen undKohorten ansieht, dann stellt man fest, dass die jüngerenMenschen regelhaft beim Berufseinstieg mit Befristun-gen konfrontiert sind; das ist offenbar mittlerweile nor-mal . Wir sagen: Das ist nicht normal . Wir wollen, dassunbefristete Beschäftigung der Regelfall ist . Deswegenbedauern wir es, dass die sachgrundlose Befristung indieser Legislatur nicht abgeschafft werden konnte. Aberwir haben uns fest vorgenommen, die sachgrundlose Be-fristung nach der Wahl abzuschaffen.
Herr Whittaker, es geht natürlich nicht nur um dieHöhe von Sozialleistungen . Darin sind wir uns einig . Esmuss auch um Integrationskurse gehen und um Teilhabefür Langzeitarbeitslose . Aber an einer Stelle widerspre-che ich Ihnen komplett, nämlich im Bereich der Alters-armut . Wir laufen hier sehenden Auges in ein massivesProblem hinein . Das hat auch mit der Höhe von Sozial-leistungen zu tun .
Ich habe vor kurzem eine Friseurin aus meinem Wahl-kreis kennengelernt, die 51 Jahre lang Haare geschnittenhat und auf ihrem Rentenkonto 20 Rentenpunkte ange-sammelt hat . Sie bekommt 650 Euro Rente .
Wenn sie in den nächsten Monaten in Rente geht, kom-men wir mit einer Lösung vielleicht zu spät . Vielleichtwäre es gut gewesen, wenn schon diese Regierung hieretwas Vernünftiges hinbekommen hätte, ganz konkret fürdiese Menschen .
Natürlich müssen wir, weil es um eine gesamtgesell-schaftliche Aufgabe geht, Steuergelder in die Hand neh-men, um dieses Thema anzugehen . Das heißt, wir brau-chen eine Solidarrente für Menschen, die jahrzehntelanggearbeitet haben – besser heute als morgen, so schnellwie möglich .
650 Seiten haben wir hier vorgelegt bekommen, undes gibt schon viele Ideen, was alles im sechsten Armuts-und Reichtumsbericht, der hoffentlich kommen wird undein guter und spannender Bericht sein wird, drinstehensoll; es wird kaum ein weniger dicker Bericht sein . Ichfinde, es sind 650 Seiten Argumente für sozialdemokra-tische Politik, für eine Politik für mehr Gerechtigkeit . Indiesem Sinne: Wir Sozialdemokraten nehmen uns diesenguten Bericht zu Herzen, nehmen ihn mit und wollenversuchen, viele Anregungen daraus in reale Politik um-zusetzen .Vielen Dank fürs Zuhören .
Das Wort hat der Kollege Matthias W . Birkwald für
die Fraktion Die Linke .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Zwischen 2002 und 2013 stieg die Zahl der Ein-Daniela Kolbe
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kommensmillionärinnen und -millionäre von 9 462 auf17 400, und seit Jahren senken Union und SPD die Steu-ern auf große Vermögen, auf hohe Einkommen und Ge-winne . Herr Schäuble lässt zu, dass sich Amazon, IKEAund andere große Konzerne notorisch davor drücken,Steuern zu zahlen .
Millionen Euro fließen so jedes Jahr in die Kassen derUnternehmen und die Geldbeutel der Reichen . Gleich-zeitig heben Sie den Regelsatz für Menschen, die vonHartz IV oder von der Grundsicherung im Alter lebenmüssen, nur um mickrige 5 Euro an . Das ist ungerechtund schlicht eine Frechheit .
Ihr Fünfter Armuts- und Reichtumsbericht zeigtdeutlich: Von 1995 bis 2014 ist die Armutsquote, HerrWhittaker, drastisch gestiegen, und die soziale Ungleich-heit hat deutlich zugenommen . Auf Deutsch – Fakten-check –: Die Reichen wurden immer reicher, und die Ar-men immer zahlreicher . – Darum wollte die CDU/CSUwohl so lange wie möglich vermeiden, dass wir heutehier im Plenum über den Bericht debattieren . Kein Wun-der: Ihr Bericht beschreibt manches, aber er drückt sichum die Kritik .Meine Damen und Herren, Armut und Reichtum neh-men gleichermaßen zu oder, wie es der renommierte Köl-ner Armutsforscher Christoph Butterwegge ausdrückt:„Während die einen nach oben fahren, fahren die anderennach unten .“ Professor Butterwegge nennt das Paternos-ter-Effekt.Meine Damen und Herren von der Koalition, es wäregut, wenn Sie diesen Paternoster-Effekt kritisierten. Dastun Sie aber nicht . Im Gegenteil: Sie ignorieren, dass hierin Deutschland, in der viertgrößten Volkswirtschaft derWelt, das oberste Prozent der Einkommensbeziehendenüber 400 000 Euro im Jahr hat und gleichzeitig immermehr Menschen in Mülltonnen nach leeren Flaschenwühlen müssen, weil sie zu arm sind . Das können Sie,Herr Whittaker, übrigens auch hier im Regierungsviertelsehen . Wir Linken sagen: Das ist beschämend, und dasmuss unbedingt ein Ende haben .
Ihr Armuts- und Reichtumsbericht zeigt uns einenTeil der beschämenden Zustände von heute, zum Bei-spiel, dass immer mehr Menschen auf die Grundsiche-rung im Alter, also auf das Rentner-Hartz-IV, angewiesensind, und zwar absolut und relativ . Aber Ihr Bericht ver-schweigt, dass nach den Zahlen der Europäischen Unionschon heute 2,7 Millionen Menschen in unserer reichenGesellschaft in Altersarmut leben . In keiner Altersgrup-pe wächst die Armut so schnell wie bei den Seniorinnenund Senioren; Kollege Strengmann-Kuhn hat es schongesagt .Meine Damen und Herren, die vorgestern erschieneneStudie von Bertelsmann-Stiftung und DIW zur Altersar-mut schaut in die Zukunft . Die Zukunft wird noch düste-rer werden . Wenn wir jetzt nicht handeln,
dann wird sich die Anzahl der armen Rentnerinnen undRentner in Ostdeutschland bis 2030 verdoppeln, dannwird bis 2030 im Osten jeder Dritte im Alter in Armutleben müssen, in Deutschland jeder Fünfte . Mit anderenWorten: In wenigen Jahren werden 20 Prozent der älte-ren Menschen in Deutschland in Armut leben . Besondersgefährdet sind heute und in Zukunft alleinstehende Frau-en . Besonders gefährdet sind Langzeiterwerbslose sowieMigrantinnen und Migranten . Ich frage Sie, liebe Kolle-ginnen und Kollegen von der Union: Wann wachen Sieeigentlich endlich einmal auf?
Meine Damen und Herren, in der Bertelsmann-Studieheißt es – Zitat –:Es lässt sich aber festhalten, dass eine Abschaffungder Abschläge– bei Erwerbsminderungsrenten –zu einer deutlichen Reduktion der Altersarmut fürdie betroffene Gruppe führen würde.Das fordern die Linke, Gewerkschaften, Sozialverbän-de und Bündnis 90/Die Grünen, und bis 2013 fordertedas auch die SPD . Aber genau das machen Sie nicht . Sielassen die heutigen Erwerbsminderungsrentnerinnen und-rentner im Regen stehen . Sie bestrafen Menschen, diezu krank zum Arbeiten sind, weiter mit systemwidrigenAbschlägen . Niemand wird freiwillig krank . Ich fordereSie auf: Schaffen Sie die Abschläge für Erwerbsminde-rungsrentnerinnen und -rentner ab,
für die 1,8 Millionen, die schon heute im Schnitt nur711 Euro erhalten, und für die, die künftig auf so eineRente angewiesen sein werden! Das muss doch drin sein .
Meine Damen und Herren, wir müssen endlich dafürsorgen, dass in unserem reichen Land niemand mehr inArmut lebt und dass niemand mehr von gesellschaftli-cher Teilhabe ausgeschlossen wird . Ob Kino oder Thea-ter, ob gesundes Essen, Tickets für Busse und Bahnen,ein Schulranzen oder ein Kaffee oder ein Bier mit Freun-dinnen und Freunden: Das alles muss auch von armenMenschen bezahlt werden können . Deshalb sagt die Lin-ke: Niemand soll in unserer Gesellschaft von weniger als1 050 Euro im Monat leben müssen – keine Alleinerzie-hende, kein Erwerbsloser, kein Erwerbsminderungsrent-ner und keine Rentnerin . Warum 1 050 Euro? Nun, weildas DIW festgestellt hat, dass alle Einpersonenhaushalte,die weniger als 1 050 Euro zur Verfügung haben, schlichtarm sind .Und darum sage ich Ihnen ganz zum Schluss: HörenSie endlich auf, die Armut wegzudefinieren! Allen, dieMatthias W. Birkwald
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behaupten, die relative Armutsgrenze von 60 Prozent desDurchschnittseinkommens, also 1 050 Euro für einenSingle, sei nur eine relative Größe, –
Kollege Birkwald .
– die zwar die Spreizung der Einkommen zeige, aber
nicht die absolute Armut,
sage ich zum Schluss: Es geht nicht nur darum, die ab-
solute Armut mit Sozialhilfe zu bekämpfen, es geht nicht
nur darum, Elend zu bekämpfen, sondern es geht auch
darum, alle Menschen in Würde an unserer Gesellschaft
teilhaben zu lassen .
Danke schön .
Der Kollege Stephan Stracke hat für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
Grüß Gott, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich bin Ihnen dankbar, lieber Herr Kollege Birkwald,
dass Sie die Bertelsmann-Studie, die vor kurzem veröf-
fentlicht wurde, erwähnt haben . Das gibt Gelegenheit,
diese herauszugreifen und zu beleuchten .
Zum einen: Grundsicherung im Alter zu erhalten, ist
nicht gleichzusetzen mit Altersarmut, sondern die Grund-
sicherung ist zunächst einmal ein Instrument, um vor Al-
tersarmut zu schützen . Das ist das Entscheidende in dem
Bereich .
Dazu haben wir sie im Jahr 2003 eingeführt . Verschämte
Altersarmut wollten wir dadurch beseitigen, und das ist
uns auch in großem Maße gelungen .
Kollege Stracke, gestatten Sie eine Frage oder Bemer-
kung des Kollegen Birkwald?
Ja, geht ja gut los . Herr Kollege Birkwald, bitte schön .
Vielen Dank, Frau Präsidentin, vielen Dank, Kollege
Stracke, dass Sie die Frage zulassen .
Zunächst einmal wollen wir festhalten: Auf den Sei-
ten 549 ff. Ihres Armuts- und Reichtumsberichtes sind
vier Institute genannt, die eine Armutsquote messen, und
da sind auch die Armutsquoten für Rentnerinnen und
Rentner und Pensionäre ausgewiesen . Ich sage Ihnen:
Bei allen vier Instituten sind die Zahlen zwischen 1995
und 2014 deutlich gestiegen, und bei drei von vier Insti-
tuten liegen die Armutsquoten von Rentnern mit 17 Pro-
zent, 15,9 Prozent oder 20,2 Prozent signifikant über den
Armutsquoten aller .
Jetzt kommt meine Frage: Meinen Sie wirklich, dass
man bei einem bundesweit einheitlichen durchschnittli-
chen Bruttogesamtbedarf – so heißt der Fachbegriff – bei
der Grundsicherung im Alter von 804 Euro nicht von
Armut reden kann? 804 Euro! Davon müssen die Men-
schen alles bezahlen: Essen, Trinken, Miete, Heizung,
Strom, Warmwasser und auch noch das, was wir hier ge-
sellschaftliche Teilhabe nennen . Die Menschen draußen
nennen es Kaffee, Wasser, Bier, Theater, Kino, Oper oder
von mir aus auch Schwarzwälder Kirschtorte . Das kann
man nicht von 804 Euro bezahlen . Diese Menschen sind
arm . Sehen Sie das nicht genauso?
Lieber Herr Kollege Birkwald, das Instrument derGrundsicherung im Alter soll wie sämtliche Grundsiche-rungssysteme Menschen ja gerade dann schützen, wennsie in die genannte Situation kommen . Deswegen gibt esvonseiten des Staates entsprechende Unterstützungssys-teme wie eben die Grundsicherung im Alter, die geradevor Altersarmut schützen soll .
Genau deswegen haben wir dieses Instrument geschaf-fen .Die Armut betrifft im Übrigen ältere Menschen weit-aus weniger als Menschen, die noch im Erwerbslebenstehen . Das zeigen auch die Berichte auf, die uns vor-liegen . Die Bezieher kleinerer Renten sind im Regelfallauch nicht auf Grundsicherung angewiesen . Vielmehrgilt: Altersarmut ist in der Regel nicht das Thema, sie istvielmehr die relativ seltene Ausnahme .
So ist es: Altersarmut ist die relativ seltene Ausnahme .
Ich will Ihnen, weil hier alle sehr aufgeregt sind, da-für einmal ein Beispiel nennen . Bei jemandem, der einegesetzliche Rente von weniger als 600 Euro bezieht, wür-den Sie davon ausgehen, dass er in der Grundsicherungist. Tatsächlich befinden sich aber nur 6 Prozent unsererRentnerinnen und Rentner in der Grundsicherung . Daszeigt doch, dass Altersarmut Gott sei Dank in dieser Ge-Matthias W. Birkwald
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sellschaft nicht die Regel ist, sondern die relativ selte-ne Ausnahme . Wir sollten uns aber natürlich auch daranmessen lassen, das zu verbessern, meine sehr geehrtenDamen und Herren .
Ich nehme die Wortmeldung des Herrn KollegenBirkwald zum Thema Bertelsmann-Studie auf . Die bestePolitik für ein gutes Leben in Deutschland ist natürlicheine gute Arbeitsmarktpolitik bzw . eine gute Bildungs-politik . Und Altersarmut lässt sich eben am sinnvollstenpräventiv durch sichere und ordentlich bezahlte Beschäf-tigung bekämpfen . Dafür haben wir in dieser Wahlperi-ode – auch mit dem Mindestlohn, mit der Stärkung derSozialpartnerschaft und mit vielem mehr – eine Mengegetan . Es geht vor allem darum, Reparaturmaßnahmen zuvermeiden . Diese sind nämlich nicht vordringlich .Jetzt geht es darum, dass wir beim Arbeitsmarkt auchdarauf achten, den Rahmen weiterhin hochzuhalten . Wirsollten keine Steuererhöhungen machen, wie es jetzt bei-spielsweise die SPD vorgeschlagen hat, sondern ganz imGegenteil: Jetzt ist Zeit für Steuerentlastungen für alle .
Und dafür ist auch der entsprechende Rahmen vorhan-den, meine sehr verehrten Damen und Herren .
Seit 2005 sind – der Kollege hatte bereits darauf hin-gewiesen – die Arbeitnehmerentgelte stärker als die Ge-winneinkommen gestiegen . Auch die Reallöhne sind imÜbrigen spürbar gestiegen .Die Ministerin hat darauf hingewiesen, dass die ge-messen am Gehalt unteren 40 Prozent der Beschäftigten2015 real weniger verdient haben als Mitte der 90er-Jah-re . Auch da lohnt es sich, einen genauen Blick auf dieZahlen zu werfen . Tatsache ist, dass diese Senkungenund Einbußen im Reallohnbereich im Zeitraum zwischen1993 und 2007 stattgefunden haben, also zu einer Zeit, inder im Wesentlichen die SPD regierte . Seit 2009 sind dieReallöhne kräftig gestiegen .
Das zeigt: Politik muss man richtig machen . Und wirvonseiten der Union tun das auch .Erstmals seit dem Jahr 1993 ist die Zahl der Langzeit-arbeitslosen unter die Marke von 1 Million gesunken .Auch dazu können wir sagen: In diesem Bereich habenwir richtig gehandelt .Ja, es ist unser gemeinsames Ziel, die Altersarmut vonRentnerinnen und Rentnern zu verhindern . Auch in die-sem Zusammenhang ist ein Blick auf die Rentensteige-rungen gut: In den letzten zehn Jahren sind die Rentenin Westdeutschland um 15,9 Prozent und im Osten sogarum 24,1 Prozent gestiegen .
Das heißt, die Renten sind gut gestiegen . Trotz eines um6,4 Prozent gesunkenen Rentenniveaus haben wir in Ost-deutschland eine Rentensteigerung um 24,1 Prozent . Daszeigt: Auch hier ist die Situation anders, als es in diesemLand oft behauptet wird .
Die Renten steigen, und das ist gut . Das kommt bei denRentnerinnen und Rentnern in diesem Land an .
Altersarmut sollten wir am besten zielgenau bekämp-fen; darauf habe ich bereits hingewiesen . Drei Viertel de-rer, die ab Erreichen der Regelaltersgrenze Grundsiche-rung im Alter beziehen, waren unmittelbar vor Eintrittin das Rentenalter bereits Empfänger von Grundsiche-rungsleistungen, sei es ALG II, Erwerbsminderungsrenteoder Sozialhilfe . Das bedeutet: Die Ursachen liegen of-fensichtlich weit vor dem Renteneintritt .Deswegen müssen wir bei diesen Themen sehr ziel-genau arbeiten . Ich meine den Übergang von Schule inBeruf sowie die betriebliche Weiterbildung . Außerdemmüssen wir die gesamten Bedarfsgemeinschaften ver-stärkt in den Blick nehmen . In Bayern gibt es ein hervor-ragendes, funktionierendes Modellprojekt – Tandem –,bei dem zusammen mit den Kommunen versucht wird,die gesamte Bedarfsgemeinschaft in den Blick zu neh-men und gute Lösungswege aufzuzeigen . Genau dieseAnsätze sollten wir verstetigen .Herr Birkwald, Sie haben sich im Zusammenhang mitder Bertelsmann-Studie zwar auf die Erwerbsgeminder-ten bezogen – da haben wir in dieser Legislaturperio-de viel getan –, Sie haben aber ausgeblendet, dass einhöheres Rentenniveau für alle, was vor allem Sie, aberauch die SPD fordern, kein taugliches Mittel zur Ver-meidung von Altersarmut ist . Das ist der entscheidendeBefund der Bertelsmann-Studie in diesem Bereich . Dashätte einen symbolischen Wert, wäre aber Politik mit derGießkanne. So kann man Altersarmut nicht treffsicherbekämpfen . Außerdem kostet das unglaublich viel: Diekumulierten Kosten dafür beliefen sich auf mindestens100 Milliarden Euro .Schauen wir uns einmal die 530 000 Menschen, dieGrundsicherung im Alter beziehen, an: 25 Prozent davonhaben keinerlei Rentenansprüche, und 40 Prozent bezie-hen eine Rente von unter 400 Euro .
Stephan Stracke
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Diese Menschen haben nichts, aber auch gar nichts vonden Rentenplänen von Martin Schulz .
Tatsächlich würden diejenigen profitieren, die lange ge-arbeitet haben und gut verdient haben . Aber die haben inder Regel nichts mit Altersarmut zu tun .
Ich würde sagen: Die Vorschläge gehen am Thema vor-bei . Das ist nichts anderes als bei der Rente mit 63 .
Auch zu den Vorschlägen zur Solidarrente, die hier unter-breitet wurden, lautet der Befund der Bertelsmann-Stif-tung: Nicht zielführend .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Zah-len lügen nicht: Deutschland geht es so gut wie nie . DieWirtschaft brummt, und die Löhne steigen . Die Zahl dersozialversicherungspflichtig Beschäftigten hat sich ins-gesamt um 6 Millionen erhöht . Besonders erfreulich ist,dass sich die Zahl der Arbeitslosen halbiert hat, die Zahlder jugendlichen Arbeitslosen sogar um 60 Prozent . DieEinkommensungleichheit hat seit 2005 nicht mehr zuge-nommen. Die Vermögensungleichheit ist rückläufig, unddie Mittelschicht ist stabil . Vor allem wichtig ist: Men-schen, die die Unterstützung des Staates brauchen, er-halten sie . Soziale Transferleistungen wie Arbeitslosen-geld II, Sozialhilfe und Grundsicherung im Alter senkendas Armutsrisiko für die Menschen . Das ist der zentraleBefund des Fünften Armuts- und Reichtumsberichts . Dasheißt, der Sozialstaat in Deutschland wirkt .
Das Volumen der sozialen Leistungen in Deutschlandliegt mittlerweile bei über 888 Milliarden Euro pro Jahr .Die Sozialausgaben des Bundes sind von rund 145 Milli-arden Euro im Jahr 2013 auf über 170 Milliarden Euro indiesem Jahr gestiegen .Jetzt hat das Bundeskabinett den Bundeshaushalt für2018 und die Finanzplanung bis 2021 beschlossen . Hier-bei sieht man eine weitere Steigerung der Sozialausga-ben: 2021 werden diese bei 186 Milliarden Euro liegen .Das heißt, von den Gesamtausgaben des Bundes fließenüber 52 Prozent in den Bereich des Sozialen . Das zeigt:Wir sind ein leistungsfähiger Sozialstaat in all diesen Be-reichen .Entscheidend ist auch: In den letzten zwölf Jahren, indenen die Union regiert hat, haben wir alle wirtschaft-lichen Prognosen immer wieder nach oben korrigiert –das sei all denjenigen gesagt, die sich auf die Prognosenverlassen . Wenn man sich die Prognosen anschaut, stelltman fest, dass wir beim Beitragssatz deutlich besser sind .Wir haben beispielsweise ein deutlich besseres Rentenni-veau; das steigt nämlich wieder . Eine gute Wirtschaftspo-litik ist letztendlich eine gute Sozialpolitik . Daran wollenwir unter Führung der Christlich-Sozialen Union und un-ter Führung der CDU festhalten .In diesem Sinne freue ich mich darauf, dass wir unsum eine Vertragsverlängerung für die nächste Wahlperio-de bemühen, damit wir erneut eine unionsgeführte Bun-desregierung stellen können, die die besseren Konzeptefür Deutschland hat .Ein herzliches Dankeschön .
Der Kollege Markus Kurth hat für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Herr Stracke, angesichts dessen, was Sie gerade abge-liefert haben, frage ich mich wirklich: Machen Sie daseigentlich absichtlich, um sozusagen alles zu vernebelnund die Leute zu verwirren, oder glauben Sie das, wasSie da erzählt haben, wirklich?
Es ist doch nicht zu fassen, dass Sie nach vier Jahrenim Ausschuss für Arbeit und Soziales immer noch nichtden Unterschied kennen zwischen dem Existenzmini-mum, das die Grundsicherung darstellt, und der Armuts-schwelle, die oberhalb des Existenzminimums liegt .
Das ist das kleine Einmaleins des Sozialpolitikers .Ich muss wirklich sagen: Dass Sie Altersarmut hierzum Randphänomen erklären, zeigt, dass Sie nicht einenBlick in diesen Bericht geworfen haben; dort können Siedoch alles nachlesen . Die Altersarmutsrisikoquote steigtseit Jahren an . Tatsächlich war vor mehreren Jahren Al-tersarmut im Vergleich zu Kinderarmut eher nachrangig .Aber die Entwicklung ist dramatisch, und sie ist rasant .Wenn Sie davon reden, dass Altersarmut zielgerichtetbekämpften werden soll, dann müssen Sie sich auch derErwerbssituation von Frauen zuwenden .
Denn das zeigt die Bertelsmann-Studie ganz deutlich:Gerade alleinstehende und/oder alleinerziehende Frau-en haben aktuell in der Erwerbsphase und – noch sehrviel schlimmer – in Zukunft ein wirklich exorbitantesArmutsrisiko . Ich will nicht mit zu vielen Zahlen he-rumwerfen, aber das will ich doch einmal aus dieser Stu-die zitieren: Es wird damit gerechnet, dass im Jahr 2030mehr als die Hälfe der alleinstehenden Frauen arm seinwird und sogar 28 Prozent von ihnen Grundsicherung be-Stephan Stracke
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ziehen werden . Das ist etwas, was einem wirklich einenSchrecken einjagen kann .
Wenn wir uns den Hintergrund anschauen, sehenwir, dass 90 Prozent der Alleinerziehenden Frauen sind .80 Prozent aller Teilzeitbeschäftigten sind weiblich . Wirhaben die geschlechtsspezifische Lohnlücke, und wir ha-ben die schlechte Bezahlung von Frauenberufen . Das er-klärt die dramatischen Aussichten auf das Jahr 2030 unddarüber hinaus .In diesem Zusammenhang haben wir als Bündnis 90/Die Grünen – die Kollegin Brigitte Pothmer und andere –gute Vorschläge vorgelegt . Erst heute haben wir im Aus-schuss wieder das Rückkehrrecht in Vollzeit beraten –Fehlanzeige bei der Großen Koalition . Wir haben erstheute im Ausschuss wieder – abgelehnt von der GroßenKoalition – ein Arbeitszeitwahlrecht im Vollzeitkorridorberaten, was eine gerechtere Aufteilung der Arbeitszeitzwischen den Geschlechtern ermöglichen würde . Undwir haben Vorschläge zur Garantierente vorgelegt, diewesentlich niedrigschwelliger ist als die sogenannte So-lidarrente und von der zu 85 Prozent Frauen profitierenwürden .Wenn Sie also zielgerichtete Vorschläge suchen,schauen Sie ins Wahlprogramm und in die Beschlüssevon Bündnis 90/Die Grünen .Vielen Dank .
Das Wort hat die Kollegin Dagmar Schmidt für die
SPD-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Fünf-te Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierunghat es erneut gezeigt – und ich bin froh darüber, dass dasThema heute von so prominenter Seite vorgetragen wur-de –: In unserem Land gibt es viel zu viele arme Kinder,und diese armen Kinder haben es besonders schwer, vorallem dann, wenn es um ihre Teilhabe und Bildungschan-cen geht .Arme Kinder haben es schwer, weil es in Deutschlandimmer noch so ist, dass die Herkunft und nicht Intelli-genz und Fleiß eines Kindes über seine Zukunft entschei-den . Arme Kinder haben es schwer, weil ihre Familienoftmals besonders problembeladen sind – durch Exis-tenz- und Zukunftsängste, Hoffnungslosigkeit und häufigdas Gefühl der Überforderung, gerade bei der Erziehungder Kinder .Um eines klarzustellen: Arme Eltern lieben ihre Kin-der genauso wie alle anderen Eltern . Sie wollen genauwie alle anderen Eltern das Beste für ihre Kinder . Undarme Kinder werden genauso klug, neugierig, lernbereitund offen geboren wie alle anderen Kinder auch, und siewerden mit den gleichen Rechten auf ein gutes Lebengeboren .
Aber es werden ihnen schon früh dicke Steine in den Weggelegt, und es ist unsere Aufgabe, diese dicken Steinewegzuräumen . Alle Kinder brauchen eine ausreichendeExistenzsicherung und gleichen Zugang zu Bildung undsozialer Teilhabe .
Wir haben schon vieles getan . Unser Sozialstaat ver-bessert durch Kinder- und Familienleistungen die Situa-tion von Kindern deutlich . Unser Kindergeld beträgt ak-tuell mehr als 190 Euro . Der Kinderzuschlag wurde um30 Euro auf 170 Euro pro Kind und Monat erhöht . Durchdie Reform des Unterhaltsvorschusses gilt in wenigenTagen, dass dieser unbegrenzt bis zum 18 . Lebensjahr ei-nes Kindes gewährt wird und bis zu 268 Euro pro Monatbetragen kann .Um die Eltern in gute Arbeit zu bringen, haben wirebenfalls vieles getan: mit der Hilfe für langzeitarbeits-lose Eltern, der Möglichkeit, eine Ausbildung zu machenund dabei Grundsicherungsleistungen zu bekommen,
und den deutlichen Verbesserungen bei der Kinderbe-treuung . Wir haben allein 2,2 Milliarden Euro in denBetreuungsausbau investiert und uns mit 6 MilliardenEuro an den Kitabetriebskosten beteiligt . Wir haben diefrühkindliche Sprachentwicklung in den Kitas gefördertsowie die Ausweitung der Betreuungszeiten und die Kin-dertagespflege unterstützt. Das alles kann sich wirklichsehen lassen .
Eltern in Arbeit zu bringen, ist wichtig; aber es reichtnicht aus . Wir müssen Politik für Kinder auch vom Kindaus denken . Da gibt es noch viel zu tun . Bei alledem, waswir tun, müssen das Kindeswohl und das Recht auf glei-che Chancen und Möglichkeiten im Mittelpunkt stehen .Wir brauchen eine eigenständige Existenzsicherung .Die Frage der fairen Berechnung des Existenzminimumsfür Kinder muss wieder auf die Tagesordnung . Wir brau-chen Ganztagsschulen, Schulen, die es nicht notwendigmachen, dass Eltern bei den Hausaufgaben helfen kön-nen müssen .
Wir wollen die Kinder nicht vergessen, die nicht inihrer Ursprungsfamilie bleiben können, und auch die Fa-milien, die Pflegekinder bei sich aufnehmen, mit ihneneine eigene Familie gründen und ihnen Sicherheit undGeborgenheit geben . Diese Familien und diese Kindermüssen wir besonders schützen .
Jedes Kind ist uns gleich viel wert, und niemand darfwegen seiner Kinder arm werden . Deswegen werden wirein gerechteres Kindergeld einführen und dies mit demMarkus Kurth
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 242 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 28 . Juni 2017 24831
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(D)
Kinderzuschlag als Regelleistung zusammenführen . Wirwerden die Rechte von Kindern und Familien im Kinder-und Jugendhilfegesetz stärken und die Kommunen beider Umsetzung unterstützen . Wir werden mit einem Um-gangsmehrbedarf und mehr Teilzeitausbildung die Situa-tion für Alleinerziehende erleichtern . Und wir werden dieKitagebühren abschaffen und einen Rechtsanspruch aufGanztagsbetreuung im Grundschulalter einführen .
Kinder sind unsere Zukunft . Wer zu geizig ist, in dieseZukunft zu investieren, wer es scheut, dafür zu sorgen,dass alle Kinder die gleichen Chancen auf ein gutes Le-ben haben, und wer mehr als 6 Milliarden Euro Brennele-mentesteuer für die Energiekonzerne aus dem Haushaltzaubert, aber das Geld nicht hatte, als es um das Bil-dungs- und Teilhabepaket ging und um die Frage, ob mandie Nachhilfe für arme Kinder finanziert, die die Chanceund das Potenzial haben, in der Schule aufzusteigen, denkann man am 24 . September aus dem Kanzleramt unddem Finanzministerium abwählen .In diesem Sinne: Glück auf!
Das Wort hat die Kollegin Dr . Kristina Schröder für
die CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wenn es um Armut und Reichtum geht, dann gibt es eineAussage, die in der Debatte so allgegenwärtig ist, dasssie eigentlich schon gar nicht mehr richtig auffällt: DieSchere zwischen Arm und Reich geht immer weiter aus-einander . – Wenn Sie das sagen, dann ernten Sie in jederPodiumsdiskussion und in jeder Talkshow Nicken undBetroffenheit. Praktisch niemand fragt aber, ob das empi-risch überhaupt stimmt .
Zwar hatte sich in Deutschland die Einkommensun-gleichheit zwischen Ende der 90er-Jahre und 2005 merk-lich erhöht, wie in den meisten anderen Industrienationenauch, seitdem aber nicht mehr . Die verfügbaren Realein-kommen der oberen 10 Prozent sind in diesem Zeitraumweniger stark gestiegen als die der unteren 10 Prozent .Auch der Gini-Koeffizient, das internationale sozial-wissenschaftliche Maß zur Messung von Ungleichheit,spricht eine andere Sprache .Betrachtet man nur die Markteinkommen, also das,was vor Steuern und Abgaben verdient wird, dann liegtDeutschland unter den 28 EU-Ländern in der Tat im obe-ren Mittelfeld . Die Markteinkommen sind in Deutsch-land also ungleicher verteilt als in der Mehrzahl derEU-Länder . Anders ist es aber bei der Betrachtung derNettoeinkommen, also dem, was nach Steuern und Abga-ben herauskommt . Unter den 28 EU-Ländern gibt es nur8, deren Nettoeinkommen deutlich gleicher verteilt sindals die Nettoeinkommen in Deutschland . Wir liegen hieralso eindeutig unter dem EU-Schnitt, und daran hat sichin den letzten Jahren auch nichts geändert .
Das heißt also, die staatliche Umverteilung wirkt .Die Steuergesetzgebung, die wir maßgeblich hier indiesem Haus machen, sorgt dafür, dass Wohlhabende inDeutschland auch viel Steuern zahlen . Die wohlhabends-ten 10 Prozent unserer Einkommensteuerpflichtigen zah-len 55 Prozent der Einkommensteuer. Damit finanzierensie maßgeblich unser soziales Netz, das weltweit zu denstärksten gehört .
Daher habe ich, ehrlich gesagt, auch nie verstanden,warum der Bericht, den wir heute diskutieren, Armuts-und Reichtumsbericht heißt . Armut und Reichtum wer-den also in einem Atemzug genannt . Armut ist ein Übel,das reduziert werden muss . Darauf können wir uns sofortverständigen . Aber auch Reichtum? Ist Reichtum wirk-lich ein Übel, das reduziert werden sollte?
Ich bin der Überzeugung – und die Union auch –, dassein Land froh sein kann, wenn in ihm viele gut verdie-nende Menschen leben, wenn dort zum Beispiel auchMenschen leben, die den Mut und das Geschick zum Un-ternehmertum haben; denn genau diese Menschen finan-zieren maßgeblich den Wohlstand und das soziale Netzunseres Landes .
Im Übrigen haben auch die Armen nichts davon, wennman den Wohlhabenden einfach etwas nimmt, nur ummehr Gleichheit herzustellen .
Ich möchte auch noch eine Bemerkung als ehemaligeFamilienministerin machen .
Wir hören in der Debatte immer wieder, dass es zur Be-kämpfung von Armut wichtig sei, dass die Menschendurchgehende Erwerbsbiografien möglichst in Vollzeithaben . Es stimmt ja auch: Jeder, der arbeiten will, sollteauch arbeiten können . Ich sehe es allerdings mit einer ge-wissen Sorge, dass sich die Erwartungshaltung, mit mög-lichst wenigen Unterbrechungen und möglichst Vollzeitzu arbeiten, immer stärker auch an Mütter sehr kleinerKinder richtet . Das wird immer wieder auch von der Po-litik befeuert . Andere Lebensentwürfe werden gerne alsDagmar Schmidt
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überholtes Rollenmodell verunglimpft, oder den Mütternwird attestiert, wie ein kleines Dummchen in die Teilzeit-falle getappt zu sein .
Auch die Pläne von SPD, Grünen und Linken, nach derBundestagswahl das Ehegattensplitting abzuschaffen, umdieses Lebensmodell für breite Schichten unerschwing-lich zu machen, gehen in genau diese Richtung .Ich denke, ein so wohlhabendes Land wie Deutsch-land muss es sich leisten können, jungen Familien finan-ziell zu ermöglichen, dass einer der Elternteile eine Zeitlang zu Hause bleibt, um sich um die Betreuung der Kin-der zu kümmern .
Wer will, soll sehr früh wieder einsteigen können . Dafürbraucht er bestmögliche Krippen und Kitas . Wer aber dieBetreuung in den ersten Lebensjahren komplett zu Hauseorganisieren möchte, der muss das genauso können .
Solchen Familien dürfen weder durch die Abschaffungdes Ehegattensplittings finanziell die Daumenschraubenangelegt werden,
noch hat der Staat das Recht, sie anmaßend zu belehren,sie lebten ein veraltetes Rollenmodell . Solche Familienverdienen genauso unseren Respekt und unsere Unter-stützung .
Liebe Kolleginnen und Kollegen gerade auch von derOpposition und von unserem geschätzten Koalitionspart-ner, Sie haben sich gerade ein bisschen aufgeregt . Viel-leicht ist es daher für Sie eine gute Nachricht, dass diesmeine letzte Rede als Bundestagsabgeordnete ist . Ichverstehe unser Parlament, ich verstehe dieses Rednerpulthier als den Ort der weltanschaulichen Auseinanderset-zungen in Deutschland .
Hier bekennen die einen, dass sie sich letztlich eher derGleichheit verpflichtet fühlen, und die anderen, dass esihnen im Kern um die Freiheit geht . Das ist das Wesendes Politischen .Das sind genau die Wertaxiome, die Max Weber be-schrieben hat, zu denen sich jeder von uns hier an diesemRednerpult bekennen kann und damit vor seine Wählertreten muss . Wenn diese Wertaxiome, die in diesem Hausvon uns vertreten werden, sehr unterschiedlich sind, dannist es gut so;
denn dann hat der Wähler eine Wahl .Gefährlich für unsere parlamentarische Demokratiewird es nur, wenn so getan wird, als ließen sich dieseletzten Wertaxiome irgendwie objektiv herleiten, sei esals vermeintlicher gemeiner Wille des Volkes im SinneRousseaus, sei es als technisches Erfordernis, sei es alsvermeintlich zwingender Verlauf der Geschichte . Alldiese Versuche, das moralisch Richtige objektiv zu be-gründen, verbrämen immer nur den subjektiven Willendesjenigen, der das versucht .Hier im Parlament entscheiden wir nach einem an-deren Modus: nach Mehrheit . Damit erheben wir nichtden Anspruch auf Wahrheit, sondern den wesentlich be-scheideneren Anspruch auf Geltung . Dafür brauchen wirweiter – vielleicht auch etwas breiter als in der zu Endegehenden Legislaturperiode – die weltanschauliche De-batte hier in diesem Haus . Dass ich daran 15 Jahre langmitwirken durfte, das war mir eine Ehre .
Mit diesem letzten Redebeitrag und diesem Applausendet auch dieser Tagesordnungspunkt . – KolleginSchröder, alles Gute für Sie .Ich schließe die Aussprache . Interfraktionell wirdÜberweisung der Vorlage auf Drucksache 18/11980 andie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor-geschlagen . Sind Sie damit einverstanden? – Das ist derFall . Dann ist die Überweisung so beschlossen .Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf:a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPDÖstliche Partnerschaft der EuropäischenUnion entschlossen gestalten und konsequentfortsetzenDrucksache 18/12942b) Beratung des Antrags der AbgeordnetenWolfgang Gehrcke, Jan van Aken, ChristineBuchholz, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion DIE LINKEÖstliche Partnerschaft für Frieden und Zu-sammenarbeit in ganz Europa nutzenDrucksache 18/12937Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die uns jetztverlassen müssen
Dr. Kristina Schröder
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– oder wollen –, dies so zu tun, dass wir trotzdem dieAussprache eröffnen und den Rednerinnen und Rednernauch folgen können .Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegeFranz Thönnes für die SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Europäische Union ist das größte Friedensprojektdes 20 . Jahrhunderts auf unserem Kontinent . Genera-tionen wie die meine konnten erstmalig auf deutschemBoden über so eine lange Phase ohne Krieg leben undaufwachsen . Das ist ein politischer Erfolg, der uns im-mer wieder mahnen muss, sich für die Stabilität und dieWeiterentwicklung der Europäischen Union einzusetzen .Politik für ein starkes und einiges Europa ist aktive Frie-denspolitik .
Die Wurzeln für die Östliche Partnerschaft der Euro-päischen Union liegen in Artikel 8 ihres Vertragswerks .Dieser verpflichtet, besondere Beziehungen zu denNachbarn der EU zu entwickeln, „um einen Raum desWohlstandes und der guten Nachbarschaft zu schaffen,der auf den Werten der Union aufbaut und sich durchenge, friedliche Beziehungen auf der Grundlage der Zu-sammenarbeit auszeichnet“ .Integriert ist sie in die europäische Nachbarschaftspo-litik, die mit dazu beitragen soll, dass ein stabiles undprosperierendes Umfeld von Nachbarstaaten rund um dieEuropäische Union entstehen soll . Dazu sollen Hilfen fürTransformation, Modernisierung und Demokratisierunggegeben werden, ohne eine Beitrittsperspektive zu be-inhalten . Es ging und geht hier um die Länder Armeni-en, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Moldau und dieUkraine .Die unabhängig gewordenen postsowjetischen Länderverfügen erfreulicherweise über differenziert ausgepräg-te zivilgesellschaftliche Bewegungen sowie Reformkräf-te . Gleichzeitig zeichnen sie sich ebenso dadurch aus,dass in Bezug auf die notwendigen Transformationspro-zesse unterschiedliche, aber doch gewisse starke Behar-rungsvermögen existieren . So gibt es partiell mangeln-den politischen Willen, die Reform anzugehen . Zu sehrsind manche Gesellschaften durch ihre geschichtlicheEntwicklung immer noch von egozentrischen Geschäfts-und Machtinteressen beeinflusst, und zu gering sind dieKapazitäten zur Konsens- und Kompromissfindung, zurSchaffung von Demokratie und zur Versöhnung ausge-prägt .Es bestehen unterschiedliche außenpolitische Ziele,und wahrscheinlich war es auch ein Fehler seitens derEU, am Anfang eine Politik des „One size fits all“ – alsoein Maß passt für alle – zu praktizieren .
Während die westliche Staatengemeinschaft nach demFall des Eisernen Vorhangs und nach der Pariser Chartavon festen Grenzen in Europa ausging, betrachteten dieRegierenden in Russland diese Bereiche als ihre Ein-flusssphäre. Das führte zunehmend zu den Spannungenund Auseinandersetzungen, die wir heute erleben .In Brüssel und der politischen Klasse scheint einigesan Realitäten bei der Östlichen Partnerschaft ausgeblen-det worden zu sein . Die Länder der Östlichen Partner-schaft sind nicht nur die Nachbarn Europas; sie sind auchdie Nachbarn Russlands, und Russland ist Europas größ-ter Nachbar .Wer gute Nachbarschaft will, hat dies bei der Ent-wicklung und Umsetzung der Östlichen Partnerschaft zuberücksichtigen . Das gilt umgekehrt aber auch für dasSelbstbestimmungsrecht der freigewordenen Völker undStaaten .Was sind diese Realitäten? Da ist einmal die hohe Zahlder Gastarbeiter aus den sechs Partnerschaftsländern inRussland . Je nach Land handelt es sich dabei um 200 000bis über 2 Millionen Menschen, die mit einem erhebli-chen Teil ihrer Rücküberweisungen in ihre Heimatländerzu deren Bruttoinlandsprodukt und Wirtschaftsleistungbeitragen. Häufig ist Russland zentraler Handelspartner.Manchmal sind nicht zu unterschätzende Investitionenvon Firmen in Schlüsselindustrien in diesen Ländernvorhanden .Hinzu kommen ungelöste Konflikte wie zwischenArmenien und Aserbaidschan um die Region Berg-Ka-rabach, in Georgien mit Abchasien und Südossetien,in Moldau mit Transnistrien und im Osten der Ukrainesowie mit der Krim . Auch gilt es die unterschiedlichePräsenz von 1 400 über 8 000 bis zu 10 000 russischenSoldaten in einigen dieser Länder zu sehen .Armenien und Belarus sind inzwischen Mitglied derEurasischen Wirtschaftsunion . Aserbaidschan hat einenderartigen Beitritt abgelehnt, will aber auch kein Assozi-ierungsabkommen mit der EU .Belarus dagegen betont ein Interesse an einem Rah-menvertrag mit der EU. Bisherige Treffen und Verab-redungen zu einzelnen Reformprozessen im Wahlrechtund bei den Menschenrechten sind ohne größeren Erfolggeblieben . Die Frühjahrsproteste, die in Belarus gegendas sogenannte Schmarotzergesetz stattgefunden haben,sind mit Repressionen beantwortet worden . Nach wievor werden Todesurteile vollstreckt, sodass es erneut vondieser Stelle aus gilt, Staatspräsident Lukaschenko zuzu-rufen: Entfernen Sie die Todesstrafe aus Ihren Gesetzen!Nehmen Sie Abstand von dieser Unmenschlichkeit in-mitten Europas!
Georgien, Moldau und die Ukraine haben inzwischenAssoziierungsabkommen mit einer vertieften und umfas-senden Freihandelszone mit der EU geschlossen . Inzwi-schen gilt auch die Visaliberalisierung .Vizepräsidentin Petra Pau
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Georgien scheint bei Wahlen, Pressefreiheit, Minder-heitenrechten und bei der demokratischen Konsolidie-rung auf einem guten Weg zu sein . Pragmatisch stabili-siert es die Handelsbeziehungen mit Russland und führtden humanitären Dialog .Moldau wurde durch einen 1 Milliarde Euro schwerenBankenskandal 2014 erheblich erschüttert . Hinzu kommteine politische Elite, die sich zum europäischen Reform-kurs bekennt, es jedoch an konkreter Umsetzung man-geln lässt und eher Einzelinteressen bedient . Dann ist dasLand von einem proeuropäischen Kurs der Regierung ge-kennzeichnet und einem Kurs des mit knapper Mehrheitgewählten Staatspräsidenten, der eher die Kooperationmit Russland sucht und Moldau zu einem unabhängigen,neutralen Land mit guten Beziehungen zu Ost und Westmachen will .In der Ukraine hat die Revolution der Würde vomFrühjahr 2014 zu einer politischen und gesellschaftli-chen Neuorientierung geführt . Die völkerrechtswidrigeKrim-Annexion und die russische Unterstützung derSeparatisten im Donbass verschlechtern aber die Bedin-gungen für die Reformarbeit erheblich . Die politischenKräfte sind gezwungen, viele Prozesse gleichzeitig zubewältigen . Dazu gehören die Reformschritte im Ban-ken- und Energiesektor, im Justizwesen, beim Abbau derSchattenwirtschaft, bei Renten und Steuern sowie beider Intensivierung der Bekämpfung der Korruption . Siemüssen konsequent zu Ende gebracht werden und dürfennicht im Gestrüpp von Oligarcheninteressen und Kor-ruption am Ende stecken bleiben .Die Visaliberalisierung, die eingeführt wurde, sollteMut machen, am Reformkurs festzuhalten . Aber ich willangesichts von Überlegungen, die Visapflicht für russi-sche Staatsbürger einzuführen, schon sagen, dass ich dasaus Sicherheitsinteressen verstehen kann . Aber, ich glau-be, man sollte ernsthaft darüber nachdenken, ob es nichtbesser ist, wenn die Menschen die gegenseitigen Realitä-ten in den Ländern sehen und begreifen können und nichtauf Fake News und Propaganda hereinfallen . Ich glaubeauch, dass es gut wäre, wenn keine neuen Mauern, auchkeine virtuellen, in Europa aufgebaut würden .
Nach der erfolgten stärkeren Öffnung ist es nicht gut,wenn es zu neuer Abschottung kommt . Diese Realitätenbedingen die Umsetzung der Politik der guten Nachbar-schaft, der Östlichen Partnerschaft in Europa . Wenn wirheute darüber sprechen, wie Europa weiter stabilisiertwerden kann, dann ist es notwendig, dass wir die Brü-ckenfunktionen, die die osteuropäischen Länder einneh-men können, gerade vielleicht auch Armenien und Bela-rus, für ein stabiles, großes Gemeinwesen nutzen können .Die Minsker Abkommen haben viele Länder unter-zeichnet; insofern kann man von einem gemeinsamenhumanitären Raum in Europa auf der Basis der Prinzipi-en der OSZE sprechen . Dies sollten wir nutzen, um eineVerzahnung mit der „One Belt, One Road“-Strategie vonChina herbeizuführen; wir sollten nicht neue Spaltungenorganisieren . Es darf nicht zu einer Blockbildung zwi-schen Europäischer Union und Eurasischer Union kom-men, sondern Zusammenarbeit muss eigentlich unserZiel sein .
Gerade deshalb brauchen wir eine offensive Nutzungaller Möglichkeiten des Dialogs, auch des Dialogs beider Umsetzung der Minsker Abkommen . Wir müssenverlorengegangenes Vertrauen wieder zurückgewinnen .Meiner Ansicht nach sollten die Zivilgesellschaftenhüben wie drüben in diesen Prozess viel stärker einbezo-gen werden als bisher .Was wir allerdings als Letztes brauchen, ist ein glo-baler Rüstungswettlauf . Das Geld, das dafür ausgegebenwird, ist besser in Bildung, Forschung und Friedensarbeitzu investieren .
Politik der Östlichen Partnerschaft muss immer dasInteresse haben, die Ziele von Prosperität, Rechtsstaat-lichkeit und Demokratie in einem geordneten Rahmenvon Entspannung und Sicherheit, am besten in einergemeinsamen Sicherheitsarchitektur, zu gestalten . Auchgilt es, die Sozialpartner über den sozialen Dialog einzu-beziehen, wenn es darum geht, die großen Transformati-onen vorzunehmen; denn der äußere Friede nützt wenig,wenn der innere, der soziale Friede aufgrund der Trans-formationen aufs Spiel gesetzt wird .Werte Kolleginnen und Kollegen, mit MarieluiseBeck, Karl-Georg Wellmann, Wolfgang Gehrcke, GernotErler, mit diesen geschätzten Kolleginnen und Kollegenaus dem Auswärtigen Ausschuss verlässt jetzt ein Groß-teil an osteuropäischer Expertise das Parlament . Zu frühsind unsere Kollegen Andreas Schockenhoff und PhilippMißfelder von uns gegangen . Ich denke gern an die Ar-beit mit Philipp Mißfelder und unsere gemeinsamenVersuche, zu einer Visaliberalisierung mit Russland zukommen, zurück .
Ich bin auch immer noch davon überzeugt: Vielleichtwäre es heute sogar eine gute Idee, diese Arbeit offensivfortzusetzen, damit die Menschen davor bewahrt wer-den, auf Fake News, auf Propaganda und neu aufgebauteFeindbilder hereinzufallen, damit sie die Realitäten aufbeiden Seiten sehen und erkennen können . Ich glaube,dass das der beste Schutz dagegen ist, dass sich Men-schen zunehmend voneinander entfremden und sich da-mit auch Nationen entfremden .
Außenpolitik wird durch die internationale Arbeit desDeutschen Bundestages beeinflusst. Vier Legislaturperi-oden durfte ich die sehr aktive Parlamentariergruppe desNordens führen, die Deutsch-Nordische Parlamentari-Franz Thönnes
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ergruppe, aber ebenso auch die Delegationen des Deut-schen Bundestages in der Ostseeparlamentarierkonfe-renz – und das in großartiger gemeinsamer Kollegialität .In meiner letzten Rede im Deutschen Bundestag heu-te denke ich nach 23 Jahren parlamentarischer Arbeit,au
Rede von: Unbekanntinfo_outline
hier in den Büros in Berlin, aber auch im Wahlkreis-
büro, in der Fraktion, in den Ministerien, im Deutschen
Bundestag – von Saaldienern und Verwaltung, über den
Raum- und Pförtnerservice bis hin zu den Fahrern, die
unser Leben stets in guten Händen hatten . Natürlich ge-
bührt ein großer Dank auch meiner Frau für ihre Unter-
stützung in dieser Zeit .
Danke sage ich allen Kolleginnen und Kollegen im
Parlament, in den Ausschüssen für das Diskutieren, Strei-
ten und Ringen um den richtigen Weg – inhaltlich klar,
manchmal in Übereinstimmung, manchmal kontrovers,
aber immer menschlich und – wie sollte es anders sein im
Auswärtigen Ausschuss – friedliche Lösungen suchend .
Das alles macht es immer wieder möglich, dass das
kollegiale Du nicht nur auf Mitglieder der eigenen Frak-
tion beschränkt bleibt . Damit ist klar: Der Umgang im
Parlament hängt nicht so sehr von unseren unterschiedli-
chen Parteimitgliedschaften ab, sondern im Kern eigent-
lich von unseren Charakteren, mit denen wir hier versam-
melt sind .
Im Norden sagt man Tschüs, und von Island bis Finn-
land ruft man sich zu: Bless! Ha det bra! Vi ses! Hej då!
Heippa!
Achten Sie auf sich, bleiben Sie gesund!
Achten Sie auf sich . – Das Wort hat Andrej Hunko für
die Fraktion Die Linke .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir re-den heute über die Östliche Partnerschaft der Europäi-schen Union anlässlich des Gipfels, der im Novemberstattfinden wird. Zur Östlichen Partnerschaft liegen einAntrag auch der CDU/CSU und ein Antrag der Linkenvor .Ich erinnere mich sehr gut, wie wir hier vor gut zweiJahren die drei Assoziierungsabkommen mit der Ukrai-ne, Georgien und Moldawien diskutiert haben . Wir habenals Linke dagegengestimmt, Sie haben zugestimmt . Daswar eine Inszenierung, eine Veranstaltung mit den Bot-schaftern dieser Länder, mit den Parlamentspräsidenten .Es war eine Feierstimmung .Wenn ich das mit dem jetzt vorliegenden Antrag derGroßen Koalition vergleiche, muss ich sagen: Hier istdoch sehr viel Realismus eingekehrt, und hier ist auchein Stück weit Selbstkritik eingekehrt . Das begrüßen wirals Linke außerordentlich .
Die Östliche Partnerschaft mit den Ländern Moldawi-en, Ukraine, Georgien, Belarus, Aserbaidschan und Ar-menien hatte aus meiner Sicht zum Ziel, diese Länder inden Einflussbereich der Europäischen Union zu bringen.Ziel war nicht, eine Beitrittsperspektive zu eröffnen, son-dern, diese Länder insbesondere durch Assoziierungsab-kommen an die Europäische Union heranzuführen . DieseAssoziierungsabkommen waren im Kern Freihandelsab-kommen, die zum Beispiel auf Absenkung der Zölle undLiberalisierung der Dienstleistungen abzielten . Das warein Grund, warum wir diese Abkommen kritisch gesehenhaben .Ein weiterer und vielleicht wichtigerer Grund war,dass diese Abkommen die betreffenden Länder, insbe-sondere die Ukraine und Moldawien, vor die Alternative„EU oder Russland“ gestellt und damit ein Stück weitzerrissen haben . In der Ukraine war 2013 etwa die Hälfteder Bevölkerung dagegen und eher prorussisch orientiert .
Auch in Moldawien gab es eine leichte Mehrheit für dieprorussische Orientierung . Das hat die Länder natürlichvor große Probleme gestellt . In der Ukraine kam es zuProtesten, den blutigen Unruhen auf dem Maidan undschließlich zum verfassungswidrigen Sturz des Präsiden-ten Janukowytsch . Das ist auch auf die Konzeption derÖstlichen Partnerschaft zurückzuführen . Das ist sicher-lich nicht der einzige Faktor . Auch die NATO-Osterwei-terung spielte hier eine sehr große Rolle .
Ich bin sehr froh, dass Sie in Ihrem Antrag – kritischrückblickend – schreiben:Bei kritischer Bilanzierung der zurückliegendenJahre zeigt sich, dass das erklärte Ziel der ÖP, denöstlichen Nachbarstaaten der EU . . . Möglichkeitenzu eröffnen, sich zu einer stabilen und wirtschaftlichprosperierenden Umgebung zu entwickeln, bishernicht oder nur in Ansätzen erreicht wurde .Oder um es deutlicher zu formulieren: Die Politik derÖstlichen Partnerschaft der Europäischen Union ist einScherbenhaufen . Das wird inzwischen hinter vorgehal-tener Hand so ausgedrückt . Im vorliegenden Antrag derKoalition wird es etwas besser umschrieben .Wir brauchen aus unserer Sicht eine Neuausrichtungder Östlichen Partnerschaft . Sie muss sich an einer Ko-operation mit den sogenannten Zwischenländern, aberauch mit Russland orientieren . Bei dieser Kooperationsollten keine neoliberalen Freihandelskriterien, sonderndie wirtschaftliche und die soziale Entwicklung im Vor-dergrund stehen .
Sie schreiben mit Blick auf den Gipfel, der im kom-menden November stattfinden und für die Zukunft derFranz Thönnes
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Ostpolitik wichtig sein wird – ich zitiere Ihre Forderun-gen an die Bundesregierung –, „sich dafür einzusetzen,dass im Rahmen der Weiterentwicklung der ÖP-Politikder EU die bestehenden ökonomischen sowie gesell-schaftlichen Verflechtungen zu den jeweiligen Nachbarnstärker als bisher berücksichtigt werden . Die Nachbarnder EU sind auch Russlands Nachbarn .“ Das können wirnur ausdrücklich unterstützen . Wir hätten uns gewünscht,dass das schon vor einigen Jahren so formuliert wordenwäre .
Ich werde nicht zu allen Punkten etwas sagen . Nurnoch so viel: Wir brauchen eine Neuausrichtung . Wir ha-ben eine Reihe konkreter Vorschläge in unserem Antraggemacht . Der Antrag der Koalition geht, verglichen mitdem, was bisher gesagt wurde, in die richtige Richtung .Es gibt allerdings viele Punkte, die wir kritisch sehen .Deswegen können wir ihm nicht zustimmen . Ich bitte Siedaher, dem Antrag der Linken zuzustimmen .Vielen Dank .
Das Wort hat der Kollege Dr . Christoph Bergner für
die CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Hunko, auch ich erinnere mich an die Situation am26 . März 2015, als wir die Assoziierungsverträge mitGeorgien, Ukraine und der Republik Moldau hier rati-fizierten. Ich habe es weniger als eine besondere Feier-stimmung in Erinnerung; vielmehr standen wir alle unterdem Eindruck der Euromaidan-Bewegung, der Revolu-tion der Würde, im Jahre zuvor, der Annexion der Krimdurch Russland und der hybriden Kriegsführung Russ-lands in der Ostukraine . Dies hat dieser Diskussion einebesondere Spannung gegeben und hat uns alle auch zubesonderen Emotionen herausgefordert, Emotionen, diezum einen zum Ausdruck brachten: „Wir stehen zur sou-veränen Entscheidung dieser unserer Nachbarstaaten derEU, ihren eigenen Weg zu gehen und dabei das Leitbildder europäischen Nachbarschaftspolitik als Orientie-rungsrahmen zu nehmen“, und zum anderen: Wir sindbereit zur Solidarität angesichts immenser Probleme, mitdenen sie sich auseinanderzusetzen hatten .
Ich hatte mir damals bei dieser Debatte eigentlich vor-genommen, dass wir uns im Verlauf der Legislatur mitjedem dieser Länder in einer eigenen Parlamentsdebattedarüber auseinandersetzen, wie der Stand ist und wie dieProbleme aussehen . Das ist leider nicht möglich gewe-sen .Nun haben wir einen Sammelantrag vorgelegt,
der zwangsläufig unterschiedliche Aspekte miteinandervereinigen muss, der aber gleichwohl die Gelegenheitgibt, die Grundsatzfragen, die damit verbunden sind, zuerörtern .
Nur um für mich eine Bilanz zu ziehen: Herr Hunko,die Politik der Östlichen Partnerschaft ist nicht geschei-tert. Mir scheint, als ob Sie ein bisschen den Begriff derNachbarschaft mit dem Begriff des Vasallentums ver-wechseln .
Sie sprechen von Einflussbereichen. Wir sprechen vonNachbarschaft, bei der das gemeinsame, staatenübergrei-fende Interesse und das staatenübergreifende Gemein-wohl gesucht werden . Das ist das Prinzip der EU . WennSie Europapolitiker sein wollen, sollten Sie sich mit die-sen Prinzipien auseinandersetzen .
Wir unterstützen deshalb mit diesem Antrag ausdrück-lich die Kontinuität und Fortsetzung der Politik der Östli-chen Partnerschaft . Wir unterstützen auch das Bemühender Kommission, neben den Assoziierungsländern fürWeißrussland, Armenien und Aserbaidschan spezifischeFormate der Kooperation zu finden. Wir hoffen, dass aufdem Gipfel der Östlichen Partnerschaft am 24 . Novem-ber dieses Jahres die mühsam getroffene Vereinbarungmit Armenien unterzeichnet und nachfolgend auch rati-fiziert werden kann.Da dies die letzte Rede ist, die ich von diesem Pultaus halten darf, möchte ich sie gerne dafür nutzen, umüber diese Frage mit Ihnen aus meiner persönlichenSicht nachzudenken, die eigentlich die gesamte Politikder Östlichen Partnerschaft überschattet und die das Hin-tergrundproblem dieser Partnerschaftspolitik ausmacht:Das ist die Entfremdung Russlands von Europa, und dasist der offene Versuch Russlands, die Länder, die sich inder östlichen Nachbarschaft der Europäischen Union be-finden, mit hybrider Kriegsführung zu stören.Wo können die Ursachen liegen? Als ich vor 27 Jah-ren, im Herbst 1990, erstmals für ein Abgeordnetenman-dat kandidierte und in den Landtag von Sachsen-Anhaltgewählt wurde, gab es viel unmittelbaren Anlass zu po-litischer Zuversicht: Der Eiserne Vorhang war gefallen,die Ära der Blockkonfrontation schien überwunden, diestaatliche Einheit Deutschlands war gerade wiederherge-Andrej Hunko
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stellt . Auch international hing, wenn man es so nennendarf, der politische Himmel voller Geigen .
Alle Mitgliedstaaten der KSZE von Vancouver bisWladiwostok waren sich damals einig über das Leitbildihrer zukünftigen Entwicklung: Demokratie, Pluralis-mus, Rechtsstaat, Marktwirtschaft, offene Gesellschaft.Das ist alles nachzulesen in der Charta von Paris für einneues Europa.Die reale Situation, die wir heute – abgesehen von denbaltischen Staaten – auf dem Gebiet der früheren Sow-jetunion finden, ist leider eine andere. Es stellt sich dieFrage: Wo liegen die Ursachen? Das Leitbild der Chartavon Paris war mit der Notwendigkeit von staatlichen, ge-sellschaftlichen und wirtschaftlichen Transformationenverbunden . Diese Transformationen waren für alle dieStaaten, die sich früher einmal „sozialistisch“ nannten,nicht einfach zu leisten . Die Transformation verlief wi-dersprüchlich, konfliktreich, und sie war schwierig. Au-ßer im Baltikum ist sie auf dem Gebiet der früheren Sow-jetunion gescheitert, und es lohnt sich, dieses Scheiternim Zusammenhang mit der Östlichen Partnerschaft nocheinmal aufzugreifen und darüber nachzudenken .Es beginnt mit dem Zerfall der Sowjetunion – fürPutin die größte geopolitische Katastrophe des 20 . Jahr-hunderts . Es ist aber bei genauerem Hinschauen ein Er-gebnis der eingetretenen Freiheit . Was Jahrhunderte mitGewalt zusammengehalten wurde, brach auseinander,nachdem die Gewalt weg war und Freiheit Einzug haltenkonnte . Dennoch waren die nach dem Zerfall notwendi-gen Transformationsprozesse mit vielfältigen Irritationenund strukturellen Verwerfungen verbunden . Sie wurdenzu einer Hypothek der Transformation für den postsow-jetischen Raum .Der zweite Punkt: gescheiterte Privatisierungen . Esist hier nicht die Zeit, über die Privatisierungsmodelleder früheren Sowjetunion zu reden; sie haben in die Oli-garchenwirtschaft geführt, die Nährboden von Korrupti-on und Vetternwirtschaft wurde .Der dritte Punkt: interne Konflikte wie der Tschet-schenien-Konflikt, die autoritäre Machteliten insbeson-dere in Russland stärkten .Der vierte Punkt . Die Aufarbeitung der totalitärenVergangenheit blieb auf der Strecke – mit dem Ergebnis,dass die Leitbilder des Herbstes 1990 auch an den Restender totalitären Strukturen der Vergangenheit scheiterten .Wir haben also prekäre gesellschaftliche und wirt-schaftliche Situationen . Wladimir Putin hat diese pre-kären Situationen durch Macht und Totalitarismus zustabilisieren versucht, und er hat damit ein neues Wer-teverständnis entwickelt, das sich bedauerlicherweisevon den Grundsätzen der Charta von Paris unterscheidet .Aber wir könnten respektvoll mit diesem anderen Wer-teverständnis umgehen, wenn nicht ein anderer Punktwichtig würde: Mit Blick auf die anderen postsowjeti-schen Staaten, die sich dem Werteverständnis der Euro-päischen Union, dem Werteverständnis der Charta vonParis verschreiben wollen, wird gefürchtet, sie könntenfür Russland falsche Vorbilder geben . Deshalb haben wirdiesen bedauerlichen und unsäglichen Einfluss, den wirim Ukraine-Konflikt so schmerzlich erleben müssen.
Kollege Bergner, bei allem Verständnis für die Situa-
tion, dass das für Sie die letzte Gelegenheit ist, sich von
diesem Platz aus einzumischen, muss ich Sie jetzt bitten,
zum Schluss zu kommen .
Frau Präsidentin, ich folge Ihrem Hinweis . – Ich will
mich herzlich bedanken . Ich will mich bedanken für die
Möglichkeiten der Debatte und der Auseinandersetzung,
für viele Gelegenheiten, zu lernen, die ich im Parlament,
im Deutschen Bundestag, während der 15 Jahre gefun-
den habe . Ich möchte mich bedanken bei meinen Mitar-
beiterinnen und Mitarbeitern . Ich möchte mich bedanken
bei meiner Frau und meiner Familie . Es war für mich
eine sehr wertvolle Zeit . Ich wünsche Ihnen alles Gute
für die Zukunft . Halten Sie Europa zusammen, und ver-
suchen Sie, Verständnis für die Probleme des Ostens zu
bewahren!
Herzlichen Dank .
In dieser Woche ist es manchmal eine undankbareAufgabe, hier vorn zu sitzen .Das Wort hat die Kollegin Marieluise Beck für dieFraktion Bündnis 90/Die Grünen .Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Eine kleine Vorbemerkung, die man bei unsim Westen immer wieder betonen muss, auch bei unserenLeuten, wenn wir über Europa sprechen: Die Europäi-sche Union wird häufig gleichgesetzt mit Europa, aberEuropa ist größer .
Ich möchte einmal an den Artikel 49 des EU-Vertrageserinnern, der sagt:Jeder europäische Staat, der die in Artikel 2 ge-nannten Werte achtet und sich für ihre Förderungeinsetzt, kann beantragen, Mitglied der Union zuwerden .Das ist der Grundsatz der Europäischen Union . Esist nicht davon die Rede, dass wir Pläne und Program-me machen, um Länder, europäische Länder draußen zuhalten .
Dr. Christoph Bergner
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1945 wurde Europa auf der Krim geteilt. Ich empfin-de es als schmerzlich, dass die große historische Chancenach dem Fall des Eisernen Vorhangs und die Überwin-dung dieser langandauernden Teilung vielleicht nichtausreichend genutzt worden ist . Die Charta von Paris –sie wurde eben schon erwähnt – hatte die historische Vi-sion eines wieder vollständigen europäischen Kontinentsaufgenommen . Ihr Kern muss uns heute wie 1990 leiten,nämlich die Selbstverpflichtung der Staaten auf Freiheitund Demokratie und das souveräne Recht, Herr Hunko,über die eigene Zukunft zu entscheiden . Das heißt natür-lich auch Bündnisfreiheit. Doch das Denken in Einfluss-sphären kehrte in die europäische Politik zurück, übri-gens nicht nur mit der Annexion der Krim und dem Krieggegen die Ukraine . Auch im Westen schleicht sich diesesDenken in unzulässiger Weise wieder ein . Stimmen imWesten formulieren das so: Hätte man einen Assoziati-onsvertrag nicht vorher mit Moskau glattziehen müssen?Müssen wir nicht deutlich eine EU-Perspektive für dieLänder im Osten ausschließen, um den Kreml nicht zureizen? Muss nicht dringend Georgien und der Ukrainedie Neutralität verordnet werden, um Russlands imperi-alen Amputationsschmerz zu lindern? Auch der Begriffvon der Brückenfunktion ist ziemlich heikel, weil aucher eine Zuweisung vornimmt, die uns hier nicht zusteht .
Der Historiker Timothy Snyder hat hier in Berlin inder vergangenen Woche eindrucksvoll auf die dunklenSeiten der deutsch-russischen Geschichte hingewiesen .Deutschland und Russland waren lange Zeit Hegemoni-almächte in Europa, die ihre kolonialen Interessen inner-halb Europas verfolgt haben . Die Länder zwischen diesenbeiden Imperien wurden dabei zum Opfer dieser imperi-alen Politik . Was bedeutet das, wenn wir in Deutschlandüber die Östliche Partnerschaft sprechen?Erstens . Eine Achse Berlin-Moskau, mag sie noch sowohlmeinend sein, ist historisch unstatthaft und führt zuberechtigtem Unbehagen der Länder zwischen uns . Sieverletzt zudem die von uns reklamierten Werte der OSZEwie Selbstbestimmung, Souveränität und freie Bündnis-wahl .Zweitens . Eine direkte Versorgungslinie zwischenRussland und Deutschland wie Nord Stream 2, die imKrisenfall die Zwischenländer umgehen könnte, ist mehrals ein harmloses wirtschaftliches Projekt . Es zeugt vonunzureichender Auseinandersetzung mit der Geschichte,
den beunruhigten Blick der östlichen Nachbarn als Hys-terie abzutun .Drittens . Der Dialog mit Russland muss immer mitBlick auf diese sogenannten Zwischenländer geführtwerden, die sich erst spät aus der Neokolonialumklam-merung der Sowjetunion befreien konnten . Diese Länderbezahlten mit ihrer Freiheit für den Zweiten Weltkrieg,der von Deutschland zu verantworten ist .In Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen,steht viel Gutes, aber die notwendige Klarheit, dass einedeutsche Ostpolitik sich fest auf dem Boden dieses his-torischen Wissens bewegen muss, wird durch allzu vieleWorte verschleiert . Könnte es sein, dass sich hinter denwortreichen, langatmigen und oft technokratisch formu-lierten Selbstverständlichkeiten eine politische Differenzin der Koalition verbirgt?
Mit dem Brexit bekommt Deutschland eine noch stär-kere Rolle innerhalb der Europäischen Union . Wir solltenmit dieser Rolle sehr bewusst und sehr vorsichtig umge-hen, immer mit Blick auf die historische Verantwortungfür ebendiese Zwischenländer, die ein hohes Maß an Vor-sicht, Umsicht und Besonnenheit verdient haben .Europa bedeutet auch Russland, und ich würde mirwünschen, dass wir den Tag erleben, an dem Europa soweit zusammengewachsen ist, dass auch Russland dazu-gehört – aber ohne jegliche imperiale Ansprüche . Denndie Europäische Union bedeutet Gleichheit aller, egalwie klein oder wie groß – das ist der Gedanke der Euro-päischen Union .Schönen Dank .
Das Wort hat der Kollege Karl-Georg Wellmann für
die CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Prä-sidentin ist schon gequält, weil es heute so viele letzteReden gibt – meine auch . Insofern will ich mal mit etwasPositivem anfangen. Ich kann definitiv letzte Zweifel zer-streuen: Die Funktionsfähigkeit des Deutschen Bundes-tages ist durch das Ausscheiden von Christoph Bergner,von Franz Thönnes, von Gernot Erler, von MarieluiseBeck und von mir nicht beeinträchtigt .
Insofern kann ich alle beruhigen .Ich will diese Gelegenheit nutzen, um mich bei allenKollegen für die gute Zusammenarbeit zu bedanken .Anders, als mancher draußen glaubt, ist die parlamen-tarische Arbeit vor allem im Ausschuss keine Arena fürparteipolitisches Gezänk oder für Grabenkämpfe . Ichhabe die Arbeit als außerordentlich sachlich, gelegentlichsogar sachkundig erlebt .
Es gab einen breiten Konsens, was die wesentlichen Prin-zipien unserer Außenpolitik angeht: das Verhältnis zu Is-rael, die Westbindung, die europäische Integration, seitWilly Brandt und Egon Bahr auch der Ausgleich mit demOsten, mit Russland .Marieluise Beck
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Ich bedanke mich auch beim Genossen Gehrcke, dersich gelegentlich an diesem Konsens abgearbeitet hat .Wolfgang Gehrcke, du wirst weiter für die Herbeifüh-rung des Staatssozialismus arbeiten; das ist in Ordnung .
Es ist besser, du machst das hier, als wenn du zu Hausedeine Frau nervst . Der Staatssozialismus wird nicht kom-men, aber das ist in Ordnung .
Damit wären wir beim heutigen Thema: Östliche Part-nerschaft . Gerade in dieser Woche und bei diesem Themamuss man an den alten Kohl und seine Begründung erin-nern, warum wir damals, nach dem Zusammenbruch derSowjetunion, den östlichen Staaten eine europäische Per-spektive gegeben haben . Er hat gesagt: Die europäischeSystematik ist die beste Gewähr für Frieden, Sicherheitund Wohlstand . – Weil alles andere nur Armut, Unsicher-heit und Instabilität erzeugt, müssen wir den östlichenStaaten eine europäische Perspektive geben . Es ist imureigenen deutschen Interesse, dass Polen, die baltischenund all die anderen Staaten Mitglied der europäischenFamilie werden und dass es keine Zwischenzonen gibt .Nun gibt es die Länder der Östlichen Partnerschaft,die bisher draußen geblieben sind . Es gibt die Ukraine,mit der es eine Assoziierung gibt; aber die Ukraine istnoch nicht über den Berg . Die geopolitischen und vor al-lem sozialen Folgen wären fatal, wenn der europäischeWeg der Ukraine scheiterte .
Deshalb bedarf es aller Anstrengungen, damit die Ukra-ine den Weg in die europäische Normalität schafft. Ichwünsche mir dabei manchmal mehr Realitätssinn unddass wir weniger Luftschlösser bauen, etwas weniger dieDinge schönreden und anderen gegenüber etwas wenigerWertepädagogik betreiben .
Bitte nicht wieder „Am deutschen Wesen mag die Weltgenesen“! Übrigens gilt das in der Tat auch für NordStream 2 .Wir brauchen mehr Mut, sonst geht das schief . BeiGriechenland haben wir gezeigt, dass es vielleicht gehenkann, wenn wir uns anstrengen . Das politische Kunst-stück besteht darin, das alles mit Russland zu besprechen,damit dort die alten Ängste und Gelüste nicht wieder auf-kommen . Auch hier erinnere ich an den alten Kohl, derimmer gesagt hat: Man muss die Sorgen und Problemeder anderen, des Gegenübers, mitdenken . – Ich habe denEindruck, dass dies in den letzten zehn Jahren nicht wirk-lich vollständig gelungen ist . Deshalb müssen wir wei-ter intensiv an diesem Thema arbeiten . Das spricht dierussische Außenpolitik übrigens in keiner Weise frei . Dierussische Westpolitik ist bei Licht betrachtet grandiosgescheitert, aber das ist nichts, was bei uns Genugtuunghervorrufen kann .Vergesst mir Osteuropa nicht! Denkt an die Worte desklugen Karl Schlögel, der gesagt hat: Die Mitte Europasist nach Osten gerückt . – Das hat politische und kulturel-le Konsequenzen . Ich habe den Eindruck: Manch einerbei uns hat das noch nicht so richtig verstanden .Es gibt so viele Konflikte draußen in der Welt, aberDeutschland ist keine Weltmacht . Nicht nur Warschau,Vilnius und Riga sind europäische Metropolen, sondernauch Moskau, Kiew und Minsk . Diese Städte sind TeilEuropas . Sie liegen sozusagen politisch in unserem Vor-garten . Sie dürfen nicht in den Windschatten der großenProbleme und Krisen geraten; ich denke an den in Brandgesteckten Nahen Osten, die Flüchtlingskrise, den Brexitund an den amerikanischen Präsidenten . Das ist das, wasich denen, die hier weitermachen, mit auf den Weg gebenmöchte .Ich kündige übrigens an, dass ich auch außerhalb desMandats weiterhin in Osteuropa aktiv sein werde, selbstwenn der eine oder die andere das als Bedrohung empfin-den mag . Es würde mich freuen, wenn wir uns gelegent-lich begegnen und austauschen würden .Ich danke ein letztes Mal dafür, dass Sie mir zugehörthaben .Vielen Dank .
Der Kollege Dr . Bernd Fabritius hat für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Der vorletzte Gipfel der Östlichen Partnerschaft im No-vember 2013 endete mit der überraschenden Nichtun-terzeichnung des Assoziierungsabkommens durch dendamaligen ukrainischen Präsidenten Janukowytsch . Daslöste letztlich die Massenproteste auf dem Maidan aus .Der letzte Gipfel im Mai 2015 markierte noch eine Zeitdes Übergangs für die künftige Ausgestaltung der Östli-chen Partnerschaft, die erst mit der Neuausrichtung derNachbarschaftspolitik Ende desselben Jahres langsamzu Ende ging . Es ist deswegen ganz besonders wichtig,dass die Europäische Union mit klaren Grundsätzen undrealistischen Angeboten in den nächsten Gipfel der Öst-lichen Partnerschaft im November 2017 geht . Der vor-liegende Antrag ist diesem Ziel unbedingt dienlich . Ichdanke ganz besonders unserem Kollegen Dr . ChristophBergner für die engagierte Arbeit, auch bei der Erarbei-tung dieses Antrags .
Wir müssen uns vor Augen halten, dass sich die Lageder Europäischen Union der Jahre 2008/2009, also derJahre, in denen die Östliche Partnerschaft erdacht unddann ins Leben gerufen wurde, grundlegend geänderthat . Das gilt gerade in der Östlichen Nachbarschaft . Einewesentliche Veränderung stellt die Bedrohung der Part-nerländer von außen durch russische Hegemonialansprü-Karl-Georg Wellmann
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che dar . Eine Neuausrichtung der Östlichen Partnerschaftwar nach der Annexion der Krim und dem Beginn desKrieges um die Ostukraine unausweichlich . Und, HerrKollege Hunko, dass Sie die Polarisierung durch Russ-land nun gerade der Europäischen Union vorwerfen,ist gediegen abwegig . Sie, Herr Kollege, verfolgen of-fenkundig die Breschnew-Doktrin, und die ist mit demSelbstbestimmungsrecht der Völker gar nicht vereinbar .
Zahlreiche Krisen stellen den europäischen Gemein-schaftsgeist auf ganz harte Proben . Vor der Euro- und vorder Flüchtlingskrise hatten antieuropäische Kräfte in denjeweiligen Ländern wesentlich weniger Ansätze für ihredestruktiven Botschaften . Wir müssen uns eingestehen,dass die derzeitige Situation diesen antieuropäischenKräften in die Hände spielt .Die Europäische Nachbarschaftspolitik und die Öst-liche Partnerschaft gründen auf der Überzeugung, dassstabile Nachbarschaftsbeziehungen nur auf einem ge-meinsamen Wertefundament bestehen können . Über die-se Wertegrundlage scheint sich die EU aber selbst un-einig zu sein . Das erschwert die Unterbreitung von aussich heraus überzeugenden Angeboten an die Länder derÖstlichen Partnerschaft .Mit Großbritannien will erstmals ein Mitglied die Uni-on verlassen . Einige östliche Mitgliedsländer haben sichin Krisensituationen, als es etwa um die Umverteilungvon Flüchtlingen ging, ganz offensichtlich von anderenWertevorstellungen leiten lassen und unsere Positionals Bevormundung wahrgenommen . Mindestens genau-so wichtig wie die im vorliegenden Antrag formulierteentschlossene Fortsetzung der Östlichen Partnerschaft istdaher die Konsolidierung der gemeinsamen Wertevor-stellungen in Europa .Handlungsdefizite gibt es auch in den Ländern derÖstlichen Partnerschaft . Dort müssen endlich konse-quent Reformen vorangetrieben und klare Wertepositio-nierungen in die eigene Zivilgesellschaft hinein transpor-tiert werden . Die Korruptionsbekämpfung in der Ukrainegeht weiterhin nur schleppend voran . Der Kurs der Repu-blik Moldau ist seit der Wahl des dezidiert prorussischenKandidaten Dodon zum Präsidenten mehr als unklar .Auch dort ist die Rechtsstaatlichkeit durch Korruptionund Vetternwirtschaft längst geschädigt .Aus dem Gesagten ergeben sich für mich zwei we-sentliche Schlussfolgerungen .Erstens sollten die Maßnahmen zur Unterstützung derZivilgesellschaft in den Ländern der Östlichen Partner-schaft ausgeweitet werden . Starke Zivilgesellschaftensind der Motor für den notwendigen Reformdruck . Essind daher gerade die Bevölkerungen dieser Länder derÖstlichen Partnerschaft, die spürbare Ergebnisse der An-näherungspolitik selbst erfahren müssen .Zweitens sollten wir bei künftigen Maßnahmen stär-ker als bisher eine Konditionalität vereinbaren . Wennangestrebte Reformen nicht im notwendigen Maße um-gesetzt werden, dann müssen auch weitere Annäherungs-schritte ausgesetzt werden .
Meine Damen und Herren, mit dem Fokus auf die Zi-vilgesellschaft und mit einer stärkeren Konditionalitäthinsichtlich der vereinbarten Reformen und einer vertief-ten Zusammenarbeit kann und wird die Östliche Partner-schaft ein wirksames Instrument der Europäischen Nach-barschaftspolitik sein und bleiben .Danke .
Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksa-
che 18/12942 mit dem Titel „Östliche Partnerschaft der
Europäischen Union entschlossen gestalten und konse-
quent fortsetzen“ . Wer stimmt für den Antrag? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit
den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Frak-
tion gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und
Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Tagesordnungspunkt 3 b . Abstimmung über den An-
trag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/12937
mit dem Titel „Östliche Partnerschaft für Frieden und
Zusammenarbeit in ganz Europa nutzen“ . Wer stimmt
für den Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ge-
gen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des 1. Untersuchungsausschusses nach
Artikel 44 des Grundgesetzes
Drucksache 18/12850
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Professor Dr . Patrick Sensburg für die CDU/CSU-Frak-
tion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Frage, ob Edward Snowden den Friedensnobelpreisverdient hat oder ob er in Amerika wegen Landesverratsin einer Gefängniszelle sitzen sollte, kann ich nicht be-antworten .
Dr. Bernd Fabritius
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Aber Edward Snowden hat uns eine Debatte gebracht,die ohne ihn, die ohne seine Veröffentlichungen im Som-mer 2013 nicht entstanden wäre, die wichtig ist, wichtigfür uns alle . Es geht um das Thema Privatheit, um dieFrage: Wie gehen wir mit unseren Daten um? Es gehtaber auch um die Frage: Wie geht zum Beispiel die mit-telständische Wirtschaft mit ihren Daten, ihren Erkennt-nissen, ihrem Know-how um? Von daher ist es gut, dasswir seit Sommer 2013 diese Diskussion führen .Als im Sommer 2013 die Neuigkeiten über die Ticker,über die Bildschirme liefen, gab es die intensivste Dis-kussion, auch hier bei uns in Deutschland: mit Anfragenim Deutschen Bundestag und einer hitzigen Debatte . Eswar nachvollziehbar und logisch, dass auch der aktuelleKoalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD die Einset-zung eines Untersuchungsausschusses zum Gegenstandhatte .
Im März 2014, nach einer intensiven Debatte über dieReichweite des Beschlusses zur Einsetzung des Untersu-chungsausschusses, ist dieser Einsetzungsbeschluss ge-fasst worden . Der Untersuchungsausschuss nahm kurzeZeit später seine Arbeit auf . Am Anfang wurde es gleichetwas strittig, beim ersten Beweisbeschluss, Z-1, mit derLadung des Zeugen Edward Snowden . Das wurde kon-sensual mit den Stimmen aller Fraktionen beschlossen .Danach wurde fast dreieinhalb Jahre lang intensiv,aber auch weitestgehend sehr konsensual zusammenge-arbeitet . Es ist unheimlich viel herausgekommen . Dassieht man am Abschlussbericht . Dieser Abschlussberichthat im Feststellungsteil etwa 1 300 Seiten, die konsensualbeschlossen worden sind . Ein großer Teil der Erkennt-nisse ist also gemeinsam herausgearbeitet worden . Diemeisten Beweisbeschlüsse sind gemeinsam gestellt wor-den . Im Großen und Ganzen war das also, auch wenn derEindruck draußen manchmal ein anderer war, eine guteZusammenarbeit .Die Zahl der durchgeführten Sitzungen beläuft sichauf insgesamt 153 Sitzungen, davon 62 Sitzungen mitBeweisaufnahmen durch Zeugenvernehmungen und72 Beratungssitzungen . 89 Zeugen wurden vernom-men . Die Dauer der Zeugenvernehmungen beläuft sichauf insgesamt 581 Stunden und 21 Minuten . Daran siehtman, glaube ich, wie intensiv und hart dieser Untersu-chungsausschuss gearbeitet hat . Sachverständigengut-achten wurden eingeholt und Sachverständige angehört:37 Sachverständigengutachten wurden eingeholt, und32 Sachverständige wurden in insgesamt 32 Stundenund 3 Minuten angehört . Die Zahl der Akten, die dieserUntersuchungsausschuss zu bewältigen hatte, beläuftsich bis zum Schluss auf 2 401 Akten, dick gefüllt mitInformationen der Bundesregierung und der Nachrich-tendienste, Sachverständigengutachten etc . 561 dieserAkten sind eingestuft als VS-NfD und höher . Das waralso eine intensive Arbeit .Als Abschlussbericht werden 1 822 Seiten vorgelegt,von denen man sagen muss: Dieser Abschlussberichtdes Untersuchungsausschusses enthält, wie ausländischeNachrichtendienste bei uns spionieren, wie sie uns aus-forschen und wie der Bundesnachrichtendienst und unse-re anderen Dienste mit ihnen zusammenarbeiten; er ent-hält die Erkenntnisse dieses Untersuchungsausschusses .
Es ist gut, dass der Untersuchungsausschuss jetzt sei-nen Abschlussbericht vorlegt . Ergänzend zu diesen Sei-ten kommen hinzu die Stellungnahmen zum rechtlichenGehör der Zeugen und weitere Materialien, die dem Be-richt angefügt werden . Das, was dieser Untersuchungs-ausschuss vollbracht hat, ist wirklich eine Leistung, unddiese in einem wirklich nicht leichten Umfeld . Dass eszum Schluss noch die eine oder andere Diskussion gege-ben hat, ist schade, weil viele der Erkenntnisse wirklichgemeinsam erarbeitet worden sind .Der Untersuchungsausschuss – das ist zumindestmeine Bewertung – ist von einem NSA-Untersuchungs-ausschuss ein bisschen zu einem BND-Untersuchungs-ausschuss geworden . Das mag damit zusammenhängen,dass Dokumente, dass Akten von einem der Five Eyes,wozu die USA mit dem Nachrichtendienst NSA gehören,aber auch Großbritannien, Kanada, Neuseeland und Aus-tralien, schwerer zu bekommen sind . Die amerikanischenStellen und Behörden haben sich noch relativ kooperativgezeigt, während es uns weitestgehend gar nicht möglichwar, an Dokumente der Briten heranzukommen . Ich be-dauere das sehr . Ich hätte mir gewünscht, dass man in Eu-ropa gemeinsam über Dinge diskutieren kann . Weil wireinen europäischen Rechtsraum und eine europäischeRechtsprechung zur Vorratsdatenspeicherung haben,hätte ich mir gewünscht, dass man auch bei Nachrich-tendiensten einen gewissen gemeinsamen Konsens errei-chen kann . Deswegen wäre mir der Dialog, gerade mitden Briten, wichtig gewesen; aber der hat weitestgehendleider nicht stattgefunden .Der Dialog wäre aber auch wichtig gewesen, weildieser Untersuchungsausschuss technische und organi-satorische Mängel, Versäumnisse und Fehler beim Bun-desnachrichtendienst festgestellt hat . Das hat die Bun-desregierung bestätigt, das hat in Zeugenaussagen auchder damalige Präsident des Bundesnachrichtendienstes,Herr Schindler, bestätigt .So muss man sagen: Ein Hauptthema dieses Untersu-chungsausschusses ist das ganze Themenfeld der Selek-toren, der Suchbegriffe geworden. Es hat beim Einsatzdieser Suchbegriffe Fehler gegeben – Stichwort: nichtak-zeptable Steuerung von Suchbegriffen. Von daher: Essind Mängel aufgetreten, die so nicht haltbar waren . Esgab weitere Versäumnisse: fehlende Dateianordnungim Bundesnachrichtendienst, die mangelnde bzw . nichtstattgefundene Kommunikation von der Ebene der Un-terabteilung hin zum Präsidenten des Bundesnachrich-tendienstes und eine Nicht-Inkenntnissetzung des Bun-deskanzleramtes . All diese Dinge müssen abgestelltwerden .Es ist aufgrund der Erkenntnisse dieses Untersu-chungsausschusses aber auch reagiert worden . Deswe-gen ist es gut, dass es bereits laufend Reformen gegebenhat, beispielsweise zum Bundesnachrichtendienstgesetz .Uns haben die Sachverständigen gesagt, dass bei derAusland-Ausland-Fernmeldeaufklärung die gesetzlichenDr. Patrick Sensburg
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Grundlagen des BND-Gesetzes nicht ausreichend sind,und dieses Parlament hat reagiert: Es hat eine BND-Re-form vorgelegt – mit rechtlichen Grundlagen für dieAusland-Ausland-Fernmeldeaufklärung und mit klarenRegelungen, wer die anordnen muss . Damit haben wirdemnächst schriftliche Anordnungen des BND-Präsiden-ten, die auch im Kanzleramt bestätigt werden müssen .Damit haben wir die Verantwortlichkeiten, die wir in denUntersuchungsausschüssen ja immer suchen . Wer hatdavon gewusst? Dann haben wir die schriftliche Bestä-tigung .Es ist ein gutes Gesetz, was sich übrigens in anderenLändern in Europa so nicht findet. Ich halte dieses Gesetzfür einen Nachrichtendienst für vorbildlich, auch in dereuropäischen und internationalen Diskussion .
Wir haben festgestellt, dass die parlamentarische Kon-trolle verbessert werden muss . Herr Ströbele, Sie habenja oft gefragt: Wie sieht das aus? – Waren Sie nicht langeim Parlamentarischen Kontrollgremium? Hätten Sie dasnicht wissen müssen? Aber wenn Sie die Informationennicht kriegen, können Sie es ja gar nicht wissen .
Deswegen haben wir gesagt: Wir müssen das Parla-mentarische Kontrollgremium stärken . Wir müssen ihmeigene Kompetenzen zubilligen, auch mit einem Stabvon Personen, die kontinuierlich recherchieren können . –Deswegen ist die Erweiterung des Kontrollgremiumge-setzes so wichtig gewesen. Es eröffnet uns viel bessereMöglichkeiten der parlamentarischen Kontrolle .Der neue BND-Präsident wird sich auch die Abtei-lung TA, Technische Aufklärung, genau anschauen müs-sen, um zu klären, warum es diese Versäumnisse gege-ben hat . Aber wir müssen den Bundesnachrichtendienstpersonell und finanziell auch so aufstellen, dass er seineArbeit machen kann .Wir sind zwar am Ende dieses Untersuchungsaus-schusses, aber die Kontrolle muss weitergehen . Deswe-gen waren diese Reformen so wichtig . Aber es werdennicht die letzten Reformen bleiben . Wir bewegen uns ineiner digitalen Welt und werden die Kompetenzen un-serer Dienste kontinuierlich ausbauen müssen . Deshalbmuss auch die Verantwortung der Kontrolle ausgebautund im Hinblick auf eine digitale Welt verändert werden .Das sind Aufgaben, die uns in Zukunft weiter bewegenund weiter zu Diskussionen führen werden .Ich möchte zum Abschluss für die Zusammenarbeitdanken . Die überwiegende Arbeit – ich wiederhole das –verlief im Konsens; wir haben viele Punkte kollegial be-schlossen . Deswegen danke ich zuerst den Kolleginnenund Kollegen im Untersuchungsausschuss für die Teil-nahme an den langen Sitzungen . Teilweise haben wirdonnerstags bis 24 Uhr in Zeugenvernehmungen zusam-mengesessen . Das war intensive Arbeit, die uns aber hof-fentlich auch ein bisschen näher zusammengebracht hat .Ich danke den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern derFraktionen und der Abgeordneten, die eine Vielzahl derAkten gelesen haben und teilweise wirklich jede Passagewiedergeben konnten, und vielen in der Bundestagsver-waltung, insbesondere dem Stenografischen Dienst, derdie Sitzungen bis in die Nacht immer protokolliert hat .Ich danke den Vertretern der Bundesregierung, derenInteressen sich oft von unseren unterschieden – dort be-stand ein Geheimhaltungsinteresse, bei uns das grund-rechtlich zugesicherte Aufklärungsinteresse . Wir habenes aber zum Beispiel beim Thema Schwärzungen ge-schafft, uns, auch wenn es lange gedauert hat, zu eini-gen . Bei der Übergabe des Berichtes an den Bundestags-
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das müssen wir
in Zukunft besser machen und eine Art Clearingstelle
einrichten, damit das Recht der Untersuchungsausschüs-
se besser verwirklicht werden kann und uns das Thema
Schwärzungen nicht immer wieder belastet .
Last, but not least: Besonderer Dank dem Sekretariat
des Untersuchungsausschusses für die viele Arbeit, so
einen Bericht aus 2 400 Akten und vielen Zeugenverneh-
mungen zustande zu bringen! Das war wirklich gut .
Ich wünsche uns abschließend, dass wir erkennen,
dass wir unsere Nachrichtendienste brauchen, dass sie
sich aber im Rahmen von Recht und Gesetz, von den Ge-
setzen, die wir beschlossen haben, bewegen müssen, dass
wir sie in einer digitalen Welt mit den richtigen rechtli-
chen Instrumenten ausstatten müssen, personell und fi-
nanziell gut, dass aber dadurch dann das Gleichgewicht
von Privatheit und Sicherheit gewahrt werden kann .
Wenn dazu dieser Untersuchungsausschuss in fast drei-
einhalb Jahren beigetragen hat, dann haben sich der gan-
ze Aufwand und die Arbeit wirklich gelohnt . Ich glaube
das, und ich danke für die gute Zusammenarbeit .
Das Wort hat die Kollegin Martina Renner für die
Fraktion Die Linke .
Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen!Der NSA-Untersuchungsausschuss war richtig, er warwichtig, und er war erfolgreich, obwohl einige wirklichalles darangesetzt haben, die Arbeit zu behindern: sinn-freie Schwärzungen, beeinflusste Zeugen, Drohungenund manches, was sich nur im Geheimen abspielte .Und doch kam vieles heraus . Milliarden Daten unbe-scholtener Bürger und Bürgerinnen flossen an die NSA.Der BND war willfähriger Helfer der US-Spionage inEuropa und übernahm unhinterfragt Millionen von Such-begriffen, die die NSA ihm übergab. Er stand der NSAin nichts nach und hörte auch selbst Presse, Zivilgesell-Dr. Patrick Sensburg
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schaft und Parlamente ab . Vermutlich tut er das nochheute .Das Parlamentarische Kontrollgremium und dieG 10-Kommission wurden ignoriert und belogen . Dasbelegen die Feststellungen zu den Operationen „Eiko-nal“ und „Glotaic“ . Die Bundesregierung trägt Mitver-antwortung an den vielen Drohnentoten im geheimenKrieg . Ohne die Duldung der US-Basis Ramstein könn-ten die Drohnen nicht fliegen. 900 zivile Opfer, darunter200 Kinder, Angst und Schrecken in den betroffenen Re-gionen – Deutschland darf nicht länger Baustein im ge-heimen Krieg sein . Frau Merkel, schließen Sie Ramstein!
Die Arbeit des Untersuchungsausschusses hat Verant-wortlichkeiten aufgedeckt . Hartmut Pauland, der ehe-malige Leiter der Abteilung „Technische Aufklärung“im BND, genießt die Sonne Floridas, obwohl er für denBruch des Fernmeldegeheimnisses in unzähligen Fällendie Verantwortung trägt .
Günter Heiß, im Kanzleramt zuständig für die Nicht-kontrolle der Nachrichtendienste, wurde ebenfalls nichtbelangt . Staatssekretär Fritsche hat dafür gesorgt, dassdas Parlament möglichst nicht stört, wenn Dienste illegalüberwachen . Die Entdeckung der rechtswidrigen NSA-und BND-Selektoren konnte er jedoch nicht verhindern .Doch verantwortlich ist auch die Bundeskanzlerin .Abhören unter Freunden, das ging 2013, als ihr Handyabgehört wurde, und das geht bis heute . Sie hätten es wis-sen müssen, Frau Merkel; doch Sie lassen sich von denGeheimdiensten auf der Nase herumtanzen . Richtige,zielführende Konsequenzen – bis heute keine .Der BND ist aktiver Teil der globalen Überwachungs-architektur der Geheimdienste . Er liefert Kontaktlisten,Gesichtserkennung, persönliche Vorlieben, politischeEinstellungen – nicht nur von Terroristen, sondern vonuns allen . Selbst die Telekom äußerte Zweifel, als derBND im Inland ihre Kabel anzapfte . Doch das Kanzler-amt sprang in die Bresche und schrieb der Telekom einenBrief – alles sei in Ordnung . Meine Vorstellung von ei-nem funktionierenden Rechtsstaat ist das nicht .
Aufzuklären bleibt, ob diese illegale Praxis bis heuteandauert und der Abgriff an den Kabeln unter Beteiligungder NSA unter den neuen Operationsnamen „Wharp-drive“ und „Emerald“ fortgesetzt wird .Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Klagen vonMenschen, die sich gegen die illegalen Machenschaftender Dienste wehren, machen Hoffnung. Für diese Men-schen haben wir Verantwortung . Sie verdienen es, dasswir rechtsfreie Räume im BND schließen, dass wir unsnicht länger mit Lügen abspeisen lassen und dass wiruns nicht den Interessen der Geheimdienste beugen . Wirsind dazu bereit . Die Regierung stellt sich weiter vor dieDienste und tritt die Rechte der Opposition mit Füßen .Das hat sie dieser Tage wieder unter Beweis gestellt .Noch nie hat ein Ausschussvorsitzender so selbstherrlichund willkürlich versucht, die Opposition in einem Unter-suchungsausschuss zum Schweigen zu bringen .
Ein Wort an die SPD: Ihre Heuchelei ist unübertroffen.
Während Sie drei Jahre lang in jedes Mikrofon sprachen,wie wichtig Ihnen die Aufklärung sei, haben Sie in un-seren Beratungssitzungen hinter verschlossenen Türenjedes Mal mit die Hand für die Vertuschung gehoben .
Als Opposition und als Linke haben wir uns in diesemAusschuss stellvertretend für das Parlament gegen dieGeheimdienste und die Regierung behauptet . Das konn-ten wir mit Unterstützung der mutigen Whistleblower,der engagierten Zivilgesellschaft und kompetenter Jour-nalisten und Journalistinnen . Wir danken deshalb EdwardSnowden, Brandon Bryant und Chelsea Manning .
Wir danken den Bürgern, den Datenschützern undDatenschützerinnen, dem Chaos Computer Club undden vielen anderen, die auf den unbequemen Stühlen dieSitzungen mitverfolgt haben . Mit ihnen teilen wir dieÜberzeugung, dass Freiheit und Demokratie nicht vonGeheimdiensten verteidigt werden müssen, sondern ge-gen sie .Danke schön .
Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der
Kollege Christian Flisek .
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren Kolleginnen und Kollegen! Als der Untersu-chungsausschuss eingesetzt worden ist – ich kann michnoch sehr gut daran erinnern –, hatten wir unsere ers-ten Pressekontakte . Man hat mich damals gefragt: HerrFlisek, sind Sie eigentlich der Überzeugung, dass dieserAusschuss irgendetwas herausfinden kann? Dieser Aus-schuss ist doch von Anfang dazu verurteilt, erfolglos zusein .Heute wird der Abschlussbericht vorgelegt, und wirhaben wieder viele Pressetermine . Jetzt ist die Fragestel-lung schon etwas anders . Ich wurde gefragt: Herr Flisek,was, glauben Sie denn, ist der größte Erfolg dieses Aus-schusses? Diese Frage insinuiert schon einmal zweierlei:erstens, dass er überhaupt erfolgreich war, und zweitens,dass es im Zweifel auch mehrere Erfolge gab, von denenMartina Renner
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einige die größeren sein können . Ich bin der Überzeu-gung, dass wir mit dieser Ausschussarbeit sehr viele Er-folge hatten .Ich will Ihnen auch sagen, was ich für den größtenErfolg halte . Ich glaube, dass dieser Ausschuss das sehrpikante Thema „nachrichtendienstliche Operationen undKooperationen“ mit einer Transparenz verhandelt hat,die im internationalen Maßstab eigentlich einzigartig ist .Kein Ausschuss – ich würde mich vielleicht sogar trau-en, zu sagen: bisher auch kein anderes Gremium diesesHauses – ist so tief in die Arbeit von SIGINT – SignalsIntelligence, elektronische Kommunikationsüberwa-chung – vorgedrungen wie dieser Ausschuss . Man könn-te vielleicht sogar eine historische Anleihe finden undsagen, dass es seit den Untersuchungen des sogenanntenChurch Committee im US-Senat Mitte der 1970er-Jahreweltweit keine so offene und schonungslose Untersu-chung nachrichtendienstlicher Tätigkeit gab .Meine Damen und Herren, der Ausschuss hat gemein-sam – gemeinsam – nicht nur meterweise geheime undstreng geheime Unterlagen gesichtet, sondern wir habenauch Zeugen gehört – bis hinunter auf die operativ täti-ge Sachbearbeiterebene in den Nachrichtendiensten . Inöffentlicher Sitzung wurden auch nachrichtendienstlicheMethoden erörtert, die bis dato nur Eingeweihte kannten .Eines muss man auch sagen – diejenigen, die schonöfters mit Untersuchungsausschüssen zu Nachrichten-diensten zu tun hatten, wissen das –: Nachrichtendienst-liche Erkenntnisse in Untersuchungsausschüssen zugewinnen, ist für Abgeordnete oft Schwerstarbeit . Soist es auch in diesem Ausschuss gewesen . Die Bundesre-gierung hat es uns nicht immer leicht gemacht . Ich habedas Verhältnis zur Bundesregierung einmal als ein sport-liches Verhältnis bezeichnet . Aber zum Sport gehört auchFairness, und so war es auch hier, zwar nicht immer, aberin weiten Teilen; das muss ich auch sagen .Trotz der freundlichen Zusicherung vonseiten derBundesregierung, man werde im Parlament alles offen-legen, taten sich in der Praxis dennoch schwarze Löcherund viele formale Hürden auf . Ich erwähne hier nureinmal Verschlusssachenanweisungen, Geheimschutz-abkommen, Aussagegenehmigungen. All diese Begriffehaben uns über viele Sitzungen hinweg gequält, Begriffe,die umschreiben, dass wir etwas nicht erfahren könnenoder sollen . Am Ende ist natürlich auch der Umstand,dass im Kanzleramt selbst Dinge nicht bekannt waren,die das Kanzleramt als Aufsichtsbehörde eigentlich hättewissen müssen, als schwarzes Loch zu bezeichnen .Die SPD hatte in diesem Ausschuss sicherlich keineleichte, aber doch eine ambitionierte Position . Wir hattenes mit einem Koalitionspartner zu tun, mit dem wir überweite Strecken fair und gut zusammengearbeitet haben,der aber auch – das muss ich sagen; das hätte ich mirgewünscht – manchmal etwas mehr Initiative hätte zei-gen können, um auch die heißen Eisen unseres Einset-zungsauftrages anzupacken . Vorrangig ging es der Unionteilweise doch nur darum, die eigenen Minister und vorallen Dingen die Bundeskanzlerin aus der Schusslinie zuhalten und die Sicherheitsbehörden nicht zu verärgern .„Der Laden läuft ja irgendwie . Bitte nicht stören!“, daswar die Devise .Andererseits hatten wir es mit einer Opposition zutun, die an substanzieller Aufklärung nur in Maßen in-teressiert war . Man arbeitete ergebnisorientiert, aber lei-der stand das Ergebnis allzu oft schon vorher fest, meineDamen und Herren . Solange man BND-Zusammenarbeitmit anderen Nachrichtendiensten insgesamt als Teufels-zeug abtut, kommen wir, glaube ich, nicht wirklich wei-ter .
„Man sollte so nicht arbeiten“, das möchte ich Ihnen zu-rufen, weil ein solches Arbeiten das Vertrauen in unsereSicherheitsbehörden untergräbt .
Die Linke hat in ihrem Parteiprogramm die Forderungstehen, die Nachrichtendienste abzuschaffen. Das ist al-lerdings in diesen Zeiten ein fatales Zeichen . Wir solltenuns bemühen, kein Wasser auf die Mühlen solcher For-derungen zu gießen .
Für uns als SPD steht fest: Wir brauchen gerade in diesenZeiten Nachrichtendienste zur Gewährleistung unsererSicherheit . Wir brauchen Dienste, die international ko-operieren .
Für uns steht aber auch fest, dass solche Dienste nur aufder Grundlage klarer rechtsstaatlicher Regeln arbeitenkönnen und dass ihnen auch Grenzen aufgezeigt werdenmüssen . Damit dies durchgesetzt werden kann – wir ha-ben keine Gerichte, die so etwas kontrollieren –, bedarfes einer effizienten parlamentarischen Kontrolle. Nurdann schaffen wir Legitimation. Nur mit Legitimation istso etwas wie ein Nachrichtendienst in einer Demokratieund in einem Rechtsstaat überhaupt denkbar .Wir – da bin ich stolz auf meine Fraktion – haben esuns nicht leicht gemacht . Wir haben es, denke ich, auchder Regierung nicht leicht gemacht . Die SPD hat mit ih-rer Arbeit fortwährend und nachhaltig auf Aufklärunggedrängt und auf Transparenz gepocht . Mit HundertenBeweisanträgen und Zeugenvernehmungen bis tief in dieNacht haben insgesamt alle Fraktionen nach und nachDinge aufgedeckt, die die Bundesregierung mit Sicher-heit lieber für sich behalten hätte .Die Kooperation mit US-Diensten ist hier zu erwäh-nen, die ohne eine ausreichende Rechtsgrundlage erfolgtist . Uns allen schallt noch die Weltraumtheorie im Ohr .Teilweise wurden hier abstruse Rechtsansichten vorge-bracht, um die Anwendung deutschen Rechts auszuhe-beln . Auch die Verwendung unzulässiger Selektorenim NSA-Portfolio und im eigenen Portfolio haben wiraufgedeckt . Das Bundeskanzleramt hat erst durch unsereArbeit davon erfahren; darauf können wir stolz sein . Wirhaben eklatante Organisationsmängel beim BND festge-stellt: von der Spitze bis hin zur letzten Außenstelle .Christian Flisek
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Meine Damen und Herren, ich muss es auch sagen:Politisch betrachtet hat das Bundeskanzleramt – ich sagehier: auch die Bundeskanzlerin – bei der Bewältigungder NSA-Affäre versagt. Wer moralisch auf einem ho-hen Ross reitet und fröhlich davon trällert, Abhören unterFreunden ginge gar nicht, aber gleichzeitig eine Haltungan den Tag legt, die deutlich macht: „Am liebsten möch-te ich von diesen Themen überhaupt nichts wissen“, wersich bei diesen Themen einmauert, wer sich von allenInformationsflüssen sozusagen abschneidet – wir habenselbst nach acht Stunden Vernehmung der Bundeskanz-lerin nicht herausfinden können, was sie mit diesem Satzmeint –, der zeigt deutlich, dass im System etwas nichtfunktioniert .Meine Damen und Herren, ein Kanzleramtsminister,der unbesonnen und nebulös von einem No-Spy-Abkom-men schwadroniert und die NSA-Affäre für abgeschlos-sen und beendet erklärt, bevor sie überhaupt losgegan-gen ist, der leistet keinen Beitrag zur Aufklärung, ebensowenig wie der Präsident des Bundesverfassungsschutzes,der sich hoffnungslos in die These verrannt hat, EdwardSnowden sei ein Moskauer Agent gewesen . Kein Wunderbei einer Spionageabwehr, die im Kalten Krieg steckengeblieben ist . Ich glaube, das sind existenzielle Themen,die uns auch in der nächsten Legislaturperiode werdenbeschäftigen müssen .
Meine Damen und Herren, ich möchte aber auch deut-lich sagen: Der BND ist keine kriminelle Organisation,der die Daten braver Bürger an die maßlosen Datenstaub-sauger aus dem Ausland verhökert . Nein, der BND isteine normale Behörde mit einem besonderen Auftrag .Dort arbeiten ganz normale Menschen, die ihren Job ma-chen, die ihren Job gut machen wollen, die sich an Geset-ze halten und auch an ihre Pensionen denken; das mussman mal einfach auch so sagen .
Deswegen konnten wir in unserer Arbeit den behaup-teten millionenfachen Grundrechtsbruch, begangen andeutschen Staatsbürgern durch deutsche Dienste, nichtfeststellen . Es gab allerdings auch Einzelfälle, und jederEinzelfall zählt . Wir werden bei der parlamentarischenKontrolle unser Augenmerk darauf richten müssen, da-mit es in Zukunft nicht mehr zu diesen Einzelfällen kom-men wird .Ich möchte noch ein Wort zu den Internetfirmen sa-gen – Google und Co –, die sich durch ein Schweige-kartell einer offenen Auseinandersetzung entzogen ha-ben. Ich finde, dass das ein ganz schräges Licht auf dieseUnternehmen wirft, und sie müssen selber wissen, wiesie damit umgehen . Unsere Aufgabe als Parlamentarierist es, in einer solchen Debatte offen anzusprechen, dassdies kein Umgang mit einem deutschen Parlament ist .
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zumSchluss eines sagen: Ich finde es nicht gut, dass HerrSensburg, der Vorsitzende des Ausschusses, schon vordieser Debatte und dem Abschlussbericht ein Buch ver-öffentlicht hat, in dem er viele Dinge vorwegnimmt undin dem er in einer Weise – das kann Ihre Meinung sein;die gestehe ich Ihnen zu – auf Zeugen dieses Ausschusseseingeht, die in Teilen ein Diskreditieren ist. Ich finde esauch nicht gut, dass Sie selber damit werben, dass das ausden Akten des Untersuchungsausschusses sei . Ich sageganz offen: Das ist, finde ich, kein guter kollegialer par-lamentarischer Stil . Ich richte das auch an Sie: ÜberlegenSie sich das bitte einmal . Ich fände es gut, wenn andere inZukunft von solchen Maßnahmen Abstand nehmen .Mein Fazit ist: Dreieinhalb anstrengende Jahre in die-sem Ausschuss – jede Minute – haben sich gelohnt . Ichdanke allen Kollegen für die trotz allen Dissenses faireZusammenarbeit .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-nen hat jetzt Hans-Christian Ströbele das Wort .
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Es isteinfach wahr: Edward Snowden hat recht . Wir haben indem Untersuchungsausschuss belegt: Nicht nur in denUSA und weltweit, sondern auch in Deutschland hat dieNSA massenhaft und anlasslos Datenausspähung betrie-ben,
und zwar millionenfach: in Deutschland, von Deutsch-land aus, und betroffen waren auch deutsche Staatsbür-ger .Insoweit hat sich in vollem Umfange bewahrheitet,was Edward Snowden gesagt hat . Diese massenhafte Da-tenüberwachung war nicht nur in den USA ein Verstoßgegen die Verfassung, sondern sie war auch in Deutsch-land ohne jede rechtliche Grundlage, und sie verstieß ge-gen das Grundgesetz .
Sie verstieß gegen Grundrechte, die hier in Deutschlandgelten .Und wer trägt die Verantwortung dafür? Die politischeVerantwortung dafür trägt das Kanzleramt . Das Kanzler-amt hat in der Kette der Aufsicht versagt . Das Kanzleramtwusste, was „Eikonal“ ist . Das Kanzleramt wusste, wasder BND treibt . Das Kanzleramt hat das alles gedeckt .Der schlimmste Augenblick in meinem Aktenstudium,in der jahrelangen Aufklärungsarbeit, war, als ich lesenmusste, dass der BND selber der Auffassung war, dassdas, was er dort treibt, auf gar keinen Fall dem deutschenParlament und dem dafür berufenen ParlamentarischenChristian Flisek
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Kontrollgremium mitgeteilt werden darf . Schlimmergeht es nicht .
Das war die Katastrophe, die der BND selbst befürch-tete . Schon da hätte man eigentlich aufhören können .Schon daraus ergibt sich, dass selbst der BND der Auf-fassung gewesen ist: Er tut unrecht . So einfach ist das .
Falsch war auch, was die Gewaltigen in den USA bishin zum Präsidenten immer wieder beteuert haben: Wirhalten uns in Deutschland an Recht und Gesetz . – Dasist nicht richtig . Auch das wusste der BND . Das wuss-ten die Verantwortlichen des BND, die in die USA ge-fahren sind, und das wusste auch das Kanzleramt . Dennwo steht im deutschen Gesetz geschrieben, dass dasHandy der Kanzlerin abgehört werden darf? Wo stehtim deutschen Gesetz geschrieben, dass beispielswei-se Markus R . in Deutschland spionieren und selbst denBundesnachrichtendienst ausspionieren darf? Dafür ist erzu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt wor-den . Welchen Beweis brauchten Sie noch dafür, dass dieNSA-Gewaltigen bzw . Geheimdienstgewaltigen in denUSA die Unwahrheit sagen?Wenn Herr Clapper, der Anführer der Geheimdienstein den USA, vor dem US-Kongress gelogen und das an-schließend sogar zugegeben hat, dann können Sie dochnicht nach Deutschland zurückkommen und sagen: „DieNSA sagt, sie richtet sich nach deutschem Recht und Ge-setz“, wenn Sie es besser wissen . Sie haben die deutscheBevölkerung irregeführt .
Sie haben die deutsche Bevölkerung auch hinsicht-lich des Militärstützpunkts Ramstein irregeführt . Selbst-verständlich war auch der Bundesregierung aus vielenZeitungsmeldungen und auch aus Informationen aus denDiensten selber – davon gehe ich aus – bekannt, dass vonRamstein die Killerdrohnen zwar nicht losfliegen undauch nicht von dort direkt gesteuert werden, sie aber überRamstein gesteuert worden sind . Sie haben zu all denFragen, die aus dem deutschen Parlament dazu gestelltwurden, immer die Unwahrheit gesagt . Sie haben gesagt:Dem ist nicht so . Die USA haben uns versichert, dassdas nicht stimmt . – Der Untersuchungsausschuss konn-te ganz zum Abschluss klären, dass diese Aussage nichtstimmt, dass sehr wohl über Ramstein – damit macht sichDeutschland mitschuldig – die Drohnenangriffe in Afrikagesteuert werden .Ein letzter Satz . Herr Pofalla in Person und die Bun-desregierung haben sich im August 2013 die günsti-gen Voraussetzungen für den Wahlkampf und für dieWahl 2013 erschlichen . Herr Pofalla hat getäuscht undgetrickst .
Er hat der deutschen Bevölkerung erklärt, es sei alles gut,es sei alles vom Tisch . Ein No-Spy-Abkommen sei ange-boten worden .Nichts davon war wahr . Das Weiße Haus hat drei Mo-nate später gesagt: Von einem No-Spy-Abkommen warnie die Rede . – Das hat die deutsche Regierung, das hatHerr Pofalla erfunden . Wie wären die Wahlen 2013 aus-gegangen, wenn all das, was wir jetzt wissen und was indem dicken Bericht steht, bekannt geworden wäre? Ichbin der Auffassung: Damit haben Sie die Wählerinnenund Wähler und die deutsche Öffentlichkeit irregeführt.Das darf nie wieder passieren . Daraus müssen Schluss-folgerungen gezogen werden .
Herr Kollege Ströbele, danke schön . – Für die CDU/
CSU-Fraktion hat jetzt Nina Warken das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Dieser Untersuchungsausschuss war ein Erfolg . DerAusschuss war schon alleine deshalb ein Erfolg, weiler die Gesellschaft für die vielen Herausforderungen imdigitalen Zeitalter sensibilisiert hat . Das Spannungsfeldzwischen dem Schutz der Privatsphäre des Einzelnen undder doch so notwendigen Tätigkeit der Sicherheitsbehör-den wurde selten so intensiv in der Gesellschaft disku-tiert . Er war aber auch ein Erfolg, weil wir bestehendeorganisatorische Defizite erkennen und abstellen konntenund weil wir im Ergebnis nicht nur die parlamentarischeKontrolle, sondern auch die Sicherheit unserer Bürgergestärkt haben .Die innere Sicherheit in einer freiheitlichen Gesell-schaft zu gewährleisten, ist schon immer ein Kernanlie-gen von CDU und CSU gewesen . Deshalb war für unsauch ganz klar, dass dort, wo Fehler geschehen sind, auchdie gebotenen Konsequenzen gezogen werden müssen .Aber Konsequenzen ziehen bedeutet für uns eben nicht,Nachrichtendienste pauschal zu diffamieren oder sogarabschaffen zu wollen, sondern Konsequenzen ziehen be-deutet für uns, Fehler zu beheben und gemeinsam daranzu arbeiten, dass sie sich nicht wiederholen .
Deshalb war es richtig und wichtig, dass etwa imBND die Weisungslage zur Fernmeldeaufklärung kon-kretisiert wurde, dass Arbeitsabläufe verbessert wurdenund dass wir als Deutscher Bundestag mit der Reformdes BND-Gesetzes die gesetzlichen Grundlagen verbes-sert haben .Europa und Deutschland stehen im Fokus des interna-tionalen Terrorismus . Das Letzte, was wir zurzeit brau-chen können, ist eine politisch motivierte KampagneHans-Christian Ströbele
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gegen unsere Sicherheitsbehörden . Nein, wir müssen ge-meinsam mit unseren internationalen Freunden und Part-nern geschlossen gegen diejenigen vorgehen, die unserefreiheitlichen Gesellschaften zerstören wollen .
Mit „Freunden und Partnern“ meine ich ausdrücklichnicht nur unsere europäischen Nachbarn, sondern auchganz bewusst die USA. Denn bei allen politischen Diffe-renzen, die wir manchmal haben, und bei allem, was inletzter Zeit aus dem Weißen Haus getwittert wird, solltenwir eines nicht vergessen: Unser Gegner befindet sichnicht jenseits des Atlantiks, sondern unsere gemeinsamenGegner sind all jene, die unsere Freiheit und Sicherheitangreifen, und diese Gegner können wir nur gemeinsambezwingen .
Bei aller gebotenen Kritik an der NSA und ihren Ak-tivitäten dürfen wir Maß und Mitte nicht verlieren . Ja, esgab Fehler . Und ja, die Tätigkeit der NSA entspricht inArt und Umfang nicht dem, was wir uns für unsere Diens-te wünschen . Aber lassen Sie uns ehrlich sein: Dank derHilfe amerikanischer Sicherheitsbehörden konnten wirbereits mehr als einmal Schlimmeres in unserem Landverhindern .Deswegen finde ich bedauerlich, dass manche Mediennur zu gern Spekulationen verbreitet haben, die sich zwargut verkauft haben, von denen wir aber heute längst wis-sen, dass sie mit der Realität nicht viel zu tun haben . Sowurde etwa in der ursprünglichen Berichterstattung überdie Snowden-Dokumente mehrfach unterstellt – heutewurde es von Kollegen wiederholt –, die Bundesregie-rung leite monatliche mehrere 100 Millionen Metadatenüber deutsche Staatsbürger an die NSA weiter . Heutewissen wir, dass es sich dabei um Metadaten handelt, dieder BND im Rahmen des Antiterrorkampfes und zumSchutz unserer Soldaten in Afghanistan erhoben hat .
Es wurde auch behauptet, das Bundesamt für Verfas-sungsschutz beteilige sich mit dem Programm XKey-score an einer weltweiten Datensammlung der NSA .Mittlerweile wissen wir, dass es einen solchen Austauschnie gegeben hat . Das Bundesamt benutzte das Programmlediglich testweise und nur zur rein internen Auswertungvon Daten, die völlig rechtmäßig erhoben wurden .
Nicht weniger unangebracht erscheint mir im Übri-gen, dass Teile der Opposition, wie es hier gerade wiederdeutlich wird, vor allem Kolleginnen und Kollegen, dieich noch nicht im Ausschuss gesehen habe – daher weißich auch nicht, woher man sich da so sicher sein kann –,bei diesem Spiel mitspielen und der Bundesregierungwiederholt Rechts- und Verfassungsbruch vorgeworfenhaben . Ich kann nur davor warnen, mit solchen staatstra-genden Begriffen leichtfertig umzugehen. Ebenso wenigwurde auch die Aufklärung durch die Bundesregierunghintertrieben, wie es immer wieder hier heißt .Tatsache ist: Noch nie hat es in der fast 70-jährigenGeschichte dieses Hauses einen Untersuchungsausschussgegeben, der dermaßen umfassende und tiefe Einblickein die Tätigkeit der Nachrichtendienste erhalten hat wieder unsere . Knapp 90 Zeugen, vom BND-Sachbearbei-ter bis hin zur Bundeskanzlerin, wurden gehört . GanzeRegalwände teils streng geheimer Akten waren ein wohlbeispielloses Aufgebot an Beweismitteln . An diesen Fak-ten kann man auch dann nicht vorbeireden, wenn mandie Ergebnisse der Beweisaufnahme unterschiedlich be-wertet .
Tatsache ist eben auch, dass Grüne und Linke sowohlvor dem Bundesgerichtshof als auch vor dem Bundesver-fassungsgericht mit allen ihren Klagen gescheitert sind .Liebe Kollegen, eines möchte ich auch noch erwäh-nen: Wir dürfen bei allem politischen Streit nicht verges-sen, dass in unseren Sicherheitsbehörden ZigtausendeMitarbeiter unter schwierigen Bedingungen hervorra-gende Arbeit leisten, um uns alle und unser freiheitlichesGemeinwesen zu schützen . Politische Auseinanderset-zungen gehören in den politischen Raum, gehören hier-her in den Deutschen Bundestag und sollten nicht imRahmen von Zeugenvernehmungen auf dem Rücken voneinzelnen Sachbearbeitern ausgetragen werden, wie esleider oft stattgefunden hat .Kommen wir zum Thema Snowden . Liebe Kollegin-nen und Kollegen, wir als Koalition, die CDU, die CSU,aber auch die SPD, haben uns dafür eingesetzt, dassEdward Snowden dem Ausschuss seine Sicht der Dingedarlegen kann . Wir haben Herrn Snowden zum Beispielangeboten, dass wir ihn per Videokonferenz zu uns in denAusschuss schalten, damit er uns von seinen Erkenntnis-sen berichten kann . Herr Snowden hat das abgelehnt,obwohl er das in den vergangenen Monaten und Jahrendutzendfach bei Tagungen und Kongressen gemacht hat .Wir haben Herrn Snowden angeboten, dass wir ihnin Moskau besuchen und uns dort mit ihm austauschen .Auch das hat Herr Snowden abgelehnt, obwohl er – dasmuss man sich auf der Zunge zergehen lassen – sogardie Gastgeber amerikanischer Comedyshows in Moskauempfangen und ihnen dort Interviews gegeben hat . Sichdann hinzustellen, wie es die Opposition getan hat undauch heute wieder tut, und der Bundesregierung zu unter-stellen, sie wolle eine Vernehmung Snowdens hintertrei-ben, ist eine absurde Verdrehung der Tatsachen .
– Dr . Konstantin
von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hatsie systematisch hintertrieben! Systematischhintertrieben!)Wir haben immer gesagt: Vernehmung? Ja, aber nichtum jeden Preis . – Den Preis hat Herr Snowden selbst ge-nannt, nämlich politisches Asyl oder zumindest Abschie-Nina Warken
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beschutz . Diesen Preis konnten und wollten wir nichtzahlen .
Das Staatswohl, die Sicherheitsinteressen und auch dieaußenpolitischen Beziehungen obliegen nicht nur derBundesregierung, sondern auch uns als Parlament . Des-wegen haben wir das Vorgehen der Bundesregierung mit-getragen und gesagt: Um jeden Preis wollen wir HerrnSnowden nicht hören, wenn er schon alle unsere Ange-bote ablehnt .Das, was einige Kollegen zum Thema No-Spy-Ab-kommen geäußert haben, ist ebenfalls eine Verdrehungder Tatsachen . Der Untersuchungsausschuss hat gezeigt,dass im Sommer 2013 auf allen Ebenen intensive Ver-handlungen zum No-Spy-Abkommen geführt wurden .Wenn jetzt behauptet wird, die Bundesregierung habedas deutsche Volk bewusst darüber getäuscht, dann istdas schlicht eine Unverschämtheit .
Es empfiehlt sich, in den Protokollen der Ausschusssit-zungen nachzulesen . Der Zeuge und damalige Außenmi-nister Frank-Walter Steinmeier sagte in seiner Verneh-mung deutlich: „Nein, die Verhandlungen waren keineErfindung. Die haben stattgefunden; das ist gar keineFrage .“ Das muss man in allen Fraktionen zur Kenntnisnehmen . Es gab keine Nebelkerze im Wahlkampf .
Frau Kollegin, denken Sie an die Zeit .
Zu den sonstigen Anwürfen, die die Kollegen hier vor-
gebracht haben, verweise ich gerne auf den gemeinsa-
men Bewertungsteil der Koalitionsfraktionen . Dort kann
man vieles nachlesen und sehen, dass sich die Kollegin
Renner und der Kollege Ströbele eher in einer Märchen-
stunde oder in einem anderen Untersuchungsausschuss
befunden haben .
Als Deutscher Bundestag nehmen wir den Schutz der
Grundrechte sehr ernst . Gerade deshalb haben wir im
vergangenen Jahr die parlamentarische Kontrolle unse-
rer Nachrichtendienste deutlich verstärkt . Ich bin sehr
zuversichtlich, dass wir da eine gute Grundlage für die
zukünftige Arbeit geschaffen haben.
Frau Kollegin Warken, ich darf Sie bitten, zum Schluss
zu kommen .
Diese Reform umzusetzen und mit Leben zu erfüllen,
dazu darf ich Sie herzlich einladen .
Vielen Dank .
Ich darf noch einmal alle Kolleginnen und Kollegen
darum bitten, sich an die vereinbarte Redezeit zu halten .
– Wir können das aufrechnen; das sähe aber schlecht für
euch aus .
Für die Fraktion Die Linke redet jetzt der Kollege
Dr . André Hahn .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich habe leider nicht genug Redezeit, um denganzen Unfug zu korrigieren, den Frau Warken eben ge-sagt hat . Fakt ist: Ohne diesen Untersuchungsausschusshätte die Öffentlichkeit nie erfahren, dass nicht nur dieNSA, sondern auch der BND in nennenswerten Größen-ordnungen europäische Partner und Verbündete ausspio-niert hat. Ich verweise diesbezüglich auf die öffentlicheErklärung des Parlamentarischen Kontrollgremiumsvom 16 . Dezember 2015 . Wenn darin davon gesprochenwird, dass lediglich bei einem Drittel der vom Kon-trollgremium untersuchten Selektoren, also der zu Ab-hörzwecken verwendeten Suchbegriffe, die beim BNDim Einsatz waren, ein klarer Bezug zum Auftragsprofilder Bundesregierung erkennbar war, dann bedeutet daszugleich, dass rund zwei Drittel, also mehrere TausendSuchbegriffe, mindestens umstritten und unverhältnis-mäßig – viele davon auch klar rechtswidrig – waren . Inden Abhöranlagen des BND liefen zu Hoch-Zeiten mehrals 13 Millionen Suchbegriffe der NSA, also Namen, Te-lefonnummern, E-Mail-Adressen usw . Dass es so vieleTerroristen oder Waffenschieber gibt, glaubt wohl nichteinmal die Bundeskanzlerin .
Aufgrund der Geheimhaltungsregeln darf ich zumUmfang und zu den konkret Betroffenen der Abhörmaß-nahmen leider nichts Konkretes sagen . Aber ich wieder-Nina Warken
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hole meine Frage an die Bundesregierung, ob es über-haupt ein Land in der Europäischen Union gibt, dessenRegierung der BND nicht ausspioniert hat . Hier ist überJahre hinweg vieles völlig aus dem Ruder gelaufen . Ichbedauere sehr, dass auch das neue BND-Gesetz dieserEntwicklung keinen klaren Riegel vorgeschoben hat .
Massive Kritik an der Arbeit des BND kam übrigensnicht nur von der Opposition, sondern auch von der Bun-desdatenschutzbeauftragten . Der entsprechende Berichtist bis heute als Geheim eingestuft, jedoch auf netzpoli-tik .org nachzulesen .Völlig unzureichend sind die personellen Konsequen-zen aus dem NSA/BND-Skandal . Koalition und Bundes-regierung haben sich am Ende darauf geeinigt, dass eszwei Schuldige für die gesamte Misere gibt, nämlich denehemaligen BND-Präsidenten Schindler und den frühe-ren Kanzleramtschef Pofalla . Das ist sehr praktisch undbequem; denn beide sind nicht mehr im Amt . Schuld amoffenkundigen Versagen haben aber viel mehr Zustän-dige, die ihrer Kontrollpflicht nicht einmal ansatzwei-se nachgekommen sind. Dies betrifft insbesondere dieDienst- und Fachaufsicht im Bundeskanzleramt . Dortsitzen alle Leute noch auf ihren Posten, angefangen vonder Kanzlerin über den Staatssekretär bis zum Abtei-lungsleiter, obwohl sie sträflich versagt haben. Hier musses dringend Veränderungen geben, spätestens nach deranstehenden Bundestagswahl .
Noch eine letzte Bemerkung . Ich bin jetzt seit 23 Jah-ren Abgeordneter, zunächst im Landtag, jetzt im Bun-destag . Mehr als elf Jahre davon war ich in diversen Un-tersuchungsausschüssen tätig und habe dort vieles erlebt .Noch nie jedoch hatte ich einen Ausschussvorsitzendenwie Patrick Sensburg, einen Mann, der derart arrogantund ignorant agiert, der sich über demokratische Gepflo-genheiten hinwegsetzt und Oppositionsrechte missachtet,
der vor dem Abschlussbericht in einem Buch aus Aktenberichtet und Zeugen verunglimpft . Ein solcher Mannsollte nie wieder einen Ausschuss in diesem Haus leitendürfen .Herzlichen Dank .
Für die SPD-Fraktion hat jetzt Susanne Mittag das
Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle-ginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren!Nach nunmehr dreieinhalb Jahren kommen wir heute mitdieser Debatte – sie ist ja schon richtig schwungvoll –zum Abschluss des Untersuchungsausschusses . Auchwenn die letzten Meldungen aus dem Ausschuss etwaskonfliktreich waren, so haben wir doch insgesamt – es istschon erwähnt worden – über 581 Stunden, die der Aus-schuss getagt hat, zusammengearbeitet, und zwar ziem-lich gut und manchmal sogar sehr gut; nicht dass das inVergessenheit gerät .
– Danke .Bei allen unterschiedlichen Sichtweisen und Bewer-tungen war unser Ziel immer, aufzuklären, auch wennsich die Vorgehensweise manchmal unterschied . Aber amEnde muss man sagen: Wir haben mehr über die Arbeitunserer Nachrichtendienste erfahren als über die Arbeitder Five Eyes . Dies gilt besonders für den Namensge-ber des Ausschusses – diesen Namen konnten wir leidernicht mehr ändern; er hatte sich schon geprägt – oder denbritischen Geheimdienst . Dort gab es regierungsseitig sogut wie gar keinen Willen zur Zusammenarbeit .Ebenfalls keine Kooperationsbereitschaft zeigten indiesem Zusammenhang allerdings die angeblich sehr ko-operativen Firmen wie Facebook, Apple, Microsoft oderGoogle . Es sollte die Frage geklärt werden, in welchemRahmen sie den US-Geheimdiensten zuarbeiten odersogenannte Backdoors zur Verfügung stellen . Nachdemwir die Vorstandsvorsitzenden dieser Firmen als Zeugenvor den Ausschuss geladen hatten, wurden die Zusagenzum Erscheinen immer vager . Zum Schluss wollten sienur noch einem gemeinsamen, unter Ausschluss derÖffentlichkeit stattfindenden einstündigen Informati-onsgespräch zustimmen . Das ist aber keine verwertbareZeu gen aussage, das ist ein Kaffeekränzchen, und daraufhaben wir verzichtet .
Wir können als Untersuchungsausschuss ausländischeZeugen leider nicht zu einer Aussage in Deutschlandzwingen oder herzitieren; aber jeder kann jetzt seine ei-genen Schlüsse daraus ziehen, was das zu bedeuten hat .Doch zurück zu unseren Diensten . Eine der großenÜberraschungen war hierbei für uns, dass der sogenannte360-Grad-Blick der Spionageabwehr, der sich verfestigthatte, bis zu den Snowden-Veröffentlichungen so gut wiegar nicht praktiziert wurde . Russland, China und noch ei-nige andere einschlägige Länder standen bis vor kurzemmit weitem Abstand im Zentrum der Arbeit der zuständi-gen Abteilung; das ist auch völlig richtig und soll über-haupt nicht geändert werden . Aber für den Rest der Welt,circa 155 Staaten, war nur ein einziges Referat zuständig .Das heißt, nur wenige Mitarbeiter warfen ein Auge aufdie Aktivitäten unserer Partner, auch aus den sogenann-ten Five-Eyes-Staaten . Das bedeutet für die Praxis, dasssich kaum jemand aktiv um Aufklärung bemühen konn-te, sondern dass man sich darauf beschränkte, Hinwei-sen Dritter, anderer Bundesbehörden oder ausländischerPartner auf verdächtige Aktivitäten nachzugehen . Daswar aber bei der Personaldecke nur begrenzt möglich .Der ehemalige Präsident des BND, Herr Schindler, hatrecht eindrücklich geschildert, dass auch die Nachrich-Dr. André Hahnhttp://www.netzpolitik.orghttp://www.netzpolitik.org
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 242 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 28 . Juni 201724850
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tendienste befreundeter Staaten ihre eigenen nationalenInteressen verfolgen . Sie sind keine Freunde, sondernPartner, und auch auf die muss ein wachsames Auge ge-worfen werden; das war allen klar . Ich sage extra: Allenwar das die ganze Zeit klar .Ein weiteres Problem im BND, das immer wiederauftauchte, waren eklatante Mängel bei den Dienst- undMeldewegen . Das hört sich ein bisschen dröge an, istaber ziemlich wichtig . Teilweise hatten wir den Ein-druck, dass es eine gläserne Decke gibt, durch die Infor-mationen nach oben überhaupt nicht durchdringen . Alszum Beispiel Sachbearbeiter richtigerweise erkannten,dass NSA-Selektoren problematisch sind, versickertedie Warnung in der Hierarchie, zwar nicht ungehört, aberohne Konsequenzen . Die Information gelangte wohl niebis zur Hausleitung und schon gar nicht ins zuständigeKanzleramt . Umgekehrt fragten aber auch Kanzleramtoder Minister niemals proaktiv nach . Das hätte aber zurDienst- und Fachaufsicht gehört, auch auf diesen Ent-scheidungsebenen .
Deutlich wurde weiter, dass es bei den NSA-Selek-toren oft an einer Dokumentation über deren Herkunftund Zweck fehlte . Auch die Datenübermittlung an an-dere Nachrichtendienste wurde nicht ausreichend do-kumentiert . Bei entsprechenden Nachfragen in der Zeitdes Untersuchungsausschusses wurde von der NSA einegroße Anzahl der Selektoren kommentarlos zurückge-zogen – erst in der Zeit des Untersuchungsausschusses!Die rechtlichen Voraussetzungen fehlten offenbar. Kaumvorstellbar ist, dass der Abteilungsleiter und der Präsi-dent des BND erst durch den Beweisbeschluss des Un-tersuchungsausschusses im März 2015 über umfangrei-che Deaktivierungen problematischer NSA-Selektoreninformiert wurden . Das ist ein klassischer Fall fehlenderKultur, zu remonstrieren .Offenbar wurde die Möglichkeit, dass das bekanntwird und in einem parlamentarischen Untersuchungs-ausschuss landet, nicht ansatzweise in Betracht gezogen .Dabei geht es nicht um die Schuldfrage bei Sachbear-beitern, sondern um den Führungsstil und die Gesamt-verantwortlichkeit der Leitungsebene des BND . Immerwieder hörten wir die Aussage von Zeugen, dass sie denEindruck hatten, dass Hinweise und Problemmeldungenoffenbar nicht gewollt waren bzw. dass nach Hinweisennichts passierte . Dieses Abschotten von Problemlagensetzte sich über alle Führungsebenen hinweg bis insKanzleramt fort .Bei sich abrupt ändernden Weltlagen, sich rasant ent-wickelnden technischen Möglichkeiten und neuen Be-drohungen sind eine schnelle Anpassung und Reaktiondes BND und anderer Behörden unter Beachtung vonGrundrechten jedoch von entscheidender Bedeutung fürunsere Sicherheit . Das Potenzial zur Aufgabenerfüllungist da . Im Bereich der Struktur und der sogenannten Un-ternehmenskultur gibt es da aber noch richtig viel Luftnach oben .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetztDr . Konstantin von Notz das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was wir alsUntersuchungsausschuss betrachtet haben, war ein Aus-schnitt, ein Ausschnitt dessen, was deutsche Dienste ma-chen, ein Ausschnitt dessen, was international passiert .Man muss sich schon sehr dumm stellen, wenn man nichterkennen können will: Was in Bad Aibling und in Frank-furt auf der Glasfaser passiert, der Abgriff von MilliardenVerkehrsdaten und Inhaltsdaten, passiert an Dutzenden,vielleicht an Hunderten anderer Kabelansätze weltweitdurch die Five Eyes . Was, bitte schön, soll das anderessein als anlasslose Massenüberwachung, meine Damenund Herren?
Dass Sie das hier heute noch schönzureden versuchen,Frau Kollegin Warken, zeigt, dass die Große Koalitionbei dem sensiblen Thema „Privatsphäre in der digitalenWelt“
nicht Teil der Lösung, sondern leider Teil des Problemsist .
Der BND und frühere Bundesregierungen haben sichrechtswidrig verhalten . Sie haben massiv gegen die Ver-fassung, nämlich gegen Artikel 10, verstoßen . Sie habenillegale Datenbanken errichtet und diese genutzt . Sie ha-ben die Schutzpflicht des Staates gegenüber den Bürgernund den deutschen Unternehmen verletzt . Sie haben sys-tematisch die parlamentarische Kontrolle hintergangen .Das alles sind keine Kavaliersdelikte, sondern schwer-wiegende Verstöße . Sie wurden nicht fahrlässig, sondernvorsätzlich begangen . Denn die Akten zeigen: Es gabdurchaus intern, auch im BND und auch im Bundeskanz-leramt, sehr kritische Stimmen, die aber einfach ignoriertwurden .
So viel wir hier an diesem Tag auch kritisieren, will ichan dieser Stelle mit Blick auf diese kritischen Stimmeneinmal klipp und klar sagen: Herzlichen Dank denjeni-gen, die die Bedenken vorgetragen haben!
Die Bedenken wurden nur leider vom Tisch gewischt .Susanne Mittag
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Ihre „Alles ist gut“-Attitüde, die hier latent rüber-kommt, ist gänzlich fehl am Platz; das will ich an einemBeispiel deutlich machen, nämlich am Bericht der Bun-desbeauftragten für den Datenschutz und die Informati-onsfreiheit . Die Datenschutzbeauftragte als zuständigeKontrollbehörde hat nach Snowden den BND geprüft,mehrere Monate gegen massivste Widerstände . Sie hateinen verheerenden Bericht geschrieben: Verfassungs-verstöße, illegale Datenbanken, grobe Rechtswidrigkei-ten – alles allein in Bad Aibling . Die großkoalitionäreBundesregierung hat sich nicht entblödet, diesen Berichteinfach als Geheim einzustufen und ihn bis heute zuigno rieren, statt diese Dinge anzunehmen und zu sagen:Wir haben verstanden, wir korrigieren . – So geht es nichtin einem Rechtsstaat, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Der Ausschuss war wichtig, und er hat sich gelohnt .Snowdens Veröffentlichungen haben sich – der Kolle-ge Ströbele hat das gesagt – vollumfänglich bestätigt .Wir haben aufgeklärt, dass der BND Teil der globalenMassenüberwachungsmaschinerie ist . Auch das hoch-problematische Geschäft mit den Selektoren wäre mitall seinen rechtlichen Problemen niemandem außerhalbdes Dienstes bekannt, hätte unser Ausschuss nicht so gutgearbeitet .Ihr Trostpflaster, liebe Große Koalition, die vermeint-lich bahnrechende Reform des BND-Gesetzes, ist nichtsanderes als der klägliche Versuch der nachträglichenLegalisierung der abgründigen Praxis der Fernmeldeauf-klärung und des Ausspähens unter Freunden der letztenJahre .
Diese Reform ist offenkundig verfassungswidrig und le-galisiert genau das, von dem Sie sagen, dass es nie statt-gefunden hat, nämlich die anlasslose Massendatenerfas-sung . Das wird nicht durchtragen . Ich sage Ihnen, HerrFritsche: So ist der nächste Skandal vorprogrammiert .
Ich komme zum Schluss . Demokratien zeichnen sichdadurch aus, dass Parlamente Fehlentwicklungen korri-gieren . Diese Korrektur sind Sie unserem Land bis heuteschuldig . Dabei geht es um nicht mehr und nicht wenigerals die Privatsphäre und die Vertraulichkeit der Kom-munikation im digitalen Raum . Die Debatte hat EdwardSnowden angestoßen, wir haben sie weiter vorange-bracht, aber sie ist noch lange nicht zu Ende .Ganz herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht
jetzt der Kollege Tankred Schipanski .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Lieber Konstantin von Notz, zunächst einmal will ichmich gegen den Begriff verwahren, dass wir als GroßeKoalition „entblödet“ sind in Bezug auf den Bericht derDatenschutzbeauftragten .
Man kann juristische Sachverhalte unterschiedlich ein-schätzen . Man hat dazu auch unterschiedliche juristischeAuffassungen. Das haben wir in der Tat; aber das hatnichts mit „entblödet“ zu tun .
Das Nächste sind die Vorwürfe von Herrn Hahn ge-genüber dem Ausschussvorsitzenden .
Das finde ich unmöglich, und das ist überhaupt nicht rich-tig . Es war eine neutrale und angemessene Ausschusslei-tung über viele Jahre . Lieber Patrick, vielen Dank dafür .
Ich möchte zunächst auf das Verfahren eingehen . Inder letzten Legislatur war ich im NSU-Untersuchungs-ausschuss . Ich muss sagen: Es gab dort einen gemeinsa-men Aufklärungswillen, eine ganze Menge Kollegialität,einstimmige Beschlüsse, konstruktive Zeugenverneh-mungen . Das habe ich in diesem Ausschuss ein ganzesStück vermisst .
Bei der ersten Sitzung dieses Ausschusses wurdeschnell klar, dass ein konstruktives und strukturiertes Zu-sammenwirken von Opposition und Koalition nicht ge-wollt ist . Von Anfang an war es Konfrontation, Misstrau-en, Verschwörung aufseiten der Opposition, angeheiztdurch diverse Veröffentlichungen nicht nur via Zeitun-gen und Zeitschriften, sondern auch via Buchveröffent-lichungen wie Geheimer Krieg oder Der NSA-Komplex,allesamt Veröffentlichungen, welche die Snowden-Ver-öffentlichungen ungeprüft zur Grundlage ihrer Bericht-erstattung gemacht haben . Das ist im Übrigen ein ganzklarer Verstoß gegen die journalistische Sorgfaltspflicht,lieber Herr Ströbele .
Diesen Denkfehler machte die Mehrheit der Aus-schussmitglieder nicht. Wir hinterfragten veröffentlichteSkizzen und Papiere nach Plausibilität . Wir nutzten ver-schiedene Arten von Beweismitteln, ob Zeugen, Sachver-ständige, Urkunden . Dabei gab es immer eine intensiveZusammenarbeit mit der Bundesregierung . Eine Blocka-dehaltung konnte ich nicht feststellen . Wenn man Materi-al von Diensten haben will – das haben Sie auch schon inanderen Untersuchungsausschüssen erlebt –, dann wirdbei eingestuftem Material selbstverständlich geschwärzt .Wir haben festgestellt, dass die in den Snowden-Doku-Dr. Konstantin von Notz
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menten beschriebenen Methoden und Programme wieTempora und Prism nach Expertenmeinung zwar grund-sätzlich technisch nachvollziehbar sind . Aber ihre Funk-tionalität konnten wir aufgrund des fragmentarischenCharakters der Dokumente nicht als seriös bewerten .Der Vorwurf der Wirtschaftsspionage wurde ausgeräumt .Der Vorwurf des Ringtausches wurde ausgeräumt . DerVorwurf, der hier im Raum stand, das No-Spy-Abkom-men habe es nie gegeben, wurde ausgeräumt . Der Vor-wurf eines geheimen Krieges wurde ausgeräumt .
Die Kollegin Warken hat auf die falsche Berichterstat-tung des Spiegel mit den 500 Millionen Metadaten imJahr 2013 hingewiesen . Sie haben es richtiggestellt, FrauKollegin Warken . Ich kann nur sagen: Der Spiegel warnicht das einzige Medium, das hier nicht korrekt berich-tet hat .
Meine Damen und Herren, das alles sind Fakten, diewir aufgeklärt haben, und Fakten sind keine Skandale .Aber bis zur letzten Minute – wir erleben das heute –wird von Linken und Grünen nur skandalisiert . Sinn undZweck eines Untersuchungsausschusses ist es aber nicht,sich in Parallelwelten zurückzuziehen, Verschwörungs-theorien aufzubauen und grundsätzlich allen Leuten zumisstrauen . Sinn und Zweck war es, die Vorwürfe vonEdward Snowden zu prüfen . Insbesondere der Vorwurfder massenhaften, anlasslosen Überwachung deutscherStaatsbürger durch Nachrichtendienste der sogenanntenFive Eyes war und ist falsch .
Gleiches gilt für die behauptete massenhafte, anlassloseÜberwachung durch den BND . Auch die Zusammenar-beit des BND mit anderen Nachrichtendiensten auf Basiseiner Rechtsgrundlage ist zulässig und geboten und istkein Skandal . Ich bin erschrocken, dass Linke und Grüneganz bewusst fehlinterpretieren und verzerren und so ge-meinsam mit manchen Medienvertretern die Menschenbewusst in die Irre führen,
verunsichern und Misstrauen säen . Das erleben wir auchheute wieder in dieser Debatte .Nachrichtendienste haben eine wichtige Aufgabein unserem Interesse, nämlich die Gewährleistung vonSicherheit . Wir sollten die Nachrichtendienste dabeiunterstützen und ihnen gerade in Zeiten terroristischerBedrohungen die notwendigen politischen Rahmenbe-dingungen geben .Mich hat insbesondere der Umgang mit eingestuftemMaterial besorgt, das ständige Durchstechen, insbeson-dere auch bei der Problematik der Selektoren . Hier wares kein Skandal, eine unabhängige sachverständige Ver-trauensperson einzuführen . Das hatten wir in ähnlicherArt und Weise bereits im NSU-Ausschuss; es war dassogenannte Auge des Ausschusses .Nina Warken hat auf die Posse um die Snowden-La-dung hingewiesen . Wir waren bereit, den Zeugen zu hö-ren . Der Zeuge hat den Ausschuss missachtet . Er ist nichtgekommen .
Er lässt sich auf die CeBIT und überallhin schalten, nurmit uns wollte er nicht sprechen .Lieber Konstantin von Notz, dem Geschrei von Lin-ken und Grünen bezogen auf mutmaßliche Rechtswid-rigkeit in dem Zusammenhang haben das Bundesverfas-sungsgericht und der BGH eine ganz klare Absage erteilt .Viermal hat die Opposition vor den höchsten deutschenGerichten verloren . Die Drohgebärden nach dem Mot-to „Wir gehen nach Karlsruhe, alles rechtswidrig, allesschlimm“ sind pure Show, um Aufmerksamkeit zu erlan-gen, und bedeuten eine nicht gerechtfertigte Skandalisie-rung .
Ich will Sie ermuntern, diesen Bericht zu lesen . Ichmöchte Sie ermutigen, weiterhin die Balance zwischenFreiheit und Sicherheit zu wahren . Ich möchte zum Ab-schluss auch Danke sagen an die Mitarbeiter unsererNachrichtendienste, die eine gute Arbeit im Interesse ei-ner hohen Sicherheit leisten .
Vielen Dank .
Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion hat jetzt Jens
Zimmermann das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach derRede meines Vorredners könnte man den Eindruck ge-winnen: Alles super, alles dufte! Der Ausschuss hat gutgearbeitet . Wir haben vor allem herausbekommen, dassalles richtig gemacht wurde und nichts passiert ist . Wa-rum eigentlich die ganze Aufregung?
Ich glaube, das wäre ein falscher Eindruck . Wir habenviel gearbeitet, wir haben viel aufgeklärt, aber wir habenauch festgestellt, dass nicht alles gut gelaufen ist .Was man an der Rede merken kann, ist, dass uns in derAusschussarbeit bisher ein Aspekt gefehlt hat, nämlichnachempfinden zu können, wie das so war im Spätsom-Tankred Schipanski
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mer 2013, wie die Atmosphäre ist, wenn eine solche Kri-se auftaucht, während man mitten im Wahlkampf ist . Indieser Woche haben wir das, glaube ich, gut spüren kön-nen . Insofern will ich einmal auf die politische Dimensi-on unserer Arbeit eingehen .Da ist die Aussage der Kanzlerin, die wir immer wie-der gehört haben: „Abhören unter Freunden, das geht garnicht“, und da ist die Frage, was da eigentlich so gelaufenist . Wir haben es heute in der Debatte schon gehört: Wirhaben auch herausgefunden, dass es eine Strategie ist, diepolitisch Verantwortlichen nach Möglichkeit gar nichterst zu informieren; denn was man nicht weiß, machteinen nicht heiß . Am Ende kann man dann glaubhaft de-mentieren, irgendetwas gewusst zu haben . Das ist aberkeine effektive Kontrolle der Geheimdienste. Wenn wirder Meinung sind, dass wir in Deutschland Nachrichten-dienste benötigen – und wir sind dieser Meinung –, dannmüssen wir auch der politischen Kontrolle nachkommen .
Ich denke an eine denkwürdige Ausschusssitzung,zu der der damalige Kanzleramtschef Pofalla als Zeugegeladen war, der seine Zeit vor allem damit verbrachte,Mitglieder des Ausschusses von vorne bis hinten zu be-schimpfen, aber nicht wirklich zur Aufklärung beitragenkonnte .
– Ja, das Protokoll hebe ich mir auf, Herr Kollege; denndas ist wirklich ein Beispiel dafür, wie man es nichtmacht .
Der Volksmund sagt: „Hunde, die bellen, beißennicht“; aber Herrn Pofalla haben wir irgendwie auf demfalschen Fuß erwischt . Ich erinnere an eine andere denk-würdige Sitzung im PKGr in der Wahlkampfzeit, nachder sich Herr Pofalla hingestellt und den ganzen Skandalfür beendet erklärt hatte . Jetzt stellen wir vier Jahre spä-ter hier im Deutschen Bundestag fest, dass es doch einenSkandal gab .
Das ist die politische Dimension dieses Untersuchungs-ausschusses, die sich nicht einfach so vom Tisch wischenlässt, wie Sie das eben versucht haben .
Wir als SPD – und das wiederhole ich gerne – zie-hen folgende politische Lehre aus den Vorkommnissen:Wenn wir zu dem Ergebnis kommen, dass wir Nachrich-tendienste brauchen, um unser Land zu schützen, dannist es Aufgabe des Parlaments und Aufgabe der Regie-rung, die Nachrichtendienste effektiv zu kontrollieren.Das müssen wir dem kommenden Deutschen Bundestagund der kommenden Bundesregierung mit auf den Weggeben .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Nächster Redner ist Dr . Tim Ostermann
für die CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum Abschlussder Arbeit des 1 . Untersuchungsausschusses ist vielStaub aufgewirbelt worden, auch in der heutigen Debat-te . Wir sollten aber den Blick auf die erzielten Ergebnisserichten und uns diesen Blick nicht vernebeln lassen . Da-rum möchte ich mich bei meinen Ausführungen als elfterund letzter Redner auf einige Maßnahmen konzentrieren,die der Ausschuss empfiehlt bzw. überwiegend schon an-gestoßen hat .Als Konsequenz aus der Arbeit des Untersuchungs-ausschusses fand eine intensive Auseinandersetzung übertechnische, personelle und rechtliche Rahmenbedingun-gen für die Arbeit unserer Nachrichtendienste statt . DieKoalition hat umfassende Reformen beschlossen, vorallem die des Bundesnachrichtendienstgesetzes . Ichwill noch einmal daran erinnern: Bis zum Inkrafttretender Novelle gab es keine gesetzliche Spezialregelungfür die Überwachung der Telekommunikation von Aus-ländern im Ausland durch den BND . Jetzt ist auch ge-setzlich geklärt, dass dem BND eine Erhebung solcherDaten unter bestimmten Voraussetzungen gestattet ist:Die Erhebung muss verhältnismäßig sein und dem Auf-tragsprofil der Bundesregierung entsprechen. Für Such-begriffe mit EU-Bezug gelten hohe Hürden. BND-Spit-ze und Bundeskanzleramt werden in die Verantwortunggenommen . Für alle Erhebungen ist eine Anordnung desBundeskanzleramtes notwendig, und diese Anordnungenmüssen dann auch noch von einem neu eingerichtetenKontrollgremium, dem sogenannten Unabhängigen Gre-mium, genehmigt werden .Mit der Reform wurde auch für die Mitarbeiter desBundesnachrichtendienstes Rechtssicherheit geschaffen.Mir ist wichtig, zu sagen: Die Mitarbeiter der Nachrich-tendienste sind ein ganz entscheidender Faktor . OhneFrage: Es gab gerade beim BND Fehlverhalten, das ab-gestellt werden musste und auch abgestellt wurde . Diesrechtfertigt aber nicht, die Mitarbeiter unserer Nachrich-tendienste in ein bestimmtes Licht zu rücken . Liebe Kol-leginnen und Kollegen, wir als Union stehen hinter un-seren Nachrichtendiensten und ihren Mitarbeitern; dennwir sind für die schwierige Arbeit, die sie für uns alleleisten, außerordentlich dankbar .
Die Spionageabwehr wurde neu ausgerichtet . EinePrivilegierung von bestimmten Nachrichtendiensten fin-det nicht mehr statt . Wir schauen nun grundsätzlich al-len auf die Finger . Zur Wahrheit gehört allerdings auch,dass die personelle Aufstockung zwar erfolgt ist, sie aberDr. Jens Zimmermann
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vermutlich nicht ausreichen wird, um dauerhaft einen360-Grad-Blick zu gewährleisten . Wenn wir dies wün-schen – und ich nehme an, das wünschen wir uns alle –,brauchen wir wohl eine weitere Aufstockung . Angesichtsder derzeit noch begrenzten Ressourcen liegen daher dieSchwerpunkte der Spionageabwehr weiterhin nicht beiden Five-Eyes-Staaten; die Schwerpunkte liegen viel-mehr bei Russland, China, Nordkorea, der Türkei, demIran und anderen Staaten des Nahen und Mittleren Os-tens, und das ist auch richtig so, liebe Kolleginnen undKollegen .
Ausspähen unter Freunden ist höchst problematisch .Ausspähaktivitäten von nicht befreundeten Staaten brin-gen aber weit höhere Risiken mit sich .
Darum wird uns vonseiten der Opposition ein schiefesBild präsentiert, wenn mit dem Finger vor allem in Rich-tung der USA und der anderen Five-Eyes-Staaten gezeigtwird . Die Aktivitäten der von mir eben genannten Staa-ten müssen uns weitaus größere Sorgen bereiten .Zuletzt möchte ich erwähnen, dass die Koalition auchdie parlamentarische Kontrolle effektiver gemacht hat.Das Parlamentarische Kontrollgremium wird durch ei-nen Ständigen Bevollmächtigten und einen entsprechen-den administrativen Unterbau gestärkt . Wir sind davonüberzeugt, dass die Kontrollarbeit des Gremiums durchdiese qualifizierte Zuarbeit – und jetzt zitiere ich den Ab-schlussbericht – „aktiver, systematischer und schlagkräf-tiger“ wird .Ich finde, wir haben aus der Aufklärungsarbeit desUntersuchungsausschusses die richtigen Schlüsse ge-zogen . Wir haben die notwendigen Reformen unsererNachrichtendienste durchgesetzt . Daneben haben wirauch die Kontrolle der Dienste reformiert . Und wir ha-ben die Gefahren in den Blick genommen, die durch Spi-onageaktivitäten für Staat, Wirtschaft und Gesellschaftentstehen . Gleichzeitig sind wir der Dämonisierung derNachrichtendienste durch die Opposition durch eine kon-sequente, aber an der Sache orientierte Aufarbeitung ent-gegengetreten .
Alles in allem ist das ein Ergebnis, mit dem man zu-frieden sein kann . Und wir, die Union – das darf ich ab-schließend sagen –, sind mit dem Ergebnis zufrieden .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Damit schließe ich die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des 1 . Untersuchungsausschusses auf
Druck sache 18/12850. Der Ausschuss empfiehlt, den Be-
richt zur Kenntnis zu nehmen . Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung
der Fraktion Die Linke angenommen .
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 5:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Agnieszka Brugger, Katja Keul, Dr . Tobias
Lindner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Rüstungsexporte endlich reduzieren – Frie-
den, Sicherheit und Menschenrechte bei den
Entscheidungen stärken
Drucksache 18/12825
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . Gibt es dagegen
Widerspruch? – Ich sehe, das ist nicht der Fall .
Dann darf ich Sie bitten, die Plätze einzunehmen .
Ich eröffne die Aussprache, und das Wort hat Katja
Keul für Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Kriegswaffenexporte in Spannungsgebiete ge-fährden die deutschen Sicherheitsinteressen und beför-dern die Eskalation bewaffneter Konflikte. Die Grund-sätze der Bundesregierung sind nicht geeignet, diese zuunterbinden . Ich will Ihnen dies anhand von drei aktuel-len Beispielen vor Augen führen .Erstes Beispiel: Als wir in der letzten Legislatur dengeplanten Export der Kriegsschiffe der Firma Lürssen anSaudi-Arabien kritisierten, haben CDU und FDP immerabgewiegelt . Das seien doch nur harmlose Patrouillen-boote, die zur Küstenwache eingesetzt würden . Heutesterben Tausende von Menschen – vor allem Kinder undAlte – im Jemen an Hunger und Cholera, weil Saudi-Ara-bien das Land nicht nur bombardiert, sondern auch vonder Seeseite her blockiert, sodass keine Medikamente undLebensmittel die Menschen mehr erreichen . Die Lage istunerträglich, und sie belegt, dass das Genscher-Zitat „Al-les was schwimmt, geht“ falsch ist .
Die Kriegsschiffe wurden in dieser Legislatur genehmigt,und zwar von Wirtschaftsminister Gabriel, der angetretenwar, Rüstungsexporte restriktiver zu handhaben .Das zweite Beispiel ist Katar . Seit Wochen erlebenwir eine Eskalation zwischen den Staaten der ArabischenHalbinsel mit der totalen Blockade von Katar durch dieNachbarländer, die ja nach Presseberichten sogar eine In-vasion der Halbinsel planten .Außenminister Gabriel warnt vor einem Krieg in derRegion. Als wir ihn aber vor zwei Jahren aufforderten, dieGenehmigung für 62 Leopard-Kampfpanzer nach demKriegswaffenkontrollgesetz zu widerrufen, die Schwarz-Gelb vor der Bundestagswahl 2013 noch schnell erteilthatte, weigerte er sich . Er begründete dies damals aus-drücklich nicht mit drohenden Schadensersatzansprü-Dr. Tim Ostermann
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chen der Rüstungsindustrie, sondern ausschließlich mitder sicherheitspolitischen Lage . Da kann man mal sehen,wie schnell sich die Sicherheitslage ändern kann .
Um ein Haar hätten sich letzte Woche saudische Kriegs-schiffe, made by Lürssen, und katarische Panzer, madeby Krauss-Maffei Wegmann, gegenübergestanden. Ein-mal mehr ist bewiesen: Deutsches Kriegsgerät hat inDrittstaaten nichts zu suchen .
Aber auch innerhalb des NATO-Bündnisses gibt esgefährliche Entwicklungen, weshalb auch die Türkeideutsche Panzer immer nur mit Auflagen bekommen hat.Nun will Erdogan endlich eigene Panzer bauen, die ernach Gutdünken auch gegen die eigene Bevölkerung ein-setzen kann . Dafür braucht er Geld und technische Un-terstützung . Beides bekommt er: das Geld aus Katar unddie technische Unterstützung von Rheinmetall . Die Bun-desregierung meint, das ginge sie alles nichts an, weilRheinmetall weder Schrauben noch Blaupausen expor-tiert, sondern nur eigenes Personal . Und tatsächlich hatdas deutsche Kontrollregime da eine Lücke, so groß wieein Scheunentor .Wir Grüne fordern ein Rüstungsexportkontrollgesetz;dieses muss auch Dienstleistungen im Rüstungs- undEntwicklungsbereich erfassen .
Der Export von sensiblem Know-how kann nicht allenErnstes unreguliert bleiben . Gabriel hat zwar immerhineine Kommission eingesetzt, doch auf ein Rüstungskon-trollgesetz warten wir immer noch . Als Wirtschaftsminis-ter hat er unsere Forderung unterstützt, die Zuständigkeitfür Rüstungsexporte auf das Auswärtige Amt zu verla-gern . Unterstützt er das als Außenminister eigentlich im-mer noch? Man hört dazu gar nichts mehr . Stattdessenfordert er jetzt, dass künftig bei einzelnen Genehmigun-gen Parlamentsbeschlüsse gefasst werden . Aber so ein-fach entlassen wir die Exekutive und den Minister selbstnicht aus der Verantwortung .
Wir wollen die Menschenrechtslage zum gesetzlichenKriterium erheben, und wir wollen eine gesetzliche Be-gründungspflicht für Rüstungsexporte. Die Exekutivesoll sich gegenüber dem Parlament und im Ernstfall auchgegenüber einem Gericht rechtfertigen . Die über Jahregestreckte Dreiteilung des Verfahrens in Vorbescheid,Genehmigung nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz undGenehmigung nach dem Außenwirtschaftsgesetz ver-schleiert die Verantwortlichkeiten nach dem Motto: DenLetzten beißen die Hunde .Wir wollen nicht nur die gesetzlichen Grundlagen ver-schärfen und ein Verbandsklagerecht einführen, sondernauch ein parlamentarisches Kontrollgremium einsetzen,das frühzeitig über anstehende Genehmigungen infor-miert wird und dazu Stellung nehmen kann . Kriegswaf-fenexporte in Drittstaaten dürfen nicht länger die Regelbleiben; denn sie destabilisieren ganze Regionen und ge-fährden damit auch deutsche Sicherheitsinteressen . Werauch immer die nächste Bundesregierung stellen will,muss hier regulierend eingreifen – in unser aller Interes-se .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht
jetzt der Kollege Klaus-Peter Willsch .
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin von den Grünen,wenn wir auf diese Legislaturperiode zurückschauen,
müssen wir doch feststellen, dass wir wirklich keinenMangel an Diskussionen über Rüstungsexporte und Rüs-tungskontrolle in diesem Hause hatten . Durch das neueRegularium, das diese Koalition vereinbart hat – mit Vor-abinformationen, mit vorgezogenen Berichten –, habenwir eine große Dichte an Debatten . Über den gleichenPanzer wird drei Mal gesprochen, sodass das Publikumwahrscheinlich langsam gelangweilt ist .
Sie versuchen, hier so zu tun, als ob Sie bereit seien,Verantwortung in der Welt zu übernehmen; Sie machensich aber einen schlanken Fuß, wenn es ernst wird . Dasist das Problem, das Sie haben .
Sie wollen das weiter theoretisieren und diskutieren . Dasführt uns aber kein Stück weiter .
Sie tun systematisch so – Herr van Aken wird gleichdie Fortsetzung dazu liefern –, als ob es in DeutschlandWaffen quasi auf dem Flohmarkt zu kaufen gäbe. Siewissen, dass das reguliert ist .
Im Wesentlichen herrscht außenpolitisch breites Einver-nehmen . Schon zu Zeiten der rot-grünen Regierung unterFischer und Schröder wurden die Grundlagen festgelegt,auf denen noch heute weitgehend gearbeitet wird . Hiersind keine Hasardeure am Werk .Wenn man in der Welt helfen will und wenn man deut-sche Sicherheitsinteressen in der Welt sichern will,
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dann muss man Ländern, die nicht in der Lage sind, ihreGrenzen zu schützen, unter Umständen helfen, zum Bei-spiel einen Küstenschutz aufzubauen . Genau das habenwir im Fall der Küstenschutzboote getan .
Natürlich können sich die Dinge ändern . Deswegengibt es ein enges Monitoring der Bereiche, in die Waffenausnahmsweise geliefert werden; Sie wissen sehr wohl,dass das nur „ausnahmsweise“ geschieht . Aber natürlichgibt es immer Entwicklungen, die man nicht hundertpro-zentig vorhersehen kann . Vielleicht wird Ihnen das einbisschen bewusster, nachdem ich Ihnen Folgendes gesagthabe: Dieser Tage wurde ein Urteil im Fall Srebrenica ge-sprochen . 1995: Massaker von Srebrenica, die serbischenAggressionskriege Milosevic’ gegen seinen Nachbarn .
Da sind wir mit Blauhelmen und ohne richtige Bewaff-nung reingegangen; da waren wir nicht massiv genug .Das Gleiche hätten wir schon vorher machen müssen inKroatien beim Massaker von Vukovar .
Ich sage Ihnen das noch einmal: Sie wollen mit allge-meinen Erklärungen Ihre Wohlfühlatmosphäre, dass Siedie Friedensretter in der Welt sind, erhalten .
Aber die Welt ist nun mal so, wie sie ist . Da muss mangegebenenfalls die Fähigkeiten verstärken, damit robustvorgegangen werden kann .
Das gilt für uns, wenn wir daran denken, wie unsere vita-len Interessen in der Welt gesichert werden, das gilt aberauch für die konkrete Einsatzsituation .Ich weiß noch – das hat mir gut gefallen –, dass CemÖzdemir damals – da haben wir mitten in die Krise hi-neingeliefert – gesagt hat: Mit den MILAN-Abwehrra-keten an die Kurden, an die Peschmerga haben wir deneinzig wirksamen Gegenpool zum IS und zu al-Qaidaaufgebaut . – Damals hat sogar Ihr Parteivorsitzender dieErkenntnis gehabt, dass man denen wahrscheinlich nichtmit dem Stuhlkreis beikommt . Manchmal ist es so, dassman nicht mit dem Stuhlkreis beikommt .In so einer Situation muss man dann helfen . Keinemder Freiheitskämpfer, die sich dort dem IS entgegenge-stellt haben, hätte es geholfen, Ihre wohlfeilen Wortehier anzuhören . Im Zweifelsfalle zählt die Tat . HörenSie bitte damit auf, in den Diskussionen, die Sie immerwieder führen, den Eindruck zu erwecken, dass hier sehrfreihändig mit Waffenexporten umgegangen wird.Schauen Sie sich die Berichte der Fachleute an, lesenSie den SIPRI-Bericht, schauen Sie sich an, wie hochunser Anteil am Handel in der Welt ist und wie klein erdagegen im Rüstungsbereich ist, weil wir zurückhaltendsind in unserer Exportpolitik,
schauen Sie sich die Wirklichkeit an, und versuchen Sie,sie zur Kenntnis zu nehmen .Wir wollen, dass unsere Soldaten in hochgefährlichenSituationen erfolgreich unsere Freiheit und unsere Inte-ressen verteidigen .
Dazu müssen sie mit bestem Gerät ausgestattet sein .
Wenn wir ein gutes Gerät haben, das auch andere habenwollen, und wir das nach sorgfältiger Prüfung dorthinverkaufen, ist das eine logische und richtige Politik; daswollen wir gerne so weitermachen .
Deshalb werden wir, liebe Frau Keul, Ihren Antrag ab-lehnen . Wir können uns dem nicht anschließen, sondernmachen weiter eine verantwortungsbewusste, an unserenInteressen, an den Interessen der betroffenen Völker ori-entierte Politik, die Sicherheitsinteressen nicht aus denAugen verliert, sondern die Sicherheit von uns, unserenVerbündeten, von befreundeten und nützlichen Nationen,die uns bei Aufgaben helfen, im Blick behält .
Wir tun weiterhin das, was wir für richtig halten .
Das wird hier jedes Mal diskutiert; wir rechtfertigen dasalles . Aber hören Sie auf, den Eindruck zu erwecken, alsob es keine parlamentarische Kontrolle gäbe . Der Antragist völlig überflüssig.Vielen Dank .
Klaus-Peter Willsch
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Vielen Dank . – Für die Linke spricht jetzt Jan van
Aken .
Frau Präsidentin, ehe die Uhr anfängt, zu laufen, habe
ich eine Frage: Darf Herr Jung eigentlich hier sitzen?
Ist es mit der Geschäftsordnung vereinbar, dass jemand,
der in seinem neuen Job Aufsichtsrat in der Rüstungs-
schmiede ist, an einer Debatte teilnehmen kann, bei der
es um Rüstungsexporte geht? Ich kenne mich mit der Ge-
schäftsordnung nicht so genau aus .
Dann würde ich Ihnen empfehlen, sie zu studieren . Je-
der Abgeordnete darf hier in diesem Saal Platz nehmen;
wer nicht Abgeordneter ist, nicht .
Ich finde es falsch, aber dann ist es so. – Ich finde es
auch deswegen falsch, weil mir in den letzten Tagen im-
mer ein Bild vor Augen kommt, das mich überhaupt nicht
mehr loslässt: Ich stelle mir vor, dass, wenn der Konflikt
zwischen Saudi-Arabien und Katar weiter eskaliert, es
tatsächlich zum Krieg kommt, und dass es dann deutsche
Kampfbomber sind, die deutsche Leopard-Panzer bom-
bardieren .
Herr van Aken, darf ich Sie kurz unterbrechen, auch
nach Geschäftsordnung? Der Kollege Willsch hätte ger-
ne die Gelegenheit, Ihnen eine Frage zu stellen oder eine
Zwischenbemerkung zu machen .
Ja .
Bitte schön .
Herr van Aken, wären Sie bereit, zur Kenntnis zu neh-
men, dass der Kollege Jung erst nach Ende seines Man-
dates eine neue Beschäftigung annehmen wird? Sind Sie
vielleicht so freundlich – Sie hören ja auch auf –, uns zu
sagen, bei wem Sie jetzt anfangen zu arbeiten, damit wir
überprüfen können, ob auch Sie vielleicht irgendwelche
Interessenkonflikte haben?
Ich habe das, glaube ich, sehr präzise ausgedrückt:Sein neuer Job ist Aufsichtsrat bei Rheinmetall . Das isteine Waffenschmiede, der größte deutsche Rüstungsher-steller . Ich habe nicht gesagt, dass er da schon angefan-gen hat . Aber er weiß, dass er diesen Job schon hat . Erweiß, dass er mit den deutschen Waffenexporten sehr vielGeld verdienen wird . Trotzdem setzt er sich hierhin undhat die Chuzpe, an so einer Debatte teilzunehmen . Ichfinde das einfach falsch.Zu meinem Job kann ich Ihnen sagen: Ich werde einJahr als freier Mitarbeiter für NGOs arbeiten .
Ich hoffe, dass mir eine Organisation, zum BeispielGreenpeace, oder eine Stiftung im nächsten Jahr den ei-nen oder anderen Job gibt . Das habe ich vorher auch ge-macht; ich war drei Jahre bei Greenpeace International .Deswegen kann ich Ihnen schon an dieser Stelle sagen:Ich bin vielleicht das letzte Mal im Bundestag, aber Siesind mich nicht los .
Um zurückzukommen zu Saudi-Arabien und Katar:Es waren deutsche Waffenschmieden, die beide Seitengleichzeitig bis an die Zähne bewaffnet haben. In denletzten Jahren wurden Waffenexporte in diese beidenLänder in Höhe von 6 Milliarden Euro genehmigt . WennSie von der CDU/CSU oder auch von der SPD jetzt sa-gen, das hätten Sie doch nicht ahnen können, als Sie dasgenehmigt haben, dann kann ich Ihnen nur sagen: Dashätten Sie nicht nur ahnen können, Sie hätten es wissenkönnen. Denn Waffen werden gekauft, um Kriege zu füh-ren, aus keinem anderen Grund .
Wissen Sie, ich sitze jetzt seit acht Jahren im Bun-destag und habe mir von Anfang an vorgenommen, dieFolgen der deutschen Waffenexporte zu dokumentieren.Seit acht Jahren schauen wir immer, wenn irgendwo aufder Welt geschossen wird, ob nicht auch deutsche Waffenmit dabei sind . Wir schauen uns die verwackelten Al-Ja-zeera-Videos, die Medienberichte und die Fotos an, undin fast jedem einzelnen Fall sind wir fündig geworden .In fast jedem einzelnen Fall waren deutsche Waffen mitdabei .Ich habe fünf Beispiele mitgebracht:In Mexiko schießen staatliche Sicherheitskräfte mitdeutschen G36-Sturmgewehren auf Studierende . Sie alleerinnern noch den Fall der verschwundenen 43 Studie-renden, die brutal ermordet worden sind .Nehmen wir Syrien . Ich selbst habe im Norden Sy-riens das Abschussrohr einer MILAN-Rakete gefunden,die zur Hälfte in Deutschland produziert wird . Damit ha-ben die Menschenfeinde vom sogenannten „IslamischenStaat“ gekämpft – mit deutschen Waffen auf syrischemBoden. Ich jedenfalls finde diese Vorstellung grauenvoll.
Nehmen wir die Türkei . Wir alle haben die Bilder ge-sehen, wie die Türkei in Syrien einmarschiert ist, eineganze Kolonne von deutschen Leopard-Panzern fuhr mit .Und dann gab es diese Bilder – Herr Jung, Leopard istdoch Ihr Modell –, wie islamistische Kämpfer von Ahr-ar al-Scham vor den deutschen Panzern posieren . Ahraral-Scham gilt hier in Deutschland als Terrororganisation .
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Die Türkei kämpft mit denen gemeinsam gegen die Kur-den in Syrien mit deutschen Panzern. Ich finde das falsch.
Nehmen wir Saudi-Arabien; dazu ist eben schon vielgesagt worden . Saudi-Arabien bombardiert den Jemengerade zurück in die Steinzeit . Das tun sie auch mit deut-schen Kampfflugzeugen, und das tun sie auch mit Bom-ben, die von der deutschen Waffenschmiede Rheinmetallin Italien produziert worden sind . Die werden in Sanaa,in der Hauptstadt, gefunden, und wenn sie nicht explo-dieren, dann kann man sehen: direkt aus der Rheinme-tall-Fabrik auf Sardinien nach Saudi-Arabien geliefertund im Krieg im Jemen eingesetzt . Das ist ein schmutzi-ges Geschäft, das Sie zu verantworten haben, Herr Jung .
Dann gibt es natürlich noch die Waffenlieferungen andie Peschmerga im Nordirak. Die Waffen wurden denPeschmerga geschenkt, damit sie die Jesiden beschützen .Jetzt sehen wir die Bilder, wie genau diese Peschmergamit genau diesen deutschen Waffen die Jesiden angrei-fen, statt sie zu verteidigen .Ich sage Ihnen: Waffenlieferungen gehen immer nachhinten los .
Das waren nur ein paar Beispiele; ich könnte Ihnennoch Dutzende weitere aufzählen und Ihnen viele Bil-der zeigen . Denn seit Jahrzehnten exportiert DeutschlandWaffen in alle Welt, und seit Jahrzehnten wird überall aufder Welt mit diesen Waffen getötet.Wenn ich in die Reihen von SPD und Union schaue,frage ich mich eigentlich jedes Mal, wenn ich hier stehe,ob irgendwer von Ihnen eigentlich ein schlechtes Gewis-sen hat .
– Nein, Sie beide saßen in all den Jahren an den Hebelnder Macht . – Es sind Ihre Exporte, die Sie zu verantwor-ten haben . Aber die gute Nachricht ist: Sie können sieauch stoppen . Wer auch immer im September die Wahlgewinnt, wer auch immer in der nächsten Legislaturperi-ode die Koalition stellt, hat die Möglichkeit, endlich daszu machen, was 83 Prozent der Menschen in Deutschlandwollen: Stoppen Sie endlich die Waffenexporte!
Das Dringendste – das wissen Sie auch, und damitkomme ich zum Schluss – ist natürlich das Verbot vonKleinwaffenexporten ohne jede Ausnahme. Das sind ein-fach die mörderischsten aller Waffen. Ich verstehe bisheute nicht, warum Sie sich bisher dazu nicht durchrin-gen können .
Aber Sie kommen zum Schluss .
Das habe ich gerade gesagt, und das tue ich jetzt
auch . – Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutsch-
land überhaupt keine Waffen exportieren sollte.
Und wissen Sie was? Das werden wir auch gewinnen –
einfach weil es richtig ist .
Für die SPD-Fraktion hat jetzt Ulrich Hampel das
Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Der Antrag der Grünen mit dem Titel „Rüstungsexporteendlich reduzieren“ eröffnet mir die Gelegenheit, einmaldarzulegen, wie die SPD – auch gemeinsam mit den Grü-nen, sehr geehrte Frau Keul – eine restriktive und trans-parente Rüstungsexportpolitik auf den Weg gebrachthat . Es war schließlich die rot-grüne Koalition, die imJahre 2000 die Politischen Grundsätze der Bundesre-gierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigenRüstungsgütern neu formuliert hat . Seitdem wird der Be-achtung der Menschenrechte besonderes Gewicht beige-messen .Wir haben dort gemeinsam verankert, dass die Bun-desregierung jährlich einen Rüstungsexportbericht vor-zulegen hat . Sigmar Gabriel hat zu Beginn der Legisla-turperiode darüber hinaus dafür gesorgt, dass zusätzlichzum jährlichen Rüstungsexportbericht ein halbjährlicherBericht vorzulegen ist . Zudem werden die abschließen-den Genehmigungsentscheidungen des Bundessicher-heitsrates offengelegt und innerhalb von zwei Wochendem Bundestag zugeleitet .Das alles sind Maßnahmen, die die Transparenz vonexportkontrollpolitischen Entscheidungen der Bundesre-gierung erhöhen .Gemeinsam mit dem Kriegswaffenkontrollgesetz,dem Außenwirtschaftsgesetz, der Außenwirtschaftsver-ordnung, dem Gemeinsamen Standpunkt des Rates derEU und dem Vertrag über den Waffenhandel, ATT, ha-ben wir heute einen rechtlichen Rahmen, der eine guteGrundlage für Genehmigungen bzw . Ablehnungen imEinzelfall und nach sorgfältiger Prüfung unter Einbezie-hung der außen- und sicherheitspolitischen Erwägungenbietet .Ich sage bewusst: Wir haben eine gute Grundlage .Denn es ist natürlich der Anspruch meiner Fraktion, fort-laufend zu prüfen, ob die Mechanismen für eine restrik-tive und transparente Rüstungsexportpolitik verbessertwerden können . Der damalige Bundeswirtschaftsminis-ter Sigmar Gabriel hat in seiner Amtszeit hierzu einenKonsultationsprozess zur Zukunft der Rüstungsexport-Jan van Aken
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politik initiiert . In diesem Prozess wurde das Systemder Rüstungsexportkontrolle in Deutschland insgesamtin den Blick genommen und eine breite Diskussion mitVertretern der Kirchen, der Zivilgesellschaft, der Indus-trie, der Gewerkschaften, der Forschungseinrichtungenund der Rechtswissenschaften geführt . Derzeit werdendie Ergebnisse der Diskussion ausgewertet .Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass als Ergeb-nis des Konsultationsprozesses die Forderung nach ei-nem Rüstungsexportgesetz steht, wie wir es im Übrigenauch in unserem Wahlprogramm fordern .
In den weltweiten Konflikten werden die meisten Op-fer durch den Einsatz von kleinen und leichten Waffenverursacht . Deshalb haben wir in dieser Legislaturperio-de unser besonderes Augenmerk auf die Reduzierung derKleinwaffenexporte an Drittländer und die Einführungvon Post-Shipment-Kontrollen gelegt .Die neuen deutschen Kleinwaffengrundsätze vom18 . Mai 2015 sind ein richtungsweisender Leitfaden füreine restriktivere Handhabung von Rüstungsexportan-fragen bezüglich Kleinwaffen. Mit diesen Grundsätzennimmt Deutschland eine führende Rolle ein .Laut dem Rüstungsexportbericht für 2016 belief sichder Gesamtwert der Exporte von Kleinwaffen an Dritt-länder auf 16,4 Millionen Euro . 2013 lag dieser Wertnoch bei 42,23 Millionen Euro . Das ist ein deutlicherRückgang, der eindeutig auf das SPD-geführte Wirt-schaftsressort zurückzuführen ist .
Das reicht uns aber nicht . Wir wollen ein Verbot vonKleinwaffenexporten an Drittländer.
Diese Forderung haben wir in unserem Wahlprogrammverankert, und mit dieser Forderung werden wir in dennächsten Monaten auch in die politische Auseinanderset-zung gehen .Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD steht füreine transparente und restriktive Rüstungsexportpolitik .Wir haben dafür gesorgt, dass die exzessive Rüstungsex-portpolitik der schwarz-gelben Vorgängerregierung be-endet wurde und die Exporte – insbesondere von Klein-waffen – deutlich zurückgegangen sind.
Wir gehen mit der Forderung nach einem Verbot vonKleinwaffenexporten an Drittländer, einer gesetzlichenFixierung der Politischen Grundsätze und damit einerstärkeren Beteiligung des Bundestages in den Bundes-tagswahlkampf .Die Grünen wollen in ihrem vorliegenden Antrag, denwir im Übrigen ablehnen werden, dagegen auch in Zu-kunft Kleinwaffenexporte an Drittstaaten erlauben, so-fern diese nach Beurteilung der außen- und sicherheits-politischen Gesichtspunkte durch die Bundesregierungbegründet sind . Liebe Kolleginnen und Kollegen derGrünen, da sind wir schon ein Stückchen weiter .Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Letzte Rednerin zu diesem Tagesord-
nungspunkt ist Julia Obermeier, CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wenn man den Antrag der Grünen liest, be-kommt man fast den Eindruck, Sie kennen die SIPRI-Stu-die nicht; denn die schwedischen Friedensforscher stel-len fest: Im globalen Vergleich sind die RüstungsexporteDeutschlands in den vergangenen vier Jahren um 36 Pro-zent zurückgegangen,
obwohl das weltweite Rüstungsexportvolumen insge-samt um 8,4 Prozent zugenommen hat .Deutschland hat sogar den größten Rückgang der Ex-porte unter den 20 größten Exporteuren zu verzeichnen .
Der Anteil deutscher Exporte auf dem Rüstungsmarktist von 9,4 Prozent auf 5,6 Prozent gesunken . Sie sehenalso: Die Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung istbereits sehr restriktiv und äußerst zurückhaltend . Es wirdvergleichsweise wenig an Rüstungsgütern exportiert .Und jede Ausfuhr wird im Einzelfall sorgfältig geprüft .Meine Damen und Herren, die Bundesregierung in-formiert das Parlament transparent über die Genehmi-gungsentscheidungen des Bundessicherheitsrates in re-gelmäßig erscheinenden Berichten . Wer allerdings beimLesen dieser Berichte pauschal auf die Höhe der Summezeigt und „Skandal“ ruft, der macht es sich zu einfach .Das Finanzvolumen allein spiegelt noch nicht wider, wierestriktiv die Entscheidungen des Bundessicherheitsratessind .Schauen wir uns einmal die Exporte der ersten vierMonate im Jahr 2017 an . Fast zwei Drittel der gesam-ten Genehmigungswerte für Drittländer entfallen auf dieAusfuhr einer Fregatte nach Algerien . Eine Fregatte mitentsprechender Ausstattung zum Küstenschutz Algeriensim Rahmen der Modernisierung der örtlichen Küsten-wache schlägt mit 1,31 Milliarden Euro zu Buche . Dasaber jetzt den 59 Millionen Euro für Gewehre, Maschi-nenpistolen, Munition und Kleinwaffen, die 2004 unterRot-Grün an Saudi-Arabien exportiert wurden, gegen-überzustellen, wäre ein Vergleich von Äpfeln mit Birnen .Wenn man also die Entscheidungen der jeweiligenBundesregierung bewertet, dann darf man das nicht al-lein von der Summe abhängig machen, sondern es giltimmer, den kritischen Blick auf den jeweiligen Einzelfallzu richten . Dass auch die aktuelle Bundesregierung jedenEinzelfall kritisch prüft, sieht man zum Beispiel daran,Ulrich Hampel
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dass seit Anfang 2006 bereits elf Rüstungsexporte in dieTürkei abgelehnt wurden .
Frau Kollegin Obermeier, gestatten Sie eine Zwi-
schenfrage der Kollegin Keul?
Nein, ich möchte lieber fortfahren .
Denn es gelten nach wie vor die strengen Exportricht-
linien aus der Zeit der rot-grünen Koalition .
Die Grünen kritisieren in ihrem Antrag auch die Zu-
sammenarbeit der deutschen Wehrtechnik mit türkischen
Unternehmen . Die Türkei ist seit 1952 Mitglied der
NATO . Waren es nicht die Grünen, die über viele Jahre
und sogar noch bis vor kurzem für einen EU-Beitritt der
Türkei geworben haben?
Ja, die Entwicklungen in der Türkei sind überaus be-
sorgniserregend .
Ja, in der Frage von Rüstungsexporten haben wir gene-
rell eine große Verantwortung für Frieden, Sicherheit und
Stabilität in der Welt . Aber wir haben auch eine große
Verantwortung für die Sicherheit unserer Soldatinnen
und Soldaten der Bundeswehr .
Wenn wir hier im Hohen Haus entscheiden, unsere
Männer und Frauen in Auslandseinsätze zu schicken,
dann müssen wir auch für ihren Schutz Sorge tragen .
Solange unsere Bundeswehr in NATO-Missionen wie im
Kosovo oder in Afghanistan gemeinsam mit türkischen
Kameraden Seite an Seite im Einsatz ist, so lange gilt es,
bei jeder Exportanfrage aus der Türkei den Blick auch
auf die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten der
Bundeswehr zu richten .
Auch wenn ich das nach der heutigen Sitzung des Ver-
teidigungsausschusses leider nicht mehr für alle Teile der
Koalition sagen kann: Für die CDU/CSU-Fraktion und
für mich persönlich hat der Schutz unserer Soldatinnen
und Soldaten oberste Priorität . Deshalb werden wir Ihren
Antrag ablehnen .
Vielen Dank .
Vielen Dank . – Wir kommen damit zu dem Antrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-
che 18/12825 .
– Die war nicht angemeldet .
Dann jetzt Frau Kollegin Keul .
Vielen Dank . – Ich entschuldige mich, dass ich die-
se Debatte noch verlängere, aber so viele falsche Fakten
kann ich nicht einfach unkommentiert stehen lassen . – Es
ist völlig richtig, dass es nicht allein auf den Gesamtwert
in Euro ankommt, sondern man auch sehen muss, was
wohin geliefert wird; und das haben wir immer im Blick .
Der Gesamtwert für 2016 ist nach dem jetzigen Be-
richt in der Tat nur der zweithöchste seit 2011 . Aber
schauen wir doch einmal konkret, was besonders gefähr-
lich ist – das sind die Kriegswaffen –, und schauen wir,
wo die hingehen .
Die tatsächliche Ausfuhr von Kriegswaffen in 2016
erreicht die historisch einmalige – die höchste jemals er-
reichte – Summe von 2,5 Milliarden Euro .
Dann müssen wir uns noch fragen, wohin die Ausfuh-
ren gegangen sind . Eigentlich sollten sie in der Regel nur
in NATO- und EU-Staaten gehen und nur im Ausnah-
mefall an Drittstaaten . Dass dieses Verhältnis sich Jahr
für Jahr umdreht, haben wir immer kritisiert . Jetzt haben
wir den einmaligen Rekordwert, dass 92,5 Prozent der
Exporte an Drittstaaten gehen, und nur 184 Millionen
Euro – das sind gerade einmal 7,5 Prozent – gehen an
NATO- bzw. EU-Staaten. Wenn wir differenzieren wol-
len, dann können wir das gerne tun . Aber die beiden letzt-
genannten Werte sind die höchsten Werte, die in diesen
Bereichen jemals erzielt wurden, und zwar im Jahr 2016 .
Vielen Dank, Frau Kollegin . – Frau KolleginObermeier möchte nicht antworten .
Dann kommen wir jetzt zu dem Antrag der FraktionBündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Rüstungsexporteendlich reduzieren – Frieden, Sicherheit und Menschen-rechte bei den Entscheidungen stärken“ auf Drucksa-che 18/12825 . Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünenwünscht Abstimmung in der Sache . Die Fraktionen derCDU/CSU und der SPD wünschen Überweisung an denAusschuss für Wirtschaft und Energie . Wir haben dazueine ständige Übung; nach der stimmen wir zuerst überden Antrag auf Ausschussüberweisung ab . Wer stimmtfür die beantragte Überweisung? – Das ist die Koalition .Wer stimmt dagegen? – Das ist die Opposition . Wer ent-Julia Obermeier
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hält sich? – Niemand . Damit ist die Ausschussüberwei-sung beschlossen .
Damit stimmen wir heute über den Antrag auf Drucksa-che 18/12825 nicht in der Sache ab .Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf:a) Beratung des Antrags der AbgeordnetenHarald Weinberg, Pia Zimmermann, SabineZimmermann , weiterer Abgeordneterund der Fraktion DIE LINKESolidarische Gesundheits- und Pflegeversiche-rung einführenDrucksache 18/12939b) Beratung der Beschlussempfehlung und desBerichts des Ausschusses für Gesundheit
zu dem Antrag der Abgeordne-
ten Harald Weinberg, Pia Zimmermann, SabineZimmermann , weiterer Abgeordneterund der Fraktion DIE LINKESolidarische und gerechte Finanzierung vonGesundheit und PflegeDrucksachen 18/11722, 18/12932Auch hier wurde zwischen den Fraktionen vereinbart,dass für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen werdensollen . – Ich sehe dazu keine weiteren Vorschläge . Dannist so beschlossen .Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die Frak-tion Die Linke Kathrin Vogler .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Wir sind jetzt am Ende der Legislaturperiode,und die Große Koalition hat eine ganze Menge Gesetzein der Gesundheitspolitik beschließen lassen .
Da ist es Zeit, dass man sich einmal fragt: Was fehlt ei-gentlich? Dazu muss ich Ihnen sagen, meine Damen undHerren: Meiner Ansicht nach fehlt dringend ein Gerech-tigkeitsstärkungsgesetz .
Denn viele Menschen haben das Gefühl, dass es im Ge-sundheitswesen in unserem Land nicht ganz gerecht zu-geht .Nicht gerecht ist es zum Beispiel, wenn ich als ge-setzlich Versicherte länger auf einen Facharzttermin odereine Behandlung warten muss als jemand, der privat ver-sichert ist .
Nicht gerecht ist es auch, wenn Menschen mit nied-rigem und mittlerem Einkommen einen höheren Anteildieses Einkommens für die Krankenversicherung auf-wenden müssen als Menschen mit einem hohen oder mithöchsten Einkommen .Und, meine Damen und Herren, zutiefst ungerecht istes, wenn Kranke durch Zuzahlungen für ihr Krankseinbestraft werden – in der Apotheke, im Krankenhaus, inder Reha oder beim Zahnersatz .Ich bekam letztens einen Brief von einem Rentneraus Finsterwalde . Er sollte für einen notwendigen Zahn-ersatz, den er braucht, um wieder ordentlich essen zukönnen, 3 200 Euro zuzahlen . Bei 800 Euro Rente –vollkommen illusorisch! Für mich heißt Solidarität, dassSchwache sich darauf verlassen können, dass Starke fürsie einstehen, dass Kranke sich darauf verlassen können,dass sie im Fall von Krankheit und Pflegebedarf nichtarm werden . Da müssen wir doch wieder hinkommen .
Wir als Linke sagen: Eine solidarische, eine gerechteund eine nachhaltige Finanzierung unseres Gesundheits-wesens ist möglich . Und wir sagen Ihnen auch, wie . Wirfordern eine solidarische Gesundheits- und Pflegeversi-cherung . Wie sieht die aus? Alle Menschen in Deutsch-land werden Mitglied der gesetzlichen Kranken- undPflegeversicherung.
Der Beitrag bemisst sich nach dem Einkommen, undzwar nach allen Einkommen, nicht nur nach Einkommenaus Erwerbsarbeit . Er bemisst sich auch nicht nur an Ein-kommen unterhalb von 4 350 Euro . Und die Arbeitgeberund die Rentenkassen übernehmen wieder die Hälfte .Wir stellen also die Parität wieder her .
Damit könnten wir den Krankenkassenbeitrag um fastein Drittel senken . 90 Prozent der Menschen in diesemLand hätten mehr Geld in der Tasche, eine Supermarkt-kassiererin zum Beispiel am Ende des Jahres ungefähr440 Euro mehr. In der Pflegeversicherung könnten wirdie Mehreinnahmen für bessere Leistungen nutzen .
Menschen mit Pflegebedarf und ihre Angehörigen müs-sen wir entlasten, und wir müssen bessere Bedingungenfür Pflegekräfte in diesem Land schaffen.
Wir könnten in der Krankenversicherung alle Zuzah-lungen abschaffen und auch zum Beispiel die Kostenfür Brillen und Zahnersatz wieder erstatten lassen . Daswürde dem Rentner in Finsterwalde unglaublich helfenund auch vielen anderen Menschen in diesem Land . Wirwürden endlich die unerträgliche Situation beenden, dassimmer mehr kleine Selbstständige in diesem Land nichtin der Lage sind, ihren Krankenversicherungsbeitrag auf-Vizepräsidentin Ulla Schmidt
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zubringen, dass sie sich verschulden oder dass sie keinenAnspruch mehr auf vollständige Leistungen haben .All das könnten wir beenden; denn wir sind der Auf-fassung: Niemand soll in diesem reichen Land Angsthaben, durch Krankheit oder durch Pflegebedarf in Exis-tenznot zu geraten . Das ist unsere Vorstellung von Soli-darität . So geht Gerechtigkeit .
Vielen Dank . – Für die CDU/CSU spricht jetzt die
Kollegin Maria Michalk .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ja – wir haben es gerade wieder gehört; Frau Vogler hates vorgetragen –, Kern der beiden Anträge der Linken istes, auf alle Einkommen Beiträge zu erheben,
keine Beitragsbemessungsgrenze vorzusehen .
Außerdem steht darin: Private Krankenkassen werdenabgeschafft,
Parität muss wiederkehren, Zuzahlungen fallen weg, Zielist eine Einwohnerversicherung .
Ihre Bürgerversicherung, die Sie jetzt beschrieben ha-ben, klingt herrlich, klingt wirklich verlockend .
– Sie ist nicht gut . Dabei gibt es ganz viele Fallstricke .Die werde ich jetzt aufzählen . – Wir jedenfalls wollendiese sogenannte Einheitsversicherung nicht . Das erin-nert uns an den Sozialismus . Der Sozialismus lässt grü-ßen .
Sie wissen ganz genau, dass dahinter auch nicht dieMehrheit in unserem Land steht, weder die Versichertennoch die Leistungserbringer . Das haben in der Anhörungganz deutlich die Stellungnahmen, die zu Ihren Anträgengekommen sind, gezeigt .
Dennoch setzen wir uns mit Ihren Argumenten ausei-nander . Liebe Frau Vogler, Sie sind eine nette Kollegin,aber wir müssen uns mit Ihren Argumenten auseinander-setzen . Deshalb die erste Frage von mir: Was hat dennunser jetziges System eigentlich bewirkt? Wo stehen wirdenn? Das dürfen Sie ja hier nicht so einfach wegwi-schen .Deutschland hat im internationalen Vergleich ein sehrleistungsstarkes, eigentlich das leistungsstärkste Gesund-heitssystem . 85 Prozent der Menschen in unserem Landsind sehr zufrieden . Das heißt nicht, dass es nicht Einzel-beispiele gibt, bei denen man nachbessern muss . Daraufkomme ich gleich zu sprechen .Jedenfalls haben wir einen hohen Standard . Alle ha-ben den Zugang – flächendeckend – zu einer guten Kran-kenhausversorgung sowie zu einer Versorgung mit Haus-,Fach- und Zahnärzten sowie mit Angehörigen weitererBerufe aus dem Gesundheitswesen . Wir haben einen in-ternationalen Spitzenplatz und schnellen Zugang für je-den zu allen Innovationen . Da wird niemand aussortiert .
Wenn er zum Beispiel in eine Notfallbehandlung kommt,bekommt er komplett das gesamte Spektrum, das zurVerfügung steht . Die Zugangshürden sind nämlich sehrgering . Das ist nicht einfach so wegzuwischen . JederBürger ist auch versichert, und jedem wird geholfen . Wirhaben de facto, wenn Sie so wollen,
nach meinem Verständnis von Bürgerversicherung dieseschon . Denn jeder Bürger bekommt die Leistung, die erbraucht .
Damit das so bleibt, haben wir in dieser Wahlperio-de – das haben Sie anerkannt – viele Schritte vollzogen,die aus Sicht der Bürgerschaft wirklich wichtig sind, undgenau auf die Bedingungen reagiert, die sich in unsererGesellschaft vollziehen, nämlich auf die demografischeEntwicklung, den medizinischen Fortschritt, den wir allewünschen, und viele andere Dinge . Die Rahmenbedin-gungen haben wir tatsächlich verbessert .Klar: Wir bekämpfen vor Ort immer wieder Situati-onen . Wir sind uns einig, dass es durchaus Fälle gibt, indenen eine Hausarztpraxis auf dem Land nicht neu- oderwiederbesetzt werden kann . Dafür haben wir die Mög-lichkeit für MVZ geschaffen. Die Kassenärztlichen Ver-einigungen geben Unterstützung . Wir haben das Medi-zinstudium reformiert . Jetzt kommt es darauf an, dass wirdas alles umsetzen . Deshalb glaube ich, dass wir in dieserWahlperiode genau die richtigen Akzente gesetzt haben .
Bitte nehmen Sie zur Kenntnis – jetzt sage ich einpaar Zahlen –, dass im ersten Quartal des laufenden Jah-res 2017 durch die Rahmenbedingungen, die wir in unse-rem Land haben, das GKV-System stabil ist . Wir habeneinen Überschuss von 612 Millionen Euro, 58,2 Milliar-den Euro Einnahmen, 57,6 Milliarden Euro Ausgaben .Die Steigerung der Einnahmen um 4,2 Prozent liegt hö-her als die der Ausgaben mit 3,9 Prozent .
Kathrin Vogler
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Das können Sie nicht wegwischen . Klar sind das vorläu-fige Zahlen. Aber die Finanzreserven der Krankenkas-sen – das kann man auch nicht wegwischen – stiegen auf16,7 Milliarden Euro . Und im Gesundheitsfonds habenwir eine Reserve in Höhe von 9,1 Milliarden Euro . Des-halb sage ich Ihnen: Unser Gesundheitswesen steht aufsehr stabilen Füßen .
Man muss auch einmal erwähnen: Die Wertschöpfungdurch die deutsche Gesundheitswirtschaft bezogen aufdas BIP – Sie alle wissen, dass wir ganz viele Gesund-heitsbetriebe haben, die übrigens fast 7 Millionen Ar-beitsplätze sichern – liegt bei 12 Prozent . Im Vergleich zuanderen Branchen ist das enorm . Des Weiteren sage ichIhnen auch: Die Gesundheitswirtschaft hat einen Anteilan den gesamtdeutschen Exporten von 8,2 Prozent . Washeißt das? Das bedeutet, dass unsere Produkte und unse-re Innovationen im Grunde genommen auch in anderenLändern sehr gewünscht sind . Das ist doch ein Beweis,dass wir hier gut gewirtschaftet haben .Man könnte sich zweitens fragen: Wenn wir so gut fi-nanziell dastehen – das haben Sie ja richtigerweise auchgefragt –, warum geben wir nicht mehr aus? Unsere Ant-wort: Bitte keine Experimente! Wir haben die Einheits-versicherung vor 25 Jahren abgeschafft und haben auchnoch in Erinnerung, was das alles bewirkt hat . Ich gehejetzt beispielhaft auf vier Einzelpunkte ein .Die Lohnnebenkosten sind stabil . Sie für die Unter-nehmen kalkulierbar zu halten, ist ein echtes Wirtschafts-thema, das aber auch uns Gesundheitspolitiker interes-siert. Denn wenn die Wirtschaft floriert, haben wir mehrBeitragseinnahmen in unserem Krankenversicherungs-system . Diesen Zusammenhang müssen wir als Gesund-heitspolitiker sehen . Ich weiß, dass Sie das nicht sehen;wir tun das aber . Vor diesem Hintergrund müssen wir dieRahmenbedingungen für wirtschaftliche Tätigkeit in un-serem Land ausgewogen halten .Zweiter Punkt . Das duale Versicherungssystem ausGKV und PKV, das Sie abschaffen wollen,
ist ein echter Innovationsfaktor, weil der Wettbewerbzwischen beiden Systemen bewirkt, dass sie sich mitei-nander vergleichen . Dadurch entsteht ein aktueller Leis-tungskatalog für Versorgungs- und Therapieangebote .Wenn ein System vorlegt, gerät das andere in Verzug undumgekehrt . Sie befruchten sich also gegenseitig .
Die Vergleichbarkeit nutzt auch den Versicherten; dennwenn es keine Vergleichbarkeit gäbe, wäre der Leistungs-katalog der GKV vornehmlich auf die Grundversorgungbeschränkt . Erst so kämen wir zu einer Zweiklassenme-dizin; das führte nämlich vielleicht dazu, dass sich nurdie Gutbetuchten eine Zusatzversicherung leisten kön-nen, um sich weitere Leistungen zu kaufen . Das dualeVersicherungssystem liegt also im Sinne der Versichertenund stellt kein Problem dar, sondern wirkt als stabilisie-render Faktor .Auf die verfassungsrechtlichen Aspekte Ihres Vor-schlags will ich erst gar nicht eingehen . Ich habe nochkeine Berechnung gesehen, die Ihre Behauptung, die Siegerade aufgestellt haben, belegt, dass, wenn alle den glei-chen Beitrag zahlen und wir eine Einheitskasse haben,die Beiträge wirklich sinken und Mehrausgaben getätigtwerden können . Eine solche Berechnung haben Sie nichtvorgelegt .
Die IGel-Studie hat außerdem bewiesen, dass neben ei-nem erneuten Aufbau von Bürokratie viele Arbeitsplätzeverloren gehen würden .
Drittens. Zur Parität, die Sie abschaffen wollen,
sage ich Folgendes: Dahinter steht die Befürchtung,dass sich der kassenindividuelle Zusatzbeitrag für Ar-beitnehmer exorbitant entwickeln wird . Im Sommer voreinem Jahr wurde prophezeit, dass der durchschnittlicheZusatzbeitrag von 1,1 Prozent exorbitant steigen wird .Verrückte Zahlen waren in der Welt . In Wahrheit ist derBeitrag stabil geblieben . Natürlich müssen die einzelnenKassen individuell reagieren . Aber im Grunde genom-men ergibt sich aus dem vorhandenen Prinzip, dass derSchätzerkreis die wirtschaftliche Situation bewertet unddarauf basierende Empfehlungen ausspricht, verbundenmit der Autonomie der Krankenkassen ein gutes System,was auch mehr Transparenz für die Versicherten ermög-licht .Als vierten Punkt nenne ich die Bemessungsgrenze .Ja, das ist ein Thema . Richtig ist die Feststellung, dassder derzeitige Mindestbeitrag für Selbstständige zu über-prüfen ist . Wir wissen, dass manche durch die derzeitigeRegelung überfordert sind . Sie dürfen aber nicht verken-nen, dass wir eine Regelung beschlossen haben, die –analog zum Lohnsteuerausgleich – die Vorläufigkeit derBeiträge regelt . Das ist eine echte Erleichterung . Überdie Bemessungsgrenze werden wir aber in der nächstenLegislaturperiode tatsächlich noch einmal diskutierenmüssen . Wo soll eigentlich diese Grenze liegen? Auf nullkönnen wir sie nicht senken . Die Anhörung hat gezeigt,dass es viele Vorschläge gibt und die Spanne von 400 biszu 1 200 Euro reicht . Wir müssen nur darauf achten, dassbei den freiwillig gesetzlich Versicherten im Vergleich zuden Solo-Selbstständigen in der privaten Versicherungkeine neuen Widersprüche auftreten . Das ist mir wichtig .Man könnte jetzt die Frage stellen: Wo besteht eigent-lich Änderungsbedarf? Diese Frage stelle ich jetzt nicht .Wir sagen nämlich: Unser System ist in Ordnung . Wirmüssen auf aktuelle Entwicklungen maßvoll reagieren,Anpassungen vornehmen und dürfen nicht das Kind mitdem Bade ausschütten, wie Sie es vorhaben . Wir würdenMaria Michalk
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uns sonst an der kommenden Generation versündigen;und das geht mit der Union überhaupt nicht .
Die künftige Generation ist von nun an mein Thema .Das war meine letzte Rede im Deutschen Bundestag . Ichwerde mich der künftigen Generation mehr widmen . Ichbedanke mich bei allen, die mich in all den Jahren im Ge-sundheitsausschuss, aber auch in den anderen Ausschüs-sen begleitet haben . Es war eine sehr konstruktive undarbeitsintensive Zeit . Sie alle waren nette Kollegen, undich werde Sie in guter Erinnerung behalten . Ich wünscheallen, die erneut kandidieren, viel Erfolg . Vor allen Din-gen möchte ich mich bei meiner Arbeitsgruppe bedan-ken, bei den Mitarbeitern im Ministerium und natürlichbei den Mitarbeitern hier im Haus .Frau Präsidentin, wenn ich das noch sagen darf: Siewaren die Erste, der ich als junge Abgeordnete eineschriftliche Frage zu Versorgungslücken in der ambulan-ten Versorgung – Sie waren damals Gesundheitsministe-rin – gestellt habe . Dass ich meine letzte Rede jetzt un-ter Ihrem Vorsitz halten darf, ist ein gutes Omen . Dankeschön . Wir kommen vorwärts .Vielen Dank .
Vielen Dank, Frau Kollegin, auch im Namen des ge-samten Hauses für Ihr Engagement in all den Jahren . Ichgehe natürlich davon aus, dass meine Antwort Sie damalssehr zufrieden gestellt hat . Ich freue mich auch, dass ichIhnen jetzt hier für alle Abgeordneten alles Gute für denweiteren Lebensweg und hoffentlich ein bisschen mehrZeit für das, was Ihnen Spaß macht, wünschen kann .Herzlichen Dank!
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Maria Klein-Schmeink .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine liebe Namens-vetterin Maria Michalk, auch von meiner Seite ein herz-liches Dankeschön für die Zusammenarbeit . In unserenFunktionen als gesundheitspolitische Sprecherinnen ha-ben wir zusammen zum Schluss durchaus einiges inter-fraktionell zustande gebracht . Es gab also nicht nur denpolitischen Streit, sondern tatsächlich auch Zusammen-arbeit, und dafür bedanke ich mich . Ich möchte Ihnenalles Gute für Ihren weiteren Weg wünschen .
Kommen wir nun zum politischen Streit . Dazu mussich vorweg sagen: Wir haben zehn Minuten hören kön-nen, wie Sie die Vorzüge des deutschen Gesundheitssys-tems beschworen und zu Recht auch beschrieben haben .Ja, es ist so: Heute kann jeder unabhängig von seinemEinkommen sicher sein, dass er Zugang zu einer gutengesundheitlichen Versorgung hat . Nicht immer ist allesschon gut; aber im Wesentlichen ist es eine verlässlicheVersorgung, und zwar auf hohem Niveau, und das, FrauMichalk, ist tatsächlich Resultat der gesetzlichen Kran-kenversicherung, die auf dem Prinzip der Solidarität be-ruht und genau diese gute Versorgung möglich macht .
Knapp 90 Prozent der Bevölkerung sind gesetzlichversichert . Alle Umfragen zeigen, dass sie sehr zufriedensind mit dieser Versicherung . Nur knapp 10 Prozent sindprivat versichert, und davon sind wiederum auch nochfast die Hälfte Beamte . Wer also den Systemwettbewerbzwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherungals Geheimnis der guten Versorgung in Deutschland be-schwört, der liegt daneben .
Im Gegenteil: Die gute Versorgung ist gerade ein Resul-tat der solidarischen Finanzierung in der gesetzlichenKrankenversicherung .
Wenn wir darüber reden, dann müssen wir natürlichauch darüber reden, dass das Nebeneinander von gesetz-licher und privater Krankenversicherung in der Tat nichtförderlich ist für ein gutes System .
Es ist nicht nur eine Gerechtigkeitsfrage, sondern es istauch eine Versorgungfrage .
Deshalb ist es so wichtig, dass wir aus Gerechtigkeits-gründen, aber auch aus Versorgungsgründen da endlichzu einer Weiterentwicklung unseres Gesundheitssystemsund der Finanzierung unserer Gesundheits- und Pflege-kosten kommen .
Das ist doch der eigentliche Punkt .Wer sagt: „Es ist doch alles gut; dann lass uns dochalles so lassen, wie es ist“, der begreift eben nicht, dassnichts so bleibt, wenn wir uns den Veränderungen undden Herausforderungen nicht stellen . Gerade deshalb istes wichtig, dass wir an diese Baustelle gehen .
Insofern kann man ganz klar sagen: Wir haben ein ge-meinsames Ziel mit den Linken und auch mit der SPD,nämlich dass wir die solidarische Kranken- und Pflege-versicherung weiterentwickeln hin zu einem integriertenMaria Michalk
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 242 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 28 . Juni 2017 24865
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Krankenversicherungssystem, in dem es eben nicht mehrdas Nebeneinander von gesetzlicher und privater Versi-cherung gibt . Es hat wichtige Vorteile, wenn wir diesesThema anpacken .Das hat einmal den Vorteil, dass wir auch in Zukunfttatsächlich eine nachhaltige und verlässliche Finanzie-rung zustande bringen . Die Zeiten, in denen Rückstel-lungen und der Aufbau von Rücklagen möglich waren,sind bald vorbei, und dann müssen wir uns fragen: Sindwir wirklich für die Herausforderungen der Zukunft ge-rüstet? Wir meinen, nein; vielmehr brauchen wir endlicheine Erweiterung der Einnahmebasis für die gesetzlicheKrankenversicherung und auch für die Pflegeversiche-rung, indem wir alle Einkommensgruppen und alle Be-völkerungsgruppen einbeziehen .
Es ist doch ein Witz, dass nun ausgerechnet diesebesonders gute Versorgung und Finanzierung nur vonden kleinen Einkommen und den mittleren Einkommengestemmt werden muss und nicht von den hohen Ein-kommen, gerade nicht von den Bevölkerungs- und Be-rufsgruppen, die viel verdienen, die eigentlich viel mehrbeitragen können, aber trotzdem von diesem guten Sys-tem profitieren. Deshalb müssen wir dieses Thema an-gehen .
Aber wir müssen es auch aus Versorgungsgründen an-gehen . Wir müssen feststellen, dass es heute gerade imländlichen Raum immer schwieriger wird, die fachärzt-liche Versorgung sicherzustellen . Das hat damit zu tun,dass wir Fehlanreize im System haben . Ein Fehlanreizist, dass sich Fachärzte genau da niederlassen, wo vielePrivatversicherte sind, weil man für die Behandlung vonPrivatversicherten mehr Honorar erhält . Aufgrund die-ses Fehlanreizes wird sich die Versorgung im ländlichenRaum, in den strukturschwachen Räumen in Zukunftganz schwierig gestalten . Deshalb müssen wir gegen-steuern
und dafür sorgen, dass dieses unsolidarische, aber auchunsinnige Nebeneinander von gesetzlicher und privaterKrankenversicherung abgelöst wird .
Das war jetzt ein schönes Schlusswort, Frau Klein-
Schmeink .
Ansonsten werbe ich dafür, dass wir morgen diese
Diskussion engagiert fortsetzen . Dann werden wir näm-
lich über den Antrag der Grünen zur Bürgerversicherung
reden . Einen Nachteil haben die Anträge der Linken nun
wirklich: Sie schießen über das Ziel hinaus . Eine Ab-
schaffung der Beitragsbemessungsgrenze in der Form,
wie Sie das fordern, wird verfassungsrechtlich nicht be-
stehen . Sie beschädigen mit solch überzogenen Forde-
rungen unser eigentlich gemeinsames Projekt .
Das ist jetzt aber das letzte Wort .
Da wünsche ich mir auch bei Ihnen noch einmal viel
Nachdenken .
Danke schön für Ihr Zuhören .
Danke . – Jetzt hat Helga Kühn-Mengel für die
SPD-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-legen! Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher! FrauKollegin Michalk, wir sind zwar Koalitionspartner, aberein bisschen kritisch kommentieren muss ich das schon .Wir haben ein sehr gutes Gesundheitssystem, aber ichglaube nicht, dass wir an der Spitze liegen . Andere Ländersind in Sachen Qualität und auch bei der Lebenserwar-tung weiter als wir . Wir investieren sehr viel in unser Sys-tem, aber nicht überall sind – trotz aller Anstrengungen,die wir unternommen haben – die Resultate entsprechend .Wenn Sie sagen: „Wir haben viele Reserven und In-novationen“, dann dazu Folgendes: Die Reserven sind inden letzten Jahren nicht zuletzt durch die hinter mir sit-zende Präsidentin in Zeiten, als sie noch Gesundheitsmi-nisterin war, angelegt worden, und dafür hat sie sehr vielKritik bekommen . Innovationen – das Stichwort ist auchgefallen – verbinde ich, liebe Kolleginnen und Kollegen,mit dem System der gesetzlichen Krankenversicherung .
Kein System hat so viel für Qualität, für Patientenschutzund für Innovation getan wie das gesetzliche . Hier mussman bei der Wahrheit bleiben .Es wird seit vielen Jahren diskutiert, ob es sinnvollist – Kollegin Klein-Schmeink erwähnte es –, zwei Versi-cherungssysteme nebeneinander vorzuhalten . Ein Versi-cherungssystem mit einer Vollversicherung auch im pri-vaten Bereich gibt es nur bei uns . Die Niederlande habenihres vor einiger Zeit abgeschafft, und zwar, so kann mansagen, mit gutem Erfolg und großer Akzeptanz .Die Bürgerversicherung ist deshalb ein Thema, weilwir im Zusammenhang mit dem Gesundheitssystem im-mer über die Finanzierung, über Strukturen, über Ver-Maria Klein-Schmeink
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 242 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 28 . Juni 201724866
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sorgung, über Gerechtigkeit und nicht zuletzt auch überZukunftsfähigkeit reden müssen . Es gab in den letztenJahren auch Entscheidungen, die vielleicht, wie die Me-diziner immer sagen, suboptimal waren, die nämlich un-ter dem Vorwand getroffen wurden, das System für dieZukunft abzufedern . Das führte nicht nur zur Einführungbzw . Erhöhung von Zuzahlungen und zur Ausgliederungvon Leistungen, sondern auch zu einem Sonderbeitragfür die Versicherten in Höhe von 0,9 Prozentpunkten .Mit dem GKV-Finanzierungsgesetz im Jahr 2010 wurdeder Arbeitgeberbeitrag schließlich bei 7,3 Prozent fest-geschrieben .Was bedeutet diese Festschreibung? Alle Gesetze, diewir hier in dieser Legislatur erarbeitet und beschlossenhaben, sind wirklich gute Instrumente . Aber die höherenKosten, die sich daraus ergeben, werden nur noch vonden gesetzlich Versicherten finanziert. Ich nenne einigeBeispiele: die Verbesserung in der ambulanten und sta-tionären Versorgung, die strukturellen, finanziellen undpersonellen Verbesserungen in der Pflege, die Verbes-serung in der Prävention . Also, die weniger Einkom-mensstarken zahlen die Gesundheitsförderung und dieVerbesserungen bei der Behandlung gesundheitlicherBeeinträchtigungen ganz allein .Die Verbesserung in der Hospizarbeit, das E-Health-Gesetz, die Überprüfung der Qualität, die wir Gott seiDank auf den Weg gebracht haben, Innovationsfonds,Versorgungsforschung – das alles sind wichtige Sachen,die in den kommenden Jahren zu weiter steigenden Be-lastungen führen werden . Nicht nur die Einseitigkeit wirdals ungerecht empfunden, sondern auch die Tatsache –davon bin ich wie die gesamte SPD fest überzeugt –,dass unter diesen Umständen für die Arbeitgeber keineMotivation besteht, gute Strukturen im Gesundheitssys-tem weiter zu verbessern, auf die Qualität zu achten oderBeitragssätze stabil zu halten .
Deswegen sagen auch wir: Das Ziel ist die paritäti-sche Bürgerversicherung . Parität bedeutet, Arbeitgeberund Versicherte sollen den gleichen Anteil am Versiche-rungsbeitrag zahlen . Im Übrigen muss man sagen, dasseine Erhöhung des Arbeitgeberanteils von jetzt 7,3 Pro-zent auf paritätische 7,85 Prozent nicht den Untergangdes Landes bewirken würde . Es gibt dazu ganz eindeutigeZahlen . Eine Handwerkerstunde kostet im Durchschnitt56,73 Euro . Hier würde die Parität zu einer Erhöhung von8 Cent führen . Das hat nicht die deutsche Sozialdemo-kratie berechnet, sondern die Handwerkskammer in derRegion Stuttgart . Das sind wirklich interessante Zahlen .Die Höhe der Beitragsbemessungsgrenze ist immerwieder in der Diskussion . Sie ist in der Krankenversiche-rung deutlich niedriger als in der Rentenversicherung .Deswegen sagen wir: Es wäre ein Zeichen von Gerech-tigkeit, hier moderat anzugleichen . Das würde viel brin-gen und auch dazu führen, dass wieder mehr Menscheneine bessere Versorgung erleben . Es wird als ungerechtempfunden, dass nur bis zu dieser Beitragsbemessungs-grenze, die bei 4 237,50 Euro liegt, verbeitragt wird . Die-jenigen, die darüber hinaus verdienen, also die mit denstarken Schultern, zahlen relativ gesehen weniger . Daskann man ändern .
Ökonomisch gesehen ist das Nebeneinander von pri-vater und gesetzlicher Krankenversicherung nicht be-gründbar . Ich sage immer: Die Privatversicherten könnenauch Leistungen ausschließen und sich sozusagen dieRosinen herauspicken; Cherry Picking heißt das .
– Natürlich machen die das . Ich kann Ihnen viele Briefezeigen . Man muss sich auch einmal anschauen, was dortüberflüssigerweise an Eingriffen erfolgt.Wenn die private Versicherung nicht so gut ist wie diegesetzliche, fragt man sich: Warum muss sie es geben?Wenn sie wirklich besser ist, muss man fragen: Warumhaben es die anderen nicht auch?
Vielen Dank . – Ich weiß nicht, ob das heute – es schien
schon letzte Woche der Fall zu sein – Ihre endgültig letzte
Rede war, Frau Kühn-Mengel . Von dieser Stelle herzli-
chen Dank für Ihr Engagement .
Wir kommen dann zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/12939 mit
dem Titel „Solidarische Gesundheits- und Pflegeversi-
cherung einführen“ . Wer stimmt für diesen Antrag? – Die
Linke . Wer stimmt dagegen? – Die Koalition . Wer ent-
hält sich? – Die Grünen . Damit ist der Antrag abgelehnt .
Damit kommen wir zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit zu
dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Soli-
darische und gerechte Finanzierung von Gesundheit und
Pflege“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/12932, den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/11722 abzuleh-
nen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Ent-
haltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das war eben nicht
nur die letzte Rede von Frau Kühn-Mengel, sondern auch
die letzte Rede der heutigen Debatte . Damit sind wir am
Schluss der heutigen Tagesordnung angekommen .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Donnerstag, den 29 . Juni 2017, 9 Uhr,
ein .
Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen noch
einen angenehmen Abend .