Gesamtes Protokol
Einen schönen guten Tag, liebe Kolleginnen und Kol-legen! Ich eröffne die Sitzung .Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich Ihnen nocheinige Mitteilungen zu machen: Interfraktionell ist ver-einbart worden, die Fragestunde zu verkürzen – ichhoffe, das ist in Ihrem Sinn – und den Tagesordnungs-punkt 3 – das ist der Bericht des Unabhängigen Exper-tenkreises Antisemitismus – in verbundener Beratungmit dem Antrag „Antisemitismus entschlossen bekämp-fen“ und unter Beibehaltung der Debattenzeit von 60 Mi-nuten um 14 .35 Uhr aufzurufen . Danach soll die von derFraktion Die Linke verlangte Aktuelle Stunde mit demTitel „Kindern das Schwimmenlernen ermöglichen –Auswirkungen von Privatisierungen und Schwimmbad-schließungen“ folgen . Nach der Antisemitismusdebattekommt also die Aktuelle Stunde .Der Antrag mit dem Titel „Verlegung des Bundes-wehrkontingents von Incirlik nach Al Azraq zügig durch-führen“ soll unter Beibehaltung der Debattenzeit von25 Minuten zusammen mit dem Tagesordnungspunkt 4beraten werden . Sie wissen, dass wir dazu namentlicheAbstimmungen haben .Des Weiteren soll der Entwurf eines Gesetzes zurDurchführung der Verordnung Nr . 910/2014 desEuropäischen Parlaments und des Rates vom 23 . Juli2014 über elektronische Identifizierung und Vertrauens-dienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarktund zur Aufhebung der Richtlinie 1999/93/EG auf derDrucksache 18/12494 dem Innenausschuss zur Mitbera-tung überwiesen werden .Ebenso soll die Unterrichtung der Bundesregierungüber die Stellungnahme des Bundesrates auf der Druck-sache 18/12716 zu dem bereits überwiesenen Entwurfeines Gesetzes zu der am 19 . Juni 1997 beschlossenenUrkunde zur Abänderung der Verfassung der Internati-onalen Arbeitsorganisation dem federführenden Aus-schuss für Arbeit und Soziales überwiesen werden .Schließlich soll die Unterrichtung der Bundesregie-rung über die Stellungnahme des Bundesrates auf derDrucksache 18/12717 zu dem bereits überwiesenen Ent-wurf eines Gesetzes zur Änderung des Übereinkommensüber den internationalen Eisenbahnverkehr vom 9 . Mai1980 dem federführenden Ausschuss für Verkehr und di-gitale Infrastruktur überwiesen werden .Ich gehe davon aus, dass Sie mit diesen Vorschlägeneinverstanden sind, weil ich keinen Widerspruch seheund höre . Dann ist das so beschlossen . – Vielen Dank,liebe Kolleginnen und Kollegen .Dann rufe ich den Tagesordnungspunkt 1 auf:Befragung der BundesregierungDie Bundesregierung hat als Thema der heutigenKabinettssitzung mitgeteilt: Stellungnahme der Bun-desregierung zum Gutachten der Sachverständigen-kommission zum Zweiten Gleichstellungsbericht „Er-werbs- und Sorgearbeit gemeinsam neu gestalten“.Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Berichthat die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauenund Jugend, Frau Dr . Katarina Barley, die ich in dieserFunktion zum ersten Mal begrüßen darf, und das tue ichmit großer Freude . – Sie haben das Wort, liebe Kollegin .Dr. Katarina Barley, Bundesministerin für Familie,Senioren, Frauen und Jugend:Herzlichen Dank, Frau Präsidentin . – Sehr geehr-te Kolleginnen und Kollegen! Heute sind der ZweiteGleichstellungsbericht und die Stellungnahme der Bun-desregierung zum entsprechenden Gutachten im Bun-deskabinett beschlossen und dem Deutschen Bundestagzugeleitet worden .Die Sachverständigen beschreiben die Leitidee ihresGutachtens so:Wir streben eine Gesellschaft mit gleichen Ver-wirklichungschancen von Frauen und Männern an,in der die Chancen und Risiken im Lebensverlaufgleich verteilt sind .Es geht also nicht darum, Vorgaben für ein gelingen-des Leben zu machen, sondern es geht darum, dass jederund jede die Chance hat, die eigenen Vorstellungen zuverwirklichen . Die Sachverständigen sagen gleich am
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Anfang ihres Gutachtens ganz deutlich: Wir leben der-zeit nicht in einer Gesellschaft, in der Frauen und Männerdie gleichen Chancen haben . – In den letzten dreieinhalbJahren hat sich viel verbessert; aber die Gleichstellungder Geschlechter ist noch nicht erreicht . Der Gleichstel-lungsbericht gibt konkrete Handlungsempfehlungen, wiewir das ändern können . Dafür gilt den Sachverständigenmein ausdrücklicher Dank .Der Erste Gleichstellungsbericht war mit seinen Emp-fehlungen Grundlage der Gleichstellungspolitik dieserBundesregierung, und die Ergebnisse können sich tat-sächlich sehen lassen . Das zeigt die Bilanz des ErstenGleichstellungsberichts, die wir der Stellungnahme zumZweiten Gleichstellungsbericht hinzugefügt haben . Wirhaben eine Mindestquote von 30 Prozent Frauen in denAufsichtsräten großer Unternehmen, wir haben ein Ent-gelttransparenzgesetz, das das Prinzip „Gleicher Lohnfür gleiche Arbeit“ besser zur Geltung bringt, wir bauenkontinuierlich die Kinderbetreuung aus und haben dasElterngeld Plus eingeführt, um die Vereinbarkeit von Fa-milie und Beruf zu verbessern – das nur beispielhaft .Der Zweite Gleichstellungsbericht erkennt diese Ver-besserungen an . Gleichzeitig sagt er: Wir müssen mehrtun . – Das betrifft natürlich vor allem das Schließen derLohnlücke zwischen Männern und Frauen von immernoch 21 Prozent, den sogenannten Gender Pay Gap . DerZweite Gleichstellungsbericht hat aber einen weiterenUnterschied ausgemacht . Die Sachverständigen habennämlich gefragt: Wie viel Zeit verbringen Frauen undMänner mit unbezahlten Tätigkeiten für andere, mit derErziehung von Kindern, mit der Pflege von Angehörigen,mit Ehrenämtern und auch mit der Arbeit im Haushalt?Die Fachleute haben dies als Gender Care Gap bezeich-net . Die Antwort: Männer verwenden täglich 2 Stunden46 Minuten für unbezahlte Sorgearbeit, Frauen 4 Stun-den 13 Minuten, das heißt anderthalb Stunden täglichmehr . Frauen sind damit täglich 52,4 Prozent länger mitsolchen Arbeiten beschäftigt als Männer .Eine Konsequenz daraus ist: Wir müssen diese unbe-zahlte Arbeit gerechter teilen . Das wollen nicht nur vie-le Frauen, das wollen auch viele Männer . Viele Männer,vor allen Dingen junge, wollen mehr Zeit für ihre Kinderhaben und sie nicht erst sehen, wenn sie schon schlafen .Viele Männer wünschen sich insgesamt mehr Zeit für dieFamilie, und Geschlechterrollen ändern sich .
Aber warum sieht die Lebenswirklichkeit oft doch wie-der so aus, dass die Frau die Arbeitszeit reduziert, wennein Kind kommt, und der Mann ganz normal weiterar-beitet? Der Zweite Gleichstellungsbericht sagt: auch weilstrukturelle Rahmenbedingungen sie daran hindern – zuwenig Kinderbetreuung, zu starre Arbeitszeitmodelle,niedrigere Bezahlung und ein Steuersystem, das falscheAnreize setzt . – Das müssen wir ändern .Eine zweite Konsequenz aus dem Gender Care Gapist: Wir werten die bezahlte Sorgearbeit auf . Auch Er-zieherinnen und Erzieher, Altenpflegerinnen und Alten-pfleger kümmern sich um andere Menschen. In den so-zialen Berufen sind überwiegend Frauen beschäftigt . Siearbeiten nicht unbezahlt; aber die Entlohnung in diesenfrauendominierten Berufen ist meist schlechter als in denklassischen Männerberufen . Ehrlich gesagt: Mir hat nieeingeleuchtet, warum ich jemandem, dem ich mein Kindoder meinen pflegebedürftigen Angehörigen anvertraue,weniger Geld zahlen sollte als jemandem, dem ich meinAuto oder meine Waschmaschine anvertraue .
Morgen wird im Deutschen Bundestag ein Gesetzberaten, mit dem wir die Pflegeberufe aufwerten. Wirsorgen für eine moderne Ausbildung . Es muss auch keinSchulgeld mehr bezahlt werden; es ist, glaube ich, nur intypischen Frauenberufen so, dass man für die Ausbildungnoch Geld mitbringen muss. Wir sorgen für flexiblereEinsatzmöglichkeiten und stellen eine angemessene Aus-bildungsvergütung sicher .Das ist der Weg, den wir in den sozialen Berufen ins-gesamt gehen müssen . Der Zweite Gleichstellungsbe-richt sagt: Das ist der richtige Weg, auch für die Gleich-stellung . Gehen wir diesen Weg gemeinsam weiter! DieVorschläge dafür liegen auf dem Tisch .Vielen Dank .
Vielen Dank, Frau Dr . Barley . – Sie kennen die Re-
geln: Es werden zunächst Fragen zu dem Themenbereich
gestellt, über den die Ministerin berichtet hat . Sieben
Kolleginnen haben sich gemeldet . Die erste Fragestelle-
rin ist Ulle Schauws für Bündnis 90/Die Grünen .
Vielen Dank . – Frau Ministerin, auch von uns an die-ser Stelle noch einmal herzlichen Glückwunsch zu Ihremneuen Amt . Es passt gut, dass die erste Regierungsbefra-gung ein frauenpolitisches Thema zum Inhalt hat .Das Gutachten liegt seit dem 8 . März vor . Warum hates vier Monate gedauert, bis Sie vonseiten der Bundes-regierung Ihre Stellungnahme zu diesem Gutachten ab-gegeben haben? Sie haben sich dahin gehend geäußert,dass es im Gleichstellungsbericht noch etliche Punktegibt, die man dringend angehen muss . Deswegen mei-ne zweite Frage: Welche der Punkte werden Sie in denverbleibenden Monaten Ihrer Amtszeit noch in Angriffnehmen bzw . umsetzen?Dr. Katarina Barley, Bundesministerin für Familie,Senioren, Frauen und Jugend:Vielen Dank für die Frage und auch für die Glückwün-sche . – Der Gleichstellungsbericht wurde im Mai 2015in Auftrag gegeben, im Januar fertiggestellt, vorgestelltund dann an die Ressorts zur Abstimmung weitergeleitet .In der Zielsetzung ist sich die Bundesregierung in vie-len Punkten einig, nämlich dass die Erwerbstätigenquotevon Frauen erhöht und die Vereinbarkeit von Beruf undFamilie verbessert werden muss . Es gibt weitere Punk-Bundesministerin Dr. Katarina Barley
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te, bei denen wir durchaus einer Meinung sind . Wir sindnicht immer einer Meinung gewesen, und das wird, wasdie konkreten Maßnahmen betrifft, wahrscheinlich auchin Zukunft so sein. Aber ich finde, die Beratungszeit warangemessen, um eine gemeinsame Stellungnahme derBundesregierung zu diesem Thema zu erarbeiten .
Vielen Dank .
Dr. Katarina Barley, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:
Ich möchte noch etwas zum zweiten Teil der Frage sa-
gen . Ich glaube, ich hatte noch zehn Sekunden .
Es hat sich so angehört, als wären Sie mit der Antwort
fertig .
Dr. Katarina Barley, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:
Ja, mit dem ersten Teil . – Zum zweiten Teil der Fra-
ge: In dieser Legislaturperiode können natürlich keine
Gesetzesvorhaben mehr verabschiedet werden; mit der
morgigen Verabschiedung des Pflegeberufereformgeset-
zes bringen wir ein wichtiges Projekt zum Abschluss . In
der verbleibenden Zeit geht es darum, die Linie weiter-
zuführen und Bewusstsein dafür zu bilden, dass weniger
Erwerbstätigkeit und weniger Erwerbseinkommen gera-
de in Zeiten, in denen jede dritte Ehe geschieden wird,
nicht zu einer gesicherten Rente führen und auch nicht
zu einem sicheren ökonomischen Standbein im Erwerbs-
leben . Die Bereiche Bewusstseinsbildung, Dialog und
Netzwerken können wir sehr wohl weiterführen . Und ich
hoffe, es bleibt nicht bei den vier Monaten; es können ja
noch weitere vier Jahre werden .
Nächste Fragestellerin: Pia Zimmermann für die Lin-
ke .
Vielen Dank . – Eigentlich hätten der Bundesregierung
angesichts der Diskussion über diesen Bericht doch die
Ohren klingen müssen. Insbesondere im Pflegebereich ist
es doch so, dass fast alle Reformen der letzten Jahre ein
Ungenügend bekommen haben . Meine Frage lautet: In-
wiefern folgt die Bundesregierung der Position der Sach-
verständigenkommission, grundlegend umzudenken,
zum Beispiel eine ressortübergreifende Politik für die
sozialen Berufe zu entwickeln, Sorgearbeit als Arbeits-
bereich der Zukunft zu fördern oder den Pflegebereich
nach skandinavischem Vorbild umzubauen: weg vom fa-
milienbasierten, hin zum servicebasierten Pflegesystem?
Dr. Katarina Barley, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:
Ich kann Ihre Kritik an der Bundesregierung gerade
in Bezug auf den Pflegebereich nicht nachvollziehen. In
dieser Legislaturperiode ist im Pflegebereich so viel ge-
schehen wie lange nicht . Das betrifft sowohl die Famili-
enpflege, zum Beispiel mit der zehntägigen Freistellung
von Angehörigen, wenn der Pflegefall eintritt, als auch
die Möglichkeit, danach eine Pflegeauszeit zu nehmen.
Insgesamt ist viel auf den Weg gebracht worden: die
Pflegereform, die Anerkennung einer Pflegestufe bei De-
menz. Was die bezahlte Pflegearbeit angeht, bringen wir
morgen das Pflegeberufereformgesetz auf den Weg. Es
ist ein Quantensprung, dass der Gesetzgeber mit eigenen
Maßnahmen unterstützend tätig wird, damit die Bezah-
lung und die Arbeitsbedingungen von Pflegekräften deut-
lich verbessert werden .
Die ressortübergreifende Zusammenarbeit mit dem
Bundesgesundheitsministerium hat im Übrigen ausge-
sprochen gut geklappt . Dafür an dieser Stelle noch ein-
mal herzlichen Dank .
Die nächste Fragestellerin ist die Kollegin Petra Crone
für die SPD-Fraktion .
Ich schließe mich den Glückwünschen an, obwohl ichsie natürlich schon persönlich übermittelt habe . Ich wün-sche für die restliche Zeit eine glückliche Hand .In dem Gutachten stehen sehr viele Empfehlungen .Ich möchte gerne wissen, welche Ihnen ganz besonderswichtig sind .Dr. Katarina Barley, Bundesministerin für Familie,Senioren, Frauen und Jugend:Es ist schwer, welche herauszugreifen . Das Gutachteninsgesamt ist ausgesprochen ergiebig .
Ich kann nur allen empfehlen, das Gutachten zu lesen .Einen Schwerpunkt habe ich schon herausgestellt: dieSorgearbeit, also die sozialen Berufe insgesamt . Das hatauch viel mit Wertschätzung zu tun . Menschen, die Dienstam Menschen leisten, fühlen sich oft nicht nur aufgrundder schlechteren Bezahlung zurückgesetzt, sondern auchdadurch, dass sie schlechtere Arbeitsbedingungen haben,häufig sehr unter Druck stehen und während der Ausbil-dung zum Teil Schulgeld zahlen müssen . Deswegen istder Bereich der sozialen Berufe für mich ganz wichtig .Ein weiteres Thema, das mir ganz wichtig ist, ist diewirtschaftliche Eigenständigkeit von Frauen; ich habedas eingangs schon angedeutet . Immer noch verlassensich zu viele Frauen darauf, mitversorgt zu werden . Daswar schon immer eine nicht unheikle Kalkulation . Inheutiger Zeit ist das aber noch schwerwiegender, insbe-sondere seit sich die Rechtsprechung zur Wiederaufnah-me der Berufstätigkeit im Falle einer Trennung geänderthat . Daher muss Vätern und Müttern die Möglichkeit ge-Bundesministerin Dr. Katarina Barley
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geben werden, berufstätig zu sein und auf eigenen Füßenzu stehen . Dabei hilft zum Beispiel der Ausbau der Kin-derbetreuung . Auf diesem Gebiet hat der Bund in dieserLegislaturperiode große Anstrengungen unternommen,und das wird er auch weiterhin tun .
Vielen Dank . – Die nächste Fragestellerin ist die Kol-
legin Katja Dörner für Bündnis 90/Die Grünen .
Vielen Dank, Frau Ministerin, für den Bericht . Natür-
lich auch von meiner Seite herzlichen Glückwunsch zum
neuen Amt! Ich wünsche Ihnen ein glückliches Händchen
bei den Themen, die uns allen sehr am Herzen liegen .
Das Gutachten hat den Begriff „Gender Care Gap“
in die Diskussion eingebracht bzw . prominent gemacht;
Sie haben sich dazu geäußert . Ihre Vorgängerin im Mi-
nisterinnenamt hat häufig medial einen Gesetzentwurf
zur Familienarbeitszeit angekündigt . Sie haben gerade
gesagt, dass wir in dieser Legislaturperiode nicht mehr
mit Gesetzentwürfen rechnen können . Das ist wohl so .
Ich will aber doch fragen, welche gesetzgeberischen Not-
wendigkeiten aus Ihrer Sicht ganz konkret bestehen, um
dem Gender Care Gap entgegenwirken zu können .
Dr. Katarina Barley, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:
Vielen Dank . – In dieser Legislaturperiode haben
wir diesbezüglich mit dem Elterngeld und dem Eltern-
geld Plus Fortschritte gemacht . Dadurch haben wir der
Partnerschaftlichkeit im Rahmen der Erwerbs- und Sor-
gearbeit mehr Nachdruck verliehen . Die Mehrheit der
Sachverständigen für den Zweiten Gleichstellungsbe-
richt empfiehlt die Familienarbeitszeit. Das ist auch die
Position meines Hauses; das ist ja bekannt . Wir sind nicht
der Auffassung, dass es besser ist, wenn der besserver-
dienende Elternteil – meistens ist das der Mann – Voll-
zeit arbeitet und der andere Elternteil in Teilzeit, sondern
wir sind der Auffassung, dass sich beide Elternteile bei
der beruflichen und familiären Arbeitszeitverteilung an-
nähern sollten und der Staat dies unterstützen muss . In
dieser Legislaturperiode haben wir uns nicht darauf ver-
ständigen können . Insofern nehme ich die Stellungnahme
der Sachverständigen als Auftrag mit in die nächste Le-
gislaturperiode . Damit werden sich die neuen Mehrhei-
ten befassen müssen .
Vielen Dank . – Nächste Fragestellerin: Cornelia
Möhring für die Linke .
Vielen Dank . – Ich will vorausschicken, dass auch
ich es befremdlich finde, dass die Ressortabstimmung so
viele Monate in Anspruch genommen hat und die Stel-
lungnahme hier erst in der vorletzten Sitzungswoche prä-
sentiert wird .
Aber zu meiner Frage . Das Gutachten der Sachver-
ständigenkommission bestätigt die Kritik der Oppositi-
on am Entgelttransparenzgesetz, indem festgestellt wird,
dass für tatsächliche Transparenz und Offenlegung der
Entgeltstrukturen eigentlich verbindliche Prüfverfahren
nötig sind . Im Gesetz sind nur „Bitte-bitte-Regelungen“
enthalten, also Aufforderungen an die Betriebe, diese
Prüfverfahren freiwillig einzusetzen . Ein Vertrösten auf
die nächste Wahlperiode würde mir da, ehrlich gesagt,
nicht reichen . Ich frage Sie daher, ob die Bundesregie-
rung nach diesem Sachverständigenbericht mehr Hand-
lungsbedarf sieht, Prüfverfahren einzuführen und regie-
rungsseitig Maßnahmen einzuleiten, die die Verankerung
von Prüfverfahren verbindlicher regeln .
Dr. Katarina Barley, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:
Sie wissen es so gut wie ich: Gleichstellungspolitik
ist kein Sprint, das ist ein Marathon, und manchmal sind
die Schritte, die man macht, größer, manchmal sind sie
kleiner. Ich finde, der Schritt Entgeltgleichheitsgesetz ist
ein großer Schritt; denn zum ersten Mal überhaupt bricht
man mit dem Tabu, über Gehalt zu reden, und entwickelt
einen Auskunftsanspruch . Das ist ein großer Schritt, dem
natürlich weitere folgen sollten .
Sie wissen, dass es in der Regierung unterschiedliche
Auffassungen zu diesem Thema gegeben hat und dass
das, was wir dazu verabschiedet haben, ein Kompromiss
ist . So ist es meistens in Regierungen . Nächste Schritte
machen wir, indem wir evaluieren, wie sich dieser Fort-
schritt in der Praxis auswirkt . Ich kenne persönlich eini-
ge Frauen, die darauf gewartet haben, dass dieses Gesetz
endlich in Kraft tritt, um sich erkundigen zu können, wie
die Jungs um sie herum an ihnen vorbeigezogen sind,
während sie sich nach der Elternzeit mühsam in Teilzeit
wieder in den Hierarchien nach oben arbeiten mussten .
Es wird jetzt der erste Schritt sein, zu sehen, wie sich
dieses Gesetz in der Praxis ausgewirkt hat .
Danke schön . – Angelika Glöckner wäre die Nächste .
Wo ist sie?
– Dann ist uns das falsch gemeldet worden . Sorry, das
kann schon einmal vorkommen .
Dann folgt jetzt Daniela De Ridder .
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herzlichen Dank, liebe Frau Ministerin . Auch mei-nerseits herzlichen Glückwunsch zu Ihrem neuen Amt!Auch ich wünsche Ihnen eine gute Hand, vor allem aberweise Beschlüsse .Ich bin Angehörige der Generation der Babyboo-merinnen, und wir haben vielfach die Erfahrung gemacht,dass wir Frauen aus der Fürsorge für die Kinder unmittel-bar in die Fürsorge für Mütter, Väter, Schwiegermütter,Schwiegerväter geraten . Mich würde interessieren, FrauMinisterin, ob Sie in der Ihnen verbleibenden Zeit, aberauch gern in der nächsten Legislaturperiode noch Chan-Bundesministerin Dr. Katarina Barley
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cen sehen, auch die Väter und die Männer mehr zu adres-sieren, diese Aufgaben zu übernehmen . Ihre Vorgängerinhatte ja das Elterngeld Plus sehr stark gemacht . WelcheChancen sehen Sie, das noch einmal stärker und deutli-cher zu unterstützen, und welche Expertise werden Siemöglicherweise dazu heranziehen?Dr. Katarina Barley, Bundesministerin für Familie,Senioren, Frauen und Jugend:Vielen Dank . – Wie gesagt, wird es in dieser Legisla-turperiode keine Einleitung eines neuen Gesetzgebungs-verfahrens mehr geben können; aber zum Beispiel dieImplementierung von neuen Formen der Vereinbarkeitvon Beruf und Familie in der Praxis kann man sehr wohlnoch fördern. Ich war gerade gestern bei der Zertifikats-verleihung der Hertie-Stiftung zum audit berufundfami-lie; denn wir brauchen die Unternehmer und die Unter-nehmerinnen, die Arbeitgeber und die Arbeitgeberinnenmit an Bord .Wir haben jetzt mit dem Elterngeld Plus einen großenSchritt gemacht . Die Familienarbeitszeit sieht das Sach-verständigengutachten als guten nächsten Schritt vor . Obes dazu kommt oder nicht, das müssen wir nach der Bun-destagswahl sehen . Ich will jetzt nicht spekulieren, ob ichim nächsten Kabinett die Möglichkeit haben werde, dasumzusetzen . Ich hätte nichts dagegen .
Die Nächste ist jetzt die Kollegin Dr . Dorothee
Schlegel .
Herzlichen Dank . – Frau Ministerin, auch ich wün-
sche Ihnen für den Marathon, den wir Frauen insgesamt
vor uns haben, natürlich ein glückliches Händchen und
vor allem Durchhaltevermögen .
Zu meiner Frage . Sie haben den Gender Care Gap in
Höhe von 52 Prozent erwähnt . Es gibt ja auch den Gen-
der Pension Gap, der ungefähr 53 Prozent beträgt, bei
uns in Baden-Württemberg sogar weit über 60 Prozent .
Gibt es aus Ihrer Sicht einen Zusammenhang zwischen
dem Sorge- und dem Renten-Gap und, wenn ja, welchen?
Dr. Katarina Barley, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:
Ich glaube, in der Gleichstellungspolitik gilt vielleicht
noch mehr als in anderen Politikbereichen, dass alles
mit allem zusammenhängt . Wenn man sich den Ersten
Gleichstellungsbericht vornimmt, stellt man fest: Er be-
schäftigt sich sehr ausführlich mit den Knackpunkten
in Lebensverläufen und damit, an welchen Stellen sich
entscheidet, ob Ungleichheiten entstehen . Da gibt es im
Leben von Männern und Frauen eine ganze Reihe . Dazu
gehören die Berufswahl, der Umstand, dass Kinder auf
die Welt kommen, und der Bereich der Weiterbildung; es
sind ganz viele einzelne Punkte .
Wenn man aufgrund von Sorgearbeit – ich bin mit die-
sem Begriff nur bedingt glücklich, weil er etwas von „Ich
mache mir Sorgen“ hat –, also durch die Fürsorge für
andere, zeitlich sehr gebunden ist, dann bleibt einem na-
türlich weniger Zeit, um erwerbstätig zu sein . Wenn man
beides partnerschaftlicher aufteilen könnte, wäre beiden
geholfen . Es geht also tatsächlich um die Zeit, die man
investiert . Aber wir müssen auch bei den Lohnhöhen an-
setzen . Solange frauendominierte Berufe so viel schlech-
ter bezahlt werden als andere, werden wir das Problem
des Gender Pension Gap nicht vollständig lösen können .
Birgit Kömpel ist die Nächste .
Frau Ministerin, auch von mir herzlichen Glück-
wunsch, alles, alles Gute und Durchhaltekraft für die
nächsten Monate und, wie ich natürlich hoffe, auch da-
rüber hinaus .
Als Berichterstatterinnen für die Frauenquote merken
wir – das habe ich und das haben sicherlich auch Sie ver-
folgt –, wie sie wirkt . Wir stellen fest: Die Frauenquote
wirkt tatsächlich . Trotzdem würde ich gerne von Ihnen
erfahren: Welche weiteren Maßnahmen würden Sie uns
Parlamentariern für die nächste Legislaturperiode und
darüber hinaus empfehlen, und was würden Sie uns im
Hinblick auf die Quote nicht nur bei Führungskräften,
sondern auch bei Frauen und Männern empfehlen? Oder
glauben Sie, dass das, was wir bisher gemacht haben, erst
einmal ausreicht?
Dr. Katarina Barley, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:
Da muss ich gar keine Empfehlungen aussprechen .
Das tut die Sachverständigenkommission, die ganz klar
feststellt, dass die Quote wirkt . Wir hatten eine lange
Phase der freiwilligen Selbstverpflichtung, in der sich
gar nichts bewegt hat . Wir haben gesehen, dass in allen
Unternehmen, in denen die 30-prozentige Quote jetzt zur
Anwendung kam, die Besetzung mit einer Frau gelun-
gen ist . Wenn ich es etwas ketzerisch sagen darf: Danach
ist, glaube ich, in keinem Unternehmen ein dramati-
scher Kurseinbruch festzustellen gewesen; aber das nur
am Rande . Die Sanktion eines leeren Stuhls, wenn man
keine geeignete Frau findet, musste nirgendwo greifen,
weil es natürlich genug qualifizierte Frauen gibt. Es ging,
glaube ich, um eine Größenordnung von etwa 170 Perso-
nen, die in ganz Deutschland gefunden werden mussten .
Dazu, wie mit diesem Thema weiter umzugehen ist,
gibt es in der Bundesregierung keine einheitliche Mei-
nung; ich stehe ja hier als Vertreterin der Bundesregie-
rung . Insofern gibt es dazu auch in der Stellungnahme
keine ausdrückliche Empfehlung . Ich kann nur noch
einmal sagen: Der Sachverständigenrat empfiehlt, diese
Regelung durchaus auszuweiten .
Ich muss ein bisschen auf die Zeit achten . Es gibt nochvier Kolleginnen, die eine zweite Frage zu diesem Be-richt stellen wollen . Weil es auch noch Fragen zu wei-teren Themen der Kabinettssitzung gibt, lasse ich diesevier Fragen noch zu, aber dann keine weiteren mehr .Dr. Daniela De Ridder
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Die Erste ist Ulle Schauws .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Zentrale Punkte,
die die Gleichstellung behindern – das ist nicht neu und
kommt nicht nur im Zweiten Gleichstellungsbericht, son-
dern auch im Ersten Gleichstellungsbericht und in vielen
weiteren Erkenntnissen, die wir haben, zum Ausdruck –,
sind das Ehegattensplitting, die kostenlose Mitversiche-
rung, aber vor allen Dingen auch die Minijobs . Wie wir
gerade gehört haben, wurde Ihnen von Ihren Kolleginnen
für Ihre Arbeit in den nächsten Monaten alles Gute ge-
wünscht . Insofern noch einmal die Frage an Sie – auch
wenn Sie keinen Gesetzentwurf mehr auf den Weg brin-
gen werden –: Was wollen Sie im Hinblick auf diese
wirklich großen Themenblöcke in Ihrem Ministerium
noch voranbringen? Was muss sich hier ändern? Was
muss sich zeitnah und insbesondere mit dem Fokus auf
Minijobs ändern? Wie lautet Ihr Vorschlag dazu?
Dr. Katarina Barley, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:
Die Aussage der Sachverständigenkommission dazu
ist recht klar: dass nämlich die Anreize im Steuersystem,
die Frauen an einer Erwerbstätigkeit hindern, möglichst
aufzugeben sind . Hier gibt es sehr unterschiedliche An-
satzpunkte .
Im Koalitionsvertrag gab es eine Vereinbarung darü-
ber, dass Maßnahmen dafür ergriffen werden sollten, Mi-
nijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungs-
verhältnisse zu überführen . Darüber konnte im Laufe
dieser Legislaturperiode keine Einigung erzielt werden .
Insofern haben wir hier keine Maßnahmen vorzuweisen .
Auf dieses ganze komplexe Themenfeld muss sich
tatsächlich die nächste Regierung verständigen . Die Aus-
sagen der Sachverständigenkommission sind hier aber
absolut klar .
Vielen Dank . – Pia Zimmermann .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Frau Ministerin
Barley, im Gutachten wird zum Fachkräftemangel in
der Pflege deutlich gemacht, dass die normalen Markt-
mechanismen von Angebot und Nachfrage einfach nicht
funktionieren . Meine Frage ist, welche strukturellen
Veränderungen Sie sich vorstellen können und welche
Maßnahmen Ihrer Meinung nach nötig sind, um diesem
Fachkräftemangel wirklich wirksam entgegenzutreten .
Dr. Katarina Barley, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:
Im Gesamtkomplex Arbeitswelt gibt es auf der einen
Seite natürlich die Maßnahmen, die der Gesetzgeber tref-
fen kann, und auf der anderen Seite die Maßnahmen im
tariflichen Bereich. Sie wissen, dass unser Ressort bei
den Pflegeberufen schon einen großen Schritt gegangen
ist . Bei den anderen sozialen Berufen sind wir noch nicht
so weit .
Wenn Sie mich jetzt persönlich fragen, dann sage ich:
Ich glaube, dass ein Tarifvertrag für die sozialen Berufe
notwendig ist . Das hat ja auch schon die Bundesarbeits-
ministerin erwähnt . Das ist aber eben kein Vorhaben, das
im Rahmen dieser Bundesregierung umzusetzen gewe-
sen wäre .
Vielen Dank . – Katja Dörner, bitte .
Vielen Dank . – Ich würde gerne zum Komplex „Al-
terssicherung und Altersarmut von Frauen“ fragen .
Uns ist hinlänglich bekannt – das Gutachten belegt das
ja auch erneut –, dass der Gender Pay Gap quasi automa-
tisch in den Gender Pension Gap führt, und es ist uns,
glaube ich, auch allen klar, dass die Rentenversicherung
das nicht ausgleichen kann . Deshalb würde ich von Ihnen
gerne wissen, Frau Ministerin: Was sind nach Ihrer Ana-
lyse die zentralen Elemente, die man angehen müsste,
um der Altersarmut von Frauen zukünftig wirksam ent-
gegentreten zu können?
Dr. Katarina Barley, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:
Man muss hier zwischen den Generationen differen-
zieren:
Die Frauen, die noch am Beginn ihres Erwerbslebens
stehen, haben natürlich deutlich mehr Möglichkeiten,
ihr Leben so zu gestalten, dass Altersarmut sie nicht be-
treffen wird . Das beginnt bei der Berufswahl . Ich denke,
dass die Beratung darüber, welche Berufe man anstreben
kann, mit der Beratung darüber einhergehen muss, was
man dabei verdient und was für eine Rentenerwartung
man dadurch haben wird . Es muss also ein frühzeitiges
Bewusstsein geschaffen werden .
Für diejenigen, die mitten im Berufsleben stehen,
kommt es darauf an, dass wir vor allen Dingen die Mög-
lichkeit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie weiter
verbessern . Hier sind wir auf einem guten Weg – insbe-
sondere hinsichtlich der Kinderbetreuung .
Bei denjenigen, die jetzt schon kurz vor dem Renten-
eintritt stehen, greifen diese Maßnahmen natürlich nicht
mehr . Für sie müssen Maßnahmen im rentenpolitischen
Bereich ergriffen werden .
Vielen Dank . – Die letzte Fragestellerin zu diesem
Thema ist Cornelia Möhring .
Vielen Dank . – Ich will versuchen, eine Abschlussfra-ge zu stellen .Das Gutachten listet, wie wir eben schon gehört ha-ben, eine ganze Reihe von Handlungsempfehlungen auf .Mich würde interessieren, welche Schwerpunktsetzungbeim Abarbeiten Sie vorschlagen würden, wenn Sie jetztpriorisieren müssten .Vizepräsidentin Claudia Roth
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 239 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 21 . Juni 2017 24393
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Dr. Katarina Barley, Bundesministerin für Familie,Senioren, Frauen und Jugend:Wie gesagt, ich glaube, dass die Höherbewertungvon frauendominierten Berufen und die Maßnahmen zurErleichterung der Vereinbarkeit von Beruf und Familieganz oben stehen müssen . Diese beiden Bereiche sind fürmich absolut prioritär .Was den Ausbau der Kinderbetreuung betrifft, kannich sagen: Zwischen 2007 und 2020 werden es über14 Milliarden Euro sein, die der Bund für diesen Bereichzur Verfügung stellt . Dieser Bereich liegt normalerwei-se hauptsächlich in der Verantwortung der Länder undKommunen . Der Bund tut da bereits viel . Aber wir müs-sen da auch viel tun, vor allen Dingen in der Qualität . WieSie wissen, gibt es ein Eckpunktepapier der Jugend- undFamilienministerkonferenz zur Qualitätsentwicklung inder Kinderbetreuung . Auch diesen Punkt muss man wei-ter vorantreiben, sowohl was die personelle Ausstattungals auch was die Randzeitenbetreuung betrifft . Das sindaus meiner Sicht wichtige Projekte .
Vielen Dank, Frau Ministerin . – Dann kommen wir
jetzt zum zweiten Teil: Themen der heutigen Kabinetts-
sitzung außerhalb dessen, was Sie gerade ausgeführt ha-
ben . Dazu hat sich Harald Petzold gemeldet .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Auch ich möchte
mich den Glückwünschen an die Ministerin für die neue
Aufgabe und das neue Amt anschließen .
Ich möchte Sie zum Komplex „Öffnung der Ehe für
alle“ fragen . Bedauerlicherweise hat das Bundesverfas-
sungsgericht den Eilantrag von Bündnis 90/Die Grünen
abgelehnt, den Rechtsausschuss damit zu beauftragen,
noch in dieser Wahlperiode eine Beschlussempfehlung
abzugeben, weil dazu im Ausschuss drei Gesetzentwürfe
zur Beratung vorliegen . Heute ist von der SPD-Fraktion
erneut die Vertagung mit der Begründung beantragt wor-
den, dass die Bundesregierung und die Große Koalition
noch in Verhandlungen seien .
Deswegen möchte ich gerne von Ihnen wissen, wel-
chen Stand diese Verhandlungen inzwischen erreicht ha-
ben und ob dies Thema der heutigen Sitzung war und,
wenn ja, welche Inhalte dazu verhandelt worden sind,
zumal im Koalitionsvertrag steht, dass bis zum Ende der
Wahlperiode alle rechtlichen Ungleichbehandlungen von
eingetragenen Lebenspartnerschaften abgebaut werden
sollen .
Dr. Katarina Barley, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:
Das Thema war heute nicht auf der Tagesordnung der
Kabinettssitzung und ist auch nicht behandelt worden .
Ich muss ergänzen: Es gibt zwar diesen Satz im Koali-
tionsvertrag, wonach alle rechtlichen Ungleichbehand-
lungen beseitigt werden sollen, aber leider gibt es zwei
Ausnahmen: Das sind die Volladoption und die Öffnung
der Ehe .
Sie kennen dazu meine persönliche Meinung . Aber
Koalitionsverträge sind, wie sie sind . Daran sind wir
gebunden . Pacta sunt servanda, sagen die Juristen . Ich
hoffe, dass es bald eine Möglichkeit geben wird, diesen
Zustand zu ändern .
Vielen Dank . – Dann kommen wir zu den sonstigen
Fragen an die Bundesregierung . Dazu haben sich zwei
Kollegen und Kolleginnen gemeldet . Der Erste war
Özcan Mutlu .
Frau Präsidentin, danke sehr . – Ich habe eine Frage
an die Bundesregierung . Das Bundessportministerium
hat mit dem Deutschen Olympischen Sportbund über
zwei Jahre lang hinter verschlossenen Türen die größte
Reform des deutschen Spitzensports beschlossen und hat
sich in diesem Zusammenhang, was Transparenz und
Ähnliches anbetrifft, nicht gerade mit Ruhm bekleckert .
Weil sich der Präsident des Deutschen Olympischen
Sportbunds nun über die Presse äußert und vom Schei-
tern dieser Reform redet und davor warnt, dass ein ge-
samter Olympiazyklus verloren gehen könnte, möchte
ich von der Bundesregierung wissen, wie sie diesen neu-
en Zustand bewertet und wie sie diesen Missstand behe-
ben möchte .
Dr. Katarina Barley, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:
Das war heute nicht Thema . Deswegen möchte ich an
den zuständigen Kollegen verweisen, wenn das geht .
An den uns wohlbekannten Staatssekretär . Bitte, Herr
Dr . Schröder .
D
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Ich beantworte die-se Frage sehr gerne . Wir haben diese Spitzensportreformzusammen mit dem Deutschen Olympischen Sportbundauf den Weg gebracht . Dazu haben wir eine Arbeitsstruk-tur etabliert, in der wir dieses Konzept in Arbeitsgruppengemeinsam entwickelt haben . Das heißt: Nicht das Bun-desministerium des Innern hat dieses Konzept erarbeitet,sondern wir haben das zusammen mit dem DOSB ge-macht . Die Mitglieder des DOSB haben dieses Konzeptin einer Mitgliederversammlung – soweit ich mich er-innern kann, war das Ergebnis einstimmig – unterstützt .Dieses Konzept wird dazu führen, dass wir – andersals in der Vergangenheit, wo es ja darum ging, welcheMedaillen in der Vergangenheit gewonnen worden sind,und danach wurde dann die Förderung mehr oder wenigernach dem Gießkannenprinzip auf die unterschiedlichenVerbände verteilt – die Potenziale der Sportler optimalnutzen . Das ist ein gemeinsames Anliegen von DOSB,Innenministerium und auch der gesamten Bundesregie-rung . Denn diese Konzeption ist im Kabinett behandelt
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worden, und wir werden auch im Deutschen Bundestagnoch einmal darüber sprechen .Von daher sind wir sehr froh darüber, dass wir diesesKonzept gemeinsam auf den Weg gebracht haben . Es istein großartiger Erfolg, dass wir das zusammen mit demDOSB geschafft haben . Selbstverständlich ist nachvoll-ziehbar, dass der DOSB sich noch mehr Geld aus demHaushalt wünscht, der demnächst im Deutschen Bun-destag zumindest noch beraten wird . Wir hätten uns dasals Innenministerium auch vorstellen können, aber dasgemeinsame Kabinett hat gemäß der Haushaltsordnungentschieden, dass nur die Summe in den Haushalt gestelltwerden kann, die etatreif ist . Gerade dafür haben wir jetztdiese Potenzialanalyse, die die unterschiedlichen Verbän-de analysieren soll . Dann soll entschieden werden, obnoch mehr Geld notwendig ist, und dann wird selbstver-ständlich auch mehr Geld fließen.
Vielen Dank, Herr Dr . Schröder . – Dann gibt es jetzt
weitere Fragen an die Frau Ministerin . Es gibt noch eine
Kollegin und einen Kollegen, die in dieser Befragung
eine Frage an die Bundesregierung haben . Das ist als
Erste Sevim Dağdelen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Frau Ministerin,
aus Eilmeldungen der Deutschen Presse-Agentur, dpa, –
auch die Dortmunder Ruhr Nachrichten schreiben das –
geht hervor, dass es eine Veranstaltungsanfrage für die
Dortmunder Westfalenhallen gibt, wo der türkische
Staatspräsident Erdogan im Anschluss an den G-20-Gip-
fel am 9 . Juli einen Auftritt vor 13 000 Menschen ab-
solvieren soll . Laut OVG Münster, bestätigt durch das
Bundesverfassungsgericht im Sommer 2016 und dann
nochmals durch Rechtsprechung in diesem Frühjahr,
sind Auftritte von ausländischen Staatsoberhäuptern im
öffentlichen Raum im Bundesgebiet Sache der Außenpo-
litik und damit der Bundesregierung . Deshalb möchte ich
die Bundesregierung hiermit fragen: Ist die Bundesregie-
rung gewillt, diesen geplanten öffentlichen Auftritt des
türkischen Staatspräsidenten Erdogan in Deutschland zu
untersagen, was sie rechtlich kann und was auch in poli-
tischer Hinsicht am besten wäre?
Dr. Katarina Barley, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:
Auch das war heute nicht Thema im Kabinett . Auch da
würde ich darum bitten, dass das zuständige Ministerium
antwortet .
Das ist aber die Regel bei der Befragung der Bundes-
regierung . Es gibt erst einmal Fragen zu Ihrem Tagesord-
nungspunkt, –
Dr. Katarina Barley, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:
Ich weiß das .
– und dann gibt es eben auch weitere Fragen an die
Bundesregierung, auch wenn es nicht im Kabinett behan-
delt wurde .
Dr. Katarina Barley, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:
Gut . – Dann kann ich dazu nur sagen, dass mir davon
nichts bekannt ist und dass wir das prüfen werden .
Dann hat als Letzter der Kollege Christian Ströbele
eine Frage an Sie, Frau Barley .
Danke, Frau Präsidentin . – Ich bin in Sorge und habe
deshalb eine Frage an die Bundesregierung . War heute
im Bundeskabinett Thema, dass die Vereinigten Staaten
in Syrien ein syrisches Regierungsflugzeug abgeschos-
sen haben und dass anschließend Russland erklärt hat,
in Zukunft sei jeder Flugkörper, der sich in dieser Zone
bewegt, wo dieses Flugzeug abgeschossen worden ist,
ein Ziel für die russische Luftwaffe und Flugabwehr? Ist
darüber gesprochen worden und, wenn ja, in welchem
Sinne? Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesre-
gierung daraus? Und zieht die Bundesregierung daraus
insbesondere den Schluss, mit Herrn Trump Tacheles zu
reden und ihm zu sagen, dass, wenn er dort einen Krieg
anfängt, die NATO und wir nicht dabei sind?
Dr. Katarina Barley, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:
Die Lage im Nahen Osten insgesamt war heute The-
ma in der Kabinettsbefassung . Der Außenminister hat
sehr ausführlich über die Lage und seine Kenntnisse
informiert . Er hat auch darüber informiert, dass er mit
dem US-amerikanischen Außenminister dazu in Kon-
takt steht . Aber konkrete Maßnahmen sind dort nicht be-
schlossen worden .
Ich beende die Befragung und bedanke mich beiKatarina Barley .Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:FragestundeDrucksache 18/12749Dieser Tagesordnungspunkt ist heute kürzer als sonst .Ich rufe die Fragen in der üblichen Reihenfolge auf .Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-teriums der Justiz und für Verbraucherschutz . Ich begrü-ße Herrn Staatssekretär Christian Lange zur Beantwor-tung der Fragen .Parl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder
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Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Gehring auf:Inwiefern strebt die Bundesregierung weiterhin an, dassdas Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz
nach abschließender Beratung durch den Bundestag in der26 . Kalenderwoche in Kraft tritt?C
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Lieber Kolle-
ge Gehring, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Das
Bundeskabinett hat am 12 . April dieses Jahres den Re-
gierungsentwurf für ein Urheberrechts-Wissensgesell-
schafts-Gesetz beschlossen . Die Bundesregierung würde
es begrüßen, wenn der Deutsche Bundestag und der Bun-
desrat dieses Reformvorhaben noch in dieser Wahlperio-
de abschließen würden .
Kai Gehring, bitte .
Vielen Dank, Herr Staatssekretär . – Diesem Begrüßen
kann ich mich nur anschließen . Zur Einordnung in die
Debatte ist es, glaube ich, wichtig, zu erwähnen, dass
ein wissenschaftsfreundliches Urheberrecht seit vielen
Jahren diskutiert wird . Wir Grüne haben im Bundestag
eine umfassende Wissenschaftsschranke im Urheber-
recht mehrfach beantragt . Im Regierungsentwurf wird
jetzt mit sieben Schrankenregelungen gearbeitet . Das ist
sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung .
Dieses Bemühen darf aber nicht weiter verwässert
werden . Die Kabinettsmitglieder Maas und Wanka sind
offenkundig dafür, die Wissenschaftspolitiker sind alle
dafür, und die Allianz der Wissenschaftsorganisationen
ist dafür . Plötzlich sind aber Herr Kauder als Fraktions-
vorsitzender der Union und einige Rechtspolitiker der
Unionsfraktion dagegen .
Deshalb möchte ich Sie fragen: Wie sieht jetzt der wei-
tere Verhandlungsprozess auf Spitzenebene der Koalition
aus, damit der Gesetzentwurf tatsächlich noch kommt?
Mit welchem Ergebnis rechnen Sie? Bis wann kommen
Sie zu einem Abschluss? Kommen Sie in dieser Wahlpe-
riode noch zu Potte und damit zu einem Zwischenschritt
nach einer jahrelangen Diskussion?
C
Zunächst, Herr Kollege Gehring, freue ich mich darü-
ber, dass Bündnis 90/Die Grünen den Entwurf der Bun-
desregierung unterstützt, und will mich dafür herzlich
bedanken . Im Übrigen obliegt es im Augenblick den Ko-
alitionsfraktionen und damit dem Deutschen Bundestag,
das weitere Verfahren voranzutreiben . Dabei unterstüt-
zen wir alle Fraktionen sehr . Wir hoffen darauf, dass dies
in nächster Zeit – Sie wissen alle, dass sich die Wahlperi-
ode dem Ende zuneigt – zu einem erfolgreichen Ergebnis
führen wird .
Zweite Frage: Kai Gehring .
Ich hoffe, dass Ihre Hoffnung eintritt und Teile der
Unionsfraktion ihre Blockade aufgeben . Ich möchte fol-
gende Frage anschließen: Warum dürfen für Zwecke der
wissenschaftlichen Forschung laut Regierungsentwurf
nur noch 15 Prozent statt 25 Prozent eines Werks, wie
im ursprünglichen Referentenentwurf vorgesehen war,
genehmigungsfrei genutzt werden? Für uns ist das nicht
nachvollziehbar . Für die Wissenschaftscommunity ist
das eine Verschlechterung . Wieso ist die erfolgt? Gibt es
Chancen auf eine Rückänderung?
C
Herr Kollege Gehring, all dies ist Gegenstand der Ge-
spräche, die die Koalitionsfraktionen führen . Dem wol-
len wir nicht vorgreifen .
Vielen Dank . – Wir kommen zur Frage 2 des Kollegen
Gehring:
Welche konkreten Auswirkungen hätte nach Auffassung
der Bundesregierung eine Nichtverabschiedung des Urheber-
rechts-Wissensgesellschafts-Gesetzes auf Leh-
rende, Studierende, Schülerinnen und Schüler?
C
Die Frage 2 beantworte ich wie folgt: Das geltende
Urheberrechtsgesetz enthält bereits gesetzliche Erlaub-
nisse für Bildung und Wissenschaft, die allerdings we-
gen der komplexen Regelungstechnik und unbestimmter
Rechtsbegriffe teilweise mit Unsicherheiten behaftet
sind . Die genannten Beteiligten müssten weiterhin mit
diesen Bestimmungen arbeiten .
Kai Gehring, bitte .
Vielen Dank . – Mich würde interessieren, wie sich
die Bundesregierung insgesamt hinsichtlich der Kritik
am Vorrang der Pauschalvergütung im Gesetzentwurf
gegenüber der Individualvergütung positioniert . Da hört
man doch unterschiedliche Stimmen .
C
Herr Kollege, sprechen Sie damit die Kritik der Pres-
severleger an?
Ja, unter anderem .
C
Dann will ich Ihnen etwas ausführlicher antworten .Die Bundesregierung ist sich der konstitutiven Bedeu-tung der Presse und der journalistischen Vielfalt für denVizepräsidentin Claudia Roth
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demokratischen Willensbildungsprozess und für die In-formation der Bürgerinnen und Bürger bewusst . EineAnpassung des bisherigen Gesellschaftsmodells derPresseverlage an die Herausforderungen von Digitali-sierung und Vernetzung ist unabhängig davon geboten .Elektronische Zeitungs- und Zeitschriftenarchive könneneine Chance bieten, Einnahmerückgänge im Printbereichzu kompensieren . Die Bundesregierung versteht daherdie Sorge um die Tragfähigkeit dieser Dienstleistung .Der Regierungsentwurf des Urheberrechts-Wissensge-sellschafts-Gesetzes stellt elektronische Archive aberweder infrage, noch erlaubt er der Deutschen National-bibliothek, ein per Internet zugängliches Zeitungs- undZeitschriftenarchiv aufzubauen . Die Nutzung einzelnerZeitungs- und Zeitschriftenbeiträge ist im Übrigen be-reits nach geltendem Recht auf gesetzlicher Grundlagezulässig .
Herr Gehring .
Ich habe eine weitere Frage, die sich aus der sehr gu-
ten Anhörung des Rechtsausschusses zum Regierungs-
entwurf ergibt . Unter anderem dort ist der Vorschlag
gemacht worden, die Nutzungserlaubnisse um eine Öff-
nungsklausel zu ergänzen, und zwar zur Lösung solcher
Fälle, die im Grunde mit den gesetzlich geregelten Fäl-
len vergleichbar sind, die aber knapp an den geltenden
Schrankenregelungen, den sehr strikten Voraussetzun-
gen der Einzeltatbestände, entlangschrammen . Wollen
Sie eine solche Öffnungsklausel in Ihren Entwurf noch
aufnehmen? Wie stehen Sie zu der in der Anhörung des
Rechtsausschusses geforderten Öffnungsklausel?
C
Die Beantwortung dieser Frage obliegt im Augen-
blick der Diskussion der Koalitionsfraktionen . Wir sind
einigermaßen zuversichtlich, dass wir zu einem Ergebnis
kommen . Allerdings kann ich diesen Beratungen nicht
vorweggreifen .
Vielen Dank, Christian Lange .
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Wirtschaft und Energie . Ich begrüße
den Staatssekretär Uwe Beckmeyer .
Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Hubertus Zdebel
auf:
Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die
zivilen Atomenergienutzung verpflichtete Urenco mit dem
US-amerikanischen AKW-Betreiber Tennessee Valley Au-
thority einen Vertrag abgeschlossen hat, in dem es um
die Lieferungen von angereichertem Uran zur Herstellung
und zum Einsatz von Brennelementen in vier Atomreaktoren
geht, welche
für das US-Atomwaffenprogramm Tritium zur Sprengkraft-
verstärkung von Atomsprengköpfen produzieren sollen, und
in welcher Weise wird die Bundesregierung, zum Beispiel im
Rahmen ihrer Mitgliedschaft des im Vertrag von Almelo als
Kontrollorgan eingerichteten Joint Committee, darauf hinwir-
ken, dass diese Verträge zwischen Urenco und TVA umgehend
beendet werden und damit Deutschland nicht direkt oder indi-
rekt Unterstützerin des US-Atomwaffenprogramms wird?
Herr Staatssekretär Beckmeyer, ich bitte Sie, diese
Frage zu beantworten .
U
Frau Präsidentin, ich beantworte die Frage von Herrn
Zdebel wie folgt: Auf der Grundlage des Vertrages über
die Nichtverbreitung von Nuklearwaffen, des Vertrages
von Almelo und des Vertrages von Washington stellt die
Bundesregierung sicher, dass seitens der Urenco-Grup-
pe für den US-Markt angereichertes Uran ausschließlich
zivilen Zwecken zugeführt wird . Dazu werden die Kern-
kraftwerke der Tennessee Valley Authority als mögliche
Empfänger von Urenco-Material der Kontrolle und der
Verifikation der Internationalen Atomenergieorganisation
unterworfen. Die Überwachung und die Berichtspflicht
der IAEO stellt sicher, dass von ihr kontrollierte Anlagen
nur für zivile, friedliche Zwecke eingesetzt werden . Für
die Kündigung kommerzieller Verträge von Urenco in
den USA sieht die Bundesregierung keinen Anlass .
Vielen Dank, Herr Beckmeyer . – Hubertus Zdebel,
eine Nachfrage .
Danke, Frau Präsidentin . – Herr Beckmeyer, um den
Vorgang für diejenigen, die nicht so tief in der Thematik
drinstecken, ein bisschen zu präzisieren: Die USA stellen
das für Atomwaffen erforderliche Tritium in kommer-
ziellen Atomreaktoren des Betreibers Tennessee Valley
Authority her . Dafür soll künftig in vier Reaktoren an-
gereichertes Uran der auf die friedliche Atomenergie-
nutzung festgelegten Firma Urenco eingesetzt werden .
Entsprechende Verträge im Wert von rund 600 Millio-
nen Dollar hat der Betreiber mit Urenco abgeschlossen .
Urenco würde damit – zumindest nach meiner Auffas-
sung – direkt das US-Atomwaffenprogramm unterstüt-
zen, allein aufgrund der Tatsache, dass Tritium herge-
stellt wird . Urenco kann derartige Verträge nach meinem
Verständnis nur mit Zustimmung des Gemeinsamen Aus-
schusses – das ist das Kontrollgremium für die Aktivitä-
ten von Urenco – im Rahmen des Vertrags von Almelo
abschließen . Dort hat die Bundesregierung ein Vetorecht .
Vor diesem Hintergrund stellt sich für mich die Fra-
ge, ob die Genehmigung des Einstiegs von Urenco, das
nun Uran für eine Firma liefert, die am Atomwaffenpro-
gramm der USA beteiligt ist, mit Zustimmung des Ge-
meinsamen Ausschusses erteilt wurde oder nicht . Meine
klare Frage lautet: Hat die Bundesregierung im Gemein-
samen Ausschuss im Rahmen des Vertrags von Almelo
oder anderer Urenco-Kontrollverträge der Lieferung von
angereichertem Uran für den Einsatz in Atomkraftwer-
ken zur Tritiumerzeugung für die US-Atomwaffen zuge-
stimmt, ja oder nein?
Pa
Rede von: Unbekanntinfo_outline
//www.tagesschau.de/wirtschaft/uran-usa-deutschland-103.htmlhttp://www.tagesschau.de/wirtschaft/uran-usa-deutschland-103.html
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(D)
Herr Beckmeyer .
U
Herr Zdebel, Sie haben soeben eine Frage wiederholt,
die wir Ihnen aufgrund der Sitzungen des letzten Deut-
schen Bundestages bereits schriftlich beantwortet haben .
Ich sage für die Bundesregierung noch einmal ein-
deutig: Es ist ständige Politik der Bundesregierung, ent-
sprechend den Buchstaben und dem Geist des Atomwaf-
fensperrvertrages die Verbreitung und den Missbrauch
nuklearen Materials zu verhindern . Die entsprechende
Aufsichtsbehörde ist die Internationale Atomenergie-Or-
ganisation in Wien, die ebenfalls regelmäßig berichtet .
Sie wird gerade in den USA anlagenbezogen tätig . Inso-
fern sind Anfragen bzw . in Medien zitierte Informationen
aus unserer Sicht nicht nachzuvollziehen .
Der IAEO-Generaldirektor berichtet regelmäßig dem
Gouverneursrat in Wien . Deutschland ist dort mit stän-
digem Sitz vertreten . Das Bundeswirtschaftsministerium
befindet sich in enger Abstimmung mit dem Außenmi-
nisterium . Wir nehmen an der Erfüllung dieser Kontroll-
aufgaben weltweit teil . Ich kann Ihnen zusichern, dass
dem Gouverneursrat irgendwelche Auffälligkeiten oder
Rechtsverstöße nicht gemeldet worden sind .
Zweite Zusatzfrage, Herr Zdebel? – Bitte schön .
Danke, Frau Präsidentin . – Herr Beckmeyer, meines
Erachtens weichen Sie hier klipp und klar aus . Wir haben
ganz klar dargelegt – darüber gibt es entsprechende Pres-
seberichterstattungen; es gibt sogar Berichte der ameri-
kanischen Regierung darüber, und es gibt auch öffentlich
gewordene, nachlesbare Stellungnahmen des UN-Ener-
gieministeriums, wo darauf hingewiesen wird –, dass
Tritium in diesen Anlagen hergestellt wird und dass es
Lieferverträge zwischen der Tennessee Valley Authority
und der Urenco-Tochtergesellschaft in den USA gibt .
Vor diesem Hintergrund ist es doch klar: Wenn dort
Tritium hergestellt wird, dann muss dieses Thema die
Bundesregierung doch alarmieren . Denn eine Firma, die
die Bundesrepublik Deutschland gemeinsam mit Groß-
britannien und den Niederlanden kontrolliert, stellt offen-
sichtlich angereichertes Uran her, das in amerikanischen
Atomkraftwerken zum Einsatz gebracht wird, um damit
quasi ein Produkt zu erzeugen, das dem US-Atomwaf-
fenprogramm zugutekommt . Deswegen noch einmal die
Frage an Sie: Sind die Berichte über diese Zusammen-
hänge – insbesondere des US-Energieministeriums –, die
der Bundesregierung bekannt sind, Ihrer Meinung nach
zutreffend, ja oder nein?
U
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat keine
Anhaltspunkte, dass in den USA oder in anderen Staaten
von Urenco angereichertes Uran zweckwidrig für nicht
friedliche Zwecke eingesetzt wurde oder wird . Dies gilt
auch für die vom Fragesteller erwogene Verwendung des
bei der Nutzung des Urans anfallenden Tritiums .
Vielen Dank . – Dann hat sich Frau Kotting-Uhl zu ei-
ner Zusatzfrage gemeldet .
Herr Beckmeyer, die Frage stellt sich andersherum .
Die Frage ist nicht, ob Sie keine Anhaltspunkte haben,
sondern ob Sie ausschließen können, dass es Anhalts-
punkte gibt . Deutschland ist Mitglied des Kontrollorgans
auf der Grundlage des Vertrags von Almelo und hat da-
mit die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass eine miss-
bräuchliche Verwendung ausgeschlossen wird . Können
Sie also ausschließen, dass von Urenco angereichertes
Uran in die besagten vier Atomkraftwerke in den USA
geliefert wird, um dort mithilfe dieses Urans Tritium für
Atomsprengköpfe zu produzieren?
U
Werte Abgeordnete, ich sage einmal in einer klaren
Sprache noch ein zweites Mal: Die Anlagen in den USA
werden von der Internationalen Atomenergie-Organisati-
on in Wien kontrolliert – anlagenbezogen . Das ist die In-
stanz, die dort tätig ist – nicht die Bundesregierung . Dort
werden auch entsprechende Berichte für den Gouver-
neursrat erstellt . Diese Berichte haben uns in gar keiner
Weise Anlass gegeben, und sie geben auch aktuell keinen
Anlass, zu glauben, dass es dort in irgendeiner Weise zu
einer anderen – rechtswidrigen – Verwendung des von
Urenco dorthin gelieferten Urans gekommen ist .
Bitte schön, Herr Wunderlich . Sie haben das Wort zu
einer Zusatzfrage .
Also können Sie es ausschließen?
U
Ich sage es Ihnen noch einmal: Wir haben keinen An-
lass – –
Herr Beckmeyer ist jetzt dran zur Beantwortung .
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(C)
(D)
– Herr Beckmeyer hat eine Frage gestellt bekommen,und jetzt will er sie gern beantworten .U
Genau . – Ich werde das noch einmal sagen, Herr Ab-
geordneter: Wir haben dafür in Europa und in der Welt
klare Spielregeln, und es gibt eine Institution, die anla-
genbezogen prüft . Das ist die Internationale Atomener-
gie-Organisation in Wien . Diese hat dort anlagenbezogen
geprüft und hätte, wenn Auffälligkeiten erkennbar gewe-
sen wären, diese ebenfalls dem Gouverneursrat mitzutei-
len gehabt . Das ist nicht geschehen . Darum gibt es auch
keine Erkenntnisse unsererseits, dass dort vertragswidrig
etwas anderes gemacht worden ist, als uns zugesichert
worden ist .
Vielen Dank, Herr Beckmeyer . – Dann kommen wir
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ar-
beit und Soziales . Das hat aber frei; denn die Frage 4 der
Kollegin Höger wird schriftlich beantwortet werden .
Dann kommt der Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für Ernährung und Landwirtschaft . Dazu begrü-
ße ich Peter Bleser . Er antwortet allerdings nicht auf die
Frage 5 des Kollegen Krischer, weil auch hierzu die Ant-
wort schriftlich erfolgen wird .
Wir kommen jetzt zur Frage 6 des Kollegen Ebner:
Teilt das Bundesministerium für Ernährung und Landwirt-
schaft die Meinung des Bundesinstituts für Risikobewertung
, wonach die jüngste Analyse von Professor Christopher
Portier zu übersehenen Tumorbefunden in den Glyphosat-Stu-
dien den Herstellern schon lange bekannt sei und nichts Neues
Herr Bleser, bitte .
P
Frau Präsidentin! Das Bundesministerium für Ernäh-
rung und Landwirtschaft nimmt keinen Einfluss auf die
fachliche Risikobewertung des Bundesinstituts für Ri-
sikobewertung, BfR . Das Institut arbeitet herausragend
und ist auch international hochgradig anerkannt .
Darüber hinaus wird die Risikobewertung des BfR zu
Glyphosat sowohl durch die Europäische Behörde für Le-
bensmittelsicherheit, EFSA, als auch durch die Europä-
ische Chemikalienagentur, ECHA, bestätigt . Die ECHA
kommt auch unter Berücksichtigung der auf den Anhö-
rungen von Herrn Christopher Portier vorgetragenen Er-
gebnisse sowie aller anderen Hinweise zur Abschätzung
des kanzerogenen Potenzials zu dem Ergebnis, dass es
keine Anhaltspunkte für eine krebsauslösende Wirkung
von Glyphosat gibt .
Herr Ebner, bitte .
Danke, Frau Präsidentin . – Herr Staatssekretär, ich
hatte Sie auch gar nicht danach gefragt – zumindest nicht
in dieser Frage –, ob Sie dem BfR irgendwelche Weisun-
gen erteilen, sondern ob das BMEL die Meinung des BfR
teilt, wonach die jüngste Analyse von Professor Portier
zu den übersehenen Tumorbefunden schon lange bekannt
sei und nichts Neues enthalte . Ich entnehme jetzt Ihrer
Antwort, dass Sie dazu offenbar nichts zu sagen haben
und dass Sie insofern auch der Position des BfR zustim-
men .
Deshalb frage ich Sie, wie es denn sein kann, dass das
BfR sagt, man wisse ja schon lange, was der Professor
Portier da sagt . Denn derselbige hat die Daten erst im
Dezember 2016 bei der EFSA einsehen können . Wie be-
wertet denn dann das BMEL, dass die in der BfR-Mittei-
lung 08/2017 gemachte Aussage, dass die Daten bekannt
seien, ganz offensichtlich falsch ist? Herr Portier hatte
die Daten ja vorher nicht zur Verfügung . Somit kann man
sich auch nicht auf Vorträge aus dem Sommer 2016 be-
ziehen .
Herr Bleser, bitte .
P
Herr Ebner, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen:
Das BfR hat am 30 . Mai dieses Jahres in einer Pressemit-
teilung zu den Vorwürfen Stellung bezogen und kommt
zu folgenden Schlussfolgerungen:
Die statistischen Berechnungen von Herrn Portier
waren dem BfR und der ECHA bereits in verschiedenen
Vorträgen aus dem Jahr 2016 bekannt .
Die statistischen Berechnungen von Herrn Portier
wurden von den Experten der ECHA diskutiert und bei
deren Entscheidung, Glyphosat nicht als krebserregend
einzustufen, berücksichtigt .
Alle von Herrn Portier zitierten Originalstudien wur-
den entsprechend ihrer Verlässlichkeit und Relevanz in
den Bewertungen der europäischen Behörden berück-
sichtigt .
Die von Herrn Portier berichtete statistische Signi-
fikanz ist nach dem technischen Leitfaden der OECD
nicht mit einer biologischen Relevanz gleichzusetzen .
Vielmehr ist es erforderlich, die vorliegenden Studien in
ihrer Gesamtheit und unter Berücksichtigung der harmo-
nisierten Leitlinien zu bewerten .
Die statistischen Berechnungen von Herrn Portier
sind für die Öffentlichkeit nicht zugänglich und weder
Peer-reviewed noch in einer Fachzeitschrift veröffent-
licht .
Das BfR kommt zu dem Schluss, dass Herr Portier
keine neuen Erkenntnisse für die Risikobewertung von
Glyphosat vorgelegt hat .
Eine Rückfrage von Herrn Ebner .Vizepräsidentin Claudia Rothhttp://www.bfr.bund.de/cm/343/keine-neuen-erkenntnisse-bei-der-risikobewertung-von-glyphosat.pdfhttp://www.bfr.bund.de/cm/343/keine-neuen-erkenntnisse-bei-der-risikobewertung-von-glyphosat.pdf
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 239 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 21 . Juni 2017 24399
(C)
(D)
Es ist nicht immer ganz einfach, den Staatssekretär zu
verstehen, wenn er Begriffe nicht richtig vorliest . Nichts-
destotrotz: Herr Staatssekretär, Sie beziehen sich jetzt da-
rauf, dass das BfR sagt, dass das, was Portier analysiert
hat, schon aus diversen Vorträgen von ihm bekannt war .
Diese diversen Vorträge fanden im Sommer 2016 statt .
Portier hat aber – ich sage es noch einmal – Einsicht
in die Daten erst im Dezember 2016 bekommen . Also
kann dem BfR doch gar nicht bekannt gewesen sein, was
Portier da analysiert und welche Schlussfolgerungen er
zieht . Insoweit ist es schon seltsam .
Ich finde es auch seltsam, dass das BfR flapsige State-
ments von sich gibt wie:
Das BfR empfiehlt, die Berechnungen von Herrn
Professor Portier wissenschaftlich zu veröffentli-
chen, um diese dem wissenschaftlichen Diskurs zu-
zuführen .
Dabei hat doch Portier schon in seinem offenen Brief
es so dargestellt, dass das BfR das verstehen muss, weil
es selber die Daten zur Verfügung hat . Nur die Öffent-
lichkeit hat sie nicht, weil ihm untersagt worden ist, die
Daten, in die er Einsicht bekommen hat, zu veröffentli-
chen, weil sie Betriebsgeheimnis seien . Trotzdem hat er
jetzt über seine Analyse eine Peer-reviewed-Veröffentli-
chung – hier gebe ich Ihnen noch einmal eine Aussprech-
hilfe – auf den Weg gebracht, die Mitte Juni veröffent-
licht wurde .
Deshalb ist tatsächlich die Frage: Springt das BfR
jetzt? Prüft es diese Analyse noch einmal? Denn jetzt ist
sie veröffentlicht .
Herr Bleser, bitte .
P
Es ändert sich nichts an der Feststellung, die ich ge-
troffen habe: Das BfR bewertet im Auftrag der Bundesre-
gierung die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln. Seine
Ergebnisse sind von uns nicht nur akzeptiert, sondern sie
sind wissenschaftlich verlässlich .
Zu den Aussagen, die ich hier vorgetragen habe, gibt
es keine weiteren Erläuterungsnotwendigkeiten .
Vielen Dank, Herr Bleser .
Dann kommen wir zur Frage 7 des Kollegen Ebner:
Welches Bundesministerium oder welches Bundesorgan
hat die Dienstaufsicht über das BfR, wenn nicht das BMEL
P
Jetzt kommen wir noch einmal zu dem Thema: Die
Dienstaufsicht über die Beamtinnen und Beamten des
Bundesinstituts für Risikobewertung, BfR, wird – unter
Ausnahme des Präsidenten – durch den Präsidenten des
BfR ausgeübt . Die Dienstaufsicht über den Präsidenten
hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirt-
schaft .
Herr Ebner .
Herr Staatssekretär, an der Stelle möchte ich schon
noch einmal nachfragen. Es gibt also auch eine Verpflich-
tung des BMEL, zu schauen, was das BfR, zumindest
stellvertretend sein Chef, so macht .
Jetzt komme ich zurück zu den Tumorauffälligkeiten,
die nach Professor Portier in den Studien von den Behör-
den übersehen wurden . Wir lesen auch von spannenden
Praktiken von Monsanto im Umgang mit Studien zur Ri-
sikobewertung . Wir haben 1 Million Unterschriften aus
ganz Europa für die Europäische Bürgerinitiative gegen
die Neuzulassung von Glyphosat .
Halten Sie es in dieser Situation, in der sozusagen
zivilgesellschaftlich – allen Hindernissen zum Trotz –
neue Erkenntnisse gewonnen werden, immer noch für
vernünftig und angebracht, keine Überprüfung dieser
Daten von Professor Portier zu veranlassen und auch kei-
ne Konsequenzen aus den ganz offensichtlichen Falsch-
aussagen des BfR in der auch von Ihnen zitierten Mit-
teilung zu ziehen? Da steht wirklich definitiv, dass das
BfR alles, was Herr Portier in seinem offenen Brief be-
nannt hat, schon in Vorträgen im Sommer 2016 bekannt
gegeben habe. Das ist definitiv falsch. Sie müssen doch
Konsequenzen ziehen, wenn eine Bundesbehörde solche
falschen Aussagen veröffentlicht .
Herr Bleser, bitte .
P
Herr Kollege Ebner, ich kann mich nur wiederholen .
Ich habe vorhin schon berichtet, dass das BfR, aber auch
andere Institutionen wie EFSA und ECHA eine Bewer-
tung auf wissenschaftlicher Basis vorgenommen haben .
Sie werden verstehen, dass sich die Bundesregierung
bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln nicht auf
Umfragen oder sonstige öffentliche Meinungsäußerun-
gen verlässt .
Zweite Frage .
Dem entnehme ich, dass Sie sich den wissenschaft-lichen Bewertungen, auf die Sie sich beziehen, vollum-fänglich und komplett anschließen . Deshalb die Frage:Wie steht das BMEL vor diesem Hintergrund jetzt dazu,Glyphosat tatsächlich noch in diesem Jahr neu zuzu-lassen? Im Raum stehen 10 statt wie geplant 15 Jahre .http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/glyphosat-gefaehrliche-verbindungen-1.3537185http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/glyphosat-gefaehrliche-verbindungen-1.3537185http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/glyphosat-gefaehrliche-verbindungen-1.3537185
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Werden Sie also einer Wiederzulassung zustimmen, sichenthalten oder sie ablehnen? Von welchen Kriterien bzw .konkreten Punkten machen Sie Ihre Positionierung dazuabhängig?
Herr Bleser, bitte .
P
Ich verweise noch einmal auf die wissenschaftliche
Grundlage .
Auf europäischer Ebene steht in diesen Tagen eine Ent-
scheidung des SCoPAFF an; bisher haben wir noch keine
Ergebnisse . Dort wird entschieden, ob auf dieser wissen-
schaftlichen Grundlage und aufgrund entsprechender Be-
richte der zuständigen Einrichtungen eine Verlängerung
der Zulassung ausgesprochen werden kann .
Vielen Dank . – Wir kommen jetzt zum Geschäftsbe-
reich des Bundesministeriums der Verteidigung . Ich be-
grüße Dr . Brauksiepe, der die Fragen beantworten wird .
Zuerst kommen wir zur Frage 8 der Kollegin Katja
Keul:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zwischen-
zeitlich über die Luftangriffe der gemeinsamen Koalition am
26 . Mai 2017 auf die syrische Stadt al-Majadin, bei denen min-
destens 80 Zivilisten, darunter über 30 Kinder, getötet wurden
fahrung bringen können, und welche möglichen Konsequen-
zen zieht sie angesichts der im Rahmen der Operation Inherent
Resolve immer weiter steigenden Zahl getöteter Zivilisten
Herr Brauksiepe, bitte .
D
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Frau Kollegin Keul,
der Bundesregierung liegen keine eigenen Erkenntnisse
zu den Details des Luftangriffs mit möglichen zivilen
Opfern in der Nacht vom 25 . auf den 26 . Mai 2017 in
Majadin vor . Für Einsätze von Operation Inherent Re-
solve, OIR, gilt, dass grundsätzlich alle Vorfälle, bei de-
nen Zivilisten mutmaßlich zu Schaden gekommen sind,
durch das für OIR zuständige Hauptquartier Combined
Joint Task Force, CJTF OIR, untersucht und die Ergeb-
nisse monatlich auf der Webseite der OIR veröffentlicht
werden .
Die Bundesregierung setzt als Mitglied der An-
ti-IS-Koalition die ihr zur Verfügung stehenden Mittel
ein, um zivile Opfer zu vermeiden . Angesichts der zy-
nischen und menschenverachtenden Taktik der Terror-
organisation IS, Zivilisten als menschliche Schutzschilde
zu missbrauchen und sogar zivile Opfer zu provozieren,
ist dies für die Koalition mit besonderen Anstrengungen
verbunden .
Vielen Dank, Dr . Brauksiepe . – Frau Keul, bitte .
Vielen Dank . – Herr Staatssekretär, es ist leider nicht
das erste Mal, dass ich hier nach schweren zivilen Opfern
unserer Koalition der Willigen fragen muss . Ich frage
mich, warum Sie jetzt sagen, dass die Bundesregierung
keine Erkenntnisse hat . Bei der Frage musste ich die
Quellen extra noch mitschicken; es handelt sich ja nicht
um ominöse Quellen . Sie selbst haben auf die Homepage
verwiesen, auf der ich nach Ihrer letzten Antwort selbst-
verständlich nachgeguckt habe . Ich jedenfalls konnte
keine Aufklärungsergebnisse für die zivilen Opfer seit
März dieses Jahres finden. Das ist aber der Zeitpunkt,
seit dem die Zahl ziviler Opfer extrem angestiegen ist .
Es geht nicht nur um den Vorfall vom 26 . Mai 2017, es
gab danach auch weitere . Ich erinnere nur an den 6 . Juni
2017, an dem 21 Zivilisten, die vor dem IS in einem Boot
über den Euphrat flüchten wollten, getötet wurden.
Deswegen frage ich jetzt noch einmal: Haben Sie als
Bundesregierung irgendetwas gegenüber dem Bünd-
nispartner getan oder wenigstens einmal nachgefragt,
wie es zu diesem massiven Anstieg ziviler Opfer gekom-
men ist?
Herr Brauksiepe .
D
Frau Kollegin, ich wiederhole meinen Hinweis: Ich
kann nicht für andere Kräfte, die dort im Einsatz sind,
sprechen . Ich bin nicht sicher, ob alle ihr Vorgehen so
transparent darlegen wie die Koalition im Rahmen der
Operation Inherent Resolve .
Ich kann nur noch einmal darauf hinweisen, dass es
nach jedem möglichen Vorfall mit zivilen Opfern eine
entsprechende Untersuchung gibt und dass die Untersu-
chungsergebnisse veröffentlicht werden, beispielsweise
die Zahl von ums Leben gekommenen Zivilisten . Der
neueste Stand, der dort nach meiner Kenntnis veröffent-
licht wurde, ist vom 2 . Juni .
Frau Keul, eine Rückfrage?
Nach dem neusten Stand sprechen die USA selbst von500 zivilen Toten seit 2014 . Ich weiß aber nicht, ab wel-chem Zeitpunkt sie aufgehört haben, zu zählen; denn seitMärz kommen wir schon auf über 300 Tote . Allein vom23 . April bis zum 23 . Mai gab es 225 zivile Tote .Harald Ebnerhttp://www.rp-online.de/politik/ausland/syrien-anti-terror-koalition-toetet-80-angehoerige-von-is-kaempfern-in-majadin-aid-1.6844773http://www.rp-online.de/politik/ausland/syrien-anti-terror-koalition-toetet-80-angehoerige-von-is-kaempfern-in-majadin-aid-1.6844773http://www.rp-online.de/politik/ausland/syrien-anti-terror-koalition-toetet-80-angehoerige-von-is-kaempfern-in-majadin-aid-1.6844773http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-03/us-armee-irak-syrien-kriegsfolgen-todesopfer-zivilistenhttp://www.zeit.de/politik/ausland/2017-03/us-armee-irak-syrien-kriegsfolgen-todesopfer-zivilistenhttp://www.zeit.de/politik/ausland/2017-03/us-armee-irak-syrien-kriegsfolgen-todesopfer-zivilistenhttp://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-05/syrien-us-luftangriff-islamischer-staathttp://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-05/syrien-us-luftangriff-islamischer-staathttp://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-05/syrien-us-luftangriff-islamischer-staat
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(D)
Ich frage die Bundesregierung: Hält sie es eigentlichfür angemessen, dass sie von einem Bündnispartner hin-sichtlich der Folgen des multilateralen Einsatzes auf eineWebsite verwiesen wird, auf der sie dann nachguckenkann? Ist das der angemessene Umgang zwischen Bünd-nispartnern?D
Ja .
Kollege Ströbele hat zu Frage 8 eine Rückfrage . –
Herr Ströbele, bitte .
– Entschuldigung . Was ist los? Ich habe es nicht mitbe-
kommen .
Bevor alle sprechen: Jetzt hat Christian Ströbele eine
Frage an Herrn Dr . Brauksiepe .
Herr Staatssekretär, ich habe zu diesem Thema eine
ganze Reihe von Fragen gestellt, die ähnlich wie die
letzte Frage beantwortet wurden . Ich frage Sie noch ein-
mal: Es handelt sich ja hier um ein Bündnis, von dem
gemeinsam – die einen leisten dies, die anderen leisten
das – Operationen durchgeführt werden . Die Bundes-
wehr leistet Hilfe durch Fotoaufnahmen, Filmaufnahmen
und Ähnliches . Will die Bundesregierung nicht endlich
einmal gegenüber den Partnern, insbesondere gegenüber
den USA, klarmachen, dass eine Unterstützung ohne
vollständige Information, was aus dieser Unterstützung
wird, insbesondere, wie viele Zivilisten getötet werden,
eingestellt werden muss? Das können Sie doch gegen-
über dem deutschen Parlament nicht länger rechtfertigen .
Und das müssen Sie den US-Streitkräften auch einmal in
der nötigen Konsequenz klarmachen .
Herr Brauksiepe .
D
Zunächst einmal, Kolleginnen und Kollegen – ich
beziehe das nicht ausschließlich auf Sie, Herr Kollege
Ströbele –, müssen Sie als Abgeordnete generell damit
rechnen, wenn Sie der Bundesregierung eine Ja-Nein-
Frage stellen, dass Sie ein Ja oder ein Nein als Antwort
bekommen . Im Zusammenhang mit einer vorher gestell-
ten Frage gab es Zwischenrufe – diese sind sicherlich
im Protokoll nachzulesen –, in denen gefordert wurde,
mit Ja oder Nein zu antworten . Ich bitte um Verständnis,
wenn ich solchen Forderungen dann für die Bundesregie-
rung auch einmal nachkomme .
Es gibt in diesem Zusammenhang, Herr Kollege
Ströbele – das wissen Sie –, ein etabliertes Verfahren .
Und es ist – ich sage das noch einmal – ganz selbst-
verständlich, dass alle Mitglieder der Koalition das ih-
nen Mögliche tun, um zivile Opfer zu vermeiden . Wir
haben es jedoch – ich sage auch das noch einmal – mit
einer zynischen, menschenverachtenden Taktik des IS zu
tun, die genau das Gegenteil zu erreichen versucht . Den
Berichten über die Kämpfe in Mosul, in Rakka können
Sie entnehmen, dass Zivilisten versuchen, diese Kampf-
gebiete zu verlassen, dass aber jeder, der das versucht,
damit rechnen muss, wenn der IS es bemerkt, vom IS
umgebracht zu werden . In Mosul werden noch ungefähr
4 Quadratkilometer von den IS-Terroristen gehalten . Die
irakischen Streitkräfte kämpfen unter großen Opfern und
Risiken um die Befreiung von Mosul, weil sie versuchen,
zivile Opfer zu vermeiden, während der IS sie zu pro-
vozieren sucht . Ich verwahre mich hier gegen Unterstel-
lungen, als wäre es andersherum . Die gesamte Koalition,
alle dort beteiligten 65 Staaten, die Europäische Union,
die NATO, die Arabische Liga tun das ihnen Mögliche,
um zivile Opfer zu vermeiden . Jede anderslautende Un-
terstellung weise ich namens der Bundesregierung mit
Entschiedenheit zurück .
Ich rufe Frage 9 der Abgeordneten Katja Keul auf:
Inwiefern finden nach dem Beschluss über den NATO-Ein-
die Targeting-Richtlinien der NATO Anwendung, und sollten
sie keine Anwendung finden, welche anderen Wirkungen und
Konsequenzen für die Operation Inherent Resolve folgen aus
diesem Beschluss?
Herr Brauksiepe .
D
Frau Kollegin Keul, die Staats- und Regierungschefsder NATO haben bei ihrem Treffen am 25 . Mai 2017 inBrüssel den Beschluss des Nordatlantikrats vom 24 . Mai2017 zum formellen Beitritt der Allianz zur internatio-nalen Anti-IS-Koalition indossiert . Die Mitgliedschaftermöglicht der Allianz die aktive Teilnahme an den po-litischen Beratungen im Rahmen der internationalenAnti-IS-Koalition . Auch nach dem formellen Beitrittder NATO zur internationalen Anti-IS-Koalition findetdie NATO-Targeting-Richtlinie im Rahmen des Beitragsder Allianz zur Anti-IS-Koalition keine Anwendung, dadie NATO-Unterstützung mit AWACS-Flugzeugen aus-Katja Keulhttp://www.n-tv.de/politik/Stoltenberg-begruesst-klares-Signal-article19859553.htmlhttp://www.n-tv.de/politik/Stoltenberg-begruesst-klares-Signal-article19859553.html
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(D)
drücklich keine Beteiligung an der Zielzuweisung oderan einer Feuerleitfunktion beinhaltet .
Frau Keul .
Bevor ich meine Nachfrage stelle, möchte ich klarstel-
len, dass ich unverdächtig bin, NATO-Einsätze für gene-
rell gutzuheißen, aber immerhin gibt es im Rahmen eines
NATO-Einsatzes die entsprechenden Targeting-Richtli-
nien, die untereinander die Verantwortung im Rahmen
eines Battle Damage Assessments aufklären und zuord-
nen .
Jetzt müssen wir feststellen: Es sind alle NATO-Part-
ner beteiligt . Es gibt einen politischen Beschluss, der
besagt: „Wir treten formell bei“ – was auch immer das
heißt . Aber bei der Verantwortung für die Auswirkun-
gen des militärischen Handelns am Boden schleicht man
sich im Kern heraus und lässt genau an dieser Stelle die
NATO-Targeting-Richtlinien nicht zur Anwendung kom-
men . Das soll mir mal einer erklären!
Warum hält die Bundesregierung das für angemes-
sen? Werden Sie sich dafür einsetzen, dass die Targe-
ting-Richtlinien künftig auch im Rahmen dieses sehr
großen und sehr auswirkungsreichen Einsatzes beachtet
werden?
Herr Brauksiepe .
D
Frau Kollegin Keul, ich betone noch einmal, dass sich
die NATO-Beteiligung insbesondere auf die Unterstüt-
zung der Koalition mit AWACS-Flugzeugen bezieht, die
sich an der Zielzuweisung nicht beteiligen; diese Unter-
stützung beinhaltet auch keine Feuerleitfunktion . Das
heißt ja nicht, dass es für die Staaten, die in dem Gebiet
gegen den IS operieren, keine Regeln, keine Richtlinien
für den Einsatz gibt . Die Richtlinien, die für die OIR-Mit-
gliedstaaten, für die an dieser Koalition Beteiligten gel-
ten, unterscheiden sich materiell nicht besonders von den
Richtlinien der NATO oder den Verpflichtungen, die sich
jeder einzelne Mitgliedstaat auferlegt hat .
Alle Koalitionäre der Anti-IS-Koalition sind ja in die-
se Koalition gegangen, um das barbarische, menschen-
rechtswidrige Verhalten des IS zu stoppen und ausdrück-
lich das Völkerrecht einzuhalten . Das ist das klare Ziel
jedes Koalitionsmitglieds, das ist das klare Ziel der Koa-
lition als Ganze, und das ist natürlich auch das klare Ziel
der NATO und der Europäischen Union, soweit sie als
Bündnisse auch Teil dieser Koalition sind .
Noch einmal: Die NATO-Targeting-Richtlinien brau-
chen hier keine Anwendung zu finden, weil sich die ei-
gentliche Unterstützung der NATO auf den Einsatz der
AWACS-Flugzeuge bezieht . Sie haben in Ihrer Frage
nicht zu Unrecht deutlich gemacht: Es ist nicht zuletzt
eine politische Entscheidung, dass sich die NATO hier
als solche beteiligt . Es hat jedoch keine unmittelbaren
militärischen Konsequenzen .
Vielen Dank . – Rückfrage? – Gut . Frau Keul, bitte .
Ich finde es immerhin beruhigend, zu hören, dass es
bei OIR überhaupt Targeting-Richtlinien gibt . Ich weiß
nicht, inwieweit sie uns Parlamentariern zur Verfügung
gestellt werden können, gegebenenfalls vielleicht in
der Geheimschutzstelle . Dass sie sich nicht so sehr un-
terscheiden sollen, wundert mich jedoch ein bisschen;
denn ich habe noch nie erlebt, dass im Rahmen eines
NATO-Einsatzes jeder Bündnispartner für sich sagt: Ich
habe keine Ahnung, was die anderen machen; damit habe
ich nichts zu tun . – Dass jeder hier sich sozusagen selbst
der Nächste ist, das scheint mir doch ein ganz gravieren-
der Unterschied zu einem NATO-Einsatz zu sein .
Bei meiner zweiten Frage möchte ich auf ein Gut-
achten des Wissenschaftlichen Dienstes Bezug nehmen,
das wir zur Frage der Verantwortung Deutschlands im
Hinblick auf das humanitäre Völkerrecht beim Einsatz
in Syrien angefragt hatten . Da heißt es in der Schlussfol-
gerung, bei den Empfehlungen und Vorschlägen auch für
die Bundesregierung:
In der Praxis könnte sich Deutschland etwa mittels
einer Beobachterrolle in den targeting-Prozess
einschalten, um sich etwa über die Verwendung
der Aufnahmen beim targeting zu informieren
und sich dabei von der Einhaltung der Vorsichts-
maßnahmen nach Art. 57 ZP 1 GK
– in diesem Artikel des Zusatzprotokolls zu der Genfer
Konvention geht es bekanntermaßen um die Vermeidung
ziviler Opfer –
zu überzeugen. Letztlich könnte Deutschland
rechtlich gehalten sein, die weitere Aufklärungs-
unterstützung für die Operation „Inherent Resolve“
unter einen entsprechenden Vorbehalt zu stellen.
Meine Frage wäre jetzt: Wie viele weitere Eskalatio-
nen wollen wir noch abwarten, bevor wir hier über einen
solchen Vorbehalt diskutieren?
Herr Dr . Brauksiepe, bitte .
D
Frau Kollegin, ich weise die Unterstellung, es gäbehier weitere Eskalationen, deutlich zurück . Ich sage nocheinmal in Bezug auf die Targeting-Richtlinien: Dies isteben kein NATO-Einsatz, sondern der Einsatz der An-ti-IS-Koalition. Ein NATO-Einsatz findet zum Beispielin Afghanistan oder im Kosovo statt . Dies ist aber keinNATO-Einsatz, sondern die NATO ist dieser Koaliti-on beigetreten . – Das zur Relevanz von NATO-Targe-ting-Richtlinien .Parl. Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe
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Zu dem Gutachten will ich deutlich feststellen: DasGutachten unterstellt der Bundesregierung keinesfallseine Rechtsverletzung . Im Ergebnis geht es darum: Wenndie Bundesregierung davon ausgehen müsste, dass sichihre Partner hier völkerrechtswidrig verhielten, dannwäre sie natürlich auch in der Verantwortung, das ihrMögliche zu tun, um völkerrechtswidriges Verhalten zuunterbinden . Aber ich sage noch einmal in aller Deut-lichkeit: Wir haben nicht den geringsten Anhaltspunkt,zu vermuten, dass sich einer unserer Partner in völker-rechtswidriger Weise verhält .Da ich aufgrund Ihrer öffentlichen Äußerungen mitdieser Nachfrage rechnen konnte, darf auch ich aus demGutachten zitieren . Es wird auf ein Urteil des Bundesge-richtshofes verwiesen – ich zitiere –,in welchem er eine Zurechnung völkerrechtswid-riger unerlaubter Handlungen eines anderenBündnispartners grundsätzlich verneinte undeine deutsche Amtshaftung für Kriegsschäden auseben diesem Grund ablehnte .An späterer Stelle heißt es im Zusammenhang mit not-wendigen Maßnahmen, die ein Bündnispartner zu leistenhat – in diesem Fall die Bundesrepublik Deutschland –:Ein abstraktes Wissen um das allgemeine Risiko,dass bei Militäreinsätzen auch „etwas schiefgehen“und dabei Zivilisten ums Leben kommen können,vermag eine Mitverantwortung des Unterstützer-staats gegenüber den Folgen der Militäroperationnicht zu begründen.Also noch einmal: Die Bundesregierung trifft hier kei-nerlei Versäumnis in formaler Weise, und es gibt über-haupt keinen Grund zu der Annahme, dass sich hier ir-gendein Koalitionspartner völkerrechtswidrig verhält .Die Bundesregierung und die gesamte Anti-IS-Koalitionbedauern jedes zivile Opfer . Ich sage noch einmal: Es istdie Terrororganisation IS, die durch ihr Verhalten zivileOpfer provoziert .
Ich darf die Kollegen auf allen Bänken bitten, sich an
die Regeln zu halten, und die Regel lautet: eine Minute .
Jetzt hat sich noch Kollege Kekeritz zu einer Zusatz-
frage gemeldet, und dann kommen noch zwei Kollegen
von der Linken .
Herr Staatssekretär, ich bin etwas erschrocken ob Ihrer
diversen Aussagen . Ich möchte Sie insbesondere fragen:
Was verstehen Sie unter „Eskalation“? Wenn wir heute
hören, dass bereits bis zu 500 Tote zu verzeichnen sind,
Sie aber sagen: „Das ist noch keine Stufe der Eskalation,
die ein entsprechendes Verhalten der Bundesregierung
nach sich ziehen müsste“, dann frage ich mich: Wann
ist eigentlich die Schwelle erreicht, dass Sie tatsächlich
nachfragen?
Außerdem halte ich es schon irgendwie für zynisch,
dass Sie das Verhalten des IS verwenden, um von der ei-
gentlichen Problematik abzulenken, die von meinen Kol-
leginnen und Kollegen vorgetragen wurde . Sie können
doch das eine nicht mit dem anderen aufrechnen .
Wir sind sehr wohl der Meinung, dass der IS sich men-
schenunwürdig verhält und dass das absolut zu kritisie-
ren ist; aber daraus die Legitimation abzuleiten, nichts
hinsichtlich der 500 zivilen Toten, die durch die Luft-
bombardements zu verzeichnen sind, zu unternehmen,
das halte ich für absolut daneben .
Mich würde im Übrigen interessieren, inwieweit Sie
tatsächlich glauben, dass die Bombardements zu einer
Stabilisierung in diesem Gebiet beitragen .
Herr Brauksiepe .
D
Herr Kollege, nach den mir vorliegenden Informatio-
nen sind, wie auf der Internetseite der Operation Inherent
Resolve mit Stand 2 . Juni nachzulesen ist, mindestens
484 tote Zivilisten zu beklagen . Mein Zweifel, das als
Eskalation zu bezeichnen, hat etwas damit zu tun, dass
ich nicht bestätigen kann – dann könnte man mit Recht
von Eskalation sprechen –, dass es beispielsweise jah-
relang überhaupt keine Toten gegeben hat und nun auf
einmal sehr viele zivile Opfer gibt .
Ich wiederhole noch einmal: Es gibt das Battle Da-
mage Assessment, das die Koalition durchführt, um fest-
zustellen, ob es zivile Opfer gegeben hat . Das wird un-
tersucht in jedem Fall, bei dem diese Gefahr besteht . Die
Untersuchungen sind in vielen Fällen eben noch nicht
abgeschlossen . Sie dauern meines Wissens rund 30 Tage .
So ist beispielsweise die Untersuchung zu dem in der
vorherigen Frage angesprochenen Vorfall nach meiner
Kenntnis noch nicht abgeschlossen .
Von daher kann ich das, was hier als Eskalation be-
zeichnet worden ist, so nicht bestätigen . Ich sage noch
einmal: Wir bedauern jedes zivile Opfer, wir bedauern
unter anderem aber auch alle zivilen Opfer, die es durch
das barbarische Verhalten des IS gegeben hat, bevor sich
die Koalition gebildet hat .
Eine Minute! Das gilt auch bitte für Sie, HerrDr . Brauksiepe, außer bei der Beantwortung der schrift-lich gestellten Frage; da stehen Ihnen zwei Minuten zurVerfügung .Ich rufe die Frage 10 der Kollegin Christine Buchholzauf:Wie erklärt die Bundesregierung den Widerspruch, dassdas Bundesverteidigungsministerium in der Antwort vom17 . Mai 2017 auf die Kleine Anfrage der Fraktion Die Lin-ke über „Luftangriffe der US-geführten Koalition in Syrienund im Irak“ er-klärt, es lägen „keine eigenen Erkenntnisse zur Anzahl durchLuftangriffe der internationalen Anti-IS-Koalition ums Lebengekommenen Kämpfer der Terrororganisation IslamischerStaat vor“, das Auswärtige Amt hingegen in der Antwort vomParl. Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe
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18 . Mai 2017 auf die Kleine Anfrage der Fraktion Die Lin-ke über „Hintergründe zum Einsatz von Minen und Spreng-
Höhe über die Zahl der „im Rahmen der Bombardierung undErstürmung der irakischen Stadt Mossul im Jahr 2017“ getöte-ten Kombattanten in der Geheimschutzstelle den Abgeordne-ten zur Einsicht vorlegen kann?D
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Frau Kollegin, nach
Auffassung der Bundesregierung liegt hier kein Wider-
spruch vor . Die beiden Fragestellungen unterscheiden
sich erheblich, sowohl in ihrem Zeithorizont als auch in
ihrem geografischen Schwerpunkt. Frage 14 der Kleinen
Anfrage zu den Hintergründen zum Einsatz von Mi-
nen- und Sprengfallen im Irak und in Syrien behandelt
die Anzahl der – ich zitiere – „im Rahmen der Bombar-
dierung und Erstürmung der irakischen Stadt Mossul im
Jahr 2017“ ums Leben gekommenen Kombattanten . In
Frage 16 der Kleinen Anfrage zu den Luftangriffen der
US-geführten Koalition wird die Anzahl der infolge von
Luftangriffen der US-geführten Koalition in Syrien und
im Irak bis zum 1 . April 2017 getöteten Kämpfer des „Is-
lamischen Staates“, IS, erfragt .
Lediglich zur ersten, deutlich enger gefassten Frage,
der Frage 14, lagen der Bundesregierung entsprechende
nachrichtendienstliche Informationen vor . Diese Infor-
mationen wurden aus Gründen des Staatswohls als Ge-
heim eingestuft und für die Abgeordneten in der Geheim-
schutzstelle des Deutschen Bundestages hinterlegt .
Vielen Dank, Herr Brauksiepe . – Frau Buchholz .
Ich möchte noch einmal nachfragen . Der Kern der
Frage ist ja, dass es offensichtlich unterschiedliche Ein-
schätzungen im BMVg und im Auswärtigen Amt darüber
gibt, wie viele Kombattanten im Rahmen dieses Krieges,
dieser Operation getötet werden . Das ist ja wichtig für
die politische Einschätzung, auch bezogen auf die Wir-
kung der Operation . Die USA sind 2014 von 3 000 bis
5 000 IS-Kämpfern ausgegangen . In seiner Abschieds-
rede sprach Obama aber von Zehntausenden . Man muss
sich doch die Frage stellen, wie viele Kombattanten bei
der Operation, an der auch die Bundeswehr beteiligt ist,
getötet wurden und wie sich die Zahl entwickelt . Auf die-
sen Widerspruch zielt diese Frage . Ich frage Sie hier: Wie
erklären Sie sich, dass die Zahl nach mehreren Jahren
dieser Operation offensichtlich erheblich ist, und welche
Konsequenzen hat das für die Beteiligung Deutschlands
an der Operation Inherent Resolve?
Herr Brauksiepe, bitte .
D
Frau Kollegin, ich kann mich nur wiederholen: Die
Bundesregierung sieht diesen Widerspruch nicht . Es gibt
hier keinen Widerspruch zwischen Auswärtigem Amt
und Bundesministerium der Verteidigung .
Ich darf zum besseren Verständnis die beiden Fragen,
um die es hier geht, vorlesen . Die eine Frage lautete:
Wie viele Kombattanten sind im Rahmen der Bom-
bardierung und Erstürmung der irakischen Stadt
Mossul im Jahr 2017 nach Kenntnissen der Bundes-
regierung ums Leben gekommen?
Die andere Frage lautete:
Wie viele Kämpfer des „Islamischen Staats“
sind nach Kenntnis der Bundesregierung infolge
von Luftangriffen der US-geführten Koalition bis
Da gibt es also beispielsweise keine regionale Konzen-
tration auf Mossul wie in der anderen Frage .
Nur insoweit die Bundesregierung über nachrichten-
dienstliche Erkenntnisse verfügt, haben wir geantwortet .
Die Antwort haben wir in der Geheimschutzstelle hin-
terlegt . Sie werden Verständnis dafür haben, dass ich zu
dem, was dort als Geheim eingestuft hinterlegt ist, hier
nicht öffentlich Stellung nehme .
Frau Buchholz, haben Sie eine Rückfrage?
Ja . – Ich nehme zur Kenntnis, dass Sie auf meine Fra-
ge, wie es zu unterschiedlichen Einschätzungen in den
beiden Ministerien kommt, nicht antworten wollen .
Ich will noch eine aktuelle Frage hinzufügen, die
für die Einschätzung insgesamt wichtig ist: Die russi-
sche Regierung hat kürzlich erklärt, dass alle Flüge der
US-geführten Koalition westlich des Euphrats – dazu
gehört auch das Mandatsgebiet der Operation Counter
Daesh – als feindliche Flugbewegung eingestuft werden .
Die australische Luftwaffe hat ihren Einsatz daraufhin
eingestellt . Wird diese Entwicklung auch Konsequenzen
für die Aufklärungs- und Betankungsflüge der deutschen
Luftwaffe haben?
Herr Brauksiepe .
D
Frau Kollegin, ich wiederhole es noch einmal: Ichkann zu Meinungsunterschieden, die es nicht gibt, keineStellung nehmen . Deswegen weise ich die Unterstellung,ich hätte Ihre Frage nicht beantwortet, zurück . Es gibtdiese Meinungsunterschiede nicht .Was die von Ihnen angesprochene aktuelle Entwick-lung angeht, sage ich: Die Bundesregierung ist sehr daranVizepräsidentin Claudia Roth
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 239 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 21 . Juni 2017 24405
(C)
(D)
interessiert, dass ein Deconflicting weiterhin stattfindet.Die Bundesregierung ist fest davon überzeugt, dass diesnicht nur im gemeinsamen Interesse der Anti-IS-Koaliti-on ist, sondern auch im Interesse Russlands .Zum jetzigen Zeitpunkt ist mir von Konsequenzenfür das Verhalten der mandatierten deutschen Soldatennichts bekannt .
Die letzte Frage in dieser Fragestunde stellt Frau Keul
zu der Frage von Frau Buchholz .
Ich habe nur eine ganz kurze Nachfrage: Fliegen die
Tornados auch östlich des Euphrat?
Herr Brauksiepe .
D
Frau Kollegin, die Tornados fliegen über dem IS-Ge-
biet . Das ist das mandatierte Gebiet . Ich bitte um Ent-
schuldigung, dass ich jetzt die Lage verschiedener Flüsse
im Verhältnis dazu nicht im Kopf habe, aber das kann ich
gerne nachreichen . Ich habe jetzt die Karten nicht hier .
Damit schließe ich die Fragestunde . Alle weiteren Fra-
gen werden schriftlich beantwortet . Ich bedanke mich bei
Ihnen und übergebe mit großer Freude an unseren Präsi-
denten .
Meine Damen und Herren, ich rufe nun den Tagesord-
nungspunkt 3 sowie den Zusatzpunkt 1 auf:
3 . Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Bericht des Unabhängigen Expertenkreises
Antisemitismus
Drucksache 18/11970
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technik folgen-
abschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Beck , Monika Lazar, Luise Amtsberg,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Antisemitismus entschlossen bekämpfen
Drucksache 18/12784
Ich möchte auf der Ehrentribüne zu diesem Tagesord-
nungspunkt im Namen des ganzen Hauses sehr herzlich
die Mitglieder des Unabhängigen Expertenkreises begrü-
ßen . Ich freue mich, dass Sie dieser Aussprache beiwoh-
nen .
Insbesondere danke ich Ihnen natürlich für Ihre Mitwir-
kung am Zustandekommen dieses Berichts .
Mit der Einladung an Sie möchten wir auch deutlich
machen: Das ist in der Abfolge der vielen Tagesordnungs-
punkte der zweitletzten Sitzungswoche des Bundestages
in der laufenden Legislaturperiode auf den ersten Blick
natürlich einer von vielen Beratungspunkten; aber es ist
nicht irgendeiner . Diesem Parlament ist das Thema An-
tisemitismus aus nicht weiter erläuterungsbedürftigen
Gründen ein dauerndes und besonders ernsthaftes Anlie-
gen . Wir haben gerade in dieser Legislaturperiode mehr-
fach – nicht nur durch die Beschäftigung dieser Kommis-
sion, sondern auch durch die Organisation internationaler
Konferenzen hier in Berlin und anderswo – deutlich ge-
macht, welchen Stellenwert diese Frage für uns hat . Des-
wegen danke ich an dieser Stelle – ich möchte das nicht
im Laufe der Debatte jeweils einzeln tun – den Kollegin-
nen und Kollegen ganz besonders herzlich, die sich die-
sem Thema mit einer bewundernswürdigen Konsequenz
nun über viele Jahre widmen .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Das ist offen-
sichtlich einvernehmlich . Dann können wir so verfahren .
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst für die Bundesregierung dem Parlamentarischen
Staatssekretär Günter Krings .
D
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-ren Kollegen! Auch ich begrüße die anwesenden Mitglie-der des Expertengremiums sehr herzlich .Die Bekämpfung des Antisemitismus in all seinen Fa-cetten ist unstreitig Konsens unter allen demokratischenKräften in Deutschland, und es ist gut, wenn dies im Üb-rigen für alle Formen des Extremismus gilt . Der gemein-same Kampf gegen Antisemitismus und Extremismusist eine Selbstverständlichkeit und sollte es auch immersein . Ja, ich würde sogar so weit gehen, zu sagen: Geradeder Kampf gegen Antisemitismus gehört zur Staatsräsonder Bundesrepublik Deutschland .
Der aktuelle Bericht des Unabhängigen Experten-kreises Antisemitismus, den wir heute diskutieren, weistuns darauf hin, wie vielfältig und leider auch wie ver-breitet das Phänomen Antisemitismus nach wie vor ist .Antisemitismus findet sich quer durch alle Gesellschafts-schichten und ist ein zentrales Merkmal des rechtsex-tremistischen Spektrums, aber eben nicht nur . Präventionund Interventionsmaßnahmen müssen sich darauf nochstärker einstellen .Parl. Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe
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Eine wichtige Grundlage für solche Maßnahmen bil-det der Expertenkreis Antisemitismus mit seinem nun-mehr vorgelegten umfangreichen Bericht . Eingerichtetwurde er durch den Bundesminister des Innern aufgrundeines fraktionsübergreifenden Bundestagsbeschlusses inAbstimmung mit allen im Bundestag vertretenen Frak-tionen . Die Konstituierung des Expertenkreises erfolgteim Januar 2015 mit logistischer und finanzieller Unter-stützung des Bundesinnenministeriums . Der Großteil dereingesetzten finanziellen Mittel ist dabei in die Erstellungempirischer Expertisen geflossen, und genau da ist dasGeld, wie ich meine, auch gut und richtig investiert . Fürihre Arbeit möchte ich den Expertinnen und Experten andieser Stelle im Namen der Bundesregierung ausdrück-lich danken .
Von besonderer Bedeutung sind für mich die Ausfüh-rungen des Berichts zu den Wahrnehmungen und Per-spektiven der jüdischen Bevölkerung im Umgang mitAntisemitismus . Diese Erfahrungen mit Antisemitismussind bitter und einer offenen Gesellschaft unwürdig –ganz besonders unwürdig einer deutschen offenen Ge-sellschaft . Daher halte ich unter anderem die Handlungs-empfehlung für wichtig, zukünftig jüdische Perspektivenund Expertisen in die verschiedenen Förderprogrammeder Antisemitismusprävention und der politischen Bil-dung noch stärker einzubeziehen .Für das Bundesinnenministerium ist politische Bil-dung ohnehin ein ganz wesentliches Element der Prä-vention auch in diesem Bereich . Politische Bildung mussdaher bereits dort ansetzen, wo es nicht um manifeste an-tisemitische Weltbilder, Handlungen oder gar Straftatengeht, sondern zunächst um Unwissenheit, Verunsiche-rung oder unreflektiertes Übernehmen von schlimmenVorurteilen . Politische Bildung kann dann im besten FalleEinstellungsänderungen erzielen und Wertorientierungenvermitteln . Ihre Stärke liegt aber vor allem im Bereichder Vermittlung von Wissen und in der argumentativenAuseinandersetzung mit antisemitischen Denkmustern .Darin besteht ein wichtiger Teil von Prävention .Es gilt beständig: Antisemitismus geht uns alle an,die sogenannte Mehrheitsgesellschaft – oder wie immerman das umschreiben will – ebenso wie Zuwandererund Flüchtlinge; er ist eben kein Thema nur für die Be-troffenen . Überall dort, wo er auftritt, darf er nicht un-widersprochen bleiben; auch das ist ein wichtiger Punktpolitischer Bildung . Politische Bildung als solche kannZivilcourage nicht ersetzen – Zivilcourage ist nötig,wenn es um das Widersprechen geht –, aber politischeBildung kann das Rüstzeug dafür geben, dass man dieArgumente hat, um mit Zivilcourage gegen antisemiti-sche Thesen und Beleidigungen vorzugehen .Ein weiterer Punkt im Bericht des Expertenkreisesist die Forderung nach konsequenter Erfassung undAhndung antisemitischer Straftaten . Antisemitismusist immer auch ein Angriff auf die Grundwerte unsererdemokratischen Ordnung und unserer offenen, pluralis-tischen Gesellschaft . Deshalb sind die Bekämpfung desAntisemitismus und die konsequente Verfolgung antise-mitischer Straf- und Gewalttaten für den demokratischenRechtsstaat Verpflichtung aus eigenem Anspruch. Dabeiwerden wir alle zur Verfügung stehenden Mittel aus-schöpfen .Auch wenn die Rechtsextremisten öffentlich heu-te hauptsächlich gegen Flüchtlinge agitieren, bleibt derAntisemitismus leider fester Bestandteil ihrer rechtsex-tremistischen Hetze . Aber es gibt auch einen islamisti-schen Antisemitismus, der das Existenzrecht Israels be-streitet und die Vernichtung Israels, je nach Ausrichtungund Radikalität, sogar offen fordert . Schließlich kommenauch in Kampagnen von Linksextremisten antisemiti-sche Einstellungen vor, häufig unter der Überschrift „Is-rael-Kritik“, die berechtigt sein kann, teilweise aber nurals Deckmantel dient .Die Zahl der antisemitischen Straftaten ist nach einemRückgang im Jahre 2015 im Jahre 2016 wieder angestie-gen . Nach wie vor wird die weit überwiegende Zahl derantisemitischen Straftaten der politisch motivierten Kri-minalität, PMK-rechts, zugeordnet .Wenn wir uns überlegen, was wir mit den empirischenErkenntnissen, die wir, was die Daten und den Bericht an-belangt, zum Teil schon vorher hatten, machen, dann istnatürlich klar: Am Ende der Legislaturperiode ist dieserBericht vor allem ein Hausaufgabenheft für den neuen,den 19 . Deutschen Bundestag und für die neue Bundes-regierung . Zu Forderungen und Empfehlungen, die aufneue staatliche Funktionen und Strukturen abzielen, wirdnach den Bundestagswahlen die neue Bundesregierungunter Berücksichtigung der Ergebnisse der parlamentari-schen Debatte die notwendigen Entscheidungen treffen .So viel aber können wir schon jetzt sagen: Wir habenaufgrund unserer Geschichte in Deutschland eine ganzbesondere Verantwortung gegenüber unserer jüdischenBevölkerung . Die politischen Gefahren des Antisemi-tismus gehen nicht nur die jüdischen Menschen als un-mittelbar Betroffene an, sondern auch die demokratische,freiheitliche Gesellschaft im Ganzen, meine Damen undHerren . Deshalb zielen unsere Präventionsmaßnahmenauch auf die gesamte Gesellschaft, und sie beziehen dieGesellschaft und die Zivilgesellschaft als wichtige Ak-teure mit ein . Der Bericht des unabhängigen Experten-kreises weist in diesem Sinne den richtigen Weg . Des-halb will ich zum Schluss nochmals seinen Autoren Danksagen . Ich will aber auch den Berichterstattern aus allenBundestagsfraktionen, die die Arbeit der Expertenkom-mission parlamentarisch begleitet haben, Dank sagen .Vielen Dank .
Petra Pau ist die nächste Rednerin für die Fraktion DieLinke .
Parl. Staatssekretär Dr. Günter Krings
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Sehr geehrte Expertinnen und Ex-perten! Ein Satz vorab: Wir reden über Artikel 1 Grund-gesetz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar .“Wohlgemerkt: aller Menschen, unabhängig von ihrerHerkunft, ihrer Kultur oder ihrer Religion .
So weit das Gebot. Im Alltag sieht es häufig andersaus – viel zu häufig. Angriffe gegen Jüdinnen und Juden,verbal und tätlich, gehören dazu . Umso wichtiger ist die-se Plenardebatte, und umso weniger darf sie folgenlosbleiben .
Antisemitismus ist eine menschenverachtende Ideo-logie . Sie erniedrigt Menschen nur, weil sie Jüdinnenund Juden sind . Die Nazis trieben sie zum Exzess, zumVölkermord, zum Holocaust . Ein Mahnmal unweit vonunserem Parlament erinnert an diese deutsche Schande –zu Recht, zumal der Antisemitismus nicht aus der Weltist, auch hierzulande nicht . Es gibt ihn am rechten Rand,aber auch inmitten der Gesellschaft . Das wollen und dür-fen wir nicht hinnehmen .Ich habe mich auch an die Vorgeschichte unserer heu-tigen Debatte erinnert . Im Jahr 2008 begingen wir den70 . Jahrestag der Reichspogromnacht, und es hatte sicheine interfraktionelle Arbeitsgruppe mit Vertretern al-ler Fraktionen zusammengefunden, weil wir von demschlimmen Befund alarmiert waren, dass in der Bundes-republik wöchentlich ein jüdischer Friedhof geschändetwurde .Wir waren uns einig, dass der Kampf gegen Antisemi-tismus keine parteipolitischen Scharmützel verträgt . Da-mals gab es sie dennoch . Sie haben niemandem genutzt .Umso mehr freue ich mich – und dafür plädiere ich heuteauch noch einmal – über die jetzige Weitsicht, Vernunftund Gemeinsamkeit in dieser Frage .Ein Ergebnis der damaligen Debatten war, dass dererste Bericht zu diesem Thema bei einer Expertenkom-mission in Auftrag gegeben wurde . Heute reden wir überden zweiten Bericht . Nach ihm folgen 24 bis 40 Prozentaller Bürgerinnen und Bürger – je nachdem, ob man dieklassischen Klischees oder den Antisemitismus anlegt,der sich auf Israel bezieht – antisemitischen Positionen .Deshalb möchte ich hier noch einmal betonen: Unterdem Strich ist es egal, ob Jüdinnen und Juden als Welt-verderber denunziert oder für die Politik Israels in Haftgenommen werden . Beides ist nicht hinnehmbar .
Es gibt aber beides .Übrigens: Kein anderes Volk, keine andere Kultur undkeine andere Religion unterliegt einer solchen Pauschal-negation wie die Jüdinnen und Juden durch den Antise-mitismus . Das ist irrational, und die Folgen sind fatal .Gleichwohl muss ich einfügen: Dieser furchtbarenPauschalablehnung droht aktuell eine ebenso schlimmeKopie, nämlich die Ablehnung gegenüber den Muslimin-nen und Muslimen, deren Herkunft, Kultur und Religi-on . Insofern reden wir heute umso drängender darüber,ob und wie Artikel 1 des Grundgesetzes Bestand habenkann .
Heute wird natürlich jede Fraktion den Bericht loben .So weit, so gut . Ob das bei den Forderungen, die Sie er-heben, ebenso ist, wird sich zeigen . Ich möchte hier auffünf Vorschläge eingehen .Erstens . Der Expertenkreis plädiert für einen Anti-semitismusbeauftragten der Bundesregierung . Er sollim und aus dem Bundeskanzleramt ein Gesamtkonzeptgegen Antisemitismus befördern, die nötigen Initiativenzwischen den verschiedenen Ministerien und die Aktivi-täten zwischen dem Bund und den Ländern koordinieren .Die Linke stimmt diesem Vorschlag zu . Allerdingsfüge ich an: Meine Vorstellungen gehen weiter . Spätes-tens aus der NSU-Nazimordserie und dem dazugehöri-gen Versagen nicht nur des Staates wissen wir: Wir habenin der Bundesrepublik ein grundsätzliches Problem mitRechtsextremismus, mit Rassismus und Antisemitismus .Deshalb plädiere ich seit längerem für eine Beauftragtedes Bundestages für Demokratie und Bürgerrechte,
zumal es schwer einsehbar ist, dass wir einen Beauftrag-ten für Menschenrechte haben, der weltweit unterwegsist, aber zu Hause, wo die Probleme zunehmen, eine ge-fährliche Leerstelle lassen .Zweitens . Es wird eine ehrliche und transparente Er-fassung aller antisemitischen Vorfälle und deren juristi-scher Ahndung, soweit das strafrechtlich geboten ist, ge-fordert . Was so selbstverständlich klingt, beschreibt einanhaltendes Problem: Die offiziellen Statistiken stapelnnoch immer tief, sowohl bei rechtsextremen und rassis-tischen als auch bei antisemitischen Straf- und Gewalt-taten .Drittens . Es gibt zahlreiche zivilgesellschaftliche Ini-tiativen, die sich vor Ort und in ihrer Region für Demo-kratie und Toleranz und gegen Rechtsextremismus, Ras-sismus und Antisemitismus engagieren; das wird auchvom Expertenkreis gewürdigt . Zugleich machen sie aufein bekanntes Problem aufmerksam: Die Fördermittelwurden zwar finanziell aufgestockt, aber sie gelten ebenimmer noch in Jahresscheiben . Das ist kurzsichtig; dennim Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus brauchtes einen langen Atem .Viertens . Es wird eine ständige Bund-Länder-Kom-mission vorgeschlagen, die sich mit diesem Problembefasst . Ich höre es schon wieder: Wenn du nicht mehrweiterweißt, bilde einen Arbeitskreis . – Aber ich glaube,
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das ist zu kurz gedacht . Noch immer werden Rechtsex-tremismus und Rassismus offiziell kleingeschwiegen. Zuallen möglichen Problemen gibt es ad hoc Kanzlergipfel,Krisentreffen und anderes . Aber in dieser Frage stehenMenschen- und Bürgerrechte auf dem Prüfstand . Das istwichtiger .Fünftens. Ich finde, die Expertenkommission sollteermutigt werden und sie sollte verstetigt werden, zumalsich neue Probleme zeigen . Ich will nur eins andeuten:Etliche Geflüchtete kommen aus Ländern, in denen Ju-denhass Staatsdoktrin ist . Sie wurden zu Antisemitenerzogen und haben vom Holocaust oft noch nie etwas ge-hört . Überhaupt rückt die Nazizeit für die nachwachsen-den Generationen in weite Ferne . Dazu bedarf es nichtnur wissenschaftlicher Untersuchungen, sondern auchEmpfehlungen .
Wir diskutieren – der Präsident hat darauf aufmerk-sam gemacht – diesen Bericht, wohl wissend, dass sichdie Legislaturperiode dem Ende zuneigt. Aber ich finde,niemand hindert die Bundesregierung daran, die drän-genden Empfehlungen der Kommission schon jetzt um-zusetzen . Das gilt übrigens auch für Landesregierungen;denn eines bleibt: Wird eine Gruppe ihrer Würde beraubt,dann kann das alle treffen, und dann ist alles Gerede vonunseren Werten hohl . Das will ich nicht . Ich denke, daswollen wir alle nicht . Deshalb sollten wir uns wehren .
Gestatten Sie mir noch einen Satz zum Schluss . Wirsprechen hier im Bundestag über Jüdinnen und Juden oftnur dann, wenn es um Handlungen gegen sie geht, wiedas heute beim Thema Antisemitismus der Fall ist . Abertrotz Holocaust und trotz aktueller Probleme: Wir habenein vielfältiges jüdisches Leben . Das bereichert uns alle .Das sage ich aus aktuellem Anlass . Volker Beck und ichdurften am letzten Sonntag erleben, wie hier in Berlineine deutsche Jüdin zur „konservativen“, wie sie sichselbst nennt, Rabbinerin ordiniert wurde . Ein wunderba-res Ereignis – nicht nur für die jüdische Gemeinschaft inDeutschland, sondern, wie ich denke, für uns alle .Danke .
Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Edelgard
Bulmahn das Wort .
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-nen und Kollegen! Eine breite Mehrheit der Bürgerinnenund Bürger in unserem Land lehnt Fremdenfeindlich-keit, Rassismus und Antisemitismus ab . Sie treten ein fürAchtung und Toleranz gegenüber Menschen unterschied-licher Überzeugung, unterschiedlicher Religion, unter-schiedlicher kultureller Traditionen und unterschiedli-cher Herkunft .Und welch ein Glück: Jüdisches Leben blüht wiederin Deutschland .
Synagogen werden eröffnet . Jüdische Kindergärten undjüdische Schulen werden eröffnet . Für viele ist Deutsch-land inzwischen wieder ein Magnet geworden . In Berlinleben Tausende von jungen Israelis . Sie kommen zumStudieren, zum Arbeiten, zum Leben in diese Stadt . Undwelche Bereicherung ist das für uns alle!
Dennoch, liebe Kolleginnen und Kollegen: Antisemi-tismus, antisemitische Einstellungen und Überzeugun-gen sind in unserem Land, im Land der Täter, im Landder planmäßigen Auslöschung jeglichen jüdischen Le-bens, noch immer verbreitet . Das hat der aktuelle Berichtdes Expertenkreises Antisemitismus noch einmal ganzeindringlich vor Augen geführt . Ich möchte den Mitar-beiterinnen und Mitarbeitern und den Sachverständigenganz ausdrücklich für diesen wirklich hervorragendenBericht danken .
Er zeigt, dass auch heute, 72 Jahre nach der Zerschla-gung der NS-Diktatur, der Antisemitismus in Deutsch-land noch nicht überwunden ist . Die meisten von unsspüren das kaum, da sie persönlich nicht betroffen sind .Sie sind nicht Zeuge eines offenkundigen Antisemitismusoder versteckter Andeutungen, vermeintlicher Scherze .Der Antisemitismus liegt oft außerhalb unserer eigenenErfahrungswelt, und doch ist er allgegenwärtig für Men-schen jüdischen Glaubens .In unserem Land jüdisch zu sein, bedeutet, damitrechnen zu müssen, angepöbelt zu werden, beleidigt, ge-schmäht zu werden; es bedeutet, schon aufgrund seinesNamens damit rechnen zu müssen, unflätige Telefonan-rufe und Hass-E-Mails zu erhalten . Und jüdisch zu sein,kann in Deutschland auch bedeuten, in der Schule undunter Jugendlichen ausgegrenzt zu werden, gedemütigtzu werden oder sogar körperlich bedroht zu werden .Das alles erfährt man nicht nur aus den Gesprächen mitBetroffenen, sondern das bestätigen und unterstreichensämtliche empirische Studien der letzten Jahre .61 Prozent der Befragten, so eine Studie, geben an,dass der Antisemitismus für sie ein großes, ja sogar einziemlich großes Problem sei . Kein Zweifel: Der Antise-mitismus in Deutschland ist für die jüdischen DeutschenPetra Pau
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ein Problem . Er ist aber kein Problem der jüdischen Be-völkerung .
Er ist das Problem unserer Gesellschaft und damit unseraller Problem .Wenn mit antisemitischen Ressentiments politischeStimmung gemacht wird, so wie das in einigen Partei-en, zum Beispiel der AfD, geschieht, wenn Menschenbeleidigt oder sogar angegriffen werden, liebe Kollegin-nen und Kollegen, dann darf niemand wegschauen, danndarf niemand schweigen, und dann darf niemand so tun,als wenn Antisemitismus in unserem Land überwundenwäre .
Jede einzelne Tat und jeden einzelnen Vorfall solltenwir als das begreifen, was es ist: Sie sind ein Angriff aufunsere Demokratie, auf elementare Menschenrechte, aufunsere freiheitliche Gesellschaft und damit auch auf un-sere Art, zu leben .
Wie wir damit umgehen, wie wir unsere Minderheiten,wie wir unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgerschützen, das ist ein Gradmesser, liebe Kolleginnen undKollegen, wie ernst wir es mit der Verteidigung unsererwerteorientierten Demokratie meinen und wie wichtiguns diese ist .
Es darf auch keine Entschuldigung geben mit demVerweis darauf, dass in vielen Fällen Flüchtlinge, Men-schen mit Migrationshintergrund oder Menschen, diezum Antisemitismus erzogen worden sind, verantwort-lich seien . Unsere Verfassung gebietet es, die Würde allerMenschen in unserem Land zu schützen, gleich von wemoder wie sie bedroht wird .Vor allen Dingen dürfen wir mit dem Verweis aufdiese Tätergruppen nicht über den erstarkenden Rechts-populismus oder auch den Rechtsextremismus hinweg-schauen, der vom gesellschaftlichen Rand in die Mitteder bürgerlichen Schichten hineinzusickern droht . Forde-rungen nach einer – Zitat – „erinnerungspolitischen Wen-de um 180 Grad“ oder Aussagen, dass man die politischeKorrektheit auf den Müllhaufen der Geschichte werfensollte, sollten uns alle wachrütteln .
Sicherlich ist die Öffentlichkeit jedes Mal entrüstet,wenn Übergriffe bekannt werden, genauso wie wir jedesMal eine Welle der Empörung über solche unsäglichenBeiträge der Höckes, Gedeons oder Weidels erleben .Aber ich frage mich immer wieder: Reicht das? Ich glau-be, nicht; denn allzu oft erleben wir leider auch, dass dasöffentliche Interesse nach kurzer Zeit wieder erlahmt .Das ist ein Problem . Diese Zyklen medialer Aufmerk-samkeit gilt es zu durchbrechen; denn Antisemitismus istkein historisches, kein punktuelles, sondern ein anhalten-des und ein aktuelles Problem .
Dabei geht es nicht nur um den traditionellen Antise-mitismus – ich nenne ihn einmal so –, den Antisemitis-mus, den wir alle kennen, der religiös, rassistisch oderauch mit Verschwörungstheorien arbeitet . Der Antisemi-tismus ist heute vielschichtiger geworden . Er ist vielfacheng verknüpft mit anderen Diskriminierungsformen,auch mit gruppenspezifischem Rassismus, zum Beispieldem, der sich gegen Muslime wendet . Er wird zudemstark durch den Konflikt Israels mit der arabischen Weltbeeinflusst. Das erschwert auch die politische Ausei-nandersetzung mit dem Antisemitismus der Gegenwart .Umso wichtiger ist heute diese Auseinandersetzung .Sicher, ich bestreite überhaupt nicht, dass Kritik ander Politik einer Regierung, sei es einer israelischen, ei-ner palästinensischen oder einer deutschen, in einer De-mokratie immer gerechtfertigt ist . Die ist nicht nur zuläs-sig, die ist sogar notwendig . Aber wenn diese Kritik mitDiffamierung, mit Ausgrenzung und Angriffen auf einenganzen Staat, eine ganze Bevölkerungsgruppe oder eineBevölkerung einhergeht, dann ist das nicht mehr zuläs-sig .
Antisemitische Einstellungen lassen sich allerdingsnicht – das macht es so schwer – per Gesetz verbieten .Sie sind in den Köpfen der Menschen . Wenn wir den An-tisemitismus nachhaltig bekämpfen wollen, dann müssenwir wissen, was Menschen für die dumpfen Parolen desAntisemitismus empfänglich macht . Wir müssen verste-hen, wie der Boden für diese Einstellungsmuster berei-tet wird, emotional, semantisch, symbolisch und mental .Wir müssen die Erscheinungsformen, die Strukturen, dieMechanismen und die Wirkungsweisen antisemitischerEinstellungen besser verstehen lernen, um sie besser be-kämpfen zu können .Deshalb danke ich dem Expertenkreis ganz ausdrück-lich, dass er uns den Handlungsauftrag gibt, mehr zu tun,mehr Forschung zu leisten, aber auch mehr in der Umset-zung zu erproben .
Wir brauchen ausreichendes Wissen über diese Zusam-menhänge, wir brauchen aber auch eine kontinuierlicheBerichterstattung, eine kontinuierliche Beobachtung, diesystematisch ist . Auch das ist eine wichtige Empfehlung .Es zeichnet im Übrigen diesen Bericht aus, dass ernicht nur eine wissenschaftliche Analyse darstellt, son-dern dass er ganz konkrete Handlungsempfehlungen anDr. h. c. Edelgard Bulmahn
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die Politik und an die Gesellschaft gibt . Ich kann für dieSPD-Fraktion sagen, dass wir diese Handlungsempfeh-lungen ausdrücklich unterstreichen . Wir wollen, dassdiese Handlungsempfehlungen zügig und sehr konkretumgesetzt werden .
Das ist nämlich ein Handlungsauftrag nicht nur für dieseLegislaturperiode, sondern auch für die nächste .Erlauben Sie mir, dass ich auf einen Punkt noch ganzkurz eingehe, der sich quer durch die Empfehlungenzieht . Der Expertenkreis weist zu Recht auf ein Grund-problem unserer Aktivitäten zur Bekämpfung des Anti-semitismus hin, nämlich auf die mangelnde Kontinuitätunserer Anstrengungen . Die Bekämpfung des Antise-mitismus ist eine dauerhafte Aufgabe . Dem tragen diebestehenden Strukturen nicht ausreichend Rechnung .Wir müssen deshalb endlich eine dauerhafte Grundlagefür eine zuverlässige und sichere Finanzierung dieser sowichtigen Arbeit erreichen, zum Beispiel mithilfe einesDemokratiefördergesetzes oder der Einrichtung einer Or-ganisation, wie wir sie beispielsweise im Zusammenhangmit der Deutschen Forschungsgemeinschaft geschaffenhaben . Wir brauchen einen Weg, der die Zuverlässigkeitsicherstellt . Das ist zwingend geboten .
Als ich vor mehr als 30 Jahren, im Jahr 1987 – so lan-ge ist das her –, zum ersten Mal in den Deutschen Bun-destag gewählt wurde, da war es gerade einmal zwei Jah-re her, dass der damalige Bundespräsident Richard vonWeizsäcker den 8 . Mai 1945 als Tag der Befreiung vommenschenverachtenden System der nationalsozialisti-schen Gewaltherrschaft würdigte . In dieser Rede wies erzugleich auf die historische Verantwortung der heute undkünftig in Deutschland Lebenden hin, damit nie wiedergeschieht, was niemals hätte geschehen dürfen .Den heutigen Feinden der Demokratie, der Freiheit,des Rechtes und des Gesetzes entschlossen und wirksamund vor allem rechtzeitig entgegenzutreten, das sind wirden Millionen Opfern des nationalsozialistischen Re-gimes und der Gewaltherrschaft schuldig . Das sind wiraber auch uns und den künftigen Generationen schuldig .
Als Demokraten in einer demokratischen Gesellschafttragen wir heute die Verantwortung dafür, dass unsereDemokratie blüht, dass sie sich fortentwickelt . Wir müs-sen sie gegen Angriffe verteidigen . Der Antisemitismusist eine Kampfansage an uns alle, an unsere Werte, anunsere Demokratie und an unsere Freiheit . Es ist unse-re Verantwortung, dafür zu sorgen, dass Deutschland einweltoffenes Land bleibt, in dem Menschen unterschied-licher Herkunft sowie unterschiedlicher religiöser undpolitischer Überzeugungen friedlich zusammenlebenkönnen . Deshalb, liebe Experten, ist dieser Bericht auchein Handlungsauftrag für uns alle .Vielen Dank .
Liebe Kollegin Bulmahn, das könnte Ihre letzte Rede
im Deutschen Bundestag gewesen sein, was auch deswe-
gen besondere Erwähnung verdient, weil Sie am Ende
dieser Legislaturperiode stolze 30 Jahre diesem Haus
angehören . Das ist eine gute Gelegenheit, Ihnen für die
vielfältige und vielseitige Arbeit zu danken, die Sie in
ganz unterschiedlichen Funktionen über einen so langen
Zeitraum wahrgenommen haben: in der Fraktion, im Par-
lament, als Vorsitzende und stellvertretende Vorsitzende
von Fachausschüssen, als Ministerin in der Bundesregie-
rung und zuletzt im Präsidium des Deutschen Bundes-
tages .
Ich möchte mich im Namen des Hauses, aber auch per-
sönlich herzlich für die gute Zusammenarbeit bedanken
und Ihnen alles Gute für die nächsten Jahre wünschen .
Volker Beck ist der nächste Redner für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Der Anti-semitismus ist das Gerücht über die Juden“, sagt TheodorAdorno . Dieses Gerücht ist weiter verbreitet, als vielewahrhaben wollen . Julius Schoeps schreibt: „Der Antise-mitismus ist integraler Bestandteil der deutschen Kultur .“Weiter sagt er: „Das Problem ist, dass in bestimmten Si-tuationen antijüdische Bildvorstellungen aufbrechen undmanifest werden .“Das christliche Abendland hat seine antijüdischenWurzeln in der christlichen Überwindungstheologie, dieletztlich auf den Schultern des Apostels Paulus steht . DieJudensau an den mittelalterlichen Kirchen, so am KölnerDom, die blinde Synagoge mit zerbrochenem Speer ne-ben der Ecclesia triumphans am Straßburger Münster –das Mittelalter ist voller kunsthistorischer Dokumenteder Judenfeindschaft und der Substitutionstheologie,eine Abwertung des jüdischen Glaubens und Volkes .Und: Die deutsche Geistes- und Kulturgeschich-te kennt viele antisemitische Größen: Luther, Kant,Wagner, Heidegger bis hin zum Hof- und DompredigerAdolf Stoecker am Berliner Dom und am Hofe des Kai-sers . Deshalb hat Schoeps recht, und wir beginnen ambesten damit, uns einzugestehen: Antisemitismus gehörtzu unserem kulturellen Gepäck . – Wir werden den Dä-mon nur bändigen, wenn wir mit Reflexion, Aufklärungund Kritik aktiv gegen antisemitisches Denken, Redenund Handeln vorgehen .
Alle Bundestagsparteien haben dieses Problem mehroder minder erkannt . Allein die AfD hat sich auf Anfra-gen der Expertenkommission nicht zurückgemeldet, unddas bei einer Partei, die wie 1933 das Schächtverbot wie-dereinführen will, einen Höcke in ihren Reihen hat, derDr. h. c. Edelgard Bulmahn
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eine 180-Grad-Wende in der Erinnerungskultur fordert,und einen Landtagsabgeordneten und Parteitagsdelegier-ten in ihren Reihen hat, der das auf Fälschungen beruhen-de antisemitische Pamphlet der Protokolle der Weisenvon Zion für ein historisches Dokument hält .Meine Damen und Herren, nun zum Bericht . Der klas-sische Antisemitismus stagniert zwar in den letzten Jah-ren – das ist erst einmal ein beruhigender Befund –, dochder sekundäre und antiisraelische Antisemitismus ist auferschreckend hohem Niveau . 26 Prozent der Menschenin unserem Land stimmen der Aussage zu: „Viele Judenversuchen, aus der Vergangenheit des Dritten Reichesheute ihren Vorteil zu ziehen .“ „Bei der Politik, die Israelmacht, kann ich gut verstehen, dass man etwas gegen Ju-den hat“, sagen 40 Prozent . Insofern sind die Mehrheitengegen den Antisemitismus nicht ganz so breit, wie es ge-rade in der Debatte geklungen hat .Von dem französischen Historiker Léon Poliakovstammt der Satz: „Israel ist der Jude unter den Staaten .“Über das Existenzrecht keines anderen Staates debattiertman auf dieser Welt, nur beim jüdischen und demokrati-schen Staat findet man das diskutierbar. Antizionismusist der Antisemitismus 2 .0 . Er ist der Brandbeschleuni-ger der Judenfeindschaft . Er gilt bei Teilen der Linkenwie der Rechten wie in der Mitte der Gesellschaft alsrespektable politische Ideologie . Deshalb ist es wichtig,dass die Working Definition der International HolocaustRemembrance Alliance benennt – ich zitiere –: Das Ab-sprechen des Rechts auf Selbstbestimmung des jüdischenVolkes und das Anwenden von Doppelstandards sind alsAntisemitismus zu konstatieren .Ich will gestehen: Kürzlich sprach ich mit jemandem,den ich sehr schätze, der diese Sätze las und sagte: Wennman das ernst nimmt, dann kritisieren wir auch die EU alsantisemitisch . Das geht ja nicht . Das geht zu weit . – Sosehr haben wir uns daran gewöhnt, Israel anders zu be-urteilen und andere Maßstäbe an Israel anzulegen als anandere Staaten . Ich glaube, wir brauchen da eine vertiefteDiskussion, um mehr Sensibilität an den Tag zu legen .
Der Bericht hat drei wertvolle neue Bearbeitungsfel-der, für die ich den Expertinnen und Experten auf derZuschauertribüne ausdrücklich danken will . Er exploriertdie jüdische Perspektive auf Antisemitismus . Die subjek-tive Wahrnehmung von Antisemitismus in unserer Ge-sellschaft durch Jüdinnen und Juden ist erschreckend . Ichkann das als Minderheitsangehöriger ein wenig nachvoll-ziehen . Wenn viele von uns einmal einen antisemitischenVorfall sehen, dann ist das eben nur einer . Für die Jüdinoder den Juden ist es vielleicht schon der dritte am Tagoder zumindest einer von mehreren in der Woche . Einblöder Satz, eine dumme Bemerkung, ein Vorurteil – garnicht böse gemeint –, aber es prägt die eigene Wahrneh-mung der Umwelt .Der andere wichtige Ansatz dieses Berichts – an demAnsatz müssen wir weiterarbeiten – exploriert das hoheMaß des Antisemitismus bei Flüchtlingen und liefert einequalitative Studie bei Imamen . Er zeigt vor allem: Wirmüssen genau hinschauen . Wir sehen: Der Antisemitis-mus ist je nach Herkunftsland ganz unterschiedlich aus-geprägt, er ist, anders als die Publizistik glauben machenwill, oft gar nicht mit der Religion des Islam verbunden,sondern eher mit der Politik der Herkunftsländer . Wirbrauchen hier mehr Forschung und Verständnis, damitwir darauf mit Aufklärung reagieren können statt mitStigmatisierung und Ausgrenzung .Wir haben es in der Hand, diese Fragen demokratischzu lösen, und wir haben auch die Verantwortung, dassüber den Nahostkonflikt auch mit den Menschen, die zuuns gekommen sind, geredet werden muss, wenn wirwollen, dass aus antisemitischen Haltungen nicht antise-mitische Handlungen werden . Hier sind politische Bil-dung und klare Haltung von unserer Seite gefragt .
Meine Damen und Herren, wenn wir diese Problema-tik ernst nehmen, dann ist es entscheidend, dass wir diefünf Forderungen, die die Antisemitismuskommissiondem Bundestag und der Bundesregierung vorschlägt, un-verzüglich anpacken . Die fünf Hauptforderungen sind:Berufung eines Antisemitismusbeauftragten und Verste-tigung einer unabhängigen Kommission, die konsequen-te Erfassung antisemitischer Straftaten, die dauerhafteFörderung von Antisemitismusprävention und die dau-erhafte Forschungsförderung sowie die Schaffung einerständigen Bund-Länder-Kommission .Ich halte dies für absolut dringlich, wenn man sichdas Umgehen der Bundesregierung, der Bundesländerund des Bundestages mit dem ersten Bericht der Exper-tenkommission anschaut . Wir haben es als Fraktion amAnfang und am Ende der Wahlperiode bei der Bundesre-gierung abgefragt . An manche zuständigen Stellen wur-de der Bericht noch nicht einmal übersandt, geschweigedenn, dass die Bundesregierung irgendwie weiß, wasaus den Empfehlungen in den Ländern und in einzelnenBereichen geworden ist . Meine Damen und Herren, dieskann nicht sein .
Deshalb brauchen wir jemanden, der sich zuständig fühlt .Und das ist eben nicht der Fall . Ich war immer gegen ei-nen weiteren Beauftragten – jetzt auch noch zum ThemaAntisemitismus . Aber wenn niemand die Arbeit macht,brauchen wir das offensichtlich .
Das Europäische Parlament hat das mit Ihren Partei-freunden beantragt und alle Mitgliedstaaten aufgefordert,hier dem Vorbild der EU-Kommission nachzufolgen undAntisemitismusbeauftragte in den Nationalstaaten einzu-richten . Auch Ihre Fraktion im Berliner Abgeordneten-haus hat das gefordert . Ich meine, wir sollten hier unserHerz über die Hürde werfen .Meine Damen und Herren, zum Schluss: Wie schwersich unsere Gesellschaft damit tut, Antisemitismus zu be-nennen, zeigen die Auseinandersetzung um die ARD-Do-kumentation Auserwählt und ausgegrenzt: Der Hass aufVolker Beck
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Juden in Europa und auch die etwas sonderbare Beset-zungsliste bei Maischberger mit leichter Schlagseite .
Herr Kollege .
Vielleicht kann es ja helfen, wenn man sich seines kul-
turellen Gepäcks bewusst wird, statt antisemitische Hal-
tungen und Gedanken zu leugnen und kleinzureden . Wir
dürfen bei der Bekämpfung des Antisemitismus nicht
noch einmal versagen . Das sind wir der Verantwortung
vor unserer Geschichte, das sind wir den Jüdinnen und
Juden in Deutschland und in der Welt und unserer eige-
nen demokratischen Identität schuldig .
Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Stephan
Mayer das Wort .
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolle-ginnen! Sehr geehrte Kollegen! Ich darf zu Beginn auchnamens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion den Mitglie-dern des Unabhängigen Expertenkreises von ganzemHerzen für die Erarbeitung und die Vorlage dieses äu-ßerst interessanten, einblickgebenden und instruktivenBerichts danken . Dieser Bericht ist eine umfassende unddetaillierte Bestandsaufnahme auf über 300 Seiten . Ichdarf für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion zusagen, dassdieser Bericht für uns über die heutige Debatte hinaus indie nächste Legislaturperiode hinein ein wichtiger Rat-und Hinweisgeber sein wird .Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ichdenke, wir können mit Selbstbewusstsein feststellen,dass Deutschland ein modernes, freies, weltoffenes undplurales Land ist . Auch wenn ich der festen Überzeugungbin, dass es falsch wäre, zu behaupten, dass in der Breiteder deutschen Gesellschaft Antisemitismus verbreitet ist,müssen wir doch konstatieren, dass sich Antisemitismusin allen gesellschaftlichen Schichten wiederfindet, insbe-sondere aber am rechtsextremen und, sehr verehrte FrauKollegin Pau, auch am linksextremen Rand . Die Be-kämpfung und die Zurückdrängung des Antisemitismussind eine Daueraufgabe für unsere Gesellschaft . Ich binauch der festen Überzeugung, dass jeder von uns, egalwo er Verantwortung trägt, es den rund 200 000 Mitbür-gerinnen und Mitbürgern jüdischen Glaubens, aber auchunserem Land insgesamt schuldig ist, an jeder Stelle ge-gen rassistische Ressentiments, gegen Vorurteile gegen-über Juden einzutreten .
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, derBericht, über den wir heute debattieren, zeigt positivewie negative Aspekte auf . Ein durchaus erfreulicher As-pekt ist, dass der Antisemitismus in den letzten 15 Jahrenin Deutschland insgesamt rückläufig ist. Der sogenannteklassische Antisemitismus findet sich im Jahr 2016 bei6 Prozent der Bevölkerung; im Jahr 2002 war er noch bei9 Prozent der deutschen Bevölkerung vorhanden .Erfreulich ist auch, dass es durchaus rückläufige Ten-denzen beim sogenannten sekundären Antisemitismusgibt . Ich möchte aber doch ausdrücklich betonen, dass esuns keinesfalls zufriedenstellen kann, dass nach wie vor26 Prozent der deutschen Bürgerinnen und Bürger derAussage zustimmen, dass die Juden – ich zitiere – ihrePosition als Verfolgte ausnutzen würden .Am stärksten ausgeprägt ist der sogenannte israelbe-zogene Antisemitismus . Bei 40 Prozent unserer Bevölke-rung ist er vorhanden . Ich möchte ausdrücklich betonen,meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, dass esnatürlich legitim ist und auch legitim sein muss, Kritikan der israelischen Regierung zu üben . Aber wenn dieseKritik als Deckmantel fungiert, um einen antisemitischenBezug herzustellen, darf dies nicht akzeptiert werden undist dies nicht hinnehmbar .
Es ist durchaus erfreulich, dass wir einen Rückgangdes Antisemitismus in der älteren Bevölkerung feststel-len . Es sollte uns aber mit Sorge erfüllen, dass der An-tisemitismus in der jüngeren Bevölkerung nach wie vorstagniert .Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ichkomme zu antisemitischen Straf- und Gewalttaten . De-ren Zahl ist nach wie vor – das möchte ich in aller Deut-lichkeit betonen – viel zu hoch. Es gab nach offiziellerStatistik im Jahr 2016 1 468 antisemitische Straftaten .Das ist zwar unter dem Durchschnitt der Straftaten seitdem Jahr 2001, aber – das sollte uns mit Sorge erfüllen –über dem Durchschnitt der antisemitischen Straftatenseit 2010 . Es gibt zwar einen Rückgang bei den antise-mitischen Gewalttaten – im vergangenen Jahr waren es34, und nur in den Jahren 2001 und 2011 waren es inDeutschland weniger –; wir dürfen uns aber, meine sehrverehrten Kolleginnen und Kollegen, nicht blenden las-sen . Im Durchschnitt vier antisemitische Straftaten amTag und im Durchschnitt drei antisemitische Gewaltta-ten im Monat sind deutlich zu viel . Ich sage das auchvor dem Hintergrund, dass dies nur die offiziellen Zahlensind und zu befürchten ist, dass das Dunkelfeld weitausgrößer ist, weil nicht jede Straftat in diesem Bereich an-gezeigt wird .Eine besondere Zuwendung muss aus meiner Sichtder Antisemitismus unter Migranten erfahren . Um eshier deutlich zu sagen: Wir sollten uns vor jedwederPauschalierung und Generalisierung hüten . Aber es istauch im Lichte dieses Berichts als besorgniserregendfestzustellen, dass überdurchschnittlich viele Migrantenmit arabischem Hintergrund und aus nordafrikanischenLändern zu Antisemitismus neigen . Wir dürfen es, meinesehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, nicht zulassen,dass antisemitische Stereotypen und Verschwörungsthe-orien massenhaft nach Deutschland importiert werden .Hier muss die Prävention ansetzen . Ich sehe dies auchVolker Beck
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ausdrücklich als eine Aufgabe der Islamverbände undder Muslimvereine . Aus meiner Sicht muss es ferner einzentraler Bestandteil der Integrationskurse für die nachDeutschland kommenden Migranten sein, dem ThemaKampf gegen den Antisemitismus einen großen Stellen-wert beizumessen .Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, be-sonders besorgniserregend empfinde ich im Lichte diesesaktuellen Berichts die Gemütslage unserer Mitbürgerin-nen und Mitbürger jüdischen Glaubens . 83 Prozent derBefragten befürchten, dass der Antisemitismus in dennächsten Jahren etwas oder stark zunehmen wird . Überdie Hälfte unserer jüdischen Mitbürger hat die Sorge, inden kommenden zwölf Monaten Opfer versteckter An-deutungen oder direkter verbaler Beleidigung zu werden .Sage und schreibe 37 Prozent unserer jüdischen Mitbür-ger befürchten, Opfer eines körperlichen Angriffs zu wer-den . Wir müssen diese Sorgen sehr ernst nehmen . DiesesKlima der Verunsicherung dürfen wir nicht hinnehmen .Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, derKampf gegen den Antisemitismus ist eine gesellschafts-politische Aufgabe aller Regierungen – des Bundes undauch der Länder –, der Politik insgesamt, der Medien,der Schulen, der Universitäten, anderer Berufsbildungs-träger, aber natürlich auch der Vereine und der Parteien .Ich nehme es sehr ernst, dass der Unabhängige Exper-tenkreis in seinem Bericht unter der Überschrift „Hand-lungsempfehlungen“ insbesondere an die AfD, aber auchan die Linke adressiert, in ihren Kreisen antisemitischeRessentiments zu bekämpfen und darauf hinzuwirken,dass sich diese nicht weiter ausbreiten .Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, esgibt viel zu tun . Ich möchte noch einmal ausdrücklichbetonen, dass der Bericht, den wir heute debattieren, so-wohl Licht als auch Schatten aufweist . Ich bin der festenÜberzeugung, dass wir in unseren Anstrengungen, An-tisemitismus in Deutschland deutlich zurückzudrängen,nicht nachlassen dürfen . Dies wird auch in der nächstenLegislaturperiode einen hohen Stellenwert in der CDU/CSU-Fraktion haben .Ich glaube, dass insbesondere den Themen Aufklä-rung und Wissensvermittlung in den Schulen, Vereinenund Integrationskursen eine Schlüsselfunktion zukommt .Wir sehen – das sage ich abschließend – in diesem Be-richt durchaus Fortschritte und positive Entwicklungen,die es aus meiner Sicht zu würdigen gilt, die aber auchals Ansporn für einen weiteren Einsatz gegen nach wievor bestehenden Antisemitismus und drohende negativeEntwicklungen gelten müssen .Ich danke herzlich für die Aufmerksamkeit .
Ich erteile das Wort nun der Kollegin Gabriele
Fograscher für die SPD-Fraktion .
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Verehrte Gäste auf der Besuchertribüne! Es war richtig,und es war notwendig, aber es war nicht selbstverständ-lich, dass wir in dieser Legislaturperiode einen zweitenUnabhängigen Expertenkreis Antisemitismus eingesetzthaben . Abgeordnete aller Fraktionen haben sich dafüreingesetzt – im Übrigen auch dafür, dass diese Debatteheute Nachmittag stattfindet.Die Ergebnisse des ersten Berichts sollten aktualisiert,die jüdische Perspektive einbezogen, Antisemitismus beiZuwanderern untersucht und die Entwicklungen im In-ternet und in sozialen Medien in den Blick genommenwerden . Nach zweijähriger Arbeit hat der Expertenkreisfünf zentrale Forderungen formuliert, zu denen ich ausSicht der SPD jetzt Stellung nehmen will .Ich komme zunächst zur konsequenten Erfassungund Ahndung von Straftaten . Bisher gibt es keinen ein-heitlichen Kriterienkatalog zur Einordnung von antise-mitischen Straftaten und Vorfällen . Deshalb schlägt derExpertenkreis vor, die Definition der InternationalenAllianz für Holocaust-Gedenken zu übernehmen . Einigeder Mitgliedstaaten der Europäischen Union nutzen dieseArbeitsdefinition bereits heute – Deutschland bisher offi-ziell nicht. Die Annahme dieser Arbeitsdefinition würdees erleichtern, Erkenntnisse bundesweit zu sammeln, dieDunkelziffer aufzuhellen und gesetzgeberische Maßnah-men sowie Hilfs- und Beratungsangebote zielgerichteterzu gestalten. Deshalb finden wir: Es ist Zeit, diese Ar-beitsdefinition offiziell anzunehmen.
Weiterhin fordert der Expertenkreis die institutio-nelle Förderung von Präventionsprojekten . Auch diesesAnliegen unterstützen wir . In dieser Legislaturperiodeist es uns dank unserer ehemaligen FamilienministerinManuela Schwesig gelungen, die Mittel für Projekte derZivilgesellschaft auf mehr als 100 Millionen Euro zu ver-dreifachen . Das Programm „Demokratie leben!“ fördertin einer eigenständigen Säule Projekte und Initiativengegen Antisemitismus . Es läuft allerdings 2019 aus . Wirbrauchen aber eine Verstetigung der Demokratieförde-rung . Deshalb wollen wir als SPD-Bundestagsfraktionein Demokratiefördergesetz des Bundes, um die Struk-turen der Präventionsarbeit langfristig und nachhaltig zusichern .
Morgen werden wir den Ausschluss verfassungsfeind-licher Parteien von der staatlichen Parteienfinanzierungbeschließen . Das bedeutet, dass Steuermittel in Höhe vonmehr als 1,4 Millionen Euro nicht mehr für antisemiti-sche und rassistische Hetze zur Verfügung stehen . Dieserund 1,4 Millionen Euro können wir zusätzlich in denKampf gegen Antisemitismus investieren .
Stephan Mayer
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Ein Großteil der Präventionsarbeit fällt in die Zustän-digkeit der Länder . Dazu gehört die Sensibilisierung vonErzieherinnen und Erziehern sowie Lehrerinnen undLehrern . Auch bei Polizei und Justiz – ebenfalls in derZuständigkeit der Länder – braucht es mehr Aufklärungund Schulungen, um antisemitische Straftaten erkennenund entsprechend einordnen zu können . Deshalb unter-stützen wir die Forderung des Expertenkreises nach derSchaffung einer Bund-Länder-Kommission, in der einregelmäßiger Austausch über erfolgreiche Projekte undeine bessere Koordinierung der Programme stattfindenmüssen .Damit Projekte auch zielgerichtet ausgelegt werdenkönnen, brauchen wir mehr Forschung . Damit meineich auch die Einbeziehung von Sichtweisen sowohl derjüdischen als auch der nichtjüdischen Bevölkerung . For-schungsergebnisse, die der Öffentlichkeit zugänglich ge-macht werden, können auch dazu beitragen, Vorurteile zubeseitigen . Ich begrüße es, dass die Bundesbildungsmi-nisterin gerade heute angekündigt hat, 35 Millionen Euroin Forschungsprojekte gegen Extremismus zu investie-ren . Es wäre gut, wenn ein Teil der Mittel auch in dieAntisemitismusforschung fließen würde.
Nicht nur der Expertenkreis fordert die Berufung einesAntisemitismusbeauftragten . Auch das Europäische Par-lament hat in einer Entschließung am 1 . Juni dieses Jah-res die Einsetzung eines Koordinators in den Mitglied-staaten beschlossen . Wir müssen darüber diskutieren, wieund wo man einen Beauftragten oder eine Beauftragteinstalliert und welche Aufgaben er bzw . sie wahrnehmensoll . Es wird dem Thema nicht gerecht, wenn der oder dieBeauftragte dem Bundestag einmal oder zweimal in derWahlperiode einen Bericht vorlegt, den dieser zur Kennt-nis nimmt . Auf jeden Fall brauchen wir im Parlamenteine Arbeitsgruppe oder einen Unterausschuss, der sichkontinuierlich mit diesem Thema befasst .
Hier gibt es allerdings sicherlich noch viel Gesprächs-bedarf . Für mich und meine Fraktion steht fest, dass wireine Institution, am besten im Parlament, brauchen, diedas Thema Antisemitismus kontinuierlich bearbeitet .Ich möchte allen Expertinnen und Experten für ihrekompetente, ausführliche und wichtige Arbeit danken .Hervorheben möchte ich, dass wir als Berichterstatterin-nen und Berichterstatter der Fraktionen in regelmäßigenAbständen zu Besuch bei den Sitzungen des Experten-kreises waren . Wir wurden über den Sachstand der Arbeitumfassend informiert . Dafür meinen herzlichen Dank .
Die Grünen haben einen Antrag vorgelegt und ver-langen, sofort darüber abzustimmen. Ich finde, das dientdieser Sache nicht . Wir werden für eine Überweisungplädieren . Das entspricht auch der Auffassung des Präsi-denten des Zentralrats der Juden, der dies heute Morgenso formuliert hat .
Wir wollen das Verfahren nicht mit der Kenntnisnahmedes Berichts abschließen, sondern ihn in die Ausschüssezur Befassung geben .
Alle Fraktionen haben sich heute – so verstehe ich dieDiskussion – darauf verständigt, den Bericht in dernächsten Wahlperiode wieder aufzurufen und zu beraten,um Maßnahmen zu beschließen, Antisemitismus effek-tiv zu bekämpfen . Deshalb werden wir die Überweisungnachher mehrheitlich beschließen .Ich danke für die Aufmerksamkeit .
Nächste Rednerin ist die Kollegin Barbara Woltmann
für die CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich war letzte Woche in Israel, und ich warauch in Yad Vashem . Ich habe mich geschämt, und zwardarüber, dass unsere Vorfahren im Zweiten Weltkrieg,unter dem Naziregime, versucht haben, die Juden inDeutschland und in Europa auszurotten – Menschen wiedu und ich, Nachbarn, Freunde . Viele unserer Großväterund Großmütter waren Täter oder Mitläufer . Nicht alleDeutschen waren das, aber viele – viel zu viele .Noch mehr schäme ich mich dafür, dass sich Anti-semitismus in Deutschland nach über 70 Jahren immernoch breitmacht, in alter oder in neuer Form, zum Bei-spiel durch die schon angesprochene judenbezogeneIsrael-Kritik . All das zeigt der zweite Antisemitismus-bericht in erschreckender Weise auf . Insofern ist es einegesamtgesellschaftliche Aufgabe aller, dem entschiedenentgegenzutreten . Dieser Verantwortung sind wir unsbewusst, und wir haben in dieser Legislaturperiode dieMittel für die Vielzahl vorhandener Förderprogrammefür Extremismusbekämpfung und Demokratieförderungverdreifacht . An dieser Stelle möchte ich die Arbeit desBündnisses für Demokratie und Toleranz und auch dieArbeit der Bundeszentrale für politische Bildung lobenderwähnen .Überrascht und auch erschreckt hat mich die Diskre-panz zwischen den unterschiedlichen Erfahrungsweltenin der Bevölkerung: Die meisten Nichtjuden sehen Ju-denhass als historisch überwunden an . Sie reagieren mitVerharmlosungstendenzen und Einfühlungsverweige-rung und sind sich dessen oft gar nicht bewusst . Für diegroße Mehrheit unserer jüdischen Mitbürger und Mitbür-Gabriele Fograscher
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gerinnen ist Antisemitismus hingegen – meine Vorrednerhaben es schon erwähnt – eine alltägliche Erfahrung . Dasbetrifft nicht nur den Einzelnen, sondern immer auch sei-ne gesamte Familie . Die Geschichte des gemobbten Frie-denauer jüdischen Schülers, die wir alle aus den Medienkennen, ist eben kein Einzelfall .Ich habe in Oldenburg, meinem Wahlkreis, einen Re-ligionsdialog mit verschiedenen Religionen vor Ort ini-tiiert . Im letzten Dialog haben wir uns ausführlich überdas Thema Antisemitismus ausgetauscht . Ein Vertreterder jüdischen Gemeinde hat die Aussage des Berichtesbestätigt, dass sie tagtäglich Antisemitismus ausgesetztsind, seien es verbale Attacken oder auch mehr, meistsehr subtil und unterhalb der Strafbarkeitsschwelle . Die-se Entwicklung sehe ich mit wachsender Sorge; denn derAntisemitismus reicht bis in die Mitte der Gesellschafthinein . Aber Judenhass und seine Auswüchse dürfenkein Normalzustand, keine Alltagserfahrung sein – fürniemanden .Der sogenannte klassische Antisemitismus scheintzwar laut Bericht weniger zu werden, aber die Kritikam Staat Israel dient in Verbindung mit Stereotypen zu-nehmend als Einfallstor, um „den Juden“ und „den StaatIsrael“ zu diffamieren und zu bekämpfen, wie es schondie Demonstrationen 2014 in Deutschland anlässlich derzweiten Intifada gezeigt haben, wo sich offener Juden-hass auf deutschen Straßen Bahn brach . So etwas darfnicht aufgrund irgendwelcher Deeskalationsstrategiender Polizei toleriert werden, sondern muss sofort unter-bunden und geahndet werden .
Eine der fünf zentralen Forderungen des zweitenBerichts ist die Übernahme der Working Definition fürAntisemitismus . Auch das Europäische Parlament – esist erwähnt worden – hat Anfang des Monats einen Ent-schließungsantrag zur Bekämpfung von Antisemitismusangenommen, in dem die Mitgliedstaaten aufgefordertwerden, diese Working Definition der Internationalen Al-lianz für Holocaust-Gedenken anzunehmen und umzu-setzen . Diese Forderung unterstütze ich . Ich denke, dasssie schnell umgesetzt werden könnte, ohne das Ende derGesamtdiskussion über den kompletten Bericht im Par-lament abwarten zu müssen; denn die in der Justiz undim Sicherheitsapparat angewendete Fassung soll, wie ichaus dem Justizministerium erfahren habe, mit der gefor-derten Fassung mehr oder weniger identisch sein .Auch die Forderung nach einer verbesserten Erfas-sung antisemitischer Straftaten finde ich persönlich rich-tig. Aber dafür brauchen wir eine Definition, mit der die-se Taten entsprechend erfasst werden können .Die Bund-Länder-Kommission ist angesprochen wor-den . Für mich wäre es kein Problem, wenn die Ländermitmachten; denn die Länder spielen auch eine ganzwichtige Rolle .Die Berufung eines Antisemitismusbeauftragten ist dieHauptforderung der fünf Kernforderungen der Expertenneben den vielen Handlungsempfehlungen . Auch durchden Entschließungsantrag des Europäischen Parlamentssind wir aufgefordert, einen nationalen Koordinator zurBekämpfung von Antisemitismus zu ernennen . Nun giltes, über das Ob, das Wie und das Wann zu diskutieren . Eswurde von meinen Vorrednern angesprochen: Das kannman nicht einfach mal eben machen, sondern man mussdiskutieren und sich genau überlegen: Was wollen wir,und wie wollen wir das umsetzen, um die beste Lösungzu finden?
Aufgrund der auslaufenden Wahlperiode ist dies jetztleider nicht mehr abschließend möglich . Da der Berichtaber nicht der Diskontinuität anheimfällt, werden wirdieses Thema in der neuen Wahlperiode unverzüglichangehen . Die Union wird darauf drängen, das parlamen-tarische Verfahren in der neuen Wahlperiode schnell wie-der aufzunehmen und weiterzuführen .Die Experten haben uns eine Vielzahl an Empfehlun-gen, fachlichen Impulsen und Anregungen gegeben, wieeine gesamtgesellschaftliche und politische Debatte aufallen Ebenen geführt werden kann . Wir müssen sie füh-ren, aber auch in den Ländern und Kommunen . Wichtigist mir, dass die Umsetzung der Handlungsempfehlungenund die Forderungen diskutiert werden, um die beste Lö-sung zu finden.Der erste Expertenbericht ist nicht ohne Folgen undohne Ergebnisse geblieben . Ich denke, man muss beideBerichte zusammen betrachten . In der Gesamtheit sindsie eine gute Grundlage für die Fortsetzung der Bekämp-fung von Antisemitismus . Das ist uns allen im Parlamentwichtig . Daran werden wir alle gemeinsam arbeiten .An dieser Stelle möchte ich mich im Namen der Uni-on bei den Experten ganz herzlich bedanken . Ich möch-te stellvertretend Frau Dr . Juliane Wetzel vom Zentrumfür Antisemitismusforschung und Herrn Patrick Siegele,dem Direktor des Anne-Frank-Zentrums, danken; dennsie beide haben die Arbeit koordiniert . Das war nicht im-mer ganz einfach, aber sie haben ein sehr gutes Ergebnisinnerhalb der vorgegebenen Zeit vorgelegt . Dafür mei-nen herzlichen Dank .Vielen Dank .
Marian Wendt ist der letzte Redner zu diesem Tages-
ordnungspunkt für die CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Antisemitismus ist ein kryptischer Begriff, derin seiner Abstraktheit darüber hinwegtäuscht, was ihminnewohnt, nämlich Hass gegen Juden . Er ist ein Begriff,der in seiner Abstraktheit gut erfasst, was dem Antisemi-tismus eigen ist: Er ist oft subtil, aber oft auch eckig undBarbara Woltmann
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brachial; ein Begriff, der die Gefahr dessen erahnen lässt,was in ihm steckt, nämlich Hass, Gewalt und Mord .Der Unabhängige Expertenkreis Antisemitismus, überdessen Abschlussbericht wir heute in dieser Legislaturerstmalig debattieren, hat seine Arbeit 2009 aufgenom-men. Ich finde, das ist eine sehr wichtige Arbeit. Dasmöchte ich ganz deutlich betonen, und ich möchte denMitgliedern des Expertenkreises ganz herzlich für ihreArbeit danken .Es bestehen offensichtlich Probleme bei der öffentli-chen Beschäftigung mit dem latenten Antisemitismus inunserer Gesellschaft . Der öffentliche Umgang mit Anti-semitismus ist nicht zufriedenstellend . Es wird möglichstviel geschwiegen; denn wo aufgeklärt wird, da gibt esschnell mal einen schlechten Ruf . Das ist vielleicht einerder Gründe dafür, dass der Antisemitismus, der in ver-schiedenen gesellschaftlichen Bereichen anzutreffen ist,so lange ignoriert wurde . Daher bin ich froh, dass es jetzteine öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema hierim Plenum des Deutschen Bundestages gibt . Damit ma-chen wir über die Parteigrenzen hinweg klar, dass es mituns keinen Antisemitismus geben wird und dass wir unsdeutlich gegen jede Form von Antisemitismus ausspre-chen .Angriffe auf Juden sind in Deutschland leider keineSeltenheit . Ein aktueller Fall aus diesem Frühjahr ist mirbesonders in Erinnerung geblieben, nämlich der Fall desSchöneberger Schülers, der sich Sätze anhören musste,wie: Du bist ja eigentlich ein cooler Typ, aber ich kannnicht mit dir befreundet sein; denn Juden sind alle Mör-der . – Es geht mir unter die Haut . Solche Sachen sagenKinder zu Kindern . Das ist erschreckend . Dass die betref-fende Berliner Schule auch schon vorher zum Netzwerk„Schule ohne Rassismus“ gehörte, zeigt meiner Meinungnach – und da müssen wir uns ehrlich machen –, wie pro-blematisch solche dauergeförderten Wohlfühlaktionengegen Rassismus sind: Ein netter Name, alle fühlen sichtoll, sind froh, etwas Gutes getan zu haben, aber am Endehilft es, wie in diesem konkreten Fall, leider doch nichts .In diesem Zusammenhang sage ich: Ich freue michüber die ausführlichen Handlungsempfehlungen desUnabhängigen Expertenkreises Antisemitismus . Aufwissenschaftlicher Basis schlägt der Expertenkreis eineMenge meiner Meinung nach sehr wichtiger und guterMaßnahmen vor, die jetzt geprüft und dann zügig umge-setzt werden . Das gilt zum Beispiel für die genauere Ana-lyse der Fälle von Antisemitismus und ihre Einordnungdurch besser geschulte Polizisten . Das gilt auch für denVorschlag, die deutsch-israelische Schulbuchkommissi-on bei unseren Maßnahmen besser einzubeziehen; dennBildung ist ein Kernstück der Prävention .Der Fall des Schöneberger Schülers zeigt einen weite-ren wichtigen Punkt auf, den wir nicht übersehen dürfen .Neben den klassischen Trägern antisemitischer Ideolo-gie, den Rechtsextremisten, gibt es eine zweite, derzeitstark anwachsende Gruppe von Menschen mit antisemi-tischem Gedankengut – auch dies wird in dem Berichtklar angesprochen –: Unter den vordringlich aus musli-mischen Staaten nach Deutschland kommenden Flücht-lingen sind leider viele, die oft schon von Kindheit anantisemitisch sozialisiert wurden . Ihr Antisemitismus, ihrHass auf Israel, war und ist Staatsdoktrin in fast allenGolfstaaten, fast im ganzen Nahen und Mittleren Osten .In dem Bericht wird richtigerweise eine genaue Unter-suchung dieses Phänomens gefordert . Hier herrscht eingroßer Erkenntnisbedarf . Deutschland kann es nicht ein-fach hinnehmen, dass es Bevölkerungsschichten gibt, dieAntisemitismus für hoffähig halten . Für den, der zu unskommt, gelten unsere Regeln . Dazu gehört auch, dasshier alle Menschen gleiche Rechte genießen, insbeson-dere auch das Recht auf Religionsfreiheit . Zustände wiein Frankreich, wo nach einem Artikel in der Welt inner-halb der vergangenen zehn Jahre 40 000 Juden das Landverlassen haben, sind erschreckend . Ich zitiere:Viele Juden spüren seit einiger Zeit, dass sie inFrankreich nicht offen als Juden leben können .Das sagt ein Sprecher der Jewish Agency . Wenn wir, Sieund ich, nicht höllisch aufpassen, dann bekommen wirsolche Zustände auch in Deutschland .Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, immer wie-der kommt Antisemitismus übertüncht als Kritik an Isra-el daher . Machen wir uns nichts vor: Auch ein als Kritikan der Politik Israels getarnter Antisemitismus ist immernoch schlichter Antisemitismus . Aufrufe zum Boykottvon Produkten aus Israel sind nichts anderes als neue„Kauft nicht bei Juden“-Schmierereien, nur in neuemGewand .
Antisemitismus bedroht meiner Ansicht nach unsereGesellschaft . Das muss man klar aussprechen . Ich freuemich, dass es einen offener werdenden Umgang mit An-tisemitismus gibt; denn die unterschwellige Verbreitungdieses Phänomens hat leider Nischen gefunden, wie derBericht zeigt . Deswegen ist es richtig und wichtig, dasswir weiterhin wachsam sind, den Bericht intensiv bera-ten und uns in der nächsten Wahlperiode wieder mit ei-nem entsprechenden Expertengremium hinsetzen und dieLage analysieren, die dann hoffentlich besser ist .Vielen Dank .
Zu einer Klarstellung nach § 30 unserer Geschäftsord-
nung erhält nun die Kollegin Haßelmann das Wort .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Frau Fograscher, ichhätte das gar nicht mehr angesprochen, wenn Sie das Fassnicht aufgemacht hätten, weil ich diese Diskussion sehrwichtig und richtig fand und hier im Parlament eine gro-ße Übereinstimmung sichtbar wurde, was der Sache sehrangemessen ist . Ich muss Ihnen aber Folgendes sagen:Warum verweisen Sie in der Form auf unseren Antrag?Sie waren bis heute Vormittag noch nicht einmal bereit,Marian Wendt
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diesen Bericht an die Ausschüsse zu überweisen . Gesternhaben mir die beiden Koalitionsfraktionen noch gesagt,der Bericht solle zur Kenntnis genommen werden, unddas soll es dann gewesen sein, also nur Unterrichtung .Wir hatten eine Überweisung an die Ausschüsse geplant,weil sich aus diesem Bericht sehr viel ergibt . Dass Siejetzt auf unseren entsprechenden Antrag rekurrieren,kann ich, ehrlich gesagt, überhaupt nicht verstehen . Ichhabe heute um 11 Uhr von den Koalitionsfraktionen eineMail bekommen, in der steht, dass Sie jetzt bereit sind,den ganzen Bericht und den Antrag an die Ausschüsse zuüberweisen . Hören Sie also bitte damit auf .
Wir kommen jetzt zu den Abstimmungen .
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
der Drucksache 18/11970 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit
einverstanden? – Das ist offenkundig der Fall . Dann ist
diese Überweisung einmütig so beschlossen .
Beim Zusatzpunkt 1 geht es um den Antrag der Frakti-
on Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/12784
mit dem Titel „Antisemitismus entschlossen bekämp-
fen“ . Hierzu wünscht die antragstellende Fraktion Ab-
stimmung in der Sache . Die Fraktionen der CDU/CSU
und der SPD wünschen Überweisung, und zwar an
dieselben Ausschüsse wie soeben beim Bericht auf der
Drucksache 18/11970 .
Nach unserer ständigen Übung stimmen wir zunächst
über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab . Wer
diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um das
Handzeichen . – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? –
Damit ist die beantragte Überweisung mit Mehrheit so
beschlossen .
Ich rufe jetzt unseren Zusatzpunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE
Kindern das Schwimmenlernen ermögli-
chen – Auswirkungen von Privatisierungen
und Schwimmbadschließungen
Das Kommando für das Abwickeln dieser Aktuellen
Stunde wird die Kollegin Pau jetzt übernehmen . Ich
wünsche uns viel Erfolg bei den Beratungen dieses be-
deutenden Punktes .
Ich bitte, die notwendigen Umgruppierungen und Ge-
spräche zügig zu veranlassen bzw . zu beenden .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Jan Korte für die Fraktion Die Linke .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Einige fragen sich vielleicht: Warum muss der Bundes-tag über das Schwimmenlernen von Kindern diskutie-ren? Die Frage, ob die CDU sich dies fragt, ist von mirnatürlich rhetorisch gemeint . Es zeigt das ganze ElendIhrer Politik, dass Sie mit dem Alltag der Leute gar nichtsmehr zu tun haben .
Deswegen haben wir das Thema hier aufgesetzt .Es gibt einige Punkte, die ich hier einfach einmal vor-tragen möchte, weil Sie diese offenbar nicht für wich-tig erachten: 2016 sind 537 Menschen in Deutschlandertrunken . Es gibt eine Untersuchung von der DLRG,die erstens aufzeigt, dass fast 60 Prozent der Zehnjähri-gen Nichtschwimmer sind . Das sind Schüler, die in dervierten Klasse sind . Zweitens . Heute 60-Jährige haben ineiner Befragung angegeben, dass sie zu fast 60 Prozentdas Schwimmen in der Schule gelernt haben . Heute sinddies nur noch 36 Prozent . Und drittens haben 25 Prozentder Grundschulen – dort sollte das Schwimmen gelerntwerden – gar keinen Zugang mehr zu einem Schwimm-bad. All das ist Ergebnis einer falschen Politik. Ich finde,deswegen gehört dieses Thema in den Bundestag, liebeKolleginnen und Kollegen .
Das zeigt drei Dinge: Erstens . Auch die Frage, ob manschwimmen lernen kann oder nicht, ist eine soziale Fra-ge . Es gab eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linkein der Hamburger Bürgerschaft, und in der Antwort kam,was die Schwimmfähigkeit angeht, Folgendes heraus: Inden Schulen, in denen vor allem Kinder aus einkommens-schwachen und armen Familien sind, können 80 Prozentder Kinder fast gar nicht schwimmen, und 42 Prozentkönnen überhaupt nicht schwimmen . In derselben Stadt,in den edlen Stadtteilen, in denen die Reichen wohnen,in denen die wohnen, denen es gut geht, die auf der Son-nenseite sind, ist es fast genau umgekehrt . In den Schu-len in den besten Stadtteilen können lediglich 18 Prozentder Schüler nicht gut schwimmen, und nur 3 Prozent derSchüler können überhaupt nicht schwimmen .Daher sage ich: Das ist doch wohl ein Thema für denBundestag; denn es kann doch nicht sein, dass im Notfallnur diejenigen schwimmen können, die aus sozial gesi-cherten Verhältnissen kommen . Das sind doch kaputteZustände, und darüber muss der Bundestag doch einmaldiskutieren, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Ein zweiter Punkt, der die Wichtigkeit dieses Themasexemplarisch jenseits von Statistiken und vielem ande-ren verdeutlicht: Seit 1990 wurden in der Bundesrepublik1 600 Schwimmbäder geschlossen . Allein 2016 waren esBritta Haßelmann
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100 Bäder . Das hat natürlich etwas mit Politik zu tun .Das ist Staatsversagen auf höchstem Niveau und hat sei-ne Ursache in der katastrophalen finanziellen Lage vielerKommunen . Um auch das zu sagen: Das ist der Wahn derPrivatisierung, den die Menschen jeden Tag konkret erle-ben können . Das sind die Folgen des Verscherbelns vonöffentlichem Eigentum, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Zum Dritten will ich deutlich sagen: Nach unsererAuffassung gehören Schwimmbäder wie Bibliothekenund Museen zur öffentlichen Daseinsvorsorge . JedesKindes muss sie besuchen können, egal wie viel Schotterdie Eltern haben . Das ist eigentlich eine Selbstverständ-lichkeit, aber das gibt es nicht mehr .
Ich sage – deswegen gehört dieses Thema in den Bun-destag –: Wir brauchen, analog zu den 60er-Jahren, einensogenannten Goldenen Plan, der möglich macht, dass esin jeder Kommune ein öffentliches Schwimmbad gibt, indem die Kinder schwimmen lernen können und in demdiejenigen ihren Urlaub verbringen können, die es sichnicht leisten können, an die Strände des Mittelmeeresoder sonst wohin zu fahren .
Es ist ja wohl das Mindeste, dass man sich mit diesemThema beschäftigt .Ich will ganz grundsätzlich sagen, was man an die-sem Thema wunderbar zeigen kann: Immer wenn sichder Staat zurückzieht – die Menschen erleben den Staatlogischerweise in der Kommune; wo denn sonst? –, sinddiejenigen fein raus, denen es gut geht und die ordent-lich Kohle haben . Wer einen Privatlehrer hat, kann Un-terrichtsausfall natürlich wunderbar kompensieren . Werviel Geld hat und viele Bücher kaufen kann, der brauchtnatürlich auch keine öffentliche Bibliothek .
Wer sich mit seiner Familie einen Safariurlaub im Kru-ger-Nationalpark leisten kann, der braucht natürlich kei-ne Zoos und keine Tierparks .
Wer ein ganz schickes Haus am See mit eigenem Steghat,
der braucht natürlich, Herr Steffel, kein öffentlichesSchwimmbad . Dass Sie das nicht sehen und darüberlachen, zeigt wirklich den katastrophalen Zustand IhrerTruppenteile, um das klar zu sagen .
Ich finde, es ist an der Zeit, dass wir mit dieser Politikumkehren . Es ist Zeit, endlich etwas für die vielen zu tunund nicht nur für die wenigen, für die Sie hier sitzen .Was tun? Wir brauchen Investitionsprogramme; da istder Bund gefragt . Man kann eine Vermögensteuer wie-der einführen . Die Einnahmen kämen den Ländern undKommunen zugute . Dazu muss man nur mutig sein undes wollen .
Ich will noch sagen: Manchmal kann Politik sehr ein-fach und klar sein; dann liegen die Entscheidungen klarauf der Hand. Ich finde, wir brauchen nicht, wie Sie eswollen und wie Sie es Ihrem Kumpel Trump unterschrie-ben haben,
60 Milliarden Euro für Aufrüstung . Wir brauchen dieseKohle für eine vernünftige Infrastruktur, für Schwimm-bäder, Museen und Straßen . Dafür brauchen wir dasGeld, aber nicht für schwachsinnige Rüstung, liebe Kol-leginnen und Kollegen .
Man kann das wie folgt zusammenfassen: Was wirnicht brauchen, sind irgendwelche modernisierten Fre-gatten, die in Krisengebieten herumschwimmen . Waswir brauchen, sind Kinder, die schwimmen können, dieFreude am Schwimmen haben und nicht aufgrund ihrersozialen Herkunft ertrinken . Das ist doch etwas, das sehrkonkret ist und das man entscheiden kann .
Zum Schluss . Ich will mich ganz besonders bei denvielen Lebensrettern, die das übrigens alle ehrenamtlichmachen, bedanken, namentlich bei der DLRG und beider Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger .Wir als Politik müssen ein gemeinsames Interesse daranhaben, dass diese Organisationen weniger zu tun haben .Das ist doch wohl elementar . Insbesondere Ihnen, die Sieso viel von Sicherheit schwatzen, sage ich:
Hier geht es wirklich konkret um Sicherheit . Es gehtnämlich darum, dass Kinder nicht ertrinken . Das hat et-was mit wirklicher Sicherheit zu tun .
Herr Kollege?
Dazu könnte man jetzt noch sehr viel sagen .
Ich ahnte es .
Jan Korte
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Es macht einen wirklich fassungslos, dass Sie vom
wirklichen Leben leider nichts mitbekommen und bei ei-
nem solchen Thema Ihre Späße machen .
Ich finde, es ist das Mindeste, dass der Staat für eine In-
frastruktur sorgt, die gewährleistet, dass Kinder schwim-
men lernen können, wie es früher selbstverständlich war .
Herr Kollege Korte, bitte kommen Sie zum Schluss .
Das ist aber nicht mehr selbstverständlich, und das ist
das Resultat Ihrer Politik .
Dafür sind Sie konkret mitverantwortlich, und zwar
durch Merkels und Schäubles Rotstiftpolitik . So sieht es
aus .
Das Wort hat die Kollegin Barbara Woltmann für die
CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Herr Korte
– ja –, um es einmal ganz klar zu sagen: Ihr Auftritt ebenwird diesem Thema gar nicht gerecht .
Zu sagen, uns sei nicht wichtig, dass jedes Kind schwim-men lernt, ist abstrus .
Mit den ganzen Thesen, die Sie hier vorgetragen haben,werden Sie diesem Thema absolut nicht gerecht, ganzim Gegenteil. Ich finde, die DLRG hat eine gute Studiedurchgeführt,
und natürlich ist dieses Thema wichtig . Dass es in denBundestag gehört, wage ich aber zu bezweifeln .
Das ist zuerst ein Thema der Kommunen, deshalb müs-sen wir uns darüber unterhalten, wie die Kommunenausgestattet sind . Daneben müssen wir uns auch über dieBundesländer unterhalten und uns fragen, ob die Bundes-länder ihre Kommunen auch ausreichend mit Finanzmit-teln ausstatten .
Wir können ruhig einmal die Bundesländer miteinandervergleichen . Dann werden wir sehen, wer am meisten fürdie Kommunen tut .
Ich glaube, einige Bundesländer kommen dabei nicht sogut weg . Das können wir ruhig noch einmal vertiefen .Ich glaube, es hat bisher kaum eine Bundesregierunggegeben – ich komme gleich noch einmal darauf zu-rück –, die so viele Milliarden an die Kommunen wei-tergegeben hat wie die jetzige . Die Länder geben aberleider nicht alles weiter; das müssen wir auch einmaldazusagen .
Um das hier wirklich einmal ausdrücklich zu sagen:Das Thema ist außerordentlich wichtig und muss auchdiskutiert werden . Ob hier heute nach der Debatte überden Antisemitismusbericht der richtige Ort und die rich-tige Zeit ist, wage ich aber doch einmal zu bezweifeln .
Ich komme jetzt zu den Einzelheiten . „Schwimmun-terricht geht baden“: So lautet heute eine Überschrift inmeiner Tageszeitung zu Hause . In dem Artikel wird übereine Grundschule in einer Gemeinde in meinem Wahl-kreis berichtet . Dort gibt es kein Hallenbad, sondern nurein Freibad, und auch die Nachbargemeinden könnennicht genügend Schwimmzeiten zur Verfügung stellen .In dem Artikel heißt es, dass im Sommer nicht immerin dem Freibad geschwommen werden kann . Es sei zukalt für die Kinder, weil die Außentemperatur nicht rei-chen würde . Man muss sich also auch noch einmal Ge-danken darüber machen, ob ein Grund für die aktuelleSituation die Tatsache ist, dass bei uns nicht immer eineAußentemperatur von 25 Grad herrscht . Das muss manhier also auch noch einmal debattieren .Die Zahlen aus dem Bericht der DLRG – er liegt auchbei mir auf dem Platz, und ich habe ihn mir angeschaut –sind von Herrn Korte richtig wiedergegeben worden . Siesind erschreckend . Es gab im letzten Jahr 537 Todesfälledurch Ertrinken . Das ist der höchste Wert seit zehn Jah-ren . Deswegen ist es auch so wichtig, dass alle schwim-men lernen . Am besten fängt man damit natürlich im
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Kindesalter an, und es ist außerordentlich wichtig, dassfür Schwimmunterricht, insbesondere an Grundschulengesorgt ist .Vor kurzem ist ein 15-jähriges Mädchen ertrunken,weil es gemeinsam mit Freundinnen ins Wasser gesprun-gen ist . Es hatte sich nicht getraut, zu sagen, dass es nichtschwimmen kann . Das gilt also als Makel, und auch dasdarf nicht sein . Die Scham, zuzugeben, Nichtschwimmerzu sein, ist sehr groß .Über 10 Prozent der Deutschen stufen sich selber alsschlechte Schwimmer sein . Hier muss also noch sehr vielmehr getan werden .Ich will auch noch einmal zu der kommunalen Ebe-ne kommen; denn viele Gemeinden haben durchaus eingroßes strukturelles Problem und müssen natürlich mitentsprechenden Finanzmitteln ausgestattet werden . Aberwie gesagt: Das müssen in erster Linie die Länder ma-chen .Ich glaube, dass wir mit der in der letzten Sitzungs-woche beschlossenen Neuordnung der Bund-Länder-Fi-nanzbeziehungen sehr viel mehr für die Kommunen überdie Länder tun können . Wir haben zum Beispiel das Ko-operationsverbot gelockert, sodass jetzt auch die Schu-len – dazu gehören oft ja auch Schulschwimmbäder – sa-niert werden können .Nicht alle Kommunen können das von sich aus leisten .Die Situation ist in den einzelnen Regionen in Deutsch-land sehr unterschiedlich . Teilweise haben die Kommu-nen große Schwierigkeiten . Deshalb müssen wir dortsehr viel mehr tun; das wurde bereits angesprochen . Esstellt sich aber immer die Frage: Wer muss da etwas tun?Diese Aufgabe gehört zu den freiwilligen Aufgabender Gemeinden . Das ist also eine freiwillige Leistung imeigenen Wirkungskreis .Den Kommunen wird oft gesagt, dass sie die freiwil-ligen Leistungen einschränken müssen . Das ist natürlichschwierig, wenn es um solche Aufgaben geht . Ich halte esfür den falschen Weg, wenn Kommunen ihre Schwimm-bäder schließen, weil sie sie nicht mehr finanzieren kön-nen . Ich denke, das Schwimmenlernen ist eine wichtigeAufgabe – auch für die Volksgesundheit –, damit man inZukunft nicht mehr eine solch hohe Anzahl von Todes-fällen zu beklagen hat .Das alles ist sehr teuer . Ich habe in meiner Gemein-de nachgefragt . Die Betriebskosten für das Frei- und dasHallenbad betragen rund eine halbe Million Euro im Jahr .Das kann natürlich in keiner Weise durch Eintrittsgelderaufgefangen werden . Der Gemeinderat muss immer be-reit sein, die notwendigen Gelder zur Verfügung zu stel-len . Darüber werden immer schwierige Debatten geführt .Natürlich ist auch die Privatisierung keine Lösung . Wiesoll denn ein Privater, wenn schon die Kommunen einSchwimmbad nicht finanzieren können, das machen?Es gibt eine Handvoll Bäder in Deutschland, die in denschwarzen Zahlen sind . Das sind sehr wenige .Da ist also sehr viel zu tun . Ich möchte an alle appel-lieren, die Bäder zu erhalten, damit vor allen Dingen dieKinder das Schwimmen lernen können .
Frau Kollegin .
Ich komme zum Schluss . Ich werde jetzt den letzten
Satz oder die letzten zwei Sätze sagen .
Frau Präsidentin, ich möchte aber auch an die Eltern
appellieren: Es ist nicht nur die öffentliche Hand, die
handeln muss . Auch die Eltern sind gefordert, ihren Kin-
dern das Schwimmen beizubringen, wenn die Schule das
vielleicht nicht ausreichend machen kann .
Das gilt für alle Menschen bei uns, auch für die mit
Migrationshintergrund . Es kann nicht angehen, dass
Mädchen, deren Familien aus anderen Kulturkreisen
kommen, nicht zum Schwimmunterricht gehen können .
Das darf nicht sein . Alle müssen schwimmen lernen:
auch die Menschen aus anderen Kulturkreisen und vor
allen Dingen die Mädchen .
Das Wort hat der Kollege Özcan Mutlu für die Frakti-
on Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 91! Ichbeginne meine Rede mit der traurigen Zahl 91 . Im ver-gangenen Jahr sind nämlich in unserem reichen Land91 Kinder und Jugendliche im Alter von 0 bis 20 Jahrenertrunken. Ich finde, jedes einzelne Kind ist eines zu vielgewesen .Sie ertranken unter anderem auch deshalb, weil sienicht bzw . nicht gut genug schwimmen konnten . Dassind 75 Prozent mehr als noch im Jahr zuvor und zwei-einhalb Mal mehr als 2014 . Kollege Korte hat es gesagt:2016 ertranken einschließlich dieser 91 Kinder und Ju-gendlichen insgesamt 537 Menschen in Deutschland .Das ist seit zehn Jahren ein Höchststand. Ich finde, dasist beschämend für unser Land . Da müssen wir sehr wohletwas tun .
Der Deutsche Schwimm-Verband und die DeutscheLebens-Rettungs-Gesellschaft sind sich einig: Immerweniger Kinder in unserem Land lernen schwimmen .Mindestens jeder zweite Grundschüler bzw . jede zwei-te Grundschülerin in Deutschland kann nicht richtigschwimmen, so auch die Ergebnisse einer Forsa-Umfra-ge im Auftrag der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesell-schaft . Das sind alarmierende Zahlen und alarmierendeEntwicklungen, die wir nicht länger hinnehmen dürfen .Was sind die Gründe dafür? Immer mehr Schwimm-bäder schließen, weil sich klamme Kommunen diesenicht mehr leisten können . Immer mehr Schwimmun-Barbara Woltmann
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terricht in den Schulen fällt aus, weil es nicht genügendLehrkräfte gibt . Hinzu kommt: Die Hälfte der Bäder inunserem Land ist inzwischen halb verfallen . Last, but notleast: Immer mehr Schwimmhallen werden privatisiertund in Spaßbäder umgewandelt . Somit haben Schulensowie Schwimm- und Rettungsvereine immer größereSchwierigkeiten, für den Schwimmunterricht überhauptWasserzeiten zu bekommen .In ländlichen Regionen führt das sogar zu noch grö-ßeren Problemen . Die nächste Schwimmhalle ist so weitweg, dass die Sportstunde vorbei ist, wenn die Schülerin-nen und Schüler dort ankommen . Die Folge davon: Jedevierte Schule hat keinen Zugang zu einem Schwimm-bad . Damit können etliche Schulen in unserem Landihrem gesetzlich vorgeschriebenen Auftrag, nämlichSchwimm unterricht zu geben, nicht nachkommen . DerPlatz zum Schwimmenlernen verschwindet, währenddie Eintrittspreise steigen und die Anfahrtswege immerlänger werden . Lehrerinnen und Lehrer, die das Glückhaben, doch eine Wasserzeit in einem nahe gelegenenSchwimmbad zu ergattern, müssen zumindest in Grund-schulen den Sportunterricht oft – leider zu oft – fach-fremd halten .Angesichts dieser Bilanz sollte sich so manche Parteiin diesem Haus sehr gut überlegen, ob und wo sie wei-terhin Steuergeschenke verteilen will . Stecken Sie einenTeil der Steuerüberschüsse lieber in die Schwimmbäder!Unterstützen Sie die Kommunen, damit unsere Kinder imJahre 2017 nicht mehr ertrinken und niemand beschämtwird, weil er oder sie nicht schwimmen kann!Für uns Grüne ist klar: Wir brauchen mehr Lehrerin-nen und Lehrer mit der Befähigung zur Erteilung vonSchwimmunterricht . Ja, und wir brauchen auch endlichmehr Geld für Sportstätten, besonders für den Schul-sport, aber auch für öffentliche Bäder .
Wir haben in der vergangenen Sitzungswoche eineweitreichende Grundgesetzänderung vorgenommen undgreifen damit auch den Kommunen unter die Arme, in-dem wir ihnen auch für die Bildungsinfrastruktur Mittelbereitstellen wollen . Auch hier sagen wir: Schwimmun-terricht ist Teil der Bildung, und deshalb muss auch andieser Stelle in der Bildungsinfrastruktur mehr getanwerden . Das ist überfällig .Wir haben heute parallel dazu auch im Sportaus-schuss diese Debatte geführt . 4,5 Milliarden Euro sindnötig, um unsere Schulen in den Kommunen mit besse-ren Schwimmhallen für den Schwimmsport auszustatten .Wir wollen bei dieser Gelegenheit auch etwas für dieUmwelt tun, indem wir die Schwimmhallen energetischsanieren .Hier ist aber nicht nur der Bund zuständig, sondernhier sind, wie bereits gesagt, auch die Länder und Kom-munen in der Pflicht. Nur wenn diese Ebenen zusammen-arbeiten, kann der Teufelskreis durchbrochen werden .Der Gesundheitsminister – er ist heute nicht anwesend –hat neulich in der Presse verkündet, dass verstärkte An-strengungen für den Schwimmunterricht notwendig sind .Dazu sage ich: Was nottut, Herr Gröhe, sind nicht Worte,sondern Taten .Deshalb richten wir noch einmal unseren Appell anSie alle, aber auch an die Bundesregierung, gemeinsammit den Ländern und Kommunen dieses Dilemma anzu-gehen, damit im reichen Deutschland niemand sterbenmuss, weil er oder sie nicht schwimmen kann .Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit .
Das Wort hat der Kollege Özdemir für die Fraktion
der SPD .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich bin der Fraktion Die Linke durchaus dankbar, dasswir angesichts sommerlicher Temperaturen über dasThema „Schwimmbäder und Schwimmenlernen“ de-battieren . Diese Debatte und unsere darauffolgenden ge-meinsamen Bemühungen können nämlich dazu führen,dass wir in der nächsten Jahresbilanz der DLRG deutlichweniger als die uns bekannten 537 ertrunkenen Men-schen zu beklagen haben .Der Gang zum städtischen Hallenbad, Freibad oderzum Badesee ist schon lange nicht mehr die Regel, teil-weise schlicht deshalb, weil die Einrichtungen wegenSchließung oder Baufälligkeit nicht mehr zur Verfügungstehen, aber auch weil der sichere Aufenthalt im Was-ser weder gelehrt worden ist noch erlernt werden konnte .Das mag viele Ursachen haben . Vielleicht liegt es daran,dass die Familie den Schwimmkurs im Verein nicht auseigenen Mitteln schultern kann, sicherlich aber, weil einViertel unserer Grundschulen in Deutschland eben kei-nen Zugang mehr zu einem Schwimmbad in der Nähehat .Jetzt mag man lange über Zuständigkeiten – Bund,Länder, Kommunen – oder über Verbotsschilder an Bag-gerseen diskutieren, Fakt ist: Wir können handeln, undwir haben auch gehandelt .Ich kann mich daran erinnern, dass in meiner Heimat-stadt bis vor kurzem regelmäßig sogenannte Tränenlis-ten im Umlauf waren . Das ist eine bildliche Umschrei-bung für städtischen Luxus, den man nicht braucht . Hiermache ich besser die Ironie vorher kenntlich . Fast allestädtischen Badegesellschaften und Badeanstalten warennämlich Stammgäste auf dieser Liste . Erst als in meinerHeimatstadt, im Landtag in Nordrhein-Westfalen und imBundestag die Sozialdemokratie Verantwortung über-nahm, verschwanden diese Punkte von der Tränenliste inDuisburg und in der Bundesrepublik .
Özcan Mutlu
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Daher möchte ich Ihnen darlegen, warum ich meine, dasswir den richtigen Weg gegangen sind, und Sie herzlicheinladen, diesen Weg auch fortzusetzen .Der Begriff „kommunale Entlastungen“ ist in dieserWahlperiode zu oft gefallen . Das Wesen dieses Begriffesmüssen wir allerdings zu dauerhafter und planbarer fi-nanzieller Unterstützung unserer Kommunen weiterent-wickeln . Wir müssen den Kommunen den notwendigenSpielraum eröffnen, damit sie sich um Bildung, Kulturund Sport kümmern können . Mit schrittweisen Entlas-tungen bei Sozialausgaben haben wir dauerhafte Entlas-tungen von 5 Milliarden Euro bis und ab 2018 bereitserreicht .Wir haben ein Investitionsprogramm für die Kommu-nen aufgelegt, die durch Bundesgesetze fast in den Ruingetrieben worden sind . Diese Kommunen konnten wegenfehlender Eigenmittel nicht einmal mehr an Bundesför-derprogrammen teilnehmen . Die Bauministerin hat esmit der Städtebauförderung und der energetischen Sa-nierung besser gemacht; ich frage mich, wo der KollegeMutlu eigentlich gewesen sein mag .Bäder werden nämlich auch aus diesen Mitteln aufden Stand der Technik gebracht und so energetisch sa-niert, dass die Betriebskosten zukünftig gesenkt werden,was den städtischen Haushalt entlastet . Das Schulsa-nierungsprogramm des Bundes nimmt im Übrigen denDruck von den städtischen Haushalten, sodass auch Geldfür den Schulbus da ist, damit der unsere Kleinsten zumSchwimmbad, ob nah, ob fern, fahren kann .Aber neben den Kommunen stellen sich auch die Ver-eine aus dem Schwimmsport mit ihren Ehrenamtlichenihrer Verantwortung und betreiben mit nicht unerhebli-chen städtischen Betriebskostenzuschüssen diese Ein-richtungen . Nur so wird neben dem Schwimmenlernenauch der wichtige Bereich von gesundheitsförderndenKursen für unsere Seniorinnen und Senioren abgedeckt .Diese Maßnahmen wirken .Der Investitionsstau in den Städten und Gemeindensank in dem Jahr von 2016 auf 2017 um 10 MilliardenEuro . Oder so formuliert, dass man es auch auf der Straßeversteht: Durch die Übernahme von Kosten durch denBund sollen die Kommunen das freiwerdende Geld unteranderem in den schulischen Schwimmunterricht inves-tieren . Sie sollen die Badelandschaft so ansprechend ge-stalten, dass die Freibadgrünfläche, der Eiswagen und diePommesbude die Jugendlichen von Seen abhalten, in de-nen Baden verboten ist . Sie sollen mit Vereinen spezielleAngebote, Zeiten und Tarife für Familien und Seniorenmachen .Das Schwimmbad ist keine Liebhaberei, weil es Ver-luste einfährt und sich durch Einnahmeentgelte nichtrechnet . Es ist aus meiner persönlichen Sicht eine kom-munale Pflichtaufgabe, die wir steuerlich als Zuschuss-betrieb über das Körperschaftsteuergesetz privilegieren,um allen Bürgerinnen und Bürgern Schwimmerlebnissezu ermöglichen und, ja, Herr Kollege Korte, vielleichtdenjenigen am meisten, die es sich eben nicht leistenkönnen, in ein privates Spaßbad mit allen Schikanen zugehen .Die SPD-Bundestagsfraktion steht für eine Bundespo-litik, die in die Kommunen investiert und sie nicht zuSparschweinen der Länder oder des Bundes herabwür-digt . Letzteres ist eher das Modell schwarz-gelb, und da-mit ist nicht der BVB gemeint .
Ich bedanke mich herzlich für Ihre Aufmerksamkeitund wünsche all denjenigen, die gerade die Sonne in ei-nem Freibad genießen können, alles Gute . In diesem Sin-ne ein herzliches Glückauf!
Der Kollege Dr . Frank Steffel hat für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Alles, was die Menschen in Deutschlandbeschäftigt, ist zu Recht ein Thema hier im DeutschenBundestag, aber nicht alles eignet sich für parteipoliti-sche Profilierung.
Man muss auch nicht alles in den Parteienstreit stellen .Ich habe den Eindruck, dass gerade wir im Sportaus-schuss uns bemüht haben, das Thema sehr sachlich zudiskutieren . Ich habe Sie, Herr Korte, übrigens vermisst;wir hatten eine Anhörung von einer Stunde zu diesemThema und haben in der Tat gemeinsam mit den Men-schen, die sich zumeist ehrenamtlich mit dem Problembeschäftigen, festgestellt, dass wir einen Rückgang derSchwimmfähigkeit in Deutschland feststellen müssen .Wir haben auch festgestellt, dass Schwimmen keinnormaler Sport ist . Man kann die Frage, ob ein Menschin jungen Jahren Schwimmen lernt oder nicht, nicht mitder Frage vergleichen, ob er Fußball-, Volleyball- oderHockeyspielen lernt; denn die Auswirkungen, wenn erdas Schwimmen nicht erlernt, sind ungleich schwerwie-gender und oft im wahrsten Sinne des Wortes lebensge-fährlich .Ich will mich jetzt einmal bemühen, diejenigen zuWort kommen zu lassen, die davon viel verstehen, weilsie sich täglich damit beschäftigen . Die DLRG hat unseine Studie zum Stand der Schwimmfähigkeit von Kin-dern und Jugendlichen übergeben . Schauen wir uns ganzkurz die Zahlen an: Es ist in der Tat beängstigend, dass41 Prozent der Eltern in Deutschland ihre Kinder als un-sichere Schwimmer oder Nichtschwimmer einschätzen .Das ist eine Zahl, über die man schon einmal in allerErnsthaftigkeit nachdenken muss .Wenn man diese Zahl auf das Alter herunterbricht,dann stellen wir fest, dass sage und schreibe 58 Prozentder Eltern von Sechsjährigen ihre eigenen Kinder als un-Mahmut Özdemir
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sichere Schwimmer oder Nichtschwimmer einschätzen .Fast 60 Prozent der Kinder – das ist in der Tat beängs-tigend und kann uns natürlich nicht kaltlassen; denn wirtragen Verantwortung für diese Kinder, unabhängig vomElternhaus und unabhängig von den sozialen Umständen,in denen sie groß werden .Wir können auch feststellen, dass die Zahl der To-desfälle ansteigt . Im Übrigen steigt nicht nur die Zahlder Todesfälle an, sondern insbesondere die Zahl dervermeidbaren Todesfälle; denn es gibt unterschiedlicheTodesfälle im Wasser . Jetzt hat die DLRG sehr sachlichherausgearbeitet, was die Ursachen für die Verschlech-terung der Schwimmfähigkeit und den Anstieg dieserschlechten Zahlen sind .Sie hat erstens festgestellt – dies wurde bereits an-gesprochen –, dass es um die Umwandlung von Aus-bildungsbädern in Spaßbäder geht . Das ist natürlich einwirtschaftliches Thema und damit ein Problem . Es gehtum fehlende Ausbildungszeiten und Wasserflächen sowieBäderschließungen . Ich erspare mir jetzt den parteipoli-tischen Diskurs . Ich will Ihnen nur sagen, Herr Korte:Der rot-rot-grüne Senat in Berlin hat gerade das größteBad in meinem Wahlkreis in Reinickendorf geschlossen,weil eine Einmalinvestition von 1,7 Millionen Euro nichtzur Verfügung steht . Private wollten das Bad betreiben .Aber die Wasseraufbereitungsanlagen und einige techni-sche Dinge mussten neu gemacht werden . Gleichzeitiggibt man Geld für Tempo-30-Zonen und Unisextoilettenaus . An dieser Stelle sollte man einmal über die politi-sche Schwerpunktsetzung nachdenken . Ob das eine allennutzt, weiß ich nicht, das andere wäre sicherlich hilfreich .
Der zweite Punkt hat etwas mit den Bundesländern zutun . Hier geht es um die Schulen . Die DLRG stellt einenmassiven Stundenausfall im Schulschwimmen fest . Wirstellen fest, dass die Qualität des Schulschwimmens deut-lich abnimmt . Das liegt im Wesentlichen daran, dass dortcirca 50 Prozent fachfremdes Personal eingesetzt wird .Auch hier könnte ich wieder mit Verweis auf Berlin sa-gen: Kein Wunder! Wenn man die Lehrer nicht verbeam-tet, dann gehen die guten Leute in andere Bundesländer,und man muss auf fachfremdes Personal zurückgreifen .
Mittlerweile ist ein Drittel der Lehrerinnen und Leh-rer in Berlin nicht für das Lehramt ausgebildet; auchdarüber muss man einmal nachdenken . Hier ist derSchwimmsport nur die Spitze des Eisberges .Im Übrigen ist Schulschwimmen in vielen Bundes-ländern im Lehrplan zu spät vorgesehen; auch das ent-spricht der Wahrheit. In Berlin beispielsweise findet dasSchulschwimmen in der dritten Klasse für die Neun- undZehnjährigen statt . Zu diesem Zeitpunkt ist vielen Kin-dern bereits etwas widerfahren . Hier müsste der Lehrplanentsprechend verändert werden .Dritter Punkt . Die DLRG-Analyse zeigt, dass der An-teil der Ausländer, die nicht schwimmen können – insbe-sondere bei Mädchen –, ein Problem darstellt . Wir kön-nen nur dankbar sein, dass das Bundesverfassungsgerichtim Dezember 2016 sehr klar entschieden hat, dass einmuslimisches Mädchen sich nicht vom Schwimmunter-richt befreien lassen darf mit der Begründung, sie wollenicht gemeinsam mit Jungen schwimmen und sei auchnicht bereit, im Burkini am Schwimmen teilzunehmen .
Hier hat das Verfassungsgericht für Klarheit gesorgt unddeutlich gesagt: Die Teilnahme am Schwimmunterrichtist zumutbar . Kinder in Deutschland haben unabhängigvon Religion und Geschlecht am Schwimmunterrichtteilzunehmen . – Ich will das hier in der Öffentlichkeitsehr bewusst sagen .
Der vierte Punkt – diesen will ich nur anreißen – be-trifft eine lange Liste der DLRG, aus der hervorgeht, wenman ansprechen muss, um die Schwimmfähigkeit zu ver-bessern: Eltern, Familie, Kita, Schule, Kultusminister-konferenz, Sportministerkonferenz, Wasserrettungsorga-nisationen und Krankenkassen . Das ist ein Potpourri ausHelfern und Betroffenen, die mitwirken müssen, damites in Deutschland besser wird . Beim Stichwort „Bundes-tag“ steht schlicht und ergreifend – wir haben das nach-gefragt; Kollege Mutlu war zugegen –: Wertekatalog derGesellschaft ändern . – Das ist die Zuständigkeit des Bun-des aus Sicht der Betroffenen . Aber die Verantwortungliegt bei Ländern und Kommunen . Wir sollten anmah-nen, dass sie dort auch wahrgenommen wird . Wir disku-tieren darüber und verweisen gerne auf den Wertekatalogder Gesellschaft . Aber schuld ist nicht die Bundesregie-rung, sondern schuld sind – wenn überhaupt – Länderund Kommunen . Alle gemeinsam sollten wir dafür sor-gen, dass kein Kind in Deutschland stirbt, weil es nichtschwimmen kann .
Vielen Dank .
Der Kollege Dr . André Hahn hat für die Fraktion DieLinke das Wort .
Dr. Frank Steffel
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! HerrKollege Steffel, ich war im Sportausschuss zugegen . Wirbei den Linken arbeiten arbeitsteilig .
Insofern sind die Vorwürfe gegen den Kollegen Kortedaneben .Wir haben diese Aktuelle Stunde beantragt, obwohlsich der Sportausschuss heute mit diesem Thema be-schäftigt hat . Die Thematik ist wahrlich nicht neu . Ichverweise hier auf die Antwort von Staatssekretär Kringsvon der CDU/CSU vom 18 . März 2015 auf meine schrift-lichen Anfragen, in der er mitteilte – ich zitiere –:Auch die Bundesregierung nimmt die Untersuchun-gen zur schwindenden Schwimmkompetenz vonKindern mit Besorgnis zur Kenntnis .Weiter heißt es:Für die Verbesserung der Schwimmkompetenz vonKindern und die Förderung des Schwimmunter-richts im Allgemeinen gibt es seitens der Bundesre-gierung keine Zuständigkeit .2015 war das . Die Besorgnis teile ich, nicht aber den Ver-weis auf die angebliche Nichtzuständigkeit . Erst rechtakzeptiere ich nicht die Untätigkeit der Bundesregierungin diesem Bereich .
Ich hatte bereits vor über zwei Jahren ein Gesprächzwischen den Akteuren und eine Anhörung im Sportaus-schuss als Auftakt dazu vorgeschlagen, um die Problemeergebnisorientiert gemeinsam anzugehen . Diesen Vor-schlag lehnte die Koalition nicht nur einmal ab . Erst jetzt,kurz vor Ende der Wahlperiode, gab es heute dazu eineDebatte im Sportausschuss, allerdings wieder hinter ver-schlossenen Türen, unter Ausschluss der Öffentlichkeit .Wir meinen jedoch: Das Problem und somit der Hand-lungsbedarf sind so gravierend – das ist im Ausschusseben nachgewiesen worden –, dass das auch hier im Par-lament öffentlich diskutiert werden muss .
Deutschland war einmal eine Schwimmnation . DasLand bietet mit seinen Seen und Flüssen, mit der Ost- undder Nordsee, mit seinen Freibädern und Schwimmhallenhervorragende Möglichkeiten, sich im Wasser zu erholenund sportlich zu betätigen . Schwimmen ist ein gesund-heitsfördernder Breitensport und macht Spaß . Dazu mussman aber eben schwimmen können . Wenn die Schwimm-kompetenz in Deutschland innerhalb von 25 Jahren vonüber 90 Prozent in der Bevölkerung auf unter 50 Prozentsinkt, dann ist das höchst alarmierend . Ich bin der Deut-schen Lebens-Rettungs-Gesellschaft sehr dankbar, dasssie darauf immer wieder aufmerksam macht .
„Deutschland wird zum Nichtschwimmerland“, titel-te Zeit Online vor wenigen Tagen . Wir haben es schongehört: Fast 60 Prozent der zehnjährigen Kinder könnennicht richtig schwimmen; aber Schwimmenkönnen oderNichtschwimmenkönnen, das entscheidet im Zweifelüber Leben und Tod . Wer schwimmfähig ist, kann Lebenretten, sein eigenes, aber auch das anderer . Wir haben dieTodeszahlen gehört: 2016 waren es 537 Menschen . Mehrals 1 000 Menschen konnten gerade noch so gerettet wer-den . Das sind dramatische Entwicklungen, für die es Ur-sachen gibt, die auch auf der Bundesebene förmlich zumHandeln zwingen .In den 1960er-Jahren hatte fast jede größere Kommu-ne ein eigenes Schwimmbad, auch durch besondere staat-liche Förderprogramme . Zuletzt waren aufgrund unzu-reichender Finanzausstattungen immer weniger Städte inder Lage, ihre Bäder zu sanieren und zu betreiben . JedesJahr werden etwa 100 Bäder in Deutschland geschlossen .Der Sanierungsbedarf bei Schwimmbädern wurde ebenim Sportausschuss mit 4,5 Milliarden Euro beziffert . Daskönnen die Kommunen definitiv nicht allein stemmen.Hier muss der Bund deutlich unterstützen .
Das alles hat natürlich auch Folgen für den Schwimm-unterricht, der an vielen Schulen gar nicht mehr ange-boten werden kann, auch weil die Anfahrtswege für dieSchüler immer länger und kostenintensiver werden . Sooffenbart das Ganze auch eine soziale Schieflage; dennEinkommensschwächere und deren Kinder sind laut Sta-tistik deutlich weniger schwimmfähig als der Landes-durchschnitt . Viele können sich die Eintrittsgelder fürSchwimmhallen oder auch für kommerzielle Schwimm-kurse schlichtweg nicht leisten .Die Linke hat deshalb eine Reihe von Vorschlägenvorgelegt, die von der Koalition bisher leider immerabgelehnt wurden . Dazu gehören neben der Wiederauf-nahme des Goldenen Plans für Sportstätten Programmefür die Sanierung von Schwimmhallen ebenso wie dieFörderung des Schwimmunterrichts an Schulen, die Stär-kung des Vereinssports sowie der Abbau von finanziellenund kulturellen Barrieren .Im Übrigen gibt es auch eine Brücke zum Spitzen-sport, für den der Bund ja tatsächlich originär zuständigist . Das Ergebnis im Schwimmen bei Olympia in Rio warkatastrophal . Die Deutsche Meisterschaft am letzten Wo-chenende brachte ernüchternde Resultate . Die deutschenAthleten für die anstehende Weltmeisterschaft passen ineinen Kleinbus .Der Schwimmverband soll 2019 ein Viertel wenigerBundesförderung bekommen. Die auf Medaillen fixier-te Reform der Spitzensportförderung wird, wenn es hierkeine Korrekturen gibt, Kernsportarten wie das Schwim-men oder die Leichtathletik massiv bedrohen . Geradebeim Schwimmen wird deutlich: Immer weniger Breiteschafft immer weniger Spitze . Auch deshalb muss dieSchwimmfähigkeit deutlich verbessert werden .
Letzte Bemerkung . Wir haben aktuell hochsommerli-ches Wetter . Die Urlaubszeit steht bevor, und viele Men-
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schen, junge wie ältere, zieht es ans Meer, an Seen undin Freibäder . Ich denke, wir alle hoffen, dass es dabeimöglichst wenige Unfälle und gar keine Todesfälle gibt .Es ist dringend geboten, sich auch in der nächsten Legis-laturperiode mit diesem Thema zu befassen und endlichetwas zu unternehmen .Herzlichen Dank .
Das Wort hat die Kollegin Ute Vogt für die SPD-Frak-
tion .
Ganz herzlichen Dank . – Liebe Kolleginnen und Kol-legen! Frau Präsidentin! Als Vizepräsidentin der Deut-schen Lebens-Rettungs-Gesellschaft bin ich dankbardafür, dass dieses Thema heute im Deutschen Bundestagbehandelt wird . Denn es ist in der Tat eines, das die Ge-sellschaft beschäftigt . Wenn wir in die Historie schauen,dann wissen wir, dass Schwimmen eine der Kulturtech-niken der Menschheit ist . Schon aus dem vierten bis fünf-ten Jahrtausend vor Christus stammen die ersten Höh-lenmalereien, auf denen Schwimmer abgebildet sind . Imalten Ägypten war es Teil der Ausbildung, dass Men-schen schwimmen lernten . Es waren damals allerdingsvor allem die Kinder der Könige und des Adels . Sie hat-ten sogar persönliche Schwimmmeister zur Verfügung .Heute ist Schwimmen Gott sei Dank ein Breitensport .Aber das Schwimmen – es wurde schon vielfach ausge-führt – und das Schwimmenkönnen, das sichere Schwim-menkönnen ist heute leider keine Selbstverständlichkeitmehr. Die Schwimmfähigkeit ist rückläufig, und auchwenn sich diejenigen freuen, die ein „Seepferdchen“ be-sitzen – es sind auch immer wieder viele Kolleginnen undKollegen, die gern darüber sprechen –, heißt das nochnicht, dass sie schwimmen können, sondern das heißtnur, dass man sich irgendwie eine Viertelstunde überWasser halten kann . Aber richtig sicher schwimmen, isteben etwas anderes .Der Ausfall der Schwimmstunden ist zu Recht alseiner der Hintergründe beleuchtet worden, aber es gibtauch – das hat der Kollege Korte gesagt – den Zusam-menhang zwischen der sozialen Herkunft der Kinder undder Frage, ob sie schwimmen können . Da, lieber KollegeSteffel, ist es in der Tat bei Kindern aus ausländischenFamilien oft ein größeres Problem, allerdings nicht, weilsich so ganz viele vom Unterricht abmelden . Es sindnämlich nur, glaube ich, etwa 3 Prozent der Betroffenen,die überhaupt versuchen, sich abzumelden . Gott sei Dankgeht das ja nicht mehr . Vielmehr sind vor allem die sozi-alen Hintergründe zu nennen . Es ist halt ein Unterschied,ob eine Familie sonntags sagt: „Ja, wir gehen schwim-men, das ist ein Freizeitding, und wir bringen es euchauch bei“, oder ob das Bewusstsein bei bildungsfernerenFamilien oft schon gar nicht mehr da ist, dass das ebenauch eine gute Freizeitbeschäftigung ist und zur persön-lichen Entwicklung von Kindern dazugehört .Die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft – er-lauben Sie mir diesen Hinweis – leistet pro Jahr über9 Millionen Stunden ehrenamtlich, also ohne Bezahlung,Schwimmunterricht am Wasser, an den Binnengewäs-sern, in den Schwimmbädern, aber auch bei der Wasser-rettung an der Küste sowie bei der Ausbildung von Was-serretterinnen und Wasserrettern .Als Dank hat leider der Bundesinnenminister schonim letzten Jahr
für den Rettungssport die Spitzensportförderung gestri-chen . Das ist ein sehr schlechtes Signal .
– Nicht mein Minister; sorry . Da bitte ich doch um Kor-rektheit .
Ich habe nicht vor, den Kollegen de Maizière zu vertei-digen .Wir hatten aber in dieser Legislaturperiode – jetzt sageich einmal: von meiner Ministerin, von BundesministerinBarbara Hendricks – aus dem Umwelt- und Bauminis-terium ein Programm zur Förderung von Sportstätten .Das umfasste über 100 Millionen Euro, und vorher gabes schon 140 Millionen Euro . Ich nenne hier das Stich-wort „Zukunftsinvestitionsprogramm“ . Daraus gab esauch Gelder für Schwimmbäder . Aber natürlich ist dasnur ein sehr, sehr kleiner Betrag, der das Problem nichtlösen hilft .Fakt ist: Es fehlen uns nicht die Ausbilderinnenund Ausbilder, sondern es fehlen uns tatsächlich dieSchwimmbäder . Und dort, wo es welche gibt, haben dieehrenamtlichen Schwimmlehrerinnen und Schwimm-lehrer – zum Beispiel unserer Organisation – noch teureHallenmieten zu zahlen .Es gilt – dazu wollen wir heute beitragen –, das Be-wusstsein in den Kommunen, in den Ländern und imBund dafür zu schärfen, dass Schwimmen eben einTeil der Ausbildung ist . Ich fände es gut, wenn es in dernächsten Legislaturperiode gelingen würde, einen Gol-denen Plan „Schwimmbäder“ aufzulegen . Übrigens wäredas eine gute Anknüpfungsmöglichkeit: Denn einen Gol-denen Plan gab es zuletzt unter einem sozialdemokra-tischen Innenminister, und der hat viel Gutes bewirkenkönnen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Ihnen denJahresbericht der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesell-schaft anempfehlen, den wir Ihren Büros in den nächstenTagen zukommen lassen werden . Nehmen Sie bitte auchdie Gelegenheit wahr, in den Sommerferien die DLRGDr. André Hahn
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bei Ihnen vor Ort zu besuchen, also nicht nur hier zu lo-ben . Gehen Sie hin, schauen Sie sich das an!Ich darf Sie erinnern – vielleicht kann das den einenoder die andere ermutigen –: Im alten Griechenland gabes eine interessante Devise . Wenn jemand etwas werdenwollte, wurde gefragt: Wird man denn jemandem einhohes Staatsamt anvertrauen, der weder schreiben nochschwimmen kann? – Das heißt: Schon bei den alten Grie-chen war das richtig gute Schwimmen eine wichtige Vo-raussetzung für Staatsämter . Alle von Ihnen, die ambitio-niert sind, sind also aufgefordert: Gehen Sie zur DLRG!Machen Sie dort durchaus auch das Rettungsschwimm-abzeichen! – In diesem Sinne hoffe ich auf einen gutenSommer .
Die Kollegin Britta Haßelmann hat für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Liebe Kollegen von den Linken, das Thema,über das wir heute in der Aktuellen Stunde reden, ist einwahnsinnig wichtiges . Das zeigt der Hinweis auf dieSportausschusssitzung und den Bericht zum Thema „Wieist das eigentlich mit der Schwimmfähigkeit?“ . Um daseinmal zu übersetzen: Das bedeutet: Wie viele Menschenin Deutschland können nicht schwimmen und ertrinkenwomöglich, auch weil sie die Gefahren des Wassers – obgeschlossene oder offene Gewässer oder Schwimmbä-der – nicht richtig einschätzen können? Natürlich ist je-der und jede Ertrunkene einer und eine zu viel . Es waren537 Menschen im Jahr 2016, und das sind ganz erschüt-ternde Nachrichten . Damit muss man sich beschäftigen .Damit muss man sich unter folgendem Aspekt be-schäftigen: Was können eigentlich Bund, Länder undGemeinden für die Schwimmfähigkeit und dagegen tun,dass insbesondere junge Menschen nicht mehr schwim-men lernen und die Gefahren vollkommen falsch ein-schätzen, dass sie damit überhaupt nicht umgehen kön-nen? Was können wir in Bund, Ländern und Kommunenmit den so unterschiedlichen Zuständigkeiten dafür tun?Das kann man mit aller Ernsthaftigkeit diskutieren . Abermich nervt die platte Art, mit der das hier aufgemachtworden ist; das muss ich in Richtung der Linken ehrlichsagen .
– Das nervt wirklich, Jan Korte; das sage ich ganz ehr-lich .Ich finde, wir sollten darüber sprechen, und da gibt esfür mich zwei Möglichkeiten .Die eine ist: Wir drängen mit Verve darauf, dass derSportminister – das ist der Innenminister – dieses Themaauf die Tagesordnung der Innenministerkonferenz setztund fragt: Was können wir eigentlich gemeinsam in die-ser föderalen Struktur dagegen tun, dass das so ist?
Welchen Beitrag können unsere Bundesländer dazu leis-ten?
Da möchte ich die Sportstunden und die Lehrpläne er-wähnen; denn darum geht es auch . Was können wir alsomit den verteilten Rollen dazu tun? Das hat die DLRGim Sportausschuss auch vorgetragen . Wir können darü-ber nicht einfach nur mal so in einer Aktuellen Stundereden . Das Problem ist viel zu dramatisch .
Deshalb müssen wir uns intensiv damit beschäftigen .Die Menschen interessiert diese föderale Strukturnicht,
sondern sie wollen, dass das Problem gelöst wird . Des-halb kann von uns heute ein Signal ausgehen: Innenmi-nisterium, Sportminister, kümmert euch darum! Setzt dasauf die Tagesordnung! – Das Gleiche gilt für die Kultus-ministerkonferenz . Darüber könnten wir nämlich an dieLehrpläne heran .
Das war der erste Punkt, den ich dazu sagen wollte .Der zweite Punkt . Mein Gefühl ist, dass wir die not-wendige Debatte über das Thema Investitionsfähigkeitund das Thema Investitionsnotwendigkeit – darübersind wir uns in den vergangenen drei Jahren einig ge-wesen – nicht intensiv genug geführt haben . Der Investi-tionsstau – das zeigt uns das KfW-Kommunalpanel – istenorm . Er beträgt über 130 Milliarden Euro . Wir haben inden letzten dreieinhalb Jahren hier im Bundestag immergesagt: Lasst uns in aller Ernsthaftigkeit darüber reden:Wie kann der Bund hier mehr Verantwortung überneh-men, obwohl wir das Kooperationsverbot haben?Deshalb waren wir sehr froh, dass das Kommunalin-vestitionsförderungsgesetz uns wenigstens den Einstieggegeben hat in der Frage: Können wir Investitionen inKommunen fördern? Vielen Kommunen geht es näm-lich so schlecht, dass sie notwendige Investitionen in diekommunale Daseinsvorsorge nicht mehr leisten können .Das muss auch von uns auf Bundesebene erkannt wer-den; auch wir müssen Ideen haben, wie wir einen Bei-trag dazu leisten können . Aber zu sagen: „Für jedes ge-Ute Vogt
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schlossene Schwimmbad sind wir hier auf Bundesebenezuständig“ –
so einfach ist die Welt doch nicht, Jan Korte und AndréHahn .
Deshalb brauchen wir konkrete Anknüpfungspunkte .Ein Beispiel ist das Kommunalinvestitionsförderungs-gesetz, bei dem wir gemeinsam feststellen könnten: Damuss mehr Geld rein; die 3,5 Milliarden Euro, die da drinsind, reichen nicht aus .
Oder: Der Katalog der Zwecke für diese kommunalen In-vestitionsförderungen muss erweitert werden .
Wir haben zum Beispiel vorgeschlagen, das auf denSchulbereich auszuweiten, weil wir gesehen haben: Dabrauchen Kommunen Unterstützung .Genauso könnten wir diskutieren, die Gemeinschafts-aufgabe, die 2020 neu aufgelegt werden soll und die jetztfür Agrarstruktur und Küstenschutz gilt, auf die regiona-le Daseinsvorsorge zu erweitern . Es ist unsere Aufgabe,das hier zu tun . Aber ob ein Bad geöffnet bleibt oder ge-schlossen wird, ob es einem Privatisierungsdruck unter-liegt oder wie viele Bäder eine Stadt hat, sind Fragen, dievon ganz vielen verschiedenen Faktoren in der Stadt oderGemeinde abhängen .
Liebe Kollegin .
Wir sollten uns auf die Möglichkeiten konzentrieren,
die wir geben können – hier noch mal die Stichworte –:
Kommunalinvestitionsförderungsgesetz, Ausweitung auf
die regionale Daseinsvorsorge bei der Gemeinschaftsauf-
gabe . Das wären zwei sehr konkrete Anknüpfungspunkte,
zusätzlich zu der Frage: Wie sieht es mit der Schwimm-
fähigkeit in Deutschland aus? Wenn wir das so machen,
würde es auch für diese Frage eine Lösung geben .
Frau Kollegin .
Das fände ich gut .
Vielen Dank, Frau Kollegin Haßelmann . – Als Nächs-
ter spricht der Kollege Eckhard Pols für die CDU/
CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeZuhörer auf den Rängen da oben! Wir sind uns alle einig,dass jedes Kind schwimmen können muss . Deswegen hatuns alle die Forsa-Umfrage erschrocken, die ergeben hat,dass 60 Prozent aller Zehnjährigen nicht sicher schwim-men können und dass nur 40 Prozent der Sechs- bis Zehn-jährigen ein Jugendschwimmabzeichen – ob nun Bronze,Silber oder Gold – haben; das muss uns zu denken geben .Es muss die Frage erlaubt sein, warum so wenige Kin-der in Deutschland noch schwimmen können . Zweifels-ohne gibt es verschiedene Gründe, warum heute immerweniger Kinder schwimmen lernen . Das liegt unter ande-rem am veränderten Freizeitverhalten der Kinder und Ju-gendlichen, die ihre Freizeit vermehrt mit elektronischenMedien verbringen, so wie Sie gerade, Herr Mutlu .
Das hat natürlich Auswirkungen auf die motorischen Fä-higkeiten und somit auch auf die Fertigkeit des Schwim-mens . Vielleicht sind jenseits des Bildschirms Kletternund Spielen, meine Damen und Herren, aus der Modegekommen .Hierbei immer gleich nach Maßnahmen des Staates zurufen,
Herr Korte, ist nicht richtig; denn ich sehe hier in ersterLinie eine Pflicht der Eltern, dafür zu sorgen,
dass sich ihre Kinder körperlich betätigen – ob es nunbeim Hockey ist, wie der Kollege Steffel gesagt hat, beimTanzen, beim Fußball oder eben beim Schwimmen bzw .beim Schwimmenlernen .Ich weiß es selber – Herr Korte, ich habe fünf Kin-der –: Es ist zeitraubend, den Kindern das Schwimmenbeizubringen, gerade wenn beide Elternteile berufstä-tig sind, so wie es bei uns der Fall war und immer nochist . Dennoch haben all unsere Kinder vor dem Besuchder Grundschule schwimmen gelernt . Das ist bei uns inDeutschland alles möglich . Es kann auch keine Entschul-digung dafür geben, Kinder nicht zum Schwimmunter-richt zu bringen .
Es ist auch finanziell machbar; denn bei Sportvereinenund bei der DLRG ist die Schwimmausbildung nicht nurexzellent, sondern in der Regel auch bezahlbar .Mein Appell gerade jetzt zur Sommerzeit, zur Fe-rienzeit: Liebe Eltern, melden Sie Ihre Kinder beimBritta Haßelmann
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Schwimm unterricht an! Gerade in der Urlaubszeit kön-nen Sie Ihren Kindern an Ihren Urlaubsorten – hoffent-lich in Deutschland und nicht auf Mallorca, Herr Korte –das Schwimmen beibringen .
Auch Bezieher von Leistungen nach SGB II könnenbis zur Vollendung des 18 . Lebensjahres des Kindes Ver-einsbeiträge in Höhe von 10 Euro pro Monat zurückbe-kommen, wenn sie es beantragen . Das gewährleistet dasBildungs- und Teilhabepaket, das wir vor einiger Zeitverabschiedet haben .Meine Damen und Herren, ein weiterer Aspekt, wa-rum so viele Kinder nicht schwimmen können, muss hierdiskutiert werden: die Schließung und die vereinzelt vor-kommende Privatisierung von Bädern . Es ist richtig: FürSchwimmkurse sind normale Schwimmbecken nötig .Davon gibt es immer weniger in Deutschland . Die Pri-vatisierung von Schwimmbädern ist in diesem Kontextnicht immer förderlich – eher im Gegenteil, da gebe ichIhnen recht . Da gehen das Interesse der Kunden und dieFunktionalität vor, und es werden vermehrt Spaßbädereröffnet .In den Städten gibt es das Problem übrigens seltener .Es sind vor allem die ländlichen und strukturschwachenRegionen, in denen die Versorgung mit Schwimmbäderneine besondere Herausforderung darstellt . Das ist meinesErachtens auch logisch; denn in der ländlichen Regionsind die Wege weiter als in der Stadt . Je weiter Elternund Kinder von einem Schwimmbad entfernt leben, des-to unattraktiver ist ein Besuch . Das führt zu entsprechenddefizitären Betriebsergebnissen der Schwimmbäder.Aus diesem Grund schrecken viele ohnehin klammeKommunen vor dem Bau von Schwimmbädern zurück,und immer mehr Schwimmbäder werden geschlossen .Heute stand in der Lokalzeitung des Wendlandes – dieKollegin Woltmann hat es in ihrer Zeitung auch gele-sen – ein Artikel, dass Schüler für den Erhalt ihres Badesschon demonstrieren . Die Verantwortung dafür tragenaber weder die Kommunen noch die Eltern und schon garnicht die Kinder . Stattdessen, Herr Korte, liegt sie bei denLändern . Die Kommunen sind Gliederungen der Länder,und die Länder haben folglich für eine angemessene fi-nanzielle Ausstattung der Kommunen zu sorgen . So siehtes unsere Verfassung vor .Zudem müssen die Grundschulen – das haben wirheute auch schon gehört – ihren gesetzlich vorgeschrie-benen Erziehungsauftrag erfüllen und wieder häufigerSchwimmunterricht erteilen . Auch das liegt in der Zu-ständigkeit der Länder .Wir als Bund haben uns nicht aus der Verantwortunggestohlen . Gerade die unionsgeführten Bundesregierun-gen haben in den vergangenen Jahren mit verschiedenenProgrammen sehr deutlich gezeigt, dass es auch geht .So hat der Bund unter anderem in dieser Legislaturpe-riode ein kommunales Investitionsprogramm in Höhevon 100 Millionen Euro vor allem für Sportstätten undSchwimmbäder aufgelegt . Dass das klappt, zeigt ein Bei-spiel meiner Heimatstadt Lüneburg, wo wir gemeinsammit einem Sportverein ein neues Lehrschwimmbeckenerrichtet haben; für den Schwimmunterricht, aber auchfür Gymnastik . Man kann also vieles miteinander kom-binieren .
Auch das ist möglich . Es gibt auch positive Beispiele .Ein jüngstes Beispiel dafür, was die unionsgeführteBundesregierung auch tut, ist die Aufstockung des Kom-munalinvestitionsförderungsfonds um weitere 3,5 Milli-arden Euro für finanzschwache Kommunen.
Ich will zum Schluss noch einmal deutlich machen,dass alle Kinder schwimmen lernen müssen . Da gibt eskeine Ausnahme . Aber, wie gesagt, es sind vor allemdie Länder, die die Rahmenbedingungen dafür schaffenmüssen. Deswegen finde ich, Herr Korte, diese Aktuel-le Stunde heute nicht angemessen . Sorgen Sie in IhrenLändern dafür, dass das Geld, das wir vom Bund zurVerfügung stellen, da ankommt, wofür wir es vorgesehenhaben . Die Länder müssen endlich mal ihre klebrigenFinger davon lassen und sollten das Geld nicht für andereSachen ausgeben .Vielen Dank .
Vielen Dank, Herr Kollege Pols . – Als Nächste spricht
die Kollegin Jeannine Pflugradt für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Werte Gäste! Frau Haßelmann, als Erstesmöchte ich Ihnen Dank sagen für Ihren Redebeitrag . Ichhabe zwischendurch schon gedacht: Ich bin im Kinder-garten oder in der falschen Debatte . Zwischendurch wardas nicht mehr feierlich . Es ist ein wichtiges Thema, undes ist auch gut, dass wir darüber sprechen – außer Frage .Schulschwimmen ist leider Luxus geworden . In denLehrplänen vieler Schulen taucht Schwimmunterrichtnur noch sporadisch auf . Gleichzeitig und konsequenter-weise können immer weniger Grundschüler schwimmen .Nur jeder zweite Schüler verlässt die Grundschule mitdem Jugendschwimmabzeichen in Bronze . Dieser Be-fund zeigt, wie wichtig das Schulschwimmen ist oderwäre, wenn es überall stattfinden würde. Die Grundschu-len haben den Auftrag, Schülern das Schwimmen beizu-bringen . Das aber umzusetzen, ist schwieriger geworden,weil viele Städte und Gemeinden in den vergangenenJahren öffentliche Bäder geschlossen haben .Laut einer Studie der Deutschen Gesellschaft für dasBadewesen und der Bergischen Universität WuppertalEckhard Pols
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ist mehr als die Hälfte der 5 300 deutschen Hallen- undFreibäder sanierungsbedürftig . Das haben wir heute allesschon gehört . Um sie vor der Schließung zu bewahren,seien Investitionen in Höhe von 4,5 Milliarden Euro not-wendig . Mit dem Programm zur energetischen Gebäu-desanierung können Schwimmhallenbetreiber die zurVerfügung stehenden Mittel nutzen, um die Anlagen zumodernisieren und somit Betriebskosten zu senken . Hierkann der Bund besonders finanzschwache Kommunendabei unterstützen, die notwendigen Maßnahmen für Sa-nierungen durchzuführen .
Ein Schwimmbad zu bauen, ist relativ schnell und ein-fach organisiert . Doch die Probleme fangen an, wenn dieFertigstellung erfolgt ist: Wer übernimmt das Risiko derBetreibung? Wer trägt die Betriebskosten? Das lässt vie-le Kommunen zurückschrecken, und darum gibt es auchviele private Betreiber . Nicht immer werden Schwimm-bäder geschlossen, weil sie marode sind, sondern auch,weil nicht genügend Nutzer kommen, weil eine Betrei-bung nicht kostendeckend erfolgen kann .Wir können und sollten hier im Haus gern darüberreden . Aber wie es sich mit der Zuständigkeit des Bun-des verhält, dürfte allen hier im Haus bekannt sein: DerBund ist weder für kommunale Sanierungen noch für dieLehrpläne in den Schulen zuständig – leider . Dennoch:Das Problem besteht weiterhin . Schulschwimmen kostetviel Zeit und Geld und genießt in der politischen Willens-bildung leider keine hohe Priorität . So kommt es, dassdie logistischen Herausforderungen oft kaum zu bewäl-tigen sind . Etliche Schulen liegen gänzlich außerhalb derReichweite eines Schwimmbades . Bei einer Anfahrt mitöffentlichen Verkehrsmitteln würde, wie in meinem Hei-matland Mecklenburg-Vorpommern, von einer Doppel-stunde nur wenig oder keine reale Unterrichtszeit übrigbleiben .Ich nehme einmal ganz konkret meinen Heimatland-kreis, die Mecklenburgische Seenplatte, den größtenLandkreis Deutschlands, größer als das BundeslandSaarland . Uns kommt das Wasser der Seen sprichwört-lich aus den Ohren . Aber öffentliche Badestellen, Ret-tungsschwimmer und Baden unter Aufsicht – das ist eherselten . Die nächste Schwimmhalle liegt 30 Kilometerentfernt und ist somit für den Schwimmunterricht nichtnutzbar . Dies war, soweit ich mich zurückerinnern kann,aber schon immer so . Ich habe das Schwimmen, genau-so wie alle anderen Kinder bei uns in der Gegend, imSommer gelernt, wenn Luft- und Wassertemperaturen eszuließen .Auch der personelle Aufwand ist höher als bei Unter-richtsstunden im Trockenen . Bei Schulklassen mit derüblichen Klassenstärke müssen in der Regel mindestenszwei Aufsichtspersonen anwesend sein . Zudem stei-gen – und das völlig zu Recht – die Anforderungen an dieSchwimmlehrer . Ein Rettungsschwimmschein wird heu-te im Gegensatz zu früheren Zeiten vorausgesetzt, wennjemand Schulschwimmunterricht erteilen will .Außerdem: Mögen Baden und Schwimmen in derFreizeit noch Spaß machen, scheiden sich am Schul-schwimmen doch die Geister . Mancher Nichtschwimmerfühlt sich im Schwimmunterricht überfordert, hat massi-ve Ängste vor den Tauchübungen oder vor Beckensprün-gen . Schulschwimmen ist vermutlich genauso beliebtwie Mathe oder Deutsch .
– Nein, überall . –
Hier müssen Ängste und Hemmungen einfühlsam abge-baut werden .Viele engagierte Eltern bemühen sich, ihrem Nach-wuchs schon vor der Einschulung die Grundzüge desSchwimmens beizubringen . Wenn die Schule kein Schul-schwimmen anbietet und es nicht in den Sportunterrichtintegriert ist, müssen wir als Eltern die Verantwortungdafür übernehmen, dass unsere Kinder die Fertigkeiten,sich im Wasser zu bewegen, erlernen . Meine Eltern ha-ben mir das Schwimmen beigebracht, und ich habe esnatürlich auch meinem Sohn beigebracht . Ja, es war einenervenaufreibende Geschichte, und sicherlich habe ichauch das eine oder andere graue Haar dabei bekommen,aber es hat sich für meinen Sohn gelohnt .
Ich möchte untermauern, dass die Verantwortung derEltern hier nicht unterschätzt werden darf . Wir Elternbringen unseren Kindern selbstverständlich das Laufen,das Radfahren, das Daddeln mit dem Handy bei . Genau-so selbstverständlich muss es doch auch sein, dass wirunseren Kindern das Schwimmen beibringen .
– Nein, dazu reicht auch ein See . – Wer als Kind schonmit dem „Seepferdchen“ zur Schule kommt, der hatwahrscheinlich ein viel größeres Selbstbewusstsein, hatweniger Berührungsängste gegenüber dem nassen Medi-um als Gleichaltrige, die vielleicht noch keine solchenErfahrungen gemacht haben .Ich möchte an dieser Stelle die Möglichkeit nutzen,mich bei der DLRG und der Wasserwacht des DRK inmeinem Heimatland zu bedanken, die im Sommer und inden Ferienzeiten die Rettungskurse und die Schwimm-kurse übernehmen . Vielen Dank für eure Arbeit!Vielen Dank fürs Zuhören .
Vielen Dank, Frau Kollegin . – Als Nächster sprichtJosef Rief für die CDU/CSU-Fraktion .
Jeannine Pflugradt
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Gestatten Sie mir einige Worte zu meinenVorrednerinnen. Frau Pflugradt, ich habe ebenfalls dasSchwimmen in einem kleinen Tümpel und in einem klei-nen Bach erlernen dürfen, ohne irgendwelche Hilfe, undich bin bisher noch nicht ertrunken, obwohl ich schonsehr viel geschwommen bin . Ich glaube, das sollte mannicht abtun . Es ist immer noch die beste Lösung, wennman sich selber hilft . Das ist vernünftig .
Frau Haßelmann, was mir nicht gefallen hat: dass Siehier letzten Endes die eine finanzielle Geschichte gegendie andere finanzielle Geschichte ausspielen.
Ich glaube, wir machen eine gute Finanzpolitik im Bund,und ich halte es nicht für sinnvoll, dass wir hier Mittelfür den ländlichen Raum abzweigen, sie irgendwelchenLeuten wegnehmen, um irgendwelche anderen Dinge zumachen . Ich glaube, der Königsweg ist, dass wir die Ein-nahmen erhöhen . Das schaffen wir am besten mit Wachs-tum . Wir werden also in Zukunft Wachstum brauchen,um auch diese Probleme zu lösen .Meine Damen und Herren, es besteht Einigkeit in die-sem Haus: Möglichst alle Menschen in unserem Land,vom Bodensee bis zur Ostsee, sollten sicher schwimmenkönnen . Je früher das Schwimmen erlernt wird, destobesser . Ausreichend schwimmen zu können, heißt, imErnstfall Leben retten zu können .Wir kommen hier nicht mit Trockenübungen im Bun-destag weiter . Es werden schon die entsprechenden Ein-richtungen und Gewässer benötigt, um sich diese Fertig-keit anzueignen . Wir haben, was das anbelangt, eine guteTradition in der Schwimmausbildung, aber dass das keinSelbstläufer ist, das sehen wir heutzutage .Als Haushaltspolitiker freue ich mich, dass die uni-onsgeführte Koalition aus dem Programm zur Sanierungkommunaler Einrichtungen allein in den letzten beidenJahren – obwohl wir streng genommen nicht zuständigsind – Mittel in Höhe von 47 Millionen Euro für die Sa-nierung bzw . den Ersatzneubau von Badeanstalten bzw .Hallenbädern zur Verfügung gestellt hat . Das ist selbst-verständlich keine hohe Summe, aber bei Kommunen,die in einer Notlage waren, betrug die Fördersumme biszu 90 Prozent . Das macht deutlich, dass der Bau vonSchwimmbädern und die Sanierung von Schwimmein-richtungen auf Bundesebene einen hohen Stellenwertgenießen . Wir von der CDU/CSU werden uns auch inZukunft dafür starkmachen, dass diese Programme wei-tergeführt werden können;
denn Kinder können am wenigsten dafür, wenn Kommu-nen eine schlechte Haushaltspolitik betreiben . Ich ver-kneife es mir, hier parteipolitisch zu werden .
Ein Hinweis sei mir gestattet: Länder und Kommu-nen – das haben auch schon einige Vorredner gesagt –werden bis 2020 in der aktuellen Finanzplanung desBundes um 20 Milliarden Euro entlastet . Ich denke, eswäre eine gute Idee, Teile dieser Entlastung in den Bauvon Schwimmbädern zu investieren oder die Sanierungvoranzutreiben .
Dass der Anteil der Nichtschwimmer in unserem Landzunimmt, gibt tatsächlich Anlass zur Besorgnis . Als Fa-milienpolitiker betrübt mich die hohe Zahl der Kinder,die nicht sicher schwimmen können, darunter auch Kin-der, die in Deutschland geboren sind, und auch die To-desfälle, die durch bessere Schwimmfähigkeit hätten ver-hindert werden können, rütteln auf . Die Ursachen hierfürsind vielfältig . Schwimmbadschließungen haben sicherihren Anteil daran, sie sind aber keineswegs alleinige Ur-sache, wie uns die Fraktion Die Linke offenbar mit demTitel der heutigen Aktuellen Stunde glauben machenwill . Mehr Schwimmbäder führen nicht automatisch zumehr Schwimmkompetenz .Kinder verlieren offenbar die Lust am Besuch vonnormalen Sportbädern, wo Bahnen geschwommen wer-den, und besuchen lieber Spaßbäder, in denen man zwarins Wasser geht, aber oftmals nicht schwimmt . Hier soll-ten wir neue Begeisterung und Leistungsbereitschaftebenso wie das Bewusstsein wecken, dass Technik undKondition für den Schwimmerfolg essenziell sind . Dassdies möglich ist, zeigt zum Beispiel das Meerjungfrauen-schwimmen, das seit einiger Zeit – das ist vielerorts zubeobachten – bei vielen Mädchen sehr beliebt ist .Auch darf der Schwimmunterricht an Schulen nichtausfallen . Hier sind aber die Länder und Kommunengefragt . Im Sommer könnte auch im Freien unterrichtetwerden . Aufgrund der verbesserten Gewässerqualität –hier ist in den letzten Jahren viel erreicht worden – soll-ten mehr Seen und Flüsse zum Schwimmen freigegebenwerden .Mein dringender Appell richtet sich an alle Eltern:Achten Sie bitte darauf, dass Ihre Kinder unter fachkun-diger Anleitung schwimmen lernen . Ebenso sollten sichalle Erwachsenen fragen, ob ihre Fähigkeiten für den Falldes Falles ausreichen .Abschließend sage ich ausdrücklich allen Vereinenund Ehrenamtlichen, die sich im Schwimmunterricht undin der Ausbildung der Rettungsschwimmer und -schwim-merinnen wie auch der Schwimmlehrer und -lehrerinnenengagieren – stellvertretend für viele weitere nenne ichden Deutschen Schwimm-Verband, die Wasserwacht des
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Roten Kreuzes und die DLRG –, für ihren unschätzbarenEinsatz herzlichen Dank .
Vielen Dank, Herr Kollege Rief . – Als letzter Redner
in dieser Aktuellen Stunde spricht jetzt Erich Irlstorfer
für die CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! In diesen Tagen, in denen die Außentempera-
turen mehr als 30 Grad erreichen, treibt es Jung und Alt
zur Abkühlung ins kühle Nass . Ob das ein Voralpensee
ist, die Nord- oder Ostsee,
ein Baggersee, ein Flussarm oder ein kommunal oder pri-
vat geführtes Schwimmbad, das ist, glaube ich, egal . An
dieser Aufzählung wird deutlich, dass wir in Deutschland
eine erfreulich große Vielfalt an Schwimmstätten haben .
Ich finde es interessant, dass ein gewisser Handlungs-
bedarf von allen Fraktionen nicht bestritten wird . Es freut
mich, dass in dieser Diskussion auch der Spitzensport
genannt wurde . Man sieht, dass sich der Spitzensport
durchaus befruchtend auf den Breitensport auswirkt . Die
Bedeutung von Weltmeisterschaften und Olympischen
Spielen sollten wir nicht unterschätzen .
Problematisch ist, dass prozentual gesehen immer we-
niger Menschen schwimmen können . Erlauben Sie mir
dazu eine Bemerkung – das ist in einigen Reden schon
angeklungen –: Ich glaube, wir können noch so viel in
die Bildung, in Schulen, Kindergärten usw . investieren;
wir dürfen dabei aber nicht das Elternhaus vergessen, das
die Hauptverantwortung trägt .
Wenn man versucht, private Schwimmbäder dafür
verantwortlich zu machen, dass weniger Kinder schwim-
men können, dann springt man zu kurz, Herr Korte . Da
hier versucht wurde, private Schwimmbäder zu verteu-
feln, möchte ich von meinen Erfahrungen aus meiner
Zeit als Kommunalpolitiker berichten . Ich bin der Mei-
nung, dass private Schwimmbäder unser Angebot an
Schwimmstätten bereichern . Außerdem stellt sich oft gar
nicht die Frage: privat oder kommunal? Die Frage lautet
häufig: privat oder gar nicht, privat oder Schließung? Von
daher bin ich froh, dass wir eine gesunde Mischung an
Schwimmstätten haben .
Wir dürfen auch nicht vergessen, dass sich das Verhal-
ten der Nutzer geändert hat . Thermen, die der Erholung
und dem Relaxen dienen, und auch Spaßbäder haben an
Bedeutung gewonnen . Die tristen, öden Schwimmbah-
nen werden zwar benötigt, gerade auch mit Blick auf das
Thema Wasserrettung und dergleichen; sie stellen aber
keinen großen Anreiz dar, um ins Schwimmbad zu ge-
hen und das Schwimmen zu erlernen . Insofern kann ein
Überangebot auch kontraproduktiv sein .
Ich möchte unterstreichen, dass es meiner Ansicht
nach nicht Hauptaufgabe des Deutschen Bundestages ist,
in Aufgaben der Kommunen und der Länder einzugrei-
fen . Das heißt nicht, dass man darüber in der nächsten
Legislaturperiode nicht noch einmal diskutieren könnte,
vielleicht auch sollte . Ich bin mir sicher, dass die Kolle-
gen im Sportausschuss dieses Thema gerne aufnehmen
und offen dafür sind . Mit Schuldzuweisungen würde ich
aber vorsichtig sein .
Zum Abschluss möchte ich anmerken, dass man den
Kindern keinen Vorwurf machen kann . Ich glaube, dass
auch viele Erwachsene nicht schwimmen können . Man
muss sagen: Das Schwimmen zu erlernen, ist keine
Frage des Alters . Es gibt spezielle Kurse für Erwachse-
ne . – Dass sich in diesem Bereich viele Ehrenamtliche
einbringen und viel für das Schwimmen getan wird, ist
gut . Ich bin froh, dass wir diese Organisationen haben .
Wir sollten aber überlegen – in den Ländern –, ob wir das
Erlernen des Schwimmens in Kindergärten und Grund-
schulen nicht wieder festigen und unterstützen sollten,
und zwar nicht nur mit schönen Worten, sondern auch
mit finanziellen Mitteln. In Bayern tun wir das. Dass aus
dem bayerischen Haushalt jeder dritte Euro in die Bil-
dung fließt, ist vorbildlich. Herr Korte, ich hoffe, dass das
in den Bundesländern, in denen die Linke Verantwortung
trägt, auch so ist .
Danke schön .
Vielen Dank, Herr Kollege . – Damit ist die AktuelleStunde beendet .Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 sowie den Zusatz-punkt 3 auf:4 . Beratung der Beschlussempfehlung und des
NIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKESofortiger Abzug der Bundeswehr aus IncirlikDrucksachen 18/12372, 18/12817ZP 3 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPDVerlegung des Bundeswehrkontingents vonIncirlik nach Al Azraq zügig durchführenDrucksache 18/12779Über die Beschlussempfehlung und den Antrag wer-den wir später namentlich abstimmen . Wir werden alsozwei namentliche Abstimmungen durchführen .Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .Josef Rief
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Ich eröffne die Aussprache . Als erstem Redner erteileich dem Kollegen Niels Annen für die SPD-Fraktion dasWort .
Frau Präsidentin, vielen Dank . – Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Die Bundeswehr wird vom Stütz-punkt Incirlik abgezogen . Diese Entscheidung ist richtig,und diese Entscheidung ist überfällig .
Dass Deutschland die Bundeswehr aus einem laufen-den Einsatz aus einem NATO-Mitgliedsland abziehenmuss, weil sich dessen Regierung weigert, uns Abge-ordneten den Besuch unserer Soldatinnen und Soldatenzu gewähren, und dass dieser Einsatz stattdessen in einNicht-NATO-Mitgliedsland verlegt werden muss, ist eineinmaliger Vorgang .
Mit dem Abzug aus Incirlik – das muss man vermutlichso sagen – sind wir an einem vorläufigen Tiefpunkt inden Beziehungen zur Türkei angekommen .Aber eines ist mir ganz wichtig: Es gibt keinen Grund,über die heutige Entscheidung Genugtuung zu empfin-den . Dafür sind die Beziehungen zur Türkei zu wichtig .Deswegen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen,will ich noch einmal daran erinnern, worum es bei die-sem Streit im Kern eigentlich ging: Die Bundeswehr isteine Parlamentsarmee . Wir, die Abgeordneten des Deut-schen Bundestages, entscheiden, ob wir Soldatinnen undSoldaten in bewaffnete Einsätze schicken, und wir ent-scheiden im Zweifel auch, die Soldatinnen und Soldaten,wenn nötig, zurückzurufen . Es muss eine Selbstverständ-lichkeit sein und es ist auch an allen anderen Einsatzorteneine Selbstverständlichkeit, dass wir die Soldatinnen undSoldaten, die wir in unserer Verantwortung in Einsätzeschicken, an diesen Einsatzorten auch besuchen dürfen .Ich will daran erinnern: Es war nicht der DeutscheBundestag, der diese Besuche politisiert hat; es war Prä-sident Erdogan . Offensichtlich ging es dem türkischenPräsidenten dabei nicht nur um diese Frage . Es ging ihmum Innenpolitik . Es ging ihm darum, zu mobilisieren undvor einem innenpolitisch hochbrisanten Referendum eineemotionale Debatte loszutreten . Er hat dafür die Bezie-hungen zu unserem Land schwer strapaziert und in ei-nigen Punkten sogar aufs Spiel gesetzt . Mit staatsmän-nischem Verhalten hat das nichts zu tun, meine Damenund Herren .
Um die Verfassungsreform durchzusetzen, ließ Erdoganden Konflikt mit Deutschland eskalieren. Sowohl diePräsenz der Bundeswehr als auch willkürlich inhaftiertedeutsche Staatsbürger wie Deniz Yücel und andere wur-den von Präsident Erdogan genutzt, um sie in politischeGeiselhaft zu nehmen .Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, Außenminis-ter Gabriel dafür zu danken, dass er nie Zweifel darangelassen hat und Forderungen Ankaras, wir sollten Tür-kinnen und Türken, die in Deutschland Asyl bekommenhaben, nach dem Putschversuch ausliefern, stets mit gro-ßer Klarheit zurückgewiesen hat . Hier überhaupt eineVerknüpfung herzustellen – das hat die türkische Seitevon uns erwartet, nämlich Freilassung von Herrn Yücelgegen Zugeständnisse, Besuchsrechte der Bundeswehrgegen politische Zugeständnisse –, ist inakzeptabel .
Allein die Forderung zeigt, was für ein hanebüchenesRechtsverständnis der türkische Präsident hat . HerrErdogan, nehmen Sie zur Kenntnis: In Deutschlandentscheiden nicht Präsidenten oder Kanzler, sondernunabhängige Behörden und Gerichte darüber, wem po-litisches Asyl gewährt wird . Wenn Sie, Herr Erdogan,daran etwas ändern wollen, dann sorgen Sie dafür, dassin Ihrem Land die Menschenrechte wieder respektiertwerden . Dann müssen Ihre Bürgerinnen und Bürger auchnicht in Deutschland Asyl beantragen .
Meine Fraktion steht fest an der Seite der Demokratin-nen und Demokraten in der Türkei . 50 Prozent der Men-schen, möglicherweise sogar mehr, haben ja gegen denReferendumsentwurf gestimmt . Diese Menschen dürfenwir bei allem Streit in dieser Situation nicht vergessen .
Ich glaube, dass zu einer nüchternen Analyse derdeutsch-türkischen Beziehungen auch eine selbstkriti-sche Betrachtung gehört . Wir müssen eingestehen, dasses auch auf deutscher Seite Fehler gegeben hat . Ichkomme nicht darum herum, darauf hinzuweisen, dass esKanzlerin Merkel, die CDU/CSU und ihre europäischenkonservativen Freunde waren, die die Türkei jahrelangauf Abstand gehalten haben, leider auch in einer Zeit, inder es in der Türkei noch Reformbemühungen gegebenhat . Wir haben dieses Momentum verspielt . Das ist einTeil unserer Verantwortung .
Aber natürlich gehört zu dieser Analyse auch, dass dieEskalation von Ankara ausging . Die Bundesregierunghat immer und immer wieder versucht, Kompromisse zuschmieden, im Gespräch zu bleiben und eine gesichts-wahrende Lösung zu erzielen . Herr Erdogan hat sich an-ders entschieden . Wir haben auch von parlamentarischerSeite den Dialog gesucht . Auch dies ist abgewiesen wor-den . Frau Roth und ich haben vor wenigen Tagen erlebt,dass eine Delegation nicht ins Land gelassen wurde . DieSignale waren eindeutig .Vizepräsidentin Michaela Noll
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Ich weiß, dass jetzt von der Opposition und von vie-len Bürgerinnen und Bürgern gesagt wird: Ihr habt euchhinhalten und vorführen lassen . – Ich sage: Das Gegen-teil ist der Fall . Jeder Versuch, im Gespräch zu bleiben,war es wert . Dafür ist diese Beziehung zu wichtig . Eshandelt sich bei einer Truppenverlegung in einem lau-fenden Einsatz nicht um eine Banalität . Aber nachdemdas letzte Gespräch gescheitert war und Frau Merkel imGespräch mit Herrn Erdogan kein Ergebnis erzielt hat, istjetzt Klarheit gefragt, Kolleginnen und Kollegen . Genugist genug, die Bundeswehr muss abzogen werden, undwir sind auf dem richtigen Weg . Ich glaube, das ist dieBotschaft des heutigen Tages .
Ich will an dieser Stelle der jordanischen Regierungdanken . Wir haben uns den Abzug nicht gewünscht . Wirhaben dafür gearbeitet und gekämpft, dass die Bundes-wehr in Incirlik bleiben kann, auch als ein Symbol fürdie deutsch-türkischen Beziehungen . Aber jetzt ist an-ders entschieden worden . Insofern will ich sagen: Es istvielleicht eine Koinzidenz, aber keine schlechte, dasswir in einer schwierigen Lage – Sie alle wissen, dass dieKämpfe an der jordanischen Grenze an Intensität zuneh-men – einem Land, das Hunderttausende von Flüchtlin-gen aufgenommen und sich in den letzten Jahren als einstabiler, verlässlicher Partner erwiesen hat, jetzt diesesymbolische Unterstützung zukommen lassen können .Ich glaube, das ist die richtige Botschaft .Lassen Sie uns nach einer auch emotionalen Debat-te in diesem Hause und in der Gesellschaft doch einesfesthalten: Das Prinzip der Parlamentsarmee hat sich be-währt . Es hat sich auch in einer Zeit höchster Spannun-gen und großer Krisen bewährt . Lassen Sie uns nicht andiesem Prinzip rütteln .Ich danke für die Aufmerksamkeit und bitte um Zu-stimmung .
Vielen Dank, Herr Kollege Annen . – Jetzt hat
Dr . Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Selbstverständlich ist es eine Frechheit, dass der türki-sche Präsident Erdogan uns Abgeordnete des Bundesta-ges nicht zu unseren Soldaten, die übrigens auch auf sei-nen Wunsch hin dort sind, in die Türkei lässt . Das kannman nicht hinnehmen .
Ich stelle mir aber folgende Frage: Unsere Soldatenstehen doch bewaffnet in Incirlik, um den Luftraumüber Syrien zu erspähen . Diese Daten gehen dann an einHauptquartier der Mitglieder der Allianz . Mitglieder derAllianz sind zum Beispiel die USA, aber auch die Türkei .Das heißt, sowohl die USA als auch die Türkei bekom-men Zugriff auf diese Daten . Die USA nutzen die Daten,um den „Islamischen Staat“ zu bekämpfen und Flugzeu-ge von Assad zu zerstören . Aber auch die Türkei könntedie Daten nutzen, zum Beispiel für ihren Kampf gegendie Kurdinnen und Kurden in Syrien .Wenn also die Bundeswehr, wenn Deutschland Datenan das Hauptquartier liefert und die Türkei Zugriff daraufhat, könnte doch zumindest der Eindruck entstehen – obman will oder nicht –, dass wir an der Seite der Türkeistehen, gegen die Kurdinnen und Kurden agieren und da-mit indirekt dem „Islamischen Staat“ helfen . Die Türkeihat nämlich die Kurdinnen und Kurden in Syrien bom-bardiert . Diese führen aber den Bodenkampf gegen den„Islamischen Staat“ und werden dadurch geschwächt .Ich möchte nicht, dass die Bundeswehr eine solche Rolleübernimmt .
Gleichzeitig fliegt die Bundeswehr in den Nordirak, bil-det dort Kurdinnen und Kurden für den Kampf gegenden „Islamischen Staat“ aus und bewaffnet sie . Was dennnun? Steht Deutschland nun an der Seite der Kurdinnenund Kurden im Kampf gegen den „Islamischen Staat“oder an der Seite der Türkei im Kampf gegen die Kur-dinnen und Kurden, wodurch der „Islamische Staat“ ge-stärkt wird? Merken Sie nicht, dass diese zwiespältigeRolle endlich aufhören muss, oder nehmen Sie einfachbeides hin?
Darf man nicht ein Mindestmaß an Glaubwürdigkeit ver-langen?Meine Haltung ist übrigens eine ganz andere . Ich mei-ne, dass wir im Nahen Osten und in der gesamten Regionmilitärisch gar nichts zu suchen haben .
Deshalb ist die Forderung der Grünen und der Linkenberechtigt, die Soldaten und ihre Waffen nach Hause zuholen und sie nicht nach Jordanien zu verlagern, damitsie dort ihre zwiespältige Rolle fortsetzen .
Ich glaube, dass wir im Nahen Osten und darüber hi-naus langsam unsere Rolle wechseln müssen . Wir müs-sen zu einem Vermittler werden, einem Vermittler zwi-schen Israel und Palästina, im Syrien-Krieg, im KriegSaudi-Arabiens gegen den Jemen, im Konflikt zwischenRussland und der Ukraine und in anderen Krisen . Ichglaube, dass das unsere Rolle nach dem Zweiten Welt-krieg, nach 1945 sein muss . Sie aber wollen keine Ver-Niels Annen
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mittlerrolle . Sie machen aus Deutschland eine Kriegspar-tei, und das ist der falsche Weg .
Sie haben Deutschland daneben auch noch zum dritt-größten Waffenexporteur gemacht . Das ist nun wirklichnicht die Aufgabe unseres Landes .
Es wird Zeit, dass der ganze Bundestag begreift – üb-rigens auch wegen Trump –, dass wir eine andere Rol-le spielen müssen . Ich will einmal ein Beispiel nennen:Trump fordert einfach so, dass wir 2 Prozent unseresBruttoinlandsprodukts für Rüstung und Armee ausgeben .Wir geben schon jetzt 38 Milliarden Euro pro Jahr da-für aus, und er will, dass wir noch einmal 30 MilliardenEuro obendrauf legen . Frau Merkel und Frau von derLeyen sagen sofort artig, ja, sie werden das machen . Be-vor ich mir zu Hause eine zweite Waschmaschine kaufe,überlege ich mir, ob ich sie auch brauche, und wenn ichsie nicht brauche, dann kaufe ich sie auch nicht . Wozubrauchen wir denn mehr Rüstungsgüter und Soldaten für30 Milliarden Euro? Fragt sich das keiner in der Regie-rung? Eine Antwort darauf gibt es auch nicht .
Ich bitte Sie wirklich: Hören Sie auf, Trump so dackelighinterherzulaufen! Lernen Sie, ihm gegenüber auch ein-mal Nein zu sagen! Wir brauchen nicht mehr Rüstung,und wir brauchen nicht mehr Armee .
Also: Zurück mit der Bundeswehr aus der Türkei nachHause und nicht nach Jordanien und mehr Mut gegen-über Trump unter Einschluss des Wortes „Nein“!Danke .
Vielen Dank, Herr Kollege Gysi . – Als Nächster hat
der Kollege Henning Otte für die CDU/CSU-Fraktion
das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Ich glaube, es ist an der Zeit, nocheinmal klarzustellen, Herr Gysi, warum die Bundeswehrhier mit über 60 Nationen einen Beitrag leistet . Es gehtdarum, den furchtbaren IS-Terror zu bekämpfen, einenIS-Terror, der nicht nur für die Menschen in Syrien undfür die Menschen in Europa, sondern für die ganze Welteine Bedrohung ist . Der IS geht rücksichtslos gegenFrauen, Kinder, Männer, Andersgläubige vor . Diesemmuss Einhalt geboten werden, und deswegen ist unserEinsatz richtig und vernünftig .
Die Bundeswehr ist mit Aufklärungstornados undTankflugzeugen in Incirlik und hat dort eine herausra-gende Arbeit geleistet . Der Standort hat gute Rahmenbe-dingungen geboten, nicht für die Türkei, sondern in derTürkei . Wir stellen nun mit großer Sorge die Veränderun-gen in der Türkei fest . Wir sehen die Anschläge, die esdort gibt, aber eben auch das Vorgehen gegen die Bürger-rechte . Deswegen sagen wir dem NATO-Mitglied Tür-kei: Die NATO ist nicht nur ein Verteidigungsbündnis,sondern auch eine Wertegemeinschaft . Wir fordern, dassdiese Werte eingehalten werden .
Wir haben in Deutschland eine Gewaltenteilung . Esist gut, dass die Abgeordneten die Bundeswehr als Par-lamentsarmee besuchen können, um zu gucken, ob dasMandat umgesetzt wird, aber auch aus Gründen der Für-sorge, ob es unseren Soldatinnen und Soldaten gut geht .Darin unterscheiden wir uns von der Fraktion Die Lin-ke, die auch das Besuchsrecht für sich entdeckt hat, abereben nicht, wie gerade deutlich wurde, um den Soldatin-nen und Soldaten ihre Anerkennung zu zeigen, sondernum ihnen ihr Misstrauen auszusprechen, ihnen Dinge zuunterstellen, die nicht wahr sind . Das ist nicht in Ord-nung . Ein Mindestmaß an Glaubwürdigkeit sollten auchSie sich erhalten, Herr Gysi .
Es werden nämlich keine Bilder an nicht festgelegte Ka-näle weitergegeben .Ich sage ganz deutlich, dass es die Unionsfraktionwar, die gesagt hat: Wir helfen den kurdischen Kämp-fern, den Peschmerga, damit sie ihre Heimatdörfer ver-teidigen können, damit sie Leib und Leben ihrer Fami-lienangehörigen verteidigen können . Was wäre denn ausden Kurden und den Jesiden dort geworden, wenn SieVerantwortung gehabt hätten? Gut, dass die Union in ei-ner Großen Koalition die Verantwortung trägt . Wir neh-men Verantwortung wahr, auch für die Menschen dort .
Zugegebenermaßen ist Politik auch das Bohren dickerBretter . In der Politik braucht man Ruhe, vielleicht auchGelassenheit, aber vor allem immer einen Kompass . Eswar gut, dass Minister Gabriel in Ankara Gespräche ge-führt und deutlich gemacht hat: Das Besuchsrecht ist füruns nicht verhandelbar . Aber, Herr Annen, wie kann esdenn sein, dass Sie, wenn Herr Gabriel am Montag los-fliegt, am Dienstag in der Fraktion schon die Entschei-dung treffen, die Soldaten aus Incirlik abzuziehen? Siehaben damit den Außenminister desavouiert . Das istdoch kein Zeichen von Vertrauen . Dass wir die Soldatenabziehen müssen, haben Sie mit Ihrem Schlingerkurs mitzu verantworten .
Dr. Gregor Gysi
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Wir werden die Tankflugzeuge und im August die Tor-nados verlegen . Spätestens im Oktober werden die Sol-datinnen und Soldaten wieder voll operationsfähig sein .Dass das so schnell geht, ist der Innovationskraft und derTatkraft unserer Soldatinnen und Soldaten zuzuschrei-ben . Es ist vor allem aber der Entscheidung der Bundes-verteidigungsministerin zuzuschreiben, die gesagt hat:Wir werden vorbeugend schauen, ob wir in Jordanieneinen neuen Standort finden. Herzlichen Dank, Frau Mi-nisterin, für diese vorsorgende Arbeit .
Meine Damen und Herren, die Bundeswehr hat vielzu leisten . Das müssen wir auch durch politische Rü-ckendeckung deutlich machen . Wir haben daher in die-ser Legislaturperiode das Attraktivitätssteigerungsgesetzund das Soldatinnen- und Soldatenbeteiligungsgesetz aufden Weg gebracht, das Besoldungsänderungsgesetz undden Auslandsverwendungszuschlag verbessert sowie dieWahlfreiheit zwischen Trennungsgeld und Umzugskos-tenvergütung eingeführt . Wir haben die Trendwende ein-geleitet, materiell, personell und auch finanziell.Ich sage Ihnen, Herr Gysi: Die CDU/CSU ist die ein-zige Fraktion, die bereit ist, den Soldatinnen und Solda-ten mehr Geld für die Erfüllung ihrer Aufgaben zu geben,beispielsweise zur Anschaffung von Nachtsichtbrillenund abhörsicheren Funkgeräten . Hören Sie auf, hierQuatsch zu erzählen! Es geht darum, dass die Soldatin-nen und Soldaten ihren Auftrag erfüllen für Freiheit undFrieden in Europa . Sie sind ein Garant für Stabilität . Des-wegen unterstützt die Union unsere Bundeswehr .Herzlichen Dank .
Herzlichen Dank, Herr Kollege Otte . – Das Wort hat
jetzt der Kollege Cem Özdemir für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Vor ziemlich genau zwei Jahren fand in der Türkei eineWahl statt . Erstmals gelang einem Parteienbündnis ausprogressiven und liberalen Kräften der HDP der Sprungüber die 10-Prozent-Hürde . In der türkischen National-versammlung saßen kurdischstämmige Abgeordneteerstmals an der Seite von armenischstämmigen Abgeord-neten, von Jesiden und vor allem von sehr vielen Frauen .Pluralismus war in dieses Parlament eingezogen . Vielehier im Haus haben gehofft, dass diese Wahl eine Chancefür die Türkei ist, dass die Konflikte dort gelöst werden,wo sie in einer Demokratie gelöst werden müssen, nichtin den Bergen, nicht in den Kasernen, sondern in Parla-menten, wo man sich zur Beantwortung der Fragen zivi-lisiert auseinandersetzt .
Allerdings müssen wir zwei Jahre später feststellen,dass die türkische Nationalversammlung anders aus-sieht . Die AKP-Fraktion ist nach der sogenannten Ver-fassungsreform vollständig zum Büttel Erdogans gewor-den . Abgeordnete der HDP-Fraktion sitzen mittlerweileim Gefängnis, darunter ihre Anführer . Aber auch aus dergrößten Oppositionsfraktion, ihrer Schwesterpartei, derRepublikanischen Volkspartei, ist erstmals ein Abgeord-neter, Enis Berberoglu, eingesperrt worden .Ich finde, man kann keine Debatte über die Türkeiführen, ohne dass wir, die wir hier diese Auseinanderset-zung zwar kontrovers, aber eben frei führen können, un-seren Kolleginnen und Kollegen in der Türkei, die nichtsanderes verbrochen haben, als ihren Job wahrzunehmen,Solidarität aussprechen .
Das geht in einem NATO-Mitgliedsland nicht . Das gehtin einem Mitgliedsland des Europarates nicht . Das gehtin einem Land, das Mitglied in der Europäischen Unionwerden möchte, nicht . Ich habe über die Parlamentari-er gesprochen . Ich will aber die unzähligen Richter, dieWissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die Lehrerund Lehrerinnen, die Polizisten und Journalisten nichtvergessen, darunter übrigens auch zwei unserer Staats-bürger, die man dort versucht mundtot zu machen, indemman sie entlässt oder schlicht und ergreifend wegsperrt .Auch denen gilt unsere Solidarität . Wir dürfen nicht eherruhen, bis diese Menschen wieder in Freiheit und die tür-kischen Gerichte wieder rechtsstaatliche Gerichte stattWillkürgerichte von Herrn Erdogan sind .
Ich habe gerade mit Spannung die Auseinanderset-zung darüber verfolgt, wem wir es zu verdanken haben,dass die Soldaten aus Incirlik abgezogen werden . DieSPD ist sich sicher, dass es die SPD war . Die CDU/CSUist sich sicher, dass es die CDU/CSU war . Vielleicht kön-nen wir uns einfach darauf einigen, dass es die Menschenin diesem Land waren, die gesagt haben: Es geht nichtan, dass ein Parlament Soldaten in ein NATO-Land ent-sendet und es unseren Abgeordneten verweigert wird, siedort besuchen zu können . Es ist gut, dass Sie jetzt re-agieren . Aber die Situation hat sich doch nicht verändert .Wir hatten diese Situation schon vor einem Jahr, und dawaren Sie leider nicht imstande, die notwendigen Kon-sequenzen zu ziehen . Das hat Herrn Erdogan ermutigt,auf seinem falschen Weg weiterzumachen . Herr Erdoganversteht die Sprache des Kuschelns nicht, meine Damen,meine Herren . Die einzige Sprache, die er versteht, ist,ihm deutlich zu machen, dass es Grenzen gibt, und die-se Grenze ist schon länger überschritten . Deshalb ist esnotwendig, dass man ihm deutlich macht: Das geht nicht,das muss Konsequenzen haben .
An die Adresse der Bundesregierung noch eines: Ge-legentlich konnte man den Eindruck gewinnen, dass dasReiseprogramm der Bundeskanzlerin sich ein bisschenHenning Otte
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nach Wahlkampferwägungen von Herrn Erdogan gerich-tet hat .
Ich habe es nicht vergessen – und die Opposition in derTürkei hat es auch nicht vergessen –, dass sie kurz vor derWahl in der Türkei war und keine Zeit hatte, sich mit derOpposition zu treffen . Wenigstens 15 Minuten am Flug-hafen mit einem der Oppositionsführer und Vertreternder Tageszeitung Cumhuriyet kann man schon erwarten .
Ich will nicht, dass ein Außenminister und eine Kanz-lerin dieses Landes die Werte unseres Landes und dieWerte Europas am Check-in-Schalter abgeben und sievergessen, wenn sie in der Türkei sind . Auch da sind siewichtig . Wir haben vorhin geklatscht, als davon die Redewar, dass gerade die Menschen, die in besonderer Wei-se auf die Solidarität von Demokraten angewiesen sind,wissen, dass wir sie nicht vergessen, meine Damen, mei-ne Herren .
Ich komme zum Schluss . Ich hätte mir gewünscht,dass wir bei einem Einsatz, bei dem wir die Soldaten voneinem NATO-Land in ein Land verlegen, das nicht in derNATO ist, eine wirklich umfassende Debatte in diesemHaus führen . Ich glaube, es wäre für eine Parlamentsar-mee durchaus angemessen, diese Debatte im umfassen-den Sinne zu führen . Ich bedaure, dass wir die Zeit dafürnicht haben . Umso wichtiger ist, dass sich der Bundestagdamit beschäftigt .
Vielen Dank, Herr Kollege . – Das Wort hat nunmehr
Dr . Reinhard Brandl für die CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Die Bundeswehr zieht aus Incirlik ab, und das ist richtigso . Die letzte Forderung aus der Türkei, das Besuchsrechtder Abgeordneten daran zu koppeln, dass türkischen Sol-daten und Beamten kein Asyl in Deutschland gewährtwird, ist eines Rechtsstaats unwürdig .
Ein Grundrecht kann man nicht gegen ein Besuchsrechteintauschen . Dass dieser Handel überhaupt vorgeschla-gen worden ist, wirft ein bezeichnendes Licht auf dieaktuelle türkische Regierung und ihr Rechtsstaatsver-ständnis .
An einem solchen Punkt muss man auch die Kraft ha-ben, ein Zeichen zu setzen; denn wenn man auf dieserBasis mit einer Regierung, noch dazu mit einer Regie-rung eines NATO-Partners und EU-Beitrittskandidaten,weiter verhandelt, dann nimmt auch die eigene Glaub-würdigkeit und die Glaubwürdigkeit der westlichen Weltinsgesamt ab . Der Schaden, der dadurch entsteht, ist vielgrößer als der Nutzen, den man in der Sache erreichenkann .Deswegen ist es richtig, dass diese Entscheidung jetztso gefallen ist . Es kommt jetzt darauf an, dafür zu sorgen,dass der Profiteur der Entscheidung nicht ausgerechnetder „Islamische Staat“ ist; es muss vielmehr möglichstschnell gelingen, den Ausfall der Bundeswehr zu kom-pensieren und eine Lösung zu finden. Es kommt auchdarauf an, möglichst schnell eine Lösung mit der Tür-kei über die anderen Streitpunkte zu finden – Stichwort:inhaftierte Journalisten; darüber haben wir gerade ebenschon gesprochen .Eigentlich wäre es nach dieser Entscheidung der Bun-desregierung gut gewesen, wenn die Grünen und dieLinken ihren Antrag zurückgezogen hätten . Aber da Sieihn nicht zurückgezogen haben, kann ich Ihnen nicht er-sparen, dass ich mich mit ihm ein bisschen beschäftige .Ich habe den Antrag dabei . Alleine dass Grüne und Linkejetzt gemeinsame Linien in der Außenpolitik formulie-ren, ist schon einmal ein Zeichen .
Aber viel bemerkenswerter finde ich, dass sie dafür Text-vorlagen der Linken verwenden . Schauen wir uns denAntrag an . Er besteht aus nur zwei Sätzen, mit denen dersofortige Abzug der Bundeswehr ohne weitere Begrün-dung gefordert wird . Das sind Formulierungen, die wirsonst nur von den Anträgen der Linken kennen .
Aber der Vorteil der kurzen Anträge ist, dass man sievorlesen kann:Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee und dieparlamentarische Kontrolle muss zu jedem Zeit-punkt möglich sein .
Das unterschreibe ich noch, das ist auch richtig . Aberes geht weiter:Die Bundeswehr wird daher mit sofortiger Wirkungvom Standort Incirlik abgezogen .
Cem Özdemir
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Grüne und Linke klatschen jetzt .
– Ja, aber ich halte diese Schlussfolgerung für fatal, weilsie uns erpressbar macht . Man kann jetzt zu Ihrer Vertei-digung sagen, dass Erdogan auch ohne Grüne und Linkedarauf gekommen ist und genau an diesem Punkt ange-setzt hat . Das Besuchsrecht ist doch ein wunderbarer He-bel für so einen Herrscher, mit dem es ihm gelungen ist,uns über Monate hinweg zu provozieren und mit dem esihm zum Schluss auch gelungen ist, den Abzug der Bun-deswehr zu erzwingen .
Es ist doch klar, dass sich jetzt sofort der nächste Herr-scher überlegt, ob er diesen Hebel nicht ansetzen kann,sodass wir uns mit dieser Frage wieder beschäftigenmüssen .Auch ich bin für den Abzug der Bundeswehr .
Es ist richtig, dass wir uns zurückziehen, aber ich bin da-gegen, dass wir uns selber erpressbar machen . Ein großerStaatsmann hat den Satz geprägt: Die oberste politischeTugend ist die Klugheit. – Ich finde diesen Antrag nichtbesonders klug . Ich fände es klug, wenn Sie ihn zurück-ziehen würden . Sie haben jetzt noch die Chance . Wirwerden ihn auf jeden Fall ablehnen .Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
Es besteht noch das Bedürfnis nach einer Kurzinter-
vention . Frau Kollegin Hänsel .
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin . – Ich muss schon
sagen: Herr Brandl, Ihre abenteuerlichen Theorien kön-
nen Sie vergessen . Was Sie hier vorgebracht haben, ist
wirklich hanebüchen . Es geht um etwas anderes . Ihre Re-
gierung hat sich schon längst durch das Merkel- Erdogan-
Abkommen erpressbar gemacht .
Durch diesen schmutzigen Flüchtlingsdeal haben Sie
sich doch schon lange in die Hände Erdogans begeben .
Das ist doch die Wahrheit . Darüber sollten Sie sprechen,
aber Sie sollten nicht uns plötzlich den Abzug vorwerfen .
Wir haben konsequent gemahnt, dass es nicht sein kann,
dass wir unser Besuchsrecht nicht wahrnehmen können .
Wir vertreten die Interessen des Parlaments . Das hätten
Sie viel früher tun müssen . Sie wurden von uns zum Ja-
gen getragen, sodass wir jetzt so weit sind, dass die Bun-
deswehr abgezogen wird .
Meine Frage an Sie betrifft das Mandat . Wir sehen hier
eine Umwidmung des Mandats . Wir erleben mittlerwei-
le, dass der NATO-Partner USA syrische Kampfflugzeu-
ge abschießt . Diesbezüglich würde ich von Ihnen gerne
wissen, wie Sie sich das eigentlich vorstellen . Das ist
eine brandgefährliche Situation . Darüber müssen wir
sprechen, aber nicht über Ihre abenteuerlichen Vorwürfe,
die Sie gegen uns erhoben haben .
Herr Kollege Brandl, möchten Sie darauf antwor-
ten? – Bitte .
Frau Kollegin, es ist natürlich die alte Taktik der Lin-
ken, einfach ein neues Thema anzusprechen, um vom ei-
gentlichen Thema abzulenken .
Diese Taktik lassen wir Ihnen nicht durchgehen . Es ist
völlig klar, dass Sie kein Interesse daran haben, dass die
Bundeswehr irgendwo stationiert ist .
Sie lehnen jeglichen Einsatz der Bundeswehr ab und
wollen mit einem solchen Antrag allen möglichen Län-
dern einen Hebel in die Hand geben, den Abzug der
Bundeswehr zu erzwingen . Das lassen wir Ihnen nicht
durchgehen .
Zum Mandat: Im Mandat ist der Standort Incirlik nicht
ausdrücklich festgeschrieben . Das Mandat ist allgemein
gehalten . Der Deutsche Bundestag hat beschlossen, dass
der Standort Incirlik im Hinblick auf das Besuchsrecht
überprüft wird . Das hat der Deutsche Bundestag jetzt ge-
tan . Die Bundesregierung hat entschieden . Das Mandat
bleibt weiterhin gültig; es ist keine Neubefassung nötig .
Danke .
Vielen Dank, Herr Kollege . – Ich schließe die Aus-sprache .Tagesordnungspunkt 4 . Wir kommen zur Abstim-mung über die Beschlussempfehlung des AuswärtigenAusschusses zu dem Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke mit dem Titel „SofortigerAbzug der Bundeswehr aus Incirlik“ . Der Ausschussempfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-che 18/12817, den Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Dr. Reinhard Brandl
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Die Grünen und Die Linke auf Drucksache 18/12372 ab-zulehnen . Wir stimmen nun über die Beschlussempfeh-lung namentlich ab . Ich bitte die Schriftführerinnen undSchriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen . –Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Ich eröffne dieerste namentliche Abstimmung über die Beschlussemp-fehlung zu dem Antrag der Fraktionen Bündnis 90/DieGrünen und Die Linke .Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall . Ichschließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen .Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben .1)Zusatzpunkt 3 . Abstimmung über den Antrag derFraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksa-che 18/12779 mit dem Titel „Verlegung des Bundeswehr-kontingents von Incirlik nach Al Azraq zügig durchfüh-ren“ . Wir stimmen auch über diesen Antrag namentlichab .Es liegt eine Erklärung zur Abstimmung nach § 31 un-serer Geschäftsordnung vor .2)Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, dievorgesehenen Plätze einzunehmen . – Sind die Plätze anden Urnen besetzt? – Das ist der Fall . Ich eröffne diezweite namentliche Abstimmung .Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall . Ichschließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen .Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben .3)Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten KerstinAndreae, Cem Özdemir, Dr . Thomas Gambke,weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENFür eine neue Gründungskultur in Deutsch-landDrucksache 18/12369Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächstKerstin Andreae von der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-nen das Wort .
– Es wäre nett, wenn die Kolleginnen und Kollegen diePlätze einnehmen würden oder gegebenenfalls die Ge-spräche draußen fortsetzen würden .1) Ergebnis Seite 24440 D2) Anlage 423) Ergebnis Seite 24443 C
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Zahlen aus dem KfW-Gründungsmonitor sind er-nüchternd: Die Anzahl der Existenzgründerinnen undExistenzgründer nimmt kontinuierlich ab . Im Jahr 2016hatten wir 13 Prozent weniger Gründungen als im Jahrdavor . Das liegt zum einen natürlich an der sinkendenArbeitslosigkeit – aber eben nicht nur –, es liegt zum an-deren auch daran, dass Gründungen in der Bundesrepu-blik Deutschland inzwischen extrem schwierig werden –sei es wegen bürokratischer Hürden, sei es wegen einesunübersichtlichen Förderdschungels, sei es wegen starrerKriterien, sei es wegen der fehlenden sozialen Absiche-rung oder sei es wegen unzureichender Finanzierungs-instrumente . Besonders bei diesem letzten Punkt bestehtdringender Handlungsbedarf .
Gründungen sind ja sehr vielseitig und sehr viel-schichtig . Da ist der Jungunternehmer mit einem faltba-ren Elektromobilroller, der mit der EU-Bürokratie um dieZulassung kämpft; da ist die alleinerziehende freiberufli-che Grafikdesignerin, die versucht, sich eine neue Exis-tenz aufzubauen; und da ist im Übrigen auch der syrischeFlüchtling, der überlegt, eine Lokalität zu eröffnen .Was Union und SPD nicht sehen wollen bzw . wofürsie eigentlich in den letzten Jahren nichts getan haben:Die fehlenden Existenzgründungen von heute sind ebenauch Teil der Arbeitslosigkeit von morgen . Wir wissen,dass Gründerinnen und Gründer in der Summe in denletzten Jahren 5 Millionen sozialversicherungspflichti-ge Jobs geschaffen haben . Das sind im Schnitt drei bisvier neue Arbeitsplätze pro Gründung . Darin stecken einunglaubliches Potenzial und eine unglaubliche Chance .Und das sollte uns doch gemeinsam zusammenführen,damit wir hier nun auch wirklich etwas für diese Men-schen tun .
Deswegen haben wir einen umfassenden Antrag zuGründungen vorgelegt, in dem eine Reihe von Instru-menten beschrieben werden, von denen ich Ihnen einpaar vorstellen werde . In den ersten beiden Jahren sollenGründerinnen und Gründer von unnötigen Meldepflich-ten befreit werden . Die Anmeldungen bei den Behördensollen vereinfacht werden, E-Goverment-Strategien sol-len entwickelt werden, One-Stop-Shops – alles aus einerHand; ein großes Bedürfnis der jungen Menschen, dieGründungen planen –, Entlastungen bei den Sozialver-sicherungsbeiträgen und eben eine einfache und unbüro-kratische Finanzierung .Deswegen schlagen wir Ihnen vor, dass es ein Grün-dungskapital geben soll: 25 000 Euro als Darlehen für je-den, der sich selbstständig machen will – unbürokratischund fast bedingungslos, ohne eine Bank im Rücken, ohneEigenkapital und ohne Sicherheit . Denn wir wollen, dassdie Ideen ihren Raum finden und dass man nicht so vielselber – vielleicht auch von zu Hause aus – mitbringenVizepräsidentin Michaela Noll
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 239 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 21 . Juni 2017 24439
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muss . Wir wollen, dass dieses innovative Potenzial, dasda ist, tatsächlich genutzt wird .
An die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU: Hes-sen macht so etwas Ähnliches . Der grüne Wirtschaftsmi-nister in Hessen hat ein Mikrodarlehen-Programm aufden Weg gebracht, nach dem exakt 25 000 Euro einfachzu bekommen sind, ohne die Sicherheit im Rücken, fürgenau diese jungen Menschen .Was ist in Hessen passiert? Das Land Hessen ist in-zwischen im Gründungsmonitor auf Platz zwei gelandet .
Hessen hat sich als Flächenland zwischen die Stadtstaa-ten geschoben . Das ist ein sehr erfolgreiches Modell .Diese 25 000 Euro entsprechen dem Finanzierungs-bedarf von ungefähr drei Viertel aller Existenzgründer-innen und Existenzgründer . Das ist die Summe, um eineGmbH zu gründen . Im Unterschied zu dem Plan vonFrau Nahles, von dem wir vor einiger Zeit gehört haben,dass sie sich 20 000 Euro für jeden vorstellen könnte,ist dies ein Instrument, das auch tatsächlich an eine wirt-schaftspolitische Strategie, an eine Gründungsstrategieanknüpft, wonach das Kapital doppelt und dreifach zu-rückfließt: durch neue sozialversicherungspflichtige Jobsund natürlich am Ende auch durch zusätzliche Steuerein-nahmen .Ich möchte, dass von diesem Bundestag, von der Poli-tik das ganz klare Signal an die Gründerinnen und Grün-der ausgeht: Wir brauchen euch . Wir wollen euch . Aberwir unterstützen euch auch . Wir erkennen euer Problem .
Und deswegen machen wir eine Gründungskultur, die ih-ren Namen auch verdient .Danke schön .
Vielen Dank, Frau Kollegin Andreae . – Als Nächstes
erteile ich das Wort dem Kollegen Jan Metzler für die
CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist mir einegroße Freude, dass ich heute die Möglichkeit habe, dieThematik, die bereits bei meiner ersten Rede hier imZentrum der Debatte stand, erneut aufzugreifen – inso-fern bin ich für den Antrag sehr dankbar –, und zwar dieGründerszene in Deutschland . Ganz zentral war für michdamals ein Satz, nämlich: Wirtschaft braucht Vertrauen .Das ist insbesondere bei den Gründerinnen und Gründernin unserem Land so .Liebe Kollegin Andreae, ich muss ganz freiweg sa-gen: So problematisch sehe ich die Lage nicht . Wir sen-den permanent Impulse für eine positive Gründerkulturin Deutschland .
Ich muss in diesem Zusammenhang sagen, dass ich, wennich von der Gründerkultur im Allgemeinen spreche, nichtnur von der IT-Branche spreche, sondern von allen, diesich am kreativen und innovativen Schaffensprozess inunserem Land beteiligen . Die Gründer von heute – dassteht, denke ich, für uns alle fest – sind die Mittelständlervon morgen . Erlauben Sie mir deswegen zunächst einegenerelle Feststellung und in diesem Zusammenhangeine Art kleine Bilanz .Wir haben eine lebendige Gründerszene in Deutsch-land, nicht nur in größeren Städten, aber gerade dort .Die Berliner Gründerszene beispielsweise wird in ei-nem Atemzug mit der in San Francisco und Tel Aviv ge-nannt . Das ist eine positive Sache . Die Szene hat sich inDeutschland eindrucksvoll entwickelt .
Das steht im Zusammenhang damit, dass es ihr gelungenist, sich mit dem traditionellen Mittelstand und mit In-vestoren zu vernetzen .Die zentrale Frage, die sich stellt, ist: Was brauchteine Gründerszene, um funktionieren zu können? Dassind erstens die kreativen Köpfe, zweitens zweifelsohnedie Bereitstellung von Kapitalien und drittens die grün-dungsfreundlichen Rahmenbedingungen . Da muss manaber noch eines einbeziehen . Gründung allein sagt nichtsdarüber, wie nachhaltig die ganze Sache ist . Es brauchtaber eine nachhaltige Gründungsszene in Deutschland .Was können wir tun, um diese Nachhaltigkeit gemein-sam voranzubringen? Dafür tun wir schon eine ganzeMenge . Ich darf beispielsweise darauf verweisen, dassNachholbedarf bei der digitalen Bildung und beim Unter-nehmertum besteht . Mit einem 5-Milliarden-Invest wol-len wir die digitale Infrastruktur von Schulen – das gehtvon Grund- bis zu Berufsschulen – bundesweit voran-bringen . Es geht um Breitbandanschlüsse, WLAN sowieHard- und Software . Im Gegenzug sind die Länder gefor-dert, in der Aus- und Fortbildung von Lehrerinnen undLehrern auch die digitalen Kompetenzen zu vermitteln .
Zweiter Stichpunkt: Kapitalbedarf . Da knüpfe ichan einem Punkt an, den wir gern diskutieren können .Allen Unkenrufen zum Trotz: Hier besteht ein breitesAngebot – und das, obwohl Wagniskapital in Deutsch-land traditionell nicht so verankert ist wie etwa im an-gelsächsischen Raum . Aber wir haben beispielsweiseden KfW-Co-Investitionsfonds Coparion auf den WegKerstin Andreae
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gebracht; er ist 2016 gestartet . Ich nenne weiter den Mi-kromezzaninfonds und den High-Tech Gründerfonds .Der Blick auf den Markt zeigt, dass für Unternehmenunmittelbar zur Gründung oftmals ausreichend Kapitali-en bereitstehen . Viel problematischer wird es aber dann,wenn die Wachstumsphase voranschreitet . Daran müssenwir zweifelsohne noch mit Nachdruck arbeiten .
Es gehört grundsätzlich aber noch ein Weiteres dazu,und zwar das allgemeine Bewusstsein, dass am Endedes Tages auch ein Scheitern stehen kann; das gilt es inden Mittelpunkt zu rücken . Hier ist eine Kultur zu ent-wickeln . Der richtige Umgang damit ist etwas, was wirin solchen Debatten in den Vordergrund stellen müssen .
Ich muss im Zusammenhang mit dieser Thematik ei-nes feststellen: Gründungskultur lässt sich nicht einfachper Antrag verordnen . Gründungskultur braucht perma-nent positive Impulse . Das haben wir in dieser Legisla-turperiode als starke Partner des bisherigen sowie desneuen Mittelstands getan .
Dem trägt diese Koalition mit ihrer Arbeit Rechnung .Das zeigt sich auch perspektivisch beispielsweise anden Koalitionsverträgen in Nordrhein-Westfalen und inSchleswig-Holstein .
Insofern möchte ich sagen: Ich sehe das Bild nicht soproblematisch . Wir haben einen Großteil an Impulsengebracht .
Ich freue mich auf eine weitere intensive Debatte . Ichsehe das Bild nicht so problematisch . Zukunft brauchtVertrauen, Wirtschaft braucht Vertrauen,
und wir vertrauen und sind Partner, wenn es darum geht .Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Meine Kollegen, bevor ich die Debattefortsetze, möchte ich Ihnen kurz die von den Schriftfüh-rerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisse dernamentlichen Abstimmungen bekannt geben .Zur ersten namentlichen Abstimmung über die Be-schlussempfehlung zu dem Antrag mit dem Titel „So-fortiger Abzug der Bundeswehr aus Incirlik“, Drucksa-che 18/12372 und 18/12817: abgegebene Stimmen 569 .Mit Ja haben gestimmt 460, mit Nein haben gestimmt109, Enthaltungen gab es keine . Die Beschlussempfeh-lung ist damit angenommen .Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 566;davonja: 457nein: 109enthalten: 0JaCDU/CSUStephan AlbaniKatrin AlbsteigerArtur AuernhammerThomas BareißNorbert BarthleGünter BaumannMaik BeermannManfred Behrens
Veronika BellmannSybille BenningDr . André BergheggerDr . Christoph BergnerUte BertramPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr . Maria BöhmerNorbert BrackmannMichael BrandDr . Reinhard BrandlHelmut BrandtDr . Ralf BrauksiepeDr . Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexandra Dinges-DierigMichael DonthThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzIris EberlDr . Bernd FabritiusUwe FeilerEnak FerlemannIngrid FischbachDirk Fischer
Klaus-Peter FlosbachThorsten FreiDr . Astrid FreudensteinDr . Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserHans-Joachim FuchtelIngo GädechensDr . Thomas GebhartAlois GerigEberhard GiengerCemile GiousoufUrsula Groden-KranichKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundOliver GrundmannDr . Herlind GundelachOlav GuttingChristian HaaseFlorian HahnRainer HajekDr . Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtMatthias HauerMark HauptmannDr . Stefan HeckDr . Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichUda HellerJan Metzler
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Jörg HellmuthRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingDr . Heribert HirteChristian HirteRobert HochbaumAlexander Hoffmann
Karl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr . Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesDr . Mathias Edwin HöschelCharles M . HuberAnette HübingerHubert HüppeErich IrlstorferThomas JarzombekSylvia JörrißenDr . Franz Josef JungAndreas JungXaver JungDr . Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekBernhard KasterVolker KauderDr . Stefan KaufmannRonja KemmerRoderich KiesewetterDr . Georg KippelsVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberHartmut KoschykKordula KovacMichael KretschmerGunther KrichbaumDr . Günter KringsRüdiger KruseDr . Roy KühneUwe LagoskyDr . Dr . h . c . Karl A . LamersAndreas G . LämmelDr . Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerDr . Silke LaunertPaul LehriederDr . Katja LeikertDr . Philipp LengsfeldDr . Andreas LenzDr . Ursula von der LeyenAntje LeziusIngbert LiebingMatthias LietzAndrea LindholzDr . Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr . Claudia Lücking-MichelDr . Jan-Marco LuczakDaniela LudwigKarin MaagYvonne MagwasThomas MahlbergDr . Thomas de MaizièreGisela ManderlaMatern von MarschallHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Reiner MeierDr . Michael MeisterJan MetzlerMaria MichalkDr . h . c . Hans MichelbachDr . Mathias MiddelbergDietrich MonstadtKarsten MöringVolker MosblechElisabeth Motschmann
Stefan Müller
Dr . Philipp MurmannDr . Andreas NickMichaela NollHelmut NowakDr . Georg NüßleinWilfried OellersFlorian OßnerDr . Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr . Martin PätzoldUlrich PetzoldDr . Joachim PfeifferSibylle PfeifferEckhard PolsKerstin RadomskiAlexander RadwanAlois RainerDr . Peter RamsauerEckhardt RehbergLothar RiebsamenJosef RiefDr . Heinz RiesenhuberIris RipsamJohannes RöringKathrin RöselDr . Norbert RöttgenErwin RüddelAlbert RupprechtAnita Schäfer
Dr . Wolfgang SchäubleAndreas ScheuerKarl SchiewerlingJana SchimkeNorbert SchindlerTankred SchipanskiChristian Schmidt
Gabriele Schmidt
Patrick SchniederNadine Schön
Dr . Ole Schröder
Bernhard Schulte-DrüggelteDr . Klaus-Peter SchulzeUwe Schummer
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr . Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerTino SorgeJens SpahnCarola StaucheDr . Frank SteffelDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannPeter SteinSebastian SteinekeJohannes SteinigerChristian Frhr . von StettenDieter StierRita StockhofeGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerMatthäus StreblLena StrothmannMichael StübgenDr . Sabine Sütterlin-WaackDr . Peter TauberAstrid Timmermann-FechterDr . Hans-Peter UhlDr . Volker UllrichArnold VaatzOswin VeithThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserDr . Johann WadephulMarco WanderwitzKarl-Heinz WangeNina WarkenKai WegnerHonD Albert WeilerMarcus Weinberg
Peter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtWaldemar WestermayerKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Klaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerOliver WittkeDagmar G . WöhrlBarbara WoltmannTobias ZechHeinrich ZertikEmmi ZeulnerDr . Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDNiels AnnenIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeike BaehrensUlrike BahrBettina Bähr-LosseHeinz-Joachim BarchmannDr . Katarina BarleyDoris BarnettDr . Matthias Bartke
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Sören BartolBärbel BasUwe BeckmeyerLothar Binding
Burkhard BlienertWilli BraseDr . Karl-Heinz BrunnerDr . h . c . Edelgard BulmahnMarco BülowMartin BurkertDr . Lars CastellucciJürgen CoßePetra CroneBernhard DaldrupDr . Daniela De RidderDr . Karamba DiabySabine DittmarMartin DörmannElvira Drobinski-WeißSiegmund EhrmannMichaela EngelmeierDr . h . c . Gernot ErlerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr . Johannes FechnerDr . Fritz FelgentreuElke FernerDr . Ute Finckh-KrämerChristian FlisekGabriele FograscherDr . Edgar FrankeUlrich FreeseDagmar FreitagMichael GerdesMartin GersterIris GleickeAngelika GlöcknerKerstin GrieseGabriele GronebergMichael GroßUli GrötschWolfgang GunkelBettina HagedornRita Hagl-KehlMetin HakverdiUlrich HampelSebastian Hartmann
Dirk HeidenblutHubertus Heil
Gabriela HeinrichMarcus HeldWolfgang HellmichDr . Barbara HendricksHeidtrud HennGustav HerzogGabriele Hiller-OhmThomas HitschlerDr . Eva HöglMatthias IlgenChristina Jantz-HerrmannFrank JungeJosip JuratovicThomas JurkJohannes KahrsRalf KapschackGabriele KatzmarekUlrich KelberMarina KermerCansel KiziltepeArno KlareLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerBirgit KömpelDr . Hans-Ulrich KrügerAngelika Krüger-LeißnerHelga Kühn-MengelChristine LambrechtChristian Lange
Dr . Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerHiltrud LotzeKirsten LühmannDr . Birgit Malecha-NissenCaren MarksKatja MastHilde MattheisDr . Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagDetlef Müller
Michelle MünteferingUlli NissenThomas OppermannMahmut Özdemir
Aydan ÖzoğuzMarkus PaschkeChristian PetryJeannine PflugradtDetlev PilgerSabine PoschmannJoachim PoßFlorian PostAchim Post
Dr . Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr . Sascha RaabeMartin RabanusStefan RebmannGerold ReichenbachDr . Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixPetra Rode-BosseDennis RohdeDr . Martin RosemannRené RöspelMichael Roth
Susann RüthrichBernd RützelSarah RyglewskiJohann SaathoffAnnette SawadeDr . Hans-JoachimSchabedothAxel Schäfer
Dr . Nina ScheerUdo SchiefnerDr . Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Elfi Scho-AntwerpesUrsula SchulteSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeStefan SchwartzeAndreas SchwarzRita Schwarzelühr-SutterNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenChristoph SträsserKerstin TackClaudia TausendMichael ThewsDr . Karin ThissenFranz ThönnesCarsten TrägerRüdiger VeitUte VogtDirk VöpelGabi WeberBernd WestphalAndrea WickleinDirk WieseGülistan YükselDagmar ZieglerStefan ZierkeDr . Jens ZimmermannManfred ZöllmerBrigitte ZypriesNeinSPD
DIE LINKEDr . Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W . BirkwaldHeidrun BluhmEva Bulling-SchröterRoland ClausSevim DağdelenKlaus ErnstWolfgang GehrckeNicole GohlkeAnnette GrothDr . Gregor GysiDr . André HahnHeike HänselDr . Rosemarie HeinInge HögerAndrej HunkoUlla JelpkeKerstin KassnerKatja KippingJan KorteJutta KrellmannKatrin KunertCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichDr . Gesine LötzschThomas LutzeBirgit MenzCornelia MöhringNiema MovassatNorbert Müller
Dr . Alexander S . NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Martina RennerDr . Petra SitteKersten SteinkeDr . Kirsten TackmannFrank TempelAlexander UlrichKathrin VoglerHarald WeinbergBirgit Wöllert
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Jörn WunderlichHubertus ZdebelPia ZimmermannSabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKerstin AndreaeAnnalena BaerbockMarieluise Beck
Volker Beck
Dr . Franziska BrantnerAgnieszka BruggerEkin DeligözKatja DörnerKatharina DrögeHarald EbnerDr . Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringKatrin Göring-EckardtAnja HajdukBritta HaßelmannBärbel HöhnDieter JanecekUwe KekeritzKatja KeulSven-Christian KindlerSylvia Kotting-UhlOliver KrischerStephan Kühn
Christian Kühn
Renate KünastMarkus KurthMonika LazarSteffi LemkeDr . Tobias LindnerNicole MaischIrene MihalicBeate Müller-GemmekeÖzcan MutluDr . Konstantin von NotzFriedrich OstendorffCem ÖzdemirLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Corinna RüfferManuel SarrazinUlle SchauwsDr . Gerhard SchickDr . Frithjof SchmidtKordula Schulz-AscheDr . Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleMarkus TresselJürgen TrittinDr . Julia VerlindenDoris WagnerBeate Walter-RosenheimerDr . Valerie WilmsFraktionslosErika SteinbachWir kommen jetzt zum Ergebnis der zweiten nament-lichen Abstimmung über den Antrag der Fraktionen vonCDU/CSU und SPD mit dem Titel „Verlegung des Bun-deswehrkontingents von Incirlik nach Al Azraq zügigdurchführen“, Drucksache 18/12779: abgegebene Stim-men 569 . Mit Ja haben gestimmt 461, mit Nein habengestimmt 85, Enthaltungen 23 . Der Antrag ist angenom-men .Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 566;davonja: 458nein: 85enthalten: 23JaCDU/CSUStephan AlbaniKatrin AlbsteigerArtur AuernhammerThomas BareißNorbert BarthleGünter BaumannMaik BeermannManfred Behrens
Veronika BellmannSybille BenningDr . André BergheggerDr . Christoph BergnerUte BertramPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr . Maria BöhmerNorbert BrackmannMichael BrandDr . Reinhard BrandlHelmut BrandtDr . Ralf BrauksiepeDr . Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexandra Dinges-DierigMichael DonthThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzIris EberlDr . Bernd FabritiusUwe FeilerEnak FerlemannIngrid FischbachDirk Fischer
Klaus-Peter FlosbachThorsten FreiDr . Astrid FreudensteinDr . Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserHans-Joachim FuchtelIngo GädechensDr . Thomas GebhartAlois GerigEberhard GiengerCemile GiousoufUrsula Groden-KranichKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundOliver GrundmannDr . Herlind GundelachOlav GuttingChristian HaaseFlorian HahnRainer HajekDr . Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtMatthias HauerMark HauptmannDr . Stefan HeckDr . Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichUda HellerJörg HellmuthRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingDr . Heribert HirteChristian HirteRobert HochbaumAlexander Hoffmann
Karl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr . Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesDr . Mathias Edwin HöschelCharles M . HuberAnette HübingerHubert HüppeErich IrlstorferThomas JarzombekSylvia JörrißenDr . Franz Josef JungAndreas JungXaver JungDr . Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekBernhard KasterVolker KauderDr . Stefan KaufmannRonja KemmerRoderich KiesewetterDr . Georg KippelsVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel Knoerig
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 239 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 21 . Juni 201724444
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Jens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberHartmut KoschykKordula KovacMichael KretschmerGunther KrichbaumDr . Günter KringsRüdiger KruseDr . Roy KühneUwe LagoskyDr . Dr . h . c . Karl A . LamersAndreas G . LämmelDr . Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerDr . Silke LaunertPaul LehriederDr . Katja LeikertDr . Philipp LengsfeldDr . Andreas LenzDr . Ursula von der LeyenAntje LeziusIngbert LiebingMatthias LietzAndrea LindholzDr . Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr . Claudia Lücking-MichelDr . Jan-Marco LuczakDaniela LudwigKarin MaagYvonne MagwasThomas MahlbergDr . Thomas de MaizièreGisela ManderlaMatern von MarschallHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Reiner MeierDr . Michael MeisterJan MetzlerMaria MichalkDr . h . c . Hans MichelbachDr . Mathias MiddelbergDietrich MonstadtKarsten MöringVolker MosblechElisabeth Motschmann
Stefan Müller
Dr . Philipp MurmannDr . Andreas NickMichaela NollHelmut NowakDr . Georg NüßleinWilfried OellersFlorian OßnerDr . Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr . Martin PätzoldUlrich PetzoldDr . Joachim PfeifferSibylle PfeifferEckhard PolsKerstin RadomskiAlexander RadwanAlois RainerDr . Peter RamsauerEckhardt RehbergLothar RiebsamenJosef RiefDr . Heinz RiesenhuberIris RipsamJohannes RöringKathrin RöselDr . Norbert RöttgenErwin RüddelAlbert RupprechtAnita Schäfer
Dr . Wolfgang SchäubleAndreas ScheuerKarl SchiewerlingJana SchimkeNorbert SchindlerTankred SchipanskiChristian Schmidt
Gabriele Schmidt
Patrick SchniederNadine Schön
Dr . Ole Schröder
Bernhard Schulte-DrüggelteDr . Klaus-Peter SchulzeUwe Schummer
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr . Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerTino SorgeJens SpahnCarola StaucheDr . Frank SteffelDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannPeter SteinSebastian SteinekeJohannes SteinigerChristian Frhr . von StettenDieter StierRita StockhofeGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerMatthäus StreblLena StrothmannMichael StübgenDr . Sabine Sütterlin-WaackDr . Peter TauberAstrid Timmermann-FechterDr . Hans-Peter UhlDr . Volker UllrichArnold VaatzOswin VeithThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserDr . Johann WadephulMarco WanderwitzKarl-Heinz WangeNina WarkenKai WegnerHonD Albert WeilerMarcus Weinberg
Peter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtWaldemar WestermayerKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Klaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerOliver WittkeDagmar G . WöhrlBarbara WoltmannTobias ZechHeinrich ZertikEmmi ZeulnerDr . Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDNiels AnnenIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeike BaehrensUlrike BahrBettina Bähr-LosseHeinz-Joachim BarchmannDr . Katarina BarleyDoris BarnettDr . Matthias BartkeSören BartolBärbel BasUwe BeckmeyerLothar Binding
Burkhard BlienertWilli BraseDr . Karl-Heinz BrunnerDr . h . c . Edelgard BulmahnMarco BülowMartin BurkertDr . Lars CastellucciJürgen CoßePetra CroneBernhard DaldrupDr . Daniela De RidderDr . Karamba DiabySabine DittmarMartin DörmannElvira Drobinski-WeißSiegmund EhrmannMichaela EngelmeierDr . h . c . Gernot ErlerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr . Johannes FechnerDr . Fritz FelgentreuElke FernerDr . Ute Finckh-KrämerChristian FlisekGabriele FograscherDr . Edgar FrankeUlrich FreeseDagmar FreitagMichael GerdesMartin GersterIris GleickeAngelika GlöcknerKerstin GrieseGabriele GronebergMichael GroßUli GrötschWolfgang Gunkel
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Bettina HagedornRita Hagl-KehlMetin HakverdiUlrich HampelSebastian Hartmann
Dirk HeidenblutHubertus Heil
Gabriela HeinrichMarcus HeldWolfgang HellmichDr . Barbara HendricksHeidtrud HennGustav HerzogGabriele Hiller-OhmThomas HitschlerDr . Eva HöglMatthias IlgenChristina Jantz-HerrmannFrank JungeJosip JuratovicThomas JurkJohannes KahrsRalf KapschackGabriele KatzmarekUlrich KelberMarina KermerCansel KiziltepeArno KlareLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerBirgit KömpelDr . Hans-Ulrich KrügerAngelika Krüger-LeißnerHelga Kühn-MengelChristine LambrechtChristian Lange
Dr . Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerHiltrud LotzeKirsten LühmannDr . Birgit Malecha-NissenCaren MarksKatja MastHilde MattheisDr . Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagDetlef Müller
Michelle MünteferingUlli NissenThomas OppermannMahmut Özdemir
Aydan ÖzoğuzMarkus PaschkeChristian PetryJeannine PflugradtDetlev PilgerSabine PoschmannJoachim PoßFlorian PostAchim Post
Dr . Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr . Sascha RaabeMartin RabanusStefan RebmannGerold ReichenbachDr . Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixPetra Rode-BosseDennis RohdeDr . Martin RosemannRené RöspelMichael Roth
Susann RüthrichBernd RützelSarah RyglewskiJohann SaathoffAnnette SawadeDr . Hans-JoachimSchabedothAxel Schäfer
Dr . Nina ScheerUdo SchiefnerDr . Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Elfi Scho-AntwerpesUrsula SchulteSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeStefan SchwartzeAndreas SchwarzRita Schwarzelühr-SutterNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenChristoph SträsserKerstin TackClaudia TausendMichael ThewsDr . Karin ThissenFranz ThönnesCarsten TrägerRüdiger VeitUte VogtDirk VöpelGabi WeberBernd WestphalAndrea WickleinDirk WieseGülistan YükselDagmar ZieglerStefan ZierkeDr . Jens ZimmermannManfred ZöllmerBrigitte ZypriesFraktionslosErika SteinbachNeinSPD
DIE LINKEDr . Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W . BirkwaldHeidrun BluhmEva Bulling-SchröterRoland ClausSevim DağdelenKlaus ErnstWolfgang GehrckeNicole GohlkeAnnette GrothDr . Gregor GysiDr . André HahnHeike HänselDr . Rosemarie HeinInge HögerAndrej HunkoUlla JelpkeKerstin KassnerKatja KippingJan KorteJutta KrellmannKatrin KunertCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichDr . Gesine LötzschThomas LutzeBirgit MenzCornelia MöhringNiema MovassatNorbert Müller
Dr . Alexander S . NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Martina RennerDr . Petra SitteKersten SteinkeDr . Kirsten TackmannFrank TempelAlexander UlrichKathrin VoglerHarald WeinbergBirgit WöllertJörn WunderlichHubertus ZdebelPia ZimmermannSabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENAnnalena BaerbockAgnieszka BruggerKatja DörnerKatharina DrögeHarald EbnerMatthias GastelBritta HaßelmannBärbel HöhnUwe KekeritzKatja KeulSven-Christian KindlerSylvia Kotting-UhlOliver KrischerChristian Kühn
Markus KurthMonika LazarSteffi LemkeNicole MaischIrene MihalicBeate Müller-GemmekeDr . Konstantin von NotzLisa PausClaudia Roth
Corinna RüfferUlle SchauwsDr . Gerhard SchickDr . Frithjof SchmidtDr . Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleJürgen TrittinDr . Julia VerlindenBeate Walter-Rosenheimer
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 239 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 21 . Juni 201724446
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EnthaltenBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKerstin AndreaeMarieluise Beck
Volker Beck
Dr . Franziska BrantnerEkin DeligözDr . Thomas GambkeKai GehringKatrin Göring-EckardtAnja HajdukDieter JanecekStephan Kühn
Renate KünastDr . Tobias LindnerÖzcan MutluFriedrich OstendorffCem ÖzdemirBrigitte PothmerTabea RößnerManuel SarrazinKordula Schulz-AscheMarkus TresselDoris WagnerDr . Valerie WilmsJetzt setzen wir die Debatte fort . Als nächstem Rednererteile ich dem Kollegen Thomas Lutze für die FraktionDie Linke das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Die Grünen wollen die Gründungskultur inDeutschland stärken; das ist vom Grundsatz her erst ein-mal eine gute Sache .
Allerdings stellt sich die Frage, ob sich das Umfeld fürGründerinnen und Gründer wirklich verschlechtert odernegativ verändert hat . Brauchen wir dringend dieses gan-ze Bündel an Maßnahmen zur Stärkung der Gründungs-kultur
– ich formuliere es als Frage –, wie es die Grünen for-dern?Die Grünen begründen die Notwendigkeit ihres Antra-ges mit der gesunkenen Anzahl von Unternehmensgrün-dungen in Deutschland in den letzten Jahren .
Diese Zahlen haben Sie aus dem Gründungsmonitorder KfW-Bank . Allerdings verliert der Antrag kein Wortüber den direkten Kontext, warum es zu dem Rückgangder Anzahl der Gründungen gekommen ist . Die Über-schrift des KfW-Gründungsmonitors 2016 lautete: „Ar-beitsmarkt trübt Gründungslust“ . Die Überschrift desKfW-Gründungsmonitors 2017: „Beschäftigungsrekordmit Nebenwirkung: So wenige Gründer wie nie“ .Schon die Überschriften machen deutlich, dass vieleMenschen den Weg in die Selbstständigkeit nur bedingtwählen . Für viele Menschen ist die Anmeldung eines Un-ternehmens nicht mit einer großen Innovation oder einerrevolutionären Geschäftsidee verbunden . Oft ist es einSchritt, der aus der Not heraus geboren wird,
der dann schnell zur Scheinselbstständigkeit führt unddamit schnell dazu führen kann, dass sich die Menschenselbst ausbeuten . Hier sind wir als Linksfraktion beson-ders sensibel; denn die blanken Zahlen spiegeln die Rea-lität leider Gottes nicht immer wider .
Die derzeitig gute Konjunktur und die damit einher-gehende Beschäftigungslage hat vielen Menschen denSchritt in die Selbstständigkeit erspart . Denn: Haben dieMenschen die Wahl, entscheiden sie sich eher für einesichere Anstellung mit dazugehöriger sozialer Absiche-rung .Sicherlich: Viele Firmengründer geben Impulse fürInnovationen und stärken unseren Wirtschaftsstandort .Positive Beispiele für innovative Neugründungen kom-men hierzulande vor allem aus den Bereichen IT, Bio-technologie, aber auch aus dem Bereich der Computer-spiele . Viele Gründungen im Handwerk oder bei denfreien Berufen sind eine absolute Bereicherung . Ihre po-sitive Rolle darf nicht unterschätzt werden . Auch wir, dieLinksfraktion, wollen das überhaupt nicht schlechtreden;ganz im Gegenteil .
Andererseits dürfen wir bei der Einordnung der Rollevon Unternehmungsgründungen für die Beschäftigungnicht nur auf die bloße Anzahl der Gründungen schau-en . Schauen wir auf die Zahlen dahinter, stellen wir fest,dass der größte Teil der Selbstständigen überhaupt keineArbeitnehmer, keine Angestellten hat . Damit sind es imbesten Falle Freiberufler, im ungünstigsten Falle Schein-selbstständige, die in der Statistik auftauchen .Wie eingangs gesagt, wehrt sich die Linke nicht dage-gen, dass die Bedingungen für Gründerinnen und Grün-der verbessert werden . Deswegen begrüßen wir aucheinen Teil der Maßnahmen, sogar einen großen Teil derMaßnahmen, den die Grünen in ihrem Antrag vorschla-gen .
Dazu gehören unter anderem die bessere soziale Absi-cherung für Selbstständige und der Abbau von bürokra-tischen Hürden . Einen Teil ihrer Forderungen, wie zumBeispiel die Forderung nach einem Venture-Capital-Ge-setz, lehnen wir ab . Und wir fordern weitere Maßnahmenzur Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit .
Im Übrigen finden wir, der richtig große Wurf für einbesseres Gründungsklima in Deutschland wäre die Über-Vizepräsidentin Michaela Noll
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 239 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 21 . Juni 2017 24447
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windung der unsäglichen Hartz-IV-Gesetze und die Ein-führung einer ordentlichen Mindestrente;
denn – ich begründe Ihnen das – wer keine Angst habenmuss, bei einem möglichen Scheitern sofort ins absoluteNichts zu fallen, der wagt vielleicht schneller den Schrittin die Selbstständigkeit .Ein herzliches Glückauf! Vielen Dank für Ihre Auf-merksamkeit .
Vielen Dank, Herr Kollege . – Das Wort hat nun Herr
Matthias Ilgen für die SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wenn man der Opposition
im Hause zuhört, dann ist es spannend . Wenn man den
Linken zuhört, dann denkt man: Jeder, der sich in diesem
Lande selbstständig macht, ist deshalb ein Getriebener,
weil die Chancen auf dem Arbeitsmarkt so katastrophal
sind, dass nichts anderes als die Selbstständigkeit bleibt .
Wenn ich Frau Kollegin Andreae zuhöre, dann gewinnt
man den Eindruck, dass man zwar nicht gezwungen ist,
diesen Schritt zu machen, aber für diejenigen, die ihn ge-
hen wollen, es quasi nichts an Unterstützung gäbe, um
diesen Schritt zu gehen . Beides ist, wie ich glaube, eine
verzerrte Darstellung der Realität .
Frau Kollegin Andreae, bei Ihrem Antrag kommt mir
das Bild von zwei fahrenden Zügen in den Sinn: Der eine
Zug, der fährt, stellt die Realität in Deutschland dar, und
der andere ist der grüne Zug, der mit ein bisschen Time
Delay hinterherfährt . Sie haben nämlich, wenn Sie das
jetzt so in einem Antrag auf den letzten Metern zusam-
menschreiben, in dieser Wahlperiode nicht aufgepasst,
was die Koalition in diesem Bereich alles gemacht hat .
Und das ist eine Menge . Ich will auf einige Punkte einge-
hen, die auch Sie aufzählen .
Rechtliche Rahmenbedingungen für Investoren in
Form eines Venture-Capital-Gesetzes verbessern – die
Forderung klingt gut . Wir haben in dieser Wahlperiode
kein spezielles Venture-Capital-Gesetz gemacht, aber
wir haben – das habe ich heute einmal gezählt – 26 Ver-
besserungen, die wir in einem Strategiepapier bezüglich
Venture Capital festgehalten hatten, in gesetzlichen Ein-
zelmaßnahmen verabschiedet . Unter anderem – ich will
nur das nennen – haben wir zuletzt den sogenannten § 8d
Körperschaftsteuergesetz verabschiedet . Wir hatten eine
lange Debatte über die Frage: Wie schaffen wir es, dass
auch kleine und mittlere Unternehmen bei Beteiligungs-
formen bessergestellt werden, wenn ein Rauskauf oder
Unternehmerwechsel ansteht?
Forschungsbonus für KMU in Form einer Steuerermä-
ßigung . Die Frage der steuerlichen Forschungsförderung
wollen wir gerne mit Ihnen diskutieren .
Wir glauben aber, dass man steuerliche Forschungs-
förderung, wenn man sie denn macht, zielgenau und
punktgenau machen muss . Die breite Nummer „Wir ma-
chen es für alle“ wäre auch von Mitnahmeeffekten ge-
prägt . Deswegen muss das mit Blick darauf, wie das ziel-
genau klappen könnte, auf eine kommende Wahlperiode
verschoben werden .
Herr Kollege Ilgen, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Ja, gerne .
Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfra-
ge zulassen . – Sie haben vorhin gesagt, der grüne Zug
fährt hinterher . Wir haben hier einen Gesetzesantrag
zur Forschungsförderung vorgelegt, den Sie abgelehnt
haben . Alle Experten – ich war allein heute auf zwei
Veranstaltungen, beim Bundesverband Deutscher Kapi-
talbeteiligungsgesellschaften, BVK, und bei der Gesell-
schaft zum Studium strukturpolitischer Fragen – fordern
vehement die steuerliche Forschungsförderung . Würden
Sie in diesem Zusammenhang Ihren Vorwurf aufrechter-
halten, dass die Grünen hinterherfahren, oder könnte es
in diesem Falle sein, dass die Sozialdemokraten und vor
allem auch die Union hinterherfahren?
Ich habe gesagt: bezogen auf Ihren Antrag . In diesemPunkt will ich Ihnen gerne einräumen, dass Sie vorange-hen und sozusagen den ersten Vorschlag machen .Noch einmal: Ich glaube, man muss es zielgenauermachen, als Ihr Antrag es vorsieht . Denn mit der Gieß-kanne zu fördern, halten wir nicht für vernünftig . Wirwerden uns das in der nächsten Wahlperiode ansehen,und dann freuen wir uns, wenn wir gemeinsam über Ge-setze reden können .
Ein weiteres Beispiel: in den ersten zwei Jahren dieUnternehmen von unnötigen Melde- und Informations-pflichten befreien. Wir haben die Unternehmen überdie Jahre hinweg von all diesen Pflichten befreit. Mankommt aber nicht darum herum, die Angestellten der So-zialversicherung zu melden und auch als Selbstständigerspätestens nach zwei Jahren eine vernünftige Steuerer-klärung abzugeben. Das sind die realen Meldepflichten,die es für Start-ups gibt .Thomas Lutze
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Natürlich ergeben sich aus dem, was ein Unternehmenan Umsatz, Gewinn oder Verlust macht, immer Situatio-nen, die mehr Meldepflichten nach sich ziehen. Das hataber damit zu tun, dass man Umsatz und andere Grenzenüberschreitet. Das ist aber etwas, was, wie ich finde, po-sitiv ist . So viel Bürokratie, wie auf den normalen Bürgerzukommt, wenn er eine Steuererklärung machen muss,müssen wir auch einem neugegründeten Unternehmenzumuten .Sie schlagen in Ihrem Antrag vor, die gesetzlich ver-sicherten Selbstständigen mit geringen Einkommen beider Kranken- und Pflegeversicherung zu entlasten. Auchdas haben wir gemacht . Wir haben den Mindestbeitragabgesenkt . Wir Sozialdemokraten – ich sage das offen –hätten uns gewünscht, dass es eine exakt einkommens-abhängige Anpassung gibt, weil das dem Modell derArbeitnehmer in der gesetzlichen Krankenversicherungentspräche . Da besteht in einer nächsten Wahlperiode si-cherlich Nachholbedarf . Aber zu sagen, wir hätten nichtsgemacht, ist falsch .Insbesondere begrüßen wir die Forderung, nicht an-derweitig abgesicherte Selbstständige in die gesetzlicheRentenversicherung einzubeziehen . Auch das ist einerder Big Points unseres Wahlprogramms, das wir amkommenden Sonntag beschließen werden .
Jetzt komme ich zu dem Argument, das vorhin vonder Linken vorgetragen wurde, also zu der Fragestel-lung, ob sich jemand zwangsweise selbstständig macht .Das glaube ich weniger, und das zeigen auch die Zahlennicht. Aber was wir haben, ist ein häufigerer Wechsel,ein stärkeres Gleiten zwischen verschiedenen Berufs-und Lebensperspektiven, zwischen der abhängigen Be-schäftigung und der Selbstständigkeit . Gerade in derKreativwirtschaft – Sie haben sie hier zu Recht heraus-gestrichen – ist das zunehmend der Fall . Dies hat einfachdamit zu tun: Es gibt Phasen, da ist man selbstständigoder macht eine Projektarbeit, und es gibt Phasen, dawechselt man in ein Unternehmen und ist Angestellter .Da für eine Einheitlichkeit bei der Rentenabsicherung zusorgen, halten wir für sehr sinnvoll . Das ist ein Punkt inIhrem Antrag, der insgesamt zu loben ist .Darüber hinaus haben wir am Anfang dieser Wahlpe-riode – Kollege Metzler hat es angesprochen; dazu habeich auch meine erste Rede im Bundestag gehalten – überdie KfW und die Fragestellung geredet, was wir mit demERP-Sondervermögen im Bereich Start-ups machen . ImJahr 2018 – das ist jetzt vorgesehen – gründen wir eineeigenständige Beteiligungsgesellschaft des Bundes, diefür die KfW ein ausgeweitetes Beteiligungsgeschäft be-treiben soll . Das ist ein riesiger Schritt nach vorn .
Der Staat tritt als Koinvestor auf . Ich bin aber immer da-für, dass auch Private etwas tun; denn wir wissen: EinStaat kann alleine am Ende bei einem Investment nichtdie Summen erzielen, die wir in dieser Branche brau-chen, insbesondere in Wachstumsphasen . – Wir sehen:Die Länder, die in diesem Bereich eine kluge Mischungaus staatlicher Angebotspolitik und dem Stärken der pri-vaten Formen, die vernünftig und im Rahmen sind, vor-nehmen, sind erfolgreich . Das wollen wir in der nächstenWahlperiode weiter umsetzen .Wir haben in dieser Wahlperiode aber auch in vielenBereichen – ich will das noch einmal sagen – gemein-sam mit der Union Dinge machen können, die vernünftigwaren . In denke an die Diskussion um Streubesitz undVeräußerungsgewinne: Da haben wir eine tragfähigeKompromisslösung gefunden wie auch bei der Frage –ich hatte es schon gesagt – von Verlustübertragungen beiAnteilseignerwechsel .Insofern kann ich insgesamt sagen: Die Gründerszenein Deutschland ist gut aufgestellt .
– Ja, Frau Kollegin Andreae, das ist das Klagelied desKaufmanns . Ich bin ja selber einer und weiß, dass manimmer etwas für die Zukunft tun muss, damit es nochbesser wird und es weiterhin Chancen gibt . – Ich kannuns allen nur empfehlen, die Debatte etwas niedriger zuhängen, als Sie es in Ihrem Antrag tun .
Wir haben Schritte gemacht, und wir müssen jetzt sehrgenau schauen – das wird man nicht in den letzten zweiSitzungswochen einer Wahlperiode mit einem solchenAntrag machen können –, was wir in den kommendenvier Jahren zu tun haben . Ich glaube, es gibt noch eineMenge zu tun .
Ich hielt die Ich-AG-Förderung, die wir damals ge-macht haben, für eine gute Sache . Wir sollten überlegen,was man im Bereich der Förderung von Start-ups amAnfang machen kann, also wie man Geld locker machenund in die Start-ups hineingeben kann . Das Problem ist:Auch bei diesem Programm stellte sich die Frage, wiezielgenau es am Ende ist – über zwei Drittel der Unter-nehmen waren nämlich in den ersten zwei Jahren wiedervom Markt gegangen –, also ob es vernünftig ist, sozusa-gen jedem das Geld zu geben, oder ob wir, wenn wir sol-che Programme machen, stärker darauf schauen müssen,wer das Geld bekommt; und das ist die Schwierigkeit .Sie haben vorgeschlagen, wenn der Businessplan einmalangeguckt sei, solle man einen Haken dahinter machen,dann könnte das Geld fließen.
Das halten wir für falsch .
Wir müssen schon auch bei Gründungen in diesem Landehinschauen . Man kann die Menschen nicht in ihr Elendtreiben, indem man sie nicht gut vorbereitet den Schrittin die Selbstständigkeit gehen lässt . Es ist ein gewisserMatthias Ilgen
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Schritt im Leben, und deshalb sind wir dafür, dass mansolche Programme viel zielgenauer gestaltet, als es in derVergangenheit der Fall war . Deswegen wird es mit einemWiederauflebenlassen der alten Programme allein nichtfunktionieren .Wir haben in der nächsten Wahlperiode genug Zeit,das miteinander zu bereden . Ihren Antrag werden wirheute ablehnen .
Der Kollege Dr . Philipp Murmann hat für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich verstehe den Antrag ein bisschen als einen Freund-schaftsantrag der Grünen, die jetzt in der letzten Wahl-periode das Thema Gründer hervorheben . Das ist grund-sätzlich unterstützenswert; da sind viele gute Punkte drin .
– Nein . Im letzten Jahr ist es aufgekommen, dass Sie sichdem Unternehmertum und den Gründern zuwenden . Dasfinde ich im Grundsatz auch gut.
Es sind auch einige Punkte aus Anträgen aufgetaucht,die Heinz Riesenhuber und ich vor 2010 formuliert ha-ben . Dass wir vieles davon umgesetzt haben, wurdeschon gesagt . Ich würde hier jetzt gerne auf zwei Punkteeingehen .Erstens . Gründer sind Unternehmer . Deswegen gehtes auch darum, zu überlegen: Welche Rahmenbedingun-gen schaffen wir für Unternehmen in unserem Land, bzw .welche haben wir? Bei Gründungen ist Wagniskapital einThema . Sie werfen uns vor, dass das entsprechende Ge-setz dazu fehlt . Kollege Ilgen hat eben sehr gut beschrie-ben, dass wir sehr viele Einzelmaßnahmen auf den Weggebracht haben, die gut wirken und auch in der Szenesehr positiv aufgenommen werden .Man muss auch sagen: Unternehmensgründung istunheimlich viel Arbeit. In den Unternehmen finden SieMenschen, die Tag und Nacht arbeiten . In diesem Zu-sammenhang komme ich auf das Thema Regulierung zusprechen . Überall herrscht Regulierungswut . Aber es istnicht das Arbeitszeitgesetz, das sich Gründer als Erstesdurchlesen; denn sie wollen arbeiten, sie wollen anpa-cken, sie wollen etwas schaffen . Deswegen ist wenigerRegulierung sicherlich richtig .Zu einem positiven Umfeld gehört auch das ThemaInfrastruktur . Mit Blick auf die Grünen sage ich: WasStraßen und Ähnliches angeht, wird nicht immer das vor-gehalten, was gebraucht wird .Sie diskutieren auch immer wieder über die Einfüh-rung einer Vermögensteuer . Substanzbesteuerung ist fürjeden Unternehmer, egal ob Gründer oder Dauerunter-nehmer, eine ganz kritische Sache, gerade in der Start-phase .
– Die Grundsteuer ist auch ein Problem,
wobei sie für die meisten Unternehmen in der Grün-dungsphase nicht das größte Problem ist .Zweiter Punkt . Es gibt ein wunderbares Zitat vonWinston Churchill zum Unternehmer – jeder sollte sichüberlegen, wie er dazu steht –:Manche halten den Unternehmer für einen räudigenWolf, den man totschlagen müsse . Andere sehen inihm eine Kuh, die man ununterbrochen melken kön-ne . Nur wenige erkennen in ihm das Pferd, das denKarren zieht .
Wenn ich mir die Reden aus der Wahlperiode anschaue,muss ich schon feststellen: Der Wolf kam ab und zu vor –in manchen Reden eher so aus dem linken Bereich; heutewar das deutlich besser –, die Kuh ist aber das Element,das deutlich bevorzugt wird, leider auch von den Grünenin vielen Bereichen .
Wir sollten jedoch das Bild des Pferdes herausstellen undalles dafür tun, dass die Unternehmen vorankommen .Ein positives Bild vom Unternehmertum ist ein politi-sches Signal, das von diesem Hause ausgesendet werdensoll . Daran sollten Sie alle mitarbeiten;
denn Unternehmer, egal ob sie gründen oder ein Unter-nehmen fortführen – ich habe ein Unternehmen, das meinGroßvater und mein Vater geführt haben –, sind jedenTag damit beschäftigt, Investitionen zu tätigen, Mitar-beiter einzustellen oder Innovationen voranzutreiben .Innovationen bedeuten auch, wie Schumpeter gesagthat, schöpferische Zerstörung . Das heißt, ich muss inder Lage sein, mein Unternehmen immer wieder umzu-bauen, immer wieder neue Dinge anzugehen . Auch dazubraucht es die richtigen Rahmenbedingungen .
Ein wichtiger Begriff ist Freiheit . Der Unternehmer-beruf ist ein Freiheitsberuf . Perikles hat gesagt: DasMatthias Ilgen
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Geheimnis der Freiheit ist der Mut . – Wer Unternehmerwerden will und auch, wer Gründer werden will, brauchtunheimlich viel Mut, nicht nur in diesen Zeiten, vielmehrgalt das schon immer . Weil das meine letzte Rede in die-sem Hohen Hause ist, möchte ich darum bitten, den Mutder Unternehmer zu respektieren, der jeden Tag gelebtwird . Kollege Gambke und ich sind, glaube ich, zweider wenigen in diesem Haus, die täglich selber erleben,was das für ein Kampf ist . Deswegen ist mein Petitum:Halten Sie das Unternehmertum in diesem Land hoch .Versuchen Sie dort, wo Barrieren sind, diese einzureißen,und helfen Sie den Unternehmern in unserem Land jedenTag, ihr Unternehmen voranzubringen und neue Grün-dungen zu ermöglichen; das ist ganz klar .Abschließend möchte ich allen Danke sagen, die michin all den Jahren unterstützt haben, allen voran meinerFamilie . Das gilt für viele, die hier in diesem Hause sit-zen und Politik machen: Wir alle könnten das nicht tun,wenn wir zu Hause nicht eine Familie hätten, die uns denRücken freihält . Das gilt auch für die Mitarbeiter in mei-nem Unternehmen: Wenn ich die nicht hätte, hätte ichhier nicht acht Jahre Politik machen können . Auch denMenschen in unseren Wahlkreisen, die uns immer wiederherausfordern und uns mit Themen nach Berlin schickenund sagen: „Jetzt müsst ihr das lösen“, gilt mein Dank .Mein besonderer Dank gilt Ihnen allen, wie Sie hier sit-zen, meinen Kollegen aus der Fraktion, aber auch ausden Ausschüssen . Mit vielen von Ihnen war ich zusam-men auf Reisen; da lernt man sich intensiv kennen . MeinDank ist verbunden mit großem Respekt – das muss ichsagen – vor allen, die sich diesem politischen Amt ver-schreiben, die bereit sind, zu kandidieren und sich demBürger zu stellen .Meine Bitte an die Jugendlichen, auch an die, die aufder Tribüne sitzen, lautet: Wenn ihr Freiheit wollt, dannüberlegt euch, vielleicht Unternehmer zu werden, einUnternehmen zu gründen und eine gute Idee umzusetzen .Wenn ihr in der Gesellschaft etwas bewegen wollt, dannüberlegt euch auch, euch politisch zu engagieren . In einerPartei – so sieht unser Grundgesetz das vor – hat man be-sonders viele Möglichkeiten dazu . Und wenn es ganz tollkommt, dann habt ihr vielleicht sogar die Möglichkeit,als Unternehmer im Parlament zu dienen . Ich hatte diesesPrivileg, wofür ich sehr dankbar bin .Alles Gute!
Herzlichen Dank und auch Ihnen alles Gute! – Ichschließe die Aussprache .Wir kommen zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12369 mit dem Titel „Füreine neue Gründungskultur in Deutschland“ . Die Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Abstimmung inder Sache . Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPDwünschen Überweisung, und zwar federführend an denAusschuss für Wirtschaft und Energie und mitberatendan den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, anden Finanzausschuss, an den Ausschuss für Arbeit undSoziales, an den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauenund Jugend sowie an den Ausschuss für Bildung, For-schung und Technikfolgenabschätzung .Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über denAntrag auf Ausschussüberweisung ab . Ich frage des-halb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist die Über-weisung so beschlossen . Damit stimmen wir heute überden Antrag auf Drucksache 18/12369 nicht in der Sacheab .Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungBericht über das deutsche Engagement beimEinsatz von Polizistinnen und Polizisten in in-ternationalen Polizeimissionen 2016Drucksache 18/12445Überweisungsvorschlag: Innenausschuss
Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Bundes-minister des Innern, Dr . Thomas de Maizière .Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wenn sich deutsche Polizistinnen und Polizisten in in-ternationalen Missionen und zur Stabilisierung in Kri-senregionen einsetzen, erfährt das bisher nicht die ange-messene Beachtung und Wertschätzung . Das wollen wirändern . Deshalb habe ich mich für diesen Bericht überdas deutsche Engagement in internationalen Polizei-missionen starkgemacht . Deswegen freue ich mich überdiese Debatte . Auch Kollege Uhl hat lange an diesemThema gearbeitet . Wir diskutieren hier über die erste Un-terrichtung dieser Art . Damit ist das eine Premiere .Als Bundesinnenminister bin ich für die Entsendungder deutschen Polizeibeamtinnen und -beamten zustän-dig . Ich trage damit auch die Verantwortung für einenprofessionellen Rahmen der Einsätze und für die sichereRückkehr der Polizeibeamtinnen und -beamten . Daherfreut es mich, dass internationale Polizeimissionen nundurch den Bundestag besonders gewürdigt werden undwir künftig jährlich einmal darüber debattieren werden .Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen undKollegen, unsere Polizisten im Ausland leisten in ihrenMissionen eine großartige Arbeit,
und das unter Inkaufnahme von manchmal erheblichen,auch persönlichen Gefährdungen in Krisenregionen, oftDr. Philipp Murmann
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unter extremen Bedingungen, zumindest extremer kli-matischer Bedingungen, bei langer Trennung von ihrenFamilien und Freunden . Unsere Polizistinnen und Poli-zisten genießen im Ausland große Anerkennung für ihreProfessionalität, auch für ihr Fingerspitzengefühl imUmgang mit den lokalen und internationalen Ansprech-partnern . Deshalb danke ich ihnen im Namen der ganzenBundesregierung für diese Arbeit .
Nun ist das Engagement zu würdigen das eine . Nochwichtiger ist es, sicherzustellen, dass wir in Zukunft inder Lage sind, mit einer hohen Anzahl gut qualifizierterPolizistinnen und Polizisten unseren internationalen Ver-pflichtungen nachzukommen. Gerade heute haben wirbeschlossen, unser Engagement in der Ukraine auszu-weiten .Warum sind wir in Auslandsmissionen unterwegs?Solche Missionen tragen dazu bei, fragile Staaten undKrisenregionen vor Ort zu stabilisieren . Nur gut organi-sierte lokale Sicherheitsbehörden mit ebenso gut ausge-bildeten Mitarbeitern können Gefahren vor Ort wirksambekämpfen und damit die Ausbreitung von Krisen undden Export von Terrorismus eindämmen . Dabei unter-stützen unsere Polizistinnen und Polizisten mit strategi-scher Beratung, mit Ausbildung, mit Training . Sie tragenan entscheidender Stelle zu einem sicheren Umfeld beiund fördern so auch die Bereitschaft der Menschen, ihreHeimat nicht zu verlassen oder dorthin zurückzukehren .Unsere Polizeimissionen dienen damit auch der nachhal-tigen Bekämpfung von Fluchtursachen, indem sie Part-nerstaaten entlang der Migrationsrouten beim Auf- undAusbau ihrer institutionellen und administrativen Fähig-keiten unterstützen .Nur wenn sich die Sicherheitslage in den Krisenre-gionen, etwa in Zentralafrika oder am Horn von Afrika,nachhaltig verbessert, versiegt auch die Quelle des men-schenverachtenden Geschäfts der Schleuser . Und nurwenn Frontex mit der Beteiligung deutscher Polizistin-nen und Polizisten gute Arbeit leistet, werden die Außen-grenzen der Europäischen Union wirksamer geschütztals bisher .Der Bedarf, Polizisten in Krisenregionen zu entsen-den, wird weiter steigen; denn Krisenherde breiten sichzunehmend aus, auch mit gefährlichen Auswirkungenauf Europa . Die Notwendigkeit, unser Engagement inKrisenregionen zu steigern, fällt mit erhöhten Anforde-rungen an unsere Polizisten im Inland zusammen . Dassind auch, aber eben nicht nur die Migrationslage, dieBedrohung durch den internationalen Terrorismus, Groß-einsätze wie etwa der bevorstehende G-20-Gipfel, jedesWochenende die Einsätze rund um den Fußball, aberauch das polizeiliche Alltagsgeschäft wie Wohnungs-einbrüche, Gewaltdelikte, Cyberkriminalität überall imBund und in den Ländern .Polizeiliche Einsätze im Ausland dürfen nicht in Kon-kurrenz zu den Einsätzen im Inland stehen, sondern siemüssen sich ergänzen . Jedes Handeln in Auslandsmis-sionen ist zugleich ein Beitrag zur inneren SicherheitDeutschlands . Der Vorsitzende der Bund-Länder-Ar-beitsgruppe „Internationale Polizeimissionen“, der ehe-malige Inspekteur der Polizei Nordrhein-Westfalens,Dieter Wehe, den ich heute zusammen mit Polizistinnenund Polizisten aus Bund und Ländern begrüße – sie sit-zen auf den Tribünen –,
hat das treffend so formuliert – ich zitiere –:Für Frieden und Sicherheit bei uns müssen wir auchdort helfen, wo Unfrieden und Unsicherheit herr-schen .Das ist das, worum es geht .Um ihre anspruchsvoller werdenden Aufgaben imIn- und Ausland zu erfüllen, werden die Bundespoli-zisten und das Bundeskriminalamt sowie die anderenSicherheitsbehörden in den kommenden Jahren – wieSie wissen, bis 2020 – um rund 10 000 zusätzliche Mit-arbeiterinnen und Mitarbeiter verstärkt . Dieser deutli-che Personalaufwuchs der Polizeien des Bundes ist einwichtiger Schritt auch zur Absicherung von Auslands-missionen; denn natürlich fehlt jede Polizistin, fehlt jederPolizist, der auf Auslandsmissionen ist, in der eigenenDienststelle . Die Kolleginnen und Kollegen zu Hausemüssen die Arbeit miterledigen, obwohl sie selbst starkbeansprucht sind . Dies gilt erst recht, wenn wir, was ichvermute, unser Auslandsengagement noch steigern wol-len und steigern werden . Hier werden wir weiter an Lö-sungen arbeiten, wie wir den Dienst im In- und Auslandbeim Bund, aber auch in den Ländern besser miteinandervereinbaren können .Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bericht, den ichhiermit vorstelle und den wir heute debattieren, beginntsein Fazit mit den Worten:Beteiligung an internationalen Polizeimissionen istein wichtiger Baustein im deutschen Engagementfür den Frieden . Ohne den erheblichen individuellenEinsatz unserer Polizistinnen und Polizisten wäreder große Erfolg deutscher Polizeiarbeit in interna-tionalen Polizeimissionen nicht vorstellbar .Deswegen: Unsere Polizistinnen und Polizisten leis-ten in ihren Auslandseinsätzen sehr gute Arbeit in unse-rem Interesse . Sie stärken das Ansehen Deutschlands inder Welt, und das kann und wird auch so bleiben .
Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion
Die Linke .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Mi-nister, ich finde es ja gut, dass wir diesen Bericht end-lich haben . Aber ich muss schon sagen, dass dieser Be-richt sehr, sehr viele Punkte ausspart, insbesondere wasSchwachstellen und Misserfolge angeht . Er verbreitetim Grunde genommen so etwas wie einen Zweckopti-mismus: Alles ist gut, alles ist schön . – Das kritisiere ichBundesminister Dr. Thomas de Maizière
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hier an erster Stelle, weil ich der Meinung bin, dass manin so einem Bericht auch Informationen darüber erhaltenmuss: Was genau ist eigentlich die Mission, und welcheZielrichtung hat sie?Ich will gar nicht bezweifeln, dass die eingesetztenPolizeibeamten wichtige Arbeit leisten, fachkundig undengagiert sind; das ist überhaupt nicht der Punkt . Den-noch stelle ich die Frage: Was genau tun diese Polizistenin welchem Kontext, und was findet bei diesen Einsät-zen statt? Und da haben wir vor allen Dingen drei Kri-tikpunkte:Der erste ist, dass inzwischen etliche Polizeieinsätzenichts anderes sind als eine Ergänzung von militärischenEinsätzen. Polizeimissionen finden dort statt, wo Bürger-kriege herrschen oder westliche Militärinterventionenlaufen, zum Beispiel im Kosovo, in Afghanistan, in Maliund bis vor kurzem auch in Libyen .Zweitens profitieren auch brutale Diktaturen von Poli-zeieinsätzen, zum Beispiel Saudi-Arabien .Drittens sind Polizeieinsätze, wie auch Sie eben er-wähnt haben, Teil des Abschottungsregimes – ich wüssteübrigens nicht, wo Polizisten Fluchtursachen mit be-kämpfen; das können Sie später vielleicht noch einmalerklären –, gerade im Zusammenhang mit Frontex .Ich sage hier noch einmal ganz klar: Der Auftrag vonFrontex lautet, die europäischen Grenzen dichtzumachenund Flüchtlingen sichere Fluchtwege in die EuropäischeUnion zu verwehren . In Griechenland zum Beispiel ha-ben Sie Beamte eingesetzt, die die Ägäis direkt mit über-wachen . Dafür stellt die Bundespolizei auch Boote undFahrzeuge zur Verfügung . Das heißt, die deutsche Polizeihilft dort direkt bei der Umsetzung des schäbigen Dealsder EU mit dem türkischen Despoten Erdogan. Das findeich auch angesichts der Tatsache, wie er mit Flüchtlin-gen umgeht, ungeheuerlich . Es darf also nicht sein, dassdiese Beamten Erfüllungsgehilfen einer zynischen undskrupellosen Politik sind, die Flüchtlingen den Weg ab-schneidet und damit das Massensterben im Mittelmeerde facto mit verantworten muss . Deswegen sagen wir:Solche Einsätze von Bundespolizisten oder Landespoli-zisten sollten eingestellt werden .
Insgesamt wird eines ganz deutlich: Polizeieinsätzeim Ausland sind inzwischen zu einem Instrument derdeutschen Außenpolitik geworden, das immer mehr anBedeutung gewinnt. So flankieren und ergänzen sie ofteine verheerende neoliberale Wirtschaftspolitik und einePolitik der Waffenexporte, die die Gesellschaften desglobalen Südens ausbeuten, destabilisieren und in Bür-gerkriege stürzen . Ich will auf einige Punkte näher ein-gehen .Im Bericht heißt es dazu zum Beispiel – ich zitiere –:Deutsche Polizistinnen und Polizisten leisten in fra-gilen Staaten und Krisenregionen einen Beitrag zumAufbau einer funktionsfähigen und nach rechtsstaat-lichen Grundsätzen handelnden Polizei .In Afghanistan ist die deutsche Polizei seit 15 Jahren tä-tig, in Saudi-Arabien seit 8 Jahren . Ich sage Ihnen: Esgibt dort keine Spur von Rechtsstaatlichkeit, die durchdiese Arbeit erreicht worden ist . Man kann fast sagen:Ganz im Gegenteil, diese Länder sind nach wie vordestabilisiert, und diese Einsätze sind vor allen Dingennach den geostrategischen und politischen Interessen derEU und der NATO ausgerichtet .Was Afghanistan angeht, ist doch ganz klar: Die af-ghanische Polizei ist eine Bürgerkriegspartei . Sie kämpftgegen Taliban .
– Natürlich kämpft sie gegen Taliban, nicht „AchGott!“ . – Menschenrechtsorganisationen berichten imÜbrigen seit Jahren, dass auch und gerade von der afgha-nischen Polizei schwere Menschenrechtsverletzungenbegangen werden . Misshandlungen, Zwangsrekrutierun-gen von Kindern, Überlaufen zu den Taliban – Sie kön-nen in vielen Berichten darüber nachlesen .Die afghanische Polizei ist Teil eines korrupten undverbrecherischen Regimes . Daran haben 15 Jahre Aus-bildung durch deutsche Polizisten nichts, aber auch garnichts geändert . Ansonsten müssten Sie mir einmal er-klären, warum immer wieder Soldaten dorthingeschicktwerden . Deswegen denken wir, dass unsere Polizeibeam-ten in Afghanistan nichts zu suchen haben .Auch Saudi-Arabien ist so ein Beispiel . Die Bun-despolizei ist dort in einem Einsatz, der im Grunde ge-nommen direkt mit der Rüstungswaffenschmiede EADSverbunden ist . Der Innenausschuss war dort und konntesich davon überzeugen . Dort wird eine Grenzschutzanla-ge aufgebaut, und deutsche Polizisten bilden saudischeGrenzschützer aus .Auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion musstedie Bundesregierung zugeben, dass zu dieser Ausbil-dung – ich zitiere – die sichere Handhabung des Sturm-gewehrs G3 gehört . Es ist also kein Wunder, dass wir indem Bericht zum Beispiel überhaupt nichts zu diesemEinsatz in Saudi-Arabien finden. Ich halte es aber fürausgesprochen wichtig, dass man auch solche Dinge ana-lysiert . Dieser Bericht ist eben sehr unkritisch .Ein weiteres Beispiel – ich weiß, dass die Mission in-zwischen abgebrochen wurde – ist Libyen . Wie konnteman überhaupt auf die Idee kommen, eine Polizeimis-sion nach Libyen zu schicken? Wir wissen, dass dasGaddafi-Regime vor sechs Jahren durch NATO-Länderweggebombt worden ist . Dem weinen wir zwar keineTräne nach, aber dennoch muss man klar sagen: Seitherherrschen noch mehr Despoten in diesem Land . Al-Qaidaund der sogenannte „Islamische Staat“ sind dort aktiv .Inzwischen ist die Mission, wie gesagt, abgebrochenworden, aber man stellt sich natürlich Fragen . Es werdendoch nur Polizeibeamte dorthingeschickt, um möglichstdie Flüchtlinge in Libyen festzuhalten . Ich erinnere nocheinmal daran: Auch von Diplomaten ist gesagt worden,dass es dort schlimme Flüchtlingslager gibt, die Konzen-trationslagern ähneln . Was dort passiert, muss ich Ihnenhier nicht im Einzelnen beschreiben .Das Problem der völlig kaputten Gesellschaft in Liby-en wird man nicht mit Polizeiarbeit lösen können . AuchUlla Jelpke
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deswegen sind wir der Meinung, dass die Polizeibeamtenhier nichts zu suchen haben .Zum Schluss will ich kurz zusammenfassen: Wirbrauchen wirklich Berichte, die kritisch analysieren –auch selbstkritisch – und nicht nur Schönfärberei be-treiben . Wir sagen: Deutsche Polizisten dürfen nicht zurUnterstützung von Diktaturen eingesetzt werden . Siedürfen nicht als angeblich zivile Komponente in einemKriegseinsatz oder Bürgerkrieg fungieren . Sie dürfenauch nicht zur Abschottung gegen Flüchtlinge eingesetztwerden und schon gar nicht im Rahmen eines Deals mitder Türkei dazu beitragen, die Flüchtlinge daran zu hin-dern, nach Europa zu kommen . Die Polizeiarbeit mussganz klar zivilen Zwecken dienen .Ich möchte auch noch einmal daran erinnern: Es gibtganz klare Richtlinien für die Trennung von Polizeiarbeitund militärischer Arbeit . Deswegen lehnen wir geradediese Einsätze, die ich eben beschrieben habe, definitivab, zivile aber nicht .Ich danke Ihnen .
Die Kollegin Susanne Mittag hat für die SPD-Fraktion
das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter HerrBundesminister! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-legen! Sehr geehrte Damen und Herren! Im Jahr 2016waren über 300 Polizistinnen und Polizisten in 17 unter-schiedlichen Polizeimissionen . Dazu kamen 2016 – dieZahlen sind jetzt schon wieder anders – rund 800 deut-sche Beamte, die bei Frontex im Einsatz waren . Die Er-fordernisse steigen; das sehen wir hier alltäglich . In eini-gen Ländern ist man schon startklar .Heute hat das Bundeskabinett beschlossen, dass zu-künftig bis zu zehn Polizisten für die OSZE-Beobach-termission in die Ukraine entsandt werden . Bisher wares nur einer . Das ist also eine enorme Steigerung, unddas zeigt, dass die Polizeimissionen immer wichtiger undeben auch zahlreicher werden .Im Februar dieses Jahres habe ich zusammen mit derVizepräsidentin des Deutschen Bundestages, meinerKollegin Edelgard Bulmahn, deutsche Polizisten beiihrem Einsatz in Mali besucht . Das waren schon beein-druckende Tage . Bei über 35 Grad – im Sommer ist esdort bis zu 50 Grad heiß – haben wir einen ganz kleinenTeil der Herausforderungen kennengelernt, denen diedeutschen Polizisten in Mali ausgesetzt sind . Ich sage be-wusst: nur einen ganz kleinen Teil; denn wir waren nurvier Tage dort . Was mich an diesem Besuch am meistenbeeindruckt hat, waren der Enthusiasmus und die Ein-satzbereitschaft, mit denen die deutschen Polizisten undPolizistinnen dort gearbeitet haben – unter schwierigstenBedingungen und in einer vollkommen fremden Kultur .Wenn ich in meinem Wahlkreis berichte, dass ich deut-sche Polizisten bei ihrer Mission in Mali besucht habe,dann löst das natürlich immer großes Erstaunen aus . Vie-le wissen zwar, dass die Bundeswehr an Auslandseinsätz-en teilnimmt . Aber Polizisten? „Warum denn das?“, istdann meist die Frage . „Sollten sie nicht besser hier fürSicherheit sorgen?“, ist dann die nächste Frage . Daraufkann ich nur antworten: Das tun sie, auch und gerade beiinternationalen Polizeimissionen .Sehen wir uns das Beispiel Mali einmal genauer an .Dort sind deutsche Polizisten gleich in zwei Missionenfür die Ausbildung und das Training von malischen Si-cherheitskräften eingesetzt: zum einen in der europäi-schen Mission EUCAP Sahel Mali und zum anderen imRahmen der MINUSMA-Mission der Vereinten Nati-onen . Dabei geht es wirklich um ganz elementare Din-ge der Polizeiarbeit, zum Beispiel dass ein Geständnisin einem Verhör kein Sachbeweis ist und dass eine Tatdamit noch lange nicht aufgeklärt ist . Dazu gehören Tat-ortarbeit, Spurensuche und Auswertung . So etwas lehrtman da .Gut ausgebildete Polizisten, die nach rechtsstaatlichenGrundsätzen handeln und sich nicht als instrumentali-sierter Arm der Machthaber verstehen, schaffen Vertrau-en . Deutsche Polizisten und ihre Ausbildung genießen in-ternational einen hervorragenden Ruf . Sie vermitteln ihrVerständnis von einer bürgernahen Polizei, die im Diens-te der Bevölkerung steht, an die lokalen Polizeikräfteweiter . Zusammen mit einer Entwicklungszusammenar-beit verbessern deutsche Polizisten die Situation vor Ortund geben den Menschen die Möglichkeit, in ihrer Hei-mat zu überleben . Das unterstützt auch in Deutschlanddie Sicherheitslage .
Bei dieser riesigen Aufgabe muss allerdings allen klarsein: Das ist ein sehr langer Weg . In einigen Ländernsieht man, wie lange das dauert und dass das nicht immervon Erfolg gekrönt ist . Da ich gerade von Entwicklungs-zusammenarbeit spreche: Diese ist oft nur möglich, weilPolizisten und auch die Bundeswehr in Einsatzländernhelfen, die Situation zu stabilisieren . Ohne deren Präsenzwäre es für die Mitarbeiter der Deutschen Gesellschaftfür Internationale Zusammenarbeit, für die Nichtregie-rungsorganisationen und für andere Organisationen oft-mals zu gefährlich, dort zu arbeiten .Ausgangspunkt dieser Debatte war aber ein Antragvom September vergangenen Jahres, den meine Kolle-gin Edelgard Bulmahn mit sehr viel Leidenschaft undAusdauer zusammen mit anderen Kollegen vorange-trieben hat: „Deutsches Engagement beim Einsatz vonPolizistinnen und Polizisten in internationalen Friedens-missionen stärken und ausbauen“ . Wir haben darin unteranderem beschlossen, dass wir als Deutscher Bundestagjährlich über die internationalen Polizeimissionen unter-richtet werden – das war vorher nicht so – und auch darü-ber debattieren; das machen wir jetzt . Das ist eine Formder Wertschätzung des Parlaments, die hoffentlich in derBevölkerung das Bewusstsein für den wichtigen Einsatzder Beamtinnen und Beamten stärkt . Nun stehen wir hierUlla Jelpke
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und debattieren genau diesen Bericht der Bundesregie-rung .Ein weiterer Punkt dieses Antrages war allerdings dieEinrichtung eines Fachgebietes bei der Deutschen Hoch-schule der Polizei . Da sind wir auf einem guten Weg .Wir haben in den Beratungen für den Haushalt 2017die Mittel für insgesamt sieben Stellen beschlossen . DieAusschreibung für die Leitungsstelle – das soll ein erfah-rener Polizist oder eine erfahrene Polizistin sein – läuft .Ich hoffe auf eine baldige Besetzung der Stellen . Dannkann es dort richtig losgehen .Die wissenschaftliche Begleitung der Polizeimissi-onen ist enorm wichtig; denn so können gewonnenesWissen und Kompetenzen für zukünftige Einsätze nochbesser ausgewertet und noch professioneller weitergege-ben werden . Wir können es uns einfach nicht leisten, diegemachten Erfahrungen nicht zu nutzen, seien es auchnicht so gute Erfahrungen .
Die Einrichtung dieses neuen Fachgebiets bei derDeutschen Hochschule der Polizei ist ein wirklicher Er-folg des Antrags aus dem vergangenen Jahr – das wäresonst nicht passiert – und fördert das Verständnis vonzukünftigen Führungskräften; da ist nämlich noch einbisschen Luft nach oben . Bei anderen Forderungen giltes wohl noch etwas Arbeit zu investieren . Ich möchteein paar Bereiche nennen . Auch da, Herr Minister deMaizière, ist noch Luft nach oben, und auch da ist IhrEinsatz erforderlich .Wir brauchen eine Bund-Länder-Vereinbarung zurVerbesserung der rechtlichen, organisatorischen und fi-nanziellen Voraussetzungen für die internationalen Po-lizeimissionen . Es geht wieder einmal ums Geld . Ichweiß, einige Forderungen wurden auch schon in die neu-en Leitlinien für die gemeinsame Beteiligung des Bun-des und der Länder an internationalen Polizeimissionenaufgenommen, zum Beispiel die Entsendung auf bis zu24 Monate auszudehnen . Das ist schon einmal ein An-fang, aber eben nur ein kleiner . Das reicht noch nicht .Wir Innenpolitiker der SPD können uns zum Beispieleinen sogenannten virtuellen Stellenpool vorstellen . Wasist das? Über diesen Stellenpool sollen durch den BundPersonalreserven für die Bundesländer finanziert wer-den . Denn der in Mali eingesetzte Polizist fehlt derzeitauf seiner Heimatdienststelle . Dafür gibt es bisher keinenErsatz, weder personell noch finanziell. Es fördert nichtgerade die Begeisterung innerhalb dieser Dienststelle,wenn ein Kollege für ein, zwei Jahre nicht vor Ort ist unddie Arbeit auf die restlichen Schultern verteilt wird . Auchder Dienstvorgesetzte ist, ganz vorsichtig ausgedrückt,oft eher zurückhaltend begeistert . Auch im Bereich derBeurteilung wirkt sich das nicht positiv aus . Das zu ver-bessern, wäre ein Beitrag dazu, die Attraktivität solcherEinsätze zu steigern, und zwar bei den eingesetzten wieauch bei den zu Hause gebliebenen Kollegen und Vorge-setzten .Eine weitere Sache liegt mir wirklich am Herzen: Wirwissen alle, dass die Bezahlung der Länderpolizeien inden Händen der Länder liegt und dass es zum Teil er-hebliche Unterschiede bei der Bezahlung zwischen deneinzelnen Dienstherren gibt . Das hat seine Gründe; diemüssen wir jetzt nicht diskutieren .Wenn allerdings Kollegen aus unterschiedlichenBundesländern und von der Bundespolizei in eine in-ternationale Polizeimission gehen, dann müssen die Be-dingungen für alle deutschen Polizisten gleich sein: beiBezahlung, Urlaub, Gesundheitsversorgung und auch ineinem Schadensfall . Die Polizisten vertreten die Bundes-republik Deutschland insgesamt im Ausland .
– Dann sind wir uns ja einig . – Sie sind im Bundesinte-resse im Auslandseinsatz – aufgrund von Vereinbarun-gen, die vom Bund international geschlossen wurden –,und sie halten alle zusammen im Ernstfall sozusagen ih-ren Kopf hin . Das ist auch ein Aspekt im Rahmen derKonnexität . Der Bund hat die Verträge geschlossen .Es darf einfach nicht sein, dass ein Polizist am Endedes Monats mehr Geld erhält als sein Kollege oder seineKollegin in der identischen Besoldungsstufe oder Ein-gruppierung . Das ist eine Frage der Fairness, der Aner-kennung und auch der Fürsorgepflicht. Ja, die Fürsorge-pflicht ist immer noch Aufgabe und Verpflichtung desDienstherrn .Die bestehenden Unterschiede zwischen den Bundes-ländern müssen bei einer internationalen Polizeimissiondurch den Bund zumindest ausgeglichen werden . Dabeiist nicht der kleinste gemeinsame Nenner die Richtschnur,sondern das jeweils höhere Niveau . Wir wollen das Gan-ze ja nicht herunterdotieren .Alle Beamtinnen und Beamten in internationalen Po-lizeimissionen haben sich freiwillig gemeldet, um sichweit weg von zu Hause für die Sicherheit und den Aufbauvon rechtsstaatlichen Strukturen einzusetzen, sei es, wiegesagt, schon in Mali, Afghanistan oder Kosovo, sei esunter dem Mandat der Vereinten Nationen, der Europä-ischen Union oder der OSZE . Daher ist es einerlei, obes Polizisten der Bundespolizei oder der Landespolizeisind .Herr de Maizière hat schon Herrn Wehe, den langjäh-rigen Vorsitzenden der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „In-ternationale Polizeimissionen“ begrüßt, der zusammenmit Kollegen die Beratung zu diesem Tagesordnungs-punkt verfolgt . Das zeigt, wie wichtig das auch für dieKollegen ist . Vielen Dank für Ihr Interesse an der De-batte!Viel mehr möchte ich mich bei Ihnen und all IhrenKolleginnen und Kollegen bedanken, die sich freiwilligzu diesen internationalen Polizeimissionen melden undden Einsatz auch immer wieder fortführen . Ihr Einsatzhilft den Menschen direkt vor Ort in den Einsatzgebieten .Damit bekämpfen Sie Fluchtursachen und verhindern,dass sich noch mehr Menschen auf den lebensgefährli-chen Weg nach Europa begeben . Dass diese Menschennicht elendig in der Sahara verdursten oder im Mittel-meer ertrinken, das macht den Einsatz wertvoll .Susanne Mittag
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In diesen Dank schließe ich auch ganz ausdrücklichIhre Familien mit ein . Denn viele Polizistinnen und Po-lizisten im Auslandseinsatz haben – wie überraschend –auch Familie . Wenn sich ein Elternteil zu solch einerMission meldet, bleibt das andere Elternteil mit allen Ver-pflichtungen und Belastungen, die eine Familie für einenbereithält – sie sind zwar schön, aber es sind eben trotz-dem Belastungen –, für längere Zeit zurück . Es ist eineBelastung für Beziehungen, Freundschaften, Eltern undKinder. Deshalb finde ich es richtig und wichtig, dass dasBundesinnenministerium am 16 . Juni dieses Jahres erst-mals bei einer Feierstunde für die aus dem Ausland zu-rückgekehrten Beamtinnen und Beamten des Bundes undder Länder die Familien in den Mittelpunkt gestellt hat .Der Filmpark Babelsberg war der richtige Ort für eineFeierstunde und hat, denke ich, auch gerade den Kindernder Beamten und Beamtinnen eine tolle Umgebung ge-boten. So sollten die Feierstunden in Zukunft stattfinden.
Sie sollten die entsandten Polizisten ehren und dieLeistung von ihnen und ihren Familien anerkennen . Dennohne die Unterstützung der Familie könnte Deutschlandseinen internationalen Verpflichtungen überhaupt nichtnachkommen . Das ist bei der Bundeswehr so, bei derPolizei und auch bei den Mitarbeitern der Nichtregie-rungsorganisationen, die immer leicht vergessen werden .Wir wissen Ihren Einsatz sehr zu schätzen und wollen ihnweiter unterstützen – mit verbesserten Einsatzbedingun-gen, öffentlicher und dienstlicher Anerkennung, ohne fi-nanzielle oder beurteilungsbedingte Nachteile und durcheine öffentliche Debatte über diesen bislang sehr unter-schätzten Bereich der inneren Sicherheit, so wie heute .Herzlichen Dank .
Die Kollegin Dr . Franziska Brantner hat für die Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Zuallererst möchte auch ich an dieser Stelledie Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten auf der Tri-büne begrüßen und stellvertretend Herrn Wehe hier ganzherzlich im Namen aller willkommen heißen . Sie leistenUnglaubliches, und Sie haben unseren Dank .
Ich möchte an dieser Stelle ganz klar unterscheiden:Es gibt Sicherheitsabkommen, die die Bundesregierungmit Ländern wie Saudi-Arabien, Ägypten und anderenabschließt, und es gibt internationale Polizeimissionen .Heute stehen die internationalen Polizeimissionen aufder Tagesordnung, und deshalb sollten wir auch darüberreden . Es wird den Polizistinnen und Polizisten, die dortoben sitzen, nicht gerecht, wenn wir jetzt die Sicherheits-abkommen kritisieren . Das tun auch wir Grüne gerne;aber ich glaube, heute sollten wir beim Thema bleiben .
Es ist unglaublich wichtig, was in diesen Länderngeleistet wird . Wir haben vorhin die Debatte über Mi-litäreinsätze geführt . Wir wissen alle, dass wir Stabilitätin diesen Ländern auf Dauer nicht alleine – wenn über-haupt – militärisch hinbekommen können, sondern dasswir immer auch eine zivile Sicherheitsarchitektur brau-chen . Das ist extrem notwendig; sonst kommen dieseLänder nicht zum Frieden . Da geht es nun einmal nichtohne Polizei; das würde auch bei uns nicht gehen . Es istextrem notwendig, dass wir unseren Beitrag dazu leisten,diese Polizeistrukturen aufzubauen oder, wenn sie schonexistieren, zu reformieren . Das ist die Aufgabe .
Auch in diesen Ländern möchten Menschen das Ge-fühl haben, dass, wenn sie die Polizei anrufen, jemandkommt und ihnen hilft und nicht jemand kommt undsie festnimmt oder willkürlich ins Gefängnis bringt . Damacht es einen großen Unterschied, ob ein deutscherPolizist in einer Mission ist oder ein Polizist aus einemLand, das keine demokratische Kultur hat. Häufig stelltsich die Frage, wie man mit einer Demonstration fried-lich umgeht . Diese Ausbildung traue ich unseren Polizis-tinnen und Polizisten wesentlich mehr zu als anderen . Ichglaube, da haben wir einen wirklichen Beitrag zu leisten .
Erlauben Sie mir zu sagen, dass ich mich freue, dasswir heute den Bericht vorliegen haben, Herr de Maizière .Es wurde schon gesagt, dass er auch ein Ergebnis un-seres gemeinsamen Antrages ist, den wir hier vorgelegthatten. Aber er ist leider eher eine Auflistung dessen, waspassiert ist, ohne Bewertung und wirkliche Erkenntnisse .Ich setze darauf, dass die sieben Personen, die in Zukunfteingesetzt werden und hoffentlich alle schnell dort seinwerden, den nächsten Bericht durch eine Evaluierung be-reichern und Nachteile und Vorteile aufführen, damit wirgemeinsam weiterkommen . Sonst bleibt der Bericht nureine Zusammenstellung von Zahlen ohne eine inhaltli-che Bewertung . Wir zählen darauf, dass das in Zukunftanders wird und wir bei der Arbeit der Polizistinnen undPolizisten dann inhaltlich wirklich weiterkommen .Wir wissen, wo überall Lücken sind . Auch da möch-te ich an die Ausführungen der Kollegin anknüpfen .Sie haben die ungleiche Bezahlung, die Risikohaftung,Schadensfälle und den Karriereknick erwähnt . Das alleskennen wir . Wir wissen, dass der Unterschied zwischenAnspruch und Realität häufig groß ist.Sie, liebe Regierungsfraktionen, hatten sich im Koali-tionsvertrag vorgenommen, eine Bund-Länder-Vereinba-rung dazu zu erreichen . Jetzt sind wir am Ende der Le-gislaturperiode, und es hat nicht geklappt . Es ist wirklichsehr schade, dass Sie da nicht vorangekommen sind . Wirhatten im Parlament dazu gemeinsam eine gute Vorla-Susanne Mittag
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ge erarbeitet . Daraus ist leider nichts geworden . Das istaber eine Aufgabe, die in der nächsten Legislaturperiodedringend angegangen werden muss . Wir müssen unserEngagement für alle Polizistinnen und Polizisten verbes-sern .
Erlauben Sie mir noch ein Wort, Herr de Maizière .Sie sprechen öffentlich häufig von 245 Personen. Aberda zählen Sie die Frontex-Mitarbeiter mit . Wenn mandiese herausrechnet, dann kommt man auf 142 Personen .Das ist für ein großes und reiches Land wie Deutschlandwirklich eine klägliche Zahl . Und schauen wir uns dieZahlen der Vereinten Nationen an . Über 13 000 Polizis-tinnen und Polizisten sind weltweit im Rahmen der UNunterwegs . Wie viele Deutsche sind unter den 13 000?31 . Das entspricht nicht dem, was wir vorgeben zu tun .Wir wollen im zivilen Bereich mehr machen . Wir wollenmehr Kriege verhindern . 31 deutsche Polizistinnen undPolizisten sind eindeutig zu wenig . Da geht mehr . DerAnspruch muss größer sein . Das müssen wir schaffen .Ich hoffe, dass wir das in der nächsten Legislaturperiodeangehen können . Wir dürfen nicht nur über das Zivile re-den, sondern wir müssen es auch umsetzen . Das könnenwir auch .Ich danke Ihnen .
Das Wort hat der Kollege Dr . Hans-Peter Uhl für die
CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen undKollegen! Zu Recht hat die Europäische Union 2012 denFriedensnobelpreis erhalten . Die EU-Mitgliedstaaten tra-gen wesentlich zu den Friedens- und Stabilisierungspro-zessen in verschiedenen Staaten der Welt bei . Auch derverstorbene Bundeskanzler Helmut Kohl hat immer wie-der die Verantwortung des vereinigten Deutschlands fürdas friedliche Zusammenleben der Völker und die frie-densstiftende Wirkung des europäischen Einigungspro-zesses hervorgehoben. In der Tat verlangt die konfliktge-ladene Realität von heute eine stärkere Zusammenarbeitder Mitgliedstaaten der EU. Kriege, Krisen und Konflik-te, die heutzutage häufig hybrid sind und durch Cyberan-griffe begleitet werden, haben die aktuelle Weltlage kom-plexer und gefährlicher gemacht als zu Zeiten des KaltenKrieges . Nicht nur in Syrien tobt ein Bürgerkrieg . Derganze Nahe Osten ist ein Pulverfass, Stichwort „Katar“ .Die amerikanische Administration wird heute von ei-nem irrlichternden Präsidenten geführt, der von der Eu-ropäischen Union erkennbar nicht viel hält . Unter demrussischen Präsidenten Putin erleben wir die Rückkehrzu einer aggressiven und destabilisierenden Weltmacht-politik Russlands . Die Maghreb-Staaten sind Transitlän-der für afrikanische Armutsmigration und befinden sichselbst in einem labilen Zustand . Schauen Sie auf Liby-en, dann wissen Sie, wovon ich rede . In unmittelbarerNachbarschaft zur Europäischen Union entwickelt sichdie Türkei unter Erdogan weg vom Prinzip eines demo-kratischen Rechtsstaates . Das ist die Realität, in der wirheute leben .Wie können wir auf diese sicherheitspolitischen He-rausforderungen reagieren? Da unterscheiden wir uns,Frau Jelpke . Mit verstärkten zivilen und militärischenMitteln müssen wir Krisenprävention, Krisenbewälti-gung und Konfliktnachsorge ermöglichen, mit beidenMitteln zusammen .
Zugegeben, mit militärischen Interventionen allein wer-den wir Konflikte nicht lösen. Sie werden dadurch teil-weise eher vergrößert . Das haben wir in Afghanistan,in Libyen und im Irak erfahren . Daher ist die derzeitige2-Prozent-Diskussion über den isolierten Anteil von Rüs-tungsausgaben ausgesprochen töricht .
– Ich freue mich, dass ich hier die Zustimmung von denGrünen bekomme . Es hat lange gedauert in meinem po-litischen Leben, bis ich die Zustimmung von dieser Seitebekomme .
Nation-Building, Friedenserhaltung und Konfliktver-hütung, Armutsbekämpfung durch Berufsausbildung,umweltschützende, nachhaltige Entwicklung sind diewichtigsten Ziele eines umfassenden Ansatzes; um diesenmüssen wir uns kümmern . Seit 25 Jahren dienen deutschePolizisten dem Frieden und der Sicherheit im Rahmenverschiedener internationaler Missionen . Zusammen mitzivilgesellschaftlichen Akteuren und humanitären Mis-sionen arbeiten sie friedensstiftend gemeinsam dort, woHilfe gebraucht wird, wo die Demokratisierungsprozesseund die Transformationsprozesse langsam und schmerz-haft und natürlich auch nicht immer erfolgreich verlau-fen; das geben wir gerne zu .
Alle Welt fordert die Bekämpfung von Fluchtursa-chen . Ich möchte deshalb betonen: Die internationalenPolizeimissionen sind ein Schlüssel zur Bekämpfung derFluchtursachen .
Diktatorische Regime, Armut, Minderheitenverfolgung,religiöse Konflikte, Korruption und organisierte Krimi-nalität treiben Millionen von Menschen aus Afrika weg .Sie verlassen ihre Heimat und sind auf der Suche nach ei-nem besseren Leben in Europa . Diese Probleme sind derGrund zur Flucht, und sie können nur vor Ort erfolgreichbekämpft werden .
Dr. Franziska Brantner
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Hilfe zur Selbsthilfe ist also das Gebot der Stunde .Lassen Sie es mich mit dem chinesischen PhilosophenKonfuzius sagen:Gib einem Mann einen Fisch, und du ernährst ihnfür einen Tag. Lehre einen Mann, zu fischen, und duernährst ihn für das ganze Leben .Darum geht es .Das Gewaltmonopol des Staates, ausgeübt durch diePolizei – durch wen sonst? –, verhindert Selbstjustiz,garantiert Sicherheit und Ordnung . Im Rechtsstaat un-terliegt jeder staatliche Zwang dem Verhältnismäßig-keitsprinzip . Dieses praktizierend gewinnt die Polizei dasVertrauen der Bürger, und der Polizist wird zum Freundund Helfer .In vielen Staaten der Welt – das gebe ich zu – findenwir ein völlig anderes Polizeibild. Wir finden Polizisten,die eher Feind als Freund sind . Dort gibt es eine Polizei,die Teil der organisierten Kriminalität ist . Dort wird dieStaatsgewalt zum eigenen Vorteil missbraucht . Das allesgibt es auf der Welt . Unser gesamtes Staatsverständniswird durch die ersten beiden Sätze unseres Grundgeset-zes auf wunderbare Weise postuliert:Die Würde des Menschen ist unantastbar . Sie zuachten und zu schützen ist Verpflichtung aller staat-lichen Gewalt .Besser kann man unser Verständnis vom Gewalt-monopol des Staates, unser Staatsverständnis nicht be-schreiben . Dieses Staatsverständnis ist der ExportartikelDeutschlands . Dieses Staatsverständnis in die ganze Weltzu tragen, ist die Aufgabe der Polizeimissionen . Dafürwollen wir Ihnen ganz herzlich danksagen .
Es ist richtig, dass auch die internationalen Militär-missionen als ein Friedensinstrument hervorgehobenwerden . Ebenso wichtig sind aber auch internationalePolizeimissionen . Wie zwei Seiten einer Medaille sindsie Teil eines komplexen, multidimensionalen Ansatzeszur Sicherung von Frieden und Stabilität in der Welt .Auch der Deutsche Bundestag sollte sich – ich bin fürdie heutige Debatte dankbar – mit diesen Einsätzen vielhäufiger befassen.
Wir befassen uns mit jedem Militäreinsatz . Auch wenn esdabei nur um ein Dutzend Soldaten geht, wird nament-liche Abstimmung gefordert . Aber für diese Polizeiein-sätze, die genauso wichtig sind, haben wir im Parlamentviel zu wenig Zeit .Mit dem Dank an die Polizisten möchte ich meineRede schließen . Es ist meine letzte Rede, die ich im Bun-destag halte . Ich wünsche Ihnen allen, meine lieben Kol-leginnen und Kollegen, Gesundheit . Gehen Sie entspanntin den bevorstehenden Wahlkampf .
Zwar sollten wir Politiker möglichst viele Menschenauf unserem Weg mitnehmen . Andererseits erwartendiese Menschen von uns politische Lösungen und klareStandpunkte, zu denen wir stehen, auch wenn wir wis-sen, dass wir nicht 100 Prozent der Wähler damit hinteruns bringen . Aber es ist schön, dass man – das ist dasBeruhigende an der Demokratie – keine 100-prozentigeZustimmung der Wähler braucht; es reicht die einfacheMehrheit, um eine Regierung bilden zu können . Daswünsche ich insbesondere meiner Fraktion, weniger denanderen Kollegen .
Mir ist es immer wieder, über 40 Jahre lang, gelungen,die Mehrheit der Wähler zu überzeugen . Dafür möchteich zum Schluss meiner Rede meinen Wählern von die-ser Stelle ganz herzlich danken .
Herr Kollege Uhl, gestatten Sie mir an dieser Stelle ein
persönliches Wort . Ich werde das nicht bei allen letzten
Reden, die heute gegebenenfalls noch gehalten werden,
tun . Ich hatte seit 1998 die Gelegenheit – in diesem Fall
natürlich nicht als Präsidentin, sondern als Mitglied des
Innenausschusses –, mit Ihnen in ebendiesem Gremium
zu arbeiten, und insofern wünsche ich Ihnen auch für die
Zukunft alles Gute und darüber hinaus uns allen, egal ob
wir weiter im Bundestag arbeiten oder nicht, einen sol-
chen Umgang, wie wir ihn gepflegt haben. Wir haben uns
in der Sache nie etwas geschenkt; aber es ist immer mit
Respekt vor der Person zugegangen. Ich finde, das ist et-
was, was wir entsprechend vorleben sollten . Herzlichen
Dank für die Zusammenarbeit – ich denke, da spreche
ich auch im Namen der Kolleginnen und Kollegen – und
alles Gute!
Wir fahren fort in der Debatte . Das Wort hat der Kolle-
ge Dr . Lars Castellucci für die SPD-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir sprechen heute über den Einsatz von deutschen Po-lizistinnen und Polizisten in internationalen Missionen .Dabei geht es auch um Frontex, und über Frontex möchteich sprechen .Die Linke fordert, Frontex abzuschaffen .
Ich halte das für eine völlig absurde Idee . – Sie haben andieser Stelle geklatscht, Frau Kollegin . Jetzt kriegt derSprecher meiner Fraktion wieder eine SMS vom Spre-Dr. Hans-Peter Uhl
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cher der CDU/CSU, in der steht, dass die Linke bei mei-ner Rede klatscht .
Das hatte ich jetzt nicht bezweckt .Worum geht es denn bei Frontex? Wir haben in Euro-pa Schlagbäume und Grenzanlagen niedergerissen . Dasist eine solch große Errungenschaft auf einem Kontinent,der Jahrhundert um Jahrhundert in immer neuen Kriegenversunken ist . Wir genießen Freiheit: ob wir jetzt kurzüber die Grenze fahren – bei mir in der Region für einenWochenendausflug –, ob es Unternehmer sind, die justin time produzieren, oder ob es um den nächsten Som-merurlaub geht . Gestern hatte ich zwei Schulklassen zuBesuch . Sie kennen gar nichts anderes als diese Freiheit;sie gehört zu ihrem Lebensstil .Wenn wir in Freiheit ohne Grenzen im Innern lebenwollen, dann müssen wir unsere Grenzen nach außenschützen . Daran führt kein Weg vorbei .
Grenzen schützen, liebe Ulla Jelpke, heißt nicht, Gren-zen schließen oder Grenzen dichtmachen, wie das ebenformuliert wurde .Im Übrigen: Wie kann man denn sagen, dass das Pat-rouillieren von Booten in der Ägäis gegen die Flüchtlin-ge gerichtet wäre? Seit die Boote in der Ägäis patrouil-lieren, ist die Zahl der Toten im östlichen Mittelmeer um90 Prozent zurückgegangen . Das ist doch nicht gegenFlüchtlinge gerichtet, sondern es nützt Flüchtlingen undes schützt Leben. Ich finde, das sollten wir an dieser Stel-le auch so sagen können .
Also: Grenzen schützen, aber nicht schließen .Wir sind ein reicher Kontinent . Wir haben eine huma-nitäre Verantwortung . Wir können ihr gerecht werden .Wir brauchen auch Zuwanderung, und wir wollen für Ta-lente aus aller Welt attraktiv sein, die uns helfen, unserenWohlstand zu sichern und auszubauen . Wenn wir das al-les erhalten wollen – unser humanitäres Engagement undauch den Wohlstand –, dann brauchen wir in den Fragenvon Migration bessere Steuerung und mehr Ordnung .Das ist der Auftrag von Frontex . Deswegen hat Frontexunsere Unterstützung .
Ich will an dieser Stelle auch sagen: Wir müssen unse-re Grenzen schützen, aber es gibt keinen hundertprozen-tigen Grenzschutz . Das sagen ja auch schon die Zahlender Einsatzkräfte, die hier mehrfach vorgetragen wordensind . Zum Beispiel gibt es einen Sofort-Einsatz-Pool von1 500 Beamtinnen und Beamten, die auf die europäi-schen Außengrenzen verteilt werden .Es ist also so wie vielleicht auch vor Ort bei unse-ren Städten und Gemeinden, wo sich Kommunalpoli-tikerinnen und Kommunalpolitiker um sichere Schul-wege bemühen, damit die Sicherheit von Schülerinnenund Schülern auf dem Weg in die Schule gewährleistetist . Trotzdem sagen sie den Schülerinnen und Schülernweiterhin: Passt auf, wenn ihr auf dem Weg zur Schuleseid! – Wir dürfen nicht so tun, als könnte es hundertpro-zentige Sicherheit geben . Aber wir müssen uns für denbestmöglichen Grenzschutz engagieren, den wir errei-chen können . Das ist unser Job .Jetzt sind wir in Europa in einer schwierigen Lage,und auch bei den letzten Konferenzen hat man gemerkt,dass sich die Staaten in einer Selbstblockade befinden.Zu Frontex bekommen wir Listen, die uns im Ausschussvorliegen, und darin steht dann: Von den 1 500 Beamtin-nen und Beamten für diesen Pool, den ich gerade genannthabe, sollen 225 aus Deutschland kommen . Von den700 Beamtinnen und Beamten, die die Ausreise gewähr-leisten, sollen 76 aus Deutschland kommen . In jedem Be-reich, in dem in Europa zusammengearbeitet wird, wirdvon jedem Land gefordert, dass es einen Beitrag leistet .Jetzt spreche ich gegen diese Selbstblockade, indemich Folgendes zu bedenken gebe: In keinem Unterneh-men wird verlangt, dass alle das Gleiche machen; in kei-ner Regierung macht jeder das Gleiche, in keiner Familieist jede oder jeder für das Gleiche zuständig .Deswegen rate ich dazu, dass wir überlegen, ob dieseSelbstblockade der Staaten in Europa nicht überwundenwerden kann, indem nicht mehr alle das Gleiche machen,sondern indem in Zukunft arbeitsteiliger vorgegangenwird . Wenn wir 1 Million Flüchtlinge aufnehmen, dannkönnen doch die Visegradstaaten, die sich da davonsteh-len, im Grenzschutz mehr tun, als sie heute tun . Arbeits-teilung, das ist das Gebot der Stunde für die EuropäischeUnion .
Man kann nicht über Frontex reden, ohne auch überdas Sterben auf dem Mittelmeer zu sprechen . 2014 sind3 300 Menschen ertrunken – von diesen wissen wir –,2015 3 800, 2016 über 5 000 und in diesem Jahr bereits2 000 .
Frontex ist zuständig für die Seenotrettung und machtauch Seenotrettung . Aber, ich glaube, die Zahlen sagenganz eindeutig, dass dieses Engagement nicht reicht .Wenn man hinschaut, dann sieht man dafür auch ganzobjektive Gründe . Beispielsweise sind die Schiffe, mitdenen Frontex auf dem Mittelmeer unterwegs ist, garnicht in der Lage, von einem Moment auf den anderenHunderte von Flüchtlingen, die auf irgendwelchen un-tauglichen Booten daherkommen, aufzunehmen .Deswegen sage ich hier: Das müssen wir hinbekom-men . Das werden wir am Sonntag auf unserem Parteitagauch so für unser Regierungsprogramm beschließen . Wirbrauchen ein eigenständiges europäisches Seenotret-tungsprogramm . Das Sterben auf dem Mittelmeer mussendlich ein Ende haben .
Der guten Ordnung halber zum Schluss: Wer irregulä-re Wege verhindern will, der muss legale Möglichkeitenschaffen; darauf kann ich jetzt nicht mehr eingehen . WirDr. Lars Castellucci
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brauchen Kontingente für Menschen, insbesondere fürdie Schwächsten, und diese Menschen müssen in Europavernünftig verteilt werden . Wir brauchen ein Einwande-rungsgesetz; das ist bitter nötig . Wir brauchen ein Ge-samtkonzept, um die Situation und die Sicherheit in denGriff zu bekommen – auch auf dem Mittelmeer und anunseren Außengrenzen .An dieser Stelle auch von meiner Seite ein herzlicherDank an alle, die sich engagieren, und an die Familien,die das unterstützen .Vielen Dank .
Die Kollegin Irene Mihalic hat für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Verehrte Polizeibeamtinnen und Poli-zeibeamte! Lieber Herr Wehe dort oben auf der Tribüne!Wenn deutsche Polizeibeamtinnen und Polizeibeamtean internationalen Missionen beteiligt sind, erfüllen siedamit eine wichtige außenpolitische Verpflichtung derBundesrepublik Deutschland . Ich glaube, dass an diesemGrundsatz auch hier im Haus kein Zweifel besteht . IhrBeitrag zu Rechtsstaatlichkeit, Stabilität und Sicherheitist für die Menschen in der jeweiligen Region enormwichtig . Dazu haben in der Debatte hier im Hause auchschon einige etwas gesagt . Was vor Ort passiert, wirktsich auch unmittelbar auf die Sicherheitslage in Deutsch-land aus . Schon allein deshalb ist die Hilfe bei der Eta-blierung ziviler staatlicher Strukturen – mir ist die Beto-nung auf „ziviler“ besonders wichtig – für uns alle hiervon großem Interesse .Der Aspekt der Ausbildung, die vor Ort geleistet wird,ist mir in diesem Zusammenhang auch persönlich beson-ders wichtig; denn um den Aufbau einer funktionieren-den Zivilpolizei zu fördern und zu entwickeln, brauchtes eine Ausbildung auf fachlich wirklich sehr hohem Ni-veau .
Die Ausbildung der Polizei vor Ort muss deshalb auchtatsächlich von den dorthin entsandten Polizistinnen undPolizisten durchgeführt werden . Das klingt erst einmalselbstverständlich, wenn ich das so sage, ist es aber nicht .Häufig genug übernimmt die Bundeswehr die Polizeiaus-bildung vor Ort – einfach weil sie da ist .Doch militärisches und polizeiliches Handeln unter-scheiden sich so grundlegend, dass es nicht hingenommenwerden kann, wenn es so passiert, wie es in der Realitäthalt oft passiert . Wie sollen denn Bundeswehrsoldatendie Ausbildung von Polizisten übernehmen, wenn sienicht einmal selbst über die notwendigen polizeilichenFachkenntnisse verfügen? Unser Anspruch muss dahersein, tatsächlich so viele Polizistinnen und Polizisten zuentsenden, dass diese die anfallenden Aufgaben in jedemFall übernehmen können .
Darauf, dass da durchaus noch Luft nach oben ist, habenschon genug Kolleginnen und Kollegen hingewiesen .Am Engagement der einzelnen Beamtinnen und Be-amten fehlt es dabei ganz sicher nicht . Dafür verdienensie, wie das hier auch schon viele von uns gesagt haben,unseren Dank, unseren Respekt und unsere Anerken-nung .
Die Einsatzkräfte und ihre Familien nehmen wirklich ei-niges auf sich und leisten jeden Tag Beachtliches . Dasjetzt auch hier im Deutschen Bundestag im Rahmen einersolchen Debatte herauszustellen und zu würdigen, ist da-bei aber nicht nur eine moralische Frage; es ist auch Teilder notwendigen Überzeugungsarbeit, die immer noch zuleisten ist .Susanne Mittag hat vorhin darauf hingewiesen, dassdie deutsche Polizei ihre Leute nun mal ungern sozusa-gen in die Ferne schweifen lässt . Diese Haltung mancherVorgesetzter wirkt sich auch auf die Vorbereitung aus, hatKonsequenzen, wenn beispielsweise eine Einsatzverlän-gerung ansteht, und ist nicht immer mit Vorteilen verbun-den, wenn die Einsatzkräfte wieder in ihre Heimatdienst-stellen zurückkehren . Anspruch und Realität liegen damanchmal wirklich weit auseinander .Dabei gibt es sehr gute Gründe, dieses Engagementumfassend zu fördern . Es ist viel darüber geredet wor-den, wie wertvoll die Arbeit der eingesetzten Beamtenvor Ort ist . Allerdings werden die Potenziale, die entste-hen, wenn die Beamten aus der Auslandsverwendung zu-rückkommen, noch viel zu wenig genutzt .
Schon allein deshalb ist die Zurückhaltung, die zum Bei-spiel bei der Entsendung von Spezialisten an den Taggelegt wird, unangebracht; denn die Beamtinnen undBeamten können ihr Know-how vor Ort einbringen undwertvolle Erfahrungen wieder mit zurücknehmen .Es gibt gute Gründe, das Personalkonzept so weiter-zuentwickeln, dass eine aufbauende Fort- und Weiter-bildung möglich wird, die gegebenenfalls auch mehrereMissionen miteinander verbindet . Dabei reicht es jedochnicht, international Versprechungen zu machen und al-lein auf das Engagement einzelner Polizisten zu hoffen;denn das Auswahlverfahren ist sehr komplex, in Teilenviel zu langwierig und dabei mit vielen Unsicherheitenverbunden . Deshalb ist in diesem Bereich noch einigeszu verbessern .Es braucht mehr Kontinuität im Einsatz statt einerpauschalen Begrenzung der Mission auf ein Jahr – aberda geht ja jetzt vielleicht noch was –, es braucht schnelleund klare Zusagen für die Bewerber, und es braucht einverbindliches Vor- und Nachbereitungskonzept, damitDr. Lars Castellucci
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die Auslandsverwendung eben nicht zum Karriereknickwird . Ich denke, in diesem Bereich sollten wir einigesverbessern, da ist noch viel möglich . Es lohnt sich, diesesEngagement der Polizistinnen und Polizisten im Auslandzu fördern .Ganz herzlichen Dank .
Der Kollege Thorsten Frei hat für die CDU/CSU-Frak-
tion das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wenn wir heute den Bericht der Bundesregierung zumEinsatz deutscher Polizisten in Auslandsmissionen dis-kutieren, kann man, glaube ich, feststellen, dass sich seitdem ersten Einsatz im Jahr 1989 unglaublich viel getanhat .Wir engagieren uns in diesem Bereich, natürlich zual-lererst finanziell. Deutschland ist gerade im Rahmen derUN-Missionen einer der größten und wichtigsten Geber .Wir zeigen aber durchaus auch im personellen BereichEngagement, wenn ich etwa daran denke, dass der obers-te UN-Polizist, der Police Advisor des Generalsekretärs,ein nordrhein-westfälischer Polizeibeamter ist . Außer-dem bringen wir uns inhaltlich ein, beispielsweise imvergangenen Jahr bei der Erarbeitung des UN-Police-Re-views oder bei der Ausrichtung der 7 . Sitzung der Freun-desgruppe der UN-Polizei, an der immerhin 41 Mitglied-staaten teilgenommen haben .Liebe Frau Jelpke, ich finde nicht, dass dieser Berichtder Bundesregierung die kritischen Punkte ausklammert .Ganz im Gegenteil: Er macht eine Bestandsaufnahmedessen, was gut funktioniert und in den vergangenen Jah-ren verbessert werden konnte . Er dokumentiert, was wirheute schon diskutiert haben und was wir dank vielfälti-ger Debatten wissen, nämlich dass es sehr wohl Proble-me gibt .Die föderale Struktur unserer Sicherheitsarchitek-tur bringt insofern Probleme mit sich, als der Bund fürdie außenpolitischen Herausforderungen zuständig ist,aber die Länderpolizeien zu einem ganz großen Teil dieKompetenzen und Fähigkeiten vorhalten, die in solchenAuslandsmissionen von Polizeibeamten nachgefragt undgebraucht werden . Und – auch darauf ist eingegangenworden –: Natürlich darf für einen Polizeibeamten einAuslandseinsatz nicht zum Karriereblocker werden, son-dern ganz im Gegenteil: Er muss ein Ausweis für beson-dere Fähigkeiten und damit auch förderlich für spätereVerwendungen in der Polizei sein .
Der Bericht sagt ferner – der Minister ist auch daraufeingegangen –: Es steht zu erwarten, dass das Thema Po-lizeieinsätze im internationalen Bereich an Bedeutunggewinnen wird . Das ist selbstverständlich so . Gott seiDank haben Ihnen, Frau Jelpke, einige Vorredner schondie richtige Antwort auf die Frage gegeben, ob auchFluchtursachen bekämpft werden . Natürlich werdendiese bekämpft; denn in allererster Linie geht es darum,stabile staatliche Strukturen zu schaffen . Es ist auch da-rauf eingegangen worden, dass wir den gesamten Instru-mentenkasten der Außenpolitik benötigen . Aber wir sindnicht immer einer Meinung, wenn es um den Einsatz vonMilitär geht . Dieser Einsatz wird in vielen Fällen not-wendig und richtig sein .Aber es ist mit Sicherheit nicht richtig, wenn Solda-ten polizeiliche Aufgaben übernehmen, ausbilden oderin sonstiger Weise eine Vermischung der Kompetenzenstattfindet. Ich glaube, es ist vollkommen klar, dass wirneben Soldaten, neben zivilen Einsatzkräften insbeson-dere Polizeibeamte benötigen, die in fragilen und auchgescheiterten Staaten mithelfen, staatliche Strukturenwieder aufzubauen, um die Voraussetzungen dafür zuschaffen, dass das durchgesetzt werden kann, was de-mokratische Regierungen entscheiden und beschließen,und dass damit ein Rahmen für ein gutes Leben der Men-schen gegeben werden kann .In diesem Sinne ist es ganz entscheidend, zu wissen,dass diese Herausforderungen, insbesondere auf demafrikanischen Kontinent, wachsen werden . Hier mussman sagen: Wenn man sich die nackten Zahlen anschaut,dann erkennt man, dass wir noch ein bisschen Luft nachoben haben . Schaut man sich die Zahlen des vergange-nen Jahres an, dann stellt man fest: 302 Beamte in allendiesen Missionen, speziell 32 Polizeibeamte im Rahmenvon UN-Missionen – das ist angesichts der mehr als13 000 Polizisten bei der UN kein wirkliches Ruhmes-blatt .Wenn man dann weiter sieht, dass von den 20 UN-Mis-sionen 13 auf dem afrikanischen Kontinent stattfinden,dann wird deutlich: Hier geht es nicht um Altruismus,sondern hier geht es tatsächlich um ganz praktische Hilfeund um das Verfolgen unserer eigenen Interessen, undzwar nicht nur im Sinne von Fluchtursachenbekämpfung,sondern auch, was die Dämpfung von Migrationsdruck –Stichwort: Flucht durch gefährliche Wüsten, über ge-fährliche Meere und dergleichen mehr – angeht; das istbereits ausgeführt worden . Deshalb ist es ein absolutrichtiger Ansatz .Ich glaube, wir dürfen uns durchaus an dem orientie-ren, was der EU-Ratsbeschluss in Santa Maria da Feirabereits im Jahr 2000 ausgeführt hat . Man hat gesagt: Wirwollen aus europäischen Staaten 5 500 Polizisten, davon900 aus Deutschland, für solche Einsätze zur Verfügungstellen . Ich glaube, es ist richtig, sich daran zu orientie-ren . Diese Entscheidung war vor 17 Jahren richtig, undsie ist es auch heute .Wenn man vorwärtskommen will, dann muss manbestimmte Muster durchbrechen . Das Erste, worauf esankommt, ist – das hat der Innenminister deutlich ge-macht –: Wir brauchen mehr Polizeibeamte . Der Bundstellt bis zum Jahr 2020 7 500 zusätzliche Polizisten ein .Wenn ich mir gerade in diesem Jahr die Koalitionsver-Irene Mihalic
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einbarungen in einigen Bundesländern anschaue, dannwird deutlich, dass diesbezüglich getroffene Entschei-dungen in die richtige Richtung gehen und dass es mehrPolizisten geben wird . Damit muss man nicht mehr dieBefürchtung haben – dies kann man damit ganz klar do-kumentieren –, dass Polizeibeamte, die im Innern benö-tigt werden, im Ausland eingesetzt werden .Das Zweite ist: Wir brauchen eine klare politischeEntscheidung, die hier am Anfang stehen muss . Ich habeden Ratsbeschluss aus dem Jahr 2000 genannt . Man kanndurchaus auch erwähnen, dass beispielsweise Schwe-den entschieden hat, 1 Prozent seiner Polizeibeamtenfür Auslandsmissionen zur Verfügung zu stellen . Dasbedeutet im Klartext, dass Schweden, das nicht einmal10 Millionen Einwohner hat, etwa viermal so viele Po-lizisten in Auslandseinsätzen hat wie Deutschland . Jetztmuss es nicht unbedingt 1 Prozent der Polizisten sein . InDeutschland haben wir etwa 300 000 Polizeibeamte . Dasheißt, der Anteil von im Ausland eingesetzten deutschenPolizisten beträgt 0,01 Prozent .
Deswegen gibt es angesichts des schwedischen Ansatzesund unserer Möglichkeiten sicherlich noch Klärungsbe-darf . Es geht weiter darum, dass wir die Standzeiten er-höhen, dass wir deutsche Polizisten dort in Einsatz brin-gen, wo wir viel erreichen können .Lassen Sie mich zum Schluss noch ein wichtiges Bei-spiel nennen . In Somalia haben wir an der Spitze der Po-lizeimission auch einen Deutschen, der in Somalia dieErfahrung föderaler Polizeistrukturen umgesetzt hat . Dasist der richtige und vernünftige Ansatz . Wenn dort anstatt14, wie von der UN gefordert, 70 Polizeibeamte einge-setzt werden könnten, dann können auch die Ziele nochbesser erreicht werden . Aus meiner Sicht ist es exakt derrichtige Ansatz, den man fahren sollte . Es ist vollkom-men klar, dass eine Stabilisierung am Horn von Afrikaauch Auswirkungen auf den Mittleren Osten und die Sa-helzone haben wird . Deshalb müssen wir uns dort enga-gieren und uns vielleicht heute schon darauf vorbereiten,dass in Libyen der nächste große Polizeieinsatz wartet .
Kollege Frei, Sie können gern weiterreden, aber in-
zwischen auf Kosten des Kollegen Hoffmann . Das muss
ja nicht sein .
Oh nein, das will ich keinesfalls . – Ich glaube, das
wäre das richtige Engagement, um unsere Chancen bei
der Bewerbung um einen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu
verbessern .
Herzlichen Dank .
Das Wort hat der Kollege Thorsten Hoffmann für die
CDU/CSU-Fraktion .
Vielen Dank . – Sehr geehrte Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damenund Herren! Wenn ich jetzt die lieben Kolleginnen undKollegen begrüßt habe, dann meine ich nicht nur Sie, dieAbgeordneten, sondern natürlich auch Sie, die Polizistin-nen und Polizisten auf der Besuchertribüne; denn ich war34 Jahre lang dabei und empfinde mit Ihnen.Ich möchte gerne die ganze Debatte aus einer etwasanderen Sicht betrachten und entsprechend vortragen .Erst vor wenigen Wochen bin ich von einer Delegati-onsreise aus Taiwan zurückgekehrt . Getroffen haben wiruns dort mit Sicherheitsexperten, um die Erfahrungen imsicherheitspolitischen Bereich untereinander auszutau-schen . Bei dem Treffen mit den taiwanesischen Innen-und Außenpolitikern stellte sich schnell heraus, dassman mit uns in Deutschland im sicherheitstechnischenBereich gerne enger zusammenarbeiten würde und vonunseren Erfahrungen beim Aufbau staatlicher Sicher-heitsstrukturen profitieren möchte. Taiwan ist da nur einBeispiel; denn unsere sicherheitsrelevanten Strukturenwerden weltweit geschätzt . Sie dienen anderen, insbe-sondere noch nicht so stabilen Staaten als Vorbild .Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere deut-schen Polizistinnen und Polizisten unterstützen in fragi-len Staaten den Auf- und Umbau von staatlichen Organi-sationen . Sie helfen dabei, Polizistinnen und Polizistenvor Ort auszubilden, geben Expertise und helfen beimAufbau einer modernen Sicherheitsarchitektur mit einerfunktionsfähigen und nach rechtsstaatlichen Grundsät-zen handelnden Polizei . Unsere Polizistinnen und Poli-zisten kommen dabei im Gastland oft als Berater, Ausbil-der, Mentoren und Trainer zum Einsatz . Dabei begebensie sich jeden Tag mit großem persönlichem Einsatz indie Krisenregionen dieser Welt . Sie sind dort eingesetztund haben eine große Aufgabe und ein großes Ziel vorAugen . Sie fördern den Frieden, um in der Region einsicheres Leben für die dort lebenden Menschen zu er-möglichen .Unsere Polizistinnen und Polizisten verdienen für ih-ren Einsatz unsere höchste Anerkennung . Ich danke Ih-nen an dieser Stelle ausdrücklich und sehr herzlich, undich würde mich freuen, wenn Sie den Dank an Ihre, anmeine Kollegen weitergäben .
Es ist nicht so, dass ich hier über etwas spreche, wasmir fremd ist . Ich weiß, was die eingesetzten Kräftedenken und fühlen . Ich kenne ihre Ängste, ihre Sorgenund ihre Nöte . Ich war in meinem früheren Beruf alsPolizeibeamter selbst oft aufgrund spezieller Aufgabengroßen Gefahren ausgesetzt . Auch ich war teilweise wo-chenlang von meiner Familie, von meiner Ehefrau undvon meinem Kind, getrennt . Manchmal konnte ich michnicht melden, und dann machte sich meine Familie großeThorsten Frei
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Sorgen . Sie fragte sich, ob etwas passiert sei, und ver-fiel in Ungewissheit. Es war auch nicht immer einfach,wenn meine Ehefrau meinem damals dreijährigen Sohn Ricardo, der heute 24 ist, erklären musste, dass ich imMoment nicht zu Hause sei . Ich weiß also nur zu gut, mitwelchen Schwierigkeiten Angehörige in solchen Phasenkonfrontiert sind . Es ist für keinen der Beteiligten ein-fach, wenn man seine Familie oder Freunde nicht siehtund oft nicht einmal mit ihnen telefonieren kann .Durch diese Beispiele wird deutlich, dass nicht nurdie Polizistinnen und Polizisten für die Gesellschaft eineganz wichtige Rolle übernehmen, wenn sie sich auf ei-ner Auslandsmission befinden. Auch deren Angehörigeleisten einen ganz wichtigen Beitrag . Sie sind nämlichder Rückhalt für unsere Polizistinnen und Polizisten imweltweiten Einsatz . Deswegen gebührt auch den Famili-en und Freunden mein ausdrücklicher Dank .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, manda-tierte Friedensmissionen sind notwendig . Sie sind einnützliches Instrument, um bewaffnete Konflikte zu ver-hindern und einzudämmen . Sie fördern und festigen denFrieden . Sie sind wichtig, um später die Beteiligten imbesten Fall an einen Tisch zu bekommen und um für denFrieden zu werben . Für die CDU/CSU sind sie ein we-sentlicher Baustein im deutschen Engagement für deninternationalen Frieden . Die deutsche Beteiligung an denFriedensmissionen ist nicht mehr wegzudenken . UnsereFreunde und Partner aus anderen Ländern verlassen sichauf unsere Erfahrungen, die wir gerne mit ihnen teilen .Deshalb beteiligt sich Deutschland mit den Polizeien derLänder und des Bundes und auch mit Teilen der Bun-deszollverwaltung an vielen Friedensmissionen auf derganzen Welt .Ich möchte aber auch noch auf Folgendes hinweisen:Der Austausch ist wirklich ein Austausch . Unsere Polizis-tinnen und Polizisten unterstützen ihre Kollegen im Gast-land nicht nur, sie lernen bei ihren gemeinsamen Einsät-zen auch voneinander . Sie lernen bei den gemeinsamenÜbungen zum Beispiel, Sprachbarrieren zu überbrücken .Sie lernen, ihren Blickwinkel zu ändern, kulturelle Un-terschiede zu berücksichtigen und zu überwinden . DieErfahrungen, die sie dort im täglichen Miteinander sam-meln, kommen uns besonders bei der Bekämpfung desinternationalen Terrorismus und der immer stärkeren In-ternationalisierung der Kriminalität zugute .Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer so starkim Berufsleben gefordert wird, soll und muss auch ent-sprechend unterstützt werden . Wir als CDU/CSU werdenuns selbstverständlich weiterhin für eine Verbesserungder Ausrüstung, eine zielgenaue Aus- und Fortbildungund eine aufrichtige Wertschätzung unserer Bundes- undLandesbeamten einsetzen .Liebe Ulla Jelpke, du weißt ja, dass ich dich mag .
Aber ich möchte doch einmal Worte benutzen, die dumanchmal auch gerne benutzt, wie zum Beispiel „skan-dalös“, oftmals bist du „entsetzt“ . Mir als Polizeibeamtenhat das teilweise wirklich wehgetan, was du, Ulla, gesagthast, und ich kann auch sagen, warum: Ein Polizeibe-amter ist nämlich mit dem Herzen Polizeibeamter . DieKollegen, die vorhin auf der Tribüne saßen, haben sicherähnlich gedacht .Ich möchte die Frage stellen: Waren Sie oder die Zu-schauer schon einmal bei einer Feierstunde für Rückkeh-rerinnen und Rückkehrer von Auslandseinsätzen? Wennnicht, dann möchte ich darauf hinweisen, dass man sichdas hier in Berlin live anschauen kann . Wenn Sie dieKolleginnen und Kollegen vor dem Reichstag treffen:Schauen Sie einmal in ihre Gesichter . Sie sind stolz . Siesind stolz darauf, dass sie mitgeholfen haben . Sie tragenvoller Stolz ihre Uniform . Sie teilen diesen Stolz mit ih-ren Familien . Und sie nehmen erst recht voller Stolz dieWertschätzung unseres Bundesinnenministers Thomasde Maizière entgegen .Ich sage es zum Schluss noch einmal sehr gerne: Vie-len Dank für euren Einsatz, und vielen Dank, dass eureFamilien das mitmachen .Vielen Dank .
Ich schließe die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/12445 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung . Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen
Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 22 . Juni 2017,
9 Uhr, ein .
Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen alles
Gute bis dahin .