Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sieherzlich . Ich könnte Sie alle jetzt auch namentlich be-grüßen, ohne dass das eine unvertretbar lange Zeit in An-spruch nehmen würde .
Ich möchte Sie zu Beginn davon in Kenntnis setzen,dass es eine interfraktionelle Vereinbarung gibt, dassder Tagesordnungspunkt 5 – das ist der BundesberichtWissenschaftlicher Nachwuchs 2017 – und der Tages-ordnungspunkt 8 – da geht es um den Menschenrechts-politikbericht der Bundesregierung – unter Beibehaltungihrer Debattenzeiten ihre Plätze tauschen . Sie bleibenalso auf der Tagesordnung und werden nur in umgekehr-ter Reihenfolge behandelt .Außerdem sollen die Beschlussempfehlung auf derDrucksache 18/10625 – hier geht es um zivilgesellschaft-liches Engagement – und der Antrag mit dem Titel „Fürden Menschenrechtsschutz in Deutschland – Die Nati-onale Stelle zur Verhütung von Folter reformieren undstärken“ zusammen mit dem Tagesordnungspunkt 8 be-raten werden .Des Weiteren soll in Verbindung mit dem Tagesord-nungspunkt 6 der Antrag mit dem Titel „,UN BindingTreaty‘ ambitioniert unterstützen“ aufgerufen werden .Dann soll der Entwurf eines Gesetzes zur Änderungdes Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschrif-ten auf der Drucksache 18/12041 dem Ausschuss fürRecht und Verbraucherschutz, dem Innenausschuss, demAusschuss für Wirtschaft und Energie, dem Finanzaus-schuss sowie dem Ausschuss für Ernährung und Land-wirtschaft zur Mitberatung überwiesen werden .Schließlich sollen die Unterrichtungen der Bundesre-gierung zu den Stellungnahmen des Bundesrates auf denDrucksachen 18/12478, 18/12479, 18/12480, 18/12481und 18/12497 zu den bereits überwiesenen Gesetz-entwürfen auf den Drucksachen 18/12049, 18/12037,18/12048, 18/12041 und 18/12051 an die entsprechendenfederführenden und mitberatenden Ausschüsse überwie-sen werden .Das leuchtet Ihnen allesamt sicher sofort ein, sodassmit größeren Einwänden nicht zu rechnen ist . – Es gibtsogar demonstrative Zustimmung, für die ich mich be-sonders bedanke . Damit ist das jedenfalls so beschlossen .Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 1:Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Be-kämpfung von KinderehenDrucksache 18/12377Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre HilfeEine Aussprache ist dazu heute nicht vorgesehen, aberwir müssen die Überweisung dieses Gesetzentwurfs be-schließen .Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfsauf der Drucksache 18/12377 an die in der Tagesordnungaufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . – AnderweitigeVorschläge sehe ich nicht . Dann ist die Überweisung sobeschlossen .Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:Erste Beratung des vom Bundesrat einge-brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhe-bung des § 103 des Strafgesetzbuches ‒ Beleidigung von Organen und Vertreternausländischer Staaten ‒Drucksache 18/10980Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für Kultur und MedienAuch zu diesem Tagesordnungspunkt ist eine Aus-sprache heute nicht vorgesehen .
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Der Gesetzentwurf auf der Drucksache 18/10980 sollan die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsseüberwiesen werden . – Einwände sind nicht erkennbar .Dann ist die Überweisung so beschlossen .Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 3:Befragung der BundesregierungDie Regierung hat als Thema der heutigen Kabinetts-sitzung mitgeteilt: Bericht der Bundesregierung zumStickstoffeintrag in die Biosphäre.Dazu wird, unserer ständigen Übung folgend, nun diezuständige Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz,Bau und Reaktorsicherheit einen einleitenden Berichtgeben, zu dem auch schon Fragen bei mir angemeldetwerden können, so es sie denn gibt . – Frau Ministerin,bitte schön .Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Hohe Emissionen reaktiver Stickstoffverbindungen inder Umwelt stellen nach wie vor ein bedeutendes Um-weltproblem dar . Das gilt zum Beispiel für Nitrate imGrundwasser oder Stickstoffoxide und Ammoniak in derLuft . Seit Mitte des 19 . Jahrhunderts hat sich die jährli-che Freisetzung reaktiven Stickstoffs durch menschlicheTätigkeit verzehnfacht . Die höchsten Zuwächse gab esdabei in den industrialisierten Ländern und auch in denTransformationsstaaten .Mir ist selbstverständlich bewusst, dass zum Beispielder Einsatz organischer und mineralischer Stickstoff-dünger zur Steigerung von Erträgen dazu geführt hat,die wachsende Weltbevölkerung mit Nahrungsmittelnzu versorgen . Leider hat dies jedoch – das gehört zurWahrheit eben auch dazu – nicht nur Nutzen gebracht,sondern auch zu erheblichen negativen Folgen für Men-schen, Umwelt und Wirtschaft geführt . VorliegendeSchätzungen für die Europäische Union besagen, dasssich die Folgekosten der Stickstoffemissionen zu knappzwei Dritteln auf gesundheitliche Schäden beziehen undzu etwa einem Drittel auf Schäden an den Ökosystemen .Trotz der erzielten Minderungserfolge werden verschie-dene stickstoffbezogene Umweltqualitätsziele nicht ein-gehalten . Der Handlungsbedarf ist somit evident .Die Bürgerinnen und Bürger sind sich der Tragweitedes Problems und der eigenen Betroffenheit häufig garnicht bewusst . Es herrscht also nicht nur Handlungs-,sondern auch Aufklärungsbedarf . Der jetzt vorgelegteBericht dient ebendiesem Zweck . Er informiert die Bür-gerinnen und Bürger sowie alle beteiligten Akteure, zumBeispiel aus den Bereichen Mobilität, Landwirtschaft,Industrie und Energiewirtschaft, über den Sachstand, dieUrsachen und die Folgen sowie über die Lösungsansätze .Er verdeutlicht zudem die Notwendigkeit ressortüber-greifenden Handelns, um die Einträge in Luft, Boden,Wasser und die Ökosysteme zu reduzieren .Da es sich um ein systemisches Umweltproblem han-delt, setzen wir auf einen integrierten Ansatz zur Stick-stoffminderung, bei dem alle Verursacherbereiche in denBlick genommen werden . Unser Ziel ist es, die Emissio-nen reaktiven Stickstoffs in allen Umweltmedien auf einverträgliches Maß zu reduzieren . Wir wollen weiterenSchaden abwenden, übrigens auch in Form von Vertrags-verletzungsverfahren der Europäischen Kommission .Mit der Vorlage des Stickstoffberichts möchte ichIhnen allen die Dringlichkeit dieses Themas vor Augenführen und darf mich ausdrücklich bei allen mitwirken-den Ressorts für die konstruktive Zusammenarbeit be-danken .
Ich bedanke mich für den knappen, prägnanten Be-
richt . – Die erste Nachfrage hat der Kollege Lenkert .
Frau Ministerin, vielen Dank für die Kurzeinführung
in den Bericht . – Mich würde interessieren: Wie hoch
konkret sieht die Bundesregierung das Minderungspo-
tenzial in den einzelnen Bereichen in der Bundesrepu-
blik, und wie möchte die Bundesregierung dieses Po-
tenzial zukünftig erschließen? Wie möchte sie vor allen
Dingen dabei sicherstellen, dass die Verursacher, die
Urverursacher wie zum Beispiel die Autoindustrie, von
den Maßnahmen der Bundesregierung betroffen sind und
nicht eventuell Geschädigte?
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Ja, es gibt Abschätzungen, wie viel welche Sektoren
zum Stickstoffeintrag tatsächlich beitragen. Selbstver-
ständlich sind hier diejenigen, die uns bekannt sind, etwa
die Bereiche Mobilität oder auch Landwirtschaft, dieje-
nigen, die am meisten verursachen; selbstverständlich
gehört dazu auch die Industrie .
Wir als Bundesregierung haben uns jetzt darauf ver-
ständigt, dass wir gemeinsam feststellen, welchen Hand-
lungsbedarf es gibt . Das ist insofern neu . Das haben
frühere Bundesregierungen bisher nicht geschafft. Aller-
dings wird es diese Bundesregierung nicht mehr schaf-
fen, tatsächlich noch einen Stickstoffminderungsplan
aufzulegen . Das bleibt der nächsten Bundesregierung
vorbehalten .
Kollege Meiwald .
Vielen Dank, Frau Ministerin . Vielen Dank, HerrPräsident . – Zunächst einmal stellt sich uns die Frage,warum wir uns heute mit der Problembeschreibung be-fassen müssen . Sie haben dargestellt, dass das Kabinettheute eine wichtige Entscheidung getroffen hat, indem essich darauf geeinigt hat, dieses Problem zu beschreiben;aber der SRU hat uns ein Gutachten zu diesem Thema ei-gentlich schon 2015 vorgelegt . Uns stellt sich die Frage:Müssen wir dankbar dafür sein, dass das Kabinett nachzwei Jahren feststellt, dass der SRU recht hat, oder gibtes weiter gehende Erkenntnisse?Präsident Dr. Norbert Lammert
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Die entscheidendere Frage ist: Was leitet sich darausab? Der SRU hat eindeutig eine nationale Stickstoff-strategie gefordert . Sie haben gerade gesagt: Die wirdes in dieser Legislaturperiode nicht mehr geben . – Aberdie Frage ist: Wie wollen wir die Ziele erreichen, diedefiniert sind und die auch die Bundesregierung offen-sichtlich jetzt für sich anerkennt? Wie wollen wir auchdie Biodiversitätsziele bis 2020 aus unserer Nachhaltig-keitsstrategie noch erreichen, wenn wir eine gemeinsameStickstoffstrategie nicht haben?Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:In der Tat dient dieser Bericht der Vorbereitung einerressortübergreifenden integrierten Strategie zur Stick-stoffminderung – mit konkreten Maßnahmen auch zurMinderung der Stickstoffbelastung in der kommendenLegislaturperiode . Handlungsbedarf gibt es in mehre-ren Bereichen . Wir haben in der Zwischenzeit durchausFortschritte erzielt; ich muss das jetzt nicht im Einzelnenausführen . Wir haben zum Beispiel die Novelle der Dün-geverordnung und des Düngegesetzes erst vor wenigenMonaten in diesem Haus verabschiedet . Natürlich trägtdies dazu bei, die Stickstoffeinträge zu vermindern.Es gibt noch andere Bereiche, in denen wir tätig wer-den müssen . Zum Beispiel müssen wir die Pilotanfrageder Europäischen Kommission zur Wasserrahmenrichtli-nie sachgerecht beantworten, indem wir auch in dem Be-reich vorankommen . Wir haben ein Vertragsverletzungs-verfahren der EU-Kommission zur Nitratrichtlinie . Auchdies liegt natürlich an übermäßigem Stickstoffeintrag.Bei der sogenannten NEC-Richtlinie, also der Richtliniezu nationalen Emissionshöchstmengen, wie auch bei derRichtlinie zu nationalen Emissionsminderungsverpflich-tungen sind wir letztlich säumig .Dies alles muss zügig angepackt werden . Der Wider-streit der Interessen in der Koalition ist da nicht von derHand zu weisen – das ist eigentlich auch normal –, abergut ist, dass wir jetzt anerkannt haben, dass wir alle je-weils in unserem Verantwortungsbereich etwas tun müs-sen .
Frau Tackmann .
Vielen Dank . – Frau Ministerin, es ist anerkannt – das
haben Sie auch erwähnt –, dass die Landwirtschaft in die-
sem Kontext eine besondere Verantwortung hat, dass es
einerseits um Nahrungssicherung geht und andererseits
um die Frage der Emissionen und der Reduzierung der
Emissionen . Gerade in der Tierhaltung ist das ein zentra-
ler Punkt . Sie wissen, dass die Bundesregierung nach wie
vor eine Exportstrategie hat, das heißt, dass die Tierhal-
tung sich nicht an dem orientiert, was zur Nahrungssiche-
rung hier vor Ort gebraucht wird, sondern dass man ex-
portieren will . Irgendwie hat das miteinander zu tun, die
Produktionsmenge oder die Menge der gehaltenen Tiere
und die Emissionen . Welche Strategie verfolgen Sie da?
Welche Ideen haben Sie, wie wir einerseits der Tierhal-
tung eine Zukunft geben können, andererseits aber Ihre
Ziele, die ich teile, erreichen können?
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Die Agrarpolitik hat in der Tat die Zielrichtung der
Exportstrategie, aber nicht die Bundesregierung hat die
Zielrichtung der Exportstrategie . Das Umweltministe-
rium sieht das anders . Es gibt also keine Bundesregie-
rungsstrategie zum Export landwirtschaftlicher Güter .
Ich kann verstehen, dass man das in der Agrarpolitik so
vorantreiben will; unter Umweltgesichtspunkten gibt
es einen Widerstreit . Ich persönlich glaube – ich denke
auch, dass es wissenschaftlich abgesichert ist –, dass wir
wieder zu einer stärkeren Flächenbezogenheit bei der
Tierhaltung kommen müssen . Die Frage, wie viele Groß-
vieheinheiten pro Hektar zulässig sind, ist eine Grund-
satzfrage .
Kollege Krischer .
Herzlichen Dank, Herr Präsident . – Frau Ministerin,zunächst einmal: Es ist natürlich ein Problem, Fragenzu einem Bericht der Bundesregierung zu stellen, wennman den Bericht nicht kennt . Wir haben gestern in IhremHaus nachgefragt, hätten gern diesen Bericht bekommen,damit man ihn vorher lesen kann . Das war nicht mög-lich . Insofern ist es ein bisschen lächerlich, das hier zumThema einer Regierungsbefragung zu machen . Aber esscheint ja so zu sein, dass in dem Bericht nichts Neu-es steht . Es scheint für Sie schon ein Phänomen zu sein,dass die Bundesregierung sich überhaupt auf einen Be-richt verständigen kann .Sie haben im Sommer 2016 – darüber gibt es eineReihe von Presseberichterstattungen – eine umfassendeStickstoffminimierungsstrategie für diese Wahlperiodeangekündigt . Gerade haben Sie gesagt: Die wird es nichtmehr geben; das muss die nächste Bundesregierung ma-chen . – Sie haben nun einen Bericht vorgelegt, in demnichts Neues ist . Mich würde interessieren: Woran liegtes, dass eine solche Stickstoffminimierungsstrategie indieser Wahlperiode nicht vorgelegt worden ist? Wer oderwas ist die Ursache dafür?Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:Mit diesem Bericht ist tatsächlich erstmals eine res-sortübergreifende Verständigung erreicht worden, so-wohl zum Problemverständnis als auch zum politischenHandlungsbedarf und der Notwendigkeit weiterer Min-derungsbemühungen . Das ist ein Erfolg . Das ist richtig:Das ist nicht das, was ich angekündigt habe .Gleichwohl ist dieser Schritt ein Erfolg . Der Berichtersetzt nicht die von mir angekündigte Stickstoffstrate-gie; das ist so . Unsere strategischen Arbeiten zur Stick-stoffminderung setzen sich aus vielen Einzelschritten zu-sammen . Der vorliegende Bericht ist ein Baustein dieserArbeiten . Die ressortübergreifende Befassung soll überPeter Meiwald
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dieses wichtige Thema informieren und den politischenDiskurs vorantreiben, sodass Maßnahmen zur Minde-rung der Stickstoffbelastung in der kommenden Legis-laturperiode konkretisiert werden können . – Ja, in dieserLegislaturperiode ist dieser Schritt noch nicht gelungen .Aber der Schritt, den wir bis jetzt gegangen sind, ist erst-malig für eine Bundesregierung .
Frau Bulling-Schröter .
Danke schön . – Sehr verehrte Ministerin, mich wür-
de interessieren: Stickstoffemissionen kommen nicht nur
aus der Landwirtschaft, sondern auch aus dem Verkehr .
Ich denke, darüber wird aus bekannten Gründen wenig
diskutiert . Mich würde interessieren: Gibt es für den Ver-
kehrsbereich vonseiten der Bundesregierung eine Min-
derungsstrategie? Wie könnte sie aussehen, und welche
Zeitspanne wird noch benötigt, bis sie beginnen kann?
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Ja, der Verkehr ist natürlich ein Hauptverursacher
von Stickstoffeinträgen. Das ist vollkommen klar. In den
Städten ist es der Verkehr, der für zu hohe Stickstoffbe-
lastungen sorgt, auf dem Land ist es im Wesentlichen die
Landwirtschaft, um es vereinfacht zu sagen . Aber es ist
nicht ganz falsch, wenn ich es so vereinfacht sage . Wir
brauchen natürlich auch eine neue Mobilitätsstrategie
unter dem Gesichtspunkt von Klima und Luftverträglich-
keit . Ich denke, dass dies auch eine Aufgabe der nächs-
ten Legislaturperiode sein muss . Ich bin absolut sicher,
dass wir bei den Automobilen zu Nachrüstungen kom-
men müssen, im Wesentlichen natürlich bei den Diesel-
fahrzeugen, die Hauptverursacher der Stickstoffeinträge
sind . Aber das kann natürlich zunächst einmal nur unter
Berücksichtigung der technischen Möglichkeiten der Au-
tomobilindustrie geschehen .
Das gilt zum einen für die neu zugelassenen Automo-
bile . Hier haben wir neue europäische Regeln, die schon
beschlossen sind und ab September wirksam werden . An
anderen Regeln wird auf europäischer Ebene gearbeitet .
Ganz wichtig ist aber zum anderen auch, dass wir den
jetzigen Bestand ins Auge fassen .
Frau Lemke .
Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie hatten heute eine
Pressekonferenz, auf der Sie die Rote Liste gefährde-
ter Biotoptypen und damit der Öffentlichkeit sozusagen
eine relativ vernichtende Bilanz Ihrer eigenen Arbeit
vorgestellt haben . Sie sagen, dass knapp zwei Drittel
der 863 Biotoptypen in Deutschland in Gefahr sind . Be-
sonders dramatisch sei die Entwicklung bei Wiesen und
Weiden, während sich nach Ihren eigenen Aussagen an
einzelnen Biotopen, Flüssen und Seen, positive Entwick-
lungen abzeichnen, die primär auf die Verbesserung von
Klärstufen in den Kläranlagen zurückgehen .
In einer Regierungsanfrage von mir haben Sie vor we-
nigen Wochen geantwortet, dass ein Großteil der Feldvö-
gel in Deutschland vom Aussterben bedroht und ein re-
levanter Teil schon verschwunden ist . Das heißt, das Ziel
der Bundesregierung, das Artensterben bis 2020 zu stop-
pen, das vor mehreren Jahren festgelegt worden ist, wird
weit verfehlt . Was sind die konkreten Maßnahmen? Sie
sagen: Das alles kann erst die nächste Bundesregierung
machen. Das habe ich noch nicht geschafft abzuarbeiten.
Das muss meine Nachfolgerin bzw . mein Nachfolger ma-
chen . – Sie hinterlassen dem nächsten Bundesumweltmi-
nister also Ihre eigene Negativbilanz .
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Frau Kollegin, dies weise ich zurück, und zwar ent-
schieden . Ich habe heute nicht eine Negativbilanz meiner
eigenen Arbeit vorgelegt . Vielmehr ist das die dritte Auf-
lage des Berichts zur Roten Liste gefährdeter Biotopty-
pen. Die erste Auflage gab es im Jahr 1994, die zweite
im Jahr 2006 . Das, was seit 2006 passiert ist, umfasst
natürlich deutlich mehr als meine Zeit in der Ressort-
verantwortung . Wir haben in der Tat Verschlechterungen
festzustellen, insbesondere im Bereich der Biodiversität
bei Weiden und Wiesen . Darauf haben Sie richtig hin-
gewiesen . Auf der anderen Seite haben wir aber auch
Verbesserungen festzustellen, insbesondere bei Fließge-
wässern, Wäldern und Waldrändern . Wir haben selber,
zum Beispiel durch die Beschlussfassung über das Blaue
Band – das ist neu –, positiv darauf eingewirkt, dass es
in der Zukunft besser wird . Wir haben die Situation bei
den Auenwäldern verbessert – auch sie ist in den letz-
ten Jahren besser geworden . Ja, es gibt auch noch viel zu
tun – das ist nicht zu bestreiten –, und es hat insbesondere
mit der Wirtschaftsweise in der Landwirtschaft zu tun .
Herr Lenkert .
Frau Ministerin, welche konkreten Maßnahmen hatdie Bundesregierung seit der Veröffentlichung des Gut-achtens des Sachverständigenrats für Umweltfragen inAngriff genommen, um die zu hohen Stickstoffeinträgezu reduzieren? Welche Handlungsempfehlungen undLösungsansätze des Sachverständigenrats für Umwelt-fragen haben Sie als Bundesregierung verfolgt, und washalten Sie von dem Vorschlag, eine Stickoxidabgabe ein-zuführen?Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:Ganz wesentlich ist – darauf habe ich ja eben schonhingewiesen –, dass wir uns nach wirklich langen Vorar-beiten und kräftigen Auseinandersetzungen auch inner-halb der Bundesregierung und in diesem Parlament aufein neues Düngegesetz und eine neue Düngeverordnungverständigen konnten . Das ist ein wesentlicher Schritt inBundesministerin Dr. Barbara Hendricks
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Richtung der Minderung der Stickstoffeinträge. Es ist derwichtigste Schritt, den wir seit der Veröffentlichung desSachverständigenrats für Umweltfragen gegangen sind .Man sollte es nicht negieren . Es hat mehr als fünf Jahregedauert, bis wir das haben durchsetzen können – im-merhin einvernehmlich . Es ist eben manchmal nicht soeinfach . Aber ist es der wichtigste Schritt, den wir seithergegangen sind .Wir haben keine Position zur Erhebung einer Stick-stoffabgabe. Ich halte dies zurzeit nicht für nötig, sondernhalte es für sinnvoller, in Zusammenarbeit mit denjeni-gen, die Verursacher von Stickstoffeinträgen sind – manmuss auch mal sagen, dass diese Einträge nicht vollstän-dig vermeidbar sind; die Verursacher sind ja nicht bös-willig –, die Arbeitsweisen unter vernünftigen Konditi-onen zu ändern .
Kollege Ebner .
Danke schön . – Frau Ministerin, Sie haben gerade
von Ihrer Erfolgsbilanz – Düngegesetz und Düngever-
ordnung – gesprochen. Da möchte ich die Stoffstrombi-
lanz – oder, wie wir es gerne nennen, Hoftorbilanz – an-
sprechen, die ein Mittel sein sollte und aus unserer Sicht
auch ein geeignetes Instrument sein könnte, um Stick-
stoffeinträge zu regeln, zu regulieren und zu reduzieren.
Allein, es fehlt ja eine Regelung . Die Düngeverordnung
regelt die Frage der Stoffstrombilanz leider nicht; das
wurde in die entsprechende Stoffstrombilanzverordnung
ausgelagert . Da – wurde uns heute im Ausschuss berich-
tet – weiß man nichts Genaues, da gibt es keine konkre-
ten Ergebnisse von Gesprächen, und niemand weiß, in
welche Richtung die Gespräche gehen . Vielleicht können
Sie uns etwas dazu sagen, was denn hier eigentlich er-
reicht werden soll, mit welchen konkreten Festlegungen
Sie jetzt die Reduzierung von Stickstoffeinträgen an der
Stelle erreichen wollen .
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Herr Kollege Ebner, wir als Bundesregierung haben
ja gemeinsam mit den Ländern ein sogenanntes Dün-
gepaket auf den Weg gebracht, das sich durchaus sehen
lassen kann und ganz sicher zu einer Verbesserung der
Situation bezüglich der zu hohen Stickstoffeinträge aus
der Landwirtschaft führen wird . Im Rahmen des Pakets
haben wir auch beschlossen – wie Sie richtig sagen –,
eine Stoffstrombilanz zunächst für größere Betriebe
einzuführen. Damit sollen alle Nährstoffzuströme und
Nährstoffabflüsse eines Betriebes genau erfasst werden,
und die entsprechende Verordnung ist in Arbeit . Ich gehe
davon aus, dass wir das parlamentarische Verfahren jetzt
rasch einleiten und noch abschließen können .
Kollege Meiwald .
Vielen Dank . – Da muss ich einfach direkt nachfragen:
Heißt das, dass Sie hoffen, das parlamentarische Verfah-
ren noch innerhalb der beiden uns nach dieser Sitzungs-
woche verbleibenden Sitzungswochen „abschließen zu
können“? Ich würde gerne konkret hören, ob wir dann
mit der Vorlage der Stoffstrombilanzverordnung rechnen
dürfen .
Meine andere Frage geht auf das Gutachten des Sach-
verständigenrats für Umweltfragen zurück . Er hat vorge-
schlagen, die Anforderungen an Tierhaltungsanlagen zu
verschärfen und in der TA Luft dazu klare Vorgaben zu
machen . Gibt es seitens des Ministeriums Bestrebungen,
in der Richtung tätig zu werden und die TA Luft entspre-
chend nachzuschärfen?
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Ich gehe zunächst auf Ihre zweite Frage ein . – Was die
TA Luft anbelangt: Ja, wir haben einen Entwurf in Arbeit,
der aber nicht mehr fertig wird; das werden wir in die-
ser Legislaturperiode nicht mehr schaffen. Wir müssen
das Thema fachlich noch genauer durchdringen, als wir
das bisher tun, und zwar in gemeinsamer Verantwortung
von Landwirtschaftsseite und Umweltseite . Wir müssen
Tierwohl und Emissionsrecht in Einklang bringen; denn
es kann nicht sein – um es einmal überspitzt zu formu-
lieren –, dass wir alle Tiere in verschlossenen Kästen
halten . Ich will gerne ein entsprechendes Gesetz auf den
Weg bringen, aber es bedarf noch wissenschaftlicher Ar-
beit und auch der Zusammenarbeit der verschiedenen In-
stitute, zum Beispiel zwischen dem Thünen-Institut und
UBA .
Was die Stoffstrombilanz und den augenblicklichen
Stand der Beratungen angeht, würde ich – wenn Sie ein-
verstanden sind, Herr Präsident – den Kollegen Bleser
bitten, das Wort zu ergreifen; denn die Federführung liegt
beim BMEL . Wir sind zwar in Verhandlungen, aber Herr
Bleser weiß aktuell mehr als ich .
Wenn es nicht nur eine aktuelle, sondern auch eine
konkrete Auskunft gibt, ist uns diese Ergänzung sehr
willkommen . – Bitte schön, Herr Kollege Bleser .
P
Vielen Dank .
Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks
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Wir befinden uns zurzeit in der Tat in den Beratungen.Es geht letztlich um die technische Umsetzung der Dün-geverordnung, darum, wie das im Detail geregelt wird .
Uns liegt daran, das Vorhaben praxistauglich zu gestal-ten, insbesondere ohne unnötigen Bürokratieaufwuchs,was letztlich aber nicht ganz zu vermeiden sein wird .
Darauf wäre fast keiner gekommen .
Die nächste Frage stellt Frau Bulling-Schröter .
Danke schön. – Stickstoffverbindungen sind klimare-
levant . Wir stehen vor der dringenden Aufgabe – ich sage
einmal: bei Strafe des Untergangs –, die Pariser Beschlüs-
se einzuhalten . Meine Frage lautet: Können Sie sich vor-
stellen, gerade auch die Problematik der Stickstoffver-
bindungen in einem zukünftigen Klimaschutzgesetz zu
regeln? Wir halten es für sinnvoll, ein Klimaschutzgesetz
mit entsprechenden Untergesetzen und Verordnungen zu
machen; denn das hätte sicher eine gute Wirkung . Aller-
dings muss man sagen: Gesetze sind immer nur so gut,
wie sie überwacht werden .
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Frau Kollegin, in der Tat: Andere klimaschädliche
Gase wie Ammoniak oder Methan sollten sinnvollerwei-
se Gegenstand eines Klimaschutzgesetzes sein .
Frau Kotting-Uhl .
Frau Ministerin, ich habe Sie vorhin so verstanden,
dass, was jetzt von der Bundesregierung aufgrund der
Empfehlungen des SRU geleistet wurde, immerhin die
Gemeinsamkeit war, festzustellen, dass Handlungsbedarf
besteht; das muss angesichts der Ausrichtung des Land-
wirtschaftsministeriums wahrscheinlich tatsächlich als
Erfolg bezeichnet werden .
Sie haben auf die Frage von Herrn Lenkert – er hat
zum Vorschlag des SRU hinsichtlich einer Stickstoff-
überschussabgabe gefragt – geantwortet, dass man in der
Bundesregierung nichts davon hält . Ich würde Sie gerne
zu anderen Vorschlägen des SRU fragen, zum Beispiel,
wenn es darum geht, die Anforderungen an Tierhal-
tungsanlagen zu verschärfen, in der TA Luft klare und
anspruchsvolle Vorgaben für Tierhaltungsanlagen zu
schaffen oder auch Reduktionsziele für den Gesamtein-
trag von reaktiven Stickstoffverbindungen aufzustellen
oder die Hintergrundbelastung reaktiver Stickstoffver-
bindungen zu reduzieren . Das sind einige der relevanten
Vorschläge des SRU . Wie bewerten Sie diese, und haben
Sie vor, neben dem Bericht, den Sie jetzt vorgelegt ha-
ben, vielleicht auch eine Empfehlung für ganz bestimmte
Maßnahmen – wem auch immer: im Umweltministerium
und in der zukünftigen Bundesregierung – zu hinterlas-
sen?
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Frau Kollegin Kotting-Uhl, ich hatte schon ausge-
führt, dass wir in meinem Haus gerade an der Umsetzung
der TA Luft im Zusammenhang mit Tierhaltungsanlagen
arbeiten .
Kollege Krischer .
Herzlichen Dank, Herr Präsident . – Frau Ministerin,Sie haben eben wieder folgendes Spiel gespielt – dies-mal mit Herrn Bleser –: Frau Hendricks kündigt etwasan, und die anderen Häuser bzw . der Rest der Bundes-regierung setzt es nicht um oder blockiert . Ich möchtedeshalb eine Frage zu Ihrem eigenen Zuständigkeitsbe-reich stellen: Anfang Mai hat die EU-Kommission unteranderem für Stickoxide aus Kohlekraftwerken, die einewesentliche Ursache für Stickstoffeinträge in die Umweltsind, Grenzwerte auf Basis der besten verfügbaren Tech-nik festgelegt . Medienberichten war zu entnehmen, dassDeutschland versucht hat, zusammen mit Polen, Tsche-chien und anderen, diese Verschärfung der Grenzwertezu verhindern . Dieser deutsche Bremsversuch ist Gott seiDank nicht gelungen . Können Sie mir erklären, warumSie als Umweltministerin bei einer schärferen Gesetzge-bung, die durchaus im Sinne Ihres formulierten Zieles –Reduzierung des Stickstoffeintrags – wäre, auf EU-Ebe-ne gebremst haben?Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:Erstens habe ich an der Stelle nicht auf EU-Ebenegebremst . Damit hat sich ein anderes Gremium befasst,nämlich, soweit ich weiß, der AStV .Zweitens . Wir waren zunächst in guten Gesprächenmit Vertretern der Europäischen Kommission und wa-ren an einer Stelle der Auffassung, dass das, was vonder Kommission vorgeschlagen wurde, technisch nichtregelungsfähig ist . Die Kommission hatte angedeutet,dass man darüber noch einmal reden wolle . Wir wur-den dann davon überrascht, dass die Beschlussfassungschon am 28 . April 2017 herbeigeführt worden ist; dennam 27 . April sind wir noch davon ausgegangen, dass dieBeschlussfassung verschoben würde . Insofern hat unsdie Beschlussfassung überrascht . Da wir fachlich ande-Parl. Staatssekretär Peter Bleser
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rer Auffassung waren, haben wir tatsächlich nicht zuge-stimmt. Unsere Auffassung wurde übrigens durch dasUBA bestätigt, welches bei Ihnen normalerweise nichtim Verdacht steht .
Herr Lenkert stellt jetzt die letzte Frage zu diesem
Themenkomplex .
Frau Ministerin, ich möchte das Thema Lebensmittel-
verschwendung ansprechen . Auch das Wegwerfen von
Lebensmitteln hat Einfluss auf die Stickstoffbilanz. Nun
hat der Handel natürlich kein Interesse daran, weniger
Lebensmittel zu verkaufen . Dann würde ja auch der Um-
satz sinken . Vor diesem Hintergrund frage ich: Welche
Maßnahmen wollen Sie seitens der Bundesregierung in
den Bereichen Handel und Produktion ergreifen, um die
Verschwendung von Lebensmitteln zu bekämpfen und
die damit verbundenen Stickstoffeinträge zu reduzieren?
Ich möchte die Zahl noch einmal nennen – Sie kennen
sie sicher –: 11 Millionen Tonnen Lebensmittel werden
in Deutschland pro Jahr als Abfall entsorgt .
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Kollege Lenkert, diese Zahl muss uns alle erschre-
cken . Dem wollen wir sicherlich gemeinsam entgegen-
treten . Allerdings ist es schwierig, auf das individuelle
Konsumentenverhalten einzuwirken . Wir als Bundesre-
gierung haben eine Strategie zum nachhaltigen Konsum
aufgelegt, die auch den Bereich Lebensmittel umfasst –
selbstverständlich nicht nur diesen Bereich, aber auch
diesen –; letztlich führen aber Konsumentenentscheidun-
gen dazu, dass Lebensmittel verschwendet werden .
Ich würde es für sinnvoll halten – darauf hat ja auch
der Ernährungsminister schon einmal hingewiesen –,
dass man auf den Verpackungen nicht nur das Mindest-
haltbarkeitsdatum angibt, sondern auch das Datum, bis
zu dem der Verzehr unbedenklich ist . Das würde sicher-
lich helfen, weil viele Menschen sich von den Mindest-
haltbarkeitsdaten beeinflussen lassen, im Sinne von: Das
werfe ich jetzt mal weg . – Faktisch weiß man, dass das
nicht nötig ist . Ich zum Beispiel trinke kleine Mengen
Vollmilch in meinem Kaffee. Ich nutze die Milch immer
noch nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums, weil
ich ja gar nicht so viel davon verbrauche . Da passiert
nichts . Ich glaube, es wäre vernünftig, beide Daten anzu-
geben . Über diesen Punkt sollte man mit der Lebensmit-
telindustrie verhandeln, oder man müsste eine entspre-
chende Vorschrift erlassen .
Vielen Dank . – Wir schließen jetzt diesen Teil der Re-
gierungsbefragung ab .
Gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigen Ka-
binettssitzung? – Das ist nicht der Fall . Sonstige Fragen
an die Bundesregierung gibt es aber reichlich . Zunächst
erteile ich dem Kollegen Beck das Wort .
Vielen Dank . – Meine Frage berührt den Geschäfts-
bereich des Bundesministers des Innern . Herr Lothar
de Maizière war letztes Jahr in Kairo und hat dort den
Großscheich Ahmad al-Tayyib besucht . Diesen hat er
jetzt auf dem Kirchentag erneut getroffen. Er wurde dort
als großer Friedensvisionär und moderater Muslim gefei-
ert . Ich möchte wissen, ob der Bundesregierung bekannt
ist und wenn ja, warum es nicht Gesprächsthema wurde,
dass Herr al-Tayyib hinsichtlich Israel fragt: „Wenn man
die religiöse Decke abnimmt, welche Berechtigung hätte
denn Israel in dieser Region?“, und damit die Existenz
dieses Staates infrage stellt . In 2002 soll er gesagt haben,
dass Selbstmordattentate in Israel zu 100 Prozent isla-
misch seien .
Warum geht man bei einer öffentlichen Veranstaltung
nicht kritisch damit um? Ich finde, ein Dialog mit dem
Islam ist richtig, aber Dialog heißt auch, dass man solche
Äußerungen benennt und zurückweist . Durch das Ver-
schweigen solcher Probleme schafft man schließlich nur
falsche Vorbilder; denn er hat jetzt nach diesem Auftritt
sozusagen das Prüfsiegel des Bundesinnenministeriums
und der Bundesregierung . Ich möchte wissen, wie Sie
das wieder geraderücken wollen .
D
Darf ich?
Ja, klar . Bitte schön . Es besteht sogar eine gewisse
Erwartung, dass eine Antwort auf die Frage erteilt wird .
D
Die Erwartung enttäusche ich ungern, insbesondere
nicht diejenige des Bundestagspräsidenten .
Das wollen wir einmal festhalten .
D
Herr Kollege Beck, ich gehe davon aus, dass Sie nichtLothar de Maizière meinten, den letzten Ministerpräsi-denten der DDR, auch wenn Sie ihn eben genannt haben .Sie meinten bestimmt Thomas de Maizière . Aufgrunddieses Versprechers hatte ich gezögert und mich gefragt,ob mein Haus wirklich zuständig ist, diese Frage zu be-antworten . Aber das setze ich jetzt einfach voraus .In der Tat hat Thomas de Maizière auf dem Kirchen-tag an einer Diskussionsrunde, die ich selbst leider nichtbesuchen konnte, teilgenommen . Sie war Teil des Dia-logs, der dort – ich finde, vollkommen zu Recht; da sindwir uns wahrscheinlich einig – zwischen Christen undMuslimen, zwischen dem deutschen Staat und muslimi-schen Vertretern gepflegt worden ist. Allerdings kann ichmitnichten sehen, dass man hierdurch einer Person, auchBundesministerin Dr. Barbara Hendricks
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wenn sie in der islamischen Lehre noch so hochgestelltist und vielleicht eine der höchsten islamischen Lehrauto-ritäten ist, ein Gütesiegel oder Ähnliches erteilt . Auf demKirchentag gab es viele Diskussionsrunden, bei denenVertreter unterschiedlicher Parteien, auch Ihrer Partei,mit anderen diskutiert haben . Wenn man dies jedes Malals eine Art Gütesiegel interpretieren würde, dann könnteman wahrscheinlich viele Diskussionen nicht mehr füh-ren oder müsste sich gut überlegen, ob man teilnimmt .
Der Dialog ist wichtig, und er hat stattgefunden . DasZitat, das Sie genannt haben und das offenbar aus demJahr 2002 ist, bezieht sich, soweit mir bekannt ist, aufeinen Artikel in der New York Times, den dann das AJCübernommen hat . Wie belastbar dieses Zitat ist, kann ichIhnen hier wirklich nicht sagen .
Frau Leidig .
Vielen Dank . – Ich möchte die Gelegenheit nutzen,
noch eine Frage an Frau Ministerin Hendricks zu rich-
ten . Hierbei geht es um das Luftverkehrskonzept, das
wir heute im Verkehrsausschuss andiskutiert haben . Die
Zuständigen der Bundesregierung haben deutlich formu-
liert, dass das Ziel dieses Konzeptes ist, den Luftverkehr
zu steigern, also mehr Flugverkehr in Deutschland zu
organisieren, auch um im internationalen Wettbewerb
mehr Anteile zu gewinnen . Das ist eine Strategie, die den
Klimaschutzzielen deutlich im Wege steht . Sie entspricht
auch nicht den Zielen und Verabredungen, über die in
den Ländern diskutiert worden ist, und auch nicht den
Vorstellungen der Posch-Kommission, die angeregt hat,
sich auch mit Fragen des Lärmschutzes usw . intensiver
zu beschäftigen . Mich würde interessieren, ob Sie bei der
Erstellung dieses Konzeptes involviert sind, ob Sie eine
Meinung dazu haben und wie Sie Ihre Position einbrin-
gen werden .
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Das Luftverkehrskonzept dient nach der Aussage des
Bundesverkehrsministeriums der Steigerung der Wettbe-
werbsfähigkeit des Luftverkehrs . Das Luftverkehrskon-
zept des Bundesverkehrsministeriums ist nicht mit uns
abgestimmt worden . Dies habe ich bereits bedauert .
Kollege Ebner .
Ich wollte Frau Ministerin Hendricks noch etwas fra-
gen . Frau Ministerin, Sie haben sich ja in Sachen Gly-
phosat engagiert und gesagt, dass man diesen Stoff nicht
zulassen kann . Gestern war in einem BR-Beitrag zu hö-
ren, dass Sie einer Zulassung wohl mit strengen Anwen-
dungsbestimmungen zustimmen .
Professor Christopher Portier, ehemaliger Direktor
des National Institute of Environmental Health Sciences
der USA, hat aber die ganzen Rohdaten und Original-
studienberichte analysiert und dabei festgestellt, dass nur
20 Prozent aller Krebseffekte in Betracht gezogen wur-
den, dass bei der Bewertung durch die EFSA und ECHA
acht signifikante Krebseffekte komplett übersehen wur-
den und dass sich wesentliche Hinweise auf die krebser-
regende Wirkung von Glyphosat in den offiziellen euro-
päischen Bewertungen in keiner Weise widerspiegeln .
Deshalb meine Frage an Sie: Welche Konsequenzen zie-
hen Sie, zieht die Bundesregierung aus diesen neuen Er-
kenntnissen? Wie werden Sie die Analyse von Professor
Portier bei der Abstimmung über die Wiederzulassung
berücksichtigen, oder bleiben Sie bei den lediglich stren-
gen Anwendungsbestimmungen?
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Herr Kollege, ich habe meine Entscheidung noch
nicht endgültig gefällt . Die Berichterstattung darüber ist
insofern nicht zutreffend.
Kollege Movassat .
Danke, Herr Präsident . – Meine Frage richtet sich
an das Auswärtige Amt . Es gab ja heute in Afghanis-
tan einen schrecklichen Anschlag, bei dem mindestens
80 Menschen gestorben sind, und es gab über 350 Ver-
letzte . Die Bundesregierung hat richtigerweise von ei-
ner niederträchtigen Tat gesprochen . Meine Frage zielt
darauf, welche Konsequenz das für die Bewertung der
Sicherheitslage in Afghanistan hat . Die Bundesregierung
hat ja immer die Auffassung vertreten, dass es in Afgha-
nistan sichere Gebiete gibt . Dazu wurden auch Teile Ka-
buls gezählt . Der Anschlag fand in Kabul statt . Von daher
meine Frage an das Auswärtige Amt, ob dieser Anschlag,
der ja nun zeigt, dass selbst bestens gesicherte Viertel in
Afghanistan Ziel von Anschlägen werden können, für Sie
Anlass sein wird, die Einstufung der Sicherheitslage zu
überprüfen .
Herr Staatsminister .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Herr Kollege Movassat,das sind bestürzende Nachrichten, die wir heute aus Ka-bul übermittelt bekommen haben . Wir sind angesichtsdieses furchtbaren Anschlages fassungslos, bei dem inder Tat ungefähr 80 Menschen ums Leben gekommenParl. Staatssekretär Dr. Günter Krings
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sind und es etwa 300 Verletzte gegeben hat . Ich mussIhnen aber in einem Punkt widersprechen: Die Bundes-regierung und auch das Auswärtige Amt haben die Si-cherheitslage in Afghanistan niemals als generell sichereingestuft, ganz im Gegenteil . Die Gefährdungslagebleibt in hohem Maße volatil und hat sich natürlich durchdiesen verheerenden Terroranschlag mitnichten verbes-sert . Das Gegenteil ist der Fall . Wir werden natürlich imLichte von solch furchtbaren barbarischen Ereignissendie Sicherheitslage immer wieder überprüfen .Einen konkreten Hinweis möchte ich im Rahmen die-ser Regierungsbefragung noch mitgeben: Der Bundesin-nenminister hat heute Morgen vor dem Hintergrund desAnschlages entschieden, die zentrale Rückführung nachKabul, die heute erfolgen sollte, auszusetzen .
Kollege Ströbele .
Meine Frage betrifft das gleiche Thema. Das drängt
sich ja auf . Ich gehe davon aus, dass sich die Bundes-
regierung in der heutigen Sitzung mit diesem grauen-
haften Anschlag beschäftigt hat . Kabul ist der Ort, der
immer wieder als relativ sicher bezeichnet worden ist .
Ich war selber mehrfach in Kabul und kenne die Gegend
in der Nähe der deutschen Botschaft, wo jetzt der An-
schlag stattgefunden hat . Die deutsche Botschaft soll ja
auch erheblich betroffen sein. Sie ist durch meterdicke
Betonmauern gesichert . Trotzdem sind dort Scheiben ka-
puttgegangen und offenbar auch Menschen zu Schaden
gekommen; es gab wahrscheinlich einen Toten und meh-
rere Verletzte .
Will die Bundesregierung nach diesem Ereignis –
nachdem es im eigentlich sichersten Bereich in Kabul,
in dem Bereich, in dem sich auch die Abgeordneten
aufhalten sollen, weil es dort relativ sicher ist, zu einem
Anschlag gekommen ist – nicht doch ihre Auffassung im
Hinblick auf sichere Bereiche in Afghanistan überprüfen
und sagen: „In Afghanistan ist es nirgendwo mehr sicher,
schon gar nicht in Kabul“?
Ich bin dankbar, dass Sie, Herr Staatsminister, ange-
sprochen haben, dass die für heute geplante Abschiebung
nach Kabul gestoppt worden ist und dass es sich hierbei
nicht um einen einmaligen Stopp handelt, sondern dass
zunächst einmal alle Abschiebungen nach Afghanistan
gestoppt werden und die Lage dort völlig neu beurteilt
werden muss .
Kollege Ströbele, ich bitte darum, jetzt das Fragezei-
chen zu setzen .
Ja, nur noch diesen Satz . – Mir stellt sich die Fra-
ge: Was muss in Afghanistan noch passieren, damit die
Bundesregierung zu einer realistischen Gefährdungsein-
schätzung kommt?
Frau Präsidentin! Herr Abgeordneter, der Anschlag ist
in unmittelbarer Nähe der deutschen Botschaft in Kabul
verübt worden . Ich habe noch keine detaillierten Infor-
mationen . Deswegen bitte ich um Verständnis dafür, dass
die Zahlen, die ich nenne, und die Aussagen, die ich tref-
fe, unter einem gewissen Vorbehalt stehen . Ich habe ja
eben auch Zahlen genannt: 80 Tote, circa 300 Verletzte .
Das Botschaftsgebäude selbst ist sehr schwer beschädigt
worden . Unsere Kolleginnen und Kollegen, die in Kabul
im Einsatz sind, und auch die Kräfte vor Ort sind in Si-
cherheit . Es gibt aber eine Verletzte, die zum Team der
deutschen Botschaft gehört .
Entgegen anderslautenden Diskussionen in der Öffent-
lichkeit gibt es keine pauschal als sicher zu bewertenden
Regionen in Afghanistan . Bei jeder Rückführung wird
jeweils die individuelle Situation der betreffenden Per-
son überprüft . In der Tat ist es so, Herr Kollege Ströbele,
dass die Lage in Kabul bislang als relativ sicher einge-
stuft wurde . Aber auch dies muss immer in Anbetracht
der individuellen Situation geschehen .
Lassen Sie mich das an einem Beispiel belegen . Wenn
jemand als Paschtune nach Kabul zurückkehrt, galt und
gilt das bislang als relativ sicher . Wenn aber jemand als
zum Christentum konvertierter Afghane nach Kabul
kommt, ist die Lage differenzierter zu bewerten. Das
macht deutlich, dass ich hier keine pauschalen Antwor-
ten zu geben vermag, sondern nur im Hinblick auf den
jeweils individuellen Fall eine Bewertung vornehmen
kann .
Ich lasse die zwei noch angemeldeten Fragen zu, bitte
aber die Fragesteller und die Antwortenden, sich kurz-
zufassen .
Die Kollegin Haßelmann hat das Wort .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Auch ich möchte aufdie Sicherheitslage und die Sicherheitseinschätzung inAfghanistan zu sprechen kommen . Herr Roth, erst ein-mal danke für Ihre Ausführungen . Sie können einen abernicht zufriedenstellen; denn die Bundesregierung hat unsmonatelang erklärt, dass es in Afghanistan sichere undnicht sichere Regionen gibt und dass man deshalb nachAfghanistan abschieben kann . Wir können gerne heraus-arbeiten, was für Antworten die Bundesregierung unsdazu gegeben hat .Zu der Aussage, dass man sich jeden Fall einzeln an-sieht und dabei die spezifische Herkunftssituation be-rücksichtigt, muss ich sagen: So ist es doch nicht . Dasweiß jeder, der sich damit befasst . Meine Frage ist: Wielange wollen Sie uns eigentlich noch mit der Aussagehinhalten, dass Sie die Sicherheitslage neu einschätzenund überprüfen? Das hören wir als Parlament seit demAnschlag auf Masar-i-Scharif vor über drei Wochen . DieStaatsminister Michael Roth
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Dramatik potenziert sich durch den aktuellen Anschlagnatürlich .
Bitte, Herr Staatsminister .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Frau Kollegin
Haßelmann, die Sicherheitslage wird natürlich gene-
rell im Lichte aktueller Entwicklungen überprüft; dazu
sind wir schlicht verpflichtet. Aber die Lage ändert sich.
Sie ist in Afghanistan – darauf habe ich bereits hinge-
wiesen – als in höchstem Maße volatil einzustufen . Ich
verwahre mich aber gegen den Vorwurf, dass es in den
vergangenen Monaten oder auch Jahren zu pauschalen
Rückführungen gekommen ist . Die relativ geringe Zahl
von Rückführungen macht deutlich, dass es jeweils
zu einer individuellen Überprüfung der Situation der
Menschen, die keinen dauerhaften Aufenthaltsstatus in
Deutschland haben und in ihr Heimatland zurückgeführt
werden, kommt . Das macht ja nicht die Bundesregierung
im Auftrag der Bundesländer . Vielmehr sind für die ein-
zelnen Überprüfungen in Deutschland die Bundesländer
zuständig, und sie müssen ihrer Verantwortung auch ge-
recht werden .
Die nächste Frage stellt der Kollege Beck .
Gleiches Thema, anderes Ressort: In der letzten Wo-
che gab es im Auswärtigen Amt eine Konferenz zur Frie-
densverantwortung der Religionen. Ich finde, das ist ein
wichtiger Ansatz . Dort waren auch äußerst problemati-
sche Gäste zugegen. Auch das finde ich grundsätzlich
erst einmal richtig, weil in den Dialog auch die mit ein-
bezogen werden müssen, bei denen wir noch Überzeu-
gungsarbeit leisten müssen . Trotzdem möchte ich ger-
ne wissen, warum weder beim Einführungsvortrag von
Herrn Gabriel noch beim Einführungspanel diese Proble-
matik thematisiert wurde und in welcher Form die Positi-
onen dieser Leute in der Veranstaltung klar und deutlich
benannt und zurückgewiesen wurden .
Ich beziehe mich hier zum einen auf den Vertreter des
IZH, das vom Landesamt für Verfassungsschutz beob-
achtet wird, Herrn Hamid Reza Torabi, der in der Ver-
gangenheit zu den Teilnehmern und Organisatoren der
Berliner Al-Quds-Demonstrationen gehörte, einer anti-
israelischen und auf die Vernichtung Israels ausgerich-
teten Veranstaltung, und zum anderen auf Herrn Seyed
Abdolhassan aus Ghom, der dort an einer islamistischen
Kaderschmiede lehrt . Ich könnte Ihnen jetzt die Äuße-
rungen dieser Akademie und dieser Person zur Homose-
xualität, zur Außenpolitik usw . vortragen .
Das wird jetzt nicht mehr gelingen .
Das will ich nicht tun . Ich möchte aber wissen, wie
deutlich gemacht wurde, dass wir zwar einen Dialog mit
ihnen führen, dass unser Standpunkt aber die Zurückwei-
sung ihrer Positionen ist. Im öffentlichen Panel war das
nämlich nicht vernehmbar .
Bitte, Herr Staatsminister .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Herr Kollege Beck,
zunächst einmal freue ich mich sehr darüber, dass Sie die
Bemühungen des Auswärtigen Amtes, einen Beitrag zum
interreligiösen Dialog zu leisten, anerkennen . Genau das
war das Ziel dieser Konferenz . Ich selbst habe das Ab-
schlusspanel geleitet . Wir haben den dort Anwesenden
zugehört und dann einen entsprechenden Auftrag für die
Zukunft erarbeitet .
Ich bin sehr froh darüber, dass es uns gelungen ist,
über 100 Repräsentantinnen und Repräsentanten der un-
terschiedlichen Religionsgemeinschaften und Kirchen
zusammenzubringen . Es handelte sich hierbei insbeson-
dere um Repräsentantinnen und Repräsentanten des Is-
lams, des Judentums und des Christentums, aber auch an-
derer Religionen . Wir haben uns dort weniger als Richter
aufgespielt, sondern vor allem den interreligiösen Dialog
befördern wollen . Dabei ging es um die ganz zentrale
Frage: Welchen Beitrag können und müssen Religions-
gemeinschaften leisten, um dem Frieden in der Welt zu
dienen? Dieser Dialog ist von den Teilnehmenden in ho-
hem Maße begrüßt worden .
Sie haben von Herrn Torabi gesprochen . Er ist in der
Tat als einer von 1 000 Gästen eingeladen worden, hat
aber an der Konferenz nicht teilgenommen . Wir haben
Herrn Torabi deshalb eingeladen, weil wir nicht nur
sunnitische Vertreterinnen und Vertreter des Islams in
Deutschland einladen wollten . Herr Torabi ist einer der
wichtigen – durchaus auch umstrittenen – Repräsentan-
ten des schiitischen Teils des Islams in Deutschland . Herr
Kollege Beck, ich darf Ihnen noch einmal versichern,
dass wir uns als Bundesregierung und erst recht als Aus-
wärtiges Amt nicht irgendwelche antisemitischen oder
dem Frieden nicht dienlichen Aussagen von einzelnen
Teilnehmenden zu eigen machen, ganz im Gegenteil . Es
war eine Einladung zum Dialog, und dieser Einladung
zum Dialog haben viele Folge geleistet, aber nicht Herr
Torabi .
Danke, Herr Staatsminister . – Ich beende die Regie-rungsbefragung .Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 4:FragestundeDrucksache 18/12501Die Parlamentarischen Geschäftsführer haben sichdarauf verständigt, dass der folgende Tagesordnungs-Britta Haßelmann
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punkt 8 um 14 .30 Uhr aufgerufen werden soll . Die Fra-gestunde verkürzt sich entsprechend .Ich rufe nun die mündlichen Fragen auf Drucksa-che 18/12501 in der üblichen Reihenfolge auf .Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung . Zur Beantwortung der Fragen steht derParlamentarische Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtelzur Verfügung .Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Movassat auf:Inwiefern sind die Bundesregierung und die Deutsche In-vestitions- und Entwicklungsgesellschaft mbH darüberinformiert, dass bereits 2015 ein Plantagenarbeiter des kon-golesischen Unternehmens Feronia an den Folgen der Folterdurch Sicherheitskräfte von Feronia ums Leben gekommensein soll, seine Frau wenig später bei Protesten gegen diesesVorgehen von der kongolesischen Polizei erschossen wor-den sein soll sowie insgesamt in den Plantagengebieten vonFeronia sowohl durch die kongolesische Polizei als auch dieSicherheitskräfte von Feronia ein repressives Verhalten ge-genüber der Bevölkerung und den Plantagenarbeiterinnen undPlantagenarbeitern an den Tag gelegt wird, wie ein Kommu-niqué der kongolesischen NGO-Informationsplattform RIAOvom 3 . Mai 2017 , das mirvorliegt, berichtet, und welche Konsequenzen ziehen Bun-desregierung und DEG aus diesen Berichten für die weitereFinanzierung von Feronia bzw . dessen TochterunternehmenPlantations et Huileries du Congo ?Bitte, Herr Staatssekretär .Ha
Der Bundesregierung und dem Finanzierungskonsorti-
um, dem auch die DEG angehört, ist durch die angespro-
chene Berichterstattung im Kommuniqué das Folgende
bekannt: Im Jahr 2015 kam ein Ehepaar aus Boteka ums
Leben . Dabei handelt es sich um einen Vorgang zwischen
der lokalen Polizei und dem Ehepaar aufgrund eines
Konflikts zwischen den Ehepartnern. Das Unternehmen
Feronia war daran nicht beteiligt . Der Mann war als Gärt-
ner bei dem Unternehmen unter Vertrag .
Die Bundesregierung und die DEG bedauern diesen
Vorgang sehr . Dem darüber hinausgehenden Vorwurf
eines repressiven Verhaltens ist die DEG nach Kenntnis
der Bundesregierung nachgegangen . Belege oder kon-
krete Ansatzpunkte liegen uns nicht vor .
Danke . – Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Danke schön, Frau Präsidentin . – Herr Staatssekre-
tär, hierzu gibt es unterschiedliche Informationen . Sie
haben offenbar eine andere Information als die, die mir
vorliegt . Die mir vorliegende Information ist, dass der
Plantagenarbeiter durch Folterung der Sicherheitskräfte
des Unternehmens Feronia umgebracht wurde und sei-
ne Frau durch kongolesische Sicherheitskräfte erschos-
sen worden ist, nachdem sie gegen die Ermordung ihres
Mannes protestiert hatte .
Das sind zwei sehr unterschiedliche Sichtweisen . Ich
würde mir schon wünschen, dass die Bundesregierung
diesem Fall intensiver nachgeht; denn das ist schon ein
sehr schwerwiegender Vorwurf . Wenn Ihre DEG die Fir-
ma Feronia im Kongo finanziert und diese Plantagenar-
beiter umbringt, dann ist das, wenn das stimmen sollte,
ein handfester Skandal . Deshalb ist meine Frage: Welche
Maßnahmen werden Sie ergreifen, um das aufzuklären?
Werden Sie es bei dem belassen, was Ihnen jetzt bekannt
ist, oder werden Sie weitere Maßnahmen ergreifen, zum
Beispiel den kongolesischen Staat unterstützen oder auf-
fordern, die Sache juristisch intensiv zu verfolgen?
Ha
Ich darf hier noch einmal betonen, dass wir allen kon-
kreten Hinweisen und Ansatzpunkten über die DEG bzw .
die anderen Finanziers des Konsortiums nachgehen, und
zwar schon aus Reputationsgründen . Wir legen Wert da-
rauf, dass solche Dinge aufgeklärt werden, auch wenn
in diesem Fall der Vorwurf, der hier vorgetragen wurde,
möglicherweise nicht zutrifft. Es geht auch darum, dass
deutsche Firmen, die am Konsortium beteiligt sind, oder
hier die DEG daran interessiert sind, in solche Dinge
nicht hineingezogen zu werden .
Ich darf Ihnen sagen: Die DEG steht im engen Aus-
tausch mit Feronia . Das Unternehmen zeigt sich sehr ko-
operativ bei der Aufklärung. Aus dem Kommuniqué geht
kein Fehlverhalten eines Feronia-Mitarbeiters hervor .
Vielmehr wird deutlich, dass die Sicherheitskräfte von
Feronia nicht an Folterung oder Erschießung beteiligt
gewesen sind . Das ist bereits sehr gründlich untersucht
worden . Ich bitte darum, das zur Kenntnis zu nehmen .
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage .
Herr Staatssekretär, wir werden das selbstverständlichüberprüfen . Ich nehme Ihre Worte mit . Wir werden se-hen, was am Ende stimmt .Unabhängig von dieser Fragestellung gibt es zum The-ma Feronia noch andere Kritikpunkte, zum Beispiel, dassFeronia das geltende Recht der Demokratischen Repu-blik Kongo verletzt . Nach kongolesischem Recht ist dieVerpachtung großer Flächen an ausländische Unterneh-men untersagt . Feronia schreibt in seinem Finanzberichtganz offen, dass es dieses Gesetz ignoriert. Daher frageich Sie: Wie können Sie über die DEG ein Unternehmenfinanzieren, das offenbar geltendes Recht der Demokrati-schen Republik Kongo verletzt?Zweitens . Wir wollten als Abgeordnete mit Vertreternder DEG, der Bundesregierung und von NGOs ein Fach-gespräch zu diesem Thema durchführen, finanziert vonder DEG . Das hatten Sie auch zugesagt, Herr Fuchtel; eshat aber nicht stattgefunden . Mich würde interessieren,woran es gescheitert ist; denn damit könnten wir auchsolche Fragen wesentlich besser klären .Vizepräsidentin Petra Pau
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Ha
Das ist zunächst einmal an der Zeit gescheitert . Wir
sind bis jetzt noch nicht dazu gekommen .
Was das Zweite angeht, das hier im Raum steht, müs-
sen die Zuhörerinnen und Zuhörer Folgendes wissen: Die
DEG ist der private Zweig der KfW. Sie finanziert Firmen
im Ausland und trägt dazu bei, Arbeitsplätze zu schaffen.
Hier ging es darum, dass im Jahr 2015 9 000 Arbeitsplät-
ze zur Disposition standen . Die DEG ist gemeinsam mit
anderen bzw . mit einem Konsortium in die Finanzierung
hineingegangen, um diese Arbeitsplätze zu erhalten .
Wir haben heute Diskussionen der Qualität, wie sie
gerade vorgetragen wurde, was wir als Demokraten na-
türlich akzeptieren . Aber wir möchten auch darauf hin-
weisen, dass es für manche politischen Kräfte, die in sol-
chen Diskussionen mitwirken, offensichtlich erst dann
interessant wurde, als sich die DEG aus Deutschland an
der Finanzierung beteiligt hat . Wir haben das nicht ge-
macht, um Ärger zu haben,
sondern wir haben es gemacht, um die Arbeitsplätze von
9 000 Menschen zu sichern .
Wenn wir darüber reden, dass wir nicht noch mehr
Flüchtlinge und andere aufnehmen möchten, dann ist es
auch eine große Aufgabe, darauf hinzuwirken, dass es
Arbeitsplätze vor Ort gibt . Wir mussten dieses Signal set-
zen, um einen Beitrag dazu zu leisten, dass die Menschen
vor Ort Arbeit und Perspektiven haben .
Die anderen Fragen können wir gerne in anderen Dia-
logen noch einmal erörtern .
Wir sind aber im Moment tatsächlich in der Frage-
stunde und treten nicht in den Dialog . Ich weiß, das ist
manchmal schwer abgrenzbar .
Die Frage 2 des Kollegen Uwe Kekeritz soll schrift-
lich beantwortet werden . – Herzlichen Dank, Herr Staats-
sekretär .
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Aus-
wärtigen Amts . Zur Beantwortung der Fragen steht der
Staatsminister Michael Roth zur Verfügung . Die Frage 3
der Kollegin Inge Höger soll schriftlich beantwortet wer-
den .
Ich rufe die Frage 4 der Kollegin Dr . Franziska
Brantner auf:
Welche konkreten Bemühungen hat die Bundesregierung
bisher „in bilateralen Gesprächen sowie im Rahmen multilate-
raler Foren“ unternommen, um – wie in ihrer Antwort auf mei-
ne schriftliche Frage 5 auf Bundestagsdrucksache 18/12441
angekündigt – den VN-Beweissicherungsmechanismus IIIM
erfolgreich abgeschlossen sein ?
Herr Staatsminister .
Frau Präsidentin, vielen Dank . Ich danke Ihnen auch,dass Sie diesen komplizierten Namen einer wichtigen In-stitution schon vorgetragen haben . Dann erspare ich mirdas . Wir haben uns im internationalen Rahmen daraufverständigt, von IIIM zu sprechen .Da die Abgeordnete Brantner zwei Fragen zu demsel-ben Sachverhalt gestellt hat – die zweite Frage beziehtsich auf die finanzielle Dimension –, würde ich jetzt inder Beantwortung der ersten Frage konkrete finanzielleAspekte außen vor lassen . Ich will das nur deshalb jetztan den Anfang stellen, damit die Kolleginnen und Kolle-gen nicht irritiert sind, dass ich mich noch nicht zu kon-kreten Summen äußere .Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hatdiesen Mechanismus am 21 . Dezember 2016 eingerich-tet . Der IIIM soll Beweise für schwerste Kriegsverbre-chen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die inSyrien seit März 2011 begangen worden sind, sammeln,konsolidieren, aufbereiten und analysieren, und es sollenerste Ermittlungsakten vorbereitet werden, die eine un-abhängige Strafverfolgung durch nationale und interna-tionale Tribunale oder Gerichtshöfe unterstützen sollen .Die Bundesregierung hat die Bemühungen, den inter-nationalen IIIM auf eine breite finanzielle, aber auch po-litische Basis zu stellen, auf ganz verschiedenen Ebenenunterstützt . Insbesondere nutzt die Bundesregierung diemultilateralen Gremien und Sitzungen, um andere Staa-ten zu ermuntern, sich ebenso zu engagieren .Ich will nur einige wenige Beispiele nennen, Frau Kolle-gin Brantner . Am 15 . Mai dieses Jahres hat Deutschlandin New York in der offenen Debatte des Sicherheitsratesder Vereinten Nationen zum Thema „Sexuelle Gewaltin bewaffneten Konflikten“ verstärkte Bemühungen zurAbkehr von einer Kultur der Straflosigkeit gefordert undin diesem Zusammenhang auf unsere politische und fi-nanzielle Unterstützung des IIIM hingewiesen . Des Wei-teren weise ich noch einmal auf das Jahrestreffen dersogenannten Focal Points hin, bei dem es um die Schutz-verantwortung geht: „Responsibility to protect“, Sie allekennen dieses Prinzip. Dieses Treffen fand am 24. und25 . April 2017 in Doha, Katar, statt . Auch dort haben wirdie vertretenen Staaten aufgefordert, einen substanziel-len, finanziellen und politischen Beitrag zur Unterstüt-zung des IIIM zu leisten .Natürlich haben wir uns auch auf der EU-Ebene inden entsprechenden Ratsarbeitsgruppen dafür eingesetzt,dass möglichst viele Staaten freiwillige Beiträge zusa-gen . Wir werden dazu am 1 . Juni in der Ratsarbeitsgrup-pe „Völkerrecht“ einen weiteren Meinungsaustauschhaben. Die Frage der Rechenschaftspflicht bezüglichSyrien ist in politischen Gesprächen immer wieder Ge-
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genstand . Hierbei spielt natürlich auch die Einrichtungund die Unterstützung des IIIM eine ganz wichtige Rolle .Auch auf nationaler Ebene werben wir bei nationalenAkteuren, zum Beispiel bei der Strafjustiz und bei Nicht-regierungsorganisationen, für eine aktive Unterstützungdes neuen Mechanismus, gerade auch im Rahmen derZusammenarbeit und des Wissensaustauschs .Darüber hinaus steht die Bundesregierung in einemregelmäßigen Dialog mit dem Hochkommissar für Men-schenrechte. Auch hier drängen wir darauf, die finanziel-le und politische Unterstützung des IIIM auf eine breitereBasis zu stellen .
Danke, Herr Staatsminister . – Ich mache uns alle da-
rauf aufmerksam, dass wir für dieses Format die Verab-
redung haben, dass die erste Antwort auf zwei Minuten
und die folgenden Fragen und Antworten dann jeweils
auf eine Minute beschränkt sein sollen . Ich sage das auch
im Interesse der nachfolgenden Kolleginnen und Kolle-
gen, damit wir bis 14 .30 Uhr noch möglichst viele der
eingereichten Fragen beantworten können .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Danke, Frau Präsidentin . – Ich habe natürlich noch
eine Nachfrage . Sie haben in Ihrer ursprünglichen Ant-
wort an mich geschrieben, Sie hätten auch bilaterale Ver-
suche zur Unterstützung gestartet . Jetzt haben Sie lauter
multilaterale Versuche erwähnt . Können Sie bitte auch
präzise einzelne bilaterale Gespräche nennen, mit wel-
chen Ländern Sie in welchen Momenten Gespräche ge-
führt haben, um finanzielle und politische Unterstützung
zu gewinnen?
Ich habe natürlich insbesondere die multilateralen Be-
mühungen hervorgehoben, gleichzeitig aber auch auf die
Ratsarbeitsgruppe des Ministerrates der Europäischen
Union hingewiesen. In diesen Zusammenhängen finden
natürlich immer auch noch einmal bilaterale Gespräche
statt . Da muss noch Überzeugungsarbeit geleistet wer-
den . Ich kann gerne im Nachgang konkret die Staaten
benennen, mit denen wir am Rande auch informelle Ge-
spräche geführt haben .
Es ist aber, glaube ich, auch wichtig, auf multilateraler
Ebene die Akzeptanz für diesen wichtigen Mechanismus
zu erhöhen . Deswegen fokussieren wir uns ganz stark da-
rauf .
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage .
Aber am Ende kommt das Geld natürlich jeweils von
den individuellen Mitgliedsländern . Von daher macht es
schon Sinn, da auch bilateral nachzuhaken . Sie werden
uns die Liste schriftlich zur Verfügung stellen . Das ist
gut .
Sie haben ja in Bezug auf die politische Unterstützung
gesagt, dass Sie darauf warten, dass noch mehr Länder
mitmachen . Von daher meine Frage: Ist es für Sie po-
litisch wichtiger, dass vielleicht noch ein weiteres Land
hinzukommt oder dass mit dem Beweissammlungsme-
chanismus begonnen werden kann, wohl wissend, dass
Beweise verloren gehen können und es zur Straffreiheit
kommen kann, wenn die Beweissammlung nicht recht-
zeitig stattfindet? Also noch einmal: Ist es für Sie wichti-
ger, dass ein Land mit dazukommt oder dass endlich mit
dem Sammeln von Beweisen angefangen wird?
Für uns spielt dieser Mechanismus eine ganz heraus-
gehobene Rolle . Ich würde ungerne das eine gegen das
andere ausspielen wollen . Beides ist wichtig . Ich kann
Ihnen nur – das insinuiert ja Ihre Frage – zustimmen:
Die Arbeit muss losgehen . Wir sollten da auch nicht wei-
ter zuwarten . Gleichzeitig macht es aber auch nur dann
politisch Sinn, wenn möglichst viele Staaten diesem
Mechanismus beitreten und ihn auch unterstützen . Nur
das erhöht die Glaubwürdigkeit dieses Mechanismus .
Nur das erhöht auch die Durchsetzungsfähigkeit dieses
Mechanismus . Deswegen würde ich das gerne parallel
verstanden wissen wollen und keine Priorisierung vor-
nehmen wollen, ob neue Staaten, die beitreten, wichtiger
sind, als sofort mit der Arbeit zu beginnen .
Danke . – Dann kommen wir zu Frage 5 der Kollegin
Dr . Franziska Brantner:
Ist die Bundesregierung bereit, im Falle eines ausbleiben-
den Erfolgs ihrer Bemühungen den VN-Beweissicherungs-
mechanismus IIIM auf eine breite finanzielle und politische
Basis zu stellen bzw . die noch ausstehenden Mittel doch selber
beizusteuern, oder stellt sie sich auf den Standpunkt, dass das
„notwendige hohe Maß an Legitimität und Akzeptanz“ für den
IIIM nur erreicht werden kann, wenn möglichst viele weitere
Staaten, insbesondere aus der Region, zur Errichtung des IIIM
Bitte, Herr Staatsminister .
Danke, Frau Präsidentin . – Jetzt geht es ans Einge-machte, Frau Kollegin Brantner . Ich habe das eben etwasabstrakter dargestellt . Nun muss ich mich aber beeilen,um in zwei Minuten fertig zu werden .Deutschland gehört gemeinsam mit den Niederlandenund Finnland, die jeweils 1 Million Euro zur Verfügungstellen, zu den drei größten Gebern . Die Bundesregie-rung ist der Ansicht, dass dieser Mechanismus nur dannals unabhängig, neutral und objektiv bestehen kann – ichhatte das schon kurz erwähnt –, wenn seine Finanzierungnicht nur von wenigen Staaten gewährleistet wird . Des-wegen bemühen wir uns, weitere Staaten insbesondereaus der betroffenen Region zu finanzieller und politi-scher Unterstützung zu bewegen . So wollen wir diesenMechanismus auf eine noch breitere Basis stellen . Die-Staatsminister Michael Roth
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ses Anliegen teilt im Übrigen das Hochkommissariat derVereinten Nationen in Genf, das zusätzlich intensiv nachweiteren Geldgebern sucht .Uns wurden bislang von 25 Staaten freiwillige Bei-träge in Höhe von 6,5 Millionen US-Dollar zugesichert .Darüber hinaus gibt es eine Reihe mündlicher Zusagen .Dann wären wir bei insgesamt 9 Millionen US-Dollar .Für das Jahr 2017 sind erst einmal rund 4,5 MillionenUS-Dollar für die Arbeit veranschlagt worden . Dasheißt, die Basisfinanzierung ist gesichert. Bislang läuftdas Ganze auf der Basis von freiwilligen Beiträgen . Un-ser Ziel ist, dass das Ganze irgendwann einmal in denUN-Haushalt überführt wird .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Herr Staatsminister, Sie haben gesagt, dass die poli-
tische Unterstützung von allen garantiert werden muss .
Aber diese ist eigentlich gegeben; denn der Mechanis-
mus entstand durch die Verabschiedung einer Resolution
durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen .
Mehr politische Unterstützung, als dass alle Mitglieds-
länder in der Generalversammlung zustimmen, kann man
weltweit gar nicht bekommen . Sie haben des Weiteren
gesagt, dass wir Akteure aus der Region brauchen . Die
Türkei und Katar sind dabei . Katar hat nun eine zweite
Unterstützungstranche angekündigt und legt somit noch
einmal drauf . Will Deutschland nicht nachziehen und ge-
nauso wie Katar noch etwas drauflegen?
Frau Kollegin, an uns ist dezidiert nicht der Wunsch
herangetragen worden, die Mittel noch einmal zu erhö-
hen . Unter den Niederlanden, Finnland und Deutschland
herrscht große Zufriedenheit . Ich will meine Anregung
verstärken . Politische Unterstützung, die abstrakt geäu-
ßert wird, ist sicherlich wichtig . Aber noch wichtiger ist,
dass sich Staaten durch freiwillige Geldleistungen kon-
kret dazu bekennen, diesen so wichtigen Mechanismus
mit Leben zu füllen .
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .
Dass für Sie nur Geld Ausdruck von Unterstützung ist,
ist etwas verwunderlich; denn viele Staaten dieser Welt
sind in wirtschaftlicher Hinsicht nicht so stark wie wir .
Die Europäische Union spricht ständig davon, dass es in
Syrien keine Straffreiheit geben darf, egal wer welche
Kriegsverbrechen begangen hat . Deswegen lautet meine
eindringliche Frage an Sie: Glauben Sie nicht, dass es
notwendig wäre, hier Gelder draufzulegen? Wir reden
nicht über große Millionenbeträge . Die infrage stehen-
den Beträge bereiten Herrn Finanzminister Schäuble si-
cherlich keine schlaflosen Nächte. Aber das Geld wäre
gut investiert . Wir haben schließlich eine gewisse Ver-
antwortung, wenn wir den Krieg schon nicht beenden
können . Warum sind Sie nicht bereit, eine halbe Million
draufzulegen?
Frau Kollegin Brantner, ich habe schon darauf hin-
gewiesen, dass bislang nicht der Wunsch an uns heran-
getragen wurde, die Mittel noch einmal aufzustocken .
Vielmehr werden wir vom Hochkommissariat in Genf
ausdrücklich in unserem Bemühen unterstützt, die Zahl
der Staaten, die sich nicht nur abstrakt, sondern auch
konkret finanziell für diesen Mechanismus einsetzen, zu
erhöhen. Wir wollen uns nicht aus der finanziellen Ver-
antwortung ziehen . Vielmehr geht es darum – das wis-
sen Sie vermutlich genauso gut wie ich –, dass die Neu-
tralität, die Objektivität und die Unabhängigkeit dieses
Mechanismus vor allem dann gewährleistet sind, wenn
sich ganz viele Mitgliedstaaten daran beteiligen . Wenn
wir bei einer relativ kleinen Zahl von derzeit 25 Staaten
bleiben, dann kann die Arbeit zwar begonnen werden .
Aber man darf nicht vergessen, dass dieser Mechanis-
mus zu schwerwiegenden Konsequenzen führen wird. Es
wird nicht jedem gefallen, was dieser Mechanismus an
den Tag bringt; denn das hat auch strafrechtliche Kon-
sequenzen, wenn es in Tribunale und in strafrechtliche
Verfahren überführt wird . Insofern ist es wichtig, dass
dieser Mechanismus von Anfang an eine hohe Legitimi-
tät besitzt .
Die Frage 6 des Kollegen Sarrazin soll schriftlich be-
antwortet werden .
Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Andrej Hunko auf:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung hinsicht-
lich der Reform des NATO-Programms „Partnerschaft für den
Frieden“, wonach die existierenden Partnerschaften mit insge-
samt 41 Ländern nicht mehr im Paket, sondern mit allen teil-
nehmenden Ländern einzeln vereinbart werden, was von der
Türkei genutzt wird, um Österreich für die Entscheidung zu
bestrafen, kein Kriegsmaterial oder keine Verteidigungsgüter
mehr an die Türkei zu liefern, was zur Folge hat, dass österrei-
chische Soldaten sich nicht mehr an NATO-Trainings beteiligen
im Vorfeld oder auf den jüngsten NATO-Gipfeln hinsichtlich
der Reform positioniert?
Bitte, Herr Staatsminister .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Herr Kollege Hunko,das wird jetzt ein bisschen komplizierter; ich bitte umVerständnis . Die „Partnerschaft für den Frieden“ ist derregionale, 22 euroatlantische Partner umfassende Rah-men der Partnerschaftszusammenarbeit mit der NATO .Dieses übergreifende Programm besteht seit 1994 . Ös-terreich ist seit 1995 Teil dieser Gruppe . Daneben gibt esweitere, geografisch anders zusammengesetzte Partner-schaftsformate .Staatsminister Michael Rothhttp://www.heute.athttp://www.derStandard.at
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Das Partnership Cooporation Menu, PCM, ist einallen Partnern im Grundsatz offenstehender Trainings-kurskatalog, zu dessen Reform die NATO-Alliiertenvergangene Woche eine Einigung erzielt haben . Die Re-form stellt den Trainingskurskatalog auf ein effektive resDatenbankmanagement um . Darüber hinaus müssen die NATO-Alliierten die Ablehnung der Teilnahme einesPartners im Konsens, das heißt einstimmig, beschließen .Vor der Reform, die jüngst beschlossen wurde, war esgenau andersherum: Die Teilnahme eines jeden Partnersmusste im Konsens beschlossen werden . Voraussetzungfür die Teilnahme an Kursen im Rahmen des PCM istein gültiges bilaterales Partnerschaftsprogramm zwi-schen der NATO und dem jeweiligen Partner . Aus die-sem Grund hat die NATO die Verlängerung aller Partner-schaftsprogramme vorgezogen .Über den Abschluss des Programms mit Österreichkonnte allerdings im Allianzkreis keine Einigung er-zielt werden . Die Gespräche hierzu dauern noch an . DieBundesregierung setzt sich selbstverständlich dafür ein,dass für die kommenden Jahre erneut ein solches Partner-schaftsprogramm mit Österreich zustande kommt .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Vielen Dank, Herr Staatsminister Roth . – Das ist ein
ungeheuerlicher Vorgang, über den wir reden . Sie haben
es dargestellt: Es gibt die NATO, und es gibt „Partnership
for Peace“, so heißt das; das ist, wenn man so will, eine
NATO light oder ein weicheres Format um die NATO
herum . Erdogan ist es durch Druck gelungen, dass Ös-
terreich aus den „Partnership for Peace“-Programmen
ausgeschlossen wurde . Das ist ein Vorgang, der mir prä-
zedenzlos erscheint .
Wie auch immer man die Programme beurteilt, ich
finde es ein starkes Stück, dass das möglich ist und es
offenbar auch in Zukunft so bleiben wird, dass Öster-
reich ausgeschlossen ist . Ich habe mir gerade noch ein-
mal österreichische Medien angeschaut; dort ist das na-
türlich ein großes Thema . Ist es tatsächlich so und wird
die Bundesregierung das so hinnehmen, dass auf Druck
von Erdogan Österreich von den PfP-Programmen aus-
geschlossen bleibt?
Bitte, Herr Staatsminister .
Herr Kollege Hunko, die NATO arbeitet nach dem
Konsensprinzip, das heißt, alle müssen mit an Bord
sein; es gibt keine Mehrheitsabstimmungen . Das ist lei-
der auch kein präzedenzloser Fall . In der jüngeren Ver-
gangenheit hat es schon zwei Fälle gegeben, bei denen
NATO-Partner zeitweise von Partnerschaftsaktivitäten
ausgeschlossen waren . Das gilt namentlich für Israel und
Ägypten; diese beiden Fälle kann ich konkret benennen .
Selbstverständlich führen wir weiterhin Gespräche .
Wir wollen uns mit diesem unbefriedigenden Zustand,
Herr Kollege, dezidiert nicht abfinden. Wir haben auch
gegenüber der türkischen Regierung klargemacht, dass
bestehende bilaterale Differenzen zwischen der Türkei
und Österreich doch bitte schön im direkten Gespräch
einvernehmlich gelöst werden sollen . Die Aktivitäten der
NATO zur Erreichung gemeinsamer Ziele dürfen durch
solche bilateralen Konflikte nicht belastet werden.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .
Vielen Dank . – Ich vermute, bei Israel und Ägypten
ging es wahrscheinlich um Menschenrechtsverletzungen
in diesen Ländern . Das ist bei Österreich nun überhaupt
nicht der Fall .
Meines Wissens – das habe ich von österreichischen
Abgeordneten – ist der Grund für diesen Ausschluss aus
PfP faktisch durch die türkische Regierung die einstim-
mige Entscheidung des Nationalrats vom November letz-
ten Jahres, keine Waffen mehr in die Türkei zu liefern,
eine Entscheidung, die ich für sehr nachvollziehbar halte
und von der ich wünschte, dass sie auch von Deutschland
getroffen würde. Können Sie das aus Gesprächen bestä-
tigen? Man liest in deutschen Medien immer, es gehe um
die EU-Beitrittsverhandlungen . Direkt aus Österreich
habe ich gehört, dass die Isolationsstrategie der türki-
schen Regierung mit der einstimmigen Entscheidung des
Nationalrats eingesetzt hat, ein Waffenembargo gegen
die Türkei zu verhängen .
Bitte, Herr Staatsminister .
Herr Kollege Hunko, ich kann das so nicht bestätigen .Ich möchte darüber auch nicht spekulieren . Ich könn-te – aber dafür ist jetzt hier nicht die Zeit und nicht derRaum – eine Reihe von Punkten benennen, die offenkun-dig zu einem Beschwernis in den bilateralen Beziehun-gen zwischen der Türkei und Österreich geführt haben .Wir finden uns aber damit nicht ab – das ist der wichtigePunkt –, weil die Bundesregierung natürlich auch ihrerVerantwortung gerecht werden möchte, alles dafür zutun, dass bilaterale Konflikte eben nicht in die NATO hi-neingetragen werden .Deswegen möchte ich Sie gerne noch darüber infor-mieren, dass wir mit Abschluss der Reform auch einenKommentarbrief an den internationalen Stab der NATOinitiiert haben, der von insgesamt 17 Nationen unter-zeichnet wurde . Dieser Brief appelliert an die Werte undan das Solidaritätsprinzip innerhalb der Allianz . Das istein sehr deutliches Zeichen . Zur Erneuerung des bilatera-len Programms dauern die Gespräche noch an . Ich bleibezuversichtlich, dass wir doch noch eine Lösung findenwerden, um zu dem notwendigen Konsens zurückzukeh-ren, den wir dringend brauchen, damit auch Österreichwieder Teil dieses Programms wird .Staatsminister Michael Roth
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Wir kommen zur Frage 8 des Kollegen Hunko:
Welche Fälle sind der Bundesregierung aus den Jah-
ren 2016 und 2017 bekannt, in denen die libysche Küstenwa-
che gegen das Non-Refoulement-Prinzip verstieß, nachdem
Geflüchtete unter anderem im Rahmen von Einsätzen, in de-
nen europäische Organisationen als „On-Scene-Koordinator“
einen Rettungseinsatz leiteten, zurück in libysche Gewässer
gebracht wurden, und was ist der Bundesregierung aus ihrer
Mitarbeit in der Frontex-Mission Triton, der Militärmission
EUNAVFOR MED oder aus der Aufklärung durch die NATO
und das US-Kommando AFRICOM über die Verantwortli-
chen für Schüsse auf Geflüchtete während eines Rettungs-
einsatzes der deutschen Organisation Jugend Rettet e . V . am
23 . Mai 2017 bekannt, die ebenfalls dazu führten, dass Boots-
insassen von unbekannten Uniformierten wieder nach Libyen
verschleppt wurden ?
Bitte, Herr Staatsminister .
Danke, Frau Präsidentin . – Herr Kollege Hunko, das
völkerrechtliche Zurückweisungsverbot, Non-Refoule-
ment-Prinzip, besagt, dass Staaten Flüchtlinge aus ande-
ren Ländern unter ganz bestimmten Bedingungen nicht
zurückweisen dürfen . Das völkerrechtliche Zurückwei-
sungsverbot ist aber nicht anwendbar auf die Situation,
um die es hier geht und die Sie in Ihrer Frage konkret
benannt haben . Wenn Personen auf einem libyschen
Schiff aus Libyen kommen und durch die libysche Küs-
tenwache aus Seenot gerettet und nach Libyen zurück-
gebracht werden, dann ist das keine Zurückweisung im
völkerrechtlichen Sinne . Zu dem angesprochenen Vor-
fall am 23 . Mai liegen der Bundesregierung keine über
die Presseberichterstattung hinausgehenden eigenen Er-
kenntnisse vor . Wir sind im Rahmen von EUNAVFOR
MED Operation Sophia präsent, aber der im Rahmen
dieser Mission eingesetzte deutsche Tender „Rhein“ be-
fand sich zum Zeitpunkt des Vorfalls mehrere Hundert
Kilometer entfernt .
Der Umgang mit Seenotrettungssituationen spielt
eine ganz große Rolle im Rahmen der Ausbildung durch
EUNAVFOR MED. So wurden im März 20 Offiziere
der libyschen Küstenwache als sogenannte Vor-Ort-Ko-
ordinatoren darin geschult, Seenotrettungseinsätze mit
mehreren beteiligten Seenotrettern als Verantwortliche
anzuleiten .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Vielen Dank . – Herr Staatsminister, ich will auf mei-
nen letzten Punkt zuerst eingehen . Es geht um die uner-
träglichen Zustände bei der Überfahrt von Flüchtlingen
von Libyen aus und auch um die unerträglichen Vorgän-
ge, die zum Teil im libyschen Militär stattgefunden ha-
ben .
Sie sagen jetzt, dass EUNAVFOR MED, die Militär-
mission der EU, die auch von der Bundesregierung unter-
stützt wird, jetzt den libyschen Militärs Menschenrechte,
humanitäres Völkerrecht, internationales Seerecht, pro-
fessionelle Durchführung von Seerettungsmaßnahmen
beibringen soll . Da würde mich schon interessieren, ob
das tatsächlich der Fall ist; ich habe da meine Zweifel .
Kürzlich wurden drei libysche Schiffsbesatzungen von
EUNAVFOR MED ausgebildet . Dennoch haben Kapi-
täne und Besatzungsmitglieder vergangene Woche zwei-
mal die Waffe gezogen und Flüchtlinge bedroht, Boote
außerhalb der 24-Meilen-Zone zur Umkehr gezwungen .
Mich würde interessieren, wie die Bundesregierung eva-
luiert, dass eine solche Ausbildung tatsächlich stattfindet
und funktioniert .
Herr Kollege Hunko, wir sind noch weit von den Ver-
hältnissen entfernt, die wir uns alle wünschen, dass beim
Küstenschutz die völkerrechtlichen Prinzipien strikt ein-
gehalten werden und dass vor allem auch den menschen-
rechtlichen Aspekten durchgängig Geltung verschafft
wird. Umso wichtiger ist für uns die qualifizierte Ausbil-
dung, die sich vor allem an den rechtsstaatlichen Fragen
bemisst und nicht nur rein technischer Natur ist .
Wir sehen natürlich mit großer Sorge, dass die Schleu-
ser, die kriminellen Banden, ihr gesamtes Geschäftsmo-
dell auf die unmittelbare Seenotrettung durch die ver-
schiedenen Akteure ausrichten . Viel zu viele Menschen
werden einer großen Gefahr für Leib und Leben ausge-
setzt, indem sie auf nicht seetaugliche Boote mit völlig
unzureichender Ausstattung verbracht werden . Damit
riskieren die Schleuser auf skrupellose Weise das Leben
von Tausenden von Menschen . Allein durch die Bundes-
wehr konnten 20 000 Menschenleben gerettet werden .
Die Seenotrettung ist ein Prinzip, dem wir alle verpflich-
tet sind . Aber genauso sind wir auch dem Prinzip ver-
pflichtet, alles dafür zu tun, dass dieses Geschäftsmodell
endgültig beendet wird . Da ist die Ausbildung im Rah-
men des Küstenschutzes für uns ein ganz wichtiger As-
pekt . Da stehen wir erst, Herr Kollege Hunko, am Anfang
unserer Bemühungen .
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage, Herr
Hunko . – Ich mache darauf aufmerksam, dass wir für
die Fragestunde noch sieben Minuten Zeit zur Verfügung
haben . Ich bitte also um die entsprechende Kürze, damit
wir noch eine Frage aufrufen können .
Vielen Dank . – Herr Roth, es ist ja nun einmal so – dasist wahrscheinlich auch Ihnen bekannt –, dass sich zu-mindest Teile der sogenannten Schleuser wiederum ausden Militär- und Polizeikreisen in Libyen rekrutieren . Esgibt also nicht eine sozusagen chinesische Mauer dazwi-schen; das nur als Anmerkung .Ich wollte noch einmal zum Non-Refoulement-Prin-zip nachfragen, das Sie vorhin erwähnt haben . Libyenist dem Internationalen Übereinkommen von 1979 überden Such- und Rettungsdienst auf See 1979 beigetreten,kommt den Verpflichtungen aus diesem Abkommen abernicht nach . Das Land hat weder eine Seenotrettungsleit-stelle benannt noch die Grenzen seiner Seenotrettungs-zone bekannt gegeben; das wissen Sie . Deshalb werdenhttp://gleft.de/1IR
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sämtliche Einsätze außerhalb der libyschen Hoheitsge-wässer von der Seenotrettungsleitstelle in Italien koor-diniert . Wenn die libysche Küstenwache von dort zurSeenotrettung angewiesen wird, weil deren Schiff amschnellsten zum Unfallort eilen kann, ist das aus mei-ner Sicht eine europäische Rettungsmission . Wie sehenSie das? Sie haben vorhin mit dem Verweis „Das isteine libysche Angelegenheit“ gesagt: Das Non-Refoule-ment-Prinzip greift nicht .
Ich habe deutlich gemacht, dass die Rückführung von
libyschen Staatsbürgern durch libysche Staatsinstitutio-
nen nicht dem Non-Refoulement-Prinzip unterliegt . Ihrer
Bewertung, dass Libyen zwar dem Internationalen Über-
einkommen von 1979 über den Such- und Rettungsdienst
auf See beigetreten ist, seinen Verpflichtungen jedoch
überhaupt nicht nachkommt, kann ich nur ausdrücklich
zustimmen .
Danke, Herr Staatsminister . – Die Frage 9 der Kolle-
gin Jelpke soll schriftlich beantwortet werden .
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums des Innern . Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Dr . Günter Krings zur
Verfügung .
Die Frage 10 der Kollegin Ulla Jelpke wird schriftlich
beantwortet .
Ich rufe die Frage 11 des Kollegen Volker Beck auf:
In wie vielen Fällen hat das Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge in den Jahren 2016 und 2017 das Selbsteintritts-
recht gemäß der Dublin-Verordnung aus welchen Gründen
Bitte, Herr Staatssekretär .
D
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Lieber Herr Kollege
Beck, wenn wir beide uns ganz doll zusammenreißen,
schaffen wir vielleicht auch beide Fragen von Ihnen.
Ich muss eine kurze Vorbemerkung zum Begriff des
Selbsteintrittsrechts machen . Eigentlich besteht – das
wissen Sie – in der übergroßen Mehrzahl aller Fälle
keine originäre deutsche Zuständigkeit im Rahmen des
EU-Asylsystems . Ich spreche nur von einem Selbstein-
trittsrecht im engeren Sinne, das heißt von denjenigen
Fällen, in denen die Zuständigkeit eines anderen Mit-
gliedstaates nicht nur objektiv begründbar wäre, sondern
in denen unsere Behörden diese auch nachweisen konn-
ten . Dann ergeben sich folgende Zahlen:
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge,
BAMF, hat im Jahr 2016 in 39 741 Fällen und von Januar
bis April 2017 in 2 872 Fällen das Selbsteintrittsrecht,
wie ich es gerade definiert habe, gemäß Dublin-Verord-
nung ausgeübt .
Sie wollten es auch für die einzelnen Monate wissen .
Das ist im mündlichen Vortrag immer etwas schwierig;
ich sage es Ihnen dennoch ganz schnell: Auf die ein-
zelnen Monate des Jahres 2016 verteilen sich die Fälle
wie folgt: Januar: 2 295, Februar: 4 607, März: 5 483,
April: 4 732, Mai: 3 327, Juni: 3 603, Juli: 3 180, Au-
gust: 3 502, September: 4 252, Oktober: 2 473, Novem-
ber: 1 527, Dezember: 760 . Im Jahr 2017 hat das BAMF
im Monat Januar 660, im Februar 691, im März 933 und
im April 588 Selbsteintritte erfasst .
Das BAMF erfasst das Selbsteintrittsrecht statistisch
weder nach Gründen noch nach Fallgruppen; daher kön-
nen insoweit keine Angaben gemacht werden .
Ich habe mein Bestes getan, damit es schnell geht .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Es hätte mir natürlich sehr weitergeholfen, wenn Sie
das auch bezogen auf Fallgruppen gehabt hätten . Ich ver-
stehe: Was Sie nicht haben, das haben Sie nicht . – Aber
ich will erläutern, vor welchem Hintergrund ich frage .
Mir wurde zugetragen, dass das BAMF früher in
manchen Härtefällen das Selbsteintrittsrecht ausge-
übt hat, dies aber seit Amtsantritt von Frau Cordt nicht
mehr macht . Insbesondere in Fällen von absoluter Risi-
koschwangerschaft oder in Fällen der Art „in Italien zur
Prostitution gezwungen“ wurde früher das Selbstein-
trittsrecht bejaht . – Jetzt soll das nicht mehr so sein . Wie
bewerten Sie das?
D
Frau Präsidentin! Herr Kollege, ich kann die Praxis
nicht bewerten, weil ich sie nicht kenne . Ich kann auch
nicht bestätigen, was Sie gesagt haben . Allerdings: Die
Zahlen, die ich genannt habe, sprechen für sich . Sie zei-
gen, dass wir in sehr vielen Fällen vom Selbsteintritts-
recht Gebrauch machen .
Wenn wir sozusagen noch mehr recherchieren würden,
würden wir noch weitere selbsteintrittsfähige Fälle fin-
den; ich habe dargelegt, dass nur die Fälle in der engen
Definition, die ich genannt habe, zugrunde liegen.
Ihre zweite Nachfrage .
Was ist diesbezüglich die Weisungslage beim BAMF?Hat sie sich seit Amtsantritt von Frau Cordt – das war am1 . Februar 2017 – verändert?Andrej Hunko
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D
Ich kann gern anbieten, Frau Präsidentin, Herr Kol-
lege, dass wir nachschauen, ob es da eine Weisungslage
gibt . Nach dem, was ich über diesen Themenkomplex
weiß, kann ich mir nicht vorstellen, dass es hierzu eine
Weisungslage aus dem BMI gibt .
Gut . Dann nehmen wir das als Verabredung zur
Kenntnis .
Wenn Sie beide sich weiter genauso anstrengen wie
jetzt, kann ich noch die Frage 12 des Kollegen Volker
Beck aufrufen:
Inwiefern hält es die Bundesregierung für zumutbar, die
Einbürgerung von Drittstaatsangehörigen von dem Verzicht
auf die ausländische Staatsangehörigkeit oder ihrem Verlust
abhängig zu machen, wenn die Eltern der Einbürgerungsbe-
werberinnen und Einbürgerungsbewerber weiterhin im Her-
kunftsland leben, pflegebedürftig sind oder es möglicherweise
in Zukunft werden, die Einreise deutscher Staatsangehöriger
in das Herkunftsland visumpflichtig ist oder es möglicherwei-
se in Zukunft sein wird und der Nachzug ausländischer Eltern
zu volljährigen deutschen Staatsangehörigen allenfalls in den
engen Grenzen des § 36 des Aufenthaltsgesetzes möglich ist,
und inwiefern setzt sich die Bundesregierung dafür ein, die
Einbürgerung in solchen Fällen attraktiver zu gestalten und
zugleich das Fortbestehen menschenrechtlich geschützter fa-
miliärer Beziehungen im internationalen Kontext zu gewähr-
leisten?
D
Genau; das war unser Ziel, Frau Präsidentin .
Eine Einbürgerung setzt gemäß § 10 Absatz 1 Satz 1
Nummer 4 des Staatsangehörigkeitsgesetzes grundsätz-
lich die Aufgabe oder den Verlust der bisherigen Staats-
angehörigkeit voraus . Ausnahmen davon kommen gemäß
§ 12 Absatz 1 Satz 1 des Staatsangehörigkeitsgesetzes
nur in Betracht, wenn die Aufgabe der anderen Staatsan-
gehörigkeit nicht oder nur unter besonders schwierigen
Bedingungen möglich ist . Die mit der Aufgabe der bis-
herigen Staatsangehörigkeit gegebenenfalls verbunde-
nen Einreise- und/oder Aufenthaltserschwernisse in den
Herkunftsstaaten werden von den Ausnahmeregelungen
des § 12 Absatz 1 des Staatsangehörigkeitsgesetzes, der
Zumutbarkeitserwägungen zum Gegenstand hat, nicht
erfasst . Die Bundesregierung beabsichtigt derzeit auch
keine Änderungen .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Die Rechtslage war mir wohlbekannt . Vor diesem
Hintergrund habe ich gerade gefragt, wie die Tatbestände
im Rahmen dieser Rechtslage zu bewerten sind und ob
das bei Familien, deren Eltern im Herkunftsland leben
und die pflegebedürftig oder hilfsbedürftig sind, zu einer
Abwägung führt . Dann geht es nämlich um die Frage:
Welche Auswirkungen hat die Staatsbürgerschaft bei
Ein- und Ausreisen? Unter Umständen kann eine Versor-
gung von Eltern zeitnah nicht mehr vorgenommen wer-
den, weil Fristen im Visaverfahren anderer Staaten und
dergleichen zu beachten sind . Dies kommt auf die neu-
en deutschen Staatsbürger nur deshalb zu, weil sie den
Pass, den sie hatten, aufgrund unseres Verlangens abge-
ben mussten . Halten Sie eine Abwägung aus humanitären
Gründen zum Schutz von Ehe und Familie – Ihnen als
christlicher Partei immer ein Anliegen – für geboten?
Bitte, Herr Staatssekretär .
D
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Natürlich beantworte
ich die Frage als Vertreter der Bundesregierung und nicht
als Vertreter meiner Partei . Ich will aber auch deutlich
machen, dass ich meinen letzten Satz ausdrücklich gesagt
habe; er ist mehr als eine rechtliche Bewertung: Es sind
derzeit keine Änderungen geplant . Wichtig ist bei den
Fällen, auf die Sie hinweisen, die menschlich schwierig
sind, dass wir auf die Staaten einwirken müssen, damit
sie diese Praxis ändern .
Das ist unsere zentrale Aufgabe . Daran wirken wir
gerne mit . Im Übrigen muss man das Problem schon
perspektivisch im Blick haben . Deutschland ist das
Land, dessen Reisepass weltweit am meisten ohne Vi-
sum akzeptiert wird . Es gibt regelmäßig eine Studie von
Henley & Partners . Hier werden regelmäßig von 199 Na-
tionalitäten Reisepässe analysiert . In 176 Länder der Welt
reisen Deutsche visafrei ein . Es gibt kein Land auf der
Welt, dessen Bürger so einfach in fast alle Länder einrei-
sen können .
Wären Sie bereit, der Überlegung näherzutreten,
dass wir für die Länder, bei denen wir keine Visafreiheit
für unsere schönen Pässe durchgesetzt haben, dann die
Abwägungsentscheidung im Staatsangehörigkeitsrecht
einführen, wenn eine besondere familiäre Situation auf-
grund pflegebedürftiger Angehöriger im Herkunftsland
vorliegt? Ich glaube, das können Sie auch im Rahmen
des geltenden Rechts mit entsprechenden Auslegungs-
hinweisen durchaus bewirken . Ich frage gar nicht nach
einer Gesetzesänderung .
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort .
D
Herr Kollege, wenn Sie hier Fälle haben, dann bin ichgerne bereit, sie mir anzuschauen . Wenn Sie uns dieseFälle geben – an uns ist dieses Thema noch nicht heran-getragen worden –, dann schaue ich mir das gerne nocheinmal an und lasse es durch mein Haus prüfen . Ich sagedazu aber: Wichtig ist mir, dass wir auch die Staaten, diesolche, ich sage einmal, menschlich schwierigen Rege-lungen haben, nicht aus der Pflicht lassen, hier etwas zuändern . Wir müssen dann zumindest zweigleisig fahren .
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(D)
Ich bedanke mich ganz ausdrücklich . – Ich beende die
Fragestunde .
Die übrigen Fragen werden entsprechend unseren Re-
geln schriftlich beantwortet .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 sowie die Zusatz-
punkte 1 und 2 auf:
8 . Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe zu der Unter-
richtung durch die Bundesregierung
Zwölfter Bericht der Bundesregierung über
ihre Menschenrechtspolitik
Drucksachen 18/10800, 18/10924 Nr. 1.15,
18/12467
ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom
Koenigs, Annalena Baerbock, Marieluise Beck
, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für den Menschenrechtsschutz in Deutsch-
land – Die Nationale Stelle zur Verhütung von
Folter reformieren und stärken
Drucksache 18/12544
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
ZP 2 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe zu dem Antrag
der Abgeordneten Tom Koenigs, Kordula Schulz-
Asche, Claudia Roth , weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Zivilgesellschaftliches Engagement braucht
Raum – Anti-NGO-Gesetze stoppen, Men-
schenrechtsverteidiger stärken
Drucksachen 18/7908, 18/10625
Zu dem Zwölften Bericht der Bundesregierung liegt
ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Frank Schwabe für die SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Verehrte Damen und Herren! Der zwölfte Menschen-rechtsbericht der Bundesregierung gibt die Gelegenheit,zum Ende der Legislaturperiode noch einmal intensiv zudiskutieren, ein bisschen Bilanz zu ziehen zur Menschen-rechtspolitik in dieser Legislaturperiode und vielleichteinen Ausblick zu wagen . Da gleich Tom Koenigs redetund ich auch Christoph Strässer sehe, will ich noch ein-mal sagen, wie sehr ich die Arbeit schätze – beide schei-den aus dem Parlament aus –, die sie mit immer klugenBeiträgen und einem überragenden Engagement als Par-lamentarier und Mitglied der Bundesregierung gemachthaben, sozusagen als eine Institution zum Thema Men-schenrechte . Vielen herzlichen Dank dafür .
Die Lage der Menschenrechte weltweit, aber auch inDeutschland – auch hier ist nicht alles gut, wenn auchbesser als in manchen anderen Ländern der Welt – stehtim Mittelpunkt eines Menschenrechtsberichts und einersolchen Debatte . Mittlerweile stehen die Menschenrech-te weltweit, aber auch in Europa – also ziemlich nah dranan uns – unter massivem Druck . Wir erleben es in Debat-ten in der Europäischen Union, aber auch im Rahmen der47 Länder des Europarats .Wir haben mittlerweile in vielen Ländern nicht nur eineIgnoranz gegenüber Menschenrechtsfragen, sondern einegeradezu aggressive Abwendung von Menschenrechtenund ein aggressives Vorgehen gegen diejenigen, die sichMenschenrechten besonders verpflichtet fühlen. Es gibtAgitation und finanzielle Einschränkungen gegenüberMenschenrechtsorganisationen, aber auch Agitation ge-genüber denjenigen, die solche Organisationen unterstüt-zen . In Ungarn haben wir es zum Beispiel gerade am Fallder Universität erlebt, die von George Soros finanziertwird . Er gilt für einige bei solchen Fragen als die Aus-geburt des Übels . Man kann über George Soros und seinEngagement durchaus diskutieren; aber ich frage mich,wer eigentlich sonst solche Menschenrechtsinstitutionenunterstützen würde . Wenn es andere geeignete Geldgebergäbe, dann könnten wir darüber reden. Ansonsten, findeich, sollte man die Agitation einstellen .Es darf bei Menschenrechten keinen Rabatt geben .Wir brauchen eine wertebasierte Außen- und Europapo-litik, und wir brauchen klare Ansagen . Gerade in solchenZeiten, in denen es schwieriger geworden ist, brauchenwir klare Ansagen gegenüber NATO-Partnern wie derTürkei, aber auch innerhalb der Europäischen Union . Esbraucht klare Ansagen an Regierungen, dass es eine Ein-schüchterung der Zivilgesellschaft – das, was internati-onal als Shrinking Space bezeichnet wird – nicht gebendarf .Es ist wichtig, dass auch deutsche Vertreter da, wo siees können, klar Position beziehen, wie es zum BeispielSigmar Gabriel als Außenminister in Israel getan hat, alses darum ging, die Organisationen Betselem und Brea-king the Silence zu treffen. Am Ende war das ein Stückweit ein Lackmustest dafür, ob man solche Organisatio-nen noch treffen kann oder nicht. Insofern war es wichtig,dort Flagge zu zeigen . Man muss nur wissen, es war nichtder letzte Test, es werden weitere solcher Tests kommen .Insofern ist wichtig, dass wir klarmachen – bei aller Kri-tik und bei aller Auseinandersetzung –: Wir müssen in der
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Lage sein, zivilgesellschaftliche Organisationen weltweitzu treffen. Wenn jemand nach Deutschland kommt, dannkann er sie entsprechend auch treffen.Es ist nicht nur die Türkei, es ist nicht nur Israel, essind viele Staaten – aktuell Ägypten, China, Russland,Indien, Ungarn –, mittlerweile an die 100 Staaten welt-weit, die versuchen, die Zivilgesellschaft zu drangsa-lieren . Es wird im Übrigen durch das, was in den USAvor sich geht, nicht besser, durch die Zeichen, die HerrTrump setzt oder nicht setzt, etwa wenn er nach Sau-di-Arabien fährt und dortige Menschenrechtsverletzun-gen nicht benennt .Es darf also keinen Rabatt geben . Ich richte da aucheinen Appell an uns alle . Wir haben manche Länder undmanche Regierungen, die uns vielleicht näher stehenals andere . Umso wichtiger ist es, dass wir diesen Län-dern keinen Rabatt geben . Die Sozialdemokratie mussund wird Korruption in Rumänien anprangern . Wenn esdort Regierungen gibt, die sich mit der Aufklärung vonKorruption schwertun, dann muss man das benennen .Genauso muss die CDU Probleme in Ungarn und Ma-zedonien klar benennen . Die Linke, die sich in der Regeldurch eine engagierte Menschenrechtsarbeit auszeichnet,muss auch bei den Ländern, die ihr nahestehen, entspre-chend Kritik üben . Ich würde da mal Kuba, Venezuela,Nordkorea und Russland nennen .
– Es ist gut, dass das so benannt wird . Aber ich habe einpaar Debatten im Menschenrechtsausschuss erlebt, indenen jedenfalls ich den Eindruck hatte, dass es Staatengibt, bei denen man schon mal weniger darüber redet alsbei anderen Staaten . Ich habe ja auch sehr selbstkritischein von Sozialdemokraten geführtes Land genannt .Ich möchte an dieser Stelle ein super Programm loben,das wir hier beim Deutschen Bundestag haben: das Pro-gramm „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ . Ichwerde nicht müde, es zu erwähnen . Denn es geht darum,da, wo wir es können, mitzuhelfen und eine Schutzfunk-tion für Abgeordnete, aber auch für Menschenrechtsakti-visten aus anderen Ländern zu übernehmen .Ich habe nur auch da manchmal den Eindruck, dasses ein bisschen darum geht, sich die Leute entsprechendpolitischer Konstellationen auszusuchen, je nachdem,wer gerade an der Regierung ist und wer nicht . Ich willan dieser Stelle einen Doppelaufruf starten . Zum einenrufe ich dazu auf, dass mehr Kolleginnen und Kollegenbei dem Programm mitmachen, zum anderen dazu, sichim Rahmen des Programms nicht nur mit den Ländernzu befassen, mit deren Regierungen man Probleme hat,sondern gerade auch mit den Ländern, mit deren Regie-rungen man befreundet ist, und Leute aus diesen Ländernins Programm aufzunehmen . Ich glaube, dass das einegrößere Wirkung hat, als wenn wir es andersherum ma-chen . Wir sollten uns alle überlegen, ob wir hier nichtentsprechend ansetzen können . Es ist ein wunderbaresProgramm. Ich will aber darauf hinweisen, dass es finan-ziell und personell unterausgestattet ist . Wir müssen imnächsten Deutschen Bundestag das Programm finanziellbesser ausstatten .
Wir haben das PsP-Programm auf der Habenseite, dasin dieser Legislaturperiode deutlich ausgeweitet wurde .Auf der Habenseite haben wir auch das Deutsche Insti-tut für Menschenrechte mit dem entsprechenden Gesetz,das wir nach längerer Debatte verabschiedet haben . Ander Debatte waren viele beteiligt, aber nicht alle haben indieselbe Richtung gezogen . Meine Fraktion – das kannman durchaus selbstbewusst sagen – war immer relativklar . Ich will meinen Dank aber auch an diejenigen rich-ten, die mitgeholfen haben, zum Beispiel Dr . Fabritius,aber auch Michael Brand . Es wäre gut, wenn es uns jetztgelingt, ein gemeinsames Verständnis für das zu entwi-ckeln, was das Institut aktuell macht .
Da sind wir auf einem guten Weg . Durch das Gesetz überdie Rechtsstellung und Aufgaben des Deutschen Institutsfür Menschenrechte haben wir dafür gesorgt, dass dasInstitut die Präsidentschaft der Institute für Menschen-rechte weltweit übernehmen konnte, also eine hohe Re-putation hat .Selbstverständlich ist es wichtig, den Blick nach au-ßen zu richten – das war immer wieder Debattengegen-stand –, aber wir brauchen auch den Blick nach innen,weil eben nicht alles gut ist in Deutschland . Das gibtuns die Legitimation, entsprechende Vorkommnisse zubenennen und anzuprangern . Es ist eine Aufgabe für dienächste Legislaturperiode, darüber nachzudenken, wiedie Mehraufgaben, die wir gesetzlich festgelegt haben,am Ende finanziell und organisatorisch abgebildet wer-den können . Das heißt, das Institut braucht eine bessereAusstattung. Ich finde überhaupt, dass wir die nächsteLegislaturperiode dazu nutzen sollten – vielleicht schonim Koalitionsvertrag –, die Menschenrechtsarchitektur,die wir am Anfang des letzten Jahrzehnts geschaffen ha-ben, zu bearbeiten, zu renovieren und auf den aktuellenStand zu bringen .
Das gilt für die Funktion der Beauftragten für Menschen-rechte und möglicherweise auch für die Rolle des Aus-schusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe .In den nächsten vier Jahren wird es unsere Aufgabesein, zu beobachten, was in den USA passiert . Es werdenvon Trump ja nicht nur die falschen Signale ausgesen-det, sondern es besteht auch die Befürchtung, dass Men-schenrechtsarbeit von den USA weniger finanziert wird.Das heißt, wir müssen eine Diskussion darüber führen,wie man die fehlenden Mittel substituieren kann, damitbestimmte Organisationen und zivilgesellschaftlichesEngagement in vielen Teilen der Welt nicht ausbluten .Frank Schwabe
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Beim Thema bürgerliche Menschenrechte habe ichden Eindruck, dass wir uns über die Fraktionen hinwegeinigermaßen einig sind . Hohe Uneinigkeit besteht beimThema soziale und wirtschaftliche Menschenrechte .Ich muss an dieser Stelle in Richtung Koalitionspartnerblicken; denn ich glaube, hier tun Sie sich besondersschwer . Natürlich geht es um Meinungsfreiheit, um kör-perliche Unversehrtheit, Pressefreiheit, um all das; aberes geht ebenso um das Recht auf eine Lebensgrundlage,auf Nahrung und auf eine saubere Umwelt . Wir führenweltweit eine Debatte über solche Rechte . Ich glaube,dass wir in Deutschland besser sein könnten, auch in derUmsetzung internationaler Vereinbarungen . Ich wünschemir wirklich, dass die Blockade aufgehoben wird, dieinsbesondere von Ihnen ausgeübt wurde, zum Beispielbei der Ratifizierung des Zusatzprotokolls zum UN-So-zialpakt, aber auch bei der Ratifizierung der ILO 169 fürdie Rechte der indigenen Bevölkerung . Das wäre meinWunsch für die nächste Legislaturperiode .
Wir haben mit dem Nationalen Aktionsplan „Wirt-schaft und Menschenrechte“ eine akzeptable, vielleichtauch gute Grundlage für die weitere Arbeit geschaffen;denn deutsche Unternehmen tragen weltweit mittelbaroder unmittelbar zu Menschenrechtsverletzungen bei .Das ist einfach so . Ich will gar nicht unterstellen, dass dasirgendjemand bewusst tut, aber es passiert . Deswegenbrauchen wir eine vernünftige Regelung in Deutschland,gerne freiwillig, aber wenn es sein muss, auch gesetzlich .Deswegen ist es wichtig, dass die Evaluierung des Natio-nalen Aktionsplans ordentlich vonstattengeht .Zum Schluss noch ein Appell zum Thema Todesstra-fe . Die Todesstrafe ist unmenschlich und barbarisch . Inden letzten Jahren und Jahrzehnten gab es eine positiveEntwicklung . In vielen Ländern ist die Todesstrafe ab-geschafft oder zumindest ausgesetzt worden. Es ist dra-matisch, dass in der Türkei eine Debatte über die Wie-dereinführung der Todesstrafe geführt wird . Es ist völligklar: Das ist ein Ausschlusskriterium für die EuropäischeUnion, aber auch für den Europarat .Ich will an dieser Stelle aber auch die USA nennen .In Richtung des Bundesstaates Arkansas möchte ich sa-gen: Wenn man versucht, in eine wirtschaftlich stärkereKooperation mit Deutschland einzutreten – das wird ver-sucht, auch durch ein Büro, das dieser Bundesstaat hierin Berlin betreibt –, dann kann man uns nicht gleichzeitighintergehen – anders kann man das gar nicht nennen –und mit Medikamenten, die dazu da sind, Menschenle-ben zu retten, Menschen hinrichten . Das ist völlig inak-zeptabel, und das muss sofort aufhören .
Das Wort hat die Kollegin Inge Höger für die Fraktion
Die Linke .
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Der zwölfte Menschenrechtsbericht der Bundesregie-rung geht an vielen Stellen an der Realität vorbei,
insbesondere wenn es um die Lage der Menschenrechtehier in Deutschland geht .Seit fast 60 Tagen befindet sich der politische Gefan-gene Yusuf Tas im Hungerstreik für Kommunikation inseiner Muttersprache . Yusuf Tas war politischer Gefan-gener in der JVA Heimsheim in Baden-Württemberg undwurde vor kurzem in das Gefängniskrankenhaus Hohen-asperg verlegt .
Dass ihm das Reden und die Lektüre in seiner Mutter-sprache von der JVA verwehrt werden, ist Diskriminie-rung und eine Form struktureller Gewalt, die gegen ele-mentare Menschenrechte verstößt .
Das ist ein aktuelles Beispiel . Sie können jetzt sagen:Das ist erst passiert, nachdem der Menschenrechtsberichtgeschrieben worden ist . Dieses Beispiel zeigt aber be-stimmte Benachteiligungen, die es in Deutschland gibt,aber nicht geben sollte .Ein anderes Beispiel ist, dass die Praxis des RacialProfilings, also der polizeilichen Kontrolle anhand äu-ßerlicher Merkmale wie Hautfarbe oder ethnischer Zu-gehörigkeit, keine Erwähnung in dem Bericht findet.Diesen tief verankerten Rassismus in staatlichen Institu-tionen und Behörden spart die Bundesregierung einfachaus, und das, obwohl Deutschland im Berichtszeitraumwegen Racial Profiling gerügt worden ist, zum Beispielvom Menschenrechtskommissar des Europarates, vomUN-Ausschuss gegen rassistische Diskriminierung undvom Deutschen Institut für Menschenrechte . Dazu dür-fen wir nicht schweigen .
Leider ist der Bericht weitgehend darauf beschränkt,Verordnungen, Vorschriften und Einzelaktivitäten auf-zuzählen, die die Bundesregierung im Berichtszeitraumeingeführt oder anerkannt hat. Eine umfassende qualita-tive Bewertung fehlt .Im innenpolitischen Teil fehlt insbesondere eine tie-fer gehende Untersuchung der sozialen Menschenrechtein Deutschland . Gerade die neoliberale Spar- und Kür-zungspolitik der letzten Jahre führte zu gravierendenMenschenrechtsverletzungen .
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Deren Auswirkungen sind steigende soziale Ungleich-heit, zunehmende Verarmung und erschwerter Zugang zugesellschaftlicher Teilhabe . 1,7 Millionen Kinder lebenin Armut; das hat ein heute veröffentlichter Bericht vonEurostat ergeben . Auch die Wohnungslosigkeit nimmtzu . Angesichts eines Privatvermögens von 10 BillionenEuro in Deutschland ist diese zugespitzte Armutssituati-on untragbar .
Die Linke fordert, die reale Entwicklung der wirt-schaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte inDeutschland im nächsten Bericht ausführlich zu reflek-tieren und zielgerichtete Lösungsansätze zu entwickeln,besonders hinsichtlich der Armutsbekämpfung .
In dem Bericht wird die Situation von Asylsuchen-den und Geflüchteten beschönigt. Insbesondere diemenschenrechtlichen Folgen von Abschiebung werdennicht untersucht . Heute Vormittag wurden bei einem derschwersten Anschläge in Kabul mindestens 64 Menschengetötet und mehr als 300 verletzt . Afghanistan ist kein si-cheres Herkunftsland . Stoppen Sie die Abschiebung nachAfghanistan!
Im außenpolitischen Teil des Berichts ist die Mit-verantwortung der deutschen Außenhandels- und Ent-wicklungspolitik bei Menschenrechtsverletzungen inDrittstaaten unzureichend beleuchtet worden . Neolibe-rale Handels- und Investitionsschutzabkommen, Roh-stoffausbeutung oder der Export subventionierter Le-bensmittel gefährden die soziale Menschenrechtslage inDrittstaaten . Auch Menschenrechtsverletzungen, die aufdie deutsche Außen- und Verteidigungspolitik zurückzu-führen sind, ignoriert der Bericht . Deutsche Rüstungs-exporte und auch die militärische Beteiligung der Bun-deswehr an Auslandseinsätzen wirken wie Öl im Feuerzahlreicher Kriegsgebiete und Krisenherde . Das EU-Grenzre gime einschließlich der EU-Militärmission imMittelmeer dient der Kontrolle der Fluchtrouten und derAbwehr von Geflüchteten. Das Sterben im Mittelmeer isteine Folge dieser Abschottungspolitik der EU, spielt imBericht aber keine Rolle . Das tausendfache Sterben imMittelmeer darf uns nicht egal sein .Die Linke fordert eine objektive Analyse der men-schenrechtspolitischen Folgen der deutschen Außenpoli-tik und vor allem die Beendigung aller Auslandseinsätze,einen Stopp von Rüstungsexporten und ein Ende der aus-beuterischen Außenhandelspolitik .
Es geht weiter . In der Beschlussempfehlung des Men-schenrechtsausschusses, die gegen die Stimmen derOppositionsparteien angenommen wurde, findet sichdie Forderung, in den nächsten Menschenrechtsbericht„die Menschenrechtslage auch von befreundeten Staatenkünftig in den Länderteil zu integrieren“ . Die Aufnahmeder bisher fehlenden westlichen Industrienationen fordertdie Linke schon lange . Beispielsweise haben die USAals einziges UN-Mitglied die Kinderrechtskonventionnicht unterzeichnet . Sie stehen wegen Kinderarbeit, derPrügelstrafe an Schulen und der Diskriminierung armerKinder bei der Essensausgabe in der Kritik . Das sind Zu-stände, die untragbar sind .Was bedeutet es, von befreundeten Staaten zu spre-chen? Heißt das, dass Länder wie zum Beispiel Brasilien,Indien, Montenegro oder Kenia verfeindete oder jeden-falls nicht befreundete Staaten sind?
Die Linke hofft auf eine kritische Analyse der Lage derMenschenrechte in allen Staaten im nächsten Bericht .Sehr positiv an dem Bericht ist, dass die äußerst pro-blematische menschenrechtspolitische Situation der pa-lästinensischen Bevölkerung infolge der israelischenBesatzung angesprochen wird . Kritisiert werden unteranderem die Administrativhaft, die Lage minderjährigerPalästinenser in israelischen Haftanstalten, die Zerstö-rungen von palästinensischen Privathäusern und huma-nitärer Infrastruktur sowie die unverhältnismäßige undteils tödliche Gewaltanwendung gegen Zivilisten durchisraelische Sicherheitskräfte . Der israelische Siedlungs-bau wird konsequent für völkerrechtswidrig erklärt.Jedoch wird die humanitäre Katastrophe in Gaza al-lein der Hamas zugeschoben . Dabei schneidet die seitzehn Jahren andauernde Blockade dieses dicht bewohnteGebiet komplett von der Außenwelt ab . Die israelischeRegierung lässt an Nahrung und Medikamenten nur daseinführen, was sie selbst zum Überleben für absolut not-wendig empfindet.Auch die ägyptische Regierung behindert Hilfsliefe-rungen an der Grenze . Infolgedessen fehlt etwa ein Drit-tel dringend benötigter Medikamente und Hilfsmittel,und die gesundheitliche Versorgung jedes dritten Patien-ten bzw . jeder dritten Patientin ist bedroht . Solche Hand-lungen sollten im kommenden Bericht mitgedacht undvon der Bundesregierung entsprechend kritisiert werden .
Ich empfehle, dem Entschließungsantrag der FraktionDie Linke zuzustimmen .
Für die umfassende Verwirklichung der universellenMenschenrechte sind Frieden und soziale Sicherheit diewichtigsten Voraussetzungen . Der Einsatz für Friedenund soziale Gerechtigkeit sollte daher auch oberste Auf-gabe einer jeden deutschen Bundesregierung sein .Inge Höger
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Vielen Dank .
Das Wort hat der Kollege Michael Brand für die CDU/
CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Der Evangelische Kirchentag am vergangenen Wochen-ende stand in diesem Jahr ganz unter dem Eindruck des500-jährigen Reformationsjubiläums . Viele TausendGläubige haben sich in Berlin und auch in Wittenberggetroffen, um ein Fest des Glaubens und der Toleranz zufeiern . Die Religionsfreiheit ist eine zentrale Frage heu-tiger Menschenrechtspolitik . Der Umgang eines Staatesmit der Religionsfreiheit zeigt im Besonderen, wie esdort um die Menschenrechte steht .
Der zwölfte Menschenrechtsbericht zeigt, dass dasRecht auf Religionsfreiheit zunehmend gefährdet ist .Deshalb fordern wir in unserer heutigen Entschließungerneut und explizit eine umfangreichere Befassung mitdem Menschenrecht auf Religionsfreiheit im nächstenMenschenrechtsbericht der Bundesregierung .
2016 wurde auf Initiative der CDU/CSU erstmals einBericht der Bundesregierung zur weltweiten Lage derReligions- und Weltanschauungsfreiheit vorgelegt unddarüber diskutiert . Kurz vor Ende der Legislaturperiodemöchte ich heute die Gelegenheit nutzen, bei Ihnen allenfür eine Verstetigung und Weiterentwicklung des Religi-onsfreiheitsberichtes zu werben . Für uns bleibt auch fürdie kommende Wahlperiode dieses Thema ein zentralesAnliegen .
Bahai, Ahmadiyya, Rohingya, Jesiden, Schabak, Ale-viten, Juden, Muslime, Schiiten und Sunniten, Tibeter,Uiguren sowie Christen aller Konfessionen und Tradi-tionen werden Opfer von gezielter Gewalt und Terro-rismus . Die Christen sind die weltweit größte verfolgteReligionsgruppe . Vor wenigen Tagen starben bei einemAngriff auf koptische Christen in Ägypten erneut Dut-zende Menschen . Die Terrormiliz des sogenannten „Isla-mischen Staats“ hat die Tat für sich reklamiert . Die mitAbstand meisten Opfer des IS sind weiterhin Muslime .Das dürfen wir nicht übersehen, und wir dürfen uns auchnicht spalten lassen .Liebe Kolleginnen und Kollegen, im aktuellen Men-schenrechtsbericht sind Themen hervorgehoben, die unsim Parlament vielfach beschäftigen: so der Schutz vonMenschenrechtsverteidigern und die Folgen repressiverNGO-Gesetze, die die Handlungsspielräume der Zivilge-sellschaft in immer mehr Ländern massiv einschränken .Der Brennpunkt „Shrinking Space“ zeigt deutlich, welchenorm wichtige Rolle eine handlungsfähige Zivilgesell-schaft für Menschenrechte und Demokratie hat . Deshalbist es von Bedeutung, offenzulegen, wie, manchmal ganzoffen und manchmal sehr subtil, Regime die Daumen-schrauben anziehen . Im „Aktionsplan Menschenrechte“verweist der Bericht auf Zielvorgaben und Strategien inden kommenden Jahren und benennt konkret 22 Schwer-punkte und Maßnahmenbündel zu deren Umsetzung . AlsGroße Koalition formulieren wir im Entschließungsan-trag zehn konkrete Forderungen an die Bundesregierung:vom konkreten Monitoring des Nationalen Aktionsplans„Wirtschaft und Menschenrechte“ bis hin zu einemBrennpunktthema, das sich dem weltweiten Problem desillegalen Organhandels widmen soll .Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute ist der chi-nesische Regierungschef in Berlin zu Gast . Die traurigeWahrheit ist: Die Menschenrechtslage in China hat sichseit dem Amtsantritt von Xi Jinping sogar noch weiterverschlechtert . Es gibt noch brutaleres Vorgehen gegenMenschenrechtsanwälte und -aktivisten sowie gegenBlogger, hohe Haftstrafen und Repression, NGOs wer-den durch neue Sicherheitsgesetze an die Kette gelegt,die Internetzensur wird weiter verschärft . Wer mehr Frei-heit fordert und dies nur öffentlich äußert, wird jahrelangweggesperrt .Besonders dramatisch bleibt die Lage für Uigurenund Tibeter . Die systematische Zerstörung von religiösenHeiligtümern der Tibeter, aktuell der bedeutenden Lehr-anstalt Larung Gar, und die brutale Unterdrückung diesereinzigartigen Kultur des für seine Friedfertigkeit bekann-ten Volkes ist einer so alten und großen Kultur wie derchinesischen völlig unangemessen und trägt nicht zurVerbesserung des Ansehens von China in der Welt bei .
Die Bundesregierung sollte neue Möglichkeitennicht vorbeiziehen lassen und jetzt eine aktivere Rollein den Beziehungen zu China spielen – bei den ThemenFreihandel, Klimawandel und auch die Chance nutzen,ein neues Kapitel im Bereich Menschenrechte aufzu-schlagen – ohne zu poltern den Finger in die Wunde le-gen . Dramatische Berichte über brutale Umerziehungs-und Zwangsarbeitslager, das Wissen über die weltweitmeisten Hinrichtungen und der Handel mit Organenvon Strafgefangenen müssen auch von Berlin deutlicherangesprochen werden . Wir haben uns zum Ziel gesetzt,noch einen Antrag auf den Weg zu bringen – wir habenja nur noch zwei Sitzungswochen –, der genau das, denillegalen Organhandel, in den Fokus nimmt . Im Übri-gen sollten wir die Zeit bis Ende Juni auch nutzen, einZeichen für die Opfer der sogenannten früheren ColoniaDignidad zu setzen – auch daran arbeiten wir gerade –;denn Deutschland hat hier eine moralische Mitverant-wortung .
Ich komme zurück zu China . Ende 2016 fand der14 . Menschenrechtsdialog zwischen China und Deutsch-land statt . Für die chinesische Seite sind diese Rundeninzwischen sehr bequem geworden: Kritik wird zwar an-gesprochen, befürchten muss man bislang aber wenig . –Dialog – das will ich in aller Deutlichkeit sagen – darfInge Höger
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nicht zum Selbstzweck werden . Dialog ohne echte Kon-sequenzen ist wirkungslos. Dass Peking dem Menschen-rechtsausschuss des Deutschen Bundestages, übrigens imGegensatz zum Wirtschaftsausschuss, weiter keine freieEinreise erlaubt, ist ein anhaltender Tiefpunkt in unse-ren diplomatischen Beziehungen, der nun wirklich nichtlänger akzeptiert werden darf . Wir erwarten hier von derBundesregierung eine aktivere Rolle .
Ich sage das auch, weil ich glaube, wenn man bei denchinesischen Gesprächspartnern nicht völlig das Gesichtverlieren möchte, dann muss deutsche Diplomatie auchvorzeigbare Ergebnisse bringen . Wenn die vielbeschwo-rene „stille Diplomatie“ im Falle Chinas angeblich sozielführend ist, dann muss man sich schon die Frage stel-len, warum die Lage der Menschenrechte in China immerdramatischer wird .Liebe Kolleginnen und Kollegen, immer dramatischerist auch die Lage in der Türkei geworden: Verhaftungs-wellen, Abschaffung der Demokratie, Drohungen mitder Einführung der Todesstrafe, die Axt am Recht vonMeinungs- und Pressefreiheit, Deniz Yücel, dessen Pateübrigens ich bin . Ich will an Frank Schwabe anknüpfenund an die Abgeordneten appellieren, eine Patenschaftim Rahmen des PsP-Programms des Bundestages zuübernehmen . Deniz Yücel ist sicherlich kein großer An-hänger der CDU/CSU, aber ich finde, genau das, was dugesagt hast, ist wichtig, nämlich dass man nicht nur nachseinen Leuten schaut, sondern auch nach Leuten, die ei-nem vielleicht nicht immer passen, von denen man nichtalles teilt . Aber dafür, dass sie ihren Job machen können,ihre Meinung sagen dürfen und ihre Freiheit als Journa-listen haben, kämpfe ich auch im Falle von Deniz Yücel,der natürlich freigelassen werden muss . Nennen will ichauch die deutsche Journalistin Mesale Tolu und die rund150 weiteren Journalisten und Verlage . Auch hier dürfenwir nicht nachlassen, deutlich eine Änderung von derTürkei einzufordern .
Ich will auch an die Attacken nach der Armenien-Re-solution erinnern, von DITIB bis hin zu den unakzepta-blen türkischen Geheimdienstaktivitäten in Deutschlandund dem irren Vorgang in Incirlik . Ein solches Verhal-ten, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat es bislang imNATO-Bündnis nicht gegeben; das ist einzigartig . Auchdieser Punkt muss endlich weggeräumt werden . Ich wün-sche dem Außenminister bei seinen Gesprächen viel Er-folg . Aber es muss klar sein, dass nur ein grundsätzlicherZugang für uns Parlamentarier akzeptabel ist und dassdie Spielchen endlich ein Ende haben müssen .
Bei grundlegenden Fragen von Menschenrechtendarf man sich nicht wegducken . Das gilt gerade in derTagespolitik . Es ist im Übrigen auch nicht die wichtig-ste Frage, ob wir Menschenrechtsverletzungen anderswoertragen . Ich glaube, zuallererst ist die Frage, ob die Un-terdrückten und Verfolgten in den jeweiligen Ländern,ob in der Türkei oder andernorts, dies ertragen können –denn sie zahlen doch in Wahrheit den bitteren Preis fürdas Wegducken hier, und sie erwarten von uns zu RechtHaltung und aktive Unterstützung .Diplomaten bei uns und in der EU müssen sehr auf-passen, dass manches Wegnuscheln nicht als Feigheitmissverstanden wird und die Falschen sogar noch ermun-tert werden . „Europa muss ein Akteur sein, der sich aucheinmischt international“, hat unsere Bundeskanzleringestern beim Besuch des indischen Premiers formuliertund wenige Tage zuvor gefordert, die Europäer müsstenihr Schicksal in die eigene Hand nehmen . Ja, die Zeiten,in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, diesind ein Stück vorbei .Ich will Sie auch deshalb fragen: Wie ernst soll mandenn eine EU-Kommission nehmen, die sich im FallErdogans nach dem Verfassungsreferendum in Wort-akrobatik übt, indem sie von roten Linien in unterschied-lichen Färbungen spricht und die Todesstrafe als die„röteste aller roten Linien“ bezeichnet? Ich halte das fürzynischen Hohn gegenüber den Mutigen in der Türkei,die sich noch trauen, den Mund aufzumachen . Auch hiergilt es, stärker Flagge zu zeigen .Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will einen letz-ten Punkt ansprechen . Frank Schwabe hat zu Recht ge-fordert, beim Thema Menschenrechte auch nach innenzu schauen . Es braucht diesen Blick nach innen . UnserLand, unser Grundgesetz, unsere Werte werden immerwieder bedroht . Stellung beziehen und sich nicht wegdu-cken ist entscheidend, egal woher die Angriffe auf unse-re freiheitliche Gesellschaft und unsere Werte kommen .Dazu gehören Menschen, die den Untergang des Abend-landes beschreien, aber in Wahrheit auf aggressive Aus-grenzung setzen . Dazu gehört links- wie rechtsextremeGewalt . Dazu gehören Erdogan-Anhänger in Deutsch-land, die hierzulande alle Freiheiten genießen und vonhier aus helfen, die Demokratie in der Türkei abzuschaf-fen . Da gibt es Menschen, die zu uns gekommen sind undhier gegen Christen, Jesiden oder Juden hetzen und sieeinschüchtern. Dass Konflikte aus anderen Ländern zuuns getragen werden, darf unser Staat nicht akzeptieren .
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatgeurteilt, dass die Scharia mit den fundamentalen Prinzi-pien der Demokratie und der Europäischen Menschen-rechtskonvention unvereinbar ist . Die Gleichberechti-gung von Frau und Mann ist bei uns nicht verhandelbar .Und es ist gut, dass der Deutsche Bundestag in dieserWoche konkrete Regeln auf den Weg bringt, um Kin-derehen zu bekämpfen .
Kollege Brand .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Menschenrechtesind nicht verhandelbar . Oder wie es unser früherer Bun-Michael Brand
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
„Jede Politik ist
auch Menschenrechtspolitik .“
Vielen Dank .
Das Wort hat der Kollege Tom Koenigs für die Frakti-
on Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wir haben es schon gehört: Die Menschenrechtestehen unter Druck, innen und außen, im Osten und imWesten: innen durch rechtspopulistische Strömungen,die Migranten hassen, außen durch religiöse Fanatiker,die Staaten bilden wollen, im Osten durch stalinistischeAutokraten – Putin, Erdogan – und im Westen durch Ten-denzen, sich aus den Institutionen zurückzuziehen, zumBeispiel England, das aus dem Europäischen Menschen-rechtsgerichtshof austreten will, oder die VereinigtenStaaten aus dem Menschenrechtsrat oder auch nur Staa-ten, die ihre Finanzen zurückziehen oder zurückfahrenwollen .Für uns Grüne sind die Menschenrechte der wich-tigste Maßstab für die Entwicklung und den Erfolg vonGesellschaften . Wir haben da eine eindeutige Position,nehmen die Menschenrechte ernst und stellen sie an dieerste Stelle, das heißt, wir fordern von den Staaten – vonjedem Staat, von jeder Regierung, auch von jeder Koali-tion –, dass sie die menschenrechtlichen Staatenpflich-ten ernst nehmen, nämlich Menschenrechte beachten,Menschenrechte schützen und Menschenrechte fördern –durch Institutionen .
Dass sie die Menschenrechte an die erste Stelle setztoder auch nur ernst nimmt, das kann man von der CDUwirklich nicht sagen, wenn Sie es zwölf Jahre zugelassenhaben, dass eine AfD-Tante Ihre Menschenrechtspolitikvertritt .
Zwölf Jahre! Und dann sehen Sie, wo sie hingekommenist . Es sind ja viele von Ihren Vorkämpfern zur AfD ge-gangen . Aber da sehen Sie es mal!Oder: Was war das für eine Qual, das Institut für Men-schenrechte in den Status zu versetzen, in den es gesetz-lich versetzt werden muss! Das ging ja nicht einfach, unddann haben wir es letzten Endes geschafft, dann stelltsich der Herr Fabritius hierhin und saut sie wieder runter .Das ist CSU!CSU auch so: Menschenrechtlich gibt es keinen Ra-batt, hat Herr Brand gerade gesagt . Obergrenze für Asyl-gewährung: Da sollten Sie mal Ihrem CSU-Vorsitzendensagen, dass die Obergrenze verfassungswidrig ist, men-schenrechtswidrig ist .
Es gibt keine Obergrenze . Da war die Kanzlerin sehr vieleleganter .Aber wenn man die Menschenrechte runterzieht undso tut, als gäbe es nichts – auch nur an einem einzigenPunkt –, dann beschädigt man die ganzen Menschenrech-te . Fragen Sie mal bei Herrn Seehofer nach! Und die SPDhat das in der Koalition dann alles immer mitgemacht .
Flüchtlingspolitik: Da wird der Familiennachzug fürzwei Jahre ausgesetzt . Sie haben das doch auf dem Kir-chentag gehört, was die Bürgerinnen und Bürger – geradeauch diejenigen, die für die Flüchtlinge etwas machen –Ihnen dazu sagen . Dann machen Sie da einfach mit!Oder Aktionsplan: Das ist ein Passivplan, den Sie daletzten Endes gemacht haben . Da wird nichts aktiviert .Die Ruggie-Prinzipien sind einstimmig in der ganzenWelt verabschiedet worden, und da gibt es eben unter-nehmerische Achtungspflichten, staatliche Schutzpflich-ten und den Zugang zur Abhilfe . Und dann kommen Sieda mit einem Mäuschen von einem Aktionsplan und ver-teidigen den dann hier noch!Sie haben darin einen hervorragenden Menschen-rechtsbeauftragten verschlissen . Der hat das Handtuchgeworfen . Das ist kein Aktionsplan, das ist ein Reakti-onsplan .Wir wollen die Institution des Menschenrechtsbeauf-tragten stärken, und wir sagen es auch ganz deutlich: Wirwollen die Institution des Menschenrechtsbeauftragtenzu einem Kabinettsposten machen, zu einem Staatsmi-nister, der dann auch für die Kohärenz in der ganzen Re-gierung sorgt,
sodass dann nicht auf der einen Seite Friedensprojektegefördert werden und auf der anderen Seite Rüstungsgü-ter verkauft werden .Ich kann es Ihnen nicht ersparen: Wenn die CDU aufdem rechten Auge blind ist, dann sind Sie auf dem öst-lichen Auge blind . Die neue Ostpolitik, die Sie wollen –übrigens: deutscher Sonderweg mit den Russen –: HabenSie sich mal die Innenpolitik in Russland angesehen?Haben Sie mal gesehen, dass da der Gulag fortgesetztwird? Haben Sie mal gelesen, was die von Pussy Riot,die Nadja Tolokonnikowa, geschrieben hat, die nach ih-rem Punk-Gebet zwei Jahre im Gulag gewesen ist? Diehat das sehr genau beschrieben, und das kommt bei Ihnennicht vor .
Michael Brand
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Eben haben Sie sich zu Recht über die Verhältnissein Gaza beschwert . Aber haben Sie mal was über dasTerrorregime der Hamas gehört? Haben Sie da mal waskritisiert? Nein, Sie fahren auf der Fregatte da mit undversuchen, die Blockade zu durchbrechen, die illegal ist .
Menschenrechte heißt, nicht mit zweierlei Maß zumessen, heißt, Menschenrechte überall zu vertreten, undheißt, sich vor allem gegen jede Diskriminierung zu weh-ren . Diskriminierungen haben immer zu größeren Kon-flikten geführt, letzten Endes auch zu Krieg. Jeder derinternationalen Konflikte hat einen Diskriminierungs-tatbestand dahinter . Die Diskriminierungstatbeständegibt es auch im Innern: Racial Profiling. Es ist die ersteStaatenpflicht, dass man Menschenrechte beachtet. Oderwenn man zusieht, wie Flüchtlingsheime brennen . Dasist die zweite Staatenpflicht: der Schutz der Bürger. Dasgilt eben für alle Menschen, nicht nur für die Deutschen .Schließlich: Auch das Institut der Ehe ist eine Förde-rung der Nichtdiskriminierung . Ehe für alle: Das hat janicht euer Schulz erfunden .
Warum haben wir die Verpartnerung und nicht die gleich-geschlechtliche Ehe seit der schönen rot-grünen Zeit?Weil eben Ihr Kanzler das nicht wollte . Das ist an derSPD gescheitert . Die CDU hat sowieso dagegengestimmtund hat gewütet und getobt .
Aber Ehe für alle gäbe es seit 2001, wenn Sie damalsmitgemacht hätten . Gucken Sie sich das mal an!
Wir wollen eine menschenrechtsgeleitete Außenpo-litik . Das heißt Verantwortung übernehmen, soweit derArm des Staates reicht, und zwar auch über die deut-schen Unternehmen im Ausland . Wir wollen die Men-schenrechtsverteidiger schützen . Unsere Botschaftensollen Anlaufstellen für Menschenrechtsverteidiger sein .Und notfalls sollen wir ihnen dann auch ein humanitä-res Visum geben, wenn sie das unbedingt benötigen, wie Edward Snowden .Wir sollten intensiver in den internationalen Organisa-tionen arbeiten . Da sind wir aber nur glaubwürdig, wennwir die internationalen Menschenrechtskonventionenauch ratifizieren, und zwar alle: das Zusatzprotokoll zumSozialpakt, das Abkommen zum Schutz indigener Völ-ker oder auch die Konvention zum Schutz der Wanderar-beiter. Die Chinesen haben das auch nicht ratifiziert. Diebrauchten es aber dringend, und die sagen: Wir ratifizie-ren nicht, weil das die Deutschen ja auch nicht machen . –Das wäre ein Weg, durch eine symbolische Ratifizierungweiterzukommen .
Die CDU sagt immer: Deutschland ist nicht Nordko-rea . – Richtig! Aber auch bei Ihnen und auch bei IhremLieblingsthema Religionsfreiheit gibt es Tendenzen vonantimuslimischen Untertönen: „Wir sind nicht Burka .“Ich bin auch nicht Schlips .
Was will der Innenminister da eigentlich sagen? Übri-gens: Im Deutschkurs fallen ja die meisten durch .
Also, Deutsch wäre irgendwas anderes . Was will er dasagen? Das ist ein Ausschluss . Hätte er im nächsten Satzgesagt: „Der Islam gehört zu Deutschland“ – die einzigegroße Leistung eines Ihrer Präsidenten –, dann hätte dasanders geklungen .
Aber klingt nicht bei dem „Wir sind nicht Burka“ auchein antimuslimischer Unterton mit?
Ich frage . Überlegen Sie mal, wie sich das anhört für je-mand, der Muslim ist .Der Menschenrechtsschutz braucht starke Institutio-nen . Deshalb wollen wir weiter das Innere stärken . Wirwollen den Beauftragten für Menschenrechte stärken,
aber auch die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter .Immerhin soll diese Stelle 13 000 Institutionen des Frei-heitsentzuges überwachen . Wir stehen an der Seite derMenschenrechtsverteidiger, deren Arbeit immer schwie-riger wird, und die müssen das auch wissen .
Wir müssen auch dieses Stehen an der Seite der Men-schenrechtsverteidiger in die Regierungsverhandlungeneinbringen . Das muss ein wesentlicher Faktor bilateralerBeziehungen sein, und seien es Beziehungen mit der Po-lizei .
Kollege Koenigs, ich bitte, auf die Redezeit zu achten .
Ein letzter Satz: Mit den Grünen in einer Bundesre-gierung wird es eine klare MenschenrechtsorientierungTom Koenigs
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geben: in allen Bereichen und in allen möglichen Kon-stellationen und Koalitionen . Wir setzen die Menschen-rechte an die erste Stelle .
Das Wort hat der Kollege Dr . Karamba Diaby für die
SPD-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vorzwei Jahren besuchte ich eine Asylunterkunft in meinemWahlkreis in Halle . Dort lernte ich eine iranische Fami-lie kennen . Damals sprachen wir noch Englisch mitei-nander. Heute spricht die Tochter fließend Deutsch, undauch mit den Eltern kann ich mich problemlos über mei-ne parlamentarische Arbeit unterhalten . Die Tochter be-sucht mittlerweile ein Gymnasium in Halle . Der Vater hateine Stelle in einem halleschen Unternehmen gefunden .Derzeit wartet er auf die Anerkennung seiner Berufsab-schlüsse, um wieder als IT-Experte arbeiten zu können .Seit ihrer Ankunft in Deutschland genießt die FamilieMenschenrechte, das Recht auf Bildung, das Recht aufArbeit und das Recht auf soziale Sicherheit . Es ist eineErrungenschaft, dass unser Land auch Menschen, die zuuns flüchteten, diese Rechte garantiert. Und das ist gutso .
In dieser Wahlperiode haben wir nicht zuletzt im Be-reich der Arbeitsrechte viel erreicht. Wir haben den flä-chendeckenden gesetzlichen Mindestlohn eingeführt .Wir haben ein Gesetz beschlossen, um die Lohnlückezwischen Frauen und Männern zu verringern . Für Asyl-bewerber haben wir den Zugang zum Arbeitsmarkt er-leichtert . Wichtig ist auch: Seit 2012 regelt das Aner-kennungsgesetz die Anerkennung der Gleichwertigkeitausländischer Berufsqualifikationen. Wir erkennen damitdie vorhandenen Kompetenzen der Menschen an .Auch im Bereich der sozialen Sicherung haben wirVerbesserungen erreicht . Wir haben die Rente mit 63eingeführt . Wir haben die Mütterrente aufgestockt, umFrauen vor Armut zu schützen, liebe Kollegin . Wir habenden steuerlichen Freibetrag für Alleinerziehende erhöht,um das Armutsrisiko zu senken .
Um zu meinem Beispiel zurückzukommen: Die ge-nannte Familie ist ein Symbol dafür, dass die Rechte derverschiedenen Menschenrechtspakte eng miteinanderverbunden sind . Das zeigt auch der vorliegende Men-schenrechtsbericht der Bundesregierung . Bildung giltdabei als Schlüssel, auch für die Umsetzung der übrigenMenschenrechte .Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Men-schenrecht auf Bildung ist kein Recht zweiter Klasse .Auch in diesem Punkt sind wir in dieser Wahlperiodevorangekommen, zum Beispiel bei den öffentlichen Bil-dungsausgaben . Der Anteil der Bildungsausgaben amBundeshaushalt stieg kontinuierlich . Mittlerweile liegter bei sage und schreibe 17 Milliarden Euro . Durch dieLockerung des Kooperationsverbotes wird der Bundmit 3,5 Milliarden Euro die Sanierung von Schulen undTurnhallen fördern .Allein diese Punkte zeigen, dass wir auf einem gutenWeg sind, das Menschenrecht auf Bildung noch besserumzusetzen . Aber wir müssen auch klar feststellen: Derrote Bildungsteppich wird noch lange nicht für jedesKind in Deutschland ausgerollt . Faktoren wie die sozialeHerkunft, der Aufenthaltsstatus oder eine Behinderungspielen noch immer eine entscheidende Rolle beim Zu-gang zu Bildung . Dabei ist der Migrationshintergrundnicht das ausschlaggebende Kriterium . Nur in Verbin-dung mit den genannten drei Faktoren spielt er eine Rol-le . Denn alleine das Aussehen lässt keine Rückschlüsseauf den Zugang zu Bildung oder den Bildungserfolg zu .Kinder bildungsferner Familien, egal welcher Her-kunft, machen seltener Abitur und schreiben schlech-tere Noten als der Nachwuchs von Anwälten, Lehrern,Ärzten oder auch Abgeordneten . An deutschen Schulenentscheidet bis heute die soziale Herkunft über den Bil-dungserfolg . Hier müssen wir gegensteuern .
In einer 2016 veröffentlichten Studie fordert das Deut-sche Institut für Menschenrechte zu Recht die Anpassungvon rechtlichen Regelungen, Bildungsplänen und Unter-richtsmaterialien . Nur so lässt sich unser Schulsysteminklusiv und diskriminierungsfrei gestalten .Ungleichheiten herrschen auch beim Zugang zu Be-rufsbildung . Hier sind besonders oft Jugendliche mitMigrationshintergrund betroffen, obwohl sie die gleichenAbschlüsse wie andere Jugendliche ohne Migrationshin-tergrund vorweisen können . Ich meine, Chancengleich-heit sieht anders aus .
Was müssen wir also tun? Und wo müssen wir um-steuern? Wir müssen die Bildungsinvestitionen erhöhenund stärker in die Qualität der Bildung investieren . Dasheißt auch: die Bildungsinfrastruktur modernisieren, dieLehrkräfte qualifizieren und die Schulsozialarbeit för-dern. Wir brauchen eine gerechte Bildungsfinanzierung.Wir brauchen die Gebührenfreiheit von der Kita bis zumHochschulabschluss und bei der Weiterbildung .
Meine Damen und Herren, der Geldbeutel der Elterndarf nicht über die Bildungslaufbahn eines Kindes ent-scheiden . Der Ausbau der Ganztagsschulen und die früheindividuelle Förderung in Kita und Schule sind wichtig,um den gleichen Zugang zu Bildung für alle zu ermögli-Tom Koenigs
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chen. Die berufliche Bildung muss gestärkt werden. Eineberufliche Qualifikation ist die wichtigste Voraussetzungfür soziale Teilhabe als Erwachsener .Meine sehr verehrten Damen und Herren, das irani-sche Mädchen hatte Glück . Unser Land bietet gute Vo-raussetzungen, und ihre Eltern kennen die Bedeutungvon Bildung für die Zukunft ihrer Tochter . Ich will abernicht, dass die Zukunftschancen unserer Kinder vom Zu-fall abhängen . Alle Kinder und Jugendlichen in unseremLand brauchen den gleichen Zugang zu Bildung . Dasdarf nicht am Geldbeutel scheitern .Lassen Sie uns deshalb gemeinsam dafür eintreten,das Menschenrecht auf Bildung für alle umzusetzen .Danke schön .
Das Wort hat der Kollege Dr . Bernd Fabritius für die
CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Der zwölfte Menschenrechtsbericht der Bundesregierungstellt einen fast umfassenden Überblick über die Situati-on der Menschenrechte sowohl international als auch beiuns in Deutschland dar . Darüber hinaus legt die Bundes-regierung mit dem Bericht Rechenschaft über ihre Men-schenrechtspolitik der vergangenen zweieinhalb Jahreab – eine Bilanz, die sich durchaus sehen lassen kann,was ich heute auch der Menschenrechtsbeauftragten derBundesregierung sehr gerne gesagt hätte . Ich hätte ihreAnwesenheit bei dieser Debatte angemessen gefunden .
Bereits in unserer Debatte zum vorhergehenden elf-ten Menschenrechtsbericht sind zwei wichtige Themenangeklungen, die uns auch heute noch beschäftigen . Las-sen Sie mich mit dem zivilgesellschaftlichen Engage-ment beginnen, das in vielen Ländern zunehmend einge-schränkt wird . Ich freue mich, dass die Bundesregierungder Aufforderung des Bundestages nachgekommen ist,den „Shrinking Space“ als Schwerpunktthema in ihremaktuellen Bericht zu behandeln . Denn selbst wenn zuden Einschränkungen für NGOs, bei der Meinungs- undPressefreiheit oder bei der Rechtsstaatlichkeit auch andieser Stelle bereits viel gesagt wurde, sind die Problemeweiterhin aktuell und so gravierend, dass sie in letzterKonsequenz Demokratie und Menschenrechte weltweitgefährden . Deshalb ist es ebenso begrüßenswert, dass dieBundesregierung die Schaffung und Erhaltung von zivil-gesellschaftlichen Handlungsspielräumen sowie die Un-terstützung der Arbeit von Menschenrechtsverteidigernin ihren Aktionsplan für den laufenden Berichtszeitraumaufgenommen hat .
Wir regen darüber hinaus in unserem Entschließungs-antrag an, dass die Bundesregierung auch im kommenden13 . Bericht umfassend auf diese Entwicklungen eingeht .Das zweite wichtige Thema der vergangenen Jah-re waren die Flucht- und Migrationsbewegungen nachEuropa und Deutschland . Vom zuständigen Bundesamtüber die Kommunen bis hin zu den vielen freiwilligenHelfern hat Deutschland mit einem Kraftakt eine großeAnzahl Schutzbedürftiger aufgenommen . Mit der Klar-stellung, dass wir nur die tatsächlich Verfolgten aufneh-men können, haben wir dafür gesorgt, dass die Zahl derAnkommenden deutlich gesunken ist . Das war wichtig,um einerseits eine Überforderung unserer Bevölkerungzu vermeiden und andererseits den wirklich Schutzbe-dürftigen eine menschenwürdige Aufnahme gewähren zukönnen .Welche Konsequenzen ziehen wir aus diesen Ereig-nissen? Drei Erkenntnisse sind aus meiner Sicht beson-ders wichtig:Erstens gilt es weiterhin, gegen die Ursachen vonFlucht und Vertreibung weltweit anzugehen . Unserediesbezüglichen Möglichkeiten sind insgesamt gesehennatürlich begrenzt . Die gute Arbeit von Bundesentwick-lungsminister Dr . Müller zeigt jedoch auf beeindrucken-de Art und Weise, dass man mit Beharrlichkeit doch eini-ges erreichen kann .
Zweitens müssen wir diejenigen konsequent zurück-führen, die nicht verfolgt werden und die deswegen kei-ne Bleibeperspektive in Deutschland haben . Das gebietetuns nicht nur unsere Gesetzeslage . Es ist auch im Hin-blick auf die Akzeptanz in der Bevölkerung, auf die wirangewiesen sind und auf die die Flüchtlinge angewiesensind, unerlässlich .
Die dritte Erkenntnis ist, dass wir grundsätzlicherüber die künftige Ausgestaltung des Asylsystems nach-denken müssen . Unser Asylrecht und auch die GenferFlüchtlingskonvention wurden unter dem Eindruck desZweiten Weltkriegs geschaffen. Sie sind unbestritten Teilunseres humanitären Selbstverständnisses . Gleichzeitigmüssen wir uns aber eingestehen, dass sie nicht für dieAusmaße der heute stattfindenden dauerhaften Flucht-und Migrationsbewegungen weltweit geschaffen wur-den . Wenn wir den gesellschaftlichen Zusammenhalt inDeutschland und übrigens auch den innergemeinschaft-lichen Zusammenhalt in der Europäischen Union nichtgefährden wollen, muss es hier spätestens mittelfristig zuspürbaren Anpassungen kommen .Es ist begrüßenswert, dass die Bundesregierung inihrem Bericht auf das Thema Religionsfreiheit eingeht .So werden beispielsweise die gravierenden Probleme inPakistan genannt . Dort ist der bekannte Fall der Chris-tin Asia Bibi nur die Spitze eines viel größeren Eisbergs .Erst vor kurzem ereignete sich erneut ein tragischer An-schlag auf koptische Christen in Ägypten . Der Berichtthematisiert solche Menschenrechtsverletzungen zwar,aber nur punktuell und weder erschöpfend noch analy-Dr. Karamba Diaby
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sierend . Dabei wäre eine vertiefte Untersuchung diesesThemas notwendig .Bemerkenswert ist, dass die Bundesregierung in die-ser Sache von den Grünen, Herr Kollege Koenigs, mitdem Argument in Schutz genommen wird, es liege be-reits ein separater Bericht zur Religionsfreiheit vor . Al-lerdings übersehen Sie dabei, lieber Kollege Koenigs,dass sich die Bundesregierung bei der Erstellung desReligionsfreiheitsberichts auf einen typologischen An-satz beschränkt und sich damit gegen die Variante, ein-zelne Länder auf die Wahrung der Religionsfreiheit zuuntersuchen, festgelegt hat . Stattdessen beschrieb sieabstrakt die beobachteten verschiedenen Arten von Men-schenrechtsverletzungen . Begründet wurde diese Vorge-hensweise damals mit Verweis auf andere Berichte; manwolle Doppelungen vermeiden . Wenn man nun dieserArgumentation folgt, dann kommt man zu dem Schluss,dass der vorliegende Menschenrechtsbericht im Länder-teil die ansonsten völlig unberücksichtigten, nicht ge-nannten Fakten dringend eingehender und umfassenderbehandeln müsste . Darum bitte ich im nächsten Bericht .
Wenn man wie wir heute über das Thema Menschen-rechte in Deutschland spricht, gehört auch das DeutscheInstitut für Menschenrechte mit seiner unbestritten wich-tigen Arbeit dazu . Im Berichtszeitraum haben wir die inden Pariser Prinzipien geforderten gesetzlichen Grund-lagen für das Institut geschaffen. Durch das Gesetz wirdsichergestellt, dass das Institut weiterhin unabhängig ar-beiten kann . Außerdem wurde damit die Grundlage dafürgeschaffen, dass sich das Institut breiter aufstellt und inseiner Mitgliederschaft die gesamte Bandbreite unsererGesellschaft gespiegelt wird . Dieses Pluralismusgebotwird von den Vereinten Nationen in den Pariser Prinzipi-en gefordert, welche die wichtigsten Grundregeln für alleMenschenrechtsinstitute weltweit festlegen . Herr Kolle-ge Koenigs, die Vereinten Nationen haben dergleichennicht aus einer Laune heraus gefordert . Vielmehr gibt esviele gute Gründe dafür .Genauso wie man selbstverständlich die Bundesre-gierung bei ihrer wichtigen Menschenrechtsarbeit kri-tisch – möglichst konstruktiv – begleiten muss, sollte manVerbesserungsbedarf beim Institut nicht einfach ignorie-ren, sondern sollte ihn klar ansprechen dürfen . Sie, HerrKoenigs, nennen das „heruntersauen“ und wollen aus demBundestag ein Akklamationsorgan machen . So versteheich unseren parlamentarischen Auftrag nicht . Deutsch-land gehört zur freien Welt . Wir leben in einer sehr viel-schichtigen, bunten Gesellschaft . Genau dies spiegelt sichetwa hier im Parlament wider, wenn ich in die Reihen desHohen Hauses blicke . Genau eine solche pluralistischeGesellschaft ist Grundlage einer aktiven Demokratie .Über unsere Menschenrechtsarbeit darf ich sagen –lieber Kollege Frank Schwabe, Sie haben darauf zu Rechthingewiesen –: Trotz verschiedener Sichtweisen habenwir alle doch das gleiche Ziel . Wir wollen die Men-schenrechte in Deutschland und in der Welt wahren undfördern, so gut und so weit das in unserer Macht steht .Gleichzeitig ist es legitim – das zeichnet unsere Demo-kratie aus –, dass wir auf dem Weg dorthin auch einmalunterschiedliche Prioritäten setzen . Dieser Aspekt fehltebisher im Deutschen Institut für Menschenrechte . Des-wegen war es wichtig, die rechtlichen Grundlagen desInstituts zu verändern, und deswegen bleibt es wichtig,dass unser Institut diesem gesetzlichen Auftrag nun nachund nach Rechnung trägt .Im Teil C des Berichts wird unter der Überschrift„Mens chenrechte weltweit“ die Entwicklung der Men-schenrechtslage in 78 ausgewählten Staaten und Gebie-ten im Berichtszeitraum dargestellt und in einen Kontextzur deutschen und europäischen Menschenrechtspolitikgestellt. Die traurige Entwicklung in der Türkei findetdort die notwendige Thematisierung. Das finde ich gutund wichtig, gerade weil unser Institut bisher den Fokuseher auf die Menschenrechtslage in Deutschland richtet .Eine derartige Perspektivenerweiterung ist wichtig .Besorgniserregend finde ich in diesem Zusammen-hang die Entwicklung der Menschenrechtslage in Tschet-schenien, meine Damen und Herren, einem zur Russi-schen Föderation gehörenden Land, in welchem lautHuman Rights Watch und anderen Menschenrechtsor-ganisationen systematisch Verhaftungen und Tötungenvon Menschen alleine wegen ihrer vermuteten sexuellenOrientierung erfolgen . Ich bin der Bundeskanzlerin sehrdankbar, dass sie diese Entwicklung in Sotschi bei ih-rem Gespräch mit dem russischen Präsidenten Putin, indessen Verantwortungsbereich das alles passiert, deutlichangesprochen hat . Sie hat Putin aufgefordert, sich für denSchutz der Menschenrechte in seinem Land einzusetzenund auch Minderheitenrechten Geltung zu verschaffen.
Ich fände es begrüßenswert, wenn der nächste Men-schenrechtsbericht der Bundesregierung im internationa-len Teil auch diese Situation näher beleuchten und Fort-schritte berichten könnte .Sie sehen: Es gibt leider weiter viel auf dem Gebiet zutun . Packen wir es gemeinsam mit einer konstruktivenHerangehensweise an .Danke .
Das Wort hat der Kollege Frank Heinrich von der
CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! 2015 sind laut der Organisation IOM3 771 Kinder, Frauen und Männer auf der Flucht nachEuropa im Mittelmeer gestorben . Ich erinnere mich, wieschwer mir ums Herz war – das teile ich wahrscheinlichmit dem einen oder anderen –, als wir am Anfang gewis-sermaßen nur ohnmächtig vor dieser Situation standen .Wie erklärt man irgendwann einmal seinen Kindern oderEnkeln, dass sie jetzt in den Urlaub an einen Ort fahren,Dr. Bernd Fabritius
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der zu einem Massengrab geworden ist – und wir viel-leicht nicht genug unternommen haben?In meiner Fraktion haben wir damals angefangen, zudiskutieren . Fluchtursachen, Flüchtlinge, Flüchtlings-politik: Was wollen wir tun? Dies haben wir zum erstenMal über die Disziplinen hinweg getan . Die Aufnahmevon Hunderttausenden Asylsuchenden hat unser Landfinanziell, personell und organisatorisch ziemlich he-rausgefordert . Aber unser Staat hat bewiesen – der Be-richt belegt das auf einigen Seiten im Mittelteil, und dasDeutsche Institut für Menschenrechte hat uns das letzteWoche in der Anhörung noch einmal deutlich bestätigt –,dass Deutschland seiner Verantwortung entsprechend gutreagiert hat, wenn auch nicht an allen Stellen richtig, undwir diesem Anspruch gerecht werden . Das waren mutigeEntscheidungen, die unser Land, die unsere Kanzleringetroffen hat; darauf bin ich ziemlich stolz.Inzwischen geht es aber nicht mehr nur um Deutsch-land, sondern auch um ein gemeinsames europäischesAsylsystem . Die Herausforderungen können nur gemein-sam angegangen werden, zumindest für uns als Europäer .Das einzig mögliche erfolgreiche Handeln kann nur dasgemeinsame sein .Wir erleben eine Polarisierung der Gesellschaften – ei-ner meiner Kollegen hat das eben gesagt –, die die Migra-tionsströme noch verschärft . Die Wahlen in den USA undin Frankreich scheinen eine Spaltung unserer Völker imInneren aufzuzeigen: Es gibt die Weltliberalen auf der ei-nen Seite und die sogenannten Patrioten auf der anderenSeite . Die Anführer der Letztgenannten stellen uns vorGefahren, die uns gut in Erinnerung sind: Fremdenfeind-lichkeit, Populismus, Isolationismus . Das ist das Klima –Stichwort „Shrinking Space“ –, in dem die Menschen-rechte unter Druck geraten und in dem sie sich behauptenmüssen, wie das Kollegen bereits dargestellt haben .Wenn der US-Präsident in diesem Klima bereit ist –ich habe die Wahl in den USA gerade schon angespro-chen –, illegale Einwanderer von ihren Kindern zu tren-nen, wenn er, wie wir seit Beginn der Debatte wissen,den Klimaschutzkonsens kündigen wird – ich musstedeshalb mein Skript ändern –, was unabsehbare Folgenwie ausgetrocknete Böden, mangelnde Ernährung undfehlende Wasserversorgung nach sich zieht, wenn erwährend des Wahlkampfes Frauen beleidigt – und wirkönnten noch mehr Punkte aufzählen –, dann sind dasSignale, auf die sich andere Länder gerne berufen . Wirdürfen mit Blick auf die schon existierenden und auchauf die bereits angekündigten Menschenrechtsverletzun-gen nicht schweigen .Dieses Jahr ist jeder 50 . Flüchtling auf seinem Wegüber das Mittelmeer ertrunken . Fast all diese Menschenflüchteten aus Nigeria, Eritrea und anderen afrikanischenLändern, weil sie dort keine Zukunft sahen .Ich möchte meine Schwerpunkte auf vier Themen le-gen . Das erste Thema ist die humanitäre Hilfe . Wir habenunseren Ausschuss bewusst Ausschuss für Menschen-rechte und humanitäre Hilfe genannt . Das Ziel Nummereins in der Agenda 2030 ist keine Armut .Das zweite Thema ist Shrinking Space .Das dritte Thema möchte ich am Beispiel von Afrikabehandeln, einem Kontinent, der unser Nachbarkontinentist . Wir müssen – das haben Sie, Herr Koenigs, angespro-chen – Kohärenz fordern . Da sehe ich tatsächlich nochNachholbedarf .Als letztes Thema nenne ich die Verantwortung . Dasbetrifft Kapitel D in dem Bericht der Bundesregierung,die ich dazu beglückwünsche . Dieses Kapitel behandeltdie Zukunft .Wir sollten, wenn wir Afrika betrachten, nicht immernur Elend und Krieg wahrnehmen . Wir sollten auch dasPositive in Afrika sehen .
Die Afrikanische Union hat 54 Mitgliedsländer . Dort gibtes inzwischen sehr viele kreative und gebildete Jugend-liche . Wir haben in vielen Staaten einen Boom . Die di-gitale Revolution findet dort schneller statt als hier; wirhinken mittlerweile hinterher . Netzunabhängige Solar-energiesysteme in kleinstem Maßstab werden dort ent-wickelt . Es sind afrikanische Lösungen für afrikanischeProbleme . Ich nehme Afrika immer weniger als kleineSchwester wahr, die wir zu betreuen haben, sondern alsgroßen Bruder, der uns etwas zu bieten hat . Wir müssenuns auf Augenhöhe begegnen .Afrika ist unser Nachbarkontinent . Wir brauchennachhaltige Beziehungen, die unsere Kontinente stärken .Aber natürlich gibt es eine Diskrepanz . Letzten Monathat Herr Adesina, der Präsident der Afrikanischen Ent-wicklungsbank, einigen von uns Folgendes erzählt: Daist ein junger Mann in Mali, der einen Job sucht und aucheine gute Ausbildung hat . Er will seinen Lebensunterhaltbestreiten, ist motiviert, optimistisch und bereit, viel zuarbeiten . Aber er wird nicht angestellt, weil ein Hindernisim Weg steht: Er hat noch keine Erfahrung . Zum wieder-holten Male bekommt er eine Ablehnung . Dann erfährtjemand, dass er Arbeit sucht, und sagt ihm: Ich hätte daetwas . – Der junge Mann freut sich sehr und ist dank-bar – bis er hört, welche Arbeit der Mann ihm anbietet .Der Mann sagt: Sie können Terrorist werden . – Auch dasist ein Grund für Menschen, aus ihren Heimatländern zuflüchten.Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Regierungmacht – das haben schon einige Kollegen gesagt – sehrviel richtig . Ich nenne als Beispiel den Marshallplan nichtfür, sondern mit Afrika . Es geht in den afrikanischenLändern darum, eine höhere Wertschöpfung zu errei-chen, durch Ausbildung mehr Beschäftigung zu generie-ren und Wachstum zu erzielen . Es geht nicht nur darum,Entwicklungshilfe im engeren Sinne zu leisten . Wennaber Entwicklungshilfe geleistet wird, sollte diese an dieEinhaltung der Menschenrechte gekoppelt werden .Dieses Jahr wird ein Afrika-Jahr werden . DerG-20-Gipfel in Hamburg wird Afrika eine Priorität ein-räumen. Im November findet der EU-Afrika-Gipfel inAbidjan statt . Das BMWi und das Finanzministeriumhaben Aktivitäten im Afrika-Jahr entfaltet . Diese Akti-vitäten müssen unbedingt fortgeführt werden; denn wirmüssen den Shrinking Space verringern .Frank Heinrich
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Weiterhin wichtig ist der Gedanke der Kohärenz, dieunbedingt erforderlich ist und in den Leitlinien schonformuliert ist . Die Kohärenz müssen wir noch umsetzen .Es geht beispielsweise um die Kohärenz in der Entwick-lungs-, Sicherheits- und Handelspolitik . Ich weiß, dassSie von den Linken darüber nicht so froh sind . Aber die-se Politikfelder müssen stärker miteinander vernetzt wer-den . Zu diesen Bemühungen kann ich ermutigen .Aber zur Kohärenz gehört auch, dass es kohärent han-delnde Konsumenten in unserem Land gibt . Wir dürfennicht immer nur den billigsten Kaffee, die billigste Colaund die billigste Schokolade kaufen, sodass der Bauerin der Elfenbeinküste für die Rohstoffe, die er verkauft,kaum einen Erlös erzielt und er seine Kinder in die Skla-verei verkaufen muss . Es geht nicht, dass wir die Fisch-gründe vor Westafrika leerfischen und gleichzeitig denMenschen vorwerfen, dass sie nach Europa kommenwollen .
Es geht nicht, dass wir Coltan, das für die Produktionvon Handys gebraucht wird, aus dem Ost-Kongo nutzenund damit die Kriegsökonomie nähren und das Blutbadverschlimmern . Wir sollten den Handel mit solchen Roh-stoffen in Verhandlungen zum Thema machen. Wir sindmit dem Nationalen Aktionsplan vielleicht noch nicht soweit, wie Sie, Herr Kollege, es gerne hätten, aber die ers-ten Schritte sind gemacht .Ich komme zu meinem letzten Punkt . In dem Ausblickzu dem Bericht steht sehr deutlich, dass wir nicht einfachsagen können, was in Afrika passieren muss . Das ist auchdie Haltung des Entwicklungsausschusses . Wir müssenmit den Menschen vor Ort zusammenarbeiten . Die po-litischen Eliten müssen Verantwortung übernehmen . Dabraucht es schmerzhafte Prozesse . Die afrikanischen Pro-bleme müssen auf afrikanische Weise gelöst werden .Da braucht es noch eine ganze Menge an Arbeit . Daskönnen wir auch nur unterstützen . Deshalb möchte ichmit zwei Zitaten von Nelson Mandela, einem meinerHeroes aus Afrika, zum Ende kommen:Wenn man einen hohen Berg bestiegen hat, stelltman fest, dass es noch viele andere Berge gibt .In dem Wissen um die viele Arbeit, die vor uns liegt –der nächste Bericht wird kommen –, müssen wir dasSchicksal jedes Einzelnen vor Augen haben . Dazu sagteMandela:Einem Menschen seine Menschenrechte verweigernbedeutet, ihn in seiner Menschlichkeit zu missachten .Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit .
Ich schließe die Aussprache .Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-empfehlung des Ausschusses für Menschenrechte undhumanitäre Hilfe zu dem Zwölften Bericht der Bundesre-gierung über ihre Menschenrechtspolitik . Der Ausschussempfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-che 18/12467, in Kenntnis der Unterrichtung auf Druck-sache 18/10800 eine Entschließung anzunehmen . Werstimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmtdagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegendie Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen .Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-ßungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa-che 18/12553 . Wer stimmt für den Entschließungsan-trag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – DerEntschließungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmender Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen abgelehnt .Zusatzpunkt 1 . Interfraktionell wird die Überweisungder Vorlage auf Drucksache 18/12544 an die in der Ta-gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall . Dannist die Überweisung so beschlossen .Zusatzpunkt 2 . Abstimmung über die Beschlussemp-fehlung des Ausschusses für Menschenrechte und hu-manitäre Hilfe zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Zivilgesellschaftliches En-gagement braucht Raum – Anti-NGO-Gesetze stoppen,Menschenrechtsverteidiger stärken“ . Der Ausschussempfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-sache 18/10625, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7908 abzulehnen . Werstimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmtdagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-lung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion undder SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linkeangenommen .Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 f sowieden Zusatzpunkt 3 auf:6 . a) Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr . Frithjof Schmidt, Uwe Kekeritz, ClaudiaRoth , weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENG20-Afrikagipfel – Gleichberechtigte Part-nerschaft für nachhaltige EntwicklungDrucksache 18/12543b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-sammenarbeit und Entwicklung
zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz,Dr . Gerhard Schick, Anja Hajduk, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIEGRÜNENStaaten vor illegitimen Rückzahlungsansprü-chen sogenannter Geierfonds wirksam schüt-zenDrucksachen 18/10639, 18/12343Frank Heinrich
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 236 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 31 . Mai 201723934
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c) Beratung des Antrags der Abgeordneten UweKekeritz, Kai Gehring, Kordula Schulz-Asche,weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENMarktversagen beenden, Innovationen för-dern – Globaler Forschungsfonds für bessereGesundheit weltweitDrucksache 18/12383d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusam-menarbeit und Entwicklung zudem Antrag der Abgeordneten Niema Movassat,Katja Kipping, Dr . Gesine Lötzsch, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion DIE LINKERechenschaftspflicht und entwicklungspoliti-sches Mandat der Deutschen Investitions- undEntwicklungsgesellschaft DEG stärkenDrucksachen 18/8657, 18/10612e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-sammenarbeit und Entwicklung
zu dem Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel,Niema Movassat, Inge Höger, weiterer Abgeord-neter und der Fraktion DIE LINKEMenschenrechtsverletzungen von Unterneh-men verbindlich sanktionieren – UN-Trea-ty-Prozess unterstützenDrucksachen 18/12366, 18/12567f) Beratung des Antrags der Abgeordneten HeikeHänsel, Niema Movassat, Wolfgang Gehrcke,weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKEGlobalabkommen mit Mexiko aussetzenDrucksache 18/12548Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Wirtschaft und Energie Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionFederführung offenZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten UweKekeritz, Claudia Roth , RenateKünast, weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN„UN Binding Treaty“ ambitioniert unterstüt-zenDrucksache 18/12545Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kolle-ge Dr . Frithjof Schmidt für die Fraktion Bündnis 90/DieGrünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die meisten von uns, die sich in der Außen- oder Ent-wicklungspolitik engagieren, teilen eine Erfahrung: Wirhaben seit vielen Jahren immer und immer wieder aufdie große Bedeutung der Entwicklung in Afrika hinge-wiesen und mehr entwicklungspolitisches Engagementder internationalen Gemeinschaft gefordert . Das Ergeb-nis kennen Sie alle: im positiven Fall schulterklopfendeZustimmung, im negativen Fall mitleidiges Lächeln überden Gutmenschen . Aber passiert ist in jedem Fall langefast nichts .Deswegen ist es notwendig und richtig – wir begrü-ßen das ausdrücklich –, wenn die Partnerschaft mit Afri-ka ein Schwerpunkt der deutschen G-20-Präsidentschaftist . Die Idee von einem großen internationalen Plan, ei-nem Marshallplan für Afrika, wie zum Beispiel MinisterMüller sagt, hört sich erst einmal gut an .
– Mit Afrika, ja .Viele Länder Afrikas haben in den letzten 20 Jahrenpositive wirtschaftliche und soziale Entwicklungen er-reicht, aber Megatrends wie der demografische Wandelund die Urbanisierung stellen zugleich enorme Heraus-forderungen dar . Der Kontinent ist in extremem Maßevon der Klimakrise betroffen, die insbesondere in derSahelzone als Brandbeschleuniger für die gesellschaftli-chen Konflikte in den ärmsten und fragilen Staaten wirkt.Auch die wachsenden Migrations- und Fluchtbewegun-gen zeigen all das deutlich an .Gerade jetzt, wo die G 7 in Taormina bei der Umset-zung der lange versprochenen Hilfsmaßnahmen für dieHungerregionen so kläglich versagt haben, sind neue Ini-tiativen dringend geboten .
Dabei muss eines klar sein: Auf die fragilen Regionenund Staaten müssen sich die internationalen Anstrengun-gen zur Unterstützung und Zusammenarbeit besonderskonzentrieren . Die OECD fordert dies ganz klar .Leider vertritt die Bundesregierung diese Schwer-punktsetzung in ihren bisherigen Vorschlägen geradenicht . Die Bundesministerien produzieren verschiedens-te Konzepte, die bei näherer Betrachtung aber öffentlichunterfinanziert sind. Ein Marshallplan ohne ausreichendöffentliches Geld – das klingt schon nicht mehr so wir-kungsvoll . Die Förderung und Hebelung privater Investi-tionen werden quasi als Allzweckwaffe der Finanzierungpräsentiert, und die Konzentration auf einige Ländermittleren Einkommens wird propagiert .
Private Investitionen gehen natürlich eher dahin, wostabile Marktbedingungen eine sichere Rendite verspre-Vizepräsidentin Petra Pau
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chen, und das ist nun mal gerade nicht in den ärmsten undfragilen Staaten der Fall .
Wer faktisch den Marktmechanismen die Entscheidungüber die Schwerpunkte der Entwicklungszusammenar-beit überlässt, der macht einen großen Fehler .
Die sogenannte „Compact with Africa“-Initiative, dieHerr Schäuble für die G 20 propagiert, hat den gleichenKonstruktionsfehler . Die ordnungspolitische Leitfunk-tion öffentlicher Entwicklungshilfe – die Orientierungan den Standards der Agenda 2030, des Pariser Klima-abkommens, der Kernarbeitsnormen der ILO, der Men-schenrechtsabkommen und die Orientierung an der För-derung der Demokratie – tritt in den Hintergrund, unddas ist schlecht .
Stattdessen werden fantastische Erwartungen an die fi-nanztechnische Hebelung privater Investitionen ins Zen-trum gerückt und wird über die Privatisierung öffentlicherInfrastruktur in Afrika geredet . Der External InvestmentPlan der Europäischen Union umfasst 3,5 MilliardenEuro an öffentlichen Geldern. Über finanztechnischeOperationen wie Kreditausfallbürgschaften und Ähnli-ches soll das angeblich auf 44 Milliarden Euro wachsen .Das sind Voodoo-Economics .
All das wirkt so, als hätte die Bundesregierung aus demDesaster der Verhandlungen über die EU-Wirtschafts-partnerschaftsabkommen mit Afrika in den letzten Jahrennichts gelernt .Meine Damen und Herren von der Koalition, Initiati-ve ist nötig . Aber sorgen Sie dafür, dass mindestens dieHälfte der Mittel der Entwicklungszusammenarbeit inden ärmsten und fragilen Staaten eingesetzt wird,
sorgen Sie für gute entwicklungspolitische Konditionen,wenn Sie private Investitionen subventionieren, und set-zen Sie sich für wirkungsvolle Maßnahmen gegen dieSteuerflucht von multinationalen Unternehmen aus afri-kanischen Ländern ein! Das Volumen übersteigt nämlichnach vielen Expertisen die Höhe der Entwicklungsgelderinzwischen deutlich . Das gehört deshalb ganz oben aufdie Agenda der G 20 – ebenso übrigens wie die Einlö-sung der akuten Hilfszusagen der G 7, die sie in Taormi-na nicht zustande bekommen haben .Vielen Dank .
Das Wort hat der Kollege Charles M . Huber für die
CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-legen! Liebe Gäste! Meine Mandatszeit geht zu Ende .Wenn ich alles das Revue passieren lasse, was in der Ent-wicklungspolitik geschehen ist, muss ich sagen: Es istsehr viel geschehen . Ich bin sehr zufrieden, dass sich derBlick auf Afrika vonseiten der deutschen Politik geänderthat und dass es die Initiativen für Afrika – Compact withAfrica, Marshallplan mit Afrika – gibt . Auch wenn esda manchmal einen kleinen Versprecher gegeben hat, sodrückt das nicht aus, denke ich, dass wir den Afrikanernein Konzept aufdrängen wollen . Ich glaube, das alles ge-schieht auf der Ebene eines Angebots .Es hat sich viel getan . Vor allen Dingen möchte ichhier ausdrücklich betonen, dass wir es der Kanzlerin zuverdanken haben, dass durch ihr Engagement auch imRahmen des G-7- und G-20-Gipfels – unabhängig davon,wie der G-7-Gipfel ausgegangen ist – der afrikanischeKontinent weltweit diese globale Bedeutung erlangt hat,wie dies im Moment der Fall ist .
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kol-legen, es drängt im Moment jeder nach Afrika, zumindestfinden viele Konferenzen über dieses Thema statt. AuchHerr Macron, kaum im Amt, redet über eine neue Part-nerschaft mit Afrika . Das zeigt, sehr geehrte Damen undHerren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wie wichtigAfrika auch für uns sein wird .Wir haben die Thematik der Flüchtlingskrise, die The-matik der Landflucht und der Armutsflucht aus Afrika indramatischen Bildern vom Mittelmeer miterlebt . Afrikabraucht 18 Millionen Arbeitsplätze pro Jahr . Im Momentsind wir bei 3 Millionen . Ihre Rede, lieber Kollege, unddie Anträge der Grünen sind ein Rückschritt in die klas-sische Entwicklungspolitik, die wir nicht brauchen . Ichmöchte Ihnen sagen: Als ich meine Arbeit als Parlamen-tarier begann, war eines meiner ersten Treffen mit afrika-nischen Botschaftern in der ägyptischen Botschaft . Siekamen auf mich zu und sagten: Herr Huber, Sie verstehenuns, Sie haben einen afrikanischen Hintergrund . HelfenSie uns doch, dass nach Afrika nicht nur Mittel der Ent-wicklungszusammenarbeit fließen. Wir wissen, Ihr Landmeint es gut und ist einer unserer größten Geber . Aber wosind denn Ihre Investoren?
Ich bin zufrieden, dass wir über die Milchpulver- undTomatenproblematik in unserer entwicklungspolitischenDiskussion hinausgekommen sind und dass wir konkretüber Wirtschaftsentwicklung diskutieren und nicht nurüber Handelspolitik, was aus Ihrer Sicht ja verfehlt ist .Dazu möchte ich eines sagen, um an das Beispiel Milch-pulver anzuschließen: Es muss Finanzierungsmittel alseine Grundvoraussetzung dafür geben, dass Arbeitsplät-Dr. Frithjof Schmidt
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ze in Afrika – wir reden von 54 Ländern – geschaffenwerden können . Wenn Sie beklagen, dass in diesen Län-dern keine Finanzierungsmittel vorhanden sind, weilnur in die Länder investiert würde, die bereits ein Wirt-schaftswachstum haben, dann frage ich: Wie viele Mittelbrauchen Sie denn für alle 54 Länder? Das sollte nichtunsere Strategie sein .Sie haben in Ihrer Rede kein einziges Mal über dieDynamik der Regionalisierung gesprochen – ein wichti-ges Thema . Sie haben in Ihrem Antrag über die Finanz-märkte geschrieben und haben versucht, am Beispiel vonArgentinien eine populistische Dynamik in Bezug aufGeierfonds zu erzeugen . Allein der Name „Geierfonds“soll schon eine Gier ausdrücken, und dieses Label wol-len Sie jedem deutschen Unternehmer, der mit einemehrlichen Ansinnen nach Afrika gehen will und Exper-tise nach Afrika bringen will, als Stempel auf den Kopfdrücken .
Wenn Sie ein Wirtschaftsexperte sind und über dasAnleihegeschäft so genau Bescheid wissen, dann wis-sen Sie auch, wie das Anleihegeschäft, dieser Deal derArgentinier mit den Geierfonds, abgelaufen ist . Eine ar-gentinische Regierung hat – Ihr Vergleich mit der Volks-wirtschaft afrikanischer Länder hinkt – eine Ökonomiegesteuert, die erfolgreich war und auf einer Ebene mitDeutschland stand . In Bezug auf die Steuerung einerVolkswirtschaft über Anleihen muss man feststellen,dass die Crux in Argentinien nicht der Geierfonds war .Ein Geier kommt da hin, wo er Aas riecht . Dieses Aashat er gerochen, als die argentinische Wirtschaft auf ein-mal ideologisch gesteuert wurde – so wie Ihre Anträgeideologisch motiviert und populistisch sind, mit Fokusauf die ganze Peripherie der NGOs .
Ich muss sagen – es tut mir wahnsinnig leid –: Ein No-tenbänker, ein Zentralbänker hätte, wenn er einen Vertragnach internationalem Recht unterschreibt, wissen müs-sen, was passieren könnte . Die Geier haben dann zuge-schlagen .
Meine Damen und Herren, wie sieht es aus, wenn esdarum geht, afrikanische Talente zu finanzieren? MeinKollege hat es vorhin angesprochen . Man muss den af-rikanischen jungen Leuten in Nigeria, in Kenia nichtsüber Digitalisierung erzählen . Man muss einem nigeri-anischen oder einem kenianischen Bänker, die das Ban-kengeschäft in Afrika beherrschen, auch nichts über An-leihen erklären .Ich möchte etwas zum verwegenen Ansatz Ihres An-trages sagen . Sie haben gesagt, die Engländer seien be-sorgt gewesen und würden uns vormachen, wie man hierunter moralischen Gesichtspunkten die Finanzpolitikgegenüber der gesamtafrikanischen Region gestalte . Ichkann Ihnen sagen: Die Engländer haben mit Blick auf dieanglofonen Afrikaner ganz andere Interessen . Sie revita-lisieren das Commonwealth und schaffen praktisch einEmpire 2 .0 . Das heißt, die Engländer haben hier – des-wegen nenne ich dieses Beispiel – eine eigene Strategie,nämlich eine Rohstoffstrategie.Wenn Sie es den Afrikanern nicht ermöglichen wollen,normale, entwickelte Volkswirtschaften wie die europäi-schen aufzubauen und zu gestalten und auch Alternativenbei der Finanzierung über die Kapitalmärkte in Anspruchzu nehmen, und zwar nicht unter dem Gesichtspunktstabiler Fremdwährungen – es gab mal eine Initiativeder Europäischen Union, bei der man die Kapitalmärk-te aufbauen wollte und das Anliegen war, die Emissionvon Anleihen unter stabilen Nationalwährungen zu er-möglichen –, wenn Sie den afrikanischen Ländern nichtdie Möglichkeit geben wollen, sich zu finanzieren undKapital für kleinere oder größere Unternehmungen selbstzu akquirieren – alternativ zu Rohstoffverträgen mit denEngländern, die mit Anglo American und Australiern Bo-denschätze abbauen und dann die Konditionen diktieren,sodass es keine Möglichkeit gibt, parallel andere Finan-zierungen zu akquirieren –, dann verstehen Sie wenigvon Finanzpolitik, und dann sollten Sie am besten über-haupt nicht darüber reden .
– Nee, nee, nee . Sie wollen zum UN Treaty reden;
darauf bezieht sich Ihr Antrag . Sie wollen alle möglichenStandards für Unternehmen einführen . Ein deutscher Un-ternehmer muss aber nicht nach Afrika .
Insofern muss man einen Anreiz setzen, damit ein deut-scher Unternehmer nach Afrika geht . Sie wissen doch,dass die deutschen Exporte zu 60 Prozent in die EU undzu 40 Prozent in die Euro-Zone gehen . Das vermisse ichbei all Ihren Anträgen – deswegen werde ich diesen An-trägen nicht zustimmen –: Sie alle setzen keinen Anreizfür einen deutschen Unternehmer, sich von Deutschland,aus der EU oder von den Kernmärkten wegzubewegen .Ich hoffe, dass Sie dieselben verbindlichen Standardsetwa für die Firma RUSAL von Herrn Abramowitschvorsehen, die in Guinea tätig ist .
Sie unterstellen deutschen Unternehmen per se, dass siedie Menschenrechte nicht einhalten .Meine Damen und Herren, wenn ich in Afrika bin – –
Herr Kollege, das ist sicherlich interessant . Aber den-ken Sie an Ihre Redezeit?Charles M. Huber
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Ich denke an die Redezeit .
Ich möchte noch sagen: Ich freue mich und Afrika
freut sich – das ist mir in Gesprächen mit meinen afri-
kanischen Kollegen auf den vielen Dienstreisen klar ge-
worden – auf die 1 200 deutschen kleinen und mittel-
ständischen Unternehmen, die mit ihrem Know-how im
Rahmen von Capacity Building nach Afrika kommen,
um die Partnerschaft mit Afrika auf neue Füße zu stellen .
Ich danke der Kanzlerin für ihre hervorragende Arbeit
und für ihre hervorragende Unterstützung des afrikani-
schen Kontinents, auch hinsichtlich der Klimafrage .
Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Kollege Huber . – Einen schönen Nach-
mittag von mir, liebe Kolleginnen und Kollegen . Der
nächste Redner: Niema Movassat für die Linke .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In zweiWochen findet hier in Berlin der G-20-Afrikagipfel statt.Bereits vor über 130 Jahren fand in Berlin eine bedeut-same Afrika-Konferenz statt, auf der der Kontinent vonden europäischen Großmächten auf dem Reißbrett auf-geteilt wurde . Was hat das miteinander zu tun? Damalswie heute ging es nicht um eine eigenständige Entwick-lung Afrikas . Damals wie heute wurde nicht im Interesseder Menschen in Afrika gehandelt . Ganz im Gegenteil:Diese G-20-Afrikakonferenz dient dazu, die Wirtschafts-interessen reicher Staaten und ihrer Konzerne mithilfeafrikanischer Märkte abzusichern . Dabei wäre es endlichan der Zeit, aufzuhören, Afrikas Staaten und Menschenauszubeuten .
Aber die Ausbeutung soll weitergehen . Dafürspricht die neueste Afrika-Initiative, die FinanzministerSchäuble vorgelegt hat, der Compact with Africa . DiesesAfrika-Konzept, der Compact, enthält viele krude Ideen,viel neoliberale Ideologie, Herr Kollege Huber . Afrika-nische Länder sollen die Märkte weiter öffnen, sie sollenihre Sozialausgaben kürzen, die öffentliche Daseinsvor-sorge, also Wasser, Telekommunikation und Energie, sollprivatisiert werden, und man will auch auf PPPs, also auföffentlich-private Partnerschaften setzen.
Private Schiedsgerichte sollen sicherstellen, dass Inves-toren ihre Interessen auch gegen politischen Widerstandnach einem Regierungswechsel durchsetzen können . DerCompact with Africa soll Konzernen neue Profitmög-lichkeiten verschaffen. Menschenrechte wie der Zugangzu Wasser oder zu Gesundheitsversorgung bleiben dabeivöllig auf der Strecke . Das ist die völlig falsche Politik,wenn man Armut bekämpfen will .
Schäubles Afrika-Initiative will privates Kapital aufden Kontinent locken, und alle politischen Aufgaben sol-len diesem Ziel untergeordnet werden .
So soll die öffentliche Hand zum Beispiel vermehrt pri-vate Investitionen absichern . Gibt es Gewinne, sahnt alsoder Konzern ab, und gibt es Verluste, zahlt der Steuer-zahler . Herr Schäuble hat wahrlich einen neoliberalenGiftcocktail vorgelegt: gut für die Konzerne in Europa,schlecht für die Menschen in Afrika . Das ist eine Schan-de .Ich mache drei Vorschläge, was Sie als Bundesregie-rung stattdessen tun sollten .Erstens . Ergreifen Sie endlich Maßnahmen gegen dieSteuerflucht transnationaler Konzerne. Jedes Jahr verlie-ren die Länder des Südens circa 100 Milliarden US-Dol-lar, weil Unternehmen ihrer Steuerpflicht nicht nachkom-men .
Das müssen wir stoppen, damit endlich genug Geld inAfrika bleibt, um in Bildung, Gesundheit und Infrastruk-tur zu investieren .
Zweitens . Wir brauchen einen menschenrechtsbasier-ten Ansatz in der Entwicklungspolitik . Beim Compactwith Africa spielt das überhaupt keine Rolle. Die effek-tive Durchsetzung des Rechts auf Nahrung, Gesundheitund Bildung muss aber die Grundlage der Entwicklungs-politik sein .Drittens . Wir benötigen verbindliche Regeln für dasHandeln von Konzernen im Ausland . Herr Schäuble isteiner derjenigen, die das verhindern . Im Nationalen Ak-tionsplan „Wirtschaft und Menschenrechte“ hat er jedeVerbindlichkeit streichen lassen . Dank Herrn Schäubledürfen deutsche Unternehmen im Ausland Menschen-rechte und die Umwelt weiter mit Füßen treten .Werte Bundesregierung, noch haben Sie die Chance,sich zu korrigieren . Das hat mit einem Prozess auf Ebe-ne der Vereinten Nationen zu tun . Seit 2014 beschäftigensich die UN auf Initiative von Ecuador und Südafrika mitder Erstellung eines Menschenrechtsabkommens, umwirtschaftliche Aktivitäten zu regeln; das ist bekannt alsUN-Treaty-Prozess . Das Ziel ist: Opfer von Menschen-rechtsverletzungen sollen erstmals verbindlichen Schutzgarantiert bekommen . Unternehmen, die Menschenrech-te verletzen, sollen haftbar werden, und zwar nicht nurdeutsche, Herr Huber, sondern das soll auch auf interna-tionaler Ebene funktionieren .
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Das ist eine wirklich gute Initiative; aber die Bundesre-gierung verweigert sich bisher . Zuerst hat sie gegen dieEinrichtung der Arbeitsgruppe gestimmt, dann blieb sieder ersten Sitzung fern, und zur zweiten Sitzung hat sieeine Praktikantin geschickt . Es ist echt ein Skandal, wiediese Bundesregierung mit dem Thema Menschenrechteumgeht .
Der UN-Treaty-Prozess ist eine historische Chan-ce . Deshalb bitte ich Sie, werte Bundesregierung, dieseChance zu ergreifen, und ich bitte dieses Haus, unseremAntrag dazu heute zuzustimmen .Danke .
Vielen Dank, Kollege Movassat . – Nächster Redner:
Dr . Sascha Raabe für die Sozialdemokraten .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Noch immer leben fast 1 Milliarde Menschen inHunger und extremer Armut, 70 Prozent davon im länd-lichen Raum . Der G-20-Gipfel will Fluchtursachen be-kämpfen und das durch private Investitionen im Rahmeneiner Partnerschaft mit Afrika erreichen . Was bringt dasden Menschen im ländlichen Raum?2,5 Milliarden Kleinbauern gibt es auf der Welt . Sienutzen seit Generationen Land; aber die wenigsten davonhaben Landtitel . Das genau ist das Problem: Wenn pri-vate Investoren, wenn ausländische Investoren in dieseLänder kommen und großflächig Land pachten – anderesagen: rauben –, vertreiben sie dadurch die Kleinbauern .Allein in den letzten fünf, sechs Jahren sind 10 Millio-nen Hektar Land von ausländischen Investoren geraubtworden . Ein Kleinbauer verfügt über etwa 1 bis 2 Hek-tar Land . Da die Geburtenraten nach wie vor sehr hochsind, wird das Land immer knapper, wodurch die Proble-me noch weiter verschärft werden . Es ist dokumentiert,dass 33 Millionen Menschen auf diese Weise ihr Landverloren haben . Nur in einem Drittel der Fälle wurde einegeringe Entschädigung gezahlt .Wir hatten heute den Präsidenten von Madagaskar –ein Land, das ein langes Klagelied über Land Grabbingsingen kann – im Ausschuss zu Besuch . Deswegen sageich: Wenn auf dem G-20-Gipfel nur das Lied über mehrprivate Investitionen gespielt wird, dann bringt das nichts;denn so wird das Problem verschärft . Dadurch verlierendie Ärmsten der Armen ihr Land, und das müssen wirverhindern, meine sehr verehrten Damen und Herren .
Von der Welternährungsorganisation sind kluge Leit-linien zur verantwortungsvollen Landnutzung auf frei-williger Basis beschlossen worden . Das Problem ist aber,dass diese Leitlinien nur freiwillig sind . Deswegen haltensich leider weder die internationalen Unternehmen nochdie meisten Regierungen der Entwicklungsländer daran .Nur wenn wir wie bei den Konfliktmineralien verbind-liche Leitlinien schaffen – wir haben durchgesetzt, dassUnternehmen und Regierungen gezwungen werden, sichdaran zu halten, dass Kinder nicht als Sklaven in Minenarbeiten und keine Kindersoldaten finanziert werden –und festlegen, dass nur unter dieser Voraussetzung Han-del mit diesen Staaten betrieben werden darf, nur dannkönnen wir Erfolg haben .
Damit komme ich zum zweiten Punkt, den die G 20auf der Agenda haben . Sie wollen den freien Handelausweiten, weil sie sagen: Dadurch wird Armut vermin-dert . – Nein, wir brauchen fairen statt freien Handel!
Aus Westafrika kommen insgesamt 90 Prozent unsererKakaobohnen . Allein aus den Ländern Elfenbeinküsteund Ghana kommen 75 Prozent . Über 2 Millionen Kin-der arbeiten alleine in Ghana und der Elfenbeinküste aufden Kakaoplantagen . Wir dürfen nicht sagen: Es inte-ressiert uns nicht die Bohne, wie die Arbeit auf den Ka-kaoplantagen aussieht . Ganz im Gegenteil: Wir müssenuns fragen: Wo kommen die Bohnen her? Wer pflücktdiese Bohnen? Wer macht Gewinne mit diesen Bohnen?Nur wenn wir endlich erreichen, dass dort keine Kin-derarbeit mehr stattfindet, dass die Kinder in die Schulegehen können, die Menschen menschenwürdig arbeitenkönnen und genug Geld verdienen, bekämpfen wir auchdie Fluchtursachen . Das muss auf die Agenda der G 20,meine Damen und Herren .
Lassen Sie mich an dieser Stelle auch Folgendes sagen:Ich bin enttäuscht von unserem Entwicklungsminister,Herr Staatssekretär Fuchtel . Ich habe ihn am 3 . Novem-ber 2014 in einem Schreiben eindringlich davor gewarnt,das Freihandelsabkommen mit der WestafrikanischenWirtschaftsunion zu unterzeichnen; denn zum Beispiel inGhana und der Elfenbeinküste müssen Millionen Kinderschuften . Am 3 . Dezember 2014 hat der Minister es aberals verantwortliches Kabinettsmitglied unterzeichnet .Zum Glück können wir das im Bundestag noch stoppen .Ich sage Ihnen: Es ist schön, wenn der Herr Minister vonfairem Handel redet, aber er muss auch endlich fair undgerecht handeln .
Nur wenn wir faire und gerechte Handelsbedingungenschaffen, können wir Fluchtursachen bekämpfen, kön-nen wir Armut und Hunger beseitigen . Die G-20-Staatenkönnen die Rahmenbedingungen dafür setzen; sie sindmitverantwortlich für diese Zustände . Deshalb sage ich:Niema Movassat
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Es ist Zeit für mehr Gerechtigkeit in Deutschland und inAfrika . Lassen Sie uns gemeinsam dafür kämpfen .Vielen Dank .
Vielen Dank, Sascha Raabe . – Die letzte Rednerin in
dieser Debatte: Gabriela Heinrich für die sozialdemokra-
tische Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Nichts regt
die Afrodeutschen in meinem Wahlkreis mehr auf, als
wenn wir über Afrika reden, als wäre es eins . Afrika ist
Vielfalt . Deswegen ist es auch so schwer, dieses eine Ent-
wicklungskonzept für Afrika zu finden. Allerdings gibt
es eine Grundbedingung, ohne die Entwicklung nicht vo-
rankommen kann: Die verschiedenen Politikansätze und
Maßnahmen müssen sich ergänzen und bei der Lösung
von Problemen zusammenwirken . – Leider passiert oft
das Gegenteil .
Diese Politikkohärenz ist der entscheidende Faktor,
wenn wir globale Gerechtigkeit voranbringen wollen –
bei der bilateralen wirtschaftlichen Zusammenarbeit, bei
der Afrika-Politik der EU ebenso wie der G 20 . Gerade
wenn private Unternehmen zum Wohle der Entwicklung
von Partnerländern investieren sollen, dann ist es unab-
dingbar, dass dabei verbindlich soziale, ökologische und
menschenrechtliche Standards eingehalten werden .
Zu den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen
gehört das Ziel fünf: Gleichberechtigung der Geschlech-
ter . Teil des Ziels ist der Zugang zu selbstbestimmter
Familienplanung . Ich greife das deswegen heraus, weil
Donald Trump die sogenannte Global Gag Rule wieder
in Kraft gesetzt hat . Er will allen Organisationen die Ent-
wicklungsgelder streichen, die mit dem Thema Abtrei-
bung zu tun haben oder auch nur das Wort „Abtreibung“
erwähnen. Das betrifft nicht nur Krankenhäuser oder Ge-
sundheitsdienste. Selbst die Beratung ist betroffen, zum
Beispiel die Beratung für Frauen, die vergewaltigt wor-
den sind, oder für schwangere Frauen, die sich mit dem
Aidsvirus infiziert haben. Aus der Vergangenheit wissen
wir, welche Auswirkungen das hat: Die selbstbestimmte
Familienplanung wird insgesamt eingeschränkt, und die
Abgabe von Verhütungsmitteln wird verweigert .
Die Amerikaner sind hier nicht irgendwer. Sie finan-
zieren den Hauptteil der Hilfen im Bereich Familienpla-
nung in Entwicklungsländern . Es passiert also genau das
Gegenteil von dem, wozu sich die Weltgemeinschaft in
den Nachhaltigkeitszielen verpflichtet hat.
Gag Rule bedeutet: Man spricht nicht darüber . Ich
meine: Doch, gerade über dieses Thema muss beim
G-20-Afrikagipfel und beim nächsten Treffen der Staats-
und Regierungschefs gesprochen werden . Selbstbe-
stimmte Familienplanung ist ein Lackmustest dafür, wie
ernst die führenden Industrieländer die Nachhaltigkeits-
ziele nehmen . Wenn wir es damit nicht so genau nehmen,
was ist dann mit den anderen Nachhaltigkeitszielen?
Frau Bundeskanzlerin, erinnern Sie Donald Trump an
die Verpflichtungen der USA – natürlich beim Klima-
schutz, aber eben auch bei der selbstbestimmten Fami-
lienplanung .
Vielen Dank .
Vielen Dank, Gabriela Heinrich . – Damit schließe ichdie Aussprache .Wir kommen zur Abstimmung über den Antragder Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-che 18/12543 mit dem Titel „G20-Afrikagipfel – Gleich-berechtigte Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung“ .Wer stimmt für den Antrag? – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Der Antrag ist abgelehnt . Zugestimmthat Bündnis 90/Die Grünen . Dagegen waren die CDU/CSU und die SPD-Fraktion . Enthalten hat sich die Linke .Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 6 b . Abstim-mung über die Beschlussempfehlung des Ausschussesfür wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklungzum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mitdem Titel „Staaten vor illegitimen Rückzahlungsansprü-chen sogenannter Geierfonds wirksam schützen“ . DerAusschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 18/12343, den Antrag der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10639 abzuleh-nen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-empfehlung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD . Dagegen waren Bündnis 90/Die Grünenund die Linke . Damit ist die Beschlussempfehlung ange-nommen .Tagesordnungspunkt 6 c . Abstimmung über den An-trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-che 18/12383 mit dem Titel „Marktversagen beenden,Innovationen fördern – Globaler Forschungsfonds fürbessere Gesundheit weltweit“ . Wer stimmt für diesen An-trag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – DerAntrag ist abgelehnt . Zugestimmt haben Bündnis 90/DieGrünen und die Linke . Dagegen waren CDU/CSU unddie SPD-Fraktion .Tagesordnungspunkt 6 d . Abstimmung über die Be-schlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftli-che Zusammenarbeit und Entwicklung zum Antrag derFraktion Die Linke mit dem Titel „Rechenschaftspflichtund entwicklungspolitisches Mandat der Deutschen In-vestitions- und Entwicklungsgesellschaft DEG stärken“ .Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlungauf Drucksache 18/10612, den Antrag der Fraktion DieLinke auf Drucksache 18/8657 abzulehnen . Wer stimmtDr. Sascha Raabe
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für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dage-gen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlungist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und dieSPD-Fraktion . Dagegen war die Linke . Enthalten habensich die Grünen . Damit ist die Beschlussempfehlung an-genommen .Tagesordnungspunkt 6 e . Abstimmung über die Be-schlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftli-che Zusammenarbeit und Entwicklung zum Antrag derFraktion Die Linke mit dem Titel „Menschenrechtsver-letzungen von Unternehmen verbindlich sanktionie-ren – UN-Treaty-Prozess unterstützen“ . Der Ausschussempfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-che 18/12567, den Antrag der Fraktion Die Linke aufDrucksache 18/12366 abzulehnen . Wer stimmt für dieseBeschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Ent-haltungen? – Keine . Zugestimmt haben CDU/CSU- undSPD-Fraktion . Dagegen waren die Linke und Bünd-nis 90/Die Grünen . Die Beschlussempfehlung ist damitangenommen .Tagesordnungspunkt 6 f . Interfraktionell wird Über-weisung der Vorlage auf Drucksache 18/12548 an die inder Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-gen, wobei die Federführung beim Ausschuss für Wirt-schaft und Energie liegen soll . Ich nehme an, Sie sinddamit einverstanden . – Dann ist die Überweisung so be-schlossen .Zusatzpunkt 3 . Abstimmung über den Antrag der Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12545mit dem Titel „,UN Binding Treaty‘ ambitioniert un-terstützen“ . Wer stimmt für den Antrag? – Wer stimmtdagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist damit abge-lehnt . Für den Antrag haben Bündnis 90/Die Grünen unddie Linke gestimmt . Dagegen waren CDU/CSU und dieSPD . Damit ist der Antrag abgelehnt .Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:Beratung des Antrags der AbgeordnetenKlaus Ernst, Matthias W . Birkwald, SusannaKarawanskij, weiterer Abgeordneter und derFraktion DIE LINKEReichtum gerechter verteilen – Vermögen-steuer als Millionärsteuer wieder erhebenDrucksache 18/12549Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Dazu gibt eskeinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Plätzeeinzunehmen, damit ich die Aussprache eröffnen kann. –Das tue ich jetzt und gebe Klaus Ernst für die Linke dasWort .
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kol-legen! Wir alle wissen: Die Vermögensverteilung – nichtnur hier in der Bundesrepublik, sondern auch in derWelt – wird zu einem ökonomischen Problem – nicht nurzu einem moralischen, sondern auch zu einem ökonomi-schen Problem . Das stellen die Weltbank, der IWF undauch Thomas Piketty fest . Wir alle, die wir hier sitzen,stehen mit dieser Feststellung nicht alleine . Laut Oxfambesitzen acht Männer so viel wie der Rest der Mensch-heit, über 3,5 Milliarden Menschen . In der Bundesrepu-blik sieht die Situation so aus: Das reichste Tausendstelbesitzt 17,3 Prozent des Nettovermögens . Die ärmereHälfte hat gerade einmal 2,5 Prozent . Ein Drittel desNettovermögens gehört dem reichsten 1 Prozent der Be-völkerung .Was wir auch wissen, ist: Diese Verteilungsrichtunggeht weiter . Die Reichen werden reicher – weniger habenimmer mehr –, und je weiter man in die normale Bevöl-kerung hineingeht, desto kleiner wird der Anteil der Bür-ger, die überhaupt noch etwas haben .Was haben Sie eigentlich in Ihrer Regierungszeit un-ternommen, das zu ändern? – Ich schaue jetzt auch dieSozialdemokraten an . Dieser Teil meiner Rede ist sehrkurz: Nichts! Ich kann keine einzige Initiative von Ihnenerkennen, diese Vermögensverteilung, die exorbitant vondem abweicht, was notwendig wäre, überhaupt anzuge-hen. Ihre Untätigkeit ist gesellschaftlicher Sprengstoff.Reichtum hat nämlich auch eine andere Seite: die Armut .Im Bericht zur Armutsentwicklung des ParitätischenGesamtverbandes wird anschaulich gezeigt, dass die Ar-mutsquote von 2005 bis 2015 um 6,8 Prozent gestiegenist, bei Personen über 65 Jahren sogar um 32,7 Prozent .Das ist die andere Seite derselben Medaille: Reichtumauf der einen und Armut auf der anderen Seite .Sie machen seit Jahren eine Politik zum Schutz derVermögenden . Das Deutsche Institut für Wirtschafts-forschung stellt fest, dass die Einkommen- und dieUnternehmensteuerreform die Reichen deutlich entlas-tet haben . Nur noch 2,5 Prozent des Gesamtsteuerauf-kommens kommen aus vermögensbezogenen Steuern .Nur noch 2,5 Prozent! Im Vergleich zum BIP waren esim Jahr 2010 nur 0,8 Prozent . 26 OECD-Länder liegendeutlich darüber . Teilweise holen sie sich mehr als dasDoppelte von ihren Vermögenden wie wir . Zu diesenLändern, meine Damen und Herren, gehören die USA,Kanada, Großbritannien, Frankreich und Japan, um nureinige zu nennen . Ich fordere Sie wirklich auf: BeendenSie diese Untätigkeit! Sie gefährdet die wirtschaftlicheStabilität des Landes .
Wir brauchen eine wirksame Vermögensteuer, um die-se himmelschreiende Ungerechtigkeit und diesen ökono-mischen Unfug zu beenden .
Konzepte für die verfassungsgemäße Ausgestaltung ei-ner Vermögensteuer liegen längst vor . Wir schlagen eine5-prozentige Vermögensteuer ab einem Vermögen von1 Million Euro und ab 5 Millionen bei Unternehmen vor .Keinem Einzigen der Betroffenen tut das weh.Ein Beispiel: Eine Vermögensteuer von 5 Prozent aufdas Vermögen der Superreichen – nur der Superreichen –hätte von 2011 bis 2015 umgerechnet über 500 Milliar-den Euro in die Staatskasse gebracht . Das ist allerdingsVizepräsidentin Claudia Roth
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deutlich weniger, als deren Zuwächse im selben Zeitraumgewesen sind . Das heißt, sie hätten trotz dieser Steuernoch immer deutlich mehr .Ich kenne Ihre Gegenargumente; Sie gucken ja schonso skeptisch . Sie sagen, das sei Neid . Der Sonnyboy vonder FDP hat gesagt, das seien kleptokratische Züge desStaates . Welch ein Unfug! Die Einführung einer Vermö-gensteuer, meine Damen und Herren, gebietet die Moral,aber auch die ökonomische Vernunft .Ich schließe mit einem Satz der Journalistin UlrikeHerrmann . Sie schreibt über die Datenlage derer, dieüberhaupt Geld haben:Würde man eine Vermögenssteuer einführen, wäresofort bekannt, wer die fehlenden Billionen besitzt .Genau deswegen wird die Vermögenssteuer mit al-ler Macht verhindert – und stets behauptet, dass sich„der Verwaltungsaufwand nicht lohnen“ würde .
Er würde sich lohnen, meine Damen und Herren .Wissen Sie was? Ich sage es Ihnen ganz einfach: Siehaben nicht den Mut . Sie haben die Hose voll, wenn esum die Reichen geht . Sie trauen sich nicht, an die heran-zugehen . Das ist Ihr Problem .
Die einzige Partei, die das macht, ist die Linke . Deshalbfreue ich mich, dass wir bald Bundestagswahl haben . ImWahlkampf werden wir genau diese Themen aufgreifen .Danke für die Aufmerksamkeit .
Vielen Dank, Klaus Ernst . – Das war das erste Mal,
dass Sie Ihre Redezeit bei weitem nicht ausgeschöpft ha-
ben .
Nächster Redner: Olav Gutting für die CDU/
CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! –Jetzt muss ich schon husten . Herr Ernst, das muss amStaub auf dem Antrag, den Sie hier eingebracht haben,liegen .
Denn Sie haben ihn 2010 und 2012 schon einmal vor-gelegt . Jetzt haben Sie die Vermögensteuer wiederbe-lebt und Ihren Antrag aus der Mottenkiste gezogen . Dereinzige Unterschied ist: Heute wollen Sie nicht nur Pri-vatvermögen ab 1 Million Euro, sondern auch noch dieBetriebsvermögen ab 5 Millionen Euro mit einem Steu-ersatz von 5 Prozent jährlich besteuern .
Wir haben das in den letzten Wahlperioden abgelehnt,und wir werden das auch heute wieder tun . Das, was Siehier vorschlagen, war falsch, es ist falsch, und es wirdauch falsch bleiben .
Eine Vermögensteuer, also eine Substanzbesteuerung,führt zu Kapitalflucht. Vermögen, aber auch Produkti-onsstätten und Betriebe sind mobil . Das ist leider so . Siekönnen einfach ins Ausland verlagert werden . Mit einerSubstanzbesteuerung provozieren Sie ja geradezu Stand-ortverlagerungen .
– Dann wird es verkauft, und man kauft sich woanderseines; das ist doch ganz einfach .
Sie können dem Arbeitnehmer dann zwar erzählen, dassSie eine tolle Vermögensteuer eingeführt haben, und Siekönnen ihm sagen: „Jetzt können wir endlich einmal denvon uns definierten Reichen ans Portemonnaie gehen“,dass dabei sein Arbeitsplatz über die Wupper ging, müs-sen Sie ihm dann aber auch erklären .Eine Substanzbesteuerung zerstört Wachstum undkostet Arbeitsplätze . Wenn Sie den Familienunterneh-men, die ja Gott sei Dank Ertragsteuern bezahlen, auchnoch an die Substanz gehen, dann entziehen Sie den Un-ternehmen zusätzliche Liquidität, und am Ende bedrohenSie damit ihre Existenz .
Sie begründen Ihren Antrag ja mit Mehreinnahmen fürdie öffentliche Hand. Sie haben vorhin eine Zahl in denRaum gestellt und von 500 Milliarden Euro gesprochen .Da bleibt einem tatsächlich die Spucke weg . Sie lassenaber den bürokratischen Aufwand außer Acht, den Siebetreiben müssten, um die Vermögensteuer überhaupterheben zu können .Wir haben bereits in den 90er-Jahren die Vermögen-steuer gehabt .
Damals betrugen die Erhebungskosten knapp ein Drit-tel des Aufkommens . Ich glaube, es gäbe keine teurereSteuer als die Vermögensteuer, wenn sie so ausgestaltetwürde, wie Sie es beabsichtigen . Die Verwaltungskostenfür die Unternehmen, die Bürger, aber gerade auch dieFinanzverwaltungen wären enorm und stünden in kei-nem Verhältnis zu den von Ihnen versprochenen Mehr-einnahmen .
Dank guter Rahmenbedingungen sind die Steuerein-nahmen von Bund, Ländern und Kommunen gegenüberKlaus Ernst
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2015 um insgesamt 28 Milliarden Euro gestiegen . Imletzten Jahr haben wir 648 Milliarden Euro an Steuerneingenommen . Das ist ein absolutes Rekordniveau . Hin-zu kommt, dass die Einkommensschere seit Jahren nichtmehr auseinandergeht, sondern konstant bleibt . Das istErgebnis unserer Politik! Herr Ernst, da Sie gefragt ha-ben: Das haben wir für die Bevölkerung gemacht .
Vernünftige wirtschaftliche und steuerliche Rahmen-bedingungen fördern den Konsum und Investitionen,und das führt zu Steuermehreinnahmen . Steuerlich fal-sche Rahmenbedingungen, wie Sie sie hier vorschlagen,führen am Ende zu einer geringeren Steuer und zu einemgeringeren Anspruch des Staates .
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
-bemerkung vom Kollegen Ernst?
Ich führe das jetzt zu Ende und weiß auch schon, was
kommen wird . Sie verschweigen nämlich auch immer,
dass wir 1997, als wir auf die Erhebung der Vermögen-
steuer verzichtet haben, andere Steuern erhöht haben, um
den Verlust auszugleichen . Wir haben die Erbschaft-, die
Schenkung- und die Grunderwerbsteuer erhöht, um den
Verlust bei der Vermögensteuer wieder auszugleichen .
Die Steuersätze bei der Erbschaftsteuer – Sie haben
vorhin Millionenvermögen genannt – betragen bis zu
50 Prozent, und Sie wissen selbst, dass eine verfassungs-
gemäße Vermögensbesteuerung die Neubewertung des
gesamten Grundbesitzes in Deutschland mit sich brin-
gen würde . Das wäre ein riesiger Aufwand für die Ver-
waltung . Sie müssten die Betriebsvermögen, die starken
Schwankungen innerhalb der Jahre unterliegen, jedes
Jahr mit individuellen Gutachten neu bewerten . Das wäre
eine Mammutaufgabe für die öffentliche Verwaltung,
und diese Mammutaufgabe stünde in keinem vernünfti-
gen Verhältnis zu dem zu erwartenden Ertrag .
Tun Sie bitte auch nicht so, als ob sich die von Ihnen
benannten sogenannten Reichen nicht an der Finanzie-
rung unseres Staates beteiligen würden . Aufgrund der
Progression bei der Einkommensteuer tragen bereits
heute die 10 Prozent, die die höchste Einkommensteuer
zahlen, über 50 Prozent der gesamten Einkommensteu-
er . Die oberen 50 Prozent der Einkommensteuerzahler
spülen 94 Prozent des Gesamtaufkommens der Einkom-
mensteuer in die Kassen . Das ist Umverteilung, und sie
funktioniert .
Es bleibt also festzuhalten: Mit der Einführung der
Vermögensteuer wären Steuergestaltung und Steuer-
flucht ins Ausland vorprogrammiert. Diese Art von Ver-
mögensteuer würde die Volkswirtschaft schädigen . Sie
wäre investitionsfeindlich, bürokratisch und teuer . Sie
würde schon mittelfristig zu weniger Investitionen, zu
mehr Arbeitslosigkeit und wegbrechenden Steuereinnah-
men führen . Aus den eben genannten Gründen bleibt uns
auch dieses Mal nichts anderes übrig, als Ihren wirklich
staubigen Antrag zurückzuweisen .
Vielen Dank, Olav Gutting . – Das Wort zu einer Kurz-
intervention hat Klaus Ernst .
Danke, Frau Präsidentin . – Herr Gutting, Sie habenmir vorgeworfen, Argumente aus der Mottenkiste zu ver-wenden . Die Argumente, die Sie vorgebracht haben, sindnoch älter .Sie sprechen immer dann von einem bürokratischenAufwand, wenn es um irgendeine Form von Gerechtig-keit geht . Wir kennen das vom Mindestlohn . Da ist esnicht möglich, aufzuschreiben, wie lange jemand gear-beitet hat . Jetzt gibt es im Zusammenhang mit der Ver-mögensteuer keine Lösung, weil man nicht aufschreibenkann, wie viel Vermögen jemand besitzt .Herr Gutting, in den USA ist das möglich . Übrigensgibt es dort sehr viele Reiche . Das einzige Land, in demnoch mehr Supervermögende als in der Bundesrepublikleben, sind die USA . In den USA werden aber Menschenmit Vermögen höher besteuert als hier . Das wird auchin Großbritannien so gemacht . Sie tun so, als ob nachder Einführung einer solchen Steuer alle auf gepacktenRucksätzen sitzen und vielleicht nach Deutschland kom-men würden, weil wir weniger Steuern verlangen . Dasist aber nicht so . Ihre Argumente haben mit der Realitätschlichtweg nichts zu tun .
Wenn Ihre Argumente zutreffen würden, dürfte es in die-sen Ländern gar keine Reichen mehr geben . Sie müsstendann alle schon weg sein, sie sind aber noch da .Auch der bürokratische Aufwand scheint in anderenLändern nicht so hoch zu sein, als dass ihn die Staatennicht bewältigen könnten . Die Vermögensteuer wird auchin Frankreich und Italien erhoben . Die meisten Länder,mit denen wir in wirtschaftlichen Beziehungen stehen,stellen deutlich höhere Forderungen an ihre Reichen, alswir das tun .Noch etwas . Sie sind ja nicht aus Bayern, aber ich .Ich bin es übrigens gerne . Ich möchte einen Satz aus derbayerischen Verfassung zitieren, weil Sie auch die Erb-schaftsteuer angesprochen haben; Herr Graf Lerchenfeld,wir wissen das .In der bayerischen Verfassung steht:Die Erbschaftssteuer dient auch dem Zwecke, dieAnsammlung von Riesenvermögen in den Händeneinzelner zu verhindern .Das war jetzt wörtlich . – Das heißt, das Ziel der Men-schen, die die bayerische Verfassung geschrieben ha-ben – sie waren damals sehr klug –, war, die Ansamm-lung von Riesenvermögen in den Händen Einzelner zuOlav Gutting
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verhindern . Deshalb führten sie eine Erbschaftsteuerein . – Auch diese ist Ihnen nicht recht .Aber wissen Sie, was mich am meisten stört? Ich habein Ihren Ausführungen nicht einen einzigen Satz dazu ge-hört, wie Sie das Problem der ungleichen Vermögensver-teilung angehen wollen; nicht einen einzigen Satz! Dasheißt, bei Ihnen bleibt alles so, wie es ist: Die Reichenwerden reicher, die Armen werden ärmer . – Wenn dasdas Konzept der CDU ist: Klasse! Ich freue mich auf denWahlkampf!
Herr Gutting, Sie haben das Wort zu einer Replik .
Lieber Herr Kollege Ernst, das ist die typische Rosi-
nenpickerei, die Sie bei internationalen Vergleichen im-
mer wieder vornehmen .
Sie nehmen sich einzelne Steuern heraus . Sie müssen
aber jeweils die Gesamtsteuerbelastung betrachten .
Jetzt erzählen Sie mir bitte nicht, dass in Großbritannien
oder in den USA die Gesamtsteuerbelastung für die Bür-
ger höher wäre als in unserem Land .
Schauen Sie sich die OECD-Daten an . Dann werden
Sie erkennen, dass wir in Deutschland nach Belgien welt-
weit die zweithöchste Belastung haben . Wenn Ihnen das
nicht reicht: Schön! Sagen Sie Ihre Meinung ruhig wei-
terhin . Dann freuen auch wir uns auf den Wahlkampf .
So, jetzt sind wir noch im Parlament und im parla-mentarischen Rahmen . Deswegen: Danke schön, HerrGutting . – Der nächste Redner: Dr . Thomas Gambke fürBündnis 90/Die Grünen .
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Vermö-gensbesteuerung: Das ist gar keine Frage! Wir Grüne – ingroßer Einigkeit –
wollen eine verfassungsfeste, eine umsetzbare und eineergiebige Vermögensbesteuerung .
Lieber Herr Kollege Gutting, ich denke nicht, dass ichIhre Worte gegen die Substanzbesteuerung so verstehendarf, dass die Union im Wahlkampf die Abschaffung derGrundsteuer fordern wird, einer Substanzbesteuerungund sehr effektiven Vermögensbesteuerung.
Das heißt, wir haben eine wirksame Vermögensbesteu-erung, eine Substanzbesteuerung . Ich gehe davon aus,dass die Union wie alle anderen diese nicht abschaffenwill . Dazu darf ich sagen: Das waren 2015 immerhin13 Milliarden Euro, und es sind sogar 2,4 Prozent mehrgewesen als im Jahr 2014 . Wir haben also eine Vermö-gensbesteuerung .Wir Grünen wollen zwar eine verfassungsfeste, ergie-bige und umsetzbare Vermögensbesteuerung, aber beider Umsetzbarkeit geht es auch um Verwaltungsaufwandund Rechtssicherheit, und wir wollen, dass dies berück-sichtigt wird . Wir wollen auch, dass keine Arbeitsplätzegefährdet werden . Wir wollen, dass Investitionen, die zuInnovationen in den Unternehmen führen, nicht einge-schränkt werden .
Dabei hat uns die sehr quälende Debatte über dieErbschaftsteuer die Schwierigkeiten überaus deutlichgemacht . Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt,dass die Erbschaftsteuer, so wie sie seit 2009 existiert,nicht verfassungsfest ist . Warum nicht? Weil im statis-tischen Durchschnitt niedrige Vermögen bei der Schen-kung oder Vererbung am höchsten besteuert wurden – sowar es nämlich – und die großen Vermögen am niedrigs-ten belastet wurden . Warum? Weil man Verschonungs-regelungen hatte – die Lohnsummenregelung und dieUnterscheidung zwischen Verwaltungsvermögen undpersönlichem Vermögen – und diese Problematik nichtso gelöst war, dass das Verfassungsgericht die Regelun-gen für verfassungsfest erklärt hat .Die Antwort der Großen Koalition auf das Urteil desVerfassungsgerichts war kein wirklich großer Wurf .
Im Gegenteil: Die steuerfreie Übertragung sehr großerVermögen wurde zwar eingeschränkt, aber die Gleich-mäßigkeit und Angemessenheit ist mit Sicherheit nachwie vor ein Problem . Ich bin mir – wie viele Exper-ten – relativ sicher, dass diese Regelungen wieder vordem Verfassungsgericht landen werden und damit diezweite wirksame Vermögensbesteuerung, nämlich dieErbschaftsteuerregelung, eben weil die Problematik sokomplex ist, wieder hier im Hause beraten und entschie-den werden muss .
Bei der Wiederbelebung einer Vermögensteuer müs-sen wir diese Problematik also in den Blick nehmen undLösungen dafür finden. Das ist gar keine Frage.Bei der Ausgestaltung der Vermögensteuer kommteine weitere Schwierigkeit hinzu, die wir bei der Erb-Klaus Ernst
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schaftsteuer nicht haben, und zwar der Bereich Alters-vorsorge und Rückstellungen für das Alter . Das könnenImmobilien sein .
Das kann auch eine Pensionszusage sein . Herr KollegeErnst, ich gehe davon aus, dass Sie Millionär sind –
– ja, mehrfacher, genau –, aber allein aufgrund der Pensi-onszusagen dieses Hauses .Es gibt aber auch Wertpapiervermögen, die Selbst-ständige als Altersvorsorge haben, und die müssen dannfairerweise entsprechend berücksichtigt werden . In Ih-rem Antrag findet sich dazu kein Wort. Es findet sich keinWort dazu, wie Sie Arbeitsplätze sichern wollen und wieSie Innovationen schützen wollen . Ich muss sagen: Siestellen hier eine reine Überschriftenforderung auf . Dasist absolut inakzeptabel .
Das sind Forderungen, denen wir überhaupt nicht zustim-men können . Sie tun der Vermögensbesteuerung richtigweh, weil Sie diese auf einen ganz falschen Weg führen .Die Vermögensteuer müsste bei mehrfachen Millio-nären ansetzen; das ist gar keine Frage . Sie müsste dieschwierige Frage der Abgrenzung von Privatvermögenund Betriebsvermögen lösen – das ist ganz schwierig –,und sie müsste so ausgestaltet werden, dass keine Ar-beitsplätze, Innovationen oder Investitionen gefährdetwerden .
– Ja, aber Sie sagen nichts dazu .
Und Sie müssten zum Ende kommen .
Die Richtung ist also richtig . Wir brauchen eine wirk-
same Vermögensbesteuerung . Aber wegen der Art und
Weise, die Sie in Ihrem Antrag vorgesehen haben, müsste
man ihn ablehnen . Weil das Thema aber richtig adressiert
ist, werden wir uns enthalten .
Vielen Dank, Thomas Gambke . – Nächste Rednerin:
Cansel Kiziltepe für die SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für die Linke ist die
Vermögensteuer offenkundig ein Heilsbringer. Völlig
klar ist für die Linke auch: Der Steuersatz beträgt für alle
5 Prozent . Das bedeutet: Ein zweifacher Milliardär wür-
de dann den gleichen Steuersatz zahlen wie ein zweifa-
cher Millionär .
Die Vorschläge anderer Institutionen – zum Beispiel
der Vorschlag des Deutschen Gewerkschaftsbundes, der
es viel klüger und gerechter angeht und dem Vorschlag
von Thomas Piketty folgend einen progressiven Tarif in
der Vermögensteuer fordert – zeigen, liebe Kolleginnen
und Kollegen der Linken: Immer radikaler heißt nicht
gleichzeitig immer besser .
Nach dem Konzept des Deutschen Gewerkschaftsbundes
ist ein Steuersatz in Höhe von 1 Prozent – er soll für Mil-
liardäre progressiv bis auf 2 Prozent steigen – vorgese-
hen. Das hat Charme und ist, wie ich finde, ein Novum.
Die hysterische Ablehnung der Kollegen aus der Uni-
on und vonseiten der Reichenlobby stellt das andere Ex-
trem in der Debatte dar . Man hört von ihnen auch, eine
Vermögensteuer sei nicht verfassungsfest zu gestalten .
Da muss man sich ja fragen: Warum steht sie im Grund-
gesetz, wenn sie angeblich verfassungswidrig ist? Herr
Gutting, hätten Sie gestern die Tagung des Instituts Fi-
nanzen und Steuern besucht, hätten Sie den erhellenden
Ausführungen des Verfassungsrichters Gaier folgen kön-
nen, der nämlich gesagt hat, auch eine Substanzbesteu-
erung in Form der Vermögensteuer sei verfassungskon-
form .
Zu den Grünen: Die Grünen haben heute ihren Zehn-
Punkte-Plan für die Bundestagswahl vorgestellt . Aber
leider konnte ich in diesem Zehn-Punkte-Plan eine Pri-
orität im Hinblick auf die Vermögensbesteuerung nicht
feststellen . Die Vermögensbesteuerung hat es nicht unter
die Top Ten geschafft. Auch das bedaure ich sehr.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist unstrittig, dass
die Vermögensungleichheit in Deutschland zunimmt .
Dieser Trend beschädigt die Demokratie; denn die sozi-
ale Kluft wird immer größer . Diese Entwicklung ist aber
auch ökonomisch unvernünftig . Wenn man die Zahlen
der OECD vergleicht, dann sieht man, dass die Vermö-
gensbesteuerung in Deutschland unter dem Durchschnitt
aller OECD-Länder liegt . Auch das ist nicht haltbar .
Für uns, für die Sozialdemokratie folgt daraus ein kla-
rer Auftrag . Insoweit möchte ich aus unserem Wahlpro-
gramm, das im Entwurf vorliegt, zitieren:
Für mehr soziale Stabilität werden wir die wachsen-
de Kluft zwischen Arm und Reich verringern . Men-
schen mit hohem Einkommen und Vermögen sollen
dazu einen angemessenen Beitrag leisten .
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Bemerkung oder Fra-
ge vom Kollegen Pitterle von der Linken?
Gerne .Dr. Thomas Gambke
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Vielen Dank, Frau Kollegin Kiziltepe, dass Sie die
Frage zulassen . – Sie haben ja gerade den Vorschlag des
DGB als sinnvollere Lösung als die, die wir vorschlagen,
gelobt . Kann ich davon ausgehen, dass die SPD diesen
DGB-Vorschlag für die Vermögensteuer übernimmt und
hier einbringt? Denn dann können Sie auf unsere Zustim-
mung hoffen.
Wir sind mitten in der Programmdebatte .
Vielleicht wissen Sie, dass wir unseren Parteitag Ende
Juni haben . Darüber entscheidet der Parteitag, Herr
Pitterle .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich gibt es
auch Alternativen . Natürlich ist nichts alternativlos . Wer
aber die Vermögensteuer – eine höhere Besteuerung von
Vermögen – will, der kommt auch an höheren Steuern
für Einkommen nicht vorbei . Für eine funktionierende
Besteuerung von großen Erbschaften wäre es natürlich
notwendig, dass wir eine weitere Reform der Erbschaft-
steuer erreichen . Das Problem hierbei ist nur, dass in den
letzten Jahren, also seit 2009, 250 Milliarden Euro steu-
erfrei übertragen wurden – und das, was absurd ist, meist
an minderjährige Enkel und Kinder .
Dieses Instrument ist aber für die kommenden Jahre
bzw . im Hinblick auf die nächste Generation ein stump-
fes Schwert . Deshalb plädiere ich, wenn wir die Vermö-
gensungleichheit in Deutschland vermindern und eine
gerechte Besteuerung herbeiführen wollen, dafür, auch
die Vermögensteuer in Erwägung zu ziehen . Von der
Union sind Bemühungen in dieser Hinsicht, denke ich,
nicht zu erwarten . Das ist bedauerlich; aber das sollte die
Bevölkerung wissen .
Danke .
Vielen Dank, liebe Kollegin . – Nächster Redner:
Dr . Hans Michelbach für die CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Woran merkt ein erfahrener Abgeordneter, dass der
Wahlkampf begonnen hat? Er merkt es daran, dass die
Linken – insbesondere linke Kollegen – ganz tief in die
ideologische Mottenkiste greifen . Nun sollen wieder
einmal Milliardäre in Deutschland verboten werden .
Die deutschen Eigentümer, Unternehmer, Sportler und
Künstler sollen noch weiter besteuert werden .
– Wo das steht? Herr Ernst, Sie müssen nur in der neu-
esten Ausgabe der Welt lesen, was Ihr Fraktionsvorsit-
zender gesagt hat: Ich will einen Staat, der Milliardäre
verhindert .
Sie wissen scheinbar gar nicht, was Ihr Fraktionsvorsit-
zender fordert . Aber Sie unterscheiden sich in der Ge-
samtlösung sicherlich nicht . Es ist jedenfalls sehr frag-
lich, ob Sie dieses Parlament ernst nehmen, wenn Sie
immer wieder die gleichen falschen Forderungen hier
aufstellen . Liebe Kolleginnen und Kollegen von der
SPD, ich habe leider gehört, dass auch die SPD eine Ver-
mögensteuer nicht ausschließt . Das ist sehr bedauerlich .
Vielleicht können Sie das noch korrigieren .
Nach dem enormen Anstieg der Steuereinnahmen, der
sich für die nächsten Jahre abzeichnet, fällt Ihnen nicht
mehr ein, als immer wieder eine zusätzliche Vermögen-
steuer zu fordern . Das Bundesverfassungsgericht hat
aber die Vermögensteuer in ihrer Form als nicht verfas-
sungskonform angesehen . Auch das gehört zur Wahrheit .
Sie ziehen dann irrwitzige Vergleiche mit armen Men-
schen und von Armut gefährdeten Kindern . Das berührt
uns sicherlich ebenfalls . Aber Millionäre und Milliardäre
leben nicht auf Kosten dieser Kinder . Vielmehr leisten die
Millionäre und Milliardäre aufgrund der Steuerprogressi-
on einen großen Beitrag zu der hohen Sozialleistungs-
quote in Deutschland. Diese ist im Übrigen die höchste in
der ganzen Welt . 53 Prozent des Bundeshaushaltes geben
wir für Soziales aus . In diesem Bereich herrscht keine
Ungerechtigkeit . Das sollte einmal festgestellt werden .
Herr Kollege Michelbach, erlauben Sie eine Zwi-
schenfrage oder -bemerkung vom Kollegen Schlecht von
der Linken?
Ja, gerne .
Herr Kollege, Sie haben eben gesagt, das Verfas-sungsgericht habe die Vermögensteuer bzw . eine Wieder-einführung der Vermögensteuer für verfassungswidriggehalten . Da sind Sie einem Irrtum aufgesessen . EineZeitlang geisterte in der öffentlichen Debatte der soge-nannte Halbteilungsgrundsatz herum . Mit diesem wur-de begründet, dass man bei einer Wiedereinführung derVermögensteuer schnell an seine Grenzen stoßen werde .Ich kann Ihnen nur den Hinweis geben – wahrscheinlichsind Sie da nicht auf der Höhe der Debatte –, dass dasBundesverfassungsgericht schon vor Jahren – das mussetwa acht Jahre her sein – entschieden hat, dass der Halb-teilungsgrundsatz, wie er ursprünglich festgelegt wur-
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de – bezeichnenderweise von einem Herrn Kirchhof –,nicht mehr der gängigen Rechtsprechung des Gerichtsentspricht und dass es daher keinerlei juristische Grenzengibt, wenn es darum geht, eine Vermögenbesteuerungdurchzuführen, und zwar auch dann nicht, wenn die Ver-mögenbesteuerung eine Substanzbesteuerung darstellt .Der Grund, warum wir die Vermögensteuer als Milli-onärsteuer wieder einführen wollen, ist nicht nur die Ge-rechtigkeit . Vielmehr können damit jedes Jahr 100 Mil-liarden Euro zusätzliche Einnahmen erzielt werden . Dieswäre die finanzielle Basis, um nachhaltig in Infrastrukturund soziale Dienstleistungen zu investieren, und das inextremer Größenordnung . Dadurch würden mindestens50 000 Arbeitsplätze in diesem Land geschaffen. Soviel zu dem Argument, eine Wiedereinführung der Ver-mögensteuer vernichte Arbeitsplätze . Nein, eine Mil-lionärsteuer, deren Einnahmen der Produktion und denDienstleistungen zugeführt werden, würde Arbeitsplätzeschaffen.Danke schön .
Herr Michelbach, bitte .
Herr Kollege Schlecht, ich nehme Ihren Beitrag alsFrage .
Ich darf feststellen, dass Sie zwei völlig unterschiedli-che Dinge miteinander vermischen . Sie stellen Ihre Frageaber einem Kollegen, der schon lange Abgeordneter istund daher weiß, dass das Urteil des Bundesverfassungs-gerichts 1994 gefällt wurde und dass die Vermögensteuernicht durch Beschluss des Deutschen Bundestages ab-geschafft wurde, sondern aufgrund dieses Urteils ausge-laufen ist . Die von Ihnen erwähnte spätere Beurteilungbezieht sich auf eine ganz andere Steuerfrage . Deswegenkann ich Ihnen nur sagen: Sie sind hier im falschen Film .Die Vermögensteuer ist aufgrund eines Urteils des Bun-desverfassungsgerichts ausgelaufen . Das ist Tatsache .
In Deutschland leisten – das sollte man noch einmalbetonen – heute die 10 Prozent der einkommensstärkstenSteuerzahler über 50 Prozent des Steueraufkommens beider Einkommensteuer . Meine Damen und Herren, wirbrauchen keine neuen und höheren Steuern, wenn wir einerfolgreiches Land mit Vollbeschäftigung und Wohlstandfür alle bleiben wollen .
Seit Ludwig Erhard geht es um höchste Beschäftigung,um Wohlstand für alle; das ist unser Ansatz . Wir brau-chen vor allem Steuerentlastungen für alle Arbeitnehmer,für die hart arbeitende Mittelschicht und natürlich auchfür unsere Betriebe . Diese haben ein Anrecht auf einehohe Leistungs- und Wachstumsdividende; denn sie ha-ben dieses Wachstum erarbeitet .
Mich ärgert immer, wenn Sie von Steuergeschenkensprechen, meine Damen und Herren . Es ist zunächst ein-mal das Geld der Leute, die das erarbeitet haben – es sindkeine Geschenke –, und erst dann kommt der Staat .
Meine Damen und Herren, für eine gerechte Steuerpo-litik sind Sie auf dem völlig falschen Dampfer . Deswe-gen kann ich nur sagen: Wir werden für mehr Netto vomBrutto sorgen und den Menschen, den Bürgern mehrGeld in ihr Portemonnaie geben .Eine Lösung mit einer Abflachung der Tarifkurve,mit einer Einkommensteuerreform, mit Forschungs- undInvestitionsförderung und mit dem Abbau von bürokra-tischen Hürden beim Steuerrecht ist wichtig . Das ist so-ziale Marktwirtschaft, das ist eine stringente Wachstums-und Beschäftigungsförderung in Deutschland . Das ist dieSteuer- und Finanzpolitik, die die CDU/CSU betreibenwird . Sie wird auch für unseren Wirtschaftsstandort, fürdie Arbeitsplätze wesentlichen weiteren Erfolg erbrin-gen . Darum geht es, meine Damen und Herren .
Sie müssen sich einmal vor Augen führen: Vor 40 Jah-ren galt man für den Fiskus als Topverdiener, wenn mandas 17-Fache des Durchschnittslohns verdient hat .
Heute ist der Spitzensteuersatz bereits fällig, wenn mandas 1,3-Fache, also knapp 54 000 Euro im Jahr, verdient;das ist die Situation . Deswegen müssen wir gerade diemittleren Einkommen etwas entlasten und einen neuenTarifansatz bringen .
Letzten Endes benötigen wir eine Lösung . Wir brau-chen keine Neiddebatte . Was Sie wollen, ist, die Men-schen in unserem Land in einer Neiddebatte gegenei-nander aufzuhetzen, weil Sie glauben, daraus politischesKapital schlagen zu können .
Aber wir werden das nicht mitmachen, wir werden da-gegenhalten . Wir werden den Menschen sagen: Mit unsbekommen sie mehr Entlastung, mit uns bekommen siemehr Netto vom Brutto, meine Damen und Herren .
Michael Schlecht
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Vielen Dank, Kollege Michelbach . – Letzter Redner
dieser sehr lebendigen Debatte: Lothar Binding für die
SPD-Fraktion .
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Hans
Michelbach hat gesagt: Das Wachstum wird erarbeitet . –
Das stimmt . Beim Vermögen ist es aber so, dass 80 Pro-
zent des Vermögens aus Erbschaften stammen .
Betrachten wir den Fall „Das Wachstum wird erarbei-
tet“ . Nehmen wir einmal an, man hat ein Unternehmen
mit 3 000 Mitarbeitern . Nur ganz wenige in diesem Un-
ternehmen können sich etwas zurücklegen, wie dieser
prall gefüllte Becher zeigt . Dann gibt es 3 000 Leute in
dem Unternehmen, die sich so gut wie nichts zurücklegen
können . Dazu habe ich den anderen Becher mitgebracht .
Wer sich die Becher einmal genauer anschaut, der
wird sehen, dass hier eine gewisse Ungleichheit herrscht .
Dabei sind diejenigen, die sich nur wenig zurücklegen
können, nicht weniger fleißig als diejenigen, die sich
mehr zurücklegen konnten oder es ererbt haben . Es ist
wichtig, darüber genauer nachzudenken; denn die Un-
gleichheit – das haben wir gelernt – stört nicht nur den
sozialen Frieden, sondern – noch viel schlimmer – auch
die Wachstumsentwicklung . Das müssen diejenigen, die
immer auf Wachstum setzen, wissen .
Das Allerschlimmste aber ist – dazu frage ich einmal
die Reichen unter uns –, dass es auch das Wohlbefinden
stört . Natürlich kann sich ein Reicher eine tolle Villa und
einen Zaun darum herum bauen . Aber ehrlich gesagt:
Wenn ich einen Zaun um meine Villa habe, muss auch
ich immer durch diesen Zaun raus- und wieder reinge-
hen . Vielleicht wäre eine Situation schöner, in der ich
das nicht brauche. Insofern: Lasst uns zum Wohlbefin-
den zurückkehren! Es ist besser, wenn man da gerechter
vorgeht .
Wir haben im Wesentlichen drei Formen: Grundsteu-
er, Erbschaftsteuer und Vermögensteuer . Ich glaube, alle
Parteien überlegen im Moment, in welcher Kombination
sie hier eine gewisse Gerechtigkeitskomponente schaffen
können .
Es heißt immer, das ist zu viel Bürokratie und man
kann keine Bewertung vornehmen . Dazu sage ich: Wir
haben 20 Jahre lang versäumt, die Bewertungsgesetze
anzupassen . Bei jeder Bilanz, bei jeder Gewinn- und Ver-
lustrechnung und bei jeder Steuererklärung erfolgt eine
jährliche Erklärung . Das ist überhaupt kein Problem . Al-
les wird jährlich bewertet, nur bei der Vermögensteuer
hat man damit plötzlich ein großes Problem .
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
-bemerkung Ihres Fraktionskollegen?
Von Christian Petry natürlich gerne .
Herzlichen Dank . – Die Gerechtigkeitskomponente
wurde gerade von dir, Lothar, angesprochen . Ich habe
eine Nachfrage zu dem Verfassungsgerichtsurteil von
1997, als dann die Vermögensteuer ausgelaufen ist . Wie
verhielt es sich damals mit der von dir angesprochenen
Gerechtigkeitskomponente?
Damals wurden verschiedene Grundsätze formuliert .
In Wahrheit gab es ein Bewertungsproblem . Geldvermö-
gen und andere Vermögensarten wurden unterschiedlich
bewertet . Wegen dieser ungleichen Behandlung der Ver-
mögensarten hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt,
dass die Vermögensteuer so nicht erhoben werden darf .
Seitdem wird die Steuer nicht erhoben, aber das Gesetz
gibt es noch . Deshalb müssten wir uns nur überlegen,
wie wir die Bewertung vornehmen und gerechter ma-
chen . Die Einheitswerte gehen im Moment in den neuen
Ländern auf die von 1935 zurück, in den alten Ländern
auf die von 1964 . Jeder weiß, dass die Zahlen von 1935
und 1964 nicht aktuell sind . Man könnte da etwas nach-
schärfen . Wenn man das tun würde, könnte man die Ver-
mögensteuer relativ mühelos wieder einführen, und zwar
zu ähnlichen Bedingungen wie damals . Es muss nur die
Bewertung von Geldvermögen und anderen Vermögen,
zum Beispiel Grundstücksvermögen, korrekt im Sinne
des Verfassungsgerichtsurteils erfolgen .
Ich möchte noch darauf zurückkommen, was heute
von Cansel Kiziltepe schon einmal gesagt worden ist .
Kurz .
Gestern gab es beim BDI eine Podiumsdiskussion . Dahat Reinhard Gaier, ein Richter, der zwölf Jahre am Bun-desverfassungsgericht war, gesagt, dass man dann, wennman Ungerechtigkeiten und grobe Missverhältnisse beider Substanzverteilung sieht, auch in die Substanz ein-greifen kann .Nehmen wir einmal an, der volle Becher würde HerrnDr . Meister und der leere Becher einer anderen Persongehören . Vorhin wurde von Umverteilung gesprochen .Es geht aber nicht um Umverteilung; denn Umverteilungwürde bedeuten, dass man den vollen Becher in den lee-ren Becher schüttet . Das wollen wir nicht . Wir wollennur, dass Herr Dr . Meister zwei Schokolinsen abgebensoll . Möglicherweise käme er dann noch gut zurecht .Insofern ist klar: Sie, Herr Dr . Meister, geben zwei ab .Das wäre fair . Derjenige, dem der andere Becher gehört,muss nichts abgeben . Das ist gerechter . – Wenn Sie wol-len, können Sie sich aus dem vollen Becher jetzt etwasnehmen .
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Schönen Dank .
Vielen Dank, Kollege Binding . – Ich schließe die Aus-sprache .Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag derFraktion Die Linke auf Drucksache 18/12549 mit demTitel „Reichtum gerechter verteilen – Vermögensteuerals Millionärsteuer wieder erheben“ . Wer stimmt für denAntrag? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Was macht die SPD?
Der Antrag ist abgelehnt . Für den Antrag hat die Linkegestimmt . Dagegengestimmt haben die CDU/CSU undmehr oder weniger die SPD .
Enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen . Damit ist derAntrag abgelehnt .Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf:a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungBundesbericht Wissenschaftlicher Nach-wuchs 2017Drucksache 18/12310Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugendb) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierung16. Bericht des Ausschusses für die Hoch-schulstatistik für den Zeitraum 1. Juni 2012bis 31. Mai 2016Drucksache 18/10851Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzungNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .Als erster Rednerin gebe ich der BundesministerinDr . Johanna Wanka das Wort für die Bundesregierung .
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Wir haben seit 2005 große Milliardenpakete inden Hochschul- und Wissenschaftsbereich investiert .Ich denke zum Beispiel an die Exzellenzinitiative, anden Hochschulpakt, an den Qualitätspakt Lehre und anviele andere Dinge, über die wir hier gesprochen haben .Diese hinzugekommenen Milliarden Euro haben dazugeführt, dass sehr viele zusätzliche – neue, die vorhernicht vorhanden waren – Arbeitsplätze geschaffen wer-den konnten, dass wir also sehr viel mehr Beschäftigtehaben . Davon sind sehr viele befristet beschäftigt, undum die Situation dieses wissenschaftlichen Nachwuchsesgeht es .Wenn man sich die Zahl der befristet Beschäftigtenanschaut, stellt man fest: Der größte Teil davon sind die-jenigen, die promovieren . Wenn sie promoviert sind undin die Wirtschaft, in die Verwaltung oder in irgendeineandere Tätigkeit gehen, dann befinden sie sich – das sagtdieser Bericht aus – in einer bestimmten Situation: inVollbeschäftigung . Das heißt, nach diesem Bericht sinddie allermeisten mit einer Promotion vollbeschäftigt .Das, glaube ich, ist ein sehr guter Effekt.Trotzdem muss man sagen: Durch die vielen Gelderist das Verhältnis zwischen befristeten und unbefristetenStellen etwas aus der Balance geraten . Deswegen binich sehr dafür, dass auch im Mittelbau mehr unbefristeteStellen geschaffen werden.Wir haben Artikel 91b des Grundgesetzes verändert;damit wurden mehr Möglichkeiten für den Bund ge-schaffen. Das hat aber keine Veränderungen bei den Zu-ständigkeiten gebracht . Die Grundverantwortung für dieHochschulen liegt bei den Ländern und nicht beim Bund .Das heißt, in den Ländern muss entschieden werden .
Obwohl wir, der Bund, nicht die originär Verantwort-lichen sind, haben wir in dieser Legislaturperiode etwasgetan, was ich seit 1990 nie erlebt habe und auch garnicht kenne: Wir, die Bundesregierung, haben Gelder fürunbefristete Beschäftigungsverhältnisse zur Verfügunggestellt .
Wenn man ganz großzügig rechnet, sind das über 12 000Stellen; es könnten 15 000 Stellen sein . Es kommt daraufan, wie man sie honoriert . Das Geld für diese – unbefris-teten – Stellen ist über die BAföG-Entlastung zur Verfü-gung gestellt worden .Jetzt schauen wir einmal in die Länder, zum Beispiel,Frau Gohlke, nach Brandenburg oder nach Thüringen,wo Sie jeweils in der Regierung sind, also die Möglich-keit haben, Ihre Vorhaben entsprechend umzusetzen:
Lothar Binding
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Das ist nicht erfolgt . Dort sind nicht mehr unbefristeteStellen für den Mittelbau entstanden, und es sind auchkeine höheren Gehälter gezahlt worden .Ich will das gar nicht kritisieren,
weil die Entscheidung, was mit diesen Geldern bzw . Stel-len getan wird, in den Ländern getroffen werden muss.Wenn man in den Ländern andere Prioritäten setzt, mei-netwegen in Schulen, Bauvorhaben oder anderes inves-tiert, dann ist das Sache der Länder . Aber dafür sind wirhier auf Bundesebene nicht verantwortlich; vielmehr ha-ben wir lediglich eine Möglichkeit geschaffen.Nach einer Promotion nicht in den Arbeitsprozess zugehen, sondern im akademischen Bereich Karriere zumachen, das ist anstrengend; denn es geht dann um dieSpitzenpositionen, es geht um die höchsten Leistungsträ-ger, das heißt um die Professuren .Ich hatte gesagt: Das Verhältnis zwischen befristetenund unbefristeten Stellen ist etwas aus der Balance gera-ten . – Mit dem Tenure-Track-Programm entstehen nichtnur 1 000 zusätzliche Tenure-Track-Professuren, sondernauch 1 000 zusätzliche unbefristete Professuren . Wir ge-ben dafür 1 Milliarde Euro in 15 Jahren aus, und dannmüssen die Länder die Finanzierung dieser Professurenübernehmen . Hinzu kommt, dass die Tenure-Track-Pro-fessuren immer wieder neu ausgeschrieben werden . Ten-ure Track bedeutet Planungssicherheit, Karrieresicher-heit, frühzeitig, etwa mit 32, zu wissen: Du bleibst hierim System und bleibst oder wirst Professor . – Das ist et-was, was ein Mangel war in Deutschland . Das hatten wirnicht . Das gewährleistet das Tenure-Track-Programm .Für mich ist eine Weiterentwicklung der Juniorprofes-sur, die ich sehr begrüßt habe, die ich immer noch gutfinde, zwar sinnvoll, aber Planungssicherheit, Rechts-sicherheit waren damit nicht verbunden, und genau dasgibt es jetzt . Das heißt, wir haben etwas angestoßen, wasüber die Jahre eine positive Strukturveränderung für denwissenschaftlichen Nachwuchs bedeutet .
Jetzt zum Thema der Vereinbarkeit von wissenschaft-licher Tätigkeit von Nachwuchswissenschaftlern undFamilie; das war ein zweiter wichtiger Komplex . Ichsage allen, die nach mir reden: Wenn Sie aus dem Be-richt zitieren, dass Nachwuchswissenschaftler häufigerkinderlos bleiben als der Durchschnitt aller Hochschul-absolventinnen und Hochschulabsolventen,
dann müssen Sie zur Kenntnis nehmen: Das sind dieZahlen von 2006 . Herr Gehring, das war das Ergebnisam Ende Ihrer Amtszeit – also als Regierung .
– Das war ein Versprecher; klar .
– Dazu komme ich jetzt, wenn Sie mich reden lassen undnicht dazwischenrufen .
Wir haben in den vergangenen Jahren sehr viel getan,zum Beispiel beim Wissenschaftszeitvertragsgesetz . Wirwissen aber noch nicht: Wie hat sich das aufs Kinderha-ben ausgewirkt? Wie sind die Größenordnungen? Alsomuss man das untersuchen, dringend, und das tun wirauch .Was wir im Bericht haben, sind Befragungen derer,die jetzt in dem Bereich sind, und zwar dazu, wie siedie Arbeitsbedingungen im wissenschaftlichen Bereichempfinden. Sie finden sie attraktiv. Was das Thema „Ver-einbarkeit mit Familie“ angeht, kann man, jedenfallsnach dem, was die Wissenschaftler für den Bericht he-rausbekommen haben, nicht sagen, dass sie das beson-ders schlecht finden, aber auch nicht, dass sie das beson-ders günstig finden.
Das ergibt sich eindeutig aus der Studie . Der einzigeUnterschied ist, dass diejenigen, die Familie haben, dieKinder haben, die Eltern sind, die Situation viel positi-ver beurteilen als die anderen . Die haben vielleicht dieSorge: Wie wird es?Weil wir nicht genügend Daten haben, ist es so wich-tig, dass wir das Hochschulstatistikgesetz novelliert ha-ben .
In Zukunft, Herr Rossmann, werden wir viel bessere Da-ten haben, etwa zur Vorqualifikation, zu der Frage: Werwird Professor?
Speziell für den wissenschaftlichen Nachwuchs habenwir in unserem Haus ein Forschungsförderprogrammaufgelegt . Es werden die unterschiedlichsten Aspektevon Karrieremöglichkeiten für junge Wissenschaftleruntersucht . Dazu laufen zurzeit acht große Projekte . Vondaher hoffe ich, dass wir bald wissen: Wie ist das dennzum Beispiel mit den Kindern?
Wie hat sich das, was wir gemacht haben, ausgewirkt?Was müssen wir anders machen? – Deswegen freue ichmich sehr, und ich freue mich auch auf die Debatte .
Bundesministerin Dr. Johanna Wanka
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Vielen Dank, Ministerin Wanka . – Nächste Rednerin:
Nicole Gohlke für die Linke .
Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Kolleginnen undKollegen! Arbeit im Dienst der Wissenschaft, akademi-sche Forschung und Lehre als Beruf – für viele klingtdas so attraktiv, dass sie dafür zahlreiche Entbehrungenauf sich nehmen . Das zeigt der Bundesbericht zum wis-senschaftlichen Nachwuchs . Wer sich für den Verbleibin der Wissenschaft entscheidet, tut dies vor allem ausLeidenschaft .
Karriereperspektive oder Arbeitsplatzsicherheit spielenfür den sogenannten wissenschaftlichen Nachwuchsnur eine untergeordnete Rolle . Glücklicherweise ist dasso – das muss man fast schon sagen –; denn im Wis-senschaftsbetrieb sind beide Begriffe bislang regelrechtFremdworte, und das muss sich endlich ändern .
Der Umfang des wissenschaftlichen Personals anHochschulen unterhalb der Professur ist in der Zeit von2000 bis 2014 um 76 Prozent auf 145 000 Beschäftigteangewachsen – eine gute Entwicklung, so könnte manmeinen, vor allem natürlich angesichts der rasant ge-stiegenen Studierendenzahlen . Aber im selben Zeitraumstagnierte die Zahl der unbefristet Beschäftigten . An denUniversitäten ist deren Zahl sogar leicht gesunken . Dasist der große Skandal: Sage und schreibe 93 Prozent dessogenannten wissenschaftlichen Nachwuchses an Hoch-schulen, also fast alle wissenschaftlich Beschäftigten un-ter 45 Jahren,
verfügten im Jahr 2014 nur über eine befristete Anstel-lung . Das ist eine ungeheuerliche Zahl .
Fakt ist: Die Wissenschaftspolitik der vergangenen Jahr-zehnte und insbesondere die Umstellung der Finanzie-rung auf Drittmittel haben den Wissenschaftsbetrieb re-gelrecht prekarisiert . Die Beschäftigten müssen jetzt dieFolgen dieser Politik ausbaden . Es ist mittlerweile fastdie Regel, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-ler auf mehreren Teilzeitstellen gleichzeitig arbeiten,dort jeweils mehr Stunden investieren, als sie eigentlichbezahlt bekommen, und dann auch noch schlecht be-zahlte Lehraufträge annehmen, um den Betrieb an denHochschulen überhaupt aufrechtzuerhalten . Kein Wun-der also, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftleran Universitäten im Schnitt doppelt so häufig kinderlosbleiben – trotz Kinderwunsches – wie der Durchschnittaller Hochschulabsolventinnen und Hochschulabsolven-ten! Ich denke, die herrschende Wissenschaftspolitik istfamilienfeindlich . Das ist ein zentraler Befund dieses Be-richts . Nehmen Sie die Auswirkungen Ihrer Politik ein-mal zur Kenntnis!
Wenn die Bundesregierung behauptet, dass sie an die-sem Problem arbeiten würde, dann mag das stimmen, aneiner Lösung arbeitet sie aber wohl eher nicht; denn ihreMaßnahmen sind halbherzig, und die Wirkung ist frag-lich . Ziel der Novelle des Wissenschaftszeitvertragsge-setzes war angeblich, den Befristungswahnsinn einzu-dämmen und den befristeten Arbeitsvertrag auf die Zeitder Qualifizierung, also zum Beispiel auf eine Promoti-on, zu beschränken .
– Ja, es ist gut, dass das noch das Ziel ist, aber an demZiel muss man noch arbeiten .Auf die Kleine Anfrage der Linken vor einigen Wo-chen antwortete die Regierung – ich zitiere –:Der Begriff der Qualifizierung ist der Auslegung zu-gänglich . So kann im Einzelfall auch im Rahmeneiner kurzen Befristungsdauer ein angemessenesQualifizierungsziel verfolgt werden.Im Klartext: Sie weigern sich, zu definieren, was unterQualifizierung zu verstehen ist.
Jetzt kann alles Mögliche dazu gemacht werden . Dasnehmen Sie ganz bewusst in Kauf .
Zulasten der Beschäftigten geht auch die folgendeAussage der Bundesregierung aus der gleichen KleinenAnfrage – ich zitiere –:Es können jedoch auch sinnvolle Teilabschnitte ge-bildet werden, . . .Damit öffnet die Bundesregierung kleinteiligen Stückel-verträgen Tür und Tor . Ist das das, was SPD und Unionunter Bekämpfung des Befristungsunwesens verstehen?Das kann ja wohl nicht wahr sein .
Zum Programm für den wissenschaftlichen Nach-wuchs . Der Umfang des Programms reicht nicht aus,um Relevanzkarriereperspektiven zu schaffen und vorallem, um endlich einmal die Betreuung der Studieren-den zu verbessern . Ganz ehrlich, die Perspektive dieser1 000 Tenure-Track-Stellen ist auch nicht mehr so sicher;denn die Fortsetzung des Hochschulpaktes steht in denSternen, weil die Union das blockiert . Die Hochschulenhaben überhaupt keine Planungssicherheit . Es stellt sichdie Frage, ob die Tenure-Tracks sicher in eine Professurmünden oder ob die Stellen einer Überarbeitung des Per-sonalplans zum Opfer fallen oder ob im Gegenzug ande-
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re Professuren gestrichen werden . Das muss unbedingtverhindert werden .Kolleginnen und Kollegen, dass es angesichts dieserZustände noch nicht zum regelrechten Aufstand an denHochschulen gekommen ist, liegt vor allem am hohenEnthusiasmus der Betroffenen.
Aber ich denke, auch dieser Enthusiasmus hat irgendwoseine Grenzen . Auf den Demonstrationen des March forScience in Deutschland haben die meisten Redebeiträgedie unsicheren und ausbeuterischen Arbeitsverhältnissein der Wissenschaft thematisiert und angeprangert . Rechthaben sie . Echte Wissenschaftsfreiheit, echte Wissen-schaftsautonomie gibt es
nur mit guter Arbeit und ökonomischer Unabhängigkeit .Die Bedingungen dafür herzustellen, ist die Aufgabe vonPolitik . Die Linke steht dafür bereit .Vielen Dank .
Vielen Dank, Nicole Gohlke . – Nächste Rednerin:
Dr . Simone Raatz für die SPD-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Wie viele von Ihnen spreche ich häufigmit Vertretern von Hochschulen und außeruniversitä-ren Forschungseinrichtungen. Häufig geht es dabei umdie Situation unseres wissenschaftlichen Nachwuchses .Vor einigen Tagen erzählte mir ein Professor von seinerHochschulleitung, die alles daransetzt, die jungen For-scher verantwortungsvoll auf ihrem weiteren Weg zubegleiten. So sollen sich Postdocs weiterqualifizieren.Sie bekommen Unterstützung beim Beantragen von För-dermitteln, und der Kontakt mit Partnerhochschulen imAusland hat höchste Priorität . So können sich die jungenWissenschaftler von Beginn an international vernetzen .Man unternimmt an dieser Hochschule alles, um dieklügsten Köpfe zu fördern und in der Forschung undim Land zu halten . Aber auch der Kontakt außerhalbder Wissenschaft wird gesucht, um Berufsperspektivenin Wirtschaft und Gesellschaft aufzuzeigen . Man musssagen: An dieser Hochschule läuft vieles gut . Man küm-mert sich um den wissenschaftlichen Nachwuchs . Aberwir wissen auch alle, dass das kein Normalfall ist . Das istleider bis heute eine Ausnahme . Der Bundesbericht Wis-senschaftlicher Nachwuchs stellt diesmal einmal mehrfest: Junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlerin Deutschland sind – und ich zitiere – „hochgradig un-zufrieden mit den Aufstiegsmöglichkeiten, der Arbeits-platzsicherheit und der Planbarkeit ihrer Karriere“ .Wir haben in dieser Legislatur wichtige Gesetzes-vorhaben verabschiedet; Frau Wanka ist gerade daraufeingegangen . Mit diesen Maßnahmen wollen wir gegen-steuern und haben wir gegengesteuert . Wir haben dasWissenschaftszeitvertragsgesetz novelliert und damitreformiert. Frau Gohlke, ich gebe Ihnen recht: Qualifi-zierung zu definieren, war eigentlich unser Wunsch. Dashat unser Koalitionspartner so nicht mitgetragen . Auf deranderen Seite muss ich aber auch sagen: Wir haben anunseren Universitäten und allgemein an unseren Hoch-schulen intelligente Menschen; sie wissen doch eigent-lich, was eine Qualifizierung bedeutet. Wir sind ja nichtdie Erziehungsberechtigten unserer Professorinnen undProfessoren .
Eigentlich müssen sie von alleine darauf kommen, wasim Wissenschaftsbetrieb unter Qualifizierung zu verste-hen ist .Wir haben auch den Pakt für den wissenschaftlichenNachwuchs verabschiedet und 1 000 zusätzliche Stellengeschaffen. Ich hoffe, dass es bei dem Wort „zusätzlich“bleibt; denn man merkt, dass daran schon wieder gedok-tert wird .Eigentlich muss man sagen – das kann man als Quint-essenz dieser Legislatur gemeinsam feststellen –: Wir ha-ben wichtige Projekte auf den Weg gebracht, und daraufkönnen wir stolz sein .
Insofern ist es für mich enttäuschend, dass die meis-ten Zahlen im vorliegenden Bericht hoffnungslos veraltetsind . Wie kann es zum Beispiel sein, dass es seit 2011keine Erhebung zur Laufzeit von Arbeitsverträgen mehrgibt? Dafür fehlt mir das Verständnis . Es sind auch vieleZahlen von 2014 enthalten . Also, es tut mir leid! Geradeauch vor dem Hintergrund der Projekte, die wir in dieserLegislatur beigesteuert haben – darüber haben wir ge-redet –, sollte man das Bundesministerium für Bildungund Forschung beauftragen, hier nachzuarbeiten . Ichhabe Sie, Frau Professor Wanka, so verstanden, dass hieretwas passiert . Aber ich muss sagen: Uns hier so einenBericht mit Zahlen von 2011 vorzulegen, finde ich schonein bisschen dürftig .Dennoch – das macht der Bericht deutlich –: Es istschwer, die Arbeit in der Wissenschaft mit dem Famili-enleben zu vereinbaren . Ich muss sagen: Wir sprechenhier eben nicht über junge Doktoranden mit Ende 20 –das wird uns ja immer vorgehalten; es wird gesagt: diejungen Leute qualifizieren sich, sie promovieren nochusw . –, sondern über bereits promovierte Wissenschaft-lerinnen und Wissenschaftler unter 45, von denen immernoch vier von fünf nur über Zeitverträge beschäftigt sind .Daher verstehe ich nicht – vielleicht muss man da nocheinmal gemeinsam in den Bericht schauen –, warum un-sere Ministerin gerade sagte, dass hier VollbeschäftigungNicole Gohlke
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herrscht . Vielleicht – aber dann auf der Grundlage befris-teter Verträge .
Der angebliche Nachwuchs steht doch längst mitten imLeben – ich finde den Begriff „wissenschaftlicher Nach-wuchs“ sowieso ein bisschen schwierig –, und gerade,wenn man mitten im Leben steht, braucht man Planungs-sicherheit .
Frau Gohlke ist gerade schon darauf eingegangen:Ganze 88 Prozent der Wissenschaftler, also so gut wiealle jungen Wissenschaftler, wünschen sich Kinder . Dieüberwiegende Mehrheit schiebt aber dann die Familien-gründung auf die lange Bank, und am Ende bleibt fast dieHälfte aller Wissenschaftlerinnen kinderlos . Es ist dochtraurig, dass man in der heutigen Zeit noch abwägenmuss, ob Arbeit oder Familie im Fokus steht . Ich denke,da müssen wir dringend etwas ändern .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es hat mich sehr ir-ritiert, vor einigen Tagen zu erfahren, dass viele Hoch-schulleitungen nach wie vor wenig Bedarf für Verän-derungen sehen . Laut einer aktuellen Umfrage hält dieMehrheit unserer Rektorinnen und Rektoren eine Befris-tungsquote von weit über 50 Prozent für absolut ange-messen, und es stört sie auch nicht, dass inzwischen jedevierte Lehrveranstaltung an deutschen Hochschulen vonbefristetem Personal gehalten wird . Da fragt man sichdoch – ich frage es mich –: Wozu haben wir eigentlichdie Professoren? Was ist denn eigentlich ihre Aufgabe?Ich dachte, ihre Aufgabe ist auch, Lehre zu halten .Ich weiß natürlich – ich habe selbst Vorlesungen ge-halten –: Eine gute Lehrveranstaltung zu konzipieren unddurchzuführen, ist keine Routineaufgabe . Es ist fachlichanspruchsvoll und insbesondere auch zeitlich aufwendig .Aber was sollte zu guter Lehre motivieren, wenn damitkein Blumentopf zu gewinnen ist? Es zählt ja eigentlichnur, wie viele Drittmittel man eingeworben hat, wie vieleVeröffentlichungen man getätigt hat und wie sie geratetsind usw .Liebe Kolleginnen und Kollegen, gute Beschäfti-gungsbedingungen und gute Lehre gehen meines Er-achtens Hand in Hand . Daher wollen und brauchen wirdringend einen grundlegenden Kulturwandel in unseremWissenschaftssystem . Unsere Hochschulen müssen sichauf den Weg machen, die Studienqualität muss steigenund die Zahl der Studienabbrüche sinken . Ein Schlüsseldazu ist die Verbesserung der Betreuungsrelation durchgute, qualifizierte und langfristig beschäftigte Mitarbei-ter . Ich habe mich gefreut, eben von Ministerin Wanka zuhören, dass hier mehr geplant ist . Wir erwarten eigentlichauch mehr; denn natürlich sind mehr feste Stellen wich-tig, ebenso verbindliche Konzepte zur Personalentwick-lung .
Nur so kommen wir zu planbaren Karrierewegen undtransparenten Personalentscheidungen .Wichtig dafür ist die nachhaltige Verbesserung derGrundfinanzierung unserer Hochschulen. Ich denke, dasist uns allen klar . Das ist eine Aufgabe für die nächste Le-gislatur . Wir, die SPD, wollen dazu beitragen, die befris-teten Mittel des Hochschulpaktes endlich zu einer ver-lässlichen und dauerhaften Kofinanzierung zu machen.
Zukünftig müssen aber auch Bund und Länder bes-ser zusammenarbeiten und dürfen nicht nur eifersüchtigKompetenzen hin und her schieben . Dann erreichen wirnämlich, was wir wollen: dass sich die Beschäftigungssi-tuation unserer jungen Wissenschaftler in Forschung undLehre deutlich verbessert .
Vielen Dank, Simone Raatz .
Nächster Redner: Kai Gehring, Bündnis 90/Die Grü-
nen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Heute ist der „Tag des wissenschaftlichen Nachwuch-ses“ . Das hat er mehr als verdient; denn er ist kreativ,hoch motiviert und hoch engagiert . Allerdings sind dieArbeitsbedingungen in der Wissenschaft nach wie vornicht attraktiv genug, und das muss sich dringend ändern .
Bis zu 93 Prozent sind laut Bundesbericht Wissen-schaftlicher Nachwuchs befristet beschäftigt, in derübrigen Arbeitswelt sind es etwas mehr als 8 Prozent .Selbst wenn man berücksichtigt, dass ein hohes Maß anMobilität und Flexibilität in der Wissenschaft üblich ist,muss man festhalten: Die Beschäftigungsbedingungenfür Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind ausdem Ruder gelaufen . Selbst gestandene Leute müssensich noch Jahre nach ihrer Promotion von Halbjahres-vertrag zu Halbjahresvertrag hangeln . Lehre wird immermehr von prekär Beschäftigten geleistet . Die Situationvon Lehrbeauftragten und Privatdozenten ist skandalös .Auf der Strecke bleibt die Planbarkeit der wissenschaftli-chen Karriere – die Familienfreundlichkeit sowieso . DasBefristungsunwesen in der Wissenschaft müssen wir mitEntschlossenheit wirksam bekämpfen .
Es gibt viele Möglichkeiten, die Bedingungen für denwissenschaftlichen Nachwuchs zu verbessern . Es ist ab-solut enttäuschend, dass Union und SPD keine davonDr. Simone Raatz
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wirklich überzeugend genutzt haben . Nach unendlichlangen Debatten haben Sie eine aus grüner Sicht untaug-liche Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes be-schlossen . Mindestvertragslaufzeiten? Fehlanzeige! Undwas beispielsweise unter dem Begriff „Qualifizierung“ zuverstehen ist, was eine sogenannte „angemessene Befris-tungsdauer“ bei einem Qualifizierungsschritt sein soll,das bleibt im Gesetz undefiniert. Durch solche Schwam-migkeiten und Hintertürchen verfehlen Sie das eigent-liche Ziel, einen klaren rechtlichen Rahmen für bessereArbeitsbedingungen in der Wissenschaft zu schaffen.
Weil die Novelle wohl kaum wirken wird,
dürfen wir auch nicht bis 2020 mit der Evaluation desWissZeitVG warten .
Sie haben in die Novelle sogar hineingeschrieben: Erst2020 wird evaluiert . Das würde richtig knapp werden,wenn man in der nächsten Legislatur
– wenn man denn gründlich sein will – die schlimmstenFehlentwicklungen beheben will . 2020 muss die Über-arbeitung des vergeigten Gesetzes stehen, nicht erst dieEvaluation .Wir brauchen mehr Dauerstellen für Daueraufgaben,klare Mindestvertragslaufzeiten, einen Wegfall der Tarif-sperre und eine echte Familienkomponente, damit Kin-der und Wissenschaftskarrieren endlich vereinbar sind .
In den letzten Debatten haben Sie so getan, als wenn Siedas schon erledigt hätten .Ein zweites Feld, wo Union und SPD Möglichkeitenversemmelt haben, ist die Modernisierung der Personal-strukturen . Mit den Wissenschaftspakten, allen vorander Exzellenzinitiative, haben wir in den letzten Jahrenviele Promovierende angezogen . Nicht alle werden imWissenschaftssystem bleiben, aber unser Anspruch mussdoch sein, die besten Köpfe aus dieser Gruppe dauer-haft für die Wissenschaft gewinnen zu können, statt siezu vergraulen . Andernfalls wäre das Geld für die ganzenWissenschaftspakte nicht nachhaltig genug angelegt;denn Wissenschaft wird von Wissenschaftlerinnen undWissenschaftlern gemacht .
Immerhin: Es gibt ein Programm für 1 000 zusätzlicheTenure-Track-Professuren an Universitäten – das ist nurein Bruchteil der Juniorprofessuren, die schon von Rot-Grün eingeführt wurden –, und ob dieses Ten ure-Track-Programm funktioniert, das muss sich erst erweisen . DieHochschulen sind davon nicht so begeistert . Und so oderso: Es bleiben unklare Perspektiven und wenig Planbar-keit für viel zu viele andere im Alltag .Von einem „Pakt für den wissenschaftlichen Nach-wuchs“ in Gänze kann sowieso keine Rede sein, weil an-dere Personalkategorien wie insbesondere der Mittelbauaußen vor bleiben . Die Fachhochschulen haben Unionund SPD erst einmal auf den Sankt-Nimmerleins-Tagvertröstet . Ich denke, das ist viel zu viel Alibi, viel zu vielKosmetik und viel zu wenig wirklich beherztes Handeln .Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wären schlechtberaten, wenn Sie sich darauf verlassen, dass sich Nach-wuchswissenschaftler aufgrund von Motivation undSelbstlosigkeit endlos ausbeuten lassen . Wenn es im Wis-senschaftssystem jenseits der Promotion immer wenigerverlässliche Perspektiven gibt, ist der Gang ins Auslandoder in die Wirtschaft die logische Konsequenz. Damitgefährden wir das deutsche Wissenschaftssystem insge-samt . Das darf nicht sein .
Neugierde und Lust auf Fragen und Zweifel treibendie Wissenschaft voran, und dafür braucht es Vielfalt .Ein wichtiger Aspekt sind daher Gleichstellung undGeschlechtergerechtigkeit in der Wissenschaft . Wirbrauchen mehr Frauen in der Spitze der Wissenschaft .Auch das wollte die Koalition voranbringen; aber auchauf diesem Feld herrscht auf der ganzen Linie schlicht-weg Enttäuschung . Nichts ist geworden aus der Ansageim Koalitionsvertrag, in den Programmen verstärkt dieEinhaltung von Gleichstellungsstandards zu verankern .Beim Pakt für Forschung und Innovation, bei der neuenExzellenzstrategie und auch im Tenure-Track-Programmfehlen klare und harte Gleichstellungsziele . Beim Pro-fessorinnenprogramm ist, na ja, immerhin eine Absichts-erklärung herausgekommen . Die Bilanz der Gleichstel-lungspolitik ist nach vier Jahren Koalition insgesamternüchternd .
Ich hoffe und setze auf die nächste Wahlperiode. Einvernünftiges WissZeitVG steht an, damit man mit Sicher-heit gut forschen kann . Ein Personalprogramm für dieFachhochschulen steht an. Eine bessere Grundfinanzie-rung für die Hochschulen steht an . Es geht auch um mehrVerantwortungsbewusstsein in der Wissenschaft für dieeigene Mitarbeiterschaft in puncto Personalentwicklungund Karrierewege . Nachwuchswissenschaftlerinnen und-wissenschaftler benötigen eine Entfristungsoffensive,klare Karriereperspektiven, mehr Zeit zum Forschen –
Und wir benötigen das Ende der Rede .
– deshalb ein letzter Halbsatz –, bessere Arbeitsbe-dingungen und mehr Familienfreundlichkeit . Wir lassennicht locker, dieses Ziel zu erreichen .
Kai Gehring
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Vielen Dank, Kai Gehring . – Nächste Rednerin:
Alexandra Dinges-Dierig für die CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Verehrte Gäste auf den Tribünen! Heute ist fürmich ein ganz besonderer Tag; denn ich halte hier undheute meine Abschiedsrede im Deutschen Bundestag .Wie sollte es anders sein? Es ist eine Rede zum wissen-schaftlichen Nachwuchs . Es ist nicht das erste Mal, dasswir hier darüber reden und auch streiten . Das haben wirschon in verschiedenen Sitzungen getan . Es sind sichernoch viele Verständnisfragen offen, die man in der nächs-ten Legislatur hoffentlich klären kann.Warum diskutieren wir immer wieder über den wis-senschaftlichen Nachwuchs, und warum hier, in diesemHause? Es gibt doch so viele andere Themen . Eigentlichliegt es auf der Hand: Wir wissen ganz genau, dass diebestmögliche Forschung und die bestmögliche Lehre inder Zukunft davon abhängig sind, ob es uns gelingt, demheutigen wissenschaftlichen Nachwuchs so gute Rah-menbedingungen zu bieten, dass wir ihn bei uns haltenkönnen oder international anwerben können . Beide Mög-lichkeiten müssen gegeben sein . Daher ist dieses Themafür uns existenziell wichtig .
Auf den Bundesbericht Wissenschaftlicher Nach-wuchs 2017 will ich hier gar nicht intensiv eingehen;denn die Daten – viele haben es schon gesagt – sind nichtganz aktuell . Es gibt welche aus 2014 – Simone Raatz,das ist richtig –, aber die meisten sind älter; die meis-ten stammen aus 2008, einige sogar aus 2006 . Darausfür 2017 Thesen abzuleiten, finde ich schlichtweg falsch.Wenn wir die Angaben mit anderen Erkenntnissen, diewir haben, abgleichen, sehen wir sehr wohl Positives,aber natürlich auch eine ganze Menge Schatten .Wie kommen wir weiter? Ich bin davon überzeugt,dass wir endlich mehr Informationen brauchen; das hatauch die Bundesministerin schon gesagt . Wir müssenzum Beispiel endlich wissen, warum jemand ein Studi-um abbricht, ob er es überhaupt abgebrochen hat odernur das Studienfach gewechselt hat . Wir müssen wissen,wie viele promovieren, wo promoviert wird und welchesPromotionsverfahren angewandt wird . Wir müssen gege-benenfalls auch wissen, wann die Promotionen abgebro-chen wurden und warum sie abgebrochen wurden . Wirbrauchen Erkenntnisse über die Vereinbarkeit von Fami-lie und akademischer Karriere . Ich möchte an dieser Stel-le klar sagen: Jeder, der an einer Universität eine Promo-tion vorgelegt hat und dann die Universität verlässt, istkein Loser oder Abbrecher, sondern er hat für sein Lebenschlichtweg eine andere Entscheidung gefällt, und auchdie haben wir zu respektieren .
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir mit dem neuenHochschulstatistikgesetz – das hat die Bundesministerinschon gesagt – wirklich gute neue Erkenntnisse gewin-nen, um mit Blick auf den Längsschnitt einer beruflichenKarriere entsprechende politische Maßnahmen aufsetzenzu können . Aber nichtsdestotrotz haben wir natürlichnicht gesagt, dass wir warten, bis wir mehr Zahlen ha-ben, sondern wir haben gehandelt, und zwar da, wo wirhandeln mussten .Nur ganz kurz – wir alle kennen die Instrumente –:Über das Wissenschaftszeitvertragsgesetz wurde ebensehr viel gesagt . Wir haben damit der Vergabe vongrundlosen und unangemessen kurzen Zeitverträgeneinen Riegel vorgeschoben . Die Umsetzung dauert sei-ne Zeit . Deshalb gibt es 2020 eine Evaluation . Der Be-wusstseinswandel an den Hochschulen hat – das merkenSie, wenn Sie sich heute mit Menschen an den Hoch-schulen unterhalten – übrigens schon begonnen . Wenndazu noch aufgrund der Entlastung der Länder durch dieBAföG-Millionen rund 12 000 unbefristete Stellen anden Hochschulen geschaffen würden, würden wir hierkeine Diskussionen mehr über befristete Arbeitsverträgeführen .
Wir haben mithilfe des neuen Tenure-Track-Pro-gramms einen Karriereweg zur Universitätsprofessurplanbarer gemacht, und wir haben mit den erweitertenKooperationsmöglichkeiten auf der Grundlage des ver-änderten Artikels 91b des Grundgesetzes eine neue Ex-zellenzstrategie auf den Weg gebracht . Warum ist das fürden wissenschaftlichen Nachwuchs wichtig? Ganz ein-fach: Für den Spitzennachwuchs gibt es durch die neueExzellenzstrategie fantastische Perspektiven .Wir als Union sind fest davon überzeugt: Qualitäts-steigerung ist das übergeordnete Ziel . Wir werden es abernicht so erreichen, wie die Linken es immer wieder for-dern: Geld, Geld, Geld in das System, dann wird allesbesser . – So einfach ist das nicht . Wir haben deshalb – daskönnen Sie sehr gut nachsehen; und deshalb ist die Bi-lanz auch nicht dürftig, wie Sie, liebe Frau Gohlke, heu-te Morgen im Ausschuss gesagt haben – bei der Exzel-lenzstrategie und dem Tenure-Track-Programm folgendeFördervoraussetzung – wenn diese nicht erfüllt ist, gibtes kein Geld von den Milliarden, die wir bereitstellen –:Es müssen ein überzeugendes Personalentwicklungskon-zept und eine individuelle Personalberatung vorliegen .Dabei müssen alle Gleichstellungsfragen berücksichtigtwerden . Nur dann können sich die Hochschulen über-haupt bewerben .
Das ist ein Qualitätsbaustein . Daran werden wir als Uni-on weiterarbeiten .
Viele Meilensteine . Wir wollen uns auf diesen Lorbee-ren aber nicht ausruhen . Wir als Union werden hier mitSicherheit weitermachen . Wir werden das Spitzenfeldder Wissenschaft weiterhin im Auge behalten .
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Ich wünsche meinen Kolleginnen und Kollegen, diehier bleiben, und denen, die neu hinzukommen, viel Er-folg für unseren wissenschaftlichen Nachwuchs, aberauch für die anderen sehr wichtigen wissenschaftspoliti-schen Themen und natürlich neben Kompetenz auch eineglückliche Hand dabei .Ich bedanke mich für das tolle Miteinander bei allenKolleginnen und Kollegen und sage einfach Tschüss .
Vielen Dank, Frau Dinges-Dierig . Ich wünsche Ihnen
eine gute Zukunft, eine gute Zeit auch ohne Ihre parla-
mentarische Familie hier in diesem Haus . Lassen Sie von
sich hören, wo auch immer Sie zukünftig sein werden .
Nächster Redner: Oliver Kaczmarek für die SPD-Frak-
tion .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auchder Bericht des Ausschusses für die Hochschulstatistiksteht heute auf der Tagesordnung . Die Ministerin hat zuRecht auf die wesentlichen Verbesserungen hingewiesen .Ich möchte meine Rede damit beginnen, dem Ausschussfür seine Arbeit zu danken; denn durch den Bericht unddie Daten, die uns zur Verfügung gestellt werden, wer-den wir in der Lage sein, noch besser auf veränderte Bil-dungsbiografien einzugehen und noch bessere politischeEntscheidungen zu treffen. Herzlichen Dank an den Aus-schuss für die Hochschulstatistik für seine Arbeit!
Es ist hier schon angesprochen worden: Die Situati-on des wissenschaftlichen Nachwuchses steht in einemdirekten Zusammenhang mit der Finanzausstattung derHochschulen . Es gibt eine Kette, die wir durchbrechenmüssen . An ihrem Beginn stehen meistens oder zu oftbefristete Mittelzuweisungen an die Hochschulen . Daranschließen sich befristete Arbeitsverträge für die Beschäf-tigten an, an die sich wiederum schlechtere Karrierechan-cen und schlechtere Planungssicherheit, beispielsweisewenn man eine Familie gründen will, anschließen; das istgerade schon gesagt worden . Diese Diskontinuitäten füh-ren am Ende dazu, dass wir uns Gedanken machen müs-sen, ob das nicht auch auf die Qualität der Lehre Auswir-kungen haben kann . Deswegen, glaube ich, müssen wirdiese Kette durchbrechen . Wir können das mithilfe vonpolitischen Entscheidungen tun, die wir in der nächstenZeit zu treffen haben und bei denen wir klare Positioneneinnehmen .Ich will einige Beispiele nennen . Wir haben geradeüber Statistik gesprochen . Die Megaherausforderung derletzten Jahre war die steigende Anzahl von Studienanfän-gerinnen und Studienanfängern . Ich glaube, wir habenmit dem Hochschulpakt politisch richtig darauf reagiert;er ist eine nationale Anstrengung von Bund und Län-dern . Ich glaube, dass die Herausforderung bleibt . Oderandersherum: Die Annahme aus der Hochschulpakt-gründungszeit, dass die Studienanfängerzahlen wiedersinken werden, wird sich nach allen Prognosen, die wirkennen, nicht bewahrheiten . Deswegen hilft an der Stellelangfristig gesehen ein befristeter Pakt nicht weiter . Wirbrauchen eine langfristige Sicherheit für die Hochschu-len . Deshalb brauchen wir auch eine klare Haltung zu derin der nächsten Wahlperiode anstehenden Entscheidung,wie es mit dem Hochschulpakt weitergehen soll .
Ich will ganz ehrlich sein, Frau Ministerin: Ich hättemir anstelle des wiederholten Spielens der BAföG-Leiergewünscht, von Ihnen zu hören, wie es mit dem Hoch-schulpakt weitergehen soll, ob Sie beispielsweise dieHaltung, die aus Ihrer Fraktion schon deutlich gewor-den ist, teilen, dass es nicht mehr um Quantitätsförde-rung, sondern nur noch um Qualität geht, und was daseigentlich genau heißt . Wir sind der Meinung, ein Beitragdes Bundes zur Grundfinanzierung ist unerlässlich. DieVerstetigung des Hochschulpakts muss in der nächstenWahlperiode kommen .
Wenn man sich einmal ansieht, wie sich die Studie-rendenschaft zusammensetzt, dann fällt doch auf, dasssich der Anteil der Studierenden und im Übrigen auchdie Gesamtzahl der Studierenden an Fachhochschulenund Hochschulen für angewandte Wissenschaften auffast 1 Million Menschen deutlich erhöht hat . Das freutuns; denn die Fachhochschulen leisten einen wichtigenBeitrag zur Qualifizierung von Fachkräften, zur regio-nalen Innovationskraft, zum Wissenstransfer . Das allessind wichtige Punkte . Deswegen haben wir in dieserWahlperiode die Fachhochschulen zu Recht unterstützt,sowohl bei der Forschungsförderung als auch beim Pro-gramm „Innovative Hochschule“, wo wir den Transfernoch stärker in den Blick genommen haben . An der Stellemüssen wir zukünftig weitergehen und verstärkt die Aus-bildungsleistung von Fachhochschulen angehen . Dazugehört auch, was gerade meine Kollegin Simone Raatzgesagt hat: Wir brauchen zusätzliche Mittel für die Fach-hochschulen, um den Karrierewegen, der Personalent-wicklung und eben der gestiegenen Bedeutung sowie denAnsprüchen und Anforderungen, dort eine langfristigeBeschäftigung aufnehmen zu können, gerecht zu werden .
Ein letzter Punkt: Immer mehr Studierende kommenaus dem Ausland, um hier in Deutschland zu studieren .Das freut uns; denn das zeigt, dass der Wissenschafts-standort Deutschland eine hohe Attraktivität hat . Das hatviele Gründe; da gibt es nicht nur ein Instrument . Abersicherlich hat auch die Exzellenzinitiative dazu beigetra-gen, die internationale Strahlkraft und die Attraktivitätnicht nur an den Exzellenzstandorten, sondern für dasgesamte Wissenschaftssystem zu beleben .
Alexandra Dinges-Dierig
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 236 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 31 . Mai 201723956
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Deswegen war es richtig, dass Bund und Länder an derStelle gemeinsam und auf Augenhöhe entschieden ha-ben, dass aus der Initiative eine Strategie wird .
Und es war richtig, dass die Möglichkeiten, die wir imGrundgesetz neu geschaffen haben, in der Wissenschaftzwischen Bund und Ländern zu kooperieren, dafür ge-nutzt worden sind, um die Exzellenzstrategie auf einedauerhafte Grundlage zu stellen .
Meine Schlussfolgerung daraus ist, dass wir diese grund-gesetzlichen Möglichkeiten auch dazu nutzen müssen,die Perspektive auf bisher befristete Pakte zu erweitern .Das muss der nächste Schritt sein . Hochschulpakt undandere Punkte sind angesprochen worden . Das wird inder nächsten Wahlperiode auf uns zukommen .Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin . – Wir ha-ben in dieser Wahlperiode viel geleistet . Darauf blickenwir als Koalition und natürlich als Sozialdemokraten mitZufriedenheit zurück; BAföG und andere Dinge habe ichhier noch gar nicht erwähnt . Aber die Wissenschaft willauch wissen, wie es weitergeht . Insbesondere die großenFinanzströme sind betroffen. Es ist wichtig, dass sich dieParteien vor der Bundestagswahl hier klar positionieren .Wir sind der Meinung, dass der Bund weiterhin gemein-sam mit den Ländern in der Verantwortung für die Brei-tenförderung ist .Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Oliver Kaczmarek . – Die letzte Redne-
rin in der Debatte: Dr . Claudia Lücking-Michel für die
CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Am Schluss der Debatte will ich den Themenbereich auf-greifen, den der Bericht selbst zum Schwerpunkt seinerdritten Auflage macht, nämlich die Vereinbarkeit von Fa-milie und akademischer Karriere . Zu der Notwendigkeitund dem Bedarf von aktuellen und aussagekräftigen Zah-len haben wir jetzt genug gehört . Das brauche ich nichtzu wiederholen, will es aber unterstreichen . Ich möchteauf einige strukturelle Fragen hinweisen, die mir aufge-fallen sind und die wir in Zukunft verstärkt in den Blicknehmen sollten, wenn wir Veränderungen feststellen undbeobachten .Für mich ist Folgendes interessant: Wenn es um dieVereinbarkeitsfrage ging, die vom wissenschaftlichenNachwuchs als problematisch eingeschätzt wurde, dannwaren es – das war eklatant – vor allen Dingen jungeFrauen, die selbst noch gar keine Kinder hatten, die die-sen Eindruck geäußert haben . Dieser Eindruck führt danndazu, dass sie ausscheiden und den Wissenschaftsbetriebverlassen, wenn es um die Familienplanung geht . Daraufsollten wir in Zukunft genau achten . Zu den Gründen,die genannt werden, gehört nicht etwa einzig und an ers-ter Stelle die Befristung von Verträgen; wenn wir das soadressieren, springen wir zu kurz . Genannt werden auchdie Verfügbarkeitskultur, hohe Mobilitätsanforderun-gen und nach wie vor der Bedarf an mehr Betreuungs-möglichkeiten . Auch da müssen wir hinschauen . Mir istwichtig, zu sagen: Das alles sollten doch Probleme undHerausforderungen sein, die sowohl Väter als auch Müt-ter betreffen. Aber nein, nach wie vor sind praktisch vorallen Dingen Frauen betroffen.Da wir gerade bei Zahlen und Phänomenen sind:Es gibt in dem Bericht von 2016 ein Fundstück, dasich besonders erwähnen will . Es geht darum, dass sicheine Vaterschaft positiv auf den Karrierestatus auswirkt,eine Mutterschaft hingegen negativ . Was genau ist ge-meint? Es lässt sich nachweisen, dass zum Beispiel inden USA, so der Bericht, eine familienbedingte Verlän-gerung der Tenure-Track-Phase bei Assistant Professorsunterschiedliche Folgen hat . Bei Frauen, die sich ein Jahrlang vorrangig um ihre Kinder kümmern, sank die Wahr-scheinlichkeit, an eine der 50 Topuniversitäten berufenzu werden . Bei Männern stieg die Wahrscheinlichkeit un-ter den gleichen Bedingungen . Angesichts der vielen Fra-gen und der Zahlen, die wir in Zukunft gerne hätten, willich anmerken: Auch darauf hätte ich gerne Antworten .
Ich bin sehr froh, Frau Ministerin, dass Sie angekündigthaben, schon mehrere Forschungsprojekte auf den Weggebracht zu haben, die uns für solche und ähnliche He-rausforderungen in Zukunft vielleicht interessante Hin-weise geben werden .Konzentrieren will ich mich in meiner Rede auf dieMaßnahmen und Projekte, bei denen wir in den letztenJahren wirklich viel umgesetzt haben, vor allen Dingen –wenn auch nicht nur –, wenn es darum ging, die Verein-barkeit für den wissenschaftlichen Nachwuchs besser zuregeln .Genannt wurde schon – da kann ich mich kurzfassen –das Tenure-Track-Programm . Natürlich bringt es mehrPlanbarkeit für die Karriere von allen, aber auch und ge-rade für diejenigen, die Nachwuchs planen .Außerdem geht es – das ist hier bisher viel zu wenigvorgekommen; damit möchte ich mich jetzt länger befas-sen – um das Professorinnenprogramm . Es hat bislangnicht nur die Berufung von über 500 Professorinnen er-möglicht, sondern auch – das war uns wichtig – an ganzvielen Stellen systemisch im Sinne struktureller Gleich-stellung gewirkt . Wie gut, dass die GWK schon im Aprildieses Jahres dafür votiert hat, das Programm fortzufüh-ren, und dass wir auch aus dem BMBF Signale bekom-men haben, dass es fortgeführt werden soll .Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um Verbesse-rungs- oder Erweiterungsvorschläge zu machen .
Oliver Kaczmarek
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 236 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 31 . Mai 2017 23957
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Mir wäre wichtig, dass in Zukunft ganz im Sinne des Po-sitionspapiers unserer Fraktion mit einem Teil der MittelProfessorinnen auch Nachwuchswissenschaftlerinneneinstellen können, zum Beispiel für die Leitung vonNachwuchsgruppen, um insbesondere die Leaky Pipe-line direkt nach der Promotion bei den jungen Wissen-schaftlerinnen zu stopfen und sie im Betrieb zu halten .
Wir müssen mit Mitteln und Maßnahmen dafür sor-gen – auch das steht in unserem Positionspapier –, dasses einfacher wird, nach der Promotion, wenn man eineFamilienphase hatte, zurückzukehren und in der wissen-schaftlichen Laufbahn in der Postdoc-Phase anzuschlie-ßen .Wir müssen darauf achten – auch das ist sehr wich-tig –, dass all die vielen Gleichstellungsmaßnahmen, diewir systemisch fordern, in den Hochschulen wirklichnachhaltig verankert sind, diese die Verantwortung da-für übernehmen und die Maßnahmen verbindlich und aufDauer gestellt werden . Das heißt – das ist ganz klar –:Das Professorinnenprogramm braucht in Zukunft deut-lich mehr Mittel .
Meine Damen und Herren, wir haben es schon oftgehört – ich will es unterstreichen –: Die beste Wissen-schaft braucht die besten Männer und die besten Frauen .
Dass wir daran noch arbeiten müssen, ist deutlich gewor-den. Aber wir haben auch schon einiges geschafft.Danke schön .
Vielen Dank, Claudia Lücking-Michel . – Damit
schließe ich die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/12310 und 18/10851 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen . – Sie sind damit einverstanden . Dann sind die Über-
weisungen so beschlossen .
Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesord-
nung .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Donnerstag, den 1 . Juni 2017, 9 Uhr,
ein .
Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen einen
schönen Restabend .