Protokoll:
18228

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 228

  • date_rangeDatum: 30. März 2017

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:03 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 23:37 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/228 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 228. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 Inhalt: Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22839 B Absetzung des Tagesordnungspunktes 41 c . . . 22840 A Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . 22840 A Tagesordnungspunkt 3: a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Innovation und Forschung als Wettbewerbsvorteil der deutschen mari- timen Wirtschaft Drucksache 18/11725 . . . . . . . . . . . . . . . . 22840 C b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Maritime Agenda 2025: Für die Zukunft des maritimen Wirtschaftsstandorts Deutschland Drucksache 18/10911 . . . . . . . . . . . . . . . . 22840 C c) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Fünfter Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung und Zukunftsper- spektiven der maritimen Wirtschaft in Deutschland Drucksache 18/11150 . . . . . . . . . . . . . . . . 22840 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 1: Antrag der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Dieter Janecek, Tabea Rößner, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Digitalisierung als Ausweg aus der Schifffahrtskrise nutzen Drucksache 18/11742 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22841 A Uwe Beckmeyer, Parl. Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22841 A Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22842 B Rüdiger Kruse (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 22843 D Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22845 C Peter Stein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 22847 C Johann Saathoff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22848 D Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 22849 D Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 22850 C Dr. Birgit Malecha-Nissen (SPD) . . . . . . . . . . 22852 A Hans-Werner Kammer (CDU/CSU) . . . . . . . . 22853 A Tagesordnungspunkt 4: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Finanzdienst- leistungsaufsichtsrechts im Bereich der Maßnahmen bei Gefahren für die Stabili- tät des Finanzsystems und zur Änderung der Umsetzung der Wohnimmobilienkre- ditrichtlinie (Finanzaufsichtsrechtergän- zungsgesetz) Drucksachen 18/10935, 18/11420, 18/11472 Nr. 1.5, 18/11774 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22854 B Antje Tillmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 22854 B Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22855 B Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 22856 B Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22857 B Matthias Hauer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 22858 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017II Dr. Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 22859 C Alexander Radwan (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 22860 B Sarah Ryglewski (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 22861 C Tagesordnungspunkt 5: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Verbot des Betriebs lauter Güterwagen (Schienenlärmschutzgesetz – SchlärmschG) Drucksachen 18/11287, 18/11769 . . . . . . . . . . 22862 C Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär BMVI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22862 D Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) . . . . . . . . 22863 C Dr. André Hahn (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22864 B Annette Sawade (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22865 C Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22866 D Michael Donth (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 22867 D Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 22868 D Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU) . . . . . . . 22869 D Tagesordnungspunkt 6: a) Antrag der Abgeordneten Stephan Kühn (Dresden), Matthias Gastel, Dr. Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Investitionsstau auflösen – Zukunft des ÖPNV sichern – Jetzt die Weichen für den öffentlichen Verkehr von morgen stellen Drucksache 18/10747 . . . . . . . . . . . . . . . . 22871 B b) Antrag der Abgeordneten Stephan Kühn (Dresden), Britta Haßelmann, Matthias Gastel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Fairen Wettbewerb und kommunale Ge- staltungsmöglichkeiten im Nahverkehr sicherstellen Drucksache 18/10978 . . . . . . . . . . . . . . . . 22871 C Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22871 C Michael Donth (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 22872 C Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 22873 D Sören Bartol (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22874 D Thomas Jarzombek (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 22875 D Kerstin Kassner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22877 B Sebastian Hartmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 22878 A Thomas Jarzombek (CDU/CSU) . . . . . . . . 22878 C Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22880 B Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22881 C Birgit Kömpel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22882 C Arnold Vaatz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22883 C Tagesordnungspunkt 40: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Katja Keul, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesverfassungs- gerichtsgesetzes (Verankerung eines Verfahrens zur Überprüfung von Ent- scheidungen über den Einsatz der Bun- deswehr im Ausland) Drucksache 18/8277 . . . . . . . . . . . . . . . . . 22885 A b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Intelligente Verkehrssysteme Gesetzes Drucksache 18/11494 . . . . . . . . . . . . . . . . 22885 A c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zu dem Übereinkommen vom 25. Oktober 2016 zur Errichtung der Internationalen EU-LAK-Stiftung Drucksache 18/11507 . . . . . . . . . . . . . . . . 22885 B d) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zu dem Übereinkommen vom 14. März 2014 über die Ausstellung mehrsprachiger, codierter Auszüge und Bescheinigungen aus Personenstandsre- gistern Drucksache 18/11510 . . . . . . . . . . . . . . . . 22885 B e) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zu dem Beitrittsprotokoll vom 11. November 2016 zum Handelsüber- einkommen vom 26. Juni 2012 zwischen der Europäischen Union und ihren Mit- gliedstaaten einerseits sowie Kolumbien und Peru andererseits betreffend den Beitritt Ecuadors Drucksache 18/11556 . . . . . . . . . . . . . . . . 22885 C f) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung per- sonenstandsrechtlicher Vorschriften (2. Personenstandsrechts-Änderungsge- setz – 2. PStRÄndG) Drucksache 18/11612 . . . . . . . . . . . . . . . . 22885 C g) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 III zes zur Verbesserung der Sachaufklä- rung in der Verwaltungsvollstreckung Drucksache 18/11613 . . . . . . . . . . . . . . . . 22885 C h) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld Drucksache 18/11615 . . . . . . . . . . . . . . . . 22885 D i) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Neufassung der Regelungen über Funkanlagen und zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes sowie zur Aufhebung des Gesetzes über Funkan- lagen und Telekommunikationsendein- richtungen Drucksache 18/11625 . . . . . . . . . . . . . . . . 22885 D j) Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Neustart für eine friedliche und gerechte Europäi- sche Union Drucksache 18/11723 . . . . . . . . . . . . . . . . 22886 A k) Antrag der Abgeordneten Birgit Menz, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Tierversuche beenden Drucksache 18/11724 . . . . . . . . . . . . . . . . 22886 A l) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über den Fortgang der eingeleiteten Reformpro- zesse, mögliche Missstände und sonstige aktuelle Entwicklungen in der Trans- plantationsmedizin Drucksache 18/3566 . . . . . . . . . . . . . . . . . 22886 A m) Beratung der Unterrichtung durch den Deutschen Ethikrat: Stellungnahme des Deutschen Ethikrates: Hirntod und Ent- scheidung zur Organspende Drucksache 18/4256 . . . . . . . . . . . . . . . . . 22886 B n) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Zweiter Bericht der Bundesregierung über den Fortgang der eingeleiteten Re- formprozesse, mögliche Missstände und sonstige aktuelle Entwicklungen in der Transplantationsmedizin Drucksache 18/7269 . . . . . . . . . . . . . . . . . 22886 B o) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Dritter Bericht der Bundesregierung über den Fortgang der eingeleiteten Re- formprozesse, mögliche Missstände und sonstige aktuelle Entwicklungen in der Transplantationsmedizin Drucksache 18/10854 . . . . . . . . . . . . . . . . 22886 C Tagesordnungspunkt 41: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Än- derung des BDBOS-Gesetzes Drucksache 18/11139, 18/11660 . . . . . 22886 D – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/11664 . . . . . . . . . . . . . 22886 D b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2016/424 des Europä- ischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über Seilbahnen und zur Aufhebung der Richtlinie 2000/9/EG (Seil- bahndurchführungsgesetz – SeilbDG) Drucksachen 18/11258, 18/11702 . . . . . . . 22887 A d) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 29. August 2016 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Turkmenistan zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Ver- mögen Drucksachen 18/11557, 18/11766 . . . . . . . 22887 B e) Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. Dezember 2016 zwischen der Regierung der Bundesre- publik Deutschland und der Europäi- schen Agentur für Flugsicherheit über den Sitz der Europäischen Agentur für Flugsicherheit Drucksachen 18/11558, 18/11768 . . . . . . . 22887 C f) Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Sven-Christian Kindler, Tabea Rößner, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Telekomanteile veräußern – In Breitbandausbau inves- tieren Drucksachen 18/9799, 18/11209 . . . . . . . . 22887 D g) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Biodiversität schützen – Taxonomische Forschung ausbauen Drucksachen 18/10971, 18/11700 . . . . . . . 22888 A h) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu der Verord- nung der Bundesregierung: Sechste Ver- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017IV ordnung zur Änderung der Elektro- und Elektronikgeräte-Stoff-Verordnung Drucksachen 18/11293, 18/11472 Nr. 2.2, 18/11772 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22888 A i) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung: Verordnung über die Bewirtschaftung von gewerblichen Siedlungsabfällen und von bestimmten Bau- und Abbruchabfällen (Gewerbeab- fallverordnung – GewAbfV) Drucksachen 18/11294, 18/11472 Nr. 2.3, 18/11773 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22888 B j)–o) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersich- ten 422, 423, 424, 425, 426 und 427 zu Petitionen Drucksachen 18/11629, 18/11630, 18/11631, 18/11632, 18/11633, 18/11634 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22888 C Zusatztagesordnungspunkt 2: a)–e) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersich- ten 428, 429, 430, 431 und 432 zu Petitio- nen Drucksachen 18/11751, 18/11752, 18/11753, 18/11754, 18/11755 . . . . . . . . . 22889 A Tagesordnungspunkt 7: Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Wahl der Mitglieder des Stiftungs- rates der „Kulturstiftung des Bundes“ Drucksache 18/11728 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22889 C Tagesordnungspunkt 8: Vereinbarte Debatte: zur Mitteilung des Ver- einigten Königreichs über seine Absicht, aus der Europäischen Union auszutreten Sigmar Gabriel, Bundesminister AA . . . . . . . . 22889 D Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 22892 C Ralph Brinkhaus (CDU/CSU). . . . . . . . . . . . . 22893 C Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22895 C Detlef Seif (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 22897 C Alexander Ulrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 22899 A Axel Schäfer (Bochum) (SPD) . . . . . . . . . . . . 22900 B Andrea Lindholz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 22901 A Dr. Jens Zimmermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . 22902 B Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 22903 A Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . 22904 B Tagesordnungspunkt 9: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streit- kräfte an der Militärmission der Europäi- schen Union als Beitrag zur Ausbildung der malischen Streitkräfte (EUTM Mali) Drucksache 18/11628 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22905 C Sigmar Gabriel, Bundesminister AA . . . . . . . . 22905 C Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22906 B Jan van Aken (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 22908 B Henning Otte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22909 D Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22910 D Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) . . . . . . . . . 22911 D Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 22913 A Tagesordnungspunkt 10: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Straßenver- kehrsgesetzes Drucksachen 18/11300, 18/11534, 18/11683 Nr. 10, 18/11776 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22914 A Alexander Dobrindt, Bundesminister BMVI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22914 A Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22915 C Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 22916 B Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22917 C Steffen Bilger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22918 C Andreas Rimkus (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22919 C Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22920 D Tagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke, Sigrid Hupach, Dr. Rosemarie Hein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Soziale Durchlässigkeit bei Zugang und Zu- lassung zu Hochschulen durchsetzen Drucksache 18/11418 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22922 A Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 22922 A Tankred Schipanski (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 22923 A Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22925 C Dr. Daniela De Ridder (SPD) . . . . . . . . . . . . . 22927 A Katrin Albsteiger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 22928 B Oliver Kaczmarek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 22930 A Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 V Tagesordnungspunkt 12: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Trans- parenz von Entgeltstrukturen Drucksachen 18/11133, 18/11727, 18/11733 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22931 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Möhring, Sigrid Hupach, Matthias W. Birkwald, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit für Frauen und Männer durchsetzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Ulle Schauws, Dr. Franziska Brantner, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Frauen ver- dienen gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit Drucksachen 18/4321, 18/6550, 18/11727, 18/11733 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22931 C c) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Müller- Gemmeke, Ulle Schauws, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Frauen gerecht entlohnen und si- cher beschäftigen Drucksachen 18/847, 18/11641 . . . . . . . . . 22931 D Manuela Schwesig, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22931 D Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22933 C Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) . . . . 22934 C Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22936 A Dr. Carola Reimann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 22937 A Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU) . . . . . . . 22938 B Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 22939 C Namentliche Abstimmungen . . . . . . . 22940 D, 22940 D Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22941 C, 22944 C Tagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Dr. Frithjof Schmidt, Uwe Kekeritz, Tom Koenigs, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Südsudan – Hungersnot abwen- den, Völkermord verhindern Drucksache 18/11732 (neu) . . . . . . . . . . . . . . 22947 B Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22947 B Michael Brand (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 22948 C Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22949 C Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 22950 C Gabriela Heinrich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 22951 D Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 22952 D Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 22954 A Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU) . . . . 22955 A Tagesordnungspunkt 14: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Aus- bildungs- und Beratungsmission EUTM Somalia Drucksachen 18/11273, 18/11673 . . . . . . . 22956 B – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/11674 . . . . . . . . . . . . . . . . 22956 B Jürgen Coße (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22956 C Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22957 C Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) . . . . . . . . . 22958 B Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22959 D Dr. Mathias Edwin Höschel (CDU/CSU) . . . . 22960 D Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 22961 D Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22963 C Tagesordnungspunkt 15: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Gesundheit – zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gerechte Krankenkassenbeiträ- ge für Selbstständige in der gesetzlichen Krankenversicherung – zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017VI Gerechte Krankenkassenbeiträge für freiwillig in der gesetzlichen Kranken- versicherung Versicherte Drucksachen 18/9711, 18/9712, 18/11771 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22962 A Reiner Meier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22962 B Harald Weinberg (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 22965 B Heike Baehrens (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22966 D Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22967 C Maria Michalk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 22968 C Dirk Heidenblut (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22969 C Tagesordnungspunkt 16: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Mutter- schutzrechts Drucksachen 18/8963, 18/11782 . . . . . . . . . . . 22970 C Manuela Schwesig, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22970 C Jutta Krellmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22971 B Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU). . . 22972 C Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 22973 C Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22974 C Gülistan Yüksel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22975 C Bettina Hornhues (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 22976 B Tagesordnungspunkt 17: a) Antrag der Abgeordneten Renate Künast, Tabea Rößner, Dr. Konstantin von Notz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nutzungs- rechte digitaler Güter für Verbrauche- rinnen und Verbraucher verbessern Drucksache 18/11416 . . . . . . . . . . . . . . . . 22977 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucher- schutz zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Renate Künast, Markus Tressel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mehr Transparenz und Klarheit bei Bu- chungs- und Vergleichsportalen schaf- fen Drucksachen 18/10043, 18/11471 . . . . . . . 22977 C Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22977 C Kathrin Rösel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22978 D Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 22980 B Petra Rode-Bosse (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 22981 A Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 22981 D Dirk Heidenblut (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22983 B Tagesordnungspunkt 18: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bevorrechtigung des Carsharing (Carsharinggesetz – CsgG) Drucksachen 18/11285, 18/11770 . . . . . . . 22984 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infra- struktur zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias Gastel, Stephan Kühn (Dresden), Markus Tressel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Intelligente Mobilität fördern – Rechtssichere Regelung zur Ausweisung von Carsharing-Stationen schaffen Drucksachen 18/7652, 18/11770 . . . . . . . . 22984 B Alexander Dobrindt, Bundesminister BMVI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22984 C Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22985 B Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretä- rin BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22986 B Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22987 B Steffen Bilger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22988 A Arno Klare (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22989 B Tagesordnungspunkt 19: a) Antrag der Abgeordneten Frank Tempel, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Entkriminali- sierung von Drogenkonsumierenden Drucksache 18/11610 . . . . . . . . . . . . . . . . 22990 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Frank Tempel, Jan Korte, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeord- neter und der Fraktionen DIE LINKE sowie der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Maria Klein-Schmeink, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Beabsich- tigte und unbeabsichtigte Auswirkungen des Betäubungsmittelrechts überprüfen Drucksachen 18/1613, 18/10445 . . . . . . . . 22990 C Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 22990 D Emmi Zeulner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 22991 C Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22992 A Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 VII Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22993 C Burkhard Blienert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 22994 D Tino Sorge (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 22996 A Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22997 A Tagesordnungspunkt 20: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortentwicklung der haus- haltsnahen Getrennterfassung von wert- stoffhaltigen Abfällen Drucksachen 18/11274, 18/11781 . . . . . . . . . . 22999 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abge- ordneten Peter Meiwald, Britta Haßelmann, Christian Kühn (Tübingen), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wertstoffgesetz jetzt vorlegen Drucksachen 18/4648, 18/9693 . . . . . . . . . . . 22999 B Florian Pronold, Parl. Staatssekretär BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22999 C Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 23000 C Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 23001 B Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23002 C Michael Thews (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23003 C Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 23004 C Tagesordnungspunkt 21: Beschlussempfehlung und Bericht des Haus- haltsausschusses zu dem Antrag der Abgeord- neten Heidrun Bluhm, Norbert Müller (Pots- dam), Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Beteiligung des Bundes am Wiederaufbau der Garni- sonkirche Potsdam Drucksachen 18/10061, 18/11642 . . . . . . . . . . 23006 B Tagesordnungspunkt 22: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Novellie- rung von Finanzmarktvorschriften auf Grund europäischer Rechtsakte (Zwei- tes Finanzmarktnovellierungsgesetz – 2. FiMaNoG) Drucksachen 18/10936, 18/11290, 18/11472 Nr. 1.4, 18/11775 . . . . . . . . . . . . 23006 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- nanzausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Uwe Kekeritz, Dr. Gerhard Schick, Harald Ebner, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Vorschlag für eine De- legierte Verordnung der Kommission zur Ergänzung der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates durch technische Regulierungs- standards für die Anwendung von Positionslimits für Warenderivate K(2016)4362 endg.; Ratsdok. 15163/16 hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 8 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesre- gierung und Deutschem Bundes- tag in Angelegenheiten der Euro- päischen Union Nahrungsmittelspekulationen stoppen – Kommissionsvorschlag zurückweisen Drucksachen 18/11173, 18/11775 . . . . . . . 23006 D c) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- nanzausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Susanna Karawanskij, Klaus Ernst, Jutta Krellmann, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Finanzaufsicht nach Anlagepleiten zum Schutz von Verbraucherinteressen stär- ken Drucksachen 18/8609, 18/9734 . . . . . . . . . 23006 D Tagesordnungspunkt 23: Erste Beratung des von den Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jan Korte, Dr. André Hahn, weiteren Abgeordneten und der Frakti- on DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Artikel 10-Ge- setzes und weiterer Gesetze mit Befugnis für die Nachrichtendienste des Bundes zu Be- schränkungen von Artikel 10 des Grundge- setzes (G 10-Aufhebungsgesetz – G 10-Auf- hG) Drucksache 18/5453 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23007 C Tagesordnungspunkt 24: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie: Anpassungsvertrag ERP-För- derrücklage: Einholung eines zustimmen- den Beschlusses des Deutschen Bundestages Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017VIII gemäß § 6 Absatz 3 des ERP-Verwaltungs- gesetzes Drucksachen 18/10825, 18/11779 . . . . . . . . . . 23007 D Tagesordnungspunkt 25: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Abgeordneten Annette Groth, Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Willy-Brandt-Korps für eine soli- darische humanitäre Hilfe Drucksachen 18/8390, 18/8649 . . . . . . . . . . . 23008 A Tagesordnungspunkt 26: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Energie: – zu dem Vorschlag für eine Ver- ordnung des Europäischen Parla- ments und des Rates über den Elek- trizitätsbinnenmarkt (Neufassung) KOM(2016) 861 endg.; Ratsdok. 15135/16 – zu dem Vorschlag für eine Verord- nung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Gründung einer Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit der Energie- regulierungsbehörden (Neufassung) KOM(2016) 863 endg.; Ratsdok. 15149/16 hier: Stellungnahme gemäß Protokoll Nr. 2 zum Vertrag von Lissabon (Grund- sätze der Subsidiaritäts- und Verhält- nismäßigkeitsprüfung) Drucksachen 18/11229 A.16 und A.17, 18/11777 (neu) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23008 B Tagesordnungspunkt 27: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Fahrlehrerwesen und zur Änderung anderer straßenverkehrsrecht- licher Vorschriften Drucksachen 18/10937, 18/11289, 18/11472 Nr. 1.3, 18/11706 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23008 C Tagesordnungspunkt 28: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neufassung des Ge- setzes zur Regelung von Sekundierun- gen im Rahmen von Einsätzen der zivi- len Krisenprävention Drucksachen 18/11134, 18/11672 . . . . . . . 23008 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Kathrin Vogler, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE: Für eine aktive zivile Friedenspolitik Drucksachen 18/11166, 18/11670 . . . . . . . 23009 A c) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zivile Krisenprävention und Friedens- förderung stärken – Neue Lösungsan- sätze erarbeiten und umsetzen Drucksachen 18/11174, 18/11669 . . . . . . . 23009 A d) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Tom Koenigs, Annalena Baerbock, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: „Group of Friends“ für Konfliktprävention im Rahmen der Vereinten Nationen Drucksachen 18/11175, 18/11668 . . . . . . . 23009 B Zusatztagesordnungspunkt 4: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Entlastung insbesondere der mittelständischen Wirtschaft von Bürokratie (Zweites Bü- rokratieentlastungsgesetz) Drucksachen 18/9949, 18/11778 . . . . . . . . 23009 D – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/11790 . . . . . . . . . . . . . . . . 23009 D Tagesordnungspunkt 29: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünfzehnten Gesetzes zur Ände- rung des Atomgesetzes Drucksachen 18/11276, 18/11659 . . . . . . . 23010 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Sicherheit hat Vorrang – Ohne Stand von Wissenschaft und Technik keine Inbetriebnahme von Schacht Konrad Drucksachen 18/6773, 18/11690 . . . . . . . . 23010 A Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretä- rin BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23010 B Hubertus Zdebel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 23011 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 IX Steffen Kanitz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 23012 B Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23014 C Hiltrud Lotze (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23015 C Tagesordnungspunkt 30: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Verfahren für die elek- tronische Abgabe von Meldungen für Schif- fe im Seeverkehr über das Zentrale Melde- portal des Bundes und zur Änderung des IGV-Durchführungsgesetzes Drucksachen 18/11292, 18/11703 . . . . . . . . . . 23016 C Tagesordnungspunkt 31: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Eisenbah- nunfalluntersuchung Drucksachen 18/11288, 18/11666 . . . . . . . . . . 23016 D Tagesordnungspunkt 32: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 19. Mai 2016 zwischen der Bundes- republik Deutschland und dem Obersten Hauptquartier der Alliierten Mächte Eu- ropa zur Änderung des Abkommens vom 13. März 1967 zwischen der Bundesrepu- blik Deutschland und dem Obersten Haupt- quartier der Alliierten Mächte Europa über die besonderen Bedingungen für die Ein- richtung und den Betrieb internationaler militärischer Hauptquartiere in der Bun- desrepublik Deutschland Drucksachen 18/11280, 18/11665 . . . . . . . . . . 23017 A Tagesordnungspunkt 33: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Januar 2016 über Versicherungs- vertrieb und zur Änderung des Außenwirt- schaftsgesetzes Drucksache 18/11627 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23017 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23017 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 23019 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU) zu der Abstimmung über den von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zum Verbot des Betriebs lauter Güterwagen (Schienenlärmschutzgesetz – SchlärmschG) (Tagesordnungspunkt 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . 23019 D Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen (Tagesordnungspunkt 12 a) . . . . . . . . . . . . . . . 23020 B Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 23020 B Dr . Kristina Schröder (Wiesbaden) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23020 D Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Norbert Müller (Potsdam), Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Beteili- gung des Bundes am Wiederaufbau der Garni- sonkirche Potsdam (Tagesordnungspunkt 21) . . . . . . . . . . . . . . . . 23021 A Rüdiger Kruse (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 23021 B Dr . Philipp Lengsfeld (CDU/CSU) . . . . . . . . . 23021 D Johannes Kahrs (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23022 B Hiltrud Lotze (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23023 A Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) . . . . 23023 C Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23024 A Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Novellierung von Finanzmarktvorschrif- ten auf Grund europäischer Rechtsakte (Zweites Finanzmarktnovellierungsgesetz – 2. FiMaNoG) – der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Finanzausschusses zu dem An- trag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Dr. Gerhard Schick, Harald Ebner, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Vorschlag für eine Delegierte Verordnung der Kommission zur Ergänzung der Richt- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017X linie 2014/65/EU des Europäischen Par- laments und des Rates durch technische Regulierungsstandards für die Anwendung von Positionslimits für Warenderivate K(2016)4362 endg.; Ratsdok. 15163/16 hier: Stellungnahme des Deutschen Bun- destages gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 8 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deut- schem Bundestag in Angelegenhei- ten der Europäischen Union Nahrungsmittelspekulationen stoppen – Kom- missionsvorschlag zurückweisen – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Susanna Karawanskij, Klaus Ernst, Jutta Krellmann, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Finanzaufsicht nach Anlagepleiten zum Schutz von Verbraucherinteressen stärken (Tagesordnungspunkt 22 a bis c) . . . . . . . . . . 23025 A Matthias Hauer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 23025 C Dr . Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 23026 C Christian Petry (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23027 A Sarah Ryglewski (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23027 D Susanna Karawanskij (DIE LINKE) . . . . . . . . 23028 B Dr . Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23029 B Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von den Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jan Korte, Dr. André Hahn, weiteren Abgeordne- ten und der Fraktion DIE LINKE eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Artikel 10-Gesetzes und weiterer Gesetze mit Befugnis für die Nachrichtendienste des Bundes zu Beschränkungen von Artikel 10 des Grundgesetzes (G 10-Aufhebungsgesetz – G 10-AufhG) (Tagesordnungspunkt 23) . . . . . . . . . . . . . . . . 23030 A Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . 23030 B Clemens Binninger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 23031 C Uli Grötsch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23032 B Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 23033 A Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23034 A Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Bera- tung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag des Bundes- ministeriums für Wirtschaft und Energie: Anpassungsvertrag ERP-Förderrücklage Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages gemäß § 6 Ab- satz 3 des ERP-Verwaltungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 24) . . . . . . . . . . . . . . . . 23034 D Astrid Grotelüschen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 23035 A Dr . Andreas Lenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 23035 D Andrea Wicklein (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23037 A Thomas Nord (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 23038 B Dr . Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23039 A Dirk Wiese, Parl . Staatssekretär BMWi . . . . . 23040 C Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und hu- manitäre Hilfe zu dem Antrag der Abgeord- neten Annette Groth, Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion DIE LINKE: Willy-Brandt-Korps für eine solidarische humanitäre Hilfe (Tagesordnungspunkt 25) . . . . . . . . . . . . . . . . 23040 D Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU) . . . . 23041 A Dr . Ute Finckh-Krämer (SPD) . . . . . . . . . . . . 23042 B Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 23043 B Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23044 A Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie: – zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Elektrizitätsbinnenmarkt (Neufassung) KOM(2016) 861 endg.; Ratsdok. 15135/16 – zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Gründung einer Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit der Ener- gieregulierungsbehörden (Neufassung) KOM(2016) 863 endg.; Ratsdok. 15149/16 hier: Stellungnahme gemäß Protokoll Nr. 2 zum Vertrag von Lissabon (Grundsätze der Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprüfung) (Tagesordnungspunkt 26) . . . . . . . . . . . . . . . . 23044 D Thomas Bareiß (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 23045 A Barbara Lanzinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 23045 D Johann Saathoff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23046 D Dr . Nina Scheer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23047 B Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 XI Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . 23048 A Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23049 A Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Fahrlehrer- wesen und zur Änderung anderer straßenver- kehrsrechtlicher Vorschriften (Tagesordnungspunkt 27) . . . . . . . . . . . . . . . . 23050 C Karl Holmeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 23050 C Gero Storjohann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 23051 B Stefan Zierke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23052 C Thomas Lutze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 23053 D Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23054 C Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Neufas- sung des Gesetzes zur Regelung von Se- kundierungen im Rahmen von Einsätzen der zivilen Krisenprävention – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Abgeordneten Kathrin Vogler, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für eine aktive zivile Friedenspo- litik – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Zivile Krisenprävention und Frie- densförderung stärken – Neue Lösungsan- sätze erarbeiten und umsetzen – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Tom Koenigs, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: „Group of Friends“ für Konfliktprävention im Rahmen der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 28 a bis d) . . . . . . . . . . 23055 A Thorsten Frei (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 23055 B Dr . h . c . Edelgard Bulmahn (SPD) . . . . . . . . . 23057 A Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 23058 B Dr . Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23058 D Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Entlas- tung insbesondere der mittelständischen Wirt- schaft von Bürokratie (Zweites Bürokratieent- lastungsgesetz) (Zusatztagesordnungspunkt 4) . . . . . . . . . . . . 23059 B Helmut Nowak (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 23059 C Andrea Wicklein (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23060 D Michael Schlecht (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 23062 A Dr . Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23062 C Dirk Wiese, Parl . Staatssekretär BMWi . . . . . 23064 A Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Verfahren für die elektronische Abgabe von Meldungen für Schiffe im Seeverkehr über das Zentrale Meldeportal des Bundes und zur Änderung des IGV-Durchführungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 30) . . . . . . . . . . . . . . . . 23064 C Hans-Werner Kammer (CDU/CSU) . . . . . . . . 23064 C Dr . Birgit Malecha-Nissen (SPD) . . . . . . . . . . 23065 B Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 23065 D Dr . Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23066 C Enak Ferlemann, Parl . Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23067 A Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Eisenbahnunfalluntersuchung (Tagesordnungspunkt 31) . . . . . . . . . . . . . . . . 23067 D Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU) . . . . . . 23067 D Martin Burkert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23068 B Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 23069 B Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23069 C Enak Ferlemann, Parl . Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23070 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017XII Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zu dem Abkommen vom 19. Mai 2016 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Obersten Hauptquartier der Alliierten Mächte Europa zur Änderung des Abkommens vom 13. März 1967 zwischen der Bundesre- publik Deutschland und dem Obersten Haupt- quartier der Alliierten Mächte Europa über die besonderen Bedingungen für die Einrich- tung und den Betrieb internationaler militäri- scher Hauptquartiere in der Bundesrepublik Deutschland (Tagesordnungspunkt 32) . . . . . . . . . . . . . . . . 23071 A Dr . Mathias Edwin Höschel (CDU/CSU) . . . . 23071 B Karin Strenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 23071 D Matthias Ilgen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23072 C Dr . Alexander S . Neu (DIE LINKE) . . . . . . . . 23073 B Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23074 A Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Januar 2016 über Versicherungsvertrieb und zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes (Tagesordnungspunkt 33) . . . . . . . . . . . . . . . . 23074 C Astrid Grotelüschen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 23074 D Barbara Lanzinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 23075 C Marcus Held (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23076 A Susanna Karawanskij (DIE LINKE) . . . . . . . . 23076 D Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23077 C (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 22839 228. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 Beginn: 9.03 Uhr
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    2) Anlage 16 Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 23019 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 30.03.2017 Barthle, Norbert CDU/CSU 30.03.2017 Böhmer, Dr. Maria CDU/CSU 30.03.2017 Buchholz, Christine DIE LINKE 30.03.2017 Bülow, Marco SPD 30.03.2017 Dröge, Katharina * BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 30.03.2017 Flisek, Christian SPD 30.03.2017 Fuchtel, Hans-Joachim CDU/CSU 30.03.2017 Gehrcke, Wolfgang DIE LINKE 30.03.2017 Gohlke, Nicole DIE LINKE 30.03.2017 Gröhe, Hermann CDU/CSU 30.03.2017 Gunkel, Wolfgang SPD 30.03.2017 Hajek, Rainer CDU/CSU 30.03.2017 Hardt, Jürgen CDU/CSU 30.03.2017 Heller, Uda CDU/CSU 30.03.2017 Huber, Charles M. CDU/CSU 30.03.2017 Hüppe, Hubert CDU/CSU 30.03.2017 Jung, Andreas CDU/CSU 30.03.2017 Koenigs, Tom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 30.03.2017 Krüger, Dr. Hans-Ulrich SPD 30.03.2017 Merkel, Dr. Angela CDU/CSU 30.03.2017 Möhring, Cornelia DIE LINKE 30.03.2017 Mosblech, Volker CDU/CSU 30.03.2017 Nahles, Andrea SPD 30.03.2017 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Nouripour, Omid BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 30.03.2017 Petzold (Havelland), Harald DIE LINKE 30.03.2017 Rüthrich, Susann * SPD 30.03.2017 Schipanski, Tankred CDU/CSU 30.03.2017 Schmidt (Fürth), Christian CDU/CSU 30.03.2017 Schmidt (Ühlingen), Gabriele CDU/CSU 30.03.2017 Schmidt, Dr. Frithjof BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 30.03.2017 Stauche, Carola CDU/CSU 30.03.2017 Strebl, Matthäus CDU/CSU 30.03.2017 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 30.03.2017 Wagner, Doris BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 30.03.2017 Wöllert, Birgit DIE LINKE 30.03.2017 Woltmann, Barbara CDU/CSU 30.03.2017 Zech, Tobias CDU/CSU 30.03.2017 *aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ursula Groden-Kranich (CDU/ CSU) zu der Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurf eines Geset- zes zum Verbot des Betriebs lauter Güterwagen (Schienenlärmschutzgesetz – SchlärmschG) (Ta- gesordnungspunkt 5) Dem Entwurf eines Gesetzes zum Verbot des Betriebs lauter Güterwagen werde ich zustimmen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 201723020 (A) (C) (B) (D) Wir setzen damit ein – besonders für meinen Wahl- kreis – wichtiges Projekt des Koalitionsvertrages um. Die Anwohner im Mittelrheintal leiden seit vielen Jahren unter Schienenlärm, der insbesondere von Güterwagen verursacht wird. Der Deutsche Bundestag hat bereits in erheblichem Umfang finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt, um innovative Methoden des Lärmschutzes, angepasst an die besondere Topographie der Region, zu entwickeln und in der Praxis zu erproben. Mit dem nun- mehr vorliegenden Gesetz fügen wir dem Lärmschutz- konzept für das Mittelrheintal einen weiteren, wichtigen Baustein hinzu. Ab dem Fahrplanwechsel am 13. Dezember 2020 wird ein Schallemissionswert festgelegt, den nur leise Güterwagen einhalten können bzw. laute Güterwagen nur dann, wenn sie mit deutlich reduzierter Geschwin- digkeit fahren. Damit wird es wesentlich leiser auf den deutschen Schienenwegen. Der Betrieb lauter Güterzü- ge auf dem deutschen Schienennetz ist dann nur noch in Ausnahmefällen möglich. Diese Ausnahmefälle sind so konstruiert, dass sie den Betrieb lauter Güterwagen wirt- schaftlich unattraktiv machen und somit einen weiteren Anreiz zur Umrüstung oder Ausmusterung darstellen. Er- gänzend hierzu fördert der Bund schon heute die Umrüs- tung der Güterwagen auf lärmmindernde Bremstechnik. Natürlich dürfen wir in unseren Bemühungen um Lärmreduzierung jetzt nicht nachlassen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen müssen mit den technischen Neu- erungen Schritt halten. Dies bleibt eine Daueraufgabe – gerade zum Wohl der Menschen im Mittelrheintal. Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstimmung über den von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen (Tagesordnungspunkt 12 a) Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Der Deutsche Bundes- tag stimmt heute über den Entwurf des Gesetzes zur För- derung der Transparenz von Entgeltstrukturen ab. Ich stimme mit meiner Fraktion für den Gesetzent- wurf der Bundesregierung und gegen die Anträge von Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Linken. Immer noch verdienen Frauen im Durchschnitt 21 Pro- zent weniger als Männer. Auch wenn man he rausrechnet, dass sie häufiger in Teilzeit arbeiten, seltener in Füh- rungspositionen aufsteigen oder eher in sozialen Berufen mit geringeren Verdiensten tätig sind, verbleibt eine Lü- cke von durchschnittlich 7 Prozent. Wir haben uns bereits in der letzten Legislaturperiode unter anderem mit einem detaillierten Gesetzentwurf für die Beseitigung dieser Entgeltlücke eingesetzt und die Verabschiedung eines Gesetzes zur Lohngerechtigkeit 2013 zu Beginn dieser Wahlperiode im Koalitionsvertrag mit der Union vereinbart. Im Dezember 2015 hat das Bundesfamilienministe- rium dazu einen wirksamen Gesetzesentwurf vorgelegt, der von der Union fast ein Jahr lang blockiert wurde. Ich freue mich, dass es uns nun gelungen ist, die Uni- on vor dem Ende der Wahlperiode mit einem verschlank- ten Entwurf zum Einlenken zu bewegen und das Entgelt- gleichheitsgesetz doch noch zu verabschieden. Sicherlich hätten wir uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, genauso wie Gewerkschaften und Frauenverbände, mehr gewünscht. Vorgaben, wie zum Beispiel ein Verbandsklagerecht oder Verpflich- tungen zur Entgeltgleichheit für Unternehmen mit unter 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, halte auch ich für sinnvoll. Jedoch sehe ich im aktuellen Gesetzesentwurf einen ersten zentralen Schritt zu mehr Lohngerechtigkeit, der die Diskussion voranbringen wird und der auch eini- ge Chancen bietet. Denn wir sorgen dafür, dass in Deutschland durch das Gesetz mehr über „das Gehalt“ gesprochen wird und die Höhe des Verdienstes nicht mehr länger als Tabu gelten kann. Damit unterstützen wir das Ziel, zu Lohngleichheit bei gleicher und gleichwertiger Arbeit zwischen Män- nern und Frauen zu kommen. Hinzu kommt, dass Unternehmen nun die Möglichkeit haben, vorne mit dabei zu sein und bestehende Diskri- minierungen offensiv zu beheben. Damit kann Lohnge- rechtigkeit in Zukunft zu einem wichtigen Argument für Betriebe im Wettbewerb um gute Arbeitskräfte werden. Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) (CDU/CSU): Ich lehne das „Gesetz zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen“ ab. Der Beweis, dass die Lohndifferenz zwischen Män- nern und Frauen systematisch auf eine Diskriminierung von Frauen zurückzuführen ist, wurde nicht erbracht. Auch in der in diesem Zusammenhang oft zitierten Studie des Statistischen Bundesamtes (2006) wird darauf hin- gewiesen, dass auch die bereinigte Lohndifferenz nicht mit einer erwiesenen Diskriminierung gleichzusetzen ist. Unbezahlte Überstunden etwa, die in Deutschland nach einer Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschafts- forschung Halle (2012) mehr als doppelt so oft von Män- nern wie von Frauen geleistet werden, werden in keiner der einschlägigen Studien berücksichtigt. Man kann die Lohnlücke darauf zurückführen, dass Frauen „in traditionellen Rollenbildern verharren“, „glä- serne Decken nicht durchstoßen können“ oder in die „Teilzeitfalle gedrängt“ werden. Ich hingegen gehe da- von aus, dass Menschen in ihrem Leben Entscheidungen treffen, darüber, welchen Beruf sie ergreifen, welches Gewicht sie der Karriere einräumen und wie viel Zeit sie für ihre Familie haben möchten. Diese Entscheidungen, mit allen ihren jeweiligen Vor- und Nachteilen, hat der Staat nicht zu bewerten. Erst recht ist es nicht Aufgabe des Staates, den Versuch zu unternehmen, Menschen um- zuerziehen, damit sich männliche und weibliche Biogra- fien möglichst angleichen. Denn nur dann, wenn Männer und Frauen sich in der Wahl ihrer Ausbildungen und Stu- dienfächer, in der Länge ihrer beruflichen Auszeiten nach Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 23021 (A) (C) (B) (D) der Geburt eines Kindes, ihrer Bereitschaft, Teilzeit zu arbeiten, Unternehmen zu gründen und unbezahlte Über- stunden zu leisten, nicht mehr unterscheiden, wird sich rechnerisch keine Lohndifferenz mehr zwischen Frauen und Männern ergeben. Der vorliegende Gesetzentwurf zielt im Kern auf eine Angleichung männlicher und weiblicher Biografien ab. Er trägt dies auf dem Rücken von Unternehmen aus, die unter den Generalverdacht gestellt werden, ihre Mitar- beiterinnen grundlos schlechter zu entlohnen als ihre Mitarbeiter. Dass daran irgendetwas nicht stimmen kann, zeigt schon eine schlichte ökonomische Betrachtung: Wenn wirklich Frauen in Deutschland für die gleiche Arbeit bei gleicher Ausbildung, gleicher Erfahrung und gleichem Arbeitseinsatz sechs Prozent weniger Gehalt bekämen, warum kommen dann nicht mehr Unterneh- men auf die Idee, ausschließlich Frauen einzustellen, um so sechs Prozent Lohnkosten zu sparen? Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Norbert Müller (Potsdam), Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Beteiligung des Bundes am Wiederaufbau der Garnisonkirche Potsdam (Tagesordnungspunkt 21) Rüdiger Kruse (CDU/CSU): „Ja! Wir werden Tür- me haben, zum Beispiel einen Turm fürs Rathaus, einen Turm fürs Kulturhaus. Andere Türme können wir in der sozialistischen Stadt nicht gebrauchen“, so hat der SED- Chef Walter Ulbricht seine städtebaulichen Vorstellun- gen 1953 zum Ausdruck gebracht. Und das SED-Regime wurde dieser Ansage gerecht. Zwischen 1949 und 1985 wurden auf dem Gebiet der DDR ungefähr 50 Kirchen abgerissen oder gesprengt. Nach Einschätzung von Fachleuten hätten die meisten Kirchen gerettet werden können. Das Schicksal traf auch die Garnisonkirche von Potsdam. Walter Ulbricht hatte sich am 22. Juli 1967 vor einer Wahlkundgebung in Potsdam die Stadt angeschaut und beschlossen, dass der Turm der Garnisonkirche entfernt werden soll. Im Protokoll seines Besuches kann man seinen Satz lesen: „Die Ruine der Garnisonkirche kann man auch auf der Fotografie zeigen und sie verkaufen als Postkarten für Ausländer.“ Auch die Zeit der Sprengung – Sonntagvormittag um 10 Uhr – wurde bewusst auf die Zeit gesetzt, wo jede Woche traditionell die Gemeinde zum Gottesdienst zu- sammenkam. Bei mehreren anderen Kirchensprengun- gen verlief das nach gleichem Muster. Die Garnisonkirche von Potsdam ist kein Bau mit ei- ner einfachen Geschichte gewesen. Sie war mit der Zeit des preußischen Militarismus und noch mehr mit der des Nationalsozialismus bedauerlich eng verbunden. Sollten die Gebäude aber dafür haften, was in ihnen passiert ist, würden wir wegen des dann notwendigen Abreißens un- sere Städte nicht wiedererkennen. Doch dem ist nicht so. Wir haben vielmehr die Mög- lichkeit, durch das Erhaltene oder auch das Wiederauf- gebaute nicht zu vergessen und daraus zu lernen. Dieje- nigen, die sagen, dass auch Bronzetafeln diesen Zweck erfüllen können, müssen sich fragen lassen: Wie wenig lebendig ist denn die Erinnerung durch eine Tafel im Ver- gleich zu einem Kirchenturmbau mit einer Kapelle, unter dessen Dach Aufarbeitung stattfindet und Versöhnung an Kraft gewinnt? Nur wer sich eigener Geschichte stellt, kann versöhnt in die Zukunft blicken. Oft wird dies auf die Aufarbei- tung der großen tragischen Kriegsereignisse des 20. Jahr- hunderts bezogen. Und es stimmt auch. Allerdings gilt es auch für jeden einzelnen Menschen, in dessen Inneren nicht immer nur das Gute waltet. Die wiederaufgebaute Garnisonkirche wird insofern nicht nur ein Erinnerungs- ort sein, sondern auch als Besinnungsort dienen können. Denn Versöhnung zwischen den Völkern steht und fällt mit der Fähigkeit zu friedvoller Verständigung ihrer ein- zelnen Glieder – der einzelnen Menschen. Auch für die Linkspartei bietet die Garnisonkirche die Chance, sich mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen und diese anzunehmen. Hier sehe ich die versöhnliche Rolle der wiederaufzu- bauenden Garnisonkirche. Der Erfolg des Projektes wird nicht daran gemessen, ob die letzte Barockverzierung ih- ren Platz an der Fassade findet, sondern daran, ob hier Menschen zueinanderfinden werden und sich aufrichtig der Geschichte stellen. Der Turm der Garnisonkirche wird auch in der finanzi- ell kleineren Variante mit allen Räumlichkeiten und Aus- sichtsplattform nutzbar sein. Die inhaltliche Arbeit wird unabhängig von der Fassadengestaltung vollständig und ohne Einschränkungen stattfinden können. Daher war es richtig, dass wir hier im Deutschen Bun- destag vor einigen Wochen die Unterstützung für das Projekt signalisiert haben. Dies war das entscheidende Signal, das den Start dieses wichtigen Bauvorhabens demnächst ermöglicht. Dr. Philipp Lengsfeld (CDU/CSU): Es ist eine wirk- lich schöne Nachricht, dass der Turm der Garnisonkirche in Potsdam nun wieder errichtet wird. So sehr ich es be- grüße, dass wir uns im Deutschen Bundestag mit dem Thema noch einmal befassen, so sehr bedaure ich, dass die Linkspartei weiterhin gegen dieses Projekt kämpft. Ich registriere zwar, dass sich der Tonfall in den Reihen der Linkspartei insgesamt gemäßigt hat, aber dies ändert am Grundsätzlichen leider nichts. Die Linkspartei ver- passt – mal wieder – die Gelegenheit, ein Zeichen der Versöhnung zu senden. Sie ist und bleibt die Partei der Spaltung, sei es in Potsdam oder anderswo. Hauptziel des Wiederaufbaus des Turms der Gar- nisonkirche ist die Wiederherstellung eines barocken, stadtprägenden kirchlichen Prunkstücks, dessen kultu- relle Bedeutung weit über Potsdam hinausreicht. Und da hat sich die Diskussion in Potsdam doch stark beruhigt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 201723022 (A) (C) (B) (D) Der Landtag arbeitet im wiedererstandenen Schloss, das Interhotel kann weiterhin mit schönstem Blick, in bester Innenstadtlage und mit Geschichten aus der alten Zeit Gäste beherbergen, und sogar das Rechenzentrum mit seiner sozialistischen Kitschkunst hat seinen Platz neben dem Kirchturm. Darüber hinaus geht es auch um die Wiederbelebung einer ehemals aktiven christlichen Gemeinde, ein nicht zu unterschätzender Punkt. Deshalb hat das Projekt ja eine so breite Zustimmung innerhalb der EKD, trotz des lautstarken Protests einer kleinen innerkirchlichen Min- derheit. In den Kirchen der Reformation lebt eben eine tief demokratische Tradition. Und auch die Diskussion um den geschichtlichen Symbolismus hat sich doch stark versachlicht. Hier muss insbesondere die Wiederaufbauinitiative ausdrücklich gelobt werden: Die problematischen Kapitel der Kir- che – Stichwort „Tag von Potsdam“ oder „preußische Militärkirche“ – werden offensiv und damit nachhaltig aufgegriffen. Eigentlich könnten wir uns alle sehr einvernehmlich hinter dieses Projekt stellen. Aber das scheint ja leider für die Linkspartei keine Option zu sein. Stattdessen führt sie wie die anderen verbliebenen Gegner des Pro- jekts bewusst oder unbewusst das Werk der SED fort. Die Sprengung des nur mittelmäßig beschädigten markanten Kirchturms und die Beseitigung einer aktiven Gemein- de – es gab eine Kapelle – war und ist durch nichts zu rechtfertigen. Und es ging nicht nur um die Garnisonkir- che, sondern um die Bekämpfung des religiösen Lebens und religiöser Bauten in Ostdeutschland insgesamt. Das war damals das Ziel der Kampagne von Walter Ulbricht und der SED, dem neben der Garnisonkirche Potsdam viele weitere Kirchen in Ostdeutschland zum Opfer fielen. In Summe waren es bis 1968 satte 50 Gebäude, darunter die vollkommen intakte Universitätskirche Leipzig, die Ulrichskirche in Magdeburg oder die Gna- denkirche Berlin. Dieses Vorgehen reihte sich ein in die Unterdrückung der Jungen Gemeinden in den ersten Jahrzehnten der DDR und der schulischen, beruflichen und akademischen Benachteiligung von getauften Kin- dern, insbesondere von Kindern aus Pfarrerfamilien. Es ist für mich schon eine ganz bittere Ironie, dass eine geschichtsvergessene Enkelgeneration mit überborden- dem Selbstbewusstsein den ideologischen Feldzug ihrer Funktionärsgroßeltern weiterführt. Um versöhnlich zu enden: Auf der exzellenten und sehr sachlichen Webseite Kirchensprengung.de von Dr. Tobias Köppe aus Magdeburg, einem plastischen Chirurgen und Vorsitzenden des Kuratoriums Ulrichskir- che Magdeburg, werden die ganzen großen und kleinen Barbareien der SED-Kampagne aufgelistet. An einigen zentralen Punkten hat es schon versöhnende Neuanfänge geben; prominentestes Beispiel ist der Kompromiss bei der Universitätskirche in Leipzig. Der Wiederaufbau des Garnisonkirchenturms in Potsdam reiht sich in diese po- sitive Geschichte ein. Darüber freue ich mich sehr. Johannes Kahrs (SPD): März 2017: Ein amerika- nischer Präsident verweigert der deutschen Bundeskanz- lerin den Handschlag vor laufenden Kameras – ein sehr ungewöhnlicher, unhöflicher und symbolträchtiger Vor- gang. März 1933: Ein deutscher Präsident reicht dem deut- schen Reichskanzler Adolf Hitler auf den Stufen der Gar- nisonkirche die Hand – ein Bild wird zum Symbol. Beide Vorgänge stehen selbstredend in keinem politi- schen oder zeitlichen Zusammenhang, verraten uns aber viel über die Macht der Bilder, und sie verdeutlichen, wie Bilder instrumentalisiert werden können. Leider entstand kein Bild im März des Jahres 1809, als in Potsdam der erste freigewählte Magistrat zusam- mentrat und im selben Jahr in der Potsdamer Garnison- kirche feierlich vereidigt wurde – ein historischer Mo- ment für die Stadt Potsdam und dennoch weitestgehend vergessen. Die Linke ist offenbar der Meinung – anders erklärt sich ihr Antrag nicht –, dass wir der Geschichtsklitterung der Nationalsozialisten, die sich um den sogenannten „Tag von Potsdam“ rangt, nichts entgegenzusetzen ha- ben. Dieser Meinung bin ich explizit nicht. Die Potsdamer Garnisonkirche ist weit mehr als das Symbol, das die Nationalsozialisten daraus gern ma- chen wollten, und ich weigere mich, ihnen darin die Deutungshoheit zu überlassen. Die Kirche gilt als der bedeutendste Sakralbau des barocken Preußens und war das Wahrzeichen Potsdams. Sie prägte das Stadtbild. Sie ist Motor für jahrelanges bürgerschaftliches Engagement und nicht zuletzt für kontroverse Debatten, von denen unsere Demokratie ja bekanntlich lebt. Ich glaube, dass es deshalb wichtig und richtig ist, die Kirche wieder aufzubauen. Einer der prominentesten Un- terstützer des Wiederaufbaus, Günther Jauch, sagte, man brauche diese „authentischen Orte, um uns an die Viel- schichtigkeit unserer Geschichte zu erinnern und unsere Lehren daraus zu ziehen ... Dort, wo nichts mehr steht, wird auch nach nichts gefragt.“ Und er hat recht. Denn es gibt ja einen guten Grund, warum wir selbst die ultimativsten Orte des Bösen, die Konzentrationslager der Nazis, als Gedenkstätten erhal- ten haben. Sie sind Teil unserer Geschichte, und die darf nicht in Vergessenheit geraten. Und wenn das wahr ist, dann gilt das mindestens ge- nauso für Orte, die die Nazis für sich vereinnahmen woll- ten, obwohl deren Geschichte in Wahrheit weit mehr ist. Deshalb ist es richtig, dass mit dem Wiederaufbau der Kirche ein Ort für Frieden und Versöhnung geschaffen werden soll, der die vielschichtige Vergangenheit des Or- tes nicht leugnet, sondern sie richtig einordnet. Der Stiftung „Garnisonkirche“ wurden 12 Millionen Euro des Bundes zugesagt, wenn die restlichen Mittel für den Wiederaufbau des Turms durch Spenden gesi- chert seien. Nach Informationen der Stiftung betragen die Spenden nach heutigem Stand 9,1 Millionen Euro. Weitere 5 Millionen Euro sollen durch ein zinsfreies Dar- lehen der evangelischen Kirche bereitgestellt werden. Die Stiftung bittet den Bund nun, für 26,1 Millionen Euro zunächst eine reduzierte Version des Turms bauen http://www.kirchensprengung.de Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 23023 (A) (C) (B) (D) zu dürfen. Damit verbindet sich die berechtigte Hoff- nung, dass das Spendenaufkommen weiter steigt, sobald für die Menschen etwas Greifbares zu sehen ist. In einer zweiten Stufe könnte dann der Turm inklusive Turmhau- be, Glocken, Glockenspiel und einem Teil der Schmuck- fassade wiederhergestellt werden. Die zuständigen Berichterstatter der Koalition haben dem zugestimmt. Sie haben aber auch klargestellt, dass der Bund sich an der zweiten Bauphase nicht noch ein- mal beteiligen wird. Die Bundesbeauftrage für Kultur und Medien hat die Aufgabe, den Bau zu begleiten, und ich habe Vertrauen darin, dass das Projekt in Kooperation mit der Stadt Potsdam und der Stiftung „Garnisonkirche“ zu einem guten Ende geführt wird. Hiltrud Lotze (SPD): Die Garnisonkirche blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück. Berühmte Preu- ßenkönige wurden in der Gruft der Garnisonkirche bei- gesetzt; berühmte Musiker wie Johann Sebastian Bach spielten in der Kirche auf der Orgel. Auch Demokratie- feinden hat die Garnisonkirche immer wieder eine Büh- ne geboten. Bereits in der Weimarer Republik war sie Kundgebungsort für rechtsgerichtete Organisationen. Im Nationalsozialismus avancierte die Kirche zu einer der wichtigsten Stätten der Nazis, insbesondere am „Tag von Potsdam“. 1945 wurde die Kirche dann durch Bomben- angriffe schwer beschädigt und in der DDR endgültig gesprengt. Dass die Garnisonkirche bis 1945 vor allem für Mi- litarismus und Demokratiefeindlichkeit stand, ist un- umstritten. Die Garnisonkirche aufzubauen, ohne daran zu erinnern, ist ausgeschlossen. Da gebe ich der Linken recht. Die Linke schreibt jedoch in ihrem Antrag, der Wie- deraufbau der Garnisonkirche sei ein falsches politisches Signal. Das sehe ich anders. Nach dieser Logik hätte man auch das Brandenburger Tor nach dem Zweiten Weltkrieg nicht instand setzen dürfen. Es ist ja nicht das Bauwerk an sich, das verantwortlich ist für die nationalsozialisti- sche Vereinnahmung, sondern es sind die dort handeln- den Akteure und ihre Taten. Deswegen kommt es heute darauf an, welches Konzept hinter dem Wiederaufbau steht. Eine unkritische Rekonstruktion des Vergangenen darf es nicht geben. Darum geht es der Stiftung „Garnisonkirche Potsdam“ aber auch nicht. Das haben mir Gespräche gezeigt. Die Stiftung leugnet die Vergangenheit nicht, sondern greift sie auf. Die wiederaufgebaute Garnisonkirche plant sie als Zentrum für Frieden und Versöhnung. Sie soll eine Bürgerkirche und ein offener Ort für alle Menschen in Potsdam sein. Das spiegeln auch die offene Bauweise wi- der und die Pläne für die Aussichtsplattform. Es gibt noch einen weiteren Punkt, weswegen der Wiederaufbau unterstützenswert ist: Die Garnisonkirche war einer der schönsten barocken Kirchenbauten aus der Zeit Preußens. Städtebaulich und architektonisch würde die Garnisonkirche die historische Mitte Potsdams her- vorragend ergänzen. Mittlerweile ist auch die Finanzierung geklärt. Die Variante mit der reduzierten Version des Turmes ist eine gute Lösung. Die Haushälter haben die BKM darum ge- beten, auch in Zukunft auf dem aktuellen Stand der Fi- nanzierung gehalten zu werden. Sie werden also weiter- hin ein Auge auf dieses Projekt haben. Das gilt auch für uns Kulturpolitiker. Die Garnisonkirche ist kein „normales“ Wiederauf- bauprojekt. Wir als SPD stehen zu der Förderung durch den Bund. Aber die ist an Bedingungen geknüpft, und dazu gehört für mich der kritische Umgang mit der Ge- schichte. Ich werde das Projekt dementsprechend weiter beglei- ten. Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): Wie kaum ein anderes Bauwerk stand die Potsdamer Garnisonkir- che für den preußischen und deutschen Militarismus und Nationalismus. Sie war die Hof- und Militärkirche Preu- ßens. Militärs ließen hier ihre Kriegszüge segnen und feierten anschließend eben hier ihre Siege. So war die Garnisonkirche Symbol der militärischen Stärke und des Herrschaftsanspruches Preußens. Auch im Ersten Welt- krieg wurde hier in Predigten und Gebeten zum Krieg aufgerufen, und die ins Feld ziehenden Soldaten wurden hier gesegnet. So ist es kaum verwunderlich, dass sich die Garnison- kirche in der Zwischenkriegszeit schnell zum Pilgerort all jener deutschnationalen, revisionistischen und reak- tionären Kräfte entwickelte, die vor allem eines im Sinn hatten: die schnellstmögliche Beseitigung der Weimarer Republik. Der sogenannte „Tag von Potsdam“, der mit dem öffentlichen Schulterschluss zwischen konservati- ven Eliten und Nationalsozialisten das Ende der Weima- rer Republik besiegelte, war da nur noch das Tüpfelchen auf dem i. Festzuhalten ist: Die Potsdamer Garnisonkirche stand wie kaum ein anderes Gebäude für die lange Traditions- linie des preußisch-deutschen Militarismus und Nationa- lismus, die letztendlich in den unvergleichlichen Verbre- chen des Zweiten Weltkrieges mündete. Und festzuhalten ist auch: Eine neuaufgebaute Kopie der Potsdamer Gar- nisonkirche würde genauso für ebenjene unsägliche Tra- ditionslinie stehen. Da ist es ganz egal, ob in diesem Ge- bäude dann auch ein sogenanntes Versöhnungszentrum Platz findet oder nicht. Der Bau der Garnisonkirchenkopie wäre aber nicht nur unter historischen Gesichtspunkten ein riesiger Feh- ler, auch aus städtebaulicher Sicht würde mit dem Baube- ginn ein großes Risiko eingegangen werden. Wenn vom „Wiederaufbau der Garnisonkirche“ gesprochen wird, meint dies ja schon lange nicht mehr den Nachbau der kompletten Kirche. Schließlich wissen auch die Befür- worter und Befürworterinnen, dass es völlig aussichtlos ist, die finanziellen Mittel für die gesamte Kirche inklu- sive Schiff zusammenzubekommen. Stattdessen geht es nur noch um den Bau des Turms. Da es aber offenbar schwierig ist, selbst hierfür die entsprechenden Gelder zu akquirieren, will die Garnisonkirchenstiftung zunächst mit dem Bau des Turmrumpfes ohne Zierrat und Turm- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 201723024 (A) (C) (B) (D) haube beginnen, und das, obwohl der Bau auf wunder- same Weise in den langen Jahren der Planung nach An- gaben der Stiftung immer billiger geworden ist und sich dabei die anvisierte Bauzeit auch noch ständig verkürzt hat. Ich möchte, wenn ich mir andere Bauprojekte so an- schaue, ja schon fast von einem Hauch göttlichen Segens für die Garnisonkirchenkopie sprechen. Nun Spaß beiseite: Tatsächlich setzen die Befürwor- terinnen und Befürworter vor allem auf eines: auf Spe- kulation, die Spekulation nämlich, die restlichen Gelder für den Bau des gesamten Turmes würden im Laufe des Baugeschehens schon noch irgendwie zusammenkom- men. Was hierdurch droht, ist offensichtlich: eine riesige Bauruine mitten in Potsdams Zentrum. Wenn der Bund nun tatsächlich 12 Millionen Euro für die Garnisonkirchenkopie bereitstellen sollte, dann ist das erinnerungs- und geschichtspolitisch also nicht nur völlig daneben, sondern auch noch aus städtebaulichen sowie haushalterischen Erwägungen im höchsten Maße unvernünftig. Daher werbe ich für die Zustimmung für unseren An- trag. Lassen Sie uns das Kapitel Garnisonkirche ein für alle Mal beenden! Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): „Stadt trifft Kirche“ ist das Motto des Potsdamer Beitrags zum Reformationsjubiläum. Auf eine Potsda- mer Kirche – und um die geht es hier heute Abend – trifft das Motto aber leider nicht so ganz zu: die Potsdamer Garnisionkirche bzw. das, was davon noch übrig ist. Hier müsste das Motto eher heißen: Stadt streitet über Kirche. In der einstigen Hof- und Militärkirche Preußens fand am 21. März 1933 – nach dem Reichstagsbrand –, beglei- tet von Protesten der Kirchenleitung, der Festakt zur kon- stituierenden Sitzung des Reichstages statt. Den dortigen Handschlag Adolf Hiltlers mit dem Reichspräsidenten Paul von Hindenburg nutzten die Nationalsozialisten, um das Ereignis zum „Tag von Potsdam“ zu überhöhen, was wiederum in der DDR dazu genutzt wurde, die Kirche als angebliches Symbol des deutschen Militarismus spren- gen zu lassen. Ob die Kirchengemeinde nach 1933 besonders rechts und linientreu gewesen ist, darüber gibt es unterschied- liche Quellen. Und daher halte ich auch den Feststel- lungsteil des Linkenantrags, über den wir hier heute abstimmen, für sachlich nicht angemessen. In anderen Potsdamer Kirchen soll im Gegensatz zur Garnisonkir- che „Mein Kampf“ auf dem Altar neben der Bibel gele- gen haben. Mit dem NS-Regime verbundene Pfarrer sol- len sich eher über die mangelnde Linientreue innerhalb der Garnisonkirchengemeinde beschwert haben. Adolf Hitler war zwei Stunden in der Garnisonkirche. Aus der gleichen Kirchgemeinde sind aber mehr als zwanzig Männer und Frauen hingerichtet worden, weil sie gegen Hitler waren. Was meine Fraktion und ich aber definitiv unterstüt- zen, ist die Forderung des Linkenantrags, dass der Bund sich nicht finanziell an dem Wiederaufbau beteiligen soll. Wir werden daher trotz einiger für uns kritischer Formu- lierungen im Feststellungsteil dem Antrag der Linken insgesamt zustimmen. Einer privaten Aufbauinitiative, die sich kritisch der Geschichte des Bauwerks stellt, stehen wir nicht im Wege. Aber wir sehen keine Veranlassung zu öffentlicher Förderung in Millionenhöhe von einem Streitobjekt, zu- mal Potsdam weder einen Mangel an Kirchen noch an historischen Bauwerken hat und die Stiftung Garnison- kirche 2008 zu Beginn ihrer Arbeit für den Wiederaufbau versicherte, ausschließlich Spendengelder für den Wie- deraufbau einzuwerben. In diesem Sinne kann ich nur an die Worte des ehe- maligen obersten Brandenburgischen Denkmalschüt- zers Detlef Karg erinnern, der im Februar 2012 zu dem geplanten Bau sagte, es sei „nicht Aufgabe der Denk- malpflege, einen verlorenen Bau wieder aufzurichten. … Wenn man in Potsdam am alten Standort eine Kirche bauen will, kann man das auch in der heutigen Architek- tursprache tun.“ Er verwies in seiner Kritik, an die Ad- resse der Evangelischen Kirche gerichtet, insbesondere darauf, dass im Land Brandenburg 1 164 Dorfkirchen und 700 Stadtpfarrkirchen in ihrer Bausubstanz ernsthaft gefährdet seien. Ich habe etliche dieser Dorfkirchen be- sucht und bin überzeugt, dass ihr Erhalt für das Gemein- wohl weitaus wichtiger wäre. Was diesen lokalen Kirchenneubau gegenüber ande- ren Projekten so national bedeutsam macht, dass dafür Millionenbeträge aus dem Kulturhaushalt des Bundes bereitgestellt werden, ist meiner Fraktion jedenfalls ver- schlossen geblieben. Wir könnten viele andere Kultur- projekte nennen, die das Geld aus unserer Sicht dringen- der bräuchten. An anderer Stelle im Land Brandenburg wie zum Beispiel in Frankfurt/Oder kann die dortige Kommune die für die Sanierung ihrer Konzerthalle not- wendigen 5,2 Millionen Euro einfach nicht aufbringen. Dabei ist sie die Spielstätte des international anerkannten Brandenburgischen Staatsorchesters und die ehemalige Kirche des 1270 errichteten früheren Franziskanerklos- ters. Unsere Ablehnung der öffentlichen Förderung bedeu- tet jedoch nicht, dass wir das Anliegen der Nagelkreuz- gemeinschaft, wovon das Garnisonkirchen-Projekt seit 2004 Mitglied ist, nicht auch als Grüne teilen würden. Die Ziele der weltweiten Nagelkreuzgemeinschaft lau- ten neben der Aussöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg: Wunden der Geschichte heilen, mit Verschiedenheiten leben und die Vielfalt feiern, an einer Kultur des Frie- dens bauen. Allein in Deutschland sind das 63 Orte in 49 Städten. Aus unserer Sicht muss sich das Neubauprojekt dann aber auch kritisch mit der militärisch geprägten Ge- schichte des Bauwerks auseinandersetzen und einen kla- ren Schnitt vollziehen. Der Potsdamer Historiker Martin Sabrow, Direktor des Zentrums für Zeithistorische For- schung, formulierte treffend, dass „das Projekt zum Wiederaufbau der Kirche nur dann seine Realisierungs- chance wird nutzen können, wenn es die feine Trennlinie zwischen Mythos und Erinnerungsort nicht überschreitet und immer wieder deutlich macht, dass es darum geht, https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_von_Hindenburg https://de.wikipedia.org/wiki/Tag_von_Potsdam Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 23025 (A) (C) (B) (D) das Zeugnis der Vergangenheit zu restaurieren, nicht aber die Vergangenheit selbst“. Ob diese Trennlinie tatsächlich gewahrt wird, da ha- ben wir bisher jedoch Zweifel. Warum ist in der Baupla- nung das Nagelkreuz von Coventry als Versöhnungszei- chen von der alten Wetterfahne mit preußischem Adler und anderen Herrscherinsignien verdrängt worden? Wa- rum wurde das „Internationale Versöhnungszentrum“ aus dem Nutzungskonzept gestrichen? Auch ein ausgearbei- tetes inhaltliches Konzept zur geplanten Versöhnungsar- beit ist nicht bekannt. Als Nagelkreuzgemeinde darf der Kirchenneubau aus unserer Sicht zudem nicht wieder zum Ort für Soldaten- segnungen werden; denn dann bestünde eine Kontinuität zum Vorgängerbau aus Kaiserzeiten, die wir alle nicht wollen. Viele Christen könnten die Kirche dann zu Recht nicht als die ihre betrachten. Soldaten als Einzelpersonen und in Zivil sollten willkommen sein, aber keine militä- rischen Formationen. Die Tatsache, dass auch dies alles nicht geklärt ist, unterstreicht für uns, wie falsch es ist, nun öffentliche Gelder fließen zu lassen. Doch die Stiftung steht unter Druck: Da die Baugenehmigung für den Turm Ende 2018 abläuft, muss das Bauwerk nach brandenburgischem Baurecht spätestens ein Jahr später fertiggestellt sein. Ob diese Kirche so die Stadt trifft, ist mehr als fraglich. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines zweiten Gesetzes zur Novellie- rung von Finanzmarktvorschriften auf Grund europäischer Rechtsakte (Zweites Finanz- marktnovellierungsgesetz – 2. FiMaNoG) – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeord- neten Uwe Kekeritz, Dr. Gerhard Schick, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: zu dem Vorschlag für eine Delegierte Verordnung der Kommission zur Ergänzung der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates durch technische Regulierungsstandards für die An- wendung von Positionslimits für Warenderivate K(2016)4362 endg.; Ratsdok. 15163/16 hier: Stellungnahme des Deutschen Bundesta- ges gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grund- gesetzes i. V. m. § 8 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegen- heiten der Europäischen Union Nahrungsmittelspekulationen stoppen – Kommis- sionsvorschlag zurückweisen – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Susanna Karawanskij, Klaus Ernst, Jutta Krellmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Finanzaufsicht nach Anlagepleiten zum Schutz von Verbraucher- interessen stärken (Tagesordnungspunkt 22 a bis c) Matthias Hauer (CDU/CSU): Mit der abschließen- den Beratung des Zweiten Finanzmarktnovellierungsge- setzes verankern wir die Finanzmarktrichtlinie MiFID II, die dazugehörige Verordnung MiFIR sowie weitere europäische Rechtsakte – die SFT-Verordnung und die Benchmark-Verordnung – im deutschen Recht. Bei den europäischen Vorgaben handelt es sich um umfangreiche Modernisierungen und Überarbeitungen bestehender Regelungen, in die viele Erfahrungen, die wir in der Folge der Finanzkrise ab 2007 gesammelt ha- ben, eingeflossen sind. Das nun zu beschließende deut- sche Umsetzungsgesetz wie auch die zugrunde liegenden europäischen Rechtsakte verfolgen das Ziel, die Märkte zu stabilisieren, die Anfälligkeit für neue Finanzkrisen zu reduzieren und den Anlegerschutz zu erhöhen. Wir von der Union begrüßen, dass es sich bei dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf wei- testgehend um eine Eins-zu-eins-Umsetzung der euro- päischen Vorgaben handelt. So wird sichergestellt, dass EU-weit ein einheitlicher Rechtsrahmen gilt. Gleichzei- tig steht dadurch aber auch fest, dass der Gestaltungs- spielraum für den nationalen Gesetzgeber gering ist. Die parlamentarischen Beratungen haben wir daher vor allem dazu genutzt, dort, wo es geboten und möglich war, Er- gänzungen und Klarstellungen vorzunehmen. Erfreulich ist, dass wir das Gesetzgebungsverfahren zudem dazu nutzen konnten, auf Initiative der Union Verbesserungen in der Aktienberatung vorzunehmen. Wir kommen damit einen guten Schritt voran – für mehr und verständlichere Beratung in Aktien. Die Änderungen betreffen Aktien, die an organisierten Märkten gehandelt werden. Derzeit müssen Berater Hunderte individuali- sierte Produktinformationsblätter vorhalten, wenn sie Aktienberatung anbieten wollen. Diese Produktinfor- mationsblätter werden wir nun standardisieren. Die der- zeitige Regelung ist für Anlageberater und Verbraucher gleichermaßen unbefriedigend, da sie auf der einen Seite zu höheren Kosten sowie mehr Bürokratie führt und auf der anderen Seite keinen Mehrwert für den Verbraucher bietet. Wir mussten sogar einen Rückgang in der Aktien- beratung feststellen, weil sich vor allem kleinere Institute wegen des hohen bürokratischen Aufwands aus der Akti- enberatung zurückgezogen haben. Wir brauchen in Deutschland aber mehr statt weniger Aktienkultur. Deshalb gehen wir das Thema mit dem Gesetzentwurf an. Wir beseitigen damit Bürokratie und sorgen für mehr Verbraucherschutz. Künftig wird es die Option geben, individuelle Informationsblätter durch ein einheitliches Informationsblatt zu ersetzen, welches die Gattung Aktie beschreibt. Das wird den Bankkundinnen und Bankkunden – gerade in der aktuellen Niedrigzins- phase – zugutekommen und die Aktienkultur in Deutsch- land stärken. Bei der Formulierung des standardisierten Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 201723026 (A) (C) (B) (D) Aktieninformationsblattes wird es auf Initiative der Uni- on neben einer Einbeziehung von Vertreterinnen und Ver- tretern aus Kreditwirtschaft und Verbraucherschutz auch eine Unterstützung durch die Gesellschaft für deutsche Sprache geben. Das stellt die Verständlichkeit und Trans- parenz sowie eine praxistaugliche Ausgestaltung sicher. Auch beim Beratungsprotokoll gibt es nun Änderun- gen. Dieses sorgte seit seiner Einführung 2010 für großen bürokratischen Aufwand und oft sogar für zusätzlichen Streit zwischen Anlegern und Anlageberatern. Das Be- ratungsprotokoll wird nun durch die sogenannte Geeig- netheitserklärung ersetzt. Darin muss der Anlageberater künftig schriftlich erklären, aus welchen Gründen er dem Kunden ein Finanzprodukt empfiehlt. Die bislang vorgeschriebene bürokratische Protokollierung der Bera- tungsgespräche entfällt. Die Erfahrungen mit dem Bera- tungsprotokoll haben uns zudem veranlasst, das Bundes- ministerium der Finanzen zu bitten, bis Ende 2020 die praktischen Erfahrungen mit der Geeignetheitserklärung im Hinblick darauf zu evaluieren, ob eine stärkere Stan- dardisierung angebracht ist. Darüber hinaus haben wir das Ministerium gebeten, sich auf europäischer Ebene für Lösungen für die mit der Gesetzesnovelle einhergehenden besonderen Proble- me im Telefonordergeschäft und bei den Förderbanken einzusetzen, da in diesen Fällen dem nationalen Gesetz- geber durch die europäischen Vorgaben weitgehend die Hände gebunden sind. Abschließend möchte ich noch kurz auf die ebenfalls zur Debatte stehenden Anträge der Opposition eingehen. Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen befasst sich mit dem Thema Nahrungsmittelspekulationen. Sie fordern darin die Bundesregierung auf, einen Vorschlag der Eu- ropäischen Kommission zurückzuweisen. Der Antrag ist allein schon deshalb abzulehnen, weil die Aufforderung an die Bundesregierung ins Leere läuft, da der Vorschlag der Kommission auf europäischer Ebene bereits be- schlossen ist. Wir, CDU und CSU, gehen klar gegen Nahrungsmit- telspekulationen vor. Die europäischen Vorgaben bilden dafür einen guten Rahmen. Über die auf nationaler Ebe- ne zuständige Bundesanstalt für Finanzdienstleistungs- aufsicht wollen wir als Koalition erreichen, dass bei der Festlegung von Positionslimits in Bezug auf Nah- rungsderivate strenge Maßstäbe angelegt werden – ge- rade um der Entstehung monopolistischer Strukturen an den Nahrungsmittelderivatemärkten entgegenzuwirken. Damit bekämpfen wir Nahrungsmittelspekulationen in Deutschland. Auch der Antrag der Linken schießt weit über das Ziel hinaus. Insbesondere verkennt die Linke darin die Auf- gaben einer Aufsichtsbehörde. Sie will die Grenze zur Zuständigkeit von Zivilgerichten verwischen. Das leh- nen wir ab. Zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens bedan- ke ich mich bei meinen Berichterstatterkollegen, Herrn Staatssekretär Dr. Meister sowie den zuständigen Fach- beamten des Bundesministeriums der Finanzen für die gute und konstruktive Zusammenarbeit. Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Das Zweite Finanz- marktnovellierungsgesetz ist ein weiterer Schritt zur Aufarbeitung der Finanzkrise, zur Verhinderung weiterer Verwerfungen und zu mehr Anlegerschutz. Mit diesem Gesetzentwurf werden die Rechtsakte des europäischen Gesetzgebers nachvollzogen und in das deutsche Recht umgesetzt. Der Deutsche Bundestag hat bereits in der laufenden Legislaturperiode mit dem Ersten Finanzmarktnovellie- rungsgesetz auf die Folgen der Finanzkrise reagiert. Es ist erklärtes Ziel, die Transparenz und Integrität der Finanz- märkte zu stärken. Die Finanzkrise ab dem Jahr 2008 hat uns gezeigt, dass die Märkte nicht ausreichend reguliert waren. Die unmittelbar spürbare Folge der Finanzkrise war der Vermögensverlust vieler Anleger. Das Vertrauen der Verbraucher in Geldanlagen und in die Finanzbran- che wurde nachhaltig erschüttert. Der Zweite Finanzmarktnovellierungsgesetz stellt den Anlegerschutz, regulierte Märkte, Informationspflichten und eine Stärkung der Aufsichtsbefugnisse in den Vor- dergrund. Die Finanzmarktrichtlinie MiFID II und die dazugehörigen Finanzmarktverordnung MiFIR stellen das regulatorische Rahmenwerk in der Europäischen Union dar. Die MiFID II ist die Grundlage für das Wert- papiergeschäft in Europa mit Verhaltens- und Organisa- tionspflichten von Wertpapierdienstleistungsunterneh- men. Im nationalen Recht werden sich diese Vorgaben im Wertpapierhandelsgesetz, im Kreditwesengesetz, im Börsengesetz, im Kapitalanlagegesetzbuch und im Ver- sicherungsaufsichtsgesetz widerspiegeln. Hervorzuhe- ben ist eine Eins-zu-eins-Umsetzung der europäischen Vorgaben, sodass ein einheitlicher Rechtsrahmen in den verschiedenen nationalen Rechtsordnungen geschaffen wird. Jetzt muss der Anlegerschutz dokumentieren, dass das Produkt für den Anleger geeignet ist. Das ist ein Fort- schritt für den Anlegerschutz. Dieser Gesetzentwurf ist auch eine Antwort auf Al- leingänge einzelner Staaten innerhalb der Europäischen Union. Mit der Harmonisierung der Vorschriften werden wirksame Instrumente für transparentere Finanzmärkte geschaffen. Die grenzüberschreitenden Finanzmärkte sind ein gutes Beispiel, weshalb mehr Zusammenarbeit in Europa notwendig ist. Mit diesem Gesetz wird nicht zuletzt bezweckt, eine gemeinsame Stabilisierung zu erreichen und die Anfälligkeit für neue Finanzkrisen zu reduzieren. Der Anlegerschutz ist mir ein persönliches Anliegen, weshalb ich einen Punkt herausgreifen möchte. Mit die- sem Gesetz wird das Beratungsprotokoll abgeschafft. Das Beratungsprotokoll wurde im Jahr 2010 mit dem Ziel eingeführt, Rechtssicherheit bei der Anlageberatung zu schaffen und mögliche Fehler nachweisen zu können. In der Praxis wurden die Erwartungen durch fehlerhafte und unpräzise Angaben nicht erfüllt. Für Anlageberater führt das Beratungsprotokoll zu einem übermäßigen bü- rokratischen Aufwand. Es ist ein unbefriedigender Zu- stand für alle Seiten entstanden. Mit der Ersetzung des Beratungsprotokolls durch eine Geeignetheitserklärung gehen wir einen Schritt weiter. Anleger erhalten künftig eine schriftliche Erklärung über die konkrete Geeignet- heit eines Finanzinstruments. Der Anlageberater proto- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 23027 (A) (C) (B) (D) kolliert nicht mehr den Verlauf der Beratung, sondern wird verpflichtet, die Gründe für die Empfehlung eines Produktes darzulegen. Mit der Geeignetheitserklärung wird mehr Rechtssicherheit geschaffen. Das Anleger- schutzniveau wird erhöht, indem eine fehlerhafte Anla- geberatung künftig besser nachzuweisen sein wird. Zu den beiden Anträgen sind nur ein paar kurze Wor- te nötig. Mit dem Kleinanlegerschutzgesetz wurden die Befugnisse der BaFin bereits erweitert und der Schutz der kollektiven Verbraucherinteressen als weiteres Auf- sichtsziel in den Statuten der BaFin verankert. Mit dem vorliegenden Zweiten Finanzmarktnovellierungsgesetz wird der Verbraucherschutz an den sinnvollen Stellen verbessert. Ich bitte Sie um Zustimmung zu diesem Ge- setz. Christian Petry (SPD): Das Zweite Finanzmarktno- vellierungsgesetz verankert vier europäische Rechtsakte im deutschen Recht: die europäische Richtlinie „Market in Financial Instruments“ (MiFID II), die dazugehörige Durchführungsverordnung MiFIR, die Verordnung über die Transparenz von Wertpapierfinanzierungsgeschäften sowie die Benchmark-Verordnung. Die Regelungen des Gesetzes haben umfangreiche Auswirkungen auf die Struktur der Finanzmärkte in Eu- ropa. Die Schaffung einer weiteren Kategorie für den organisierten Wertpapierhandel und die Ausweitung von Transparenzpflichten wird die Marktransparenz für Anle- gerinnen und Anleger dabei spürbar erhöhen. Daneben werden durch europaeinheitliche Regelun- gen der Hochfrequenzhandel sowie der außerbörsliche OTC-Handel umfassender reguliert und eingeschränkt. Besonders die EU-weite Regulierung des Hochfrequenz- handels ist überfällig. Diese Art des „Handels“ erfüllt keinen sittlichen Mehrwert. Die ökonomische Sinnhaf- tigkeit dieser Zockerei darf mehr als bezweifelt werden. Die jetzt umzusetzenden Regeln sind ein erster wichtiger Schritt zur Eindämmung des Hochfrequenzhandels. Wei- tere Schritte müssen folgen. Vertriebsseitig stärkt das Zweite Finanzmarktnovel- lierungsgesetz den Schutz der Anlegerinnen und Anleger deutlich. Durch die EU-weit zu erstellende Geeignet- heitserklärung muss Kunden zukünftig im Rahmen der Anlageberatung eine Erklärung zur Geeignetheit des empfohlenen Finanzproduktes übermittelt werden. Für jedes Finanzprodukt muss deshalb ein Zielmarkt defi- niert werden, der sicherstellt, dass das jeweilige Produkt mit den Kundenbedürfnissen übereinstimmt. Durch die Einführung des „unabhängigen Hono- rar-Anlageberaters“ wird die Möglichkeit, Provisionen oder andere nichtmonetäre Vorteile einzubehalten, bei der unabhängigen Finanzanlageberatung stark einge- schränkt. Zudem müssen alle Passagen eines Beratungs- gesprächs, die zu einer Order führen, aufgenommen und mindestens fünf Jahre dokumentiert werden. Einen wichtigen Teil der parlamentarischen Beratun- gen zum Zweiten Finanzmarktnovellierungsgesetz nahm die Diskussion über die Regulierung von Warenderivaten ein. Auf Druck der SPD fordert der Deutsche Bundes- tag in seinem Abschlussbericht die Bundesanstalt für Fi- nanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) auf, Positionslimits bei Nahrungsmittelderivaten so festzulegen, dass mono- polistische Strukturen an diesen Märkten ausgeschlossen sind. Der Bundestag hat in diesem Punkt aufgrund der europäischen Vorgaben keinen Gestaltungsspielraum. Das Festlegen der Positionslimits ist Aufgabe der natio- nalen Aufsichtsbehörden. Die von der BaFin zu erstellenden Positionslimits werden wir sehr aufmerksam verfolgen. Die Bundes- anstalt untersteht der direkten Aufsicht des Bundesfi- nanzministeriums. Die Bundesregierung muss deshalb sicherstellen, dass das unanständige Spekulieren mit Nahrungsmittel- und Rohstoffderivaten entsprechend den europäischen Vorgaben eingedämmt wird. Der Ge- staltungsspielraum, der der BaFin hierbei zur Verfügung steht, muss so genutzt werden, dass Monopole beim De- rivatehandel ausgeschlossen sind. Ein weiterer wichtiger Diskussionspunkt betrifft die deutschen Förderbanken. Die Regelungen der europä- ischen Finanzmarktrichtlinie MiFID II, auf denen das Zweite Finanzmarktnovellierungsgesetz in weiten Teilen beruht, erfassen alle Wertpapiergeschäfte eines Unter- nehmens, das Mitglied einer Börse ist. Förderbanken in Deutschland führen an Börsen durch Wertpapiere besi- cherte Geschäfte des Liquiditätsmanagements durch. Sie unterfallen demnach den Regeln der MiFID II. Dieser Umstand ist innerhalb der beiden Regierungsfraktionen umstritten. Der Bundestag fordert die Bundesregierung deshalb in seinem Abschlussbericht auf, die Europäische Kom- mission auf die besondere Funktion der öffentlichen För- derbanken des Bundes und der Länder aufmerksam zu machen. Die risikoaversen Anlagestrategien der Förder- banken müssen bei der Regulierung berücksichtigt wer- den. Sowohl regulatorisch als auch aufsichtstechnisch muss man dem Förderauftrag der Banken gerecht wer- den. Dies hat der Bundestag in seinem Abschlussbericht noch einmal deutlich gemacht und festgeschrieben. Die parlamentarischen Beratungen zum Zweiten Fi- nanzmarktnovellierungsgesetz verliefen konstruktiv und geräuschlos. Die öffentliche Sichtbarkeit dieses Mam- mutgesetzes im Deutschen Bundestag entspricht aber leider nicht seiner großen Bedeutung. Sarah Ryglewski (SPD): Mit dem Zweiten Finanz- marktnovellierungsgesetz stärkt die Koalition den An- legerschutz. Wir sorgen für mehr Transparenz und Ge- rechtigkeit, insbesondere im Hinblick auf Vergütung, Charakter und Qualität von Finanzberatung. Provisionen können in der Beratung zu Interessen- konflikten führen, weil Berater dem Anreiz unterliegen, nicht das beste Produkt anzubieten, sondern das mit den höchsten Provisionen. Jedoch scheuen viele Verbrau- cherinnen und Verbraucher noch davor zurück, für un- abhängige Beratung zu bezahlen. Wir lassen mit dem Zweiten Finanzmarktnovellierungsgesetz, das wir heute im Bundestag beschließen wollen, bewusst beide Wege offen – die provisionsbasierte und die unabhängige Ho- norarberatung. Wir stellen jedoch sicher, dass die Kos- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 201723028 (A) (C) (B) (D) ten der Beratung in jedem Fall offengelegt werden. Da- bei gilt: Provisionen sind nur dann erlaubt, wenn sie die Beratungsqualität verbessern. Außerdem sollen Kunden schon beim Betreten einer Bank wissen, ob sie unabhän- gig oder auf Provisionsbasis beraten werden. Erst diese Transparenz ermöglicht den fairen Vergleich zwischen den Anbietern und verringert die bestehenden Wettbe- werbsnachteile der unabhängigen Honorarberatung. Wir Sozialdemokraten hätten auch Vertriebsmargen aus Festpreisgeschäften wie Provisionen behandelt. Da- bei kauft der Kunde die Wertpapiere direkt von der Bank zu einem festgelegten Preis. Der Gewinn des Instituts resultiert daraus, dass es die Wertpapiere teurer verkauft als es die Wertpapiere selbst einkauft. Auch hieraus ent- stehen Anreize, die zu Interessenkonflikten bei Beratern führen können. Doch für Festpreisgeschäfte werden die uneingeschränkten Offenlegungspflichten nicht gelten. Die SPD wird auch in Zukunft daran arbeiten, diese Un- gleichbehandlung zu überwinden. Gleichermaßen setzen wir uns weiter dafür ein, auch die begriffliche Ungleichbehandlung zwischen unabhän- giger Honorarberatung und provisionsbasierter Beratung zu überwinden: Unabhängige Beratung sollte auch be- grifflich für Anlegerinnen und Anleger erkennbar sein und eine Betonung des „Honorars“ vermieden werden. Neben den Offenlegungspflichten ersetzen wir das Beratungsprotokoll, das in der Praxis Schwächen zeigte, durch die neue Geeignetheitserklärung. In Zukunft sollen damit inhaltsleere Sätze wie: „Das Produkt ist für den Kunden geeignet, weil es zu seinen Präferenzen passt“, der Vergangenheit angehörigen. Das heißt, Berater müs- sen künftig für den einzelnen Kunden nachweisen, dass das Produkt für den Kunden geeignet ist und darlegen, warum sie es empfohlen haben. Wir haben deshalb im Gesetz eine Evaluierung festgeschrieben und werden nachsteuern, falls auch die Geeignetheitserklärung nicht zu mehr Anlegerschutz führt. Susanna Karawanskij (DIE LINKE): Ich möchte mich hier in der Schlussdebatte auf drei Bereiche kon- zentrieren, in denen wir jeweils per Antrag ganz konkrete Forderungen gestellt haben, auf die Sie von der Großen Koalition leider nicht im Geringsten eingegangen sind. Beim ersten Punkt, dem Hochfrequenzhandel, hat- ten Sie in der Vergangenheit schon ganz andere Töne angestimmt. Die SPD hat in der letzten Wahlperiode eine Mindestverweildauer für Orders gefordert, um den Hochfrequenzhandel einzudämmen. So hat der Kollege Binding in einer Pressemeldung verkündet: „Außerdem müssen Mindesthaltefristen verbindlich vorgegeben wer- den, um eine tatsächliche Ausführung der Handelsorder zu gewährleisten und der Schaffung von Scheinliquidität entgegenzuwirken.“ Der Kollege Zöllmer pflichtete ihm 2013 hier im Plenum bei: „Es gäbe einen wirklichen He- bel, um die Märkte zu entschleunigen, um Luft heraus- zulassen aus dem, was heißgelaufen ist: die Einführung einer Mindesthaltefrist.“ Auch die Bundesbank sieht in dieser Richtung Handlungsbedarf. Dann lassen Sie uns dies doch endlich beschließen! Wir stellen heute einen Änderungsantrag zur Einführung einer Mindestverweil- dauer zur Abstimmung in der Hoffnung, dass sich gerade unsere Kolleginnen und Kollegen von der SPD an ihre ei- genen Forderungen erinnern; denn damit und obendrein mit einer Finanztransaktionsteuer würden wir es schaf- fen, ein bisschen Luft aus dem hochgepuschten, teils nur noch absurden Finanzmarktkapitalismus zu lassen. Der zweite Bereich umfasst die Anlageberatung. Die Koalition scheint leider nicht zur Kenntnis zu nehmen, dass die Qualität der Anlageberatung in Deutschland ziemlich schlecht ist. Dies haben etliche Untersuchun- gen unter anderem von Stiftung Warentest belegt. Die Folgen für die Bürger sind verheerend. Wegen Fehlbe- ratung beim Abschluss von Geldanlagen und Versiche- rungen erleiden diese je nach Schätzungen zwischen 30 und 98 Milliarden Euro Verlust, und das pro Jahr. Geld geht verloren, das die Menschen dringend für ihre Al- tersvorsorge benötigen. Zentrales Problem ist die Bera- tung, die auf Provisionen und anderen Verkaufsanreizen beruht. Allzu oft wird leider das Produkt empfohlen, das dem Berater/Verkäufer die höchste Provision bringt, aber nicht den Kundenbedürfnissen entspricht. Auch dazu gibt es zahlreiche Studien. Die Linke fordert daher mit- telfristig die Überwindung der Provisionsberatung. In einem ersten Schritt müsste aber die unabhängige Beratung, also zum Beispiel die Honorarberatung, zu- mindest mit der abhängigen Beratung, der Provisionsbe- ratung, auf Augenhöhe stehen. Doch der Gesetzentwurf benachteiligt weiter die unabhängige Beratung. Wir wol- len den Bestandsschutz der Provisionsberatung beseiti- gen und zunächst einen fairen Wettbewerb zwischen den Vertriebsformen einleiten. Dafür müssen unter anderem nicht nur die Provisionen, sondern insbesondere die Mar- gen im Rahmen der Festpreisgeschäfte offengelegt wer- den. Ansonsten kann die Branche immer wieder die Pro- visionsoffenlegung umgehen und weiter kassieren. Auch muss den Kunden bereits vor der Beratung klar sein, um welche Form der Beratung es sich handelt und wo die jeweiligen Vor- und Nachteile liegen. Es ist zudem un- gerecht, dass die unabhängigen Berater das Wort „Hono- rar“ in ihrer Berufsbezeichnung tragen müssen, während Provisionsberater freier ihren Titel wählen dürfen. Dies muss dringend geändert werden, wenn Sie es mit ver- brauchergerechter Anlageberatung ernst meinen. Neben einer nicht manipulierbaren Dokumentation des Beratungsvorgangs sowie einer einheitlichen Be- aufsichtigung der Finanzanlagenvermittler durch die Finanzaufsicht BaFin statt durch Gewerbeämter fordern wir speziell für einkommensschwache Menschen eine unabhängige Finanzberatung insbesondere durch Ver- braucherzentralen sowie eine Stärkung der Schuldnerbe- ratungsstellen. Wenn Sie tatsächlich etwas für besseren finanziellen Verbraucherschutz tun wollen, sollten Sie die Forde- rungen aus unserem lesenswerten Entschließungsantrag ebenso umsetzen wie die zentrale Forderung aus unserem tollen Antrag „Finanzaufsicht nach Anlagepleiten zum Schutz von Verbraucherinteressen stärken“. Dies alles sind kleine, aber sehr effektive Hebel, um die Rechte von Verbrauchern zu stärken. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 23029 (A) (C) (B) (D) Wir kommen folglich zum dritten Bereich: Uns geht es nicht nur darum, dass Kunden ein Produkt empfoh- len bekommen, das zu ihren Bedürfnissen und ihrer Ri- sikoneigung passt. Uns geht es ebenfalls darum, dass die Käufer einer solchen Geldanlage auch dann besser geschützt werden, wenn durch Marktmissbrauch oder betrügerisches Handeln der Anbieter einer Geldanlage „pleitegeht“ und sich der Anbieter nun zum Beispiel aus dem Staub machen oder in die Insolvenz gehen will, ohne seine Kunden zu entschädigen. An dieser Stelle muss die Finanzaufsicht BaFin stellvertretend für die Gesamtheit der geschädigten Verbraucher dafür sorgen, dass gesi- chert ist, dass die Anleger ihre Rechte auch durchsetzen können. Anbietern darf es nicht ermöglicht werden, eine Pleite zu vertuschen oder schlicht auszusitzen, weil für viele Verbraucher eine Klage zu teuer ist oder deren An- sprüche schon längst verjährt sind. Die Finanzaufsicht soll nur die Türen offen halten und damit sichern, dass die Gruppe der geschädigten Anleger überhaupt recht- zeitig die Chance bekommt, ihre Rechte durchzusetzen. Bisher ist mir noch kein stichhaltiges Argument gegen diese kleine Forderung untergekommen; denn es gibt ja noch keine umfassenden Möglichkeiten zur Muster- bzw. Gruppenklage. Apropos „Klage“: Wie Sie sich hinter der schnöden Umsetzung einer EU-Richtlinie verstecken, ist schon kläglich. Da ist viel mehr Luft nach oben. Wenn Sie von der Regierungskoalition nicht mehr Bestandsschützer der Provisionsberatung wären, Verbraucher nach Anla- gepleiten besser schützen und endlich Luft aus den Fi- nanzmärkten nehmen würden, gäbe es deutlich weniger Gründe für Klagen. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich will zunächst auf zwei Geschäftsmodelle eingehen, um deren wirksame Regulierung wir Grünen seit Jahren in Deutschland und Europa ringen: den Hochfrequenz- handel und die Nahrungsmittelspekulation. Die durchschnittliche Haltedauer von Wertpapieren wurde vor wenigen Jahrzehnten noch in Jahren angege- ben. Daraus wurden dann Monate, Wochen, Tage, und in den USA, dem Epizentrum des Hochfrequenzhandels, soll sie mittlerweile bei knapp über 20 Sekunden liegen. Dabei hat sich das Anlageverhalten privater und instituti- oneller Anleger kaum verändert – der Hochfrequenzhan- del, in dem Millisekunden Millionen bedeuten können, ist für die Veränderung des Durchschnitts verantwortlich, und das zeigt das gewaltige Ausmaß, das er mittlerweile angenommen hat. Aber bei der Regulierung des Hochfrequenzhan- dels tut dieses Gesetz zu wenig. Sie haben Angst, eine wirksame Regulierung einzuführen, da Sie den Hochfre- quenzhandel in Deutschland halten wollen. Doch warum eigentlich? Der Mehrwert von Hochfrequenzhändlern ist höchst umstritten, wahrscheinlich schaden sie sogar. Die Bundesbank hat dazu im Oktober 2016 eine Studie vor- gelegt. Ihr Ergebnis war eindeutig: Hochfrequenzhandel wird dann gefährlich, wenn sich Märkte krisenhaft ent- wickeln. Die vermeintliche Bereitstellung von Liquidität verschwindet genau dann, wenn sie benötigt wird. Der Antrag der Linken hat hier das richtige Ziel vor Augen. Wir teilen dieses, sehen aber andere Instrumente als wirkungsvoller an, weshalb wir uns enthalten. Auch bei Nahrungsmittelspekulationen ist die Große Koalition inkonsequent. Um diese einzudämmen, sieht die MiFID II Positionslimits für bestimmte Warenderiva- te vor. Die Regeln hierzu werden auf EU-Ebene gemacht. Doch die dort vorgelegten Standards sind schwach und verhindern Spekulation nicht. Wir haben in unserem Antrag dazu aufgefordert, bei diesen EU-Regeln nach- zubessern. Sie haben den Antrag dann an den Ausschuss verwiesen, obwohl klar war, dass dadurch die Frist zur Nachbesserung verstreichen würde. Jetzt fordern Sie, dass die Aufsicht die schwachen Regeln besonders streng umsetzt. Das erschließt sich mir nur folgendermaßen: Entweder, Sie haben spät eingesehen, dass unser Anlie- gen richtig war, oder Ihr Interesse an der Eindämmung der Nahrungsmittelspekulation ist nur Schaufensterpoli- tik. Auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes hat die Bun- desregierung es versäumt, die von vielen Seiten geäußer- ten Kritikpunkte aufzugreifen. Wir müssen uns fragen: Warum ist das Anlageverhalten von Verbraucherinnen und Verbrauchern in Deutschland von so geringer Kos- teneffizienz und entsprechend geringer Rendite geprägt? Warum stecken deutsche Haushalte ihr Geldvermögen zu vier Fünfteln in Bargeld, Einlagen oder Versicherungs- und Alterssicherungsansprüche, obwohl das oft nicht zum individuellen Bedarf passt? Betrachtet man die MiFID-II-Umsetzung, dann sind die Antworten bekannt: Es mangelt an einer verbraucher- gerechten Beratung und Offenlegungspflichten vor und während der Vertragsdauer, damit Verbraucherinnen und Verbrauchern überhaupt die Möglichkeit gegeben wird, Produkte zu vergleichen und eine mündige Anlageent- scheidung zu treffen. Es geht um Wettbewerbsneutralität bei der Benennung und Regulierung der unabhängigen Honorarberatung und der nichtunabhängigen Provisi- onsberatung. Und es geht auch darum, dass wir als Ge- setzgeber ehrlich sind gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern: Die Bundesregierung hält daran fest, dass die bloße Bereitstellung eines weitverzweigten regionalen Filialnetzes die Qualität der individuellen Beratungs- dienstleistung für Kundeninnen und Kunden verbessern würde. Die gesetzliche Folge wäre, dass als eine weitere Ausnahme vom eigentlichen Provisionsverbot auch in diesen Fällen Provisionen ohne Weiteres erlaubt blie- ben. Das ist absurd. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition, ich gehe davon aus, dass Sie demnächst deutlich häufiger bei McDonald’s konspi- rieren als im Borchardt’s; schließlich gewährleistet das weitverzweigte regionale Filialnetz des großen „M“ ein gesteigertes Maß an Qualität. Der Antrag der Linken hat hier ebenfalls viele wichtige Punkte aufgegriffen, die ich daher nicht weiter ausführen will. Wenn wir über den Tellerrand dieses Gesetzes blicken, dann gibt es noch andere Gründe für das ineffiziente Anla- geverhalten in Deutschland. Wer rechtlichen Rat braucht, sucht sich einen Anwalt, wer seine Steuern regeln will, einen Steuerberater. Aber wer eine Anlageentscheidung treffen will, müsste sich überlegen: Gehe ich zum Versi- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 201723030 (A) (C) (B) (D) cherungsberater, zum Versicherungsvermittler oder doch eher zum Finanzanlageberater? Dabei sage ich „müsste“; denn wem sind die gewerberechtlichen Unterschiede zwischen diesen Berufsgruppen überhaupt bekannt? Ähnlich wie bei der Rechts- und Steuerberatung brauchen wir ein einheitliches Berufsbild des Finanz- beraters, der Verbraucherinnen und Verbraucher umfas- send und unabhängig bei ihren Anlageentscheidungen zur Seite steht. Zusammengehörende Themenkomple- xe wie die Offenlegungs- und Informationspflichten in MiFID II und IDD müssen dafür inhaltlich kongruent sein. Es darf beispielsweise nicht passieren, dass für Fi- nanzprodukte andere Offenlegungspflichten gelten als für kapitalbildende Versicherungen. Mit ihrem jüngsten Änderungsantrag verschärft die Regierungskoalition die- se Problematik weiter. Ausgerechnet bei Altersvorsor- ge- und Basisrentenverträgen, also in zentralen Fragen der persönlichen Lebensplanung, sollen Kundinnen und Kunden die eigentlich nach der MiFID II vorgesehenen Informationen über Kosten und Nebenkosten erst auf Nachfrage zur Verfügung gestellt bekommen. Standar- disierung und Harmonisierung von Informationsblättern sind ein wichtiges Anliegen. Aber sie müssen auf dem höchstmöglichen Verbraucherschutzniveau stattfinden, wenn sie nicht als Einladung für Umgehungsgeschäfte genutzt werden sollen. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von den Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jan Korte, Dr. Andre Hahn, weite- ren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhe- bung des Artikel 10-Gesetzes und weiterer Gesetze mit Befugnis für die Nachrichtendienste des Bun- des zu Beschränkungen von Artikel 10 des Grund- gesetzes (G 10-Aufhebungsgesetz – G 10-AufhG) (Tagesordnungspunkt 23) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Wir beraten heute das G 10-Aufhebungsgesetz, einen Gesetzentwurf der Fraktion der Linken. Und um es gleich vorwegzuneh- men: Es passiert wirklich selten, dass hier ein Gesetzent- wurf gelesen wird, der so sehr die Zeichen der Zeit – kon- kret sind es hier die aktuellen Herausforderungen durch den internationalen Terrorismus – verkennt, wie dieser Entwurf. Worum geht es inhaltlich? Die vorgelegten Rege- lungsvorschläge sind schnell zusammengefasst: Den Nachrichtendiensten von Bund und Ländern sollen die Befugnisse entzogen werden, die das G 10-Gesetz ihnen einräumt; das Gesetz soll in Gänze aufgehoben werden. Nachrichtendienstliche Eingriffe in das Brief-, Post- oder Fernmeldegeheimnis wären nicht mehr möglich. Im Klartext: Abgesehen von den menschlichen Quellen wären Nachrichtendienste „blind“; sie müssten ihren Erkenntnisgewinn auf öffentlich zugängliche Quellen beschränken, im Klartext: Sie dürften nur noch googeln oder – etwas traditioneller – Zeitungsausschnitte sam- meln. Auf diese Idee, das G 10-Gesetz ersatzlos zu strei- chen und den Nachrichtendiensten das nach allgemeiner Ansicht aller Fachleute unverzichtbare Instrumentarium zu nehmen, muss man erst einmal kommen! Aber vielleicht nennt der Gesetzentwurf ja gute Grün- de für die Abschaffung von G 10-Maßnahmen. Welche Beweggründe werden angeführt? Zuerst heißt es, „dass die Nachrichtendienste mittelbar Aufgaben der Gefah- renabwehr- und der Strafverfolgung (mit)übernehmen“. Der Erklärungsansatz erscheint schlicht unverständlich; denn Aufgaben und Zuständigkeiten von Polizei und Strafverfolgungsbehörden einerseits und Nachrichten- diensten andererseits sind aus guten Gründen klar von- einander getrennt. Es wird ein weiterer Aufhebungsgrund genannt: Eine wirksame Kontrolle der G 10-Maßnahmen sei nicht möglich, da gemäß § 1 des Gesetzes über die Kontrol- le der Nachrichtendienste des Bundes allein die Bundes- regierung Gegenstand der Kontrolle sei. Das ist schlicht falsch! Ich zitiere aus einem Kommentar zu § 1 PKGrG, wo es klar und eindeutig heißt: „Die Kontrolle des Parla- mentarischen Kontrollgremiums ist auf die Bundesregie- rung und die ihr untergeordneten Nachrichtendienste des Bundes beschränkt“. Ein anderer Kommentar schreibt zu den Kontrollobjekten nicht minder eindeutig: „Beobach- tungsobjekt der parlamentarischen Kontrolle ist nur die Tätigkeit der in § 1 Satz 1 genannten drei Nachrichten- dienste des Bundes“. Es ist somit völlig klar, dass sich die Kontrolltätigkeit des PKGr nicht auf die Bundesre- gierung beschränkt. Die hier gegebene Begründung ist völlig falsch. Hinzu kommt, dass die G 10-Kommissi- on hier überhaupt nicht genannt wird. Die G 10-Kom- mission entscheidet von Amts wegen als unabhängiges und an keine Weisungen gebundenes Organ über die Notwendigkeit und Zulässigkeit sämtlicher durch die Nachrichtendienste des Bundes – Bundesnachrichten- dienst, Bundesamt für Verfassungsschutz, Militärischer Abschirmdienst – durchgeführten Beschränkungsmaß- nahmen im Bereich des Brief-, Post- und Fernmeldege- heimnisses nach Artikel 10 des Grundgesetzes. Wie man ihre Tätigkeit in diesem Zusammenhang hier übersehen kann, ist bemerkenswert. Da zudem die Reichweite der Aufgabe des PKGr, wie soeben gezeigt, zudem völlig falsch verstanden wird, kann man an dieser Stelle nur zu dem Schluss kommen: Dieser Gesetzentwurf ist – einmal abgesehen von allen politischen Bewertungen – bereits handwerklich missglückt und schon insoweit eine ärger- liche Fehlleistung. Wichtiger und viel problematischer als die dargeleg- ten formalen Unzulänglichkeiten des Gesetzentwurfs ist die inhaltliche Zielrichtung, die er verfolgt. Um das zu zeigen, müssen wir uns bloß die noch frische furchtba- re Blutspur anschauen, die der islamistische Terrorismus allein in der jüngsten Zeit durch Europa gezogen hat. Ich beginne quasi vor der Haustür: Amri, der Attentäter vom Breitscheidplatz, kommunizierte im Vorfeld – ich betone: im Vorfeld, denn ich komme später noch darauf zurück – unter Nutzung sogenannter Messengerdienste wie WhatsApp oder Telegram. Ein weiterer Terrorakt aus Deutschland: Die Planungen für einen Anschlag auf den Sikh-Tempel wurden gar innerhalb einer Whats- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 23031 (A) (C) (B) (D) App-Gruppe geplant, zu der sich die Täter zusammen- schlossen. Und ganz aktuell: Nach den jüngsten An- schlägen in London fordert die britische Innenministerin Amber Rudd den Zugriff auf WhatsApp; die Sicherheits- behörden bräuchten den Zugang zu den verschlüsselten Nachrichten der einschlägigen Messengerdienste. Warum erwähne ich all das? Es zieht sich wie ein ro- ter Faden durch die Vorbereitungshandlungen aller terro- ristischen Anschläge – meine Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit – der jüngeren Vergangen- heit, dass die Kommunikation im Vorfeld über Messen- gerdienste vorgenommen wurde, die den Sicherheitsbe- hörden erhebliche Probleme bereiten, weil sie hier nicht mitlesen können. Ihnen fehlen sowohl die technischen als auch die rechtlichen Voraussetzungen zum Sammeln der dort kommunizierten Informationen. Was hat das jetzt alles mit dem vorliegenden Gesetz- entwurf zu tun? Nach allgemeiner Ansicht aller Sicher- heitsexperten brauchen wir ein Mehr an Überwachung der Kommunikation von Terroristen im Vorfeld von Anschlägen. Und die Linke fordert ein Weniger an tech- nischen Mitteln! Die offensichtlich nicht ausreichenden Möglichkeiten, die unsere Nachrichtendienste – darum hatte ich vorhin auf die Kommunikation im Vorfeld abge- stellt; ihre Überwachung obliegt nämlich den Nachrich- tendiensten, nicht den Polizeien – haben, wollen Sie noch einschränken, nein, sogar abschaffen. Es ist erstaunlich, in welchem Maße der Gesetzent- wurf nicht nur die innenpolitischen Zeichen der Zeit ver- kennt; verwunderlich ist zudem, dass kaum jemand in der Bevölkerung Verständnis dafür haben dürfte, wenn der Staat bei der Wahrnehmung seiner Kernzuständig- keit, der Gewährleistung der inneren Sicherheit, auf die bereits jetzt kaum ausreichenden Instrumente auch noch ohne Not verzichtet. Ich wage die Prognose, dass auch die Anhänger und Wähler der Linken zu schätzen wissen, wenn unser Staat angemessen gerüstet ist, um den He- rausforderungen durch den islamistischen Terrorismus wehrhaft gegenübertreten zu können. Daher erscheint mir der Anlass für die Vorlage dieses Gesetzentwurfs umso rätselhafter, je länger ich über ihn spreche. Schließlich bleibt die Frage: Wozu soll der Gesetzent- wurf denn überhaupt gut sein? Ein fachlicher Grund ist nicht erkennbar. Was ist es dann? Ich sage es Ihnen: Es ist ihr fast schon pathologisches Misstrauen gegenüber unseren Nachrichtendiensten. Ich versage mir Spekula- tionen, woher es rühren mag; ich verweise lieber darauf, dass unsere Nachrichtendienste wie im Übrigen auch alle anderen Sicherheitsbehörden viele Anschläge – nicht nur in Deutschland, sondern auch zum Schutz unserer Soldaten in Afghanistan – erfolgreich verhindert haben, weshalb sie unsere Unterstützung verdienen und kein ge- nerelles Misstrauen. Weltweit gibt es in jedem Land Nachrichtendienste; aber die Vorbehalte, die ihnen in Deutschland vor allem von Ihnen entgegengebracht werden, dürften weltweit einzigartig sein. Begleiten Sie die Arbeit der Nachrich- tendienste ruhig mit konstruktiver Kritik, und bringen Sie sich sachlich und kenntnisreich in die Debatte ein – aber verschonen Sie uns mit Gesetzentwürfen wie dem vorliegenden, der neben seinen handwerklichen Feh- lern auch inhaltlich in die völlig falsche Richtung geht. Wenn Sie sich in den Debatten zur inneren Sicherheit, die Deutschland auf absehbare Zeit beschäftigen werden, Gehör verschaffen wollen: Konzentrieren Sie sich auf seriöse Reformvorschläge, und Sie werden auch gehört werden. Legen Sie weiterhin Gesetzentwürfe dieser Art vor, kann Sie niemand ernst nehmen. Ich glaube kaum, dass das Ihr politisches Ziel sein kann. Clemens Binninger (CDU/CSU): Eine starke und wehrhafte Demokratie braucht leistungsfähige und pro- fessionelle Nachrichtendienste, die in der Lage sind, mit ihrer Arbeit die Sicherheit im Land zu gewährleisten. Dies gilt besonders in Zeiten großer Herausforderun- gen, wie wir sie momentan erleben. Zu dieser Arbeit der Sicherheitsbehörden kann und muss auch die Überwa- chung der Telekommunikation von extremistischen Ge- fährdern gehören. Es geht im Artikel 10-Gesetz um eine Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses nach Arti- kel 10 unseres Grundgesetzes. In § 1 heißt es ganz deut- lich, dass die Überwachung und Aufzeichnung von Tele- kommunikation zur Abwehr von drohenden Gefahren für die freiheitlich-demokratische Grundordnung oder den Bestand oder die Sicherheit des Bundes erfolgen kann, wenn hierfür tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Ich bin der Meinung, dass eine solche Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses zu rechtferti- gen ist. Sie ist deshalb zu rechtfertigen, weil es hierbei nicht um eine willkürliche Überwachung von beliebigen Bür- gerinnen und Bürgern geht, sondern weil es eine ganz gezielte Maßnahme ist, die dazu beiträgt, die Sicherheit der Bundesrepublik bei einer konkreten Gefahr sicher- zustellen. Es ist doch zwingend erforderlich, dass unsere Nachrichtendienste die Kommunikation von Terroristen aufzeichnen und überwachen, um Terroranschläge effek- tiv verhindern zu können. Zudem müssen wir doch nach- vollziehen können, mit wem diese Terroristen in Kontakt standen, um an Hintermänner und deren Netzwerke he- ranzukommen. Der vorgelegte Gesetzentwurf soll die Handlungsfä- higkeit der Nachrichtendienste in einer Zeit, in der wir alles Notwendige tun sollten, die innere Sicherheit weiter zu stärken, massiv einschränken. Das ist angesichts der aktuellen Bedrohungen nicht nur total falsch, sondern in Bezug auf unsere Sicherheitsinteressen sogar fahrlässig. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Lin- ke, Sie führen in Ihrer Begründung aus, dass eine Kon- trolle der Maßnahme nicht gewährleistet sei. Lassen Sie mich kurz begründen, warum das nicht stimmt: Mit der G 10-Kommission haben wir ein unabhängiges Gremium, das über die Zulässigkeit von solchen Beschränkungs- maßnahmen entscheidet. Die Beschränkungsmaßnahmen können erst vollzogen werden, wenn die G 10-Kommis- sion den Antrag der Sicherheitsbehörde genehmigt hat, der zuvor auch vom Bundesministerium des Innern als berechtigt eingestuft wurde. Ansonsten kann eine solche Überwachung aufgrund des Artikel 10-Gesetzes nicht Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 201723032 (A) (C) (B) (D) erfolgen. Selbst wenn die Umstände es erfordern, sofort Daten zu erheben, können diese nur mit Zustimmung der Kommission, die in diesem Fall innerhalb von 24 Stun- den erfolgen muss, ausgewertet werden. Andernfalls sind sie unverzüglich wieder zu löschen. Die zwingend notwendige parlamentarische Kontrolle ist daher im Ar- tikel 10-Gesetz gegeben. Den Nachrichtendiensten in der Begründung Ihres Entwurfs zu unterstellen, die Maßnah- me teilweise durchzuführen, ohne dies vorher zu beantra- gen, da sie darin keinen Eingriff in die Grundrechte se- hen würden, halte ich nicht nur für sehr abwegig, sondern schlicht auch für unprofessionell. Unsere Nachrichtendienste wurden in den vergange- nen Jahren mehrfach – und teilweise ja auch zu Recht – kritisiert; dennoch waren und sind sie für unsere Sicher- heit von höchster Bedeutung. Wir haben in den letzten Jahren erlebt, dass unsere Nachrichtendienste vor großen technischen Herausforderungen stehen; denn Terroristen nutzen immer mehr verschlüsselte Kommunikationswe- ge. Daher war es auch zwingend notwendig, mit ZITIS eine zentrale Stelle zur Beratung und Unterstützung der Terrorismusbekämpfung ins Leben zu rufen, die unsere Sicherheitsbehörden bei diesen neuen Herausforderun- gen zur Seite steht. Die innere Sicherheit so leichtfertig infrage zu stel- len, wie Sie das tun, halte ich für sehr gefährlich. Zum Kampf gegen den islamistischen Terrorismus sollten wir den Nachrichtendiensten alle notwendigen Instrumente zur Verfügung stellen, damit Anschläge in Zukunft noch effektiver verhindert werden können. Ihnen die notwen- digen Instrumente mit einem solchen Gesetzentwurf wieder wegnehmen zu wollen, entbehrt daher jeglicher Logik. Welchen Eindruck macht es denn auf die Bürge- rinnen und Bürger, wenn die Sicherheit im Falle einer konkreten Gefahr für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung nicht gewährleistet werden kann, weil die Nachrichtendienste nicht die notwendigen Maßnahmen anwenden können? Ihr Entwurf zeigt wieder einmal, dass eine vernünftige Sicherheitspolitik mit Ihrer Fraktion nicht zu machen ist. Ich möchte dazu auch ganz klar sagen: Wer die Nach- richtendienste langfristig abschaffen will, der trägt sicher nicht zur Sicherheit in unserem Land bei. Gleichzeitig stellt sich dann auch die Frage, ob man mit so einer Ein- stellung die Nachrichtendienste überhaupt objektiv kon- trollieren kann. Der Gesetzentwurf jedenfalls verhindert die wichtige professionelle nachrichtendienstliche Arbeit, schränkt unsere Sicherheitsbehörden in ihren Möglichkeiten mas- siv ein und ist daher abzulehnen. Uli Grötsch (SPD): Die Linke bringt heute einen zweifelhaften Gesetzentwurf zur Abschaffung des so- genannten G 10-Gesetzes ein. Das G 10-Gesetz ist die rechtliche Grundlage dafür, dass unsere Nachrichten- dienste des Bundes und die Verfassungsschutzbehörden der Länder zur Terrorabwehr Grundrechtseingriffe in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis tätigen können. Nach dem Willen der Linken, brauchen unsere Nach- richtendienste in Zukunft diese Befugnisse nicht mehr. Nachrichtendienstliche Aufklärungsarbeit, zum Beispiel das Abhören von Telefonaten, um Terroranschläge zu verhindern, sind dann nicht mehr möglich. Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll? Vielleicht handelt es sich ja um einen verfrühten und missglückten Aprilscherz? Ihr Gesetzentwurf reiht sich in andere ähnliche Forderungen wie die Abschaffung des Verfassungsschutzes in Gänze etc. ein und ist so absurd, dass ich als Sicherheitspolitiker nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen kann. Dieser Vorschlag sei ein erster Schritt zur Auflösung der Nachrichtendienste, das schreiben Sie ja auch hier. Ich will gerne versuchen – weil Sie es ja offenbar nicht verstehen –, Ihnen zu erklären, warum unsere Nachrich- tendienste die Befugnisse, die sie haben, auch brauchen. Sie schreiben: Durch die Abschaffung des G 10, das den Nachrichtendiensten des Bundes die Befugnis zur Beschränkung der Grundrechte aus Artikel 10 GG zu- gesteht, entstehe keine Schutzlücke. Das ist eine sehr waghalsige Behauptung. Sie argumentieren, dass es ja das BKA-Gesetz und § 100 a StPO gibt. Liebe Kollegin- nen und Kollegen von den Linken, Strafverfolgung ist doch etwas völlig anderes. Bei G 10 geht es um terroris- tische Bedrohungen, die möglichst im Vorfeld weiterer Konkretisierung entdeckt werden sollen, also setzt G 10 vor der polizeilichen Gefahrenschwelle an. Aufklärung im Vorfeld, das ist es, was Nachrichtendienste tun, ob es Ihnen gefällt oder nicht. Ich finde, unsere Nachrich- tendienste machen ihren Job hervorragend; davon habe ich mich erst diese Woche für den Bereich Cyberabwehr überzeugt. Die angeblich ausreichenden Grundlagen, die Sie nen- nen, setzen doch eine konkretere Gefahr voraus im Ge- gensatz zu den Befugnissen nach G 10. Aber auch diese Grundlagen, BKAG und § 100 a StPO, sind Ihnen ja wie- derum nicht gut genug. Sie sollen so zurechtgestutzt wer- den, dass notwendige grundrechtsintensive Maßnahmen am besten gar nicht mehr gehen. Und dann noch behaup- ten, es entstünde keine Schutzlücke? Das geht gar nicht. Ich sage Ihnen noch etwas: Ihr Antrag ist aus 2015. In der Zwischenzeit sind in Deutschland furchtbare terroris- tische Angriffe geschehen. Und dennoch legen Sie diese abenteuerliche Vorlage vor? Sie bemängeln doch im Fall Anis Amri Behördenhandeln und wollen als Antwort da- rauf die nachrichtendienstlichen Aufklärungsmöglichkei- ten wegnehmen? Sie blamieren sich mit Ihrem Entwurf, der schnellstmöglich in der Mülltonne landen sollte. Er ist nichts weiter als verantwortungslos. Ich möchte auch auf den Bereich „parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste“ eingehen, weil ich Mitglied in diesem Gremium bin und weil das nicht richtig ist, was Sie dazu schreiben. Sie schreiben, dass das PKGr allein die Tätigkeit der Bundesregierung in Bezug auf Nachrichtendienste kontrolliert und nicht direkt die Nachrichtendienste. Dann frage ich Sie: Wer trägt denn die politische Verantwortung für das Handeln der Nachrichtendienste? Wem gegenüber sind denn die Dienste weisungsgebunden und rechenschaftspflichtig? Außerdem möchte ich Sie daran erinnern, dass wir die parlamentarische Kontrolle gerade deutlich gestärkt ha- ben. Dass Sie das in Ihrem Antrag jetzt als „Kosmetik“ Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 23033 (A) (C) (B) (D) bezeichnen und Ihnen die Kontrollbefugnisse nicht weit genug gehen, kann ich aus Ihrer Warte verstehen. Wir als SPD sehen das jedenfalls als ersten Schritt in die richtige Richtung. Ich möchte außerdem etwas Grundsätzliches zum Schluss sagen: Ihr Gesetzentwurf zeugt von tiefem Miss- trauen gegenüber den Nachrichtendiensten und ihren Tä- tigkeiten. Ich glaube, dass Sie den Tausenden Mitarbeite- rinnen und Mitarbeitern, die jeden Tag für die Sicherheit in Deutschland ihren Dienst verrichten, unrecht tun. Auch dank unserer Nachrichtendienste haben wir bereits zahlreiche terroristische Anschläge in den letzten Jahren vereitelt. Jetzt tun Sie in Ihrem Gesetzentwurf so, als ob die Nachrichtendienste willkürlich zum Selbstzweck in die Grundrechte von unschuldigen Bürgerinnen und Bür- gern eingreifen und nicht ausreichend an die Kette gelegt werden. Das ist undankbar. Daran ändert auch nichts, dass Sie die Mitarbeiter, die durch Ihren Vorschlag ihren Job verlieren würden, durch Umschulungen in andere Behörden verfrachten wollen. Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Wir reden heu- te über einen von der Fraktion Die Linke vorgelegten Gesetzentwurf. Es geht uns mit diesem Gesetzentwurf darum, den Nachrichtendiensten des Bundes die Befug- nis zu entziehen, einen Eingriff in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis vorzunehmen. Das sogenannte G-10-Gesetz – das steht für Artikel 10 GG – und weitere Gesetze räumen den Nachrichtendiensten des Bundes ge- nau diese Befugnis ein. Ein Eingriff in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheim- nis ist für eine Demokratie immer ein schwerwiegender Eingriff, weil die Möglichkeit, frei von staatlicher Kennt- nisnahme zu kommunizieren, wesentlicher Bestandteil einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist. Wir sind der Auffassung, dass dieser Eingriff so schwer und die Hürde für den Eingriff durch Nachrichtendienste des Bundes und die Verfassungsschutzbehörden der Län- der so gering ist, dass ein Rechtsstaat auch ohne diese Eingriffe auskommen kann, ohne dass Sicherheitslücken entstehen. Es ist zunächst darauf hinzuweisen, dass das G-10-Ge- setz die Befugnisse zur Einschränkung der Telekommu- nikationsfreiheit für die Landespolizeien, die Bundespo- lizei und das Bundeskriminalamt unberührt lässt. Deren Befugnisse zur Einschränkung der Telekommunikations- freiheit sind im BKAG und in der StPO geregelt. Wir nehmen also keine Einschränkung der Befugnisse für die Landespolizeien, die Bundespolizei und das Bundeskri- minalamt vor. Wir beschränken uns ausdrücklich auf die Nachrichtendienste des Bundes. Das hat auch eine innere Logik. Die einfache und bestechende Logik besteht darin, dass der Rechtsstaat wieder vom Kopf auf die Füße gestellt wird. Ein grund- legendes Prinzip des Rechtstaates besteht darin, von staatlichen Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen ausgenommen zu sein, soweit keine Anhaltspunkte für ein strafrechtlich relevantes Verhalten vorliegen. Für die Bekämpfung von Straftaten sowie die Abwehr von Gefahren entsteht keine Schutzlücke, soweit auf das G-10-Gesetz verzichtet wird. Die in den §§ 3, 5 und 8 G-10-Gesetz benannten Gefahren fallen als Straftaten in den Bereich des § 100 a StPO und in die Zuständigkeit des deutschen Strafrechts. Wir haben das in der Anla- ge 1 unseres Gesetzesentwurfes detailliert dargestellt. Da nicht nur die Begehung von Straftaten nach dem Straf- gesetzbuch strafbar ist, sondern im konkreten Fall auch der Versuch, kann mit den Mitteln der StPO also bereits vor Schadenseintritt gearbeitet werden. Wer eine Straftat des Kataloges des § 100 a StPO versucht, hat wiederum keinen Anspruch darauf, von staatlichen Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen verschont zu bleiben. Das tatsächliche Problem besteht ja derzeit darin, dass bis auf die Entführungsfälle nach § 8 G-10-Gesetz die anderen Voraussetzungen für eine Einschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses niedriger lie- gen als für die Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbe- hörden. Im G-10-Gesetz werden „tatsächliche Anhalts- punkte“ verlangt, im § 100 a StPO hingegen „bestimmte Tatsachen“. Für strategische Beschränkungsmaßnahmen wiederum soll weder eine konkrete Gefahr, wie sie tradi- tionell im Bereich der Gefahrenabwehr gefordert wird, noch gar ein hinreichender Tatverdacht, der Maßnahmen im Bereich der Strafverfolgung erlaubt, ausreichend sein, um in das Grundrecht nach Artikel 10 GG einzugreifen. Das finden wir aus dem genannten Grund problematisch. Hinzu kommt, dass damit die Nachrichtendienste des Bundes Aufgaben der Strafverfolgung und Gefahrenab- wehr zumindest mit übernehmen. Die Frage der tatsächlich nicht zu realisierenden Kontrolle hinsichtlich der Einhaltung der Vorgaben des G-10-Gesetzes durch die Nachrichtendienste würde sich bei einer Abschaffung des G-10-Gesetzes nicht stellen. Durch das Parlamentarische Kontrollgremium werden nicht die Nachrichtendienste des Bundes kontrolliert, sondern allein die Tätigkeit der Bundesregierung in Be- zug auf die Nachrichtendienste. Die vom Parlamentari- schen Kontrollgremium bestellte G-10-Kommission ent- scheidet nach § 15 G-10-Gesetz von Amts wegen oder aufgrund von Beschwerden über die Zulässigkeit und Notwendigkeit von Beschränkungsmaßnahmen. Sie soll insoweit an die Stelle eines Gerichtes treten. Dabei ist aber zu beachten, dass das Verfahren wie folgt abläuft – ich zitiere –: Der jeweilige Dienst stellt einen Antrag beim Bun- desministerium des Inneren. Das Ministerium prüft den Antrag … Wenn es ihn für berechtigt hält, ge- nehmigt es diesen Antrag und erlässt eine entspre- chende Anordnung, die aber in der Regel nicht voll- zogen darf, bevor nicht die G-10-Kommission ihre Zustimmung erteilt hat. So Huber in vorgänge Nr. 206/207, S. 43. Die G 10-Kommission kann also lediglich das ge- nehmigen, was Nachrichtendienste des Bundes bei ihr beantragen. Soweit die Nachrichtendienste des Bundes der Ansicht sind, es liege überhaupt kein Eingriff in das Grundrecht aus Artikel 10 GG vor, wird die G 10-Kom- mission davon nichts erfahren und kann demzufolge auch Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 201723034 (A) (C) (B) (D) keine Entscheidung treffen. Leider hat der NSA-Skandal gezeigt, dass dies nicht nur ein theoretisches Szenario ist. Lassen Sie mich am Ende noch etwas klarstellen. Die von dem Wegfall der Aufgaben nach dem G-10-Gesetz betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen in anderen Behörden, gegebenenfalls nach einer Umschu- lung, eine Anstellung finden. Denn für uns als Linke ist klar, ein Stellenabbau im öffentlichen Dienst ist mit dem vorliegenden Gesetz nicht angestrebt, da dies eine rote Haltelinie überschreiten würde. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit diesem Gesetzentwurf, für den die Linke primär ein „Fleißkärtchen“ verdient, will sie das G-10-Gesetz aufheben und diverse Gesetze bezüglich Telekommunikationsüberwachung anpassen. Das „G 10“ sei für die Bekämpfung der darin genannten Gefahren weder geeignet, erforderlich noch angemessen. In weitem Umfang Kritik an zunehmender Telekom- munikationsüberwachung – wir haben dies schon weit früher kritisiert, als es Linke bzw. PDS noch gar nicht gab. Die Problemanalyse und Schlussfolgerung der Lin- ken in ihrem Gesetzentwurf ist aber in mehrfacher Hin- sicht unscharf, unzutreffend und nicht weitreichend ge- nug. Unscharf ist die Analyse zum Beispiel, weil die Lin- ken das Problem zunehmender Kommunikationsüber- wachung nicht, wie nötig, schon verorten bei der 1968 verfügten Einschränkung des Grundrechts auf Fernmel- defreiheit. Vielmehr setzt die Kritik der Einbringer erst an bei dem Ausführungsgesetz hierzu, dem G 10. Dieses Gesetz ist in der Tat seither vielfach erweitert worden, wie auch wir kritisiert haben. Unzutreffend scheint uns etwa die Analyse hinsicht- lich des Umfangs bzw. der zahlenmäßigen Bedeutung formeller G-10-Überwachungen; denn nach dem kürz- lich veröffentlichten Bericht des Bundestages hat der BND im Jahr 2015 aus 2 000 strategisch erfassten Kom- munikationen nur 52 als relevant eingestuft und weiter- bearbeitet. Die Presse fasste dies ironisch zusammen als „eine Mail pro Woche“. Ähnlich gering sind die Zahlen bei individueller G-10-Überwachung. Demgegenüber sind nach Quantität und Qualität weit bedeutsamer die millionenfachen Massenüberwachungen sogenannter Routineverkehre, die der BND im Ausland durchführt. Dazu hat der NSA-Untersuchungsausschuss ja sehr vie- le Details zutage gefördert. Dieses Problem aber würde nicht beseitigt, ja soweit erkennbar, nicht einmal berührt durch den Gesetzentwurf. Insofern ist dieser Regelungs- entwurf nicht weitreichend genug. Die Schlussfolgerungen des Gesetzentwurfs sind so- gar teils richtiggehend kontraproduktiv. Ein Beispiel: Wir teilen zwar die Analyse des Gesetzentwurfs, die im G 10 vorgesehene sogenannte G 10-Kommission zur Kontrol- le solcher Überwachungen sei zu schwach ausgestaltet und werde durch die Regierung sogar ausgetrickst. Doch die daraus gezogene Folgerung des Gesetzentwurfs, die- ses Kontrollgremium ganz abzuschaffen, verbessert die- se Lage überhaupt nicht. Ein zweites ärgeres Beispiel: Die Initiatoren des Ent- wurfs meinen, bei Abschaffung des G 10 könnte ja ent- sprechende Kommunikationsüberwachung künftig alter- nativ durch die Polizei durchgeführt werden aufgrund § 100 a StPO, ohne dass eine Schutzlücke verbleibe. Die Folgerung, der Polizei noch mehr bisher geheimdienst- liche Befugnisse zu übertragen, halten wir schon für rechtspolitisch zumindest bedenklich. Uns scheint außerdem die Annahme, die G-10-Befug- nisse könnten alternativ 1 : 1 wahrgenommen werden durch schon bestehende polizeiliche Befugnisse, auch rechtlich nicht sorgfältig subsumiert zu sein, sondern eher vom politischen Bemühen darum getragen. Au- ßerdem: Wenn bloß die wahrnehmenden Behörden und Rechtsgrundlagen ausgetauscht würden, wo läge dann überhaupt der Mehrwert für die Bürgerrechte, den Um- fang der Überwachung zu reduzieren? Schließlich glauben offenbar die Einbringer selbst nicht ihre kühne These, bei Abschaffung des G 10 dro- he keine Schutzlücke. Die Einbringer schreiben nämlich auf Seite 28 ihres Entwurfs als letzten Satz selbst ein- schränkend: „Es ergibt sich mithin keine Schutzlücke, wenn §§ 5 und 8 G 10 abgeschafft werden. Jedenfalls dann nicht, wenn es um die Sicherheit der Bundesrepu- blik Deutschland geht.“ Damit räumen die Initiatoren des Entwurfs selbst drohende Schutzlücken ein, wenn die strategische Auslandsüberwachung – § 5 – entfiele, die über Deutschland hinaus etwa auf internationalen Waf- fenhandel und Kriegsgefahren zielt. Denn wer sollte das mit welchen technischen Mitteln ersetzen, etwa die deut- sche Polizei? Und noch deutlicher wird die verbleibende Schutz- lücke im zweiten von den Linken genannten Bereich, in § 8, nämlich der Kommunikationsüberwachung des BND zugunsten im Ausland entführter Personen. Wie stellt sich die Linke da die Alternative vor? Sollen künf- tig stattdessen etwa deutsche Polizisten mit Richtmikro- fon und Peilgerät irgendwo durch den Urwald robben, um Entführte zu orten? Ich karikiere dies hier bewusst. Doch schon diese we- nigen Beispiele zeigen: Über diesen Gesetzentwurf soll- ten auch die einbringenden Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion nochmals vertieft nachdenken. Dazu haben wir miteinander im Ausschuss Gelegenheit. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirt- schaft und Energie zu dem Antrag des Bun- desministeriums für Wirtschaft und Energie: Anpassungsvertrag ERP-Förderrücklage Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages gemäß § 6 Absatz 3 des ERP-Verwaltungsgesetzes (Tagesordnungs- punkt 24) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 23035 (A) (C) (B) (D) Astrid Grotelüschen (CDU/CSU): Am 11. Januar 2017 hatte das Bundeskabinett dem Entwurf eines Ände- rungsvertrages zwischen dem ERP-Sondervermögen und der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) zur Härtung der Kapitalrücklage (ERP-Förderrücklage I) zugestimmt. Gleichzeitig wurden die allgemeinen Eckpunkte für ein künftiges intensives Engagement der KfW im Be- reich Wagniskapital- und Beteiligungsfinanzierung be- schlossen. Heute wollen wir den Forderungen der BaFin, die eine Härtung der Förderrücklage I der KfW verlangt, mit einem sogenannten Anpassungsvertrag zustimmen, mit dem wir die Vereinbarkeit der ERP-Förderrücklage mit den Vorgaben der Kapitaladäquanzverordnung und deren Zurechnung als Kernkapital der KfW eindeutig regeln. Darüber hinaus, und das ist aus meiner Sicht nicht weniger wichtig, geht es weiterhin darum, die seit fast 70 Jahren bewährte KfW-Förderung qualitativ und quan- titativ für ein neues Jahrzehnt aufzustellen. Dabei gilt es bei Zeiten langanhaltender niedriger Zinsen den Bedarf der mittelständischen Wirtschaft ab- zufragen und der Nachfrage nach den unterschiedlichen Kredit- bzw. Finanzierungsmodellen Rechnung zu tra- gen. Hier ist aus meiner Sicht der Schritt der KfW, ein zusätzliches Engagement im Bereich der Beteiligungsfi- nanzierung am Markt anzubieten, zu unterstützen. Aber zunächst kurz zum Verständnis der Hintergrün- de, die eine Neuordnung der ERP-Wirtschaftsförderung erforderlich machen: 2007 wurde ein Teil des Sondervermögens in unsere Durchführungsorganisation KfW eingebracht, darunter 4,65 Milliarden Euro als Kapitalrücklage. Die Bundesan- stalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hatte vor einem Jahr festgestellt, dass diese Kapitalrücklage aber nicht den Vorgaben im Zusammenhang mit „Basel III“ entspricht und deshalb nicht mehr dem harten Kernkapi- tal der KfW zugerechnet werden kann. Damit das Fördervolumen, die gesamten Überschüs- se des Sondervermögens, jedoch zur Finanzierung zur Verfügung gestellt werden kann, muss eine „Härtung“ erfolgen. Leider blieb in den vergangenen Jahren die tatsäch- liche Förderleistung unter der angestrebten Mindest- zielgröße zurück. Obwohl der Bundesrechnungshof hier mehrfach intervenierte und wiederholt darauf hingewie- sen hatte, kam es nicht zu einer Veränderung im Förder- portfolio, das zur Verfügung stehende Kapital wurde von den Unternehmen nicht abgefragt. In diesem Punkt gilt es, für die Zukunft das Instru- mentarium und die Angebote so zu verändern, dass es zu einem verbesserten Mittelabfluss der 800 Millionen Euro, die alleine im Jahr 2015 zur Verfügung stehen, kommen kann – Förderkredite, die elementarer Bestand- teil der KfW-Förderung sind. Zusätzlich machen wir auch mit unserem Entschlie- ßungsantrag deutlich, dass es für mittelständische Unter- nehmen, Start-ups einen sehr großen Bedarf im Bereich der Beteiligungsfinanzierung und auch des Wagniskapi- tals gibt. Aus meiner Sicht existiert daher geradezu eine för- derpolitische Notwendigkeit, diese Innovationsfähigkeit ganz besonders zu stärken. Es müssen hier umfassende Angebote geschaffen werden, vor allem in der Wachs- tumsphase dieser Unternehmen. Zwar sind im letzten Jahr 12 Millionen Euro als Grün- derkredite über die KfW zum Beispiel in Start-ups in meinen Landkreis Oldenburg geflossen. Dies ist aber hier wie auch auf ganz Deutschland bezogen zu wenig. Zum Vergleich: In den USA werden circa 60 Milli- arden in Wagniskapital investiert, in Deutschland aber lediglich 800 Millionen Euro. Um diese strukturelle Schwäche zu beseitigen, müs- sen wir also neue Instrumente finden. Der zehn Jahre alte Vertrag zwischen dem ERP-Sondervermögen und der KfW ist auch aus diesem Grunde anzupassen. Unser übergeordnetes Ziel ist klar: die Potenziale des ERP-Sondervermögens auszuschöpfen, um damit die Förderkraft nachhaltig zu erhöhen. Wir müssen seit lan- gem brach liegendes Kapital endlich für die Förderung nutzen. Unsere Erwartung an die KfW ist, dass sie in Hinblick auf veränderte wirtschaftliche Rahmenbedingungen und unterschiedliche Bedürfnisse unserer Unternehmen ihre Förderaufgaben flexibel anpasst und kompetent gestal- tend tätig wird. Damit könnten wir, gemeinsam mit der größten natio- nalen Förderbank der Welt, einen wichtigen Beitrag zur Stabilität und zudem zum wirtschaftlichen Wachstum in Deutschland leisten. Konkretes Ziel ist es dabei, in mehreren Stufen ein marktrelevantes Volumen für eine Beteiligungsfinanzie- rung mit Unterstützung der KfW aufzubauen. Angestrebt wird eine Verdopplung des Wagniskapi- talvolumens in Deutschland zum Vergleichsjahr 2016 in den kommenden Jahren insbesondere durch Privatwirt- schaft, den Bund und unter Einbeziehung verlässlicher europäischer Finanzpartner. Deshalb fordern wir nicht zuletzt mit dem vorliegen- den Entschließungsantrag, jährlich ausführlich über die ERP-Förderung informiert zu werden. Denn die Informationen über die aktuelle Situation beim ERP-Sondervermögen im Allgemeinen und eine nachhaltige KfW-Beteiligungsfinanzierung im Besonde- ren sind für eine sinnvolle Förderpolitik unerlässlich. Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Der Wohlstand von morgen, das sind die Unternehmensgründungen von heu- te. Deshalb müssen wir schauen, dass wir die Vorausset- zungen schaffen, dass Gründungen von der Idee bis zum Börsengang – bis zum Global Player – in Deutschland auf ein bestmögliches Umfeld stoßen. Dabei müssen wir Risiken eingehen, dabei muss der Unternehmer Vorbild sein dürfen, und dabei brauchen wir Geschichten, die be- geistern und zum Nachahmen einladen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 201723036 (A) (C) (B) (D) Zahlen und Fakten: Die Verfügbarkeit an Wagniskapital ist in Deutsch- land im Verhältnis zur Größe unserer Volkswirtschaft sehr gering. Der Anteil des investierten Wagniskapitals am Bruttoinlandsprodukt liegt bei etwa knapp 0,03 Pro- zent – im Vergleich liegt dieser Anteil in den USA bei 0,33 Prozent. Anders ausgedrückt: In den USA werden circa 60 Milliarden Euro in Wagniskapital investiert, in Deutschland 800 Millionen – obwohl unser BIP ein Sechstel der USA beträgt. Venture-Capital-Fonds in Frankreich und Großbri- tannien können im Vergleich deutlich mehr Kapital ein- sammeln: 2011 bis 2015 nahmen Venture-Capital-Fonds in Großbritannien 1,8 Milliarden Euro, in Frankreich 1,4 Milliarden Euro, in Deutschland hingegen ledig- lich 736 Millionen Euro Kapital auf. Fest steht also, für Gründer und junge aufstrebende Unternehmen steht in Deutschland zu wenig Wagniskapital zur Verfügung. Schaut man sich den Markt für Beteiligungsfinanzie- rungen genauer an, dann finden sich die Finanzierungs- schwierigkeiten für junge, schnell wachsende Unter- nehmen vor allem bei der Anschlussfinanzierung in der Start-up- und frühen Wachstumsphase. Diese Angebots- lücke liegt in einer Größenordnung von jährlich mindes- tens 500 Millionen Euro. Ich glaube jedoch, dass das Po- tenzial noch wesentlich höher ist. Oft spielt Deutschland in den Anfangsphasen der Entwicklung neuer Technologien, auch aufgrund der hervorragenden Förderlandschaft, ganz vorne mit, aber die Wachstumsphase scheitert nicht selten an fehlenden Finanzierungsmöglichkeiten. Innovative Unternehmen werden in der Gründungsphase häufig mit öffentlichen Mitteln finanziert, die Marktreifephase wird aber häufig ausländischen Venture-Capital-Gebern überlassen. Dies gefährdet mittel- und langfristig die Entwicklung des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) muss ein ausreichendes Kapitalangebot speziell in der Phase, in der die Unternehmen neue Märkte erschließen und schnell wachsen, zur Verfügung gestellt werden, damit sie „durchhalten“ können und nicht scheitern. Um diese strukturelle Schwäche im Bereich der Wachstumsfinanzierung zu beseitigen, muss man auch in Deutschland kreative Wege gehen. Ziel für Deutschland muss sein, den Bereich der Wag- nisfinanzierungen zu stärken. Wir benötigen langjährig erfahrene Management-Teams, denen es über mehrere Fonds-Generationen hinweg gelingt, Gelder in substan- zieller Größenordnung von erfahrenen Investoren einzu- sammeln. Ein neu zu entwickelndes Instrument der KfW kann hier beispielsweise als Ankerinvestor behilflich sein. Stand bisher: Die von der KfW geplanten Förderhöhen für den Mittelstand durch die Programme des ERP-Sonderver- mögens können momentan nicht vollständig erfüllt wer- den. Dies liegt vor allem am Niedrigzinsumfeld, in dem Zinsverbilligungen nicht mehr die gewünschte Wirkung entfalten können. 2015 fand bereits eine Neuausrichtung der Beteili- gungsfinanzierung innerhalb der KfW in Abstimmung mit dem Bundeswirtschaftsministerium statt, fokussiert auf die Finanzierung von Fonds. Die bereits bestehen- den Instrumente High-Tech Gründerfonds, coparion und ERP-VC-Fondsinvestprogramm wurden erfolgreich wei- terentwickelt. Seit 2015 hat die KfW mithilfe der genannten drei Instrumente 181 Millionen Euro – davon 112 Millionen Euro gemeinsam mit dem ERP-Sondervermögen – in den deutschen Venture-Capital Markt-investiert. Gerade die Gründungen in der Startphase finden also ein intaktes Förderinstrumentarium vor. Neue Schritte: Ein Ausbau der Beteiligungsfinanzierung innerhalb der KfW soll daher ein zweites Förderstandbein schaffen, mit dem ein verbessertes Kapitalangebot in der besonders kapitalintensiven Wachstumsphase von Unternehmen erreicht werden soll. Ziel ist es, in mehreren Stufen ein marktrelevantes Volumen für Beteiligungsfinanzierung in Deutschland mithilfe der KfW aufzubauen. Konkret sollen Beteiligungs- und Mezzaninfinanzierungen beihil- fefrei und in allen Marktsegmenten und Strukturierungs- formen ermöglicht werden. Aber: Öffentliche Mittel können die Angebotslücke nur teilweise schließen. Bedeutsamer ist die Hebelwir- kung zur Mobilisierung privater Investoren. Beteiligungsgesellschaft: Eine Beteiligungsgesellschaft, die private Kapitalge- ber hinzuzieht, kann hier ansetzen. Zudem muss gewährleistet werden, dass durch eine solche Gesellschaft marktgerechte Investitionsentschei- dungen getroffen werden. Es wird sicher zusätzlichen Know-hows bedürfen, um diese neuen Aufgaben zu stemmen. Aber dieses Engagement wird sich lohnen. Ein gutes Beispiel dafür ist der Europäische Inves- titionsfonds (EIF), auch wenn natürlich keine Eins-zu- eins-Umsetzung auf die Bundesebene erfolgen soll und kann. Es braucht vor allem eine eigene Struktur, die auf die spezifischen Bedürfnisse der deutschen Wagniskapi- talindustrie eingehen kann. Die klassische Einteilung junger Firmen in Seed-, Start-up- oder Growth-Phase korreliert nicht direkt mit den Mittelbedarfen. Ein Internet-Start-up kann mit 1 Mil- lion ein fertiges Produkt entwickeln, für ein Unterneh- men der Medizintechnik- oder Pharmabranche oder der erneuerbaren Energien ist es ein Tropfen auf den heißen Stein. Für reife Unternehmen können Venture-Debt- oder Mezzanin-Finanzierungen der richtige Baustein sein. Jedwede Wagniskapitalförderung muss sicherstellen, dass langfristig Marktteilnehmern die für sie relevanten Angebote zur Verfügung stehen. Wir brauchen in Deutschland sicher auch eine höhere Bereitschaft, Risiken einzugehen. „Wer wagt, gewinnt“ – das gilt vor allem bei disruptiven Veränderungsprozes- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 23037 (A) (C) (B) (D) sen. Abwarten macht die Wahrscheinlichkeit, nicht zu gewinnen, hingegen umso höher. Ich wünsche mir auch innerhalb der Konzerne Deutschlands mehr Abteilungen, die gezielt in deutsche Start-ups investieren, anstatt dies gar nicht oder nur in Übersee zu tun. Aber auch institutionellen Anlegern sollte der Rahmen gegeben werden, verstärkt in Wagniskapital zu investie- ren. Dies fördert letztlich die Diversifizierung, auch weil die Zyklen oft gegenläufig zu denen der Kapitalmärkte verlaufen. Hier besteht gerade in Deutschland noch ein hohes Potenzial. Mit der Schaffung eines neuen Instruments zur Förde- rung von Wagnisfinanzierungen gehen wir einen ersten Schritt nach vorne, und zwar einen richtigen. Andrea Wicklein (SPD): Wenn auch zu später Stun- de, so ist das Thema der heutigen Debatte dennoch enorm wichtig für die Innovationskraft und die Wettbewerbsfä- higkeit der deutschen Wirtschaft. Zum einen entscheiden wir heute über den Anpas- sungsvertrag zur ERP-Förderrücklage. Die Vertragsan- passung ist notwendig, weil nicht sichergestellt ist, dass die ERP-Förderrücklage I als hartes Kernkapital der KfW anrechenbar ist. Das hatte eine Prüfung durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht erge- ben. Eine Nichtanrechnung der Förderrücklage als hartes Kernkapital würde dazu führen, dass die KfW die Eigen- kapitalvorschriften gemäß Basel III in den kommenden Jahren nicht einhalten kann. Mit dem Anpassungsvertrag erreichen wir, dass die ERP-Förderrücklage gleichran- gig – wie auch die übrigen Eigenkapitalbestandteile der KfW – zum Ausgleich etwaiger Verluste zur Verfü- gung steht. Diesen Vertragsänderungen haben sowohl der Unterausschuss Regionale Wirtschaftspolitik und ERP-Wirtschaftspläne am vergangenen Freitag als auch der Wirtschaftsausschuss am Mittwoch einstimmig zuge- stimmt, und ich gehe fest davon aus, dass heute auch der Deutsche Bundestag die vertraglichen Änderungen zur ERP-Förderrücklage I befürwortet. So weit die techni- schen Details. Zum anderen beraten wir heute über die Neuausrich- tung der KfW im Bereich des Wagniskapitalmarktes. Schon seit langem wissen wir, dass es in Deutschland im Vergleich zu anderen Staaten wie den USA, Israel oder Großbritannien noch erhebliche Reserven bei der Aktivierung von privatem Beteiligungskapital gibt. Laut OECD wird in den USA in Relation zum Bruttoinlands- produkt rund 12-mal so viel Wagniskapital investiert wie in Deutschland. Um aufzuschließen, müsste unser Wag- niskapitalmarkt von derzeit rund 800 Millionen Euro auf etwa 10 Milliarden Euro steigen. Es ist und bleibt richtig: Im Bereich der Zinsvergüns- tigungen ist die KfW unschlagbar. Die Mittelstandspro- gramme aus dem ERP-Sondervermögen gehören mit ihren zinsgünstigen Krediten zu den wichtigsten Instru- menten der deutschen Wirtschaftsförderung. Seit Jahren erreicht die KfW durch ihre sehr günstigen Refinan- zierungen Zusagen im Bereich der inländischen Wirt- schaftsförderung von jährlich über 50 Milliarden Euro. Allein im Jahr 2016 konnte die KfW insgesamt rund 16 000 ERP-Kredite mit einem Gesamtvolumen von an- nähernd 5 Milliarden Euro bereitstellen. Allerdings – und darauf habe ich bereits im Bundestag bei den Beratungen zum ERP-Wirtschaftsplangesetz im Herbst 2016 hinge- wiesen – müssen sich die ERP-Programme immer wieder aufs Neue der Realität stellen; denn wir wollen, dass die Gelder den Mittelstand auch tatsächlich erreichen. Der Bundesrechnungshof hatte schon mehrfach da- rauf hingewiesen, dass das geplante Fördervolumen seit längerem nicht vollständig ausgeschöpft werde. Ich bin deshalb sehr froh, dass die KfW und die Bundesregie- rung diese Hinweise aufgegriffen haben und die Säule der Wagniskapital- und Beteiligungsfinanzierung der KfW deutlich und nachhaltig stärken wollen. Die deutsche Wirtschaft benötigt dringend bessere Fördermöglichkeiten im Bereich der Wagnis- und Risi- kokapital- sowie Mezzaninfinanzierung. Während für innovative Unternehmen in der Gründungsphase ausrei- chend öffentliches Kapital vorhanden ist, mangelt es in Deutschland gerade in der besonders kapitalintensiven Wachstumsphase an Geld, in einer Phase, wo die Unter- nehmen von den Banken oftmals noch kein Geld erhal- ten. Dieses Problem betrifft insbesondere Unternehmen in den besonders kapitalintensiven Technologiefeldern wie zum Beispiel Cleantech, Life Science oder Medizin- technik. Wir wissen nur zu gut, was daraus folgt, wenn in Deutschland nicht ausreichend Wagniskapital über alle Phasen von unternehmerischen Innovationen zur Verfü- gung steht: Sie suchen sich ausländische Kapitalgeber, die es in den USA und teilweise auch anderswo gibt. Sie wandern aus und bauen im Erfolgsfall ihr Unternehmen im Ausland auf. – Wir sollten kein Interesse daran haben, dass Ideen in Deutschland entstehen, in der Frühphase gut gefördert werden und nur, weil die problematische Wachstumsphase nicht finanzierbar ist, Know-how, Be- schäftigung und unternehmerischer Erfolg abwandern müssen. Als eine der führenden Volkswirtschaften, die sich auf dem Weg zur digitalen Industrie- und Arbeits- welt befindet, können wir uns diese Abwanderung nicht länger leisten. Es ist an der Zeit, zu handeln. Deshalb finde ich es richtig, dass der Anpassungsvertrag auch die entschei- denden Eckpunkte für eine substanzielle Intensivierung des KfW-Engagements im Bereich Wagniskapital- und Beteiligungsfinanzierung enthält. Im Unterausschuss haben wir die ersten Details der Planungen mit Vertretern der KfW und des BMWi in- tensiv diskutiert. Bei einer Expertenanhörung in der ver- gangenen Woche haben wir von Sachverständigen von Banken, Kapitalbeteiligungsgesellschaften und Fonds erfahren, wo genau der Bedarf gesehen wird. Die Ein- schätzungen der Experten stimmen mit unseren überein: Wagniskapital wird insbesondere in der Wachstumsphase gebraucht. Benötigt werden vor allem größere Finanzie- rungssummen. Eine Lücke besteht gerade im Bereich der Hightechbranchen wie Medizintechnik. Synergien mit den Landesbanken wie etwa der NRW-Bank oder der Bürgschaftsbank Brandenburg, die kleinere Finanzierun- gen anbieten, wären sinnvoll. Eine neue Sparte im Be- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 201723038 (A) (C) (B) (D) reich Wagniskapital- und Beteiligungsfinanzierung bei der KfW würde vor allem mehr privates Fondskapital anregen. – Gerade den letzten Punkt möchte ich betonen: Die KfW wäre aus meiner Sicht der ideale Ankerinvestor für bedeutend mehr privates Kapital. Allein aus öffent- lichen Mitteln können die Kapitalbedürfnisse nicht ge- schultert werden. Alles in allem haben die Experten der Anhörung die Gründung einer inländischen Beteiligungsgesellschaft der KfW befürwortet. Auch der Unterausschuss steht die- sem Ziel positiv gegenüber und hat deshalb den Antrag der Bundesregierung einstimmig angenommen. Die SPD-Bundestagsfraktion wird den Aufbau einer Beteiligungsgesellschaft intensiv begleiten. Wir haben mit unserem Koalitionspartner und den Grünen einen Entschließungsantrag eingebracht, der Maßgaben an die Bundesregierung enthält. Es ist uns sehr wichtig, dass die Finanzierungssäule des Beteiligungskapitals deutlich und nachhaltig gestärkt wird. Klar ist, dass dies Schritt für Schritt geschehen muss. Wir erwarten, dass die Bundesregierung in Zusam- menarbeit mit der KfW bis Juni 2017 ein Gesamtkonzept erstellt und dem Deutschen Bundestag übermittelt. Die Struktur-, Rechts- und Finanzierungselemente der subs- tanziellen Intensivierung des KfW-Engagements müssen klar definiert und geregelt sein. Unser Ziel in den kommenden Jahren ist eine Ver- dopplung des Wagniskapitalvolumens in Deutschland zum Vergleichsjahr 2016 durch Privatwirtschaft, Bund, KfW und unter Einbeziehung europäischer Finanzpart- ner. Dabei wird die KfW als Ankerinvestor eine entschei- dende Rolle spielen. Entscheidend ist für uns, dass das Substanzerhal- tungsgebot des ERP-Sondervermögens gewahrt und die Risikotragfähigkeit und angemessene Kapitalausstattung der KfW gesichert bleiben. Wir erwarten darüber hinaus, dass dem Bundestag jährlich ein aussagekräftiger Bericht vorgelegt wird, der die aktuelle Situation beim ERP-Son- dervermögen bei der KfW-Beteiligungsfinanzierung aus- führlich darstellt. Der eingeschlagene Weg zum Ausbau der Beteili- gungsfinanzierung ist notwendig und richtig. Ich bitte Sie um Zustimmung zum Anpassungsvertrag zur ERP-För- derrücklage und zum Entschließungsantrag der Koaliti- onsfraktionen und der Fraktion der Grünen. Thomas Nord (DIE LINKE): Wir diskutieren heute einen Entschließungsantrag über den Anpassungsvertrag für die ERP-Förderrücklage zwischen dem Ministerium für Wirtschaft und der KfW. Im Kern geht es um zwei Dinge: erstens um die Härtung der ERP-Förderrücklage I als Kernkapital für die KfW und zweitens um die Ver- wendung der daraus zu erwartenden Erträge als Wagnis- kapital und Beteiligungsfinanzierung. Zu Ersterem ist zu sagen, dass mit dem Erlass des ERP-Wirtschaftsförderungsneuordnungsgesetzes von 2007 die aus dem ERP-Sondervermögen finanzierte Wirtschaftsförderung neu geordnet wurde. Heute gelten neue aufsichtsrechtliche Anforderungen für die KfW; diese resultieren aus europäischem Recht und sind ent- sprechend anzuwenden. Unter anderem aus diesen Grün- den verlangt die BaFin eine zügige Anpassung der betref- fenden Regelungen des Durchführungsvertrages, damit die ERP-Förderrücklage als hartes Kapital zur Verfügung steht. Dem sollten wir nachkommen. Zweitens geht es um die Verwendung der dabei wahr- scheinlichen Steigerungen der Erträge aus dem ERP-SV. Die vom Bundesrechnungshof 2016 festgestellte Un- terauslastung des ERP-Förderpotenzials muss reduziert werden. Mit den bisherigen ERP-Förderprogrammen konnte die vorgesehene Förderleistung, beispielsweise zinsver- billigte Kleinkredite, nicht erreicht werden. Zugleich gibt es im Bereich „Wagniskapital und Beteiligungsfi- nanzierung“ eine Finanzlücke. Um den technologischen Wandel besser zu unterstützen, soll die Finanzierung von Start-ups unter anderem im Bereich digitaler Technologi- en weiterentwickelt und ausgeweitet werden. Im Ergebnis soll dies zu einer substanziellen Intensi- vierung des KfW-Engagements im Venture Capital füh- ren. In mehreren Stufen soll ein marktrelevantes Volumen für Beteiligungsfinanzierung in Deutschland mithilfe der KfW aufgebaut werden. Im Vergleich zum Jahr 2016 soll das Wagniskapitalvolumen in Deutschland durch Privat- wirtschaft, Bund, KfW und unter Einbeziehung europäi- scher Finanzpartner verdoppelt werden. Die Linke stimmt der Einschätzung zu, dass gerade Start-ups im Hightechbereich und im Bereich der digi- talen Technologien deutlich zur Verbesserung der wirt- schaftlichen Entwicklung beitragen können, was aber ohne einen erhöhten Ansatz an Risikokapital nicht funk- tionieren wird. Insbesondere auch für die wirtschaftliche Entwicklung in Berlin, Brandenburg und weiteren Wirt- schaftskernen im Osten sind die Förderung von Start-ups und die Sicherung ihrer langfristigen Entwicklung in der Region von besonderer Bedeutung. Dieses Engagement der KfW im VC-Bereich verlangt den Aufbau eines eigenständigen Geschäftsbereichs für Beteiligungsmanagement in der KfW. Dies fordert je- doch eine große Transparenz und starke Kontrolle. Bis Juni 2017 soll die KfW dem Deutschen Bun- destag ein kohärentes Gesamtkonzept übermitteln. Die Linke erwartet, dass die Struktur-, Rechts- und Finan- zierungselemente der substanziellen Intensivierung des KfW-Engagements darin klar definiert und geregelt sind. Wir werden diese Elemente bei aller konstruktiven Be- gleitung einer sehr kritischen Überprüfung unterziehen. Es kommt darauf an, eine für die Erfordernisse des Mittelstands geeignete institutionelle, personelle, beihil- ferechtliche und aufsichtsrechtlich transparente Struktur zu erarbeiten, in der die substanzielle Erweiterung des KfW-Engagements im Bereich Wagniskapital-, Beteili- gungs- und Mezzaninfinanzierungen dauerhaft umge- setzt werden kann. Wichtig ist für die Linke, dass das Substanzerhal- tungsgebot des ERP-Sondervermögens gewahrt bleibt. Wichtig ist es, auch zukünftig angemessene Rückstellun- gen zu bilden, um Sonderbelastungen für das ERP-SV zu Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 23039 (A) (C) (B) (D) vermeiden. Wichtig ist, ein ausreichendes Kapitalpolster oberhalb des realen Vermögenssubstanzerhalts zu ge- währleisten. Die Linke dringt darauf, dass der Deutsche Bundes- tag im Rahmen der jährlichen Berichterstattung über die ERP-Förderung jeweils bis Mitte des Jahres über die ak- tuelle Situation des ERP-Sondervermögens im Allgemei- nen und die KfW-Beteiligungsfinanzierung im Besonde- ren detailliert informiert wird. Bei der Erarbeitung des Entwurfs des ERP-Wirt- schaftsplangesetzes soll auch zukünftig die substanziel- le Intensivierung des Engagements der KfW im Bereich Beteiligungsfinanzierung berücksichtigt werden. Die Planungsansätze für Beteiligungs- und Kreditfinanzie- rung sollen getrennt ausgewiesen und nachvollziehbar erläutert werden. Für die Linke erfordert die Zustimmung zum Engage- ment im Risikokapital einen hohen Vertrauensvorschuss für die KfW. Jüngste Überweisungspannen vor allem bei Überweisungen werfen da Fragen auf, ob das gerecht- fertigt ist. Trotz dieser Bedenken stimmt die Linke dem Antrag zu. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Mit der heutigen Vertragsanpassung wollen wir das Engagement im Bereich der Wagniskapital- und Beteiligungsfinanzierung verstärken. Das ist ein rich- tiger Schritt und ein wichtiges Signal, das wir Grüne ausdrücklich befürworten; denn für Gründer und junge aufstrebende Unternehmen ist die Finanzierung – vor allem in der Wachstumsphase – eine, wenn nicht die entscheidende Hürde bei der Entwicklung ihres unter- nehmerischen Vorhabens. Im Vergleich insbesondere mit den USA ist der Anteil der Wagniskapitalinvestitionen am BIP in Deutschland fast verschwindend: Während in den USA die Investitionen mit Wagniskapital, kurz VC für Venture Capital, mit 60 Milliarden US-Dollar jähr- lich beziffert werden, beträgt das VC in Deutschland nur 800 Millionen Euro, also etwas mehr als ein Hundertstel des in den USA investierten VC. Dabei beträgt der Grö- ßenunterschied der Volkswirtschaften nur das Zehnfache. Und der Trend ist eher negativ in Deutschland: Von 2015 zu 2016 verzeichnet Deutschland laut Bericht des Wirt- schaftsministeriums einen Investitionsrückgang um be- achtliche 30 Prozent im VC-Bereich. Diesem Trend gilt es zu begegnen. Der Wettbewerb um gute Ideen und Unternehmen wird am Unternehmen Mobileye beispielhaft deutlich. 1999 in Israel gegründet, hat das Unternehmen sich eine Führungsposition bei der Digitalisierung im Fahrzeug- bereich erarbeitet. So stellt das Unternehmen heute die Prozessoren für autonom fahrende Fahrzeuge her. Einer der Hauptabnehmer ist BMW. Künftig wird Mobileye wohl die komplette künstliche Intelligenz zur Fahrzeug- steuerung insbesondere für BMW entwickeln. Die Zu- kunftstechnologie auch im Bereich des Fahrzeugwesens wird sich verlagern vom konstruktiven Kraftfahrzeug- bau, in dem man Deutschland eine technologische Spit- zenposition zuschreibt, zu den digitalen Technologien. Der Wert des Autos wird nicht mehr die Fahrzeugtechnik, sondern die Intelligenz der Fahrersysteme sein, daneben ganz besonders auch die Qualität der internetbasierten Servicebereitstellung. Warum erwähne ich das? Mobil- eye wurde am 13. März 2017 von einem amerikanischen Chipgiganten aufgekauft, Kaufpreis 15,3 Milliarden US-Dollar. Eine solche Summe müsste ein VC-Fonds stemmen können – um die Unabhängigkeit eines solchen Unternehmens zu bewirken – oder müsste, will man die Technologie in Deutschland halten, hier in Deutschland aufgebracht werden. Von solchen Dimensionen sind wir in Deutschland noch weit entfernt. Bei uns in Deutschland stehen Finan- zierungsrunden im zweistelligen Millionenbereich im Fokus, also junge Unternehmen „in der Pubertät“, wie in der Anhörung bezeichnet. Aber wir müssen uns in einem immer dynamischeren Umfeld auch an Investitionen mit weit höheren Volumina herantrauen; Zielmarke ist aber erst einmal der dreistellige Millionenbetrag. Und dafür gilt es, die geeigneten Strukturen innerhalb der KfW zu schaffen. Die Grünenfraktion unterstützt das verstärkte KfW-Engagement. Aus diesem Grund haben wir uns im Wirtschaftsausschuss dem gemeinsamen Entschlie- ßungsantrag der Koalitionsfraktionen angeschlossen. Doch wir sollten uns, bei aller Euphorie, nicht besof- fen reden. Dass das Wagniskapitalengagement gerade jetzt – mit Blick auf den Wahlkampf möchte man sagen „noch“ – ausgeweitet wird, ist den aufsichtsrechtlichen Bestimmungen geschuldet, genauer: den Eigenkapitalan- forderungen der BaFin. Es wäre falsch, zu behaupten, dass ein ausdrücklicher politischer Wille hinter diesem Projekt stand. Vielmehr müssen wir der Großen Koaliti- on an dieser Stelle eine Nichterfüllung der selbst verein- barten Ziele attestieren. So heißt es im Koalitionsvertrag von 2013: „Wir werden Deutschland als Investitions- standort für Wagniskapital international attraktiv machen und dafür ein eigenständiges Regelwerk (Venture-Capi- tal-Gesetz) … erlassen, das unter anderem die Tätigkeit von Wagniskapitalgebern verbessert.“ Auf ein solches Gesetz warten wir bis heute. Inhaltlich gibt es noch einige wichtige Ergänzungen und Anmerkungen zu den vorgelegten Eckpunkten. Zen- tral ist uns die realistische Risikobewertung bei der Be- reitstellung von Eigenkapital. Die Investments können im schlechtesten Fall vollständig aufgezehrt werden. Über dieses Risiko sollten sich alle Beteiligten klar sein und es einkalkulieren. Insbesondere wird die ins Auge gefasste Beteiligungsgesellschaft – unabhängig von der gesellschaftsrechtlichen Form – durch eine Lernkurve gehen und Anfangsverluste in Kauf nehmen müssen. Und in der Sache selbst steckt natürlich ein anderes Ri- siko als das klassische Kreditrisiko: Wir können nicht so agieren, als könnte man die Eigenkapitalrisiken wie bei einem Kredit kontrollieren. Dies ist illusorisch. Die Besonderheiten des Geschäftsfeldes müssen auch bei der Risikosteuerung und den angewandten Steuerungs- modellen berücksichtig werden. Dies gilt unabhängig davon, ob die ins Auge gefasste Beteiligungsgesellschaft innerhalb oder außerhalb der KfW gegründet wird. Auch sollten wir die bisherigen KfW-Erfahrungen im Bereich Equity berücksichtigen. 2004 hat man sich Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 201723040 (A) (C) (B) (D) sprunghaft aus dem Beteiligungsgeschäft verabschiedet. Damit hat man einen schlagartigen Verlust von Know- how in der Equity-Finanzierung hingenommen. Die entsprechenden Lehren zu ziehen, sich des langfristigen Zeithorizonts des Engagements bewusst zu machen, ist unabdingbar. Bei volatilen Entwicklungen mit kurzfris- tigen Werteinbußen darf nicht panisch das Geschäftsfeld abgebaut werden. Wir brauchen Nachhaltigkeit. Es muss die Entwicklung einer Lernkurve, der Aufbau von Know- how ermöglicht werden. Neben den Strukturen innerhalb einer künftigen Ge- sellschaft ist der Blick auf das Umfeld mindestens ge- nauso wichtig. Wie wir in der Anhörung unisono gehört haben, ist die Aktivierung privaten Kapitals „der Fla- schenhals, durch den wir müssen“. Aufgrund der beihil- ferechtlichen Vorgaben ist es wesentlich, dass zugleich zusätzliches privates Kapital aktiviert wird. Hierzu gibt es beispielsweise in Dänemark oder Österreich bereits Erfahrungen, von denen wir in Deutschland profitieren können und müssen. Am Ende des Tages ist das heute angestoßene Projekt auch eine „Kulturfrage“; denn Innovationen und Grün- dergeist erfordern eine gewisse Risikobereitschaft, die in Deutschland oft noch vermisst wird. Hier muss es gerade die Aufgabe für uns Politiker sein, das gesellschaftliche Umfeld zu entwickeln. Ein von mir persönlich bereits mehrfach vorgetragener Vorschlag ist ein mindestens vierwöchiges Praktikum in einem Unternehmen für je- den Schüler, unabhängig vom Schultyp, und nach Mög- lichkeit einzelne Besuche in Unternehmen schon im Vor- schul- und im Grundschulalter. Aber in diesem Bereich gibt es sicher noch viele weitere kreative Ideen; sie müs- sen nur umgesetzt werden. Wenn wir das Umfeld der Unternehmen in den Blick nehmen, benötigen wir – neben der Finanzierung – eine schnellere Entwicklung der Rahmenbedingungen, also zum Beispiel Datensicherheit, aber auch solche Din- ge wie Änderungen im Personenbeförderungsgesetz in Hinblick auf internetgestützte Mobilität oder rechtliche Rahmenbedingungen für das autonome Fahren. Sie sind entscheidend für den Erfolg neuer, innovativer Unterneh- men. Dabei haben wir eine Schere zwischen Anforderun- gen der Gesellschaft an spezifischere, den individuellen Gegebenheiten der einzelnen Person oder Personengrup- pe genügenden Regelungen einerseits und den immer schnelleren technischen und damit auch gesellschaftli- chen Änderungen auf der anderen Seite. Wir Grüne werden den Prozess weiterhin sehr kon- struktiv begleiten. Über die Parteigrenzen hinweg gilt es hier, Deutschland in Richtung Innovationsfreundlichkeit und Gründungskultur zu entwickeln. Ich kann nur hoffen, dass sich die konservativen Kräfte in der Union und der SPD hier nicht als zu stark erweisen, ganz zu schweigen von den rückwärtsgewandten Aussagen mancher Popu- listen, wobei Risiken nicht an die Seite geschoben wer- den dürfen; sie müssen adressiert und lösungsorientiert eingedämmt werden. Natürlich brauchen wir bei den auf uns zukommenden Herausforderungen und Veränderun- gen Augenmaß, aber auch Mut für die Zukunft. Wir Grü- ne haben diesen. Dirk Wiese (SPD): Wir beraten heute den Entschlie- ßungsantrag des Deutschen Bundestages zum Anpas- sungsvertrag ERP-Förderrücklage. Ich sehe das heute als Meilenstein. Wir haben in dieser Legislaturperiode eine wichtige Wegstrecke bei der Stärkung der Start-up-För- derung und der Beteiligungsfinanzierung hinter uns ge- legt. Wir haben Förderinstrumente wie das Programm INVEST ausgebaut und gesetzgeberische Maßnahmen ergriffen, etwa den neuen § 8d Körperschaftsteuergesetz zum Erhalt des Verlustvortrags. Auch dieser heute vorliegende Antrag zeigt, dass die Bundesregierung auf diesem Weg intensiv vom Parla- ment begleitet wurde und parlamentarische Interessen stark in den Prozess und in die Sache eingebracht wer- den. Denn wir stimmen heute nicht nur der Härtung eines Kapitalbestandteils des ERP-Sondervermögens in der KfW in Höhe von 4,65 Milliarden Euro zu. Wir legen hier und heute auch die Richtschnur zur Stärkung der Be- teiligungsfinanzierung in Deutschland. Hier hat Deutschland Nachholbedarf. Insbesondere junge innovative Unternehmen können nur mithilfe von Risikokapital gründen und wachsen. Und dieses Angebot gilt es zu stärken! Wir streben im Vergleich zu 2016 eine Verdopplung des Wagniskapitalvolumens durch Privat- wirtschaft, Bund, KfW und EU an. Dies wollen wir auf zweierlei Weise schaffen. In einem ersten Schritt wollen wir gemeinsam mit der KfW die bestehenden Wagnis- kapitalangebote wie Hightech Gründerfonds, Coparion und ERP-VC-Fondsinvestments ausbauen. Des Weiteren wollen wir bis Juni dieses Jahres in Zusammenarbeit mit der KfW ein kohärentes Konzept zum Aufbau beteili- gungsspezifischer Strukturen und Prozesse erstellen. Die Expertenanhörung im Wirtschaftsausschuss am 22. März 2017 hat gezeigt, dass Ziel sein muss, private Mittel für Beteiligungsfinanzierung anzuziehen. Die Ex- perten haben sich deutlich für die Schaffung eigenständi- ger Strukturen im Rahmen einer KfW-Tochter – Beteili- gungsgesellschaft – ausgesprochen. Damit wird man auf dem Markt sichtbar und gibt ein dauerhaftes verlässliches Signal. Deutlich wurde auch, dass ein schnell agierender Marktpartner gefordert ist, der in seinen Entscheidungs- prozessen mit privaten Kapitalgebern mithalten und bei- hilfefrei agieren kann. Wir werden gemeinsam mit der KfW jetzt Strukturen erarbeiten, die dieses ermöglichen sollen. Wir werden den Deutschen Bundestag auch weiterhin in diesem Pro- zess beteiligen und bis Juni 2017 ein Konzept übermit- teln. Mit dieser Initiative schaffen wir wesentliche Voraus- setzungen für die Innovationskraft unserer Volkswirt- schaft und stärken den Standort Deutschland. Ich bitte um Ihre Zustimmung zum Entschließungsantrag. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Abgeordne- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 23041 (A) (C) (B) (D) ten Annette Groth, Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Willy-Brandt-Korps für eine solidarische humanitäre Hilfe (Tagesordnungspunkt 25) Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): Im Mai vergangenen Jahres haben wir über diesen Antrag ge- sprochen, und ich hatte damals schon die Gelegenheit, hierzu Stellung zu beziehen. Wir standen kurz vor dem ersten Humanitären Weltgipfel in Istanbul. UN-General- sekretär Ban Ki-Moon lud selbst dazu ein. Ich freue mich, zu sehen, dass sich das öffentliche Verständnis und die staatliche Bereitschaft in den vergan- genen Monaten weiter zum Positiven gewandelt haben. Bürgerinnen und Bürger verstehen immer besser, warum es so wichtig ist, dass wir humanitäre Hilfe wie auch Ent- wicklungszusammenarbeit leisten. Und die Bundesregie- rung hat für dieses Jahr 1,2 Milliarden Euro des Bundes- haushaltes für die Humanitäre Hilfe vorgesehen. Das ist gut, doch es ist auch notwendig! In dem Antrag werden als Begründung für die For- derung nach einem Willy-Brandt-Korps die großen He- rausforderungen an die internationale Hilfe genannt. Der Finanzierungsbedarf allein von Organisationen der Vereinten Nationen war 2015 nicht einmal zur Hälfte ge- deckt. Deshalb stimme ich Ihnen zu: Ja, wir müssen die humanitäre Hilfe mehr in den Fokus rücken. Und dabei müssen wir uns auch die Freiheit lassen, diese neu zu denken. Dass Planungssicherheit für Hilfsorganisationen be- steht und eine enge Zusammenarbeit mit lokalen NGOs gegeben sein muss, ist ein wichtiges Anliegen dieses An- trags. Und ich denke, da kann die Internationale Gemein- schaft noch besser werden, auch wenn wir hier schon in die richtige Richtung gehen. Doch eine Konkurrenz zu diesen NGOs und UN-Agenturen zu schaffen, sehe ich als den falschen Weg an. Sie zu stärken und ihnen zu hel- fen, dass sie ihre Arbeit sicher tun können, sollte unser Anliegen sein. Vor einigen Tagen waren spätabends noch Offiziere bei mir im Büro. Während unseres Gesprächs bemerkte eine von ihnen: Der Bundeshaushalt sieht doch vor, einen gewissen Anteil des BIP an die Armee zu geben. Könnten nicht 0,1 Prozent an die Arbeit der Heilsarmee gehen? – Die Offizierin war eben von der Heilsarmee, und natür- lich war die Frage von einem Augenzwinkern begleitet. Auch wenn das natürlich schwierig ist, hat der Gedan- ke einen wahren Kern. Wir müssen die unterstützen, die vor Ort Hilfe leisten. Es muss sichergestellt sein, dass sie die finanziellen Mittel, die Nahrung, das Personal haben, um den Menschen in Not zu helfen. Wir können, nein, wir dürfen es nicht akzeptieren, dass Kinder im Südsu- dan teilweise mit zehn Liter Wasser pro Tag auskommen müssen. Ich weigere mich, die Krise im Jemen oder in Nigeria einfach zu vergessen und die Menschen dort ver- recken zu lassen. Da müssen wir hinschauen. Und des- halb bin ich dankbar, wenn wir die Gelegenheit haben, diese Länder und das Schicksal einzelner Personen vor Ort hier auf die Tagesordnung zu bringen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Lin- ke, Sie fordern in Ihrem Antrag, dass Deutschland seine internationale Verantwortung ausschließlich mit zivilen Mitteln wahrnehmen soll. Genau hier liegt die Schiefla- ge Ihrer Sichtweise. Sie lassen uns keine andere Wahl, als den Antrag abzulehnen. Es wird nicht gefordert, zu- nächst alle diplomatischen und zivilgesellschaftlichen Instrumente zu nutzen. Die internationale Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland soll zukünftig ohne die Bundeswehr wahrgenommen werden. Jedes militärische Eingreifen wird ausgeschlossen. Gerade das Beispiel Südsudan – erst vor ein paar Stunden durfte ich zu der Lage vor Ort sprechen – zeigt, dass die humanitäre Hilfe allein nicht die Probleme löst. Diese Krise ist nicht Resultat einer Naturkatastrophe, auch wenn El Niño natürlich die Situation noch verstärkt. Doch der Bürgerkrieg, der seit über drei Jahren wütet, kann nicht durch humanitäre Hilfe beendet werden. Die Regierung vor Ort tut momentan fast nichts, um der ei- genen Bevölkerung zu helfen. Warum soll Deutschland hier politisch keine Verantwortung übernehmen? Unser Botschafter in Juba ist es, der immer wieder mit dem Prä- sidenten spricht und ihn darin bestärkt, mit den verschie- denen ethnischen Gruppen in den Dialog zu treten. Ihr Antrag lässt vermuten, dass Sie die naive These vertre- ten, dass es nur schwarz oder weiß gibt, humanitäre Hil- fe oder Kriegseinsatz. Aber dass dazwischen noch eine Menge Spielraum ist, den wir nutzen können, ja nutzen sollen, lässt ihr Antrag und ein Willy-Brandt-Korps, wie Sie es fordern, gar nicht zu. Nein, es ist ein Antrag, der die Bundeswehr abschaffen und in eine Art zweites Technisches Hilfswerk umbau- en will. Die Bundesregierung verfügt jedoch durch das THW schon über einen sehr leistungsfähigen Akteur in der Katastrophenhilfe. Es leistet technische Hilfe im Zi- vilschutz und in der Katastrophenbekämpfung. Das Engagement der über 80 000 ehrenamtlichen Hel- ferinnen und Helfer des THW verdient unser aller Aner- kennung. Deshalb haben wir im November letzten Jahres beschlossen, die Mittel für das THW auf 260 Millionen Euro aufzustocken und ein Förderprogramm zur Fahr- zeugbeschaffung in Höhe von 100 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen. Damit erhält das THW insgesamt 170 zusätzliche Stellen. Und damit können insgesamt bis 2023 mehr als 621 Lkw und Bergungsräumgeräte ange- schafft und ausgetauscht werden. Hier wird schon viel erfüllt, was die Linken mit ihrem Willy-Brandt-Korps fordern. Unsere Bundeswehr als Parlamentsarmee hat einen zentralen sicherheits- und friedenspolitischen Ansatz. Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass die Vermischung von politischen, militärischen und humanitären Zielen gefährlich ist. Da stimme ich Ihnen zu. Doch das Ziel, Frieden, Sicherheit und Entwicklung in einem Land zu schaffen, kann nicht nur auf einem Weg erreicht werden und braucht ein Zusammenspiel vieler unterschiedlicher Akteure. Das Weißbuch 2016, das im vergangenen Jahr von unserer Verteidigungsministerin vorgestellt wurde, zeigt deutlich, wie wichtig dieses Zusammenspiel ist und dass Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 201723042 (A) (C) (B) (D) dieses von der Bundesregierung ausdrücklich gefördert wird. Dazu gehört die humanitäre Versorgung durch zi- vile und öffentliche Organisationen, doch eben auch ein Instrument, das es den Organisationen gewährleistet, zu den Menschen in Not sicher zu gelangen und dabei nicht selbst Zielscheibe von Gewalt und Krieg zu werden. Ge- nau für diese Sicherheit sorgt unsere Bundeswehr. Das Grundverständnis eines jeden Soldaten in der deutschen Bundeswehr ist es, der Allgemeinheit zu dienen und für das Wohl derer einzutreten, die sich selber nicht verteidi- gen können oder wollen. Es heißt nun, in dem Zusammenspiel Missbrauchs- möglichkeiten zu minimieren, aber das Prinzip der ge- meinsamen Zielerreichung voranzubringen und in guter Zusammenarbeit Konflikt- und Krisensituationen immer weiter zurückzudrängen. Doch Ideologien sind kein Er- satz für eine verantwortungsbewusste wertegeleitete Au- ßen- und Sicherheitspolitik. Ich möchte meine Ausführungen schließen mit einer persönlichen Erfahrung, die ich mit der Bundeswehr und ihrem Einsatz gemacht habe, und das in dem nicht gerade unumstrittenen Einsatz in Afghanistan. Die International Security Assistance Force ist schon über 13 Jahre dort vor Ort. Viel wurde seither erreicht. Deutschland betei- ligt sich seit dem 1. Januar 2015 an Resolute Support mit mittlerweile 980 deutschen Soldaten. In der Regi- on Masar-i-Scharif konnte ich zusammen mit Kollegen vor einiger Zeit mit verschiedenen Vorsitzenden lokaler NGOs sprechen. Ich werde nie vergessen, wie sie uns für den Einsatz unserer Bundeswehr dankten. Seit die deut- schen Schutztruppen für Sicherheit sorgen, können ihre Kinder wieder ungehindert Bildungsangebote und Ge- sundheitsvorsorge wahrnehmen. Sie müssen keine Angst mehr haben, dass die Taliban ungehindert um sich schie- ßen kann. Natürlich gibt es auch kritische Stimmen, und es wird nicht alles perfekt laufen; aber diese Begegnung zeigt mir, wie wichtig der Einsatz unserer Bundeswehr ist. In der Erklärung „Gerechter Friede“ der deutschen Bi- schöfe von 2000 heißt es: „Eine Welt, in der den meisten Menschen vorenthalten wird, was ein menschenwürdi- ges Leben ausmacht, ist nicht zukunftsfähig. Sie steckt auch dann voller Gewalt, wenn es keinen Krieg gibt.“ Ich möchte werben und selbst dafür eintreten, dass im- mer mehr Menschen das nicht nur wissen, sondern auch erleben. Ich will, dass Menschen weltweit eine Zukunft haben. Ich will, dass sie wissen, wer sie sind und was sie ausmacht. Ich will, dass sie in Sicherheit leben können. Dafür müssen wir humanitäre und politische Verantwor- tung übernehmen. Doch manchmal ist eine militärische Option eine letzte politische Notwendigkeit, um dieses Ziel zu erreichen. Diese von vornherein komplett auszu- schließen, halte ich für feige und verantwortungslos. Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD): Mit dem Antrag der Linken wird ein wichtiges Thema angesprochen. Aller- dings greift der Antrag zu kurz, denn wir haben bereits Strukturen für internationale humanitäre und die Kata- strophenhilfe. Es macht daher aus meiner Sicht keinen Sinn, dafür ein neues Instrument zu entwickeln. Das wür- de zu Doppelstrukturen führen, und genau die sollten wir vermeiden, wenn wir effektive Hilfe leisten wollen. Auf die Vielfalt der humanitären Hilfsorganisationen in Deutschland bin ich bereits in der ersten Lesung des Antrags am 12. Mai 2016 eingegangen. In dem Antrag wird der Humanitäre Weltgipfel ange- sprochen, der am 23. und 24. Mai 2016 abgehalten wur- de. Ich habe in meiner Rede zur ersten Lesung zusätzlich den Flüchtlingsgipfel in New York angesprochen, und wir haben in diesem Haus nach dem Gipfel bereits über die Ergebnisse diskutiert. Nun bietet sich die Gelegen- heit, kurz Bilanz zu ziehen: Was haben wir auf dem Hu- manitären Weltgipfel erreicht, was haben wir getan, was ist noch zu erledigen? Bei dem Gipfel ging es nicht um Finanzzusagen, son- dern um strukturelle Reformen der globalen humanitä- ren Hilfe. Deutschland hat auf dem Gipfel insbesondere zugesagt, die finanziellen Strukturen zu stärken und ei- nen Paradigmenwechsel hin zu vorausschauender Hilfe zu unterstützen. Konkret wollen wir insbesondere den Schutz für Klimaflüchtlinge stärken. Bereits im Jahr 2012 hat Deutschland damit begon- nen, Mechanismen für vorausschauende Hilfe zu etablie- ren. Am 1. Juli 2016 hat es zusammen mit Bangladesch den Vorsitz der „Platform on Disaster Displacement“ übernommen. Wir befinden uns gerade in der Testpha- se des Aufbaus eines Systems, das Vorwarnungen und damit schnelle Handlungsfähigkeit im Katastrophenfall ermöglicht. Diese Aktivitäten werden vom Deutschen Roten Kreuz unterstützt. Auf dem Gipfel haben wir 174 Zusagen über die ge- meinsamen Vereinbarungen hinaus gegeben. Auf der „Platform for Action, Commitments and Transforma- tion“, PACT, sind die Zusagen aller Teilnehmerstaaten des Gipfels veröffentlicht. Sie lassen sich dort nachlesen. Fortschritte bei der Umsetzung können die Akteure dort selbst eintragen. Organisatorisch will ich besonders die Rolle des Bü- ros der Vereinten Nationen zur Koordinierung der Huma- nitären Hilfe – Office for Coordination of Humanitarian Aid, OCHA – betonen. Es soll die Umsetzung der Vor- haben des Gipfels beobachten und darüber regelmäßig Bericht erstatten. Ich komme zur deutschen humanitären Hilfe. Mit Ih- rem Antrag ignorieren Sie die humanitäre Hilfe, die wir in Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen und Nichtre- gierungsorganisationen bereits leisten. Die Koalition hat auf Betreiben der SPD die Mittel für humanitäre Hilfe dauerhaft deutlich erhöht und dem realen Bedarf ange- nähert. Darüber hinaus haben wir bereits eine funktionierende technische Institution, das Technische Hilfswerk, THW, das nationale und internationale Katastrophen- und hu- manitäre Hilfe leistet. Das THW führt Projekte mit den Vereinten Nationen durch und ist in den Zivil- und Ka- tastrophenschutz der Europäischen Union bestens inte- griert. Es war schon in mehr als 130 Ländern im Einsatz. Als Beispiele will ich die Unterstützung bei der Flut in Polen 2010 und die Hilfe für die Menschen in Indonesi- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 23043 (A) (C) (B) (D) en nach dem Tsunami 2004 nennen. Sie sehen: Mit dem Vorschlag der Linken würden wir nicht etwas qualitativ Neues, sondern lediglich Doppelstrukturen schaffen. Das andere große Thema, gerade angesichts der ka- tastrophalen humanitären Lage im Nahen und Mittleren Osten, ist die Flüchtlingsfrage. Deutschland leistet in großem Umfang humanitäre Hilfe in der Region. Auch das THW war dort am Aufbau von Flüchtlingsunter- künften und der Versorgung von Flüchtlingslagern mit funktionierenden Wasser- und Abwassersystemen be- teiligt. Deutschland hat in den letzten Jahren zusätzlich eine große Zahl von Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlin- gen aufgenommen. Hier möchte ich besonders auf die vielen Menschen in Deutschland hinweisen, die täglich dabei helfen, Flüchtlinge zu integrieren. Leider war es in der Europäischen Union nicht möglich, zu einer ein- heitlichen Flüchtlingspolitik zu kommen. Die bisherigen Ergebnisse, wie das Abkommen mit der Türkei und die Abgrenzungspolitik im Mittelmeer, sind auf Dauer keine Lösung. Wer glaubt, dadurch das Flüchtlingsproblem lö- sen zu können, denkt völlig unrealistisch. Im letzten Jahr gab es im September zwei Gipfel in New York zu diesem gegenwärtig dringlichsten humani- tären Problem der globalen Flucht und Zwangsmigrati- on: den Flüchtlingsgipfel der Vereinten Nationen in New York und, auf Einladung des damaligen US-Präsidenten Barack Obama, einen Gipfel, der konkrete Hilfszusagen bringen sollte. Auf dem Weltflüchtlingsgipfel der Verein- ten Nationen wurde beschlossen, bis 2018 einen globalen Flüchtlingspakt zu erarbeiten. Zum US-Flüchtlingsgip- fel, bei dem unter anderem auch Deutschland Mitgast- geber war, haben die 52 teilnehmenden Länder die Zu- sage gemacht, 360 000 Flüchtlinge aufzunehmen. Am Ergebnis beider Gipfel kann man sehen, dass trotz Fort- schritten die Arbeit mühsam bleibt. Außerdem wurden Maßnahmen vereinbart, die Bildungs- und Ausbildungs- möglichkeiten für Flüchtlingskinder und Jugendliche zu verbessern. Solange man nicht auf der internationalen Ebene zu substanziellen Verbesserungen kommt, können wir nur mit den Mitteln, die wir haben, arbeiten und diese Schritt für Schritt verbessern. Wie ich am Humanitären Weltgipfel und dessen Fol- low-up-Prozess gezeigt habe, engagiert sich Deutschland intensiv. Wir sollten weiterhin die bestehenden Struktu- ren, national und international, unterstützen und in ihrer Handlungsfähigkeit stärken. Die Vielfalt der bestehenden Organisationen mit unterschiedlichen Kompetenzen und Fähigkeiten bieten eine gute Grundlage dafür. Zusammenfassend kann ich sagen: Obwohl der Antrag wichtige Themen anspricht und es gut und notwendig ist, darüber zu diskutieren, fehlen die Voraussetzungen für eine Zustimmung. Ich denke, wir befinden uns mit unse- rer Politik auf einem guten Weg. Inge Höger (DIE LINKE): Nach Angaben des Aus- wärtigen Amtes vom letzten Jahr hat sich die Zahl der Menschen, die dringend auf humanitäre Hilfe angewie- sen sind, in den letzten zehn Jahren vervierfacht: Welt- weit sind es heute mindestens 125 Millionen. Die welt- weite humanitäre Lage bleibt unübersehbar. In Ostafrika bedroht derzeit eine Hungersnot das Leben Tausender Menschen; aktuell gibt es Hungertote im Nordosten Ni- gerias, in einigen Dörfern dort leben keine Kinder unter fünf Jahren mehr. Weltweit zählen wir über 40 Millionen Binnenflüchtlinge und mehr als 20 Millionen Menschen, die außerhalb ihres Heimatstaates Zuflucht suchen. Ex- treme Armut, Hunger, Wassermangel, fehlende Gesund- heitsversorgung und Epidemien verlangen dringend tat- kräftige humanitäre Hilfe. Das millionenfache Leid ist keine zufällige Entwick- lung. Eine Ursache sind ungleiche Handelsbeziehungen. Insbesondere durch westliche Freihandels- und Inves- titionsschutzabkommen werden Entwicklungsländer wirtschaftlich geschröpft und ihre sozio-ökonomischen Grundlagen zerstört. Zunehmend entzieht ebenso der Klimawandel vielen Menschen ihre Lebensgrundlage, insbesondere durch Dürren und Flutkatastrophen. Der Klimawandel, der sowohl zu Überschwemmungen als auch zu verheerenden Dürreperioden führt, ist das Pro- dukt der profitorientierten Wirtschaftsaktivität der west- lichen Industriestaaten. Eine wichtige Ursache der sozialen Zerstörung sind zudem Kriege, welche durch zahlreiche westliche Mili- tärinterventionen und Rüstungsexporte geschürt werden. Unter den größten Herkunftsländern bei Geflüchteten befinden sich beispielsweise Afghanistan und Somalia. Das sind Staaten, in denen die Bundeswehr seit Jahren in militärischen Auslandseinsätzen aktiv ist, vorgeblich zur Herstellung von nationaler Sicherheit und zum Schutz der Bevölkerung. Real geht es um die Umsetzung geopo- litischer und geoökonomischer Interessen. Statt dieser Militärinterventionen muss die Bundesre- gierung ihre internationale Verantwortung deutlich mehr und ausschließlich zivil wahrnehmen. Im Haushaltse- tat für 2017 ist eine derartige Strategie nicht erkennbar. Während lediglich rund 1,2 Milliarden Euro für huma- nitäre Hilfsmaßnahmen bereitstehen, steigt der Wehretat um 2,7 Milliarden Euro auf insgesamt über 37 Milliarden Euro. Obwohl die Bundeswehr explizit keinen humani- tären Auftrag hat, greift die Bundesregierung bei großen Krisen immer wieder auf die personelle und logistische Infrastruktur der Bundeswehr zurück. Eine auf Kriegs- führung spezialisierte Armee im Einsatz für humanitäre Hilfsmaßnahmen bedeutet eine Vermischung militäri- scher Interessen mit ureigenen zivilen Aufgaben! Für den Schutz der Bevölkerung in akuten Krisensi- tuationen sind zivile Maßnahmen zur humanitären Ver- sorgung der richtige Schritt. Entscheidend ist dabei, dass ausreichend finanzielle Mittel vorhanden sind, die nöti- ge Schnelligkeit gegeben ist und die beteiligten Akteure aufeinander abgestimmt arbeiten. Nötig sind zivile Ka- pazitäten; dazu gehören Transportflugzeuge, Hubschrau- ber, Schiffe, Lastwagen, mobile Krankenhäuser sowie Logistikzentren und weitere technische Hilfsmittel. Das sind notwendige Voraussetzungen, um in Katastrophen- gebieten flexibel Hilfe leisten zu können. Für eine zivile humanitäre Hilfe müssen diese durch Konversionsmaß- nahmen aus dem Bestand der Bundeswehr umgerüstet oder notfalls neu angeschafft werden. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 201723044 (A) (C) (B) (D) Deshalb beantragt die Linke, logistische Hilfe ab so- fort durch eine unabhängige Instanz und nicht über die Bundeswehr zu organisieren. Die Aufstellung eines zivi- len Willy-Brandt-Korps für internationale Katastrophen- hilfe, ein Gemeinschaftswerk aus zivilgesellschaftlichen und öffentlichen Organisationen, ist unseres Erachtens die richtige Antwort auf den genannten massiven Bedarf an humanitärer Hilfe und die dafür benötigte Infrastruk- tur. Auf diese Weise kann die Neutralität von humanitärer Hilfe gewährleistet werden. Eine feste und ausreichende Finanzierung muss sichergestellt werden, eine zuver- lässige Koordinierung gewährleistet und die öffentliche Kontrolle über die internationale humanitäre Hilfe der Bundesregierung verbessert werden. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Der Antrag der Linken fordert, jegliches militäri- sches Engagement im Ausland abzuschaffen. Das betrifft also auch die friedenserhaltenden Missionen der Verein- ten Nationen, die ja weitgehend gewaltfrei – wenn auch mit militärischer Unterstützung – zivile Ziele verfolgen. Damit fordert die Linke, eines der wichtigsten frieden- spolitischen Instrumente, das die Weltgemeinschaft be- sitzt, abzuschaffen. Dass die Aufgabe der friedenserhaltenden Missionen unendlich schwierig ist, ist keine Frage. Das ist aber kein Grund, sie nicht anzugehen; denn dass die UN-Friedens- missionen in zahlreichen Konfliktregionen dieser Welt Entscheidendes geleistet haben, kann niemand ernst- haft bezweifeln. Dabei haben sie keinen militärischen Kampfauftrag, vielmehr werden militärische Kapazitä- ten eingesetzt, um Zivilisten vor Angriffen bewaffneter Gruppen zu schützen, um Kombattanten zu entwaffnen, um einen Friedensschluss zu begleiten, Wahlen zu si- chern oder zwei Kriegsparteien zu trennen, bis eine Ei- nigung erzielt ist. Über 70 Missionen sind in den letzten 70 Jahren entsandt worden. Über 22 000 Zivilisten arbei- ten heute in den Friedensmissionen der Vereinten Natio- nen, ebenso wie über 100 000 Soldatinnen und Soldaten und 12 000 Polizeikräfte. Die Aufgaben der Blauhelme sind über die Jahre im- mer komplexer, immer vielfältiger geworden. Der Bedarf an Friedenssicherung war nie größer als heute, und die finanziellen, personellen und materiellen Kapazitäten, die die Mitgliedstaaten bereitstellen, reichen nicht aus, um diesen Bedarf zu decken. Immer noch wird ungleich mehr Geld aufgewendet, um Kriege vorzubereiten, als um Frieden zu schaffen. Dennoch – und unter teilweise widrigsten Umständen – haben die Vereinten Nationen in den letzten Jahren die Friedensprozesse in Liberia, in Sierra Leone, in Nepal, in Timor-Leste, in der Elfenbein- küste, in Guinea-Bissau, in Haiti vorangebracht. Derzeit stehen der Kongo, Mali, Kolumbien, die Zentralafrika- nische Republik oder der Süd-Sudan auf der Tagesord- nung, aber auch rein politische Vermittlungsbemühungen in Libyen oder Syrien. Diese Missionen, so verschieden ihre Aufgaben auch sein mögen, sind vor allem dann erfolgreich, wenn sich die Kriegsparteien dem Friedensprozess verpflichtet füh- len und wenn die internationale Gemeinschaft sie dabei tatkräftig unterstützt. Es geht also nicht darum, einen Krieg mit militärischen Mitteln zu beenden, sondern da- rum, den gesellschaftlichen Frieden und die Menschen- rechte so zu etablieren helfen, dass der Rückfall in Krieg und Konflikt unwahrscheinlich wird. Das hat die Linke offenbar missverstanden. Nun möchte die Linke statt alledem ein national orga- nisiertes „Korps“ entsenden, also Deutsche, die in aller Welt „helfen“. Die Probleme, die die humanitäre Hilfe heute hat – vom Fehlen der Mittel, über die schwierige Koordination der zahlreichen Hilfsorganisationen bis hin zum Problem, die Betroffenen im Bombenhagel über- haupt zu erreichen –, werden aber sicherlich nicht durch eine weitere Truppe nichtlokaler, westlicher „Experten“ gelöst, die dann vor Ort im Weg herumstehen. Wir haben zwar eine hoch angesehene Organisation für Katastrophenhilfe, das Technische Hilfswerk. Dieses kommt in dem uns vorliegenden Antrag aber gar nicht vor, ebenso wenig wie die zahlreichen humanitären Hilfsorganisationen, die hervorragende Arbeit leisten. Eine – wie die Linke will – deutsche „zivil humanitäre Dachstruktur“ brauchen sie nicht. Welchen Vorteil ein neu zu gründendes, deutsches Willy-Brandt-Korps haben soll, ist also nicht ersichtlich. Im Gegenteil, viele der Schwierigkeiten, die die humani- täre Hilfe heute plagen, würden mit einem solchen Korps ja noch verstärkt. Dringend benötigte Mittel würden von etablierten und gut funktionierten Organisationen ab- gezogen, und die humanitäre Hilfe würde nationalisiert anstatt internationalisiert werden, obwohl sie ein von Grund auf multilaterales Unterfangen ist und sein muss. So scheint das Willy-Brandt-Korps nur ein ideologi- scher Schlenker zu sein auf dem Weg zum eigentlichen Ziel: Deutschland nimmt seine internationalen Ver- pflichtungen ausschließlich mit zivilen Mitteln wahr. – Wir sollen uns also in unverantwortlicher Weise vom UNO-System verabschieden und überlassen die Verant- wortung für die internationale Ordnung den anderen. Wir suchen einen deutschen Sonderweg in die internationale Isolation. Da treffen sich dann die Nationalisten von links und rechts. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener- gie: – zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Eu- ropäischen Parlaments und des Rates über den Elektrizitätsbinnenmarkt (Neufassung) KOM(2016) 861 endg.; Ratsdok. 15135/16 – zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Gründung einer Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit der Ener- gieregulierungsbehörden (Neufassung) KOM(2016) 863 endg.; Ratsdok. 15149/16 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 23045 (A) (C) (B) (D) hier: Stellungnahme gemäß Protokoll Nr. 2 zum Vertrag von Lissabon (Grundsätze der Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeits- prüfung) (Tagesordnungspunkt 26) Thomas Bareiß (CDU/CSU): Die Europäische Uni- on hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt: Bis 2030 sollen die Treibhausgasemissionen in Europa um mindestens 40 Prozent reduziert werden, die Energieeffizienz soll um bis zu 30 Prozent gesteigert werden, und die erneu- erbaren Energien auf einen Mindestanteil von 27 Prozent am europäischen Stromverbrauch ausgebaut werden. Diese Ziele machen deutlich: Unsere Energieversor- gung wird sich auch auf europäischer Ebene radikal wan- deln. Volatile erneuerbare Erzeugung wird zunehmen, konventionelle Kraftwerke kommen weniger zum Ein- satz, Energieeffizienz muss angereizt und Instrumente zur Senkung der Treibhausgasemissionen im Verkehrs- und Wärmesektor müssen entwickelt werden. Uns sind diese Herausforderungen aus der Umsetzung der deut- schen Energiewende teils gut bekannt. Mit dem Winterpaket „Saubere Energie für alle Eu- ropäer“ hat die Europäische Kommission ein umfassen- des und teils komplexes Rechts- und Regelungspaket vorgelegt, das diese Herausforderungen adressiert. Die ambitionierten Ziele werden mit einem konkreten regu- latorischen Rahmen für die ganze EU hinterlegt, um so gemeinsam den Wandel unserer Energieversorgung zu meistern. Das ist zu begrüßen; denn die Energie- und Stromversorgung macht an den Staatsgrenzen nicht halt. Der europäische Energiebinnenmarkt ist eine große Errungenschaft der Europäischen Union. Eine rein na- tionale Energieversorgung ist kaum noch denkbar. Der gemeinsame Binnenmarkt sichert unsere Energieversor- gung und sorgt für ausreichend Wettbewerb. Das kommt den Verbrauchern in Form von wirtschaftlichen Ener- giepreisen zugute. Diesen Binnenmarkt weiterzuentwi- ckeln, ist richtig, und sieben Jahre nach Verabschiedung des dritten Energiebinnenmarktpakets auch notwendig. Die Grundausrichtung des europäischen Marktde- signs, die von der Kommission vorgeschlagen wird, findet sich bereits in unserer energiepolitischen Gesetz- gebung wieder, wie zum Beispiel die freie Preisbildung, der Wettbewerb der Flexibilitätsoptionen und die schritt- weise Heranführung der erneuerbaren Energien an den Markt. Auch die ACER, die Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden, hat seit ihrer Grün- dung im Jahre 2009 durchaus gute und wertvolle Arbeit bei der Koordinierung der nationalen Energieregulie- rungsbehörden geleistet. Problematisch ist jedoch, dass in zwei zentralen Rechtsakten des Winterpakets – die Elektrizitätsbin- nenmarktverordnung und die ACER-Verordnung – eine Fülle von Kompetenzerweiterungen vorgesehen sind, die nicht mit den Grundsätzen der Subsidiarität und der Ver- hältnismäßigkeit vereinbar sind. Es werden Sachverhalte auf die europäische Ebene gezogen, die auf nationaler Ebene bisher erfolgreich, auch mit unseren europäischen Partnern, geregelt werden konnten. Besonders hervorheben möchte ich die neuen Verfah- ren zur Festlegung von Gebotszonen. Deutschland hat bisher eine Preiszone. Bislang kann diese nur mit un- serer Zustimmung aufgeteilt werden. Zukünftig soll die EU-Kommission die Entscheidungskompetenz erhalten. Das geht aus unserer Sicht zu weit. Gerade als Bundespo- litiker ist es unsere Pflicht, zu gewährleisten, dass inner- halb Deutschlands ähnliche Lebens- und Wettbewerbs- bedingungen herrschen. Eine Aufteilung Deutschlands in zwei oder mehrere Strompreiszonen würde dies massiv konterkarieren. In Süddeutschland würden die Strom- preise erheblich steigen. Im Norden würden erhebliche Überkapazitäten am Strommarkt entstehen. Die Kompe- tenz zum Erhalt der Strompreiszonen muss daher in der Hand der Nationalstaaten bleiben. Nur so gibt es auch ausreichend Anreize für einen schnellen Netzausbau in- nerhalb unseres Landes. Die primäre Aufgabe der ACER ist es, die Arbeit der nationalen Energieregulierungsbehörden zu ergänzen und zu koordinieren. Sie soll bewusst nicht die Arbeit der nationalen Regulierer übernehmen. Aus unserer Sicht hat sich die Arbeitsteilung bisher bewährt, und wir hal- ten es für unangebracht, die Zuständigkeiten von ACER, teils ohne Zustimmung des Parlaments und des Rats, zu erweitern. Daher verstoßen bestimmte Regelungen der ACER-Verordnung klar gegen das Subsidiaritätsprinzip. Hinzu kommt, dass der Einfluss großer Mitgliedstaa- ten innerhalb von ACER geschwächt werden soll. Her- vorzuheben ist das Abstimmungsverfahren. Zwar gilt bisher auch, dass jedes Mitgliedsland eine Stimme hat. Aber zukünftig sollen Entscheidungen mit einfacher Mehrheit getroffen werden. Bisher brauchte man dazu eine Zweidrittelmehrheit. Notwendig ist daher aus unse- rer Sicht eine Stimmgewichtung der Mitgliedstaaten wie im Rat; große Mitgliedstaaten brauchen ein entsprechen- des Stimmgewicht. Mit der Subsidiaritätsrüge wollen wir klarmachen, dass Kompetenzerweiterungen und Verhältnismäßig- keit bei energiepolitischen Vorhaben der EU gewahrt bleiben müssen. Das bedeutet nicht, dass wir eine ener- giepolitische Weiterentwicklung auf europäischer Ebe- ne verhindern wollen. Im Gegenteil: Die EU muss den Binnenmarkt weiter vertiefen. Es bedarf jedoch einer gemeinsamen europäischen Energiepolitik mit den Na- tionalstaaten. Barbara Lanzinger (CDU/CSU): Im vergangenen November hat die Europäische Kommission umfassende Legislativvorschläge veröffentlicht, die als „Winterpa- ket“ unter dem Namen „Saubere Energie für alle Euro- päer“ bekannt geworden sind. Dieses Paket ist sehr um- fassend. Dabei ist nicht alles in dem Paket falsch; das auszudrücken, ist nicht die Intention des vorliegenden Antrags. Aber bei manchen Punkten geht die Europäi- sche Kommission schlicht zu weit. Sie sind mit essen- ziellen EU-Grundprinzipen nicht mehr vereinbar. Be- stimmte Teile des Pakets verstoßen gegen das Prinzip der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit. Daher haben Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 201723046 (A) (C) (B) (D) wir uns in der Koalition für eine Subsidiaritätsrüge ent- schieden. Das Paket umfasst Regelungen beispielsweise zur Erneuerbaren-Energien-Richtlinie, der Energieeffizi- enz-Richtlinie, der ACER-Verordnung und der Elek- trizitätsbinnenmarktverordnung. Dadurch soll der EU-Energierahmen neu gestaltet werden und an neue Gegebenheiten, beispielsweise an einen zunehmenden Anteil erneuerbarer Energien, angepasst werden. Die Energiewende in Europa und in Deutschland wird da- durch entscheidend mitbestimmt. Ich will betonen. Die grundlegende Intention dahin- ter ist gut und richtig. Wir wollen und wir müssen die Energiewende weiter gestalten, auch grenzübergreifend und in Zusammenarbeit mit unseren europäischen Part- nern. Es macht durchaus Sinn, manches auf EU-Ebene zu regeln, länderübergreifende Kooperationen zu ver- bessern, Koordinierungen effizienter zu gestalten, grenz- überschreitend stärker zusammenzuarbeiten. Da liegt noch viel Arbeit vor uns. Aber insbesondere die Rege- lungen der ACER-Verordnung und der Elektrizitätsbin- nenmarktverordnung des Winterpakets schießen über das Ziel hinaus. Subsidiarität kommt aus dem Lateinischen und be- deutet sinngemäß „zurücktreten“ oder „nachrangig sein“. Politisch bedeutet das in der EU, Regelungen auf der Ebene vorzunehmen, auf der es sinnvoll ist – in Brüssel, in Berlin oder oft doch vor Ort in einer Kommune. Im Lissabon-Vertrag sind in Artikel 5 EUV die Prinzipien der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit als unver- rückbare Grundsätze festgelegt. Unter Absatz 3 heißt es: „Nach dem Subsidiaritätsprinzip wird die Union in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständig- keit fallen, nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaa- ten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können, sondern vielmehr wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind.“ In Absatz 4 heißt es: „Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gehen die Maßnahmen der Union inhaltlich wie formal nicht über das zur Erreichung der Ziele der Verträge er- forderliche Maß hinaus.“ Sowohl in der ACER- als auch der Elektrizitätsbinnenmarktverordnung haben wir er- hebliche Bedenken bezüglich dieser Grundprinzipien. Exemplarisch greife ich einzelne Punkte heraus. Vor dem Hintergrund des Artikels 5 EUV ist es nicht zu erklären, dass die Europäische Kommission durch die Elektrizitätsbinnenmarktverordnung die alleinige Ent- scheidungskompetenz für die Frage des Gebotszonen- zuschnitts innerhalb eines Mitgliedstaates erhalten solle. Das bedeutet vereinfacht ausgedrückt, dass die Kommis- sion darüber entscheiden kann, dass die Strompreise im Süden Deutschlands stark steigen würden. Vor dem Hintergrund des Artikels 5 EUV ist es nicht zu erklären, dass durch die Elektrizitätsbinnenmarktver- ordnung ganze Themenfelder in sogenannte delegierte Rechtsakte übertragen werden können sollen. In einem damit verbundenen Verfahren ist keine Zustimmung der Mitgliedstaaten mehr vorgesehen. Das ist politisch sehr fragwürdig, da dadurch ganze Themenbereiche mit gro- ßer politischer Relevanz betroffen wären, aber auf Be- amtenebene entschieden würden. Das ist unangemessen. Es ist weiterhin nicht zu erklären, dass die EU-Kom- mission durch die ACER-Verordnung unter bestimmten Bedingungen zusätzliche Entscheidungskompetenzen an die ACER-Behörde übertragen können soll. Bisher konnten nur Aufgaben übertragen werden, die keine Entscheidungskompetenz umfassen. Es ist die alleinige Aufgabe des Unionsgesetzgebers, zu entscheiden, wer welche Entscheidungsbefugnisse wahrnimmt! Auch die geplante Abschwächung der Mehrheitsverhältnisse im Regulierungs- wie im Verwaltungsrat der ACER ist nicht gerechtfertigt. Damit sind nur einige Punkte genannt. Vor allem bei den im Antrag angesprochenen Punkten sind wir davon überzeugt, dass die Ziele der Maßnah- men gut auf nationalstaatlicher Ebene und nicht besser auf EU-Ebene geregelt werden können. Daher lehnen wir die Vorschläge ab. Sehr geehrte Damen und Herren der Europäischen Kommission, wir wollen mit Ihnen zusammen die Eu- ropäische Union verbessern und weiterentwickeln, auch im Bereich der Energiepolitik. Aber an dieser Stelle schießen Sie über das Ziel weit hinaus. Die Prinzipien der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit sind kei- ne leeren Worthülsen und dürfen es nie werden. Nur mit diesen Grundprinzipien kann dieses so vielfältige Europa politisch funktionieren. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, die richtige Balance zu finden. Bei den in unserem Antrag genannten Punkten ist sie nicht gewahrt. Wir werden auch bei den anderen Vorhaben des Winterpakets genau hinschauen, wie es darum steht. Johann Saathoff (SPD): Wie wir alle in den letz- ten Jahren mehr und mehr erfahren haben, wird über die deutsche Energiepolitik zunehmend auf europäischer Ebene entschieden. Bei den EEGs, dem KWKG, dem Strommarktgesetz und bei vielen anderen Vorhaben geht nichts mehr ohne den Stempel aus Brüssel. Außer für die Energiepolitik bin ich in meiner Frak- tion auch für Fischereipolitik zuständig. Die europäi- sche Fischerei ist seit über 30 Jahren vollständig verge- meinschaftet. Als die Gemeinsame Fischereipolitik vor wenigen Jahren reformiert wurde, kam es zu enormen Kompetenzstreitigkeiten zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission. Die Situation stellte sich damals genauso wie heute dar: Die Kommis- sion versucht, mittels delegierter Rechtsakte, also ohne Beteiligung von Rat und Parlament, Kompetenzen an sich zu ziehen. Sie darf das nach dem Lissabon-Vertrag bei nicht-wesentlichen Teilen eines Gesetzgebungsaktes tun. Wir hatten nun einige Wochen Zeit, die ACER-Ver- ordnung und die Strommarkt-Verordnung zu lesen; denn nur um diese beiden Verordnungsentwürfe geht es heute. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 23047 (A) (C) (B) (D) Nach dem Studium dieser Verordnungsentwürfe kann man sagen: Auch hier versucht die Kommission wie- der, Kompetenzen an sich zu ziehen und Rat und Par- lament gegeneinander auszuspielen. Und dabei geht es eben nicht um nicht-wesentliche Bestandteile des Pakets, sondern um entscheidende Fragen, wie zum Beispiel die regionalen Betriebszentren, die Ausgestaltung von Netz- kodizes oder eine mögliche Aufteilung in Gebotszonen. Das sind für jeden Mitgliedstaat zentrale Fragen der Energiepolitik, und die wollen wir auch zukünftig selbst entscheiden. Das hat gar nichts zu tun mit Europafeind- lichkeit, denn die Zuständigkeiten sind in den EU-Verträ- gen klar geregelt. In unseren Augen geht es nur darum, dass die Kommission hier versucht, sich unzulässiger- weise Kompetenzen anzueignen. In diesem Zusammenhang möchte ich noch meine Sorge zum Ausdruck bringen, was künftige Entschei- dungskompetenzen bei den angesprochenen Verord- nungsentwürfen betrifft. Mag man es vielleicht noch hinnehmen, dass die EU einzelne zentrale Fragen der Energiepolitik im Sinne der Koordinierung und Verein- heitlichung regeln möchte, so halte ich es aber nicht für akzeptabel, dass sich die Entscheidungskompetenzen auch mit diesen Entwürfen immer weiter vom Parlament auch in der EU hin zur Exekutive verlagern sollen. „So sitt Hark in’t Steel“, sagt man in Ostfriesland, wenn man die Deutungshoheit über eine Sache behalten möchte. Und genau um diese Deutungshoheit muss es uns als Parlamentarier gehen. Aus diesen Gründen freue ich mich, dass wir hier heu- te als Parlament diese Subsidiaritätsrüge verabschieden und uns damit in guter Gesellschaft mit einigen ande- ren Mitgliedstaaten befinden. Damit stärken wir unse- rer Bundesregierung bei den weiteren Verhandlungen in Brüssel den Rücken, und selbstverständlich werden wir auch die weiteren Verordnungen mit Blick auf das Subsi- diaritätsgebot prüfen. Auf jeden Fall bildet die heutige Debatte nur den Auf- takt zu einem längeren Diskussionsprozess; denn bis zur endgültigen Verabschiedung des Clean-Energy-Pakets wird es noch eine ganze Zeit dauern. Ich freue mich auf diese Debatte. Dr. Nina Scheer (SPD): In Form des vorliegenden Antrags befasst sich das Parlament mit der Frage, inwie- fern Maßnahmen aus dem sogenannten EU-Winterpaket bzw. „Saubere Energien für alle Europäer“ die Grundsät- ze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit tangie- ren bzw. gegen diese verstoßen. Auch wenn der Antrag nur zwei Bereiche benennt – die Elektrizitätsbinnenmarktverordnung sowie die ACER-Verordnung –, möchte ich unterstreichen, dass sich der Bundestag hiermit ausdrücklich vorbehält, auch zu weiteren Aspekten des Vorschlagspakets Stellung zu beziehen; denn das betreffende und noch im Einzelnen zu beratende Paket erzielt solch grundlegende Neu- strukturierungen zum Umgang mit Energie, dass hierbei zwangsläufig auch Bereiche angesprochen sind, die aus- weislich des Vertrages von Lissabon Angelegenheit der Mitgliedstaaten sind. Die mit dem EU-Energiepakt zu klärenden Fragen werfen somit zugleich eine ganz grundsätzliche Frage auf: Wie gehen wir mit Kompetenzüberschneidungen zur Ausgestaltung des Binnenmarktes in EU-Zuständigkeit auf der einen Seite und Artikel 192 sowie 194 des Vertra- ges von Lissabon auf der anderen Seite um, wonach der Energiemix Angelegenheit der Mitgliedstaaten ist? Dies betrifft auch Maßnahmen, die die allgemeine Struktur der Energieversorgung eines Mitgliedstaates erheblich berühren. Am Beispiel Deutschlands lässt sich gut erkennen, wie sich dieses Spannungsverhältnis darstellt: Mit einem wachsenden Anteil erneuerbarer Energien, insbesondere Wind und Solar und damit sogenannten fluktuierenden Energien, steigt der Bedarf an Flexibilitäten, um eine Versorgung kontinuierlich aufrechtzuerhalten. Sinn- vollerweise sind hierbei Synergien zu heben, sowohl in Form einer Verknüpfung der Sektoren Strom, Wärme und Mobilität als auch unter Einbindung von bereits vor- handener oder auszubauender Infrastruktur. Wenn etwa die Einbeziehung von Speichern sowohl mit Blick auf kontinuierliche Verfügbarkeit von Energie als auch für die Mobilität gelingt, ist dies ökonomisch sinnvoll und lässt uns schneller sektorübergreifend den klimapolitisch und ressourcenverknappungsbedingt notwendigen Um- stieg auf erneuerbare Energien gelingen. Dies ist auch aus Gründen der Gerechtigkeit wichtig: Nicht erst, wenn der Klimawandel um sich greift und verknappte Ener- gieressourcen zum Spekulationsobjekt werden, sollten wir die Energiewende vollzogen haben. Die skizzierte Entwicklung bedeutet aber auch, dass sich Fragen des Energiemixes, des Einsatzes von Energie und Fragen der Energievermarktung sowie Energieverbringung immer enger miteinander verflechten. Damit wird ein Ausein- anderhalten der unterschiedlichen Kompetenzen immer schwerer. Im Lichte der Subsidiarität und der geschilderten Zusammenhänge erwarte ich, dass die Kommission ein stärkeres Augenmerk darauf richtet, welcher Bereich der Energiewirtschaft sinnvollerweise als Angelegenheit der Mitgliedstaaten in deren Regelungshoheit verbleibt. Der europäische Energiemarkt darf sich nicht überfordern. Er sollte nicht stärker zusammenwachsen, als dies der Um- gang mit dem jeweiligen Energiemix der Mitgliedstaaten mit Blick auf alle Sektoren sinnvollerweise erlaubt. Im Sinne der Subsidiarität sollten Staaten Netzma- nagementaufgaben insoweit regelungstechnisch vorbe- halten bleiben, wie dies mit Blick auf ihren jeweiligen Energiemix sinnvollerweise ihrerseits zu regulieren ist. So ist etwa die Änderung des ACER-Abstimmungs- verfahrens kritisch zu sehen. Die Gestaltung des Ener- giemarktes sollte wegen dessen Verquickung mit dem nationalen Energiemix nicht den nationalen Gestal- tungsmöglichkeiten entzogen werden. Andernfalls droht insbesondere in solchen Staaten die Energiewende ins Stocken zu geraten, in denen ein vergleichsweise hoher Flexibilitätsbedarf besteht, somit in Staaten mit einem wachsenden bzw. hohen Anteil erneuerbarer Energien. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 201723048 (A) (C) (B) (D) Damit würden wir weder unseren internationalen Klima- schutzverpflichtungen gerecht noch den mit der Energie- wende gegebenen Chancen. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Da es unmög- lich ist, die acht Dossiers zum Winterpaket der EU-Kom- mission zusammen zu beraten, ist es gut, dass wir von dem 4 300-seitigen Werk heute zunächst nur zwei Doku- mente anberaten. Zunächst ein paar Schlaglichter zum Winterpaket insgesamt aus unserer Sicht. Das größte Manko: Das Winterpaket basiert auf den veralteten EU-Klimaschutz- zielen. Die Kommission hat bei ihren Vorschlägen offen- sichtlich verdrängt, dass uns der Klimavertrag von Paris Aufgaben gestellt hat, um die 1,5- bis 2-Grad-Grenze nicht zu überschreiten. So orientiert es sich an dem, was der Europäische Rat im Oktober 2014 beschlossen hat, also lediglich 40 Prozent Treibhausgasminderung bis 2030, 27 Prozent-Erneuerbaren-Anteil und plus 27 Pro- zent Energieeffizienz. Damit liegt Europa aber bei wei- tem nicht auf einem Zielpfad, der zu rund 95 Prozent we- niger Treibhausgasen bis 2050 führt. In den einzelnen Vorschlägen ist nicht zu erkennen, dass die Dekarbonisierung des Energiesektors oder der rasante Ausbau der Erneuerbaren wirkliches Ziel der Kommission ist. Schwerpunkte sind vielmehr Marktre- geln für einen stärkeren Energieverbund und zudem selt- same Governance-Regeln, die eigentlich nur kaschieren sollen, dass es in der Energieunion an Verbindlichkeit der Ziele für die einzelnen Mitgliedsländer mangelt. Es gibt, isoliert betrachtet, ein paar positive Aspekte, aber die sind schnell aufgezählt. So soll das Effizienzziel für die EU insgesamt nun verbindlich sein, ähnlich wie das EE-Ausbauziel. Allerdings mangelt es beiden daran, dass die Verbindlichkeit nicht verteilt wird auf die Mit- gliedstaaten. Es gibt also nur eine kollektive Pflicht der EU-Länder zur Zielerreichung. Die Regeln zur Gover- nance, die allerdings erst ab 2024 wirken sollen, sollen dann einzelne Mitgliedstaaten irgendwie finanziell zur Verantwortung ziehen. Bis dahin kann eigentlich jeder machen, was er will. Das wird Europa in ärgste Schwie- rigkeiten bei der Erfüllung der Klimaschutzziele bringen. Nun zur Neufassung der Elektrizitätsbinnenmarkt- verordnung. Das Paket erteilt beim Marktdesign zwar Kapazitätsmärkten weitgehend eine Absage, der Ener- gy-only-Markt soll hier Vorrang haben. Kapazitätsme- chanismen, in denen alte Technologien überwintern kön- nen, sind unter bestimmten Bedingungen dann aber doch wieder zugelassen. Und in diesen Mechanismen dürfen zwar infolge des eingezogenen Emissionsstandards – 550 g CO2 pro Kilowattstunde – Kohlekraftwerke nicht mehr vergütet werden, der Einsatz von Atomkraftwerken für diese Zwecke wäre jedoch nicht ausgeschlossen. Eine der umstrittensten Fragen dieses Entwurfs ist, inwieweit künftig der Einspeisevorrang für EE-Anlagen gelten und wirken wird. Auch uns ist dies etwas unklar. Zunächst schafft die Kommission den EE-Einspeisevor- rang als „expliziten Grundsatz“ ab. Er soll aber zumin- dest weitgehend ersetzt werden durch einen „relativen/ impliziten“ Einspeisevorrang im Rahmen des Einspei- semanagements sowie durch Bestandsschutzklauseln. Möglicherweise gibt es darüber hinaus einen Transpa- renzgewinn durch erweiterte Berichts- und Rechtferti- gungspflichten der ÜNB/VNB im Falle von Abregelun- gen. Was den Einspeisevorrang beim Dispatch betrifft, so sind die Schwellenwerte für einen garantierten Marktzu- gang bei Neuanlagen für Wind, PV und Biomasse wohl kein Problem; denn in Deutschland liegen sie schließlich mit der EEG-Festvergütung, also der garantierten Abnah- me durch den Übertragungsnetzbetreiber, bis zur Leis- tung von maximal 100 Kilowatt bereits heute unter je- nen 250 Kilowatt, die die Kommission nun vorschreiben will. Über diesen Wert hinaus muss jeweils verpflichtend direkt an der Börse vermarktet werden. Weil die Markt- prämie die EE-Differenzkosten deckt, der Betreiber also seinen EE-Strom sicher los wird, kann man hier von einem impliziten Einspeisevorrang sprechen, der auch in Zukunft gewährt wird. Das gilt zwar in Deutschland nicht für Situationen mit negativen Preisen länger als sechs Stunden, aber das ist ein anderes Thema. Die vorgeschlagene Grenze der EU-Kommission wäre übrigens einmal Anlass, den Schwellenwert für die Direktvermarktung in Deutschland von 100 auf 250 Ki- lowatt zu erhöhen. Dann hätten Bürgerenergien wieder mehr Chancen, an der garantierten Einspeisevergütung zu partizipieren. Der Einspeisevorrang ist nicht nur für den Dispatch wichtig, sondern auch im Falle des Managements von Netzengpässen. Im Rahmen dessen dürfen in Deutsch- land erst dann, wenn Kohle und Atom auf die technische Mindesterzeugung abgeregelt worden sind, wenn nötig, auch Erneuerbare zwangsweise vom Netz, gegen 95-pro- zentige Entschädigung. Wir wissen zwar, dass gegen die Abregelungshierarchie in der Praxis häufig verstoßen wird, weil sie kaum kontrolliert wird. Aber es gibt sie. Nunmehr soll es hierbei nach dem Willen der Kommis- sion künftig ein Primat eines „marktlichen Redispatchs“ geben, in den dann auch Erneuerbare einbezogen sein würden. In Deutschland unterliegen dagegen momen- tan sowohl das Einspeisemanagement der EE-Anlagen als auch das Redispatch der konventionellen Erzeugung überwiegend den Netzbetreibern. Wir fragen uns, was von einem Vorrang für einen „marktlichen Redispatch“ zu erwarten wäre. Nach mei- nem Verständnis haben die Erneuerbaren eine hohe Flexibilität und werden in einigen Fällen billiger abzu- schalten sein als Kohlekraftwerke. Entsprechende Aus- schreibungen, die etwa adäquat zum Regelenergiemarkt stattfinden könnten, könnten sie gewinnen. Dabei verlö- ren die EE-Betreiber zwar kein Geld, es ginge aber auf Kosten des Klimaschutzes. Sollte es stimmen, dass mit dem Entwurf der Bundes- regierung weitgehende Entscheidungskompetenzen zur Gestaltung der Netzentgeltsystematik entzogen werden, so wäre dies zunächst kritisch zu sehen. Allerdings hat die Bundesregierung diese Kompetenz bislang kaum im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher eingesetzt; denn es werden weder bundesweit einheitliche Netzent- gelte eingeführt noch unberechtigte Industrieprivilegien Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 23049 (A) (C) (B) (D) abgebaut, die andere über die hohen Netzentgelte bezah- len. Zum Schluss ein Wort zur Regulierungsbehörde ACER. Koalition und Bundesregierung haben Beden- ken, dass sich die EU-Behörde zu viel Kompetenzen auf den Tisch zieht und vielleicht sogar Deutschland in zwei Gebotszonen spalten könnte. Mein Vorschlag: Leiten Sie zügig den Einstieg in den Kohleausstieg ein. Dann ent- spannt sich auch die Netzsituation, und die Aufteilung in zwei Strompreiszonen wäre gebannt. Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Gestern, während in den verschiedenen Bundes- tagsausschüssen Ihre Subsidiaritätsrüge beraten wurde, war Theresa May unterwegs, um mit Artikel 50 den Bre- xit zu notifizieren. Dies kam nicht überraschend; denn der Austrittsantrag wurde seit dem Referendum vor neun Monaten erwartet. Trotzdem ist es traurig, dass die Koa- litionsfraktionen in den dunkelsten Stunden unserer Eu- ropäischen Union erneut die Keule der Subsidiaritätsrüge schwingen und sich zum Steigbügelhalter mancher An- ti-Europäer machen. Erst in der letzten Sitzungswoche erklärte Frau Strothmann von der CDU bei Ihrer letzten KoA-Subsidiaritätsrüge, es wäre jetzt auch mal Zeit, dass der Bundestag sich diesbezüglich nicht so zurückhalte. Ähnliche Töne zu meinem Erschrecken nun auch von der SPD im Wirtschaftsausschuss, wonach man Brüssel ja schon lange einmal zeigen müsse, wer energiepolitisch das Sagen hätte, und Brüssel ohnehin zu viel Energiepo- litik betreibe. Mit dem vorgelegten Winterpaket macht die Kommis- sion einen Umsetzungsvorschlag für die Ratsschlussfol- gerungen aus dem Oktober 2014. Dort war Ihre Bundes- regierung durch die Bundeskanzlerin vertreten und hat die Richtung vorgegeben. Wenn wir uns hier und heute über die Ausreizung euro- parechtlicher Vorgaben für die Energiepolitik verständi- gen, dann gehört auch zur Wahrheit, dass die Staats- und Regierungschefs damals weit über politische Leitlinien hinausgingen und bis auf die letzte Kommastelle detail- lierte Vorgaben für Energie- und Klimapolitik machten. Damit schränkten sie den Spielraum der Kommission extrem ein und verdealten nationale Egoismen. In den Zielen wiederum waren diese Vorgaben energie- und klimapolitisch viel zu schwach und reichen bei weitem nicht aus, um unsere klimapolitischen Verpflichtungen und Notwendigkeiten zu erfüllen. Wenn wir heute hier Ihre zweite Subsidiaritätsrüge innerhalb von drei Wochen behandeln, dann riecht das – mit Verlaub – auch ein wenig nach plumpem Wahlkampf auf Kosten der Europäischen Kommission. Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und CDU, stellen Sie sich wahlkampftaktisch in die Reihe von Verkehrs- minister Dobrindt und seiner europafeindlichen Wahl- kampfmaut. Zumindest haben Sie sich anders noch als letzte Sitzungswoche diesmal zumindest die Mühe ge- macht, nicht mehr nur die schlechte Vorlage Ihrer baye- rischen Kollegen aus dem Bundesrat abzuschreiben, son- dern sind auch wirklich bei den entscheidenden Punkten in die Tiefe gegangen. Bevor ich darauf im Detail eingehe, möchte ich aber noch einmal betonen: Die Energiewende ist kein deut- sches Projekt. Die Energiewende ist ein europäisches Projekt und braucht gemeinsame europäische Politiken. Hier kann die Kommission groß in großen Dingen sein, wie es Präsident Juncker zu Beginn seiner Amtszeit ver- kündete; denn der Umbau und die Modernisierung un- serer Wirtschaft und Energiegewinnung zum Wohle un- serer künftigen Generationen gehören zweifelsohne zu den größten Dingen unserer Zeit. Und auch unser Ziel „von den fossilen Energien auf 100 Prozent erneuerbare Energien“ werden wir nur erreichen können, wenn wir es europäisch angehen. Die Kommission macht in ihrem Winterpaket dafür auch einige gute Vorschläge. Manche Vorschläge sehen auch wir kritisch; die müssen und werden wir im norma- len Gesetzgebungsverfahren verändern und verbessern. Grundlage der Vorschläge ist Artikel 194 AEUV. Da- rin heißt es in Absatz 1: „Die Energiepolitik der Union verfolgt im Geiste der Solidarität zwischen den Mitglied- staaten im Rahmen der Verwirklichung oder des Funkti- onierens des Binnenmarkts und unter Berücksichtigung der Notwendigkeit der Erhaltung und Verbesserung der Umwelt folgende Ziele: a) Sicherstellung des Funktionierens des Energie- markts; b) Gewährleistung der Energieversorgungssicher- heit in der Union; c) Förderung der Energieeffizienz und von Energie- einsparungen sowie Entwicklung neuer und er- neuerbarer Energiequellen und d) Förderung der Interkonnektion der Energie- netze.“ Sie sehen: Selbst im Vertrag von Lissabon sind die Ziele des Netzausbaus und der europäischen Netzverbin- dung, der Ausbau der erneuerbaren Energien und die Ver- besserung der Energieeinsparung festgeschrieben. Zugespitzt könnte man vielleicht sogar sagen, dass Ihr schwarz-rotes Festhalten an der schmutzigen und gefähr- lichen Braunkohle, der schleppende Netzausbau und die Belastung der Stromnetze unserer Nachbarn mit drecki- gem deutschem Kohlestrom aus massiven Kohleüber- kapazitäten dem Europarecht widerspricht, zumindest unseren Zielen. Klar ist aber zumindest, dass Ihr diesbe- zügliches Handeln in diesen Bereichen auch dazu geführt hat, dass die Kommission hier aktiv werden muss. Aber kommen wir zu den Details Ihrer Rüge. Subsi- diarität bedeutet im engeren Sinne, dass die Europäische Union in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur tätig wird, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend verwirklicht werden kön- nen, sondern wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind. Die Ministerien der Bundesregierung und auch die Juristen des Bundestags haben nun festgestellt, dass die beiden heute hier beratenen Verordnungsvorschläge Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 201723050 (A) (C) (B) (D) grundsätzlich mit dem Prinzip der Subsidiarität vereinbar sind. Sie melden aber in Detailfragen Subsidiaritätsbe- denken an. Diese Bedenken sind aus unserer Sicht auch berechtigt. Die europäische Organisation von Gebotszo- nen kann zwar grundsätzlich helfen, die Versorgungssi- cherheit auch bei zunehmendem Anteil fluktuierender Solar- und Windstromanteile im Netz stabil zu halten und zu hohe Kosten sowie die Überkapazitäten zu ver- hindern. Dies sollte aber im Einklang durch enge Koope- ration der Mitgliedstaaten geschehen und nicht im allei- nigen Zuständigkeitsbereich der Kommission liegen. Bei der Frage unterstützen wir das Ansinnen der Koalition, sagen aber auch, dass dies besser durch eine glaubhaf- te und klare Arbeit der Bundesregierung statt durch eine Subsidiaritätsrüge erreicht werden sollte. Die Vorschläge zur Einrichtung regionaler Betriebs- zentren sollten so ausgestaltet werden, dass die nationalen und die für die Versorgungssicherheit verantwortlichen Übertragungsnetzbetreiber sowie die Bundesnetzagentur als zuständige Aufsichtsbehörde zwar in einem engen Austausch mit den europäischen Nachbarstaaten zur Be- wältigung der Herausforderungen eines zunehmend eu- ropäisierten Netzverbunds und Energiemarkts stehen, in letzter Instanz jedoch alleine entscheidungsbefugt blei- ben. Hier kann man beim bewährten Prinzip bleiben und die Verantwortung und Entscheidungsbefugnis für die Netzführung in nationalstaatlicher Hand behalten, aber gleichzeitig die grenzüberschreitende Kooperation for- cieren. Und hier passiert auch Ihrerseits zu wenig. Bei der Frage der Netzkodizes gemäß Artikel 55 des Verordnungsvorschlags zum Elektrizitätsbinnenmarkt erklären uns unsere Juristinnen: Die Kommission ist nach geltendem Recht grundsätzlich befugt, Rechtset- zungsakte ohne Gesetzgebungscharakter zu erlassen. Diese als „exekutive Rechtsetzung“ bezeichnete und im Vertrag von Lissabon – Artikel 290 AEUV – geregelte Befugnis ermöglicht es ihr, innerhalb gewisser Grenzen Elemente eines Sekundärrechtsakts durch einen biswei- len sogenannten „tertiären“ Rechtsakt zu ändern. Zu Recht wird kritisiert, dass die KOM hierzu nicht ausreichend dargelegt hat, warum derartig weit gefasste delegierte Rechtsakte notwendig sind. Als Europäerinnen sollten wir alle sagen, dass die ge- planten Maßnahmen sich der Regelungskompetenz für die Themenbereiche einem ordentlichen parlamentari- schen Verfahren entziehen und wir das ändern wollen. Hierfür können wir die Bundesregierung auffordern und sagen: Lasst uns die Netzkodizes nicht durch legitime, aber zu weitreichende delegierte Rechtsakte klären, son- dern vom tertiären Recht zurück ins sekundäre Recht holen, zum Beispiel bei Regeln für den Netzanschluss oder Netzzugang Dritter, Regeln für den Datenaustausch und die Abrechnung, die Interoperabilität oder operative Verfahren bei Notfällen. Dies können und wollen wir zu- rück in eine Verordnung holen. Doch von dieser mögli- chen Option hört man bei Ihnen nichts, und damit ist Ihre Rüge ein reines Wahlkampfgetöse. Die Subsidiaritätsrüge ist ein wichtiges Instrument. Sie beweisen mit Ihrer Rüge auch, dass Brüssel nicht irgend- wo weit weg ist, sondern wir Parlamentarier im Bundes- tag ganz selbstverständlich Einfluss auf die Vorschläge der EU-Kommission nehmen können. Wir wissen aber auch, dass die Subsidiaritätsrüge eines der schärfsten Schwerter ist, die uns in unserer demokratischen par- lamentarischen Arbeit in Europa zur Verfügung stehen. Dieses Schwert taugt nicht zum Säbelrasseln. Übermä- ßiger Gebrauch macht es stumpf. Daher hoffen wir sehr, dass Sie es nun nicht alle paar Wochen einsetzen. Da wir Ihre materielle Kritik bei der Frage der Netz- kodizes jedoch teilen und Nachbesserungen bei den regi- onalen Betriebszentren und Gebotszonen sehen, enthal- ten wir uns bei der Abstimmung über Ihren Antrag. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Fahrlehrerwesen und zur Änderung anderer stra- ßenverkehrsrechtlicher Vorschriften (Tagesord- nungspunkt 27) Karl Holmeier (CDU/CSU): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf realisieren wir ein Projekt, das wir im Ko- alitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vereinbart haben: Wir verbessern die Ausbildung der Fahranfänger und erhöhen die Qualität der pädagogischen Ausbildung der Fahrlehrer. Wir kommen mit dem Gesetzentwurf auch einer Bitte der Verkehrsministerkonferenz aus dem April 2012 nach, auf der Grundlage eines Eckpunktepa- piers einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe eine umfassen- de Reform des Fahrlehrerrechts in Angriff zu nehmen. Wir wollen mit unserem Gesetz auch den Problemen des Fahrschulsektors Rechnung tragen und das in seinen Grundzügen seit 1969 unveränderte Fahrlehrerrecht re- formieren. Ferner hat die Bundesregierung den Abbau von An- zeige- und Nachweispflichten für Fahrschulen, die Er- leichterung der Zusammenarbeit von Fahrschulen sowie die Überarbeitung der Zugangsvoraussetzungen für den Fahrlehrerberuf mit dem Ziel der Verbesserung der wirt- schaftlichen Situation von Fahrschulen und der Bekämp- fung des Nachwuchsmangels in ihr Arbeitsprogramm „Bessere Rechtsetzung 2016“ aufgenommen. Ziel der von uns angestrengten Reform ist die Verbes- serung der Fahrlehreraus- und -weiterbildung, die für die Erhöhung der Verkehrssicherheit gerade der besonders gefährdeten jungen Fahranfängerinnen und Fahranfänger von besonderer Bedeutung ist. Durch eine zielorientierte Entbürokratisierung und Erleichterung von Kooperatio- nen wollen wir schließlich die wirtschaftliche Situation der überwiegend durch kleinstbetriebliche Strukturen ge- prägten Fahrschulen verbessern. Mit der Überarbeitung der Zugangsvoraussetzungen für den Fahrlehrerberuf soll auch dem drohenden Nachwuchsmangel begegnet werden. Gerade der Begegnung des Nachwuchsmangels ist in Zeiten des demografischen Wandels hin zur alternden Be- völkerung besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Da Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 23051 (A) (C) (B) (D) unterscheidet sich der Fahrlehrerberuf kaum von vielen anderen Berufsständen, die über fehlenden Nachwuchs klagen. Die Zahl der Fahrlehrer ist das siebte Jahr in Fol- ge gesunken. Bundesweit haben nur noch etwas mehr als 45 000 Personen eine Fahrlehrererlaubnis, und das Durchschnittsalter liegt bei 53 Jahren. Mit großer Masse ist der überwiegende Teil der Fahrlehrerlaubnisinhaber – 75 Prozent plus x – 45 Jahre oder älter und wird sich in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren aus dem Beruf ver- abschieden. Frauen stellen derzeit weniger als 9 Prozent aller Fahrlehrer in Deutschland. Der Nachwuchsmangel hängt auch mit der geringen finanziellen Perspektive des Berufes zusammen, und das Fahrlehrergehalt ist starken regionalen Schwankungen ausgesetzt. In strukturschwa- chen Gebieten mit wenigen Fahrschülern und niedrigen Fahrstundenpreisen verdienen Fahrlehrer tatsächlich oft nicht mehr als 1 400 Euro brutto im Monat. Im Rahmen der Expertenanhörung am 8. März 2017 haben wir unser Reformprojekt dem Praxistest unterzo- gen. Ich möchte an dieser Stelle den Sachverständigen danken, dass sie uns umfangreich Rede und Antwort ge- standen haben. Die Anregungen zu den Themenkomplexen Wegfall der Zweigstellenbegrenzung, Rolle des verantwortlichen Leiters, Nutzen der 495-Minuten-Regelung, Wegfall der Verpflichtung des Tagesnachweises, Nachwuchsmangel bei Fahrschulen, wirtschaftliche Situation der Fahrschu- len, Zugangsvoraussetzungen für Fahrlehrer insbeson- dere im Hinblick auf Schulabschluss und Mindestalter, Standards für die Überwachung von Fahrschulen, Teil- zeitausbildung, Verkehrssicherheit als Ausbildungsziel und Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes haben wir nach der Anhörung ausgiebig in der Koalition diskutiert. Mit unserem Änderungsantrag haben wir die Arbeits- zeit auf 495 Minuten und die Anzahl der Zweigstellen auf zehn begrenzt. Das ist ein angemessener Mittelweg. Auch die Einbeziehung freiberuflicher Fahrlehrer ist sachgerecht, da diese zwar die Ausnahme bilden, aber dennoch in der Praxis zu berücksichtigen sind. Mit der heutigen Verabschiedung des Gesetzes und den Änderungen, die die Koalition im parlamentari- schen Verfahren vorgenommen hat, bringen wir einen bereits länger dauernden Prozess zu einem guten Ende und entsprechen der Forderung der Fahrlehrerschaft nach einer Vereinfachung und Verbesserung der gesetzlichen Grundlagen. Wir stärken die Wettbewerbsfähigkeit und erhöhen die Qualität der Ausbildung. Gero Storjohann (CDU/CSU): Seit 2012 versuchen wir, eine Reform des Fahrlehrerwesens anzustreben, um eine Verbesserung des Fahrschullehrerwesens zu erzie- len. Heute debattieren wir einen Entwurf, der nur eine Schlussfolgerung zulässt: Dieses Anliegen ist uns nun endlich, nach einem langen Weg, gelungen. Lassen Sie mich diesen Weg kurz skizzieren: Beginnen möchte ich im Jahre 2012. Damals bat die Verkehrsministerkonferenz das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, auf Grundlage eines Eckpunktepapiers eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe für eine umfassende Reform der Fahrlehrerrechts zu grün- den. Seitdem ist viel passiert. Den Grundstein für die Reform legte der 2013 ge- schlossene Koalitionsvertrag. Die Ausbildung der Fahr- anfänger zu verbessern und die Qualität der pädagogi- schen Ausbildung der Fahrlehrer zu erhöhen, lautet der Leitsatz. Dieser Grundstein wurde erweitert durch die Aufnahme des Themas in das Arbeitsprogramm ,,Besse- re Rechtsetzung 2016“ der Bundesregierung. Hierdurch kamen die folgenden Grundpfeiler, wie die Erleichterung der Zusammenarbeit von Fahrschulen sowie die Über- arbeitung der Zugangsvoraussetzungen für den Fahrleh- rerberuf mit dem Ziel der Verbesserung der wirtschaftli- chen Situation von Fahrschulen und der Bekämpfung des Nachwuchsmangels, zu unserem Arbeitsauftrag hinzu. Seit 2016 befassen wir uns nun intensiv im Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur mit diesem Arbeits- auftrag, der keinen anderen Schluss zuließ, um den An- liegen der Länder und der Bundesregierung zu entspre- chen und gleichzeitig den gegenwärtigen Problemen des Fahrschulsektors Rechnung zu tragen: Eine umfassende Reform musste her. Das Ziel stand somit fest: Das in seinen Grundzügen seit 1969 unveränderte Fahrlehrerrecht sollte grundle- gend reformiert werden. Ein Hauptziel dieser Reform ist die Verbesserung der Fahrlehrerausbildung und Fahrleh- rerweiterbildung, die für die Erhöhung der Verkehrssi- cherheit gerade der besonders gefährdeten jungen Fahr- anfänger und Fahranfängerinnen von großer Bedeutung ist. Zudem soll mit Maßnahmen zur Entbürokratisierung – Erleichterung von Kooperationen sowie Vergrößerung der Zweigstellenanzahl – die wirtschaftliche Situation der überwiegend durch kleinstbetriebliche Strukturen ge- prägten Fahrschulen grundlegend verbessert werden. Außerdem soll durch die Überarbeitung der Zugangs- voraussetzung für den Beruf des Fahrlehrers dem dro- henden Nachwuchsmangel begegnet werden. Um diesem Nachwuchsmangel konkret entgegenzuwirken, wurden insbesondere die Berufszugangsregelungen, die struktu- relle und inhaltliche Gestaltung der Fahrlehrerausausbil- dung und auch der Fahrlehrerweiterbildung und die Fahr- schulüberwachung an aktuelle Erfordernisse angepasst. Die angesprochene wirtschaftliche Situation soll mit diesem Gesetz nach Berechnungen des Ministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur durch mehr als 84 Mil- lionen Euro für die Fahrschulen entlastend wirken. Die Fahrschulen sollen weniger Zeit mit Formalien verbrin- gen müssen und mehr Zeit für die Fahrschulausbildung ihrer Schüler haben. Die neuen Regelungen der Fahr- schulüberwachung sollen eine verbesserte Fahrschulaus- bildung bewirken. Um die Einhaltung dieser neuen Vorschriften zu ga- rantieren, schaffen wir den Rahmen für eine bundesein- heitliche Überwachung der Fahrschulen, bei der es sich jetzt nicht nur um eine reine Formalüberwachung han- delt. Vielmehr legen wir Wert darauf, dass diese Überwa- chung auch auf pädagogischer Ebene erfolgt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 201723052 (A) (C) (B) (D) Besonders hervorheben möchte ich noch drei weitere Erneuerungen, welche aus der Arbeit im Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur resultieren: Erstens. Die nicht erforderliche Übergangsfrist im § 69 Fahrschullehrgesetz für Kooperationen und Zweig- stellen aus dem ersten Entwurf des Fahrlehrergesetzes konnte gestrichen werde; denn die Fahrschulunterneh- men sind schon jetzt bereit, die Erneuerungen umzu- setzen. Es bedurfte folglich keinerlei Übergangsfrist für diese Regelung. Zweitens. Die seit Jahren bestehende Beschränkung auf drei Zweigstellen, welche mit dazu beigetragen hat, dass das Fahrschulgewerbe kleinstbetrieblich strukturiert ist, ist nicht mehr länger als zeitgemäß anzusehen. Die Anzahl künftig möglicher Zweigstellen wird auf zehn Zweigstellen angehoben. Einerseits wird damit dem auch wirtschaftlichen Wunsch nach größeren Unterneh- menseinheiten Rechnung getragen. Anderseits zeigt die Beibehaltung der gesetzlichen Beschränkung und keine grenzenlose Lockerung der Zweistellenanzahl, dass die Inhaber einer Fahrschulerlaubnis bzw. die verantwortli- che Leitung von Ausbildungsfahrschulen die im Fahrleh- rergesetz festgelegten Pflichten in Bezug zur Ausbildung der Fahrschüler nach den Qualitätskriterien für die Fahr- schulausbildung und zur Überwachung der Ausbildung ausreichend nachkommen können. Dies ist gerade wegen der hohen Bedeutung einer ordnungsgemäßen Ausbil- dung der Fahrschüler für die Verkehrssicherheit und für die Unfallbekämpfung als sachgerecht zu sehen. Die Anhebung der Zahl möglicher Zweigstellen ist allein mit Blick auf die heute bestehenden Möglichkei- ten der modernen Kommunikation und Unternehmens- führung geboten. Sie ist im ersten Schritt mit einer Be- schränkung auf zehn Zweigstellen, was einer spürbaren, aber gleichwohl noch maßvollen Steigerung entspricht, auch ausreichend. Damit wird allen Fahrschulen, die sich an die gesetzlich vorgegebene Zweigstellenbeschrän- kung gehalten haben, unter Beibehaltung des Lehrauf- trags ein fließender Übergang von der kleinstgewerbli- chen Struktur zu anderen Unternehmensstrukturen und anderen Formen der Zusammenarbeit, wie den neu ge- schaffenen Kooperationen, erleichtert. Umgekehrt wer- den Unternehmen, die wachsen wollen und können, nicht darin behindert. Drittens. Die Arbeitszeitbegrenzung des praktischen Unterrichts wurde auf 495 Minuten begrenzt. Diese Re- gelung gilt für den angestellten Fahrlehrer wie auch für den selbstständigen Fahrlehrer. Dies ist sehr im Sinne der Verkehrssicherheit. Damit kommen wir zu einem Punkt, der mir sehr am Herzen liegt: Die Verkehrssicherheit. Der aktuelle Un- fallverhütungsbericht macht wieder einmal deutlich, dass wir immer mehr Mittel einsetzen müssen, um die Zahl der Verletzten und Getöteten im Straßenverkehr weiter zu reduzieren. Das größte Unfallrisiko bleibt laut diesem Bericht in unserem Straßenverkehr der Faktor Mensch. Diesem Faktor können wir mit einem verbesserten Fahr- schullehrerwesen entgegenwirken. Gut qualifizierte Fahrlehrer produzieren auch gut qualifizierte Fahranfän- ger. Bedauerlicherweise sind es gerade die Fahranfän- ger, welche weiterhin die am stärksten unfallgefährdete Gruppe aller Verkehrsteilnehmer darstellen. Dagegen wollen wir mit diesem Gesetz etwas tun. Bitte stimmen Sie mit Freude für diesen Gesetzesent- wurf und unseren Änderungsantrag; denn dies dient der Verkehrssicherheit und der Verbesserung der Fahrschul- branchen in Deutschland. Stefan Zierke (SPD): Zuerst möchte ich drei Stich- worte nennen, von denen man sagen kann, dass sie im Jahre 1969 – im Jahr der Verabschiedung des Fahrleh- rergesetzes in seiner ursprünglichen Version – wohl wie eine Zukunftsvision geklungen haben müssen: automa- tisiertes Fahren, selbstfahrende Autos und Elektromobi- lität. Nun reformieren wir mit dem heute zu verabschieden- den Fahrlehrergesetz und der entsprechenden Verordnung weder das automatisierte Fahren noch die E-Mobilität. Dafür haben wir parallel laufende Gesetzesvorhaben bzw. Förderprogramme. Aber ich möchte mit diesen Stichworten verdeutlichen, dass die Mobilitätsbranche durch viele technische Neuerungen und eine hohe Inno- vationsrate gekennzeichnet ist. Von vielem, was uns heu- te alltäglich erscheint, konnte vor etwa 50 Jahren noch keine Rede sein. Autos von früher sind nicht mit denen von heute zu vergleichen. Ebenso hat sich die pädagogische Wissensvermittlung sowohl in der Ausbildung als auch in der praktischen An- wendung weiterentwickelt. So ging es früher, ob in Schu- le, Ausbildung, Universität oder Fahrschule, verstärkt um Wissensvermittlung, oft auch als Frontalunterricht für Schüler oder Auszubildende. Heute rückt das Thema Kompetenzen in den Vordergrund. Das „Lernen lernen“ ist hier zum geflügelten Wort geworden. Auch vor der Ausbildung der Fahrlehrer und Fahrleh- rerinnen haben technische Innovationen und veränderte Ansprüche an pädagogische Konzepte nicht haltgemacht. Und da im Fahrlehrergesetz über die Jahre Reformbedarf in den gerade kurz skizzierten Bereichen entstanden ist, haben sich die Koalitionsfraktionen diesem Thema auch im Koalitionsvertrag von 2013 gewidmet, zwar nur in einem kleinen Satz, aber dieser Satz führt nun zu der not- wendigen Reform, über die wir heute abstimmen werden. In Zusammenarbeit mit dem Ministerium, mit den Fahrschulverbänden und nicht zuletzt mit dem Koaliti- onspartner haben wir über einen langen Zeitraum in sehr guter und sachlicher Art und Weise einen Gesetzestext zusammengebracht. Wir als SPD-Fraktion haben schon allein zwei Runde Tische mit Fahrlehrerverbänden und einzelnen Fahrschulen organisiert, ganz abgesehen von den vielen Hintergrund- und Expertengesprächen. Das Gesetz, das nun als Entwurf vorliegt, und der von un- serer Fraktion und der CDU/CSU eingebrachte Ände- rungsantrag enthalten natürlich Kompromisse. In seiner Gänze wird aber das eingelöst, was SPD und CDU/CSU in ihren Koalitionsvertrag geschrieben haben, und auch vieles von dem, was aus der Fahrschulbranche im Ge- setzgebungsverfahren an uns herangetragen wurde. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 23053 (A) (C) (B) (D) Doch lassen Sie mich nun konkreter auf einige einzel- ne Punkte des Gesetzes und unseren gemeinsamen Ände- rungsantrag eingehen: Neben formalen Änderungen nehmen wir in unserem Änderungsantrag einige Empfehlungen des Bundesra- tes auf. So wird nun geregelt, dass bei Kooperations- fahrschulen die nach Landesrecht zuständige Behörde zuständig ist, in deren Gebiet der Sitz der Auftrag ge- benden Fahrschule zuständig wird. Bisher war das nicht in dieser Form geregelt. Ebenso dürfen auf Empfehlung des Bundesrates Auszüge aus dem Bundeszentralregister nun zum Beispiel nicht älter als drei Monate sein. Alles vernünftige Dinge, die wir in den Änderungsantrag auf- genommen haben. Als SPD-Fraktion haben wir uns darüber hinaus er- folgreich für die Beibehaltung der 495-Minuten-Rege- lung starkgemacht. Dies ist meiner Fraktion, aber auch mir persönlich, eine unheimlich wichtige Sache, und zwar aus Sicherheitsaspekten und aus Kontrollgründen. Wir wollen damit verhindern, dass Fahrlehrer oder Fahr- lehrerinnen, die freiberuflich praktischen Fahrunterricht geben, dies ohne Kontrolle und ohne zeitliche Begren- zung machen. Daher die Reglementierung auf 495 Mi- nuten pro Tag. Lassen Sie mich an dieser Stelle auch gleich zu den Freiberuflern kommen. Wir, die SPD-Fraktion, sehen dies eigentlich so wie die Mehrzahl der Verbände. Der Freiberufler ist schwer zu kontrollieren und – das sagt ja schon sein Name – „frei“ beruflich unterwegs. Wenn also ein Fahrschulinhaber einen Freiberufler einsetzt, kann er diesen, anders als einen eigenen angestellten Fahrlehrer, nur bedingt kontrollieren. Ob er zum Beispiel vorher schon in einer anderen Fahrschule ein paar Stunden ge- geben hat oder nach den beiden Stunden, die er gerade gibt, noch eine Nachtfahrt hinten dranhängt, ist schwer zu kontrollieren. Hier sieht meine Fraktion ein Problem unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherheit. Fahr- lehrer müssen fit sein, das Fahrgeschehen ihrer Schü- ler dauerhaft beobachten, und ja, gegebenenfalls auch schnell und beherzt ins Fahrgeschehen eingreifen. Dazu müssen sie aber wach und konzentriert sein. Das kann man aber nicht mehr nach elf Fahrstunden! Nun kann man sagen – und glauben Sie mir, das habe ich schon oft als Argument gehört; aber es wird dadurch aber nicht stichhaltiger –, wir hätten doch auch freibe- rufliche Ärzte, Rechtsanwälte oder freiberufliche Pro- grammierer. Die reglementiere man doch auch nicht. Ja, sage ich Ihnen, das stimmt, und unsere Kritik am frei- beruflichen Fahrlehrer richtet sich ja auch nicht als An- griff auf das Freiberuflertum an sich. Sie müssen meines Erachtens hier aber unterscheiden, was zum Beispiel die Honorare von Ärzten und Fahrlehrern betrifft. Ein Arzt oder Rechtsanwalt hat in der Regel bessere Stundensätze als ein Fahrlehrer. Und wenn ein freiberuflicher Kreati- ver einschläft und seinen Kopf auf die Tastatur sinken lässt, geht davon keine Gefahr aus. Vielleicht ist das vor- her Programmierte gelöscht. Aber davon ist keiner gegen einen Baum gefahren. Ein Fahrlehrer darf aber nicht ein- mal kurz einen Sekundenschlaf haben oder unkonzent- riert sein. Das ist zu gefährlich. Und hier sehen wir die Sorge, dass sich Freiberufler gewissermaßen selbst aus- beuten, mehr Stunden machen, als sie sich zutrauen soll- ten, gegebenenfalls für einige Jahre die Beiträge für die Sozialversicherung „sparen“, um besser über die Runden zu kommen – mit den entsprechenden Konsequenzen, was zum Beispiel das Thema Altersarmut angeht. Dies wollte meine Fraktion so nicht. Aber wir haben uns mit unserem Koalitionspartner nun darauf geeinigt und wol- len die notwendige Verkehrssicherheit als SPD über die 495-Minuten-Regelung erreichen. Besser wäre es für uns ohne Freiberufler. Aber so steht nun der Kompromiss. Im alten Fahrlehrergesetz war die Zweigstellenanzahl auf drei festgelegt. Das Ziel des Gesetzes ist es unter anderem, eine stärkere Konzentration und damit nicht zuletzt Skaleneffekte mit größeren Fahrschuleinheiten herstellen zu können. Daher hat sich die Koalition, nach- dem im Entwurf keine Zahl genannt ist, nun auf zehn Zweigstellen geeinigt. So kann eine Konzentrationswir- kung stattfinden; aber auch aus Kontrollgesichtspunkten werden keine riesigen Fahrschulkonglomerate möglich sein – wobei es so sein wird, dass bei Gemeinschafts- fahrschulen diese Regelung für jeden Gesellschafter gilt, also auch hier weiterhin in der Praxis Spielraum besteht. Für viel Aufregung sorgte die Übergangsfrist aus dem § 69 Absatz 1, die bisher im Gesetzentwurf stand. Die- se hätte bedeutet, dass Zweigstellen und Kooperations- fahrschulen erst ab dem 1. Juli 2019 möglich geworden wären, auch wenn wir das Gesetz jetzt schon auf den Weg bringen. Wenn das Gesetz aber genau diese Punkte einräumen will, brauchen wir hier nicht zu warten. Die ganze Branche sagte uns, sie seien bereit und warteten auf diese Regelung. Deshalb besteht hier kein Bedarf für diese Übergangsfrist; wir können sie ohne Weiteres und ohne schlechtes Gewissen herausnehmen. Auch dies werden Sie daher in unserem Änderungsantrag finden. Es ist ein hohes Gut, ortsnahe und kompetente Fahr- schulen in ganz Deutschland zu haben. Von der Ucker- mark bis in den hintersten Bayerischen Wald wollen wir die Fahrschullandschaft stabilisieren und modernisieren, damit junge Menschen sicher und verantwortungsvoll auf unseren Straßen Auto und Motorrad fahren können. Ich denke, wir haben hier auf der Grundlage unseres gu- ten Koalitionsvertrages ein gutes Gesetz entworfen. Ich bitte daher um Ihre Zustimmung. Thomas Lutze (DIE LINKE): Zunächst einmal ist es erfreulich, dass bei der Debatte zum Gesetzentwurf fachliche Fragen im Vordergrund standen und wir uns die ideologischen Schaukämpfe, wie sie die Diskussion um die Pkw-Maut prägten, sparen können. Die Linksfrakti- on unterstützt, dass die Bundesregierung die Ausbildung der Fahranfänger verbessern und auch die pädagogische Ausbildung der Fahrlehrer erhöhen möchte. Bereits im April 2012 hatte die Verkehrsministerkonferenz dazu auf- gefordert, eine umfassende Reform des Fahrlehrerrechts in Angriff zu nehmen. Das wird allerhöchste Zeit; schließlich hatte es seit 1969 kaum Anpassungen gegeben. Wir alle wissen, dass Fahranfänger im Straßenverkehr zum einen besonders gefährdet sind, zum anderen von ihnen aber auch die meiste Gefahr für andere Verkehrs- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 201723054 (A) (C) (B) (D) teilnehmer ausgeht. Eine gute Ausbildung der Fahrlehrer erhöht die Verkehrssicherheit insgesamt. Es ist begrüßenswert, dass der Besitz der Führerschei- ne A und C als zwingende Voraussetzung für den Erwerb der Fahrlehrerlaubnisklasse BE wegfallen soll. Ein Ge- setz zu erlassen, ist die eine Sache. Zu schauen, ob die Folgeentwicklungen auch tatsächlich so eintreten, wie man sich es erhofft hat, ist die andere Sache. Wir sollten daher in der Zukunft ganz genau darauf schauen, ob ge- gebenenfalls noch Anpassungen vorgenommen werden müssen: Der Bedarf an Kompetenz für diese Fahrzeug- klassen wird weiterhin vorhanden sein. Die Lockerung von Zugangsmöglichkeiten ist oft eine Gratwanderung. Es darf keine Situation eintreten, bei der am Ende zu we- nig Fahrlehrer dieser Klassen vorhanden sind. Außerdem schadet es nicht, wenn ein Fahrlehrer auch die Perspekti- ve eines Motorrad- oder Lkw-Fahrers kennt. Auch wenn die Führerscheinklassen A und C nicht mehr zwingende Voraussetzung sein sollten, sollte also dennoch darauf hingewirkt werden, dass die Auszubildenden auch dahin gehende Kompetenzen vermittelt bekommen. Die Linksfraktion unterstützt, dass mit der Reform der Fahrlehrerausbildung pädagogischen Aspekten mehr Be- deutung zukommen soll. Fahrlehrer sind heute oftmals mit einer veränderten Altersstruktur konfrontiert: Neben 18- oder 17-Jährigen sitzen immer öfter Menschen mitt- leren Alters in der Fahrschule. Ferner ist es richtig, die Ausbildungsinhalte zu straffen und von überflüssigem Ballast zu befreien. Hierbei muss jedoch darauf geachtet werden, dass „überflüssig“ auch genau das heißt: Straf- fung darf nicht auf Kosten der Qualität gehen. Kompe- tenzvermittlung muss den Raum bekommen, den eine gute Ausbildung verlangt. Um genau das zu erkennen, wird es nötig sein, die Fahrlehrerausbildung künftig bes- ser zu evaluieren. Bedauerlich ist, dass es für die päda- gogische Fahrschulüberwachung keine einheitlichen in- haltlichen Kriterien geben soll. Dass diese Überwachung im Laufe der Gesetzgebung von einer Muss- zu einer Kannbestimmung geworden ist, macht das Ganze noch ärgerlicher. Was in anderen Branchen bereits lange möglich ist, gilt bisher nicht so für die Fahrschulen. Die Linksfrakti- on unterstützt, dass künftig Kooperationen möglich sein sollen, wie dies für andere Branchen längst üblich ist. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund begrüßens- wert, dass die Ausstattung von Unterrichtsräumen mit moderner Technik einiges kostet, und in Netzwerkstruk- turen ist dies eindeutig besser zu stemmen. Die Probleme, die heute im Fahrlehrerwesen existie- ren, sind zu einem großen Teil darauf zurückzuführen, dass die Politik viel zu lange weggeschaut hat. Das betrifft insbesondere die Arbeitsbedingungen. Wir brauchen eine bessere Angestelltenkultur, und auch die Verdienstmög- lichkeiten müssen sich verbessern. Im Fahrlehrerwesen sind Arbeitsverträge ohne Arbeitszeitkonto, ohne Festge- halt und ohne bezahlte Fortbildung nicht selten. Oft wer- den arbeitsrechtliche Bestimmungen nicht eingehalten, sodass in der Folge Feiertage und Urlaub nicht bezahlt werden oder es im Krankheitsfall keinen Lohn gibt. Auch über die im Gesetzentwurf geplanten Änderungen hinaus muss die Politik bei der Bezahlung nach Branchenmin- destlöhnen für Fahrschulen genauer hinschauen. Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): „Was lange währt, wird endlich gut“, so heißt es in einem bekannten Sprichwort. Das Gesetz zum Fahr- lehrerwesen war auf jeden Fall ein langwieriges Vorha- ben, das ohne die intensiven Vorarbeiten der Länder – und in diesem Zusammenhang möchte ich insbesondere das Engagement des Landes Baden-Württemberg her- vorheben – heute nicht beschlossen werden könnte. Von dieser Seite also auch noch einmal einen Dank für die konstruktive Zusammenarbeit zwischen Landes- und Bundesebene. Insgesamt bringt das Gesetz zum Fahrlehrerwesen in wichtigen Punkten Fortschritte. Zu nennen sind die Neuregelung der Zugangsvoraussetzungen zum Fahr- lehrerberuf, die Modernisierung der Fahrlehreraus- und -weiterbildung, die Verbesserung der Kooperationsmög- lichkeiten von Fahrschulen und der Fahrschulüberwa- chung, die Einführung der Fortbildungspflicht bis hin zur Entbürokratisierung. Ein zentraler Baustein der modernisierten Fahrlehrer- ausbildung ist die deutliche Erhöhung des Anteils päd- agogischer Inhalte. Die Orientierung des Curriculums der Fahrlehrerausbildung an Kompetenzstandards und die Berücksichtigung neuer Inhalte wie E-Mobilität und Fahrerassistenzsysteme sind weitere Puzzleteile, die die Qualität der Fahrlehrer- und damit auch der Fahrschul- ausbildung anheben. Durch die jüngsten Änderungen konnten weitere Ver- besserungen erreicht werden, die meine Fraktion schon frühzeitig angemerkt hat. Dazu zählt die Arbeitszeitbe- schränkung, die jetzt wieder nach der 495-Minuten-Re- gel erfolgen soll. Damit soll vor allem dem Missbrauch durch die unter besonderem wirtschaftlichen Druck ste- henden selbstständigen Fahrerlehrer vorgebeugt werden. Auch die Streichung der Übergangsfrist, wonach Ko- operationen unter Fahrschulen und die Errichtung von Zweigstellen erst ab dem 1. Juli 2019 möglich sein soll- ten, findet unsere Zustimmung. Damit kann der anhalten- de Strukturwandel in der Fahrschulbranche hin zu wirt- schaftlich tragfähigen Unternehmensgrößen nun endlich unter verlässlichen Rahmenbedingungen stattfinden und von den Fahrschulen vorbereitet und gestaltet werden. Allerdings wird mit dem Änderungsantrag der Gro- ßen Koalition nun wieder der Einsatz von freiberuflichen Fahrlehrern ermöglicht. Das lehnen wir ab. Denn hier geht es in Wirklichkeit nicht um den „freien Beruf“ des Fahrlehrers, sondern letztendlich um die Verschleierung prekärer Arbeitsverhältnisse. Schließlich lehnt meine Fraktion auch die jetzige Re- gelung bei den Überwachungsvorschriften und Kontrol- len für die Fahrschulen und Fahrlehrerausbildungsstätten ab. Wichtig wäre in diesem Zusammenhang gewesen, dass die dazu notwendigen Regelungen bundesweit einheitlich umgesetzt werden. Die vorgesehene Sollbe- stimmung hätte unbedingt durch eine Mussbestimmung ersetzt werden müssen. In der jetzigen Fassung bleibt es Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 23055 (A) (C) (B) (D) daher sehr zweifelhaft, ob die angestrebte Verbesserung der pädagogischen Qualität in der Praxis auch gelingt, da es keine einheitlichen und klaren Kriterien für ihre Über- wachung gibt. Meine Fraktion wird sich daher enthalten. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neufassung des Gesetzes zur Regelung von Sekundierungen im Rahmen von Einsätzen der zivilen Krisenprä- vention – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Kathrin Vogler, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für eine aktive zivile Friedenspolitik – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bre- men), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zivile Krisenprä- vention und Friedensförderung stärken – Neue Lösungsansätze erarbeiten und umsetzen – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Tom Koenigs, Annalena Baerbock, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: ,,Group of Friends“ für Konfliktprä- vention im Rahmen der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 28 a bis d) Thorsten Frei (CDU/CSU): Deutschland muss allein schon aus Eigeninteresse mehr internationale Verantwor- tung übernehmen – unabhängig von den Forderungen un- serer Partner. Dabei geht es nicht nur darum, dass wir uns an die Vereinbarungen halten, zu denen wir uns selbst verpflichtet haben. Es geht auch darum, dass wir selbst Verantwortung für unsere Sicherheit und den Schutz unserer Bürger übernehmen. Dazu gehören sowohl die Stärkung der militärischen Fähigkeiten als auch unsere Möglichkeiten etwa in der zivilen Krisenprävention. Das betrifft neben unserer Bereitschaft, vor Ort mehr zu leisten und insgesamt mehr Geld in die Hand zu neh- men, zuallererst die Erledigung unserer Hausaufgaben in Deutschland, um die entsprechenden Rahmenbedingun- gen für mehr Engagement zu legen. Mit der Novellierung des Sekundierungsgesetzes legt die Bundesregierung den Grundstein für gesteigerte Entsendezahlen von zivilen Experten in die Krisenregionen rund um Europa und vor allem in Afrika. Schließlich sind die Menschen und ihr Know-how das Fundament für ein erfolgreiches Kri- senmanagement. Mit dem neuen Sekundierungsgesetz werden wir unserer Verantwortung nach innen und nach außen besser als bisher gerecht. Zum einen galt und gilt es, die Rahmenbedingungen von Friedenseinsätzen so zu verbessern, dass das not- wendige zivile Personal quantitativ mehr, deutlich ziel- genauer und insgesamt spürbar schneller rekrutiert und entsendet werden kann. Dadurch können wir in der je- weiligen Krisensituation besser als bisher einen Beitrag für Stabilität und Sicherheit leisten. Die Übertragung der Sekundierungsaufgaben an das Zentrum für Internationa- le Friedenseinsätze, ZIF, wird dies ermöglichen, genauso wie die Dualität von Sekundierungs- und Arbeitsver- trägen für mehr Flexibilität beim ZIF und die höheren Absicherungsstandards für mehr Attraktivität bei den zu entsendenden Experten sorgen werden. Durch mehr entsendete Experten würde auch die Befähigung zum ei- genverantwortlichen Handeln krisengebeutelter Staaten schneller sichtbar und die Durchdringungstiefe unserer Bemühungen nähme zu. Wenn man an die Vielzahl der unterschiedlichen Aufgaben der Sekundierten wie beispielsweise den Aufbau unabhängiger Medien, Vermittlung demokrati- scher Strukturen und Prozesse, Flüchtlingsarbeit, Über- wachung der Menschenrechte, politische Beratung und Analyse, Wahlbeobachtung und Begleitung von Versöh- nungsprozessen denkt, wird offenkundig, dass es für die erfolgreiche Konfliktbeilegung einen sehr hohen Bedarf an außenstehender Hilfe gibt. Hier können und müssen wir weiter deutlich zulegen. Ich hoffe, dass wir dieses Ziel offensiv angehen. Ich bin überzeugt, dass durch die nunmehr besseren Rahmenbedingungen tatsächlich auch mehr Menschen bereit sein werden, die Strapazen der Missionen auf sich zu nehmen. Im gleichen Atemzug wird auch das quali- tative Angebot von Interessenten weiter zunehmen. Das wird auch unseren Friedensbemühungen zugutekommen. Und es ist auch klar, dass schnellere Reaktionen der in- ternationalen Gemeinschaft in Bezug auf das frühzeitige und kurzfristige Entsenden von Expertenteams deeska- lierend auf schwelende und anwachsende Konflikte wir- ken können. Die Friedensaussichten und die Hoffnungen auf Vermeidung unnötiger und dauerhafter Schäden stei- gen. Das neue Sekundierungsgesetz verspricht uns damit eine echte Friedensdividende. Ganz besonders wichtig ist mir jedoch, dass das über- arbeitete Sekundierungsgesetz vor allem auch Ausdruck für unsere Verantwortung nach innen und die Wertschät- zung der Arbeit und Aufopferung der vielen zivilen Ex- pertinnen und Experten ist. Endlich erhalten die, die sich zum Teil von ihren Aufgaben im Inland entbinden lassen und oft von altruistischen Motiven geleitet werden, die notwendige Rechtssicherheit und die notwendige per- sönliche Sicherheit. Sie werden künftig in arbeits- und versorgungsrechtlichen Fragen sowie in Haftungsangele- genheiten besser geschützt. Die Änderungen werden der deutschen Krisenprä- vention hoffentlich einen spürbaren Schub verleihen. Im Moment werden wir unserer Verantwortung mit jährlich Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 201723056 (A) (C) (B) (D) gerade einmal 160 sekundierten Personen nur sehr ein- geschränkt gerecht. Auch hier gilt: Geld allein ist nicht alles. Auch wenn wir eines der größten Geberländer sind, kann Geld allein nicht die notwendigen Veränderungen im Feld herbeiführen. Seit dem Jahr 2002 hat das Berliner Zentrum für In- ternationale Friedenseinsätze einen Expertenpool aufge- baut, der mittlerweile über 1 400 Fach- und Führungs- kräfte aus unterschiedlichen Branchen beinhaltet. Aber wir brauchen heute angesichts der Herausforderungen deutlich mehr Potenzial und Kapazität. Bisher konnten andere Entsendeorganisationen oft at- traktivere Konditionen anbieten. Auch deswegen ist die Novellierung ein wichtiger Schritt in die richtige Rich- tung. Die gesetzlich verankerte Verbesserung von so- zialer Absicherung und finanzieller Vergütung wird für mehr Attraktivität und Konkurrenzfähigkeit des ZIF in Entsendungsfragen sorgen. Die Bindung an den Tarif- vertrag im öffentlichen Dienst sowie die Möglichkeiten zur Eingruppierung oberhalb dieses Rahmens sind rich- tig, um Spitzenpersonal zu gewinnen. Durch den Wegfall der Aufwandsentschädigungen fallen endlich die mit den vom Bundesrechnungshof zur Geltung gebrachten Steu- erunsicherheiten weg. Wichtige Anpassungen erfolgen außerdem im Bereich der Arbeitslosen- und Rentenver- sicherungen, insbesondere für den Fall, dass während einer Mission ein dauerhafter Schaden an Leib und Le- ben eintritt, sowie beim Abschluss einer Haftpflichtver- sicherung. Dadurch, dass die Entsendeorganisation die Kosten übernimmt und Gleichstellungen mit den Vor- schriften normaler Arbeitsverhältnisse geregelt werden, werden die notwendigen Vorkehrungen nicht mehr auf den Dienstleistenden abgewälzt, was in der Vergangen- heit immer wieder zu schlechten Schutzniveaus aus Kos- tengründen führte. Die vorliegenden Änderungen sind wir unseren Experten längst schuldig. Zusätzlich werden die Familienverhältnisse der Se- kundierten stärker berücksichtigt. Die „Duty of care“, also die Fürsorge für die entsandten Personen und deren Familienmitglieder, erfährt im neuen Gesetz einen ganz anderen Stellenwert. Dieser findet sich in einer Familien- versicherung, einem Mietzuschuss und einem möglichen Familiennachzug wieder. Da das ZIF zu einer vollwertigen Entsendeorganisati- on ausgebaut werden soll, kann sich diese Organisation gleichzeitig zu einem attraktiven Arbeitgeber entwickeln und eine aktive Personalentwicklung betreiben. Beides bringt viele Vorteile mit sich. Die bestehenden Reibungs- verluste im Dreiecksverhältnis Entsendeperson – ZIF – Ministerium werden der Vergangenheit angehören. Die gesamte organisatorische Abwicklung wird in Zukunft vom ZIF übernommen. Dies kann bei dringendem Be- darf und im konkreten Fall viel Zeit sparen. Es gibt eine zentrale Anlaufstelle für alle Bewerber und Mitglieder des Expertenpools. Kurz: Das Berliner Forum wird pro- fessionalisiert. All diese – aus meiner Sicht längst fälligen – Anpas- sungen unterstreichen die von der Bundesregierung emp- fundene Anerkennung für die Arbeit der zivilen Experten in Friedensmissionen. Viele unter uns wissen, was es bedeutet, oft von zu Hause weg und von der Familie ge- trennt zu sein. Sekundierte, gerade in akuten Krisenregi- onen, bekommen ihre Familie und Freunde mehrere Mo- nate nicht zu Gesicht. Die Zurückgebliebenen fürchten oft um das Wohlergehen der in der Ferne Arbeitenden. Das neue Gesetz ist auch ein Ausdruck der Wertschät- zung für eine derartig getroffene Lebensentscheidung. Dennoch ist uns allen bereits heute klar, dass wir kei- ne Zeit haben, um uns auf dem Status quo auszuruhen. Die in den vergangenen Jahren gestiegene Anzahl von Menschen auf der Flucht und der immer weiter steigen- de, wirtschaftlich intendierte Migrationsdruck aus Afrika werden dafür sorgen, dass der Bedarf an qualifizierten Helfern und die Erwartungen an Deutschland weiter stei- gen werden. Wir werden auf absehbare Zeit mehr Helfer ins Feld bringen müssen, um die Lebensbedingungen zu verbessern. Deshalb werden wir die Rahmenbedin- gungen für die begrenzte Anzahl infrage kommender Helfer weiter anpassen und verbessern müssen, und die Strukturen des ZIF – auch das wird sich im Haushalt wi- derspiegeln müssen – müssen einer vollständigen und leistungsfähigen Entsendeorganisation entsprechen. Es reicht nicht einfach, die 4,5 im Auswärtigen Amt veran- schlagten Stellen ins ZIF zu verlegen. Wenn man höhere Zahlen als 160 erreichen will, braucht es mehr Geld im Einzelplan 5. Aus meiner Sicht wäre mehr Geld für das ZIF eine gute Investition in die Zukunft Deutschlands, vor allem wenn man bedenkt, dass Deutschland in 2016 23 Milliarden Euro für die Versorgung und Unterbrin- gung von Asylbewerbern in Deutschland ausgegeben hat, während für den Transfer von Expertise zur Bekämpfung von Fluchtursachen lediglich 13,3 Millionen Euro im Einzelplan 5 vorgesehen sind. Auch darüber werden wir in Zukunft weiter sprechen müssen. Bei aller zum Ausdruck kommenden Wertschätzung für unsere zivilen Experten müssen wir aber auch immer an die Entsendung von Soldaten und den großen Be- darf – den wir ebenfalls viel stärker bedienen sollten – an deutschen Polizisten in VN-Missionen denken. Wir wissen nicht zuletzt durch die angeregten gesellschaft- lichen Diskussionen über unsere NATO- und ODA-Zu- sagen oder über die Idee eines 2+1-Prozent-Ziels, dass die Erwartungen an uns in diesem Bereich ebenso hoch sind. Und wenn man bedenkt, dass nicht wenige Marine- soldaten angesichts der Missionen UNIFIL, Atalanta und Sophia teilweise mehr als 280 Seetage pro Jahr auf dem Buckel haben, erkennt man auch in diesem Bereich aku- ten Handlungsbedarf. Auch diesem Bedarf müssen wir in der ganzheitlichen Betrachtung unseres Engagements der Krisenprävention und Konfliktbeilegung gerecht werden. Leider ist es eben viel zu oft so, dass die Präsenz von Militär und Polizei überhaupt erst den Einsatz ziviler Mittel und Akteure erlaubt. Jüngstes Beispiel ist die Hun- gerkatastrophe in Ostafrika. Knapp 20 Millionen Men- schen droht der Hungertod. Dabei ist es nicht so, dass die Dürre von El Niño nicht vorhersehbar war. Vielmehr leiden die Menschen in Südsudan, Somalia, Nordnigeria, der Zentralafrikanischen Republik oder dem Jemen, weil dort Konflikte im vollen Gange sind. Die lokalen Regie- rungen investieren lieber in Waffen als in Nahrungsmit- tel. Wegen der Gefahren können die Bauern weder säen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 23057 (A) (C) (B) (D) noch ernten. Hilfsorganisationen werden zum Teil offen- siv von ihrer Hilfeleistung abgehalten und kommen gar nicht in die notwendigen Regionen, obwohl sie sogar vor Ort vertreten sind. Hier braucht es eben auch den ande- ren Teil des Instrumentenkastens. Das sollten wir heute in der Diskussion nicht vergessen. Unsere Erfahrungen machen schließlich deutlich, dass der vernetzte Ansatz, also der Rückgriff auf diplomati- sche, zivilgesellgesellschaftliche, entwicklungspoliti- sche, polizeiliche und militärische Mittel, die beste Basis bietet, um den heutigen Konfliktherausforderungen zu begegnen und einen nachhaltigen Frieden zu schaffen. Deshalb haben wir in einem gesamthaften Ansatz unsere Leitlinien für die Krisenprävention, Stabilisierung und Friedensförderung konzeptionell erneuert, um die Leh- ren aus den bisherigen Einsätzen einzuarbeiten, unsere Fähigkeiten zu verbessern und gerade auch die Perspek- tiven der zivilgesellschaftlichen Akteure deutlicher her- auszuarbeiten. Die neuen Leitlinien, die Ertüchtigungsinitiative und das Sekundierungsgesetz gehen Hand in Hand, um die passenden Antworten auf die heutigen und zukünftigen Herausforderungen in unserer Nachbarschaft zu geben. Die Bundesregierung unterstreicht mit ihren vielfältigen Initiativen und ihrem ambitionierten Handeln, dass sie Deutschlands Rolle als Friedensbeschleuniger sehr ernst nimmt und aktiv führen wird. Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (SPD): Ich freue mich außerordentlich, dass wir heute den Gesetzentwurf zur Neuregelung von Sekundierungen im Rahmen von Ein- sätzen der zivilen Krisenprävention diskutieren. Seit vielen Jahren leisten zivile Expertinnen und Ex- perten aus Deutschland weltweit einen wichtigen Beitrag zur internationalen Krisenprävention. Dafür gebühren ihnen unser Respekt und unsere Anerkennung. Zugleich haben sie einen Anspruch darauf, dass sie durch ih- ren Einsatz keine persönlichen Nachteile erleiden. Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich daher seit langem für eine bessere rechtliche Absicherung dieser Friedenskräf- te eingesetzt. Mit diesem Gesetz schaffen wir erheblich bessere Rahmenbedingungen für die Einsätze ziviler Fachkräf- te in Krisengebieten. Dieses Gesetz ist gleichzeitig ein Ausdruck des hohen Stellenwerts und der Wertschät- zung, den das Parlament der Arbeit und Leistung dieser Fachkräfte zumisst. Die Notwendigkeit für eine Neuregelung des Gesetzes wurde besonders klar, als im Mai 2014 mehrere Helfer, darunter auch drei deutsche sekundierte Mitarbeiter einer EU-Mission in Dschibuti, Opfer eines Anschlags wur- den. Schwerverletzt mussten sie nach Deutschland aus- geflogen werden. Sie waren durch das Sekundierungsge- setz von 2009 nur unzureichend abgesichert. Von einer vergleichbaren Absicherung, zum Beispiel im Vergleich zur Bundeswehr, konnte keine Rede sein. Aber nicht nur für Ausnahmesituationen wollten wir unsere zivilen sekundierten Fachkräfte besser absichern; auch bei der Ausgestaltung der Verträge für sekundierte zivile Expertinnen und Experten zeigte sich in der Praxis Nachbesserungsbedarf. Mit dem vorliegenden Gesetz- entwurf wird die Sekundierung für zivile Fachkräfte zu- künftig deutlich verbessert; denn durch die Änderungen im Gesetz wird die Sekundierung flexibler, effizienter, und vor allem bieten die Sekundierungsverhältnisse zu- künftig eine bessere soziale Absicherung. Das zivile Fachpersonal, das häufig unter schwierigs- ten Bedingungen in Krisengebieten seine Arbeit durch- führt, hat diese spürbar bessere Absicherung mehr als verdient. Es leistet für uns alle eine unermesslich wich- tige Arbeit. Es leistet für die Menschen in den Krisen- regionen einen wichtigen Beitrag zur friedlichen Kon- fliktbewältigung, zur Versöhnungsarbeit, zum Aufbau von Rechtsstaatlichkeit, zu einer besseren Bildung und besseren wirtschaftlichen Perspektiven. Weder innerstaatliche Konflikte noch Konflikte zwi- schen Staaten können durch militärische Interventionen gelöst werden. Letztere können einen Waffenstillstand erzwingen, der Konflikt selbst aber muss durch Verhand- lungen und Vereinbarungen gelöst werden. Deshalb hat die zivile Krisenprävention und Konfliktbearbeitung für die Förderung von Frieden und Sicherheit weltweit eine besonders hohe Bedeutung. Mit der Neuregelung des Se- kundierungsgesetzes leisten wir einen wichtigen Beitrag dazu, Deutschlands zivile Fähigkeiten zur Krisenpräven- tion und Konfliktbeilegung zu verbessern. Momentan befinden sich ungefähr 160 Personen als sekundierte zivile Expertinnen und Experten in Friedens- missionen. Zukünftig werden wir eher mehr als weniger sekundierte Fachkräfte benötigen. Und wir brauchen die besten Expertinnen und Experten, die wir bekommen können. Viele Länder vertrauen auf deutsche, europäische und internationale Unterstützung beim Wiederaufbau staatlicher Strukturen, bei der Korruptionsbekämpfung oder beim Voranbringen von Verfassungsreformen. Auch wenn Krisen und Konflikte hoffnungslos erscheinen, gibt es immer wieder positive Beispiele, aus denen wir neue Energie schöpfen. Die Friedensprozesse in Ruan- da, Sierra Leone oder in Kolumbien zeigen: Auch schier unlösbare Konflikte, auch von Kriegen zutiefst verletzte Länder können wieder Frieden finden. Für diese oft langwierigen Aufgaben benötigen wir motivierte und tatkräftige zivile Fachkräfte. Ob Rich- ter, Journalisten, Finanzexperten oder Supply Chain Manager, sie alle sind gefragt in der Krisenprävention und Friedensförderung. Das neue Sekundierungsgesetz schafft die Grundlage, damit diese zivilen Expertinnen und Experten ihre Arbeit unter sicheren und besseren Rahmenbedingungen leisten können. Sekundierungsverträge werden zukünftig zum Aus- nahmefall; sie sollen hauptsächlich bei kurzen Wahlbe- obachtungen verwendet werden. Für längerfristige Se- kundierungen werden Arbeitsverträge zum Regelfall, die an die TVÖD-Entgelttabelle angelehnt sind. Die soziale Absicherung, also Altersvorsorge, Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung, sowie die Einbeziehung in den Schutzbereich der Arbeitsförderung werden im neuen Sekundierungsgesetz explizit geregelt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 201723058 (A) (C) (B) (D) Seit unter Rot-Grün im Jahr 2002 das Zentrum für In- ternationale Friedenseinsätze, kurz: ZIF, gegründet wur- de, arbeitet es im Auftrag der Bundesregierung und des Bundestages eng mit dem Auswärtigen Amt zusammen. Das ZIF übernimmt die Personalvorauswahl, trainiert und vermittelt die ausgewählten Fachkräfte in interna- tionale Friedenseinsätze. Der Abschluss des Sekundie- rungsvertrages lag bisher in der Hand des Auswärtigen Amtes. Um Effizienzverluste zu vermeiden, soll diese Aufgabe nun auch dem ZIF übertragen werden. So wird das ZIF zu einer vollwertigen Entsendeorganisation ausgebaut. Das ist eine sehr positive Entwicklung. Das ZIF leistet eine hervorragende und unersetzliche Arbeit. Vielen Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des ZIF. Die Neuregelung des Sekundierungsgesetzes ist ein wichtiger Schritt, um die deutsche zivile Krisenpräven- tion und damit die deutsche Außenpolitik weiter zu stär- ken. Ungewollte Versorgungslücken werden geschlos- sen, die Sekundierung wird attraktiver. Zivile Fachkräfte müssen sich zukünftig keine Sorgen mehr um ihre Absi- cherung machen. Wenn es um die Wertschätzung von zivilen Exper- tinnen und Experten und ihre Reintegration in den deut- schen Arbeitsmarkt nach einem Auslandseinsatz geht, ist hiermit ein wichtiger Schritt gemacht. Zivile Fachkräfte in Friedensmissionen leisten Außerordentliches unter enormen Druck, jeden Tag. Wir ehren diese besonderen Persönlichkeiten seit 2013 mit dem Tag des Peacekeepers und sagen Danke für die wichtige Arbeit, die deutsche Friedensmacher in Mali, Afghanistan oder im Kosovo leisten. Das Thema gehört in die Mitte der Gesellschaft. Ohne tatkräftige zivile Expertinnen und Experten wäre deutsches Engagement in Friedenseinsätzen und unsere Außenpolitik deutlich weniger wirksam! Kathrin Vogler (DIE LINKE): Ich freue mich, dass wir heute ein gemeinsames Anliegen aller Bundestags- fraktionen hier auf den Weg bringen können: die bessere soziale Absicherung von Fachkräften, die in der zivilen Krisenprävention und Konfliktbearbeitung im Ausland eingesetzt werden. Tatsächlich macht sich vermutlich niemand, der es nicht selbst erlebt hat, Gedanken darü- ber, welche rechtlichen Spitzfindigkeiten zu beachten sind, wenn Deutschland zivile Fachkräfte in Friedens- missionen etwa der Vereinten Nationen oder der OSZE entsendet. Da geht es um recht komplizierte Fragen des Arbeitsverhältnisses und der sozialen Absicherung, über Krankenversicherung, Rente, Arbeitslosenversicherung oder steuerrechtliche Fragen, die den Betroffenen noch zusätzlich zu ihrem oft komplizierten Einsatz in Krisen- gebieten erheblich zu schaffen machten. Das Sekundierungsgesetz löst viele dieser Probleme, und in der Anhörung haben uns sowohl das Auswärtige Amt als auch das Zentrum für Internationale Friedensein- sätze, das nun zur Entsendeorganisation für die Fachkräf- te wird, glaubhaft versichert, dass sie in der Praxis auch solche Fragen, die hier nicht geregelt sind, wohlwollend im Sinne der Betroffenen zu lösen gewillt sind, wie etwa die Heimflüge zur Familie, die Kosten für notwendige Gepäcktransporte oder die betriebliche Mitbestimmung der Entsandten. Deswegen stimmt meine Fraktion die- sem Gesetzentwurf nun auch zu. Gleichzeitig stimmen wir hier heute auch über einen Antrag meiner Fraktion ab, der die Bundesregierung dazu auffordert, ein ziviles Leitbild für eine friedensfördernde Außenpolitik zu entwickeln und umzusetzen. Noch Au- ßenminister Steinmeier hat im vergangenen Jahr einen Prozess in Gang gesetzt, der zu einem Leitbild der Bun- desregierung für das außenpolitische Handeln in Krisen und Konflikten führen sollte. Das Ergebnis wollte er ei- gentlich im Februar präsentieren. Doch nach allem, was man hört, stockt der Beratungsprozess im Kabinett, weil sich vor allem das Verteidigungsministerium gegen jede politische Festlegung auf einen Vorrang von ziviler Kri- senprävention und Konfliktbearbeitung stemmt. Nichts soll nach Auffassung der Ministerin von der Leyen den Machtanspruch der Bundeswehr einschränken, nicht ein- mal symbolisch. Und an keiner Stelle soll eine Präferenz für ziviles und gewaltfreies Handeln in internationalen Krisen auch nur angedeutet werden. Das politische An- liegen, das sich 2004 im Aktionsplan „Zivile Krisen- prävention“ noch widergespiegelt hat, dass nämlich die Bundesrepublik Deutschland ihre Friedensverantwor- tung in der Welt vorwiegend zivil und nicht militärisch wahrnimmt, soll nun vollständig entkernt und seiner Be- deutung entkleidet werden. Da rächt sich nun, dass die Bundeswehr seit 1992 systematisch zur Einsatzarmee und zum Instrument für sogenannte deutsche Interessen in aller Welt umgebaut wurde. Ein wenig erinnert das an Goethes Zauberlehr- ling, der die militaristischen Geister, die er zum schein- bar wohltätigen Werk rief, nun nicht mehr loswird. Und manchmal hat man ja sogar den Eindruck, dass jemand wie Wladimir Putin oder Donald Trump den politischen Eliten dieses Landes gerade recht ist – als billige Begrün- dung dafür, das eigene Militär noch mehr aufzuwerten, weiter aufzurüsten und auch die EU in ein Militärbündnis umzubauen. Überaus billig und durchschaubar ist auch der Ver- such, das 2-Prozent-Ziel der NATO hinter einem 3-Pro- zent-Ziel zu verstecken, in dem dann Ausgaben für Di- plomatie, Krisenprävention, Entwicklungspolitik und sogar Humanitäre Hilfe aufgehen. Sie wissen nämlich genau, dass die Bevölkerung die massive Aufstockung der Militärausgaben ablehnt, und so wollen Sie den Men- schen Sand in die Augen streuen. Seien Sie gewiss: Die Linke wird diese falsche und fatale Politik nicht akzep- tieren, nicht heute, nicht nach der Wahl und auch nicht in 10 oder 20 Jahren. Wir werden weiter dafür kämpfen, dass deutsche Außenpolitik endlich zivile Friedenspolitik wird, ohne Wenn und Aber. Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Mitte Februar, bei der ersten Lesung, waren es mickrige 25 Minuten Debattenzeit; jetzt wird der Tages- ordnungspunkt „zivile Krisenprävention“ zu nachtschla- fender Zeit abgehandelt. So feiert diese Bundesregierung die bislang umfangreichste Verbesserung für ihre zivilen Expertinnen und Experten, die sie in internationale Ein- sätze schickt. Wie Sie sich ihr immer wieder betontes Plädoyer für „mehr Verantwortung“ vorstellen, meine Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 23059 (A) (C) (B) (D) Damen und Herren von der Großen Koalition, soll offen- bar niemand mitbekommen. Aber zum Glück wirkt das Gesetz in der Praxis, und damit wird es demnächst konkret spürbar für alle Betrof- fenen. Alle zivilen Expertinnen und Experten erhalten demnächst einen regulären Arbeitsvertrag. Damit sind sie erstmals versicherungsrechtlich abgesichert. Dadurch verschwindet das Risiko von internationalen Einsätzen zwar nicht; aber es lässt sich besser abschätzen und ob- liegt nicht mehr gänzlich den jeweiligen Betroffenen. Die Bundesregierung übernimmt also die Verantwortung, die ihr zukommt, wenn sie Menschen in ihrem Auftrag zur Friedensarbeit in der Welt entsendet. Endlich! Auch das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze wird das neue Gesetz spüren, wenn es demnächst eine vollständige Entsendeorganisation ist und ihre Aufgabe als Arbeitgeberin noch besser wahrnehmen kann. Es sind und werden spannende Zeiten für das ZIF, die hoffentlich zum Ergebnis haben werden, dass wir in Zukunft mehr deutsche Expertise in weltweiten Einsätzen erleben wer- den. Trotz der Verbesserungen, die erreicht wurden: Das, was wir heute hier abschließend beraten, könnte für die Sekundierten noch besser sein. Ich denke da an simple, aber wichtige Dinge wie Beschränkungen des Reisege- päcks, keine regelmäßigen Heimatflüge, keine Regelung für den Familiennachzug. Kurzum: Da ist noch Luft nach oben! So wenig die Öffentlichkeit offenbar von den Verbes- serungen erfahren soll, so unklar bleibt die Bundesregie- rung auch bei ihren Zielen in den zukünftigen Leitlinien zur zivilen Krisenprävention. Unsere Anträge wurden routinemäßig abgelehnt. Dabei vergibt die Bundesregie- rung eine Chance, die zivile Konfliktbearbeitung kontro- vers zu diskutieren und nach bestmöglichen Lösungen zu suchen. Wo ist denn das neue Grundsatzdokument zur zi- vilen Krisenprävention, das ursprünglich für Anfang des Jahres angekündigt war? Gibt es etwa – auch bei diesem Thema – koalitionsinternen Zoff? Oder wissen Sie nicht, worum es gehen soll? Wir geben Ihnen gern Nachhilfe. Warum brauchen Sie so lange? Greifen Sie einfach unse- re Ideen auf! Gerade wir Grünen haben uns intensiv mit den Möglichkeiten und Grenzen der zivilen Krisenprä- vention auseinandergesetzt. Dieses Thema gehörte und gehört immer zum Kern unserer Außenpolitik. Wer im Bereich „zivile Krisenprävention, Menschen- rechts- und Entwicklungszusammenarbeit“ eine so schlechte Bilanz hat, der muss sich nicht feiern lassen – oder er weiß genau, warum er zu nachtschlafender Zeit darüber debattieren lässt. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Ge- setzes zur Entlastung insbesondere der mit- telständischen Wirtschaft von Bürokratie (Zweites Bürokratieentlastungsgesetz) (Zusatzta- gesordnungspunkt 4) Helmut Nowak (CDU/CSU): Ein hochentwickel- tes staatliches Gemeinwesen wie die Bundesrepublik Deutschland benötigt eine leistungsfähige Bürokratie. Dennoch müssen wir uns fragen, ob es bei uns seit länge- rem nicht ein Zuviel des Guten gibt. Allein zwischen Juli 2015 und Juli 2016 sind die jähr- lichen Folgekosten von Gesetzen für Bürger, Wirtschaft und Verwaltung insgesamt um 453 Millionen Euro an- gestiegen. Der hohe Anstieg in diesem Zeitraum ist vor allem auf ein Regelungsvorhaben zurückzuführen: Allein das Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende verur- sacht 139 Millionen Euro Folgekosten, jährlich! Von dem Anstieg besonders betroffen ist, wie auch in den vergan- genen Jahren, die Wirtschaft. Hier erhöhten sich die Fol- gekosten im Vergleich zur Vorperiode um 299 Millionen Euro, vor allem durch die Umsetzung von EU-Recht. Wir müssen zusehen, dass wir die derzeitigen Erfol- ge der deutschen Wirtschaft auch noch in Zukunft feiern können. Nur eine erfolgreiche Wirtschaft sichert unseren sozialen Wohlstand. Unternehmer und Freiberufler sollen sich doch in erster Linie um ihre Unternehmung küm- mern und nicht primär um die Befriedigung der Statistik. Schaut man sich einmal die Unzahl an Berichtspflichten und Meldungen an staatliche Stellen an, die bereits klei- ne Firmen heute zu bewerkstelligen haben, so lässt sich durchaus nachvollziehen, dass viele Menschen in unse- rem Land schlicht keine Lust haben, sich selbstständig zu machen. Wir sollten daher als Politik dringend han- deln und sehen, wo wir denjenigen, die in Deutschland im besten Sinne des Wortes etwas „unternehmen“, Steine aus dem Weg räumen können. Die Rahmenbedingungen, die die Politik setzen will und muss, dürfen nicht mehr Bürokratie aufbauen, als er- forderlich ist. Dieser Leitspruch hat uns auch in dieser Le- gislaturperiode begleitet. Das führte zu zwei erfolgreich verabschiedeten Bürokratieentlastungsgesetzen. Das ers- te wies einen reduzierten jährlichen wirtschaftsseitigen Erfüllungsaufwand von rund 744 Millionen Euro auf. Mit dem vorliegenden erreichen wir erneut eine große Entlastung für die Wirtschaft, circa 365 Millionen Euro pro Jahr. Zusammen mit der Modernisierung im Vergabe- recht kommen wir damit auf eine Entlastung von bis zu 2 Milliarden. Ein wirklich erfreuliches Ergebnis! Der aktuelle Gesetzentwurf ist also wieder ein Schritt in die richtige Richtung. Er enthält viele gute Ansätze, insbesondere in der Schwerpunktsetzung für die mittel- ständische Wirtschaft. So müssen künftig Unternehmen Lieferscheine, die keine Buchungsbelege sind, nicht mehr zwingend aufbewahren. In einem zukünftigen Schritt wäre es wünschenswert, die Aufbewahrungsfris- ten insgesamt zu überprüfen und gegebenenfalls neu zu definieren bzw. deutlich zu verkürzen. Die unterschiedli- chen Aufbewahrungsfristen führen bei manchen Firmen dazu, vorsichtshalber nahezu alles aufzubewahren, so- dass auch die von uns gutgemeinten Verkürzungen teil- weise ins Leere laufen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 201723060 (A) (C) (B) (D) Die Anhebung der Grenze für die Fälligkeit von Lohnsteuer von 4 000 auf 5 000 Euro wird insbesondere kleinere Unternehmen spürbar von Meldepflichten be- freien. Es wäre noch besser, die Grenze auf zumindest 5 500 Euro anzuheben. Lassen Sie mich das kurz ver- deutlichen: Mit zwei Mitarbeitern, vollzeitbeschäftigt, mit dem Mindestlohn von 8,84 Euro, 40 Arbeitsstunden an 52 Wochen – das ergibt 36 780 Euro. Die Grenze für 5 000 Euro liegt bei 34 850 Euro. Die Erhöhung der Kleinbetragsgrenzen von 150 auf 250 Euro ist eine gute und bürokratieentlastende Vor- schrift. EU-rechtlich wären sogar 400 Euro möglich. Zu begrüßen ist auch die Vereinheitlichung der Fäl- ligkeit von Sozialversicherungsbeiträgen, bei der, wie vom Nationalen Normenkontrollrat vorgeschlagen, eine bisherige Ausnahmeregelung nunmehr als vereinfachtes Verfahren zur dauerhaften Regelung wird. Diese Rege- lung stellt ebenfalls eine Verbesserung dar. Hier habe ich mir gewünscht, dass wir den Mut gehabt hätten, die Rückkehr zur alten Regelung von vor 2006 zu beschlie- ßen. Die Änderung wurde damals mit der angespannten Haushaltssituation der sozialen Sicherungssysteme be- gründet, was heute wahrlich nicht mehr zutrifft. Einmal als sinnvoll erachtete und daher zugestande- ne Freibeträge und Schwellenwerte sollten daher einer regelmäßigen Anpassung unterzogen werden, um ihren ursprünglichen Sinn zu erhalten. Das trifft insbesonde- re auch auf die Anhebung der Schwellenwerte für die Sofortabschreibung geringwertiger Wirtschaftsgüter, GWG, zu. Das ist übrigens ein gutes Beispiel dafür, wie langwierig es sein kann, ein kleines Stück Bürokratie abzubauen: Die GWG-Grenze ist seit 53 Jahren nicht mehr angehoben worden und liegt unverändert bei um- gerechnet 410 Euro, was heute inflationsbereinigt etwa 1 570 Euro entspricht. Die letzte Anpassung war im Jahr 1964! Ich habe mich seit drei Jahren für eine Erhö- hung des Schwellenwertes eingesetzt und nach langem, stetigem Einsatz nun endlich eine Einigung mit dem Ko- alitionspartner gefunden: die Anhebung von 410 Euro auf 800 Euro. In diesem Zusammenhang möchte ich mich auch für die erfolgreiche Zusammenarbeit mit Frau Wicklein von der SPD bedanken, mit der ich stets einen vertrauens- vollen Austausch hatte. Noch besser wäre die von mir favorisierte Anhebung auf 1 000 Euro gewesen. Damit wäre die Poolabschreibung entfallen und zusätzliche Bü- rokratie abgebaut worden. Ich freue mich trotzdem, dass wir durch diese Anhebung auf 800 Euro auch insbeson- dere kleinere und mittlere Unternehmen erreichen, die davon profitieren und einen Investitionsimpuls von circa 400 Millionen Euro auslösen werden. Eine weitere positive Entwicklung ist bei der One-in- one-out-Regel zu beobachten. In den anderthalb Jahren seit Einführung der Regel zum 1. Januar 2015 ist das „out“, die Entlastung der Wirtschaft, um knapp 1 Milliar- de Euro höher ausgefallen als das „in“, also die Belastung der Wirtschaft. Ausschlaggebend für diese Entlastungen sind vor allem die beiden Bürokratieentlastungsgesetze. Dadurch wurden insbesondere kleine und mittlere Un- ternehmen sowie Unternehmensgründer von unnötigem bürokratischem Aufwand befreit. Kern der One-in-one-out-Regel ist, in gleichem Maße Belastungen abzubauen, wie durch neue Regelungsvor- haben zusätzliche Belastungen entstehen. Die Bundes- regierung ist damit auf einem guten Weg, ihr Ziel, den Anstieg von Belastungen dauerhaft zu begrenzen, ohne politisch gewollte Maßnahmen zu behindern, zu errei- chen. Eine weitere positive Entwicklung sehe ich bei dem von der Bundesregierung 2015 initiierten Lebenslagen- modell. Das Statistische Bundesamt befragt seit 2014 ergänzend zu den bisher eingeführten quantitativen Verfahren des Regierungsprogramms „Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung“ regelmäßig Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen: Wie werden innerhalb be- stimmter Lebenslagen der Kontakt und die Zusammen- arbeit mit der Verwaltung wahrgenommen? Gerade die Behördenkontakte sind es doch, bei denen der Einzelne mit überbordender Bürokratie konfrontiert wird. Aus den Ergebnissen der Befragung können Hinweise zu mögli- chen Optimierungen von Verwaltungskontakten abgelei- tet werden. Die Ergebnisse der ersten Befragung waren sehr aufschlussreich. Vor allem eine transparentere und schnellere Verwaltung wäre sowohl für Bürger als auch für Unternehmen erstrebenswert. Die Lebenslage „Bau einer Betriebsstätte“ schien Betrieben besondere Sorgen zu bereiten. Zu Beginn dieses Jahres startete eine weitere Befra- gungsrunde. Wünschenswert wäre es, wenn die Zufrie- denheit bei Transparenz und Schnelligkeit zugenommen hätte, also eine spürbare Verbesserung wahrgenommen worden wäre. Bürokratie ist ein wichtiges Thema und wird dies auch zukünftig bleiben. Das zeigt auch die heutige Debatte zum Bürokratieentlastungsgesetz II. In dieser Legislaturperiode sind wir bereits ein gutes Stück vorangekommen. Darauf sollten wir uns nicht aus- ruhen. Wir müssen in Zukunft noch besser darauf achten, dass Gesetze für Bürger, Wirtschaft und Verwaltungen verständlicher sind und auf unnötige Bürokratie verzich- tet wird. Wie die öffentliche Anhörung zum Bürokratie- entlastungsgesetz deutlich gezeigt hat, besteht noch viel Handlungsbedarf. Die Wichtigkeit des Bürokratieabbaus wurde auch be- reits am Anfang der Legislaturperiode von der Bundes- kanzlerin herausgestellt und als zentrales Querschnitts- thema identifiziert. Es war daher nur folgerichtig, das Bürokratieentlastungsgesetz II anzugehen, wobei ich mir sicher bin, dass uns dieses Thema auch künftig begleiten wird. Andrea Wicklein (SPD): Heute ist ein guter Tag für den Bürokratieabbau in Deutschland. Heute beschließen wir das Zweite Bürokratieentlastungsgesetz in dieser Le- gislaturperiode. Wir werden damit den Verwaltungsauf- wand in den Unternehmen um insgesamt jährlich rund 360 Millionen Euro verringern. Das sind etwa 10 Millio- nen Arbeitsstunden. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 23061 (A) (C) (B) (D) Unsere Bilanz beim Bürokratieabbau und bei besserer Rechtsetzung in dieser Legislaturperiode kann sich sehen lassen: Bereits mit dem Ersten Bürokratieentlastungsge- setz 2015 haben wir die Wirtschaft um rund 700 Milli- onen Euro pro Jahr entlastet. Damals haben wir über- flüssige Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten oder Meldepflichten für Existenzgründerinnen und Existenz- gründer sowie junge Unternehmen reduziert und rund 150 000 Unternehmen spürbar entlastet. Beim Zweiten Bürokratieentlastungsgesetz haben wir jetzt Kleinstunternehmen mit nur zwei bis drei Mitar- beiterinnen und Mitarbeitern in den Blick genommen. Gerade diese Kleinstunternehmen spüren unnötige bü- rokratische Belastungen besonders stark. Wir müssen uns immer wieder bewusst machen: Große Unternehmen können sich eigene Steuer- oder Personalabteilungen leisten. Bei Kleinstunternehmen muss der Handwerker oder Freiberufler die Bürokratie neben der eigentlichen Arbeit selbst erledigen. Davon wollen wir sie jetzt mit dem Zweiten Bürokratieentlastungsgesetz noch mehr entlasten, damit mehr Zeit für das Wesentliche bleibt. Laut Statistischem Bundesamt ist mehr als jedes vierte Unternehmen in Deutschland ein Kleinstunternehmen mit maximal drei Mitarbeitern. Was viele nicht wissen: Diese Kleinsten haben eine enorme wirtschaftliche Bedeutung für unser Land, für Beschäftigung und Wohlstand. Sie zählen etwa 1,6 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte und erwirtschaften einen Umsatz von mehr als 240 Milliarden Euro. Dazu gehören das Handwerk und die Freien Berufe und zählen vor allem Branchen wie das Baugewerbe, der Handel, das Gastgewerbe oder der Dienstleistungsbereich. Worum geht es im Zweiten Bürokratieentlastungsge- setz? Wir modernisieren die Handwerksordnung. Künf- tig sollen Handwerkskammern mit ihren Mitgliedern stärker digital kommunizieren können. Hierfür können sie elektronische Kontaktdaten erfragen und in die Hand- werksrolle aufnehmen. Das Entlastungvolumen wird da- bei 14,2 Millionen Euro betragen. Wir vereinfachen die Berechnung der Sozialversiche- rungsbeiträge. Anstatt jeden Monat die Beitragshöhe zu schätzen und im darauffolgenden Monat eine Korrektur vorzunehmen, können die Unternehmen künftig den Vormonatswert verwenden. Dieses erleichterte Beitrags- berechnungsverfahren werden geschätzt zusätzlich rund 300 000 Unternehmen nutzen. Die Entlastung beträgt hier alleine 64 Millionen Euro. Wir erleichtern die vereinfachte Rechnungsstellung. Wir heben deshalb den Schwellenwert für Kleinbetrags- rechnungen von 150 Euro auf 250 Euro Rechnungsbetrag an – Entlastung: mindestens 43 Millionen Euro. Wir verbessern das Verfahren bei den Lohnsteueran- meldungen. Die Grenze, bis zu der eine vierteljährliche anstelle der üblichen monatlichen Abgabe von Lohnsteu- eranmeldungen möglich ist, wird von 4 000 Euro auf 5 000 Euro angehoben – Entlastung: 2 Millionen Euro. Wir stärken den Einheitlichen Ansprechpartner und das E-Government. Der Bund wird künftig Auslegungshilfen zu Gesetzen und Verordnungen auf den Internetportalen von Bund, Ländern und Kommunen bereitstellen. Hier- durch wird gewährleistet, dass auf den verschiedenen Verwaltungsebenen einheitliche, auf gemeinsamen Stan- dards beruhende Informationen verfügbar sind. Und schließlich entlasten wir die Pflege. Künftig wird eine sichere Übermittlung aller für die Abrechnung von pflegerischen Leistungen erforderlichen Unterlagen in Form elektronischer Dokumente möglich sein – Entlas- tung: 12,4 Millionen Euro. Die Expertenanhörung zum Zweiten Bürokratieent- lastungsgesetz hat deutlich gemacht, dass diese Entlas- tungen richtig sind. Sie hat aber auch gezeigt, dass wir den Abbau unnötiger bürokratischer Regelungen konse- quent fortsetzen müssen. Ich bin deshalb sehr froh, dass wir uns mit der CDU/CSU-Fraktion doch noch auf eine deutliche Anhebung des Schwellenwertes für die So- fortabschreibung geringwertiger Wirtschaftsgüter eini- gen konnten. Zwar wird diese Entlastung nicht Teil des Zweiten Bürokratieentlastungsgesetzes sein, sondern auf Wunsch der Unionsfraktion in einem Steuergesetz unter- gebracht. Aber das Gesetz ist mir eigentlich egal. Ent- scheidend ist vielmehr, dass die Sofortabschreibung ab 2018 dann nicht mehr nur für geringwertige Wirtschafts- güter bis 410 Euro, sondern bis 800 Euro möglich wird. Darauf haben gerade die kleinen Unternehmen schon viel zu lange gewartet. Es stimmt: In der Politik braucht man oft einen langen Atem. Aber diese Anpassung hat schon eine kleine Ewigkeit gedauert. Seit 1965 sind die Schwellenwerte für die Sofortab- schreibung geringwertiger Wirtschaftsgüter von 800 DM und jetzt umgerechnet 410 Euro netto unverändert ge- blieben. 410 Euro sind es seit 52 Jahren! In keiner der vorherigen Legislaturperioden gab es im Deutschen Bun- destag eine Mehrheit für eine Anpassung des Schwellen- wertes. Selbst die Erfindung des Handys oder des Tablets hat nicht zu einer Anpassung des Schwellenwertes für die Sofortabschreibung geführt. Dabei muss doch allen klar sein, dass sich die Preise für geringwertige Wirtschafts- güter in den vergangenen Jahrzehnten mehr als verdop- pelt haben. Ich war deshalb sehr froh, als der damalige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel diesen Punkt bereits Anfang 2014 auf seine Agenda bei den Bürokra- tieentlastungsmaßnahmen gesetzt hat. Und ich bin sehr froh, mit meinem Kollegen von der CDU, Helmut Nowak, einen hartnäckigen Partner im po- litischen Streit um die Anhebung der Geringwertigen an meiner Seite zu wissen. Dafür möchte ich mich an dieser Stelle ausdrücklich und ganz herzlich bei Helmut Nowak bedanken. Gemeinsam auch mit vielen weiteren Mitstrei- tern ist es uns am Ende gelungen, wie gesagt, nach mehr als 50 Jahren! Der höhere Schwellenwert wird bei Freiberuflern, Handwerk und Mittelstand zu Entlastungen führen und darüber hinaus Investitionen auslösen. Alle Sachverstän- digen haben bei der Anhörung unterstrichen: Die Anhe- bung verringert Aufzeichnungspflichten und entlastet Unternehmen, Kommunen sowie Finanzverwaltungen. Der größte Vereinfachungseffekt entsteht für nicht buch- führungspflichtige Unternehmen, also Gewerbetreibende mit einem Gewinn bis maximal 50 000 Euro jährlich bzw. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 201723062 (A) (C) (B) (D) Umsatz bis maximal 500 000 Euro jährlich und Freibe- rufler. Damit ist diese Anhebung eine Vereinfachung für die mehrheitlich kleinen Unternehmen. Der DIHK geht von wenigstens 3 Millionen betroffenen Unternehmen und zusätzlich 15 Millionen Wirtschaftsgütern aus und beziffert die Entlastung auf sogar rund 385 Millionen Euro. Mit den beiden Bürokratieentlastungsgesetzen und dem neuen Vergaberecht haben wir in dieser Legisla- turperiode den Erfüllungsaufwand für Unternehmen um 2 Milliarden Euro gesenkt. Das ist erheblich. Hin- zu kommt die One-in-one-out-Regelung, die bereits seit 1. Juli 2015 in Kraft ist und die Bundesregierung dazu verpflichtet, wenn durch neue Regelungen Belastungen für die Wirtschaft entstehen, sie an anderer Stelle abzu- bauen. Das hat zusätzlichen Druck in die Ministerien gebracht, die eigenen Regelungen auf das Notwendige zu beschränken und immer wieder kritisch zu verfolgen. Ich finde, wir haben mit unseren Maßnahmen zum Ab- bau von unnötiger Bürokratie und besserer Rechtsetzung in dieser Legislaturperiode einen guten Weg eingeschla- gen, der vom kommenden Bundestag fortgesetzt werden muss; denn Abbau von unnötiger Bürokratie und bessere Rechtsetzung sind und bleiben eine Daueraufgabe von Regierung und Parlament. Michael Schlecht (DIE LINKE): Es ist bemerkens- wert, dass die Koalition beim Ersten Bürokratieentlas- tungsgesetz noch die ganz große Bühne in der Kernde- battenzeit des Parlaments gesucht hat und nun mehr das Thema gleich sehr weit nach hinten gerutscht ist. Offen- sichtlich haben Sie auch erkannt, dass das Thema nur be- grenzt begeistern kann. Ich will es kurz halten: Ich hatte Ihnen, den Damen und Herren der Regierungsparteien, beim ersten Büro- kratieentlastungsgesetz einen Tipp gegeben, wie sie mit dem Thema Bürokratieabbau massenhaft Jubelstürme auslösen könnten. Schaffen Sie das Bürokratiemonster Hartz IV ab. Die durchschnittliche Akte eines Hartz-IV- Haushalts bei der Agentur für Arbeit ist etwa 650 Seiten dick. Das ist und bleibt Bürokratieunfug. Jetzt liegt uns also das Zweite Bürokratieentlastungs- gesetz vor. Und wieder geht es um bürokratische Entlas- tungen ausschließlich für Unternehmen. Unternehmerin- nen und Unternehmer dürfen sich freuen, für alle anderen bringt dieses Bürokratieentlastungsgesetz wieder nichts. In den Gesetzesbegründungen nehmen Sie wieder Bezug auf die sogenannte One-in-one-out-Regelung, nach der bei einer zusätzlichen bürokratischen Belastung durch ein neues Gesetz eine zwingende Entlastung für Unternehmen vorzusehen ist. Mit der One-in-one-out- Regelung entscheidet nicht mehr Sach- und Fachpolitik über Sinnhaftigkeit von gesetzlichen Regelungen, son- dern das Gebot, dass die Kostenbelastung der Unterneh- men nicht durch Regelungstatbestände – auch wenn sie sinnvoll sind – erhöht werden darf. Das lehnen wir wei- terhin ab. Notwendige soziale oder ökologische Regulie- rungen werden so nur künstlich erschwert. Den meisten einzelnen konkreten Maßnahmen im vorliegenden Gesetz könnten wir durchaus zustimmen, allerdings halten wir den Grundansatz des Gesetzes für falsch. Daher können wir uns hier nur enthalten. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Bürokratieentlastung – wer von uns fordert dies nicht, wenn Steuererklärungen ausgefüllt, eine Bestel- lung aufgegeben oder ein Anmeldeformular ausgefüllt werden muss. Auch wenn wir die Sinnhaftigkeit mancher Information in Zweifel ziehen, so müssen wir aber immer wieder zugeben: Viele der Informationen sind unabding- bar für ein geordnetes gesellschaftliches Zusammenle- ben. Aber spätestens bei zum Beispiel dem Schriftver- kehr zu einer Ordnungswidrigkeit im Verkehr oder der Einladung zu einem Gerichtstermin, der Beantragung ei- ner Zahnbehandlung oder eines neuen Personalausweises ist man erschrocken, in welch geringem Umfang die mo- dernen Methoden der digitalen Wirtschaft Einzug in Ver- waltungshandeln gefunden haben. Was im persönlichen Bereich lästig ist, kostet im Bereich der Unternehmen aber schlicht Geld und mindert die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Damit komme ich zu einem zentralen Vorwurf an die Regierungsfraktionen gleich vorab: Viel zu gering sind Ihre Bemühungen, die Chancen für einen substanziellen Bürokratieabbau durch Digitalisierung zu nutzen. Mir ist schon klar, dass dies nicht im Vorbeigehen zu erledigen ist, umso mehr kritisiere ich, dass die Bundesregierung weder in der Zusammensetzung entsprechender Gremi- en noch im Projektmanagement die Herausforderungen der Digitalisierung angenommen hat. Das hat mindestens die Dimension des Versagens der Aufsicht beim Berliner Flughafen BER – mit dem Unterschied, dass das Versa- gen der Regierung hier nicht offenkundig, aber Abhilfe noch weniger in Sicht ist als beim Berliner Flughafen. So sind wir im Bereich der Digitalisierung bald deutlich mehr als fünf Jahre hintendran – und das wird zuneh- mend ein Wettbewerbsnachteil für Deutschland. Aber schauen wir uns den vorliegenden Gesetzentwurf genauer an. Ja, es ist ja richtig: Bei Bürokratieentlastung geht es nicht um den ganz großen Wurf. Vielmehr sind viele kleine Schritte nötig, um bürokratische Belastungen abzubauen. Mit dieser Perspektive ist zunächst auch das heute vorliegende Gesetz zu bewerten. So die positive Feststellung: Die vorgeschlagenen Maßnahmen gehen in die richtige Richtung und sorgen für punktuelle Erleich- terungen. Deshalb werden wir dem Gesetzentwurf auch zustimmen. Gleichzeitig müssen wir aber auch massive Kritik an- melden. Einige Maßnahmen sind definitiv nicht weitfüh- rend genug. Und viele Maßnahmen fehlen gänzlich. Ich will das gerne näher ausführen: Wenn wir die Änderungen schon anpacken, dann bitte schön auch so, dass wir den Rahmen der möglichen Ent- lastung auch voll ausschöpfen. Das betrifft vor allem die Fälligkeitsregelung der Sozialversicherungsbeiträge. Ich komme darauf gleich noch mal darauf zurück. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 23063 (A) (C) (B) (D) Aber dann fehlen auch ganz wichtige Projekte und Themen: Digitalisierung – das Thema habe ich schon an- gesprochen – und das Thema Poolabschreibung bei ge- ringwertigen Wirtschaftsgütern. Das hätte so dringend in dieses Gesetz gehört, so wie mehrfach angekündigt. Da- bei geht es nicht nur um die Erhöhung des Betrages, son- dern ganz besonders um den Bürokratieabbau. Was für ein gravierender Fehler, dieses Thema in die Hände der Haushälter und Steuerberater im Wirtschaftsausschuss zu legen. Beide sind erkennbar sehr weit von der Realität in den Betrieben entfernt – übrigens sind das oft auch die Steuerabteilungen in den Betrieben selbst. Wer wie ich 25 Jahre in der Industrie zugebracht hat, weiß, dass auch in den Betrieben das Verständnis zwischen operativ Verantwortlichen und Steuerabteilung nicht immer vom Respekt gegenüber der jeweils anderen Fachabteilung geprägt ist. Also hier ist – wenn ich die Signale aus Mi- nisterium und Koalitionsfraktion richtig empfange – ein Desaster zu erwarten: Man habe sich auf „eine Verdopp- lung des Wertes“, also 800 Euro, geeinigt, ohne damit die wichtige Grenze von 1 000 Euro als Bedingung für die Abschaffung der Poolabschreibung zu erreichen. Ich sage das jetzt bewusst einmal so, dass es jeder verstehen kann: Eine bescheuertere Entscheidung ist schlicht nicht vorstellbar. Eine Schande für Herrn Gabriel, der sich schnell auf den Außenministerposten abgemacht hat und seine Zusagen als Wirtschaftsminister in dieser Sache im Mittelstandsausschuss des Wirtschaftsministeriums hier nicht mehr einlösen kann. Hier kann ich nur erneut an die Kolleginnen und Kol- legen der Koalitionsfraktionen appellieren: Der Wert für die geringwertigen Wirtschaftsgüter und damit die Sofortabschreibung wurde zuletzt 1964 unter einem Bundeskanzler Ludwig Erhardt erhöht. Wenn wir diese Regelung nun anpassen, dann so, dass sie eine echte Ver- waltungsvereinfachung bringt und auch beständig ist. Es könnte ja erneut 53 Jahre bis zu einer Anpassung dauern. Darum: Schaffen Sie die Poolabschreibung ab. Wir Grü- ne werden uns im weiteren Prozess hierfür einsetzen. Und dann noch mal zurück zum Thema Abführung der Sozialversicherungsbeiträge: Auch hier eine allenfalls Second-best-Lösung. Dies hat der Normenkontrollrat in seinem Gutachten geprüft und festgestellt. Ja, ich gestehe ein: Hier kann mit der getroffenen Regelung die Bürokra- tie deutlich eingeschränkt werden. Aber wir belasten Un- ternehmen mit stark schwankenden Beiträgen mit hohen Liquiditätseinbußen, indem die Lohnsumme des Vor- monats angesetzt wird. In Zeiten guter Liquidität auch und gerade der Sozialkassen hätte doch hier der Schritt zur Wiedereinführung der Regelung vor 2006 erfolgen können. Erinnern wir uns: Damals wurde das Vorziehen der Abführung der Sozialversicherungsbeiträge aufgrund einer akuten Notlage der Sozialversicherungskassen vorgenommen – aber diese Notlage ist doch bei weitem nicht mehr gegeben. Da muss man doch sehen, dass wir uns in den guten Zeiten wieder einen Puffer zulegen. Und natürlich gilt auch hier: Bürokratieabbau: Es muss das Ziel sein, dass kleine und mittlere Unternehmen nur einmal zahlen, nur einmal im Monat sich mit dem Thema befassen müssen und damit tatsächlich entlastet werden. Das geht nur mit Rückkehr zur Regelung, die vor 2006 galt. Dabei kommt dann regelmäßig die Bemer- kung: Das kostet 30 Milliarden Euro. Aber es ist eben nur eine Verschiebung von 30 Milliarden Euro in das nächste Haushaltsjahr. Das ist also nur ein Liquiditätseffekt, den wir uns übrigens gerade jetzt in Zeiten niedriger Zinsen gut leisten könnten. Wann werden sich endlich unterneh- merisches Denken und Aspekte der Bilanzierung auch in den Ministerien und bei den Haushältern durchsetzen? Kommen wir aber zu weiteren Punkten: Zur Aufbe- wahrungspflicht von Lieferscheinen sieht das Gesetz eine neue Reglung vor. Die Pflicht zur Aufbewahrung von Lieferscheinen entfällt dann, wenn Lieferscheine keine Buchungsbelege sind. Diese Regelung soll rund zwei Drittel der kalkulierten Bürokratieentlastung im ge- samten Gesetz bringen. Aber hören wir genau hin: Diese Höhe ist bei der Vielzahl der vorgebrachten Bedenken von Bundesrat und Verbänden zweifelhaft. In der Anhö- rung haben Handwerk und Industrie deutlich gemacht, dass sie Probleme bei der praktischen Anwendung sehen. Auch die Steuerberater kritisieren die neugeschaffene Rechtsunsicherheit. Konkret besteht die Gefahr, dass Lieferscheine zu früh vernichtet werden, was bei den Unternehmen zu Problemen beim Vorsteuerabzug führen kann. Auch die Länder im Bundesrat lehnen diese Rege- lung ab. Weil Lieferscheine oft Bestandteil der Rechnun- gen und bei Bargeschäften oft der einzige Anhaltspunkt bei der Ermittlung von Steuerhinterziehung sind, kann die neue Regelung Lücken bei der Verfolgung erzeugen. Und auch hier noch mal der Hinweis: In der Digitalen Welt wäre das Thema erledigt. Heute schon werden Lie- ferungen und Leistungen zu weit über 90 Prozent digital abgebildet – aber wir sind weit entfernt, diese Möglich- keiten für die entsprechenden Verwaltungsvorgänge an der Schnittstelle von Privatwirtschaft und Staat zu nut- zen. Eine Schande! Kurz vor Abschluss der Beratungen hat die Koalition dann doch noch Verbesserungsbedarf gesehen und Än- derungen eingebracht. Anpassung an erhöhten Mindest- lohn bei pauschalierter Lohnsteueranmeldung sowie die Anhebung der Kleinbetragsrechnung von 150 Euro auf 250 Euro. Hierfür werden rund 10 Millionen Euro Steu- ermindereinnahmen gegenüber 28,6 Millionen Euro Ent- lastung seitens der Wirtschaft veranschlagt. Immerhin. Aber was für ein Armutszeugnis gegenüber dem Einspa- rungspotenzial beim E-Government in der Größenord- nung von einigen Milliarden Euro. Ich möchte nicht schließen, ohne nicht noch einen weiteren Schritt auf dem mühsamen Weg des Bürokratie- abbaus vorzuschlagen. Eine handfeste Erleichterung und echte Anpassung an die Lebenswirklichkeit, die wir auch in die Ausschussberatungen eingebracht haben – leider erfolglos. Er betrifft die Umsatzsteuervoranmeldung und die wirklichkeitsfremde Berufseinschränkung von Bi- lanzbuchhalterinnen und Bilanzbuchhaltern. Sie dürfen die Umsatzsteuervoranmeldung offiziell nicht ans Fi- nanzamt senden, obwohl ihr tägliches Brot die Erstellung exakt dieser Unterlage ist. Eine entsprechende Änderung würde Rechtssicherheit für die Betroffenen schaffen und überflüssige Verwaltungsschritte in Unternehmen abbau- en. Aber der Änderungsantrag scheiterte an den Koaliti- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 201723064 (A) (C) (B) (D) onsfraktionen – oder sollte ich sagen: an der fehlenden Lobby? Bürokratieabbau ist ein mühseliges Geschäft. Die Ko- alitionsfraktionen haben in ihrer Mehrheit offensichtlich nicht begriffen, dass es hier ganz wesentlich um die in- ternationale Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft geht, sonst hätten sie das Thema viel ambitionierter angepackt. Ich kann nur hoffen und mich dafür einsetzen, dass In- stitutionen wie der Normenkontrollrat gestärkt werden, um das Thema Bürokratieabbau weiter voranzutreiben. An uns Grünen soll es nicht liegen! Dirk Wiese, Parl . Staatssekretär bei der Bundesmi- nisterin für Wirtschaft und Energie: Bürokratieabbau ist eine Daueraufgabe und ein Anliegen jeder Regierung. Das Wirtschaftsministerium hat in dieser Legislatur- periode mit dem Bürokratieentlastungsgesetz I und der Vergaberechtsmodernisierung bereits maßgeblich Büro- kratie abgebaut. Dabei wollen wir nicht stehen bleiben. Heute beraten Sie abschließend über das zweite Bürokratieentlastungs- gesetz. Das BEG II wird insbesondere kleinen Betrieben mit zwei bis drei Mitarbeitern zugutekommen und ihnen den Alltag erleichtern. Wir können mit diesem Gesetz ei- nige wichtige Forderungen der Wirtschaft umsetzen. Ich denke etwa an die dort vorgesehenen Erleichterungen bei der Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge: Die bisherige aufwendige Schätzung der Beiträge entfällt. Stattdessen dürfen die Unternehmen künftig auf den Vor- monatswert abstellen. Große Potenziale für Entbürokratisierung bestehen im Bereich des E-Governments und der Digitalisierung. Das hat der NKR zu Recht wiederholt angemahnt. Mit dem BEG II tun wir einen Schritt in diese Richtung: Erstens. Über die zentrale Bundesredaktion werden Leistungsinformationen bereitgestellt. Das sind Ausle- gungshilfen zu Gesetzen und Verordnungen des Bundes. So werden auf den verschiedenen Verwaltungsebenen einheitliche und leicht verständliche Informationen ver- fügbar sein. Zweitens. Wir öffnen die Handwerksordnung für die elektronische Kommunikation. Dadurch entlasten wir die Handwerkskammern und ihre Mitgliedsunternehmen. Drittens. Schließlich wird die Abrechnung von Pfle- gedienstleistungen erleichtert. Elektronische Dokumente ersetzen Belege in Papierform. Dadurch bleibt mehr Zeit für Pflege. Und schließlich: Das BEG II entlastet die Wirtschaft im Bereich des Steuerrechts, und zwar in ganz erhebli- chem Umfang. Wichtige Schwellenwerte im Steuerrecht werden an- gehoben, und zwar bei den Kleinbetragsrechnungen und beim Verzeichnis für geringwertige Wirtschaftsgüter. Es freut mich, dass Sie hierbei über die Vorschläge des Re- gierungsentwurfs hinausgehen wollen. Bei Lieferscheinen, deren Inhalt durch die Rechnung dokumentiert ist, entfällt die Pflicht zur Aufbewahrung. Und schließlich wird die Grenze für die vierteljährli- che Abgabe der Lohnsteueranmeldung angehoben. Und lassen Sie mich kurz über den Tellerrand des BEG II schauen: Ich begrüße es besonders, dass die Ab- schreibungsgrenze für geringwertige Wirtschaftsgüter signifikant auf 800 Euro angehoben werden soll. Auch dies ist eine ganz wichtige Maßnahme zur Bürokratieent- lastung, die das BEG I und BEG II ergänzt. Kurz: Am Ende der Legislaturperiode gelingen wich- tige Schritte, die – besser als manches Konjunkturpro- gramm – unsere Ziele fördern: mehr Wachstum, mehr und bessere Beschäftigung und mehr Innovationen. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Verfahren für die elektronische Abgabe von Mel- dungen für Schiffe im Seeverkehr über das Zent- rale Meldeportal des Bundes und zur Änderung des IGV-Durchführungsgesetzes (Tagesordnungs- punkt 30) Hans-Werner Kammer (CDU/CSU): Heute Morgen haben wir leidenschaftlich über die Zukunft der mariti- men Branche diskutiert. Die maritime Politik der Bun- desregierung und der Begleitantrag der Koalition zur Na- tionalen Maritimen Konferenz machen zwei Dinge ganz deutlich. Erstens. Bei uns sind Schifffahrt und maritime Wirtschaft in guten Händen. Zweitens. Um die Branche zukunftsfest zu machen, sind viele kleine Einzelmaßnah- men notwendig. Eine dieser kleinen, aber wichtigen Maßnahmen ist die Modernisierung und Digitalisierung der Meldeforma- litäten für die Seeschifffahrt. Es gibt fast ein Dutzend un- terschiedlicher Meldepflichten: Gefahrgutmeldung, Ab- fallmeldung, Gesundheitsmeldung, Sicherheitsmeldung, Verkehrsmeldung usw. Zuständig sind die verschiedens- ten Behörden von Bund und Ländern. Ein zentrales Meldeportal für anlaufende Schiffe er- leichtert den Schiffseignern, Reedereien und Kapitänen, aber auch den deutschen Verwaltungsorganen die Arbeit enorm. Seit 2015 ist daher das sogenannte National Sing- le Window aktiv. Hier werden alle für das Anlaufen eines deutschen Hafens erforderlichen Informationen eingege- ben und allen betroffenen Behörden zur Verfügung ge- stellt. Das mehrfache Melden gleicher Informationen an verschiedene Behörden entfällt. Der Zeitaufwand und die Kosten für die Abgabe der Meldungen sinken, die Effizi- enz der Schifffahrt und der beteiligten Behörden steigt. Dazu wurden die Inhalte der Meldungen harmonisiert. Auch dieses System macht weiter einen Informations- austausch zwischen verschiedenen Behörden mit unter- schiedlichen Zuständigkeiten notwendig. Das Gesetz, das als Entwurf vorliegt, schafft die rechtliche Grundlage für diesen Datenaustausch. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 23065 (A) (C) (B) (D) Mit dem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen greifen wir einen sinnvollen Vorschlag des Bundesrates auf. Alle Bekanntmachungen und Veröffentlichungen, die das Seeschifffahrt-Meldeportal-Gesetz betreffen, werden nicht nur im Bundesanzeiger, sondern auch im Verkehrsblatt veröffentlicht. Die betroffenen Schiffseig- ner, Reedereien, Makler und Kapitäne haben das Ver- kehrsblatt ohnehin auf dem Schirm. Es handelt sich da- mit um eine praxisnahe Ergänzung des Gesetzentwurfes. Außerdem weisen wir der Berufsgenossenschaft Verkehr zusätzliche Aufgaben beim Abwracken von Seeschiffen zu. Die BG Verkehr soll zukünftig Besichti- gungen durchführen und Zeugnisse ausstellen bzw. ver- längern. Das ist eine wichtige Vorbereitung für die noch ausstehende Ratifizierung des Übereinkommens von Hongkong über das umweltfreundliche Recycling von Schiffen. Gleichzeitig setzen wir eine europarechtliche Vorgabe um. Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein Mosaikstein- chen eines größeren Bildes: Die Koalition steht zur mari- timen Branche. Wir stellen uns den vielen Aufgaben und Herausforderungen, um die maritime Wirtschaft durch unruhige See zu begleiten; denn wir wissen um ihre Be- deutung für unser Land. Und eines möchte ich noch ein- mal betonen: Auch in Zukunft findet die maritime Bran- che bei der Union immer ein offenes Ohr! Im Ausschuss haben wir uns einstimmig für dieses Gesetz ausgesprochen. Ich bitte Sie auch heute um breite Unterstützung für dieses Vorhaben. Dr. Birgit Malecha-Nissen (SPD): Wir beraten heu- te den Regierungsentwurf eines Gesetzes über das Ver- fahren für die elektronische Abgabe von Meldungen für Schiffe im Seeverkehr. In Zukunft erfolgt diese Abgabe von Meldungen über das Zentrale Meldeportal des Bun- des. Gleichzeitig wird das Gesetz zur Durchführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften, IGV-Durchfüh- rungsgesetz, neu gefasst. Dieses regelt Verpflichtungen zur elektronischen Abgabe der Seegesundheitserklärung. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf setzen wir die europäische Richtlinie 2010/65/EU vom 20. Oktober 2010 über Meldeformalitäten für Schiffe beim Einlau- fen in und/oder Auslaufen aus Häfen der Mitgliedstaa- ten um. Es war dringend notwendig, dass wir auch in Deutschland die gesetzliche Grundlage für die elektroni- sche Abgabe von Meldungen für Schiffe im Seeverkehr schaffen. Nach der EU-Richtlinie sollten zum 1. Juni 2015 Meldungen in der Schifffahrt nur noch auf elektro- nischem Weg akzeptiert werden. Bisher wurden Meldun- gen in der Seeschifffahrt an mehrere Behörden einzeln gemeldet. Das war umständlich und ineffizient. Mit dem Zentralen Meldeportal erreichen wir eine erhebliche Ver- einfachung des innereuropäischen Warenverkehrs und verbessern das Meldewesen für die Seeschifffahrt. Dies erhöht zusätzlich die Konkurrenzfähigkeit in Hinblick auf die europäischen Nachbarstaaten. Es ermöglicht der Wirtschaft, Meldungen in der Seeschifffahrt über ein mo- dernes einzelnes zentrales Meldeportal abzugeben. Dies führt zu einer Vereinfachung und Beschleunigung der Arbeitsvorgänge. Besonders in Zeiten der Digitalisierung ist das unabdingbar! Das Zentrale Meldeportal nimmt alle Meldungen ent- gegen und leitet sie an die zuständigen datenverarbeiten- den Stellen weiter. Damit dient es als Eingangsschnitt- stelle, das Meldungen automatisiert an verschiedene Empfängerbehörden wie Bundes- und Landesbehörden weiterleitet. In Deutschland hat das neue System bereits am 27. Mai 2015 seine Arbeit aufgenommen. Mit dem vorliegenden Gesetz schaffen wir nun endlich auch die gesetzlichen Grundlagen. Die Zielsetzung ist klar: Die zusätzlichen Regelungen sind notwendig, um Daten rechtssicher und geschützt weiterleiten zu können. Das Gesetz regelt das Verfahren der elektronischen Abgabe von Meldungen für Schiffe beim Einlaufen in Häfen. Darüber hinaus wird über das Zentrale Meldeportal der Aufenthalt in und/oder das Auslaufen aus deutschen Gewässern oder Seehäfen sowie das Befahren des Nord-Ostsee-Kanals geregelt. Gleichzeitig mit diesem Gesetz wird das IGV-Durch- führungsgesetz geändert, welches die Angabe von Gesundheitserklärungen regelt. Die Neufassung des Gesetzes zur Durchführung der Internationalen Gesund- heitsvorschriften regelt nun die Verpflichtungen zur elek- tronischen Abgabe der Seegesundheitserklärung. Insbe- sondere aus datenschutzrechtlichen Gründen ist dieses Gesetz notwendig. Das ist deshalb sinnvoll und zielfüh- rend, da wir bei Fragen zur Gesundheit eine hohe Sensi- bilität und Vertraulichkeit benötigen. Abschließend kann man sagen, dass wir mit dem vor- liegenden Gesetz unserer Verpflichtung als Mitgliedstaat nachkommen, die EU-Richtlinie aus dem Jahr 2010 um- zusetzen. Nachdem die technische Umsetzung bereits 2015 vollzogen wurde, wird hiermit die ergänzende Er- mächtigung zur Datendurchleitung aus datenschutzrecht- lichen Gründen in Form eines Gesetzes erteilt. Wir begrüßen, dass der Bund eine Koordinierungs- stelle im Bundesverkehrsministerium schafft, die daten- schutzrechtlich das Zentrale Meldeportal betreibt. Die Einrichtung des Zentralen Meldeportals verursacht jährliche Kosten in Höhe von insgesamt 241 027 Euro. Der Mehrbedarf an Sach- und Personalmitteln wird fi- nanziell im Haushalt des Verkehrsetats ausgeglichen. Das Zentrale Meldeportal ist ein weiterer zentraler Schritt im Zeitalter der Digitalisierung, der dringend not- wendig war. Besonders im Hinblick auf die Gefahr von Cyberkriminalität ist die gesetzliche Grundlage für Da- tenschutz und den Schutz der Persönlichkeitsrechte im Seeverkehr von entscheidender Bedeutung. Herbert Behrens (DIE LINKE): An dem vorliegen- den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen hat auch die Fraktion Die Linke wenig auszusetzen; denn damit wird nur die Richtlinie 2010/65/EU des Europaparlaments und des Europäischen Rates vom 20. Oktober 2010 über Meldeformalitäten für Schiffe beim Einlaufen in und Auslaufen aus EU-Häfen in nationales Recht umgesetzt. Das Ziel dabei ist die Sicherstellung des ordnungsgemä- ßen Schiffsverkehrs. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 201723066 (A) (C) (B) (D) Zur Erfüllung dieser Richtlinie ist in Deutschland ein System zur Verfügung gestellt worden, das alle Meldun- gen entgegennimmt und an die zuständigen maritimen Behörden weiterleitet. Es ist höchste Zeit, dass dafür die entsprechende gesetzliche Regelung eingerichtet wird; denn das neue System ist schon vor fast zwei Jahren, nämlich am 27. Mai 2015, in Betrieb genommen worden. Bisher wurden gesetzlich vorgeschriebene Meldun- gen einzeln an oft mehrere zuständige Behörden von den Meldenden geschickt. Künftig soll eine Meldung, die über das Zentrale Meldeportal abgegeben wird, erst ein- mal über die zuständige Bundesbehörde auf Anforderung der empfangenden Stelle bei der bereitgestellten Ein- gangsschnittstelle eingehen. Im Zentralen Meldeportal sind lediglich der Meldungstyp und eine Anlaufreferenz- nummer ersichtlich. Letztere ist eine standardisierte Re- ferenznummer, die bei jeder Meldung anzugeben ist. Das dient der Zuordnung des Vorgangs zu einem bestimmten Hafenbesuch. Anschließend werden die Meldungen dann mit einer technischen Rückmeldung an den Melder nach einer Prüfung angenommen oder abgelehnt. Aus datenschutztechnischer Sicht ist der Gesetzent- wurf unbedenklich; denn die Verarbeitung der Schiffs- meldungen beschränkt sich hier auf den Empfang, die Weiterleitung und die Löschung von Daten durch die zu- ständige Behörde. Eine inhaltliche Zugriffsmöglichkeit ist für das Meldeportal nicht vorgesehen. Die ergänzende Anregung des Bundesrates, dass die Meldungen nicht nur im Bundesanzeiger, sondern auch im Verkehrsblatt zu veröffentlichen sind, ist angesichts der weitverbreiteten Nutzung des Verkehrsblatts im See- verkehr zu begrüßen. So weit, so gut. Aber mit diesem Gesetzentwurf sind allerdings noch keine Weichen für die maritime Arbeit der Zukunft gestellt. Davon ist die Bundesrepublik noch weit entfernt, wie auch die DGB-Vorsitzende Katja Karger be- stätigte. Ich zitiere aus der Verdi-Zeitung „Schifffahrt“: „Im Hafenbereich wurde der Anschluss an Arbeit 4.0 und die Digitalisierung bisher weitgehend verpasst, es liegt strukturell ziemlich viel im Argen. Es müssen dringend Ideen und Lösungen für die Zukunft her.“ Heute Morgen, bei der Debatte über die Zukunft der maritimen Industrie, hatten die Kolleginnen und Kolle- gen der Koalitionsfraktionen die Gelegenheit, ihre Ide- en einzubringen. Aber stattdessen war in ihrem Antrag nur zu lesen, dass der Bundestag beschließen möge, „im Zuge der Digitalisierungs- und Automatisierungs- prozesse und der zu erwartenden Entwicklungen in den deutschen Häfen geeignete Lösungsansätze in Hinblick auf die Ausbildungs- und Beschäftigungsstrategien zu finden“. Am Ende einer Regierungsperiode ist die bloße Erklärung einer Absicht, in Zukunft Lösungen zu finden, mehr als dürftig. An dieser Stelle haben Sie Ihre Amtszeit verschlafen, meine Damen und Herren der CDU/CSU und der SPD! Ich kann Ihnen nur raten, endlich die dringlichen Aufgaben, vor denen angesichts Automatisierung und Digitalisierung die Kolleginnen und Kollegen in den Hä- fen, Werften und auf hoher See stehen, ernst zu nehmen. Gehen Sie auf die berechtigte Kritik ihrer Gewerkschaft Verdi, die letztes Jahr gezwungen wurde, aus dem Mari- timen Bündnis auszusteigen, ein. Verhandeln Sie auf Au- genhöhe über Maßnahmen, die die Digitalisierung und Automatisierung im maritimen Sektor für die nächsten Jahrzehnte sozialverträglich regeln können. Bieten Sie den Kolleginnen und Kolleginnen wieder eine Zukunfts- perspektive! Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir debattieren heute ein Gesetz zur elektronischen Mel- dung von Schiffsdaten. Das steht eigentlich auch im di- rekten Zusammenhang mit dem Digitalisierungsprozess, der zurzeit als Schlagwort kursiert. Dadurch ließe sich das auch sehr gut mit Meldeformalitäten von Schiffs-, Crew-, Fracht- und Zolldaten verknüpfen. Seitens der Bundesregierung wird jetzt damit der Anfang gemacht. Aber um das vollständig umzusetzen, fehlt noch eine ganze Menge. Wenn der Anfang einmal gemacht ist, wäre es jetzt nur konsequent, beim Thema Digitalisie- rung in der Seeschifffahrt am Ball zu bleiben. Daher haben wir heute auch in der Debatte zur mariti- men Wirtschaft einen Antrag eingebracht, der auf genau diese Punkte eingeht: Ein Schwerpunkt der Maritimen Konferenz in wenigen Tagen soll ja die Digitalisierung der maritimen Branche sein. Genau diesen Prozess könn- ten Sie mit dem vorliegenden Gesetzentwurf eigentlich weiterführen. Der Wunsch der maritimen Wirtschaft ist es, dass der Staat mithilfe der Digitalisierung auch die geforderten Meldeprozesse vereinfacht und standardi- siert. Aber die wirklichen Probleme werden hier leider – wen wundert es eigentlich? – nicht angegangen. Es kann nicht sein, dass wir in Europa ein sogenanntes Single Maritime Window für Melde- und Dokumenten- prozesse beschließen. Doch die Mitgliedstaaten beharren alle weiterhin auf ihren nationalen oder regionalen Lö- sungen. Jeder schaut weiter durch sein eigenes kleines Fenster. Sofern sich die Nationalstaaten hier nicht eini- gen und Zollverwaltungen sich nicht einmal national, geschweige denn europaweit abstimmen können, wird es dauerhaft bei Insellösungen bleiben. Die eigentlich geplanten Vorteile wie Zeit- und Geldersparnis rücken dadurch für alle Beteiligten in weite Ferne. Das wäre nur zu schade. Insofern hoffe ich hier auf eine deutlichere Beweglichkeit. Aber auch das Personal an Bord der Schiffe ist die überbordende Bürokratie leid. Über 50 Prozent der Ar- beitszeit werden nicht mit dem Steuern des Schiffes verbracht, sondern mit dem Ausführen von Verwaltungs- akten. Die Kapitäninnen und Kapitäne werden somit zu Sekretären der Reedereien sowie der öffentlichen Ver- waltung. Sie sind Leidtragende der fehlenden Bereit- schaft zu Standardisierung und Kooperation der europä- ischen Staaten. Das hat erst kürzlich sehr eindrucksvoll ein Kapitän in einem Fachgespräch unserer Fraktion zu diesem Thema geschildert. Deutschland darf sich daher nicht zurücklehnen, sondern muss zusammen mit den an- deren Mitgliedstaaten brauchbare Lösungen im Rahmen der Digitalisierung finden. Als Antwort auf den vermeint- lichen Trend von Protektionismus und falscher Abschot- tung brauchen wir mehr Europa und dadurch auch ein Zusammenwachsen der Staaten. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 23067 (A) (C) (B) (D) Lassen Sie mich schließlich noch einen Hinweis geben, da die maritime Wirtschaft aktuell unter solch großen Überkapazitäten leidet: Auch im Vorfeld von geplanten Verschrottungen von Seeschiffen müssen Meldungen an die nationalen Stellen durchgeführt wer- den. Sicher haben Sie hier schon eine spätere Ratifizie- rung des Hongkong-Abkommens für das Recycling von Seeschiffen im Auge. Sofern in den zukünftigen dafür relevanten Gesetzentwürfen eine Vorbereitung für das Hongkong-Abkommen vorgesehen ist, begrüße ich das auch. Allerdings: Machen Sie Nägel mit Köpfen, und ra- tifizieren Sie das Abkommen sofort. Es geht nicht nur um bessere Arbeitsbedingungen und umweltgerechtes Ent- sorgen, auch in europäischen Werften. Es geht bei dem Abkommen auch direkt um die Zukunft der maritimen Wirtschaft in Deutschland in Europa. Enak Ferlemann, Parl . Staatssekretär beim Bundes- minister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Heute beraten wir das sogenannte Meldeportalgesetz. Ein- fach gesagt, bildet Artikel 1 des Gesetzes die rechtliche Grundlage für ein zentrales elektronisches Meldeportal für den Schiffsverkehr in Deutschland. Das klingt erst einmal sehr abstrakt. Die tatsächliche Bedeutung des Gesetzes wird erst klar, wenn man die Situation vor wenigen Jahren be- trachtet: Jeder Hafen, jedes Bundesland und einzelne Behörden hatten für den Schiffsanlauf ein eigenes Mel- dewesen. Viele Meldungen wurden per Telefon, Telefax oder über Listen und Formulare abgegeben. Wir spre- chen hier über Meldungen in 72 deutschen Anlaufhäfen, an insgesamt 240 betroffene Behörden bei aktuell circa 1,3 Millionen Anläufen jährlich. Gerade in der global agierenden Seeschifffahrt ist das eine weder von den be- troffenen Reedereien noch von den betroffenen Behörden zu bewältigende Herausforderung und in Zeiten der Digi- talisierung nicht hinnehmbar. Der notwendige Prozess der Vereinheitlichung der Meldungen in der Schifffahrt hat in Deutschland mit der im Jahr 2012 erfolgten Umsetzung der europäischen Richtlinie 2010/65/EU über Meldeformalitäten für Schif- fe begonnen. Ziel ist es, alle von der Seeschifffahrt an Behörden an Land abzugebenden Meldungen zentrali- siert elektronisch über ein einziges elektronisches Portal abgeben zu können. Die Durchleitung an die zuständigen Bundes- und Landesbehörden erfolgt automatisch. Weitere Vereinheitlichungen sind jedoch notwendig. Zudem halten die Zunahme der Datenströme und die Weiterentwicklung der Systeme weitere Herausforde- rungen bereit. Auf europäischer wie auf nationaler Ebene arbeiten wir deshalb an der Weiterentwicklung der Kon- zepte für eine effektive Digitalisierung der Schifffahrt, die alle Belange berücksichtigen. Für diesen Prozess schafft der vorliegende Gesetzent- wurf den notwendigen rechtlichen Rahmen. Er ermög- licht eine klarere Zuordnung behördlicher Zuständig- keiten, technische Prozesse werden beschrieben und die datenschutzrechtliche Ermächtigung für die Erhebung sowie Verteilung aller relevanten Daten geschaffen. Ziel des Gesetzes ist es dabei insbesondere auch, die Grund- lage für eine effektivere Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern zu bieten. Die Digitalisierung in der See- schifffahrt und gerade auch dieses Gesetz sind ein Bei- spiel für die gelebte gute Zusammenarbeit zwischen Län- dern und Bund. Mit dem Gesetz, das als Entwurf vorliegt, wird gleich- zeitig auch das Gesetz zur Durchführung der Internati- onalen Gesundheitsvorschriften an die Anforderungen des Zentralen Meldeportals angepasst. Durch die Abgabe von Informationen zum Gesundheitszustand der an Bord befindlichen Personen über das Zentrale Meldeportal soll den nationalen Gesundheitsbehörden ermöglicht werden, frühzeitig auf Gesundheitsgefahren reagieren zu können. Ich bin meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dankbar, die durch langwierige und komplexe Abstim- mungsprozesse mit den Küstenländern und den betroffe- nen Behörden einen, so glaube ich, guten Gesetzentwurf formuliert haben. Ich danke insbesondere auch dem Bun- desrat und den beiden Koalitionsfraktionen. Die einge- brachten Änderungen am Meldeportalgesetz werden den Zugang zu den für die Nutzung des Meldeportals not- wendigen Informationen deutlich erleichtern. Ich möchte den Koalitionsfraktionen außerdem für den Vorschlag für einen neuen Artikel 3 danken. Die vor- geschlagene Änderung des Seeaufgabengesetzes schafft die Grundlage dafür, dass Deutschland zu den internati- onalen und europäischen Bemühungen zur Verbesserung der Situation beim Recycling von Schiffen beitragen und die entsprechenden Regelungen zügig umsetzen kann. Im Interesse der Umwelt und der Arbeitssicherheit sollte Deutschland seine Verantwortung auch hier wahrneh- men. Insgesamt haben wir – da bin ich mir sicher – einen guten Gesetzentwurf. Die Digitalisierung der Schifffahrt und Schiffsrecycling sind wichtige Herausforderungen. Hier werden die notwendigen Schritte für die dazugehö- rige Rechtssicherheit gemacht. Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Eisenbahnunfalluntersuchung (Tagesord- nungspunkt 31) Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): Mit dem Gesetz zur Neuordnung der Eisenbahnunfalluntersu- chung werden zwei Ziele verfolgt: Zum einen werden die gesetzlichen Grundlagen geschaffen, die bisherigen Kompetenzen des Bundes im Bereich der Untersuchung gefährlicher Ereignisse im Eisenbahnbetrieb auf bun- deseigenen Schienenwegen auf eine neue selbstständige Bundesoberbehörde zu übertragen, der Bundesstelle für Eisenbahn-Unfalluntersuchung. Diese wird dem Bundes- ministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur unter- stehen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 201723068 (A) (C) (B) (D) Bislang war die Eisenbahnunfalluntersuchung mit der Umsetzung der EU-Richtlinie über die Eisenbahn- sicherheit aus dem Jahr 2007 organisatorisch zweige- teilt. Die Leitung der Eisenbahnunfalluntersuchung des Bundes oblag dem seinerzeitigen Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Die Untersu- chungszentrale für die operativen Aufgaben hatte das Eisenbahn-Bundesamt inne. Die Bundesregierung hat gegenüber dem Bundestag ausgeführt, dass eine Orga- nisationsuntersuchung im Jahr 2015 gezeigt habe, dass es sinnvoller sei, die Eisenbahnunfalluntersuchung des Bundes einer selbstständigen Behörde zu übertragen. Zum anderen werden mit dem Gesetz Vorgaben der EU-Richtlinie über Eisenbahnsicherheit vom 11. Mai 2016 umgesetzt. Ich begrüße es, dass die Unabhängigkeit der Eisenbahnunfalluntersuchung von der Eisenbahnauf- sicht, die vom Eisenbahn-Bundesamt wahrgenommen wird, gestärkt wird. Die Mitwirkungspflichten der Eisen- bahnen bei der Eisenbahnunfalluntersuchung und Daten- schutzregelungen werden ebenfalls festgelegt. Von den Rechtsänderungen betroffen sind das Allge- meine Eisenbahngesetz und das Bundeseisenbahnver- kehrsverwaltungsgesetz. Bisher sind im Allgemeinen Eisenbahngesetz nur die Aufgaben und Befugnisse der Eisenbahnaufsichtsbehörden geregelt. Diese sollen mit den Aufgaben und Befugnissen der Stellen für Eisen- bahn-Unfalluntersuchung ergänzt werden. So wird die neue Bundesstelle für Eisenbahn-Unfalluntersuchung unter anderem Meldungen zu gefährlichen Ereignissen im Eisenbahnbetrieb entgegennehmen und kategorisie- ren, gefährliche Ereignisse untersuchen und Untersu- chungsberichte erstellen und veröffentlichen. Die Bundesländer haben am 10. Februar 2017 zum Entwurf des Gesetzes Stellung genommen und gering- fügige Änderungsanträge eingebracht, die in einem Än- derungsantrag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD berücksichtigt wurden. Die Änderungsvorschläge des Bundesrates haben das Ziel, die Zuständigkeit der Eisen- bahnaufsichtsbehörden der Länder für die Untersuchung von Unfällen auf Eisenbahnnetzen, die nur für die Per- sonenbeförderung im örtlichen Verkehr, Stadt- oder Vor- ortverkehr genutzt werden, deutlicher hervorzuheben. Ein weiterer Änderungsvorschlag betont die Gleichran- gigkeit der Befugnisse der für die Strafverfolgung und die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten zuständigen Behörden. Dem Gesetzentwurf einschließlich des Änderungs- antrags der Koalitionsfraktion wurde in der Sitzung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur am 22. März 2017 einstimmig zugestimmt. Daher wird dem Bundestag der Beschluss des geänderten Gesetzentwurfs der Bundesregierung empfohlen. Martin Burkert (SPD): Es ist stets dieselbe Frage, und sie ist berechtigt. Sie wird nach jedem schweren Zug unglück gestellt. Die Frage lautet: Wie sicher ist es, in Deutschland mit dem Zug zu fahren? Die Antwort ist eindeutig: Sehr sicher – auch wenn es immer wieder zu Unfällen kommt. Doch deren Zahl ist niedrig, und es ster- ben dabei viel weniger Menschen als im Straßenverkehr. In der Vergangenheit hat es aber leider auch tragische Zugunfälle gegeben, bei denen Menschen ihr Leben ver- loren haben und Sachschäden in Millionenhöhe entstan- den sind. Auch ich, mit meiner Ausbildung bei der Bahn und heute als Verkehrsausschussvorsitzender im Bundes- tag, kann nach so einer Katastrophe nicht einfach zum normalen Arbeitsalltag übergehen. Eine lückenlose und vor allem schnelle Aufklärung der Ursachen für diese Unfälle ist wichtig, um den Eisenbahnverkehrsunterneh- men und den Infrastrukturbetreibern mögliche Verbesse- rungen an die Hand zu geben und die Zahl der Unfälle zu reduzieren. Aber auch für die Opfer und Hinterbliebenen ist es wichtig, für Klarheit zu sorgen. Untersuchungen haben gezeigt, dass es dabei sinnvol- ler ist, die Untersuchung von Eisenbahnunfällen in einer Hand zu belassen. Dies regelt nun der Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Eisenbahnunfalluntersu- chung. Er schafft die auf Gesetzesebene erforderlichen rechtlichen Grundlagen für die Einrichtung einer Bun- desstelle für Eisenbahn-Unfalluntersuchung. So wird auch die Unabhängigkeit der untersuchenden Behörde gestärkt. Diese eigene Behörde soll in Zukunft für Aufgaben der Untersuchung gefährlicher Ereignisse im Eisenbahn- betrieb zuständig sein. Hiermit soll die bestehende Auf- teilung der Eisenbahn-Unfalluntersuchung des Bundes beseitigt werden. Denn bisher ist die Leitung der Eisen- bahn-Unfalluntersuchungsstelle des Bundes (EUB) im Verkehrsministerium angesiedelt. Als operative Stelle agiert die EUB ebenfalls seit 2008 beim Eisenbahn-Bun- desamt (EBA). Beamte und Arbeitnehmer des EBA, die zum Zeit- punkt der Errichtung der Bundesstelle für Eisenbahn-Un- falluntersuchung Aufgaben wahrnehmen, die dieser Stelle obliegen, sind von diesem Zeitpunkt an Beamte und Arbeitnehmer bei der Bundesstelle für Eisenbahn- Unfall untersuchung. An dieser Stelle möchte ich zu- nächst einmal diesen Beschäftigten danken, die in den vergangenen Jahren durch ihren Einsatz zur Aufklärung von Eisenbahnunfällen beigetragen haben. Bei den Aufgaben der Eisenbahnaufsicht sollen nach der vorliegenden Gesetzesbegründung auch keine Ände- rungen bewirkt werden. Daher möchte ich noch einmal dafür plädieren, dass das EBA mit mehr Personal ausge- stattet wird und der bestehende Beförderungsstau aufge- löst wird. Um die Schiene zu stärken, brauchen wir auch starke Behörden, mit qualifiziertem Fachpersonal und guten Aufstiegsmöglichkeiten. Ich möchte gerne die enorme Bedeutung der Eisen- bahn-Unfalluntersuchungsstelle (EUB) und zukünftigen Bundesstelle (BEU) hervorheben und dazu ihre Aufga- ben skizzieren: Die EUB hat zum Ziel, die Ursachen von gefährlichen Ereignissen im Eisenbahnbetrieb aufzuklären. Die da- raus gewonnenen Erkenntnisse sollen dazu dienen, die Sicherheit im Eisenbahnverkehr zu optimieren und so- mit Unfällen vorzubeugen. In der Praxis heißt das: Die EUB sammelt Fakten und Informationen, um das Unfall- geschehen zu rekonstruieren. Dabei werden neben der Infrastruktur selbstverständlich auch die betrieblichen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 23069 (A) (C) (B) (D) Abläufe und die am Unglück beteiligten Fahrzeuge mit einbezogen. Tätig wird die EUB nur nach schweren Un- fällen. Dies regelt eine europäische Richtlinie: Ein Un- fall gilt dann als schwer, wenn bei einem Zusammenstoß oder bei einer Entgleisung von Zügen ein Mensch getötet oder mindestens fünf Menschen schwer verletzt wurden. Trifft dies bei einem Eisenbahnunglück nicht zu, kann die Untersuchungsstelle im Einzelfall immer noch ent- scheiden, ob sie eine Untersuchung einleitet. Noch einmal zusammengefasst: Die Arbeit der Eisen- bahn-Unfalluntersuchungsstelle dient dazu, die Ursache von Unfällen zu ermitteln, damit sich solche Ereignisse in der Zukunft nicht wiederholen und besser verhindern lassen und damit ganz allgemein die Sicherheit im Eisen- bahnverkehr weiterentwickelt werden kann. Die Arbeit der Eisenbahnunfall-Untersuchungsstelle ist nicht abhängig von gerichtlichen Ermittlungen. Sie dient nicht dazu, Schuldzuweisungen vorzunehmen oder Haftungsfragen zu klären. Um die bisherige Arbeit von EUB und EBA weiter stärken zu können, ist die Schaffung einer eigenen Bun- desbehörde – wie im vorliegenden Entwurf eines Geset- zes zur Neuordnung der Eisenbahnunfalluntersuchung vorgesehen – der Schritt in die richtige Richtung. Denn wir müssen die Schiene weiter stärken. Und dazu gehört ganz sicher auch eine lückenlose und zügige Aufklärung von Eisenbahnunfällen, um diese in Zukunft zu vermei- den. Dies steht und fällt aber mit sachkundigem und in ausreichender Anzahl vorhandenem Personal. Hier müs- sen wir nachhaltig investieren, und ich wünsche mir, dass das mit diesem Gesetz – ohne Wenn und Aber – umge- setzt wird. Sabine Leidig (DIE LINKE): Bislang gibt es für die Untersuchung von Bahnunfällen die Eisenbahn-Unfall- untersuchungsstelle des Bundes, EUB, die als operati- ve Stelle beim Eisenbahn-Bundesamt, EBA, und damit letztlich beim BMVBS/BMVI angesiedelt ist. Nun soll die Untersuchungsstelle in eine selbstständige Behörde umgewandelt werden. Offenbar gibt es dafür zwei Gründe: Zum einen hat die Organisationsuntersuchung im Jahr 2015 gezeigt, dass es sinnvoller sei, die Eisenbahnunfalluntersuchung des Bundes einer selbstständigen Behörde zu übertragen. Außerdem sollen mit der geänderten Organisation die Vorschriften der Richtlinie 2016/798 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2016 über Eisen- bahnsicherheit umgesetzt werden. Aus der Sicht der Linksfraktion ist es durchaus sinn- voll, die Untersuchung von Eisenbahnunfällen zu ver- bessern. Zwar hat die bisherige Struktur prinzipiell funk- tioniert, allerdings extrem langsam. Die Berichte der EBA-Untersuchungsstelle waren meist erst Monate nach dem eigentlichen Unfall verfügbar; manchmal dauerte es sogar Jahre. In einigen Fällen sind die Unfallberichte auch sehr verklausuliert und – möglicherweise aus politischen Gründen – unzureichend auf die eigentlichen Ursachen eingegangen. Ein Beispiel dafür waren die Untersuchun- gen der mehrfachen Entgleisungsvorgänge im umgebau- ten Stuttgarter Hauptbahnhof. Dort wurde letztlich auf angeblich defekte Puffer verwiesen, während der um- fangreiche Umbau des Bahnhofs als Vorbereitung von Stuttgart 21 außer Acht blieb. Unsere Fraktion stimmt der geplanten Einrichtung einer selbstständigen Behörde zu, weil zumindest eine größere Unabhängigkeit vom Ministerium zu erwarten ist. Damit besteht die Chance, dass die Untersuchungs- berichte weniger auf „Diplomatie“ und mehr auf Trans- parenz ausgerichtet sind. Ob sich diese Hoffnung erfüllt, wird allerdings erst die zukünftige Praxis zeigen. Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Am Abend werden die Faulen munter. Auch hier legt die schwarz-rote Koalition kurz vor Ende der Legislatur einen Gesetzentwurf vor, der schon hätte viel eher kom- men können. Schon mehrfach habe ich in diesem Hohen Haus die Trägheit bei der Bearbeitung der Fälle in der Eisenbahnunfalluntersuchung angemahnt. Viel zu oft ist nichts passiert. Nehmen wir den Fall eines ICE-Achsbruchs in Köln aus dem Juli 2008. Dieser Fall sorgte in der ganzen Repu- blik über Wochen für Schlagzeilen. Ein ICE springt nach einem Achsbruch auf der Hohenzollernbrücke direkt vor dem Kölner Hauptbahnhof aus dem Gleis. Ein Glück für die Fahrgäste dieses Zuges, dass der Hauptbahnhof in Köln so überlastet ist, dass alle Züge auf der Brücke nur langsam fahren dürfen. So wurde niemand verletzt. Es wäre besser nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn der ICE bei voller Fahrt einen Achsbruch erlitten hätte; denn diese ICE-Züge fahren zwischen Köln und Frank- furt mit bis zu 300 Stundenkilometern. Die Deutsche Bahn hat danach zwar alle Züge des- selben Typs einer umfassenden Untersuchung unterzo- gen, mit erheblichen Folgen für Tausende Reisende in Deutschland, die dann von Zugausfällen betroffen wa- ren. Es geht aber um eine unabhängige Unfallaufklärung, wie sie schon damals die EU eingefordert hat. Es ist gut, wenn das Bahnunternehmen eigene Untersuchungen an- stellt; aber als Unfallbeteiligte ist sie gleichzeitig auch befangen. Daher soll eine Behörde derartige Unfälle un- tersuchen: die Eisenbahn-Unfalluntersuchungsstelle des Bundes. Erst auf Drängen der EU wurde sie eingerichtet und ans Bundesverkehrsministerium angegliedert. Und doch wartet trotz allem der Achsbruch auf der Kölner Hohenzollernbrücke auf einen ordentlichen Abschluss- bericht von der Eisenbahnunfalluntersuchung, seit in- zwischen fast neun Jahren! Neun Jahre Untersuchungen ohne Ergebnis, das sieht sehr danach aus, als ob hier jemand etwas zu verschleiern oder zu verstecken hätte. Neun Jahre sind aber vor allem viel zu viel Zeit für eine Unfalluntersuchung. Die Fahrgäste haben ein Anrecht darauf, zu erfahren, was die damaligen Unfallursachen in Köln waren und welche Schlussfolgerungen die Bahnin- dustrie ziehen muss. Stattdessen bis heute keine Spur von klaren Erkenntnissen! Das darf nicht sein. Meine deutliche Kritik zur Trägheit bei der Unfall- untersuchung vor etwa einem Jahr hier im Hohen Haus hat dann wohl auch einige zum Umdenken gebracht. An- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 201723070 (A) (C) (B) (D) fang letzten Jahres habe ich mir einmal die Arbeit der Eisenbahnunfalluntersuchung hieb- und stichfest vom Verkehrsministerium zusammenstellen lassen. Ernüch- terndes Ergebnis: Eine schnelle Unfallaufklärung ist nur graue Theorie. Zwischen April 2008 und Novem- ber 2015 wurden 69 zu untersuchende Unfälle mit einem Abschlussbericht versehen, aber 76 Unfälle aus diesen sieben Jahren sind 2016 immer noch in Bearbeitung ge- wesen. Also mehr als die Hälfte aller Fälle sind nicht ab- gearbeitet gewesen. Mehr als die Hälfte! Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Meine Feststellung von damals bleibt dieselbe: Die aktuelle Arbeit in der Eisenbahnunfalluntersuchung ist hochgradig ineffizient. Die Abschlussberichte lassen zu lange auf sich warten, und die Ergebnisse sind häufig nicht so, dass man wirklich Konsequenzen daraus zie- hen kann, weil die wirklichen Unfallursachen viel zu spät aufgeklärt werden. Wir wollten schon damals die Eisenbahnunfallun- tersuchung vom Verkehrsministerium lösen, damit die Stelle wirklich unabhängig arbeiten kann. Wir wollen auch, dass das Personal deutlich aufgestockt wird. Bei der Ausgliederung der Eisenbahnunfalluntersuchung im Jahr 2008 hatte die Behörde noch 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, jetzt nur noch 21 Personen. Wenn wir hier nicht deutlich nachsteuern, schleppen wir das Perso- nalproblem in die neue Struktur mit hinein und dann wird das nichts mehr mit einer schnellen Unfallaufklärung bei den Bahnen. Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf hat sich nun ei- nigen unserer Kritikpunkte tatsächlich angenommen und damit im Kern unsere grüne Kritik an der bisherigen Form der Eisenbahnunfalluntersuchung bestätigt. Eine Organi- sationsuntersuchung zur Eisenbahnunfalluntersuchung hat nun schwarz auf weiß benannt, was wir schon lange sagen: Die bisherige Zuordnung der Eisenbahn-Unfall- untersuchungsstelle beim Bundesverkehrsministerium hat Effizienzverluste zur Folge, fördert im Zweifel sogar Mauscheleien und damit unnötig Misstrauen bei den an- sonsten guten Abschlussberichten, wenn sie denn auch tatsächlich vorliegen. Wir Grüne wollen uns daher nicht dem Anliegen des Gesetzentwurfes verweigern, die Ei- senbahnunfalluntersuchung tatsächlich unabhängig zu organisieren und so einer selbstständigen Behörde zu übertragen. Wir stimmen daher dem Anliegen zu. Mit dem Gesetzentwurf kommen wir zwar einen Schritt weiter; aber unsere Grundkritik bleibt. Die Eisen- bahnunfalluntersuchung braucht mehr Personal, sodass wieder ein schlagkräftiges Team zu schnelleren Ergeb- nissen und Abschlussberichten kommen kann. Nur so kann die Bahnindustrie schnell Fehlentwicklungen auf- nehmen, schnell Schlussfolgerungen bei der Fahrzeug- herstellung ziehen, und nur so ist die Sicherheit der Fahr- gäste im Bahnverkehr bestmöglich gewährleistet. Das wird eine Aufgabe für die Zukunft bleiben, die die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD wohl nicht mehr in dieser Legislaturperiode erledigen wird. Wir Grüne ha- ben weiter ein Auge darauf; spätestens in der nächsten Legislaturperiode wollen wir auch das Personalproblem endlich beheben. Enak Ferlemann, Parl . Staatssekretär beim Bundes- minister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Die Ei- senbahn ist – bezogen auf die Transportleistung – eines der sichersten Verkehrsmittel. Absolute Sicherheit gibt es auch dort nicht, sodass seit jeher Unfälle und Ereig- nisse, die zu einem Unfall hätten führen können, unter- sucht und ausgewertet wurden, um die Betriebsprozesse einschließlich des Baus und der Instandhaltung von An- lagen und Fahrzeugen sowie die Betriebsvorschriften zu verbessern. Dies ist zunächst Aufgabe der Eisenbahnunternehmen im Rahmen ihrer Betreiberverantwortung und ihres Si- cherheitsmanagementsystems gemäß § 4 Allgemeines Eisenbahngesetz. Seit 1994 wurde die Eisenbahnun- falluntersuchung von den Eisenbahnaufsichtsbehörden vorgenommen. Mit der Richtlinie 2004/49/EG des Euro- päischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über Eisenbahnsicherheit in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 95/18/EG über die Erteilung von Genehmigungen an Eisenbahnunternehmen und der Richtlinie 2001/14/EG über die Zuweisung von Fahr- wegkapazität der Eisenbahn, die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur und die Si- cherheitsbescheinigung – Richtlinie über die Eisenbahn- sicherheit – wurde erstmals die Forderung gestellt, be- stimmte Unfälle unabhängig von der Eisenbahnaufsicht durch eine funktional unabhängige Stelle zu untersuchen. Diese Vorgabe wurde mit dem Fünften Gesetz zur Än- derung eisenbahnrechtlicher Vorschriften vom 16. April 2007 im Allgemeinen Eisenbahngesetz umgesetzt. Da- bei wurde in einem Organisationserlass die Leitung der Eisenbahn-Unfalluntersuchungsstelle des Bundes, EUB, im seinerzeitigen BMVBS verankert und als operative Stelle die funktional unabhängige Untersuchungszentra- le beim Eisenbahn-Bundesamt, EBA, geschaffen. Außer- dem wurden vier Untersuchungsbezirke in Berlin, Essen, Karlsruhe und München eingerichtet, um eventuelle Un- fallstellen schneller als von einem Standort aus erreichen zu können. Eine Organisationsuntersuchung im Jahr 2015 hat erwiesen, dass es sinnvoller ist, die Eisenbahnunfallun- tersuchung des Bundes einer selbstständigen Behörde zu übertragen. In diesem Zusammenhang wurde auch die Zusammenfassung der Unfalluntersuchung für Ei- senbahn, Luftfahrt und Schifffahrt in einer gemeinsamen Bundesstelle geprüft. Es hat sich jedoch gezeigt, dass hierdurch keine Synergieeffekte erzielt werden, sodass diese Alternative nicht weiter verfolgt wurde. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden durch Änderung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes und des Bundeseisenbahnverkehrsverwaltungsgesetzes die Bun- desstelle für Eisenbahn-Unfalluntersuchung als selbst- ständige Bundesoberbehörde eingerichtet, ihre Aufgaben und Befugnisse beschrieben sowie Mitwirkungspflichten der Eisenbahnen bei der Eisenbahnunfalluntersuchung und Datenschutzregelungen festgelegt. Die Aufgaben und Befugnisse der für die Strafverfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten zuständigen Behörden sowie der für Gefahrenabwehr zuständigen Eisenbahnaufsichts- behörden bleiben unberührt. Im Rahmen des Gesetzent- wurfs werden Vorschriften des Kapitels V der Richtlinie Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 23071 (A) (C) (B) (D) (EU) 2016/798 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2016 über Eisenbahnsicherheit um- gesetzt, die die bereits genannte Richtlinie 2004/49/EG ablöst. Diese Richtlinie lässt wie auch ihre Vorgängerin für bestimmte Infrastrukturen Ausnahmen von den Bestim- mungen der Richtlinie zu. Dies betrifft zum Beispiel vom übrigen Eisenbahnsystem der Union funktional getrennte Netze, Gleisanschlüsse, Infrastrukturen und Fahrzeuge für den lokal begrenzten Einsatz oder historische oder touristische Zwecke. Diese Möglichkeit wurde genutzt, soweit die gefährlichen Ereignisse sich nicht auf Eisen- bahninfrastrukturen des Bundes ereignen. Damit wird die Bundesstelle für Eisenbahn-Unfalluntersuchung für gefährliche Ereignisse zuständig, die sich auf Infrastruk- turen der Eisenbahnen des Bundes ereignen. Für die Nichtbundeseigenen Eisenbahnen bleibt es bei der Zu- ständigkeit der von den Ländern bestimmten Behörden für Eisenbahnaufsicht. Mit der Annahme des Gesetzentwurfs werden die Unabhängigkeit der Eisenbahnunfalluntersuchung des Bundes gestärkt und Möglichkeiten zur Steigerung der Effizienz eröffnet. Auch wird der Kritik der EU an der Umsetzung der Richtlinie 2004/49/EU entgegengewirkt. Gleichwohl möchte ich die Hoffnung äußern, dass sich nicht viele Anlässe ergeben, bei denen die Behörde tätig werden muss. Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 19. Mai 2016 zwi- schen der Bundesrepublik Deutschland und dem Obersten Hauptquartier der Alliierten Mächte Eu- ropa zur Änderung des Abkommens vom 13. März 1967 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Obersten Hauptquartier der Alliierten Mächte Europa über die besonderen Bedingungen für die Einrichtung und den Betrieb internationa- ler militärischer Hauptquartiere in der Bundesre- publik Deutschland (Tagesordnungspunkt 32) Dr. Mathias Edwin Höschel (CDU/CSU): Die Grundziele der NATO, die Verteidigung der eigenen Si- cherheit und die der Partnerstaaten sowie die Gewähr- leistung globaler Stabilität, sind im Laufe des 68-jäh- rigen Bestehens im Prinzip gleich geblieben. Doch die Organisation musste im Laufe dieser Jahrzehnte immer wieder ihre Struktur anpassen. Die Gründe hierfür lie- gen in den großen sicherheitspolitischen Umbrüchen wie der Weiterentwicklung der Waffensysteme, dem Ende des Kalten Krieges, dem Aufkommen neuer Akteure, der asymmetrischen Kriegsführung und zuletzt der Möglich- keiten und Etablierung des Cyberwars. Zuletzt wurde im Jahr 2011 eine solche Reform der Kommandostrukturen der NATO beschlossen. Im Zuge dessen wurden auch haushalterische Änderungen vorge- nommen. Die Änderung betrifft die Kostenverteilung für Betrieb und Einrichtung von NATO-Hauptquartieren in Deutschland bzw. in anderen Gastgeberländern. Um die- se Reformen umzusetzen, beschloss die Bundesrepublik zusammen mit dem Hauptquartier der Alliierten Mächte in Europa, die Änderung eines Abkommens aus dem Jah- re 1967. Diese Änderung bedarf eines Gesetzes, welches wir nun heute beschließen wollen. Grundsätzlich ist erst einmal zu erwähnen, dass wir mit dieser Regelung nun eine sehr faire Kostenvertei- lung vorliegen haben. Gastgeberland und NATO teilen sich hälftig die anfallenden Kosten für die militärischen Einrichtungen. Die finanziellen Aufwendungen, die der Bundesrepublik durch diese Regelung anfallen, werden in der Gesetzesbegründung mit 200 000 Euro angege- ben. Vonseiten des Ministeriums heißt es, dass weitere 600 000 Euro pro Jahr für personalbezogene liegen- schaftsbezogene Leistungen eingeplant seien. Interes- santerweise stehen diesen neuen Ausgaben jedoch Ent- lastungen in Höhe von 1,72 Millionen Euro entgegen, die sich aus dieser Kostenteilung zwischen NATO und Bundesrepublik ergeben; denn da sich die Gesamtauf- wendungen für den Betrieb von NATO-Hauptquartieren durch die Kostenverteilung von 23,6 Millionen Euro auf 11,8 Millionen Euro verringern, senkt sich auch der Be- trag, mit dem sich Deutschland an diesen Kosten betei- ligt. Somit spart die Bundesrepublik durch die Änderung des Abkommens Kosten ein. Dass wir überhaupt von dieser Regelung betroffen sind, verdanken wir dem Umstand, dass SHAPE, wie die englische Abkürzung des europäischen NATO-Kom- mandos lautet, in der Bundesrepublik drei Kommando- behördeneinrichtungen betreibt: das Fernmeldebataillon der NATO CIS Group in Wesel, das Combined Air Ope- rations Centre in Uedem und natürlich das Hauptquartier des Allied Air Command in Ramstein. Darauf können wir stolz sein; denn als Gastgebernation für unser Ver- teidigungsbündnis zu dienen, hat wichtige politische und militärische Synergieeffekte. Es liegen daher gute Gründe für die Beschließung dieses Gesetzes vor: die Beteiligung an der finanziel- len Verantwortlichkeit der NATO Einrichtungen als Gastgebernation, die Würdigung der Standortwahl der Einrichtungen in Deutschland und natürlich die daraus resultierende faktische finanzielle Entlastung der Bun- desrepublik. Karin Strenz (CDU/CSU): Stettin in Polen, Lille in Frankreich, Neapel in Italien und auch Wesel am Rhein – was haben diese Städte gemeinsam? An jedem dieser Orte befinden sich internationale Liegenschaften der NATO. Die NATO hat, wie wir wissen, derzeit 28 Mit- gliedsländer auf drei verschiedenen Kontinenten. Dem- entsprechend viele Hauptquartiere und Liegenschaften müssen jedes Jahr umgebaut bzw. renoviert werden; dementsprechend viele neue Gebäude müssen errichtet werden. Das Abkommen vom 13. März 1967 zwischen Deutschland und dem Obersten Hauptquartier der Alli- ierten Mächte in Europa hat bisher bestimmt: Die NATO trägt alleine die regelmäßig anfallenden Kosten für NA- TO-Hauptquartiere auf deutschem Gebiet. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 201723072 (A) (C) (B) (D) Im Jahr 2010 wurde auf dem Gipfel der NATO in Lissabon die Reform der Kommandostruktur der NATO beschlossen. Das bedeutete konkret: Die Zahl der mili- tärischen Hauptquartiere wurde reduziert. Für Deutsch- land bedeutete das konkret die Schließung des takti- schen Kommandos der Landstreitkräfte in Heidelberg im Jahr 2013. Durch diese Reform sind aber nicht nur die Kommandostrukturen effizienter gestaltet worden. Sinn der Sache war auch eine deutliche Entlastung des gemeinsamen NATO-Militärhaushaltes. In diesem Zusammenhang können Sie auch das Ab- kommen vom 19. Mai 2016 verstehen. Die Außenmi- nister der NATO-Mitgliedsländer trafen sich an diesem Tag im letzten Frühjahr in Brüssel. Grundlegendes in der Finanzierung der NATO-Liegenschaften weltweit hat sich an diesem Tag geändert. Der deutsche Botschafter bei der NATO, Hans-Dieter Lucas, und der NATO-Ober- befehlshaber für Europa, General Curtis Scaparrotti, haben in Brüssel gemeinsam ein Abkommen unterzeich- net. Zukünftig sollen die Kosten für die Instandsetzung und Instandhaltung der NATO-Liegenschaften aufgeteilt werden. Die eine Hälfte wird durch den NATO-Haushalt bestritten, die andere Hälfte wird durch den Aufnahme- staat, sozusagen den Gastgeber, getragen, in unserem Fall also die Bundesrepublik Deutschland. Damit diese sinn- volle Vereinbarung in Kraft treten kann, muss auch der Deutsche Bundestag zustimmen. Das ist gut und wichtig. Konkret geht es bei uns um drei Stützpunkte: das Hauptquartier mit dem Luftwaffenoberkommando der NATO in Ramstein, den Gefechtsstand der NATO zur Führung von Luftstreitkräften in Uedem/Kalkar nahe der holländischen Grenze und das 1. NATO-Fernmeldeba- taillon in Wesel. Zur Hälfte würden wir in Zukunft die Infrastrukturkosten dieser Standorte übernehmen. Lassen Sie mich Ihnen kurz darstellen, warum wir die- sem Gesetzentwurf zustimmen sollten. Mit diesem neuen Gesetz sind keine zukünftigen Aus- gabenexplosionen verbunden. Ganz im Gegenteil, wir erwarten dadurch sogar Einsparungen im siebenstelligen Bereich. Kurz ein paar Zahlen zur Veranschaulichung: Durch die Aufteilung dieser sogenannten Infrastruk- turkosten wird die NATO jährlich rund 11,8 Millionen Euro einsparen, und damit auch wir. Deutschland trägt einen Anteil von fast 15 Prozent am gemeinsamen NA- TO-Haushalt. Mit dem neuen Gesetz würden wir deshalb rund 1,72 Millionen Euro an NATO-Ausgaben pro Jahr einsparen. Demgegenüber stehen nur geringe Mehraus- gaben für die NATO-Liegenschaften in unserem Land. Das sind jährlich rund 200 000 Euro. Sie können nun selbst die Rechnung aufstellen. Wir würden deutlich mehr als 1 Million Euro pro Jahr einsparen. Das macht für jeden Sinn. Wir stehen als Union für solide und ver- antwortliche Haushaltspolitik. Auch deshalb unterstütze ich diesen Entwurf ohne Vorbehalt. Ich ermutige uns, die deutschen Militärausgaben als Ganzes zu betrachten. Diese Rechnung macht Sinn für unseren Bund – egal wie man es dreht und wendet. Sie könnten jetzt vielleicht sagen: Was haben wir da- von, wenn wir uns Mehrausgaben für Instandsetzung und Instandhaltung von NATO-Gebäuden in Deutschland aufhalsen? Ich sage Ihnen, das wäre zu kurz gedacht. Wir sind eben nicht nur Gastgeber der NATO in unse- rem Land, sondern tragen auch nicht unerhebliche Betei- ligung an NATO-Einrichtungen in 27 anderen Ländern, zum Beispiel beim Multinationalen Korps Nordost in Stettin in Polen. Die Einsparungen, verbunden mit unse- rer starken Beteiligung am NATO-Haushalt, übersteigen die Ausgaben bei weitem. Ich bitte Sie deshalb, diesem Gesetz ihre Zustim- mung zu geben. Es macht Sinn für die Bundesrepublik Deutschland, sowohl wirtschaftlich als auch finanziell. Die Einsparungen, die wir hier erzielen, können in an- deren Bereichen des Verteidigungshaushalts sehr gut genutzt werden. In einer Zeit von steigenden Verteidi- gungsausgaben für unser Land, auch weil wir uns stärker in der NATO engagieren und das wahrscheinlich noch zunehmen wird, müssen wir einem Gesetz zustimmen, das an den richtigen Stellen Kosten einspart. Unsere Kol- legen aus dem Bundesrat haben diesem Entwurf bereits am 10. Februar ohne Einwende zugestimmt. Das ist ein sehr gutes Zeichen. Matthias Ilgen (SPD): Wie ich bereits anlässlich der ersten Lesung des vorliegenden Gesetzentwurfes sagte, spiegelt dieser die Umsetzung von Teilen einer bereits im Jahre 2010 beschlossenen NATO-Reform wider. Diese Reform wiederum mündete im letzten Jahr in ei- nem Änderungsabkommen zwischen der Bundesrepu- blik Deutschland und dem Obersten Hauptquartier der Alliierten Mächte in Europa. Der daraus resultierende Gesetzentwurf sieht, kurz gesprochen, eine Umschich- tung der durch NATO-Hauptquartiere in Deutschland bzw. in allen NATO-Staaten entstehenden Kosten vor. Dies betrifft hierzulande beispielsweise das sogenannte Headquarters Allied Air Command oder kurz: HQ AIR- COM in Ramstein und auch das Headquarters Rapid Deployable German-Netherlands Corps in Münster. Ziel des Gesetzentwurfs respektive der NATO-Reform, die wir hier auf nationalstaatlicher Ebene umsetzen, ist eine gerechtere Verteilung der Kosten innerhalb des Nordat- lantischen Bündnisses. Die bisherige Regelung, was die Unterhaltung der NA- TO-Hauptquartiere betrifft, entstammt dem Abkommen von 1967 und sieht dabei eine Übernahme der Kosten seitens der NATO zu 100 Prozent vor. Im Zuge der Re- form der NATO-Kommandostruktur aus dem Jahre 2010 wurde beschlossen, diesen Schlüssel dahin gehend anzu- passen, dass sich künftig NATO und Gastgeberland diese Kosten hälftig teilen, also im Verhältnis 50 : 50, statt wie bisher 100 : 0. Um es noch einmal kurz zu erklären: Durch die hälf- tige Übernahme der Kosten für Liegenschaftsinstand- setzung und Liegenschaftsinstandhaltung entstehen im Kapitel 1408 des Bundeshaushaltes – das Kapitel im Haushalt des Bundesministeriums der Verteidigung, wel- ches sich unter dem Schlagwort „Unterbringung“ auch mit den Liegenschaften beschäftigt – Mehrausgaben in Höhe von 200 000 Euro. Auf der anderen Seite reduzie- ren sich die Ausgaben in Kapitel 1401 – dieses Kapitel beinhaltet unter anderem die sogenannten „Verpflichtun- http://www.1gnc.org/ http://www.1gnc.org/ Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 23073 (A) (C) (B) (D) gen im Rahmen der Mitgliedschaft zur NATO“ – um gut 1,7 Millionen Euro. Derzeit gibt die NATO 23,6 Millionen Euro für die Unterhaltung der Hauptquartiere aus. An der in Zukunft eingesparten Hälfte dieser Summe, nämlich 11,8 Mil- lionen Euro, ist Deutschland, durch seinen Anteil am NATO-Haushalt von 14,65 Prozent mit eben diesen be- sagten 1,7 Millionen Euro beteiligt. Der hier vorliegende Gesetzentwurf führt in seiner Konsequenz also zu Min- derausgaben von 1,5 Millionen Euro. Anderen NATO-Mitgliedstaaten, deren Anteil am NATO-Budget prozentual kleiner ist, die aber über ent- sprechende NATO-Hauptquartiere innerhalb ihrer Lan- desgrenzen verfügen, entstehen dadurch entsprechend Mehrkosten. Der Punkt dabei ist, dass die Verteilung der Gesamtkosten auf die Mitgliedsländer der NATO sich in Zukunft etwas gerechter darstellt. Der US-amerikanische Präsident, der dahin gehend ja offenbar gerne die eine oder andere Rechnung ausstellen würde, geriete ob die- ser Tatsache sicherlich in leichte Verzückung. Ich möchte es hier an dieser Stelle noch einmal in al- ler Deutlichkeit sagen: Die Tatsache, dass die NATO im Zuge des Machtwechsels in den USA Objekt einer De- batte geworden ist, ist per se gar nicht verkehrt meiner Ansicht nach. Es ist sogar begrüßenswert, wenn Europa und die USA sich wieder mehr Gedanken machen über die Zukunft unserer gemeinsamen Sicherheitsarchitek- tur. Daraus aber die Ableitung zu machen, die gesamte Zukunft des transatlantischen Bündnisses sei infrage gestellt, halte ich für eine unsägliche Debatte und einen vollkommen unzulässigen Schritt. Fest steht vielmehr: Die NATO ist für Deutschland seit über 60 Jahren ein Garant für unsere Sicherheit und für die westliche Sicherheitsarchitektur als Ganzes. Auch wenn das manche Kolleginnen und Kollegen in der Op- position nicht gerne hören: Daran wird sich zukünftig auch nichts ändern. Gerade die veränderte sicherheitspolitische Lage in- nerhalb Europas und an den südlichen und südöstlichen Grenzen des Bündnisses macht die NATO auf absehba- re Zeit unersetzlich. Umso wichtiger ist es dabei, diese Institution auch weiterhin modern, dynamisch und fit zu halten, um auch in Zukunft ein Instrument an der Hand zu haben, mithilfe dessen Deutschland auf sicherheitspo- litische Herausforderungen angemessen reagieren kann. Deshalb ist es wichtig, die auf NATO-Ebene angescho- benen Reformen auch hierzulande umzusetzen. Wir als SPD-Bundestagsfraktion stimmen diesem Ge- setz abschließend zu. Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE): Die Sunday Times berichtete vergangenes Wochenende, US-Präsi- dent Trump habe im Kontext des Besuchs von Bundes- kanzlerin Merkel in Washington in der vorvergangenen Woche nicht nur per Twitter behauptet, Deutschland schulde der Nato und den USA „riesige“ Summen für die Verteidigung des Landes. Er habe ihr auch gleich eine Rechnung über umgerechnet rund 350 Milliarden Euro übergeben. Beginnend im Jahr 2002 seien darin – ein- schließlich Zinsen – die Beträge aufaddiert worden, die Deutschland zurückgeblieben sei hinter dem NATO-Ziel, 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Militärausga- ben aufzubringen. Die Bundesregierung dementiert, dass eine Rechnung übergeben wurde. Ein deutscher Militär- blogger las in dieser Meldung: Die Milliardenrechnung sei Deutschland für die Stationierung von US-Truppen in Deutschland präsentiert worden. Im hier debattierten Gesetzentwurf der Bundesregie- rung geht es um die Kosten der NATO-Hauptquartiere in Deutschland. Im Vergleich zu der bei der Sunday Times thematisierten 350-Milliarden-Euro-Rechnung – und auch mit Blick auf den deutschen Militäretat von in die- sem Jahr fast 40 Milliarden Euro – geht es in dem Ge- setzentwurf um geringere Beträge. Er soll eine veränder- te Kostenteilung zwischen der NATO und Deutschland als Stationierungsstaat möglich machen. Die anderen Fraktionen weisen darauf hin, dass die auf Grundlage des Gesetzentwurfs zu erwartenden Mehrkosten für Instandsetzung und Instandhaltung der NATO-Liegenschaften in Deutschland sich auf „nur“ 0,2 Millionen Euro beliefen, während Einsparungen in Höhe von 1,5 Millionen Euro zu erwarten seien, weil der deutsche Anteil am gemeinsamen NATO-Haushalt sich auf Basis des zugrunde liegenden Abkommens von 2016 reduziere. Was alle anderen Fraktionen zu erwähnen ver- gessen, sind die Kosten, die damit verbunden sind, dass die Nutzung der Hauptquartiere durch die NATO-Trup- pen für diese unentgeltlich ist, was bedeutet: Diese Kos- ten, die die ersparten Kostenansätze natürlich deutlich übersteigen, tragen weiterhin die deutschen Steuerzahle- rinnen und Steuerzahler. Worüber die anderen Fraktionen außerdem beiläufig hinweggehen, sind die Einrichtungen, um die es hier konkret geht, zum Beispiel das Hauptquartier Uedem, zum Beispiel das Hauptquartier Ramstein – das Ram- stein, das schon seit langem als militärisches Luft- und Drehkreuz der konventionellen Kriegführung von USA und NATO dient und sowohl die Einsatzzentrale der in Deutschland stationierten Atomwaffen ist als auch Füh- rungs-, Kommando- und Kontrollstützpunkt für das NA- TO-Raketenabwehrsystem, und das Ramstein, auf dem die US-Armee eine Satelliten-Relaisstation errichtet hat, über die die für den völkerrechtswidrigen Drohnenkrieg der USA notwendigen Signale übermittelt werden – mit- hilfe dieser Station werden die Kampfdrohnen in den Einsatzregionen gesteuert; sie ist erforderlich, um An- griffsbefehle an diese Killerdrohnen weiterzuleiten –, die Airbase Ramstein also, die die Bundesregierung schon längst hätte schließen sollen, weil die Völkerrechts- widrigkeit von sogenannten „gezielten Tötungen“, also Hinrichtungen mutmaßlicher Terroristen mit Drohnen im US-Antiterrorkrieg, zugleich eine rechtswidrige Nut- zung des Hauptquartiers in Ramstein bedeutet. Die Bun- desregierung muss verhindern, dass vom Territorium der Bundesrepublik Deutschland aus rechtswidrige Militär- einsätze unterstützt werden. Da sie das ganz offenbar von selbst nicht tut, werden wir jede Gelegenheit nutzen, sie daran zu erinnern. Verteidigungsministerin von der Leyen fühlt sich dem 2-Prozent-Ziel der NATO verpflichtet. Auf dem Stand des Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 201723074 (A) (C) (B) (D) heutigen Bruttoinlandsprodukts wären das rund 76 Mil- liarden Euro, die sie ausgeben will – fast eine Verdopp- lung des derzeitigen ohnehin viel zu hohen Militäretats. Deutschland hätte damit einen der höchsten Militäretats der Welt, höher als die russischen Militärausgaben. Das wäre außerdem eine Summe, mit der die Kapazitäten der NATO erhöht werden könnten. Eine Stärkung der kriegerischen Struktur der NATO lehnen wir ab. Wir fordern die Auflösung der NATO und einen sofortigen Ausstieg aus den militärischen Struk- turen der NATO. Stattdessen setzen wir uns ein für ein System kollektiver Sicherheit unter Einschluss aller eu- ropäischer Staaten, also beispielsweise auch Russlands, Weißrusslands und der Ukraine; denn die NATO, über die wir hier reden, ist gerade kein Garant für Sicherheit irgendwo auf der Welt, wie es die anderen Fraktionen darstellen wollen, sondern Akteurin der globalen Desta- bilisierung. Wir Linke lehnen den Gesetzentwurf der Bundesre- gierung daher ab und bleiben bei unseren Forderungen: Auflösung und sofortiger Ausstieg aus den militärischen Strukturen der NATO, keine Übernahme des 2-Pro- zent-Ziels der NATO, Ramstein schließen, und den völ- kerrechtswidrigen Drohnenkrieg beenden! Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir sprechen heute über die 0,2 Millionen Euro, die Deutsch- land zur Finanzierung der NATO-Hauptquartiere aus- geben soll. Diese Hauptquartiere dienen der besseren Vernetzung der Strukturen innerhalb der NATO. Diese relativ geringe Summe ist daher gut eingesetztes Geld – auch wenn ich es als Grüner als vertane Chance anse- he, dass wir die kühne Dachkonstruktion im neuen NA- TO-Hauptquartier in Brüssel nicht für mehr Solarpanels nutzen. Heute geht es auch nicht um die Frage, ob die Kantine in Brüssel hinreichend Diversity berücksichtigt und sowohl Halal wie Vegan anbietet. Und selbst die ka- tastrophal niedrige Quote an Frauen in Führungsfunkti- onen im Brüsseler Hauptquartier soll nicht unser Thema sein. Mir machen nicht die 0,2 Millionen für die NA- TO-Hauptquartiere Sorgen, sondern die 2 Prozent des BIP, die Angela Merkel und Ursula von der Leyen dem Donald Trump in vorauseilenden Gehorsam versprochen haben. Dabei wäre es ein angemessener Beitrag, wenn Europas NATO-Staaten allein doppelt so viel für Rüs- tung ausgeben wie Russland. Das hieße, die Europäer könnten ihre Rüstungsausgaben um ein Drittel senken; denn die europäischen NATO-Staaten geben heute schon dreimal mehr für Rüstung aus als Russland. Und den- noch möchte Frau Merkel jedes Jahr 24 Milliarden mehr für Panzer und Fregatten ausgeben, fast die Hälfte von dem, was Donald Trump in seinem neuen Haushalt für die US-Army verlangt. Dann würde Deutschland allein fast so viel ins eigene Militär stecken wie die Atommacht Russland. Das ist sicherheits- und finanzpolitischer Irr- sinn. Und wofür soll dieses Geld ausgegeben werden? Von einer Nachrüstungslücke kann man bei der Bundeswehr nicht sprechen, vielmehr von einer Beschaffungspolitik, die aus Unfähigkeit unter Lobbyeinfluss Milliarden für unnötige Rüstungsprojekte aus dem Fenster schmeißt. Da gibt es Fregatten, die vor allem auf Druck der Ko- alitionsfraktionen angeschafft wurden, und die Panzer für den Wahlkreis des Kollegen Otte. Diese milliarden- schweren Anschaffungen gehen vollkommen an den si- cherheitspolitischen Realitäten vorbei. Die größten Gefahren für Frieden und Sicherheit sind zerfallende Staaten und Terrornetzwerke, wachsen- de Ungleichheit und die immer weiter fortschreitende Klima krise. Es sind asymmetrische Konflikte, die nicht dadurch symmetrischer werden, dass wir ein paar Hun- dert Panzer mehr anschaffen. Wir brauchen keine milli- ardenschwere Aufrüstung, sondern gezielte Investitionen in Fähigkeiten, mit denen wir einen substanziellen Bei- trag zu Friedensmissionen der Vereinten Nationen und der Europäischen Union leisten können. Und wir müssen endlich die Zusage einhalten, 0,7 Prozent des Bruttona- tionaleinkommens für Entwicklung auszugeben, und die zivile Krisenprävention stärken. 0,2 Millionen für die NATO-Hauptquartiere – damit habe ich kein Problem. 2 Prozent für milliardenschwere Aufrüstung – das wird es mit uns Grünen nicht geben! Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Par- laments und des Rates vom 20. Januar 2016 über Versicherungsvertrieb und zur Änderung des Au- ßenwirtschaftsgesetzes (Tagesordnungspunkt 33) Astrid Grotelüschen (CDU/CSU): Wir beraten in erster Lesung die Umsetzung der europäischen Versiche- rungsvertriebsrichtlinie, IDD genannt, welche die Anfor- derungen an Versicherungsvermittler, wie zum Beispiel die Erlaubnispflicht und Registrierung sowie erweiterte Informations- und Dokumentationspflichten gegenüber dem Verbraucher, regeln soll. Vor dem Hintergrund des Koalitionsvertrags besteht das Ziel, zusätzlich ein Provisionsgebot für Versiche- rungsvertreter bzw. Versicherungsmakler sowie ein Pro- visionsverbot für Versicherungsberater einzuführen. Nachdem das Kabinett am 18. Januar 2017 den Ge- setzentwurf beschlossen hat, ist die IDD, die übrigens recht bald – bis zum 23. Februar 2018 – in nationales Recht umzusetzen ist, auch intensiv in den beteiligten Ressorts diskutiert worden. Zur Umsetzung sind vor al- lem die Gewerbeordnung – BMWi –, das Versicherungs- aufsichtsgesetz – BMF –, aber auch das Versicherungs- vertragsgesetz – BMJV – zu ändern. Ebenso wie ihre Vorgängerrichtlinie aus dem Jahr 2002 regelt die IDD die erwähnten Anforderungen an Versicherungsvermittler, enthält allerdings einige zu diskutierende zusätzliche Regelungen: die Einbeziehung des Direktvertriebs, erweiterte Informations- und Doku- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 23075 (A) (C) (B) (D) mentationspflichten und Vorgaben für die Vermittlung von Versicherungsanlageprodukten. Zusätzlich zu einer Eins-zu-eins-Umsetzung, die für mich ein Muss ist und über die es nicht hinausgehen sollte, enthält der vorliegende Entwurf Regelungen, die die Honorarberatung im Versicherungsbereich stärken sollen – ein besonderes Anliegen des BMJV. Außerdem soll das Provisionsabgabeverbot, also konkret das Verbot der Weiterleitung von Provisionen durch den Vermittler an den Verbraucher, ebenfalls gesetzlich festgeschrieben werden. Aktuell sind 228 289 Versicherungsvermittler und -berater registriert – Tendenz fallend. Etwa 65 Prozent sind sogenannte gebundene Versicherungsvermittler, und 21 Prozent zählen zu den Versicherungsmaklern. Abge- sehen von fast 30 000 Versicherungsvertretern mit Er- laubnis, haben wir noch 2 Prozent sogenannte produktak- zessorische Vermittler und 311 Versicherungsberater auf dem Markt. Anhand dieser Zahlen erkennen Sie, dass wir in Deutschland ein sehr unterschiedliches „Berufsbild“ haben. Für den Verbraucher oder Käufer einer Versiche- rung stellt dies eine große Herausforderung dar. Im Zuge der Diskussion um mehr Transparenz sollte unser Augen- merk auf eine möglicherweise vereinfachte Struktur der Vertriebswege und zusätzliche Informationsgewinnung gerichtet sein. Eine zentrale Frage ist außerdem: Wie erreichen wir eine gute Abwägung einerseits zwischen Verbraucher- schutzinteressen und andererseits der Möglichkeit für unsere mittelständischen sich am Markt zu behauptenden Unternehmen, sich gleichzeitig zukunftsfest aufzustel- len? Denn ich möchte nicht, dass die familiengeführten Unternehmen, die regional langjährig erstklassige Bera- tung leisten, oder auch jene, die sich in unterschiedlichen Branchen erfolgreich spezialisiert haben, ihre Perspek- tiven verlieren und mit noch mehr Bürokratie durch ein unnötig kompliziertes Gesetzesvorhaben belastet wer- den. Unsere mittelständischen Anbieter sollen schließ- lich ihre wesentlichen Strukturen erhalten können; und daher ist zunächst ganz grundsätzlich zu prüfen, was wir unbedingt als EU-Recht umsetzen müssen. Abschließend möchte ich aber auch für einen Bereich der IDD sensibilisieren, der manchmal in Vergessenheit gerät, jedoch besonders die kleinen Unternehmen und Unternehmer treffen kann: den Vertrieb ohne persönliche Beratung oder neudeutsch auch „Robo-Advice“ genannt. Die Richtlinie erlaubt grundsätzlich auch den beratungs- freien Vertrieb, anders als bisher in Deutschland, wo der- zeit eine Beratungspflicht besteht. Wir sollten besonders genau hinschauen, was hier aus Verbraucherschutzgrün- den verbessert werden muss, damit ein internetbasierter Vertrieb nach möglichst einheitlichen Strukturen einen praktikablen Weg darstellt. Generell wird nämlich unter- schieden zwischen der Beratung mit einer persönlichen Empfehlung an den Kunden, also warum ein bestimm- tes Produkt den Bedürfnissen optimal entspricht, und dem Abschluss eines rechtsverbindlichen Vertrages, der die Wünsche des Verbrauchers widerspiegelt aufgrund seiner Angaben, die online ermittelt werden. Jetzt stellt sich für mich die Frage, wie bei entsprechenden Inter- net-Suchmasken und Vergleichsportalen optimal ermit- telt werden kann, was der Kunde wünscht. Wie objektiv sind die Informationen, die der Verbraucher erhält, um seine Entscheidung – wohlgemerkt: ohne Beratung – zu treffen? Am 17. Mai 2017 planen wir eine öffentliche Ex- pertenanhörung im federführenden Ausschuss Wirtschaft und Energie durchzuführen. Dann werden wir auch auf diesen Punkt ein besonderes Augenmerk richten. Mir ist wichtig, dass wir am Ende ein ausgewogenes Regelwerk für den Versicherungsvertrieb entwickeln, damit der Mittelstand sich in einem derzeit herausfor- dernden Umfeld auch gut bewähren kann. Der hierzu nö- tige Gesetzentwurf muss ein tragfähiges Fundament für einen Versicherungsmarkt mit transparenten und für alle Marktteilnehmer fairen Regeln bieten. Barbara Lanzinger (CDU/CSU): Heute beraten wir im Bundestag in erster Lesung den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur nationalen Umsetzung der Versi- cherungsvertriebsrichtlinie. Damit beginnen wir das par- lamentarische Verfahren. Der Gesetzentwurf ist gründ- lich zu diskutieren. Uns liegt ein Entwurf vor, der die EU-Richtlinie – kurz IDD genannt – in deutsches Recht umsetzen soll. Da die bisherige Richtlinie aus dem Jahr 2002 stammt, wurde sie überarbeitet und an neue Gegebenheiten angepasst, beispielsweise an neue Vertriebswege und technische Möglichkeiten. Das Ziel ist eine Mindestharmonisierung nationaler Vorschriften für den Versicherungs- und Rück- versicherungsvertrieb zur Stärkung des Binnenmarktes in diesem Bereich. Weiterhin soll der Verbraucherschutz gestärkt werden. Meinen Dank möchte ich an dieser Stelle den Kolle- ginnen und Kollegen in Brüssel vor allem im Europä- ischen Parlament aussprechen, die eine gute rechtliche Grundlage ausgearbeitet haben. In dem darauf aufbau- enden Gesetzentwurf der Bundesregierung werden ins- besondere die Gewerbeordnung, das Versicherungs- aufsichtsgesetz sowie das Versicherungsvertragsgesetz geändert. Wir begrüßen in dem Gesetzentwurf die Eins- zu-eins-Umsetzung der IDD. An mancher Stelle geht er darüber hinaus. Darauf liegt unser Augenmerk. Wir in der CDU/CSU-Fraktion wollen einerseits einen starken Verbraucherschutz mit einer qualitativ möglichst hochwertigen Beratung. Andererseits wollen wir aber auch einen mündigen Verbraucher, der auf Grundlage transparenter Informationen selber entscheiden kann, ohne ihm alles vorzuschreiben. Manchmal ist weniger mehr. Wir wollen einen gesunden Wettbewerb zwischen Versicherungsanbietern und zwischen denjenigen, die beispielsweise Versicherungsprodukte auf welchem Weg auch immer vertreiben und vermitteln. Was wir nicht wollen, ist Überregulierung. Der Ge- setzentwurf soll den Verbrauchern dienen, aber genauso praktikabel sein für unsere Wirtschaft, unseren Mittel- stand und unsere Selbstständigen. Auf eine gesunde Ba- lance werden wir achten. Manches werden wir uns dabei ganz besonders genau anschauen. Dazu zählt die neue Regelung zur Vergütung von Versicherungsvermittlern, sprich beispielsweise Ver- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 201723076 (A) (C) (B) (D) sicherungsmaklern, und den Versicherungsberatern. Als sehr positiv bewerte ich es, dass Gewerbekunden auch in Zukunft gegen Honorar von Maklern beraten werden dürfen. Mit dem nun beginnenden Verfahren beginnen erst die parlamentarischen Verhandlungen zum vorliegenden Gesetzentwurf. Ich freue mich auf die kommenden Ver- handlungen und darauf, mit allen Betroffenen und Be- teiligten in einen guten Austausch zu gelangen. Ich gehe davon aus, dass auch die SPD nach wie vor Interesse an konstruktiver Zusammenarbeit hat. Marcus Held (SPD): Heute behandeln wir in erster Lesung den Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Um- setzung der Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Januar 2016 über Versicherungsvertrieb und zur Änderung des Außenwirt- schaftsgesetzes. Lassen Sie mich dazu kurz ein paar Din- ge vorwegnehmen. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen in der Frakti- on wurden auf dieses Thema in ihren Wahlkreisen zuletzt angesprochen, weil viele, die diese Umsetzung betrifft, auch so schnell wie möglich Antworten wollen. Auch die Kolleginnen von der Union und auch mich haben eine Vielzahl von Stellungnahmen und Zuschriften seitens zahlreicher Verbände, aber auch vieler Versicherungsma- klerinnen und -makler erreicht. Viele erwecken in ihren Schreiben den Eindruck, dass es fünf vor zwölf sei. Dazu möchte ich gerne sagen, dass mit der ersten Lesung heute nun auch das parlamentarische Verfahren beginnt. Das heißt, nach der Lesung heute werden wir uns im feder- führenden Ausschuss für Wirtschaft und Energie, aber auch in den mitberatenden Ausschüssen für Verbrau- cherschutz und für Finanzen intensiv mit der Umsetzung der Richtlinie zu IDD beschäftigen. Dazu haben wir uns vorgenommen, dass wir diese Umsetzung noch vor der Sommerpause abschließen wollen und werden. Uns bleibt also in noch fünf verbleibenden Sitzungswochen die Zeit, uns vollumfänglich diesem Thema zu widmen. Die IDD ist bis zum 23. Februar 2018 in nationales Recht umzusetzen. Erforderlich sind dazu Änderungen im Gewerberecht, im Versicherungsvertragsrecht und im Versicherungsaufsichtsrecht, die in einem Artikelgesetz zusammengeführt werden sollen. Um was geht es bei dieser Richtlinie? Es geht schlichtweg erst einmal um mehr Verbraucherschutz und um mehr Qualität. Dazu enthält diese Richtlinie Weiter- bildungsverpflichtungen und Transparenzpflichten. Zu- gleich haben wir im Koalitionsvertrag aufgenommen, dass „wir die Einführung der Honorarberatung als Alter- native zu einer Beratung auf Provisionsbasis für alle Fi- nanzprodukte vorantreiben und hohe Anforderungen an die Qualität der Beratung festlegen“ werden. Für mich besonders wichtig sind die Qualitätsmerk- male, die diese Richtlinie vorgibt. Dazu gehören, wie soeben angesprochen, die Weiterbildungsverpflichtun- gen. Hier wurde im Gesetzentwurf in § 34d Absatz 9 neu aufgenommen, dass „die unmittelbar bei der Vermittlung oder Beratung mitwirkenden Beschäftigten sich in einem Umfang von 15 Stunden je Kalenderjahr weiterbilden“ müssen. In einer Versicherungsvermittlerverordnung werden dann mögliche Inhalte der Weiterbildung, Arten der Weiterbildung, Nachweise etc. näher und praxisnah geregelt. Auch der Punkt der Beratung ist in Bezug auf die Qua- litätssteigerung im Versicherungsbetrieb ein unverzicht- barer Bestandteil dieses Gesetzentwurfs. So wird in § 6 des Versicherungsvertragsgesetzes neu geregelt, dass es keine Ausnahmen von der Beratungspflicht geben soll, auch nicht, wenn ein Versicherungsabschluss über das Internet oder fernmündlich erfolgt, es sei denn, der Versi- cherungsnehmer verzichtet darauf. Ein weiterer Punkt im Gesetzentwurf, der viele Ver- sicherungsmaklerinnen und Versicherungsmakler be- schäftigt hat und weswegen meine Kolleginnen und ich auch angeschrieben wurden: Der Entwurf sieht vor, wie es auch im Koalitionsvertrag vereinbart wurde, dem Kunden Honorarberatung einerseits und Versicherungs- vermittlung auf Provisionsbasis andererseits als gleich- wertige Alternativen anzubieten. Ein Mischmodell soll zukünftig ausgeschlossen werden. Die uns erreichten Zuschriften werden wir innerhalb der Koalition prüfen und in unsere Beratungen einfließen lassen. Ich freue mich auf die vor uns liegende Zusam- menarbeit in der Koalition zu diesem Gesetzentwurf im parlamentarischen Verfahren, insbesondere mit meinen beiden Unionskolleginnen Frau Grotelüschen und Frau Lanzinger, und bin guter Dinge, dass wir ein für alle Sei- ten anständiges und annehmbares Gesetz hinbekommen werden. Susanna Karawanskij (DIE LINKE): Wie schon bei der abschließenden Beratung des Zweiten Finanzmarkt- novellierungsgesetzes – der MiFiD-II-Umsetzung – bin ich ebenso bei der nun anstehenden ersten Beratung der Umsetzung der Versicherungsvermittlerrichtlinie etwas enttäuscht, dass hier im Hohen Hause keine breitere De- batte zu solch wichtigen Inhalten geführt wird. Mir ist bewusst, dass zum Ende einer Wahlperiode viele Vorha- ben noch durchgedrückt werden müssen. Aber ganz ehr- lich: Ein klein wenig zeigt sich dabei schon auch, wie wichtig der Großen Koalition bestimmte Themen sind und wie sehr Sie bereit sind, sich hier einer kritischen Auseinandersetzung um die Stärkung des finanziellen Verbraucherschutzes zu stellen. Denn bei der IDD-Umsetzung besteht doch deutlicher Nachholbedarf, um Verbraucher besser zu schützen. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir es hier mit einer Mini- malharmonisierung zu tun haben und es somit zweifels- frei möglich wäre, bestimmte Felder strenger zu regeln. Doch Sie setzen die Richtlinie teilweise nicht einmal vollständig um oder – noch schlimmer – wollen Sonder- vorschriften erlassen wie zu den Restschuldversicherun- gen, die schwächer als in der Richtlinie und nachteilig für die Verbraucher sind. Restschuldversicherungen sind oftmals stark überteuert und nicht auf den Bedarf der Verbraucher zugeschnitten. Diesen wird suggeriert, sie erhielten einen bestimmten Kredit nur, wenn sie dazu eine Restschuldversicherung mit abschließen. Dazu be- steht aber kein Zwang. Der Linken ist es hier wichtig, Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 23077 (A) (C) (B) (D) dass Kreditinstitute, Banken und Versicherungen ver- pflichtet werden, zwei unterschiedliche, voneinander getrennte Verträge zum Kredit und zur Restschuldversi- cherung anzubieten. Dazu gehört, dass Verbraucher auf alle Fälle ausnahmslos über die Restschuldversicherung aufgeklärt, informiert und beraten werden. Was die Aufsicht betrifft, sträubt sich die Bundesre- gierung erbittert dagegen, das bestehende Aufsichtsge- fälle einzuebnen. Wie bei den Finanzanlagenvermittlern werden auch die Versicherungsvermittler nur durch die Industrie- und Handelskammern bzw. durch die Gewer- beämter beaufsichtigt. Versicherungsunternehmen wer- den dagegen durch die Finanzaufsicht BaFin kontrolliert. Die Linke fordert eine Abkehr von diesem zweistufigen Aufsichtssystem und somit eine einheitliche, flächende- ckende Aufsicht durch die BaFin. Beim Thema Provisionen wird zum wiederholten Male deutlich, dass Union und SPD zum Besitzstands- wahrer des Provisionssystems verkommen sind. Das An- sinnen, die unabhängige Beratung, die Honorarberatung zumindest auf Augenhöhe mit der Provisionsberatung zu stellen, erweist sich immer mehr als Lippenbekenntnis. Unter MiFiD II sind Provisionen nur zulässig, wenn aus der Provision ein Vorteil für den Verbraucher entsteht. Bei IDD hingegen sind Provisionen bereits zulässig, wenn für die Verbraucher kein Nachteil besteht. Weil es einfacher ist, Provisionen zu beziehen, prophezeie ich, dass künftig lieber Versicherungsprodukte an die Kunden vertrieben werden. So sieht unabhängige Beratung aber gerade nicht aus. Auch bei der Offenlegung der Provisi- onen und Vertriebsvergütungen bietet IDD noch zu viele Schlupflöcher, was einen fairen Wettbewerb zwischen den Vertriebsformen verhindert. Daran anknüpfend gilt es zudem, endlich das Provisi- onsabgabeverbot vom Thron zu stoßen. Sinnvoller wäre es doch, dass Verbraucher selbst entscheiden können, welchen Vertriebsweg sie wählen und damit auch, wel- che Kosten sie dafür entrichten. Umfassende Beratung ist dann vergleichsweise teurer, während diejenigen, die keine Beratung benötigen, auch nicht dafür zahlen müs- sen. Dazu müssen aber endlich die Vertriebskosten aus den Versicherungsprodukten herausgenommen werden. Die Linke fordert daher das Ende des Provisionsabgabe- verbots sowie die Einführung eines Nettopreissystems. Wenngleich bei der IDD-Umsetzung das sogenann- te Provisionsdurchleitungsgebot ein Schrittchen hin zur Stärkung der Beratung auf Honorarbasis ist, wird eines bei dem ganzen Geplänkel um Provisionen, Verkaufsan- reize, Courtagen, Abgabeverbote und Durchleitungen doch klar: Provisionen sorgen für Interessenkonflikte, die zu schlechten Anlageempfehlungen führen können. Oft wird halt Kunden gerade das Finanzinstrument emp- fohlen und verkauft, das den für den Berater höchsten Vertriebsgewinn abwirft. Mittelfristig muss deshalb aus Sicht der Linken das Provisionssystem überwunden und durch eine unabhängige, flächendeckende, verbrauch- erorientierte und kostengünstige Finanzberatung ersetzt werden. Die Verbraucherzentralen sind mit ihren Bera- tungsangeboten speziell für einkommensschwache Men- schen neben Schuldnerberatungsstellen zu stärken. Wir haben dazu schon mehrfach eine mehrjährige Anschub- finanzierung durch den Bund angeregt. Daraufhin sollen alle Unternehmen der Finanz- und Versicherungsbranche für diese Kosten nach dem Verursacherprinzip aufkom- men. Meine Damen und Herren von der Regierungsbank, nutzen Sie doch den Gestaltungsspielraum, der Ihnen bei der IDD-Umsetzung zweifelsfrei zur Verfügung steht. In anderen Bereichen ist Ihnen ein fairer Wettbewerb auf dem Markt doch auch wichtig. Dann sollte er Ihnen im Fall der unabhängigen Versicherungsberatung doch auch wichtig sein, wenn Sie schon nicht sofort Verbraucher besser schützen wollen, indem Sie das Provisionssystem zu Grabe tragen. Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Si- cherheit ist ein Grundbedürfnis von Menschen. Da das ganze Leben von Unsicherheiten geprägt ist, haben Menschen schon immer nach Wegen gesucht, sich abzu- sichern. Darauf beruht das grundsätzlich sinnvolle Ge- schäftsmodell von Versicherungen. Leider können Verbraucherinnen und Verbraucher in vielen Fällen nicht darauf vertrauen, dass die Versi- cherungen, die sie abschließen, ihnen wirklich nützen. Undurchsichtige Produkte mit vielen unbestimmten Ver- tragsklauseln, überhöhte Abschluss- und Vertriebskos- ten, schlechte Beratungsqualität – das sind nur einige der Probleme, mit denen Verbraucherinnen und Verbraucher kämpfen. Die Versicherungsvertriebsrichtlinie soll nun für mehr Transparenz und mehr Verbraucherschutz auf dem Versicherungsmarkt sorgen. Kernstück ist dabei, dass unabhängige Beratung und provisionsbasierte Ver- mittlung klar voneinander getrennt werden. Diese Tren- nung begrüßen wir grundsätzlich. Auch soll durch die Umsetzung der Richtlinie angestrebt werden, die unab- hängige Beratung zu stärken. Auch das befürworten wir ausdrücklich. Wir fordern seit langem eine substanzielle Stärkung der unabhängigen Honorarberatung; denn auch wenn es sicher auch gute, provisionsbasierte Beratung gibt – das Risiko von Fehlberatungen durch eine Aus- richtung an den lukrativsten Provisionen ist für Verbrau- cherinnen und Verbraucher deutlich zu groß. Doch ob der vorliegende Gesetzentwurf tatsächlich zu mehr Verbraucherschutz und einer Stärkung der un- abhängigen Honorarberatung beiträgt, muss stark be- zweifelt werden. Ich sehe hier vier zentrale Punkte, die unbedingt Nachbesserungen benötigen: Erstens, die Aufsicht: Bislang ist es so, dass die Ba- Fin für die Beaufsichtigung der Versicherungsunterneh- men zuständig ist. Die Versicherungsvermittler werden allerdings von den Industrie- und Handelskammern be- aufsichtigt. Diese Aufsplitterung ist für eine wirksame Aufsicht hinderlich. Deshalb fordere ich: Bessern Sie hier nach, und bündeln Sie die Aufsicht bei der BaFin. Zweitens: Das Provisionsabgabeverbot stammt aus dem Jahre 1923. Damals zogen Versicherungsvermittler noch von Haustür zu Haustür. Das Provisionsabgabever- bot sollte verhindern, dass ein Unterbietungswettkampf unter den Vermittlern beim Auskehren der Provisionen an die Kundinnen und Kunden entsteht. Das Provisions- abgabeverbot ist heute nicht mehr zeitgemäß – und das Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 201723078 (A) (C) (B) (D) Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de sage nicht nur ich als Verbraucherschützerin. Eine Ab- schaffung des Provisionsabgabeverbotes ist notwendig, damit endlich ein für Verbraucherinnen und Verbraucher nützlicher Wettbewerb um Provisionen entsteht. Die Bundesregierung ist doch sonst so oft dafür, dass es der Markt regeln soll. Warum hier nicht? Außerdem ist es doch nicht einzusehen, dass Verbraucherinnen und Ver- braucher auf allen Vertriebswegen gleiche Provisionen zahlen, wenn doch beispielsweise der Vermittlungsauf- wand im Internet deutlich geringer ausfällt als im stati- onären Vertrieb. Drittens. Verbraucherinnen und Verbraucher, die sich unabhängig beraten lassen und sich dann für ein Versi- cherungsprodukt entscheiden, müssen oft doppelt zahlen; denn Bruttopreise sind nach wie vor Standard, das heißt, die Kunden müssen die Provisionen mitzahlen. Die Aus- wahl an Nettopolicen ist nach wie vor gering. Das macht die unabhängige Honorarberatung unattraktiv. Deshalb ist es absolut richtig und wichtig, dass Provisionen vom Versicherungsunternehmen an die Kundinnen und Kun- den weitergeleitet werden. Die Detailregelungen hierzu sind aber nicht fair. Warum sollen pauschal 20 Prozent Abschlag anfallen? Warum soll die Weiterleitung auf die ersten fünf Jahre begrenzt werden? Das ist nicht nach- vollziehbar und sollte geändert werden. Viertens und letztens, aber von zentraler Bedeutung: Restschuldschuldversicherungen. Sie sind der Inbegriff von Verbraucherabzocke. Zum Teil sind bis zu 70 Pro- zent Provisionen fällig. Verbraucherinnen und Verbrau- cher verschulden sich erheblich zusätzlich, um allein die Versicherung auf den Kredit zu finanzieren. Wahrschein- lich ist das Ihnen in der SPD und der CDU egal, sonst hätten Sie das bereits im Rahmen der Wohnimmobilien- kreditrichtlinie regeln können. Aber da bessern Sie ja lieber auf Zuruf der Sparkassen und Banken nach – und machen nichts für Verbraucherinnen und Verbraucher. Falls es Ihnen doch nicht egal ist, dann werden Sie endlich tätig: Verbieten Sie Querverkäufe ohne Kunden- nutzen. Die Kopplung oder Bündelung von Finanzpro- dukten sollte nur bei einem klar erkennbaren Nutzen für die Verbraucherinnen und Verbraucher zugelassen wer- den. Außerdem: Verbessern Sie die Informations- und Beratungspflichten beim Verkauf von Restschuldversi- cherungen. Ich komme zum Schluss. Wir werden aufmerksam verfolgen, welche Änderungen Sie noch vornehmen. Ich bin gespannt, ob am Ende echter Verbraucherschutz raus- kommt. 228. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 3, ZP 1 Maritime Wirtschaft TOP 4 Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz TOP 5 Schienenlärmschutzgesetz TOP 6 Öffentlicher Personennahverkehr TOP 40 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 41, ZP 2 Abschließende Beratungen ohne Aussprache TOP 7 Wahl „Kulturstiftung des Bundes“ TOP 8 Vereinbarte Debatte zumEU-Austritt Großbritanniens TOP 9 Bundeswehreinsatz EUTM Mali TOP 10 Änderung des Straßenverkehrsgesetzes TOP 11 Zugang und Zulassung zu Hochschulen TOP 12 Transparenz von Entgeltstrukturen TOP 13 Hungersnot und Völkermord in Südsudan TOP 14 Bundeswehreinsatz EUTM Somalia TOP 15 Krankenkassenbeiträge für Selbstständige TOP 16 Neuregelung des Mutterschutzrechts TOP 17 Nutzungsrechte digitaler Güter TOP 18 Carsharing TOP 19 Betäubungsmittelrecht TOP 20, ZP 3 Getrennterfassung von wertstoffhaltigen Abfällen TOP 21 Wiederaufbau der Garnisonkirche Potsdam TOP 22 Finanzmarktnovellierungsgesetz TOP 23 G 10-Aufhebungsgesetz TOP 24 Anpassungsvertrag ERP-Förderrücklage TOP 25 Willy-Brandt-Korps TOP 26 EU-Binnenmarkt für Elektrizität TOP 27 Gesetz über das Fahrlehrerwesen TOP 28 Zivile Krisenprävention ZP 4 Entlastung derWirtschaft von Bürokratie TOP 29 Änderung des Atomgesetzes TOP 30 Elektronische Meldungen in der Seeschifffahrt TOP 31 Neuordnung der Eisenbahnunfalluntersuchung TOP 32 Abkommen zu militärischen Hauptquartieren TOP 33 EU-Richtlinie über Versicherungsvertrieb Anlagen Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10 Anlage 11 Anlage 12 Anlage 13 Anlage 14 Anlage 15 Anlage 16
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822800000

Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie
herzlich zur Plenarsitzung. Den anwesenden Gästen und
den Fernsehzuschauern möchte ich zum Ausräumen von
Irritationen mitteilen, dass die Sitzung nicht deswegen
ein bisschen später beginnt, weil die Kolleginnen und
Kollegen nicht rechtzeitig aus dem Bett gekommen wä-
ren, sondern, weil vorhergehende Fraktionssitzungen, die
auch mit Beratungsbedarf verbunden sind, ein bisschen
länger gedauert haben, sodass wir nicht ganz pünktlich
anfangen konnten.


(Christine Lambrecht [SPD]: Man muss Prioritäten setzen! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Bei der Union natürlich nicht! Ihr von der SPD seid wieder schuld!)


Dafür haben Sie hoffentlich Verständnis.

Es gibt wieder einmal ein paar Änderungen in der vor-
gesehenen Tagesordnung, auf die sich die Fraktionen
verständigt haben. Ich möchte Sie darauf aufmerksam
machen, dass das in der Zusatzpunkteliste jeweils auf-
geführt ist:

ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Valerie Wilms, Dieter Janecek, Tabea Rößner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Die Digitalisierung als Ausweg aus der Schiff-
fahrtskrise nutzen

Drucksache 18/11742
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
Ausschuss Digitale Agenda

ZP 2 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus-
sprache


(Ergänzung zu TOP 41)


a) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 428 zu Petitionen

Drucksache 18/11751

b) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 429 zu Petitionen

Drucksache 18/11752

c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 430 zu Petitionen

Drucksache 18/11753

d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 431 zu Petitionen

Drucksache 18/11754

e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 432 zu Petitionen

Drucksache 18/11755

ZP 3 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald,
Britta Haßelmann, Christian Kühn (Tübingen),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Wertstoffgesetz jetzt vorlegen

Drucksachen 18/4648, 18/9693

ZP 4 – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Zweiten Gesetzes zur Entlastung insbe-
sondere der mittelständischen Wirtschaft

(Zweites Bürokratieentlastungsgesetz)







(A) (C)



(B) (D)


Drucksache 18/9949

Beschlussempfehlung und Bericht des
Ausschusses für Wirtschaft und Energie

(9. Ausschuss)


Drucksache 18/11778


(8. Ausschuss)


Drucksache 18/11790

Dabei soll von der Frist für den Beginn der Beratun-
gen, soweit erforderlich, abgewichen werden.

Nach dem Tagesordnungspunkt 28 soll der Entwurf
eines Zweiten Bürokratieentlastungsgesetzes mit einer
Debattenzeit von 25 Minuten abschließend beraten wer-
den.

Der ohne Debatte vorgesehene Tagesordnungspunkt
41 c – hier geht es um die abschließende Beratung des
Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Geset-
zes über den Deutschen Wetterdienst – wird abgesetzt.

Schließlich mache ich noch auf zwei nachträgli-
che Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatz-
punkteliste aufmerksam:

Der am 9. März 2017 (221. Sitzung) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Aus-
schuss für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss), dem

(10. Ausschuss)

Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zur Mitbe-
ratung überwiesen werden:

Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Neuordnung des Rechts zum Schutz vor der
schädlichen Wirkung ionisierender Strahlung

Drucksache 18/11241
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Haushaltsausschuss

Der am 9. März 2017 (221. Sitzung) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Aus-

(10. Ausschuss)


Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpas-
sung des Datenschutzrechts an die Verordnung

(EU) 2016/679 und zur Umsetzung der Richtli-

nie (EU) 2016/680 (Datenschutz-Anpassungs-
und -Umsetzungsgesetz EU – DSAnpUG-EU)

Drucksache 18/11325

Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
Ausschuss Digitale Agenda

Ich frage Sie, ob Sie mit diesen Änderungen einver-
standen sind. – Das ist der Fall. Dann können wir so ver-
fahren.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c sowie
den Zusatzpunkt 1 auf:

3. a) Beratung des Antrags der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD

Innovation und Forschung als Wettbe-
werbsvorteil der deutschen maritimen
Wirtschaft

Drucksache 18/11725

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bun-
desregierung

Maritime Agenda 2025

Für die Zukunft des maritimen Wirt-
schaftsstandorts Deutschland

Drucksache 18/10911
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Haushaltsausschuss

c) Beratung der Unterrichtung durch die Bun-
desregierung

Fünfter Bericht der Bundesregierung
über die Entwicklung und Zukunftsper-
spektiven der maritimen Wirtschaft in
Deutschland

Drucksache 18/11150
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss Digitale Agenda

ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Valerie Wilms, Dieter Janecek, Tabea Rößner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


Die Digitalisierung als Ausweg aus der Schiff-
fahrtskrise nutzen

Drucksache 18/11742
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
Ausschuss Digitale Agenda

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Auch hierzu
höre ich keinen Widerspruch.

Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem
Parlamentarischen Staatssekretär Uwe Beckmeyer das
Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


U
Uwe Beckmeyer (SPD):
Rede ID: ID1822800100


Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Anfang dieser
Legislaturperiode haben wir uns zum Ziel gesetzt, dass
wir in diesen vier Jahren die maritime Wirtschaft stärken
und Deutschland zu einem maritimen Hightechstandort
ausbauen wollen;


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und?)


denn diese Branche – ich glaube, da sind wir uns einig –
ist eine Schlüssel- und Zukunftsbranche der deutschen
Wirtschaft. Sie vereint Hochtechnologie mit erheblichem
Innovationspotenzial. Forschung, Entwicklung und In-
novation sind dabei unsere Schwerpunkte; denn wir ha-
ben – und das ist gut so – einen sehr innovativen Mittel-
stand. Deshalb hat sich diese Bundesregierung für diese
Legislaturperiode ein sehr ambitioniertes Programm vor-
genommen – und wir haben viel erreicht.

Erstens. Schiffbau und Meerestechnik sind integraler
Bestandteil der Hightech-Strategie der Bundesregierung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mit den maritimen Technologieförderprogrammen
setzen wir wichtige Anreize, damit die Unternehmen
noch mehr in Forschung und Entwicklung investieren;
denn wir wollen, dass die maritime Wirtschaft ihre inter-
nationale Wettbewerbsfähigkeit erhält und ausbaut. Des-
halb haben wir seitens der Bundesregierung und seitens
des Parlaments für Innovationen an deutschen Werften
sehr viel Geld in die Hand genommen. Es sind alleine
35 Millionen Euro pro Jahr aus Bundesmitteln. Hinzu
kommen die Komplementärmittel der Länder. Weiter-
hin wenden wir für Forschung und Entwicklung jährlich
rund 32 Millionen Euro auf, ebenfalls mehrere Millionen
Euro pro Jahr für die maritime Sicherheit.

Wenn man sich das anschaut und auf die Legislaturpe-
riode hochrechnet, kommt man alleine auf Bundesmittel
von gut 280 bis 290 Millionen Euro, die hier eingesetzt

werden. Wenn man die Landesmittel und noch die In-
vestitionskraft der einzelnen Unternehmen hinzunimmt,
dann ist das ein x-Faches. Das zeigt: Wir haben es mit
einer sehr potenten Industrie zu tun, und wir tun seitens
des Bundes und der Länder vieles, um diese Innovations-
fähigkeit noch stärker herauszubilden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zweitens. Die Bundesregierung bietet exportorientier-
ten Industrien verlässliche Unterstützung durch Hermes-
deckung und Investitionsgarantien. Bis Ende 2016 hat
der Bund für den Export deutscher Schiffe ein Entschädi-
gungsrisiko von rund 29 Milliarden Euro abgesichert. Ich
will das an dieser Stelle deutlich unterstreichen.

Drittens. Wir helfen unserem Mittelstand bei der Er-
schließung von Auslandsmärkten. Unterschätzen Sie das
nicht. Wir tun das durch Geschäftsanbahnungsreisen und
durch Auslandsmessen. Wir sind dort Gott sei Dank in-
ternational mit den Unternehmen sehr aktiv.

Viertens. Wir haben im Rahmen der Energiewen-
de die Novelle des EEG sowie auch das Windener-
gie-auf-See-Gesetz hier im Hause verabschiedet. Wir
haben damit einen verlässlichen Ausbaupfad festgelegt.
Die maritime Energiewende ist zudem ein wesentlicher
Baustein auch unserer Industriepolitik. Weniger Schad-
stoffemissionen, mehr Energieeffizienz, das sind wesent-
liche Ziele auch für die Schifffahrt.

Im Februar hat das Bundeswirtschaftsministerium da-
her die Förderinitiative „Energiewende im Verkehr“ ge-
startet. In unserem maritimen Forschungsprogramm ist
Green Shipping zukünftig eines von vier oberzentralen
Querschnittsthemen. Sie sehen: Wir setzen auf konse-
quente Technologieförderung, aber auch auf passgenaue
Lösungen.

Das gilt auch für neue Themen, deren Behandlung wir
hier im Parlament verabredet haben und die sinnvoller-
weise so gestaltet werden, dass keine Einzelinteressen
bedient werden, dass keine Doppelförderung entsteht,
dass ein kluges Konzept und kein Wettlauf von Finan-
zierungswünschen dabei herauskommt. Ich spreche vom
Deutschen Maritimen Zentrum.

Als Koordinator für die maritime Wirtschaft setze ich
mich gleichermaßen für die Schifffahrt wie für die Inte-
ressen der See- und Binnenschifffahrt, aber auch der See-
und Binnenhäfen ein. Prioritäres Ziel hier ist und bleibt
die Sicherung des Schifffahrtstandortes selbst. Mit den
Kollegen aus dem Bundesverkehrsministerium haben wir
deshalb ein Maßnahmenpaket verabredet, das sich sehen
lassen kann: Die Anhebung des Lohnsteuereinbehaltes
auf 100 Prozent – wir haben uns darüber unterhalten –,
die vollständige Erstattung der Lohnnebenkosten, die
Weiterführung der Zuschüsse zu den Ausbildungsplatz-
kosten, die Anpassung der Schiffsbesetzungsordnung,
die Befreiung von Schiffserlöspools von der Versiche-
rungsteuer – der Strauß ist riesengroß.


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Die Reeder können zufrieden sein!)


Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


Nun müssen aber auch die Reeder ihren Beitrag leisten.
Wir werden uns diese Entwicklung sehr genau anschauen
und vor allen Dingen auch evaluieren. Die Wettbewerbs-
fähigkeit der deutschen Häfen gilt es zu stärken. Wir
haben hierzu das Nationale Hafenkonzept, wir fördern
intelligente Hafentechnologien.

Das Letzte, was ich ansprechen möchte, ist die Mari-
time Agenda 2025. Hier haben wir zum ersten Mal eine
ressortübergreifende Strategie für die Branche vorgelegt.
Sie definiert klare Handlungsfelder: mit Blick auf die
steigenden Anforderungen des Klima- und Umweltschut-
zes und in Bezug auf die Sicherheit im Seeverkehr, die
schärferen Wettbewerbsbedingungen auf globalen Märk-
ten, die zunehmende Automatisierung und Digitalisie-
rung von Produktions- und Logistikprozessen sowie Pro-
dukten und Dienstleistungen. Die maritime Wirtschaft ist
in vielen Bereichen Vorreiter des digitalen Wandels.

Aber die Transformation läuft rasant. Insofern ist die
Digitalisierung Schwerpunkt der 10. Nationalen Mari-
timen Konferenz nächsten Dienstag in Hamburg. Wir
müssen und wollen die maritime Branche hier weiter vo-
ranbringen. Deshalb, so ist meine Hoffnung, haben wir
alle ins Boot geholt, auch um mit Bund, Ländern, Ver-
bänden und Gewerkschaften eine gemeinsame Erklärung
zu verabschieden. Denn: Wer rastet, der rostet. Das gilt
nicht nur für Schiffe.


(Beifall bei der SPD)


Es freut mich daher, dass sich viele von uns bei der
10. Nationalen Maritimen Konferenz in Hamburg wie-
dersehen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822800200

Ich erteile das Wort jetzt dem Kollegen Herbert

Behrens für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Herbert Behrens (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822800300

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Die An-

zahl der Seiten des maritimen Berichts, aber auch des
Antrags der Koalition stehen in einem krassen Missver-
hältnis zu dem, was wir uns heute als maritime Bilanz
vornehmen.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt!)


Wir haben gesehen, dass unendlich viele Millionen Euro
in die maritime Wirtschaft geflossen sind. Wenn wir uns
das Ergebnis anschauen, dann stellen wir fest: Es ist
mehr als dürftig. Das können wir so nicht hinnehmen. Da
müssen wir dringend eine Änderung vornehmen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Unendlich viele Millionen?)


Es geht doch um die Arbeitsplätze der Beschäftigten
bei den Werften, bei den Entwicklungsbüros, in den Hä-
fen und auf den Schiffen selbst. Die Kolleginnen und
Kollegen wollen doch wissen, wie ihre Zukunft aussieht,
was geplant ist, wohin sich dieser Wirtschaftszweig ent-
wickeln soll.


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Richtung Planwirtschaft nicht!)


400 000 Arbeitsplätze in dieser Branche – direkt oder
indirekt – sollen es sein. Der Kollege Beckmeyer hat ja
dargestellt, dass es sich in Teilen um eine Schlüsselbran-
che handelt, wenn es beispielsweise um neue Technolo-
gien geht.

Wir wollen, dass in der maritimen Wirtschaft in Zu-
kunft Tarifverträge noch eine Rolle spielen, dass in den
Unternehmen ordentliche Arbeitsverhältnisse bestehen
und dass kein Wettbewerb um soziales Dumping vor-
herrscht.


(Beifall bei der LINKEN)


Das ist das Ziel einer gerechten und guten Hafen- und
maritimen Politik.

Darum haben die Gewerkschaften Verdi und IG Me-
tall direkt zu diesem Anlass ein sehr gutes Papier ver-
fasst. Sie haben konkrete Vorschläge gemacht – auf sehr
viel weniger Seiten, aber dafür mit viel mehr Substanz.
Damit kann man etwas anfangen. Sie geben ganz klar
die Richtung vor und sagen, worum es gehen muss. Die
Linksfraktion begrüßt diese Initiative der Gewerkschaf-
ten ausdrücklich.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD])


Die Kolleginnen und Kollegen haben sich den Kopf
darüber zerbrochen, wie sie mit der digitalen Zukunft der
Arbeitsplätze umgehen wollen. Sie haben darauf hinge-
wiesen, dass in der Hafenwirtschaft in absehbarer Zeit
sehr viel mehr Automatisierung passieren wird als in den
vergangenen Jahren. Sie haben aber auch darauf hinge-
wiesen, was das Ergebnis dieser Automatisierung ist: Es
ist nicht nur die Entlastung auf manch belastendem Ar-
beitsplatz; es ist auch die Zunahme von Arbeitsintensität,
es ist auch eine Zunahme von Hektik, Stress und mögli-
cherweise Gesundheitsgefahren. Sie haben weiter darauf
hingewiesen, wie die Erträge dieser Automatisierung ver-
teilt werden. Ich zitiere: Bei Produktivitätssteigerungen
durch Automatisierung muss der sich hieraus ergebende
Gewinn gerecht verteilt werden, damit Arbeitsplätze ab-
gesichert werden. – So die Gewerkschaften.


(Beifall bei der LINKEN)


Das ist der richtige Weg. Mehr Produktivität muss dazu
führen, dass es zu Arbeitszeitverkürzungen kommt. Für
diese Art der sozialen Gerechtigkeit ist die Linke immer
zu haben.


(Beifall bei der LINKEN)


Solche Instrumente findet man in den hier vorgeleg-
ten Papieren nicht. Da stehen ausschließlich die auf Ka-
pitalinteressen, auf Markt- und Wettbewerbsinteressen
ausgerichteten Forderungen; die Zahlen haben wir vom

Parl. Staatssekretär Uwe Beckmeyer






(A) (C)



(B) (D)


Kollegen Beckmeyer genannt bekommen. Natürlich lebt
niemand vom Zusetzen – das ist uns allen klar; das ist
banal –, aber trotzdem müssen wir anerkennen, dass die
menschliche Arbeitskraft der Stoff ist, aus dem Wert-
schöpfung entsteht. Darum kommt es darauf an, dass wir
diesen Teil sehr viel stärker gewichten, als das in den Pa-
pieren der Fall ist, die uns hier heute vorgelegt werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Bundesregierung wird der Frage von Ausbildung
und Beschäftigung nicht im Mindesten gerecht. Ein Satz
wie „Deutschland hat die Arbeits- und Lebensbedingun-
gen der Seeleute umfassend und modern geregelt“ ist
angesichts der Zukunftsperspektiven der Arbeitsplätze
auf See wirklich mehr ein Hohn als eine vernünftige Be-
schreibung der Situation. Das können wir so nicht ak-
zeptieren.


(Beifall bei der LINKEN)


Es muss doch ein Alarmsignal sein, auch für die Bun-
desregierung, dass mit den zig Millionen, die zur För-
derung in diesen Bereich gegangen sind, keine Wende
passiert ist, beispielsweise bei den unter deutscher Flag-
ge fahrenden Schiffen, dass es zu keiner Wende bei den
Arbeitsplätzen geführt hat, dass es zu keiner Wende bei
den Ausbildungsplätzen geführt hat. Alles das, was hier
schon vorgetragen worden ist – der Lohnsteuereinbe-
halt, der das Ergebnis hat, dass die Reeder die Lohnsteu-
er nicht mehr an den Staat abführen müssen, wie es bei
jedem normalen Unternehmen der Fall ist; Zahlung von
Ausbildungszuschüssen; Übernahme von Lohnneben-
kosten –, alle diese Millionen, die dort hineingegangen
sind, sind seitens der Reeder mit nichts goutiert worden.
Der Niedergang der deutschen Seeschifffahrt ist nicht
aufgehalten, sondern geht weiter voran.


(Johann Saathoff [SPD]: Da klatscht keiner!)


Die Antwort der Bundesregierung darauf enthält ganz
merkwürdige Formulierungen: Es geht darum, dass man
den Dialog fördern will, die Bedeutung globaler Entwick-
lung unterstreichen will, die Kommission aktiv begleiten
will, Forschung und Entwicklung verzahnen will, den
passgenauen Zuschnitt bestehender Förderprogramme
weiter stärken will usw. usf. Diese wortreiche Untätig-
keit der Bundesregierung muss dringend ein Ende haben.


(Beifall bei der LINKEN)


Den Unternehmern geht es offenbar blendend. 1995 –
so die Zahlen des VDR, des Verbands Deutscher Ree-
der – lag der Umsatz bei 5 Milliarden Euro, im Jahr 2015
bei 24 Milliarden Euro. All das, was seitens der Bundes-
regierung in den letzten Jahren und Jahrzehnten auf den
Weg gebracht worden ist, nämlich das Pampern der See-
schifffahrt, hat nicht dazu geführt, dass etwas bei denen
angekommen ist, die dort ihren Arbeitsplatz finden und
auf dieser Beschäftigung ihre Zukunft aufbauen wollen.
Das muss jetzt ein Ende haben.

Die Nationale Maritime Konferenz in Hamburg kann
ein Zeichen dafür sein, was die Perspektive sein muss.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich schlage vor, das Motto der Nationalen Maritimen
Konferenz zu verändern und zu formulieren: Die Pro-
fiteure zahlen! Das ist die Zukunft der maritimen Wirt-
schaft in Deutschland.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Situation auf den deutschen Werften ist weiterhin
dramatisch. Die Zahl der Beschäftigten ist in den letzten
Jahren von 22 000 auf 18 000 gesunken. Es wird immer
schwieriger, qualifiziertes Personal zu finden, weil sich
keiner mehr traut, zu sagen: Ich gehe in diese Branche,
weil sie mir eine Zukunft verspricht, weil sie mich und
meine Familie in den kommenden Jahren finanzieren
kann. – Eine Zukunftsperspektive gibt es in der See-
schifffahrt nicht, und das muss dringend verändert wer-
den.

Die Lösungen, die die Bundesregierung dazu vor-
schlägt, sind: einheitliche Regulierungsmaßnahmen,
mehr globaler Wettbewerb, mehr Abkommen auf der
Grundlage der WTO und anderer bilateraler Handels-
abkommen. Da ist einmal wieder ganz klar sichtbar: Es
geht um Freihandel, es geht nicht um fairen Handel, und
das kann doch nicht die Perspektive sein für eine ver-
nünftige maritime Wirtschaft, wie wir sie wollen.


(Beifall bei der LINKEN)


Nach dem Lesen des maritimen Berichts und des lan-
gen Antrags mit 78 Punkten, der hier von der Regierungs-
koalition eingebracht wird, habe ich den Eindruck, dass
dies ein notdürftiges Zusammenschreiben von Worthül-
sen ist. Es ist substanzlos, was dort vorgelegt wird, und
das macht noch einmal deutlich, dass die Große Koaliti-
on inhaltlich offenbar am Ende ist. Ich denke, dazu ge-
hört auch, dass dieser Großen Koalition auch fühlbar ein
Ende gesetzt wird. Mit dieser Bundesregierung wird die
maritime Wirtschaft auf jeden Fall keine gute Zukunft
haben.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822800400

Rüdiger Kruse ist der nächste Redner für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Rüdiger Kruse (CDU):
Rede ID: ID1822800500

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Herr Behrens, es gibt historische Irrtümer, die
man gern wiederholt. Deswegen muss man dann auch
die richtigen Antworten wiederholen: Umsatz ist nicht
Gewinn. Es kann Ihnen mit 5 Milliarden Euro Umsatz
tierisch gut gehen, und mit 24 Milliarden Euro Umsatz
können Sie große Probleme haben.

Wir haben viel getan, um die Wettbewerbsfähigkeit
der deutschen Schifffahrt wiederherzustellen. Wir haben
nie behauptet, dass wir damit die internationale Schiff-
fahrtskrise beenden; aber wir stellen uns so auf, dass wir
zukunftsfähig sind. Nehmen Sie einen anderen Sektor:
die Werften. Ich komme aus dem Norden, wo wir seit
langer Zeit die Werftenkrise haben. Wenn Sie internatio-
nal schauen, wie sich dieser Bereich entwickelt hat, dann

Herbert Behrens






(A) (C)



(B) (D)


sehen Sie, dass Europa – und damit schwerpunktmäßig
Deutschland – im Werftensektor wesentlich besser dran
ist als der gesamte Rest der Welt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Herbert Behrens [DIE LINKE])


Das liegt daran, dass wir nicht gesagt haben: „Oh,
wunderbare Zeiten, die sind wunderschön, die müssen
wir unbedingt erhalten“, dass wir nicht gesagt haben:
Containerschiffe sind gefälligst in Deutschland zu bau-
en, und wenn das nicht geschieht, dann akzeptieren wir
das nicht. – Dieser Sektor hat sich, auch mit der Hilfe
des Parlaments, in den letzten Jahren umgestellt auf In-
novation, und er hat auf das gesetzt, was wir am besten
können, nämlich Avantgarde sein.

Wir sind in diesem Sektor nicht allein unterwegs. Im
Zehnpunkteplan – man muss es durchaus ernst nehmen,
wenn die Chinesen etwas machen – ist eines der Seg-
mente, in denen sie Weltspitze werden wollen, der High-
techschiffbau, nicht der normale Schiffbau. Der Bereich
der Massenware ist längst entschieden. Es geht um den
Hightechschiffbau, das, was wir machen.

Nun kann man sagen: Na ja, was wollt ihr denn? Wenn
man ein Kreuzfahrtschiff bauen will, dann macht man das
in Deutschland. – Man versuchte das einmal in Japan.
Das wurde für die Firma zu einem hohen Verlust. Das
macht jetzt kein Mensch mehr. Es ist aber nicht gesagt,
dass sich diese Entwicklung für die nächsten zehn Jahre
fortschreiben lässt. Das heißt, hier müssen wir wachsam
sein. Deswegen investieren wir in diesen Bereich eine
gewisse Summe, gar nicht mal so furchtbar viel.

Sie haben gesagt: „Der maritime Bereich ist ein wich-
tiges Thema“, und Herr Beckmeyer hat ein neues Wort
geprägt – mal sehen, ob es sich durchsetzt –: „oberzen-
tral“. Natürlich bin ich auch davon überzeugt, dass dieses
Thema ganz wichtig ist. Aber selbst die heutige Tages-
ordnung weist viele andere, ebenfalls wichtige Themen
auf. Vielleicht kann man das einordnen und fragen: Gibt
es eigentlich einen Bewertungsmaßstab, den man für alle
Themen anwenden kann? Die Debatte etwa, die morgen
zur gleichen Zeit laufen wird, gilt dem Thema Nachhal-
tigkeit.

Deklinieren wir doch einmal den maritimen Bereich
anhand der Nachhaltigkeit durch. Sie hat bekannterma-
ßen die drei etablierten Säulen Wirtschaft, Umwelt und
Soziales. Nach meiner persönlichen Meinung bedarf es
noch der Säule Kultur. Denn etwas, das kein Narrativ hat,
mit dem man sich nicht auseinandersetzt, kann auch kei-
ne nachhaltige Wirkung haben.

Wirtschaft. Ich habe gesagt: Wir haben die Wettbe-
werbsfähigkeit mit verschiedenen Maßnahmen herge-
stellt. Ist das auch sozial? Wenn man den Lohnsteuer-
einbehalt, wenn man die 183-Tage-Regel abschafft, dann
findet das ja nicht auf dem Rücken der Beschäftigten
statt. Beim Lohnsteuereinbehalt haben wir gesagt: Wir
verzichten auf Steuereinnahmen. – Das ist vollkommen
richtig. Aber wir tun das, um die deutsche Schifffahrt zu
erhalten und um diese Arbeitsplätze auch zu sichern. Das

ist, glaube ich, eine gute Entscheidung und in keinster
Weise gegen die Interessen der Arbeitnehmerschaft.

Wenn Sie fragen: „Ist das, was wir gemacht haben,
auch umweltgerecht?“, dann sage ich: Die Innovationen,
die wir fördern, haben zum großen Teil mit dem Thema
Umwelt zu tun. Natürlich ist es ein wirtschaftlicher Vor-
teil, wenn wir die saubersten Schiffsantriebe bauen und
wenn wir Beiträge leisten, mit denen man auch den Kli-
maschutz nach vorne bringen kann.

Wir haben uns in unserem letzten Antrag aber auch mit
dem Thema Fischerei beschäftigt. Man muss es wirklich
einmal sagen: Dieser letzte Antrag ist Punkt für Punkt
abgearbeitet worden, mit Parlament und Regierung ge-
meinsam, und mit Haushaltsbeschlüssen unterlegt wor-
den. Das ist wirklich eine Erfolgsgeschichte, was wir da
gemacht haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Birgit Malecha-Nissen [SPD])


– Erfolg kann man auch beklatschen.

Erstmalig haben wir uns auch dem Thema der illega-
len Fischerei zugewandt. Das hat einen Umweltaspekt.
Klar, wir machen uns nicht all die Mühe, mit Fangquoten
diesen Eiweißvorrat für die Zukunft zu erhalten, damit
andere Leute die Bestände piratenmäßig plündern und
vernichten und all diese Ziele, die wir haben, torpedie-
ren. Es ist ja auch ein soziales Thema: Wenn man die
Küsten Afrikas illegal leerfischt, haben die Menschen,
die eigentlich vom Fischfang leben, ein Problem. Es ist
ein soziales Thema, weil es hinsichtlich der Beschäfti-
gungsbedingungen an Bord dieser Schiffe teilweise nur
einen einzigen Unterschied zu römischen Sklavengalee-
ren gibt: Die Jungs müssen nicht rudern. Aber ansonsten
ist das, was da passiert, unmöglich. Wir haben gesagt:
Da wollen wir nicht mitspielen. Wir wollen die Kontrol-
len verbessern. – Dazu haben wir einen Beschluss gefasst
und diesen im Haushalt mit finanziellen Mitteln unter-
legt. Wir haben Stellen geschaffen, damit der angelande-
te Fisch zukünftig auch entsprechend der Zertifizierung
kontrolliert und gegebenenfalls zurückgewiesen wird.

Sie haben den Freihandel angesprochen. In unserem
Antrag steht, dass wir bei Freihandelsabkommen genau
diesen Aspekt der illegalen Fischerei behandelt haben
wollen und dass wir unsere Partner dazu bringen wol-
len, dass sie diese internationalen Regeln einhalten, und
dass wir, wenn sie diese nicht einhalten, mit ihnen keinen
freien Handel treiben. Was wollen Sie mehr als solche
konkreten Bedingungen, die der Umwelt nutzen, die dem
Sozialen nutzen und insgesamt auch der Wirtschaft, und
zwar bei uns und in den anderen Ländern? Wir haben auf
dem sozialen Sektor meines Erachtens sowohl für deut-
sche Beschäftigte als auch für Beschäftigte in anderen
Ländern viel getan.

Im Umweltbereich setzen wir dieses Mal auch noch
einen weiteren Akzent. Es geht dabei um ein Problem,
das viele umtreibt und das auch im Bewusstsein der Bür-
ger einen immer höheren Stellenwert bekommt, nämlich
den Plastikmüll, einmal den, den wir sehen können, weil
wir mittendrin schwimmen, und zum anderen das Mikro-
plastik, das wir im Zweifelsfall nicht sehen, das aber ir-

Rüdiger Kruse






(A) (C)



(B) (D)


gendwann in der Nahrungskette auf unserem Teller lan-
det. Das ist ein Thema, das weltweit besonders wichtig
ist und das sicherlich nicht damit erledigt ist, dass man
beim Einkauf auf die Plastiktüte verzichtet. Ich hätte
nicht gedacht, dass ein Kunstrasenfußballplatz irgendei-
ne Auswirkung auf die Weltmeere hat. Inzwischen wissen
wir, dass über den Abrieb und über das Regenwasser das
Ganze am Ende irgendwo in den Ozeanen landet. Auch
diese Punkte sprechen wir in diesem Antrag an. Im Sinne
der Nachhaltigkeit sagen wir: Wir wollen rechtzeitig mit
anderen Ländern gemeinsam eine Strategie entwickeln,
damit wir den Plastikmüll wieder aus dem Meer heraus-
bekommen, und wir wollen vermeiden, dass er überhaupt
dorthin gelangt. Ich glaube, dass es ein sehr weitsichtiger
Antrag ist, den wir hier vorlegen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Birgit Malecha-Nissen [SPD])


Forschung und Entwicklung. Ich habe gesagt: Das
Wichtige für uns ist, bei der Innovation ganz weit vor-
ne zu sein, damit wir einen Platz in dieser Wettbewerbs-
welt haben. Wir geben – der Koordinator der Bundesre-
gierung hat es erwähnt – eine gewisse Menge Geld für
Forschung und Entwicklung in diesem Bereich aus, aber
immer noch deutlich weniger als im Bereich Luft- und
Raumfahrt. Nun kann man sagen: Schiffe gibt es viel län-
ger als Raketen oder Flugzeuge, mit denen man durch die
Gegend fliegt. – Aber daran liegt es nicht.

Gibt es noch viel zu tun? Es gibt eine ganze Menge
zu forschen und zu entwickeln. Aber es gab bisher keine
Einrichtung, die das zentral koordiniert. Diese wollen wir
schaffen. Koordinator der Bundesregierung heißt auch,
mit allen Ressorts übergreifend zusammenzuarbeiten.
Der maritime Bereich hat nicht nur im Wirtschaftsminis-
terium und nicht nur im Verkehrsministerium seine Kon-
terparts, die er braucht und die man koordinieren muss.
Ich glaube, die Entscheidung, die wir getroffen haben, wo
das DMZ angesiedelt wird, ist eine gute. Das Entschei-
dende ist, dass es jetzt parallel zur 10. Nationalen Mariti-
men Konferenz kommt. Ich will das Motto nicht ändern,
das müssen wir nicht. Es ist ein gutes Motto. Aber es
ist ein großer Erfolg, dass der Beschluss vor anderthalb
Jahren im Haushalt auch mit Geld unterlegt wurde, das
nötig ist, damit er in diesem Jahr zum Tragen kommt und
wir das Deutsche Maritime Zentrum bekommen, um an
diesen Themen gemeinschaftlich mit der Wirtschaft, aber
auch mit Umweltverbänden zu arbeiten und die deutsche
maritime Wirtschaft zu stärken.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822800600


Valerie Wilms erhält nun das Wort für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.


Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822800700

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Wo bin ich hier heute Morgen
gelandet? Alles still und ruhig. Alles nickert vor sich hin.


(Lachen bei der CDU/CSU und der SPD – Christine Lambrecht [SPD]: Sie vielleicht! – Zuruf von der CDU/CSU: Wir sind nicht bei den Grünen!)


Der Maritime Koordinator erzählt uns etwas, bei dem ich
mich frage: Ist das überhaupt noch realitätsbezogen,


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ändern Sie das jetzt einmal durch eine fulminante Rede!)


was aus dem Wirtschaftsministerium in der Scharnhorst-
straße, Ecke Invalidenstraße auftaucht, oder sind Sie in
einer anderen Welt gelandet, Herr Beckmeyer?

Wir haben im maritimen Sektor seit fast zehn Jahren
eine Krise in der Schifffahrt. Was passiert? Was macht
diese große Stillstandskoalition? Sie redet immer wieder
hier im Hohen Hause mit irgendwelchen Sprechblasen
um den heißen Brei herum. Papiere können Sie produ-
zieren, Herr Beckmeyer. Wir wollen Taten sehen, nicht
nur Papiere!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die Grünen sind jetzt wach!)


In der Realität kommt nichts an. Jetzt zum Abschied des
Maritimen Koordinators – in der nächsten Woche dürfte
es Ihre letzte Maritime Konferenz sein – geht es genauso
weiter. So wracken Sie von der Großen Koalition die ma-
ritime Wirtschaft wirklich ab.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Schauen wir uns das einmal im Detail an. Die Schiff-
fahrtskrise wurde nicht angepackt. Hapag-Lloyd macht
deutlich reduzierte Gewinne. Hamburg Süd ist mittler-
weile dänisch. Das wissen wir mittlerweile alles, aber
Sie tun nichts. Die dringend nötige Neuausrichtung der
maritimen Ausbildung wurde verpasst. Mit vernünftigen
Rahmenbedingungen für alternative Treibstoffe in der
Seeschifffahrt lässt die Bundesregierung bis heute auf
sich warten. So darf es nicht weiter gehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Die deutsche maritime Wirtschaft ist eine vielfältige
Branche. Sowohl Häfen als auch Werften oder Reederei-
en zählen dazu. Diese Branche braucht endlich echte
Zukunftsperspektiven für die kommenden Jahre. Mit
dem üblichen Herumfrickeln, liebe Damen und Herren
von der Großen Koalition – auch wenn Sie hier große
Sprüche klopfen, Herr Grosse-Brömer –, ist es nicht ge-
tan. Ein reines Abwickeln der kriselnden Branche darf
es nicht geben. Wir sollten die Krise als Chance für eine
echte Neuaufstellung der Schifffahrtsförderung nutzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Rüdiger Kruse






(A) (C)



(B) (D)


Was machen Sie hingegen? Sie gehen weiter mit der
Fördergießkanne durch das Land. Sie schaffen dann noch
ein neues Forschungszentrum, das sogenannte Deutsche
Maritime Zentrum mit Sitz in Hamburg, von dem nie-
mand weiß, wozu es gebraucht wird und was es eigent-
lich machen soll. Dient es etwa nur zur Wahlkreisbeglü-
ckung in Hamburg, werter Kollege Kruse? Aber den Mut
für wirklich ernsthafte Reformen zeigen Sie hier nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was muss dringend angepackt werden? Durch die
vielen Zukäufe an Schiffsraum in den 1990er- und
2000er-Jahren haben sich Überkapazitäten aufgebaut,
die jetzt nur sehr schwer wieder wegzubekommen sind.
Dadurch stehen die Reeder, die sich an ihrem damaligen
Erfolg, gerade durch Steuersparmodelle getrieben, be-
rauscht haben, vor einem echten Dilemma: Verkaufen sie
die Schiffe, drückt ein anderer Standort die Schiffsmie-
ten. Verkaufen sie sie nicht, hat die Schiffe zwar nicht
der Konkurrenzstandort, die Schiffsmieten bleiben aber
weiterhin im Keller. Somit wurde über Jahre hinweg Mi-
kado gespielt:


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: War das noch unter Rot-Grün?)


Wer sich zuerst bewegt und Schiffsraum entfernt, hat ver-
loren. Heraus, werte Kolleginnen und Kollegen, kommen
wir aus dieser Misere nur, wenn ein Großteil der Schiffe
aus dem Markt verschwindet. Ich sage daher: Verschrot-
ten, verschrotten, verschrotten! Nur so kommen wir aus
der Krise.

Herr Beckmeyer, sorgen Sie mal dafür, dass wir nicht
immer nur neu bauen – Spezialschiffe oder so etwas –,
sondern wir uns ernsthaft mit vernünftigen Abwrack-
werften in Europa, auch in Deutschland, beschäftigen,
anstatt die Schiffe in Bangladesch an den Strand zu schie-
ben und da ausweiden zu lassen. So geht es nicht weiter.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sie wollen unsere Flotte verschrotten?)


Schauen wir als Nächstes auf die Beschäftigten in der
Schifffahrt.


(Zuruf des Abg. Johann Saathoff [SPD])


– Herr Saathoff, Sie kommen nachher noch dran. – Wir
haben hier in Deutschland zwar eine weltweit hoch aner-
kannte Ausbildung von Seeleuten, doch diese bringt uns
nichts – gar nichts. In der internationalen Seeschifffahrt
sind deutsche Seeleute schlichtweg zu teuer.


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Die sind nicht zu teuer, die werden gut bezahlt!)


Damit deutsche Seeleute wieder konkurrenzfähig wer-
den, brauchen wir endlich vernünftige, international kon-
kurrenzfähige Lösungen:


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen auch für Seeleute den internationalen Tarif
anstatt des deutschen Heuervertrages bei gleichzeitiger
Steuer- und Sozialversicherungsfreiheit. So schaffen wir
nämlich, dass die Seeleute vor Ort das Gleiche ausge-

zahlt bekommen, aber wir konkurrenzfähig werden. Das
würde der deutschen Schifffahrt und dem maritimen
Arbeitsmarkt wieder einen kräftigen Schub geben. Die
derzeitige Herumtrickserei und Herumrechnerei mit dem
Lohnsteuereinbehalt durch die Reeder und Ausbildungs-
hilfen von einer Stiftung haben das alles nicht gebracht.

Schaffen wir das noch in dieser Wahlperiode? Ich
glaube, kaum. Sie dauert ja nur noch ein halbes Jahr, Herr
Beckmeyer. In den Ministerien ist die Arbeit größtenteils
bereits zum Erliegen gekommen. Das wird die Aufgabe
einer neuen Bundesregierung sein, dann aber endlich mit
rot-grüner Beteiligung – – dann aber endlich mit grüner
Beteiligung –


(Lachen bei der CDU/CSU und der SPD – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Aha! Aha! Aha!)


vielleicht schaffen wir es ja auch mit Rot-Grün, werte
Kollegen von der Sozialdemokratie –, also: mit einer grü-
nen Beteiligung, damit wir endlich den Blick nach vorne
werfen und nicht immer nur zurück in die Historie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wozu hat die Bundesregierung eigentlich einen Mari-
timen Koordinator? Man hört und sieht immer nur kurz
vor einer Maritimen Konferenz etwas von ihm. Dann
dürfen wir uns in der Sitzungswoche vorher mal hier
schnell mit der maritimen Wirtschaft beschäftigen. Wenn
ich so in die Runde schaue: Allzu viele Kolleginnen und
Kollegen sind dann nicht da.


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD)


– Dann machen wir doch nächstes Mal eine namentli-
che Abstimmung; dann werden es noch mehr. – Sonst ist
der Maritime Koordinator untergetaucht. Kein einziges
Thema hat er aufgegriffen, das die maritime Wirtschaft
wirklich nach vorne gebracht hätte. Stattdessen: Verwal-
tung des Status quo und weder Kraft noch Ideen für einen
zukunftsfähigen maritimen Standort. Seit 2014 liegt das
Thema „maritime Wirtschaft“ in der Bundesregierung
brach. Maßnahmen zur Förderung der Schifffahrtskrise:
wirklich Fehlanzeige! Kann eine inhaltsleere und kaum
greifbare Maritime Agenda von Herrn Beckmeyer mit
vielen, vielen Seiten wirklich eine Antwort auf die Kri-
se sein? Hier hätte ich in solchen Zeiten schon deutlich
mehr erwartet als Worthülsen und Sonntagsreden.

Schauen wir uns ein weiteres Beispiel an. Für eine
umweltfreundliche Schifffahrt brauchen wir dringend
neue Kraftstoffe, weg vom giftigen und schmutzigen
Schweröl. Wir Grüne denken hier an LNG, also verflüs-
sigtes Erdgas.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ja, ist auch Teil der Strategie!)


Die schädlichen Abgase sind deutlich reduziert. Zukünf-
tig könnte der Treibstoff auch über Power to Gas, also
etwa aus erneuerbaren Energien, erzeugt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Doch auch damit tut sich die Bundesregierung verdammt
schwer. Damit LNG als Treibstoff in den Häfen einfach
gebunkert werden kann, benötigen wir eine Anpassung

Dr. Valerie Wilms






(A) (C)



(B) (D)


von Regelungen, und zwar einheitlich. Aber jeder Ha-
fen erfindet stattdessen die Welt neu. Jetzt kündigen Sie
an, LNG über den Bundeshaushalt zu fördern. Das passt
aber nicht mit dem Flickwerk an Regularien in den Hä-
fen zusammen. Sobald die ersten Schiffe in den Häfen
LNG bunkern wollen, stehen sie vor unlösbaren Geneh-
migungsproblemen.

Das Beispiel der LNG-Barge im Hamburger Hafen sei
hier als eines von vielen genannt. Das ist ein Schiff ohne
eigenen Antrieb, mit einer sauberen Stromerzeugung aus
LNG an Bord. Es soll Kreuzfahrtschiffe mit sauberem
Strom versorgen. Und es muss jetzt, wenn es benutzt
wird, Tag und Nacht von einem Schlepper bewacht wer-
den. Hier müssen wir doch einmal zu pragmatischen und
vor allem bundeseinheitlichen Lösungen kommen. Ho-
senträger und Gürtel für einige ängstliche lokale Beden-
kenträger braucht es nun wirklich nicht.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822800800

Frau Kollegin.


Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822800900

Werter Herr Präsident, ich komme zum Ende. Sie ha-

ben schon gesehen, dass ich in meinem Manuskript wei-
ter nach vorne geblättert habe. Ich hätte noch ein paar
mehr Beispiele.


(Heiterkeit bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822801000

Das ist sehr beruhigend.


Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822801100

Um meine Ausführungen zu Ende zu bringen: Es wird

nun darauf ankommen, dass die lieben Kolleginnen und
Kollegen, die in der nächsten Wahlperiode dabei sind,
den Scherbenhaufen, den der Maritime Koordinator hin-
terlassen hat, aufkehren und aus dem Thema etwas ma-
chen. Es gibt wirklich genug zu tun. Packen wir es an!
Holen Sie den Maritimen Koordinator vom Katzentisch
im Wirtschaftsministerium ins Kanzleramt oder zumin-
dest ins Verkehrsministerium!


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ins Bundespräsidialamt!)


Da gehört er hin. Dann passiert auch endlich etwas.

Herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822801200

Nun haben Sie, Frau Wilms, beinahe den hohen Wel-

lengang in der Debatte verursacht, den Sie zu Beginn
vermisst haben. Wollen wir einmal schauen, wie es wei-
tergeht.

Kollege Stein ist für die CDU/CSU-Fraktion der
nächste Redner.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Stein (CDU):
Rede ID: ID1822801300

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Frau Kollegin Wilms, mit ein paar Punkten, die Sie
genannt haben, kann man durchaus in die Diskussion
gehen, aber 80 Prozent Ihrer Rede hat Ihnen wohl der
Klabautermann geschrieben.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Der Stimmung war das jedenfalls zuträglich.

Navigare necesse est – das ist der Leitspruch der Han-
se, und er gilt noch heute. Schiffe bauen, Waren transpor-
tieren, Menschen transportieren, Ozeane und Kontinente
erkunden, Fischfang, Rohstoffe und erneuerbare Energie,
all das gehört heute zur maritimen Wirtschaft, und das
wirkt nicht nur an den Küsten, das wirkt bis tief ins Hin-
terland, das wirkt in die ganze Welt. Unsere deutsche ma-
ritime Wirtschaft hat also eine große gesamtwirtschaftli-
che Bedeutung, und deshalb liegt Ihnen heute dieser sehr
umfangreiche Antrag der CDU/CSU-geführten Koaliti-
on vor. An dieser Stelle möchte ich meinen besonderen
Dank an Rüdiger Kruse und an diejenigen richten, die da-
ran mitgewirkt haben. Und ja, Herr Behrens: Der Antrag
enthält 78 Punkte. Die waren richtig fleißig.


(Beifall bei der CDU/CSU – Herbert Behrens [DIE LINKE]: Aber Substanz wäre auch nicht schlecht gewesen!)


Wir bekräftigen noch einmal das Engagement der
Bundesregierung auf dem Weg der Umsetzung der Mari-
timen Agenda 2025. Schätzungen gehen von einem jähr-
lichen Umsatzvolumen in der maritimen Branche von
etwa 50 Milliarden Euro und von geschätzt 400 000 Ar-
beitsplätzen aus, die direkt oder indirekt in der maritimen
Branche angesiedelt sind. Auch die Bedeutung für den
Außenhandel ist enorm. Etwa 60 Prozent der Warenex-
porte und ein Großteil der Rohstoffexporte gehen über
den See- und Wasserweg, bei überseeischen Transporten
sind es sogar 90 Prozent.

Unsere maritime Wirtschaft, die See- und Binnen-
schifffahrt, der Schiffbau, sie alle sind aufs Engste mit
der Entwicklung des Welthandels und der Logistikwirt-
schaft verbunden. Auch das zeigt die besondere Stellung
der maritimen Branche. Wir sind in diesem Bereich, wie
wahrscheinlich in keiner anderen Branche, von globa-
len Ereignissen, von Veränderungen und Konjunktur-
schwankungen abhängig. Das ist der Grund, warum sich
die Bundesregierung und auch die Koalitionsfraktionen
die ganze Legislaturperiode über vehement damit be-
schäftigt haben, der Branche die Unterstützung zu geben,
die sie braucht.

An den norddeutschen Küsten, so auch in meinem
Bundesland Mecklenburg-Vorpommern und in meinem
Wahlkreis Rostock, sind Häfen die Logistikdrehschei-
be und auch der Wachstumsmotor für eine brummende
Wirtschaft insgesamt. Wir haben die Voraussetzungen
zur Neuauflage des Förderprogramms Innovative See-
hafentechnologien beim Bundesverkehrsministerium
neu geschaffen. Auch die Gesamtsituation der Werften
hat sich glücklicherweise stabilisiert. Innovation sowie
Forschung und Entwicklung sind dabei der Schlüssel.

Dr. Valerie Wilms






(A) (C)



(B) (D)


Unsere gute Ausbildung, unsere Innovationskraft und
die jahrelange feste politische Begleitung und auch der
feste Wille, unsere Werftstandorte durch alle Tiefen zu
begleiten und zu erhalten, haben dazu geführt, dass die
Auftragsbücher derzeit wieder voll sind. Das erhält Ar-
beitsplätze. Forschung und Innovation schafft einen
Markt, aber braucht auch einen Markt, braucht Aufträge.
Deshalb gilt ein Teil unserer Aufmerksamkeit dem mili-
tärischen Teil der maritimen Industrie. Unsere Deutsche
Marine und unser Schiffbau sind eine Kernkompetenz
der nationalen Verteidigung.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Neben den Aufträgen aus der Marine trägt insbe-
sondere der Boom im Kreuzfahrttourismus zu einem
Aufwuchs in der Branche bei. Gerade in diesen beiden
Bereichen des Werftbaus hat Deutschland höchste Tech-
nologie, erstklassige Qualität und hervorragende Fach-
kräfte zu bieten. Das Beispiel Mitsubishi zeigt, wie man
sich verheben kann; man hatte technologisch zwar alles
im Griff, aber wirtschaftlich wurde das Projekt völlig
versenkt. Das können wir besser.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Auch im Spezialschiffbau, in der Tiefseetechnologie
oder bei Offshoreprodukten sind wir quantitativ und
technologisch führend. Das wollen wir erhalten. Deshalb
haben wir die Innovationsförderung im vergangenen Jahr
im Bereich Schiffbau und Meerestechnik vorangetrieben
und den Mittelansatz des Bundes um 10 Millionen Euro
erhöht. Das stärkt die technologische Entwicklung unse-
rer Werften und bei unseren Zulieferern. Das ist unsere
Kontinuität.

Auch die konkrete Umsetzung des Bundesverkehrs-
wegeplans habe ich im Blick. Generell sollten Bund und
Länder gemeinsam auf eine enge Kooperation in der
Planung setzen und diese wirksam werden lassen. Das
gilt insbesondere für das notwendige Personal. Im Be-
reich der Wasserstraßen hat beispielsweise die Seeka-
nalvertiefung in Rostock auf die notwendige Tiefe von
16,5 Metern Priorität im Vordringlichen Bedarf. Auch die
Fahrrinnenvertiefung in Wismar ist bestätigt. Herzlichen
Dank an alle, auch an die Haushälter, die dazu beigetra-
gen haben, dies zu erreichen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Im Zusammenhang mit dem Nationalen Hafenkon-
zept haben wir ein 350 Millionen Euro schweres Aus-
bauprogramm für Schienenanbindungen aufgelegt. Der
Abschluss dieser Maßnahmen ist auch ein Bekenntnis
des Bundes, dass die Schiene weiterhin ein wichtiger Teil
des kombinierten Ladungsverkehrs ist. Dadurch werden
unsere Fährstandorte gestärkt.

Die Häfen als Jobmotor fördern wir mit einer geziel-
ten Qualifizierung von zusätzlich 1 000 Facharbeitern.
Wir unterstützen die Digitalisierung der Hafenwirtschaft
durch ein Programm für innovative Verkehrstechnologi-
en. Wir denken bereits heute daran, das Förderprogramm
Innovative Hafentechnologien über das Jahr 2020 hinaus
zu verlängern. Auch das ist Teil unseres Antrages. Auch
das ist Kontinuität.

Den Ansatz zur Fortschreibung der Mobilitäts- und
Kraftstoffstrategie und der Förderung der alternativen
Kraftstoffe haben wir um 8 Millionen Euro erhöht. Wei-
tere 6 Millionen Euro gehen in den Aufbau einer Tank-
und Ladeinfrastruktur im Bereich der alternativen Kraft-
stoffe und – Frau Wilms, Sie haben das angesprochen – in
den prioritären Aufbau der LNG-Hafeninfrastrukturen
an unseren Nord- und Ostseehäfen. Auch bundeseigene
Schiffe werden – das ist vom Bund in Auftrag gegeben –
auf LNG umgestellt. Das hat Vorbildcharakter. Auch das
zeichnet unsere maritime Politik aus.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir reden nicht nur von Technologieoffenheit, son-
dern wir schreiben sie auch fest, so auch in diesem An-
trag. Es sollen weitere Optionen für umweltfreundliche
Antriebe geprüft werden, insbesondere Elektroantriebe.
Aber auch Wasserstoff halte ich für eine sehr interessante
Option für die Zukunft der Schifffahrt.

Zuletzt möchte ich den zunehmend wichtiger werden-
den Bereich der Hafen- und Schiffssicherheit ansprechen.
In den Segmenten der Terrorabwehr, der Sicherheit der
Seewege, der Arbeitssicherheit der Crews, des Umwelt-
schutzes, aber auch beim Kampf gegen Schmugglerei,
Piraterie und Menschenschiebereien tragen Forschung
und Entwicklung in unserer maritimen Branche global
erheblich zu Verbesserungen bei.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Schluss:
Die maritime Wirtschaft steht in der Wahrnehmung im-
mer ein wenig im Schatten des Automobilbaus. Da ge-
hört sie definitiv nicht hin.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Schifffahrt hat schon vor Tausenden von Jahren Mas-
sen bewegt und große Entfernungen überwunden, und
das mit erneuerbarer Energie als Antrieb. Da muss der
Automobil- und Flugzeugbau erst einmal noch hinkom-
men – und der Schiffbau wieder. Stimmen Sie mit uns
für diesen Antrag! Stärken Sie so die deutsche maritime
Wirtschaft, nicht nur weil sie es braucht, sondern weil sie
es verdient!

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822801400

Das Wort hat der Kollege Johann Saathoff für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johann Saathoff (SPD):
Rede ID: ID1822801500

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Frau Wilms, viele, viele Worte
habe ich von Ihnen gehört, aber kein Wort zu Ihrem eige-
nen Antrag. Vielleicht ist das auch besser so, aber wenn
ich schon einen Antrag einbringe, dann würde ich darü-
ber schon etwas erzählen. Stattdessen führen Sie hier im

Peter Stein






(A) (C)



(B) (D)


Deutschen Bundestag eine Privatfehde mit dem Mariti-
men Koordinator.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dabei gehe ich davon aus, dass es in ganz Deutschland
keinen Maritimen Koordinator gibt, der Ihre Zustim-
mung finden würde – keinen außer vielleicht Sie selber.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das einzig Tolle an Ihrer Rede war aus meiner Sicht, dass
Sie eine rot-grüne Perspektive aufzeigen wollten, aller-
dings aus Versehen. An uns, liebe Frau Wilms, liebe Kol-
leginnen und Kollegen von den Grünen, soll das nicht
liegen. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg, dass das mit Ihrem
Beitrag anschließend auch klappt.


(Beifall bei der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wi stahn d’för, wi
mutten d’dör, sagt man bei uns in Ostfriesland, wenn
man vor großen Herausforderungen steht, diese mutig
angehen möchte, ohne zu zögern. Mit diesem Satz habe
ich meine erste Rede in dieser Legislaturperiode begon-
nen. Dieser Satz gilt auch heute noch. Große Aufgaben,
insbesondere bei der Digitalisierung und der Automati-
sierung, liegen vor der maritimen Wirtschaft, Herausfor-
derungen insbesondere für die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer in den Häfen und auf See.

Mein erster Job im Leben war Lascher im Emder Ha-
fen, also Autos im Schiff festzubinden; so kann man das
für die Landratten hier unter uns erklären. Daher kann ich
sagen: Auf die Arbeit in und um die Häfen kommen enor-
me neue Aufgaben zu, und diese Arbeit wird sich maß-
geblich verändern. Diese Herausforderung können wir
nur gemeinsam mit den Sozialpartnern angehen. Eines ist
klar: Wir wollen eine starke maritime Wirtschaft. Sie ist
von zentraler Bedeutung für die Exportnation Deutsch-
land, gerade auch angesichts der Renationalisierungs-
tendenzen, die weltweit einsetzen, sich aber hoffentlich
nicht durchsetzen werden. Wir wollen eine starke mariti-
me Wirtschaft. Sie bedeutet Wertschöpfung und Arbeits-
plätze für ganz Deutschland, nicht nur für den Norden.

Mit dem Koalitionsvertrag und der Maritimen Agenda
setzen wir die notwendigen Rahmenbedingungen, um die
maritime Wirtschaft zukunftsfähig zu gestalten und um
Wertschöpfung und Beschäftigung in den deutschen Hä-
fen zu sichern. Wir wollen zum Beispiel das Förderpro-
gramm für den innovativen Schiffbau verstetigen. Der
Erfolg der deutschen Werften ist der klaren Ausrichtung
auf Spezialschiffbau zu verdanken. Es geht den deut-
schen Werften im weltweiten Vergleich relativ gut. In
den Werften findet Hochtechnologie statt, und das wol-
len wir fördern. Zur Hochtechnologie gehören auch gute
Arbeitsplätze und gute Arbeitnehmer,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Gute Arbeitgeber natürlich auch!)


die Menschen also, die Hochtechnologie erst möglich
machen. Holdings zu gründen und die Sitze außerhalb
Deutschlands einzurichten – das will ich an dieser Stelle

auch klar sagen –, passt allerdings nicht in dieses Bild.
Die Menschen, die die Hochtechnologie möglich ma-
chen, sind auch in Fragen der Mitbestimmung bestens
geeignet und zu gebrauchen. Das können Sie mir glau-
ben.


(Beifall bei der SPD)


Die Stärke der maritimen Wirtschaft hängt ganz zen-
tral von einer intakten Infrastruktur ab. Der Ausbau von
seewärtigen Zufahrten und Hafenhinterlandanbindungen
sowie der Breitbandausbau in den Häfen müssen weiter
forciert werden. Dabei liegt mir persönlich natürlich der
westlichste Hafen, der Seehafen Emden, ganz besonders
am Herzen. Ich freue mich, dass das bei Ihnen auch so ist.

In unserem letzten Koalitionsantrag im Oktober 2015
haben wir bereits wegweisende Entscheidungen getrof-
fen, die ein klares Bekenntnis zur deutschen Flagge dar-
stellen. Wir haben auch die Überprüfung mit beschlos-
sen – ich bin froh, dass der Maritime Koordinator darauf
hingewiesen hat –, ob diese Maßnahmen anschließend
fruchten. Es wäre natürlich wünschenswert, dass die
deutsche Flagge anfängt zu wachsen, bevor die ersten
Schiffe autonom und ohne Besatzung fahren.

Das Bekenntnis zur deutschen Flagge ist für mich
auch ein Bekenntnis zum Maritimen Bündnis. Nur im
Dialog mit allen Beteiligten an einem Tisch kann die ma-
ritime Branche zukunftsfähig gestaltet werden. Deswe-
gen geht mein Dank in diesem Zusammenhang an Uwe
Beckmeyer für seine Arbeit als Maritimer Koordinator.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich danke ihm für die Ausrichtung der Maritimen Konfe-
renzen, für die Erarbeitung der Maritimen Agenda 2025
und vor allen Dingen für den kontinuierlichen, unermüd-
lichen und manchmal sicher auch leidvollen Dialogpro-
zess mit allen Beteiligten.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822801600

Herr Saathoff, darf der Kollege Behrens Ihnen zwi-

schendurch eine Frage stellen?


Johann Saathoff (SPD):
Rede ID: ID1822801700

Herr Präsident, mit größtem Vergnügen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822801800

Das habe ich mir fast gedacht. – Bitte schön.


Herbert Behrens (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822801900

Vielen Dank. – Kollege Saathoff, Sie haben eben das

Maritime Bündnis erwähnt. Sie haben sicherlich zur
Kenntnis genommen, dass das Maritime Bündnis – zu-
mindest was den Bündnispartner Gewerkschaften be-
trifft – eigentlich tot ist. Die Gewerkschaften haben für
sich Folgendes festgestellt: Sie haben über Jahre ver-
sucht, zusammen mit Unternehmern und mit der Bun-
desregierung eine gemeinsame Wende hinzubekommen,
aber am Ende haben die Beschäftigten den Kürzeren ge-

Johann Saathoff






(A) (C)



(B) (D)


zogen und eine Umverteilung zulasten der Steuerzahler
und zugunsten der Reeder beobachten müssen. Wovon
sprechen Sie, wenn Sie von einer Fortsetzung des Mariti-
men Bündnisses sprechen?


(Beifall bei der LINKEN)



Johann Saathoff (SPD):
Rede ID: ID1822802000

Herr Kollege Behrens, es ist in der Wirtschaft ganz

normal, dass es Zeiten gibt, in denen man auf hervorra-
gender Ebene zusammenarbeiten kann, und dass es Zei-
ten gibt, in denen es schwierig ist, zusammenzuarbeiten.
Der Kern der Schwierigkeiten wurde ja sozusagen auf
der letzten Maritimen Konferenz geboren. Da ging es gar
nicht darum, was beschlossen worden ist, sondern um die
Art und Weise, wie es verkündet worden ist. Wir waren
damals beide anwesend. Trotzdem ist es so – zumindest
aus meiner Sicht –, dass man deshalb nicht von einem
Tod des Bündnisses sprechen kann, sondern ganz im Ge-
genteil: Gerade wenn die Zeiten schlecht sind, muss man
sich zusammenraufen und versuchen, den Dialog mitei-
nander zu halten. In der SPD-Küstengang machen wir
das regelmäßig, indem wir zum Beispiel versuchen, die
Potenziale abzustecken, auf welcher Basis man wieder
zueinander kommen kann, und zu schauen, wie man das
Maritime Bündnis wieder zu dem machen kann, was es
ursprünglich einmal war bzw. wozu es gedacht ist. Die
Gespräche, die wir geführt haben, lassen mich voller
Hoffnung sein, dass das in Zukunft wieder auf einer ver-
nünftigen Basis vorangeht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich halte es für
richtig, dass die Maritimen Konferenzen, die ihren Ur-
sprung in Emden gehabt haben, weiter geführt werden.
Hochtechnologie wie im Schiffbau gibt es auch in der
Offshorewindindustrie. Sie sorgt auch für Wertschöp-
fung und Arbeitsplätze, und zwar in ganz Deutschland.
Die Offshoreindustrie hat gezeigt, welche Chancen die
Generationenaufgabe der Energiewende mit sich bringt.

Die Ziele der Energiewende gelten jedoch nicht nur
für die Offshoreindustrie, sondern sie gelten zugleich für
die maritime Branche. Hier müssen Beiträge geleistet
werden, damit wir die Klimaziele in Paris auch erreichen
können. Alternative Antriebe spielen eine entscheidende
Rolle. Insbesondere Green Shipping ist ins Zentrum der
Aufmerksamkeit gerückt. LNG-Antriebe haben große
klimapolitische Potenziale. Das muss unbedingt geför-
dert und ausgebaut werden.

Auch Elektromobilität wird eine immer wichtigere
Rolle spielen. Insbesondere beim Fährverkehr und in der
Binnenschifffahrt, aber auch beim Hafenumschlag und
-transport wollen wir Elektromobilität verstärkt fördern.
Der Bund sollte bei öffentlichen Beschaffungen mit gu-
tem Beispiel vorangehen und diese Schiffe mit alternati-
ven Antrieben ausstatten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Sprichwort gilt:
Wi stahn d’för, wi mutten d’dör. Die maritime Wirtschaft
steht vor großen Herausforderungen. Digitalisierung und
Industrie 4.0 werden die Branche nachhaltig prägen.

Ich möchte mich abschließend herzlich bedanken bei
meiner Kollegin Birgit Malecha-Nissen und bei Herrn
Kruse für die gute Zusammenarbeit bei der Erarbeitung
des vorliegenden Antrags, an dem zehn Arbeitsgruppen
mitgewirkt haben. Das allein zeigt schon, dass viele Kol-
leginnen und Kollegen daran interessiert sind.

Ich freue mich weiterhin auf die gute Zusammenarbeit
und die Kooperation mit dem Bundeswirtschaftsminis-
terium einerseits und dem Verkehrsministerium anderer-
seits zum Wohle der maritimen Wirtschaft in Deutsch-
land.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822802100

Philipp Murmann erhält nun das Wort für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Philipp Murmann (CDU):
Rede ID: ID1822802200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich

auch noch ein Glas Wasser bekommen könnte, wäre das
ganz toll.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822802300

Das ist jedenfalls bis zum Ende der Rede zugesagt, ja.


(Heiterkeit – Dem Redner wird ein Glas Wasser gebracht)



Dr. Philipp Murmann (CDU):
Rede ID: ID1822802400

Ganz toll, vielen Dank. Ich habe einen wahnsinnig tro-

ckenen Mund.


(Zuruf von der Regierungsbank: Und das bei dem Thema!)


– Und das bei diesen großartigen Reden. Das ist eigent-
lich verwunderlich.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822802500

Sie haben sich aber vergewissert, dass es kein Salzwas-

ser ist?


(Heiterkeit)



Dr. Philipp Murmann (CDU):
Rede ID: ID1822802600

Nein, aber auch damit würde ich zurechtkommen.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Frau Wilms, eines hat man Ihnen angemerkt: Oppo-
sition macht Ihnen richtig Spaß. Das sollte vielleicht
so bleiben, vor allen Dingen wenn ich die Kernthemen
Ihrer maritimen Politik zusammenfasse: Verschrotten,
verschrotten, verschrotten, und was noch übrig ist ver-
senken.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herbert Behrens






(A) (C)



(B) (D)


Das, denke ich, kann nicht die Zukunft der maritimen
Wirtschaft in Deutschland sein. Deswegen, meine Da-
men und Herren, ist es gut, dass wir Maritime Konferen-
zen haben.

Die 9. Maritime Konferenz im vorletzten Jahr war
auch von den Themen geprägt, die aus unserem Antrag
hervorgegangen sind. Der Bundesverkehrswegeplan hat
viele Elemente für die maritime Wirtschaft, die wir mit
eingebracht haben: Nord-Ostsee-Kanal, Hafenhinterlan-
danbindungen, aber auch seewärtige Zufahrten. Wir ha-
ben das Nationale Hafenkonzept mit 155 Einzelmaßnah-
men. Auch das LNG-Förderprogramm für Greentech, ein
wichtiges Element, wurde schon angesprochen. Insofern
haben wir schon sehr stark mit dazu beigetragen, dass
sich in diesem maritimen Bereich etwas tut.

So soll es natürlich auch bei der 10. Maritimen Kon-
ferenz in Hamburg sein, die nun vor uns liegt. Man muss
ehrlich sagen, Herr Beckmeyer: Die Erwartungen der
Branche sind nicht so euphorisch. Sie hätte sich etwas
mehr Dialog, wie es bei der 9. Maritimen Konferenz war,
gewünscht.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Aha! Jetzt kommen wir der Sache näher! Das haben wir genau gesagt!)


Aber wir haben die Chance, das bei der Maritimen Kon-
ferenz mit Dynamik und Angriffslust zu beleben.

Wir haben einen neuen Antrag gestellt. Herzlichen
Dank dafür an Rüdiger Kruse und Herrn Saathoff als die
beiden Federführer für unsere Fraktionen. Ich denke, es
sind sehr viele interessante Sachen herausgekommen.
Auf einige möchte ich gern im Detail noch eingehen.

Das Deutsche Maritime Zentrum wurde angespro-
chen. Ich meine, das ist eine sehr sinnvolle Sache. Ich bin
froh, dass sich das Verkehrsministerium jetzt der Sache
angenommen hat, das auch umzusetzen.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit überhaupt was dabei rauskommt!)


Wir haben eine sehr breit aufgestellte Branche im ma-
ritimen Bereich: Häfen, Logistik, Lotsen, Werften, Ree-
der, Schiffstechnologien, Antriebe, Navigation, Mee-
res-Offshore-Technologie bis hin zu Bootsbauern mit
sehr neuen Materialien. Sie kennen diese Trimarane. Das
sind Hightechgeräte, die jetzt beim America’s Cup se-
geln. Auch solche Schiffsbauer gibt es in unserem Land.
Auch sie müssen wir mitnehmen. Das Deutsche Mariti-
me Zentrum hat die Chance, das alles zu koordinieren
und auch die Standards auszubauen, über die am Ende in
der IMO entschieden wird. Um in der IMO eine starke
Stimme zu haben, ist es, denke ich, gut, wenn eine mög-
lichst umfassende Koordination stattfindet. Deswegen
bin ich dafür, dass wir das Deutsche Maritime Zentrum
einrichten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Drei Themen aus unserem Antrag möchte ich kurz
aufgreifen:

Erstes Thema. Systemfähigkeit ist eine Kernkompe-
tenz der deutschen maritimen Wirtschaft. Es geht näm-
lich nicht nur darum, gute Komponenten zu fertigen,
sondern auch darum, daraus ein in sich optimiertes Sys-
tem zu machen. Deswegen haben wir schon vor langer
Zeit gefordert – es ist natürlich unsere Bitte, dass das
auch umgesetzt wird –, die Systemfähigkeit zu stärken
und den Überwasserschiffbau wieder zu einer Kernkom-
petenz zu erklären, sowohl im Verteidigungsbereich als
auch in anderen Bereichen. Denn wir leben in großem
Umfang davon, dass wir aus Hightechkomponenten Sys-
teme bauen, die auch wettbewerbsfähig sind.

Was die Wettbewerbsfähigkeit betrifft, Herr Behrens,
sollten Sie vielleicht einmal mit Ihren Kollegen von der
Kommunistischen Partei in China darüber sprechen, wie
man das Thema „Maritime Wirtschaft“ dort bearbeitet.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das machen Sie doch öfter als wir!)


– Ich habe mit denen noch nie gesprochen.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Aber Ihre Partei!)


Das Problem, das wir haben, ist, dass wir bei uns eine
mittelständische Wirtschaft haben, die mit Staatskonzer-
nen im Wettbewerb steht. Das ist übrigens nicht nur in
China so, sondern auch in Frankreich und zum Teil in
Italien. Das alles sind staatliche Firmen. Hier trägt na-
türlich auch die Politik die Verantwortung, die Rahmen-
bedingungen für unsere Firmen so zu setzen, dass sie in
diesem Wettbewerb bestehen können. Deswegen ist die
Systemfähigkeit ein wesentliches Element.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zweiter Punkt: das nationale Meeresforschungs-
zentrum. Auch dies ist aus meiner Sicht eine sinnvol-
le Initiative. Wir haben in Deutschland im Bereich der
Meeresforschung eine hervorragende wissenschaftliche
Kompetenz. Das ganze Thema „Bewältigung des Klima-
wandels“ lässt sich eben nur im Rahmen einer vernetzten
Kommunikation richtig angehen. Dazu zählt die deutsche
Forschungsflotte, die wir unterstützen und ausbauen.


(Beifall des Abg. René Röspel [SPD])


Aber dazu gehören natürlich auch die Umweltbeobach-
tung und heutzutage vor allen Dingen in der Meeresfor-
schung die Dateninfrastruktur bzw. die Vernetzung von
Daten.

Ein drittes wichtiges Thema ist für mich als Finanz-
politiker die Einfuhrumsatzsteuer. Dies ist vielleicht ein
etwas spezielles Thema, aber Sie müssen sich einmal
Folgendes vorstellen: Wenn man mit dem Schiff nach
Rotterdam fährt, kann man mit dem Container, den man
an Bord hat, einfach in den Hafen hineinfahren. Man
muss nicht erst Umsatzsteuer bezahlen und dann zwei
Monate warten, bis man sie zurückbekommt, sondern
man kann sie sofort mit der Vorsteuer verrechnen. Das ist
für deutsche Häfen ein großer Nachteil. Deswegen ist un-
sere Bitte ans Finanzministerium, diesen Wettbewerbs-
nachteil für deutsche Häfen wie Hamburg, Emden oder
Bremerhaven zu beseitigen. Die Einfuhrumsatzsteuer ist
übrigens auch unnötig, weil sie am Ende gar kein Geld

Dr. Philipp Murmann






(A) (C)



(B) (D)


bringt. Dass die Schiffe aus diesem Grund nach Rotter-
dam fahren – es gibt solche Beispiele –, ist wirklich sinn-
los. Deswegen sollten wir auch dieses Thema angehen,
meine Damen und Herren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Letzter Punkt. Die Stärkung der maritimen Wirtschaft
ist eine nationale Aufgabe. Deswegen hätte ich mir ei-
gentlich erhofft, dass etwas mehr Bayern hier wären.
Einige Baden-Württemberger sind ja immerhin da. Dort
ist die Wertschöpfung im maritimen Bereich nämlich
besonders hoch. Der Küstenkreis war im letzten Jahr in
Friedrichshafen, um hier ein Signal zu setzen; ich glaube,
das ist auch gut angekommen. Die Stärkung der mariti-
men Wirtschaft ist, wie gesagt, eine nationale Aufgabe.
Ich bitte Sie alle, intensiv daran mitzuwirken und unseren
Antrag zu unterstützen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822802700

Nun hat für die SPD-Fraktion die Kollegin Dr. Birgit

Malecha-Nissen das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Birgit Malecha-Nissen (SPD):
Rede ID: ID1822802800

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Geisterschiffe
haben seit jeher die Fantasie der Menschen beflügelt. Die
bekannteste Legende ist sicherlich die vom fliegenden
Holländer, von einem Kapitän, dessen Gotteslästerung
sein Schiff zum ewigen Kreuzen auf den Weltmeeren
verdammte. Künftig könnten Geisterschiffe jedoch nicht
sagenumwoben, sondern als Containerriesen dem Hori-
zont entgegenfahren: ohne Kapitän, ohne Besatzung an
Bord, stattdessen ferngesteuert von einem Terminal und
einer Kapitänin bzw. einem Kapitän am Bildschirm. Das
wäre familienfreundlich. Nach der Schicht könnte man
nach Hause oder zum Sport gehen oder sein Kind von
der Kita abholen. Das hört sich jetzt noch nach Scien-
ce-Fiction an, ist aber in der Entwicklung – das wissen
viele von Ihnen –, und die grundlegende Technik dafür
gibt es bereits.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn das au-
tonome Fahren noch Zukunftsmusik ist – da stehen noch
viele rechtliche Fragen im Raum –, ist Fakt: Digitalisie-
rung und Automatisierung schreiten immer rasanter vor-
an, und sie werden die Arbeitswelt revolutionieren.

Bereits jetzt ist mehr möglich, als sich der Einzelne
vielleicht vorstellen kann. Hier wollen wir gewappnet
sein. Deshalb ist die Ausrichtung der anstehenden 10. Na-
tionalen Maritimen Konferenz auf das Schwerpunktthe-
ma Digitalisierung genau am Puls der Zeit. Ich danke
unserem Maritimen Koordinator, Uwe Beckmeyer, für
diese Weitsicht.

Mit unserem Koalitionsantrag setzen wir einen Mei-
lenstein zur Sicherung und zum Ausbau unserer Markt-
führerschaft und unseres maritimen Know-hows sowie

zur Sicherung von Arbeit und Beschäftigung. Mein Dank
geht auch an alle Kolleginnen und Kollegen, die mitge-
arbeitet haben, ganz besonders natürlich an meinen Kol-
legen von der CDU, Rüdiger Kruse, und meinen Ko-Lot-
sen aus der Küstengang, Johann Saathoff.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was ihr in der SPD alles habt!)


Tatsache ist, dass wir vor wirklich schwierigen Zeiten
stehen und dass sich die deutsche Handelsflotte seit 2013
um mehr als 20 Prozent reduziert hat. Auch die Zahl der
Schiffe unter deutscher Flagge hat weiter abgenommen.

Zur Sicherung von Arbeit und Beschäftigung haben
wir auf der Maritimen Konferenz 2015 entsprechende
Maßnahmen vereinbart, wie zum Beispiel die Erhöhung
des Lohnsteuereinbehalts von 40 Prozent auf 100 Pro-
zent.


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Und die Folge waren noch weniger Schiffe unter deutscher Flagge!)


Man muss sich nun die Frage stellen, ob das auch ziel-
führend ist. Deshalb wird es im Jahre 2020 eine Evaluie-
rung mit scharfem Blick auf Arbeit und Beschäftigung an
Land und auf See geben.

In diesem Zusammenhang weise ich ausdrücklich auf
die Änderung der Schiffsbesetzungsverordnung und die
Reduzierung von fünf auf zwei europäische Seeleute hin.
Der Verband Deutscher Reeder hat sich im Gegenzug in
einer Vereinbarung mit dem Bundesverkehrsministerium
verpflichtet, die Anzahl der deutschen und europäischen
Seeleute zu stabilisieren und zu steigern. Auch das muss
auf den Prüfstand. Auch hier steht eine Evaluierung an,
und zwar 2020. Um es ganz klar zu sagen: Die Anzahl
der Schiffe unter deutscher Flagge sagt nicht direkt etwas
über die tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse aus.

Diese Änderung der Schiffsbesetzungsverordnung ist
ohne den Sozialpartner getroffen worden. Deswegen ist
Verdi aus dem Maritimen Bündnis für Ausbildung und
Beschäftigung ausgestiegen. Das ist sehr schade, jedoch
verständlich. Unser Ziel ist – das hat mein Kollege Johann
Saathoff ja auch ganz klar dargestellt –, alle Bündnispart-
ner wieder an einen Tisch zu bekommen; denn mit Blick
auf die Arbeit von morgen kann die Antwort nur heißen:
Ausbildung, Weiterbildung und Qualifizierung. Dafür
brauchen wir starke Tarifpartner und alle an Bord.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss kom-
me ich noch zu einem anderen Thema: Mir persönlich
liegt der Klimaschutz sehr am Herzen. Ich bin Anraine-
rin einer Hafenstadt, nämlich der Hafenstadt Kiel. Mit
Blick auf gute Luft in den Hafenstädten und mit Blick
auf die Feinstaubbelastung ist für mich „Landstrom“ das
Zauberwort. Deshalb ist die Ermäßigung – besser noch
der Wegfall – der EEG-Umlage für die Landstromver-
sorgung von Schiffen während der Liegezeiten dringend
notwendig. Das ist mein Ziel für die nächste Legislatur-
periode.

Dr. Philipp Murmann






(A) (C)



(B) (D)


Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822802900

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Hans-Werner Kammer für die CDU/CSU-Frak-
tion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Hans-Werner Kammer (CDU):
Rede ID: ID1822803000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kol-

leginnen und Kollegen! Herr Kollege Stein, das Wort
„Klabautermann“ habe ich in der CDU/CSU-Fraktion
für mich geschützt.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie haben aber recht: Bei den Beiträgen der Opposition
darf man es durchaus verwenden.

Bei der Rede des Kollegen Behrens von den Linken
habe ich nicht verstanden, in welchem Land, auf welcher
Welt er überhaupt lebt. Der Redebeitrag war nicht einmal
des Klabautermanns würdig.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Nein? Wieso? – Herbert Behrens [DIE LINKE]: Dann zählen Sie die Fakten auf, Herr Kammer!)


Zum Thema selbst: Es herrscht raue See für die mari-
time Wirtschaft. Gerade jetzt, da sich die Schifffahrt nach
langer Krise in einer Konsolidierungsphase befindet,
bricht der Markt für den Schiffbau ein. Seit 2013 ist der
Umfang an Schiffbauaufträgen weltweit um 75 Prozent
eingebrochen. Die deutschen Werften sind trotzdem noch
gut im Geschäft, weil sie im Frachtschiffbau keine große
Rolle spielen.

Die maritime Wirtschaft umfasst aber mehr als Werf-
ten und Reeder. Betroffen vom Auftragsrückgang sind
vor allem die zahlreichen Zulieferbetriebe aus ganz
Deutschland.


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Was habe ich denn anderes gesagt, als dass es eine Krise gibt?)


Wir alle wissen – das gilt auch für die Opposition –: Bei
schönem Wetter kann jeder segeln, erst bei Sturm be-
währt sich der gute Kapitän.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die unionsgeführten Bundesregierungen haben seit
2005 viel für die maritime Branche bewegt, etwa im
Flaggenrecht, mit der Schiffsbesetzungsverordnung und
mit dem Infrastrukturausbau. In schwierigen Zeiten hat
sich vor allem das Bundesverkehrsministerium als zuver-
lässiger Partner erwiesen. Die Branche kann sich nicht
nur auf Verkehrsminister Dobrindt, sondern besonders
auch auf den Staatssekretär Enak Ferlemann als erfah-

renen Lotsen verlassen. Dafür möchte ich einmal Danke
sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Daher bin ich zuversichtlich, dass das Bundesver-
kehrsministerium die verkehrspolitischen Forderungen
unseres Antrages so schnell wie möglich umsetzen wird,
etwa die Reform der Seelotsenausbildung, die Automa-
tisierung und die Digitalisierung der Hafenprozesse, das
Nationale Hafenkonzept und die weitere Modernisierung
der Flaggenstaatsverwaltung. Nicht zu vergessen sind
die Erhaltung und die Weiterentwicklung des maritimen
Know-hows in Deutschland; denn ohne dieses Fachper-
sonal blutet die maritime Wirtschaft aus.

Wichtigster Schwerpunkt wird jedoch die Abarbeitung
des Bundesverkehrswegeplans sein. Trotz aller Digitali-
sierung der Wirtschaft, sehr geehrte Frau Wilms, braucht
Deutschland weiterhin eine Optimierung von Straße,
Schiene und Wasserstraße. Unser Verkehrsnetz – von der
Flensburger Förde bis zum Bodensee – ist das Rückgrat
der deutschen Wirtschaft. Damit das so bleibt, setzen wir
auf die seewärtigen Zufahrten und Hinterlandanbindun-
gen der deutschen Seehäfen, Maßnahmen wie die Sa-
nierung des Nord-Ostsee-Kanals, die Elbvertiefung, die
zahlreichen Engpassbeseitigungen im Fernstraßen- und
Schienennetz sowie bei den Binnenwasserstraßen. Ich
persönlich bin davon überzeugt: Ohne klassische Trans-
portinfrastruktur wird die maritime Wirtschaft in Zukunft
nicht funktionieren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Andrea Wicklein [SPD])


Aber, liebe Frau Wilms, zur Kehrseite der Medaille:
Aus Niedersachsen kann ich jede Woche in der Presse
eine neue Ankündigung lesen, wie die rot-grüne Lan-
desregierung mit dem SPD-Verkehrsminister mit diesen
wichtigen Verkehrsprojekten umgehen will.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eure Nachbarschaft!)


Egal, ob Ems, Elbe, Weser, Küstenautobahn oder A 39:
Nachhaltig ist bei den Grünen nur die Blockadehaltung.
Während die SPD Segel setzen will, werfen die Grünen
den Anker. Dann steht das Schiff still.

Im Antrag der Grünen macht die Kollegin Wilms den
Maritimen Koordinator Uwe Beckmeyer für vier verlore-
ne Jahre verantwortlich. Dazu sage ich: Jeder kehre vor
seiner eigenen Tür. Die Arbeit, die Ihre grünen Partei-
freunde seit 2013 in Hannover geleistet haben, ist ver-
trödelte Zeit.


(Beifall bei der CDU/CSU – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Vertrödelt! – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: „Jeder kehre vor seiner eigenen Tür“!)


Diese Politik der Verweigerung und des Schlechtre-
dens ist nicht nur ein Handicap für Niedersachsen, son-
dern für ganz Deutschland. Deshalb machen CDU und
CSU diesen Kurs nicht mit. Die deutschen Arbeitnehmer
und Arbeitgeber können sich auf eines verlassen: Volle
Fahrt voraus für eine maritime Wirtschaft gibt es nur mit
der Union.

Dr. Birgit Malecha-Nissen






(A) (C)



(B) (D)


Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Birgit Malecha-Nissen [SPD] – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das war ein schöner Schlusssatz! – Christine Lambrecht [SPD]: Da können wir leider nicht mehr klatschen!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822803100

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen damit zur Abstimmung zu dem Tages-
ordnungspunkt 3 a über den Antrag der Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD auf der Drucksache 18/11725
mit dem Titel „Innovation und Forschung als Wettbe-
werbsvorteil der deutschen maritimen Wirtschaft“. Wer
stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Damit ist der Antrag mit den Stimmen der
Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenom-
men.

Zum Tagesordnungspunkt 3 b und 3 c sowie zum Zu-
satzpunkt 1 wird interfraktionell die Überweisung der
Vorlagen auf den Drucksachen 18/10911, 18/11150 und
18/11742 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? –
Das ist offensichtlich der Fall. Dann sind die Überwei-
sungen so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Ergänzung des Finanzdienstleistungs-
aufsichtsrechts im Bereich der Maßnahmen
bei Gefahren für die Stabilität des Finanzsys-
tems und zur Änderung der Umsetzung der

(Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz)


Drucksachen 18/10935, 18/11420, 18/11472
Nr. 1.5

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses (7. Ausschuss)


Drucksache 18/11774

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Auch das ist
offensichtlich einvernehmlich. Dann verfahren wir so.

Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
Antje Tillmann das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Antje Tillmann (CDU):
Rede ID: ID1822803200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie-

be Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Im Fi-
nanzbereich waren die letzten Jahre von Krisen geprägt,
für die wir unter Zeitdruck Lösungen finden mussten. In
der Bankenkrise haben wir gefühlt in einer Woche einen
immensen Rettungsschirm aufgebaut. 2010 mussten wir

in der Griechenland-Krise genauso schnell handeln. Und
in der Schuldenkrise haben wir sehr zügig einen Ret-
tungsschirm für europäische Staaten aufgebaut.

Es ist gut, dass wir das Finanzaufsichtsrechtergän-
zungsgesetz heute ganz ohne Zeitdruck und ganz ohne
akute Situationen und Handlungsbedarfe in Ruhe beraten
können. Auch ist gut, dass wir hier beraten können, ob
wir der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht
für den Immobilienbereich zusätzlich differenzierte In-
strumente an die Hand geben, mit denen sie dann reagie-
ren kann, wenn es Schwierigkeiten in diesem Sektor gibt.

Ich sage ganz deutlich: Weder die Bundesbank noch
die BaFin sehen aktuell eine Immobilienkrise. Die Bun-
desbank weist darauf hin, dass es für das Entstehen einer
Blase neben stark steigenden Preisen, wie wir sie in eini-
gen Städten sehr wohl haben, sowie einer laxeren Kredit-
vergabepraxis auch einer stark expansiven Ausdehnung
der Immobilienkredite bedurft hätte. Das Wachstum der
Immobilienkredite lag 2016 um 3,7 Prozent höher als im
Vorjahr und damit absolut im Rahmen des langjährigen
Durchschnitts. Es gibt also keine Krise auf dem Immo-
bilienmarkt.

Beide Aufsichtsbehörden empfehlen aber, prophylak-
tisch Instrumente einzuführen, um, falls es zu einer sol-
chen Situation käme, auch reagieren zu können. Diese
Auffassung teile ich. Natürlich hätte die BaFin auch heu-
te schon Instrumente, um in einem solchen Fall einzu-
greifen. Diese Instrumente sind aber so grobschlächtig,
dass davon auch andere Kreditvergaben – zum Beispiel
im Bereich der Wirtschaft, bei der es überhaupt keine
Schwierigkeiten gibt – betroffen wären. Deshalb wollen
wir zielgenauere Instrumente.

Der Ausschuss für Finanzstabilität hat uns hierzu vier
Instrumente vorgeschlagen: erstens Eingriffe in die Kre-
ditvolumen-Immobilienwert-Relation, also bezüglich der
Obergrenze für das Verhältnis zwischen Darlehenshöhe
und Immobilienwert; zweitens für die Anforderungen zur
Amortisation; drittens für Schuldendienstfähigkeit, also
hinsichtlich einer Obergrenze für den Schuldendienst im
Verhältnis zum Einkommen, und viertens für eine Ge-
samtverschuldung-Einkommen-Relation, also in Bezug
auf eine Obergrenze für das Verhältnis zwischen Gesamt-
verschuldung und Einkommen.

Nach sehr intensiven Beratungen haben wir uns darauf
verständigt, die ersten zwei Instrumente einzuführen. Mit
diesen kann die BaFin den Kreditgebern bestimmte Min-
deststandards für die Vergabe von Neukrediten für den
Erwerb oder den Bau von Wohnimmobilien vorgeben,
wenn dies zur Abwehr einer drohenden Gefahr im Woh-
nimmobilienmarkt erforderlich ist.

Wir kombinieren diese Instrumente mit einer Ba-
gatellgrenze und mit Schwellenwerten. Kredite bis
50 000 Euro werden von den neuen Instrumenten gar
nicht erfasst. Daneben ziehen wir zwei weitere Schwel-
lenwerte ein. Der erste liegt bei 200 000 Euro. Bei Kre-
diten mit einer Beleihungsgrenze von 80 Prozent des Be-
leihungswertes bis 200 000 Euro werden auch diese nicht
erfasst. Bei 400 000 Euro liegt die Beleihungsgrenze bei
60 Prozent. Auch solche Kredite bis 400 000 Euro wer-
den nicht von den zusätzlichen Regulierungsmaßnahmen

Hans-Werner Kammer






(A) (C)



(B) (D)


erfasst. Darüber hinaus hat jede Bank Freikontingente,
wo sie trotz dieser Schwellenwerte bzw. bei Überschrei-
tung Kredite gewähren kann.

Daneben haben wir bestimmte Bereiche im Woh-
nungsbau von dieser Regulierung komplett ausgenom-
men, zum Beispiel den sozialen Wohnungsbau, die
Renovierung von Wohnimmobilien und Anschlussfinan-
zierungen. Auch für diesen großen Bereich gelten die
zusätzlichen Beschränkungen und Regulierungsmaßnah-
men überhaupt nicht. Das haben wir deswegen getan,
weil wir Wohnungsbau brauchen. Wir fördern ihn des-
halb in erheblichem Umfang auch aus dem Bundeshaus-
halt. Für den sozialen Wohnungsbau stellen wir jedes
Jahr 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung.

Mit den Instrumenten, die wir über das Finanzauf-
sichtsrechtergänzungsgesetz neu beschließen, wollen
wir den Aufschwung auf dem Wohnungsmarkt nicht be-
lasten. Wir wollen, dass Menschen Wohnungen bauen;
denn der beste Schutz gegen steigende Mieten ist eine
hinreichende Anzahl von Wohnungen. Deshalb treten
die Instrumente, die wir heute beschließen werden, auch
nicht automatisch in Kraft, sondern wir erwarten von der
BaFin, dass sie vor Inkraftsetzen den Finanzausschuss
des Deutschen Bundestages informiert. Das haben wir im
Gesetz festgelegt. Wir haben dann auch noch festgelegt,
dass es eine Frist von sechs Wochen vor Scharfschaltung
dieser Instrumente gibt, um mit den betroffenen Verbän-
den, mit Wohnungsunternehmen und Bauunternehmen,
aber auch mit der Kreditwirtschaft zu beraten, ob es einer
solchen Scharfschaltung dieser Instrumente tatsächlich
bedarf. Auch da haben wir also noch eine Sicherheits-
schwelle eingebaut, um mit diesen neuen Instrumenten
vernünftig umgehen zu können.

In dieser Kombination ist der Gesetzentwurf ausge-
wogen. Wir erhöhen die Kompetenz der BaFin gegen
Überhitzung auf dem Wohnungsmarkt und schützen so
die Verbraucherinnen und Verbraucher vor Fehlentschei-
dungen, und wir würgen den Wohnungsbau nicht da ab,
wo wir ihn dringend brauchen.

Wir werden diese Instrumente regelmäßig überprü-
fen, evaluieren und im Blick behalten. Selbstverständlich
werden wir nachsteuern, wenn es den Bedarf gibt. Aber
vorerst ist es ein gutes Gesetz, ein erster Schritt in die
richtige Richtung, und ich kann Sie guten Gewissens um
die Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf bitten.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822803300

Axel Troost ist für die Fraktion Die Linke der nächste

Redner.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Axel Troost (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822803400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der

Beginn der globalen Finanzkrise liegt bald zehn Jahre
zurück, und nicht nur wir Linken bezweifeln, dass wir
als Parlament genug aus der Krise gelernt haben. Als

Auslöser der globalen Finanzkrise gelten das Platzen der
Preisblase am US-Immobilienmarkt und der nachfolgen-
de Kollaps einer ganzen Gattung windiger Wertpapiere.
Anschließend platzten auch in Island, Irland und Spanien
irrwitzige Immobilienblasen.

Niemand wird bestreiten, dass Immobilienblasen ein
ganz typischer Auslöser für Finanzmarktkrisen sind.
Immobilienblasen sind ein immer wiederkehrendes Pro-
blem, weil Immobilien nicht nur ein konkretes Bauwerk
mit Nutzwert sind, sondern weil es auch eine Geldanlage
ist. Sobald es die Erwartung gibt, dass die Preise von Im-
mobilien steigen, werden sie automatisch zum Spekula-
tionsobjekt. Denn man kann damit nicht nur Einnahmen
aus Vermietung erzielen, sondern auch Gewinn beim
Weiterverkauf.

Die Folge: Immer mehr Investoren und Privatleute
kaufen Immobilien auf Kredit. Die Preise für Häuser und
Wohnungen steigen weiter an. Die Blase bläht sich im-
mer weiter auf.

Auch Deutschland ist gefährdet, da zwar die wirt-
schaftliche Entwicklung gut ist, die Zinsen für Immobi-
lienkredite aber wegen der Krise in den meisten anderen
europäischen Ländern extrem niedrig sind. Schon seit
Jahren beobachten wir Preissteigerungen für Wohnim-
mobilien in deutschen Ballungsräumen von teilweise bis
zu 10 Prozent jährlich.

Wir haben es daher grundsätzlich sehr begrüßt, dass
die Bundesregierung aus der Krise immerhin die Kon-
sequenz gezogen hat, ein ernstgemeintes Vorwarnsystem
gegen Finanzkrisen aufzubauen. Der dazu installierte
Ausschuss für Finanzstabilität, bestehend aus Vertretern
des Bundesfinanzministeriums, der Finanzaufsicht BaFin
und der Bundesbank, hat seine Aufgabe wirklich ernst
genommen und im Zuge der Finanzmarktbeobachtung
auf eventuelle Gefahren einer Immobilienblase hinge-
wiesen. Dieser Ausschuss hat dem Parlament konkrete
Handlungsempfehlungen vorgelegt, wie durch zusätzli-
che Instrumente für die Finanzaufsicht die Risiken einer
Immobilienblase reduziert werden können. Dann hat die
Bundesregierung diese Handlungsempfehlungen tatsäch-
lich in einen Gesetzentwurf umgemünzt. Das ist zwar al-
les nicht revolutionär, aber immerhin solide Handwerks-
arbeit.

Dann – Tatort Berlin, Februar/März 2017 – lässt sich
die Große Koalition im Gesetzgebungsverfahren zwei
der vom Ausschuss für Finanzstabilität vorgeschlagenen
vier Instrumente gegen eine Immobilienblase kurzerhand
von den Banken wieder ausreden.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das ist ja nicht zu fassen!)


Ich sage nur: Wer den Sumpf trockenlegen will, der darf
nicht die Frösche befragen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, sind nach
guter alter Tradition der Bankenlobby wieder komplett
auf den Leim gegangen.

Antje Tillmann






(A) (C)



(B) (D)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Ge-
setzentwurf blamiert sich die Koalition nicht nur selbst,
sondern sie blamiert auch ihre eigene Bundesregierung
und deren Frühwarnsystem. Bundesbank und BaFin sind
sicher unverdächtig, linksradikale Einschnitte ins Ban-
kensystem vornehmen zu wollen, aber selbst deren vor-
sichtige Vorschläge, wie eine Regulierung zielgerichtet
verschärft werden kann, werden von Ihnen sabotiert.

Die Vertreterinnen und Vertreter der Bundesbank und
auch des Sachverständigenrates haben auf Nachfrage in
der Anhörung betont, dass die vier ursprünglich vorgese-
henen Instrumente der Standard seien, den „man eigent-
lich haben sollte, wenn man die Systemstabilität gewähr-
leisten will“. Andere Länder haben sogar deutlich mehr
Instrumente.


(Antje Tillmann [CDU/CSU]: Das ist gar nicht wahr! – Manfred Zöllmer [SPD]: Das stimmt doch gar nicht! Das weißt du doch auch!)


Sie haben zwei dieser Instrumente beseitigt. Es wurde
schon darauf hingewiesen: Sie haben weitere Maßnah-
men zurückgenommen und letztlich sogar beschlossen,
dass die Instrumente, wenn sie überhaupt angewendet
werden sollen – wohlgemerkt: das steht jetzt überhaupt
nicht an –, vorher im Finanzausschuss noch einmal be-
raten werden müssen. Es gibt sozusagen keine Regelbin-
dung, sondern man fängt dann an, alles noch einmal zu
relativieren und möglicherweise zurückzunehmen.


(Antje Tillmann [CDU/CSU]: Das geht ja nicht!)


So sieht für uns keine vorbeugende Finanzstabilität
aus.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen sagt die Linke Nein dazu und wird dem Ge-
setzentwurf nicht zustimmen.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822803500

Das Wort erhält nun der Kollege Manfred Zöllmer für

die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Manfred Zöllmer (SPD):
Rede ID: ID1822803600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als

Autofahrer weiß man: Gleichzeitig Gasgeben und Brem-
sen ist suboptimal. Das gilt auch für die Finanzmarkts-
tabilität auf dem Markt für Wohnimmobilienkredite, auf
dem wir uns hier befinden. Wir brauchen in Deutschland
mehr Wohnungen. Wir wollen, dass Menschen dort in-
vestieren. Die Bundesregierung unterstützt dies mit einer
Vielzahl von Programmen, und das ist auch gut so.

Mit dem Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz und
dem Gesetz zur Umsetzung der Wohnimmobilienkredit-
richtlinie haben wir Gesetze vorliegen, die in der Gefahr

standen, mit einer Überregulierung die Immobilienkre-
ditvergabe übermäßig zu beschränken, also Gasgeben
und Bremsen gleichzeitig. Es ist natürlich richtig, dass
Blasen auf dem Markt für Wohnimmobilienkredite eine
Gefahr für die Finanzmarktstabilität sind. Das haben die
Märkte in den USA, in Spanien und in Irland gezeigt.
Axel, aber du weißt natürlich auch, dass diese Märkte
völlig unterschiedlich sind von den Gepflogenheiten her,
die wir hier haben. In Deutschland hat es keine Immobi-
lienblase gegeben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Doch!)


Wir haben hier eine ausgeprägte Festzins- und Langfrist-
kultur. Darüber hinaus ist es nachvollziehbar, dass man
für den Fall des Falles mithilfe eines Instrumentenkas-
tens handlungsfähig sein wollte.

Mit der Wohnimmobilienkreditrichtlinie wurde die
Kreditvergabe bereits in vielfacher Weise in Richtung
Kreditnehmer reguliert; der Kollege wird dazu gleich
noch etwas sagen. Mit dem Finanzaufsichtsrechtergän-
zungsgesetz – ich kann für diesen Titel nichts – haben
wir jetzt einen Kasten mit makroprudenziellen Instru-
menten geschaffen, das heißt etwas, was für die gesamte
Volkwirtschaft gilt. Dieser Instrumentenkasten kann im
Bedarfsfall scharfgeschaltet werden.

Wir alle kennen das Struck’sche Gesetz. Dieses Ge-
setz ist auch in diesem Fall wieder zur Anwendung ge-
kommen. Wir haben den vorgeschlagenen Gesetzentwurf
überarbeitet und modifiziert. Lieber Axel, das ist die Auf-
gabe eines frei gewählten Parlaments. Wir haben Ober-
grenzen für Darlehensvolumen, eine Immobilienwer-
trelation und Amortisierungsanforderungen vorgesehen.
Wir haben diejenigen Instrumente übernommen, die in
vielen europäischen Ländern ebenfalls zu finden sind und
die auf der vorhandenen Datenbasis wirklich eingesetzt
werden können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Durch die Konzentration auf diese beiden Instrumente
wird die Gefahr unbeabsichtigter Verzerrungen auf den
Immobilienmärkten deutlich reduziert und die robuste
Schuldentragfähigkeit der deutschen Haushalte berück-
sichtigt. Daneben gibt es Freikontingente, eine Baga-
tellgrenze und Abstufungen, die die Kollegin Tillmann
eben erläutert hat. Damit berücksichtigen wir die extrem
unterschiedliche regionale Situation auf den Immobilien-
märkten in Deutschland.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Neben einer Reihe städtischer Hotspots wie München,
Frankfurt, Hamburg, Berlin oder Köln gibt es eine gan-
ze Reihe überwiegend ländlich geprägter Regionen, in
denen man sehr große Probleme hat, eine Immobilie zu
verkaufen. Für diese Regionen wollen wir keine Restrik-
tionen im normalen Kreditgeschäft. Deshalb gibt es diese
Freigrenze. Wir haben auch den sozialen Wohnungsbau
und die Finanzierung des Umbaus einer Wohnung außen
vor gelassen. Ich halte das für absolut richtig.


(Beifall bei der SPD)


Dr. Axel Troost






(A) (C)



(B) (D)


Vor einer Scharfschaltung der Instrumente soll der Fi-
nanzausschuss informiert werden. Darüber beklagen sich
auf einmal die Linken und die Grünen.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Bei anderen Gesetzen gibt es das nicht!)


Ich kann das nicht verstehen; ich halte das für richtig. Ihr
fordert doch sonst immer, dass der Finanzausschuss in
solche Maßnahmen einbezogen wird. Jetzt machen wir
das, und jetzt kritisiert ihr das.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Weil ihr das bremsen wollt!)


Nachvollziehbar ist das nicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Gesetz
ist es uns insgesamt gelungen, die berechtigten Bedenken
zu berücksichtigen und eine zusätzliche bürokratische
Belastung zu minimieren. Gleichzeitig haben wir ein In-
strumentarium geschaffen, das im Krisenfall eingesetzt
werden kann, um eine Immobilienblase zu bekämpfen.
Nach wie vor bleibt aber das Problem der Diagnose:
Wann haben wir eine Blase, und wann sind die Entwick-
lungen normal?

Die Ökonomen sind sich in der Vergangenheit nie-
mals einig gewesen. Blasen sind im Regelfall immer erst
hinterher diagnostiziert worden. Mit diesem Problem
werden wir leben müssen. Die deutschen Immobilien-
kreditmärkte sind sehr robust. Eine Immobilienblase hat
es bisher nicht gegeben. Ich bin sicher, das wird auch in
Zukunft so bleiben. Dann werden diese Instrumente im
Koffer bleiben können, und die Menschen, die eine Woh-
nung suchen, werden auch eine zu bezahlbaren Bedin-
gungen finden.

Wir geben Gas beim Wohnungsbau und bremsen erst,
wenn Gefahr droht.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822803700

Gerhard Schick erhält nun das Wort für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.


Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822803800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der vorliegende Gesetzentwurf besteht aus zwei Teilen.
Trotzdem zieht sich da ein roter Faden durch.

Der erste Teil bezieht sich auf das, was man makro-
prudenzielle Regulierung nennt, das heißt, dass man
nicht Regeln für ein einzelnes Institut macht, sondern für
den Gesamtmarkt. Das ist gut.

Dieses Gesetz hat allerdings eine problematische Ent-
wicklungsgeschichte. Der erste Vorschlag stammte aus
einem Gremium – Ausschuss für Finanzstabilität –, in
dem die Bundesbank, die Finanzaufsicht und das Bun-
desministerium der Finanzen vertreten sind. Dieser Vor-

schlag hat die fachliche Diskussion sinnvoll abgebildet.
Dann kamen aber die Bankenverbände und haben in
einem ersten Schritt, noch vor dem Gesetzentwurf der
Bundesregierung, gesagt: Das sind zu große bürokrati-
sche Lasten. Wir wollen die ganze Datenerhebung, die da
vorgesehen ist, herausnehmen. – Es ist natürlich schwie-
rig, ohne Datengrundlagen Fehlentwicklungen einschät-
zen zu können. Damit kam es zum ersten Punktsieg für
die Bankenverbände.

Nach der Einbringung des Gesetzentwurfs hatten wir
in der Anhörung die interessante Konstellation, dass alle
in der Anhörung anwesenden Ökonomen, die Bundes-
bank und die Finanzaufsichtsbehörde den Gesetzentwurf
der Bundesregierung gemeinsam mit Linksfraktion und
Bündnis 90/Die Grünen unterstützt haben, während aus
den Koalitionsfraktionen heftiger Gegenwind kam, und
zwar wieder aus der Perspektive der Bankenverbände.

Worum geht es? In den USA war die Kreditvergabe
lange Jahre relativ normal. Es wurde nämlich immer ge-
schaut, ob die Haushalte die Kredite auch tragen können.


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Variabel!)


Dann kam es ab dem Jahr 2000 in kurzer Zeit dazu, dass
der Anteil der Kredite an Haushalte mit geringem Ein-
kommen, die die Schulden nicht tragen konnten, massiv
angestiegen ist. Er hat sich in sechs Jahren auf 600 Mil-
liarden Dollar verdreifacht. Das zeigt eben, dass in weni-
gen Jahren eine massive Fehlentwicklung eintreten kann.
Den Schaden hatten dann nicht nur die Banken, sondern
ganz viele Menschen haben das wenige Eigenkapital,
das sie hatten, dadurch verloren, dass sie Kredite aufge-
nommen hatten; denn nachher hatten sie weder das Haus
noch ihr Kapital, sondern waren ärmer als vorher. Es war
also auch für die Verbraucher schlecht.


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Das hat es in Deutschland noch nie gegeben!)


Genau die Regeln, die eine Kreditvergabe vor dem
Hintergrund der Einkommen und der Schuldentragfä-
higkeit des Haushalts begrenzen würden, wenn es eine
Fehlentwicklung gibt, sind auf Betreiben der Bankenver-
bände aus diesem Gesetz herausgenommen worden. Das
war der zweite Punktsieg für die Bankenverbände. Wir
halten das für fatal,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Axel Troost [DIE LINKE])


und zwar nicht, weil es schon heute eine solche Fehlent-
wicklung gäbe, sondern weil uns die Geschichte in ande-
ren Ländern zeigt, dass eine Branche, die vielleicht über
Jahrzehnte seriöse Geschäfte macht, plötzlich zu einer
Fehlentwicklung beitragen kann. Man braucht also ein
Gesetz, um in diesem Fall gegensteuern zu können. Sie
haben dem Gesetzentwurf jedoch auf Betreiben der Ban-
kenverbände die Zähne gezogen. So geht das nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Axel Troost [DIE LINKE])


Im zweiten Teil des Gesetzentwurfes geht es leider
ähnlich weiter. Da geht es darum, die Umsetzung der
Wohnimmobilienkreditrichtlinie zu korrigieren. Aus den

Manfred Zöllmer






(A) (C)



(B) (D)


Reihen der Bankenverbände gab es den Impuls, für mehr
Rechtssicherheit zu sorgen. Daraufhin sind Sie ganz
schnell tätig geworden und haben gesagt: Wenn die Ban-
ken eine Problemanzeige machen, dann reagieren wir da-
rauf. – An dieser Stelle finden wir das richtig. Rechtssi-
cherheit da zu schaffen, ist gut.

Aber es gibt noch andere Punkte, an denen diese
Richtlinie nicht gut umgesetzt worden ist. Dort gibt es
richtige Probleme – diesmal von Verbraucherseite. Wir
haben gesagt: Lasst uns auch das Problem bei den soge-
nannten Vorfälligkeitsentschädigungen angehen. Da geht
es darum, was man einer Bank, wenn man einen Kredit
früher zurückzahlt, zum Beispiel, weil man nach einer
Scheidung ein Haus verkaufen muss, zahlen muss. Wir
wissen, dass sich die Banken regelmäßig zulasten der
Verbraucherinnen und Verbraucher verrechnen, dass die
Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigungen völlig in-
transparent ist und dass die Rechtsetzung in Deutschland
der EU-Richtlinie nicht entspricht. Damit beschäftigt
sich jetzt eine Arbeitsgruppe, sodass es in dieser Legisla-
turperiode nicht zu einer Regelung kommen wird. – Drit-
ter Punktsieg für die Bankenverbände. So geht das nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Nächster Punkt: Koppelungsgeschäfte beim Abschluss
von Restschuldversicherungen. Auch da hätte man zügig
etwas machen können. Wir haben vereinbart, dass das
im Rahmen der Umsetzung einer Versicherungsrichtli-
nie geschieht. Dass wir diesen Zustand überhaupt haben,
hat aber auch etwas damit zu tun, dass bisher stärker auf
die Banken als auf die Verbraucher gehört wurde. Auf
diesem Markt werden teilweise Versicherungsprodukte
am Bankschalter verkauft, obwohl nur 20 Prozent der
Prämienzahlung irgendetwas mit dem Kundennutzen zu
tun hat. Der Rest bleibt im Vertrieb hängen oder ist Ge-
winn für die Versicherungsgesellschaft. Solche Produkte
braucht man nicht. Es gibt massenweise Fehlberatungen.
Dagegen hätte man schon mit diesem Gesetzentwurf et-
was tun müssen.


(Matthias Hauer [CDU/CSU]: Machen wir!)


Auch da gab es Bremsmanöver auf Betreiben der Ban-
kenverbände. So geht das nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


So ist es auch bei der Frage der Immobilienverzehrkre-
dite. Sie sind aus dem Anwendungsbereich der Regelun-
gen zu Verbraucherdarlehen herausgenommen worden,
obwohl es auch da etwas für die Verbraucher hätte geben
müssen. Wieder ein Punktsieg für die Bankenverbände.

Wir können einem solchen Gesetzentwurf nicht zu-
stimmen, auch wenn da einzelne gute Regelungen drin
sind; denn wir sagen: Es muss faire Bedingungen für Ver-
braucherinnen und Verbraucher am Finanzmarkt geben.

Große Koalitionen scheinen gut für Bankenverbände
zu sein. Deswegen muss man sie auch ablösen.

Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822803900

Das Wort erhält nun der Kollege Matthias Hauer für

die CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Matthias Hauer (CDU):
Rede ID: ID1822804000

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir beraten heute abschließend das Finanzauf-
sichtsrechtergänzungsgesetz. Dass dieses Gesetz aus
zwei Teilen besteht, das haben wir gerade schon gehört.
Wir haben auch sehr viel zum ersten Teil, in dem es um
das Thema „Immobilienblasen vermeiden“ geht, gehört.
Dass wir die Instrumente, die wir nun an die Hand be-
kommen, vonseiten der Politik hoffentlich nie brauchen
werden, ist, glaube ich, hinreichend erörtert worden.

Ich will mich daher auf den zweiten Teil des Gesetz-
entwurfes konzentrieren und verweise hinsichtlich des
ersten Teils auf das, was meine Kollegin Antje Tillmann,
die finanzpolitische Sprecherin der Union, schon darge-
legt hat.

Der Name des vorgesehenen Gesetzes mag recht sper-
rig sein. Mit dem zweiten Teil des Gesetzentwurfs wollen
wir aber für etwas sorgen, was für den Verbraucherschutz
in Deutschland sehr wichtig ist: Wir bauen die Hürden
ab, die bei der Vergabe von Wohnimmobilienkrediten
im vergangenen Jahr entstanden sind. Seit einem Jahr
besteht Rechtsunsicherheit. Banken und Sparkassen ha-
ben deshalb viele Kredite abgelehnt, gerade Kredite für
junge Familien und Senioren. Gerade habe ich gehört:
Wir brauchen mehr Wohnungen. – Das stimmt sicherlich.
Das gilt aber besonders für junge Familien.

Die Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtli-
nie hat zu viel Unsicherheit geführt. Der damalige Ge-
setzentwurf aus dem Hause von SPD-Minister Heiko
Maas – wir haben das schon in der ersten Lesung vor
zwei Monaten diskutiert – hatte erhebliche Mängel. In
meiner damaligen Rede habe ich diese Mängel im Detail
benannt. Ich habe deutlich gemacht, dass ein wichtiger
Halbsatz, der eine Ausnahmeregelung betrifft, nicht ins
deutsche Gesetz übernommen wurde, und auch, dass
durch viele unbestimmte Rechtsbegriffe viel Rechtsun-
klarheit im deutschen Recht gestiftet wurde. Das repa-
rieren wir heute. Den fehlenden Halbsatz fügen wir ins
Bürgerliche Gesetzbuch und ins Kreditwesengesetz ein.

Für weitere Klarheit wird eine Rechtsverordnung
der Bundesregierung, in diesem Falle eine gemeinsame
Rechtsverordnung des Bundesministeriums der Finanzen
und des Bundesministeriums der Justiz und für Verbrau-
cherschutz, sorgen. Wir erwarten, dass die Ministerien
in die Beratungen auch Vertreterinnen und Vertreter der
Kreditwirtschaft und des Verbraucherschutzes einbezie-
hen, damit wir eine praxisnahe Lösung, eine praxisge-
rechte Ausgestaltung bekommen, damit diejenigen, die
sich einen Kredit leisten können, diesen dann auch be-
kommen.

Dr. Gerhard Schick






(A) (C)



(B) (D)


Mit dem Gesetz wird es nun wieder möglich, bei der
Kreditwürdigkeitsprüfung stärker auf den Wert der Im-
mobilie abzustellen, was auch viel Sinn macht. Wir errei-
chen damit, dass junge Familien wieder leichter Wohnei-
gentum erwerben können und dass ältere Menschen den
altersgerechten Umbau ihrer Immobilie besser finanzie-
ren können. Das erreichen wir mit dem Gesetz, und das
war auch stets Anliegen von CDU und CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben mit dem Gesetz auch das Thema Kop-
pelungsgeschäfte aufgegriffen. Worum geht es dabei?
Wenn eine Bank einen Kreditvertrag abschließt und das
Ganze an den Abschluss eines weiteren Vertrages kop-
pelt, dann sorgt das schon mal für Unstimmigkeiten. Es
gibt Koppelungen, die Sinn machen. Das ist zum Bei-
spiel der Fall, wenn auch ein Sparkonto eröffnet werden
muss und von diesem Sparkonto dann die Kreditraten
bedient werden. Es gibt aber auch Koppelungen, die je-
denfalls für die Kundinnen und Kunden keinen Sinn ma-
chen, sondern nur für die Kreditinstitute. Da fügen wir
die Klarstellung ein, dass Koppelungen dem Nutzen für
Kundinnen und Kunden dienen müssen. Das regeln wir
im Kreditwesengesetz und mit Aufnahme eines Verwei-
ses im Bürgerlichen Gesetzbuch. Das ist übrigens erst im
Gesetzgebungsverfahren aufs Tableau gekommen. Inso-
fern kann man sagen: Wir haben das Gesetz an der Stelle
noch ein Stück besser gemacht.

Auch das Thema Vorfälligkeitsentschädigung – Herr
Dr. Schick von den Grünen hat es gerade auch angespro-
chen – haben wir im Gesetzgebungsverfahren intensiv
beraten. Wir haben die Sachverständigen in der Anhö-
rung dazu befragt. Ich habe für die Unionsfraktion sehr
deutlich gemacht, dass es für den durchschnittlichen Kre-
ditnehmer derzeit kaum möglich ist, die Vorfälligkeits-
entschädigung annähernd korrekt zu berechnen. Hier
herrscht eine gewisse Intransparenz. Da müssen wir ran.
Da müssen wir Klarheit schaffen.

Wir wollen also mehr Transparenz für diejenigen, die
einen Kredit aufnehmen wollen. Wir wollen aber auch
eine gute Lösung, und auf dem Weg dahin sind wir. Es
gibt eine gemeinsame Arbeitsgruppe des Bundesminis-
teriums der Finanzen und des Bundesministeriums der
Justiz und für Verbraucherschutz, die genau das anstrebt,
nämlich Klarheit bei der Berechnung der Vorfälligkeits-
entschädigung. Deshalb ist es vernünftig, die Ergebnisse
dieser Arbeitsgruppe abzuwarten. Wir erwarten – diese
Erwartung möchte ich heute noch einmal deutlich for-
mulieren –, dass uns die Ergebnisse zügig zur Verfügung
gestellt werden, damit wir Änderungen im Sinne von
mehr Transparenz vornehmen können. Ich hoffe, dass
es in dieser Legislaturperiode klappt. Falls es in dieser
Legislaturperiode nicht mehr klappt, wird das sicherlich
die nächste unionsgeführte Koalition nach der Bundes-
tagswahl angehen.


(Sarah Ryglewski [SPD]: Dann dauert es ja noch! – Weitere Zurufe von der SPD)


– Nach der kommenden Bundestagswahl.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Es ist auch eine Art, sich zu irren!)


Bei der Einbringung des Gesetzentwurfs hatte ich für
die Unionsfraktion betont, dass am Ende der Beratung
eine Lösung stehen muss, die für mehr Rechtssicherheit
sorgt, die aber gleichzeitig bei der Kreditwürdigkeitsprü-
fung den Bogen nicht überspannt. Das werden wir mit
dem Gesetz, das auch mehr Verbraucherschutz bringen
wird, erreichen. Deshalb bitte ich um Ihre Zustimmung
zu dem Gesetz.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Wir applaudieren trotzdem!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822804100

Johannes Fechner ist der nächste Redner für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Johannes Fechner (SPD):
Rede ID: ID1822804200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie-

be Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Heute
beschließen wir ein wichtiges Gesetz. Es ist wichtig, dass
wir nicht 20 Jahre warten, bis es wieder eine Legislatur-
periode mit einer unionsgeführten Bundesregierung gibt,


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


sondern dass wir für die jungen Familien und die Senio-
rinnen und Senioren schnell tätig werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben noch vor der letzten Sommerpause mit Zu-
stimmung der Union – mit eurer Zustimmung! – das Ge-
setz zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie
beschlossen, und es war richtig; dafür gab es gute Grün-
de. Auf Basis dieses Gesetzes wollten wir verhindern,
dass es in Deutschland zu einer Immobilienblase mit den
katastrophalen Auswirkungen kommt, wie wir sie in den
USA gesehen haben.

Wir haben dann aber relativ bald Klagen gehört, nicht
nur von den Bankenverbänden, sondern gerade auch von
Familien und Senioren, dass die Banken keine Kredite
mehr vergeben mit der Begründung, die Rechtslage sei –
angeblich – unklar. Dann kann man natürlich die Frage
stellen, ob das tatsächlich so ist oder ob die Banken nicht
deshalb so zurückhaltend sind, weil die große Diskussion
über den sogenannten Widerrufsjoker, die wir hatten, für
Verunsicherungen gesorgt hat. Mein Eindruck war auch,
dass die eine oder andere Privatbank den Schwarzen
Peter nach Berlin geschoben hat, anstatt einem Kunden
zu sagen: Das Einkommen reicht halt nicht. – Da hat man
es sich im Einzelfall durchaus etwas einfach gemacht.


(Beifall bei der SPD)


Jetzt aber stellen wir klar – das halten wir für eine
ganz wichtige Maßnahme –, dass die Umsetzung, wie
Kollege Binding und ich auch gefordert haben, so ge-
macht wird wie in Österreich, indem von der strengen
Kreditwürdigkeitsprüfung der Bau von Immobilien oder

Matthias Hauer






(A) (C)



(B) (D)


die Sanierung – etwa der altersgerechte Umbau – ausge-
nommen wird.


(Matthias Hauer [CDU/CSU]: Steht ja auch in der Richtlinie!)


– Die Möglichkeit dazu steht da drin, und deshalb ma-
chen wir es jetzt so, wie es die Österreicher umgesetzt
haben.

Ich finde, es ist eine wichtige Maßnahme, hier in der
Weise für Rechtssicherheit zu sorgen, dass insbesondere
der Wert einer Immobilie als Sicherungsmittel berück-
sichtigt werden kann. Das wird jungen Familien, das
wird befristet Beschäftigten und das wird Seniorinnen
und Senioren eine große Hilfe sein, weil sie jetzt die
Chance haben, einen Kredit zu bekommen. Das ist eine
ganz wichtige Maßnahme, liebe Kolleginnen und Kol-
legen.


(Beifall bei der SPD)


Es werden dann in der Rechtsverordnung, die schon
angekündigt ist, die konkreten Faktoren, die für die
Kreditwürdigkeitsprüfung ausschlaggebend sein sollen,
geregelt werden können, also: Wie ist das Schuldnerein-
kommen zu berücksichtigen? Wie ist sein Vermögen zu
berücksichtigen? – Auch das wird ganz erheblich zur
Rechtssicherheit beitragen. Vor allem gilt dann eines:
Die Banken haben dann keine Ausreden mehr. Die müs-
sen dann auf dieser klaren Rechtsgrundlage die Kredite
bewilligen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum
Schluss. Mit diesem wichtigen Gesetz schaffen wir eine
präzise und klare Rechtslage, damit jungen Familien und
Senioren Kredite bewilligt werden können. Die Banken
sind jetzt in der Verantwortung. Es gibt jetzt keine Ausre-
den mehr. Lassen Sie uns dieses gute Gesetz verabschie-
den! Es ist kein Punktsieg für die Bankenlobby, lieber
Kollege Schick, sondern es ist ein Punktsieg für Famili-
en, für Senioren und für befristet Beschäftigte. Stimmen
wir dem zu!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822804300

Ich erteile das Wort dem Kollegen Alexander Radwan

für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Alexander Radwan (CSU):
Rede ID: ID1822804400

Meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute das

Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz, das auch eine
Änderung der Umsetzung der Wohnimmobilienkredit-
richtlinie beinhaltet. Die Kollegen haben ja schon ent-
sprechend die Details aufgeführt. Lassen Sie mich je-
weils zwei Punkte vor die Klammer ziehen, bevor ich
dann auf eine grundsätzliche Frage des Aufsichtsrechts
eingehe.

Ich glaube, wir sind uns heute einig, dass wir ein Ge-
setz für Deutschland machen und nicht für die USA. Da-

rum sollten wir die USA, die in manchen Grundstruktu-
ren gar nicht mit uns vergleichbar sind, nicht permanent
heranziehen, auch wenn sie als Horrorgemälde für den
anstehenden Wahlkampf wunderbar geeignet scheinen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Außerdem sollten Gesetzgeber Gesetze immer mit
Blick auf das machen, was am Schluss vor Gericht he-
rauskommt. Darum sollten wir, wenn es hier, verursacht
durch den Gesetzgeber, Unsicherheiten im Markt gibt,
diese nicht vom Tisch wischen, sondern sie auch korri-
gieren. Das ist angebracht, und das tun wir heute.

Wir tun das, meine Damen und Herren, weil wir auf-
grund vieler Rückmeldungen gemerkt haben, dass Seni-
oren, dass Geringverdiener, Herr Kollege Troost, dass
junge Familien Schwierigkeiten haben, Immobilien zu
finanzieren. Das war also die Folge des Gesetzes zur
Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie. Dabei
höre ich regelmäßig von Ihrer Seite, dass Sie fordern,
die Immobilienvergabe an diese zu erleichtern. Darum
ist diese Korrektur, die wir heute machen, dann, wenn sie
die erhoffte Wirkung zeigt, ein Sieg für junge Familien,
für Senioren und für Menschen mit geringen Einkommen
in Deutschland und nicht für die Bankenlobby.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Sie reden jetzt zu einem anderen Teil des Gesetzes!)


– Ich rede über den ersten Teil, weil hier regelmäßig ge-
sagt wurde, wir würden nur eine Seite berücksichtigen.
Wir machen hier Gesetze für die Bürger in Deutschland.
Wenn manche Fraktionen hier meinen, sie müssten für
junge Familien und für Senioren und Menschen mit ge-
ringen Einkommen keine Politik machen, dann nehmen
wir das so zur Kenntnis, finden es aber schade.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das ist Nebelwerferei, was Sie hier machen! – Zuruf der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Zum Thema Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz
hat die Kollegin Tillmann entsprechend vorgetragen,
welche Instrumente wir zukünftig für die BaFin vorse-
hen wollen. Aber, meine Damen und Herren, neben die-
sen Instrumenten, die wir diskutiert haben, halte ich es
schon für grundsätzlich von Wert, darüber nachzuden-
ken, welchen Paradigmenwechsel wir mit diesem Gesetz
einführen und wie wir diesen möglicherweise weiterent-
wickeln. Das, was bei diesem Gesetz neu ist, ist, dass
wir – ausgehend von den Empfehlungen des Ausschusses
für Finanzstabilität – der BaFin Instrumente an die Hand
geben, damit dann, wenn eine Blase drohen sollte – sie
ist also noch nicht da –, entsprechend makroökonomisch
präventiv gehandelt werden kann.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Und zwar in Deutschland, nicht in den USA!)


– Genau, das ist das Entscheidende, Herr Kollege Troost.
Darum war ich immer verwirrt, wenn in diesem Zusam-
menhang von den USA die Rede war.

Dr. Johannes Fechner






(A) (C)



(B) (D)


Wir sollten aber auch darüber nachdenken – ich halte
diesen Ansatz grundsätzlich für diskussionswürdig –,


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Aha!)


ob wir nicht sagen müssen: Wir können nicht alles ge-
setzgeberisch regeln. – Das Kernproblem, das sich da-
hinter verbirgt, ist doch, dass seit der USA-Krise eine
Flut von Gesetzen losgetreten worden ist. Ich habe bis
jetzt niemanden gefunden, der mir gesagt hat: Letztend-
lich können wir alle Eventualitäten durch Gesetzgebung
erfassen. – Da das nicht der Fall ist, sollten wir der Auf-
sicht präventiv, damit sie entsprechend flexibel reagieren
kann, Instrumente an die Hand geben, aber gleichzeitig,
wie es auch der Vorschlag der G 20 ist, die Gesetze über-
prüfen, die möglicherweise noch nicht zu dem beigetra-
gen haben, was wir uns an Finanzstabilität wünschen. Es
kann also ein Paradigmenwechsel sein. Ich denke, wir
sollten diese Diskussion fortführen. Darum halte ich
zwei Elemente für richtig.

Die BaFin soll frei sein in ihrem Agieren im Markt,
aber nicht vogelfrei. Vielmehr braucht sie eine entspre-
chende Legitimation gegenüber dem Deutschen Bun-
destag. Darum haben wir Berichtspflichten der BaFin
gegenüber dem Deutschen Bundestag bzw. dem Finanz-
ausschuss für den Fall, dass ein solches Instrument ge-
schaltet wird, vorgesehen. Das dient dazu, dass erklärt
wird, warum ein entsprechendes Instrument angewandt
wird, welche Auswirkungen erwartet werden, und dass
darüber debattiert werden kann.

Ich halte es außerdem für dringend notwendig, dass es
mit dem Ausschuss für Finanzstabilität einen regelmäßi-
gen Dialog gibt. Das darf nicht nur in der Form gesche-
hen, dass uns das entsprechende Papier, die entsprechen-
de Meinung übersandt wird. Vielmehr müssen dessen
Vertreter auch in den Ausschuss kommen und mit uns
darüber diskutieren, welche Entwicklung sie im nächs-
ten Jahr auf dem Finanzmarkt erwarten, damit wir eine
Einschätzung haben. Damit bekommen wir eine gewisse
Stabilität für die Verbraucher, den Gesetzgeber und die
Finanzindustrie. Ich glaube, wir können hier einen guten
neuen Anstoß geben und sollten das andere durchaus kri-
tisch weiter begleiten.

Letztendlich sage ich noch einmal: Es ist ein guter Tag
für Leute mit niedrigem Einkommen, für junge Famili-
en, für Rentner, die zukünftig eine Immobilie finanzie-
ren wollen. Stimmen Sie doch zu! Das wäre ein Signal
an diejenigen, die sich hier entsprechend etwas leisten
wollen.

Besten Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822804500

Zum Schluss dieses Tagesordnungspunktes erhält

die Kollegin Sarah Ryglewski für die SPD-Fraktion das
Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Sarah Ryglewski (SPD):
Rede ID: ID1822804600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Lieber Herr
Radwan, ja, das ist ein guter Tag für Familien und Seni-
orinnen und Senioren in Deutschland; das ist in der Tat
so. Ich finde es richtig, dass wir hier diese Änderungen
vornehmen. Wir tragen diese Änderungen gemeinschaft-
lich, genauso wie wir auch die erste Umsetzung der
Wohnimmobilienkreditrichtlinie gemeinsam getragen
haben. Aber ich finde, wir müssen aufpassen, dass wir die
Debatte nicht verzerren. Es gibt Gründe, warum wir die
Regelungen der Wohnimmobilienkreditrichtlinie auch in
Deutschland brauchen. Natürlich sind wir nicht Spanien,
nicht Griechenland und auch nicht die USA. Aber auch in
Deutschland gibt es Gefahren.

Es wurde ja in der Debatte über den ersten Teil des
Gesetzentwurfs, als es um die Makroebene ging, deut-
lich, dass es auch auf einem stabilen Markt schnell Ent-
wicklungen geben kann, die zu einer Blasenbildung füh-
ren, eben weil Kredite unsauber vergeben werden oder
weil wir in eine Situation kommen, wo Kredite vielleicht
nicht mehr so tragfähig sind. Deswegen war es richtig,
dass wir die Wohnimmobilienkreditrichtlinie hier auch
umgesetzt haben. Wir haben das also nicht nur gemacht,
weil es EU-Recht ist, sondern auch, weil es Sinn macht,
Leute vor Krediten zu schützen, die sie am Ende nicht
mehr bedienen können.


(Beifall des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD])


– Danke schön. – Insofern, finde ich, müssen wir schau-
en, dass wir die Debatte versachlichen.

Wir verfolgen hier zwei Zielsetzungen: Wir wollen,
dass Menschen, die einen Kredit brauchen und sich leis-
ten können, ihn auch bekommen, aber wir wollen eben
auch die Menschen schützen, die möglicherweise im
Zuge des Immobilienbooms dazu verlockt werden, sich
ein Haus zu kaufen oder zu bauen, und dann am Ende
vor dem Nichts stehen. Wir haben hier entsprechende
Klarstellungen vorgenommen; darauf muss ich im Detail
nicht mehr eingehen.

Mir ist es aber noch einmal ganz wichtig, zu sagen,
dass wir aufpassen müssen, in der Diskussion nicht aus
dem Auge zu verlieren, dass wir jetzt eine Klarstellung
vorgenommen haben, damit die Banken anhand klarer
Kriterien, die wir in der Verordnung regeln werden, die
Kreditwürdigkeit feststellen können. 110-Prozent-Finan-
zierungen, wie es sie in Deutschland auch gibt, bei denen
zusätzlich zum Immobilienkredit noch einmal der Di-
spo ins Exorbitante erhöht wird, will ich dann aber auch
nicht mehr sehen; die passen nicht dazu. Wir haben jetzt
klare Kriterien. Das heißt, auch die Banken sind in der
Verpflichtung und auch in der Haftung, wenn sie Kredi-
te vergeben, die für Verbraucherinnen und Verbraucher
nicht tragfähig sind.


(Beifall bei der SPD)


Man bekommt natürlich, Herr Kollege Schick, immer
viel Applaus draußen, wenn man über Lobbyismus und
über die Abgeordneten schimpft, die sich allzu leicht da-
von beeindrucken lassen. Aber wir haben doch das An-

Alexander Radwan






(A) (C)



(B) (D)


sinnen der Banken in diese Richtung abgelehnt. Wir ha-
ben gesagt: Ihr bekommt eure Verordnung, ihr bekommt
Rechtssicherheit, aber ihr seid auch in der Verpflichtung,
entsprechend vernünftig zu prüfen. Wenn ihr das nicht
tut, dann seid ihr in der Haftung. – Das ist richtig, und
dazu stehen wir auch.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Einen letzten Satz möchte ich zum Thema Vorfällig-
keitsentschädigung sagen. Hier ist die Lage aktuell in der
Tat so, dass das Ganze sehr zulasten der Verbraucherin-
nen und Verbraucher geht: einmal aufgrund von Intrans-
parenz, zum anderen deswegen, weil die Gebühren, die
dafür erhoben werden, teilweise massiv überzogen sind.
Hier hätte ich mir deutlich mehr gewünscht. Das habe
ich auch im Ausschuss gesagt. Ich glaube, das Problem
ist hinlänglich bekannt. Die Arbeitsgruppe hätte hier zü-
gig zu einem Ergebnis kommen sollen. Deswegen finde
ich es wichtig – wir müssen da dranbleiben, Herr Kolle-
ge Hauer, und dafür sorgen, dass die vielleicht noch ein
bisschen Gas geben –, dass wir hier noch in dieser Legis-
laturperiode zu einem Ergebnis kommen.


(Matthias Hauer [CDU/CSU]: Ist das Ministerium von Herrn Maas nicht in der Arbeitsgruppe?)


– Ich habe nur gesagt, wir als Abgeordnete sollten ein
Auge darauf haben, dass die gemeinsame Arbeitsgruppe
jetzt auch gründlich arbeitet und zu einem guten Ergeb-
nis kommt,


(Matthias Hauer [CDU/CSU]: Das ist richtig! Das haben wir verstanden!)


damit wir am Schluss einen noch besseren Tag für Fa-
milien und für Verbraucherinnen und Verbraucher haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822804700

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Er-
gänzung des Finanzdienstleistungsaufsichtsrechts im
Bereich der Maßnahmen bei Gefahren für die Stabilität
des Finanzsystems und zur Änderung der Umsetzung der
Wohnimmobilienkreditrichtlinie. Der Finanzausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Druck-
sache 18/11774, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf den beiden Drucksachen 18/10935 und 18/11420 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in dieser Fassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Wer
enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter
Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stim-
men der Linken und bei Stimmenthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist mit den
gleichen Mehrheitsverhältnissen der Gesetzentwurf an-
genommen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf der Drucksache 18/11784. Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? – Wer ist dagegen? – Wer enthält
sich? – Dann ist dieser Entschließungsantrag mit den
Stimmen der Koalition abgelehnt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zum Verbot des Betriebs lauter Güterwagen

(Schienenlärmschutzgesetz – SchlärmschG)


Drucksache 18/11287

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur

(15. Ausschuss)


Drucksache 18/11769

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auch
für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Das
scheint unstreitig zu sein. Dann können wir so verfahren.

Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst für die
Bundesregierung dem Parlamentarischen Staatssekretär
Enak Ferlemann das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


E
Enak Ferlemann (CDU):
Rede ID: ID1822804800


Sehr geschätzter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich glaube, wir können jetzt, wo wir auf
die Zielgrade der Legislaturperiode einbiegen, sagen,
dass wir wohl eine der erfolgreichsten Legislaturperio-
den für die Verkehrspolitik seit den Zeiten, als Verkehrs-
minister Seebohm die Verantwortung für die Verkehrs-
politik trug – damals noch von der legendären Deutschen
Partei –, haben. Wir haben in dieser Legislaturperiode
wirklich gemeinsam Unglaubliches geleistet. Ich darf
mich an dieser Stelle ganz herzlich bei den Kolleginnen
und Kollegen der Koalitionsfraktionen bedanken und
insbesondere auch, lieber Michael Meister, beim Finanz-
minister, weil er uns immer sehr unterstützt hat und das
hoffentlich auch weiter tut.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Neben den vielen Gesetzen, die wir gemeinsam verab-
schiedet haben – eine unglaubliche Investitionsinitiative
mit sage und schreibe 271 Milliarden Euro für die Ver-
kehrsinfrastruktur bis 2030 –, und vielem anderen setzen
wir heute mit der Verabschiedung des Schienenlärm-
schutzgesetzes dem Ganzen noch die Krone auf. Viele
Millionen Menschen haben auf dieses Gesetz gewartet,
und sie haben wahrscheinlich – wenn man ehrlich ist –
nie geglaubt, dass in dieser Wahlperiode ein solcher Ge-

Sarah Ryglewski






(A) (C)



(B) (D)


setzentwurf von uns vorgelegt wird und von Ihnen heute
beschlossen werden kann. Ich habe mich sehr darüber
gefreut, dass wir im Verkehrsausschuss als dem federfüh-
renden Fachausschuss eine einstimmige Beschlusslage
hinbekommen haben. Das ist bei so einem komplizierten
Thema nicht selbstverständlich.

Was regeln wir? Viele Menschen sagen: Ein ICE oder
ein IC läuft relativ leise, das gilt in aller Regel auch für
Nahverkehrszüge, aber warum ist es bei Güterzügen
nicht so? – Hintergrund ist: Güterzüge bremsen wir mit
Stahl auf Stahl, das heißt, das Stahlrad wird mit einer
Stahlbremse gebremst. Das raut das Rad auf, und weil
es dadurch unrund wird, fängt das Rad an zu holpern –
was wir mit dem menschlichen Auge nicht sehen, aber
das erzeugt die lauten Geräusche. Bei Fernverkehrs- oder
Nahverkehrszügen bremsen wir mit einer Kompositsoh-
le, die das Rad nicht aufraut. Deswegen bleibt das Rad
glatt und erzeugt damit nicht die hohen Lärmfrequenzen.

So war es klug, dass wir vor einiger Zeit ein Förder-
programm aufgesetzt haben und gesagt haben: Wir wol-
len, dass die Güterwagen von der Bremsung mit Stahl
auf die Bremsung mit Kompositsohle oder sogenannter
Leichtlaufsohle, mit der man nach einer kleinen Nach-
rüstung den gleichen Effekt erzielen kann, umgerüstet
werden. Das ist sehr erfolgreich gelungen. Wir haben
damals gesagt: Wenn bis 2016 nicht etwa die Hälfte der
Güterwagen, die hier in Deutschland fahren, umgerüstet
ist, wollen wir den entsprechenden Güterverkehr mit be-
stimmten Maßnahmen eingrenzen.

Da wir mit der Umsetzung des Programmes sehr er-
folgreich sind – ich gehe davon aus, dass wir um die
50 Prozent der Güterwagen in Deutschland umgerüs-
tet haben –, haben wir uns dazu entschlossen, den Ent-
wurf eines Gesetzes vorzulegen, das zur Fahrplanpe-
riode 2020/2021 die Fahrten mit lauten Güterwagen in
Deutschland komplett verbietet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Vorbild für uns ist dabei – wie bei Eisenbahnthemen
so häufig – die Schweiz. Sie hat das im gleichen Zeit-
raum vor. Die Niederländer unterstützen es ebenso. Alle
anderen europäischen Länder wundern sich, welches
vermeintliche Luxusproblem da Deutschland bewegt.
Aber wir wollen mehr Verkehr, gerade Güterverkehr, von
der Straße auf die Schiene bringen, und obwohl fast alle
Bürger sagen, das sei grundsätzlich richtig, ist es für die
Leute eine Schreckensnachricht, wenn der Güterverkehr
dann tatsächlich kommt. Sie klagen: Dieser ganze Lärm,
dieser Krach! – Darum ist es im Sinne der Steigerung
der Akzeptanz des Verkehrsträgers Schiene wichtig, dass
wir sagen: Wir müssen mit dem Lärm deutlich runter. –
Deswegen wollen wir den Lärm bis 2020 im Vergleich
zu den Jahren 2008/2009 in ganz Deutschland halbiert
haben. Dafür brauchen wir diese Maßnahmen.

Damit die Wirtschaft weiß, dass wir nicht nur darü-
ber reden, sondern es ernst meinen, braucht es dieses Ge-
setz, um auch noch die letzten, vor allem ausländischen

Wagenhalter zur Umrüstung zu bewegen, damit wir das
große Ziel insgesamt erreichen können.


(Abg. Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Haben Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege?


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822804900

Herr Kollege Willsch.


Klaus-Peter Willsch (CDU):
Rede ID: ID1822805000

Das ist lieb, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär,

Sie haben es selbst angesprochen: Es ist eine gute Nach-
richt, auch für den Rheingau, aus dem ich komme, dass
wir die Klapperkisten wegbekommen. Sie gehören ins
Museum und nicht auf die Schiene. Aber mehr Verkehr
ist dennoch problematisch. Deswegen diskutieren wir ja
auch über eine Alternativtrasse für das Mittelrheintal. Da
ist im Bundesverkehrswegeplan etwas Entsprechendes
vorgesehen. Meine Frage ist: Geht es da vorwärts?

E
Enak Ferlemann (CDU):
Rede ID: ID1822805100


Sehr geehrter Herr Kollege, wir reden zwar heute
über ein Gesetz, das das Rad-Schiene-System verändert,
aber Sie stellen eine Frage zur Infrastruktur. Gleichwohl
will ich sie Ihnen gerne beantworten. – Es ist eine der
größten Herausforderungen, das herrliche Mittelrheintal
vom Schienenlärm zu befreien. Dazu gibt es unter ande-
rem die Maßnahmen, über die wir heute reden. Aber wir
werden um eine neue Infrastruktur nicht herumkommen.
Dieses Projekt steht im sogenannten Potenziellen Bedarf
des Bundesverkehrswegeplans. Bund-Länder-Arbeits-
gruppen sind dabei, das zu bewerten. Potenzieller Bedarf
heißt: Fällt die Bewertung positiv aus, rückt das Projekt
automatisch in die höchste Kategorie, den sogenannten
Vordringlichen Bedarf.

Wir haben es hier mit einem Projekt zu tun, bei dem
wir mit rund 7 Milliarden Euro Kosten rechnen. Wir wer-
den keinen durchgängigen Tunnel bauen können. Wir
werden sicherlich Tunnel an Tunnel legen, um dieses
Problem zu beheben. Ich glaube, es ist auf einem sehr
guten Weg. Sie können am Wochenende sehr erfreut zu
den Bürgerinnen und Bürgern Ihres Wahlkreises fahren
und die gute Nachricht überbringen.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)


Sollten weitere Fragen dieser Art kommen, will ich sie
gerne beantworten. Das können wir aber auch an anderer
Stelle fortsetzen.

Das Gesetz, das wir heute verabschieden werden, ist
wirklich gut. Es gibt allerdings eine unterschiedliche Be-
wertung. Der Verkehrsausschuss hat gesagt: Wir wollen
den diskriminierungsfreien Zugang zum deutschen Netz
anders gestalten, als das Verkehrsministerium es vorge-
sehen hat. Wir haben unsere Bedenken dazu angesichts
des großen juristischen Sachverstandes im Verkehrsaus-
schuss zurückgestellt, weil die Experten gesagt haben,
die Regelung sei europarechtskonform. Wir kennen uns

Parl. Staatssekretär Enak Ferlemann






(A) (C)



(B) (D)


als Verkehrsministerium damit aus: Auch die Maut ist eu-
roparechtskonform gewesen.


(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Na, mal sehen!)


Wir glauben, dass das auch in diesem Fall so sein wird.
Deswegen werden wir das Gesetz mittragen und auch auf
europäischer Ebene vorlegen und durchbringen.

Damit bin ich bei dem letzten Problem. In Europa ist
man noch nicht so weit in Sachen Schallschutz auf der
Schiene, wie wir Deutschen, die Niederländer und die
Schweizer das sind. Es wird viel Überzeugungskraft kos-
ten, die Europäische Kommission dazu zu bringen, das
Gesetz, das wir heute beschließen, europaweit anwend-
bar zu machen. Es muss unser Ehrgeiz sein, dafür zu
sorgen, dass in ganz Europa der Schienenverkehr leiser
wird.

In diesem Sinne freue ich mich sehr, wenn wir den
vorliegenden Gesetzentwurf heute über die Hürde heben
und auch der Bundesrat in seiner nächsten Sitzung diesen
Gesetzentwurf verabschiedet, sodass das Gesetz in Kraft
treten kann. Es ist ein wahres Highlight der Verkehrspo-
litik, was wir heute beschließen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822805200

Vielen Dank. – Jetzt hat Dr. André Hahn für die Frak-

tion Die Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. André Hahn (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822805300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meine

Heimat, die Sächsische Schweiz mit der Oberelbe, um-
geben von einem fantastischen Sandsteingebirge, ist ei-
nes der touristischen Kleinode in Deutschland. In diesem
Naturschutzgebiet und in den umliegenden Gemeinden
gibt es zwei Dinge, die Einwohner und Touristen glei-
chermaßen stören: die im Tiefflug über die Sächsische
Schweiz hinwegdonnernden Militärflugzeuge sowie der
ebenso erheblich lärmverursachende Eisenbahnverkehr
im oberen Elbtal von Coswig hoch bis an die tschechi-
sche Grenze in Schmilka, vor allem durch die täglich
130 bis 140 durchfahrenden Güterzüge.

Lärm macht krank, und es ist daher auch Aufgabe der
Politik – hier sind wir uns hoffentlich alle einig –, die
Lärmemissionen auf ein vertretbares Maß zu reduzieren.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Erwartungen an uns Abgeordnete diesbezüglich sind
hoch, wie ich aus meiner Arbeit als Mitglied des Kreis-
tages und nach vielen Gesprächen mit Bürgerinitiativen,
betroffenen Bürgern und Unternehmen in meinen Wahl-
kreisen Sächsische Schweiz – Osterzgebirge sowie Mei-
ßen weiß. Ich kann den Unmut über die derzeit dort be-

stehende Situation sehr gut verstehen. Hier muss endlich
Abhilfe geschaffen werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Die am 14. März dieses Jahres in Dresden vorgestell-
te Machbarkeitsstudie zum Lärmschutz im Elbtal war
ein Schritt in die richtige Richtung. Die nachfolgende
Diskussion mit Kommunalpolitikern und Anwohnern
machte aber auch deutlich, welche Fragen noch zu klären
sind. Dies betrifft insbesondere die Gestaltung und Wirk-
samkeit der vorgesehenen Lärmschutzwände. Ich erwar-
te vor allem, dass die Bundesregierung die notwendige
Finanzierungsvereinbarung mit der Bahn und dem Land
Sachsen zur Umsetzung der Maßnahmen zur Lärmre-
duzierung kurzfristig abschließt, damit die Realisierung
noch 2017 beginnen kann.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, Schienenlärm ist nicht nur
in meiner Region für die Anwohner ein großes Problem,
sondern existiert entlang vieler Bahnstrecken, insbeson-
dere solchen mit zahlreichen lauten Güterzügen. Deshalb
läuft seit 2012 ein Förderprogramm des Bundesverkehrs-
ministeriums zur Umrüstung alter Graugussbremssohlen
auf sogenannte Flüsterbremsen – auch wenn der Begriff
leider eine Übertreibung ist.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN)


Damit sollen die Lärmemissionen um bis zu 10 Dezibel
reduziert werden, was allerdings nur funktioniert, wenn
alle Wagen in einem Zug diese neuen Bremsen haben.
Ende 2016 – wir haben es gehört – war bereits rund die
Hälfte der deutschen Güterwagen umgerüstet; bis zum
Jahr 2020 sollen nahezu alle deutlich leiser sein.

Der Entwurf der Bundesregierung für ein Schienen-
lärmschutzgesetz ist – im Unterschied zu vielen anderen
Gesetzentwürfen aus dem Hause Dobrindt – grundsätz-
lich sinnvoll.


(Zurufe von der CDU/CSU: Hey! – Gegenruf der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das ist echt die Ausnahme!)


– Ja, warum soll man das nicht auch sagen? – Daran ha-
ben die zahlreichen Bürgerinitiativen gegen Bahnlärm,
denen ich an dieser Stelle für ihre engagierte Arbeit sehr
herzlich danken möchte, einen großen Anteil.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Selbst in der Anhörung des Verkehrsausschusses gab es
große Einigkeit in Bezug auf den Gesetzentwurf, und in
der abschließenden Beratung des Ausschusses gestern
wurden weitere Verbesserungen vorgenommen, sodass
die Linke dem Gesetzentwurf in der nun vorliegenden
Fassung zustimmen wird.


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Beifall bei Abgeordneten der SPD – Gegenruf von der LINKEN: Nicht erschrecken!)


Parl. Staatssekretär Enak Ferlemann






(A) (C)



(B) (D)


Gleichwohl gibt es aus unserer Sicht noch weitere
Maßnahmen, die sinnvoll und notwendig wären. Ich will
nur drei Punkte nennen.

Erstens sollten neben der Auflage, dass Züge mit lau-
ten Güterwagen nur noch mit verminderter Geschwin-
digkeit fahren dürfen, diese über ein verändertes Preis-
system für die Trassennutzung auch deutlich stärker zur
Kasse gebeten werden, zumal durch langsame Fahrten
die Durchlässigkeit der jeweiligen Strecke eingeschränkt
wird.

Zweitens sollten die Lärmemissionen der Züge nicht
nur anhand von theoretischen Annahmen bewertet wer-
den, sondern auch in der realen Praxis mithilfe der ohne-
hin im Bahnnetz vorgesehenen Monitoringstationen.


(Beifall bei der LINKEN)


Laut Antwort der Bundesregierung auf meine Kleine An-
frage vom vergangenen Monat betreibt die DB Netz AG
im oberen Elbtal bislang keine Schienenlärmmessstelle
und beabsichtigt auch nicht, dort eine zu schaffen. Das ist
nicht akzeptabel. Ich meine, dass eine solche Messstelle
dringend benötigt wird.


(Beifall bei der LINKEN)


Drittens ist und bleibt es Aufgabe der Bundesregie-
rung, sich auch nach Verabschiedung dieses Gesetzes
für ein EU-weites echtes Verbot von lauten Güterwagen
einzusetzen. Mein Landkreis liegt direkt an der tschechi-
schen Grenze. Auf der Bahnstrecke im Elbtal verkehren
viele Güterzüge mit Waggons aus Tschechien, Österreich
und Ungarn. Auch dort muss sich etwas ändern, wenn der
Bahnlärm nachhaltig minimiert werden soll.

Meine Damen und Herren, bis zum 13. Dezember
2020, dem Tag, ab dem mit Inkrafttreten des Netzfahr-
plans für das Folgejahr die Nutzung lauter Güterwagen
auf dem deutschen Schienennetz verboten sein wird, ist
es noch ein ganzes Stück hin. Aber auch danach wird es
durch Schienenverkehr verursachten Lärm geben, vor
allem, wenn die Güterwagen zwar leiser werden, aber
die Zahl der fahrenden Züge immer größer wird. Wir als
Linke sind der Überzeugung, dass alle Menschen in die-
sem Land ein Recht darauf haben, vor krankmachendem
Verkehrslärm geschützt zu werden,


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


egal ob von der Schiene oder von der Straße verursacht.
Hier muss der Staat seine Hausaufgaben machen. Auch
wenn die Deutsche Bahn und das Verkehrsministerium
bei diesen Themen bisher eher im Schneckentempo un-
terwegs waren: Der vorliegende Gesetzentwurf ist über-
fällig und wird von uns unterstützt.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822805400

Als nächste Rednerin spricht Annette Sawade für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Annette Sawade (SPD):
Rede ID: ID1822805500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf den Be-
suchertribünen! „Der Zug fährt quasi durch mein Schlaf-
zimmer. Ich habe schon seit Jahren nicht mehr ruhig
geschlafen. Auch tagsüber wird das Gespräch unterbro-
chen, wenn ein Zug vorbeifährt. Der permanente Lärm
hat mich schon ganz krank gemacht.“ Solche und ähnli-
che Beschwerden kennen wir alle von Bürgerinnen und
Bürgern, die an lauten Bahnstrecken wohnen. Sie hoffen
auf Gesetze und vor allem auf wirksame Maßnahmen,
die diese Missstände beheben.

Zahlreiche Petitionen, Bürgerinitiativen und Verbände
machen sich seit langem für ein Verbot von lauten Gü-
terwagen stark. Auch als Mitglied im Petitionsausschuss
habe ich viele Petitionen zum Thema Lärm, ob im Elbtal,
im Rheintal oder in Düsseldorf, bearbeitet. Ich habe viele
Besuche an der Strecke gemacht, wurde sogar mit einer
Feuerwehrleiter die Hänge hochgefahren, damit ich höre,
wie laut diese Güterzüge sind. Wir haben uns also auch
vor Ort kundig gemacht. Denn wir alle wissen: Lärm
macht krank und belastet die Mitmenschen in ihrem täg-
lichen Leben. Das nehmen wir ernst.

Mit dem vorliegenden Schienenlärmschutzgesetz
wollen wir nun endlich Abhilfe schaffen. Ab 2020 dürfen
in Deutschland keine lauten Güterwagen mehr fahren.
Wir wollen doch alle, dass mehr Verkehr auf die Schiene
verlegt wird. Aber er muss leiser werden. Dann gelingt
uns die Verlagerung auch, weil die berechtigten Proteste
der Anwohner weniger werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Gesetz schafft für alle Beteiligten die geforderte
Rechtssicherheit. Unternehmen können die Umrüstung
und Beschaffung von leisen Güterwagen besser planen.
Auch unsere europäischen Nachbarn können sich ent-
sprechend darauf vorbereiten. In den Anhörungen haben
wir gehört, dass es auch hier eine sehr positive Entwick-
lung gibt.

Wir wollen den Lärm an der Quelle beseitigen und da-
mit den Lärmschutz für unsere Bürgerinnen und Bürger
verbessern. Es ist einfach sinnvoller, wirtschaftlicher und
auch nachhaltiger, den Lärm an der Quelle zu reduzieren,
als riesige Lärmschutzwände zu bauen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Schienenlärmschutzgesetz enthält unter anderem
drei wesentliche Bestimmungen, die wir im Laufe der
Debatten so hineinverhandelt haben.

Erstens. Ab 2020 dürfen Züge mit lauten Güterwagen
nicht mehr für den Jahresfahrplan angemeldet werden.
Diese sollen nur noch im sogenannten Gelegenheitsver-
kehr fahren dürfen. Das ist ein bisschen schwierig zu er-

Dr. André Hahn






(A) (C)



(B) (D)


klären, aber man kann es ja nachlesen. Der Grund: Um
künftig die Lärmschutzvorgaben einzuhalten, muss ein
lauter Zug entsprechend langsam fahren. Damit blockiert
er die Strecke für nachfolgende Züge – das wurde schon
gesagt –, und die Streckenkapazität wird dadurch erheb-
lich eingeschränkt. Das wäre letztlich eine Bestrafung
für diejenigen, die ihre Züge bereits auf leise Bremsen
umgerüstet haben, und für die Hersteller, die Investitio-
nen getätigt haben. Durch diese Vorgaben wird für laute
Güterzüge die Attraktivität, das deutsche Streckennetz zu
nutzen, erheblich eingeschränkt.

Es ist so, dass bereits einzelne laute Güterwagen den
Gesamtlärm erheblich beeinflussen, da es sich um eine
logarithmische und nicht arithmetische Addition der ein-
zelnen Lärmquellen handelt. Diese Erklärung ist für die
Mathematiker unter uns. Es ist ein bisschen schwierig,
das zu erklären, aber ich glaube, man kann es verstehen.
Das heißt: „Laut plus laut“ gleich laut. „Laut plus leise“
bleibt immer noch laut. Das klingt mathematisch nicht
ganz richtig, aber logarithmisch ist es so.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


Nur „leise plus leise“ ergibt leise. Das heißt also, bereits
ein lauter Güterwagen in einem ansonsten leisen Zug er-
höht die Lärmmenge erheblich.

Zweitens. Bei Nichteinhalten der vorgeschriebenen
Geschwindigkeit bei lauten Güterzügen gibt es Bußgel-
der für die Lokführer. Diese haben wir allerdings auf eine
angemessene Höhe abgesenkt, und sie sind gestaffelt.
Wir haben also auch da eine gute Regelung gefunden.


(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Aber warum für die Lokführer und nicht für die Firmen?)


– Die Hersteller müssen auch zahlen, und zwar wesent-
lich mehr. Der Lokführer hat die Information aber vorher,
wie der Zug zusammengestellt ist.

Drittens. Es werden Monitoringstationen eingerichtet,
die die Lautstärke der Güterwagen überwachen; denn,
wie bereits gesagt, auch ein einzelner Güterwagen erhöht
die Lärmmenge. Die Überwachung übernimmt das Ei-
senbahn-Bundesamt.

Aber auch in Zukunft sind Forschung und Entwick-
lung von neuer leiserer Technik für Güterwagen essenzi-
ell. Deshalb erhalten laute Züge keine Ausnahmegeneh-
migung mehr, wenn die Technik, um sie umzurüsten, zur
Verfügung steht.


(Birgit Kömpel [SPD]: Sehr gut!)


Unter Berücksichtigung der Anmerkungen des Bun-
desrates haben wir einige wenige Ausnahmen für den
Betrieb lauter Wagen zugelassen. Diese betreffen zum
Beispiel Fahrten auf Steilstrecken, da solche Fahrten
aus Sicherheitsgründen zurzeit nur mit diesen Grauguss-
bremsen möglich sind. Die entsprechenden Züge dürfen
aber nur auf Steilstrecken fahren und nicht durch die gan-
ze Republik.

Eine weitere Ausnahme gibt es bei Anschlussbahnen.
Dort gilt die TA Lärm. Wir wollen eigentlich immer noch
in Richtung Gesamtlärmbetrachtung gehen, aber im Mo-

ment ist es so, dass Anschlussbahnen da ausgenommen
sind.

Auch für Güterwagen mit kleinen Rädern gibt es eine
Ausnahme. Ich habe in der Diskussion darüber viel ge-
lernt. Das sind die Güterwagen für die Autoreisezüge. Es
gibt offensichtlich noch technische Probleme, diese auf
leise Bremsen umzurüsten, aber es gibt wohl Möglich-
keiten, dies zu tun. Deshalb müssen wir auch da etwas
ändern.

Für die Fahrten mit Traditionszügen gibt es ebenfalls
eine Ausnahme. Wir alle wollen doch mit unseren Kin-
dern und Enkeln in diesen schönen alten Zügen fahren,
die Krach machen und stinken. In diesem Fall sollte das
erlaubt sein. Insofern finde ich diese Ausnahme sinnvoll.
Ein Verbot wäre meines Erachtens auch ein Affront ge-
gen die Vereine, die sich sehr engagiert um die Instand-
haltung der alten Strecken bemühen und die alten Wagen
mühsam erhalten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, es war ein langer
Weg. Bereits im Oktober 2015 hat mein Büro die erste
Anfrage an das Ministerium gestellt und gefragt, wann
dieser Gesetzentwurf endlich vorgelegt wird; es war ja
im Koalitionsvertrag vereinbart. Heute sind wir so weit.
Es ist schön, dass wir den Gesetzentwurf jetzt verab-
schieden können. Ich kann Ihnen sagen, dass nicht nur
ich, sondern auch – davon bin ich überzeugt – die Ver-
bände, die Unternehmen und vor allem die Bürgerinnen
und Bürger froh sind, dass wir diesen Gesetzentwurf end-
lich verabschieden, und zwar, wie ich höre, mit großer
Zustimmung aller Fraktionen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822805600

Matthias Gastel hat als Redner für die Fraktion Bünd-

nis 90/Die Grünen jetzt das Wort.


Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822805700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Zu anderen Themen führen wir hier im
Deutschen Bundestag lautere Debatten als zum Schienen-
lärmschutzgesetz. Denn wir sind uns im Grundsatz einig:
Wir wollen bis zum Jahr 2020 den von den Menschen
empfundenen Schienenlärm halbieren. Wir brauchen die-
se Lärmreduzierung; denn es geht um die Gesundheit der
Menschen, die entlang der Schienenstrecken wohnen.
Wir brauchen diese Reduzierung auch zur Verbesserung
der Akzeptanz des Schienengüterverkehrs, von dem wir
mehr wollen und nicht weniger.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Um die Akzeptanz in der Bevölkerung steht es nicht
zum Besten. Wir wissen aus Umfragen des Umwelt-
bundesamtes, dass etwa jeder dritte Bürger, jede dritte
Bürgerin sagt: Ich bin von Schienenlärm betroffen. Mich
stört dieser Lärm. – Wir Grüne haben sehr lange auf

Annette Sawade






(A) (C)



(B) (D)


diesen inzwischen vorgelegten Gesetzentwurf gedrängt.
Wir hatten auch einen entsprechenden eigenen Antrag
eingebracht, um dieser Forderung nach einem besseren
Lärmschutz an der Schiene Nachdruck zu verleihen. Jetzt
geht alles ganz schnell. Wir haben letzte Woche eine, wie
ich finde, sehr gute Anhörung durchgeführt, bei der auch
neue Erkenntnisse erzielt wurden. Manches, was wir be-
reits gefordert hatten, wurde bestätigt. Viele dieser Punk-
te sind jetzt in die Änderungsanträge der Fraktionen,
auch in die der Großen Koalition, eingeflossen. Das ist
sehr gut. So können wir diesen Gesetzentwurf heute in
verbesserter Form verabschieden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Von Anfang an fanden wir an diesem Gesetzentwurf
gut, dass laute Güterzüge ab Dezember 2020 aus dem
deutschen Schienennetz verbannt werden sollen und
müssen. Wir fanden auch gut, dass ein Zug bereits dann
als laut gilt, wenn auch nur ein einziger an den Bremsen
nicht umgerüsteter Wagen in diesem Zugverbund enthal-
ten ist. Das ist auf jeden Fall das Positive.

Leider ist aber die Konsequenz doch nicht ganz so
eindeutig, wie es gerade geklungen hat. Es sind einige
Ausnahmen und Befreiungen zumindest im ursprüngli-
chen Gesetzentwurf enthalten gewesen, beispielsweise
die Regelung, dass auch nichtumgerüstete Züge weiter-
hin fahren dürfen, wenn sie so langsam fahren, dass sie
trotzdem leiser sind. Das würde aber bedeuten, dass sie
maximal 30 km/h schnell fahren dürften, und hätte gra-
vierende Auswirkungen auf die Netzkapazität. Das kön-
nen wir nicht wollen, wenn wir mehr und nicht weniger
Güter auf der Schiene haben wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Problematisch ist auch, dass auf lärmsanierten Stre-
cken auch mit nichtumgerüsteten Zügen gefahren wer-
den darf. Das ist eine weitere Ausnahme, die aus unserer
Sicht nicht notwendig ist.

Jetzt hat es, wie gesagt, einige Änderungen aufgrund
der in der Anhörung gewonnenen Erkenntnisse gegeben.
Dazu gehört, dass ursprünglich vorgesehen gewesen ist,
dass etwa 6 000 Wagen bauartbedingt ohne Umrüstung
hätten fahren dürfen. Hierbei hat sich aber herausgestellt,
dass die Umrüstung technisch möglich ist. Nach dem Ge-
setzestext muss dann auch die Umrüstung erfolgen. Es ist
gut, dass es hier keine Ausnahme gibt.

Ursprünglich war auch vorgesehen gewesen, dass lau-
te Züge bereits zum Jahresfahrplan und damit lange im
Voraus hätten angemeldet werden müssen. Praktikabel
ist eine solche Regelung nicht. Denn wer weiß schon lan-
ge im Voraus, welche Wagen in einem Zug enthalten sein
werden, wenn es erst Monate später tatsächlich auf die
Schiene geht? Hier ist klargemacht worden, dass diese
Züge im Rahmen des Gelegenheitsverkehrs angemeldet
werden können und dies nicht bereits vorab zur Erstel-
lung des Jahresfahrplans erfolgen muss. Diese Änderun-
gen haben wir aufgrund neuer Erkenntnisse beschlossen.

Ich finde es schade – das möchte ich hier auch noch
einfließen lassen –, dass wir keinen gemeinsamen Ände-
rungsantrag zustande gebracht haben.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist wirklich schade!)


Wir haben uns darum bemüht. Das hätten wir machen
können: nicht nur gemeinsam abstimmen, sondern ge-
meinsam Verbesserungen beantragen.

Es gibt aber auch noch Kritikpunkte, die nicht korri-
giert wurden. Dazu gehört der zu geringe Kontrolldruck.
Die Evaluation ist nur in der Gesetzesbegründung und
nicht im Gesetzestext enthalten. Wir hätten sie natürlich
lieber im Gesetzestext gehabt. Ende 2019 muss evaluiert
werden. Da muss klar sein: Wirkt das Gesetz, oder reicht
es nicht?

Wir hätten uns auch eine stärkere Spreizung der Tras-
senpreise gewünscht, damit laute Güterzüge höher be-
preist werden, damit es einen klaren ökonomischen An-
reiz zum Umrüsten gibt – und keinen Anreiz, bis zum
letzten Drücker zu warten, weil vielleicht die Politik
doch noch umschwenkt. Dieser ökonomische Druck hat
gefehlt.

Aber viele Dinge sind richtig. Ich möchte noch einen
Hinweis geben: Wir erhöhen mit diesem Gesetz die Ak-
zeptanz des Schienengüterverkehrs. Aber es steht um den
Schienengüterverkehr insgesamt nicht gut. Was wir un-
bedingt brauchen – das vermissen wir sehr stark bei der
Großen Koalition –, sind innovative, neue Ideen zur Stär-
kung des Schienengüterverkehrs, damit weniger Lkw auf
der Autobahn unterwegs sind und mehr Güter auf der
Schiene befördert werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mein letzter Punkt: Wir reden jetzt immer über das
Jahr 2020. Wir müssen uns aber auch Gedanken machen,
wie es danach weitergeht. Unsere Anstrengungen dürfen
nicht mit dem Jahr 2020 aufhören. Es geht auch danach
weiter im Bemühen, den Schienenlärm zu reduzieren.
Dazu müssen wir beispielsweise die Lokomotiven ver-
stärkt in den Blick nehmen. Wir müssen auch andere,
noch innovativere Bremstechnologien in den Blick neh-
men. Es geht um die Akzeptanz. Es geht um den Gesund-
heitsschutz. Der Weg ist gut, auf dem wir gemeinsam
sind, aber er ist noch lange nicht zu Ende.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Annette Sawade [SPD]: Das haben Wege so an sich!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822805800

Als nächster Redner hat Michael Donth für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michael Donth (CDU):
Rede ID: ID1822805900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Besucher auf den Tribünen! „Der Güterzug ist das
neue Hassobjekt der Deutschen“ – so titelte die Zeitung
Die Welt vor circa einem Jahr. Hintergrund waren mas-

Matthias Gastel






(A) (C)



(B) (D)


sive Einwohnerproteste in Niedersachsen gegen Neu-
baustrecken für Güterzüge.

Meine Damen und Herren, ich halte eine solche Ent-
wicklung für fatal für unser Land, das eine Exportnation
ist und gleichzeitig ehrgeizige Klimaschutzziele verfolgt.
Wir wollen, dass unsere Wirtschaft wettbewerbsfähig
bleibt, und wir wollen mehr Verkehr von der Straße auf
die Schiene verlagern. Das geht aber nur, wenn wir eine
entsprechende Infrastruktur schaffen, und das wiederum
geht nur, wenn wir dafür die Akzeptanz der Bevölkerung
haben. Aber die Menschen sind immer weniger bereit,
donnernde und kreischende Güterzüge zu erdulden. Des-
halb haben wir uns im Koalitionsvertrag das Ziel gesetzt,
den Schienenlärm in Deutschland bis zum Jahr 2020,
ausgehend von 2008, zu halbieren.

Es freut mich sehr, dass wir heute mit dem Schienen-
lärmschutzgesetz einen weiteren ganz wichtigen Baustein
setzen, um dieses Ziel zu erreichen. Das Gesetz verbietet
ab dem 13. Dezember 2020 grundsätzlich den Betrieb
lauter Güterwagen auf unserem deutschen Schienennetz.
Wenn ab diesem Zeitpunkt trotzdem ein Güterzug, in den
laute Wagen eingestellt sind, unterwegs ist, so muss er so
langsam fahren, dass er genauso leise ist wie ein Zug, der
nur aus neuen oder umgerüsteten Wagen besteht.

Bereits heute sind die Trassenpreise, die sogenann-
te Schienenmaut, lärmabhängig differenziert. Mit lau-
ten Wagen langsam zu fahren, wird die Eisenbahnver-
kehrsunternehmen in Zukunft zusätzlich viel Zeit und
damit auch viel Geld kosten. Dies sollte schon unter un-
ternehmerischen Gesichtspunkten ein großer Anreiz sein,
bis Ende 2020 alle Güterwagen umzurüsten oder durch
leise zu ersetzen. Dennoch besteht das Risiko, dass einige
Unternehmen aus ganz Europa diese Umstände in Kauf
nehmen und versuchen, das Netz weiterhin mit alten, lau-
ten Wagen, aber dann eben mit niedriger Geschwindig-
keit zu befahren. Die Fachleute haben uns davor gewarnt,
dass schon wenige langsame Züge unser gesamtes Netz
schwer belasten würden. Das ist eigentlich logisch; denn
hinter einem lauten und deshalb langsamen Zug muss
auch ein Zug, der schnell fahren dürfte, langsam fahren.
Das wollen wir von SPD, CDU und CSU verhindern.

Unser Ziel ist, den Güterverkehr attraktiv zu machen.
Deshalb ist vorgesehen, dass für solche Züge Einzel-
fahrgenehmigungen beantragt werden müssen und der
Fahrplan nicht von vornherein vorsorglich für langsame
Trassen blockiert wird; denn meistens wissen die Betrei-
ber von Güterbahnen ein Jahr im Voraus auch noch nicht,
welche Waggons, die sie dann durch Europa ziehen sol-
len, man ihnen bringt. Wir wollen damit auch verhindern,
dass die Betreiber wegen des Betriebs von Güterwagen,
für die es noch keine Lärmreduktion gibt, bestraft wer-
den. Manche Güterwagen, nämlich solche mit kleinen
Rädern, können technisch noch nicht umgerüstet wer-
den. Die Kollegin hat das gerade angesprochen; auch ich
habe viel über die Technik lernen dürfen. Sie müssen ge-
nauso umgerüstet werden wie die anderen; aber es muss
zunächst eine anerkannte und zugelassene Technologie
für die Lärmreduktion vorhanden sein. Deshalb sind sie
so lange ausgenommen, bis es diese Technik gibt. Al-
lerdings kann man sagen: Daran wird bereits mit Hoch-
druck gearbeitet.

Wir gehen den Weg zum Verbot lauter Wagen nicht
allein. Unsere südlichen Nachbarn in der Schweiz ver-
bieten den Betrieb lauter Güterzüge bereits zum 1. Januar
2020 ohne Ausnahme, ohne Wenn und Aber. Das bedeu-
tet im Umkehrschluss, dass alle Güterzüge, die aus Süd-
europa über die Eidgenossenschaft zu uns kommen oder
dorthin fahren wollen, leise unterwegs sein werden. Das
ist eine sehr gute Nachricht, nicht nur, aber natürlich vor
allem für uns in Baden-Württemberg.


(Beifall bei der CDU/CSU – Margaret Horb [CDU/CSU]: Ja, ganz genau!)


Mit Blick auf das zukünftige Verbot lauter Güterwa-
gen rüstet die Branche in Deutschland ihren Bestand
schon jetzt kräftig um. Unterstützt werden die Unter-
nehmen dabei durch ein Förderprogramm der Bundes-
regierung mit einem Volumen von 152 Millionen Euro.
Dieses Programm nutzen übrigens auch ausländische
Wagenhalter, die mit ihren Fahrzeugen bei uns unterwegs
sind. Durch den heute vorgelegten Gesetzentwurf haben
die Unternehmen jetzt auch die Gewissheit, dass sich ihre
Investitionen in die leisere, aber teurere Technik auch in
Zukunft lohnen werden. Dass die Anreize, die die Bun-
desregierung bisher gesetzt hat, wirken, sieht man daran,
dass schon jetzt die Hälfte der in Deutschland verkehren-
den Güterwagen umgerüstet und damit leise ist.


(Margaret Horb [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Mit unserem Schienenlärmschutzgesetz zeigen wir,
dass unsere Politik verlässlich ist.


(Margaret Horb [CDU/CSU]: Richtig!)


Mit fortschreitender Umrüstung wird der Schienenlärm
schon heute – jedes Jahr ein bisschen mehr und nicht erst
nach 2020 – deutlich reduziert.

Der Schienenverkehr in Deutschland wird leiser:
Das ist unser Ziel, und das schaffen wir. Das ist die gute
Nachricht des heutigen Tages an die lärmgeplagten Bür-
gerinnen und Bürger in unserem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822806000

Kirsten Lühmann hat als nächste Rednerin das Wort

für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Kirsten Lühmann (SPD):
Rede ID: ID1822806100

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen!

Sehr verehrte Anwesende! Der Gesetzentwurf, den wir
hier heute verabschieden, ist in unserem Koalitionsver-
trag ein zentraler Punkt unserer Schienenpolitik. Er ist
umso wichtiger geworden, weil wir unsere Verpflichtun-
gen aus dem Pariser Klimaschutzabkommen einhalten
müssen, und das können wir nur, wenn wir mehr Verkehr
auf die Schiene bringen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Regierung war in diesem Punkt nicht untätig. Wir
haben in dieser Legislaturperiode im Bundesverkehrswe-

Michael Donth






(A) (C)



(B) (D)


geplan Prioritäten auf die Engpassbeseitigung, auf die
Elektrifizierung von wichtigen Güterverkehrsstrecken,
auf die Implementierung des 740-Meter-Netzes und auf
die Grundlagen des Deutschland-Taktes, um auch für den
Personenverkehr attraktiver zu werden, gesetzt.

Das alles reicht aber noch nicht. Ganz wichtig beim
Thema Güterverkehr ist es, die Wirtschaftlichkeitslücke
zwischen der Schiene und der Straße zu schließen. Wir
müssen uns über die Senkung von Trassenpreisen und
der Stromsteuer Gedanken machen. Sonst wird unser
Konzept nicht aufgehen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Michael Donth [CDU/CSU])


Bei unserer Politik für die Schiene gibt es, wie so oft
im Leben, zwei Seiten einer Medaille. Die zweite Seite
zeigen uns die Anwohner. Unsere Politik bedeutet für die
Menschen, die an der Schiene wohnen, noch mehr Lärm
vor ihrer Haustür. Das haben wir erkannt, und darum ha-
ben wir in diesem Punkt auch gehandelt: Mit der soge-
nannten Schall 03 haben wir die Berechnung des Schie-
nenlärms verändert und aktualisiert, wir haben die Mittel
für den freiwilligen Lärmschutz jährlich um 30 Millio-
nen Euro erhöht, und wir haben neue Techniken für die
Lärmminderung eingeführt – sei es als Versuch oder sei
es im richtigen Betrieb.

Insbesondere wenn wir die großen Bürgerforen durch-
führen, zum Beispiel an der Rheintalbahn oder an der
Alpha-Bahntrasse in Norddeutschland für den Hafenhin-
terlandverkehr, sagen uns die betroffenen Menschen: Das
ist schön, aber das reicht uns nicht. – Und sie haben recht.
Denn was nützt es uns, wenn wir 6 Meter hohe Lärm-
schutzwände hübsch anmalen, damit man besser drauf-
gucken kann? Das bringt nur wenig. Viel wichtiger ist es
doch, den Lärm an der Quelle zu vermeiden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das werden wir mit diesem Gesetzentwurf tun. Bis 2020
wird die Bundesregierung in ihrem Umrüstungspro-
gramm über 150 Millionen Euro den betroffenen Unter-
nehmen zur Verfügung gestellt haben.

Wir haben heute sehr theoretisch geredet und gesagt:
Ein umgerüsteter Zug ist bis zu 10 Dezibel leiser als ein
nichtumgerüsteter Zug. – Wenn man sich aber einmal an
die Schiene stellt und sich das anhört – über 50 Prozent
der Wagen sind bis jetzt umgerüstet –, dann merkt man
erst, was für ein Vorteil die mehrfache Halbierung des
Lärms ist. Ich empfehle allen, sich einmal an die Schiene
zu stellen und sich einen umgerüsteten Zug anzuhören.
Dann sieht man: Das, was wir hier heute auf den Weg
bringen, ist eine echte Erleichterung für die Betroffenen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Natürlich müssen wir auch weiterhin einen diskrimi-
nierungsfreien Zugang ermöglichen. Es gibt technische
Grenzen. Auch solche Züge müssen auf die Schiene
kommen. Wir haben aber gesagt: Auch wenn sie nicht
umgerüstet und laut sind, müssen sie unsere Lärmober-

grenzen einhalten, wenn sie auf unseren Schienen unter-
wegs sind. Das geht nur, indem sie langsam fahren.

Wir alle wissen – auch aus dem Straßenverkehr –, dass
wir die Einhaltung einer Regel kontrollieren müssen,
wenn wir sie aufstellen. Wenn wir kontrollieren und fest-
stellen, dass jemand die Regel verletzt, dann muss er ein
Bußgeld zahlen. Wir haben die Bedenken der Gewerk-
schaften GDL und EVG sehr ernst genommen, die uns
gefragt haben: Warum geht ihr denn an Lokomotivführer
ran? – Das ist richtig, aber wir gehen nicht nur an den
Lokomotivführer ran, sondern das Bußgeld wird auch für
den Unternehmer fällig, der so etwas angeordnet hat. Wir
können den Lokomotivführer aber nicht ganz außen vor
lassen, genauso wie wir den Lkw- oder den Pkw-Fahrer
nicht ganz außen vor lassen können, der eine Ordnungs-
widrigkeit begangen hat.

Wir haben das, wie gesagt, ernst genommen und ge-
sagt: Die Bußgelder müssen verhältnismäßig sein. Ein
Lokomotivführer hat weniger Geld zur Verfügung als
der Unternehmer; also muss auch die Höchstgrenze für
den Lokomotivführer deutlich geringer sein. Wir haben
den Höchstbetrag halbiert. Er liegt jetzt bei maximal
1 000 Euro. Ich denke, damit haben wir den Interessen
der Betroffenen Rechnung getragen.

Wir haben das Problem der langsam fahrenden Züge,
die unsere Trassen verstopfen, dadurch ein wenig ent-
schärft, indem wir gesagt haben: Sie dürfen nur noch als
Gelegenheitsverkehr fahren, das heißt auf Trassen, die
sowieso leer geblieben sind. Dort, wo sie keinen anderen
stören, dürfen sie also fahren. Das finde ich mit Blick auf
den diskriminierungsfreien Zugang richtig und wichtig.

Abschließend: Das Gesetz, das wir heute beschließen,
ist ein gutes Gesetz für die Umwelt, ist ein gutes Gesetz
für die Anwohnenden. Aber es ist nicht der Schluss der
Debatte. Wir Politiker und Politikerinnen können uns
jetzt nicht zurücklehnen, sondern wir haben den Auftrag,
nach vorne zu schauen und die Entwicklung und For-
schung weiter voranzutreiben, um noch leisere Güterwa-
gen, noch leisere Lokomotiven und noch leisere Gleis-
baufahrzeuge in Deutschland zu bekommen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822806200

Dirk Fischer hat jetzt für die CDU/CSU-Fraktion als

letzter Redner in dieser Aussprache das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1822806300

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Der Schall von Güterzügen mit alter Bremstechnik ist
mit einem Presslufthammer, der in 7 Metern Entfernung
von uns arbeitet, zu vergleichen. Das entspricht einem
Lärmpegel von 90 Dezibel. Dass ein solcher Lärm von
Anliegern als störend empfunden wird und der Gesund-
heit schadet, ist ja wohl sonnenklar.

Kirsten Lühmann






(A) (C)



(B) (D)


Die Prognose unseres Ministeriums für den Schienen-
güterverkehr: bis 2030 ein Zuwachs von über 43 Prozent.
Wir tun das dafür Notwendige und unterstützen damit
ausdrücklich das Ziel der Bundesregierung, mehr Güter
auf der Schiene zu transportieren; denn das bedeutet eine
umweltfreundliche und klimaschonende Bewältigung
des Güteraufkommens.

Der Staat als Eigentümer muss dafür natürlich das
Schienennetz weiter ausbauen und neue Kapazitäten
schaffen, um diesen Zuwachs bewältigen zu können. Das
bedeutet aber für die Anlieger von Strecken nicht weni-
ger, sondern in der Zukunft noch viel mehr Verkehr. Die-
ser Realität müssen wir uns stellen.

Der Schienenlärmschutz für die Bevölkerung ist daher
ein Kernziel dieser Koalition, das sie mit einer Vielzahl
von Maßnahmen und immensen Investitionen – einiges
ist schon angesprochen worden – vorantreibt. So hat sich
der Bund die Strategie „Leise Schiene“ als klares Ziel
gesetzt. Demnach soll der Schienenverkehrslärm, ausge-
hend vom Jahr 2008, bis 2020 halbiert werden. Dadurch
würde im Volk die Akzeptanz für Schienenverkehr deut-
lich steigen. Die Parole lautet: Mehr Mobilität bei weni-
ger Lärm!

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist ein Mei-
lenstein für den aktiven Lärmschutz, weil er eine Re-
duzierung des Lärms direkt an der Quelle vorsieht. Die
neuen innovativen Verbundstoffbremssohlen können die
Rollgeräusche der Güterwagen um bis zu 10 Dezibel re-
duzieren. Das ist in der menschlichen Wahrnehmung eine
Halbierung des Lärms.

Im Juni 2013 ist die sogenannte LL-Sohle durch den
Internationalen Eisenbahnverband für die europaweite
Umrüstung zugelassen worden. Das ist ökonomisch eine
sehr sinnvolle Lösung, da man nur die Bremsklötze aus-
tauschen muss; das kann bei jedem Wartungstermin erle-
digt werden. Zwar sind in Europa neu angeschaffte Gü-
terwagen und die meisten Personenzüge schon seit 2006
mit einer leisen Bremstechnologie ausgestattet, aber es
verkehren in Europa noch viel zu viele nicht umgerüstete
Güterwagen.

Erfreulich ist die Meldung der DB AG vom Montag
dieser Woche, dass bis Ende 2017 die Zahl der umge-
rüsteten Wagen des Unternehmens von 33 000 auf
40 000 steigen wird und dass bis Ende 2020 sämtliche
64 000 Wagen der Flotte umgerüstet sein werden. Auch
andere Güterwagenhalter haben bei der Umrüstung ver-
gleichbare Fortschritte erzielt, sodass man mit gutem
Gewissen sagen kann: Die deutschen Güterwagenhalter
haben die Zeichen der Zeit erkannt und können in Europa
als positives Beispiel genannt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir erhöhen mit dem Gesetz den Druck auf dieje-
nigen Wagenhalter, die bislang keine Umrüstung ihrer
Güterwagen vorgenommen haben. Denn laute Güterwa-
gen können, wie dargestellt, für den regulären Fahrplan-
wechsel 2020/2021 nicht mehr angemeldet werden. Sie
können dann nur noch im Gelegenheitsverkehr auf noch
nicht vergebenen Schienentrassen gefahren werden.

Das vorliegende Gesetz ist insoweit, denke ich, auch
eine sehr sinnvolle regulatorische Ergänzung für das,
was in den letzten Jahren bereits umgesetzt worden ist.
Der Kollege Donth hat ja das Förderprogramm ange-
sprochen. Wir fördern die Umrüstung der auf unserem
deutschen Netz fahrenden deutschen und ausländischen
Güterwagen mit 152 Millionen Euro. Ich fordere hier
aber auch die Europäische Union auf, ebenfalls ein sol-
ches Programm mit Umrüstungsbeihilfen für investiti-
onsschwache Länder aufzulegen


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


und sich aktiv an der Umrüstung der europäischen Gü-
terwagenbestände zu beteiligen, damit schnellstens eine
einheitliche gesamteuropäische Lösung geschaffen wer-
den kann.

Mit der Umrüstung der Güterwagen auf leisere
Brems technik ist eine flächendeckende Lärmminderung
möglich. Lärmschutzwände und Schallschutzfenster da-
gegen können nur örtlich und begrenzt ihre Wirksamkeit
entfalten.

Seit dem Fahrplanwechsel 2012/2013 müssen laute
Züge höhere Trassenpreise als leise Züge zahlen. Für
besonders leise Wagen wird auch noch eine Innovations-
prämie als Belohnung gezahlt.

Der Bund investiert auf Initiative des Bundestages –
das sage ich hier mit einigem Stolz – jährlich mittlerwei-
le 150 Millionen Euro in eine freiwillige Lärmsanierung
an bestehenden Schienenwegen. Das Zukunftsinvestiti-
onsprogramm des Bundes für die Jahre 2016 bis 2018
sieht zusätzliche Investitionen für Lärmschutz vor, damit
insbesondere Lärm an Brennpunkten weiter reduziert
werden kann und damit innovative Techniken entwickelt
werden können.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss
möchte ich sagen: Wir können auch noch weitere Maß-
nahmen ergreifen: superschnelles Schleifen für glatte,
geräuscharme Schienen, Schallabsorber an den Rädern,
neu dimensionierte Schallschutzwände – also konkav
und nicht mehr steil –, Entdröhnung von Brücken und
nahtlose Verschweißung.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822806400

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.


Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1822806500

Ich bin am Ende meiner Ausführungen, Frau Präsi-

dentin. – Die nahtlose Verschweißung dient dazu, dass
nicht alle Hundert Meter ein Knacken im Netz zu hören
ist. Da haben wir einiges zu tun. Auch die Digitalisierung
kann einen Beitrag leisten.

Ich bin überzeugt, dass wir in den Jahren bis 2020
deutliche Verbesserungen erleben werden. Ich wünsche
den Anwohnerinnen und Anwohnern der Metropolen,
des Rheintals, des Inntals, des oberen Elbtals und anderer

Dirk Fischer (Hamburg)







(A) (C)



(B) (D)


Regionen bald ruhigere Nächte und bitte deswegen um
Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822806600

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich

die Aussprache, und wir kommen zur Abstimmung über
den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzent-
wurf zum Verbot des Betriebs lauter Güterwagen.

Zu der Abstimmung liegt mir eine Erklärung gemäß
§ 31 der Geschäftsordnung vor.1)

Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/11769, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/11287 in der Ausschussfassung anzu-
nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? –
Das ist nicht der Fall. Dann ist der Gesetzentwurf in
zweiter Beratung einstimmig angenommen worden.


(Beifall im ganzen Hause)


Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gibt es jemanden, der dagegenstimmen möchte? –
Möchte sich jemand enthalten? – Das ist auch nicht der
Fall. Dann ist der Gesetzentwurf einstimmig angenom-
men worden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das passiert nicht so häufig, ist aber hier – wenn ich mir
erlauben darf, das zu sagen – in der Sache gut.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Stephan
Kühn (Dresden), Matthias Gastel, Dr. Valerie
Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Investitionsstau auflösen – Zukunft des ÖPNV
sichern – Jetzt die Weichen für den öffentli-
chen Verkehr von morgen stellen

Drucksache 18/10747
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Stephan
Kühn (Dresden), Britta Haßelmann, Matthias
Gastel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

1) Anlage 2

Fairen Wettbewerb und kommunale Gestal-
tungsmöglichkeiten im Nahverkehr sicher-
stellen

Drucksache 18/10978
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat
Stephan Kühn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
das Wort.

Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Einfach einsteigen und losfahren, ohne sich vor-
her im Tarifdschungel zu verirren und lange Fahrpläne
zu studieren, bargeldlos ein elektronisches Ticket für
verschiedene Verkehrsmittel oder über Verbundgrenzen
hinweg erwerben, ein Leihfahrrad oder Carsharingauto
in die Reisekette einbauen, und zwar alles mit einem Ti-
cket: Wir wollen, dass das keine Vision bleibt, sondern
endlich Standard im öffentlichen Verkehr wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir wollen eine Mobilitätskarte, den MobilPass, um ein-
fach und bequem verschiedene Verkehrsmittel miteinan-
der kombinieren zu können.

Für unsere Idee droht ungewohnte Unterstützung. Ver-
kehrsminister Alexander Dobrindt versprach unlängst
vollmundig die Abschaffung des Papierfahrscheins bis
2019. Doch leider entpuppten sich die Ankündigungen,
wie so oft bei Herrn Dobrindt, bei näherer Betrachtung
als reiner PR-Gag. Jeder Verkehrsverbund darf weiter an
seinen Apps und Plattformen herumbasteln. Eine Stra-
tegie für die digitale Vernetzung aller öffentlichen Ver-
kehrsmittel ist das nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Wirrwarr bei den Tarifen muss endlich durch
bundesweit einheitliche Standards beendet werden. Ein
Meilenstein im öffentlichen Verkehr wäre daher ein bun-
desweit einheitliches Vertriebssystem,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


damit eine Familie in einem Verkehrsverbund auch in
einem anderen Tarifgebiet als Familie gilt. Auch gelten
bisher bei Kindern und Jugendlichen sowie Senioren un-
terschiedliche Altersgrenzen.

Wir haben in Deutschland etwa 450 Verkehrsbetriebe
und über 130 Tarifverbünde. Die bestehende Exklusivität
der jeweiligen Tickets und die heutigen Vertriebswege
in den Nahverkehrskönigreichen sind nicht mehr zeitge-
mäß.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dirk Fischer (Hamburg)







(A) (C)



(B) (D)


Sie verhindern das durchgängige Buchen und Bezahlen
über Tarifgrenzen hinweg und damit auch über Verkehrs-
mittel. Daher sollten regionale Verbundtarife möglichst
bald durch einen für alle Unternehmen im Eisenbahn-,
Regional- und Nahverkehr verbindlichen Deutschland-
tarif ergänzt werden. So könnten Bus- und Bahnfahren
einfach und bequem werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, während in den letzten
Jahren die Bundesmittel für Eisenbahn, Autobahnen und
Wasserstraßen in Milliardenhöhe gestiegen sind, werden
die ÖPNV-Investitionen von dieser Bundesregierung
sträflichst vernachlässigt. Die Infrastruktur bröckelt teil-
weise kräftig. Der Investitionsstau allein im kommuna-
len Schienennetz beträgt schätzungsweise 4 Milliarden
Euro. Damit sind die Kommunen überfordert.

Zudem platzt der Nahverkehr in vielen Städten aus
den Nähten. Wer wissen will, wie sich wohl die Ölsardi-
nen in der Dose fühlen, muss nur zur Rushhour in Frank-
furt, Berlin oder München mit der S-Bahn fahren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die jährlich vorgesehenen 330 Millionen Euro aus
dem Bundesprogramm reichen hinten und vorne nicht
aus, um mit Ausbau und Neubau adäquat auf die wach-
sende Nachfrage zu reagieren. Seit 20 Jahren wurde der
Etatansatz nicht erhöht. Das bedeutet praktisch jedes Jahr
weniger Geld zum Bauen. Statt die Investitionen zu er-
höhen, plant die Große Koalition mit der Änderung des
Grundgesetzartikels 125c, die Bundesmittel auf der der-
zeitigen Höhe bis 2025 einzufrieren. Meine Damen und
Herren, das käme einer Investitionsbremse gleich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zwischen dem bereits anerkannten Bedarf und den
bis 2025 verfügbaren Mitteln aus dem Bundesprogramm
klafft mittlerweile eine Lücke von etwa 4 Milliarden
Euro. Zwei von drei Projekten, die im Nahverkehrspro-
gramm des Bundes aufgelistet sind, haben also absehbar
keine Chance auf Umsetzung, wenn es bei der jetzigen
Förderkulisse bliebe. Die Zuverlässigkeit und die Quali-
tät des Nahverkehrs werden darunter leiden.

Nur mit einer Nahverkehrsoffensive und Bundesmit-
teln in Höhe von jährlich 1 Milliarde Euro wird es gelin-
gen, den öffentlichen Verkehr zum Leistungsträger einer
ökologischen Verkehrswende zu machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wer die Klimaziele des Verkehrssektors erreichen will,
wer die Luftqualität in den Städten wirksam verbessern
will, muss jetzt Geld für den Ausbau des öffentlichen
Nahverkehrs in die Hand nehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE])


Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Wir nehmen in
unseren Anträgen auch die Mobilität in ländlichen Re-
gionen in den Blick. Viele Bürger fühlen sich sprich-
wörtlich abgehängt. Der ÖPNV ist oft keine Alternati-
ve zum eigenen Auto. Bislang fehlt eine Definition des

Mindestangebots, das dem im Grundgesetz verankerten
Anspruch der Daseinsvorsorge gerecht wird. Wir müssen
gemeinsam mit den Ländern darüber diskutieren, wie wir
für die Bürgerinnen und Bürger in ländlichen Regionen
zu einer Mobilitätsgarantie kommen, die dem Anspruch
gleichwertiger Lebensverhältnisse gerecht wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie uns daran gemeinsam arbeiten, und unterstüt-
zen Sie unsere Initiative.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822806700

Als nächster Redner hat Michael Donth für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michael Donth (CDU):
Rede ID: ID1822806800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der öffentliche Personennahverkehr auf Schiene und
Straße garantiert jeden Tag die Mobilität von Millionen
Menschen in unserem Land. Die Fahrgastzahlen steigen
erfreulicherweise immer weiter, und ich glaube, man
kann sagen, auch weil wir die Zuständigkeiten den Län-
dern übertragen haben; diese machen das eigentlich ganz
gut.

Ich finde es daher schön, liebe Kolleginnen und Kol-
legen von den Grünen, dass Sie sich darüber Gedanken
machen, wie der ÖPNV weiter verbessert werden kann.
Allerdings frage ich mich, warum Sie dann Anträge ohne
jegliche Verbesserungsvorschläge vorlegen. Ihr Antrag
soll dem Titel nach – ich beziehe mich auf Tagesord-
nungspunkt 6 b – einen fairen Wettbewerb sicherstellen.
Das ist aber eine Mogelpackung; denn Sie fordern genau
die Maßnahmen, die einen fairen Wettbewerb abschaffen
würden.

Wir haben in Deutschland seit Jahrzehnten ein be-
währtes Miteinander von kommunalen und privaten
Nahverkehrsunternehmen. Die Privaten sind oft mittel-
ständische Familienunternehmen wie zum Beispiel das
der Familie Steinbrück in Gotha – diesen Betreiber ken-
nen wir alle –, die Buslinien eigenwirtschaftlich betrei-
ben, das heißt ohne kommunale Zuschüsse. Der Wettbe-
werb zwischen privaten Unternehmen auf der einen und
kommunalen Unternehmen auf der anderen Seite sorgt
für Qualität im Angebot, für Effizienz und auch für Wirt-
schaftlichkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dabei gilt getreu unserer Verfassung der Grundsatz:
Markt vor Staat. – Das heißt, Verkehre, die sich aus den
Fahrgeldeinnahmen alleine finanzieren, haben Vorrang
vor denen, die sich nur mit Zuschüssen realisieren lassen.

Nun baut Ihr Antrag auf zwei Behauptungen auf. Ei-
genwirtschaftliche Verkehrsanbieter besäßen erstens
einen weitreichenden Konkurrenzschutz und würden
zweitens kommunale Verkehrsunternehmen aus dem
Markt drängen. Beides ist falsch. Dazu ein paar Zahlen:
In den letzten zehn Jahren ist das Marktvolumen der

Stephan Kühn (Dresden)







(A) (C)



(B) (D)


Verkehrsleistungen im ÖPNV, das direkt, das heißt ohne
Wettbewerb, vergeben wurde, um 88 Prozent gestiegen.
Von diesen Direktvergaben sind wiederum 96 Prozent
an kommunale Unternehmen gegangen. 96 Prozent! Ein
Krümel von gerade einmal 4 Prozent verbleibt für die
Privaten. Sieht so die von Ihnen behauptete Verdrängung
aus dem Markt aus? Ja, Sie haben recht: Es findet eine
brutale Verdrängung statt, aber bezogen auf die privaten
Verkehrsunternehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Zahl der privaten Busunternehmen ist im gleichen
Zeitraum – das ist ein weiterer Beleg – um fast ein Drittel
zurückgegangen; sie sind vom Markt verschwunden. Da
gab es übrigens keine Beschwerdebriefe von Verdi.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach so, das ist eine Rede gegen Verdi!)


Daran sieht man, dass der angeblich weitreichende Kon-
kurrenzschutz nicht vorhanden ist, sonst müssten diese
Zahlen bundesweit ganz anders aussehen. Zahlen und
Fakten sprechen eine andere Sprache als Ihre grünla-
ckierten Fake News.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)


Fahren wir fort. In Ihrem Antrag behaupten Sie des
Weiteren, die Angebotskonzepte der kommunalen Auf-
gabenträger ließen sich oft nicht oder nur unter erschwer-
ten Bedingungen durchsetzen, und deshalb müssten wir
das Gesetz ändern. Nach der geltenden Regelung des
Personenbeförderungsgesetzes kann die Verkehrsgeneh-
migung versagt werden, wenn der beantragte Verkehr
nicht im Einklang mit dem Nahverkehrsplan steht. Die
Genehmigung muss sogar versagt werden, wenn der An-
trag die in der Bekanntmachung beschriebenen Anforde-
rungen nicht erfüllt. Das heißt, die Kommunen können
Anforderungen und Standards, auch Sozial- oder Öko-
standards, vorgeben und sind keinesfalls der Willkür der
privaten Anbieter ausgeliefert. Die Kommunen geben die
Richtschnur vor; sie definieren, wie der ÖPNV aussehen
soll. Aber sie müssen sich auch die Mühe machen, einen
Nahverkehrsplan mit allen Beteiligten auszuarbeiten.
Der Kollege Lange kann ein Lied davon singen und ich
auch im Kreistag. Ein Nahverkehrsplan, der Antworten
auf all diese Fragen gibt – das ist, glaube ich, Uli, echt
ein G’schäft.

Sie behaupten weiter, der Vorrang eigenwirtschaftli-
cher Verkehre – ich zitiere, wenn ich darf – „kann zu ei-
ner Genehmigung von Nahverkehrsleistungen führen, …
ohne dass eigene kommunale Unternehmen den vorab
genehmigten eigenwirtschaftlichen Verkehren Konkur-
renz machen können“. Dass auch das nicht stimmt, zeigt
ein Blick ins Gesetz. Der eigenwirtschaftliche Antrag des
Privaten erhält nur dann den Zuschlag, wenn er ein bes-
seres Angebot macht. Von den Vorgaben der Kommunen
darf der Antrag, wenn überhaupt, nur unwesentlich ab-
weichen. Obendrein hat der kommunale Bestandsunter-
nehmer bei qualitativ ähnlichem Antrag einen Bestands-
schutz und kommt so zum Zuge. Ich finde, diese Regeln
sind ausgewogen und fair. Gleichzeitig sorgen sie für
einen Wettbewerb um die beste Qualität.

Würden wir auf die Forderungen Ihres Antrags ein-
gehen und die Kommunen und ihre Unternehmen noch
stärker stellen, wäre ein Wettbewerb mit privaten Un-
ternehmen nicht mehr möglich, und sie würden vom
Markt verschwinden. Ich erinnere an die Zahlen, die ich
genannt habe. Das entspricht aber nicht dem Ziel, das
Sie im Titel Ihres Antrags genannt haben. Vielleicht ent-
spricht das Ihren Absichten, aber uns, vor allem in der
CDU/CSU-Fraktion, gefällt es auf jeden Fall nicht.

Ich möchte noch kurz auf Ihren zweiten Antrag einge-
hen. Die Maßnahmen und Instrumente, die Sie darin für
die Zukunft des ÖPNV fordern, sind von der Bundesre-
gierung zum großen Teil schon aufgegriffen worden oder
betreffen die Kompetenz der Länder. Dann wollen Sie
die Finanzmittel des Gemeindeverkehrsfinanzierungsge-
setzes, GVFG – Kollege Kühn hat es dargestellt –, mit
dem der Bund große Investitionen im Nahverkehr in den
Ländern mit einem Anteil von 60 Prozent unterstützt,
von 333 Millionen Euro auf 1 Milliarde Euro aufstocken.

Erst vor einem Jahr haben sich Bund und Länder da-
rauf geeinigt, die Regionalisierungsmittel, die hauptsäch-
lich dem Schienenpersonennahverkehr zugutekommen,
um fast 1 Milliarde Euro pro Jahr zu erhöhen. Nun wer-
den auch noch die Mittel aus dem GVFG vom Bund über
2019 hinaus weitergeführt, obwohl die Länder ursprüng-
lich diese Mittel nach 2019 selber aufbringen wollten.
Das zeigt doch, wie stark sich der Bund hier zugunsten
des ÖPNV, für den primär die Länder zuständig sind, en-
gagiert,


(Beifall bei der CDU/CSU)


ganz zu schweigen von den 9,5 Milliarden Euro pro Jahr,
die die Länder durch den neuen Länderfinanzausgleich
vom Bund erhalten. Im Jahr 2020 sind das annähernd
20 Milliarden Euro pro Jahr, die im vergangenen Jahr
beschlossen wurden und die die Länder nach dem heute
noch geltenden Grundgesetz nicht bekommen würden.
Und jetzt kommen Sie und sagen: Aber die GVFG-Mittel
muss der Bund auch noch zusätzlich auf 1 Milliarde Euro
erhöhen. – Ich bitte Sie: Das ist fast schon unverschämt.

Da war sogar der grüne Ministerpräsident aus Ba-
den-Württemberg gemäßigter. Der hat nämlich diesem
Kompromiss zugestimmt und war damit mehr als zufrie-
den. Vielleicht sollten Sie, Kollege Kühn, bei ihm einmal
14 Tage hospitieren.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822806900

Sabine Leidig hat als nächste Rednerin für die Frakti-

on Die Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822807000

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Gäste! Die Linke will öffentlichen Nahverkehr für

Michael Donth






(A) (C)



(B) (D)


alle, und zwar in guter Qualität, barrierefrei und bezahl-
bar, am besten zum Nulltarif.


(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Erstens können und werden dann wesentlich mehr
Leute vom Auto auf Bahn und Bus umsteigen; das be-
stätigt übrigens auch der ADAC. Das wiederum bedeutet
weniger Lärm, weniger gesundheits- und klimaschädli-
che Abgase, weniger Stau und mehr Platz auf den Stra-
ßen für schöne Dinge.

Zweitens können mit den Öffis, wie die Österreicher
es nett ausdrücken, wirklich alle mobil sein – Kinder,
Alte, Menschen mit Behinderung, Umweltbewusste und
auch die, die sich kein Auto leisten können –, und genau
das wollen wir.


(Beifall bei der LINKEN)


Dafür muss umverteilt werden, und zwar vom Autover-
kehr hin zum öffentlichen Nahverkehr.

So wie es jetzt ist, sind die Verkehrsverhältnisse
schlicht ungerecht, und zwar sehr konkret. In Kassel zum
Beispiel, wo ich wohne, kostet eine Stunde Parken in der
Innenstadt 2 Euro, aber ein Fahrschein für eine Fahrt in
die Innenstadt kostet 2,90 Euro. Im Kaufhaus wird die
Parkgebühr erstattet, aber nicht das Busticket. Parken
ohne Parkschein kostet 10 Euro, aber Fahren ohne Fahr-
schein kostet 60 Euro. Für den Haushalt der Stadt sieht
es so aus, dass 88 Prozent der Kosten für den ÖPNV ge-
deckt sind; aber beim Straßenverkehr sind es nur 34 Pro-
zent. Das heißt, die Stadt legt dafür ordentlich drauf.

Nun unterstützt der Bund – nach langem Ringen –
auch in Zukunft den ÖPNV über das sogenannte Ge-
meindeverkehrsfinanzierungsgesetz mit 330 Millionen
Euro pro Jahr; so ist es vorgesehen. Das klingt nach viel,
ist aber viel zu wenig. Wenn man diese Summe zum Bei-
spiel mit den Dieselsubventionen vergleicht, stellt man
fest: Es ist nur 5 Prozent davon. Ich rede von einer Die-
selsubvention, die vor allen Dingen dem Lkw-Verkehr
nützt, die sage und schreibe 7,4 Milliarden Euro jährlich
kostet, und das, obwohl wir wissen, dass Dieselabgase
besonders gesundheitsschädlich sind, dass immer mehr
Menschen von Reizhusten geplagt sind und dass Kinder
besonders darunter leiden. Ich finde, das ist wirklich un-
erträglich.


(Beifall bei der LINKEN)


Diese Subvention muss weg. Mit den Mehreinnahmen
könnte der öffentliche Nahverkehr wirklich ordentlich
gefördert werden.

Ein anderes Beispiel. Im Bundesverkehrswege-
plan 2030 ist eine ganze Reihe Straßenbauvorhaben vor-
gesehen, die überteuert und überdimensioniert sind, die
keinerlei Engpass beseitigen, die aber massiv zur Zerstö-
rung von Natur führen werden.


(Gustav Herzog [SPD]: Unsinn!)


Zu diesen widersinnigen Vorhaben gehören zum Beispiel
die Küstenautobahn A 20 quer durch Niedersachsen und
Schleswig-Holstein, die A 100 in Berlin oder die A 46
in Nordrhein-Westfalen. Für zwölf solcher unnützer Pro-

jekte sind 10 Milliarden Euro vorgesehen. Der BUND
nennt sie das „dusselige Dutzend“. Dieser Einschätzung
schließen wir uns an.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Michael Donth [CDU/CSU]: Von Ihnen ist noch nicht einmal ein Dutzend da!)


Wir sagen Nein zu diesen Fehlinvestitionen. Das Geld
muss anders investiert werden, und zwar in den flächen-
deckenden Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs.

Unser Vorschlag ist ein Verkehrswendefonds, gefüllt
mit 10 Milliarden Euro, die der Bund zweckgebunden
an Kommunen und Länder ausgibt und damit verbindet,
dass eine Mobilitätsgarantie gewährt wird, insbesondere
für die ländlichen Räume, damit alle die Garantie haben,
dass sie binnen einer halben Stunde das nächste Ober-
zentrum erreichen. Dafür gibt es Konzepte. Das lässt sich
realisieren, und das fordern wir.


(Beifall bei der LINKEN)


Es muss überall eine gute Alternative zum Auto geben.
Das ist schließlich die Voraussetzung für Freiheit, die Sie
immer einfordern. Mehr und besserer ÖPNV ist also not-
wendig, auch für eine sozialökologische Verkehrswende.
Außerdem böte ein solches öffentliches Investitionspro-
gramm sinnvolle Perspektiven auch für viele Beschäftig-
te in der Automobilindustrie, die jetzt wegen Dieselgate
um ihre Arbeitsplätze bangen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822807100

Sören Bartol hat als nächster Redner für die SPD-Frak-

tion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Sören Bartol (SPD):
Rede ID: ID1822807200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Mehr Investitionen für den ÖPNV, da sind wir Sozial-
demokraten natürlich dabei. Das gilt genauso, wenn es
darum geht, für fairen Wettbewerb im Nahverkehr zu
sorgen. Aber gerade dafür brauchen wir keinen Antrag
der Grünen. Wir müssen den Bund nicht auffordern,
einen Gesetzentwurf zur Änderung des PBefG vorzule-
gen. Es gibt schon eine gute Initiative des Bundesrates,
zu der sich der grüne Verkehrsminister des Landes Ba-
den-Württemberg übrigens enthalten hat. Diese Initiative
unterstützen wir. Sie sollte schnell beraten werden, damit
soziale und ökologische Standards verbindlich definiert
werden können und nur die Verkehrsunternehmen, die
sie erfüllen, den Zuschlag bekommen.

Der Gesetzesantrag der Länder hat drei Ziele: Das
Nichteinhalten von Anforderungen wie soziale und Um-
weltstandards soll ein Ablehnungsgrund sein können.
Regelungen zur Tariftreue und zum Personalübergang
sollen in Nahverkehrspläne und Vorabbekanntmachun-
gen aufgenommen werden können. Bei den Anträgen auf
eigenwirtschaftlichen Verkehr muss die wirtschaftliche

Sabine Leidig






(A) (C)



(B) (D)


Erbringbarkeit über den gesamten Zeitraum dargelegt
werden.

Ich weiß, dass gerade die letzten beiden Punkte von
vielen Omnibusunternehmen kritisch gesehen werden.
Deswegen möchte ich mich auf den Punkt konzentrie-
ren, den ich zentral finde: Die Nichteinhaltung zuvor de-
finierter sozialer Standards muss ein Ablehnungsgrund
sein können – die Hauptforderung auch des Antrages
der Grünen. Hier brauchen wir Rechtssicherheit, die wir
mit der Bundesratsinitiative schaffen können, gerade
auch deshalb, weil wir es mit einem hochkomplexen Zu-
sammenspiel aus öffentlichen und privaten Verkehrsun-
ternehmen, Aufgabenträgern, Genehmigungsbehörden,
Verkehrsverbünden zu tun haben.

Wir haben in der letzten Legislaturperiode das PBefG
novelliert. Ich war an der Kompromissfindung beteiligt
und habe natürlich gehofft, dass der Kompromiss länger
trägt. Aber wenn uns fast 200 Personalräte öffentlicher
Verkehrsunternehmen anflehen, tätig zu werden, wenn
Verdi, VDV, die Christlich-Demokratische Arbeitneh-
merschaft, der Städtetag mit einer Stimme sprechen,
dann kann man das nicht ignorieren; dann zeigt das, dass
es einfach große Sorgen gibt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich kenne die Einwände. Sicherlich, man kann vor-
bringen: Es handelt sich nicht um ein Vorhaben des Ko-
alitionsvertrages. Warum der Zeitdruck? Warum nicht
in Ruhe diskutieren, wie das PBefG in der nächsten Le-
gislaturperiode geändert werden sollte? Man kann auch
vorbringen: Die – das kann ich mir jetzt nicht verknei-
fen: wenig aussagekräftige – Evaluierung des PBefG soll
zunächst beraten werden.

Aber es gibt ein schlagendes Argument dafür, schnell
zu sein: Aufgrund der im Jahr 2019 auslaufenden Über-
gangsfrist für die entsprechende Verordnung wird in den
kommenden zwei Jahren die Mehrheit der über 500 kom-
munalen Aufgabenträger Ausschreibungen oder Direkt-
vergaben durchführen. Davon werden nach Schätzungen
von Verdi drei Viertel aller Betriebe in Deutschland, circa
100 000 Beschäftigte direkt und 20 000 bis 30 000 in
Subunternehmen betroffen sein. Aktuell haben sich mit
nur einer Ausnahme alle Kommunen bei abgelehnten
Anträgen auf eigenwirtschaftlichen Verkehr mit Klagen
auseinanderzusetzen und können den Auftrag nicht end-
gültig rechtssicher vergeben.

Deswegen möchte ich Sie alle an dieser Stelle bitten,
einen Ausgleich zu finden zwischen denen, die sich zu
Recht um ihre Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen
sorgen, und denen, die befürchten, ihre Geschäftsgrund-
lage, ihre Wettbewerbsfähigkeit einzubüßen.

Ich habe die Art und Weise, wie wir bei der letzten
Novellierung einen Ausgleich erreicht haben, sehr ge-
schätzt. Daran wollen wir anknüpfen und haben deshalb
in den vergangenen Wochen Gespräche mit den antrag-
stellenden Bundesländern und auch mit unserem Koa-
litionspartner geführt. Die Gespräche mit den Ländern
waren sehr konstruktiv – ihr Gesetzesantrag gibt unsere
Haltung eins zu eins wieder –; die mit dem Koalitions-

partner – das hat man gerade vom Kollegen Donth ge-
hört – waren noch nicht ganz so erfolgreich.


(Gustav Herzog [SPD]: Die sind noch in der Lernphase!)


Aber ich möchte trotzdem, dass wir zueinanderkom-
men können. Denn es geht mir und meiner Fraktion aus-
drücklich nicht um die Abschaffung der Eigenwirtschaft-
lichkeit. Die muss es weiter geben. Was aber nicht geht,
ist, dass Eigenwirtschaftlichkeit durch Sozialdumping
erreicht wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Herbert Behrens [DIE LINKE] – Michael Donth [CDU/CSU]: Wir wollen das doch auch nicht!)


Ich möchte nicht falsch verstanden werden. Ich gehe
davon aus, dass die meisten Verkehrsunternehmer ver-
antwortungsbewusste Arbeitgeber sind. Angesichts des
Mangels an Personal ist dies ja ohnehin geboten. Aber
wenn ich als Politiker die Möglichkeit habe, durch eine
schlanke Änderung des PBefG – nennen wir es einfach
mal so – eine Präzisierung zu erreichen, nämlich dass,
wer wirtschaftlich ist, weil er Sozialstandards unterläuft,
den Auftrag nicht bekommt, dann will ich die ergreifen.


(Beifall bei der SPD)


Ich verstehe übrigens nicht, wie man sich dem versperren
kann.

Deswegen bitte ich die Verkehrspolitikerinnen und
Verkehrspolitiker insbesondere der Union, sich einen
Ruck zu geben. Lassen Sie sich von Ihren Kolleginnen
und Kollegen aus der Kommunalpolitik überzeugen! Re-
den Sie mit denen, die bei Ihnen für die Arbeitnehmerin-
teressen einstehen! Hören Sie auf die Bürgermeister aus
Ihrer Partei! Und dann können Sie eigentlich nur zu dem
Ergebnis kommen – das gilt dann am Ende natürlich auch
für die Kolleginnen und Kollegen von den Grünen –, den
Gesetzesantrag der Länder zu unterstützen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822807300

Als nächster Redner hat Thomas Jarzombek für die

CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thomas Jarzombek (CDU):
Rede ID: ID1822807400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eigent-

lich wollte ich mehr zur Sache reden, aber nachdem der
Kollege Bartol hier eine Wahlkampfrede gehalten hat,
kann das nicht völlig unwidersprochen bleiben.


(Sebastian Hartmann [SPD]: Er hat zur Sache geredet!)


Ich sage nur eines dazu: Natürlich müssen die Dinge,
die wir gemeinsam verabredet haben, auch gemeinsam
getragen werden. Was das Thema „potenzielles Sozial-

Sören Bartol






(A) (C)



(B) (D)


dumping im öffentlichen Nahverkehr“ betrifft, muss erst
einmal ein vernünftiger Regelungsvorschlag her;


(Sören Bartol [SPD]: Gibt es im Bundesrat!)


denn, lieber Kollege Bartol, wir in Nordrhein-Westfalen
sind gebrannte Kinder durch Tariftreuegesetze, die den
Mittelständlern und gerade den kleinen Mittelständlern
so viel bürokratisches Blei ans Bein binden, dass kein
kleines Unternehmen mehr Aufträge bekommen kann.


(Beifall des Abg. Arnold Vaatz [CDU/CSU] – Widerspruch bei der SPD – Zuruf des Abg. Andreas Rimkus [SPD])


Deshalb müssen diese Dinge auch umsetzbar sein. Da-
ran, dass sich Andreas Rimkus so aufregt, merke ich,
dass er dadurch offensichtlich getroffen ist.


(Zurufe von der SPD)


Ich kann nur sagen: Das Tariftreuegesetz in Nord-
rhein-Westfalen, das Unternehmen und Handwerksbe-
trieben Regelungen vorgibt, um auch noch für den dritten
Subunternehmer zu bürgen, dass auch der sich tariftreu
verhält, und von Zertifikaten und von Siegeln spricht,
von denen keiner weiß, wie er sie bekommen soll, ist
mittelstandsfeindlich. Wir müssen mittelstandsfreundli-
che Regelungen schaffen, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD]: Sind Sie für Tariftreue oder dagegen? – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Davon abgesehen, wollte ich Ihnen eigentlich eine
gute Nachricht präsentieren, auch wenn es für einen Düs-
seldorfer jetzt ein schwerer Gang ist, gerade den in Köln
beheimateten VRS zu zitieren: „Erneuter Rekord bei
Fahrgastzahlen und Einnahmen.“ Das ist eine Pressemit-
teilung des VRS von Montag. Der öffentliche Nahver-
kehr schreibt seit Jahren in Deutschland eine riesige Er-
folgsgeschichte. Es gibt jedes Jahr mehr Fahrgäste, und
der öffentliche Nahverkehr ist eindeutig ein Gewinner
der Digitalisierung; denn Kunden, die früher nicht wuss-
ten, wann eine Straßenbahn kommt, können dies jetzt mit
einer App erfahren. Sie können gleich ein Ticket kaufen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn denn eine Straßenbahn kommt! Die kommt nämlich meistens nicht, jedenfalls nicht im ländlichen Raum!)


Beim Warten an der Haltestelle sind sie jetzt beschäftigt.
Sie sind auch beim Fahren im Verkehrsmittel häufig mit
ihrem Handy beschäftigt. Gerade junge Leute sagen: Ich
fahre lieber mit Bus und Bahn, da kann ich weiter auf
Facebook und Co etwas machen, was ich beim Autofah-
ren nicht kann. Deshalb sind die öffentlichen Nahver-
kehrsbetriebe Gewinner.

Aber sie müssen es auch bleiben. Hier stehen wir na-
türlich vor Herausforderungen. Kollege Kühn, zu Recht
haben Sie das herausgestellt: Wir müssen aus dieser
Kleinstaaterei heraus und brauchen endlich eine gemein-
same Plattform. Ich habe auf meinem Handy nachgezählt
und festgestellt, ich habe neun Mobilitäts-Apps, die ich
alle regelmäßig brauche: drei davon für die Rheinbahn,

für die BVG und für die Deutsche Bahn. Diese müssen
integriert werden.

Richtig ist, dass der Bundesverkehrsminister 16 Milli-
onen Euro zur Verfügung gestellt hat, um eine einheitli-
che Plattform zu machen;


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Um ein Forschungsprojekt zu machen!)


denn natürlich möchte ich mit der Rheinbahn-App auch
Tickets bei der Bahn und bei der BVG kaufen, und wenn
ich nach Frankfurt, Hamburg oder München fahre, dann
eben auch dort.


(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da kommt man mit 16 Millionen Euro nicht weit!)


Ich möchte aber insbesondere, und das ist meine
Forderung an die Nahverkehrsunternehmen und an die
Verbünde, weg von diesen albernen Karten. Warum
brauchen Sie als Rheinbahnticket noch eine Karte im
Portemonnaie? Wir machen jetzt gerade die Novelle des
Personalausweisgesetzes. Der Personalausweis sollte als
universelle ID – genauso wie alternativ eine Bankkarte –
doch ausreichend sein, um als Verkehrsticket zu dienen.
Gerade die Kunden, die wenig fahren, verschrecken Sie
damit, dass man sich erst aufwendig solche Karten be-
schaffen und diese dann auch noch transportieren muss.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ein weiteres wichtiges Thema ist Open Data. Wir
werden hier morgen im Deutschen Bundestag das erste
Open-Data-Gesetz einbringen. Darauf bin ich persönlich
stolz, weil das wirklich ein großer Meilenstein ist. Die-
se Open-Data-Strategie, nämlich dass die Daten, die der
Allgemeinheit gehören, auch der Allgemeinheit zur Ver-
fügung gestellt werden müssen, ist eine Innovationsquel-
le. Die öffentlichen Nahverkehrsunternehmen dürfen
hier nicht auf Datentöpfen sitzen.

Ich weiß von Leuten, die innovative Verkehrs-Apps
programmieren, wie schwer es ist, mit jedem einzel-
nen Verkehrsverbund zu verhandeln, wie man an die
Fahrplandaten, an Echtzeitdaten und auch noch an eine
Schnittstelle kommt, um Tickets zu verkaufen. Die Auf-
gabe der Nahverkehrsunternehmen besteht nicht darin,
Google Konkurrenz zu machen, mit großem Aufwand
eine eigene Plattform zu produzieren und dann die Daten
darin abzuschließen, sondern die Aufgabe der Nahver-
kehrsunternehmen besteht darin, auf so vielen Plattfor-
men wie möglich für ihr Produkt zu werben. Das bedeu-
tet, dort Verbindungen präsent zu machen, dort Angaben
zu platzieren und Menschen zu ermuntern, mit dem öf-
fentlichen Nahverkehr zu fahren.

Wir stehen darüber hinaus vor einer großen Heraus-
forderung, die damit einhergeht, dass beispielsweise
BMW angekündigt hat, dass schon in vier Jahren Fahr-
zeuge selbst fahren. In dieser Woche haben wir auch den
Gesetzentwurf zum automatisierten Fahren hier im Ple-
num. Das wird auch eine große Herausforderung für die
Nahverkehrsunternehmen. In der letzten Woche haben
wir auf der CeBIT mit unserer Arbeitsgruppe schon in

Thomas Jarzombek






(A) (C)



(B) (D)


einem selbstfahrenden Bus mitfahren können, der neun
bis zwölf Leute transportieren kann und für die Schwei-
zerische Post im Kanton Wallis unterwegs ist. Das ist ein
tolles Projekt.

Es gibt auf dem EUREF-Campus hier in Berlin etwas
Vergleichbares, und ich glaube, es ist wichtig, dass der
öffentliche Nahverkehr dieses Thema sehr deutlich vo-
ranstellt. Die Zeit der großen Gefährte ist langsam, aber
sicher vorbei. Die Menschen haben immer individuel-
lere Bedürfnisse. Gerade über die Apps lernen Nahver-
kehrsunternehmen, wo Kunden herkommen und wo sie
wirklich hinfahren wollen.


(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die sollen die S-Bahnen in Berlin ersetzen?)


Und das müssen wir berücksichtigen. Deshalb erwarte
ich von den Nahverkehrsunternehmen, dass sie auch auf
diese Plattform setzen und sich mit diesen selbstfahren-
den Fahrzeugen an die Spitze der Bewegung setzen.

Der allerletzte Punkt ist ein ganz wichtiger: Um den
Erfolg, den wir heute haben, auch fortzusetzen, brauchen
wir WLAN, und zwar nicht nur an den Haltestellen, son-
dern auch in den Verkehrsmitteln. Das ist gerade für jun-
ge Leute ein immer wichtigerer Aspekt. Deshalb ist es
wichtig, dass die Nahverkehrsunternehmen beim Thema
WLAN die Initiative ergreifen. Dafür werbe ich und be-
danke mich für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822807500

Kerstin Kassner hat jetzt für die Fraktion Die Linke

das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Kerstin Kassner (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822807600

Danke schön. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Werte Gäste auf der Tribüne! Wir haben
es hier mit einem Thema zu tun, das für uns alle sehr
wichtig ist und das, glaube ich, in der Zukunft noch viel
bedeutendere Anforderungen an uns alle stellen wird als
heute. Diesen Anforderungen gilt es zu genügen; das ist
unsere Aufgabe.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich habe eigentlich immer gerne recht.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Ich hätte mir aber gewünscht, dass das, was meine Kolle-
ginnen und Kollegen in ihrer Erklärung zur Novelle des
Personenbeförderungsgesetzes im Jahre 2012 prognosti-
ziert haben, nicht wahr wird, nämlich dass es einen Ver-
drängungswettbewerb geben wird und dass der Vorrang
eigenwirtschaftlicher Verkehre dazu führt, dass kommu-
nale Unternehmen verdrängt werden.


(Michael Donth [CDU/CSU]: Andersrum ist es richtig! Gucken Sie sich die Zahlen an!)


Wer das leugnet, Herr Donth, dem sage ich: Schauen Sie
sich an, was in der Zwischenzeit passiert ist. Ein 104 Jah-

re altes Unternehmen mit 250 Beschäftigten musste auf-
geben.


(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Weil sie unfähig waren!)


In Hildesheim steht Ähnliches bevor. Dort schätzt man,
dass der Tariflohn um 30 Prozent gesenkt werden müsste,
damit die kommunalen Unternehmen mit den sogenann-
ten eigenwirtschaftlichen Verkehren konkurrieren kön-
nen. Das ist in meinen Augen Dumping. Das muss man
eindeutig so benennen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das wollen wir nicht. Deshalb gehört dieser Vorrang ab-
geschafft.


(Beifall der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE])


Ich sage Ihnen: Neben diesem ersten Punkt, dass die
Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, für ihre Ar-
beit ordentlich entlohnt werden, also den sozialen Stan-
dards, die mir besonders wichtig sind, gibt es noch einen
zweiten Punkt, der mir auf der Seele brennt. Das ist die
Frage: Bedeutet eigenwirtschaftlich wirklich eigenwirt-
schaftlich? Wir alle wissen, dass es Ausgleichszahlun-
gen für schwerbehinderte Menschen gibt, damit diese
ein entsprechendes Ticket für die kostenlose Benutzung
des Nahverkehrs bekommen. Das ist gut so; das finde
ich auch richtig. Aber wenn dadurch das Geld fehlt, um
Busse absenkbar zu machen und so die Möglichkeit zu
schaffen, dass man überhaupt in den Bus hineinkommt,
und um zu gewährleisten, dass man mit dem Rollstuhl
einen Platz hat und auch tatsächlich mitgenommen wer-
den kann, dann muss ich sagen, dass bei den Regelungen
tatsächlich etwas fehlt. Hier muss mehr getan werden.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Als ehemalige Landrätin der Insel Rügen ist mir na-
türlich auch sehr wichtig, dass es einen kommunalen
Gestaltungsspielraum gibt. Ich kann Ihnen sagen: Der
Kampf um den Nahverkehrsplan ist jedes Mal ein Ringen
um den Status quo. Die Insel Rügen ist vielleicht nicht
das typischste Beispiel, weil wir sehr viele Gäste haben,
die das ÖPNV-System nutzen. Aber ich kenne in meiner
Heimatregion ländlich geprägte Räume, wo wirklich nur
noch der Schulbus in die einzelnen Orte kommt. An der
Stelle, sage ich, muss mehr getan werden.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Vielleicht erinnern Sie sich alle noch an die Kreativi-
tätsspiele in der Schule, wo man einmal aufmalen sollte,
wie man sich die verkehrliche Anbindung der Kommune
der Zukunft vorstellt. Da gibt es bestimmt viele kreative
Vorschläge und Ideen, was man dort umsetzen könnte.
Es scheitert aber daran, dass die Kommunen diese Ideen
kaum aufnehmen können, weil sie keine Möglichkeiten
haben, das finanziell zu untersetzen. Da sind meiner Mei-
nung nach ein bargeldloses Zahlungssystem oder eine

Thomas Jarzombek






(A) (C)



(B) (D)


WLAN-Anbindung für viele wirklich noch lächerliche
Nebensächlichkeiten.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ja!)


Erst einmal muss ein Bus kommen. Es muss möglich
sein, aus dem Dorf in das jeweilige Oberzentrum zu ge-
langen. Dafür brauchen wir Ansätze, die müssen wir ge-
meinsam finden.


(Beifall bei der LINKEN)


Da wünschte ich mir, dass es eine Innovationsoffen-
sive gibt, damit den Kommunen Unterstützung gegeben
wird, solche Lösungen zu finden. Der Bürgerbus alleine
wird es nicht lösen. Also machen wir uns auf den Weg.
Gehen wir mit unseren Kommunen in die Zukunft, auch
auf diesem Gebiet.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822807700

Als nächster Redner spricht Sebastian Hartmann für

die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Sebastian Hartmann (SPD):
Rede ID: ID1822807800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grü-
nen, herzlichen Dank für die Initiative und die Gelegen-
heit, noch einmal deutlich zu machen, dass wir auch in
einer Großen Koalition deutliche Unterschiede haben.
Das ist gut so, und das ist wichtig, gerade mit Blick auf
den Wahlkampf.


(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir eindrucksvoll festgestellt!)


Das erste Wort deswegen auch an den Kollegen
Jarzombek. Es ist doch absurd, jemandem vorzuwerfen,
eine Wahlkampfrede zu halten. Wahlkampf ist die Hoch-
phase der Demokratie.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kerstin Kassner [DIE LINKE])


Wir machen deutlich, worin die Unterschiede bestehen,
damit die Wählerinnen und Wähler diese erkennen und
eine gute Wahl treffen können.


(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Im Gegensatz zu euch wollen wir noch arbeiten und regieren!)


Eine schlechte Wahl würden sie treffen, wenn sie den
Kollegen der Union folgen würden. Zu dem, was Sie als
Nordrhein-Westfale gerade zum Thema Tariftreue gesagt
haben, sage ich: Vorsicht an der Bahnsteigkante! – Das
wollte ich als Verkehrspolitiker unbedingt einmal sagen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wenn Sie dem folgen, was Sie zum Thema Tariftreue
ausgeführt haben, dann schädigen Sie das System Nah-
verkehr in Deutschland nachhaltig. Sie schädigen die Be-
schäftigten,


(Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD])


die auf gute Rahmenbedingungen angewiesen sind. Sie
schädigen auch diejenigen, die auf guten Nahverkehr an-
gewiesen sind, die in den Bussen und Bahnen transpor-
tiert werden.


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Aber das wussten Sie beim Personenbeförderungsgesetz!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822807900

Lassen Sie eine Zwischenfrage zu?


Sebastian Hartmann (SPD):
Rede ID: ID1822808000

Sofort.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822808100

Bitte, Herr Jarzombek.


Thomas Jarzombek (CDU):
Rede ID: ID1822808200

Herr Kollege Hartmann, der Unterschied zwischen

uns ist vielleicht der, dass wir noch bis zum Sommer ge-
wählt sind und regieren und konstruktiv arbeiten wollen


(Zurufe von der SPD: Oh! – Buh!)


und nicht schon im März in den Wahlkampfmodus ge-
hen.

Meine Frage an Sie: Sie haben gesagt, dass Sie sich
von dem, was ich vorhin gesagt habe, unterscheiden. Ich
habe gesagt, dass wir sehr dafür sind, dass es für die Un-
ternehmen im Nahverkehrsbereich eine Tariftreuepflicht
gibt, aber diese Regelungen so ausgestaltet sein müssen,
dass deren Einhaltung auch für Mittelständler und für
Handwerker leistbar ist und das Ganze nicht zum Büro-
kratiemonster wird. Was genau haben Sie daran zu kriti-
sieren?


Sebastian Hartmann (SPD):
Rede ID: ID1822808300

Sehr geehrter Herr Kollege Jarzombek, Sie kommen

auch aus Nordrhein-Westfalen. Ich habe am Freitag der
letzten Woche angekündigt: Wenn die Union mir noch
ein einziges Mal ein Bürokratiemonster vorhält, dann
werde ich Sie daran erinnern, was Sie bei der Pkw-Maut
an Datenkraken usw. beschlossen haben.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich danke Ihnen herzlich, dass ich in meiner ersten Rede
nach der Pkw-Maut nun diese Gelegenheit habe, Ihnen
das mit großer Freude zurückzuspielen.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Kerstin Kassner






(A) (C)



(B) (D)


Der Punkt ist ein anderer.


(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Können Sie einmal auf die Frage antworten?)


– Nein, Sie müssen jetzt zuhören. Sie haben die Frage
gestellt, und Sie haben mir die Chance gegeben, worüber
ich mich freue.


(Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD] – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Sie haben auf eine Frage geantwortet, die ich gar nicht gestellt habe!)


Wenn wir in 14 von 16 Bundesländern Tariftreuerege-
lungen haben und zwei Länder nicht, nämlich Sachsen
und Bayern, dann müssen sich doch die beiden Länder
fragen lassen, warum sie diese Regelungen nicht haben.
Das ist der erste Punkt.

Der zweite Punkt ist: Es kann doch nicht sein, dass wir
im öffentlichen Personennahverkehr ein Tarifdumping
bei den Sozialstandards haben und wir noch nicht einmal
in der Lage sind, die Standards zu dokumentieren, die
wir schützen wollen.

Der dritte Punkt ist: Wir haben das Tariftreuegesetz
auf den Weg gebracht. Auch wenn wir nicht im Landtag
von Nordrhein-Westfalen sind, sage ich: Es geht um den
Schutz von Beschäftigten.


(Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD])


Wenn Sie sich hierhinstellen und das als Bürokratiemons-
ter darstellen, dann sage ich Ihnen, liebe Kolleginnen und
Kollegen, liebe Beschäftigte der Betriebe, all diejenigen
in Nordrhein-Westfalen, die vielleicht an den 14. Mai
denken: Achten Sie darauf, wer die Regelung abschaf-
fen will. Achten Sie darauf, wer sie schützen will. Achten
Sie darauf, wer sie in den Koalitionsvertrag geschrieben
hat. – Danke, Hannelore Kraft.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Das war keine Antwort auf meine Frage, aber eine Wahlkampfrede!)


Ich bleibe dabei: Wahlkampf ist die Hochphase der
Demokratie. Man muss den Unterschied deutlich ma-
chen.

Ich komme zu den anderen Unterschieden. Der Kol-
lege Bartol hat doch völlig recht. Wir wollen das Per-
sonenbeförderungsgesetz behutsam weiterentwickeln.
Wir merken, dass wir an Ausschreibungsgrenzen kom-
men, wenn es darum geht, Eigenwirtschaftlichkeit und
gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen in Einklang mit-
einander zu bringen.

Natürlich ist es richtig, was die Grünen gesagt haben.
Der ÖPNV ist ein Erfolgsmodell in Nordrhein-Westfalen
wie in anderen Bundesländern auch. Über 10,2 Milliar-
den Menschen sind mit dem Nahverkehr in Deutschland
unterwegs. Damit tun wir etwas für die Metropolräume
und für den ländlichen Raum. Es ist ganz wichtig, dass
wir den Nahverkehr schützen und weiter ausbauen.

Ich sage als Verkehrspolitiker, der auf Bundesebene Ver-
antwortung trägt: Ja, ich freue mich, dass das Gemeinde-

verkehrsfinanzierungsgesetz fortgeschrieben wird. Ja, es
ist eine gute Vereinbarung, dass man sich da entschieden
hat, verschiedene Regelungen der Entflechtung zurück-
zuführen. Aber ich gebe genauso offen zu – davor ver-
schließe ich nicht die Augen –, dass wir mehr Investiti-
onen in den kommunalen ÖPNV brauchen. Wir müssen
den Erhaltungs- und Sanierungsstau auflösen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Auch mit Blick auf die Wahlen, die nun kommen,
sage ich: Lassen Sie uns das als Ausgangspunkt dafür
nehmen, dass diese bundesgesetzliche Regelung fortge-
schrieben wird. Aber wir können in einer neuen, besseren
Koalition, als wir sie heute haben, mehr für den öffent-
lichen Nahverkehr tun, indem wir dort mehr investieren
und sagen: Ja, man muss den kommunalen Investitions-
stau abbauen. – Das ist das Ziel der sozialdemokratischen
Verkehrspolitik, meine Damen und Herren auf den Tribü-
nen, die Sie am 24. September darüber entscheiden, wie
zukünftig der Verkehr in Deutschland organisiert wird.


(Zurufe von der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt ist es aber ein bisschen viel! Mann, Mann, Mann!)


– Aber das ist doch nicht verwerflich. – Wir haben doch
hier im Plenum jede Menge Alternativen, sodass man
eine freie Wahlentscheidung treffen kann. Das Tolle in
unserem demokratischen, freien Land ist, dass es hier
Entscheidungsmöglichkeiten gibt.

Ich schließe nun an die Frau Landrätin außer Dienst
an. Natürlich, auch ich trage Kommunalverantwortung.
Als stellvertretender Landrat des Rhein-Sieg-Kreises
sage ich: Ja, wir haben Ausschreibungen vorgenom-
men. – Zu den Ausschreibungen hören wir aus den Kom-
munen: Wir haben Sorgen, was die Rechtssicherheit
angeht, wir haben Sorgen, wie wir die Sozialstandards
so abbilden können, dass wir europäisches Recht berück-
sichtigen, weil wir dieses Regime beachten müssen, und
wir wollen es künftig so gestalten, dass Eigenwirtschaft
nicht gegen Gemeinwirtschaft ausgespielt wird. – Man
sollte nicht dem Denkfehler unterliegen, dass der priva-
te Unternehmer automatisch raus ist, wenn es um einen
öffentlichen Dienstleistungsauftrag geht. Wer ist denn
Subunternehmer in den Kommunen? Auch dort ist ein
Zusammenspiel erkennbar. Ich kenne jede Menge priva-
te Unternehmen, die sich auch an Tarifregeln halten und
dafür sind, dass es gute Arbeit gibt.


(Michael Donth [CDU/CSU]: So ist es!)


Lassen Sie uns da doch nicht den einen gegen den ande-
ren ausspielen, sondern lassen Sie uns gemeinsam dafür
sorgen, dass demjenigen, der Tarifrecht bricht und mit
Sozialdumping einen Vorteil erlangen will, eine rote Kar-
te gezeigt wird, Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der SPD)


Mich freut als Nordrhein-Westfale umso mehr, dass
mein Heimatbundesland Nordrhein-Westfalen, wenn es
darum geht, das Personenbeförderungsgesetz fortzuent-
wickeln, einen guten Vorschlag eingebracht hat. Wenn

Sebastian Hartmann






(A) (C)



(B) (D)


sich die Grünen im Bundesrat nur enthalten haben – Kol-
lege Bartol hat es dargestellt –, heißt das noch lange nicht,
dass der Bundesrat nachher nicht einvernehmlich darauf
achtet, dass wir als Bundestag hier unserer Verantwor-
tung nachkommen. Wir haben Evaluierungspflichten in
das Gesetz geschrieben und gesagt, dass wir uns das Per-
sonenbeförderungsgesetz noch einmal anschauen müs-
sen. Das heißt dann für uns als Gesetzgeber: Wenn wir es
in dieser Koalition nicht hinbekommen, dann werden wir
es vielleicht nach der Wahl umso dringender tun müssen.
Wir werden in der nächsten Zeit, nämlich innerhalb der
nächsten zwei Jahre, deutlich mehr Ausschreibungen und
deutlich mehr offene Fragen haben. Darauf zu reagieren,
ist unsere Verantwortung. Wir würden uns freuen, wenn
wir es schon jetzt, in der laufenden Wahlperiode, auf den
Weg bringen könnten.

Herr Jarzombek, da bin ich komplett bei Ihnen: Wir
sind jetzt nicht im Wahlkampfmodus,


(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Sie schon, ich nicht! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das hörte sich gerade aber anders an!)


sondern müssen nach wie vor unserer gesetzgeberischen
Verantwortung nachkommen, also das Gesetz jetzt schon
anpacken und nicht erst den Wahltermin verstreichen las-
sen. So würden wir schneller Rechtssicherheit schaffen.


(Beifall bei der SPD)


Das Angebot steht, ich bleibe dabei. Ich freue mich auch
auf die morgige Aussprache zum E-Government-Gesetz,
das wir auf den Weg bringen werden. Da können wir aber
in der Koalition noch mutiger sein; denn wir sollten als
Bund immer mit gutem Beispiel vorangehen.


(Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD] und Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])


Meine Damen und Herren, der öffentliche Nahver-
kehr ist in Deutschland auf dem Erfolgsweg. Wir haben
nicht nur mit der Erhöhung der Regionalisierungsmittel
dafür gesorgt, dass deutlich mehr in den schienenge-
bundenen Nahverkehr investiert wird, sondern haben
auch die Chance, das GVFG, das Gemeindeverkehrsfi-
nanzierungsgesetz, fortzuentwickeln. Das ist ein großes
Angebot. Den uns von den Ministerpräsidentinnen und
Ministerpräsidenten zugespielten Ball nehmen wir auf.
Das Gute erhalten, das andere noch viel besser machen,
mehr Investitionen in den Nahverkehr – so schützen wir
Metropolen, so gestalten wir den ländlichen Raum. Das
ist das Ziel der sozialdemokratischen Verkehrspolitik.

Danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822808400

Britta Haßelmann hat als nächste Rednerin für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822808500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Wenn Sie so aufheulen und wir hier schon einen

kleinen Vorgeschmack der nächsten fünf Sitzungswochen
bekommen, was das Wahlkampfgeplänkel zwischen Uni-
on und SPD angeht, dann kann unser Antrag zu einem
fairen Wettbewerb für die kommunalen Verkehrsunter-
nehmen, für die Menschen vor Ort, die den Nahverkehr
nutzen, nicht so falsch gewesen sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, eine kleine Vorbemerkung
zur Pkw-Maut: Vorhin fand ein Schlagabtausch zu die-
sem Thema statt, und man konnte den Eindruck gewin-
nen, dass eigentlich niemand mehr so recht für dieses
unsinnige, bürokratische und europafeindliche Projekt
Verantwortung übernehmen will.


(Michael Donth [CDU/CSU]: Hey!)


Letzten Freitagmorgen ist dieses Projekt mit den Stim-
men von Union und SPD wider jede Vernunft hier verab-
schiedet worden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Donth [CDU/CSU]: Das ist ein sehr gutes Gesetz!)


– Herr Donth, ganz kurz zu Ihnen: Dass Sie sich hier in
einer solch platten Art und Weise im Sinne von: „Wir sind
für die Privaten, ihr wollt die Planwirtschaft“ äußern, das
hat doch mit Sachverstand nichts zu tun. Ich bitte Sie!


(Michael Donth [CDU/CSU]: Doch! So steht es da drin!)


Das ist eins zu eins eine Position, die Sie wahrscheinlich
von einer Presseerklärung des Bundesverbandes Deut-
scher Omnibusunternehmer übernommen haben.

Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen nur sagen:
Das Problem ist wesentlich komplexer. Die kommuna-
len Spitzenverbände, 200 Personalräte, Verdi und viele
weitere Arbeitnehmervertreterorganisationen, die Sören
Bartol eben genannt hat, warnen uns vor diesem Problem
und bitten uns darum – und zwar nicht nur die Länder,
sondern auch den Gesetzgeber Deutscher Bundestag –,
zu sagen: Beim Personenbeförderungsgesetz ist etwas
aus dem Ruder gelaufen. Die Entwicklung geht in die
falsche Richtung, wenn es um das Thema „fairer Wett-
bewerb“ geht. Alle, die sich in den Kommunen, in den
Ländern und auch auf Bundesebene mit diesem Thema
beschäftigen, wissen, dass es ein Problem gibt, weshalb
wir nachsteuern müssen. Deshalb ist es bedauerlich, Herr
Donth, dass Sie so eine Linie aufmachen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Unterhalten Sie sich doch einmal mit Michael Dreier,
dem Bürgermeister von Paderborn. Er hat kein Partei-
buch meiner Partei, sondern er ist CDU-Mitglied. Er bit-
tet uns alle darum, sowohl die Landesebene als auch die
Bundesebene, endlich aktiv zu werden, weil 2016 viele
Verkehrsverträge ausgelaufen sind und weitere 2017 aus-
laufen, sodass sich die Problematik für die kommunalen
Verkehrsträger zuspitzt. Dann wird es schwer sein, dem
fairen Wettbewerb überhaupt noch eine Chance zu geben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sebastian Hartmann






(A) (C)



(B) (D)


Das ist der Grund, weshalb wir das Thema heute auf die
Tagesordnung gesetzt haben. Es geht um nicht weniger
als um die Existenz vieler kommunaler Verkehrsbetriebe.

2012 wurde der Vorrang der Eigenwirtschaftlichkeit
für private Verkehrsunternehmen im Personenbeförde-
rungsgesetz neu justiert. Derzeit machen sich viele Bür-
germeister und Gewerkschafter ernsthaft Sorgen darü-
ber, wie die Zukunft ihrer kommunalen Verkehrsbetriebe
aussehen könnte. Sie alle kennen den Fall Pforzheim,
wo ein städtischer Verkehrsbetrieb – das wurde bereits
von zwei Rednern angesprochen – in den letzten Jahren
komplett abgewickelt werden musste, weil eine Tochter
der DB Regio eine eigenwirtschaftliche Genehmigung
zum Betrieb des gesamten Stadtverkehrs bekommen hat-
te. In Hildesheim lief es ganz ähnlich. Hier konnte der
eigenwirtschaftliche Antrag allerdings gerade noch ab-
gewehrt werden. Was war der Preis dafür? Es mussten
veränderte Arbeitsbedingungen vereinbart werden, um
den Vertrag noch weiterführen zu können. Das alles ge-
schah auf dem Rücken der Beschäftigten, weil Standards
abgesenkt wurden. Das betrifft auch viele andere Städte:
Kiel, Leverkusen, Hamm, Gotha, Esslingen, Oldenburg
und Saarlouis; um nur ein paar zu nennen. Dort lief es
ganz genauso. 2017 werden viele weitere Verkehrsver-
träge auslaufen. Sich zu positionieren nach dem Motto:
„Privat vor Staat, die wollen das alles ganz anders“, ist
doch völliger Quatsch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE])


Wir wollen, dass kommunale Verkehrsunternehmen
faire Wettbewerbschancen haben. Das wird durch den
beschriebenen Vorrang der Eigenwirtschaftlichkeit ver-
hindert. Ich finde es wichtig, dass wir uns als Deutscher
Bundestag dazu verhalten und nicht allein auf den Bun-
desrat warten oder das Thema nicht auf den Sankt-Nim-
merleins-Tag verschieben.

Die Bundesratsinitiative geht nicht nur von einem
Bundesland aus, sondern von Nordrhein-Westfalen,
von Niedersachsen und von Schleswig-Holstein. Dort
regieren Grüne und SPD gemeinsam und haben eine
entsprechende Initiative auf den Weg gebracht. Hier im
Bundestag ist das für uns aber kein Grund, uns jetzt weg-
zuducken, uns einen schlanken Fuß zu machen und zu
sagen: Bis zum 24. September passiert gar nichts, wir
warten auf die Bundesratsinitiative. – Jede und jeder von
uns weiß: Eine Bundesratsinitiative kann auch versauern.
Sie wird einfach liegen gelassen.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822808600

Frau Kollegin.


Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822808700

Der Bundestag muss sich dazu positionieren, um end-

lich den fairen Wettbewerb und nicht den Vorrang der Ei-
genwirtschaftlichkeit für Private so festzuschreiben, wie
er heute festgeschrieben ist. Das sichert nicht die Zukunft
der kommunalen Verkehrsunternehmen. Das verzerrt den
Wettbewerb in den Kommunen, den wir an dieser Stelle

gar nicht scheuen. Deshalb ist es wichtig, dass sich der
Bundestag positioniert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822808800

Als nächster Redner hat Ulrich Lange für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulrich Lange (CSU):
Rede ID: ID1822808900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-

gen! Das ist ja eine muntere Debatte, die wir aus Nord-
rhein-Westfalen heraus heute hier in Berlin führen. Wir
sind noch immer der Bundestag und nicht der Landtag.
Liebe Kollegin Haßelmann, ich freue mich, dass Sie sich
heute erstmals zu verkehrspolitischen Themen äußern.
Herzlich willkommen in der Verkehrspolitik heute Vor-
mittag im Deutschen Bundestag!


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da können Sie nur noch etwas lernen, Herr Lange! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Darf sie sich nicht zur Verkehrspolitik äußern, oder was? – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Davon können Sie noch etwas lernen!)


Zur Erinnerung – Kollege Bartol hat das eben ange-
sprochen –: Wir haben uns in der letzten Legislaturpe-
riode fraktionsübergreifend mit diesem doch sehr kom-
plexen Thema auseinandergesetzt und haben einen sehr
guten Kompromiss gefunden, in dem sich am Ende alle
wiedergefunden haben.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Ein paar haben dagegengestimmt! Wir haben dagegengestimmt!)


All die Positionen, über die wir heute diskutieren, la-
gen schon damals eins zu eins auf dem Tisch. Sie sind
also nicht neu.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Gesetz hat –
das erlaube ich mir als Kommunalpolitiker zu sagen –
zumindest bei mir den Praxistest bestanden. Über einen
guten Nahverkehrsplan, für dessen Ausarbeitung man
sich natürlich Zeit nehmen muss und über den man in
den kommunalen Gremien viel diskutieren muss, kann
man Verkehre auch eigenwirtschaftlich organisieren. Das
funktioniert. Das wollten wir damals so. So werden wir
auch in weitere Gespräche dazu gehen.

Liebe Kollegin Kassner von den Linken, liebe Kol-
legin Haßelmann von den Grünen: Der Angriff der Pri-
vaten auf die Kommunen in der Form, wie Sie es be-
schrieben haben, findet derzeit nicht statt. Die Zahlen
belegen – hören Sie sich das in Ruhe an – etwas anderes:
27-mal ging der Verkehr von Privat an Kommune und
nur ganz selten – dazu zählt das Beispiel Pforzheim, das
von allen rauf- und runterdekliniert wird – anders herum.
Wir sollten es in dieser Debatte also ein bisschen ruhiger
angehen lassen.

Britta Haßelmann






(A) (C)



(B) (D)


Vor allem wissen wir doch, dass wir in dem Personen-
beförderungsgesetz – lieber Sören Bartol, Sie waren da-
mals auch in verantwortlicher Position – Sozialstandards
regeln können. Ich verweise auf die Vorabbekanntma-
chung des § 8 Absatz 2 in Verbindung mit § 13 Absatz 2a
PBefG. Sie nicken. Sie wissen ganz genau, dass an die-
ser Stelle Sozialstandards geregelt werden können. Man
braucht also kein neues Gesetz, um das zu regeln, was
hier geregelt werden soll. Man muss ein Gesetz umset-
zen und sollte nicht immer reflexartig nach einem neuen
Gesetz rufen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen Sie von der CDU/CSU doch immer in der Sicherheitspolitik!)


Ich will jetzt nicht über Bürokratiemonster, Nebelker-
zen und sonstige rot-rot-grüne Träume, lieber Kollege
Hartmann, reden. Ich sage nur eines: Es besteht die Mög-
lichkeit, auf Landesebene die Dinge zu regeln und sie so
in den Griff zu bekommen – so schreibt es auch der VDV,
der jetzt nicht verdächtig ist, in einer besonderen Nähe
zu uns zu stehen –, dass es keine Probleme gibt. So hat
man in Bayern die Tarifverträge für allgemeinverbindlich
erklärt. Da kann ich nur Richtung Nordrhein-Westfalen
oder Richtung Brandenburg sagen, in Richtung Rot-Grün
und Rot-Rot: Erklären Sie doch die Tarifverträge für all-
gemeinverbindlich. Dann haben Sie das Problem nicht.
Danke schön, Horst Seehofer.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch der weitere
Antrag kann nur unter dem Aspekt „Ich ziehe etwas auf“
verstanden werden. Denn die Regionalisierungsmittel im
Schienenpersonennahverkehr betragen 8,2 Milliarden
Euro. Kollege Donth hat es gesagt: Noch nie wurde so
viel Geld für den Schienenpersonennahverkehr bereitge-
stellt.


(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für das Angebot! Nicht für die Infrastruktur!)


Der Bund stellt Entflechtungsmittel in Höhe von 1,3 Mil-
liarden Euro zur Verfügung. Im Rahmen des GVFG-Bun-
desprogramms gibt es weitere 330 Millionen Euro. Lie-
ber Enak Ferlemann, der Hinweis vorhin in der Debatte
zum Schienenlärmgesetz, dass es in den letzten Jahren
und Jahrzehnten keine so erfolgreiche Verkehrspolitik
wie diese gegeben hat, ist richtig. Deswegen gibt es auch
keinen Grund, hier daran herumzumäkeln.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir glauben nicht, dass man mit irgendwelchen klei-
nen schnellen Maßnahmen bei diesem sehr komplexen
Thema derzeit etwas ändern sollte. Man kann ein Gesetz
umsetzen. Dazu fordere ich die Länder auf. Man kann
Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklären; dafür
sind die Länder ebenfalls zuständig. Auch dazu fordere
ich die Länder auf. Eine Bitte an die kommunalen Gremi-
en: Nutzen Sie die Möglichkeiten des Nahverkehrsplans.
Er bietet unendlich viel. In diesem Sinne bin ich sicher,
dass wir den öffentlichen Personennahverkehr weiterhin
mit einem ausgewogenen und sehr guten Personenbeför-
derungsgesetz stärken.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822809000

Birgit Kömpel hat jetzt für die SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Birgit Kömpel (SPD):
Rede ID: ID1822809100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Anträge der Grünen befassen sich mit dem Problem
des öffentlichen Nahverkehrs. Dieses Problem neh-
men auch wir in der SPD sehr ernst. Für uns gilt: Wir
brauchen gleichwertige Lebensverhältnisse überall in
Deutschland, egal ob in der Stadt oder auf dem Land.


(Beifall bei der SPD)


Dazu zählt für uns natürlich auch die Mobilität. Wir
haben uns insbesondere im letzten Jahr in unserer Frak-
tion sehr viele Gedanken gemacht, unter anderem in
verschiedenen Projektgruppen. Eine davon hieß #Neuer-
Zusammenhalt. Dort ging es unter anderem um das Dia-
logpapier mit dem Titel „Deutschlandweit mobil – auch
in ländlichen Regionen“. Denn besonders der ländliche
Raum ist auf eine gut funktionierende Mobilität angewie-
sen. Ich komme selber vom Land und kann nur bestäti-
gen: Noch immer fährt man hier mit dem Auto. Es gibt ja
auch wenig Alternativen. Morgens ist der Schulbus zwar
voll ausgelastet – Herr Kühn, Ihr Ausdruck „Ölsardine“
passt da durchaus, gerade was die Schülerbeförderung
betrifft –, aber in den Randzeiten kommt man nicht von
A nach B, weil der Bus oder die Regionalbahn eben nur
zwei-, drei- oder viermal am Tag fährt.

Der im Schichtdienst arbeitenden Krankenschwester
nutzt das überhaupt nichts. Das nutzt dem Facharbeiter,
der morgens um 6 Uhr seine Schicht beginnt, genauso
wenig. Klar ist aber auch: Der ländliche Raum kann nie-
mals ein vergleichbares Angebot an öffentlichen Verkeh-
ren bereitstellen wie große Städte oder unsere Ballungs-
zentren. Aber wir brauchen und wir müssen im ländlichen
Raum Wege und Möglichkeiten finden, um jungen und
älteren Menschen sowie mobilitätseingeschränkten Men-
schen eine aktive Teilnahme am öffentlichen Leben zu
ermöglichen.


(Beifall bei der SPD)


Der Bund muss sich – da sind wir Ihrer Meinung, liebe
Grüne – fortlaufend und in ausreichender Höhe an der
Finanzierung der kommunalen Verkehrsinfrastruktur be-
teiligen. Dafür steht die SPD-Bundestagsfraktion. Dafür
stehe auch ich als Abgeordnete eines ländlichen Raums.


(Beifall bei der SPD)


Trotzdem: Geld allein wird in Zukunft nicht reichen;
denn unser ländlicher Raum steht vor großen Herausfor-
derungen. Dazu gehört zunächst einmal der demografi-
sche Wandel in unseren Dörfern. Die Bevölkerungszahl
nimmt zum Teil erheblich ab, und die Bevölkerungs-
struktur verschiebt sich. Es gibt weniger Schülerinnen
und Schüler, dafür gibt es mehr ältere Menschen. Für

Ulrich Lange






(A) (C)



(B) (D)


die öffentlichen Verkehre bedeuten diese fortlaufenden
Veränderungen ein hohes Maß an Unsicherheiten; dessen
müssen wir uns auch klar sein. Vor diesem Hintergrund
ist es schwierig, langfristig sicher und gut zu planen und
vor allen Dingen die Finanzierung auch zu sichern.

Geld allein reicht nicht, um das Problem der öffent-
lichen Verkehre zu lösen; das habe ich gerade schon ge-
sagt. Dafür braucht es viel Engagement der Bürgerinnen
und Bürger sowie gute Rahmenbedingungen vonseiten
der Politik. Mehr Mobilitätskonzepte müssen erarbeitet
werden; denn es geht nicht um ein Immer-mehr-und-im-
mer-Schneller, sondern wir brauchen ein ganzheitliches
Konzept.

Konkret heißt das zum Beispiel: In den Randzeiten
sollen Bürgerbusse, Kombibusse und Sammeltaxen fle-
xibel eingesetzt werden. Ergänzen kann man das durch
Fahrgemeinschaften sowie Hol- und Bringdienste. Aber
wie erfahren die Bürgerinnen und Bürger davon? Wie
können sie sich – auch in unseren Städten – informieren
und vernetzen? Meine Damen und Herren und insbeson-
dere Herr Kollege Jarzombek, Carsharing könnte auch
ein Konzept für die Mobilität im ländlichen Raum sein.


(Michael Donth [CDU/CSU]: Ja! – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Da haben Sie zwar recht, aber dazu habe ich gar nicht gesprochen!)


Aber hier wiederum ist eine moderne Telekommuni-
kationsinfrastruktur ganz wichtig. Auch wir Landeier –
das war eigentlich der Punkt, an dem ich Sie ansprechen
wollte –


(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Das habe ich mir schon gedacht!)


benutzen Smartphones. Für uns ist das Internet keines-
falls Neuland. Wir sind daher auf eine flächendeckende
Breitbandversorgung und ein ausreichendes Funknetz
geradezu angewiesen.


(Beifall bei der SPD – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Das sind Allgemeinplätze!)


Bei der Daseinsvorsorge gehören im ländlichen Raum
Mobilität sowie Breitbandversorgung und Funknetze
schlicht und einfach zusammen. Das eine geht ohne das
andere nicht. Mit der Breitbandversorgung sind wir be-
reits auf einem guten Weg. Jetzt muss die Verbindung mit
der Mobilität gestaltet werden. Gute Mobilität im ländli-
chen Raum wird auch in Zukunft möglich sein, wenn wir
jetzt darangehen und heute die Voraussetzungen dafür
schaffen.

Die SPD-Fraktion hat mit ihrem Positionspapier die
anstehenden Schritte klar benannt und zum Teil bereits
umgesetzt. Wir werden auch in Zukunft dafür sorgen,
dass die Menschen überall in Deutschland gut leben und
mobil sein können.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822809200

Als letzter Redner in der Aussprache hat Arnold Vaatz

für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Arnold Vaatz (CDU):
Rede ID: ID1822809300

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Auch für die Zuschauer auf den Tribünen möch-
te ich jetzt ein bisschen dazu beitragen, die Diskussion
auf den eigentlichen Inhalt der Anträge zu lenken, über
die wir heute reden. Einer der Anträge der Grünen ist mit
den Worten überschrieben: „Investitionsstau auflösen –
Zukunft des ÖPNV sichern – Jetzt die Weichen für den
öffentlichen Verkehr von morgen stellen“.

Mit genau diesem Thema haben wir uns vor vier Jah-
ren befasst, als wir den Koalitionsvertrag zwischen SPD,
CSU und CDU niedergeschrieben haben. Damals haben
wir uns zu dieser Aufgabe bekannt.

Dabei ist erstens eine der größten Leistungen der Ver-
kehrsfinanzierung in der jüngeren Geschichte nach der
Wiedervereinigung Deutschlands herausgekommen. Wir
haben nämlich jetzt Regionalisierungsmittel für den öf-
fentlichen Personennahverkehr in Höhe von 8,2 Milliar-
den Euro jährlich mit 1,8 Prozent Steigerung pro Jahr dy-
namisiert bereitgestellt. Das ist übrigens eine Steigerung
in Höhe von 12 Prozent gegenüber dem Vorzustand und
eine enorme Summe.

Zweitens. Wir haben auch erreicht, dass das Bundes-
programm im Gesetz für Finanzhilfen des Bundes zur
Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden
über das Jahr 2019 hinaus fortgeführt wird und unbe-
fristet mit einer Drittelmilliarde Euro jährlich für kom-
munale ÖPNV-Vorhaben verwendbar ist. Das schafft
Planungs- und Finanzierungssicherheit, die Sie gefordert
haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, wir wissen aber, dass allein
mit diesen Mitteln die erforderlichen Sanierungsaufga-
ben noch nicht zu leisten sind. Deshalb sind wir noch
einen Schritt weiter gegangen. Wir haben außerdem be-
schlossen, ab dem Jahr 2020 Umsatzsteuerpunkte zur
Verfügung zu stellen. Jetzt hoffen wir, dass diese Um-
satzsteuermittel in den Ländern in die Kanäle fließen, für
die sie gedacht sind. Wir haben darauf nämlich keinen
Einfluss.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Darauf Einfluss haben alle hier vertretenen Parteien,
aber insbesondere die Grünen, die heute diesen Antrag
gestellt haben. Herr Kühn, Sie haben vollkommen recht,
wenn Sie sagen, dass wir noch weit hinter dem zurück
sind, was wir uns für die Zukunft in Sachen Abschaffung
von Kleinstaaterei und bei der Koordinierung und Ver-
einheitlichung von Zugriffen auf den öffentlichen Per-
sonennahverkehr vorstellen können – überhaupt keine
Frage. Aber: Sie regieren in elf Ländern mit. Ich hätte
die Bitte, dass Sie Ihre Verkehrspolitiker einmal zusam-
menholen und versuchen, wie wir es teilweise schon seit
Jahrzehnten tun, dort eine gemeinsame Sprache hinein-

Birgit Kömpel






(A) (C)



(B) (D)


zubringen – ich arbeite da gerne mit Ihnen zusammen –,
damit wir an dieser Stelle mehr Koordination zustande
bringen. Nur, bis jetzt ist das nicht gelungen, und Sie ha-
ben verschwiegen, dass das bei Ihnen, in Ihren Reihen,
ganz offensichtlich auch nicht klappt.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich jetzt nicht verstanden! Das müssen Sie mir noch mal erklären!)


Meine Damen und Herren, ich komme jetzt zu einer
anderen Frage.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo gibt es denn eine unterschiedliche Sprache? Erklären Sie mir das doch noch mal!)


– Ich will jetzt noch kurz etwas zu der Auseinanderset-
zung über das Personenbeförderungsgesetz sagen; erlau-
ben Sie mir das auch bitte.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe das aber immer noch nicht verstanden!)


Ich glaube, hier nähern wir uns allmählich einer
Grundfrage. Die Grundfrage, die hier eine Rolle spielt,
wird von der rechten und der linken Seite dieses Parla-
ments unterschiedlich beantwortet. Sie lautet: Ist der
ÖPNV für den Bürger da, ist der ÖPNV also ein Dienst-
leister für den Bürger, oder ist der Bürger ein Dienstleis-
ter für den ÖPNV?


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Was ist das denn für eine Frage? Ich glaube, die Frage hat sich niemand gestellt!)


Hat der Bürger das Einkommen und die Arbeitsplätze
beim ÖPNV zu sichern, oder hat der ÖPNV nicht viel-
mehr die Aufgabe, dem Bürger nach dem günstigsten
Preis-Leistungs-Verhältnis eine Dienstleistung anzubie-
ten? Das ist die Frage, um die es geht.


(Ulli Nissen [SPD]: Und was ist mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern?)


Unsere Seite des Parlaments sagt: Der ÖPNV ist der
Dienstleister für den Bürger. – Sie hingegen befassen
sich mit der Besitzstandswahrung eines Teils der Öffent-
lichkeit zulasten eines anderen Teils der Öffentlichkeit,


(Widerspruch bei der SPD)


nämlich derjenigen, die im privaten Gewerbe tätig sind.
Diese Arbeitsplätze sind Ihnen nicht wichtig.


(Widerspruch bei der SPD – Sören Bartol [SPD]: Steile These!)


Sie senden das Signal aus: Den privaten Verkehrsdienst-
leistern geht es jetzt an den Kragen. – Das ist Ihre Bot-
schaft.


(Sören Bartol [SPD]: Nein, eben nicht! Quatsch!)


Das ist genau die Botschaft, die wir vermeiden wollen.


(Kirsten Lühmann [SPD]: Sie hätten bei unseren Reden mal besser zuhören sollen! Dann würden Sie so etwas jetzt nicht behaupten!)


Jetzt noch eine Bemerkung zu dem wichtigen Thema
Wahlkampf. Sebastian Hartmann hat sehr richtig gesagt:
Der Wahlkampf gehört zur Demokratie; er ist die Würze
der Demokratie. Da hat man die Möglichkeit, scharf kon-
turiert Unterschiede darzustellen, damit der Bürger weiß,
wem er aus welchem Grund seine Stimme gibt.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Bürgerin aber auch!)


Das ist richtig. Aber es gibt da ein Problem. Im Wahl-
kampf geht nämlich etwas schief, wenn man die Dinge so
vergröbert, dass am Ende Unwahrheiten herauskommen.
Bei Ihnen ist es so, dass Sie eines nicht erklären: wie Sie
den Wettbewerb im öffentlichen Personennahverkehr
aufrechterhalten wollen, wenn Sie die Wettbewerber, die
zur Verfügung stehen, vom Markt fegen.


(Klaus Barthel [SPD]: Aber das wollen wir doch gar nicht!)


Genau das tun Sie im Augenblick. Sie sind nicht bereit,
Wettbewerb wirklich zuzulassen.


(Kirsten Lühmann [SPD]: Herr Vaatz, bleiben Sie bei der Wahrheit! Das ist doch eine Lüge!)


Jetzt komme ich auf die Situation in Pforzheim zu
sprechen. Sie argumentieren mit dem Alter der Ver-
kehrsbetriebe usw. usf. Ich argumentiere mit dem
Preis-Leistungs-Verhältnis. Das Preis-Leistungs-Verhält-
nis hat sich dort dramatisch verbessert. Es werden pro
Jahr 3 bis 7 Millionen Euro eingespart, und das bei einer
verbesserten Verkehrsleistung. Jetzt verstehe ich natür-
lich auch, warum manche öffentliche Personennahver-
kehrsdienstleister die Hosen voll haben.


(Zuruf von der SPD: Ach ja? Bei wem ist das denn so?)


Sie fürchten nämlich, dass sie mit ihrem Preis-Leis-
tungs-Verhältnis nicht mehr zukunftsfähig sind, wenn es
darum geht, die anstehenden Herausforderungen zu be-
wältigen.


(Kirsten Lühmann [SPD]: Aber auf Kosten der Beschäftigten!)


Ich sage Ihnen: Wir wollen Marktwirtschaft, und wir
wollen auch im öffentlichen Personennahverkehr ver-
nünftige Bedingungen. Wir wollen kein Lohndumping.
Sie können das Lohndumping verhindern, indem Sie von
Ihren gesetzgeberischen Möglichkeiten in den Ländern
Gebrauch machen. Tun Sie das, und verbreiten Sie hier
keine Illusionen, die Sie am Ende nicht verwirklichen
können.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822809400

Damit schließe ich die Aussprache.

Arnold Vaatz






(A) (C)



(B) (D)


Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/10747 und 18/10978 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
ist das so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 40 a bis 40 o auf:

a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Katja
Keul, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), wei-
teren Abgeordneten und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Änderung des Bundesver-

(Verankerung eines Verfahrens zur Überprüfung von Entscheidungen über den Einsatz der Bundeswehr im Ausland)


Drucksache 18/8277

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Verteidigungsausschuss

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Intelligente Verkehrssysteme
Gesetzes

Drucksache 18/11494

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Ausschuss Digitale Agenda

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen vom 25. Oktober 2016 zur
Errichtung der Internationalen EU-LAK-Stif-
tung

Drucksache 18/11507

Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen vom 14. März 2014 über die
Ausstellung mehrsprachiger, codierter Auszü-
ge und Bescheinigungen aus Personenstands-
registern

Drucksache 18/11510

Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

e) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Beitrittsprotokoll vom 11. November 2016
zum Handelsübereinkommen vom 26. Juni
2012 zwischen der Europäischen Union und
ihren Mitgliedstaaten einerseits sowie Kolum-

bien und Peru andererseits betreffend den
Beitritt Ecuadors

Drucksache 18/11556

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung

f) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset-
zes zur Änderung personenstandsrechtlicher

(2. Personenstandsrechts-Änderungsgesetz – 2. PStRÄndG)


Drucksache 18/11612

Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

g) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ver-
besserung der Sachaufklärung in der Verwal-
tungsvollstreckung

Drucksache 18/11613

Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

h) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einfüh-
rung eines Anspruchs auf Hinterbliebenen-
geld

Drucksache 18/11615

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit

i) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neufas-
sung der Regelungen über Funkanlagen und
zur Änderung des Telekommunikationsgeset-
zes sowie zur Aufhebung des Gesetzes über
Funkanlagen und Telekommunikationsend-
einrichtungen

Drucksache 18/11625

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss Digitale Agenda

j) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Matthias W.
Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Frakti-
on DIE LINKE

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


Neustart für eine friedliche und gerechte Eu-
ropäische Union

Drucksache 18/11723
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales

k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Menz, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Tierversuche beenden

Drucksache 18/11724
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung

l) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Bericht der Bundesregierung über den Fort-
gang der eingeleiteten Reformprozesse, mögli-
che Missstände und sonstige aktuelle Entwick-
lungen in der Transplantationsmedizin

Drucksache 18/3566
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung

m) Beratung der Unterrichtung durch den Deutschen
Ethikrat

Stellungnahme des Deutschen Ethikrates

Hirntod und Entscheidung zur Organspende

Drucksache 18/4256
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung

n) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Zweiter Bericht der Bundesregierung über
den Fortgang der eingeleiteten Reformprozes-
se, mögliche Missstände und sonstige aktuelle
Entwicklungen in der Transplantationsmedi-
zin

Drucksache 18/7269
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung

o) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Dritter Bericht der Bundesregierung über den
Fortgang der eingeleiteten Reformprozesse,
mögliche Missstände und sonstige aktuelle
Entwicklungen in der Transplantationsmedi-
zin

Drucksache 18/10854
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung

Bei diesen Tagesordnungspunkten handelt es sich um
Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne De-
batte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann ist auch das so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 41 a und 41 b, 41 d
bis 41 o sowie die Zusatzpunkte 2 a bis 2 e auf.

Hierbei handelt es sich um die Beschlussfassung zu
Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.

Tagesordnungspunkt 41 a:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Zweiten Gesetzes zur Änderung des
BDBOS-Gesetzes

Drucksache 18/11139

Beschlussempfehlung und Bericht des Innen-
ausschusses (4. Ausschuss)


Drucksache 18/11660


(8. Ausschuss)


Drucksache 18/11664

Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf der Drucksache 18/11660, den Gesetz-
entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11139
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzent-
wurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition
bei Enthaltung der Opposition angenommen worden.

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der
Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition bei Ent-
haltung der Opposition angenommen worden.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


Tagesordnungspunkt 41 b:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Durchführung der Verordnung (EU)

2016/424 des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 9. März 2016 über Seilbahnen
und zur Aufhebung der Richtlinie 2000/9/EG

(Seilbahndurchführungsgesetz – SeilbDG)


Drucksache 18/11258

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur

(15. Ausschuss)


Drucksache 18/11702

Mit diesem Gesetz werden eine Verordnung der Eu-
ropäischen Union über Seilbahnen umgesetzt und ein
neuer Rechtsrahmen für die Vermarktung und CE-Kenn-
zeichnung von Teilsystemen und Sicherheitsbauteilen
geschaffen.

Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/11702, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf der Drucksache 18/11258 anzunehmen. Ich bitte die-
jenigen, die diesem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. – Stimmt jemand dagegen? – Ent-
hält sich jemand? – Damit ist dieser Gesetzentwurf in der
zweiten Beratung einstimmig angenommen worden.

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Stimmt jemand dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit
ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen worden.

Tagesordnungspunkt 41 d:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
29. August 2016 zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und Turkmenistan zur Vermei-
dung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet
der Steuern vom Einkommen und vom Ver-
mögen

Drucksache 18/11557

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses (7. Ausschuss)


Drucksache 18/11766

Da es sich um einen internationalen Vertrag handelt,
erfolgen hierzu nur zwei Lesungen. – Der Finanzaus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/11766, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksache 18/11557 anzunehmen.

Zweite Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer enthält sich? – Wer stimmt dagegen? – Damit ist der

Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition bei Ent-
haltung der Opposition angenommen worden.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 41 e auf:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
8. Dezember 2016 zwischen der Regierung der
Bundesrepublik Deutschland und der Euro-
päischen Agentur für Flugsicherheit über den
Sitz der Europäischen Agentur für Flugsicher-
heit

Drucksache 18/11558

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur

(15. Ausschuss)


Drucksache 18/11768

Mit der Umsetzung des Abkommens werden der Sitz
der Europäischen Agentur für Flugsicherheit in Köln


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Eine gute Stadt!)


auf eine gesicherte rechtliche Grundlage gestellt sowie
die Rechte und Befugnisse der Agentur und ihres Perso-
nals in Deutschland geregelt.

Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Druck-
sache 18/11768, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/11558 anzunehmen.

Zweite Beratung

und Schlussabstimmung. Ich möchte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, bitten, sich zu erhe-
ben. – Gibt es jemanden, der dagegenstimmen möchte? –
Gibt es jemanden, der sich enthalten möchte? – Damit ist
dieser Gesetzentwurf einstimmig angenommen worden.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 41 f:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Sven-Christian
Kindler, Tabea Rößner, Kerstin Andreae, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Telekomanteile veräußern – In Breitbandaus-
bau investieren

Drucksachen 18/9799, 18/11209

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/11209, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/9799 ab-
zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist
diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koa-
lition gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenom-
men worden.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


Tagesordnungspunkt 41 g:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss)

zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD

Biodiversität schützen – Taxonomische For-
schung ausbauen

Drucksachen 18/10971, 18/11700

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/11700, den Antrag der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD auf der Drucksache 18/10971
anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Da-
mit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der
Koalition bei Enthaltung der Opposition – keine Gegen-
stimmen – angenommen worden.

Tagesordnungspunkt 41 h:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu
der Verordnung der Bundesregierung

Sechste Verordnung zur Änderung der Elek-
tro- und Elektronikgeräte-Stoff-Verordnung

Drucksachen 18/11293, 18/11472 Nr. 2.2,
18/11772

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf der Drucksache 18/11772, der Verordnung auf
Drucksache 18/11293 zuzustimmen. Wer stimmt für die-
se Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
hält sich jemand? – Damit ist diese Beschlussempfehlung
einstimmig angenommen worden.

Tagesordnungspunkt 41 i:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu
der Verordnung der Bundesregierung

Verordnung über die Bewirtschaftung von
gewerblichen Siedlungsabfällen und von be-

(Gewerbeabfallverordnung – GewAbfV)


Drucksachen 18/11294, 18/11472 Nr. 2.3,
18/11773

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 18/11773, der Verordnung auf
Drucksache 18/11294 zuzustimmen. Wer stimmt für die-
se Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit
den Stimmen der Koalition ohne Gegenstimmen bei Ent-
haltung der Opposition angenommen worden.

Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 41 j bis
41 o sowie den Zusatzpunkten 2 a bis 2 e. Hierbei han-
delt es sich um Beschlussempfehlungen des Petitionsaus-
schusses.

Tagesordnungspunkt 41 j:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 422 zu Petitionen
Drucksache 18/11629

Wer stimmt dafür? – Stimmt jemand dagegen? – Ent-
hält sich jemand? – Damit ist die Sammelübersicht 422
einstimmig angenommen worden.

Tagesordnungspunkt 41 k:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 423 zu Petitionen
Drucksache 18/11630

Wer stimmt dafür? – Stimmt jemand dagegen? – Ent-
hält sich jemand? – Damit ist auch die Sammelüber-
sicht 423 einstimmig angenommen worden.

Tagesordnungspunkt 41 l:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 424 zu Petitionen
Drucksache 18/11631

Wer stimmt dafür? – Stimmt jemand dagegen? – Ent-
hält sich jemand? – Damit ist diese Sammelübersicht mit
den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Frak-
tion Die Linke und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen angenommen worden.

Tagesordnungspunkt 41 m:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 425 zu Petitionen
Drucksache 18/11632

Wer stimmt dafür? – Gibt es jemanden, der dagegen-
stimmt? – Enthält sich jemand? – Damit ist diese Sam-
melübersicht einstimmig angenommen worden.

Tagesordnungspunkt 41 n:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 426 zu Petitionen
Drucksache 18/11633

Wer stimmt dafür? – Stimmt jemand dagegen? – Wer
enthält sich? – Damit ist die Sammelübersicht 426 mit
den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke
angenommen worden.

Tagesordnungspunkt 41 o:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 427 zu Petitionen
Drucksache 18/11634

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


Wer stimmt für diese Sammelübersicht? – Wer stimmt
dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist die Sam-
melübersicht 427 ebenfalls einstimmig angenommen
worden.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein, nein! Wir haben dagegengestimmt!)


– Entschuldigung. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
hat Sammelübersicht 427 nicht angenommen, sondern
dagegengestimmt.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein! Die Linke! – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Wir sind doch die Linke! – Zuruf: Und die Grünen! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Machen Sie es noch mal!)


– Ich muss erst einmal meinen Kloß im Hals hier weg-
kriegen. – Die Fraktion Die Linke hat bei Sammelüber-
sicht 427 auch dagegengestimmt.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wir auch!)


Zusatzpunkt 2 a:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 428 zu Petitionen

Drucksache 18/11751

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Damit ist die Sammelübersicht 428 einstim-
mig angenommen worden.

Zusatzpunkt 2 b:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 429 zu Petitionen

Drucksache 18/11752

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Damit ist diese Sammelübersicht ebenfalls
einstimmig angenommen.

Zusatzpunkt 2 c:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 430 zu Petitionen

Drucksache 18/11753

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Damit ist diese Sammelübersicht mit den
Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Fraktion
Die Linke und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen worden.

Zusatzpunkt 2 d:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 431 zu Petitionen

Drucksache 18/11754

Wer stimmt zu? – Gibt es jemand, der dagegen-
stimmt? – Der sich enthält? – Damit ist diese Sammel-
übersicht einstimmig angenommen worden.

Zusatzpunkt 2 e:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 432 zu Petitionen

Drucksache 18/11755

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthält
sich jemand? – Damit ist diese Sammelübersicht mit den
Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen durch die Op-
position – keine Enthaltung – angenommen worden.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:

Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD

Wahl der Mitglieder des Stiftungsrates der
„Kulturstiftung des Bundes“

Drucksache 18/11728

Wer stimmt für den Wahlvorschlag der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/11728? – Wer
stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist der
Wahlvorschlag mit den Stimmen der Koalition und der
Fraktion Die Linke – keine Gegenstimmen – bei Enthal-
tung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen
worden.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:

Vereinbarte Debatte

zur Mitteilung des Vereinigten Königreichs
über seine Absicht, aus der Europäischen Uni-
on auszutreten

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 77 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu
Widerspruch? – Nein, das ist nicht der Fall. Dann ist das
so beschlossen, und ich kann die Aussprache eröffnen.

Als erster Redner in dieser Aussprache hat der Bun-
desminister Sigmar Gabriel für die Bundesregierung das
Wort.


Sigmar Gabriel (SPD):
Rede ID: ID1822809500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Gestern hat die britische Premierministerin nun formell
mitgeteilt, dass das Vereinigte Königreich aus der Euro-
päischen Union austreten möchte. Ich denke, alle hier im
Parlament hätten sich kurz nach dem 60. Jubiläum der
Europäischen Union am letzten Wochenende ein anderes
Geburtstagsgeschenk gewünscht. Aber Lamentieren hilft
nichts. Wir respektieren die britische Entscheidung.

Doch machen wir uns nichts vor: Der Brexit zwingt
auch die verbleibenden Mitgliedstaaten der Europäischen
Union dazu, ihren weiteren Weg neu zu vermessen. Wenn
die zweitgrößte Volkswirtschaft der Europäischen Union
sich dazu entschließt, die Union zu verlassen, dann kann

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


der Rest nicht „business as usual“ machen und so tun, als
sei nichts geschehen.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Hat sie aber gemacht!)


Für uns ist nach wie vor klar: Die Europäische Union
ist und bleibt das größte Zivilisationsprojekt des 20. Jahr-
hunderts, und auch im 21. Jahrhundert gibt es – bis heu-
te – keine Region in der Welt, in der man so frei, so sicher
und auch so demokratisch leben kann wie bei uns in der
Europäischen Union.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frieden und Wohlstand für alle sind die Versprechen
der Europäischen Union, und wir sehen gerade, wie
brüchig der Frieden dort ist, wo die friedenstiftende Hand
der Europäischen Union nicht wirksam ist auf unserem
Kontinent. Natürlich ist es eine der wichtigsten Aufgaben
der Europäischen Union, auch das Wohlfahrtsverspre-
chen endlich wieder einzulösen. Nichts untergräbt die
Legitimität der europäischen Einigung so sehr wie mehr
als 40 Prozent Jugendarbeitslosigkeit in vielen Ländern
im Süden der Europäischen Union.

Europa wird nur gelingen, wenn es auch für die nächs-
te Generation in Europa ein Projekt der Hoffnung ist, und
nicht ein Projekt der Hoffnungslosigkeit. Deshalb ist der
Kampf um mehr Wachstum, mehr Arbeitsplätze, besse-
re Bezahlung und mehr soziale Sicherheit so ungeheuer
wichtig.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: So ist es!)


Denn wie zuvor in Irland, in Frankreich und in den
Niederlanden haben auch gerade die Arbeiterbezirke des
Vereinigten Königreiches gegen Europa gestimmt. Auch
in Großbritannien sind es Mittelschichten, Menschen mit
nicht so hohen Einkommen, die jedenfalls in der Europä-
ischen Union keine Hilfe für ihre Zukunft mehr gesehen
haben. Sie haben gegen die Mitgliedschaft in der Euro-
päischen Union gestimmt, nicht nur weil sie der dummen
Propaganda von UKIP und anderen aufgesessen sind,
sondern weil sie die Hoffnung verloren hatten, dass sich
ihre Lebenssituation durch Europa verbessert.

Dem Vereinigten Königreich attestiert die Bank of
England für die vergangenen zehn Jahre die schwächste
Reallohnentwicklung seit Mitte des 19. Jahrhunderts, seit
Mitte des 19. Jahrhunderts! Diese eher schwache Ent-
wicklung der Löhne geht zudem einher mit einer unter-
schiedlichen, vielfach außerordentlich ungerechten Ver-
teilung der Reallohnentwicklung innerhalb des Landes.
Konkret: In einer Zeit, in der der Reichtum zum Beispiel
am Finanzplatz London bereits obszöne Größenordnun-
gen erreicht hatte, wurden große Teile der britischen Ge-
sellschaft vom Wohlfahrtsversprechen ausgeschlossen.

Wer verhindern will, dass es in den Bevölkerungen
der Mitgliedstaaten Europas weiter mehr Frustration als
Hoffnung über ihre eigene Zukunft gibt, der muss vor
allem dafür sorgen, dass das Leben, das Einkommen und

die sozialen Bedingungen in Europa wieder für alle bes-
ser werden.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Für mich ist das deshalb wichtig, weil uns heute in
Europa nicht nur unser zukünftiges Verhältnis zu Groß-
britannien beschäftigen muss. Nicht nur der Brexit, auch
die zahlreichen anderen Krisen der jüngeren Vergangen-
heit haben das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in
die Europäische Union beschädigt. Das wirtschaftliche
Abrutschen der Länder am Mittelmeer, der Umgang mit
Flüchtlingen, Unsicherheit und Pessimismus: Die Staa-
tengemeinschaft wirkt so zerbrechlich wie nie zuvor.

Das europäische Einigungsprojekt wird wie selten zu-
vor von Populisten angefeindet, die einfache Lösungen
vorgaukeln, die Europa zurückbauen oder sogar zerstö-
ren wollen. Deswegen war das Signal von Rom am Wo-
chenende mehr als nur eine gute Nachricht. Denn darin
ist endlich ein Bekenntnis zu einem stärkeren sozialen
Europa enthalten.

Damit ich nicht missverstanden werde: Ich bin nicht
naiv. Ich glaube auch nicht, dass der Text allein sofort
alles ändert. Aber er ist ein erstes Zeichen dafür, dass sich
die anderen 27 Mitgliedstaaten auf einen Paradigmen-
wechsel einlassen und sich auf dem Binnenmarkt von
einem reinen Wettbewerbseuropa hin zu einer sozialen
Marktwirtschaft entwickeln wollen. Dafür ist noch viel
zu tun. Aber der Wechsel in diese Richtung ist endlich
eingeleitet.


(Beifall bei der SPD)


Es gibt aber auch wirklich tolle Nachrichten aus Eu-
ropa. Es ist erstaunlich: In fast jedem Land Europas – so
zeigen es Umfragen – sind es derzeit eher die Älteren,
die die EU schlecht finden. Das war bei der Gründung
der Europäischen Union anders. Da waren es die Alten,
die ihre Söhne und Töchter im Krieg verloren hatten, de-
ren Kinder gestorben, ermordet oder verwundet waren,
also die Elterngeneration, die nach dem Krieg wusste:
Das wollen wir nicht noch einmal erleben. Wir wollen
nicht, dass wieder Eltern heranwachsen, die ihre Kinder
im Krieg verlieren. – Heute verteidigen die Jungen Eu-
ropa. Sie treten immer entschiedener für einen europäi-
schen Zusammenhalt ein. Sie wollen ein starkes Europa;
denn sie wissen, dass sie selber und ihre eigenen Kin-
der in einer sich total verändernden Welt, in der Asien,
Lateinamerika und Afrika größer werden, während wir
schrumpfen, nur dann eine Stimme haben werden, wenn
es eine gemeinsame europäische Stimme ist. Selbst das
starke Deutschland wird in dieser Welt von morgen kein
Gehör finden, es sei denn, unsere Stimme ist eine euro-
päische Stimme.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Diejenigen, die jetzt jeden Sonntag auf unseren Plätzen
den kräftigen Pulse of Europe zeigen, sind stärker als all
die plumpen Antieuropäer von links und rechts außen.

Bundesminister Sigmar Gabriel






(A) (C)



(B) (D)


Die Demonstranten, die den Puls Europas zeigen, sind
übrigens unsere stärksten Verbündeten.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Großbritannien war jahrzehntelang Teil und wichtiger
Akteur dieser großen Gemeinschaft. Die gemeinsame
Geschichte mit uns Deutschen – keine einfache, oft eine
schmerzvolle – verbindet. Heute sind wir Partner in ei-
nem friedlichen Europa mit gemeinsamen Interessen und
Werten. Unzählige Deutsche studieren und arbeiten in
Großbritannien. Junge Briten leben bei uns, beleben die
Kulturszene, führen Unternehmen und gründen Start-ups.
Ich glaube, dass wir trotz aller Auseinandersetzungen
rund um den Brexit sicherstellen müssen, dass diese ge-
wachsene Freundschaft zwischen den Menschen unserer
Länder durch die jetzt anstehenden Verhandlungen nicht
gefährdet wird. Wir müssen Freunde bleiben. Auch wenn
sich dieser Spruch bei privaten Trennungsgeschichten,
die es ja manchmal gibt, nicht immer realisieren lässt: Ich
glaube, dass das eine gute Überschrift für das ist, was wir
anstreben sollten: Wir sollten Freunde bleiben, vielleicht
mit Ausnahme des Fußballplatzes.

Die Brexit-Verhandlungen mit dem Vereinigten Kö-
nigreich, die die Europäische Union für uns führen wird,
werden nicht einfach. Sicherlich kennt der eine oder
andere den Spruch, dass es zuerst schwer werden wird,
bevor es wieder leichter wird. Das trifft auch auf diese
Verhandlungen zu. Sie werden zuerst schwer werden,
bevor sie wieder leichter werden. Sosehr der Austritt
Großbritanniens aus der EU auch falsch ist, sosehr er
dem Vereinigten Königreich, wie ich glaube, am Ende
mehr schaden wird als uns – man darf keine Zweifel da-
ran haben, dass er auch uns schadet –, so wenig Interesse
haben wir aber, die Verhandlungen so zu führen, dass am
Ende ein völlig zerrüttetes oder verfeindetes Verhältnis
zwischen uns entsteht.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Für die Bundesregierung ist allerdings klar: Die wich-
tigste Bedingung bei den Verhandlungen über den Aus-
tritt des Vereinigten Königreichs ist die Wahrung der
Interessen der Bürgerinnen und Bürger der verbleiben-
den 27 Mitgliedstaaten, des Zusammenhalts sowie der
wirtschaftlichen, sozialen und politischen Interessen der
Mitgliedstaaten und übrigens auch der Interessen der In-
stitutionen der Europäischen Union. Bei all dem gibt es
keinen Britenrabatt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Viel Detailarbeit wird nötig sein. Wir sollten den Aus-
trittsprozess aber selbstbewusst und ohne Schaden für die
27 verbleibenden Mitgliedstaaten betreiben.

Man braucht klare Leitlinien dafür. Für mich gibt es
vier Aspekte, die wir berücksichtigen müssen.

Erstens werden wir immer besondere Beziehungen
zum Vereinigten Königreich haben, schon wegen der

Bedeutung unserer Zusammenarbeit in der Außenpolitik,
bei der Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus,
bei Forschung und Entwicklung sowie insbesondere bei
unseren sicherheitspolitischen Aufgaben.

Zweitens hat der Brexit ein großes Gefühl der Un-
sicherheit für unsere Wirtschaft, vor allen Dingen aber
auch für mehr als 3 Millionen EU-Bürger geschaffen, die
im Vereinigten Königreich leben, davon 300 000 Deut-
sche. Wir werden deshalb vor allen Dingen am Anfang
dafür sorgen müssen, dass sie durch den Brexit möglichst
keine Nachteile erleiden. Das Motto von EU-Chefver-
handler Michel Barnier lautet deshalb zu Recht: Citizens
first, Bürgerinnen und Bürger zuerst! So wichtig die
wirtschaftlichen Beziehungen sind: Zuallererst müssen
der Rechtsstatus und die Interessen der Bürgerinnen und
Bürger Europas in Großbritannien gesichert werden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ebenso müssen wir die Finanzierung von EU-Pro-
grammen sicherstellen, wie zum Beispiel des Europäi-
schen Sozialfonds oder des Investitionsplans von Kom-
missionspräsident Juncker. Dafür erwarten wir, dass das
Vereinigte Königreich seine eingegangenen Verpflich-
tungen einhält.

Drittens ist klar, dass eine Partnerschaft außerhalb der
Europäischen Union, wie sie das Vereinigte Königreich
anstrebt, zwingend weniger als eine Mitgliedschaft in der
Europäischen Union sein muss.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ein Freihandelsabkommen – und sei es noch so weitge-
hend und innovativ – ist zwangsläufig weniger handels-
freundlich als der barrierefreie Binnenmarkt. Wir haben
es immer wieder zu Recht betont: Der Binnenmarkt ist
kein À-la-carte-Menü, seine vier Freiheiten sind unteil-
bar, und hierzu gehört die Personenfreizügigkeit, die Eu-
ropa ausmacht. Das hat auch London verstanden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Viertens muss unseren britischen Partnern klar sein: Je
enger unsere Partnerschaft sein soll, desto mehr gemein-
same Spielregeln brauchen wir. Das gilt nicht nur für
gleiche Standards bei Wettbewerb, Beihilfe und Arbeit-
nehmerschutzregeln, sondern auch für andere Bereiche
wie beispielsweise Umwelt- und Datenschutz.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie geht es jetzt
weiter? Wir müssen zunächst den Rahmen für die Ver-
handlungen abstecken. Das werden wir durch die Leit-
linie des Europäischen Rates tun. Übrigens: Der Aus-
trittsprozess ist eine „EU only“-Angelegenheit. Der sich
anschließende Verhandlungsprozess über die Frage des
zukünftigen Verhältnisses betrifft dann ein gemischtes
Abkommen, das der Deutsche Bundestag und der Bun-
desrat ratifizieren müssen.

Trotzdem bin ich der Meinung, dass wir jedenfalls,
auch wenn wir bei den Austrittsverhandlungen nicht un-
mittelbar eine Rolle spielen – das habe ich gestern auch

Bundesminister Sigmar Gabriel






(A) (C)



(B) (D)


im EU-Ausschuss gesagt –, ein Interesse daran haben,
eng miteinander zusammenzuarbeiten, Sie immer zu in-
formieren und, wann immer Sie es für nötig halten, auch
zu Ihnen zu kommen. Auch wenn es dabei, wie gesagt,
nicht um das gemischte Abkommen geht, ist es, finde ich,
angemessen, den Deutschen Bundestag so eng wie mög-
lich in diese Verhandlungen einzubeziehen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir werden unter den 27 Staaten ein Verhandlungs-
mandat beschließen und vermutlich ab Ende Mai die
eigentlichen Verhandlungen beginnen, zunächst zu den
zentralen Fragen des Austritts und dann, auf der Basis
dessen, was den Austritt ausmachen soll, auch über ein
zukünftiges Abkommen mit Großbritannien.

Wir müssen die Impulse, die wir in Rom besprochen
haben, aufnehmen, weiterdenken und umsetzen. Wir
brauchen nicht in allen Bereichen mehr Europa, aber in
vielen Bereichen ein besseres und auch ein sozialeres Eu-
ropa, das sein Wohlfahrtsversprechen ebenso einlöst wie
das Versprechen auf Frieden, Sicherheit der Grenzen und
Schutz seiner Bevölkerung, ein Europa, in dem alle nach
ihren Kräften mitmachen können, ein Europa der Solida-
rität und des Miteinanders und ein Europa, in dem nicht
einige große Länder für alle anderen reden, sondern in
dem wir alle gleich viel wert sind und uns auf Augenhö-
he begegnen, das aber auch gemeinsam handelt und sich
nicht durch andere spalten lässt.

Um es offen zu sagen: Meine größte Sorge ist, dass
dieses Auseinanderdividieren Europas bereits angefan-
gen hat. Ich finde es schmeichelhaft, wenn China, die
USA und Russland immer mit Deutschland verhandeln
wollen. Aber darin liegt auch eine Gefahr. Es ist eine
Falle, in die wir nicht gehen dürfen. Wir müssen immer
klar machen: Ja, wir reden gerne, und wir haben auch
einen Stabilitätsauftrag und Verantwortung für Europa.
Aber am Ende reicht es nicht, mit Deutschland zu reden,
sondern alle sind hier gleich viel wert. Europa besteht aus
viel mehr kleinen als großen Staaten.

Deswegen wollen wir bei niemandem den Eindruck
erwecken, er werde ausgegrenzt. So wichtig selbst das
deutsch-französische Tandem ist – am Ende ist es nicht
genug. Gerade die kleineren Mitgliedstaaten müssen wis-
sen, dass wir sie als gleichberechtigte Partner auf Augen-
höhe sehen und dass wir dafür sorgen wollen, dass alle
anderen aus anderen Teilen der Welt am Ende mit Euro-
pa verhandeln und nicht nur mit Teilen von Europa. Ich
glaube, dass das von großer Bedeutung ist.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine letzte Bemerkung. Für dieses Europa braucht
man vielleicht ein bisschen Mut; keine Frage. Ich habe
vor ein paar Wochen im Uhrensaal im französischen
Außenministerium gestanden, in dem Robert Schuman
seine berühmte Rede gehalten hat. Ich habe gedacht:
Mein Gott, was müssen das für mutige Frauen und Män-
ner gewesen sein! So kurz nach dem Ende des Zweiten
Weltkrieges – er war ja noch nicht lange vorbei – laden

sie Deutschland ein, an den Tisch der zivilisierten Völker
Europas zu kommen, das Land, das vorher brandschat-
zend und mordend durch Europa gezogen ist. Ich glaube
nicht, dass die Bürgerinnen und Bürger in Luxemburg,
in Frankreich, in den Niederlanden, in Belgien, in Italien
oder anderswo damals nur Beifall dafür geklatscht ha-
ben, dass ihre politischen Führerinnen und Führer gesagt
haben: Komm, wir laden die Deutschen ein. – Ich glaube,
es hat viel Kritik gegeben. Trotzdem hatten sie den Mut,
das durchzuhalten.

Ich glaube, dass wir auch heute Mut brauchen, aber
ich vermute, nicht so viel Mut, wie sie damals gebraucht
haben. Wenn man sieht, was geht, wenn man weiß, wo
man hinwill, dann, finde ich, kann man diesen Mut auf-
bringen, und dann muss uns um Europa nicht bange sein.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822809600

Vielen Dank, Herr Minister. – Als nächster hat das

Wort Dr. Diether Dehm von der Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Jörg-Diether Dehm-Desoi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822809700

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Dennoch: Der Brexit war auch ein Ergebnis des Krisen-
managements der Kanzlerin. Ich habe bei Ihnen, Herr
Bundesminister, zwar neue Töne gehört, aber wie lange
wurden linke Kritiker, die die nicht sozialen Strukturen
der EU ansprachen, als antieuropäisch oder europafeind-
lich verleumdet?! Wir haben immer gesagt: Diese im
Kern kapitalbesessene EU spaltet Europa.


(Beifall bei der LINKEN)


Herr Bundesminister, lassen Sie uns doch gemeinsam
die soziale Fortschrittsklausel auf den Weg bringen, wie
es der DGB, die SPD-Arbeitnehmerschaft und die Linke
immer gefordert haben.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich sage Ihnen: Mit mehr Sozialstaatlichkeit wäre es nie
und nimmer zum Brexit gekommen.


(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Um Gottes willen! – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– Nie und nimmer. – Auch in Italien, in den Niederlan-
den, in Spanien, Griechenland, Dänemark und Frank-
reich wäre die EU kein Projekt auf Abruf, und ein ver-
einigtes Europa könnte durchaus Herzenssache für die
arbeitenden Menschen werden, vor allem derer, die
Angst vor Altersarmut haben. Für die aber wurde die
EU zu einem Moloch, der über Marktfreiheiten und Fi-
nanzplätze wacht: für RWE, Deutsche Bank, Daimler,
Monsanto-Bayer und all die Superreichen bei uns und im
Königreich.

Bundesminister Sigmar Gabriel






(A) (C)



(B) (D)


Seit zehn Jahren werden Arbeitende vom Europä-
ischen Gerichtshof belehrt, dass es absolut vertrags-
konform sei, wenn Konzerne sie in ein anderes Land
entsenden, aber nach den schlechteren Bedingungen
des Heimatlandes entlohnen. Jahrelang verhinderten
Cameron und Schäuble Arm in Arm, dass die EU für Ka-
pitalverkehrskontrollen und gegen Steuerdumping und
Steuerhinterziehung ermächtigt wird, siehe Panama Pa-
pers. Auch „Sankt Martin“ Schulz hat in dieser Zeit in
Brüssel nicht nur Radieschen gezüchtet.

Zockerbanken aber wurden über Nacht mit Steuermil-
liarden gerettet, während in Großbritannien, in Südeuro-
pa, aber auch in Deutschland Vollzeitarbeitsplätze und
Tarifschutz abgebaut wurden. Die Hunderttausenden von
Demonstranten gegen die Freihandelspläne von TTIP
und TiSA haben Sie anfänglich nur ausgelacht.

Aber der eigentliche Witz ist, dass der Kanzlerin nun
mit Großbritannien ausgerechnet der neoliberale Mit-
streiter gegen soziale Rechte von der Fahne geht, mit
dem Sie dem guten Europa diese kranke und viel zu deut-
sche EU aufgepresst haben.


(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– Ja, wir wollen ein europäisches Deutschland, keine
deutsche EU.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie feiern sich zum 60. Jahrestag der Römischen Ver-
träge, sagen nicht ein Wort zur Krisenanalyse, nichts zu
den Ängsten vor Krieg mit Russland und nichts zu den
sozialen Sorgen und zu den Lohn- und Renteneinbußen.
Nun, per EU-Verteidigungspolitik gemeinsam Waffen
kaufen zu dürfen, wird die EU-Begeisterung auch nicht
in die Höhe treiben. Dann soll für Trump auch noch der
NATO-Kriegsetat auf 2 Prozent erhöht werden.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wahnsinn!)


– Wahnsinn.

Jetzt wollen die einen den weiteren Marktzugang
zementieren, aber dafür kleinere Mitgliedstaaten über-
gehen. Die anderen wollen einen „harten Brexit“ als
Strafexpedition. Beides wird aber nicht die Kapitalbe-
sessenen treffen, sondern die Arbeiterklasse und dort
Feindseligkeit mehren, und davon haben wir nicht zu
wenig. Nötig aber ist kein Säbelrasseln, um ein Wort des
Bundespräsidenten an dieser Stelle einmal abzuwandeln,
sondern ein feineres, ein soziales Skalpell beim Brexit.


(Beifall bei der LINKEN)


London darf sich auch nicht seinen Verpflichtungen
entziehen, weder bei der Überwindung des Nord-Süd-Ge-
fälles noch bei den UN-Umweltzielen. Im Norden Irlands
darf keine undurchlässige EU-Außengrenze entstehen,
damit der Frieden dort um Gottes willen nicht zerbricht.


(Beifall bei der LINKEN)


Was im Karfreitagsabkommen vereinbart wurde, muss
auch nach dem Brexit gelten.


(Beifall bei der LINKEN)


Verwöhnt von Rabatten, Sonderklauseln und Opt-outs,
dürfte die City, also die Börse in London, den Brexit für
einen noch gewerkschaftsfeindlicheren Kurs nutzen wol-
len. Dagegen helfen nur Wachsamkeit und internationale
Solidarität.


(Beifall bei der LINKEN)


Rechte Scharfmacher, denen der neoliberale Kampf
gegen Löhne und soziale Rechte noch nicht weit genug
geht – wie UKIP und AfD mit Alexander Gauland, einem
alten Frankfurter Elitepartner der Deutschen Bank –, ru-
fen nach EU-Austritt. Aber Sie von der Bundesregierung
haben denen ja über lange Zeit die Hasen in die Küche
getrieben; denn wer Marktextreme nicht bändigt, produ-
ziert Rechtsextreme.


(Beifall bei der LINKEN)


Nur wer beides stoppt, hilft Europa auf die Beine, neu
laufen lernen. Dazu ruft die Linke auf.


(Beifall bei der LINKEN)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822809800

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächster hat das

Wort Ralph Brinkhaus von der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ralph Brinkhaus (CDU):
Rede ID: ID1822809900

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Dr. Dehm, lie-

ber Kollege, es sind leider auch einige üble Linksextreme
produziert worden; auch das gehört zur Wahrheit dazu.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Wer denn? Kennen Sie jemanden? Erzählen Sie mal!)


Meine Damen und Herren, gestern hat die britische
Premierministerin die Scheidungsdokumente in Brüs-
sel eingereicht, und das war ein ganz schlechter Tag für
die Europäische Union. Es war übrigens nicht nur ein
schlechter Tag für die Europäische Union. Es war auch
ein schlechter Tag für Deutschland. Es war deswegen
ein schlechter Tag für Deutschland, weil uns so unglaub-
lich viel mit dem Vereinigten Königreich verbindet. Wir
haben sehr viele wunderbare persönliche Beziehungen,
wir haben kulturelle Beziehungen, wir haben unglaubli-
che viele Städtepartnerschaften. Wir arbeiten im Bereich
Wissenschaft und Forschung sehr gut zusammen. Das
Vereinigte Königreich ist ein unverzichtbarer Partner im
Bereich Sicherheit und Terrorbekämpfung. Wir haben
natürlich auch sehr viele wirtschaftliche Beziehungen.
Das Vereinigte Königreich ist eine der größten Volks-
wirtschaften in Europa und somit ein ganz wichtiger
Partner für uns.

Es war aber auch deswegen ein schlechter Tag für
Deutschland, weil das Vereinigte Königreich in sehr vie-
len Punkten mit uns einer Meinung war, weil wir Partner
am Brüsseler Verhandlungstisch waren, weil wir über
viele Dinge gleich gedacht haben. Es war nicht zuletzt
deswegen ein schlechter Tag für Deutschland, weil wir
dem Vereinigten Königreich so unendlich viel zu verdan-
ken haben. Die Demokratie, die Pressefreiheit und viele
andere Dinge, die wir heute wertschätzen, sind nach dem

Dr. Diether Dehm






(A) (C)



(B) (D)


Zweiten Weltkrieg von unseren britischen Freunden hier
mit entwickelt worden. Deswegen, meine Damen und
Herren, weil die Verbindungen so eng sind, weil das so
eine wichtige Beziehung ist, sollten wir die Verhandlun-
gen, die wir jetzt führen, nicht mit Zorn und Wut, sondern
mit gegenseitigem Respekt führen. Das sind wir unseren
britischen Freunden schuldig.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das bedeutet, dass wir miteinander zunächst einmal
fair umgehen. „Fair umgehen“, das bedeutet, dass wir re-
spektieren, egal wie die Kampagne dort auch verlaufen
ist, dass es eine demokratische Entscheidung in Großbri-
tannien war. Das haben wir zu akzeptieren.

Zur Fairness gehört auch, dass wir anerkennen sollten,
dass in dem Austrittsschreiben von gestern von Theresa
May ausdrücklich stand, dass sich diese Entscheidung
nicht gegen Europa richtet, und in diesem Schreiben auf
jegliche Schärfe verzichtet worden ist. Auch das, meine
Damen und Herren, gilt es anzuerkennen.

Ich glaube, wir sollten uns bei diesem Verhandlungs-
prozess noch etwas vor Augen führen: Mit welchem
Langmut und welcher Geduld haben wir mit einigen
unserer europäischen Partner Verhandlungen geführt!
Großbritannien war immer ein harter Partner bei den Ver-
handlungen, aber eines ist auch richtig: Das Vereinigte
Königreich hat keine Verträge gebrochen. Das Vereinigte
Königreich hat Zusagen eingehalten. Das Vereinigte Kö-
nigreich hat nicht mit falschen Zahlen operiert. Auch das
sollten wir uns vor Augen halten. Deswegen geht es in
einem fairen Verhandlungsprozess nicht darum, das Ver-
einigte Königreich zu bestrafen, sondern es geht darum,
das Beste für uns alle zu erzielen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn es aber so ist, dass die Briten, dass das Verei-
nigte Königreich unsere Freunde sind, dann kann man
auch eines sagen: Unter Freunden kann man offen sein,
und wir sollten auch offen und klar sein. Ich bin dankbar,
dass der Außenminister gerade das eine oder andere klar-
gestellt hat; denn zur Offenheit gehört auch das, was die
Bundeskanzlerin angesichts der Brexit-Debatte letztes
Jahr im Juni hier gesagt hat: Es wird kein Rosinenpicken
geben. Es kann nicht sein, dass man an allen Vorteilen
der Union partizipiert, aber nicht bereit ist, die Lasten der
Union zu tragen.

Offen bedeutet auch, dass wir ganz klar feststellen
müssen: Wenn die Briten einen freien Zugang zu den
Kapitalmärkten, zu den Dienstleistungs- und zu den Gü-
termärkten haben wollen, dann müssen sie dafür eine
Gegenleistung erbringen. Zu dieser Gegenleistung ge-
hört auch, dass die Bewegungsfreiheit und die Niederlas-
sungsfreiheit der EU-Bürger im Vereinigten Königreich
verhandelt werden müssen. Das sind wir insbesondere
unseren osteuropäischen Partnern schuldig, und da wer-
den wir uns nicht auseinanderdividieren lassen.

Zur Offenheit, meine Damen und Herren, gehört auch
dazu, dass wir der City in London – Herr Kollege Dehm,
Sie hatten sie angesprochen –, sagen, dass wir es nicht
akzeptieren können, dass die wesentlichen Finanzrisiken
der Europäischen Union und der Euro-Zone außerhalb

der Regulierung der Europäischen Union und der Eu-
ro-Zone gemanagt werden können. Das ist ganz wichtig.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, viele von Ihnen haben Gespräche mit den Ver-
tretern der City geführt. Da ist auch eine gewisse Über-
heblichkeit zu spüren gewesen, nach dem Motto: Ihr seid
auf uns angewiesen, wir sind diejenigen, die eure Real-
wirtschaft mit Liquidität versorgen. – Um es an dieser
Stelle ganz klar zu sagen: Ein Hard Brexit würde uns vor
das eine oder andere Problem stellen, aber wir werden
uns nicht unter Druck setzen lassen.

Schaut man sich an, was momentan teilweise durch
britische Medien kolportiert wird, nämlich: „Wir müssen
hart kämpfen, wir sind in einer guten Position“, dann ist
das nicht die Grundlage für eine gute Verhandlung. Es
geht um Gemeinsamkeit, es geht um ein gemeinsames
Ziel, es geht darum, dass beide Seiten gesichtswahrend
da herauskommen. Dementsprechend lautet die ganz
klare Adresse an die Freunde im Vereinigten Königreich:
Unter Druck setzen, das bringt gar nichts.

Eines ist auch wichtig in diesen Verhandlungen: Das
Vereinigte Königreich muss zu seinen finanziellen Ver-
pflichtungen stehen, und das sollten wir besser am An-
fang des Verhandlungsprozesses klären und nicht am
Ende.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sehr geehrter Herr Minister Gabriel, ich bin froh, dass
Sie eines adressiert haben, was auch ganz wichtig ist: Es
verhandeln 27 gegen einen. Wir werden es nicht zulas-
sen, dass irgendjemand einen Keil zwischen uns treibt,
und bilaterale Verhandlungen wird es nicht geben. Auch
das muss klar unter Freunden gesagt werden. Ich glaube,
wenn wir auf der einen Seite fair verhandeln, aber klar
unsere Linien definieren, dann kommen wir auch zu ei-
nem guten Ergebnis.

Meine Damen und Herren, dieses gute Ergebnis ist
auch notwendig. Wir sehen mit großer Sorge, was in
Großbritannien passiert. Das Land hat sich durch die-
se Abstimmung gespalten: Jung gegen Alt, katholische
Nordiren gegen protestantische Nordiren, Schotten ge-
gen Engländer; das ist nicht gut. Das schottische Parla-
ment möchte das Referendum zur Unabhängigkeit wie-
deraufleben lassen. Der eine oder andere in Deutschland
hat hier Schadenfreude. Die ist nicht angebracht.

Mit ganz großer Sorge schaue ich nach Irland. Irland
ist wirtschaftlich sowohl von der Europäischen Union
als auch vom Vereinigten Königreich abhängig, und das
muss sich in den Verhandlungen niederschlagen. Die
Botschaft an unsere irischen Freunde ist ganz klar: Wir
werden da an eurer Seite stehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Herr Dehm, Sie haben gerade nicht ganz viele richti-
ge Dinge gesagt, aber ich bin froh, dass Sie eine Sache
angesprochen haben, nämlich Nordirland. Dieses Refe-
rendum gefährdet das Karfreitagsabkommen und den

Ralph Brinkhaus






(A) (C)



(B) (D)


sehr brüchigen Frieden in Nordirland. Wir alle wissen,
wie dünn das Eis dort ist, und wir alle stehen in der Ver-
antwortung, dass dieser Friedensprozess jetzt nicht durch
diese Verhandlungen, die wir führen, scheitert. In Nordir-
land sind schon viel zu viele Menschen für nichts gestor-
ben. Auch das gehört zur Wahrheit dazu.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir müssen uns natürlich auch Sorgen machen um die
wirtschaftliche Verfasstheit. Da gibt es Leute, die sagen:
Na ja, die sind selbst schuld, wenn sie kein Wachstum
mehr haben. Die sind selbst schuld, wenn das alles nicht
mehr so läuft. – Wir haben nichts davon, wenn es dem
Vereinigten Königreich wirtschaftlich schlecht geht. Wir
haben etwas davon, wenn es den Menschen dort gut geht:
um der Menschen willen, aber auch um unserer Wirt-
schaft willen. Deshalb sollten wir daran arbeiten, dass
wir auch dort ein gutes Ergebnis erzielen.

Meine Damen und Herren, das ist der eine Teil der
Wahrheit. Der andere Teil ist – das hatten Sie in Ihrer
Rede angesprochen; das hatten wir auch letztes Jahr im
Juni schon gesagt –: Wir müssen uns natürlich fragen,
warum das alles so gekommen ist, und wir müssen uns
natürlich auch infrage stellen mit all dem, was wir in Eu-
ropa gemacht haben. Sind die europäischen Institutionen,
sind die europäischen Regeln und sind auch die handeln-
den Personen auf europäischer Ebene wirklich geeignet,
dieses Europa optimistisch und zuversichtlich in das
21. Jahrhundert bzw. in das nächste Jahrzehnt zu führen,
oder müssen wir da eine ganze Menge infrage stellen?
Man kann natürlich, so wie es in Ihrer Rede angeklungen
ist, sagen: Wir brauchen jetzt noch mehr Geld, das wir
dort hineinstecken können, und wir müssen die Integra-
tion weiter vertiefen. – Ich würde stattdessen eine andere
Idee zur Diskussion stellen: das Geld besser ausgeben,
die Institutionen verbessern, die Regeln verbessern und
vor allen Dingen auch darauf achten, dass diese Regeln
eingehalten werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Nichtsdestotrotz muss es auch so sein, dass Europa
immer eine emotionale Frage ist. Bei allem Respekt vor
den Menschen, die sich unglaubliche Verdienste um Eu-
ropa erworben haben: Vielleicht ist es jetzt an der Zeit,
dass die Geschichte Europas nicht mehr von übernäch-
tigten Politikern in Brüssel oder von grauen Beamtenge-
sichtern erzählt wird, sondern zum Beispiel von meinem
Studienfreund, der durch das Erasmus-Programm seine
Frau in Schweden kennengelernt hat und mit ihr zusam-
menlebt, oder dem Tischler in meinem Wahlkreis, der
seine Küchen jetzt auch in Großbritannien, in Frankreich
und Spanien verkaufen kann und dadurch einen siche-
ren Arbeitsplatz hat, oder vielleicht auch von denjenigen,
die sich noch an Krieg und Vertreibung erinnern und die
es wertzuschätzen wissen, was Frieden für diesen Kon-
tinent bedeutet. Ich glaube, wenn wir diese Geschichte
Europas emotional erzählen und wenn wir die Vorteile
klarmachen, dann wird nicht noch einmal das passieren,
was in Großbritannien passiert ist, sondern dann werden
die Völker in Europa sagen: Die Europäische Union ist

eine gute Sache, wir wollen dabei sein, und wir wollen
nicht raus.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822810000

Vielen Dank, Herr Kollege Brinkhaus. – Als Nächster

hat der Kollege Cem Özdemir von Bündnis 90/Die Grü-
nen das Wort.


Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822810100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der

Countdown für den Brexit hat begonnen. Großbritanni-
en hat sein Austrittsgesuch in Brüssel eingereicht. Damit
steht die Europäische Union vor der größten Belastungs-
probe ihrer Geschichte. Erstmals dreht sich das Rad der
europäischen Integration nicht vorwärts, sondern lei-
der rückwärts. So schwer es auch fällt: Wir müssen die
Entscheidung Großbritanniens respektieren. Darauf hat
Bundesaußenminister Gabriel hingewiesen; darauf ha-
ben alle Redner bis jetzt hingewiesen. Denn es war ohne
jeden Zweifel eine demokratische Entscheidung. Das
heißt aber auch, dass wir den Blick nach vorne richten
müssen; denn die wichtigste Botschaft heute ist: Einer
geht, aber 27 andere bleiben in der Europäischen Union,
und um die müssen wir uns jetzt gemeinsam kümmern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Tag eins des Brexit-Countdowns sollte für uns
alle auch der Tag eins sein, um an einer starken und ge-
schlossenen Europäischen Union der 27 zu arbeiten. Das
oberste Verhandlungsziel mit London – ich bin froh, dass
der Bundesaußenminister das so klar gesagt hat – muss
es sein, ein starkes Europa zu haben. Damit meine ich
eine Europäische Union, die fest zusammenhält, eine
EU, die sich fit macht für die Zukunft, die so attraktiv ist,
dass künftig niemand mehr einen Antrag auf Austritt aus
der Europäischen Union stellen möchte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das können wir nur erreichen durch ein Mehr an
Transparenz, durch ein Mehr an Bürgernähe in Brüssel,
aber eben auch durch Investitionen in die Zukunft Euro-
pas, durch Strukturreformen, die dringend anstehen. Wir
von Bündnis 90/Die Grünen bezeichnen das als einen
Green New Deal. Wir wollen nicht einfach Investition
um der Investition willen. Wir brauchen sicherlich nicht
mehr Autobahnen im Süden Europas. Wir brauchen nicht
mehr Hochhäuser an den Küsten Europas. Was wir brau-
chen, ist Breitband in der gesamten Europäischen Union.
Was wir brauchen, sind die besten Hochschulen in der
Europäischen Union. Was wir brauchen, ist eine konkur-
renzfähige Wirtschaft in der Europäischen Union. Die
wird es nur geben, wenn die Lebensverhältnisse in der
gesamten Europäischen Union so sind, dass alle wissen:

Ralph Brinkhaus






(A) (C)



(B) (D)


Europa lohnt sich, Europa ist gut für die Bürger. Das darf
uns ruhig etwas wert sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Aber ich will mich auch an den Kollegen Dehm wen-
den, weil ich mit Bedauern gehört habe, dass auch die
Kollegen der Linkspartei leider immer wieder in dieses
nationale Horn stoßen.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was?)


Was war denn der Grund dafür, dass die britische Wirt-
schaft heute so dasteht, wie sie dasteht? Es war doch
nicht die Europäische Union, die gesagt hat: Ihr müsst
euch deindustrialisieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es war die Entscheidung der britischen Premierministe-
rin Margaret Thatcher, die einseitig auf den Finanzstand-
ort London gesetzt hat. Man muss zur Ehrlichkeit dazu
sagen: Die sozialdemokratischen Nachfolger haben es
auch nicht viel anders gemacht. Das war doch der Grund,
warum Großbritannien so dasteht, wie es dasteht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Politik, dass man die Verantwortung für nationales
Versagen immer in Brüssel ablegt, muss endlich einmal
ein Ende haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


An die Kollegen der Linkspartei gerichtet – nicht
an alle, aber an manche –: Der Linkspopulismus gegen
Europa ist mir nicht sympathischer als der Rechtspopu-
lismus in Europa. Wir brauchen gar keinen Populismus
gegen Europa.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir brauchen endlich Mut, Ehrlichkeit und die Bereit-
schaft, sich für Europa einzusetzen.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das sagt der Richtige!)


Wir müssen deutlich machen, dass wir das Mandat
nicht aus der Hand geben. Ich bin froh, dass alle Redner-
innen und Redner bis jetzt deutlich gemacht haben, dass
es dabei auch um die vier Grundfreiheiten geht. Den frei-
en Verkehr für Personen und Waren, für Dienstleistungen
und für Kapital gibt es nur im Paket. Es kann nicht sein,
dass man sich das herauspickt, was man gerne hätte, und
auf den Rest verzichtet. So haben wir in der Europäi-
schen Union nicht gewettet. Deshalb muss die Bundesre-
gierung dafür sorgen, dass am Ende drei Dinge Bestand
haben: Der Zusammenhalt der Europäischen Union, die
Integrität des Binnenmarktes und die Einheitlichkeit des
Europarechts stehen nicht zur Verhandlung. Die gibt es
nur im Paket. Die müssen wir erhalten.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD)


Wir müssen auf der einen Seite deutlich machen, was
passiert, wenn man sich für den Exit entscheidet. Der
erste Staatsgast, den US-Präsident Trump empfangen
hat, war bezeichnenderweise Theresa May. Jeder, der
in Europa mit Exit-Fantasien herumläuft, sollte sich gut
überlegen, wer einen dann erwartet und was einen dann
erwartet.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Auf der anderen Seite muss einem auch klar sein: Wenn
ich als Mitglied der Europäischen Union ins Weiße Haus
gehe, wenn ich als Mitglied der Europäischen Union
nach China gehe, dann vertrete ich den größten Binnen-
markt der Welt, dann habe ich doch viel mehr zu sagen,
als wenn ich als Einzelner hingehe. Deshalb bin ich froh,
dass wir hier als Konsens haben: Wir verhandeln nicht
nur als Deutschland, wenn wir irgendwohin gehen, son-
dern wir sind auch immer als Europäer unterwegs. Wenn
es alle so machen in Europa, dann schaffen wir gemein-
sam mehr.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich will noch einmal sagen, dass es jetzt nicht da-
rum geht, verbrannte Erde zu hinterlassen. Wir brauchen
freundschaftliche Beziehungen zu Großbritannien. Sie
haben vieles aufgezählt, was wir von den Briten gelernt
haben, sei es die parlamentarische Demokratie, seien es
andere Dinge, in denen sie heute noch eng mit uns zu-
sammenarbeiten. Ich hätte mir noch den britischen Hu-
mor, ich denke da beispielsweise an Monty Python, ge-
wünscht. Davon könnten wir Deutsche auch noch etwas
gebrauchen. Das würde uns in der Europäischen Union
durchaus guttun, insbesondere uns in Deutschland.

Wir werden in vielen Feldern zusammenarbeiten. Aber
der entscheidende Unterschied ist jetzt auch klar: Wir,
die EU der 27, haben uns dafür entschieden, unsere In-
teressen zusammen zu vertreten. London kämpft ab jetzt
alleine. Wir schauen nach vorne und sind uns hoffentlich
einig darin, dass ein Land alleine die globalen Herausfor-
derungen von der Bekämpfung des Terrorismus bis zum
Klimawandel nicht bewältigen kann. Wir sind stärker,
wenn wir uns als Europäische Union zusammentun: auch
bei der Bekämpfung von Fluchtursachen, auch bei dem
Thema, dass wir die Welt in einen Zustand verwandeln
wollen, dass die Menschen dort, wo sie leben, menschen-
würdig leben können. Das kann keiner allein, aber wenn
wir 27 uns zusammentun, macht es einen Unterschied,
meine Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich will noch auf einen Punkt eingehen, der immer
wieder in Großbritannien genannt wurde, nämlich das
Thema Migration. Ich will daran erinnern, dass die Frei-
zügigkeit im Jahre 2004, als die osteuropäischen Länder
Mitglied der Europäischen Union geworden sind, durch
die Bundesrepublik Deutschland für sieben Jahre ausge-
setzt wurde. Die Briten sind damals einen anderen Weg
gegangen, ganz bewusst. Viele vergessen das heute. Das

Cem Özdemir






(A) (C)



(B) (D)


spielte in der Debatte eine wichtige Rolle. Aber zur Ehr-
lichkeit würde dazugehören, dass die britische Wirtschaft
nicht gerade unerheblich von den Menschen aus Polen,
aus Osteuropa profitiert hat. Sie jetzt wie den letzten
Dreck zu behandeln, ist auch nicht sehr anständig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Das macht man nicht. Das hat mit britischer Kultur, wie
wir sie kennen und wie wir sie schätzen, nicht sehr viel
zu tun.

Insofern wird es sehr darauf ankommen, dass wir jetzt
deutlich machen, dass die Menschen aus Großbritannien,
die bei uns in der Bundesrepublik Deutschland, innerhalb
der Europäischen Union der restlichen 27 leben, bei uns
willkommen sind, dass sie Teil Europas sind. Wir sollten
es ihnen leichter machen, Bürger unseres Landes, deut-
sche Staatsbürger, und damit auch Unionsbürger zu wer-
den. Es wäre doch schön, wenn wir da jetzt gemeinsam
eine Initiative starten und deutlich machen könnten: Bei
uns sind Briten, die bei uns in Kontinentaleuropa leben,
hier arbeiten, hier ihre Steuern zahlen, herzlich willkom-
men. Sie sind Europäer, sie bleiben Europäer, und wir
werden sie in unserem Land einbürgern; für uns gehören
sie dazu.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dazu gehört aber auch, dass wir uns um über 3 Milli-
onen Menschen kümmern müssen, die in Großbritannien
leben und EU-Bürger sind, die sich gerade große Sorgen
machen, was mit ihnen passieren wird, die Angst haben,
was aus ihrem Status wird. Wir haben von deutschen
Staatsbürgern gehört, von denen man verlangt, dass sie
ihre Ein- und Ausreisen in den letzten Jahrzehnten nach-
weisen, als Beleg dafür, dass sie dort Anspruch auf die
Staatsbürgerschaft haben. Das kann nicht angehen. Da-
rum bitte ich Sie, dass Sie bei den Verhandlungen auch
die Situation der EU-Bürger in Großbritannien mit be-
handeln.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch um die müssen wir uns jetzt kümmern. Es kann
nicht sein, dass jetzt innerhalb Europas – nicht innerhalb
der Europäischen Union, aber innerhalb Europas – neue
Grenzen errichtet werden, wo wir doch gerade dabei wa-
ren, die alten abzureißen.

Meine Damen, meine Herren, ein starkes Europa ist
Zukunft, ein starkes Europa ist das beste Erbe, das wir
unseren Kindern, unseren Enkeln mitgeben können. Ver-
halten wir uns auch entsprechend!

Herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822810200

Vielen Dank, Herr Kollege Özdemir. – Als nächster

Redner kommt Detlef Seif von der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Detlef Seif (CDU):
Rede ID: ID1822810300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Die britische Premiermi-
nisterin Theresa May hat gestern in ihrer Rede vor dem
Unterhaus betont, dass sie einen klaren und ehrgeizigen
Plan für die Verhandlungen habe – eine Partnerschaft, die
auf Zusammenarbeit basiere, eine Partnerschaft, die für
Europa, Großbritannien und die Welt am besten sei, denn
genau jetzt brauche die Welt, vielleicht mehr als je zuvor,
die liberalen und demokratischen Werte Europas, Werte,
die auch das Vereinigte Königreich teile.

Kein bestehendes Modell außerhalb der Europäischen
Union kann auch nur annähernd dieselben Vorteile und
denselben Einfluss wie die Mitgliedschaft des Vereinig-
ten Königreichs in der Europäischen Union bieten. – Wis-
sen Sie, meine Damen und Herren, wer die Feststellung
in dieser Form getroffen hat? Das war niemand anders
als die britische Regierung selbst in einem Report vom
März 2016.

Stellt man nur auf die wirtschaftliche Seite ab – hie-
rauf legen die Briten ja ganz großen Wert –, so ist festzu-
stellen, dass das Durchschnittseinkommen mutmaßlich
um bis zu 2,6 Prozent schrumpfen wird. Bei dem Brutto-
inlandsprodukt geht man sogar von einem Rückgang von
bis zu 55 Milliarden Pfund aus.

Zurzeit reden sich in Großbritannien noch einige oder
sogar viele froh: Die vorhergesagten wirtschaftlichen
Nachteile seien nach dem Brexit-Referendum bekannt-
lich nicht eingetreten. – Das ist richtig. Aber Großbri-
tannien ist ja noch Mitglied der Europäischen Union, bei
vollem Zugang zum Binnenmarkt. Auf der anderen Sei-
te ist das Pfund Sterling gefallen, sodass ein deutlicher
Anstieg der Nachfrage aus dem Ausland aufgetreten ist.
Dann ist es kein Wunder, dass zurzeit keine deutlichen
wirtschaftlichen Nachteile zu sehen sind.

Es mag sein, dass zukünftig einige protektionistische
Maßnahmen der Briten in dem einen oder anderen Wirt-
schaftsbereich vielleicht sogar Vorteile für das Land bie-
ten. Aber in einer Zeit, in der der internationale Wettbe-
werb von Tag zu Tag wichtiger wird und neue, globale
Wirtschaftsbündnisse entstehen, ist das, was die Briten
auf den Weg gebracht haben, mehr als fahrlässig.

Ich bin der Meinung, es wird Zeit, dass die britische
Regierung ihren Bürgern endlich einmal reinen Wein ein-
schenkt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wohlklingende Sätze wie: „Wir werden ein wahrhaft
globales Großbritannien; wir bekommen unsere Souve-
ränität zurück; wir machen aus dem Brexit einen Erfolg;
jedem wird es nach dem Brexit besser gehen“, sind nicht
nur fromme Wünsche, sondern leere Phrasen, die durch
nichts belegt sind und eigentlich genau das Gegenteil von
dem aussagen, was alle Wirtschaftsexperten vorhersehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


May wiederholt in ihrem Brief immer wieder – ich
habe es nicht gezählt, aber in vielen Passagen tauchen

Cem Özdemir






(A) (C)



(B) (D)


diese Wörter auf –: Sie strebt eine neue und tiefe Partner-
schaft mit der Europäischen Union an, und zwar in den
Bereichen Wirtschaft und Sicherheit. – Wenn man aber
genau hinschaut, dann stellt man fest: Der Brief lässt den
zwingenden Schluss zu, dass Großbritannien einer Zu-
sammenarbeit im Bereich der Sicherheit nur zustimmen
wird, wenn ein Wirtschaftsabkommen vereinbart wird.
Das ist ein äußerst primitiver Erpressungsversuch.


(Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD])


Für ein derartiges Vorgehen in der aktuellen Sicherheits-
lage, gerade angesichts der Terrorerfahrungen Großbri-
tanniens, kann man kein Verständnis haben, und auch die
britische Bevölkerung wird kein Verständnis dafür haben,
dass man nicht jede Möglichkeit nutzt, die Sicherheit zu
stärken und gegen Terroristen und sonstige Schwerver-
brecher intensiv und möglichst effektiv zu arbeiten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


An anderer Stelle betont May – ich glaube, da sind wir
alle auf ihrer Seite; wenn sie es denn ernst meint –: Über
die Rechte der Briten in den anderen EU-Mitgliedstaaten
und von EU-Bürgern in Großbritannien müssen wir mög-
lichst früh eine Vereinbarung treffen.

Die aktuelle Situation ist für die Betroffenen sehr an-
strengend, teilweise bis zum Grad gesundheitlicher Be-
einträchtigung. Menschen dürfen an dieser Stelle nicht
zur Verhandlungsmasse werden. Wenn wir der Meinung
sind, wir teilen gemeinsame Werte und die Menschen
stehen im Mittelpunkt, dann müssen wir alle ein Interes-
se daran haben, möglichst frühzeitig eine Vereinbarung
zu erzielen, damit die Betroffenen auch wissen, dass sie
in den jeweiligen Ländern bleiben können und dass sie
sich auf uns verlassen können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Verhandlungen zwischen der EU und Großbritan-
nien werden beginnen, sobald die Leitlinien stehen und
das Verhandlungsmandat erteilt ist. Niemand kennt den
genauen Zeitpunkt, aber wir gehen von Juni oder Juli aus.

Wir können davon ausgehen, dass die britische Re-
gierung nicht soft verhandeln wird. Sie wird – das ist
legitim – jede Gelegenheit nutzen, um ihre Position zu
stärken. Wir müssen darauf achten, dass die Verhand-
lungsposition der Europäischen Union stark ist und stark
bleibt. Ich empfand es als sehr vorbildlich – hier wurde
bereits Stärke bewiesen –, dass weder EU-Institutionen
noch Mitgliedstaaten im Vorfeld Vorverhandlungen auf-
genommen haben. Je geschlossener wir auftreten, umso
größer ist die Schlagkraft. Es ist sehr wichtig, dass die
Verhandlungsführung allein bei der EU-Kommission, al-
lein bei Michel Barnier liegen wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


In diesen Tagen wird viel darüber gesprochen, dass
man Großbritannien in den Verhandlungen zeigen müsse,
dass sich ein Austritt nicht lohne. Es dürften keine Anrei-
ze für andere Länder geschaffen werden. Aber das Land

hat sich durch die Brexit-Entscheidung bereits selbst be-
straft und ins Abseits gestellt.


(Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD] – Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Genau!)


Bereits dies ist das abschreckende Beispiel, das anderen
Mitgliedstaaten den Appetit auf einen Exit völlig ver-
dirbt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Mit Großbritannien werden wir auch zukünftig freund-
schaftlich verbunden sein. Deshalb dürfen wir Großbri-
tannien auch nicht schlechter behandeln als jedes andere
Land, das eine Zusammenarbeit mit der EU anstrebt.

Und es gibt sie noch, die Britenhasser, die Großbri-
tannien schnell und schmerzhaft aus der EU rausschmei-
ßen wollen. Glaubt denn jemand, dass François Hollande
seine Meinung geändert hat, der nach dem Referendum
davon sprach: „Ich will britisches Blut sehen“? Auf der
anderen Seite dürfen wir Großbritannien keine Zuge-
ständnisse machen, die wir anderen Nicht-EU-Ländern
auch nicht zubilligen. Beispiel: Mit der Schweiz hat die
EU viele bilaterale Abkommen geschlossen. Obwohl
sich die Schweiz zur Übernahme der Arbeitnehmerfrei-
zügigkeit verpflichtet hat, ist sie im Banken- und Dienst-
leistungsbereich leider nur zu circa 20 Prozent beteiligt
und hat hier keinen vollen Zugang zum Binnenmarkt.
Wie soll es da möglich sein, dem Vereinigten Königreich
den vollen Zugang zum Banken- und Dienstleistungsbe-
reich zu geben, wenn es das europäische Recht und die
Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes nicht
akzeptieren will?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822810400

Herr Kollege.


Detlef Seif (CDU):
Rede ID: ID1822810500

Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss.

Meine Damen und Herren, viel Arbeit liegt vor uns.
Viele Fragen sind zu klären. Ein großer gordischer Kno-
ten ist zu lösen. Wenn alle ein echtes Interesse an einer
guten und engen Beziehung zwischen dem Vereinigten
Königreich und der Europäischen Union haben, dann bin
ich davon überzeugt, dass die Verhandlungen zu einem
positiven Ausgang gebracht werden können.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822810600

Vielen Dank, Herr Kollege Seif. – Als nächster Red-

ner hat das Wort Alexander Ulrich von der Fraktion Die
Linke.


(Beifall bei der LINKEN)


Detlef Seif






(A) (C)



(B) (D)



Alexander Ulrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822810700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Özdemir, gestatten Sie mir folgenden Einwurf –
schließlich hatten Sie uns ja auch angesprochen –: Man
muss in Europa schon mit festverschlossenen Augen un-
terwegs sein, um nicht die riesengroßen sozialen Verwer-
fungen zu erkennen. Wenn wir diese thematisieren, dann
wird das hier auch noch als Linkspopulismus dargestellt.
Wir haben in Europa riesengroße soziale Probleme,


(Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo streiten wir das ab?)


nicht nur in Großbritannien, sondern auch in vielen an-
deren Ländern. Das ist der Grund, warum sich die Men-
schen von Europa abwenden. In der Analyse war das,
was der Bundesaußenminister heute gesagt hat, dann
auch schon Linkspopulismus; denn er hat diese Themen
sehr deutlich angesprochen. Dafür sind wir dankbar, Herr
Gabriel.


(Beifall bei der LINKEN)


Wer die europäische Politik versteht, dem ist klar:
Oftmals ist es die Politik der nationalen Regierungen,
die eine sehr große Rolle dabei spielt, wohin sich eu-
ropäische Politik entwickelt. Es war zum Beispiel das
Schröder/Blair-Papier, das zu einem europaweiten Sozi-
alabbau geführt hat;


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Gestützt von Fischer!)


dieses wurde übrigens von den Grünen und Joschka
Fischer unterstützt. Natürlich war das dann auf einmal
Grundlage europäischer Politik, diese Angriffe auf Ge-
werkschaften und Arbeitnehmer. Deshalb: Es waren im-
mer nationale Regierungen, die auf europäischer Ebene
für solche Entwicklungen gesorgt haben. Der Ball muss
also an beide Seiten gespielt werden, an die jeweiligen
Regierungen und nach Europa zu den Staats- und Regie-
rungschefs.


(Beifall bei der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei den Verhand-
lungen mit Großbritannien wird die erste entscheidende
Aufgabe sein, dass verbindliche Lösungen für die vielen
Menschen gefunden werden, die aus der EU kommen
und in Großbritannien leben, aber auch für die Briten,
die in der EU leben. Hier brauchen wir klare Ansagen,
dass diese Menschen dort leben bleiben können, wo sie
bisher leben, dass sie dort arbeiten können und dass gute
Lösungen bei der Problematik ihrer Sozialversicherung
gefunden werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir brauchen darüber hinaus relativ schnell, bevor es
zu neuen Unruhen kommt, Sicherheit hinsichtlich der
Grenzfrage zwischen Irland und Nordirland; das wurde
schon angesprochen. Die Verhandler müssen frühzeitig
dafür sorgen, dass hier keine neue Hard Border entsteht
mit all den Problemen, die in diesem Zusammenhang
entstehen könnten.

Neben dem Austrittsabkommen, Herr Gabriel, wird
es aber auch ein umfassendes Handelsabkommen geben

müssen; starke und berechtigte Interessen an guten, ge-
genseitigen Marktzugangsbedingungen gibt es schließ-
lich auf beiden Seiten des Ärmelkanals. Es wäre daher
witzlos und falsch, aus Trotz und Angst vor Nachahmern
die Briten abstrafen zu wollen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ein schlechter Deal für Großbritannien wäre auch ein
schlechter Deal für uns in Europa, gerade für uns in
Deutschland. Wenn wir uns die Bedeutung Großbritanni-
ens für die deutsche Wirtschaft ansehen, dann stellen wir
fest, dass sich die deutschen Exporte nach Großbritanni-
en auf jährlich fast 90 Milliarden Euro belaufen. Damit
ist Großbritannien unser drittwichtigster Absatzmarkt.
Gerade im Automobilsektor, aber auch in der Chemiein-
dustrie und im Maschinenbau hängen sehr viele Arbeits-
plätze vom Marktzugang auf der Insel ab. Bekennen wir
uns also zum Wunsch nach einer starken Kooperation in
Europa und beginnen konstruktive Gespräche über unse-
re gemeinsame Zukunft mit Großbritannien.


(Beifall bei der LINKEN)


Was die Zukunft der EU angeht – ich habe es ange-
sprochen –, müssen sich auch die restlichen 27 EU-Län-
der die Frage stellen, warum es zum Brexit gekommen
ist. Der Brexit ist unseres Erachtens der letzten Warn-
schuss, um Europa noch zu retten. Wer das nicht erkennt,
wer den Brexit nur auf die Insel bezieht, auf Großbritan-
nien, der wird Europa in eine noch tiefere Krise führen,
als sie eh schon ist. Die entscheidenden Stimmen kamen
von den Arbeitern in den gebeutelten Industriemetropo-
len, von Menschen, die mit der EU vor allem noch mehr
Wettbewerb zwischen den Arbeitern und den Standorten,
Lohndrückerei, europarechtliche Angriffe gegen ihre
Rechte und Bürokratie verbinden. Der Brexit war auch
Protest gegen die britische Cameron-Regierung, für die
Europa nicht mehr war als eine Freihandelszone mit Par-
lament.

Auch die Europavision der Bundesregierung reicht
leider nicht viel weiter. Sie haben die bürgerferne, tech-
nokratische und unsoziale EU von heute maßgeblich mit
aufgebaut. Deswegen tragen Sie eine Mitverantwortung
für den Brexit und eine große Mitverantwortung für den
desolaten Zustand der Europäischen Union.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Hat der Gabriel auch gesagt!)


Das Gerede von Frau Merkel vom Europa mehrerer Ge-
schwindigkeiten ist nicht gerade hilfreich, wenn es da-
rum geht, den Laden zusammenzuhalten. Das Problem
ist nicht die Geschwindigkeit, sondern die politische
Richtung, in die diese EU sich bewegt.


(Zuruf von der SPD: Alles dummes Zeug!)


Die EU braucht jetzt eine politische 180-Grad-Wende,
Deutschland müsste dabei eine Vorreiterrolle überneh-
men. Daran glaubt jedoch kaum noch jemand.

Ginge es nach dem Bundesfinanzminister, würden
wir erst einmal Griechenland aus der Euro-Zone schmei-
ßen und sie dann um all die Länder verkleinern, in de-
nen nicht genügend gekürzt, liberalisiert und privatisiert
wird. Dann würden wir einen europäischen Währungs-






(A) (C)



(B) (D)


fonds schaffen, der unter deutscher Führung nationale
Haushaltsentscheidungen torpediert. Die Alternative
Martin Schulz steht europapolitisch für noch mehr Macht
für technokratische EU-Institutionen, auch hinsichtlich
der Lohnentwicklung. Er steht vor allem im Bereich
der Verbriefungen für eine weitere Deregulierung der
Finanzmärkte. Er steht für einen mächtigen Euro-Fi-
nanzminister, der quasi per Dekret in nationale Politik-
prozesse eingreift. All das steht in dem Bericht der fünf
Präsidenten, den Schulz als Präsident des EU-Parlaments
mit verfasst hat.

Wir brauchen eine umfassende Demokratisierung
aller Entscheidungsebenen, eine Stärkung des Europäi-
schen Parlaments, starke soziale Rechte für alle


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


und militärische Entspannung und Abrüstung.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn wir das tun, dann ist Europa zu retten. Dann war
der Brexit vielleicht ein unangenehmer, aber noch recht-
zeitig erfolgter Warnschuss.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822810800

Vielen Dank, Herr Kollege Ulrich. – Als Nächstes

spricht Axel Schäfer von der SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Axel Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1822810900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lassen Sie mich mit zwei persönlichen Bemerkungen
beginnen, die meine besondere Traurigkeit ausdrücken.

Erstens. Meine Stadt Bochum ist seit 67 Jahren part-
nerschaftlich mit Sheffield verbunden. Es haben Schüler-
austausche, vielfache Begegnungen und Solidaritätsakti-
onen für Arbeitsplätze stattgefunden, aber am Ende war
das Gemeinsame schwächer als das Trennende.

Zweitens. Ich bin besonders traurig, dass unsere La-
bour-Kollegin Jo Cox von einem fanatischen EU-Hasser
ermordet worden ist.

Deshalb sage ich hier ganz offen: Politiker wie John-
son und Farage mit ihren Hetzreden haben eine morali-
sche Mitverantwortung für den Brexit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt wird es darauf ankommen, dass wir im Dialog
mit unseren Bürgerinnen und Bürgern einige Dinge ganz,
ganz klar aussprechen.

Erstens. Der Zusammenhalt dieses vereinten Europas
ist das Allerwichtigste – jeden Tag, bei allen Verhandlun-
gen, bei allem, was wir tun.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Zweitens. Der Brexit ist nicht gut für die EU, aber er
ist besonders tragisch für Großbritannien. Er verursacht
eine Situation, die bis zu einer Spaltung des Landes führt.

Drittens. In den Verhandlungen wird es letztlich nicht
um möglichst gute Lösungen gehen, sondern darum, dass
wenig Schlechtes dabei herauskommt. Denn wir sind
nicht mehr in einer Win-win-Situation. Am Ende wird
eine Lose-lose-Situation bestehen. Darüber darf es über-
haupt keine Illusionen geben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Viertens. Stellen wir uns darauf ein, dass die britische
Regierung bei allen Konflikten in den Gesprächen sa-
gen wird: Ihr Europäer behandelt uns schlecht. – Das ist
so, als würde Frau May eine Scheidung anstreben, aber
weiterhin jede Nacht im europäischen Ehebett verbrin-
gen und keinen Unterhalt für die gemeinsamen Kinder
zahlen. So geht es weder im richtigen Leben noch in der
Politik.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es gibt aber auch Gutes im Schlechten. Ich bin ganz
sicher: Die Verhandlungen werden zeigen, was wir in Eu-
ropa gemeinsam erreicht haben. Die Verhandlungen wer-
den vielen Menschen die Augen öffnen über die Erfolge
der EU, die so selbstverständlich geworden, jetzt aber
leider gefährdet sind. Ich hoffe, sie werden auch man-
chen das Wort im Hals stecken bleiben lassen, die immer
wieder über die Bürokratie und alles Schlechte aus Brüs-
sel gelästert oder, christlich formuliert, falsches Zeugnis
wider den Nächsten geredet haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In den nächsten Jahren wird sich zeigen, dass die Eu-
ropäische Kommission als zentrale Institution mit einer
außergewöhnlichen Kompetenz, mit Power in der Lage
sein wird – übrigens ebenso wie bei der deutschen Ein-
heit –, dieses Regelwerk überhaupt hinzubekommen. Es
gibt nirgendwo in der EU, in keinem Staat so viel Sach-
verstand, um das überhaupt bewerkstelligen zu können.

Denn am Ende wird es, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, um Lösungen und um Antworten gehen, für die wir
heute noch nicht einmal die Fragestellung kennen.

Ich bleibe optimistisch insbesondere aufgrund der
vielen jungen Menschen, die sich für Europa engagie-
ren. Wir hoffen, dass auch verstockte konservative und
ängstliche Labour-Politiker auf einen anderen Weg zu-
rückkommen. Wir wollen dieses gemeinsame Europa, so
wie wir weiterhin Englisch sprechen, den Fußball lieben

Alexander Ulrich






(A) (C)



(B) (D)


und die Errungenschaften für die Demokratie in Großbri-
tannien wertschätzen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822811000

Vielen Dank, Herr Kollege Schäfer. – Als Nächste

spricht Andrea Lindholz von der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Andrea Lindholz (CSU):
Rede ID: ID1822811100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das vereinte Europa begann als Traum von wenigen, es
wurde zur Hoffnung für viele, und es schafft heute Wohl-
stand und Frieden für Millionen von Menschen.

Trotzdem hat die britische Regierung gestern offizi-
ell den Austrittswillen für 60 Millionen Briten bekundet.
Das ist ein donnernder Weckruf für Europa. Es war kein
Tag der Freude. Ich bedaure diese Entscheidung sehr;
denn uns verbindet mit Großbritannien viel.

Die Mitgliedschaft in der Europäischen Union ist ein
Privileg und kein Zwang. Wenn sich ein Land allerdings
entscheidet, auszutreten, ist das legitim. Die Entschei-
dung des britischen Volkes ist natürlich zu respektieren.
Die Folgen sollten allerdings allen Europäern klar sein.

Aus jedem Trennungsprozess ergeben sich auch
Chancen. Diese Chancen sollten wir für die verbleiben-
den 27 Mitgliedstaaten nutzen und dringend notwendige
Reformen vollziehen. Europa hat in den letzten Mona-
ten zum Beispiel mit Blick auf die Flüchtlingskrise nicht
immer ein gutes und nicht immer ein einheitliches Bild
abgegeben.

Die Zukunft des Vereinigten Königreiches steht vor
einigen Herausforderungen. Schottlands Regierung und
das schottische Parlament fordern ein neues Unabhän-
gigkeitsreferendum. Die britische Wirtschaft braucht un-
bedingt den Zugang zum EU-Binnenmarkt. Das Aufent-
haltsrecht Tausender EU-Bürger ist plötzlich unklar. Die
Menschen erwarten zu Recht zügig Antworten. Dafür
tragen die Kommission, der Rat und die britische Regie-
rung jetzt die Verantwortung. Denn echte Verantwortung
gibt es nur, wo es wirkliche Antworten gibt – das schrieb
bereits der jüdische Philosoph Dr. Martin Buber.

Wir erinnern uns aber auch an die Brexit-Befürworter.
Sie haben zentrale Wahlversprechen nur wenige Stunden
nach der Abstimmung öffentlich als Fehler bezeichnet
und die Verantwortung verweigert. Die Folgen des Brexit
müssen jetzt andere bewältigen.

Die Antworten, die wir geben müssen, werden nicht
einfach sein. Es geht zum einen darum, die Vereinbarun-
gen für den Austritt Großbritanniens selbst, aber auch für
die künftigen Beziehungen zu regeln. Zum anderen – das
ist viel wichtiger – geht es darum, dass wir die Einheit
und Stärke der verbleibenden Mitgliedstaaten erhalten
und gemeinsam unsere Interessen vertreten und unsere
Werte schützen.

Das Ausmaß der Verhandlungen – wir haben das in den
letzten Monaten hier erlebt und durch unsere Ausschüsse
erfahren – ist gewaltig. Da ist natürlich auch potenzielles
Streitpotenzial in erheblichem Umfang vorhanden. Das
Vereinigte Königreich ist mit der Europäischen Union
auf vielen Ebenen eng verwachsen. Nicht nur die Bezie-
hungen innerhalb Europas sind zu regeln, sondern auch
das Verhältnis zu Drittstaaten muss neu geregelt werden.

Mit dem jetzt zunächst einmal anstehenden Austritts-
abkommen ist die Möglichkeit da, einvernehmlich eine
Trennung zu schaffen. Das Verhandlungsmandat wird
in den nächsten Wochen erteilt. Es geht hier erst einmal
um einige technische Angelegenheiten. Es geht vor allen
Dingen auch um die Rechte der Bürger, zum Beispiel um
den Bestandsschutz für erworbene Rechte im Bereich der
Pensionsansprüche. Es geht aber auch um den finanziel-
len Ausgleich zwischen Europa und Großbritannien. Ge-
rade dieser Punkt wird mit Sicherheit nicht einfach sein.

Parallel dazu müssen noch ein oder mehrere Handels-
abkommen hinzutreten, wie man in Zukunft gemeinsam
weiterarbeitet. Es gibt dabei wichtige Themen – sie sind
angesprochen worden – wie den Bereich Sicherheit und
Wirtschaft. Aber – ich bin Herrn Bundesminister Gabriel
sehr dankbar, dass er das heute noch einmal klar formu-
liert hat – erst einmal müssen die Eckpunkte für den Aus-
tritt stehen. Ich halte das für die richtige Vorgehensweise.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Insgesamt müssen über 200 000 Rechtsakte geändert
werden. Dafür braucht es konstruktive, faire und geord-
nete Verhandlungen und vor allen Dingen Grundregeln,
auf die wir uns verständigen. Für mich sind es drei – ich
habe sie formuliert –:

Erstens. Die Europäische Union muss hart und ge-
schlossen handeln, ohne unnötig Porzellan zu zerschla-
gen. Die Werte und Interessen der 27 Mitgliedstaaten
müssen zuerst kommen. Trotzdem wollen und müssen
wir die freundschaftlichen Beziehungen zum Vereinigten
Königreich natürlich wahren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zweitens. Wer die Privilegien der EU beansprucht, der
muss auch ihre Pflichten akzeptieren. Freien Zugang zum
Binnenmarkt darf es nur geben, wenn alle vier Grundfrei-
heiten – die Freizügigkeit für Waren, Kapital, Dienstleis-
tungen und Menschen – untrennbar miteinander verbun-
den sind. Eine Rosinenpickerei darf es an dieser Stelle
nicht geben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Drittens. Theresa May hat es in ihrem Austrittsschrei-
ben selbst betont: Ein harter Brexit wäre die schlechteste
Lösung. Er würde bedeuten, dass es nach den zweijähri-
gen Austrittsverhandlungen keine Übergangsregelungen
gibt. Das wäre für die nachfolgenden Verhandlungen
denkbar schlecht, vor allen Dingen für das Vereinigte
Königsreich. Denn wenn man Großbritannien wie einen
beliebigen Drittstaat behandeln würde, dann wären die
Folgen allein für den britischen Finanzsektor desaströs.

Axel Schäfer (Bochum)







(A) (C)



(B) (D)


Deswegen liegt es an der Europäischen Union und an
Großbritannien, die Verhandlungen mit dem Ziel zu füh-
ren, einen harten Brexit zu vermeiden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Verhandlungen sind das eine, die technische Ab-
wicklung ist das andere. Viel wichtiger ist aber: Es muss
uns in den Verhandlungen darum gehen, unserer Jugend
ein stabiles und starkes Europa zu überlassen. Der Brexit
selbst ist kein existenzielles Risiko für die Europäische
Union – auch Putin, Erdogan, Trump, die Migrationskri-
se, die Populisten und die Terroristen nicht. Das größte
Risiko für die Zukunft Europas sind der wachsende Nati-
onalismus und Egoismus. Ohne Kompromissbereitschaft
und ohne aufeinander zuzugehen gibt es keine gute Zu-
sammenarbeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Es war der starke politische Wille der Europäer, einen
Beitrag zu Versöhnung, Kooperation und Freundschaft
zu leisten, der Europa nach den Kriegen stark gemacht
hat. Diesen Willen müssen wir auch in diesen Verhand-
lungen bekräftigen. In diesen Tagen gehen viele junge
Leute auf die Straße: in Paris, in Warschau, in London,
in Berlin, in Madrid, in Frankfurt und auch in meinem
Wahlkreis. Sie demonstrieren für Europa – das ist ein
gutes Zeichen –, und sie wissen: Die beste Antwort im
Hinblick auf die zukünftige Entwicklung in Europa ist
ein gutes, gemeinsames und geschlossenes Europa. Da-
rauf sollten wir hinarbeiten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822811200

Vielen Dank, Frau Kollegin Lindholz. – Als Nächster

spricht Dr. Jens Zimmermann von der SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Jens Zimmermann (SPD):
Rede ID: ID1822811300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestern

haben wir alle den berühmten Brief von Frau May zu
lesen bekommen. Eine Woche zuvor waren unser aller
Gedanken bei den Kolleginnen und Kollegen im briti-
schen Parlament, die eine Debatte geführt haben, wie wir
sie gerade führen, und dann von der Polizei im wahrsten
Sinne des Wortes dort eingeschlossen und bewacht wur-
den. Ich glaube, der verheerende Anschlag in London hat
doch gezeigt, dass uns die gleichen Herausforderungen
umtreiben, dass es nicht darum geht, ob man in Berlin
oder in London ist, sondern dass wir gerade im Bereich
der Sicherheit nur zusammen etwas erreichen können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Umso tragischer ist natürlich, dass wir jetzt den Aus-
tritt Großbritanniens aus der EU verhandeln müssen.
Aber ich glaube – das ist in dieser Debatte auch deutlich

geworden –, wir alle haben ein Interesse daran, zu einem
konstruktiven Ergebnis zu kommen, um eine gemeinsa-
me, konstruktive und gute Zukunft im Verhältnis zwi-
schen Deutschland, zwischen Europa und Großbritanni-
en zu haben. Wir müssen aber eben auch zur Kenntnis
nehmen: Das wird ein ganz schweres Stück Arbeit.

Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, mir die Ti-
telseiten der britischen Zeitungen von heute Morgen
anzuschauen. Das soll man eigentlich nicht machen,
aber sie spiegeln die Stimmung in Großbritannien doch
ganz gut wider. – Die Times schreibt: „May-Drohung
zum EU-Antiterrorpakt“, der Guardian schreibt: „Die
EU warnt: Erpresst uns nicht“, die Daily Mail schreibt:
„Prost, auf eine großartige Zukunft“ mit Herrn Farage,
und man sieht dort ein Pint Bier, und die Sun schreibt:
„Euer Geld oder euer Leben“, womit sie auf die Zusam-
menarbeit bei der Terrorismusbekämpfung anspielt.

Das spiegelt ein gutes Stück die Stimmung wider, die
nach wie vor in Großbritannien herrscht. Ich glaube, das
müssen wir in den Verhandlungen berücksichtigen.

Glücklicherweise ist die Stimmung bei uns ein biss-
chen anders. Ich habe mir heute auch einmal die Zeitung
mit den vier großen Buchstaben angeschaut. Darin geht
es heute darum, dass Hape Kerkeling seinen Freund ge-
heiratet hat.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Herzlichen Glückwunsch!)


Das ist ungefähr der Unterschied zwischen der öffentli-
chen Debatte in Großbritannien und der öffentlichen De-
batte, die wir teilweise hier bei uns haben.

Eigentlich müsste man in Deutschland „Keep calm
and carry on“ sagen. So ist es aber eben nicht. Wir müs-
sen uns anstrengen und alles dafür tun, dass wir uns nicht
auf diese Debatte einlassen, die von gewissen Teilen der
Medien in Großbritannien uns aufzudrängen versucht
werden wird. Das sind nämlich diejenigen, die schon
dafür gesorgt haben, dass es überhaupt zum Brexit ge-
kommen ist. Das sind die Nationalisten, die dort in ihren
Redaktionen sitzen und sich jeden Tag überlegen, was für
eine Sauerei sie am nächsten Tag in der Zeitung schrei-
ben können.

Ich glaube, wir als deutsche und als europäische Sei-
te müssen versuchen, mit der notwendigen Gelassenheit
an diese Verhandlungen heranzugehen, weil wir wissen,
dass wir eine gemeinsame konstruktive Zukunft mit un-
seren Freunden in Großbritannien haben wollen – sicher
nicht um jeden Preis und sicher nicht auf der Grundlage
der Yellow Press.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Andrea Lindholz






(A) (C)



(B) (D)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822811400

Vielen Dank, Herr Kollege Zimmermann. – Als

Nächster hat Dr. Heribert Hirte von der CDU/CSU-Frak-
tion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Heribert Hirte (CDU):
Rede ID: ID1822811500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Gestern war ein trauriger Tag für alle von uns, und das ist
in vielen der Reden auch schon zu Recht gesagt worden.
Wir wollen – das ist ein Ziel der jetzt beginnenden Ver-
handlungen – gute Freunde der Briten bleiben. Auch das
unterstütze ich nachdrücklich.

Das Beispiel des Fußballplatzes wurde schon ange-
führt. Ich sage: Wir wollen solche Freunde bleiben wie
die Spieler auf dem Feld, und wir denken hier eher nicht
an die Tribünen. Die Populisten auf beiden Seiten des
Kanals instrumentalisieren den Brexit nämlich für ihre
Zwecke, um auf diese Weise Stimmung zu machen. Wir
sollten uns an dieser Diskussion nicht beteiligen.

Deshalb gilt: Wir müssen mit den Briten als Erstes
über die Frage reden, wie wir zu fairen Verhandlungen
kommen. Es treibt mich hier schon ein bisschen um, dass
man gesagt bekommt, dass britische Vertreter auch auf
der Seite der Kommission und des Europäischen Parla-
ments sitzen, also auf beiden Seiten des Tisches, und ein
bisschen an der Formulierung der Position mitarbeiten,
die wir als Europäer gegenüber dem Vereinigten König-
reich aufbauen wollen. Das geht so nicht. Man kann nicht
Diener zweier Herren sein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich gehe nun einen Schritt weiter und könnte eigent-
lich sagen: Herr Brinkhaus, mein Kollege, hat das alles
schon gesagt. Wir sind nämlich in Scheidungsverhand-
lungen, und man kann nicht über die rosige Zukunft nach
den Scheidungsverhandlungen nachdenken, solange die
Scheidung nicht durch ist. Bis die Scheidung durch ist,
müssen wir klären, was die Verbindlichkeiten aus dem
aktuellen Stand der Dinge sind. Welche Zahlungen hat
das Vereinigte Königreich noch zu erbringen?

Wir müssen uns nicht an den Diskussionen über die
Frage beteiligen, ob das so und so viele Milliarden Euro
oder Pfund sind; aber wir müssen uns vor allen Dingen
über die Antwort auf die Frage einig sein, wer darüber
entscheidet, wie hoch die Verbindlichkeiten sind. Daran
kann aus meiner Sicht, aus der Sicht des Rechtspoliti-
kers, kein Zweifel bestehen: Für die Auslegung unserer
EU-Verträge und einer etwaig zu schließenden Vereinba-
rung ist der Europäische Gerichtshof zuständig.

Wenn man sich einmal in einen solchen Streitschlich-
tungsmechanismus begeben hat, dann kann man nicht
einfach gehen und sagen: Jetzt entscheiden das andere. –
Das bedeutet für uns: Wir werden gar nicht zustimmen
können, wenn bei solchen Vereinbarungen eine andere
Schiedsinstanz eingerichtet werden soll. Ich sage ganz
deutlich: Ich glaube, wir können das verfassungsrecht-
lich gar nicht tun, weil wir dann nämlich eine Schieds-

instanz begründen würden, zu deren Einführung uns das
Verfassungsgericht nicht die Kompetenz geben würde.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Dass die britische Premierministerin ihren Abgeord-
neten dies offensichtlich so nicht gesagt hat – hier knüpfe
ich an den Kollegen Seif an –, ist mit Sicherheit fahrläs-
sig; denn das wird dazu führen, dass der Europäische Ge-
richtshof noch für lange Zeit – manche sagen 20, manche
sagen 40 Jahre – für die Auslegung dieser Streitigkeiten
in der Pflicht ist. Das sind für die Kollegen im Vereinig-
ten Königreich keine rosigen Aussichten, weil sie genau
diese Rechtsprechung aus für mich unverständlichen
Gründen nicht akzeptieren wollen.

Damit komme ich zu einem weiteren Punkt. Ja, das
Ziel sollte sein, gemeinsam ein anspruchsvolles Freihan-
delsabkommen zu verhandeln. Aber auch bei Freihan-
delsabkommen spielt die Frage eine Rolle: Wie legen
wir die Nichtdiskriminierungsklauseln aus? Wir haben
hier in dieser Konstellation zusammengesessen, auch mit
dem damaligen Wirtschaftsminister Gabriel, und über die
Frage geredet, wie Schiedsgerichtsvereinbarungen bei
TTIP und CETA ausgestaltet werden sollen. Wir haben
erreicht, dass sie anders ausgestaltet werden als bisher.
Es gibt keine sogenannten „privaten Schiedsgerichte“,
sondern institutionelle Gerichte werden entscheiden.

Nun liest man in der britischen Presse, man habe da
alte Erfahrungen, wie man solche Schiedsgerichte aus-
gestalten könne; daran könne man anknüpfen. – Das sind
dieselben Briten, die gemeinsam mit uns und Ihnen, Herr
Gabriel, damals in Ihrer Funktion als Wirtschaftsminis-
ter, mit Kanada über eine moderne Schiedsgerichtsinsti-
tution verhandelt haben. Ich weiß nicht, wie das Problem
mit den Schiedsgerichten gelöst werden soll; das macht
mich wirklich ratlos. Ich bin vor allen Dingen völlig un-
sicher, warum die Engländer nicht auf die Idee kommen,
das vorher einmal durchzuspielen.

Damit komme ich zu einem weiteren Punkt. Wir ver-
handeln jetzt – das ist das Ziel der Briten; das ist auch
völlig richtig so – über Übergangsvorschriften. Schon
jetzt hören wir, dass die Übergangsvorschriften eine
Dauer von vielen Jahren haben sollen und dass die Fi-
nanzindustrie – da schaue ich den Kollegen Dehm an –
natürlich besonders lange Fristen für die Übergangsvor-
schriften fordert. Vor diesem Hintergrund verlaufen die
Verhandlungen in eine Richtung, die dazu führen könnte,
dass die Briten eine Art Sondermitgliedschaft in der Eu-
ropäischen Union bekommen: Sie bekämen die Vortei-
le, müssten aber keine Pflichten mehr übernehmen. Das
können wir nicht zulassen, auch – das sage ich wieder als
Jurist – aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der LINKEN)


Über all dies darf nicht in Vergessenheit geraten: Was
waren die Gründe für die Brexit-Entscheidung? Vieles
davon ist schon gesagt worden. Es war erstens Unmut
über die Migration und zweitens Unmut über die fehlen-
den Möglichkeiten, die britische Wirtschaft wieder fit zu






(A) (C)



(B) (D)


machen. Wir haben über diese Dinge mit den Verantwort-
lichen aus dem Vereinigten Königreich verhandelt.

Vor etwas mehr als einem Jahr hat der Europäische
Rat eine ganze Reihe von Rechtsänderungen für den Fall
zugesagt, dass das Vereinigte Königreich in der Europä-
ischen Union bleibt. Eine ganz zentrale Änderung, die
in der Diskussion eine große Rolle gespielt hat, war die
Indexierung von Kindergeldzahlungen an EU-Auslän-
der, deren Kinder im Heimatland verblieben sind. Ich bin
froh, dass der Koalitionsausschuss letzte Nacht genau in
diesem Punkt gesagt hat: Wir in Deutschland gehen wei-
ter in diese Richtung.

Ich erwarte deshalb jetzt von der Bundesregierung,
dass sie auch die entsprechenden europäischen Recht-
sänderungen unterstützt, damit diese falschen Anreize
bei den Sozialleistungen zurückgenommen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das ist der Korb 4 der damaligen Verhandlungen. Das
kann man eins zu eins kopieren. Das sollten wir auch tun
und fordern, zumal die 26 anderen europäischen Partner
hier schon ihre Zustimmung signalisiert haben.

Letzter Punkt. Ebenfalls dazu gehört natürlich Korb 2,
die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, insbesondere
für die kleinen und mittelständischen Unternehmen. Da
haben die Briten schon erkannt, dass es bei uns in der
europäischen Rechtsetzung durchaus Defizite gibt. Das
können und sollten wir aufgreifen. Das sollten wir ge-
meinsam tun. Dann zeigen wir den Briten als EU Rest-
27, dass wir am Ende ein stärkeres Europa haben und
dass Europa eine Zukunftsvision ist, für die wir alle ge-
meinsam stehen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822811600

Vielen Dank, Herr Kollege Hirte. – Als letzter Redner

in dieser Aussprache spricht nun Stephan Mayer von der
CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1822811700

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-

ginnen! Sehr geehrte Kollegen! Auch ich persönlich be-
daure außerordentlich die Entscheidung der Briten, aus
der Europäischen Union auszutreten. Ich sage dies aber
nicht nur als Privatperson, sondern auch in meiner Funk-
tion als Vorsitzender der deutsch-britischen Parlamenta-
riergruppe. Es ist ein schwerer Fehler, den die Briten jetzt
begangen haben. Wir müssen das aber akzeptieren und
auch respektieren.

Es ist mit Sicherheit unbestreitbar: Die jetzt bevor-
stehenden Verhandlungen werden die schwierigsten und
komplexesten sein, die die Europäische Union, aber auch
Großbritannien jemals geführt haben. Natürlich ist es
auch richtig, dass es in diesen Verhandlungen keine Ro-

sinenpickerei geben darf, keinen Britenrabatt geben darf
und keine Extrawürste für die Briten geben darf.

Es stimmt natürlich auch, dass unser prioritäres Ziel
sein muss, dass die EU der verbleibenden 27 Länder
zusammenbleibt. Ich bin der festen Überzeugung: Kein
Land in der Europäischen Union hat ein so großes Inte-
resse daran, dass die EU zusammenbleibt und noch stär-
ker wird, als Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deutschland befindet sich im Zentrum Europas. Wir ha-
ben die meisten Nachbarn in Europa. Und wir sind das
größte Land, auf das natürlich auch immer sehr intensiv
geblickt wird.

Ich sage aber auch ganz offen: Ich hielte es für falsch,
wenn die anstehenden Verhandlungen mit Großbritan-
nien jetzt mit dem Duktus der Schadenfreude bzw. dem
Duktus der enttäuschten Liebe geführt werden. Ich möch-
te ausdrücklich betonen, dass unsere Bundeskanzlerin
Angela Merkel vollkommen recht hat, wenn sie darauf
hinweist, dass es einen klaren Unterschied machen muss,
ob sich ein Land innerhalb oder außerhalb der Europäi-
schen Union befindet. Ich sage aber auch dazu: Auch die
britische Premierministerin Theresa May hat recht, wenn
sie darauf hinweist, dass Großbritannien zwar aus der
EU, aber nicht aus Europa austritt.

Deswegen – das sage ich auch ganz offen, meine sehr
verehrten Kolleginnen und Kollegen – passt das Beispiel
der Scheidung nicht so ganz gut. Nach einer Scheidung
kann man sich, wenn man will, für immer und ewig aus
dem Weg gehen. Aber Großbritannien bleibt in Europa.
Großbritannien bleibt Mitgliedsland der NATO. Großbri-
tannien bleibt Mitglied im UN-Sicherheitsrat. Und Groß-
britannien bleibt ein wichtiger und zentraler Partner für
Deutschland.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In vielfältiger Hinsicht arbeiten wir bestens und her-
vorragend mit Großbritannien zusammen. Ich sage ganz
ausdrücklich: Wir dürfen dies auch aus deutschem In-
teresse bei den jetzt anstehenden Verhandlungen nicht
gefährden. Ich möchte nur die Zusammenarbeit im Ter-
rorismusbereich und in der Sicherheitspolitik erwähnen.
Wir sind eine Schicksalsgemeinschaft. Hier in Berlin
sind wir im letzten Jahr fünf Tage vor Weihnachten auf
schreckliche und tragische Weise Opfer eines verheeren-
den Anschlags geworden. Die Briten wurden vor einer
Woche Opfer eines ähnlich gravierenden Anschlags.
Dies schweißt uns auch zusammen; das gilt gerade jetzt
im Hinblick auf den Kampf gegen den internationalen
bzw. islamistischen Terrorismus. Auch im Bereich der
internationalen Friedensarbeit und bei der internationa-
len Konfliktbewältigung sind die Briten für uns einer der
wichtigsten Partner.

Ich sage auch ganz offen: Natürlich ist die Wirtschaft
nicht alles. Aber ordentliche und vernünftige Wirt-
schaftsbeziehungen sind die Grundlage dafür, dass wir
uns hier in Deutschland vieles leisten können und dass
sich auch Großbritannien vieles leisten kann. Wir dür-
fen bei den anstehenden Verhandlungen nicht außer Acht
lassen, dass wir Deutsche für die Briten der wichtigste

Dr. Heribert Hirte






(A) (C)



(B) (D)


Exportmarkt für Güter sind. Und Großbritannien ist für
Deutschland nach den USA der zweitwichtigste Export-
markt für Güter. Jährlich werden Güter im Wert von fast
100 Milliarden Euro von Deutschland nach Großbritan-
nien exportiert.

Es gibt 2 500 deutsche Unternehmen, die in Großbri-
tannien engagiert sind; sie beschäftigen 400 000 Mitar-
beiter. Britische Unternehmen beschäftigen in Deutsch-
land 250 000 Mitarbeiter. Unternehmen wie Siemens,
BMW, Eon, RWE und Bosch sind wichtige Arbeitgeber
in Großbritannien. Wir dürfen dies – das sage ich auch
ganz deutlich – nicht dadurch gefährden, dass wir in den
Verhandlungen, vielleicht getrieben auch von Emoti-
onen, zu stark die Muskeln spielen lassen. Mir ist dies
wirklich sehr ernst, weil ich die große Gefahr sehe, dass
ansonsten wirklich das dabei herauskommt, was Herr
Kollege Schäfer apostrophiert hat, nämlich dass es am
Schluss der Verhandlungen eine Lose-lose-Situation gibt.
Ich sehe es nicht ganz so fatalistisch wie Sie.


(Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Realistisch!)


Ich sehe es nicht als gesetzt an. Ich bin der festen Über-
zeugung: Wenn wir klug sind, dann müssen wir die
Verhandlungen so führen, dass wir die Briten nicht als
unsere Gegner, sondern als unsere Verhandlungspartner
ansehen, getrieben davon, dass wir am Schluss zu einer
für beide Seiten möglichst akzeptablen und vernünftigen
Lösung kommen.

Natürlich, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kol-
legen, bin ich nicht so naiv, anzunehmen, dass die Briten
nicht alles tun werden, um zu einem für sie optimalen
Ergebnis zu kommen. Aber wir dürfen auch nicht ver-
gessen, dass Großbritannien und Deutschland engstens
verwoben sind, etwa auf Ebene des Parlamentes, etwa
auf Ebene der Städtepartnerschaften. Es gibt ungefähr
600 Partnerschaften zwischen deutschen und britischen
Städten. Die Leiter des British Museum und des Victoria
and Albert Museum sind Deutsche. Der Leiter des Hum-
boldt Forums in Berlin ist Brite.

Ich hoffe also, dass die Verhandlungen nicht von Emo-
tionen getrieben geführt werden, sondern dass uns Ratio
und Klugheit leiten. In diesem Sinne: Die Verhandlungen
sind mit Sicherheit schwierig, aber wenn man sie kon-
struktiv, vernünftig und mit dem notwendigen Respekt
und der notwendigen Fairness führt, dann kann nach
meiner festen Überzeugung am Ende für beide Seiten ein
ordentliches und vernünftiges Ergebnis herauskommen.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822811800

Vielen Dank, Herr Kollege Mayer. – Damit schließe

ich die Aussprache.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:

Beratung des Antrags der Bundesregierung

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an der Militärmission der

Europäischen Union als Beitrag zur Ausbil-
dung der malischen Streitkräfte (EUTM Mali)


Drucksache 18/11628
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundes-
minister Sigmar Gabriel.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Sigmar Gabriel (SPD):
Rede ID: ID1822811900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ihr könnt ruhig klatschen.


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Kollege von der CDU/CSU hat geklatscht!)


– Er hat geklatscht? Sie jedenfalls nicht; das weiß ich.


(Zurufe von der CDU/CSU: Ich nicht!)


– Na gut, aber man kann sich im Leben auch mal verän-
dern.

Jetzt aber einmal ernsthaft weiter: Es ist ja nicht im-
mer so im Bundestag, dass aufeinanderfolgende Tages-
ordnungspunkte auch inhaltlich zusammenhängen, aber
jetzt ist das der Fall. Wir haben gerade im Plenum über
die Absicht des Vereinigten Königreichs debattiert, die
Europäische Union zu verlassen, also den Brexit. Man
könnte sich fragen: Wo ist da der Zusammenhang mit
dem Einsatz der Bundeswehr in Mali? – Ich glaube, er
besteht in zweierlei Hinsicht.

Erstens machen die Entwicklungen in Mali seit Be-
ginn der Krise in den Jahren 2012/2013 eines deutlich:
Wir Europäer sind von den Krisen und Kriegen in der
Welt immer stärker direkt betroffen. Wir können uns
nicht mehr abkapseln. Wir haben deshalb auch nicht den
Luxus, uns allein auf interne institutionelle Fragen in Eu-
ropa zu konzentrieren. – Vielleicht als Reminiszenz an
die vorangegangene Debatte: So wichtig das ist, darf es
nicht dazu führen, dass wir jetzt ausschließlich über un-
sere inneren Verhältnisse reden. Es gibt so viele Dinge
um uns herum, die sich verändern, dass wir auch dort ge-
fragt sind. Europa ist mehr denn je als Akteur in der Welt
gefragt, der auch bereit ist, Verantwortung zu überneh-
men, und das, obwohl die Europäische Union gar nicht
als weltpolitischer Akteur konstruiert worden ist. Sie ist
dafür gar nicht gemacht worden. Trotzdem können uns
die Konflikte um uns herum nicht egal sein.

Das bringt mich zu meinem zweiten Punkt: Unser En-
gagement in Mali zeigt, dass wir dort, wo Europa bereit
ist, sich gemeinsam zu engagieren, durchaus Vorzeig-

Stephan Mayer (Altötting)







(A) (C)



(B) (D)


bares leisten können. Der Einsatz deutscher Soldatin-
nen und Soldaten in der europäischen Ausbildungs- und
Trainingsmission EUTM Mali gehört dazu. Mehr noch:
Er ist Teil eines umfassenden Ansatzes. Denn unsere
europäische Stärke ist es ja gerade, dass wir Krisen mit
einem breiten Instrumentenkasten angehen: mit diploma-
tischen, zivilen und polizeilichen Mitteln und auch mi-
litärisch. Gerade die Europäische Union ist in der Lage,
alle diese Instrumente zur Verfügung zu stellen. Das ist
ein Markenkern europäischer Außen- und Sicherheitspo-
litik, den wir beibehalten und ausbauen müssen und den
wir – das sage ich ganz offen – nicht wieder verkleinern
dürfen aufgrund der von den Vereinigten Staaten ausge-
henden Debatte, in der Sicherheit auf Militärausgaben
reduziert wird. Diese werden dort ja erhöht, und gleich-
zeitig werden die Mittel für die zivile Krisenprävention
im Außenministerium gekürzt. Europa ist das genaue Ge-
genteil davon, und das ist auch gut so.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, unser Engagement in Mali
ist auch deshalb so wichtig, weil die Stabilisierung Ma-
lis ein Schlüssel für Sicherheit und Entwicklung in der
gesamten Region ist. Denn grenzüberschreitender Terror
und organisierte Kriminalität bedrohen auch die Sicher-
heit der Nachbarn und mittelbar eben auch die Europas.
Mali gewinnt als Transit- und Herkunftsland für irregu-
läre Migration und Flucht an Bedeutung. Als eines der
ärmsten Länder der Welt steht Mali außerdem nicht nur
vor enormen politischen Herausforderungen. Es muss
auch durch Bekämpfung von Hunger und Armut der ei-
genen Bevölkerung eine tragfähige Zukunftsperspektive
bieten.


Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822812000

Herr Minister, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kol-

legin Hänsel zu?


Sigmar Gabriel (SPD):
Rede ID: ID1822812100

Selbstverständlich.


Heike Hänsel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822812200

Danke schön. – Herr Minister Gabriel, ich möchte Sie

aus aktuellem Anlass fragen. Sie haben gerade gesagt,
Europa stellt in der Sicherheitspolitik das genaue Ge-
genteil zu den USA dar. Aber Kriegseinsätze ähneln sich
doch und bedeuten viel Leid und Tote vor Ort. Uns liegen
aktuell Meldungen vor, dass der Tornadoeinsatz der Bun-
deswehr mit dazu beigetragen hat, dass über 33 Zivilisten
in einer ehemaligen Schule in Syrien getötet wurden.


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Das ist eine ungeheuerliche Behauptung! Die Tornados haben überhaupt nicht dazu beigetragen!)


– Die Meldungen sind da, und ich hätte gern den Minister
gefragt, was er zu diesen Meldungen sagt


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Dann müssen Sie einmal die Meldungen richtig lesen!)


und ob die Bundesregierung gegebenenfalls erwägt, die-
sen Tornadoeinsatz zu stoppen bzw. zu beenden und zu
untersuchen, was passiert ist?


Sigmar Gabriel (SPD):
Rede ID: ID1822812300

Wenn Sie gestatten, würde ich gerne auf beides ant-

worten, sowohl auf Ihren Hinweis, dass militärische Ein-
sätze immer auch schlimme Folgen haben, als auch auf
den konkreten Fall.

Gerade wir Deutsche selbst haben doch erfahren – das
sage ich nicht mit übertriebenem Pathos –, dass wir am
Ende Gewalt und Terror in unserem Volk – zum Bei-
spiel damals durch die Nationalsozialisten – nicht stop-
pen konnten, ohne dass uns andere mit Militäreinsatz zu
Hilfe gekommen sind. Auschwitz hat sich nicht selbst
befreit, sondern es war die Rote Armee, die Auschwitz
befreit hat. Hätten amerikanische Eltern ihre Söhne und
manchmal auch ihre Töchter nicht in den Zweiten Welt-
krieg geschickt, würden wir heute unter Hitler oder unter
Stalin leben. Das zeigt: In der Ultima Ratio können Sie
manchmal das Leben von Menschen nur schützen, wenn
Sie militärische Mittel einsetzen. Wenn die Weltgemein-
schaft nicht so lange zugesehen hätte, hätten vielleicht
nicht Millionen Menschen in Ruanda im Völkermord un-
tergehen müssen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Auch ich wünsche mir eine Welt, in der man so etwas
nicht braucht. Aber Sie sollten wissen: Man kann sich
schuldig machen durch den Einsatz militärischer Mittel,
man kann sich auch schuldig machen durch die Verwei-
gerung militärischer Mittel.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Durch Nichtstun!)


Man muss sich immer darüber im Klaren sein, was man
macht.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Zu Ihrem konkreten Fall. Nach meinem Kenntnis-
stand ist der Tornadoeinsatz nicht verantwortlich dafür,
was dort passiert ist. Es gab auch eine Unterrichtung im
Verteidigungsausschuss dazu. Insofern kann ich jetzt nur
wiedergeben, dass nach meinem Kenntnisstand, nach
dem Kenntnisstand der Bundesregierung, der Zusam-
menhang, den Sie beschrieben haben, nicht existiert.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Ich möchte eigentlich die Mali-Mission begründen,
weil diese gerade dazu dienen soll, das Voranschreiten
von Terrorismus und Mord zu begrenzen. Aber da Sie,
wie ich sehe, anderer Meinung sind, will ich es noch ein
wenig zuspitzen: Was, glauben Sie, würde passieren,
wenn Europa oder die internationale Völkergemeinschaft
im Fall von Mali sagt: „Wir ziehen uns zurück“? Die-
se Position kann man einnehmen. Dann muss man aber
bereit sein, zu sagen: Ja, ich bin dann auch bereit, die
Verantwortung dafür zu tragen, dass Boko Haram wieder
nach vorne geht, dass sich die Tuareg nicht in einen zi-
vilen Friedensprozess begeben und dass mehr Menschen
weiter unter Terror, Gewalt, Mord und Vergewaltigung

Bundesminister Sigmar Gabriel






(A) (C)



(B) (D)


leiden. – Man muss sich einfach über die Konsequenzen
seines Handelns in beiden Fällen im Klaren sein. Man
muss auch wissen: Wenn man militärische Einsätze be-
gleitet, kann das immer dazu führen, dass Unschuldige
sterben.

Wir haben übrigens die Waffen an die Peschmerga
im Wissen geliefert, dass die Waffen in einem späteren
innerirakischen Konflikt vielleicht für falsche Ziele ein-
gesetzt werden. Darum wissend hat uns der viel zu früh
verstorbene Pazifist Rupert Neudeck geraten – wohlge-
merkt: als Pazifist –: Ihr müsst Waffen an die Peschmerga
liefern, weil sonst die Volksgruppe der Jesiden ausgerot-
tet wird.

Ich will nur sagen: Es geht hier, wie ich finde, um eine
der schwersten Entscheidungen, die man als demokrati-
scher Politiker treffen kann, aber man muss sich immer
im Klaren darüber sein, dass Verantwortung nicht nur da-
durch entsteht, wenn man eine Entscheidung trifft, son-
dern auch, wenn man eine Entscheidung verweigert.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, klar ist: All diese komple-
xen Herausforderungen kann Mali nicht alleine bewälti-
gen, aber eben auch nicht alleine nur mit deutscher Hilfe.
Unser Engagement in Mali ist daher eingebettet in den
Rahmen der Vereinten Nationen und der Europäischen
Union. Das ist übrigens auch wichtig. Wir haben uns
einmal dazu bekannt, dass Militäreinsätze dann möglich
sind, wenn sie von den Vereinten Nationen gefordert wer-
den. Man kann doch nicht sagen: „Wir wollen weg von
unilateralen Kriegseinsätzen und hin zu einem Mandat
der Vereinten Nationen“, aber dann, wenn die Vereinten
Nationen sagen, dass sie die Menschen nur mithilfe von
Militär und vielem anderen retten können, auf einmal sa-
gen: „Jetzt sind uns die Vereinten Nationen egal.“ Auch
das ist für uns von großer Bedeutung. Europa leistet hier
einen großen Beitrag.

Im Rahmen der europäischen Trainingsmission in
Mali haben militärische Einheiten aus verschiedenen
Mitgliedstaaten der EU, zurzeit auch 140 Soldatinnen
und Soldaten aus Deutschland, seit 2013 über 9 000
malische Soldatinnen und Soldaten ausgebildet. Inzwi-
schen konzentriert sich die Mission verstärkt auf die
Ausbildung der Ausbilder; denn wir können nicht jeden
malischen Soldaten ausbilden. Aber wir können Struk-
turen aufbauen. Sofern es die Sicherheitslage zulässt,
wird EUTM Mali diese Ausbildung direkt vor Ort an den
Standorten der malischen Armee vornehmen.

Die zivile Schwestermission von EUTM, die
EUCAP Sahel Mali, bildet zudem Polizei, Nationalgar-
de und Gendarmerie aus. Auch hier ist Deutschland mit
Polizistinnen und Polizisten, zivilen Expertinnen und
Experten engagiert, und wir stellen auch den Leiter der
Mission.

Nicht zuletzt unterstützen wir – das wissen Sie –
die Friedensmission der Vereinten Nationen in Mali,
MINUSMA. Neben ihrem politischen Auftrag, die Um-
setzung der Friedensabkommen zu unterstützen, ist die
Friedensmission im Norden und im Zentrum des Landes
im Einsatz, um Sicherheit zu gewährleisten. Deutsch-

land hat mit seinen aktuell mehr als 800 Soldatinnen
und Soldaten im Einsatz, Hubschraubern und Aufklä-
rungsdrohnen einen wesentlichen Anteil daran. Ich will
mich ausdrücklich bei den eingesetzten Soldatinnen und
Soldaten bedanken, übrigens auch bei den Familien, die,
obwohl zurzeit niemand in Gefahr geraten ist, verwundet
oder getötet wurde, natürlich Angst um ihre Angehöri-
gen haben. Ich will ausdrücklich meinen großen Respekt
vor der Leistung der Soldatinnen und Soldaten und auch
dem, was Familien dort mittragen, ausdrücken.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir unterstützen den Friedensprozess. Wir bekämpfen
die Ursachen des Konflikts, indem wir helfen, die Grä-
ben der malischen Gesellschaft zu überwinden, übrigens
auch durch Förderung von Dezentralisierung, sodass alle
Bevölkerungsgruppen stärker teilhaben können. Und wir
unterstützen Projekte, die die Lebensumstände der Be-
völkerung und die staatliche Handlungsfähigkeit spürbar
verbessern.

Insgesamt haben wir aus dem Haushalt des Auswärti-
gen Amts seit 2010 mehr als 50 Millionen Euro in zivile
Maßnahmen in Mali investiert. Für 2017 sehen wir noch
einmal mehr als 23 Millionen Euro vor, davon 6 Millio-
nen Euro für humanitäre Hilfe.

Meine Damen und Herren, mir geht es nicht um eine
Vergleichsrechnung, aber ich finde, das Beispiel Mali
zeigt, wie wichtig es ist, einen umfassenden Sicher-
heitsbegriff zugrunde zu legen. Das meinte ich mit dem
Unterschied zu der aktuellen Debatte in den Vereinigten
Staaten.

Natürlich müssen wir uns fragen, welche Ergebnisse
wir in Mali bislang erzielt haben, und nüchtern fragen,
wo wir stehen. Die Sicherheitslage im Norden und zu-
nehmend auch in der Mitte des Landes bleibt angespannt.
Angriffe gegen die Zivilbevölkerung gehören leider
weiterhin zum Alltag für viele Menschen in Mali. Der
Friedensprozess ist fragil, das Tempo der politischen Re-
formen langsamer, als wir es uns wünschen. Gleichzeitig
gibt es aber auch wichtige Fortschritte:

Im November konnten nach zweijähriger Verzögerung
Kommunalwahlen abgehalten werden, auch in weiten
Teilen des Nordens.

In Gao, Ménaka und Kidal wurden unter Vermittlung
durch die Friedensmission der Vereinten Nationen Über-
gangsverwaltungen eingesetzt. Das war lange ein erbit-
terter Streitpunkt zwischen den Konfliktparteien.

Trotz eines verheerenden Anschlags im Januar hat es
erste gemeinsame Patrouillen von Regierungstruppen,
regierungsnahen Milizen und ehemals separatistischen
Tuareg-Gruppen in Gao gegeben.

Das sind keine Meldungen, die es bei uns auf die Ti-
telseiten schaffen, aber es sind wichtige Schritte, auch
wenn sie noch klein sind. Dennoch ist klar: Friedenskon-
solidierung ist mühsam, langwierig und verläuft nicht
linear. Aber mich jedenfalls stimmt es positiv, dass die
Konfliktparteien trotz aller Störversuche, weiterhin be-

Bundesminister Sigmar Gabriel






(A) (C)



(B) (D)


stehenden Misstrauens und Umsetzungsproblemen dem
Friedensprozess verpflichtet bleiben.

Ich will in Kürze nach Mali reisen, auch um die Regie-
rung darin zu bestärken, den Friedensprozess entschlos-
sen voranzutreiben und dafür auch die notwendigen Re-
formen auf den Weg zu bringen. Natürlich will ich mir
vor Ort auch einen Eindruck verschaffen, was unsere
deutschen zivilen Helferinnen und Helfer sowie Solda-
tinnen und Soldaten leisten, die dort einen, wie gesagt,
oftmals gefährlichen Dienst tun.

Meine Damen und Herren, die Trainingsmission der
Europäischen Union ist ein wichtiger Bestandteil unseres
Engagements für Frieden und Sicherheit in Mali. Sie ist
gleichzeitig Baustein einer gemeinsamen europäischen
Außenpolitik. Meine Hoffnung ist jedenfalls, dass wir
in Europa gerade auch im Bereich der Außen- und Si-
cherheitspolitik noch enger zusammenrücken. Ich bitte
deshalb um Ihre Zustimmung zur Fortsetzung unse-
rer Beteiligung an der europäischen Trainingsmission
EUTM Mali.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822812400

Vielen Dank, Herr Minister Gabriel. – Als Nächster

hat das Wort Jan van Aken von der Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Jan van Aken (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822812500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie wol-

len hier den Einsatz der Bundeswehr in Mali zur Ausbil-
dung der malischen Armee um ein weiteres Jahr verlän-
gern.


(Henning Otte [CDU/CSU]: Genau!)


Ich finde, Sie machen da einen großen Fehler.


(Beifall bei der LINKEN)


Zum einen, weil die Situation in Mali mittlerweile
ganz fatal an Afghanistan erinnert. Sie unterstützen dort,
in Mali, eine zutiefst korrupte Regierung. Sie bilden dort
eine Armee aus, die auch gegen Minderheiten im eigenen
Land vorgeht. Und Sie sind dort Teil eines Bürgerkrie-
ges, der immer weiter eskaliert. Die Zahl der Anschläge,
auch auf UN-Truppen, steigt unaufhörlich.

Genau wie in Afghanistan fing der Einsatz in Mali
ganz klein, kompakt und überschaubar an.


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nein! Niemals!)


Mittlerweile ist dort mit der Operation MINUSMA der
mittlerweile größte Auslandseinsatz der Bundeswehr
unterwegs. Zuletzt haben Sie Kampfhubschrauber in die
Region geschickt. Wie in Afghanistan – das, finde ich, ist
das Entscheidende – haben Sie keinen politischen Plan.


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Wir sind nicht bei den Linken!)


Außerdem haben Sie – das ist jetzt auch eine militäri-
sche Frage – keinerlei messbare Ziele für diesen Einsatz
definiert. Das halte ich für das Fatalste.


(Beifall bei der LINKEN)


Jetzt machen Sie auch noch genau den gleichen Fehler
wie damals in Afghanistan: Auf eine sich immer weiter
verschärfende Sicherheitslage reagieren Sie mit immer
weiterer militärischer Eskalation. Wenn ich dann lese,
was Sie in Ihrer Mandatsbegründung über den Friedens-
prozess in Mali und über einen angeblichen Durchbruch
im politischen Prozess schreiben, dann muss ich mich
doch fragen: Auf welchem Planeten leben Sie eigentlich?
Sie wissen doch genauso gut wie ich, dass sich die Situ-
ation in Mali immer weiter verschlechtert, dass sie sich
eben überhaupt nicht stabilisiert. Ihr Bundeswehreinsatz
wird daran überhaupt nichts ändern.


(Beifall bei der LINKEN)


Herr Gabriel, Sie haben gerade etwas hypothetisch ge-
sagt: Wenn die internationalen Truppen jetzt aus Mali ab-
gezogen werden würden, dann würden zum Beispiel die
Tuareg im Norden nicht mehr am Friedensprozess teil-
nehmen. – Das zeigt: Sie sind nicht richtig informiert. Im
Moment sind die internationalen Truppen vor Ort und die
Tuareg nehmen nicht teil am Friedensprozess. Sie haben
gerade – zusammen mit einigen anderen Gruppen – ihre
Teilnahme an der internen malischen Friedenskonferenz
abgesagt. Da läuft politisch sehr viel schief, und das hat
nichts mit der Präsenz der internationalen Truppen zu
tun.

Da Sie eben weiter ausgeholt haben, was allgemein
Auslandseinsätze angeht, möchte auch ich ein Stück
weiter zurückgehen. Sie haben gerade die Waffenliefe-
rungen an die Peschmerga als ein schönes Beispiel dafür
genannt, was man Sinnvolles tun kann. Sie haben sinn-
gemäß gesagt: Das wurde getan, um das Überleben der
Jesiden zu sichern. – Das ist aus zweierlei Gründen kom-
plett falsch, und Sie wissen das auch.

Erstens. Es waren damals eben nicht die Peschmerga,
die Sie mit Waffen beliefert haben, die die Jesiden aus
den Bergen gerettet haben, damals, am 4. August 2014,


(Beifall der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE])


als 40 000 Jesiden in den Bergen von Shingal festsaßen.
Es war, ob Ihnen das gefällt oder nicht, die PKK, die die
40 000 Jesiden gerettet hat.


(Beifall bei der LINKEN)


Zweitens. Mittlerweile sind es – auch das wissen Sie,
Herr Gabriel – die Peschmerga, die mit deutschen Waffen
die Jesiden angreifen. Tatsache ist, dass die Jesiden im
Moment durch die deutschen Waffenlieferungen stärker
bedroht sind, als wenn Sie diese Waffen nicht geliefert
hätten.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Um noch einen Schritt weiter zurückzugehen – das
ist ja, wie ich finde, eine ganz spannende Debatte –: Sie
sagen, man könne sich nicht nur durch die Entsendung
von Militär, sondern auch, wenn man nicht militärisch
eingreift, schuldig machen. Was Sie dabei aber völlig

Bundesminister Sigmar Gabriel






(A) (C)



(B) (D)


ausblenden, ist die dritte Option: Man kann sich noch
viel schuldiger machen, wenn man nicht viel frühzeitiger
politisch und diplomatisch eingreift. Das zu übersehen,
ist der Fehler, den Sie als Bundesregierung immer wieder
machen.


(Beifall bei der LINKEN)


Dass Sie so lange abwarten und nichts tun, bis militärisch
eingegriffen werden muss, das ist der Fehler, den ich Ih-
nen vorwerfe.

Ich komme zurück zu Mali. Die entscheidende Frage
ist doch: Was wollen Sie in Mali eigentlich mit dieser
Ausbildungsmission erreichen? Sie sagen in Ihrem An-
trag zur Mandatsverlängerung, es gehe um die Stabili-
sierung des Landes. – Das wäre ein gutes und richtiges
Ziel. Aber dann muss man sich doch auch einmal fragen:
Warum ist Mali denn so instabil? Was sind denn die Ur-
sachen, die darunter liegen, die dazu führen, dass Mali im
Moment so instabil ist?

Das Kernproblem ist doch die malische Regierung
selbst. Die Stiftung Wissenschaft und Politik hat dazu
neulich eine, finde ich, ziemlich kluge Analyse veröffent-
licht. Darin wird die malische Regierung als autoritär, als
korrupt und vor allem als reformunwillig bezeichnet. Sie
wissen doch selbst, dass der Großteil der Gewalteskalati-
on in Mali auf eine jahrzehntelange verfehlte Politik der
Zentralregierung zurückzuführen ist. Der Norden wurde
systematisch von der wirtschaftlichen Entwicklung aus-
geklammert. Die Tuareg im Norden haben jahrzehnte-
lang vergeblich um Autonomierechte gekämpft – bis vor
vier Jahren die Gewalt eskaliert ist.

Wenn das aber die zentrale Ursache für die Konflikte,
für die Probleme in Mali ist, warum glauben Sie dann,
dass die Lösung militärischer Natur sein kann? Das ist
doch völlig hirnrissig.


(Beifall bei der LINKEN)


Ihr Bundeswehreinsatz ist überhaupt keine Lösung für
die tatsächlichen Probleme in Mali.


(Henning Otte [CDU/CSU]: Ausbildung!)


Wenn die Regierenden in Mali die Reformverweigerer
sind – das sage nicht nur ich; das schreibt auch die Stif-
tung Wissenschaft und Politik –,


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Na denn!)


dann können Sie doch nicht genau diese Regierung auch
noch militärisch unterstützen. Damit machen Sie sich
zum Teil des Problems und sind nicht mehr Teil der Lö-
sung.


(Beifall bei der LINKEN)


Zum Abschluss möchte ich noch kurz auf einen Punkt
eingehen. Ich finde es wirklich schändlich, dass Sie die-
sen Bundeswehreinsatz ganz offensiv und unverhohlen
mit der Flüchtlingsabwehr verknüpfen. Auch Sie haben
das eben wieder gemacht, Herr Gabriel. Sie wissen ganz
genau: Die Zentralregierung in Mali braucht die inter-
nationalen Truppen und die Bundeswehr als Sicherheits-
dienstleister. Damit setzt die EU sie gerade unter Druck
und versucht, ein Abschiebeabkommen durchzusetzen.

Sie benutzen die Bundeswehrsoldaten in Mali als Faust-
pfand, um Malier schneller aus Deutschland abschieben
zu können. Das ist ein Schlag ins Gesicht aller Malier, die
vor dem Krieg geflüchtet sind, aber noch viel mehr ein
Schlag ins Gesicht der Bundeswehrsoldaten, die Sie jetzt
da runterschicken.


(Beifall bei der LINKEN)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822812600

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.


Jan van Aken (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822812700

Ich bin fertig. – Es galt doch in der Flüchtlingspoli-

tik ganz lange die Grundregel: Keine Abschiebung in
Kriegsgebiete! – Mit dieser richtigen und wichtigen Re-
gel brechen Sie jetzt in Mali. Ich finde das ganz falsch.

Und Sie wissen: Im Übrigen bin ich der Meinung,
dass Deutschland gar keine Waffen mehr exportieren
sollte, Herr Otte.


(Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Aber an die PKK?)


– Auch nicht.

Tschüs!


(Beifall bei der LINKEN)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822812800

Das Wort hat jetzt der Kollege Henning Otte von der

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Henning Otte (CDU):
Rede ID: ID1822812900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lie-
ber Herr van Aken, Sie haben eben Tschüs gesagt, aber
Sie sind noch da. Deswegen darf ich kurz auf Ihre Rede
eingehen.

Es ist keine andere politische Meinung, die Sie darge-
stellt haben, sondern es ist offensichtlich eine bewusste
Falschdarstellung. Es sind gerade die Jesiden ausgebildet
worden, um sie unabhängiger zu machen.

Zusammenfassend kann ich sagen, dass keiner Ihrer
Beiträge hier einen Verbesserungsvorschlag enthalten
hat; es war lediglich ein Schlechtmachen, und damit wird
die Welt nicht besser.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN)


Kommen wir zum heutigen Thema, nämlich zur Ver-
längerung und Ausweitung des Mandats EUTM Mali als
Ausbildungs- und Beratungsmission für die malischen
Streitkräfte mit dem Ziel, dass diese selbst für Sicherheit
und Stabilität im Land sorgen können.

Terroristische Gruppen bedrohen den Friedenspro-
zess, den Reformprozess, der sich seit einigen Jahren
entwickelt. Das stellt gerade in Mali eine hohe Belas-
tung für das Land und für die Bevölkerung dar. Um das

Jan van Aken






(A) (C)



(B) (D)


Land zu stabilisieren, ist, wie der Außenminister darge-
stellt hat, EUCAP Sahel Mali dabei. Es ist eine zweite
Militärmission, nämlich MINUSMA, dabei. Auch dabei
ist Deutschland mit Aufklärungs- und Hubschrauberein-
heiten beteiligt. Das Ziel ist, die malischen Sicherheits-
kräfte so auszubilden, dass sie nach und nach selbst für
Sicherheit sorgen können und internationale Kräfte eines
Tages überflüssig machen. Die Missionen in Mali sind
gute Beispiele dafür, wie sich internationale Missionen
gegenseitig ergänzen können.

Die Gesamtstärke von EUTM Mali beträgt zurzeit
550 Soldaten aus 27 Nationen, davon 22 Nationen aus
der Europäischen Union. Deutschland leistet einen Bei-
trag mit bis zu 300 Soldatinnen und Soldaten. Die Hälfte
davon ist zurzeit als Ausbildungs- und Beratungselement
wie auch als Stabs- und Unterstützungspersonal im Ein-
satz.

Seit Beginn der Mission im Jahr 2013 sind über
9 000 Soldatinnen und Soldaten der malischen Streit-
kräfte ausgebildet worden. Die Lage hat sich in Südmali
stabilisiert und kann dort als kontrollierbar bezeichnet
werden. Aus mehreren Besuchen weiß ich selbst, welch
große Herausforderungen und Anstrengungen dies auch
für unsere Soldatinnen und Soldaten bedeutet.

Deswegen ist es wichtig, noch einmal darzustellen,
warum wir diesen Einsatz in Mali unterstützen: Wir müs-
sen mehr Engagement dort zeigen, wo Konflikte entste-
hen, um diese Konflikte zu deeskalieren, zu entschärfen,
auch, damit Konflikte nicht nach Europa wandern. Dafür
haben wir einen breiten Instrumentenkasten, wie es der
Bundesaußenminister eben dargestellt hat. Das militäri-
sche Engagement ist ein Werkzeug darin.

Meine Damen und Herren, Mali hat eine Schlüssel-
funktion in dieser Region. Die gesamte Region ist von
dem Konflikt bedroht. Es gibt den IS-Terror, es gibt die
Tuareg-Rebellen, es gibt Boko Haram in Nigeria, und es
muss unbedingt verhindert werden, dass es hier einen Zu-
sammenschluss gibt.

Jetzt gilt es, zusammen mit der internationalen Ge-
meinschaft das Land weiter zu stabilisieren, hin zu einer
friedlichen Entwicklung. Ein stabiles Mali strahlt in die
gesamte Region positiv aus. Ein zusammenbrechendes
Mali würde in gleicher Weise eine negative Kettenreak-
tion bedeuten. Deswegen ist es auch für die Sicherheit in
Europa wichtig, dass wir die Ausbreitung des Terroris-
mus eindämmen und verhindern, dass Migrationsgründe
entstehen. Deswegen kommt EUTM Mali eine so große
Bedeutung zu.

Es verlangt von der Bundeswehr große Anstrengun-
gen und viel Kraft, neben der Bündnisverteidigung viel-
schichtige Aufgaben auch in der Krisenprävention zu
erfüllen; aber ich glaube, dass solche internationalen Ver-
pflichtungen für uns, für Deutschland, eher mehr werden
als weniger. Wir reagieren darauf mit der Ausweitung des
Auslandsverwendungszuschlags auf die einsatzgleichen
Verpflichtungen, aber auch, indem wir deutlich sagen:
Deutschland nimmt bewusst Verantwortung wahr in der
Gemeinschaft.

Das ist eine Herausforderung für eine moderne Armee
im vernetzten Einsatz. Deswegen sagen wir: Wir müssen
in die Sicherheit Deutschlands investieren. Deswegen
haben wir das 2-Prozent-Ziel weiterhin im Auge, denn
wir sagen: Wir müssen Lücken in der Ausrüstung schlie-
ßen, wir müssen Systeme modernisieren, wir müssen
eine wirksame Cyberabwehr aufbauen und entsprechen-
des Personal dafür gewinnen, um die Sicherheit und die
Souveränität Deutschlands zu erhöhen.

Wir haben in dieser Legislaturperiode mit einer At-
traktivitätssteigerung und mit den Trendwenden finanzi-
ell, personell, aber auch materiell viel unternommen zur
Verbesserung der Leistungsfähigkeit. Diese Ausgaben
sollten in den kommenden Monaten im Wahlkampf nicht
gegen soziale Maßnahmen ausgespielt werden. Ich sage
deutlich: Sicherheitspolitik ist auch soziale Politik, weil
sie dem Schutz der Bürgerinnen und Bürger dient.

Wir nehmen als CDU/CSU-Fraktion diese Verantwor-
tung wahr. Wir danken allen Soldatinnen und Soldaten
und auch zivilen Kräften und Polizisten für den Einsatz.
Wir danken auch den Familien für ihr Verständnis. Wir
werden der Mission EUTM Mali in der parlamentari-
schen Beratung zustimmen, weil wir dies für notwendig
und sinnvoll erachten und weil dies auch der Sicherheit
unseres Landes dient.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Wolfgang Hellmich [SPD])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822813000

Nächste Rednerin ist die Kollegin Agnieszka Brugger,

Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es lohnt
sich, einen Blick auf den Beginn dieser Mission zurück-
zuwerfen. 2013 hat sich die Europäische Union für die
Ausbildungsunterstützung der malischen Sicherheits-
kräfte entschieden. Damals war die Lage so, dass ein Teil
der Armee gewaltsam geputscht hatte, nachdem der Nor-
den des Landes von Rebellen und Terroristen überrannt
worden war. Die Armee war in einem sehr schlechten
Zustand.

Ausbildung muss auch Ausbildung mit Anspruch
heißen. Es geht nicht nur darum, militärische Grundfer-
tigkeiten zu vermitteln, sondern auch um solche Dinge
wie die Einhaltung der Menschenrechte oder des Völ-
kerrechts. Das Ziel ist sehr ehrgeizig: eine miteinander
funktionierende Truppe, in der auch verfeindete Gruppen
in gemeinsamen Strukturen handeln, die politisch kon-
trolliert ist und die sich vor allem dem Schutz der Bevöl-
kerung verpflichtet fühlt.

2012 wäre es sicherlich unvorstellbar gewesen, was
vor kurzem stattgefunden hat und schon vom Minister
erwähnt worden ist, nämlich dass trotz zahlreicher Ver-
zögerungen und Rückschläge gemeinsame Patrouillen
der Rebellengruppen und der malischen Streitkräfte im

Henning Otte






(A) (C)



(B) (D)


Norden stattgefunden haben. Das ist sicherlich ein klei-
ner Lichtblick.

Heute beraten wir erneut über eine Verlängerung, und
das zeugt von Realismus. Ich kann mich noch erinnern,
wie am Anfang dieser Mission einige meinten, der Zeit-
horizont würde zwei bis vier Jahre beinhalten, bis die
Aufgabe erfüllt sein würde. Wir Grüne haben damals
schon gesagt, dass es hier einen langen Atem und viel
Geduld und Engagement braucht.

Zu einer realistischen Sicht gehört aber auch ein klares
Bild von den Gefahren, Grenzen und Chancen von Aus-
bildung. Eine nachhaltige, gut konzipierte und engagierte
Ausbildung kann ein, aber eben nur ein Baustein auf dem
Weg zu einer Stabilisierung sein. Ob Irak, Somalia oder
Mali: Bei der Bundesregierung hat man den Eindruck,
dass das Schlagwort „Ertüchtigung“ ihre Standardant-
wort auf viele Krisen dieser Welt ist. Wir Grüne sagen
dazu nicht blind Ja und auch nicht reflexartig Nein, son-
dern wir prüfen jeden Einzelfall sehr sorgfältig und sehr
kritisch. Heute Abend werden wir auch über die Aus-
bildungsmission in Somalia abstimmen. Dieses Mandat
werden wir als Grüne sehr klar ablehnen, während wir
in den vergangenen Jahren bei Mali immer zugestimmt
haben.


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Ausbildung und Militäreinsätze alleine können na-
türlich niemals einen Konflikt lösen. Zentral ist es, dass
die Ursachen, die hinter einem Konflikt stehen, bear-
beitet werden. Deshalb kommt es auf den Rahmen an,
in dem eine solche Mission stattfindet. Dieser ist zum
Beispiel in Mali sehr anders als in Somalia. Es gibt die
Friedensmission der Vereinten Nationen, deren Aufgabe
es ist, ein Friedensabkommen zwischen vielen Grup-
pen zu begleiten und zu stützen. Oder man kann es auch
so zusammenfassen wie ein General, den ich auf einer
meiner Mali-Reisen im Rahmen eines Besuches bei der
EUTM-Mission gesprochen habe. Er hat gesagt: Es geht
ja gar nicht darum, die Streitkräfte so auszubilden, dass
sie den Norden erobern und dauerhaft halten können.
Vielmehr müssen beide Seiten endlich verstehen, dass
es Frieden nur gemeinsam und nur durch Kooperation
geben kann.

Ja, es gibt Lichtblicke: die gemeinsamen Patrouil-
len, das Friedensabkommen, den Versöhnungsprozess.
Trotzdem darf man die Lage in Mali nicht schönreden.
Sie ist fragil, und gerade im Norden ist sie gefährlich
und instabil. Es gibt auch keine Gewissheit, dass dieses
Engagement zum Erfolg führen wird. Ein großes Pro-
blem ist aktuell doch, dass alle Akteure, die an diesem
Friedensprozess beteiligt sind, die Gruppen im Norden
ebenso wie die malische Regierung und ihr nahestehen-
de Milizen, diesen Prozess oft genug mit Blick auf den
eigenen Vorteil verschleppen oder gar behindern und
ihn damit auch gefährden. Wenn man möchte, dass das
internationale Engagement, zu dem auch diese EU-Aus-
bildungsmission gehört, am Ende erfolgreich sein soll,
dann muss das jetzt von allen Seiten mit Nachdruck ein-
gefordert werden, auch von der malischen Regierung. Da
muss ich sagen, dass mir die sanften Worte der Bundesre-
gierung nicht ausreichen. Da müssen Sie dringend mehr

tun, und da müssen Sie mehr einfordern. Hier ist Kritik
angebracht und notwendig.

Völlig fehl geht aber eine andere Kritik, die wir der-
zeit nachlesen und nachhören können, nämlich die des
konservativen französischen Präsidentschaftskandida-
ten, der, offensichtlich weil er selbst unter Druck steht,
fordert, dass Deutschland sich in der Sahelzone stärker
militärisch engagieren müsse. Deutschland ist nicht nur
im Rahmen vieler ziviler Projekte und im Rahmen der
Entwicklungszusammenarbeit vor Ort, sondern betei-
ligt sich auch an der EU-Ausbildungsmission und der
VN-Friedensmission in einem erheblichen Maße, gerade
durch den Einsatz der Aufklärungsfähigkeiten und der
Hubschrauber. Wer das tut und sich hier in hohem Maße
einbringt, der kann auch Ansprüche an den französischen
Freund und Partner stellen. Die Bundesregierung ist aber
nicht bereit, hier Kritik zu äußern. Es wäre doch ein ers-
ter Schritt, einmal ein Mindestmaß an Transparenz über
die französischen Antiterroroperationen in der Region
herzustellen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es muss auch klar sein, dass eigene Interessen nicht
über das Ziel gestellt werden dürfen, eine friedliche Zu-
kunft für die Menschen in Mali zu erreichen. Ich möchte
mich bei allen bedanken, die sich dafür in einem sehr ge-
fährlichen Umfeld engagieren, ob sie es in Uniform oder
ohne tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Denn sie liefern einen Beitrag dazu, dass die Chance be-
steht, dass diese Ausbildungsmission in ein paar Jahren
erfolgreich ist und dass es mehr Frieden und Sicherheit
in Mali gibt.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822813100

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Roderich

Kiesewetter.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Roderich Kiesewetter (CDU):
Rede ID: ID1822813200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Jeder von uns,
der schon einmal in Mali war, weiß um die schwierige
Lage dort, weiß aber auch um die Fortschritte, die zu-
mindest durch die Ausbildungsmission und einige an-
dere Einsätze vor Ort erreicht wurden. Wenn wir heute
über die Ausbildungsmission sprechen, dann muss uns
bewusst sein, dass sie nur ein Mosaikstein unter vie-
len anderen ist; der Herr Bundesaußenminister hat das
angesprochen. Ich will aber trotzdem noch einmal die
UNO-Mission MINUSMA ansprechen, weil sie damit
verzahnt ist, ebenso die französische Antiterrormission
Barkhane, eine ganze Reihe ziviler Bereiche wie bei-
spielsweise die EUCAP-Mission und vor allen Dingen

Agnieszka Brugger






(A) (C)



(B) (D)


auch unsere Anstrengungen in der Entwicklungszusam-
menarbeit.

Es freut mich ganz besonders, dass – das finden wir
nicht oft in den Mandatstexten – in diesem Mandatstext
auch sehr klar über die entwicklungspolitischen Anstren-
gungen gesprochen wird, insbesondere im Bereich De-
zentralisierung, gute Regierungsführung, aber auch in so
handfesten Bereichen wie Wasser- und Abwasserversor-
gung und nachhaltige Landwirtschaft. Das alles zusam-
men macht den Einsatz in Mali aus.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Soldaten sind keine Entwicklungshelfer!)


Wir dürfen durch die Mechanik unserer Debatten nicht
den Linken auf den Leim gehen, indem wir uns ständig in
eine militärische Debatte ziehen lassen. Es ist ein ganz-
heitlicher Einsatz, den wir dort haben, liebe Kolleginnen
und Kollegen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Was unsere Debattenkultur im Bundestag angeht, ist
es entscheidend, einmal herauszustellen, wie die Ge-
samtlage aussieht. Gestern hatten wir hier in Berlin eine
Konferenz über Sicherheit, Frieden und Entwicklung in
Afrika.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Schlimm genug!)


Bei dieser Konferenz wurde auch sehr klar, dass die
erste Voraussetzung für weitere Entwicklungen nun ein-
mal Sicherheit ist. Angesichts dieses Engagements wird
deutlich, dass unsere Anstrengungen beispielsweise
beim Valletta-Gipfel im November 2015 oder bei ver-
schiedenen EU-Gipfeln nicht umsonst waren; denn wir
erleben, dass sich auch die Regionen selber miteinan-
der vernetzen. Es gibt relativ neu eine Gruppe von fünf
Sahelstaaten – Burkina Faso, Mali, Mauretanien, Niger
und Tschad –, die versuchen, in einer gemeinsamen Si-
cherheitskooperation gegen den Terror vorzugehen und
zugleich Entwicklungsperspektiven für ihre Bevölkerun-
gen zu entwickeln.

Warum ist das so entscheidend? In Subsahara-Afrika
leben rund 700 Millionen Menschen. Jedes Jahr kommen
2 Millionen Menschen dazu. Bei uns würde das bedeu-
ten: 2 Millionen Kindergartenplätze, 2 Millionen Schul-
plätze, 2 Millionen Arbeitsplätze. Dort bedeutet es aber
in der Regel: aufwachsen in der Hoffnung auf Migration.


(Jan van Aken [DIE LINKE]: Das ist so nun auch nicht!)


Es kann doch nicht unser Ziel sein, die militärischen
Engagements dort einzustellen und die Entwicklungs-
zusammenarbeit nicht mehr zu schützen, um dann noch
mehr Migration zu erzeugen. Unser Ziel muss doch sein,
die Feuer, die dort sind, auszutreten.

Lesen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Linken, einmal das Friedensgutachten. Gerade das un-
längst veröffentlichte Friedensgutachten macht deutlich:
Die Präsenz von UN-Truppen stärkt die nachhaltige Ent-
wicklung in der Region, weil sie erstens zur Ausbildung,
zweitens zur Rückversicherung der jeweiligen Regie-

rung, drittens zu einer bestimmten Kontrolle und viertens
auch zu einem gewissen Gefühl wachsender Sicherheit in
der Bevölkerung beiträgt. Das bedeutet für die Entwick-
lungszusammenarbeit auch das Schaffen einigermaßen
stabiler Umwelten, von denen aus man investieren kann.
700 Millionen Menschen leben in der Region, aber für
Mali selbst bedeutet das: fast 140 000 Flüchtlinge außer-
halb des Landes und 40 000 Flüchtlinge innerhalb des
Landes.

Wenn wir also diese Ausbildungsmission betrachten,
stellen wir fest, dass sie eingebettet ist in einen weitaus
größeren Ansatz.

Deshalb möchte ich abschließend einige Punkte an-
sprechen, die mir am Herzen liegen. Wenn die Europäi-
sche Union sich stärker auf Afrika fokussieren will – ich
glaube, darin sind wir uns alle einig – und wenn wir als
Bundesrepublik Deutschland uns stärker um Afrika küm-
mern wollen, so sollten wir eine abgestimmte Strategie
haben. Die Europäische Union hat in der Handelspolitik
bereits das Zepter übernommen und organisiert die Han-
delspolitik.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das ist ja die Katastrophe! Das ist doch das Problem!)


Deshalb sollten wir in den nächsten Jahren alles da-
ransetzen, dass auch die Entwicklungszusammenarbeit
stärker koordiniert wird. Die Ansätze, die die Bundes-
republik Deutschland gemeinsam mit Frankreich und
vielen anderen Partnern leistet, könnten wir von Brüs-
sel aus stärker koordinieren durch Fordern von unserer
Seite, aber auch durch entsprechende Förderprogramme,
die wir alleine zu leisten nicht in der Lage sind. Deshalb
halte ich es für sehr sinnvoll, solche Mandate, wenn wir
im Bundestag darüber sprechen, im übergeordneten Zu-
sammenhang zu betrachten.

Ein weiterer Aspekt neben der Strategieentwicklung
ist die entwicklungspolitische Orientierung; das heißt,
wir setzen nicht auf die ausschließlich militärische Fo-
kussierung von Einsätzen. Aber, Herr Außenminister, ich
bitte Sie auch, Investitionen in Verteidigung und Sicher-
heit einerseits und diplomatisches Engagement und Ent-
wicklungsengagement andererseits nicht auseinanderzu-
dividieren.

Wir müssen sehr deutlich und klar sagen, dass das
gemeinsame Engagement für bessere Verteidigungsbe-
mühungen, für mehr diplomatische Anstrengungen und
für nachhaltige Entwicklungspolitik das verdient, was
Ischinger und Altbundespräsident Gauck angesprochen
haben: dass wir das 2-Prozent-Ziel mit verstärktem
entwicklungspolitischem und diplomatischem Engage-
ment verknüpfen und in Richtung eines 2,5- oder 3-Pro-
zent-Zieles gehen, damit wir das, was wir leisten wollen,
stärker miteinander verschränken und vor allen Dingen
unserer Bevölkerung klarmachen, dass es eben nicht –
wie die Linke ständig suggerieren will – um einen Mi-
litäreinsatz geht, sondern um ein abgestimmtes, gemein-
sames Engagement für die Stabilisierung Afrikas und für
Partnerschaft auf Augenhöhe.

Roderich Kiesewetter






(A) (C)



(B) (D)


Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dagmar Ziegler [SPD])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822813300

Zum Abschluss dieser Aussprache hat der Kollege

Dr. Hans-Peter Uhl für die CDU/CSU das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hans-Peter Uhl (CSU):
Rede ID: ID1822813400

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und

Kollegen! Staaten wie Mali, Mauretanien, Tschad, Niger,
Burkina Faso stellen für uns alle eine ganz besondere He-
rausforderung dar. Heute diskutieren wir unser Bemühen
um eine Militärmission in Mali.

Ich möchte an das anknüpfen, was der Kollege
Kiesewetter gesagt hat: Es geht nicht nur ums Militäri-
sche, Herr van Aken. Zunächst geht es natürlich darum,
der Bevölkerung Lebenshilfe zu leisten, ihre akute Not
angesichts der Übergriffe zu lindern und eine Bleibeper-
spektive zu schaffen.

Es setzt logischerweise einen Hauch von Staatlichkeit
voraus, so etwas zu ermöglichen. Ein Hauch von Staat-
lichkeit in einer Region mit historisch, kulturell und wirt-
schaftlich konkurrierenden Volksgruppen kann ja nur in
dezentralen, föderalen Strukturen gelingen. Darum wird
es in der nächsten Zeit gehen.

Am Anfang muss aber die Beendigung bewaffneter
Auseinandersetzungen stehen. Am Anfang müssen ge-
waltsame Übergriffe auf die Zivilbevölkerung verhindert
werden, und das geht eben auch nur mit Gewalt. Ich bin
deswegen für die klaren Worte von Ihnen, Herr Minister,
dankbar, mit denen Sie das Grundsätzliche und die Am-
bivalenz unserer Entscheidung dargestellt haben – was
es bedeutet, nichts zu tun, und was es bedeutet, sich auf
militärischem Gebiet zu engagieren.

Für den ganzen nordafrikanischen Raum gilt es, is-
lamistisch-terroristische Landnahmen zu verhindern.
MINUSMA, die robuste Mission, haben wir beschlos-
sen; der Bundestag hat sich entschieden, dass Deutsch-
land sich daran beteiligt. Dennoch ist es nach wie vor
wichtig, der Bevölkerung die Sinnhaftigkeit dieses deut-
schen Engagements südlich der Sahara, so weit weg von
uns, zu erläutern.

Die Migrationsströme der vergangenen Monate – auch
aus diesem Teil der Welt – nach Europa und insbesondere
zu uns, nach Deutschland, haben deutlich gemacht, dass
es schon aus humanitären Gründen gerechtfertigt ist, Hil-
fe zu leisten. Aber darüber hinaus ist es unser ureigenes
europäisches Interesse, einen Beitrag zur Stabilisierung
der afrikanischen Staaten zu leisten. Gemeinsam muss es
uns gelingen, für die Menschen in dieser Region Bleibe-
perspektiven zu schaffen, und das beginnt nun einmal mit
der Aufgabenstellung der Mission, um die es heute hier
geht, nämlich mit dem Einsatz des Militärs und der Bera-
tung und Unterstützung des Militärs durch uns.

Aber auch ich lege Wert darauf, dass darüber hinaus,
wie Kollege Kiesewetter es ausgeführt hat, eine ganz-

heitliche Entwicklungsperspektive in all diesen Subsaha-
ra-Staaten zu erarbeiten ist. Dazu gehören ganz konkrete,
realistische Lösungsansätze, die Hilfe für die Menschen
bedeuten.

Menschen, die wir zu Handwerkern ausgebildet ha-
ben, Menschen, die in Gewerbeparks Arbeit finden, Men-
schen, die Bewässerungsanlagen errichten und reparieren
können, schaffen eine Oase der Zukunft in einer konflikt-
anfälligen Region. Das ist unsere eigentliche Aufgabe,
unser Ziel, dem wir uns verschrieben haben.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Wir sprechen hier über einen Bundeswehreinsatz!)


– Ich habe gerade erläutert – ich hoffe, Sie haben zuge-
hört –, dass dies mit einem Bundeswehreinsatz beginnen
muss, der aber nicht das Endziel sein kann.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Kommen Sie mal zum Thema zurück! Da geht es um Töten und Sterben!)


Menschen sollen sich zutrauen, Lebensperspektiven
in ihrer Heimat zu schaffen, statt ihr Leben und ihr Ver-
mögen kriminellen Schlepperbanden anzuvertrauen. Das
ist unser eigentliches Ziel.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn es uns auch nur ansatzweise gelingt, für viele
Menschen südlich der Sahara Lebensperspektiven zu
schaffen, ist es möglicherweise nicht mehr nötig, nörd-
lich der Sahara Auffangcamps zu errichten, in denen
Rückkehrer aus Europa untergebracht werden können;
denn dann haben wir die Menschen schon überzeugen
können, in ihrer Heimat zu bleiben, statt unter Einsatz
ihres Lebens die Sahara zu durchwandern.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der heutige Beschluss über die Fortsetzung der Mili-
tärmission EUTM Mali soll also die Grundlage für sehr
viel mehr sein. Das ist die Überlegung, um die es hier
geht. Der intensive Ausbau der Entwicklungszusammen-
arbeit, die Schaffung von Bleibeperspektiven und damit
die Verringerung von Fluchtgründen für die Menschen in
dieser konfliktbeladenen Region, das sind unsere Aufga-
ben. Deswegen bedanke ich mich auch bei den Grünen.
Frau Brugger, Sie haben sehr differenziert argumentiert –
im Gegensatz zum Vertreter der Linken.


(Jan van Aken [DIE LINKE]: Ich fand es superdifferenziert!)


Der Geist, der stets verneint, mit dem sich auseinander-
zusetzen einfach keinen Sinn macht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sinn ergibt sich, er macht sich nicht, Herr Kollege!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822813500

Damit schließe ich die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/11628 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Widerspruch sehe
ich keinen. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Roderich Kiesewetter






(A) (C)



(B) (D)


Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 10 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Ände-
rung des Straßenverkehrsgesetzes

Drucksachen 18/11300, 18/11534, 18/11683
Nr. 10
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ver-
kehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss)


Drucksache 18/11776

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache insgesamt 38 Minuten vorgesehen. –
Auch dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist
das somit beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteilte zu Beginn das
Wort dem Bundesminister Alexander Dobrindt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr
und digitale Infrastruktur:

Sehr geehrte Damen und Herren! Verehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Verehrter Herr Präsident! Das auto-
matisierte Fahren entscheidet, ob Deutschland Innova-
tionsland bleibt oder Stagnationsland wird. Das ist der
Grund, warum wir uns zu Beginn der Wahlperiode für
eine umfassende Strategie für automatisiertes und ver-
netztes Fahren entschieden haben, die wir mit einer Rei-
he von Elementen gefüllt haben, beispielsweise mit dem
Digitalen Testfeld Autobahn auf der A 9, einem Leucht-
turmprojekt: einer intelligenten Straße, der einzigen
Straße auf der Welt, die mit eigener Sensorik und eigener
Intelligenz ausgestattet ist. Damit haben wir für die In-
frastruktur und für die entsprechende Kommunikation
gesorgt, die automatisiertes Fahren im Realverkehr mög-
lich machen. Das ist eines der ganz großen Forschungs-
projekte und wird übrigens weltweit von Unternehmen
anerkannt. Viele internationale Firmen erforschen ihre
Produkte auf dem Digitalen Testfeld Autobahn auf der
A 9 in Bayern und entwickeln diese Produkte weiter.
Wir erweitern gerade das Testfeld auch auf städtische
Bereiche, sodass wir den komplexen Zusammenhang im
Stadtverkehr erproben und automatisierte Fahrsysteme
weiterentwickeln können.

Des Weiteren haben wir eine Ethik-Kommission, die
unter dem Vorsitz des ehemaligen Bundesverfassungs-
richters Udo di Fabio tagt, eingesetzt, um die ethischen
Fragen zu den Grundsätzen automatisierten Fahrens zu
erörtern. Die Kommission wird noch im ersten Halb-
jahr dieses Jahres ihre Ergebnisse präsentieren. Das ist
bedeutsam und wichtig, weil es Vertrauen in die neue
Technologie des automatisierten Fahrens schaffen kann.
Wir bieten übrigens auch Leitplanken für die Hersteller
und für die Programmierer, indem wir klare Vorgaben
machen, innerhalb derer Automobile mit entsprechender
Funktionalität für den Bereich des automatisierten Fah-
rens angewandt werden können.

Jetzt kommt der nächste große Schritt. Wir machen
nun den Weg frei für die Schaffung der rechtlichen Vo-
raussetzungen für das automatisierte Fahren und schaffen
mit der heutigen Entscheidung das modernste Straßen-
verkehrsrecht der Welt. Wir stellen damit den mensch-
lichen Fahrer und den Computer als Fahrer rechtlich
gleich. Das ist ein großes Highlight. Wir sind das erste
Land der Welt, das diesen Schritt jetzt geht. Deswegen
wird intensiv beobachtet, was dieses Gesetz leistet.

Im Klartext steht im Gesetzentwurf: Der Computer
kann in Zukunft ans Steuer. Der Fahrer kann sich in die-
ser Zeit abwenden, kann im Netz surfen, kann E-Mails
checken, kann Filme streamen. Vieles ist an neuer Zeit-
gestaltung möglich. Die Haftungsfragen sind in unserem
Gesetzentwurf ebenfalls geklärt: Wenn das Fahrzeug im
automatisierten Modus gesteuert wird, dann ist klar, dass
die Haftung beim Hersteller liegt und nicht beim Men-
schen, der im Fahrzeug sitzt.

Meine Damen und Herren, das sind ganz wesentliche
Entscheidungen, die wir damit treffen. Wir sorgen auch
für die Sicherheit im Fahrzeug, indem wir vorsehen, dass
eine Blackbox die Überprüfung der Fahrfunktionen er-
möglicht, sodass man feststellen kann, wer dieses Fahr-
zeug gesteuert hat, der Computer oder ein menschlicher
Fahrer.


(Andreas Rimkus [SPD]: Das ist richtig!)


Wir wollen durch das Gesetz die Voraussetzungen
schaffen, dass automatisiertes Fahren möglich wird, das
heißt, wir wollen mehr Mobilität schaffen. Das soll nicht
nur bei denjenigen, die eine besondere Affinität zum
Auto haben, zur Freude führen, sondern wird grundle-
gend die Mobilität in unserem Land verändern: Automa-
tisierte Fahrsysteme können auch Menschen im hohen
Alter individuelle Mobilität ermöglichen. Sie verschaf-
fen mehr Zeit, weil man im Fahrzeug in der Lage ist, sich
anderen Dingen zuzuwenden. Es wird erheblich weni-
ger Unfälle geben; 90 Prozent der Unfälle werden heute
auf menschliches Fehlverhalten zurückgeführt. Es wird
durch automatisiertes Fahren natürlich deutlich weniger
Stau, weniger Parkplatzsuche und weniger Umweltbelas-
tungen geben.

Wir wollen bei dieser technologischen Revolution an
der Spitze stehen. Warum ist das so bedeutsam? Wir sind
das Autoland Nummer eins. Für uns steht in der Tat viel
auf dem Spiel, wenn man dem Grundsatz anhängt, dass
der Wohlstand von heute ohne das Auto nicht denkbar
wäre und der Wohlstand von morgen ohne das Auto nicht
möglich sein wird. Das heißt, wir wollen unsere Kern-
kompetenz natürlich auch beim digitalen Automobil er-
halten, wollen uns dieser Herausforderung stellen. Des-
halb sorgen wir dafür, dass in Zukunft Wertschöpfung
nicht nur aus der Karosserie, aus dem Motor möglich
ist und dass in Zukunft Wertschöpfung, die aus der Soft-
ware, aus den Daten, aus den Algorithmen kommt, nicht
irgendwo auf der Welt stattfindet, sondern in Deutsch-
land, in Europa. Deswegen müssen wir an der Spitze
bleiben, wenn es darum geht, das beste Auto zu entwi-
ckeln, nicht nur im Bereich des Maschinenbaus, sondern

Vizepräsident Johannes Singhammer






(A) (C)



(B) (D)


vor allem, wenn es darum geht, das Betriebssystem für
das moderne Auto zu entwickeln.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Die SPD ist auch begeistert!)


Diesen Wettbewerb müssen wir erfolgreich angehen
und müssen all denjenigen auf der Welt, die sich, sei es
in Asien oder in Amerika, mit diesen Zukunftstechnolo-
gien auseinandersetzen, auf Augenhöhe begegnen. Das
erfordert natürlich eine positive Einstellung zu neuen
Technologien, zur Digitalisierung, zum automatisierten
Fahren. Ich habe die Kritik, die es in den vergangenen
Tagen gegeben hat, natürlich sehr wohl wahrgenommen.
Lieber Herr Kühn, Sie haben Ihre Vorwürfe deutlich for-
muliert. Sie haben einerseits in der ersten Lesung zu die-
sem Gesetz gesagt, dass wir beim automatisierten Fahren
keine gesetzgeberischen Schnellschüsse brauchen. Sie
haben andererseits im September 2016, als wir hier über
das Wiener Übereinkommen beraten haben, die Bundes-
regierung aufgefordert, schnellstmöglich ein Gesetz zum
automatisierten Fahren zu erlassen. Sie müssen sich ent-
scheiden, ob Sie wollen, dass wir bei neuen Technologien
Spitzenreiter sind und wir dadurch Arbeitsplätze, Wachs-
tum und Wohlstand schaffen, oder ob Sie wollen, dass
wir zu den Skeptikern gehören, die abwarten, dass andere
etwas entwickeln, das sie uns dann verkaufen und für das
wir zahlen können. So können wir aber keine Wertschöp-
fung schaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Rede haben wir schon einmal gehört, oder?)


Beides geht nicht. Sie haben an dieser Stelle möglicher-
weise den Überblick verloren.


(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe schon fast gedacht, Sie vergessen uns! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der schlechteste Minister dieser Bundesregierung!)


So wie Sie sich wieder aufregen, befinden Sie sich in
der Tradition Ihres Kollegen Michael Cramer aus dem
Europaparlament. Er hat öffentlich gesagt: Das Auto ist
der Irrsinn des Jahrhunderts. – Sie stehen dem offensicht-
lich nahe. Ich sage: Das Gegenteil ist der Fall. Das Auto
bietet Mobilitätschancen für eine digitale Gesellschaft.
Wir wollen es deswegen mit dem automatisierten Fahren
stärken.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822813600

Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt der Kollege

Herbert Behrens.


(Beifall bei der LINKEN)



Herbert Behrens (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822813700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der

Verkehrsminister hat noch einmal deutlich gemacht, wo-
rum es hier eigentlich geht: Es geht nicht darum, eine
moderne Mobilität, eine moderne Verkehrspolitik auf
den Weg zu bringen, sondern es geht darum, ein neues
Geschäftsfeld für die Automobilindustrie in Deutschland
zu entwickeln. Das passt nun wirklich nicht zusammen.
Denn wir müssen darüber nachdenken, wie wir ein si-
cheres Verkehrssystem schaffen, und zwar für die Leute,
die hinter dem Lenkrad sitzen oder künftig sozusagen
nicht mehr hinter dem Lenkrad sitzen sollen, und für die,
die sich auf der Straße bewegen. Sicherheit ist doch das
oberste Ziel, das wir in der Verkehrspolitik anstreben
müssen. Dazu steht in diesem Gesetzentwurf überhaupt
nichts.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Im Gegenteil: Hier wird suggeriert, dass wir diesen
Schritt nur zwangsläufig machen, um die neuen Tech-
nologien, die es in den Autos gibt, in der Gesetzgebung
nachzuvollziehen. Ich habe den Eindruck, dass die Au-
tofahrerinnen und Autofahrer hier zu Versuchskaninchen
gemacht werden und Folgendes herausfinden sollen: Was
geht im Straßenverkehr mit dem Auto? Wann muss der
Autofahrer übernehmen? Wann schaltet sich die Tech-
nik aus? Dann wird festgestellt, ob es funktioniert oder
nicht funktioniert. Das ist keine vorausschauende Politik,
wie wir sie machen müssen. Wir müssen uns das Gan-
ze grundsätzlich anschauen, dann entscheiden, was wir
wollen, und dann ein Gesetz auf den Weg bringen, das
Rechtssicherheit schafft. Sie haben das Ganze von den
Füßen auf den Kopf gestellt, und das geht bei diesem
Thema überhaupt nicht.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben die scharfe Kritik des Bundesrats zwar of-
fenkundig wahrgenommen, aber nicht ernst genommen.
In der Stellungnahme des Bundesrates steht beispiels-
weise, dass die Interessen der Verbraucherinnen und
Verbraucher weitgehend unberücksichtigt bleiben. Dort
steht auch, dass klare Regelungen fehlen, die verlässliche
Bedingungen schaffen. Der Verbraucherzentrale Bundes-
verband hat festgestellt, dass es aus verbraucherschutz-
rechtlicher Sicht hoch riskant ist, was Sie bei der Haftung
geregelt haben. Es wird immer wieder darauf hingewie-
sen: Der Fahrzeughalter, der Fahrzeugführer muss doch
wissen, wofür er haftet. – Das kann nicht erst dann ge-
klärt werden, wenn ein Unfall geschehen ist. Das muss
von vornherein klar sein, und das ist es eben nicht.

Die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die
Informationsfreiheit hat deutlich darauf hingewiesen und
versucht, zu erreichen, dass die Regelungen präzisiert
werden. Wenn es denn bei diesem Gesetzentwurf bleibt,
dann sollte man doch zumindest eine Regelung einfüh-
ren, die besagt, dass der Fahrzeugführer bzw. der Fahr-
zeughalter festlegt, was gespeichert wird und was nicht,
dass Daten, die erfasst werden, nur dann genutzt werden
dürfen, wenn ein Auto in einen Unfall mit Personen-

Bundesminister Alexander Dobrindt






(A) (C)



(B) (D)


oder Sachschaden verwickelt worden ist. Erst dann ist
es doch erforderlich, festzustellen, wer das Auto zu dem
Zeitpunkt geführt hat, ob es der Computer oder der Au-
tofahrer, die Autofahrerin gewesen ist. Dieses Problem
wird zwar wahrgenommen, aber nicht ernst genommen.
Das ist angesichts dieses wichtigen Themas, das hier auf
der Tagesordnung steht, viel zu wenig. Darum ist dieses
Gesetz überhaupt nicht zukunftstauglich.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir haben versucht, die Bedenken und die Hinweise
der Datenschutzbeauftragten im Gesetzentwurf unterzu-
bringen. Darum haben wir einen Änderungsantrag vorge-
legt, in dem wir ganz klar das übernehmen, was die Da-
tenschutzbeauftragte gesagt hat. Damit präzisieren wir:
Wann ist der Halter verantwortlich? Wann ist der Fahrer
verantwortlich? Wann ist der Computer verantwortlich?
Wir haben weiterhin gesagt, dass Daten nur erhoben und
gespeichert werden dürfen, wenn es wirklich um die Auf-
klärung eines Unfalls geht – nicht darüber hinaus.

Es gibt einen Änderungsantrag der Koalitionsfraktio-
nen, der aufgenommen worden ist. Darin heißt es zwar:
„Die Speicherzeit der Daten von drei Jahren ist nicht
sinnvoll, wir reduzieren sie daher auf sechs Monate“,
aber all diese Daten werden erhoben, über ein Navigati-
onssystem abgesaugt und an anderer Stelle gespeichert,
ohne dass die Fahrerin oder der Fahrer genau weiß, was
dort über ihn und seine Fahrweise gesammelt worden ist.
Diese Art der Gesetzgebung in diesem wichtigen Feld,
auf dem es wirklich um zukunftsweisende Fragen geht,
können wir so nicht akzeptieren. Da können wir nicht
mitmachen.

Die Ethikkommission – Sie haben es gesagt – ist von
Ihnen eingesetzt worden, und sie hat ihre Arbeit aufge-
nommen. Aber an den Ergebnissen sind Sie offenbar
nicht interessiert. Im Juni erst wird diese Kommission
ihre Arbeit beenden und wird Handlungsempfehlungen
geben; das hoffe ich zumindest. Diese hätten doch ab-
gewartet werden müssen, um festzustellen: An welchen
Stellen besteht eigentlich Regelungsbedarf? Was haben
wir möglicherweise bei der Gesetzgebung nicht gesehen?

Insofern bleibt es dabei: Dieser Gesetzentwurf ist zu
diesem Zeitpunkt völlig falsch. Damit werden völlig
falsche Signale gesendet, weil die grundlegende Frage:
„Wer soll künftig auf der Straße das Sagen haben – der
Computer oder der Autofahrer?“, vorher geklärt sein
muss – nicht erst dann, wenn das Kind schon in den
Brunnen gefallen ist.


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822813800

Nächste Rednerin ist die Kollegin Kirsten Lühmann

für die SPD.


(Beifall bei der SPD)



Kirsten Lühmann (SPD):
Rede ID: ID1822813900

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe

Kolleginnen! Verehrte Anwesende! Mit der Geschichte
des Automobils ist in eindrucksvoller Weise auch die

Geschichte des technischen Fortschritts verbunden. In
den über 130 Jahren seit der Erfindung des Benz-Patent-
motorwagens hat die Menschheit eine rasante technische
Entwicklung erlebt. Viele der technischen Innovationen
im Automobilbereich sind mit dem Namen deutscher Au-
tomobilherstellender verknüpft.

Doch dieser Fortschritt ist anfangs von einigen Men-
schen noch sehr skeptisch betrachtet worden. Dazu passt
der Ausspruch eines ehemaligen deutschen Staatsober-
haupts:

Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist eine vo-
rübergehende Erscheinung.

Dieses bekannte Zitat von Kaiser Wilhelm II. ist, neben-
bei bemerkt, nicht die einzige große Fehleinschätzung
des letzten deutschen Kaisers.

Aber lassen Sie uns von der Monarchie zur Demo-
kratie und zu dem Gesetzentwurf zurückkehren, den wir
heute verabschieden wollen. Konkret befassen wir uns
mit der Einführung eines rechtlichen Rahmens für die
Verwendung von hoch- und vollautomatisierten Fahr-
funktionen. „Hoch- und vollautomatisiert“ – es geht also
nicht um das autonome Fahren.


(Andreas Rimkus [SPD]: So ist es!)


Davon sind wir auf öffentlichen Straßen noch weit ent-
fernt, und eine Prognose zur Serienreife autonomer
Fahrzeuge gebe ich hier besser nicht ab. Das eingangs
erwähnte Zitat zeigt, dass man in Bezug auf technische
Neuerungen oft auch danebenliegen kann.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Warum benötigen wir diese Gesetzesänderung? Die
Systeme erhöhen die Verkehrssicherheit maßgeblich, und
hierbei gibt es noch sehr viel zu tun, um unsere Vision
Zero, also unser Ziel, dass es keine Verkehrstoten mehr
geben soll, einzuhalten. Trotz abnehmender Tendenz
starben im vergangenen Jahr über 3 200 Menschen auf
Deutschlands Straßen. Mit hoch- und vollautomatisierten
Fahrzeugen können viele dieser Unfälle mit Todesopfern
und Schwerverletzten vermieden werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Erhöhung des Fahrkomforts ist sicherlich auch im
Sinne der Verbrauchenden. Wer freut sich nicht darüber,
wenn er zum Beispiel die komplette Fahrzeugsteuerung
auf einer monotonen Autobahnfahrt an das Auto überge-
ben kann?

Weitere Vorteile sind die bessere Auslastung beste-
hender Verkehrsinfrastrukturen und die Einsparung von
CO2-Emissionen. Auch wenn viele Kollegen es nicht
wahrhaben wollen: Die Technik fährt nun mal sicherer
und sauberer als der Mensch – auch als der Mann.


(Heiterkeit bei Abgeordneten aller Fraktionen – Zuruf von der CDU/CSU: Was? – Gustav Herzog [SPD]: Frau Kollegin, ich muss doch bitten!)


Allerdings haben wir den vom Ministerium vorgeleg-
ten Entwurf in einigen Aspekten verändert. Wir haben

Herbert Behrens






(A) (C)



(B) (D)


die berechtigte Kritik vom Bundesrat, von den Sachver-
ständigen in der Anhörung des Verkehrsausschusses und
auch von den Verbänden ernst genommen. Damit haben
wir Klarheit und Rechtssicherheit für die Verbrauchen-
den hergestellt. Denn eines muss aus Sicht der SPD klar
sein: Der Fahrende darf nicht das Versuchskaninchen für
die neue Technik sein, Rechte und Pflichten müssen klar
definiert sein. Das haben wir mit diesem Änderungsan-
trag getan.

Wir haben den Gesetzentwurf in drei wesentlichen Be-
reichen optimiert: Erstens haben wir klare und verbind-
liche Vorgaben für die Fahrzeugherstellenden gemacht.
Zweitens haben wir die Rechte von Fahrzeugführenden
deutlich klargestellt. Drittens haben wir eine Konkreti-
sierung vorgenommen, um zu einem guten Datenschutz
zu kommen.

Was heißt das? Das Fahrzeug muss den Fahrenden
technisch sofort darauf hinweisen, wenn er das System
regelwidrig benutzt. Außerdem müssen die Herstellen-
den verbindlich erklären, dass ihre Fahrzeuge den jewei-
ligen Bestimmungen entsprechen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind die ja gut drin! Das haben wir ja gelernt!)


Und: Das Fahrzeug muss dem Fahrenden die Rücküber-
nahme der Steuerung mit ausreichender Zeitreserve an-
zeigen. Ja, über die Formulierung „mit ausreichender
Zeitreserve“ haben wir lange diskutiert. Alle Sachver-
ständigen haben uns erklärt: Es ist nicht sinnvoll, eine
feste Sekundenzahl in das Gesetz zu schreiben, weil die
Frage „Ausreichend oder nicht?“ von der jeweiligen Si-
tuation und auch von der automatisierten Fahrfunktion
abhängt.

Wir haben auch im Bereich des Datenschutzes viel-
fältige Verbesserungen eingearbeitet. Zu nennen sind die
deutlich verkürzten Speicherfristen und die Reduzierung
des Umfangs der gespeicherten Daten auf das Nötigste.
Denn, liebe Kollegen und Kolleginnen, wichtig bei ei-
nem Unfall, einer Ordnungswidrigkeit oder einer Straftat
ist doch allein die Frage: Wer hat das Fahrzeug gefahren,
Mensch oder Maschine?


(Gustav Herzog [SPD]: Genau! Sehr richtig!)


Nur diese beiden Daten werden gespeichert, weil nur sie
erforderlich sind. Wir gehen nicht darüber hinaus, und
das ist gut und richtig.


(Beifall bei der SPD – Gustav Herzog [SPD]: Herr Kollege Behrens, hören Sie genau zu!)


Abschließend weise ich darauf hin, dass wir uns im
Bereich der Gesundheit und in vielen anderen Bereichen,
beispielsweise im Flugzeug oder im Operationssaal, be-
reits heute komplexer Technik anvertrauen. Wichtig ist
aber, dass diese Techniken ausgereift sind und den Vor-
gaben des Gesetzgebers entsprechen. Dafür haben wir in
Bezug auf hoch- und vollautomatisiertes Fahren mit die-
ser Gesetzesänderung gesorgt. Deutschland ist damit das
erste Land, das hierfür einen rechtlichen Rahmen schafft:
für die Fahrzeugherstellenden, für unsere Wirtschaft und

auch für die Menschen, die von dieser Technik profitie-
ren.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822814000

Als Nächster spricht der Kollege Stephan Kühn für

Bündnis 90/Die Grünen.

Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-
nen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Dobrindt, Ihre An-
griffe auf uns sind ja mittlerweile sehr erwartbar. Auch
sie scheinen schon im vollautomatisierten Modus abzu-
laufen.


(Heiterkeit des Abg. Sören Bartol [SPD])


Ich finde, Sie sollten den Modus ab und zu einmal wech-
seln; denn sonst schlafen wir ein, was man weder hier
noch am Steuer tun sollte. Wir brauchen ja auch hier eine
gewisse Grundaufmerksamkeit.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Meine Damen und Herren, dieses Gesetz verdient an-
gesichts der Tragweite, die es hat, in erster Linie Sorgfalt.
Sie von den Regierungsfraktionen haben den Gesetzent-
wurf zwar nachgebessert – in der Tat –, aber viele Fra-
gen bleiben offen, und Kernprobleme sind weiter nicht
gelöst. Die Verbraucherinnen und Verbraucher werden
Sie mit diesem Gesetz nicht vom hoch- und vollauto-
matisierten Fahren überzeugen. Der Automobilindustrie
tun Sie mit Sicherheit auch keinen Gefallen, wenn die
Hersteller dann auf ihren Produkten sitzen bleiben. Ohne
eine breite gesellschaftliche Debatte darüber, was wir
Maschinen überlassen wollen, wird Deutschland nicht
zum Leitmarkt für hochautomatisiertes oder vollautoma-
tisiertes Fahren oder später vielleicht zum Leitmarkt für
autonomes Fahren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Dobrindt, mir fehlt, ehrlich gesagt, jegliches
Verständnis dafür, dass man als Verkehrsminister zu
den ethischen Fragen des automatisierten Fahrens zwar
eine Kommission einrichtet, deren Ergebnisse man aber
nicht abwartet, sondern bereits vorher Gesetzentwürfe
beschließt. Die Ethikkommission will ihren Abschluss-
bericht im Juni dieses Jahres vorlegen. Das hätte man
abwarten müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Herbert Behrens [DIE LINKE])


So geht man doch nicht mit einem hochrangig besetzten
Gremium um. So schafft man übrigens auch keine Ak-
zeptanz für neue Technologien.

Kirsten Lühmann






(A) (C)



(B) (D)


Wenn es bei Ihrem Gesetz wirklich nicht nur um die
Interessen der Automobilhersteller geht, sondern auch
das Ziel verfolgt wird, automatisiertes Fahren für die
Verbraucherinnen und Verbraucher attraktiv zu machen,
sollten Sie von den Koalitionsfraktionen dieses Gesetz
so nicht beschließen. Es reicht nicht, nur in der Begrün-
dung zum Gesetzestext zu formulieren, was der Fahrer
bedenkenlos tun darf, während der Computer das Auto
lenkt. Gesetzesbegründungen binden die Richter nicht.
So schaffen Sie keine Rechtssicherheit für die Verbrau-
cherinnen und Verbraucher. Das muss schon ins Gesetz
selber hineingeschrieben werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Herr Dobrindt, Sie haben bei der Einbringung des Ge-
setzentwurfes und auch heute hier großspurig die Gleich-
stellung von Mensch und Computer angekündigt. Warum
gilt dann weiter: „Das Auto lenkt, der Fahrer haftet?“
Wenn die technischen Systeme das Fahrzeug führen,
dann muss die Haftung auch auf die Hersteller übertra-
gen werden.


(Kirsten Lühmann [SPD]: Richtig! Das ist so!)


Automatisiertes Fahren soll die Verkehrssicherheit er-
höhen und Schäden reduzieren. Die Haftungshöchstgren-
ze bei Unfällen wird aber von derzeit 5 Millionen Euro
auf 10 Millionen Euro angehoben. Wer zahlt das denn?
Das zahlen die Verbraucherinnen und Verbraucher, und
zwar über höhere Haftpflichtbeiträge.

Nach den Beratungen in den Ausschüssen sind wei-
tere wichtige Fragen offengeblieben. Der Gesetzentwurf
verlangt von den Fahrzeugführern, die technischen Sys-
teme jederzeit manuell übersteuern und deaktivieren
zu können. Ist die Möglichkeit der Übersteuerung und
Deaktivierung durch den Fahrer überhaupt in jedem
Fall sinnvoll? Eine Systemübernahme in kritischen
Verkehrssituationen könnte den Fahrer wohl eher über-
fordern. Was muss das Auto eigentlich tun, wenn der
Fahrzeugführer die Kontrolle doch nicht so schnell wie
erforderlich übernehmen kann? Muss der Computer den
Warnblinker anschalten und sofort rechts ranfahren und
anhalten? Regelungen, wie das Auto in kritischen Situa-
tionen in einen risikominimierten Zustand versetzt wird,
fehlen in diesem Gesetzentwurf.

Die vorgenommenen Konkretisierungen zum Daten-
schutz täuschen darüber hinweg, dass auch weiterhin viel
zu viele Daten zu lange, nämlich mindestens sechs Mo-
nate, gespeichert werden. Ich habe bisher keine Begrün-
dung gehört, warum das erforderlich sein soll.

Ein Unding ist auch, dass viele wichtige Regelungen
zur Speicherung der Daten und zum Schutz der Daten
vor Hackern und Manipulationsversuchen erst später in
einer Verordnung getroffen werden sollen. Diese Rege-
lungen brauchen wir jetzt. Auch sie sind entscheidend für
das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Eine neutrale Stelle, die bei der Datenweitergabe zwi-
schengeschaltet wird, ein sogenanntes Trust-Center, wie

vom Bundesverband der Verbraucherzentralen vorge-
schlagen, könnte den Datenschutz stärken und dafür sor-
gen, dass die Daten rechtmäßig übertragen werden. Aber
auch davon liest man im Gesetzentwurf nichts.

Immerhin enthält der Gesetzentwurf einen Passus,
nach dem mit dem Ablauf des Jahres 2019 eine wissen-
schaftliche Evaluierung vorgenommen wird. Somit be-
steht zumindest die Chance, in der nächsten Legislatur-
periode die handwerklichen Fehler in diesem Gesetz zu
beseitigen und das automatisierte Fahren dann tatsäch-
lich zum Erfolg zu führen.

Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822814100

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Steffen

Bilger.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Steffen Bilger (CDU):
Rede ID: ID1822814200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Von der reinen Quantität her ist das sicherlich ein recht
schlanker Gesetzentwurf, über den wir heute abschlie-
ßend debattieren. Auf dem Papier handelt es sich ja nur
um einige wenige Änderungen im Straßenverkehrsge-
setz. Die Tragweite dieser Änderungen, die wir heute
auf den Weg bringen werden, ist dafür umso größer. Wir
stellen Mensch und Computer beim Autofahren rechtlich
gleich. Damit wird sich auch die Zukunft des Automobils
nachhaltig verändern.

Innovationen und der technische Fortschritt im Auto-
mobilbereich sind schon lange ein wichtiger Garant für
den Wohlstand unseres Landes. Wenn wir die Automo-
bilindustrie auch in Zukunft stark halten wollen, dann
muss es uns auch immer um die Arbeitsplätze gehen,
die damit verbunden sind. In Zukunft werden diese In-
novationen wichtiger denn je. Daher stellen wir mit dem
Gesetzentwurf auch eine entscheidende Weiche für die
Zukunft unseres Automobilstandortes.

Ich glaube, wir können sagen: Auf dem Gebiet des
automatisierten Fahrens ist Deutschland bereits jetzt
Vorreiter. Diese Erfolgsgeschichte wollen wir weiter
fortsetzen. Das Autoland Deutschland muss auch beim
automatisierten Fahren weltweit an der Spitze stehen.

Die Automobilität wird schon in einigen Jahren nicht
mehr so sein, wie wir sie heute kennen. Der Computer
wird immer öfter die Fahraufgabe übernehmen. Für die
heute geborene Generation werden selbststeuernde Autos
eine Selbstverständlichkeit sein. Die Zahl der Verkehrs-
unfälle wird durch diese Technologie enorm zurückge-
hen, aber bis zum vollständigen autonomen Fahren ist
es – das wurde vorhin schon gesagt – zweifelsohne noch
ein sehr weiter Weg. Mit diesem Gesetzentwurf schaffen
wir jetzt aber frühzeitig die Grundlagen, um diesen Weg
konsequent weiterzuverfolgen.

Solch große Veränderungen werfen natürlich vie-
le Fragen auf. Die dringend erforderlichen rechtlichen

Stephan Kühn (Dresden)







(A) (C)



(B) (D)


Antworten wurden in diesem Gesetzentwurf auf breiter
Ebene diskutiert und abgestimmt. In den letzten Wochen
haben wir im Ausschuss diskutiert und uns mit unserem
Koalitionspartner intensiv ausgetauscht, um die letzten
strittigen Punkte zu klären. Ich denke, uns liegt ein wirk-
lich hervorragender Gesetzentwurf vor, der auch an den
Verbraucher- und Datenschutz hohe Ansprüche stellt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte nun nicht noch einmal auf alle Inhalte des
Gesetzentwurfes eingehen, aber schon den Kern der Re-
gelung herausstellen: Der Gesetzentwurf sieht ausdrück-
lich vor, dass sich der Fahrer vom Verkehrsgeschehen
abwenden kann, wenn das System die Kontrolle über
das Fahrzeug übernommen hat. Mit der Aktivierung von
hoch- und vollautomatisierten Fahrsystemen kann die
Zeit im Auto wirklich für viele sinnvolle Dinge genutzt
werden. Wir schaffen also zusätzliche Vorteile für den
Autofahrer.

Der Fahrzeugführer muss aber wahrnehmungsbereit
sein, sodass er jederzeit in der Lage ist, die Fahrzeug-
steuerung wieder zu übernehmen, wenn er dazu aufge-
fordert wird. Es ist wichtig, zu betonen: Hier geht es um
das hoch- und vollautomatisierte Fahren, nicht um das
autonome Fahren.


(Andreas Rimkus [SPD]: So ist es!)


Auch bei offensichtlichen Umständen, wie zum Beispiel
einem geplatzten Reifen, muss der Fahrer aktiv wer-
den. Ich denke, wir regeln damit, rechtlich vernünftig,
das schwierige Zusammenspiel zwischen menschlichem
Fahrer und Computer. Das ist so bislang weltweit ein-
malig.

Dabei trägt der Gesetzentwurf auch dafür Sorge, dass
für Fahrer und Halter keine neuen Risiken in der Haftung
entstehen können. Zur Klärung von Haftungsansprüchen
ist es zwingend erforderlich, dass aufgezeichnet wird,
ob bei Unfällen oder Schadensereignissen der Computer
oder der Mensch die Fahraufgabe innehatte. Ich glaube,
das ist im Interesse aller Beteiligten: der Fahrzeughalter,
der Fahrzeugführer, möglicher Unfallbeteiligter und na-
türlich auch der Hersteller. So schaffen wir klare Rege-
lungen in Bezug auf die Haftungsfrage.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Natürlich müssen wir mit den anfallenden Daten sehr
sensibel umgehen. Daher verbleiben die Daten, die das
Fahrzeug aufzeichnen muss, in einem Datenspeicher, ei-
ner Art Blackbox im Auto. Eine Übermittlung ist nur zu-
lässig, wenn sie für die Aufklärung von Unfällen, Scha-
densereignissen oder Verkehrsverstößen notwendig ist,
und wird auch dann auf das unbedingt notwendige Maß
beschränkt.

Hoch- und vollautomatisierte Fahrsysteme sind bis-
lang noch nicht auf dem Markt, werden aber bereits in
wenigen Jahren verfügbar sein. Wir stellen mit dem Ge-
setzentwurf sicher, dass die Industrie ihrer Verantwor-
tung nachkommen kann, ausgereifte und sichere Systeme
auf den Markt zu bringen, die auch mit denkbar schwieri-
gen Situationen im Verkehrsgeschehen zurechtkommen.

Zudem haben wir uns im parlamentarischen Verfahren
darauf verständigt, dass die Systeme erkennen müssen,
wenn diese nicht bestimmungsgemäß verwendet werden.
Nun liegt der Ball bei der Industrie. Sie muss entspre-
chende Systeme zur Marktreife bringen. Dazu erhalten
die Hersteller mit diesen Regelungen die notwendige Si-
cherheit und Verlässlichkeit.

Meine Damen und Herren, das automatisierte Fahren
ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg in eine intel-
ligente, vernetzte und nachhaltige Mobilität von morgen.
Ich bitte Sie daher um Zustimmung zu diesem Gesetzent-
wurf, mit dem wir Deutschland als Land der Innovation
weiter nach vorne bringen und Mobilität für den Einzel-
nen angenehmer, effizienter und sicherer machen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822814300

Nächster Redner ist der Kollege Andreas Rimkus für

die SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Andreas Rimkus (SPD):
Rede ID: ID1822814400

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Zuhörende auf den Rängen! Liebe auto-
nom Fahrende! Liebe automatisiert Fahrende! Das geht
ja manchmal kreuz und quer, aber dazu werde ich gleich
etwas sagen. Ich glaube, Aufklärung tut not, auch bei der
Frage der Grundaufmerksamkeit, liebe Kollegen.

Wenn wir an utopische Konzepte zur Mobilität den-
ken, sozusagen an Zukunftsvisionen, wie wir sie zum
Beispiel in Filmen, in der Forschung, aber auch in der
Kunst gezeigt bekommen, ist das autonome Fahren da-
von offenbar immer ein Bestandteil. Mal am Boden, mal
ein wenig schwebend, oftmals auch hoch in der Luft –
die Vorstellungen von einer Zukunft, in der der Verkehr
so gestaltet ist, sind vielfältig, aber scheinen oft noch
sehr abstrakt.

Mit dem vorliegenden Gesetz machen wir schon sehr
konkret deutlich, was unsere mittelfristige Vision zur
Einbindung dieser Technologien in unser Verkehrssys-
tem ist. Daher wollen wir hier ausdrücklich nicht das
autonome Fahren, sondern ganz gezielt das hoch- und
vollautomatisierte Fahren regeln – natürlich aber immer
in dem Bewusstsein, eines Tages eben nicht mehr Fah-
render, sondern tatsächlich Passagier in einem autonom
fahrenden Fahrzeug zu sein. Insofern ist diese Unter-
scheidung ganz sinnvoll und notwendig. Das geht oft-
mals durcheinander.

Ich habe gerade noch einmal nachgeschaut: Es gibt
eine Ethikkommission zum automatisierten Fahren. Die-
ser Name stimmt tatsächlich. Man muss aber sehen, dass
Di Fabio natürlich auch vom autonomen Fahren spricht.
Das ist vollkommen richtig; denn auf diesem Gebiet sind
die ethischen Fragen zu stellen. Deswegen ist es voll-

Steffen Bilger






(A) (C)



(B) (D)


kommen korrekt, wenn wir schon heute die Grundlagen
dafür schaffen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich denke, dass das mehrere Kolleginnen und Kollegen
verstanden haben, Herr Minister. Ich bin aber vielleicht
der Erste, der es ausspricht. Das ist ja in Ordnung.

Mit diesem Gesetz schaffen wir als erster Staat welt-
weit einen Rechtsrahmen, um auf der einen Seite Inno-
vationen auf unseren Straßen zu ermöglichen, auf der
anderen Seite aber Verbraucherinnen und Verbraucher zu
schützen. Insbesondere mit unserem Änderungsantrag,
den wir eingebracht haben, schlagen wir sehr deutliche
Verbesserungen vor. Diese sind notwendig, weil der Ge-
setzentwurf in seiner Ursprungsfassung aus Sicht des
Parlamentes, aber auch aus Sicht der Bürgerinnen und
Bürger sowie der Fachleute leider nicht ausreichend war.
Er war eine gute Grundlage, aber nicht ausreichend.

So haben wir beispielsweise im Bereich des Daten-
schutzes klargestellt, welche Daten wem zu welchem
Zweck zur Verfügung gestellt werden. Auch haben wir
klargestellt, wer diese übermittelt und welche Speicher-
fristen es gibt. Daten sind ja kein Spielzeug. Sie handeln
nämlich immer von uns, von realen Menschen, und da-
von, wie wir leben bzw. was wir tun oder auch nicht tun.
Dem Rechnung zu tragen, sollte Grundlage politischer
Entscheidungen sein. Diesem Grundsatz haben wir, wie
ich finde, mit unseren Änderungen zum Umgang mit den
erfassten Daten vollumfänglich entsprochen.


(Beifall bei der SPD)


So soll unter anderem die Übermittlung von Daten
explizit von der Halterin bzw. vom Halter veranlasst
werden. Nur er oder sie kann das tun. Zum Schutz von
Verbraucherinnen und Verbrauchern haben wir ebenfalls
die Beteiligung der Datenschutzbeauftragten bei der Er-
stellung kommender Verordnungen und Festlegungen im
Hinblick auf Speichermedien und Kriterien zur Datensi-
cherheit festgeschrieben.

Ebenfalls zum Schutz der Nutzenden werden Herstel-
ler nun dazu verpflichtet, Fahrsysteme zu entwickeln, die
technisch so ausgelegt sind, dass eine missbräuchliche
Verwendung – beispielsweise durch Geofencing – nicht
möglich ist oder dass das System die fahrende Person da-
rauf hinweist, dass sie die Technik nicht vorschriftsmäßig
nutzt. Ich will nämlich zukünftig keine Videos mehr im
Internet sehen, wo Fahrende auf den Rücksitz krabbeln
oder irgendeinen anderen Unfug machen. Vielmehr sol-
len sie das tun, was sie tun dürfen wie das Nutzen von
Entertainmentsystemen und Ähnlichem.

Denn solange wir noch nicht mit autonomen Fahr-
zeugen unterwegs sind, sind wir immer noch Fahrzeug-
führerinnen bzw. Fahrzeugführer. Wir müssen natürlich
im Fall der Überforderung dieser technischen Systeme
auch einschreiten können. Deshalb ist es für die fahrende
Person von herausragender Bedeutung, zu wissen, was
das Fahrzeug kann und was es nicht kann. Darum sollten
Hersteller in der Systembeschreibung darauf hinweisen,
was es mit der sogenannten „bestimmungsgemäßen Ver-
wendung“ des Fahrzeugs auf sich hat. Das sollte genau
beschrieben werden. Es muss für Nutzende möglich sein,

transparent und verständlich nachzuvollziehen, wo die
Grenzen der Technik liegen. Das war und ist uns wichtig.

Ganz besonders freue ich mich, dass wir eine deut-
lich klarere Formulierung zur Haftung gefunden haben.
Durch die Konkretisierung wird deutlich, dass sich die
Fahrerin bzw. der Fahrer abwenden darf. Die Hände
dürfen vom Lenkrad genommen werden. Der Blick darf
von der Straße abgewendet werden. E-Mails dürfen be-
antwortet werden. Und es dürfen Infotainmentsysteme
benutzt werden. Dabei muss die fahrende Person aber
grundsätzlich immer wahrnehmungsbereit bleiben. Ich
glaube, dass wir mit dieser Klarstellung ein wichtiges
Problem gut gelöst haben und hier für mehr Klarheit
sorgen konnten. Diese Klarheit wird nicht nur meinem
Kollegen Arno Klare gefallen, sondern – da bin ich si-
cher – dem gesamten Hause.

Wie ich ja bereits in meiner Rede zur ersten Lesung
gefordert habe, ist eine Ausweitung der Evaluierung auf
die gesamte Gesetzesänderung von herausragender Be-
deutung. Wir können heute auf viele Fragen noch keine
Antwort geben. Deshalb ist es wichtig, neue Technologi-
en immer wieder zu überprüfen. Von daher ist es also gut,
dass wir die Evaluation aufgenommen haben.

Den Bedenken des Bundesrates konnten wir, glau-
be ich, gut Rechnung tragen. Dabei ging es – das war
wichtig – um Anpassungen beim Datenschutz sowie um
Haftung und Verbraucherschutz. Sie sind im Änderungs-
antrag auf gute Weise berücksichtigt worden.

Wir haben im parlamentarischen Verfahren jetzt fun-
damentale Änderungen vorgenommen. Dazu haben wir
uns bewusst entschlossen. Was wir gemacht haben, ist für
die Verbraucherinnen und Verbraucher mit Blick auf den
Datenschutz von eminenter Wichtigkeit.

Der Entwurf der Bundesregierung ist damit verbessert
worden. Gerade das Parlament ist somit seiner Aufgabe,
die Nutzenden auch vor Technologien zu schützen, nach-
gekommen. Der Anspruch ist, Rahmenbedingungen zu
schaffen, die Innovationen fördern, aber auch die Men-
schen vor zu starken Eingriffen schützen und ihnen Ori-
entierung geben. Ich finde, das ist gelungen.

Ich bedanke mich von dieser Stelle aus für die kon-
struktive Zusammenarbeit mit der AG, mit den Kollegin-
nen und Kollegen der CDU/CSU, vor allen Dingen aber
auch mit denjenigen, die uns gute Ratschläge gegeben
haben. Ich glaube, es hat sich gelohnt.

Schönen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822814500

Als letzter Redner in dieser Debatte spricht der Kolle-

ge Ulrich Lange für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulrich Lange (CSU):
Rede ID: ID1822814600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

diskutieren heute weder über das Roboterauto noch über,

Andreas Rimkus






(A) (C)



(B) (D)


wie ein privater Nachrichtensender berichtet, ein Gesetz
zum autonomen Fahren; es geht vielmehr um das auto-
matisierte Fahren. Es ist schon ein paarmal angesprochen
worden, dass immer wieder Dinge durcheinandergehen
bzw. dem einen oder anderen nicht klar ist, worüber wir
reden.


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Das kann bei Gesetzen sehr gefährlich sein!)


Wir reden darüber, dass der Fahrer jederzeit wieder
eingreifen können muss. Wir reden noch nicht über die
übernächste Stufe: vom Fahrer zum Passagier.

Wir reden aber beim automatisierten Fahren über das
Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine, und
wir meinen, dass das in diesem Gesetzentwurf gut aus-
tariert ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ja, wir können es: Wir können technisch innovativ
sein. Die deutsche Industrie nimmt eine Vorreiterstellung
bei der Anmeldung von Patenten zum autonomen und au-
tomatisierten Fahren ein.

Ja, wir können auch beim Rechtsrahmen innovativ
sein. Man traut es Juristen gar nicht zu, lieber Bundesmi-
nister, dass auch ein Rechtsrahmen innovativ sein kann,
statt nur zu verhindern.

Ja, wir brauchen uns vor dem Silicon Valley und den
Techniken dort nicht zu verstecken. Wir haben keine In-
novationsskepsis, und wir warten auch nicht verzagt ab,
was in der EU oder international geregelt wird.

Nein, wir können mutig voranschreiten, lieber Bun-
desminister. Dieser Gesetzentwurf, den wir heute in
zweiter und dritter Lesung beraten, ist ein Leuchtturm.
Wir haben damit einen Meilenstein geschaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir befinden uns in einem technisch hochinnovativen
Umfeld.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es fehlt noch der Begriff „Hochlauf“!)


Deswegen werden wir, wie schon angesprochen, dieses
Gesetz auch immer wieder anpassen. Technik und Gesetz
werden in einem, wie ich meine, interessanten Wechsel-
spiel weiterentwickelt.

Insofern, lieber Kollege Kühn, ist die Generalkritik
wirklich nicht angebracht. Ich verweise nur auf § 1 der
Straßenverkehrsordnung, der übrigens für Fahrrad und
Droschke genauso gilt wie für das automatisierte Fahren:

Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständi-
ge Vorsicht und gegenseitige Rücksicht.

Genau diesem Grundsatz folgt auch dieser Gesetzent-
wurf.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie können also ganz beruhigt zustimmen.

Wir haben bei den Pflichten der Automobilhersteller
parlamentarisch nachgeschärft. Wir haben bei den Rege-
lungen zur Rücknahme nachgeschärft. Wir haben beim
Datenschutz nachgeschärft. Ich denke, wir haben nach
intensiver Diskussion insgesamt einen innovativen Ge-
setzentwurf geschaffen.

Die Änderungen erhöhen die Rechtssicherheit für den
Fahrer weiter und schaffen gleichzeitig Klarheit für die
Entwickler. Das bedeutet zusammengefasst innovative
Technik in einem innovativen Rechtsrahmen mit den
richtigen Leitplanken.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es fehlt noch der Hochlauf!)


Der heute zur Abstimmung vorliegende Gesetzentwurf
hat den ersten TÜV bestanden und ist straßentauglich.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822814700

Damit schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundes-
regierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
des Straßenverkehrsgesetzes. Der Ausschuss für Verkehr
und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/11776, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/11300
und 18/11534 in der Ausschussfassung anzunehmen.

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/11786 vor, über den wir zuerst
abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Der Änderungsantrag ist damit mit den Stimmen
von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke und von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.

Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/Die Grünen
angenommen.

Jetzt kommen wir zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte nun diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe-
ben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist damit angenommen mit den Stimmen von
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke und von Bündnis 90/Die Grünen.

Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 11 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole
Gohlke, Sigrid Hupach, Dr. Rosemarie Hein,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Ulrich Lange






(A) (C)



(B) (D)


Soziale Durchlässigkeit bei Zugang und Zu-
lassung zu Hochschulen durchsetzen

Drucksache 18/11418
Überweisungsvorschlag:

Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Widerspruch
dagegen erhebt sich keiner, sondern es herrscht allgemei-
ne Zustimmung. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner das Wort dem Kollegen Ralph Lenkert für die Frak-
tion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822814800

Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen

und Kollegen! Die Linke unterbreitet mit diesem Antrag
Vorschläge, wie Nachwuchssorgen zu lösen sein könn-
ten. Ich meine damit nicht die Geburtenzahlen. Zuerst
einige wichtige Fragen: Wie bekommt unser Nachwuchs
den gewünschten Studienplatz und einen Job, und das
möglichst ohne Vitamin B und unabhängig vom Geld-
beutel der Eltern? Wie finden Firmen geeigneten Nach-
wuchs für ausscheidende Akademikerinnen und Akade-
miker? Wieso stellen dieselben Firmen eigentlich keine
Bachelorabsolventen ein?


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt doch gar nicht!)


Wozu sind die entnervenden Warteschleifen vor dem
Studium gut? Warum gibt es zu viele taxifahrende Ger-
manistikabsolventen und zu wenige Mathelehrerinnen an
unseren Schulen? Wieso werden Ärztinnen und Ärzte in
Deutschland gesucht, und wieso dürfen trotzdem wegen
des Numerus clausus, der Studienplatzbegrenzung, viele
Abiturienten nicht Medizin studieren?


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das verstehe, wer will!)


Die Linke möchte diese Zustände verändern.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir wollen, dass Hochschulen genügend Geld erhalten,
um ausreichend Studienplätze zu schaffen, und dass
die Zahlungen des Bundes aus dem Hochschulpakt um
10 Prozent gesteigert werden.


(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Mehr Geld für alle!)


Wenn die Hochschulen dieses Geld richtig einsetzen
würden, brächte das mehr Studienqualität und weniger
Abbrüche. Größere Studienkapazitäten würden die War-
tezeiten auf den Studienplatz und dann auf Pflichtsemi-
nare oder Praktika verkürzen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ein weiterer wichtiger Schritt wäre, dass die Bun-
desagentur für Arbeit zusammen mit Hochschulen und

Studentenwerken in Abiturklassen berät und dass über
alle Fragen zum Studium – angefangen bei Organisation,
über Studienangebot und Inhalte bis zu Jobchancen nach
dem Abschluss – informiert wird. Mancher Studienab-
bruch, manche schwere Enttäuschung könnte vermieden
werden, wenn Jugendliche wüssten, was sie wollen und
was sie erwartet. Wir wollen, dass jeder, der die Studien-
befähigung hat, spätestens nach einem Wartejahr seine
gewünschte Fachrichtung studieren kann.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke hält ewige Warteschleifen für Zeitverschwen-
dung, sowohl für den Einzelnen als auch für die Gesell-
schaft.

Die Wiedereinführung einer gemeinsamen Bund-Län-
der-Behörde, die stets bundesweit Angebote zu und
Nachfragen nach Studienplätzen sowie Angaben zu Be-
werbungen veröffentlichen soll, würde die Vermittlung
der Studierenden verbessern und es allen Beteiligten
leichter machen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wichtig: Der Lebensunterhalt Studierender muss ge-
sichert sein. Niemand bezweifelt doch ernsthaft, dass ein
Student, der vier Stunden täglich an der Supermarktkas-
se sitzt, dass eine Studentin, die von 22 Uhr bis 2 Uhr
kellnert, nicht wirklich optimal studieren kann. Wer ewig
lange Fahrwege zur Uni hat oder in überfüllten WGs lebt,
hat keine Ruhe zum Lernen. Es wäre logisch und lukrativ
für das Gesamtsystem, BAföG in ausreichender Höhe zu
zahlen und in gutes studentisches Wohnen zu investieren.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In meiner ehemaligen Firma, bei Zeiss, gab es kaum
Stellenpläne für Bachelorabsolventen nach ihrer dreijäh-
rigen Ausbildung. Traditionell waren Arbeitsabläufe auf
Diplom-Ingenieure, heute Master, abgestimmt. Umstel-
lungen benötigen Zeit. Auch deshalb fordert die Linke,
dass jeder Student und jede Studentin mit Bachelorab-
schluss nahtlos ein fortführendes Masterstudium und bei
Wunsch an derselben Hochschule absolvieren kann.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Für die Vereinbarkeit von Studium und Kinder-
wunsch, für die Pflege von Angehörigen oder auch aus
persönlichen Gründen wollen wir Teilzeitstudiengänge
ausweiten. Dafür sollen die Hochschulen zusätzliche
Mittel vom Bund erhalten. Das Zusammendenken von
Familie und Studium ist für die Linke Bestandteil guter
Hochschul- und Forschungspolitik und gut für unsere Fa-
milien.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Damit wir die Familienfreundlichkeit in Deutschland
stärken, damit unser Nachwuchs – das meint die Kinder
armer und durchschnittlich verdienender Eltern ebenso
wie die Kinder reicher Eltern – optimistische Perspekti-
ven durch ein Hochschulstudium erhält, damit genügend
qualifizierter Nachwuchs für unser Bildungssystem, für

Vizepräsident Johannes Singhammer






(A) (C)



(B) (D)


Firmen, Verwaltungen und Sozialeinrichtungen bereit-
steht, dafür unterbreiten wir Linken heute diese Vorschlä-
ge. Jetzt sind Sie dran – von SPD, von Grünen und von
der Union.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822814900

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Tankred

Schipanski.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Tankred Schipanski (CDU):
Rede ID: ID1822815000

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Und täglich grüßt das Murmeltier – das ist die
passende Überschrift zu dieser Debatte. Die Fraktion Die
Linke holt hier altbekannte, vom Bundestag mehrmals
abgelehnte Anträge aus ihren Archiven,


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Macht es doch mal richtig! Dann bräuchten wir es nicht zu machen! Setzt es endlich um!)


um ihre Ideologie wieder einmal im Plenum des Parla-
ments, den Besuchern auf der Tribüne und dem Publi-
kum an den Bildschirmen zu präsentieren.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die haben es noch nicht aufgegeben, dass Sie etwas lernen! – Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Wir glauben an die Lernfähigkeit – auch bei der Union!)


Diesen Antrag, in sprachlich anderem Kleid, haben
wir in diesem Hohen Hause bereits am 14. April 2011
sowie am 25. Oktober 2012 umfangreich debattiert und
abgelehnt.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wenn wir das beim Mindestlohn nicht gemacht hätten, hätten wir ihn heute immer noch nicht! Ein bisschen mäßigen!)


Immerhin will ich Ihnen zugestehen, dass Sie den heuti-
gen Antrag ein bisschen in seiner Struktur geändert ha-
ben. Drei große Themenblöcke rufen Sie auf, erstens das
Thema Hochschulzulassung, zweitens das Thema Hoch-
schulpakt und drittens das Thema BAföG.

Ich möchte mich schwerpunktmäßig mit den Ausfüh-
rungen zur Problematik der Hochschulzulassung ausei-
nandersetzen, ausgehend, wie Sie das in Ihrem Antrag
tun, von verschiedenen Urteilen des Bundesverfassungs-
gerichts. Dieses hat einen Grundsatz geprägt, den Sie
leider wieder einmal verzerrt, eigentlich rechtsbeugend
darstellen. Das Bundesverfassungsgericht sagt ausdrück-
lich, dass ein sogenannter Numerus clausus und das mit
ihm zusammenhängende Verfahren zulässig sind. Das
Bundesverfassungsgericht sagt, dass das Auswahlver-
fahren jedem Zulassungsberechtigten eine Chance geben
muss. Es sagt gerade nicht, dass durch das Verfahren eine
Zulassung zum Studium garantiert werden muss. Schon

begrifflich schließt die Einräumung von Chancen das Ri-
siko eines Fehlschlages ein.


(Zuruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])


Gerne verweise ich auf die Ausführungen in mei-
ner Rede vom 14. April 2011 zu diesem Thema hier
im Parlament. Das Bundesverfassungsgericht hat den
Gleichheitssatz des Grundgesetzes und somit auch das
Gleichheitsverständnis in der Bundesrepublik sehr ent-
scheidend geprägt. Es geht um Chancengleichheit und
nicht um Gleichmacherei.


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Es geht um Chancengleichheit und nicht um Chancengerechtigkeit! Das ist ein Unterschied!)


Gleichmacherei ist ein Ansatz Ihrer linken Ideologie,
den Sie in diesen Debatten immer wieder propagieren.
Artikel 3 des Grundgesetzes und das Bundesverfassungs-
gericht sprechen aber von Chancengleichheit und somit
von Chancengerechtigkeit.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist ein Unterschied! Den kennen Sie offenkundig nicht!)


Artikel 3 des Grundgesetzes spricht eben nicht von einer
Ergebnisgleichheit, wie Sie das immer wieder als Fake
News darstellen und verkaufen wollen. Gleiches gilt im
Übrigen für Artikel 12 des Grundgesetzes, auf den sich
Ihr Antrag hier stützt.

Unser Bildungssystem, insbesondere das Hochschul-
system, wird dem Grundsatz der Chancengerechtigkeit
vollkommen gerecht.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was denn jetzt? Chancengleichheit oder Chancengerechtigkeit? Das ist nicht dasselbe!)


Eine mangelnde Durchlässigkeit, wie Sie in Ihrem An-
trag behaupten, gibt es nicht. Wir haben das durchlässigs-
te Bildungssystem der Welt,


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Falsch!)


und das Ganze kostenlos für junge Menschen. Unser
Motto ist: Kein Abschluss ohne Anschluss.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wie gut, dass es die Indemnität gibt!)


Das deutsche Bildungssystem ist durchlässig wie nie zu-
vor. So lautet auch das Ergebnis der jüngsten Studie des
Instituts der deutschen Wirtschaft Köln. Diese Durchläs-
sigkeit trägt Früchte. So hat sich der Bildungsstand der
Gesamtbevölkerung in den letzten Jahren deutlich ver-
bessert. Lesen Sie das bitte im nationalen Bildungsbe-
richt aus dem Jahre 2016 nach. Auch die OSZE stellt in
ihrem Bildungsbericht von 2016 im Ergebnis fest, dass
in kaum einem anderen Land Menschen egal welcher
Herkunft einen so erschwinglichen Zugang zu Bildung
haben, wie das in Deutschland der Fall ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ralph Lenkert






(A) (C)



(B) (D)


Hören Sie also auf, unser Land mit Ihrer Ideologie
schlechtzureden.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten die ideologische Brille ablegen, wenn Sie lesen!)


Die Linken behaupten weiter in ihrem Antrag, es gebe
ein Zulassungschaos an Hochschulen und der Bund müs-
se nun zwingend tätig werden und dieses Chaos auflösen.
Als Allheilmittel schlagen Sie wieder Ihren Gassenhauer,
ein Bundeshochschulzulassungsgesetz, vor. Bereits das
Wort ist ein Ungetüm, der Vorschlag aber erst recht.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das haben Sie fehlerfrei ausgesprochen!)


Es bestehen bei der Stiftung für Hochschulzulassung, die
in der Öffentlichkeit mehr unter der Internetadresse www.
hochschulstart.de bekannt ist, keine rechtlichen, sondern
technische Probleme. Diese technischen Schwierigkeiten
kann man durch ein Bundeshochschulzulassungsgesetz
gerade nicht lösen.


(Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Richtig!)


Ferner ist der Bund für Ihre Debatte hier der völlig
falsche Adressat. Die Stiftung für Hochschulzulassung
ist eine auf einem Staatsvertrag beruhende Einrichtung
der Bundesländer. Adressat Ihrer Forderung ist somit die
KMK, die mit Blick auf diese Stiftung wohl auch eine
entsprechende Taskforce eingerichtet hat.


(Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär: Sehr richtig!)


Meine Damen und Herren, die Linken wissen spätes-
tens seit der Beantwortung einer Kleinen Anfrage an die
Bundesregierung vom 9. Oktober 2015, dass es ein soge-
nanntes dialogorientiertes Serviceverfahren zur Koordi-
nierung und Zulassung von Studienbewerbern gibt.


(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Null Vorschläge!)


Dessen Software wurde mit finanzieller Förderung des
Bundes in Höhe von 15 Millionen Euro entwickelt und
den Ländern im Zusammenwirken mit der von der Hoch-
schulkonferenz getragenen Stiftung für Hochschulzulas-
sung seit April 2011 einsatzbereit zur Verfügung gestellt.

Die Weiterentwicklung der Software und die Koordi-
nierung mit den Hochschulen sowie die Verantwortung
für die gesamte Durchführung des Verfahrens liegen al-
lein in der Hand der von den Ländern und Hochschulen
getragenen Stiftung für Hochschulzulassung. Es ist somit
mehr als unredlich, dass die Linken heute hier im Plenum
wieder den Eindruck erwecken, die Fragestellung habe
irgendetwas mit dem Bund zu tun; das ist schlichtweg
falsch. Es ist Sache der Länder.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Deshalb haben wir eine Bundesbildungsministerin!)


Die Länder haben sich in Form eines Staatsvertrags
verständigt. Ich erachte es als sinnvoll, dass der Bund
diese Einigung nicht durch ein Bundesgesetz gefährdet
oder gar infrage stellt. Im Übrigen empfehle ich Ihnen

eine Pressemitteilung der Stiftung für Hochschulzulas-
sung vom 9. März dieses Jahres. Darin wird deutlich,
dass es mit dem dialogorientierten Serviceverfahren gut
vorangeht. Mehr Hochschulen beteiligen sich daran,
und die Zahl der Bewerber über dieses Verfahren ist um
20 Prozent gestiegen. Ich habe nicht den Eindruck, dass
eine öffentlich-rechtliche Stiftung Fake News verbreitet;
das tun andere.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Antrag der Lin-
ken ist wieder ein Spiegelbild dessen, was die linke Ideo-
logie verherrlicht. Es ist eine Absage an die Leistungsbe-
reitschaft der Menschen.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Klar! Aus welchem Buch haben Sie das denn?)


Forderten Sie schon früher immer populistisch „Master
für alle“ – was Sie heute ja auch wieder tun –, erweitern
Sie heute ihre Utopie und fordern ein Studium für alle.
Gemeint ist – das führen Sie auch aus –, dass es für die
Zulassung zum Studium – auch für die Zulassung zu ei-
nem Masterstudium – keine Rolle mehr spielen soll, wel-
che Leistung ein Student erbringt. Sie schreiben wörtlich:
„Zensuren spielen bei der Vergabe keine Rolle.“

Meine Damen und Herren, für die CDU/CSU-Bun-
destagsfraktion spielt der Leistungsgedanke eine tragen-
de gesellschaftliche Rolle.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir setzen darauf, dass sich Menschen anstrengen, um
etwas zu erreichen. Wir setzen auf Motivation, auf Be-
mühen, auf Ansporn.


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: So ist es!)


Wir sind der Überzeugung, dass nur demjenigen der
nächsthöhere Abschluss zustehen soll, der sich dafür
qualifiziert, und zwar qualifiziert durch Leistung, quali-
fiziert durch eine gute Note. Wir erteilen der Linkenfor-
derung nach dem Verschenken von Studienplätzen, auch
nach dem Verschenken von Masterstudienplätzen eine
ganz klare Absage. Wir setzen auf Leistung und nicht auf
Geschenke.


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Gucken Sie sich mal die Notenvergabe an, wie viele Einsen und Zweien da heute vergeben werden!)


Meine Damen und Herren, abschließend noch ein
Wort zum Hochschulpakt. Ich finde es unredlich, wie
auch bei diesem Thema von den Linken ein völlig fal-
scher Eindruck erweckt wird und die Menschen somit
vorsätzlich falsch informiert werden.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Damit kennt ihr euch ja aus!)


Wir haben nach dem Grundgesetz bei der Hochschulaus-
bildung eine klare Zuständigkeit der Länder. Freiwillig,
ohne grundgesetzliche Verpflichtung, gibt der Bund im
Rahmen des sogenannten Hochschulpakts allein in der
dritten Phase 9,9 Milliarden Euro an die Länder. Natürlich
leistet der Bund auch einen Riesenanteil zu Bildungsvor-
haben von nationaler und internationaler Bedeutung. Wie

Tankred Schipanski

http://www.hochschulstart.de
http://www.hochschulstart.de





(A) (C)



(B) (D)


Sie wissen, geben wir jetzt sogar im Bereich der Schulen
im Rahmen des Digitalpaktes 5 Milliarden Euro.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das fehlt im Haushalt völlig! Das hat Herr Schäuble noch nicht eingestellt! Die Verteidigungsausgaben steigen stattdessen! – Zuruf des Abg. Martin Rabanus [SPD])


Nochmals: Wir wollen kein Verteilen mit der Gieß-
kanne, sondern wir wollen mit den eingesetzten Bundes-
mitteln einen Mehrwert erreichen. Wir wollen Bundes-
geld an klare, überprüfbare Kriterien knüpfen, nachdem
wir bei der Übernahme der BAföG-Finanzierung ein
Debakel erleben mussten, weil manche Länder das Geld
zweckentfremdet eingesetzt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines muss wei-
terhin klar sein: Die Finanzierung der Hochschulen
und Schulen ist und bleibt Sache der Länder. Schauen
Sie dazu ins Grundgesetz! Zu gerne wird von Rot-Rot-
Grün verschwiegen, dass Steuermehreinnahmen auch
aufseiten der Länder und Kommunen erfolgen. Daher ist
es gar nicht schlimm, dass diese Zuständigkeit bei den
Ländern liegt. 281 Milliarden Euro haben die Länder laut
Steuerschätzung des BMF im vergangenen Jahr einge-
nommen. Das sind 5 Prozent mehr als im Vorjahr. Die
Steuerschätzung für die weiteren Jahre sagt eine kontinu-
ierliche jährliche Steigerung voraus. Da kann man wohl
selbstverständlich erwarten, dass die Länder das Geld
dort investieren, wo sie zuständig sind.


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: So ist es!)


Die Zahlen zeigen deutlich, dass die Länder das auch
können, wenn sie es denn wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Bei der Nachfolge des Hochschulpakts stellen wir uns
nicht quer. Wir legen Wert auf sinnvolle und zielführen-
de Ideen. Wir wollen die Qualität steigern und nicht die
Quantität.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gehört zusammen! – Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Kann man beides tun!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, zusammenfassend:
Dieser Antrag ist reiner Populismus, gepaart mit linker
Ideologie und gespickt mit linker Utopie. Wir lehnen der-
artigen Blödsinn ab.


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Mann, Mann, Mann, Sie haben es echt gut mit der Indemnität!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822815100

Als Nächster spricht der Kollege Kai Gehring für

Bündnis 90/Die Grünen.


(Dr. Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Die Ein-Mann-Fraktion! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Angesichts des Vorredners bin ich fast geneigt, schon jetzt zu klatschen! Es kann nur besser werden!)



Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822815200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im

Gegensatz zu meinem Vorredner sage ich sehr klar: Wir
haben allen Anlass, über Bildungschancen und die sozia-
le Schieflage beim Zugang zur Hochschule einmal mehr
zu debattieren. Der Mangel an Gerechtigkeit ist weiter
das Hauptproblem des deutschen Bildungssystems.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Warum Kollege Schipanski im Namen der Unions-
fraktion das deutsche Bildungskastensystem verteidigt
und so etwas wie ein Bundesparadies Deutschland auf-
malt, ist mit Fakten nicht zu erklären.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Bildungsrepublik Deutschland!)


Gerecht – sowohl chancen- als auch leistungsgerecht –
geht es in Deutschland nämlich erst dann zu, wenn Zu-
gangschancen zu Universitäten und Fachhochschulen
nicht mehr vom Geldbeutel der Eltern abhängen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das tun sie auch nicht!)


Ob IGLU, PISA, Befragungen von Studienberechtigten:
Alle Studien kommen zu dem Schluss: Die Mission „Bil-
dungsgerechtigkeit und Durchlässigkeit für alle“ ist noch
nicht erfüllt. Wir haben ein Übermaß an sozialer Auslese,
und das muss sich ändern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Von 100 Akademikerkindern studieren 77. Von
100 Kindern, deren Eltern keinen Hochschulabschluss
haben, schaffen nur 23 den Sprung an die Hochschule.
Der sogenannte Bildungstrichter ist die wohl bekannteste
Grafik aus der Sozialerhebung des Deutschen Studenten-
werks. Seine Bekanntheit wurde dem Bildungstrichter
jetzt offensichtlich zum Verhängnis. In der nächsten So-
zialerhebung soll er fehlen; das BMBF hat ihn rausgeke-
gelt. Ein Unding, meine Damen und Herren!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Anstatt den engen Zusammenhang von Chancen und
sozialer Herkunft unter den Tisch zu kehren, möchte ich,
dass Politik in Bund und Ländern dafür sorgt, dass die-
ser Zusammenhang aufgelöst wird. „Chancen für alle“
und „Jedes Talent optimal fördern“, das sind und bleiben
richtige Ziele.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


In den letzten Jahren gab es einige Rekorde bei den
Studierendenzahlen. Dennoch ist die soziale Öffnung
der Hochschulen weiter eine große Aufgabe. Zuallererst
brauchen wir dafür auch nach 2020 ausreichende Stu-
dienplätze; denn auch nach Ende des Hochschulpaktes

Tankred Schipanski






(A) (C)



(B) (D)


werden viele Studieninteressierte erwartet. Der Nachfol-
ger vom Hochschulpakt muss ausreichend Studienplätze
bringen, Lehre und Studienbedingungen verbessern und
auch die soziale Infrastruktur auf dem Campus stärken.
Das steht an.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Aus Studienanfängern sollen erfolgreiche Absolven-
ten statt Abbrecher werden, und zwar egal mit welchem
Abschluss. Der Bachelor ist nämlich nicht nur eine Fern-
sehsendung, sondern auch ein ernstzunehmender erster
akademischer Abschluss.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat die CDU noch nicht gemerkt!)


Mit ihm gibt es in der Mehrzahl der Fächer sehr gute
Einstiegsbedingungen in den Arbeitsmarkt. Darum: Wir
brauchen keinen Masterzwang, wir brauchen Masterstu-
dienplätze für alle, die ein Masterstudium wollen.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Nein! Die das können!)


Das drückt im Übrigen auch die NCs runter.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ohnehin gilt es, keine Barrikaden vor dem Campus
aufzutürmen. Mich und viele andere Studierende der
ersten Generation hätten Studiengebühren vom Studium
abgehalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])


Deshalb sagen wir als Grüne im Bundestag und im Land-
tag NRW klar Nein in Richtung FDP und CDU. Die wol-
len im größten Bundesland Studiengebühren wieder für
alle einführen.


(Zurufe von der CDU/CSU: Stimmt ja gar nicht!)


Das träfe ein Viertel aller Studierenden bundesweit. Die
Campusmaut soll in der Mottenkiste bleiben; da, wo wir
sie zu Recht hingesteckt haben.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einfach beschämend!)


Studieren öffnet Horizonte; das wissen eigentlich alle.
Dennoch ist es für Arbeiterkinder nicht selbstverständ-
lich, sich für ein Studium zu entscheiden; denn es gibt
sie immer noch, diese gewisse Ehrfurcht vor der fremden
Welt der Wissenschaft. Es gilt, eigene Schranken im Kopf
zu überwinden. Häufig helfen dabei Mutmacher. Bei mir
war es meine Grundschullehrerin, Frau Hennecke. Sie
sagte: Kai, du hast das Zeug fürs Gymnasium und zum
Studium. – Wir brauchen mehr Leute in der Republik wie

diese Frau Hennecke und mehr Unterstützung für Mut-
macherinnen und Mutmacher wie sie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Darum bin ich wirklich froh, dass Rot-Grün in Nord-
rhein-Westfalen ein Talentscouting-Programm aufgelegt
hat. Diese tolle Idee der Westfälischen Hochschule in
Gelsenkirchen hat als ganz kleines Projekt angefangen.
Weil es wirkt, wird es nun schrittweise auf ganz Nord-
rhein-Westfalen ausgeweitet. Von Arbeiterkind e.V. bis
Talentscouting – wir sagen: mehr davon, mehr Ermuti-
gung, mehr Mentoring.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Simone Raatz [SPD]: Die duale Ausbildung ist auch nicht schlecht! – Tankred Schipanski [CDU/ CSU]: Das ist ein Landtagswahlkampf!)


– Ich rede zum Antrag der Linken und zu grünen Vor-
schlägen, falls Sie das nicht gemerkt haben. Talent-
scouting ist eine tolle Idee. Das sollten Sie sich einmal
angucken; denn es gibt ja noch eine Bundesbildungsmi-
nisterin, auch wenn man das manchmal gar nicht mehr
merkt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Es ist wichtig, für ein Studium zu motivieren, und es
ist richtig, für eine Studienfinanzierung zu sorgen, die
zum Leben reicht. Das BAföG muss substanziell verbes-
sert werden. Dass das BAföG 2017 weniger wert ist als
2010, ist ein Fehler der jetzigen Koalition aus Union und
SPD, den wir Grüne schleunigst korrigieren wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Nur weil ihr laufend redet, müsst ihr nicht ständig dasselbe sagen!)


Auch das wäre ein Gewinn für Zugänge, und deshalb gibt
es Anträge von Linken und von Grünen, noch 2017 das
BAföG zu erhöhen. Das ist wichtig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in
Deutschland eine unheimlich vielfältige Wissensgesell-
schaft mit vielen kreativen Köpfen. Wenn wir künftig
noch stärker darauf setzen, alle Talente zu fördern, dann
brächte das ein Plus für die Chancen jedes Einzelnen und
für den Wohlstand in unserem Land insgesamt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das war einmal eine richtig gute Rede in der Debatte! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo er recht hat, hat er recht!)


Kai Gehring






(A) (C)



(B) (D)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822815300

Die Kollegin Dr. Daniela De Ridder spricht jetzt für

die SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1822815400

Lieber Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und

Kollegen! Sehr verehrte Gäste! Liebe Studierende! Vor
allem: Lieber Ralph Lenkert! Die Frage der sozialen Ge-
rechtigkeit liegt der Linken am Herzen. Ich verstehe das,
wenn es um das Studium geht. Unserer Fraktion geht es
genauso. Ich komme aber gleich zu den kritischen Punk-
ten.

Die Linke kritisiert das dialogorientierte Service-
verfahren, das irgendwann einmal die zentrale Studi-
enplatzvergabe ersetzt hat. Ja, wir haben eben gehört:
Umstellungen brauchen Zeit, auch die bezüglich der Stu-
dienplatzvergabe. Aber man darf zur Kenntnis nehmen,
dass hier Entwicklung stattgefunden hat. In der Tat – wir
haben es vorhin vom Kollegen Schipanski gehört – ha-
ben sich die Hochschulen deutlich stärker beteiligt, als
das noch vor einem Jahr der Fall war. Wir haben bei den
Hochschulen, die an diesem Verfahren teilnehmen, einen
Zuwachs von 15 Prozent zu verzeichnen, und auch die
Zahl der Hochschulen, die sich für die Teilnahme an die-
sem Verfahren bewerben, ist um 30 Prozent gestiegen.

Ja, es ist richtig, lieber Ralph Lenkert: Man darf ab
und zu auch einmal die Regierung fragen, wie es mit ei-
nem Zwischenbericht aussieht, zumal dann, wenn man
gehört hat, dass die Umstellung in diesem Verfahren bis
2018 laufen soll. Das ist durchaus kritisch zu würdigen.
Ich hätte mich gefreut, wenn wir heute zu Beginn der De-
batte auch noch einmal die Ministerin hätten hören kön-
nen. In der Tat: Prozesse, die Zeit brauchen, sollte man
sich noch einmal genauer anschauen.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Ministerin ist doch kaum da!)


Da geht es um Qualifizierung des Personals, das die Um-
stellung vornehmen muss. Da geht es um die Digitalisie-
rung von Prozessen, um die technische Realisierbarkeit
und nicht zuletzt um die Klagefestigkeit. Denn keinem
Studierenden ist geholfen, wenn nachher der Studien-
platz wieder kassiert werden muss. Auch diese Kriterien
müssen sichergestellt werden.

Aber, lieber Herr Schipanski, die vielen Millionen
Euro, die Sie hier für die Digitalisierungsstrategie ange-
kündigt haben, sollten am Ende auch zum Teil in dieses
Verfahren einfließen, damit diese Ankündigung keine
Luftnummer bleibt.


(Sven Volmering [CDU/CSU]: Bund und Länder verhandeln ja! Das wissen Sie doch!)


Ich habe mir dann noch einmal angeschaut, lieber
Ralph Lenkert, was der Vorschlag der Linken ist, um Ab-
hilfe zu schaffen. Ich musste es wirklich zweimal lesen

und in meinen Kalender schauen: Ihr Vorschlag ist, eine
neue Behörde zu schaffen.


(Dr. Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Da sind die ganz groß drin!)


So staatstragend habe ich die Linke selten erlebt.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Staatstragend!)


Ich schaute in den Kalender und dachte: Der 1. April ist
doch erst am Samstag. Die Idee ist also, glaube ich, nicht
die beste.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber sehr staatstragend! In Thüringen ist die Linke extrem staatstragend!)


Mich ärgert in der Tat, dass immer wieder vonseiten der
Opposition so getan wird, als würden wir nicht genug
tun, um Studienanfängerinnen oder Studierende, die ihr
Studium rechtzeitig absolvieren wollen, ausreichend zu
unterstützen. Auch das haben wir eben schon gehört:
9,9 Milliarden Euro stellen wir bis 2020 zur Verfügung.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist das?)


Wer das für wenig Geld hält, der ist strukturblind,


(Dr. Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Oder Mitglied der Linkspartei!)


und es ist mir dann egal, auf welchem Auge, ob auf dem
linken oder auf dem rechten.


(Uwe Schummer [CDU/CSU]: Oder auf beiden!)


Das ist einfach unzureichend und ungerechtfertigt in An-
betracht dieser hohen Summe.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ja, es ist richtig: Wir haben noch eine Menge vor
uns. Ich freue mich darauf und hoffe, dass ich auch im
nächsten Bundestag wieder hier sitzen darf und dass wir
dann noch einmal die Chance haben, an Artikel 91b des
Grundgesetzes weiterzuarbeiten,


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Was wollen Sie denn da noch verändern? Das ist ja eine ganz neue Botschaft! Was ist denn das?)


um das Grundgesetz in diese Richtung zu verändern und
die Studierenden im Sinne der sozialen Gerechtigkeit zu
unterstützen. Aber ein „anything goes“ wird es nicht ge-
ben, auch nicht mit absurden Ideen. Wenn es tatsächlich
um soziale Gerechtigkeit und um Studienplätze geht,
dann frage ich mich, warum in dem Ansatz, den ihr ver-
folgt, lieber Ralph Lenkert, nicht einmal die Fachhoch-
schulen Erwähnung gefunden haben.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Weil der Antrag aus dem Jahr 2011 ist!)


Denn das sind wirklich die Institutionen, die soziale Ge-
rechtigkeit für Bildungspioniere garantieren und bei de-
nen, wie gesagt, die Eintrittsschwelle niedrig ist. Das hät-






(A) (C)



(B) (D)


te doch zumindest einmal erwähnt werden dürfen. Das
hat mich wirklich geärgert.


(Beifall bei der SPD)


Wenn ich mir anschaue, was hier im Hinblick auf Teil-
zeitstudiengänge gefordert wird, dann kann man, finde
ich, nicht einfach ignorieren, was die Länder, auf die ja
immer verwiesen wird, an erheblichen Anstrengungen
unternommen haben, sogar was die Unterstützung durch
BAföG angeht. Auch das wird völlig ausgeblendet.

Einen weiteren Punkt, der ausgeblendet wird, will ich
noch einmal erwähnen, weil ich das wirklich ärgerlich
finde. Da geht es um die Beratung von Schülerinnen und
Schülern. Da sollen möglichst viele Akteurinnen und
Akteure zusammenwirken. Warum schaut ihr denn nicht
einmal hin, was an den Hochschulen bereits stattfindet?
Es gibt Abimessen, die Vertreter der Hochschulen gehen
in die Schulen hinein und stehen zum Teil sogar auf den
Marktplätzen und werben für ihre Studiengänge. Was
sollen die denn noch tun? Irgendwann ist auch das satu-
riert, was die Hochschulen an der Stelle alles leisten kön-
nen und sollen und warum geht es eigentlich nur um die
Schülerinnen und Schüler bis Sekundarstufe II? Was ist
denn eigentlich mit den beruflich Qualifizierten, die uns
doch eigentlich allen ans Herz gelegt werden? Sollen die
keine Ansprache finden? Da gibt es eine riesige Lücke.
Das hat mich wirklich gewundert. Insofern können wir
hier noch ein bisschen mehr tun.

Ich will noch einmal deutlich machen: 1,17 Milliar-
den Euro aus den BAföG-Mitteln sind verteilt worden.
Das mag unzureichend sein. Aber auch das ist nicht
nichts; das sollte man zur Kenntnis nehmen. An einem
Punkt – das will ich abschließend sagen – will ich ver-
söhnlich sein. In der Tat: Was die Abschaffung der Studi-
engebühren und Studienbeiträge angeht, sind wir, glaube
ich, einer Meinung, und das ist auch gut. Niemand, der
ernsthaft das Thema „soziale Gerechtigkeit im Studium“
bedienen will, kann an einer Campusmaut festhalten.

Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb haben wir sie in NRW abgeschafft!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822815500

Die Kollegin Katrin Albsteiger spricht jetzt für die

CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Katrin Albsteiger (CSU):
Rede ID: ID1822815600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Tatsächlich ist es so: Im An-
trag der Linken befinden sich altbekannte Forderungen,
die wir schon oft gehört und debattiert haben. Wie es oft
der Fall ist, hat sich an den Forderungen nichts geändert.
Ebenso hat sich an unserer Haltung zu diesen Forderun-
gen nichts geändert. Wir werden sie ablehnen.

Auf drei Punkte möchte ich noch einmal genauer ein-
gehen.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann sind Sie ja durch mit Ihrer Rede!)


Vieles ist schon gesagt worden.

Ich konzentriere mich erstens auf das Thema BAföG,
das sich auch in diesem Antrag findet.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu Recht!)


Tatsächlich ist es so: Um unabhängig vom sozialen Hin-
tergrund ein Studium zu ermöglichen, haben wir schon
seit mehr als vier Jahrzehnten dieses sozialpolitisch
wichtige und richtige Instrument.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


An dieser Stelle sind wir uns durch die Bank einig. Weil
es so richtig und wichtig ist, haben wir in dieser Legis-
laturperiode – man kann es nicht oft genug sagen – eine
riesige BAföG-Reform gemacht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es wurde viel Geld investiert, was den Bundeshaushalt
ganz schön belastet, aber tatsächlich – an dieser Stelle
darf ich das sagen – zu Recht belastet.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Davon merken die Studis wenig!)


Wir haben nämlich in die Studierenden investiert. Wir
haben die Bedarfssätze und die Einkommensfreibeträge
erhöht, und wir haben von Bundesseite – das wissen wir
hier im Hause alle – die komplette Finanzierung über-
nommen. Das kostet uns jährlich über 1 Milliarde Euro.
Auf der anderen Seite entlastet es die Länder jährlich um
genau diesen Betrag. Das ist ein ganz schöner Batzen
Geld, den die Länder sinnvoll investieren können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Oliver Kaczmarek [SPD])


Bei der letzten BAföG-Debatte – ich glaube, es ist
gerade erst einmal drei Sitzungswochen her – habe ich
schon gesagt: Die Ausgaben für das BAföG im Bundes-
haushalt haben sich in dieser Legislaturperiode massiv
erhöht, und zwar um zwei Drittel. Während wir 2014
noch 1,5 Milliarden Euro für das BAföG ausgegeben ha-
ben, haben wir für das Jahr 2017 schon 2,6 Milliarden
Euro eingeplant. Bei uns ist das Glas meistens halb voll,
bei der Opposition ist es im Gegensatz meistens halb leer,
deshalb sage ich: Wir haben das BAföG fast verdoppelt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das ist ganz schön viel, was der Haushalt verkraften
muss. Das muss man auch einmal sehen.

Hinzu kommt: Wir haben jetzt die alleinige Entschei-
dungshoheit darüber, ob wir die Bedarfssätze und die
Einkommensfreibeträge erhöhen. Selbstverständlich
wollen wir das auch. Aber das kann nur dann passieren,
wenn wir es auch finanzieren können. So leid es mir an
der Stelle tut – ich kann es immer nur wiederholen –: Es

Dr. Daniela De Ridder






(A) (C)



(B) (D)


ist in dieser Legislaturperiode nicht mehr möglich. Das
heißt aber selbstverständlich nicht, dass es in der nächs-
ten nicht möglich sein wird. Wir wollen auch, dass das
BAföG familienfreundlicher gestaltet wird. Auch wir
haben Pläne, aber sie müssen verantwortungsvoll gegen-
über der jüngeren Generation sein.

Mein zweiter Punkt. Im Zusammenhang mit Ihrer For-
derung nach einem einheitlichen Bundeshochschulzulas-
sungsgesetz – ein Zungenbrecher – sprechen Sie auch
den Zugang zum Medizinstudium an. Es wird kritisiert
bzw. dargestellt, dass der Numerus clausus ein Auswahl-
kriterium ist, das unter den Hochschulbewerbern stark
sozial selektiv ist. Ich stelle hier nicht infrage, dass die
Zahl stimmt. Das mag sogar sein. Ich stelle nur fest: Es
ist ja keine Begründung. Es ist nicht zwangsläufig so,
dass es der NC sein muss, der dafür zuständig oder da-
für verantwortlich ist, dass es möglicherweise tatsächlich
mehr Studierende aus bessergestellten Familien gibt, die
ein Medizinstudium aufnehmen. Das hat nicht zwangs-
läufig etwas mit dem NC zu tun, zumindest lässt es sich
nicht beweisen. Das kann vielleicht auch daran liegen,
dass sich gerade diese jungen Leute dieses Studium zu-
trauen, weil sie mehr Erfahrungen bei diesem Thema ha-
ben, weil es beispielsweise in der Familie Ärzte gibt. Je-
denfalls kann man nicht eindeutig darauf schließen, dass
es am NC liegt.

Dennoch sind wir uns wahrscheinlich einig, dass der
NC als alleiniges Auswahlkriterium auch bei der Zulas-
sung zum Medizinstudium keine Aussage darüber trifft,
ob jemand ein guter oder schlechter Arzt wird. Genau
deswegen haben wir uns in den Verhandlungen über das
Medizinstudium 2020 dafür eingesetzt, dass wir auch an-
dere Auswahlkriterien heranziehen. An dieser Stelle kann
man sich eine Menge Kriterien vorstellen. Viele werden
tatsächlich schon von der einen oder anderen Hochschule
berücksichtigt. Das ist absolut gut. Was aber gar nicht
geht, ist die Forderung aus Ihrem Antrag – wir können sie
nicht unterstützen –, die Zulassung beispielsweise zum
Medizinstudium für jeden, der will, zu gewährleisten,
und das auch noch gesetzlich garantiert und selbstver-
ständlich innerhalb von zwei Jahren. Das geht nicht.


(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: In Österreich geht’s, und zwar auch für ausländische Studenten!)


Was würde dann passieren? Man stelle es sich einfach
mal vor! Jeder von uns, der sich damit beschäftigt, weiß,
dass bei einem Medizinstudium die Zahl der Studien-
platzbewerber zur Zahl der Studienplätze im Verhältnis
5 : 1 steht. Das bedeutet konkret: Wenn man Ihrem An-
trag folgte, müssten wir die Zahl der Medizinstudienplät-
ze, um für wirklich jeden eine Zulassung zu gewährleis-
ten, verfünffachen.

Jetzt wissen wir, dass das Medizinstudium nicht das
günstigste Studium ist, und das im Übrigen zu Recht,
weil es qualitativ sehr gut ist. Es müsste dann so sein,
dass wir im ersten und zweiten Semester radikal aussie-
ben. Man stelle sich mal vor, wie es zu bewältigen wäre,
wenn fünfmal so viele Medizinstudenten an unseren
deutschen Hochschulen wären. Dann müsste man aus-
sieben, und zum Schluss hätten wir tatsächlich nur un-

zufriedene Studenten, frustrierte Eltern und im Übrigen
eine Opposition – da schließe ich uns sogar mit ein –,
die auch nicht zufrieden sein könnte. Warum nicht? Weil
wir zum Schluss Anträge von der Opposition diskutie-
ren müssten, die sich darüber beklagen würde, wie sozial
selektiv denn das Aussieben an unseren deutschen Hoch-
schulen wäre. Wir wären auch deswegen nicht zufrieden,
weil dann das Geld, das wir in diesen Bereich investieren
müssten, nicht mehr da wäre, um andere sinnvolle Instru-
mente im Bildungs- und Forschungsbereich auf den Weg
zu bringen und zu verbessern, geschweige denn für eine
ausreichende Finanzierung des BAföG.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Im Übrigen sind wir uns in einem Punkt einig – das
sage ich auch ganz deutlich –: Studienberatung und auch
Berufsberatung – darauf legen wir ganz besonderen
Wert – sind wichtig; das ist gar keine Frage. Selbstver-
ständlich wollen wir, dass unsere Schüler darüber Be-
scheid wissen, welche Wege, welche Möglichkeiten es
gibt und was vor allem dahintersteckt. Ja, auch ich wün-
sche mir Mutmacher. Aber ich wünsche mir Mutmacher,
die nicht nur jemandem zum Studium antreiben – ich
wünsche mir auch Leute, die sagen, dass es kein Fehler
ist, eine berufliche Ausbildung aufzunehmen. Es ist nicht
alles verloren, wenn man zum Schluss nicht an einer Uni-
versität oder einer Fachhochschule landet; auch in der
beruflichen Ausbildung gibt es großartige Chancen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Drittens. Sie fordern in Ihrem Antrag auch – ich zi-
tiere – „unverzüglich eine Aufstockung und Verstetigung
des bestehenden Hochschulpaktes zu verhandeln“. Sie
wissen, dass wir da tatsächlich unterschiedlicher Mei-
nung sind. Unserer Ansicht nach ist es eben nicht unsere
Aufgabe – die Aufgabe des Bundes –, uns Zuständigkei-
ten der Länder anzueignen, schon gar nicht langfristig.
Der Hochschulpakt wurde damals richtigerweise von den
Ländern und dem Bund entwickelt, um einer schwieri-
gen Situation gerecht zu werden, in der viele Hochschul-
bewerber an die Universitäten, an die Fachhochschulen
gedrängt sind sowie die doppelten Abiturjahrgänge und
gleichzeitig die Aussetzung der Wehrpflicht zu bewälti-
gen waren. Und der Schritt war richtig, er war auch not-
wendig. Wir haben als Bund zusätzliches Geld gegeben
und in dem Fall, obwohl wir nicht zuständig gewesen
sind, bewiesen, dass wir in schwierigen Zeiten Verant-
wortung übernehmen können und die Länder nicht al-
leinlassen. Aber es ist keine Entschuldigung und schon
gar keine Garantie dafür, auf Dauer die Übernahme von
so wichtigen Aufgaben der Länder durch den Bund zu
rechtfertigen.

Die Grundfinanzierung der Hochschulen ist eine Ker-
naufgabe der Bundesländer. Ja, auch wir möchten wei-
terhin helfen; aber wir setzen da weniger auf Quantität,
sondern mehr auf Qualität, und das ist auch richtig so.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Katrin Albsteiger






(A) (C)



(B) (D)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822815700

Zum Abschluss dieser Beratungen hat der Kollege

Oliver Kaczmarek für die SPD das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Oliver Kaczmarek (SPD):
Rede ID: ID1822815800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möch-

te zunächst eine Bemerkung zum Antrag machen und
da anknüpfen, wo auch Frau Albsteiger eingestiegen ist,
nämlich bei der Frage, ob der Numerus clausus wirk-
lich ein zentrales Kriterium im Hinblick auf soziale Un-
gleichheit ist. Wenn Sie schreiben, dass sich der Numerus
clausus sozial selektiv auswirkt, was sich insbesondere
am Beispiel Medizin zeige, dann stelle ich mir die Frage:
Was heißt das denn ganz konkret?


(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Versuchen Sie es doch mal!)


Heißt das, dass tatsächlich mehr Arbeiterkinder Medizin
studierten, wenn wir den Numerus clausus abschafften?
Ich halte das für eine ziemlich oberflächliche Betrach-
tung sozialer Ungleichheit, gerade vor dem Hintergrund,
dass die erste Generation von Studierenden aus Arbeiter-
familien über Leistungen zu ihren besonderen Berufen
kamen, nämlich weil sie herausragende Abiturnoten er-
worben hatten.

Wer sich mit sozialer Ungleichheit, mit mehr Chan-
cengleichheit und gleichen Zugängen zum Studium be-
schäftigt, der muss viel tiefer gehen, der darf sich doch
nicht mit solchen Oberflächlichkeiten aufhalten, der
muss sich um frühzeitige Studienorientierung kümmern,
der muss sich um eine gezielte Talentförderung – das
Talentscouting in Nordrhein-Westfalen ist gerade schon
angesprochen worden – kümmern, der muss sich um eine
Strategie gegen Verschuldungsangst kümmern, was ge-
rade für Studierende der ersten Generation ein riesiges
Thema ist, und er muss natürlich dafür sorgen, dass Stu-
diengebühren abgeschafft bleiben; das bleibt von zentra-
ler Bedeutung, weil dieses Dogma von einigen Bundes-
ländern aufgekündigt wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Insofern glaube ich: Man muss das alles genau betrach-
ten, aber der Numerus clausus ist, wenn wir über soziale
Ungleichheit reden, allenfalls ein Thema, aber nur ein
Randthema und nicht so zentral, wie das in Ihrem Antrag
aufgebaut wird.

Kommen wir zur Betrachtung des gesamten Sach-
verhalts. Ich will an die zentralen Herausforderungen
anknüpfen. Wir, Bund und Länder gemeinsam, haben
enorme Anstrengungen unternommen, um abzusichern,
dass heute so viele Menschen wie noch nie ein Studium
beginnen können. Das ist eine enorme Kraftanstrengung.
Dazu hat natürlich beigetragen, dass wir 1998, als das
BAföG am Boden lag, eine Wende eingeleitet haben, die
tatsächlich von allen nachfolgenden Bundesregierungen
übernommen worden ist, und damit erweiterte Zugänge
zum Studium geschaffen haben. Dazu hat auch beigetra-
gen, dass Bund und Länder Pakte beschlossen haben, wie
den Pakt für Forschung und Innovation, den Qualitäts-

pakt Lehre und insbesondere den Hochschulpakt. Es wa-
ren enorme ideelle, aber auch finanzielle Anstrengungen,
die zu diesem Ergebnis geführt haben.

Ich glaube, dass sich die Ergebnisse insgesamt sehen
lassen können. Unser Wissenschaftssystem hat sich deut-
lich weiterentwickelt. Die Studienkapazitäten sind an die
steigende Nachfrage angepasst worden. Das ist insbeson-
dere ein Verdienst des Hochschulpaktes.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Innovationskraft hat sich erhöht, insbesondere durch
die Möglichkeit, Profilbildung an Standorten durch-
zuführen, oder durch die strukturelle und strategische
Kooperation von Hochschulen und außeruniversitären
Forschungseinrichtungen. Außerdem ist der Forschungs-
und Wissenschaftsstandort Deutschland heute sehr viel
internationaler, als er das vor 20 Jahren noch war, und
zwar sowohl für Studierende als auch für Forscherinnen
und Forscher, und das nicht nur an wenigen Orten, son-
dern überall in Deutschland. Diese Weiterentwicklung in
den letzten 20 Jahren ist ein großes Verdienst des Hoch-
schulsystems, das sich sehen lassen kann.

Es ist richtig: Die Pakte laufen aus. Wir werden uns
spätestens in der nächsten Wahlperiode mit der Frage
beschäftigen müssen, welchen finanziellen Beitrag der
Bund zur Weiterentwicklung des Hochschulsystems leis-
ten will. Wir als SPD schlagen einen Zukunftsvertrag für
Wissenschaft und Forschung vor. Ich glaube, wir müssen
uns zwei zentralen Herausforderungen stellen.

Erstens. Ja, es ist so, die Studierendenzahlen bleiben
hoch. Die Annahme zu Beginn des Hochschulpaktes,
dass die Zahl nach einem Berg wieder abflachen würde,
hat sich nicht bestätigt und wird sich nach allen Prog-
nosen auch nicht bestätigen. Es bleibt eine Herausfor-
derung, allen Menschen, die eine Hochschulzugangsbe-
rechtigung erworben haben und studieren wollen, einen
Studienplatz zur Verfügung zu stellen. Das ist auf der
einen Seite eine Herausforderung für die Qualität der
Lehre, auf der anderen Seite aber auch für diejenigen, die
Lehre leisten müssen.

Zweitens. Es ist auch eine Herausforderung, gute Ar-
beitsbedingungen in der Wissenschaft bei gleichbleibend
hohen Studierendenzahlen zu schaffen. Deshalb ist für
mich und für uns ganz wichtig: Der Bund muss zu sei-
ner Verantwortung für ein ausreichendes Studienplat-
zangebot, für gute Lehre und für berechenbare Finanzie-
rungsperspektiven der Hochschulen stehen. Die jetzigen
Hochschulpaktmittel müssen auch weiterhin zu großen
Teilen für gute Lehre und sichere Studienplatzfinanzie-
rung in der Breite eingesetzt werden.


(Beifall bei der SPD)


Wir führen jetzt in Bezug auf die Qualität eine Ausei-
nandersetzung darüber – und es ist wichtig und gut, dass
man in Wahljahren die Alternativen gegenüberstellt –,
ob man sich auf Spitzenförderung allein bezieht, ob der
Bund weiterhin in der Verantwortung für vergleichbare
Lebensbedingungen steht und ob der Bund einen dauer-
haften und verlässlichen Beitrag zur Grundfinanzierung
der Hochschulen leistet. Unser Qualitätsverständnis ist






(A) (C)



(B) (D)


da ein etwas anderes: Verlässliche Rahmenbedingungen
in der Breite lassen sich an guter Lehre ablesen. Nur so
ist eine gute Qualität in der Lehre gewährleistet. Wir sind
der festen Überzeugung: Wer den Beitrag des Bundes
zum Hochschulpakt aufkündigen will, der schwächt die
Qualität unseres Wissenschaftssystems. Das ist die Ent-
scheidung, die bei den jetzt anstehenden Wahlen getrof-
fen werden muss.


(Beifall bei der SPD)


Eine kurze Anmerkung noch zum Thema „Zugang zu
den Hochschulen“. Ich glaube, dass wir weiterhin vor
Herausforderungen stehen werden. Herr Gehring hat es
angesprochen: Die Ungleichheit beim Zugang zu Hoch-
schulen ist nach wie vor das größte bildungspolitische
Problem. Wir werden dazu das BAföG erweitern. Die
25. Novelle war ein guter Wurf, und wir werden auch
eine 26. und eine 27. Novelle verabschieden


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zack, zack!)


und damit auf die neue Herausforderungen eingehen.
Aber es ist eben auch notwendig, auf die soziale Infra-
struktur zu achten. Hierbei geht es um Mensen, um Be-
ratung und um Betreuungsmöglichkeiten, um das Studie-
ren mit Kind zu ermöglichen. Insbesondere geht es aber
auch um einen Beitrag zum studentischen Wohnen; denn
die Wohnbedingungen an attraktiven Studienstandorten
dürfen nicht zu sozialer Auslese führen. Da müssen wir
gegensteuern.

Es geht darum, dass wir für den Ausbau der Infrastruk-
tur Geld in die Hand nehmen und die Zahl der Wohn-
heimplätze erhöhen. Wir stellen uns vor, dass der Bund
hierbei eine besondere Rolle übernimmt.

Ich komme zum Schluss. Die Wissenschaftsfi-
nanzierung des Bundes muss in den entscheidenden
2020er-Jahren, also in der nächsten Wahlperiode, in eine
verlässliche Architektur überführt werden. Wir sind der
Meinung, der Bund muss die Gesamtverantwortung für
die Grundfinanzierung übernehmen und darf sich nicht
auf eine Nischenfinanzierung zurückziehen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822815900

Damit schließe ich die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/11418 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Dagegen erhebt
sich kein Widerspruch. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a bis 12 c auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Förderung der Transparenz von Ent-
geltstrukturen

Drucksache 18/11133

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

(13. Ausschuss)


Drucksachen 18/11727, 18/11733

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (13. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia
Möhring, Sigrid Hupach, Matthias W.
Birkwald, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Gleichen Lohn für gleiche und gleichwer-
tige Arbeit für Frauen und Männer durch-
setzen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Müller-
Gemmeke, Ulle Schauws, Dr. Franziska
Brantner, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Frauen verdienen gleichen Lohn für gleiche
und gleichwertige Arbeit

Drucksachen 18/4321, 18/6550, 18/11727,
18/11733

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-

neten Beate Müller-Gemmeke, Ulle Schauws,
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Frauen gerecht entlohnen und sicher beschäf-
tigen

Drucksachen 18/847, 18/11641

Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen
drei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen vor. Über zwei dieser Änderungsanträge werden
wir später namentlich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Darüber be-
steht allgemeines Einverständnis.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin Frau Bundesministerin Manuela Schwesig das
Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Gäste! Es ist heute ein guter Tag.
Ich freue mich, dass wir den Entwurf eines Gesetzes für
mehr Lohngerechtigkeit, für gleichen Lohn für gleiche
und gleichwertige Arbeit für Frauen und Männer be-
schließen, den Entwurf des sogenannten Entgelttranspa-
renzgesetzes.

Oliver Kaczmarek






(A) (C)



(B) (D)


Wir haben lange über diesen Gesetzentwurf diskutiert:
in der Koalition, mit Frauenverbänden, mit Vertretern der
Wirtschaft, mit Tarifpartnern. Diskussion gehört in der
Politik dazu; aber man muss auch zum Abschluss kom-
men und gemeinsam handeln. Ich bin sehr froh, dass
wir gemeinsam zu einem guten Ergebnis gekommen
sind. Wir zeigen damit, dass wir den Auftrag aus Arti-
kel 3 Absatz 2 unseres Grundgesetzes ernst nehmen. Das
Grundgesetz verpflichtet uns, die Gleichberechtigung
von Frauen und Männern durchzusetzen und bestehen-
de Nachteile zu beseitigen. Meine sehr geehrten Damen
und Herren, solange es eine Lohnlücke zwischen Frauen
und Männern in Deutschland von 21 Prozent gibt, be-
steht Handlungsbedarf. Wir müssen etwas tun. Deshalb
brauchen wir dieses Gesetz.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU])


Wie jedes Jahr haben sich auch in diesem Jahr viele an
den Demonstrationen anlässlich des Equal Pay Day be-
teiligt und gegen die Lohnlücke protestiert, weil es eine
Frage der Gerechtigkeit ist, dass Frauen in Deutschland
genauso fair bezahlt werden wie Männer. Nicht mehr für
gleiche und gleichwertige Arbeit, aber eben auch nicht
weniger – darum geht es.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Maik Beermann [CDU/CSU])


In der Diskussion wurden oft solche Fragen gestellt:
Gibt es die Lohnlücke überhaupt? Sind die Frauen nicht
selbst schuld, wenn sie einen anderen Beruf haben als
die Männer, wenn sie in Teilzeit arbeiten, wenn sie nicht
gut verhandeln? Meine sehr geehrten Damen und Herren,
das ist das Typische in Deutschland. Ich meine, wenn es
seit Jahrzehnten eine feste, strukturelle Lohnlücke zum
Nachteil von Frauen gibt, die regelrecht manifestiert ist –
diese Lohnlücke von 21 Prozent führt, egal wie schön
man sie sich rechnet, im Lebensverlauf von Frauen sogar
zu einer Einkommensdifferenz von 50 Prozent –, dann
kann man nicht sagen: Es ist alles gut.

Ich möchte mich an die wenden, die es immer noch
nicht begriffen haben: Wenn es diese Lohnlücke gibt, ob-
wohl Frauen in Deutschland genauso gut ausgebildet sind
wie Männer, obwohl Frauen 80 Prozent der Arbeit für
Kinder und Pflegebedürftige in unserem Land überneh-
men, obwohl viele Frauen Berufe haben, in denen sie ei-
gentlich schon längst besser verdienen müssten, obwohl
gerade Frauen soziale Berufe ausüben, dann können wir
nicht sagen: „Die Frauen sind schuld an der Lohnlücke“,
sondern dann müssen wir das Problem ernst nehmen und
gemeinsam handeln. Wer das Bestehen dieser Lohnlü-
cke nicht akzeptiert und sie immer wieder kleinreden
will, der nimmt die Lebenswirklichkeit von Frauen nicht
ernst. Damit muss Schluss sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb haben wir in der Großen Koalition es uns in
dieser Legislaturperiode zur Aufgabe gemacht, gegen die
verschiedenen Ursachen dieser Lohnlücke vorzugehen.
Nur weil man diese Lohnlücke erklären kann, heißt das
noch lange nicht, dass die Ursachen dafür gerechtfertigt

sind. Zum Beispiel haben viele Frauen weniger Chancen,
länger arbeiten zu gehen, weil die entsprechende Infra-
struktur, zum Beispiel Kitaplätze oder Ganztagsschulen,
fehlt. Deshalb haben wir Gelder für den Kitaausbau und
die Ganztagsschulen bereitgestellt. Deswegen haben wir
das Elterngeld Plus auf den Weg gebracht. Damit wollen
wir bewirken, dass nicht immer nur die Frauen für die
Kinder da sind. Auch die Väter, die das wollen, werden
dadurch unterstützt.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU])


Wir haben das Gesetz für mehr Frauen in Führungspo-
sitionen vorangebracht, damit mehr Frauen in Toppositi-
onen kommen und dort über Arbeits- und Lohnbedingun-
gen von Frauen mitentscheiden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben viele strukturelle Gesetze auf den Weg
gebracht, die sozusagen indirekt eine Verringerung der
Lohnlücke bewirken. Aber bisher fehlt Transparenz bei
der Lohnfindung. Immer wieder bekommen Frauen den
Vorwurf zu hören: Dann müsst ihr besser verhandeln. –
Wie kann ich denn gut verhandeln, wenn ich gar keine
Vergleichsgröße habe,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


wenn die Lohnfindung in großen Teilen eine Blackbox
ist? Deshalb muss mit dem Tabu „Über Geld spricht man
nicht“ Schluss sein. Wir brauchen mehr Transparenz bei
der Lohnfindung. Frauen und Männer in Unternehmen
und im öffentlichen Dienst müssen sich sicher sein, dass
sie fair bezahlt werden. Darum geht es in diesem Gesetz.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU])


Wir schreiben den Grundsatz „Gleicher Lohn für glei-
che und gleichwertige Arbeit“ für alle fest. Wir fordern
große Unternehmen auf, sich mit den vielschichtigen Ur-
sachen der Lohnlücke auseinanderzusetzen. Das betrifft
auch den öffentlichen Dienst.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind gerade einmal 5 Prozent!)


Wir wollen, dass in Betrieben mit mehr als 200 Mitar-
beiterinnen und Mitarbeitern ein Auskunftsanspruch
eingeführt wird, damit man sich mit einer Gruppe, die
den gleichen Job macht, die gleichwertige Arbeit macht,
vergleichen kann. So kann man feststellen, ob man fair
bezahlt wird. Wenn es Unstimmigkeiten gibt, hat man
oder eben auch Frau die Möglichkeit, dies zum Beispiel
gemeinsam mit dem Betriebsrat oder mit dem Arbeitge-
ber zum Thema zu machen und notfalls auch zu klagen.
Alle Frauen, die in diesem Land erfolgreich gegen Lohn-
unterschiede geklagt haben, hatten ihre Info über diese
Lohnunterschiede oft nur durch Zufall. Damit, dass so
etwas nur durch Zufall bekannt wird, muss Schluss sein.
Frauen und Männer bekommen mit diesem Gesetz das
Recht auf mehr Transparenz. Darum geht es.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Bundesministerin Manuela Schwesig






(A) (C)



(B) (D)


Es gab viele Diskussionen und auch den typischen
Vorwurf, das sei viel zu viel Bürokratie. Dazu muss ich
ganz ehrlich sagen: Es nervt in diesem Land, dass immer
dann, wenn Rechte von Frauen durchgesetzt werden sol-
len, die Leute um die Ecke kommen und sagen, das sei
ihnen viel zu viel Bürokratie. Es wird Zeit, dass sich die
Gegner ehrlich machen und sagen: Wir wollen das ein-
fach nicht. – Lohntransparenz ist keine Bürokratie, son-
dern führt auch in den Unternehmen zu mehr Zufrieden-
heit. Das sagt Christina Boll, die Forschungsdirektorin
des Hamburgischen WeltWirtschaftsinstitutes. Sie sagte
in der Anhörung: Transparenz ist gut für die Gleichstel-
lung in unserer Arbeitswelt, und sie ist ökonomisch sinn-
voll.

Ich möchte mich ganz herzlich bei meiner Fraktion
bedanken,


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Und der CDU/ CSU-Fraktion!)


die dieses Gesetz von Anfang an zu hundert Prozent un-
terstützt hat. Ich möchte mich aber auch bei den Kollegin-
nen und Kollegen in den Reihen des Koalitionspartners
bedanken, die gesagt haben: Wir haben diesen Kompro-
miss in schweren und zähen Verhandlungen gefunden.
Diesen ziehen wir heute gemeinsam durch. – Herzlichen
Dank an die Frauen und Männer in der Unionsfraktion,
die sich dafür eingesetzt haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist wichtig, dass die Frauen in unserem Land, die
hart arbeiten, oft in Jobs, in denen es zu wenig Geld
gibt, zum Beispiel in der Pflege, dass die Frauen, die
zum Beispiel in MINT-Berufen und in der IT-Branche
arbeiten, die genauso gut sind wie Männer, aber immer
noch schlechter bezahlt werden, und dass die Frauen,
die ungewollt in Teilzeit sind, von der Politik Rücken-
deckung und die Botschaft bekommen: Wir nehmen eure
Lebenslage ernst. Wir wollen, dass ihr Frauen genauso
fair bezahlt werdet wie Männer. – Das ist eine Frage, die
nicht nur Frauen betrifft, sondern auch Männer. Denn
kein Mann kann wollen, dass seine Partnerin schlechter
bezahlt wird, nur weil sie eine Frau ist. Kein Vater kann
wollen, dass seine Tochter schlechter bezahlt wird, nur
weil sie ein Mädchen ist.

Deshalb herzlichen Dank an alle Frauen und Männer,
die gemeinsam für Gleichberechtigung kämpfen und da-
für sorgen, dass wir endlich vorankommen, um die Lohn-
lücke von 21 Prozent zu verkleinern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822816000

Vielen Dank, Manuela Schwesig. – Ihnen einen schö-

nen Nachmittag von mir. – Weiter geht es mit Sabine
Zimmermann für die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822816100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was haben
Deutschland, Estland, die Tschechische Republik und
Österreich gemeinsam? Ich sage es Ihnen: In diesen
Staaten ist der Verdienstabstand von Frauen zu Männern
besonders groß. In Deutschland verdienen Frauen – die
Ministerin hat es gesagt – 21 Prozent weniger als Män-
ner. 21 Prozent bedeuten bei einem Männerverdienst von
3 000 Euro, dass frau 630 Euro weniger hat.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)


630 Euro – das ist eine Menge Geld, und dabei reden wir
nur vom Durchschnitt. Das lässt sich auch nicht schön-
reden. Das ist aus unserer Sicht einfach nur ungerecht.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ein sehr beliebtes Argument lautet: Frauen arbeiten
vermehrt in Branchen, in denen schlecht bezahlt wird. –
Das ist einfach nur falsch. Frauen gehen doch nicht be-
vorzugt dorthin, wo Löhne am niedrigsten sind, sondern
vielmehr wird dort, wo überwiegend Frauen arbeiten,
schlechter bezahlt. Das ist die Wahrheit, und das muss
sich verändern.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Auch der internationale Vergleich zeigt deutlich,
wie sehr solche Beschönigungen danebenliegen. In der
gesamten EU beträgt der Verdienstabstand zwischen
Männern und Frauen 16 Prozent. Deutschland liegt mit
21 Prozent 5 Prozentpunkte darüber. Nur in Estland ist
der Abstand noch größer. In Luxemburg, Italien, Belgien
und Polen sind es dagegen nur 6 bis 8 Prozent.

Um 4 Euro liegt der Stundenlohn von Frauen im
Schnitt unter dem von Männern. Jede zweite sozialversi-
cherungspflichtig beschäftigte Frau arbeitet in Teilzeit –
und nicht immer freiwillig.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Richtig!)


Bei den Männern ist es nur jeder zehnte. 27 Prozent aller
Frauen arbeiten im Niedriglohnsektor. Bei den Männern
sind es halb so viele. Das zeigt deutlich: Frauen werden
in Deutschland am Arbeitsmarkt massiv benachteiligt.
Damit muss Schluss sein.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dass eine Benachteiligung der Frauen beim Entgelt
besteht, erkennt nun auch die Bundesregierung. Nur wird
Ihr Gesetzentwurf, Frau Ministerin, an den Verhältnissen
nichts ändern. Sie betreiben eine reine Alibipolitik. Denn
die Frage ist doch, was ein Auskunftsanspruch und die
Aufforderung zur Durchführung von Prüfverfahren über-
haupt bringen werden.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nichts!)


Bundesministerin Manuela Schwesig






(A) (C)



(B) (D)


– Genau. – Das nur auf Betriebe mit mehr als 200 Be-
schäftigten zu begrenzen, schließt doch aber von vornhe-
rein viele Frauen aus. Das, meine Damen und Herren, ist
doch das Ungerechte daran.

Außerdem werden viele Frauen ihren Auskunftsan-
spruch gar nicht erst nutzen; denn sie haben Angst, ihr
Arbeitsverhältnis zu gefährden. Wer es dennoch tut,
müsste den nicht einsichtigen Arbeitgeber mit einer Kla-
ge belegen. Davor schrecken natürlich die meisten Frau-
en zurück, und das ist auch verständlich. Da müssen wir
sie unterstützen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mit Ihrem Gesetzesentwurf, Frau Ministerin, unter-
stützen Sie die Frauen nicht im Kampf um gleiche Löhne
bei gleicher und gleichwertiger Arbeit, sondern Sie ver-
lagern Ihre Verantwortung als Bundesregierung allein
auf die einzelne Frau im Unternehmen. Das kann es doch
nicht sein. Das verschärft doch die Situation der Frauen
dort. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wirklich notwendig, um die Diskriminierung von
Frauen zu beenden, ist: ein Verbandsklagerecht, damit
Frauen nicht allein auf sich gestellt sind, ein Auskunfts-
recht für alle Beschäftigten in allen Betrieben und eine
Aufwertung frauentypischer Beschäftigung. Das ist not-
wendig, und das fordern wir.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber letztlich liegt das Problem doch viel tiefer. Im-
mer weniger Unternehmen sind tarifgebunden. Niedrig-
löhne, befristete und prekäre Beschäftigung und fehlende
soziale Absicherung, gerade im Falle von Erwerbslosig-
keit – übrigens sind das alles natürlich Auswirkungen der
Agenda 2010, meine Damen und Herren –, nehmen den
Beschäftigten auch den Mut und die Chance, sich gegen
ungerechte Arbeitsbedingungen zu wehren. Auch davon
sind viele Frauen bzw. überdurchschnittlich Frauen be-
troffen.

Die Linke steht für eine Politik, die den Gewerkschaf-
ten wieder Kraft gibt, berechtigte Interessen der Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer durchzusetzen, und
nicht für eine Alibipolitik, wie sie hier betrieben wird.
Eine echte Gleichstellung – das muss ich immer wieder
sagen – geht nur mit einer starken Linken.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Wohl kaum! Sie machen alles nur noch schlimmer!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822816200

Vielen Dank, Sabine Zimmermann. – Nächste Redne-

rin: Nadine Schön für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist nicht
nur eine Selbstverständlichkeit, sondern es ist auch ge-
setzlich geregelt, dass Frauen und Männer für die gleiche
Arbeit den gleichen Lohn erhalten müssen. Dass das aber
in der Realität nicht immer der Fall ist, zeigen einige Bei-
spiele, die wir aus den Medien zur Genüge kennen. Da ist
zum Beispiel die Firma Birkenstock, die ihren weiblichen
Angestellten über Jahre hinweg mehr als 1 Euro weniger
pro Stunde bezahlt hat als ihren männlichen Kollegen.
Wenn man das einmal summiert, kommt man bei einer
40-Stunden-Woche in fünf Jahren auf über 10 000 Euro
Lohnunterschied. Das kann ja wohl nicht sein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aber das hat die Firma – zur Ehrenrettung muss man das
sagen – glücklicherweise längst geändert. Das war auch
dringend notwendig.

In den Medien wird auch oft die Tischlermeisterin
Edeltraud Walla genannt, die von ihrem Arbeitgeber
monatlich 1 200 Euro weniger Bruttogehalt bekommen
hat und deshalb vor Gericht gezogen ist. Auch ich kenne
es, dass Berufseinsteigerinnen trotz der gleichen Qua-
lifikation weniger Einstiegsgehalt bekommen als ihre
männlichen Kollegen. Diese Beispiele zeigen, dass wir
Maßnahmen brauchen, um das Gebot „Gleicher Lohn für
gleiche Arbeit“ wirksamer umzusetzen. Heute beschlie-
ßen wir eine davon.

Klar ist: Auch mit diesem Gesetz werden wir nicht auf
Knopfdruck Lohngerechtigkeit herstellen.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das behauptet ja auch keiner!)


Was wir aber heute schaffen, ist die Möglichkeit für
Frauen, zu beweisen, dass es in ihrem Unternehmen eine
ungleiche und ungerechtfertigte Bezahlung gibt, und da-
gegen vorzugehen. Wenn eine Frau ahnt, dass ihre männ-
lichen Kollegen in gleicher Position und Verantwortung
mehr verdienen als sie, dann hat sie mit dem heutigen
Gesetz nun einen Auskunftsanspruch. Damit kann sie
Transparenz einfordern.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie erfährt, warum sie wie bezahlt wird, und sie kann
auch erfahren, wie viel eine vergleichbare Gruppe im
Schnitt verdient.

Verdient sie weniger und gibt es keinen sachlichen
Grund dafür, handelt es sich um Diskriminierung. Dann
kann sie bei ihrem Arbeitgeber einen gerechten Lohn ein-
fordern – wenn er diesem Anspruch nicht nachkommt,
natürlich auch vor Gericht.


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das muss sie ganz alleine tun!)


Das ist ein großer Fortschritt. Denn Lohndiskriminierung
aufgrund des Geschlechts darf es in unserem Land nicht
geben. Sie muss aufgedeckt und beseitigt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Sabine Zimmermann (Zwickau)







(A) (C)



(B) (D)


Gleichzeitig werden die Unternehmen mit diesem Ge-
setz aufgefordert, Prüfverfahren durchzuführen. Auch
dies ist eine wichtige Maßnahme. Viele von Ihnen ken-
nen ja Prüfverfahren wie Logib-D oder eg-check. Das
sind bewährte Verfahren, um die Entgeltstrukturen in den
Unternehmen zu überprüfen und Rückschlüsse darauf zu
ziehen, ob es Unterschiede zwischen den Geschlechtern
gibt.

Bei mir vor Ort macht ein Unternehmen das schon
sehr lange, und zwar die Marienhausklinik. Ich habe mir
das auch schon einmal selbst angesehen; das ist sehr zu
empfehlen.

Der positive Effekt dieser Prüfverfahren ist, dass es
im Unternehmen regelmäßig eine Diskussion darü-
ber gibt, ob denn für Frauen und Männer gute Chancen
und Möglichkeiten im Unternehmen bestehen und was
man verbessern kann. Dabei kommen automatisch auch
Fragestellungen wie Flexibilität, Kinderbetreuung, Auf-
stiegschancen, Weiterbildungsmöglichkeiten, Karriere-
möglichkeiten und vieles mehr zur Sprache. Genau das
ist es doch, was wir brauchen. Wir brauchen diese Dis-
kussionen, um die strukturellen Probleme zu lösen und
weite Teile der Lohnlücke zu schließen, nämlich die etwa
6 Prozent, die man nicht erklären kann – deshalb führen
wir jetzt den Auskunftsanspruch ein –, und die 15 Pro-
zent, die man dadurch erklären kann, dass Frauen öfter in
Teilzeit arbeiten, öfter aus dem Beruf aussteigen und auf
der Karriereleiter nicht nach oben kommen.

Wir haben gerade in dieser und auch in den vergan-
genen beiden Legislaturperioden sehr vieles gemacht –
teilweise zusammen mit Ihnen von der SPD, aber eben
auch in der Koalition, die es dazwischen gab –, damit die
Gleichberechtigung von Frauen und Männern gestärkt
wird, damit es eine bessere Vereinbarkeit von Familie
und Beruf gibt, damit es mehr Partnerschaftlichkeit gibt
und damit Frauen bessere Aufstiegschancen in den Un-
ternehmen haben. Ich erinnere nur an den Kitaausbau, an
das Thema „Frauen in Führungspositionen“ und an das
Elterngeld, das wir in dieser Legislaturperiode mit dem
Elterngeld Plus noch einmal flexibler gemacht haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben also viel getan, um die Lohnlücke – sowohl
die bereinigte als auch die unbereinigte Lohnlücke – zu
schließen, und ich sage ganz ausdrücklich: Beide Teile
der Lohnlücke sind ein Problem; denn im Alter entwi-
ckelt sich die Lohnlücke von 21 Prozent zu einer Renten-
lücke, die wesentlich größer ist. Das ist tatsächlich prob-
lematisch; denn das ist natürlich ein wichtiger Grund für
die Altersarmut von Frauen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir verabschieden
den Gesetzentwurf heute so, wie er von Frau Schwesig in
den Bundestag eingebracht wurde.


(Lachen der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Sönke Rix [SPD]: Er ist auch von Frau Merkel mit eingebracht worden!)


Das ist ja ziemlich ungewöhnlich, weil es nach dem
Struck’schen Gesetz eigentlich immer Veränderungen
gibt.

Natürlich gibt es viele Wünsche – auch in unserer
Fraktion –, das will ich gar nicht verhehlen. Auf der ei-
nen Seite sind die Wirtschaftspolitiker, die sagen: Das ist
eine Belastung für Unternehmen – das kann man ja auch
nicht bestreiten –,


(Sönke Rix [SPD]: Gerechtigkeit kann keine Belastung für Unternehmen sein!)


und das ist zu bürokratisch. Auf der anderen Seite sind
die Frauen, die sagen: Eigentlich ist uns das zu wenig;
wir hätten gerne mehr gehabt.


(Sönke Rix [SPD]: Das stimmt!)


An dieser Stelle will ich gerne sagen, dass auch das
Wahlprogramm der Unionsfraktion das Thema „Gleicher
Lohn für gleiche Arbeit“ enthält und dass das Thema
Lohngerechtigkeit auch uns ein Herzensanliegen ist.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach!)


Deshalb wurden gerade von der Unionsfraktion diese
und viele weitere Maßnahmen immer vorangetrieben
und haben wir sehr dafür gekämpft.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben uns mit dem Koalitionspartner dazu ent-
schlossen, den Gesetzentwurf jetzt so zu verabschieden,
wie er von Frau Schwesig eingebracht wurde.


(Sönke Rix [SPD]: Und von Frau Merkel!)


Im Vorlauf gab es einen mühsam ausgehandelten Kom-
promiss zwischen dem Ministerium und den Sozialpart-
nern. Das war vielleicht ein ungewöhnliches Verfahren,
aber es trägt dazu bei, dass es einen Mittelweg zwischen
den Anliegen der Sozialpartner – ich sage ausdrücklich:
sowohl der Arbeitgeberverbände als auch der Gewerk-
schaften – gibt.

Deshalb bin ich froh, dass wir mit dem heutigen Ge-
setzentwurf einen deutlichen Schritt nach vorne hin zu
mehr Lohngerechtigkeit zwischen Männern und Frauen
machen. Wir werden die Lohnlücke mit diesem Gesetz
nicht beseitigen, aber wir geben den Frauen damit Werk-
zeuge an die Hand, mit denen sie dagegen vorgehen kön-
nen.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben nicht! Das tun Sie nicht!)


Herzlichen Dank an alle, die uns in den letzten Wo-
chen auf diesem Weg begleitet haben und diesen Gesetz-
entwurf heute mit uns verabschieden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird alles schöngeredet!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822816300

Vielen Dank, Nadine Schön. – Nächste Rednerin: Ulle

Schauws für Bündnis 90/Die Grünen.

Nadine Schön (St. Wendel)







(A) (C)



(B) (D)



Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822816400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Liebe Kollegin Schön, Sie haben gerade gesagt,
dass Sie die Lohnlücke mit diesem Gesetz nicht beseiti-
gen werden. Das stimmt.

Die Große Koalition will heute ein Gesetz beschlie-
ßen lassen, das eigentlich für mehr Lohngerechtigkeit für
Frauen sorgen sollte. Es sollte eigentlich den ungerech-
ten Gender Pay Gap von 21 Prozent in unserem Land
effizient angehen, und die Frauen sollten von Ihnen ei-
gentlich ein wirksames Gesetz erwarten können.

Mit dem Gesetz, mit dem Sie hier heute antreten –
auch Sie, Frau Ministerin –, verfehlen Sie alle Ziele, die
Sie zu Beginn angekündigt haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE])


Dieses Gesetz schafft keine Entgeltgleichheit. Es sorgt
noch nicht einmal für eine wirkungsvolle Transparenz.
Nein, Sie versuchen hier, ein Gesetz schönzureden, das
wie eine bunt schillernde Seifenblase ist. Wenn man ein-
mal dranstupst, dann zerplatzt sie und dann zeigt sich,
was dahintersteckt, nämlich leider eine Luftnummer.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schade!)


Ich will Ihnen auch genau sagen, warum wir Grüne
das so kritisieren: Realistisch ist, dass die allermeisten
Frauen mit diesem Gesetz in Bezug auf das Auskunfts-
recht schlicht nicht erreicht werden. Es wird eben für Be-
triebe ab 200 Beschäftigte gelten, und die meisten Frauen
arbeiten in kleinen oder mittleren Betrieben. Für sie wird
dieses Gesetz einfach nicht gelten. Wenn 60 Prozent der
Frauen nicht erreicht werden, dann ist dieses Gesetz, mit
Verlaub, nicht wirkungsvoll. Im Gegenteil: Es ist ein fa-
tales Signal für die Frauen in diesem Land.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE])


Wenn Ihr Kanzlerkandidat Schulz, liebe SPD-Frakti-
on, am Wochenende, kurz vor der Verabschiedung des
vorliegenden Gesetzes, erklärt, er wolle „die Abschaf-
fung einer der größten Ungerechtigkeiten“, nämlich die,
dass Frauen für gleiche Arbeit weniger als Männer ver-
dienen, nach der Wahl sofort angehen, dann muss man
einmal ernsthaft fragen: Was gilt denn nun? Haben Sie
von der SPD bei diesem Gesetz die Federführung, oder
haben Sie sie nicht? Es gehört eine Menge Chuzpe dazu,
auf der einen Seite von der Abschaffung einer der größ-
ten Ungerechtigkeiten zu sprechen und auf der anderen
Seite so ein mickriges Gesetz vorzulegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Nein, meine Damen und Herren, ich sage ganz klar:
Das passt nicht zusammen. Das zeigt: Sie meinen es mit
der Lohngerechtigkeit nicht wirklich ernst. Das lassen
wir Ihnen nicht durchgehen. Entgeltgleichheit muss für
alle Frauen gelten. Deshalb hat meine Fraktion einen Än-
derungsantrag vorgelegt, der einen Auskunftsanspruch

für Frauen in Unternehmen ab zehn Beschäftigten vor-
sieht. Nur so werden Frauen wirklich erreicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungs-
fraktionen, Ihre Annahme, dass dieses Gesetz wenigs-
tens ein erster Schritt hin zu mehr Entgeltgleichheit sei,
stimmt einfach nicht. Sie haben das Gesetz in den letzten
Monaten Ihrer Verhandlungen in den wesentlichen Punk-
ten völlig entkernt. Im ersten Referentenentwurf vom
Dezember 2015 war noch die Verpflichtung zur betrieb-
lichen Prüfung drin. Es war auch noch drin: die Anwen-
dung zertifizierter Prüfverfahren. Diese Kernbestandteile
zur Beseitigung von Entgeltdiskriminierung haben die
Union und die Wirtschaft rausgekickt.

Übrig geblieben ist nur noch die Aufforderung zur
Durchführung von Prüfverfahren.

Der individuelle Auskunftsanspruch ist in der nun
vorgesehenen Ausgestaltung nichts wert.

So hat es der djb in der öffentlichen Anhörung auf den
Punkt gebracht. Ich sage vor allem in Richtung Union:
Das Gesetz ist so mickrig, dass es peinlich ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Meine Damen und Herren, noch einmal: Was Sie hier
machen, ist, dass Sie den Frauen etwas vorgaukeln.


(Zurufe von der SPD: Oh!)


Sie reden über vermeintlich wirksame Instrumente zur
Erlangung von Lohngleichheit, obwohl Sie nichts vor-
zuweisen haben. Deshalb haben wir Grünen einen weite-
ren Änderungsantrag zur Prüfpflicht und zu zertifizierten
Verfahren heute eingebracht. Gerade Sie, Frau Ministe-
rin, wissen doch von dem Quotengesetz, das Sie eben
erwähnt haben, dass unverbindliche Vorgaben bei der
Wirtschaft zu nichts führen. Erst kürzlich haben Sie eine
Verschärfung für die nächste Wahlperiode angedroht.
Seien Sie doch wenigstens hierbei ehrlich! Oder besser
noch: Stimmen Sie unseren Anträgen zu!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE])


Meine Damen und Herren, was nutzt es letztlich Frau-
en, wenn sie wissen, dass sie für die gleiche oder gleich-
wertige Arbeit weniger Lohn bekommen, ihnen aber
wirksame Instrumente zur Durchsetzung von Lohnge-
rechtigkeit fehlen? Da bieten Sie nichts. Da ist Ihr Gesetz
blank.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Wir fordern daher in einem dritten Änderungsantrag
die Einführung des so wichtigen Verbandsklagerechts.
Diese Einschätzung haben die Sachverständigen in der
Anhörung, insbesondere der Deutsche Juristinnenbund,
der DGB und der Katholische Deutsche Frauenbund, voll
geteilt; denn nur so gibt es eine wirkliche Chance, vor al-
lem gegen strukturelle Entgeltdiskriminierung vorzuge-






(A) (C)



(B) (D)


hen. Frauen sind dann nicht alleine auf den risikoreichen
individuellen Klageweg angewiesen. Ich sage ganz klar:
Es muss um die Stärkung von Frauen gehen. Da können
wir von Ihnen mehr erwarten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE])


Ich komme zum Schluss. Meine Damen und Herren,
dieses Gesetz ist kein Grund zum Feiern, vor allem nicht
für die vielen Frauen, die jahrelang für die Beseitigung
dieser ungerechten Lohnlücke gekämpft haben. Ich ap-
pelliere an Sie alle: Hören Sie auf, Frauen etwas vor-
zugaukeln! Hören Sie auf, Seifenblasen zu produzieren!
Stimmen Sie unseren Änderungsanträgen zu! Lassen Sie
uns gemeinsam Nägel mit Köpfen machen – für echte
Entgeltgleichheit und Fairness für alle Frauen.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822816500

Vielen Dank, Ulle Schauws. – Die nächste Rednerin:

Dr. Carola Reimann für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Carola Reimann (SPD):
Rede ID: ID1822816600

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Wir beschließen jetzt ein wichtiges Gesetz. Mit
dem Gesetz zur Förderung der Transparenz von Entgelt-
strukturen werden wir dazu beitragen, das Gebot „Glei-
cher Lohn für gleiche bzw. gleichwertige Arbeit“ endlich
auch in der Praxis umzusetzen. Wir knüpfen damit an
eine ganze Reihe von Maßnahmen an, die wir in dieser
Legislaturperiode auf den Weg gebracht haben, Maß-
nahmen, mit denen wir der Diskriminierung von Frauen
am Arbeitsmarkt den Kampf angesagt haben. Dazu zählt
der Mindestlohn, von dem vor allem Frauen profitieren.
Auch zählt die Frauenquote dazu, die dafür sorgt, dass
Frauen besser in Führungspositionen aufsteigen können.
Und dazu gehören auch Maßnahmen, die eine bessere
Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen, wie
Elterngeld Plus und Kitaausbau.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ja, die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern hat
verschiedene Gründe. Deshalb setzen wir auch an ganz
verschiedenen Stellen an. Das Ziel ist aber immer das
gleiche: gleicher Job – gleiche Leistung – gleiches Geld,
für Frauen und Männer. Das muss in Deutschland end-
lich eine Selbstverständlichkeit sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mit dem Gesetz machen wir, Kolleginnen und Kolle-
gen, einen nächsten wichtigen Schritt. Wir gehen näm-
lich ein lange bestehendes gesellschaftliches Tabu an:
Über Geld spricht man nicht. Wer kennt nicht diese sehr
typisch deutsche Redewendung? Sie wird nicht nur häu-

fig verwendet, nein, fast alle halten sich auch daran. Sie
reden nicht über ihr Erspartes, sie reden nicht über den
Preis des letzten Urlaubs, und schon gar nicht reden sie
über das eigene Gehalt. Vielen ist das gar nicht bewusst.
Aber dieses Tabu bzw. diese Verschwiegenheit hat gra-
vierende Folgen, vor allem für Frauen.

Viele Frauen wissen gar nicht, dass sie schlechter be-
zahlt werden. Genau hier setzt die Stärke des Gesetzes
an. Es setzt nämlich auf Transparenz. Mit dem individu-
ellen Auskunftsanspruch, mit der Berichtspflicht und mit
der Aufforderung zu Prüfverfahren leistet es einen Bei-
trag, um Lohnstrukturen und Lohnfindung transparent zu
machen.


(Beifall bei der SPD – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das reicht aber nicht!)


Faire Bezahlung von Frauen und Männern beginnt mit
Transparenz. Und dafür steht dieses Gesetz.

Kolleginnen und Kollegen, gleicher Lohn für gleiche
Arbeit, das ist eine Frage der Gerechtigkeit – aber nicht
nur. Es ist auch ein Gebot der wirtschaftlichen Vernunft.
Wir haben diese Diskussion – auch bei der Quote – ja
schon oft geführt. Chancengleichheit, Offenheit und
Transparenz sind keine Hindernisse für wirtschaftlichen
Erfolg, sondern Grundvoraussetzungen dafür. Ich bin
fest davon überzeugt: Den Wettbewerb um die besten
Fachkräfte wird nur der gewinnen, der eine offene und
wertschätzende Unternehmenskultur hat.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es wird höchste Zeit, dass sich Gleichberechtigung
endlich auch auf dem Lohnzettel widerspiegelt.


(Beifall bei der SPD)


Seit zehn Jahren weist der Equal Pay Day auf die beste-
hende Lohnlücke hin. Ich will, dass dieser Tag nicht im
März und nicht im Februar, sondern gleich am 1. Januar
zu feiern ist.


(Beifall bei der SPD – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Gesetz wird das aber nicht ändern!)


Dann haben wir unser Ziel erreicht, ein Ziel, für das sich
ganz viele Frauen seit vielen Jahren einsetzen. Denen ge-
bührt mein besonderer Dank; denn ohne sie wären wir
nicht da, wo wir heute stehen.


(Beifall der Abg. Petra Crone [SPD])


– Genau.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Großer Dank an all diejenigen, die da mitgeholfen haben.

Ich will, dass die ungleiche Bezahlung von Frauen und
Männern möglichst bald der Vergangenheit angehört.
Deshalb ist dieses Thema für die SPD-Bundestagsfrakti-
on noch lange nicht abgeschlossen. Wir wollen durchaus
noch eine Schippe drauflegen – beim Auskunftsrecht, bei

Ulle Schauws






(A) (C)



(B) (D)


der Berichtspflicht und auch bei den verpflichtenden und
zertifizierten Prüfverfahren.

Zu Beginn habe ich darauf hingewiesen, dass wir zur
Bekämpfung der Lohnlücke an verschiedenen Stellen
ansetzen müssen. Gestern Abend hatten CDU und CSU
die Möglichkeit, einer weiteren wichtigen Verbesserung
für Frauen am Arbeitsmarkt zuzustimmen – nämlich dem
Rückkehrrecht von Teilzeitarbeit in die vorherige Ar-
beitszeit.


(Beifall bei der SPD)


Diese wichtige Verbesserung für Frauen haben Sie ges-
tern im Koalitionsausschuss verhindert. Ich bedaure das
sehr – genauso wie die vielen Frauen, die in diesem Land
in der Teilzeitfalle feststecken. Denn auch das Rückkehr-
recht in Vollzeit ist ein zentrales Element zur Bekämp-
fung der Lohnlücke.


(Beifall bei der SPD)


Ich kann Ihnen versichern: Wir bleiben an diesem
Thema dran. Wir wissen: Die Lohnlücke verschwindet
nicht von allein und auch nicht durch gute Reden. Sie
können sicher sein, dass wir, die SPD-Bundestagsfrakti-
on, uns in Zukunft weiter aktiv dafür einsetzen werden.

Danke.


(Beifall bei der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822816700

Vielen Dank, Carola Reimann. – Bevor ich die nächste

Rednerin aufrufe, möchte ich die Kolleginnen und Kolle-
gen darüber informieren, dass wir gerade mitten in einer
Debatte sind und dass es vielleicht sinnvoll ist, bei ei-
ner Debatte zuzuhören, zumal Herr Lehrieder auch noch
kommt. Es würde echt Ärger geben, wenn Sie dann dau-
ernd dazwischenquatschen würden. – Aber zuerst kommt
Ursula Groden-Kranich für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ursula Groden-Kranich (CDU):
Rede ID: ID1822816800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Gäste! Liebe Frauen! Das Gesetz zur Förderung
der Transparenz von Entgeltstrukturen wurde heftig kri-
tisiert und war auch sicher keine leichte Geburt. Aber das
hat schon so manche Mutter erlebt, und das Kind hat sich
dann prächtig entwickelt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh Gott!)


Erlauben Sie mir daher eine Bemerkung vorab: Wenn
wir lange und intensiv über ein Vorhaben diskutieren und
wenn verschiedene Gruppen mit Herzblut ihre Interessen
vertreten und am Ende einen Kompromiss finden, dann
ist das für mich kein Zeichen von Schwäche oder politi-
scher Inkompetenz,


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht doch nicht um Sie; es geht um die Frauen!)


sondern genau das Gegenteil: ein Beispiel dafür, wie
Politik ganz praktisch funktioniert, zumindest in einer

intakten Demokratie. Dort, wo Gesetze per Dekret von
oben erlassen werden, dient das in aller Regel nicht den
Frauen und schon gar nicht dem Ziel der Gleichstellung.

Ich habe es hier schon mehrfach gesagt, und ich wie-
derhole es gerne immer wieder: Die Lohnlücke zwischen
Frauen und Männern schließen wir nicht mal eben mit ei-
nem Gesetz und überhaupt mit keinem Einzelgesetz. Das
sehen wir am Beispiel von Skandinavien mehr als deut-
lich: Weder Transparenz noch irgendeine politische Maß-
nahme alleine führen zum Ziel. Die unbequeme Wahrheit
lautet: Die Lohnlücke schließen wir mittelfristig nur mit
einer gesamtgesellschaftlichen Anstrengung.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir müssen junge Frauen von Anfang an stärken und
sie viel früher in Sachen Beruf und Finanzen informie-
ren, und wir müssen bei allen Maßnahmen immer auch
den Arbeitsmarkt im Blick haben. Denn in Zeiten von
hybriden Arbeitsverhältnissen und gebrochenen Er-
werbsbiografien gehen manche Regelungen, die wir hier
beschließen, an den eigentlichen Bedürfnissen der Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer vorbei, oder sie sind
schon wieder überholt, bevor sie in Kraft treten.

Auch wenn dieses Gesetz also nicht die Lösung der
Entgeltfrage bringen wird,


(Dagmar Ziegler [SPD]: Ja, weil es so lange dauert!)


hat es bereits jetzt einen gar nicht unwichtigen Zweck er-
füllt: Wir reden über Gehälter und Transparenz, und zwar
öffentlich und auf allen Ebenen.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das machen Sie schon seit 20 Jahren!)


Ich erwarte davon durchaus eine gewisse Signalwirkung,
ähnlich wie bei der Quote, die ja zunächst auch belächelt
wurde, und jetzt stellen wir fest, dass sie dort, wo es sie
gibt, wirkt und dass trotzdem und völlig überraschend
die Welt nicht untergegangen ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wenn wir über dieses Gesetz reden und wenn wir
durch dieses Gesetz über Gehälter reden, müssen wir
aber auch so ehrlich sein, ein paar unangenehme Fragen
zu stellen: an die Wirtschaft, an die Politik und vor allem
an uns selber. Denn natürlich könnten unterschiedliche
Gehälter innerhalb einer Entgeltgruppe ein Zeichen von
Diskriminierung sein.

Viel spannender ist aber doch die Frage, warum je-
mand wo eingruppiert wird und wie ich aus einer Ent-
geltgruppe in die nächste aufsteige. Damit sind nämlich
oft die Bedingungen vorgegeben, die im Laufe des Be-
rufslebens weiter verstärkt werden.

Noch schwieriger wird die Bewertung über Berufe
und Branchen hinweg. Auch hier müssen wir endlich so
ehrlich sein, den Finger in die Wunde zu legen:


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen Sie ja gar nicht!)


Dr. Carola Reimann






(A) (C)



(B) (D)


Die typischen Frauenberufe werden nicht nur von Ar-
beitgebern oder von den Sozialpartnern unterbewertet,
sondern von allen, die diese Dienstleistungen gerne in
Anspruch nehmen, aber nicht wirklich bereit sind, dafür
auch anständig zu zahlen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen doch gar nichts dagegen!)


Auch heute noch gilt Familienarbeit wie Pflege und
Erziehungsarbeit als eine Leistung, die Frauen quasi
selbstverständlich und natürlich unbezahlt erbringen sol-
len. Wie der Bericht über die Schwarzarbeit in privaten
Haushalten gezeigt hat, geht das sogar noch viel, viel
weiter.

Auch die Frage nach den Rollenstereotypen, die unbe-
stritten zum Pay Gap beitragen, bringt ein paar unange-
nehme Antworten mit sich. Inzwischen belegen nämlich
zahlreiche Studien, dass diese Rollenstereotype nicht
nur in den Köpfen der Männer, sondern genauso in den
Köpfen der Frauen verfestigt sind. Ein US-amerikani-
sches Fachblatt hat soeben Studienergebnisse veröffent-
licht, wonach Frauen und Männer gleichermaßen dazu
neigen, Frauen pauschal geringere Löhne zuzugestehen
als den gleich qualifizierten Männern. Solche unange-
nehmen Wahrheiten und verfestigten Rollenbilder lösen
wir natürlich nicht mit einem Entgelttransparenzgesetz
auf. Aber ich bin überzeugt, dass das Gesetz mit seinem
Mehr an Transparenz durchaus dazu beitragen wird, die
bestehende Lücke zu schließen. Wenn wir uns häufiger
mit den unterschiedlichen Gehältern von Männern und
Frauen sowie mit den Gründen für die Differenzen be-
schäftigen, erkennen wir den Wert der eigenen Arbeit
und der Arbeit anderer möglicherweise besser.

Wir müssen Frauen dazu bewegen, aktiver zu werden.
Ich weiß, dass Aktivwerden immer unangenehmer ist, als
wenn der Gesetzgeber alles regelt. Aber das Entgelttrans-
parenzgesetz ist eine Etappe auf dem Weg der Gleich-
stellung, den Feministinnen seit Einführung des Frauen-
wahlrechts beschritten haben. Das Ziel dieses Gesetzes
sind Entgelttransparenz und dadurch Entgeltfairness im
Sinne einer leistungsgerechten und geschlechtsunabhän-
gigen Entlohnung. Damit hätten wir dann in der Tat gar
nicht so wenig erreicht und einen gar nicht so kleinen
Schritt auf dem Weg der Gleichstellung getan.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie das Gesetz einmal gelesen?)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822816900

Vielen Dank, Frau Kollegin Groden-Kranich. – Darf

ich noch einmal versuchen, liebe Kolleginnen und Kol-
legen, Sie daran zu erinnern, entweder die interessanten
Debatten, die Sie hier im Hintergrund führen, draußen
fortzusetzen oder sich hinzusetzen. Das gilt auch für die
Grünen-Männer, die so engagiert reden. Es sind keine
Frauen dabei.

Ich bitte Sie, dem letzten Redner in der Debatte Ihr
Gehör zu schenken.

Der letzte Redner in der Debatte ist Paul Lehrieder für
die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Paul Lehrieder (CSU):
Rede ID: ID1822817000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehr-

ten Damen und Herren! Ich bin aus zwei Gründen sehr
glücklich: zum einen, dass ich als siebter Redner und als
erster Mann in dieser Debatte überhaupt sprechen darf,


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)


und zum anderen, dass so viele Kolleginnen und Kolle-
gen Interesse an dieser Debatte zeigen.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Das Plenum füllt sich. Drei leibhaftige Ministerinnen
sitzen bislang auf der Regierungsbank. Mich freut, dass
dieses Thema so viel Resonanz im Parlament findet. Das
verdient es auch.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben in den vergangenen Wochen und Monaten
in einer Vielzahl von Berichterstattergesprächen, Ab-
stimmungsrunden und Sitzungen über den Entwurf eines
sogenannten Entgelttransparenzgesetzes debattiert. Wir
haben kontrovers diskutiert und bisweilen gestritten, und
zwar nicht nur zwischen den Koalitionspartnern, sondern
auch intern. Das war nötig, um ein vernünftiges und ak-
zeptables Ergebnis zu erzielen. Doch am Ende herrschte
weitestgehend Einigkeit. Bezüglich geschlechtergerech-
ter Bezahlung besteht Handlungsbedarf. Die bestehende
Lohndifferenz zwischen Männern und Frauen ist nicht
länger hinnehmbar. Ja, es ist richtig: Kaum jemandem ist
zu vermitteln, dass unsere Töchter bei gleicher Ausbil-
dung später weniger verdienen als unsere Söhne.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Frau Schauws, fragen Sie ruhig. Dann habe ich mehr
Zeit. Aber ich werde auch so auf Sie eingehen.

Einigkeit gab es in diesem Punkt schon bei den Ver-
handlungen über den Koalitionsvertrag „Deutschlands
Zukunft gestalten“ vor knapp dreieinhalb Jahren. Aus
diesem Grund wurde die Forderung nach mehr Transpa-
renz durch einen individuellen Auskunftsanspruch in den
Koalitionsvertrag aufgenommen. Zitat:

Unternehmen werden dazu aufgefordert, mithilfe
verbindlicher Verfahren und gemeinsam mit den
Beschäftigten und unter Beteiligung der Interessen-
vertreterinnen und Interessenvertreter im Betrieb in
eigener Verantwortung erwiesene Entgeltdiskrimi-
nierung zu beseitigen.

Wir wollen eine Initiative gemeinsam mit den Ta-
rifpartnern starten, um die Muster von struktureller
Entgeltungleichheit in Tarifverträgen zu erkennen
und zu überwinden.

Ursula Groden-Kranich






(A) (C)



(B) (D)


So unser Koalitionsvertrag.

Frau Ministerin, Sie haben zum Auftakt Ihrer Rede die
21 Prozent Lohndifferenz angesprochen. Für die Kolle-
gen, die mit der Materie nicht so vertraut sind: Wir reden
über zwei Entgeltlücken. Die unbereinigte Entgeltlücke
liegt bei 21 Prozent. Sie resultiert daraus, dass viele Frau-
en in schlecht bezahlten Jobs tätig sind. Aber was wir
mit diesem Gesetz überwinden können und überwinden
wollen, ist die sogenannte bereinigte, nicht erklärliche
Entgeltlücke von 6 Prozent. So viel verdienen Frauen bei
gleicher Beschäftigung und Ausbildung durchschnittlich
weniger als Männer. Wir können nur versuchen, diese
zu schließen. Wir können Frauen nicht verbieten, als
Verkäuferinnen zu arbeiten, oder ihnen geschwind eine
Bezahlung auf dem Niveau eines Diplomingenieurs ver-
schaffen. Das wird nicht funktionieren.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Darum geht es doch gar nicht! Das haben Sie immer noch nicht verstanden! – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer redet davon? Sie!)


Wir haben uns in der letzten Debatte zu diesem The-
ma ausgetauscht. Ich glaube, neben dem Beseitigen der
Entgeltlücke und neben dem Auskunftsanspruch ist es
wichtig, Frauen zu stärken, damit sie selbstbewusster
verhandeln. Wir sollten nicht erst dann handeln, wenn die
Entgeltlücke, Frau Ministerin, erkannt ist. Schon beim
Eintritt in ein Unternehmen sollte die Frau sagen: Ich als
Frau bin diesen Lohn wert. – Sie soll auf den Tisch hauen
und dasselbe wie der Mann bzw. ein ordentliches Gehalt
verlangen.

Es gehört auch dazu, über entsprechende Mentoring-
verfahren zu diesem Ziel beizutragen. Wir sollten das
eine tun, ohne das andere zu lassen. Dann tun wir den
Frauen alle gemeinsam etwas Gutes.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich freue mich auch, dass es uns mit diesem Gesetz
gelungen ist, die Bürokratie für die Unternehmen, die
zwangsläufig mit diesem Gesetz entsteht, zu kompensie-
ren und sogar abzubauen. So wird eine Regelung einge-
führt, wonach in der Vergabeverordnung die Bürokratie,
die zusätzlich auf die Unternehmen zukommt, gegenge-
rechnet werden kann. Das heißt, es gibt keine bürokrati-
sche Mehrbelastung für die Unternehmen. Es ist wichtig,
den Menschen zu sagen, dass wir uns an das „One in, one
out“, das Sigmar Gabriel vor Jahren gefordert hat, halten.
Damit sind wir auf dem richtigen Weg. Ich bedanke mich
ausdrücklich bei Ihnen, Frau Ministerin, dass uns das ge-
lungen ist. Das war in der ersten Lesung noch nicht der
Fall, jetzt aber haben wir es hinbekommen.

Es wird auch nach Verabschiedung dieses Gesetzes
möglich sein, verschiedene Arbeitnehmer unterschied-
lich zu bezahlen. Sie haben auch jetzt schon die Situa-
tion, dass bei ähnlicher Tätigkeit der eine Kollege mehr,
der andere weniger bekommt und dass es Leistungszula-
gen gibt. Das wird es auch in Zukunft geben. Aber dieses
Gesetz wird bedingen, dass der Chef erklären muss, wo-
rauf die Leistungszulage beruht, warum die Frau weniger
als der Mann, der dasselbe tut, bekommt.

Ich glaube, das Gesetz wird einen wichtigen Schritt in
die richtige Richtung bringen. Ich freue mich. Heute ist
ein guter Tag für die Frauen, heute ist ein guter Tag für
das Parlament.

Ich wünsche Ihnen alles Gute und bedanke mich für
die Aufmerksamkeit. Frau Präsidentin, es blieb auch
noch relativ ruhig; wir haben es gut hinbekommen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822817100

Danke schön, Herr Lehrieder. – Ich schließe die Aus-

sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen.


(Unruhe)


– Wir warten jetzt einfach, bis Sie aufpassen, worum es
eigentlich geht.

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf Druck-
sachen 18/11727 und 18/11733. Der Ausschuss emp-
fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/11133 anzunehmen. Hierzu liegen drei Ände-
rungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Zu zwei dieser Änderungsanträge hat die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen namentliche Abstimmung verlangt.

Wir beginnen zuerst mit der Abstimmung über ei-
nen Änderungsantrag durch Handzeichen. Ich frage
Sie: Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck-
sache 18/11758? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Damit haben zugestimmt Grüne und die Linken,
dagegengestimmt hat die Große Koalition. Damit ist der
Änderungsantrag abgelehnt.

Nun kommen wir zu den beiden namentlichen Ab-
stimmungen, und zwar zunächst über den Änderungs-
antrag auf Drucksache 18/11756. Ich bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze
einzunehmen. Ich darf fragen, ob die Plätze an den Urnen
besetzt sind. –

Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung über
den Änderungsantrag auf Drucksache 18/11756.

Gibt es noch Kolleginnen oder Kollegen, die ihre
Stimme nicht abgegeben haben? – Ich stelle fest: Alle
Kolleginnen und Kollegen haben ihre Stimme abgege-
ben. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung
zu beginnen. Das Ergebnis dieser Abstimmung wird Ih-
nen später bekannt geben.1)

Wir kommen jetzt gleich zur zweiten namentlichen
Abstimmung, und zwar über den Änderungsantrag auf
Drucksache 18/11757. – Ich frage auch diesmal: Sind die
Plätze an den Urnen besetzt? – Das scheint so zu sein.

1) Ergebnis Seite 22941 C

Paul Lehrieder






(A) (C)



(B) (D)


Dann eröffne ich die Abstimmung über den Änderungs-
antrag auf Drucksache 18/11757.

Gibt es Kolleginnen und Kollegen, die noch nicht ab-
gestimmt haben? – Gut. Dann schließe ich die Abstim-
mung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
mit der Auszählung zu beginnen.1)

Bis zum Vorliegen der Ergebnisse der namentlichen
Abstimmungen unterbreche ich die Sitzung.


(Unterbrechung von 17.46 bis 17.53 Uhr)


1) Ergebnis Seite 22944 C


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822817200

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.

Ich möchte Ihnen nun vorlesen, wie die namentlichen
Abstimmungen über die Änderungsanträge ausgegangen
sind.

Abstimmung über den Änderungsantrag zur zwei-
ten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Förde-
rung der Transparenz von Entgeltstrukturen, Drucksa-
chen 18/11133, 18/11727, 18/11733 und 18/11756. Ich
gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern
ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung be-
kannt: abgegebene Stimmen 553. Mit Ja haben gestimmt
102, mit Nein haben gestimmt 451, Enthaltungen gab es
keine. Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 553;
davon

ja: 102
nein: 451
enthalten: 0

Ja

DIE LINKE

Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze

Birgit Menz
Norbert Müller (Potsdam)

Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Richard Pitterle
Martina Renner
Michael Schlecht
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann

Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Lisa Paus
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms

Nein

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist

Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)


Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsru he-Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr. Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann

(Dort mund)

Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues

Dr. Mathias Edwin Höschel
Anette Hübinger
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Ronja Kemmer
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Dr. h.c. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag

Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller

(Braun schweig)

Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke

Norbert Schindler
Patrick Schnieder
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Ole Schröder

(Wies baden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr. von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr. h.c. Albert Weiler






(A) (C)



(B) (D)


Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Dr. h.c. Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Jürgen Coße
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann

Elvira Drobinski-Weiß
Michaela Engelmeier
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann

(Wa ckernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer

Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Angelika Krüger-Leißner
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller (Chemnitz)

Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Joachim Poß
Achim Post (Minden)

Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel

Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr. Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese

(Wol mirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Brigitte Zypries

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt .






(A) (C)



(B) (D)


Abstimmung über den zweiten Änderungsantrag zum
gleichen Gesetzentwurf. Ich lese nur die letzte Drucksa-
chennummer vor, das ist die Drucksache 18/11757. Ich
gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern

ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung be-
kannt: abgegebene Stimmen 551. Mit Ja haben gestimmt
102, mit Nein haben gestimmt 449. Damit ist auch dieser
Änderungsantrag abgelehnt.

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 549;
davon

ja: 101
nein: 448
enthalten: 0

Ja

DIE LINKE

Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Norbert Müller (Potsdam)

Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann

Azize Tank
Frank Tempel
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu

Dr. Konstantin von Notz
Lisa Paus
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms

Nein

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött

Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsru he-Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich

Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)


Ansgar Heveling
Dr. Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann

(Dort mund)

Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Dr. Mathias Edwin Höschel
Anette Hübinger
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Ronja Kemmer
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Dr. h.c. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld

Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller

(Braun schweig)

Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Patrick Schnieder
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Ole Schröder

(Wies baden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr. von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith

Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr. h.c. Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Dr. h.c. Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci






(A) (C)



(B) (D)


Jürgen Coße
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Michaela Engelmeier
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann

(Wa ckernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held

Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Angelika Krüger-Leißner
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag

Bettina Müller
Detlef Müller (Chemnitz)

Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Joachim Poß
Achim Post (Minden)

Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner

Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr. Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese

(Wol mirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Brigitte Zypries

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt .

Wir kommen jetzt zum Gesetzentwurf auf Drucksa-
che 18/11133.

Mir liegen zum Gesetzentwurf zwei Erklärungen nach
Artikel 31 der Geschäftsordnung vor.1)

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Wer stimmt da-
gegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung angenommen. Zugestimmt hat die
Große Koalition, dagegengestimmt haben die Grünen,
enthalten hat sich die Linke.

1) Anlage 3

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ge-
setzentwurf ist angenommen mit Zustimmung der Gro-
ßen Koalition – CDU/CSU, SPD –, Gegenstimmen von
Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Linken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Tagesordnungspunkt 12 b. Wir setzen die Abstim-
mung zu der Beschlussempfehlung und dem Bericht des
Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
auf Drucksachen 18/11727 und 18/11733 fort. Der Aus-






(A) (C)



(B) (D)


schuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschluss-
empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/4321 mit dem Titel „Gleichen
Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit für Frauen und
Männer durchsetzen“. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zu-
stimmung von CDU/CSU und SPD, Gegenstimmen von
der Linken und von Bündnis 90/Die Grünen.

Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 18/6550 mit dem Titel „Frauen
verdienen gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige
Arbeit“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Die Be-
schlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben
die CDU/CSU, die SPD, Gegenstimmen von Bündnis 90/
Die Grünen und von der Linken.

Tagesordnungspunkt 12 c. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Arbeit und Soziales zum Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Frauen
gerecht entlohnen und sicher beschäftigen“. Der Aus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/11641, den Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/847 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand. Die Be-
schlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben
CDU/CSU und SPD, dagegen waren Bündnis 90/Die
Grünen und die Linke.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf – mögli-
cherweise gibt es einen Platzwechsel; deswegen lese ich
langsam vor –:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Frithjof Schmidt, Uwe Kekeritz, Tom
Koenigs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Südsudan – Hungersnot abwenden, Völker-
mord verhindern

Drucksache 18/11732 (neu)

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, andersartige
Gespräche, die nichts mit dem Thema, über das wir jetzt
debattieren, zu tun haben, draußen zu führen. Das meine
ich wirklich ernst, sonst eröffne ich die Debatte nicht.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Uwe
Kekeritz für Bündnis 90/Die Grünen.


Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822817300

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Der VN-Nothilfekoordinator, Stephen O’Brien, wies

neulich darauf hin, dass die größte humanitäre Kata-
strophe seit dem Zweiten Weltkrieg auf uns zurollt. Er
spricht in erster Linie von der Hungersnot in den Ländern
Jemen, Südsudan, Somalia und Nigeria. Es sind weit
über 20 Millionen Menschen vom Hunger bedroht. Laut
UNICEF sind inzwischen 1,4 Millionen Kinder stark un-
terernährt, sie kämpfen bereits mit dem Tod. Um wirklich
helfen zu können, braucht die Weltgemeinschaft circa
4,4 Milliarden Dollar. Die deutsche Bundesregierung hat
allerdings noch keine klaren Aussagen über Mittelfrei-
gaben gemacht, plant aber gleichzeitig, den Wehretat bis
2020 um 5 Milliarden Euro zu erhöhen.

Der Südsudan ist im Würgegriff des Hungers, gleich-
zeitig gibt es immer mehr Gewaltexzesse bestialischer
Art. Die Gewaltspirale verstärkt sich laufend, trotz inter-
nationaler Schutztruppen, die zurzeit leider hilflos zuse-
hen müssen, wie sich die Situation täglich verschlechtert.
Trotzdem ist auch die weitere Unterstützung der Blau-
helme von UNMISS unabdingbar. Frithjof Schmidt hat
in seiner letzten Rede zum UNMISS-Mandat darauf hin-
gewiesen.

Trotzdem ... müssen wir dringend über eine qualita-
tive Aufstockung und Verbesserung dieser UN-Mis-
sion reden. Sie reicht so, wie sie ist, einfach nicht
aus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich wende mich an dieser Stelle an die Linke. Bitte
denken Sie schon einmal darüber nach: Alles abzuleh-
nen, ist gut, aber wir würden von Ihnen gerne Alternati-
ven hören.


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Kommt gleich!)


Eine Schwächung oder gar ein Abzug von UNMISS wäre
für all diese Menschen, die Schutz finden, eine absolute
Katastrophe.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Der UN-Sonderberater zur Verhinderung von Völker-
mord, Adama Dieng, warnte bereits im letzten Jahr vor
Völkermord im Südsudan, und er vergleicht die Situa-
tion heute mit der Situation in Ruanda 1994. Ich muss
niemandem erklären, was damals passierte. Seit neun
Monaten eskaliert die Gewalt. Menschenrechte werden
bestialisch mit Füßen getreten. Die Folge davon: Über
2 Millionen Menschen sind innerhalb des Landes auf der
Flucht, 1,5 Millionen Menschen sind in die Nachbarlän-
der geflohen. Zivilisten sind inzwischen Zielscheibe der
Gewalt. Massenvergewaltigungen, Folter, Plünderungen,
Tötungen und willkürliche Inhaftierungen sind an der Ta-
gesordnung. Dörfer werden niedergebrannt, Kirchen und
Krankenhäuser angegriffen und Menschen zwangsrekru-
tiert, auch Kinder.

Die VN-Menschenrechtskommission spricht von ei-
nem ungeheuerlichen Ausmaß der sexualisierten Gewalt
gegen Frauen und Mädchen. Die sexuelle Versklavung
gehört leider dazu. Frauen und Mädchen wird unendli-

Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)


ches Leid zugefügt, sie haben oftmals nach einer Verge-
waltigung oder einer Schwangerschaft aufgrund einer
Vergewaltigung keine Möglichkeit mehr, zu ihren Fami-
lien zurückzukehren. Sie werden verstoßen.

Im Oktober letzten Jahres traf ich mich mit dem Ge-
neralvikar der katholischen Diözese von Tambura. Der
Vikar bot mir Bilder an. Er sagte: Hier können Sie einmal
sehen, was passiert, wenn Regierungssoldaten ein Dorf
überfallen. – Er erklärte allerdings, diese Bilder sind
nicht zum Anschauen. Diese Bilder muss man aushal-
ten. Und diese Bilder muss man ertragen. Er hatte lei-
der recht. Ich erspare Ihnen jetzt die Beschreibung dieser
Bilder. Ich glaube, jeder von Ihnen kann sich vorstellen,
was ich zu sehen bekam. Aber die Bilder bestätigten die
beängstigende bestialische Brutalität und die Menschen-
verachtung in diesem Land. Deswegen muss die Bundes-
regierung unverzüglich mit den europäischen Partnern
einheitlich vorgehen. Auch die schmutzige verbrecheri-
sche Rolle von Salva Kiir muss auf das Tableau.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Deutschland und Europa müssen mit China, Russland,
den USA, der AU und anderen Ländern nach Lösungs-
möglichkeiten suchen, die zu einer Stabilisierung des
Landes führen. Der Weg über den Sicherheitsrat muss gut
vorbereitet und schnell gefunden werden. Es ist jedoch
unabdingbar, in einem ersten Schritt ein UN-Waffen-
embargo durchzusetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Neben vielen Maßnahmen, die wir im Antrag aufzäh-
len, muss die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft
verstärkt werden. Aus den Gefängnissen der Regierung
Salva Kiir müssen Menschenrechtsverteidiger und Jour-
nalisten sofort befreit werden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Das Thema der Straflosigkeit und, damit zusammen-
hängend, die Frage der Beweissicherung müssen jetzt
aufgegriffen werden. Jeder, der sich heute an Verbrechen
gegen die Menschlichkeit beteiligt, sollte wissen, dass er
mit einer strafrechtlichen Verfolgung zu rechnen hat.

Deutschland und Europa müssen ihre Beiträge zur
Bekämpfung der Hungersnot deutlich erhöhen und auch
die kaum mehr vorhandene medizinische Versorgung
verbessern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Michael Brand [CDU/CSU] und Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Das alles muss sehr schnell gehen; denn die Regenzeit
kommt, und mit der Regenzeit werden weite Teile des
Landes einfach nicht mehr passierbar sein. Mit Beginn
der Regenzeit können also kaum mehr Unterstützung und
Hilfe geleistet werden. Wenn es uns nicht gelingt, jetzt
Hilfestellung zu leisten, kommt mit dem Regen auch der

massenhafte Tod in den Südsudan, und das können und
wollen wir nicht verantworten.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822817400

Vielen Dank, Uwe Kekeritz. – Nächster Redner:

Michael Brand für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Michael Brand (CDU):
Rede ID: ID1822817500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Achol Amman ist damit beschäftigt, dass ihre Kin-
der schon jetzt Hunger leiden. Die Mutter sitzt vor
dem Eingang des Saint Mary’s Hospital in einem
Dorf unweit von Wau auf einer Mauer und wiegt
den dreijährigen Majok auf dem Schoß. In ihrer Hüt-
te blieben Majoks Geschwister mit leeren Bäuchen
zurück. Ammans Mann ist in irgendeiner Schlacht
gefallen, und die Südsudanesin hatte in den vergan-
genen Wochen nichts als Brennholz zu verkaufen,
um ihren Kindern etwas Hirse zu beschaffen.

Majoks Kopf wirkt riesig im Vergleich zum ver-
zehrten Rest seines Körpers. An Ärmchen und Bein-
chen ist kein Fleisch mehr an den Knochen. Seine
Augen treten aus dem eingefallenen Gesicht hervor.
Die Haare sind in Büscheln ausgefallen. Was wird
die Mutter tun, wenn sie den nach Erdnussbutter
schmeckenden Kalorienkuchen aus UN-Beständen
von den Helfern erhält?

Die Ärzte werden verlangen, dass sie die Kalorien-
medizin Majok gibt. Denn der Junge ist dabei, zu
verhungern. Dann bekommen aber seine Geschwis-
ter auch weiterhin nur Hirse – zu wenig. Teilt sie
den Kuchen unter ihren Kindern auf, wird Majok
sterben. Die Mutter muss sich entscheiden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, so beschreibt es in ei-
ner aktuellen Reportage ein Journalist, der gerade mit
der Aktion Deutschland Hilft, einem Bündnis deutscher
Hilfsorganisationen, im Südsudan unterwegs war.

Ja, „Hungersnot abwenden, Völkermord verhin-
dern“ – so heißt es im Grünenantrag –, das ist in der Tat
der Auftrag, der an alle geht. Die Lage im Südsudan ist
eine schiere Katastrophe. Und ja, die Gewalt birgt das
Potenzial eines Völkermords. Mädchen werden verge-
waltigt, Jungen werden wie Tiere abgeschlachtet, wie
Augenzeugen in diesen Tagen berichten. Die Lage spitzt
sich weiter zu. Hunger wird auch als Waffe eingesetzt.
Hunderttausende müssen fliehen. Wer die Menschen im
Südsudan jetzt im Stich lässt, wird bald mit den Bildern
von sterbenden Kindern konfrontiert werden, von Men-
schen, die dreckiges Wasser trinken und krepieren.

Die Mittel der Staatengemeinschaft für humanitäre
Hilfe im Südsudan – das ist meine Sicht der Dinge –
müssen verdoppelt werden. Allein das BMZ hat im letz-

Uwe Kekeritz






(A) (C)



(B) (D)


ten Jahr über 50 Millionen Euro für die Aufbereitung von
Wasser zur Verfügung gestellt. Liebe Kolleginnen und
Kollegen, ich glaube, Europa muss sich insgesamt stär-
ker für Afrika interessieren und engagieren.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich meine es nicht parteipolitisch, sondern glaube,
dass es eine breite Mehrheit hier im Deutschen Bundes-
tag so sieht – ich könnte auch alle anderen aufzählen, die
seit vielen Jahrzehnten in dem Bereich aktiv sind und
denen das Schneckentempo viel zu langsam ist –: Der
Appell von Gerd Müller und auch von Ursula von der
Leyen gestern auf der Konferenz der Bundesregierung zu
Sicherheit, Frieden und Entwicklung in Afrika war zu-
treffend; denn Afrikas Stabilität beeinflusst die Stabilität
Europas. Auch das ist meine Einschätzung: Wir brauchen
einen Paradigmenwechsel in der Entwicklungszusam-
menarbeit, auch um stärker zu unterstützen, dass zum
Beispiel die lokale und auch die internationale Privat-
wirtschaft in Arbeitsplätze investiert, um Einkommen
und Entwicklung in Afrika zu sichern.

Und ja, vieles ist von afrikanischen Politikern, von den
sogenannten Eliten hausgemacht. Korruption, Macht und
fehlendes Interesse an der eigenen Bevölkerung gehören
zu den größten Versagen. Wahr ist auch: Die UN-Missio-
nen am Golf von Guinea und an Afrikas großen Seen ha-
ben tatsächlich zur Friedenssicherung beigetragen. Auch
in Mali hat der internationale Einsatz Erfolg gebracht;
Herr Kollege Kekeritz, die Differenzierung, die Sie eben
vorgenommen haben, trifft es ziemlich gut.

Es ist an der Zeit, endlich aufzuwachen und mehr zu
tun. Und da Sicherheit niemals rein militärisch verengt
werden darf, muss das 2-Prozent-Ziel – vielleicht kommt
das in der heutigen Diskussion noch zum Tragen – auf
3 Prozent des BIP erhöht werden, und zwar für Vertei-
digung und eben auch – und jetzt kommt der Schwer-
punkt – für die Entwicklungszusammenarbeit,


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Nein, nein, nein! Das ist ein billiger Trick!)


für die humanitäre Hilfe und für die Diplomatie. Das ist
machbar, das ist erforderlich, und ich glaube, dass dieser
strategische Mix auch zielführend ist. Er dient der Kri-
senprävention und der Krisenbewältigung. Sie müssen
endlich aus den ideologischen Gräben rauskommen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Wer steckt denn drin?)


Wir brauchen beides. Wir brauchen diese Anstrengung
an allen Ecken und Enden. Sie wissen doch auch, dass
die humanitären Helfer an vielen Stellen gar nicht ihre
Arbeit tun können, wenn sie kein sicheres Umfeld ha-
ben. Genauso wahr ist, dass Militär allein keinen Frieden
schaffen kann.

Deutschland engagiert sich auf vielen politischen
Ebenen für die Bewältigung der Krise im Südsudan. Im
Jahr 2016 wurde ein Schwerpunkt gesetzt – Staatsminis-
ter Roth sitzt hier auf der Regierungsbank –: Fast 60 Mil-
lionen Euro wurden zur Verfügung gestellt, 2017 werden
es 40 Millionen Euro sein. Ich prognostiziere: Es werden

mehr als 40 Millionen Euro werden müssen, wenn man
dem Elend nicht zuschauen will.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822817600

Herr Kollege, erlauben Sie eine Bemerkung oder Zwi-

schenfrage von Frau Keul? – Ja oder Nein?


Michael Brand (CDU):
Rede ID: ID1822817700

Ja.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822817800

Gut.


(Niels Annen [SPD]: Schwere Entscheidung!)



Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822817900

Vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Ich möch-

te nachfragen, ob ich das mit den 3 Prozent richtig ver-
standen habe. Wir haben gerade gehört, dass die Bundes-
regierung 2016 für den Südsudan rund 50 Millionen Euro
zur Verfügung gestellt hat; Sie haben zu Recht gesagt,
das muss mehr sein, man muss die Mittel auf 100 Milli-
onen Euro verdoppeln. Jetzt fordern Sie 3 Prozent vom
BIP. Ich habe das ausgerechnet. Das hieße im Groben,
dass sich der Einzelplan 14 des Bundeshaushalts, der
Verteidigungshaushalt, von 30 auf etwa 55 Milliarden
Euro erhöhen würde. Wir sprechen von 25 Milliarden
Euro zusätzlich für den Verteidigungshaushalt. Können
Sie mir erklären, wie das im Verhältnis stehen soll zu den
50 Millionen Euro für die Trinkwasseraufbereitung?


Michael Brand (CDU):
Rede ID: ID1822818000

Das haben Sie falsch verstanden; vielleicht auch nicht

ganz unbeabsichtigt. Ich habe davon gesprochen, dass
die Ausgaben von 2 Prozent auf 3 Prozent des BIP erhöht
werden sollten, aber nicht nur für das Militär, sondern
auch für einen Mix aus Entwicklungszusammenarbeit
und Diplomatie.


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Aber Sie wollen die 2 Prozent!)


Die Diskussion kennen Sie vielleicht auch von Herrn
Ischinger, der diesen Vorschlag im Rahmen der Münch-
ner Sicherheitskonferenz gemacht hat.

Ich glaube, dass der Vorschlag, Mittel zu erhöhen –
Sie haben meine Aussage auf das Militär reduziert; dabei
habe ich ausdrücklich gesagt: auch in den anderen Be-
reichen sind die Mittel deutlich zu erhöhen –, ein Bei-
trag ist, um das System der vernetzten Sicherheit, an dem
wir seit Jahren in unterschiedlichen Konstellationen der
Regierungsarbeit und der Parlamentsarbeit hier im Deut-
schen Bundestag arbeiten, zu unterstützen. Dazu bedarf
es einer Kraftanstrengung an mehreren Stellen.

Wir sollten die Mittel, die durch die Erhöhung auf
3 Prozent des BIP zusätzlich kommen, in allen Bereichen
nutzen – nicht allein im Rüstungsbereich, sondern vor

Michael Brand






(A) (C)



(B) (D)


allen Dingen in den Bereichen Entwicklungszusammen-
arbeit, humanitäre Hilfe und Diplomatie –,


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Damit wollen Sie nur das NATO-Ziel erreichen! Ein ideales Feigenblatt!)


um den gemeinsamen Ansatz zu stärken. Wir brauchen
nicht die Diskussionen von gestern zu führen, die am
Ende vielleicht manche Ideologie bedienen, aber den
Menschen vor Ort wenig helfen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Üble Trickserei! – Stefan Rebmann [SPD]: Entwicklung erhöhen und Verteidigung entlasten!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein großes Pro-
blem ist der Zugang zu humanitärer Hilfe. Das ist ein
ganz wichtiger Punkt; denn humanitäre Hilfe kommt
oftmals gerade nicht dort an, wo sie am dringendsten
gebraucht wird. Ich will auch sagen, dass humanitäre
Hilfe – deswegen müssen wir in Bezug auf das 2- oder
3-Prozent-Ziel über den Tag hinausdenken und nicht nur
bei der Tagespolitik bleiben, Frau Keul – neben der Erhö-
hung der Mittel nicht zum Alibi der Staatengemeinschaft
verkommen darf, Konflikte nicht politisch zu lösen. Es
braucht neben der Verdopplung der Mittel für die huma-
nitäre Hilfe durch die Staatengemeinschaft endlich das,
was Kollege Kekeritz gesagt hat: ein Waffenembargo,
Reisebeschränkungen und das Einfrieren ausländischer
Bankkonten der Rädelsführer im Südsudan. Es muss
Schluss damit sein, dass das viele Geld aus Ölexporten
in den Taschen einiger weniger Familien landet oder in
einem schmutzigen Krieg verpulvert wird, während die
Bevölkerung hungert. Deswegen ist die Blockade des
Beschlusses des UN-Sicherheitsrates durch China und
Russland eine Schande. Sie ist auch Salz in den Wunden
der hungernden Bevölkerung. Das muss ein Ende haben.
Es gibt eine moralische Verpflichtung, alles zu versu-
chen, auch um die Sicherheit dort zu stabilisieren. Der
Sudan grenzt an Libyen, und Millionen werden sich auf
den Weg machen, wenn das Elend weitergeht. Das sind
sogenannte vergessene Krisen.


(Zurufe von der LINKEN: Ja, ja!)


– Ja, das gehört auch dazu.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822818100

Denken Sie bitte an Ihre Redezeit.


Michael Brand (CDU):
Rede ID: ID1822818200

Ich muss Perspektiven für die Leute vor Ort schaffen,

damit sie sich nicht auf den Weg machen. Auch das ist
praktizierte Nächstenliebe.

Ich glaube, Deutschland tut eine ganze Menge in dem
Bereich. Wahr ist aber auch – das ist die bittere Wahr-
heit –: Man kann nie genug tun. Deswegen müssen wir
unsere Anstrengungen weiter stärken.

Ich möchte abschließend eine Aussage des frühe-
ren Bundespräsidenten Horst Köhler zitieren, der sich
seit Jahrzehnten für den Kontinent Afrika engagiert. Er
schaut nicht nur mitleidig auf Afrika, sondern sieht auch

die Chancen, die in diesem Kontinent liegen. Er hat recht,
wenn er sagt: Kein Land der Welt, so reich und mäch-
tig es auch sein mag, kann auf Dauer seinen Wohlstand
erhalten, ohne auf die Perspektiven der anderen Länder
Rücksicht zu nehmen. Daher müssen wir zu einem neuen
Verständnis von nationalem Interesse finden, das sich im
Kontext eines globalen Gemeinwohls definiert.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822818300

Darf ich die Kollegen bitten, sich tendenziell oder

ziemlich konkret an die Redezeit zu halten? Das gilt
wirklich für alle. – Danke schön.

Nächste Rednerin: Kathrin Vogler für die Linke.


(Beifall bei der LINKEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ganz einfach: Mikro abdrehen! – Peter Beyer [CDU/CSU]: Die Linke fordert: Mikro abdrehen! – Gegenruf des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wenn ihr die Zeiten überzieht! Zuhören! – Gegenruf des Abg. Peter Beyer [CDU/CSU]: Ja, ja! Immer die Ruhe bewahren, Herr Kollege!)


– Vorsicht jetzt, bitte! Jetzt ist Frau Vogler dran, und wir
kommen bitte wieder runter. – Frau Vogler, bitte.


Kathrin Vogler (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822818400

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Ich finde auch, da dies

ein ernstes Thema ist, sollten wir versuchen, uns darauf
zu konzentrieren.

Ich kann mich noch gut erinnern an die Menschen, die
ich, als ich Ende 2010 im Südsudan war, dort kennen-
gelernt habe. Ich wollte mir selber ein Bild machen von
der Lage vor dem Referendum. Ich weiß noch, wie sehr
das ganze Land vor lauter Anspannung und Aufregung
gebebt hat. Viele haben sich damals dafür starkgemacht,
dass die Abstimmung über die Abspaltung vom Norden
friedlich und ohne Gewalt vonstattengeht.

Die Hoffnungen, die die Menschen mit einem eigenen
Staat verbunden haben, waren damals wirklich riesen-
groß. Sie haben gehofft, dass es endlich Frieden, Wohl-
stand und Sicherheit für alle Menschen im Land geben
würde. Aber schon damals haben wir gespürt, dass das
nicht so einfach werden würde; denn die inneren Kon-
flikte in der südsudanesischen Gesellschaft – Konflikte
um knappe Ressourcen, Konflikte zwischen Ackerbauern
und Viehzüchtern und Konflikte zwischen den verschie-
denen Stämmen – standen schon damals auf der Tages-
ordnung. Sie wurden nur überlagert vom großen Konflikt
mit dem Norden.

Die neue Regierung unter Salva Kiir hat die Bürger-
kriegsmilizen damals nicht einfach aufgelöst, sondern sie
zum größten Teil bewaffnet in einen gigantischen Mili-
tär- und Polizeistaatsapparat integriert. Es kam so, wie
wir es schon damals befürchtet haben: Seit 2013 herrscht
wieder Bürgerkrieg im Südsudan, und die Zivilbevölke-
rung leidet massiv, vor allem die Jugendlichen und die

Michael Brand






(A) (C)



(B) (D)


Frauen. Ja, die Berichte sind erschreckend: Mord, Folter,
Vergewaltigung als Kriegswaffe und Hunderttausende
auf der Flucht. Allein im Nachbarland Uganda erwartet
man bis Ende Mai 800 000 Geflüchtete.

Hier dürfen wir nicht untätig zusehen. Deshalb ist es
gut, dass die Grünen das Thema heute auf die Tagesord-
nung gesetzt haben. Vielen Dank dafür.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Frank Schwabe [SPD])


Die Bundesregierung schlägt uns immer wieder das-
selbe oder mehr vom Selben vor: die Verlängerung, den
Ausbau des Bundeswehreinsatzes im Südsudan. Nun
fordern leider auch die Grünen eine Ausschöpfung oder
Aufstockung des Bundeswehrmandats für die UN-Missi-
on UNMISS. Ich finde es ein bisschen widersprüchlich,
wenn man auf der einen Seite die Bemühungen der Bun-
desregierung um eine massive Erhöhung des Rüstungs-
etats beklagt und auf der anderen Seite die Aufstockung
von Militärmissionen fordert.


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 20 Leute! Um 5 auf 20 Leute!)


Aber damit müssen Sie klarkommen. Die Lösung, die Sie
uns hier vorschlagen, ist keine Lösung.


(Beifall bei der LINKEN)


Schon bisher hat UNMISS die Bevölkerung nicht wirk-
sam schützen können.


(Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Sondern?)


UNMISS selbst verursacht immer wieder Negativschlag-
zeilen, weil die Soldaten zu spät reagieren oder sogar
untätig dabeistehen, wenn Frauen vergewaltigt werden,
wenn sexuelle Gewalt verübt wird. Das belegen interne
Berichte der UNO. In diesen Untersuchungen wird auch
das Problem beschrieben, dass die Soldaten auf ihren Pa-
trouillen häufig nur durch die Sehschlitze ihrer Panzer-
fahrzeuge schauen können und gar nicht mitkriegen, wo
sich Gewalt anbahnt, wo Frauen bedrängt und Jugendli-
che bedroht werden.


(Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Was heißt das?)


– Das heißt, dass man sich auch über andere Dinge Ge-
danken machen muss.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke hat bereits vor drei Jahren einen Antrag ein-
gebracht, der genau diese Lücke füllen sollte. Zumindest
die nicht abgerufenen Mittel aus der Bundeswehrmission
wollten wir dafür verwenden, den unbewaffneten Schutz
der Zivilbevölkerung, wie er von zivilgesellschaftlichen
Organisationen im Südsudan musterhaft praktiziert wird,
zu unterstützen.


(Beifall bei der LINKEN)


Dass diese Maßnahmen wirksam sind – dies wird da
und dort immer wieder bestritten –, hat inzwischen auch
der UN-Sicherheitsrat festgestellt. Ich wundere mich
ein bisschen, dass dieses Instrument des unbewaffneten
zivilen Peacekeeping, zu dem wir eine wunderbare An-

hörung im Bundestag hatten, von den Grünen gar nicht
zur Kenntnis genommen wird und nicht in dem Antrag
auftaucht.

Viele andere Vorschläge können wir mittragen, etwa
die sehr wichtigen Forderungen nach einem Waffenem-
bargo sowie nach verstärkten Bemühungen um Verhand-
lungslösungen und die Forderung, dass zivilgesellschaft-
liche Akteure besser geschützt werden. Das finden wir
richtig. Ich will darauf hinweisen: Das Allerwichtigste,
das nun sofort getan werden muss, ist der massive Aus-
bau der humanitären Hilfe.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir haben es mit zwei Krisen zu tun. Das sind der
Bürgerkrieg und die Hungerkrise. Beide hängen mitei-
nander zusammen und verschlimmern sich gegenseitig.
Die UN befürchten, dass in kürzester Zeit bis zu 250 000
Kinder verhungern werden, wenn nicht schnell Hilfe
kommt. Hier könnte die Bundesregierung ganz kon-
kret Menschenleben retten. Die bisherigen Zusagen der
Bundesregierung an die Vereinten Nationen sind völlig
unzureichend. Allein für den Südsudan fehlen akut noch
1,4 Milliarden US-Dollar für die Nothilfe. Die Bundes-
regierung hat jetzt 43 Millionen Dollar bereitgestellt; das
ist ein Zweiunddreißigstel. Würden wir nur nach unse-
rem Bruttoinlandsprodukt gehen, dann müsste dieser An-
teil mindestens 100 Millionen US-Dollar betragen.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822818500

Denken Sie bitte an Ihre Redezeit.


Kathrin Vogler (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822818600

Gut. – Auch weil die Regenzeit bevorsteht und die

Hilfe die Menschen dann nicht mehr erreichen wird, for-
dere ich Sie auf: Handeln Sie jetzt. Handeln Sie schnell.
Zeigen Sie Menschlichkeit. In vier Wochen kann es zu
spät sein.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Frank Schwabe [SPD])



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822818700

Vielen Dank, Frau Vogler. – Nächste Rednerin:

Gabriela Heinrich für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gabriela Heinrich (SPD):
Rede ID: ID1822818800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und

Kolleginnen! Liebe Gäste! Stellen Sie sich vor, alle
Menschen in Niedersachsen wären auf Hilfe angewiesen,
um zu überleben, ganz Berlin wäre auf der Flucht, alle
unter 18-Jährigen in Hamburg wären akut vom Hunger-
tod bedroht. Dieser Vergleich mit Deutschland zeigt die
Dimension der aktuellen Hungerkatastrophe im Südsu-
dan. Stephen O’Brien – Kollege Kekeritz hat es bereits
erwähnt –, der Nothilfekoordinator der Vereinten Natio-
nen, spricht von 7,5 Millionen Menschen, die akut Hilfe
brauchen. Das sind ungefähr so viele, wie Niedersachsen

Kathrin Vogler






(A) (C)



(B) (D)


Einwohner hat. Stephen O’Brien hat an den Sicherheits-
rat der Vereinten Nationen geschrieben:

Wir stehen an einem kritischen Punkt der Geschich-
te. Schon am Anfang des Jahres stehen wir vor der
größten humanitären Krise seit der Gründung der
Vereinten Nationen.

Dieses Zitat bezieht sich, wie auch bereits erwähnt,
nicht allein auf den Südsudan, sondern auf die aktuelle
Hungerkatastrophe in Teilen der Länder Nigeria, Kenia,
Somalia und Jemen. Insgesamt 20 Millionen Menschen
könnten verhungern, wenn sich die internationale Ge-
meinschaft nicht bewegt.

Im Südsudan hungern die Menschen jedoch nicht in
erster Linie wegen Dürre oder Überschwemmungen, we-
gen Klimaveränderungen oder fehlendem Saatgut. Hier
im Bundestag werden wir seit Jahren auf die drohende
Katastrophe im Südsudan hingewiesen. Jedes Mal geht
es um brachliegende Felder und ausbleibende Ernten,
weil die Menschen auf der Flucht sind vor Gewalt in ih-
rem eigenen eigentlich reichen und fruchtbaren Land.

58,5 Millionen Euro an humanitärer Hilfe hat das Aus-
wärtige Amt 2016 allein für den Südsudan bereitgestellt.
2017 werden weitere Gelder folgen. Die bilaterale Ent-
wicklungsarbeit musste in weiten Teilen ausgesetzt wer-
den, weil die Sicherheitslage außerhalb der Hauptstadt
jede Unterstützung unmöglich macht.

Alle Konfliktparteien greifen immer wieder ganz ge-
zielt Zivilisten an. Menschen wurden in Frachtcontainer
eingepfercht und zum Sterben in die Sonne gestellt. Mi-
lizen und die Regierungsarmee plündern und brennen
Häuser nieder. Krankheiten, zum Beispiel die Cholera,
breiten sich aus.

Und die Frauen? Auch vor dem Krieg wurden die
Menschenrechte von Frauen im Südsudan massiv ver-
letzt. Jetzt im Krieg, in diesem Bürgerkrieg, in dem die
Frauen marodierenden Banden schutzlos ausgeliefert
sind, ist alles noch viel schlimmer. Täter vergewaltigen
Frauen ganz systematisch.

Diese sexuelle Gewalt scheint auch eine ethnische Di-
mension bekommen zu haben. Soldaten des Regierungs-
lagers vergewaltigen gezielt Frauen, die nicht der Bevöl-
kerungsgruppe der Dinka angehören. Die Täter gehen
natürlich straflos aus, während die vergewaltigten Frauen
nicht nur völlig traumatisiert, sondern oft auch aus ihrer
Gemeinschaft ausgestoßen werden. Alle beteiligten Kon-
fliktparteien verüben solche Verbrechen: Regierungs-
truppen, Mitglieder des nationalen Sicherheitsdienstes,
Polizisten, Rebellen.

Die Kriegsgewinnler sind vor allem die beiden ver-
feindeten Anführer, Präsident Salva Kiir und sein ehe-
maliger Stellvertreter, Riek Machar. Ihre Familien leben
beide in einem Nobelviertel von Nairobi. Kinder und En-
kel gehen dort auf teure Privatschulen. Finanziert wird
das alles über intransparente Kanäle, durch Baufirmen,
durch Öl.

Im Antrag, der heute auf der Tagesordnung steht, ist
zu lesen:

Die südsudanesische Regierung ist für den Schutz
von Zivilistinnen und Zivilisten verantwortlich und
derzeit nicht ... in der Lage, ihre Zivilbevölkerung
vor der endemischen Gewalt zu schützen.


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Nicht in der Lage? Nicht willens!)


Sie haben auch recht, dass die südsudanesische Re-
gierung ihre Zustimmung zu einer internationalen
Schutztruppe widerrufen hat und keinerlei Anstrengun-
gen unternimmt, die schweren Menschenrechtsverlet-
zungen in ihrem Land zu unterbinden und die Täter zur
Rechenschaft zu ziehen.

Man wird an dieser Stelle auch nicht weiterkommen;
denn die Hauptakteure selbst sind für diese Menschen-
rechtsverletzungen verantwortlich.

Das muss ein Ende haben. Im Antrag nennen Sie
durchaus viele wichtige Maßnahmen. Gezielte Sanktio-
nen gegen alle maßgeblichen Akteure des Konflikts halte
ich für sinnvoll, wie das Einfrieren von Konten und die
Einschränkung der Reisefreiheit.

Die humanitäre Katastrophe werden wir nicht allein
durch humanitäre Hilfe abwenden können. Wir müssen
uns weiter dafür einsetzen, eine politische Lösung zu fin-
den. Dazu gehört auch dringend die Übereinkunft über
ein Waffenembargo.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Dazu gehört meiner Auffassung nach auch UNMISS;
denn wir werden die Hilfe zu den Menschen kommen
lassen müssen. Bei der Unterstützung ist völlig zu Recht
die Zivilgesellschaft genannt. Wir müssen vor allen Din-
gen auch die Frauen schützen und dafür sorgen, dass Ver-
gewaltigungen und Verbrechen an Frauen und Kindern
angeklagt werden.

Bis es mit einer politischen Lösung so weit ist, müs-
sen wir weiter die Not lindern. Der eingangs zitierte
UN-Nothilfekoordinator Stephen O’Brien hat an den Si-
cherheitsrat geschrieben:

Es ist möglich, die Krise, die Hungersnot und die
drohende menschliche Katastrophe abzuwenden.

Allerdings braucht er für den Südsudan, Jemen, So-
malia, Nord-Nigeria 4,4 Milliarden Dollar bis Juli 2017.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822818900

Vielen Dank, Gabriele Heinrich. – Nächste Rednerin:

Dagmar Wöhrl für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1822819000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

„Unity“ bedeutet im Englischen „Einheit“; es bedeutet
aber auch „Einigkeit“ und „Geschlossenheit“. Im Bun-
desstaat Unity im Südsudan leben 1,4 Millionen Men-

Gabriela Heinrich






(A) (C)



(B) (D)


schen. Sie sind im Südsudan zurzeit am stärksten von der
Hungersnot, von Kämpfen, von permanenter Angst und
vielem mehr bedroht, und viele Kinder sind traumatisiert.
Diese Menschen haben nichts von Einigkeit, Einheit und
Geschlossenheit. Im Südsudan wurde eine offizielle
Hungersnot ausgerufen. Das ist nicht nur die erste Stu-
fe einer Warnung, die ausgerufen wird, bevor sich eine
Hungersnot anzeigt. Eine offizielle Hungersnot ist der
schlimmste aller Fälle, das Schlimmste, was man sich in
diesem Bereich überhaupt vorstellen kann.

Südsudan ist der jüngste Staat der Welt. Wie eupho-
risch waren wir alle hier im Plenum gewesen – viele
Kolleginnen und Kollegen erinnern sich noch daran –,
als wir diesen Staat nach 22 Jahren Bürgerkrieg endlich
haben aus der Taufe heben können! Zwei Jahre hat das
gehalten. Danach ging wieder der Bürgerkrieg los. Der
Bürgerkrieg ist der entscheidende Unterschied zu ande-
ren Ländern Afrikas, die zurzeit auch bedroht sind von
Dürre oder Überschwemmungen, ausgelöst von Natur-
katastrophen wie El Niño, die die Ernten vernichten. Im
Bürgerkrieg wird Aushungern als Waffe eingesetzt, Bau-
ern werden ausgeplündert, das Vieh getötet – man sagt,
zuerst stirbt das Vieh, und dann stirbt der Mensch. Das
Getreide wird vernichtet, es kommt zu Massenvergewal-
tigungen, Zivilisten werden gezielt bombardiert, Kinder
zu Kindersoldaten rekrutiert und vieles andere mehr.

Es findet eine ethnische Säuberung statt – eine eth-
nische Säuberung im Zuge des Konflikts zwischen zwei
rivalisierenden Gruppen, und zwar denen von Salva Kiir,
also den mit der Regierung verbündeten Milizen, und den
Truppen seines Gegners, denen des Rebellenführers Riek
Machar. Beide stehen sich hier in nichts nach. Es ist ein
gewolltes Chaos, das hier herbeigeführt wurde.

Das Vermögen beider hat sich während des Bürger-
kriegs – das ist von den Kolleginnen und Kollegen schon
angesprochen worden – um ein Vielfaches vermehrt.
Es geht um die Macht im Land. Es geht aber auch um
die großen Ölvorkommen im Land, die 97 Prozent der
Staatseinnahmen ausmachen und die ausschließlich an
China fließen. Da braucht man sich nicht zu wundern,
dass das Waffenembargo, das der Weltsicherheitsrat ver-
hängen wollte, an China und Russland gescheitert ist.
Auch wenn der Sicherheitsrat diese Woche einen neuen
Anlauf unternommen hat, sind wieder nur Empfehlungen
herausgekommen. Auch diesen Worten werden keine Ta-
ten folgen.

Wir müssen sehen, dass es hier um ein Verbrechen
gegen die Menschlichkeit geht. Es gibt im Land über
3 Millionen Flüchtlinge, allein 2 Millionen Binnen-
flüchtlinge, und 1,5 Millionen Menschen haben Zuflucht
in den Nachbarländern gesucht. Allein in Uganda sind
es 800 000 Menschen. Der Kollege hat vollkommen
zu Recht gesagt, dass die Menschen bisher noch in die
Nachbarländer fliehen – vor Hunger und Vergewalti-
gungen, aus Angst und um ihre Familien in Sicherheit
zu bringen. Aber die Grenze zum Sudan ist offen, und
Sudan grenzt an Libyen. Wir wissen, was vor der liby-

schen Küste liegt, nämlich Europa. Auch das muss man
in diesem Zusammenhang sehen.


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Die allermeisten gehen nach Uganda! Das ist eine absurde Theorie!)


Das ist eine Conditio, die gewichtig ist. Die Weltgemein-
schaft muss aufwachen. Wir müssen sehen, was hier pas-
siert.

Ich bin Ihnen für diese Debatte dankbar; denn zu
1 Million Menschen haben wir keinen humanitären Zu-
gang. Das Ministerium hat inzwischen auf Hungermodus
umgeschaltet. Wir unterstützen jetzt primär die vulnera-
ble Bevölkerung, also Familien, Kinder und Frauen, die
vergewaltigt wurden. Wir müssen deswegen dafür sor-
gen, dass wir Zugang zu den entsprechenden Gegenden
bekommen. Auch internationale Hilfsorganisationen
werden zurzeit daran gehindert, in große Teile des Lan-
des vorzudringen. UNMISS wird ebenfalls daran gehin-
dert, unterstützend tätig zu werden.

Ich glaube, ein ganz großes Dankeschön müssen wir
den vielen Helfern sagen, die dort trotz großer Gefahr für
Leib und Leben noch im Land aktiv sind.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Seit 2013 sind dort 97 Helfer und Helferinnen gestorben,
die für die Ärmsten der Armen da waren – allein 6 in der
letzten Woche, als sie versucht haben, mit einem Konvoi
mit Hilfsmitteln nach Unity vorzudringen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die dortige Regie-
rung schämt sich auch nicht, mit diesen Hilfeleistun-
gen Geld zu machen. Früher hat ein Visum 100 Dollar
gekostet, jetzt kostet das Visum für einen Helfer fast
10 000 Dollar – das muss man sich einmal vorstellen –,
nur damit sich die Regierung und die vielen an der Spitze
dieses Landes die Taschen vollmachen können.


(Michael Brand [CDU/CSU]: Eine Schande ist das!)


Ich möchte zum Schluss kommen. – Ich glaube, eines
muss man auch sehen: Auch wir sind gefragt, die Welt-
gemeinschaft ist gefragt. Manchmal habe ich das Gefühl,
dass sich die Weltgemeinschaft an die Katastrophen ge-
wöhnt hat. Es ist selbstverständlich geworden, dass man
darüber redet. Die Welt ist aber nicht mehr aufgeschreckt.
Ich glaube, wir dürfen nicht mehr wegschauen.

1,6 Milliarden US-Dollar sind notwendig, um das
Überleben der Menschen im Südsudan zu sichern. Davon
fehlen immer noch 1,4 Milliarden US-Dollar. Das darf
einfach nicht sein und ist eine Schande für uns Christen.
Ich glaube, alle sind hier gefordert.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dagmar G. Wöhrl






(A) (C)



(B) (D)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822819100

Vielen Dank, Dagmar Wöhrl. – Nächster Redner:

Christoph Strässer für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Christoph Strässer (SPD):
Rede ID: ID1822819200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Vor ungefähr zweieinhalb
Jahren habe ich auf Vermittlung einer großen interna-
tionalen Kinderrechtsorganisation – ich kann den Na-
men nennen und ein bisschen Werbung machen; es war
Plan International – eine Patenschaft für einen Jungen
aus dem Südsudan übernommen. Das ist ganz einfach;
das kann jeder machen. Das kostet nicht viel Geld, aber
mit dem wenigen Geld konnte vieles finanziert werden:
der Zugang zur Schule, Kleidung und alles, was man so
braucht. Vor ungefähr vier Monaten habe ich von Plan
International die Nachricht erhalten, dass sie die Paten-
schaft leider nicht mehr aufrechterhalten können, weil
sie nicht mehr gewährleisten können, dass erstens dieser
Junge noch lebt und dass zweitens irgendetwas, was sie
tun können, bei diesem Kind auch ankommt.

Dieser Junge – ich habe ihn selber nie live gesehen,
aber einige Mitteilungen von ihm bekommen – kommt
aus der Nähe von Rumbek, einer Stadt im Bundesstaat
Lakes im Südsudan. Das liegt noch nicht im Zentrum der
Auseinandersetzung, aber auch dort ist die Situation na-
türlich dramatisch schlecht. Das Schicksal dieses Jungen
teilen Millionen von Menschen im Südsudan.

Ich spreche darüber aber auch noch aus einem anderen
Grund: Der Menschenrechtsausschuss des Bundestages
hatte im Jahre 2004, also ein Jahr, bevor der umfassen-
de – ich sage das jetzt einmal in Anführungsstrichen –
„Friedensvertrag“ zwischen dem Sudan und der dama-
ligen Provinz Südsudan abgeschlossen wurde, Zugang
zum Südsudan. Wir sind dort mit einem sogenannten
Buschflieger, einer privaten Maschine, eingeflogen und
auf einer Piste mitten im Busch gelandet. Anders war der
Südsudan damals nicht erreichbar. Nachdem wir ausge-
stiegen waren, sahen wir neben dieser Piste zwei große
Lagerstätten – Holzlager ohne Dach. Wir haben unsere
Begleiter gefragt, was das ist und was darin ist, und sie
sagten: Geht mal hin und guckt euch das an. – Wir ha-
ben in diese Lager mitten im Südsudan geschaut und ge-
sehen, dass sie vollgepackt waren mit funktionsfähigen
Kleinwaffen und allem, was man sich vorstellen kann –
und das für jedermann zugänglich.

Das sage ich auch deshalb, weil wir hier über ein Waf-
fenembargo reden. Natürlich muss es dieses Waffenem-
bargo geben. Ich glaube, darüber sind wir uns alle einig.
Aber selbst wenn es das geben würde, wären die Pro-
bleme im Südsudan dadurch nicht gelöst, weil das Land
vor Kleinwaffen überläuft, und das sind die gefährlichen
Waffen, die gerade gegen Kinder, Frauen und Zivilisten
allgemein eingesetzt werden.

Nach der Vereinigung der beiden Staaten ist unter an-
derem falsch gelaufen, dass keine wirkliche Entwaffnung
stattgefunden hat. An der einen oder anderen Stelle sind
den Kämpfern zwar die Waffen weggenommen worden,

aber sie sind im Land geblieben und in solchen Lagern
gelandet, die für alle möglichen Menschen zugänglich
sind. Das kann in einem Land, das 22 Jahre lang – und
davor noch einmal 15 Jahre lang – im Bürgerkrieg gewe-
sen ist, nicht funktionieren. Deshalb ist das Waffenem-
bargo wichtig; ich glaube aber, man muss der Ehrlichkeit
halber auch sagen, dass die EU vor einigen Jahren schon
ein Waffenembargo gegen den Südsudan ausgesprochen
und Lieferungen dorthin verboten hat.

Man muss sich zugleich die Frage stellen, woran ein
entsprechendes Waffenembargo der UN eigentlich schei-
tert. Bei der letzten Abstimmung im Sicherheitsrat ha-
ben sich nur 7 von 15 Ländern für ein Waffenembargo
ausgesprochen, 8 haben sich enthalten. Unter diesen acht
Ländern – das muss man auch einmal sagen – waren zwei
ständige Mitglieder des Weltsicherheitsrates, nämlich
China und Russland. Auch das ist ein Teil der Wahrheit,
der uns nicht davon abhalten sollte, die Umsetzung des
Waffenembargos weiter zu verfolgen.

Neben diesem Aspekt möchte ich gerne noch zwei
Dinge sagen, die für die politische Situation im Südsu-
dan wichtig sind.

Uwe, ich finde euren Antrag gut; das sage ich ganz
deutlich.


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danke!)


Er hat aber an einer Stelle eine Macke – das hat auch Frau
Wöhrl schon angesprochen –: Es findet sich in eurem An-
trag kein Satz dazu, dass die Verrohung des Völkerrech-
tes im Südsudan eine neue Dimension dadurch erfahren
hat, dass es eben nicht mehr gelingt, wie Sie es gesagt
haben, humanitäre Hilfe dorthin zu bringen, wo sie ge-
braucht wird. Wenn Helferinnen und Helfer bei ihrer Ar-
beit in Lebensgefahr sind, dann wird man sich sicherlich
die Frage stellen müssen: Was passiert dort eigentlich?

Ein weiterer Punkt, den ich noch ansprechen möchte,
ist der sogenannte nationale Dialog, der dort stattfinden
sollte, aber nicht funktioniert. Ich behaupte – das ist wis-
senschaftlich nicht bewiesen –: Ein nationaler Dialog
zwischen zwei Männern, die nichts anderes gelernt ha-
ben, als Krieg zu führen, und zwar auf Kosten der Zivil-
bevölkerung, ist von Anfang an zum Scheitern verurteilt.
Deshalb ist meine dringende Bitte an die Bundesregie-
rung, dafür zu sorgen, dass dieser nationale Dialog, wenn
er denn erfolgreich sein soll, in einem inklusiven Pro-
zess, also unter Einbeziehung von zivilgesellschaftlichen
Organisationen, insbesondere von Frauenorganisationen,
durchgeführt wird. Nur dann bietet dieser politische Pro-
zess eine Lösungsperspektive.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Frau Präsidentin, als ich zum Pult gekommen bin,
hatte ich eine Vision. Sie alle kennen ja den Ausspruch
des früheren Bundeskanzlers Helmut Schmidt: Wer Visi-
onen hat, der soll nicht ins Parlament, sondern zum Arzt
gehen. – Ich habe trotzdem diese Vision. Der Sonderbe-
auftragte der Vereinten Nationen zur Verhinderung von
Genozid, Dieng, hat sehr deutlich gesagt: Das, was im
Südsudan passiert, ist etwas Neues – wie es damals in






(A) (C)



(B) (D)


Ruanda, wie es damals in Srebrenica etwas Neues war –,
nämlich ein permanenter Prozess des Völkermordes.
Meine Vision, bei allen Differenzen, die wir in vielen
Fragen haben, war: Das, was den Menschen hilft – das
wissen sie vielleicht nicht –, wäre eine starke und einhel-
lige Abstimmung, eine Resolution dieses Hohen Hauses
zur Verhinderung von Genozid – nicht nur im Südsudan,
aber da ganz besonders.

Ich hoffe, wir bekommen das hin. Das wäre ganz toll.
Ich glaube, die Menschen würden sich über ein solches
Signal nicht nur freuen, sondern sie würden auch etwas
davon haben.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822819300

Vielen Dank, Christoph Strässer. – Der letzte Redner

in dieser sehr intensiven Debatte: Frank Heinrich für die
CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Frank Schwabe [SPD])



Frank Heinrich (CDU):
Rede ID: ID1822819400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Es ist tatsächlich eine sehr intensive Debatte,
genau. – Was kann man denn, nachdem man sich die Da-
ten und Fakten, die wir gehört haben, vergegenwärtigt
hat, noch hinzufügen?

Zunächst ein Dank an Sie als Grüne, dass wir als
Parlament dieses Thema zu dieser Tageszeit diskutieren
können und das Thema nicht nur für uns, sondern auch
für die Öffentlichkeit präsent machen. Das Bewusstsein
für die verheerende Lage ist mir persönlich tatsächlich
noch viel zu gering ausgeprägt. Es ist wichtig, dass die
Situation im Südsudan, die wir heute debattieren und von
der Sie als Zuschauer ein bisschen schockiert sind, den
Menschen draußen klargemacht wird.

Was sollte man noch hinzufügen? Ich werde natür-
lich ein paar Dinge noch einmal in Erinnerung rufen,
die schon von den Kollegen gesagt wurden. Aber wir als
Weltgemeinschaft müssen handeln, und wir dürfen uns
nicht mit weniger als dem Besten, was wir haben, zufrie-
dengeben.

Im Südsudan droht Völkermord; Herr Strässer hat es
zum Schluss seiner Rede gesagt. Auch die UN haben das
aufgenommen. Es ist ein schleichender, aber ein voran-
schreitender Prozess, der möglicherweise dahin führt,
was wir in unseren Erinnerungen mit Ruanda verbinden.

Täglich sterben 20 Menschen den Hungertod, viele da-
von sind Kinder. 1 Million Kinder sind akut unterernährt.
Es droht eine verlorene Generation. Und die Krise ist –
das haben wir mehrfach gehört – keine neue Krise: seit
drei Jahren Bürgerkrieg, 300 000 Tote, Vertreibung eines
Drittels der Bevölkerung und Kollaps der Wirtschaft. Die
Inflation schießt um 800 Prozent in die Höhe; nicht nur

Visa sind also exorbitant teuer. Die Regierung hat kein
Geld mehr übrig, zumindest nicht für Humanitäres.

Was machen Menschen, wenn sie kein Geld haben,
der Handel nicht funktioniert und sie nicht selber etwas
produzieren können? Viele Familien haben alle Wege
ausgeschöpft, sich ohne Hilfe von außen am Leben zu
erhalten. Wenn Beeren da sind, werden die gesammelt.
Sonst aber – das habe ich gelernt – müssen sie auf Zwei-
ge, Baumrinden und Wasserlilien zurückgreifen. Huma-
nitäre Hilfe, auch von uns, ist die einzige Hoffnung und
Chance.

Natürlich spielt der Klimawandel mit der Dürre in Ost-
afrika eine Rolle. Wirklich verantwortlich für das Leid
der Menschen in den vergangenen Jahren sind aber – das
ist hier mehrfach angesprochen worden – die südsuda-
nesischen Machtkämpfer. Auch da stehen wir, was den
Geist dessen anbelangt, was ihr Grüne vorschlagt – das
sollt ihr wissen –, natürlich voll hinter euch.

Obwohl die Wirtschaft am Boden liegt, scheint es im-
mer noch Möglichkeiten der persönlichen Bereicherung
der Eliten zu geben. Der Sentry-Report belegt, dass mit
dem Beginn des Krieges 2013 für die Herrscherclique
wirtschaftlich fette Jahre begonnen haben. Er listet auf,
wo die Mächtigen ihre mondänen Häuser im Ausland ha-
ben und wie sie das Land ausplündern. Ich erinnere mich
in diesem Zusammenhang an die Werbung „Mein Haus,
mein Boot, mein Auto“. Der Kampf der kleptokratischen
Netzwerke um politische Macht und um den Zugang zu
den Ölressourcen hat den Zusammenbruch des Landes
herbeigeführt. Die Verantwortung liegt oben, den Preis
zahlen die unten. Dem Leid der eigenen Bevölkerung
steht – zumindest sieht es so aus – die Elite nicht nur
gleichgültig gegenüber, sondern das, was zum Leid führt,
wird von der Clique noch angetrieben.

Genau in der Region, wo die UN die Hungersnot
ausgerufen haben, führt die südsudanesische Regierung
eine Art Vernichtungskrieg gegen ihre eigene Bevölke-
rung. Sie wird gezielt ausgehungert. Massenvergewalti-
gungen – das wurde mehrfach genannt – betreffen zwei
Drittel bis drei Viertel aller Frauen. Vermehrt ethnisch
motivierte Gewalt und Hassrhetorik sind Vorboten geno-
zidärer Gewalt. Davor hat der gerade genannte Adama
Dieng schon im November gewarnt.

Natürlich bin ich – auch das ist hier schon zitiert wor-
den – dankbar für das, was unser Land bzw. die Bun-
desregierung schon tut. Ich denke dabei an die regionale
Schutztruppe zur Verstärkung von UNMISS, an die zivi-
le Konfliktprävention und an den von uns unterstützten
Ausbau der Friedens- und Sicherheitsarchitektur der Af-
rikanischen Union. Das alles ist toll. Und dann kommen
wir nicht einmal diplomatisch damit durch, dass das Waf-
fenembargo tatsächlich klappt und dass gezielte Sanktio-
nen verhängt werden. Das ist so, weil sich auch Länder,
mit denen wir sehr befreundet sind, nicht zu mehr als ei-
ner Enthaltung durchringen können.

Wir stoßen an die Grenzen unserer diplomatischen
Mittel. Tun wir aber genug? Die Aufforderungen nehmen
wir sehr wohl wahr. Wenn wir die humanitäre Hilfe mit
dem zusammenrechnen, was das BMZ gibt, kommen wir
auf knapp 100 Millionen Euro. Tun wir genug?

Christoph Strässer






(A) (C)



(B) (D)


Für Frieden, Sicherheit und Stabilität ist der politische
Wille der verantwortlichen Akteure vor Ort unerlässlich.
Die Machthaber müssen endlich die Krise anerkennen
und ihre Verantwortung gegenüber den 13 Millionen
Südsudanesen übernehmen. Natürlich müssen sich auch
die Afrikanische Union und die Nachbarländer mit ihren
Einflussmöglichkeiten – allein wegen ihres Eigeninter-
esses an Stabilität und Frieden in der Region – stärker in
die Pflicht nehmen lassen. Ich appelliere auch an die af-
rikanischen Nachbarländer, unsere Partner, mehr Druck
auf diese Regierung auszuüben, sich zusammenzuschlie-
ßen, um Frieden zu schaffen.

Gestern Abend gab es eine Konferenz – sie wur-
de vorhin genannt –, auf der Ministerin von der Leyen
und Minister Müller betonten, dass Sicherheit, Frieden
und Entwicklung einander bedingen. Deshalb ist es gut,
wenn wir mit dem Marshallplan und dem „Compact with
Africa“ den Schwerpunkt in der G 20 auf Afrika legen.
Aber beide Seiten müssen ihrer Verantwortung gerecht
werden. Wir müssen das diplomatisch, finanziell und mo-
ralisch und mit vielem anderen, was in dem Antrag steht,
machen. Aber wir müssen den Akteuren des Bürgerkrie-
ges auch sagen: Übernehmt in eurem schönen Land, dem
Südsudan, die Verantwortung für eure 13 Millionen Bür-
ger.

Ich danke.


(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822819500

Vielen Dank, Frank Heinrich. – Ich schließe die Aus-

sprache.

Vielleicht, lieber Christoph Strässer, können wir uns
daran orientieren, wie Ernst Bloch „Vision“ definierte:
als das noch nicht Seiende. – Vielen herzlichen Dank für
diese Debatte.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/11732 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Federfüh-
rung beim Ausschuss für Menschenrechte und humanitä-
re Hilfe liegen soll. Sind Sie damit einverstanden? – Ich
sehe keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so
beschlossen. Vielen Dank.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:

– Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Auswärtigen Ausschusses

(3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesre-

gierung

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der EU-geführ-
ten Ausbildungs- und Beratungsmission
EUTM Somalia

Drucksachen 18/11273, 18/11673


(8. Ausschuss)


Drucksache 18/11674

Über die Beschlussempfehlung werden wir später na-
mentlich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind
25 Minuten für die Aussprache vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Plätze ein-
zunehmen, damit ich die Aussprache eröffnen kann.

Ich gebe Jürgen Coße für die SPD als erstem Redner
das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Jürgen Coße (SPD):
Rede ID: ID1822819600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Krisenprävention ist besser, als einen Konflikt lösen zu
müssen, wenn er schon ausgebrochen ist. Aktive Krisen-
prävention und Friedensförderung sind jede Mühe von
uns allen in diesem Haus wert und braucht die breiteste
Unterstützung, die wir bekommen können.

Aber was ist, wenn die Krise schon da ist? Wir alle
kennen die schockierenden Bilder der Hungernden aus
Somalia. Von der Wasserknappheit sind dort zurzeit
6,2 Millionen Menschen betroffen. Das ist über die Hälf-
te der Bevölkerung.

Mitte März hat das Auswärtige Amt die humanitäre
Hilfe für das Horn von Afrika verdoppelt. Es stimmt: Hu-
manitäre Hilfe ist unabdingbar, aber für eine langfristige
Stabilisierung müssen wir viel mehr tun. Ja, wir müssen
die somalische Regierung in die Lage versetzen, das
Land effektiv zu regieren und auch die humanitäre Hilfe
zu schützen. Anders gesagt: Ohne Frieden und Sicherheit
kann es keine tragfähige Entwicklung in Somalia geben.

Deswegen bildet die EU seit 2010 Soldaten der soma-
lischen Armee in der Mission EUTM Somalia aus. Sie
stützt sich auf eine Einladung der somalischen Regierung
und auf eine Resolution des Sicherheitsrates. Diese Aus-
bildungs- und Trainingsmission leistet mit 155 Soldaten
einen zahlenmäßig kleinen, aber wichtigen Beitrag zur
Stabilisierung Somalias. So konnten bereits mehr als
5 400 somalische Soldaten ausgebildet werden.

Vielen Dank an die elf deutschen Soldaten, die derzeit
dort ihren Dienst tun! Sie leisten unter schwierigen Be-
dingungen sehr, sehr gute Arbeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ja, die Sicherheitslage in Somalia ist zwar immer noch
angespannt, hat sich aber verbessert. Auch der politische
Prozess macht Hoffnung. Gemessen an den Umständen
waren die letzten Monate ein kleiner Erfolg. Nach ei-
nem komplizierten Auswahlprozess und der friedlichen
Machtübernahme ist Mohamed Abdullahi als Präsident
vereidigt worden. Er ist demokratisch legitimiert; er hat
vielleicht sogar die höchste demokratische Legitimation,
die ein Präsident in Somalia je hatte.

Der neue Präsident kommt aus dem Exil und hat sich
bereits 2010 als Premierminister mit seinem Eintreten
gegen Korruption einen Namen gemacht. Er sorgte da-
mals dafür, dass die Soldaten regelmäßig ihren Sold er-

Frank Heinrich (Chemnitz)







(A) (C)



(B) (D)


hielten. Lassen Sie uns ihm und seiner Regierung jetzt
und auch weiterhin eine Chance geben.

Eine Chance hat die Regierung aber nur, wenn sie
über ein gut ausgebildetes Militär verfügt. Dafür ver-
mittelt EUTM Somalia Spezialwissen, hauptsächlich an
Offiziere. Der Lehrplan umfasst unter anderem zivil-mi-
litärische Zusammenarbeit, humanitäres Völkerrecht und
Menschenrechte. Damit wird ein Grundstein für eine Ar-
mee gelegt, die Zivilisten schützen kann.

Zweifellos gibt es bei der Ausbildung einiges zu ver-
bessern. Das tut die EU aber auch. 2016 beschloss die
EU, die Ausbildung stärker stammübergreifend auszu-
richten. Bereits Anfang dieses Jahres hat die Mission die
Ausbildung einer stammübergreifenden Infanteriekom-
panie abgeschlossen. Diese Fortschritte können sich se-
hen lassen, auch wenn sie klein sind.

Trotzdem macht sich heute keiner meiner Kolleginnen
und Kollegen in diesem Haus die Entscheidung leicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wer gegen den Antrag stimmt, muss eine Frage beant-
worten: Was ist denn die Alternative? Wenn wir uns nicht
in Somalia engagieren, überlassen wir das Land auf jeden
Fall den Terroristen von al-Schabab. Das kann niemand
in diesem Hause ernsthaft wollen.

Sicherlich: Die Parole „Afrikanische Lösungen für af-
rikanische Probleme“ ist ein gutes Ziel. Es zu erreichen,
liegt auch im europäischen Interesse. Aber so weit sind
wir noch nicht. Noch gibt es eine geteilte Verantwortung
bei der Bewältigung von Krisen und Konflikten auf un-
serem Nachbarkontinent. Was nicht nationalstaatlich
gelöst werden kann, wird auf Ebene der afrikanischen
Regional organisationen oder der Afrikanischen Union
gehoben, und es wird versucht, eine Lösung anzustreben.
Erst danach kommen die Vereinten Nationen und die Eu-
ropäische Union ins Spiel.

Im Bundestag, liebe Kolleginnen und Kollegen, reden
wir häufig über Krisen und Konflikte in Afrika, die bis-
lang noch nicht gelöst worden sind. Aber es gibt auch
Erfolge. Über diese sollten wir vielleicht öfter reden. Erst
Anfang des Jahres gelang es der westafrikanischen Wirt-
schaftsgemeinschaft ECOWAS, in Gambia einen letzt-
lich friedlichen Machtwechsel durchzusetzen. Auch die
Afrikanische Union macht Fortschritte. Für den neuen
Generalsekretär der Afrikanischen Union stehen Sicher-
heit und Frieden ganz oben auf der Agenda. Er hat sich
in Somalia ein Bild von der Lage vor Ort gemacht. Auf
jeden Fall müssen wir anerkennen, welche Entwicklung
die afrikanische Sicherheitsarchitektur bereits genom-
men hat. Die Afrikanische Union gibt es erst seit 15 Jah-
ren. Ihre Vorgängerin, die Organisation für Afrikanische
Einheit, stand noch klar unter dem Prinzip der Nichtein-
mischung. Interventionen, wie sie die Afrikanische Uni-
on heute vornimmt, wären damals undenkbar gewesen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir etwas
umfassender zurückblicken, sehen wir: Die afrikanische
Sicherheitsarchitektur ist auf dem Weg nach vorne, auch
wenn es langsam vorangeht. Bis das Ziel „Afrikanische
Lösungen für afrikanische Probleme“ erreicht ist, wird
allerdings noch viel Wasser Nil, Kongo und Niger hinun-

terfließen. Bis es so weit ist, sollten wir uns nicht verwei-
gern, wenn wir helfen können. Genau deswegen stimmt
die SPD diesem Antrag zu.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822819700

Vielen Dank, Herr Kollege Coße. – Nächste Rednerin:

Sevim Dağdelen für die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822819800

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir haben in der gerade vorangegangenen De-
batte über die Hungersnot im Südsudan gesprochen. Hier
kann man eigentlich nahtlos anschließen. Somalia steht
nämlich am Abgrund. Die Menschen in Somalia stehen
vor einer humanitären Katastrophe. 6,2 Millionen Men-
schen hungern, davon allein 300 000 Kinder. Wenn nicht
schnell Hilfe ankommt, werden Tausende Menschen
sterben. Das Welternährungsprogramm berichtet davon,
dass massiv Mittel fehlen, um auch nur die nötigste hu-
manitäre Hilfe in Somalia zu leisten.

Die Bundesregierung hat im letzten Jahr 38 Millionen
Euro ausgegeben. Ende Februar 2017 hat sie zusätzlich
16,5 Millionen Euro bereitgestellt. Das begrüßen wir
ausdrücklich. Das ist gut. Aber es ist nur ein Tropfen auf
den heißen Stein. Sie stellen den Hungernden in Somalia
damit pro Kopf 2,66 Euro zur Verfügung. Tausende Men-
schenleben, die gerettet werden könnten, werden so nicht
gerettet. Den Vereinten Nationen, sagt der Sondergesand-
te von UN-Generalsekretär Guterres, Michael Keating,
fehle es an Geld. Zitat:

Das Vorbeugungsprogramm gegen Hunger braucht
864 Millionen Dollar bis Juni, um 5,5 Millionen
Menschen zu erreichen. 30 Prozent des versproche-
nen Geldes ist da.

Da fragt man sich natürlich: Was tut man, was tut
die Bundesregierung, um den Hungernden zu helfen,
also einer existenziellen Krise entgegenzuwirken, und
das notwendige Geld aufzutreiben? Warum ist die Bun-
desregierung nicht bereit, wenigstens die 8 Prozent, die
Deutschland zum UN-Budget leistet, oder sogar 10 Pro-
zent – das wäre angesichts der schwerwiegenden Situa-
tion mehr als angemessen – als Anteil zu übernehmen?
Warum ist man dazu nicht bereit? Das wäre eigentlich
angemessen angesichts der wirtschaftlichen Kraft, die
wir haben, und entspräche dann 86 Millionen Dollar.


(Beifall bei der LINKEN)


In diese Richtung gehen Sie aber einfach nicht. Statt-
dessen soll die Ausbildungsmission für somalische Si-
cherheitskräfte durch die Bundeswehr fortgeführt wer-
den. Für diese Mission sollen heute hier im Bundestag
4,1 Millionen Euro für ein Jahr bereitgestellt werden, also
ein Viertel der Summe, die Sie hier zusätzlich für huma-
nitäre Hilfe einsetzen wollen. Das geschieht, obwohl Sie
noch nicht einmal sagen können, wie viele der von Ihnen
ausgebildeten Soldaten desertiert oder beispielsweise

Jürgen Coße






(A) (C)



(B) (D)


mitsamt der ganzen Ausrüstung und den Waffen zu den
Al-Qaida-Milizen übergelaufen sind. Es gibt überhaupt
keine Kontrolle. Sie sind seit sieben Jahren die Antwort
auf die Frage schuldig, wo die ausgebildeten Soldaten
letztendlich geblieben sind.

Mit dieser Mission beteiligt sich die Bundesregie-
rung weiterhin am somalischen Bürgerkrieg und unter-
stützt natürlich auch fragwürdige Akteure wie die soma-
lische Regierung. Die Präsidentschaftswahlen fanden
erst jüngst durch nichtgewählte Abgeordnete in einem
Hangar in Mogadischu statt, der von der AMISOM be-
wacht wurde. Es gibt keinerlei Strukturen in Somalia, um
Kriegsverbrechen der somalischen Regierungstruppen
oder der AMISOM zu ahnden.

Aber es ist genau diese Straflosigkeit, die das inter-
nationale Recht immer weiter erodieren lässt. Auch die
Bundesregierung muss in puncto Straflosigkeit endlich
Farbe bekennen, und das gilt nicht nur für Somalia. Wir
müssen endlich eine lückenlose Aufklärung über die
Kriegsverbrechen, an denen die Bundeswehr beteiligt ist,
erhalten. Frau von der Leyen, lassen Sie mich hier sagen:
Wenn sich die Berichte über die Beteiligung der Bundes-
wehr an dem Angriff auf die Schule in Syrien erhärten,
dann müssen Sie hier natürlich auch die politische Ver-
antwortung übernehmen und die Konsequenzen ziehen.


(Beifall bei der LINKEN – Rainer Arnold [SPD]: Würden Sie den Begriff „Kriegsverbrechen“ noch einmal erklären?)


Die Bundesregierung beteiligt sich auch an den
US-Kriegsverbrechen in Somalia durch die Drohnen-
mordaktionen. Das wissen Sie schon seit längerem. Hier
in Deutschland wird weiterhin die notwendige Infra-
struktur für diese Drohnenmorde auch in Somalia vorge-
halten. Das empfinden wir als unerträglich. Wir fordern
Sie deshalb auf: Beenden Sie diese Beihilfe zu Kriegs-
verbrechen! Leisten Sie in Somalia eine ausreichende
humanitäre Hilfe, statt immer wieder die Verlängerung
von Militärmissionen zu beschließen, über deren Bilanz
offen und transparent zu sprechen Sie bis heute nicht in
der Lage sind.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822819900

Das Wort hat der Kollege Dr. Johann Wadephul für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Johann Wadephul (CDU):
Rede ID: ID1822820000

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir haben gerade wieder einen typischen Bei-
trag aus der Linksfraktion erlebt,


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wahrheitsgemäß!)


den ich aber dennoch kurz einordnen muss. Ich muss
schon sagen: Diesen kleinen Beitrag zu einer Ausbil-
dungs- und Trainingsmission mit neun oder elf Soldaten

hier als einen Beitrag zur Beteiligung an Kriegsverbre-
chen


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Im Bürgerkrieg, ja!)


zu diskreditieren, das ist infam, Frau Kollegin. Dafür
sollten Sie sich entschuldigen. Das sollten Sie zurück-
nehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Das ist ja ein Witz!)


Für mich ist das Anlass, den Soldatinnen und Soldaten
der deutschen Bundeswehr, die dort Ausbildung betrei-
ben und die die Soldatinnen und Soldaten der somali-
schen Streitkräfte in die Lage versetzen,


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Sagen Sie doch mal was zu den Drohnenmorden!)


sich gegen eine terroristische Al-Schabab-Miliz zur Wehr
zu setzen, einmal herzlich für den schweren Dienst, den
sie in Somalia leisten, zu danken.


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Die Menschen hungern da!)


Unsere Soldaten leisten einen Beitrag zu mehr Frieden
in diesem Land – überschaubar, aber es ist ein Beitrag
dazu, dass dieses Land befriedet werden kann. Das ist
die Wahrheit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es sollte auch schon angesichts der Zahl, über die wir
gesprochen haben – der Kollege Coße hat es aus mei-
ner Sicht vollkommen richtig einsortiert –, jetzt nicht der
Eindruck erweckt werden, als wären diese Soldatinnen
und Soldaten, die in der Tat schon über 5 000 Angehörige
der Streitkräfte in den vergangenen Jahren dort ausgebil-
det haben – das ist beachtenswert genug –, die Lösung
aller somalischen Probleme. Diesen Eindruck hat hier
niemand erweckt,


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Gerade eben haben Sie es noch getan!)


und das ist auch gar nicht der Anspruch, den wir mit die-
ser Mission verfolgen.

Aber wir müssen schon zur Kenntnis nehmen, dass es
in diesem Land, das in den letzten Jahren und Jahrzehn-
ten einige Heimsuchungen hat erleben müssen, doch eine
vorsichtige Entwicklung zum Positiven gegeben hat.


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Sie könnten mal sagen, wie viele desertieren!)


Es gibt in der Tat – auch darauf ist vom Kollegen Coße
hingewiesen worden – einen neuen Präsidenten, der aus
dem Exil kommt, der das Richtige will, der eine integra-
tive Regierung gebildet hat, der sich dafür einsetzt, dass
Menschenrechte in diesem Land geachtet werden, und
der Korruption bekämpfen will. Man kann nicht einfach

Sevim Dağdelen






(A) (C)



(B) (D)


einen Schalter umlegen und in dem Land etwas Neues
herbeiführen.


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Ist das Demokratie für Sie, was da ist?)


Aber diese neue Regierung braucht unsere Unterstüt-
zung. Sie braucht erst einmal Sicherheit in diesem Land.


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Die brauchen was zu essen in diesem Land! Die hungern, die Menschen dort!)


Dazu müssen wir einen bescheidenen, aber doch not-
wendigen Beitrag auch mit dieser Mission leisten. Das
ist richtig.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte die Gelegenheit nutzen, an die Kollegin-
nen und Kollegen der Grünenfraktion zu appellieren,
noch einmal darüber nachzudenken, ob man hier nicht
doch zustimmen kann, wenn sie nach wie vor anstreben –
in welcher Konstellation auch immer; die Zahlen lassen
dieses Vorhaben ein wenig wackelig erscheinen –, nach
der Bundestagswahl an einer Bundesregierung beteiligt
zu sein.


(Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vorsicht im Glashaus!)


– Herr Kollege Lindner, Sie strahlen eigentlich immer
aus, dass Sie dabei sein wollen, wenn regiert wird.


(Rainer Arnold [SPD]: Das ist ja ein Koalitionsangebot an die da drüben!)


Deshalb sollten Sie noch einmal darüber nachdenken, ob
Sie diesem Einsatz nicht doch zustimmen.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist deplatziert bei diesem Thema!)


– Frau Lemke, Sie wollen vielleicht nicht beteiligt wer-
den. Das zeigt die Zerstrittenheit der Grünen. Aber das
müssen Sie untereinander regeln.

Sie fordern doch immer wieder ein, dass wir klare völ-
kerrechtliche Grundlagen für die Einsätze brauchen. Wir
haben es hier mit einer somalischen Regierung zu tun,


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Die demokratisch legitimiert ist aus Ihrer Sicht!)


die die Europäische Union eingeladen hat. Es gibt eine
Resolution des UN-Sicherheitsrates. Sie verlangen im-
mer wieder, dass wir die Autorität des Sicherheitsrates
unterstützen und dass wir ihm dadurch zu Glaubwürdig-
keit verhelfen, dass wir diese Missionen auch wahrneh-
men.


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Welche Legitimation hat denn die Regierung dort?)


Hier sind wir nun einmal gemeinsam mit unseren euro-
päischen Partnern diejenigen, die in Somalia auf einer
klaren völkerrechtlichen Grundlage tätig werden können.
Insofern sollte man das auch tun.

Sehen Sie doch die in der Tat bescheidenen, aber
durchaus vorhandenen Vorteile dessen, was sich in So-

malia entwickelt hat: eine neue Regierung, ein neuer An-
satz.


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Wieder eine Marionettenregierung eingesetzt!)


Man versucht, die verschiedenen Strukturen des Landes
einzubeziehen. Berücksichtigen Sie das, was wir an Ent-
wicklungshilfe, was wir an humanitärer Hilfe dort leis-
ten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will den
Einsatz nicht überhöhen. Diese Zahl von Soldatinnen
und Soldaten kann in diesem Land nicht alles regeln. Wir
können sicherlich nicht versprechen, dass nur deswegen,
weil unsere Soldatinnen und Soldaten dort sind, alles
besser wird. Aber auch hier gilt der Grundsatz: Es gibt
nichts Gutes, außer man tut es. – Wir tun ein bisschen et-
was Gutes. Wir leisten einen Beitrag dazu, dass dieses so
gescholtene Land, das sich in so schwierigen Verhältnis-
sen befindet, zu ein bisschen mehr Stabilität finden kann.
Sie sollten Ihren Teil dazu beitragen, indem Sie diesem
Einsatz zustimmen.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822820100

Das Wort hat die Kollegin Agnieszka Brugger für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir ha-
ben in der vorhergehenden Debatte über die drohenden
Hungerkatastrophen im Südsudan, aber auch schon in
Nigeria, im Jemen und in Somalia gesprochen. 1,4 Mil-
lionen Kinder, die vom Hungertod bedroht sind, das ist
schockierend. In Somalia ist allein die Hälfte der Bevöl-
kerung auf humanitäre Hilfe angewiesen. Damit sich die
Hungerkatastrophe von 2011 mit 250 000 Toten nicht
wiederholt, muss jetzt schnell geholfen und gehandelt
werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Düster ist auch die Sicherheitslage. Auch wenn
al-Schabab mittlerweile an Macht und Territorium einge-
büßt hat, werden nach wie vor in hoher Regelmäßigkeit
grausame Anschläge auf Regierungsgebäude, Hotels und
Sicherheitskräfte verübt. Die Vergangenheit hat für die
Menschen in Somalia viele Grausamkeiten, enttäuschte
Hoffnungen und Rückschläge bedeutet. Viele von ihnen
geben aber trotzdem die Hoffnung auf eine friedliche Zu-
kunft nicht auf, und sie gilt es zu unterstützen.

Leider ist es nicht gelungen, den neuen Präsidenten
in einer freien, fairen Wahl direkt durch die Bürgerinnen
und Bürger bestimmen zu lassen. Trotzdem: Insbeson-
dere vor der Folie der korrupten Vorgängerregierung be-
deuten ein neues Parlament und ein neuer Präsident auch
neue Chancen. Positiv ist auch, dass Deutschland wieder
Entwicklungszusammenarbeit leistet.

Dr. Johann Wadephul






(A) (C)



(B) (D)


Aber angesichts der extrem schwierigen Lage in So-
malia gibt es eine Sache, an der es da nicht mangelt:
Das ist die Vielzahl der Akteure, gerade wenn es um den
Sicherheitssektor geht. Die Afrikanische Union, die Eu-
ropäische Union, die Türkei, Großbritannien, die USA,
die Vereinigten Arabischen Emirate und sogar private
Militärfirmen sind in diesem Bereich aktiv – mit ihren je-
weils eigenen Interessen und auf eigene Rechnung. Was
in Somalia nämlich eindeutig fehlt, das ist eine Strategie
für einen nachhaltigen Aufbau politisch kontrollierter
Sicherheitskräfte, die im Dienste aller Menschen stehen.

In diesem Umfeld findet die europäische Ausbildungs-
mission EUTM Somalia statt. Sie wurde 2010 begon-
nen, hat die ersten Jahre in Uganda stattgefunden, und
die Bundesregierung hat sich damals aus guten Gründen
nicht daran beteiligt, weil sie berechtigte Zweifel hatte,
ob diese Mission so zum Ziel führt. Statt wirklich auf
eine echte und nachhaltige Neuausrichtung dieser Missi-
on zu drängen, hat die Bundesregierung sich irgendwann
entschieden, sich doch einfach daran zu beteiligen.

Im Mandat umschreiben Sie die zahlreichen Proble-
me, die diese Mission hat, mit der Formulierung, sie habe
ihre Aufgaben nicht wirksam genug umsetzen können.
Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, das
ist verharmlosende Schönrederei.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE])


In den letzten Jahren gab es eine Reihe von wirklich
sehr vielen glaubwürdigen Hinweisen dazu, was bei dem
Versuch, die somalische Armee auszubilden, alles schief-
gelaufen ist. Es gibt die Analyse des Zentrums für In-
ternationale Friedenseinsätze, unheimlich viele Berichte,
Augenzeugenberichte von Nichtregierungsorganisatio-
nen und sogar eine eigene Auswertung der Europäischen
Union. Sie alle stellen dieser Mission ein verheerendes
Zeugnis aus. Es gibt Berichte über uniformierte Solda-
ten, die die eigene Bevölkerung ausrauben, statt sie zu
schützen, über Soldaten, die keinen Sold bekommen und
nach der Ausbildung mit ihrer Ausstattung zu den Mi-
lizen überlaufen. Das ist wirklich kein Beitrag zu mehr
Sicherheit in Somalia.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Seit Jahren ist immer wieder die Rede von hohen
Desertionsraten. Wir Grüne haben oft nachgefragt, die
Linken auch. Ich lese Ihnen einfach einmal vor, was man
dann so als Antwort von der Bundesregierung bekommt,
zum Beispiel am 8. März dieses Jahres von Herrn
Brauksiepe aus dem Verteidigungsministerium:

Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse zu
Desertionen von somalischen Soldaten nach dem
Abschluss ihrer Ausbildung im Rahmen der EU-ge-
führten militärischen Ausbildungs- und Beratungs-
mission EUTM Somalia oder über generelle Deser-
tionsraten in der somalischen Armee vor.

Meine Damen und Herren, die Bundesregierung han-
delt hier nach dem Motto: Was ich nicht sehen will, das
gibt es einfach nicht. – Ihre Devise ist, mit einem mög-

lichst geringen Beitrag dazubleiben, auf den ersten Blick
schöne Statistiken zu präsentieren und kleine Kurswech-
sel als große Lehren zu verkaufen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Da fragt man sich schon: Ist das noch naiv und blauäu-
gig, oder ist das nicht schon verantwortungslos?

Meine Damen und Herren, wir Grüne können dem
Appell des Kollegen Wadephul nicht folgen, sondern wir
appellieren an die Bundesregierung, das alles endlich
ernst zu nehmen; denn so können wir dem Mandat natür-
lich auf keinen Fall zustimmen, und zwar nicht deshalb,
weil wir die Menschen in Somalia alleinlassen wollen,
sondern deshalb, weil Sie seit Jahren nicht bereit sind,
die zahlreichen Fehler zu korrigieren, und so ganz sicher
nicht zu einem nachhaltigen Aufbau von Sicherheits-
strukturen in Somalia beitragen.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Unruhe)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822820200

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, Platz

zu nehmen und auch dem nach unserer Redeliste letzten
Beitrag in dieser Debatte vor der namentlichen Abstim-
mung die notwendige Aufmerksamkeit zu schenken.


(Beifall des Abg. Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU])


Ich meine diese Bitte sehr ernst und richte sie an alle
Fraktionen.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Der linke Block sitzt gleich komplett!)


Das gilt auch für die Kolleginnen und Kollegen der SPD,
die dort hinten stehen.


(Zuruf von der SPD: Weitermachen!)


– Nein, wir werden nicht weitermachen. Ich werde dem
Kollegen Höschel zu seiner ersten Rede im Hohen Hause
nicht das Wort erteilen, bevor nicht die notwendige Auf-
merksamkeit hergestellt ist.


(Beifall)


Ich bitte, das auch in die Unionsfraktion hinein und ge-
gebenenfalls an die Vertreter, die auf der Regierungsbank
Platz nehmen könnten, zu übermitteln. Wir werden hier
nicht fortfahren, bevor Ruhe eingekehrt ist.

Der Kollege Höschel hat das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Mathias Edwin Höschel (CDU):
Rede ID: ID1822820300

Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr

geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute
die Fortsetzung der Beteiligung der Bundeswehr an der
EU-geführten Mission in Somalia, an der EUTM Soma-
lia, einer Ausbildungs-, Beratungs- und Trainingsmis-
sion. Somalia ist eines der am wenigsten entwickelten

Agnieszka Brugger






(A) (C)



(B) (D)


Länder der Welt. Es ist eines der ärmsten Länder. Es
ist eines der krisengeplagtesten Länder der Welt. Dür-
re, Hungersnöte, Krankheiten und Leid bestimmen das
Leben dort – und das alles bei einem gewaltigen Bevöl-
kerungszuwachs. In den letzten 20 Jahren hat sich die
Bevölkerung in Somalia verdoppelt, nämlich von 6 auf
12 Millionen Menschen.

Große Teile der Menschen dort brauchen humanitäre
Hilfe zum Überleben. Hinzu kommt der brutale Terror
der al-Schabab-Miliz. 1 Million Somalier sind ins Aus-
land geflüchtet. Ebenso viele werden als Inlandsflücht-
linge gezählt. Nur der Raum Mogadischu gilt als einiger-
maßen sichere Region. Diese Faktoren – Dürre, Hunger,
Krankheiten und Terror – haben nicht nur Somalia zu
einem Failed State gemacht, sondern sie sind auch die
Grundlage für die Destabilisierung der ganzen Region.

Unsere Aufgabe ist es, dort Hilfe zu leisten:


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


im Rahmen eines ganzheitlichen und internationalen
Konzepts; humanitäre Hilfe durch die Verbesserung der
Lebensmittelversorgung und auch durch Entwicklungs-
hilfeprojekte. Aber gleichzeitig gilt es, einen Beitrag dazu
zu leisten, Sicherheit und Stabilität zurückzugewinnen.

Über diese Unterstützung, über diesen Beitrag unter-
halten wir uns heute hier. Es geht um die weitere Ent-
sendung von bis zu 20 Soldaten nach Somalia, die die
Aufgabe haben, Soldaten auszubilden, Ausbilder auszu-
bilden und den dort Verantwortlichen strategische Bera-
tung in Sicherheitsfragen zu geben.

Das deutsche Kontingent ist ein kleiner, aber wich-
tiger Teil dieser internationalen Mission; denn in dem
Antrag der Bundesregierung wird als Auftrag der deut-
schen Streitkräfte auch explizit die Zusammenarbeit mit
anderen EU-Missionen und EU-Operationen in der Regi-
on genannt. Hieran sehen wir den Stellenwert des ganz-
heitlichen Ansatzes der Bundesrepublik und der Europäi-
schen Union in Somalia. Die militärische Mission ist nur
eine Komponente in diesem Bemühen. Der ganzheitliche
Ansatz umfasst auch die humanitäre und die diplomati-
sche Komponente.

Es gibt, wenn wir über Somalia sprechen, natürlich
eine Reihe von Problemen, diese Sicherheitskonzepte
auch zu realisieren. Es gibt die Probleme mit den Clan-
strukturen in der Wirtschaft, in der Politik, aber auch in
der Armee. Es gibt die gewaltige Korruption, die den
Staat in seiner Funktion fast zum Erliegen bringt, und es
gibt das Problem der Überläufer in der Armee. Aber das
sind doch keine Gründe dafür, die Ausbildung sein zu
lassen, sondern ganz im Gegenteil: Das muss uns doch
dazu treiben, die Ausbildung in Somalia und diese Mis-
sion zu unterstützen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben ja auch Erfolge: mehr als 5 000 ausgebil-
dete Soldaten oder die Mission Atalanta, die in den Ge-
wässern um Somalia erfolgreich zu einem erheblichen
Rückgang der Piraterie geführt hat. Atalanta bekämpft

die Piraten auf See, und wir sorgen mit unserer Aus-
bildungsmission dafür, dass die Kriminellen an Land
bekämpft werden. In der Gesamtheit kann das funkti-
onieren.

Wir müssen uns aber auch die Frage stellen: Was
passiert, wenn wir uns nicht beteiligen, wenn wir unser
Engagement in Somalia beenden? Wollen wir das Land
und seine Bevölkerung dem islamistischen Terrorregime
überlassen?


(Zuruf von der CDU/CSU: Nein!)


Ich glaube, das können wir nicht ernsthaft wollen.

In meiner ersten Rede als Abgeordneter möchte ich
nicht versäumen, meinen Dank den Soldaten und deren
Familien auszusprechen für die Bereitschaft, in solch ge-
fährlichen Missionen Deutschland, Europa, der NATO
und auch den Vereinten Nationen zu dienen. Mein herz-
licher Dank!


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich bin mir sicher, meine Damen und Herren, dass wir
mit einem langen Atem und mit der Kombination aus mi-
litärischer und ziviler Hilfe die Situation der Menschen
in Somalia auf lange Sicht verbessern werden. Ich be-
danke mich, wenn Sie dem Antrag der Bundesregierung
zustimmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822820400

Kollege Höschel, Sie sind am 7. Dezember 2016 in

den Deutschen Bundestag eingetreten. Ihre Fraktion
hat entschieden, dass Sie Ihre erste Rede hier als letzter
Redner vor der namentlichen Abstimmung, das heißt vor
dem gesamten Haus, halten können. Ich wünsche Ihnen
viel Erfolg für Ihre Arbeit.


(Beifall)


Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Druck-
sache 18/11673 zu dem Antrag der Bundesregierung
zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an der EU-geführten Ausbildungs- und Bera-
tungsmission EUTM Somalia. Der Ausschuss empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung, den Antrag der Bundes-
regierung auf Drucksache 18/11273 anzunehmen. Wir
stimmen nun über die Beschlussempfehlung namentlich
ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Schrift-
führer an ihrem Platz? – Ich eröffne die namentliche Ab-
stimmung über die Beschlussempfehlung.

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgeben konnte? – Das ist nicht der Fall.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-

Dr. Mathias Edwin Höschel






(A) (C)



(B) (D)


nen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird
Ihnen später bekannt gegeben.1)

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(14. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Harald
Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau),
Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Gerechte Krankenkassenbeiträge für
Selbstständige in der gesetzlichen Kran-
kenversicherung

– zu dem Antrag der Abgeordneten Harald
Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau),
Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Gerechte Krankenkassenbeiträge für frei-
willig in der gesetzlichen Krankenversiche-
rung Versicherte
Drucksachen 18/9711, 18/9712, 18/11771

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Reiner Meier für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Reiner Meier (CSU):
Rede ID: ID1822820500

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
wird in diesen Tagen viel von Gerechtigkeit geredet. Ich
denke, jeder von uns im Hohen Haus strebt nach Gerech-
tigkeit. Das ist nichts, was Einzelne für sich gepachtet ha-
ben. Mit der Gerechtigkeit ist es aber so eine Sache: Jeder
weiß, was für ihn selbst gerecht ist. Aber der Nächste kann
etwas völlig anderes darunter verstehen. Klar ist: Wenn
Gerechtigkeit mehr als eine leere Worthülse sein soll, dann
muss sie sich mit den Tatsachen auseinandersetzen.

Meine Damen und Herren, wenn heute so getan wird,
als würden Selbstständige in der GKV geschröpft, dann
müssen wir uns natürlich fragen: Was vergleichen wir
denn? Ein Arbeitnehmer bezahlt von seinem Bruttoein-
kommen 7,3 Prozent Krankenversicherungsbeitrag plus
Zusatzbeitrag, dazu kommen 7,3 Prozent Arbeitgeberbei-
trag.


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Plus Zusatzbeitrag!)


Bei den Selbstständigen gibt es weder ein Bruttoeinkom-
men noch einen Arbeitgeberbeitrag; stattdessen wird das
steuerlich relevante Netto nach Abzug der Betriebsaus-
gaben herangezogen. Das ist genauso kompliziert, wie es
klingt. Insbesondere kann der Gewinn in gewissen Gren-
zen gesteuert werden.

1) Ergebnis Seite 22963 C

Netto kann man nicht mit Brutto vergleichen. Deshalb
ist es richtig und gerecht, wenn die GKV von einem ty-
pisierten Einkommen ausgeht. Der Selbstständige kann
wiederum nachweisen, dass er weniger verdient, und be-
zahlt dann abgesenkte Beiträge.

Wenn man nicht – wie Sie – Äpfel mit Birnen ver-
gleicht, ist diese Logik auch sachgerecht. Denn was Sie
bei Ihrem Obstsalat ausblenden, ist die Rechtsprechung
des Bundessozialgerichts: Danach müssen die Beiträge
der freiwillig Versicherten im Durchschnitt die Kosten
decken. Davon sind Ihre Anträge weit entfernt, und das
wissen Sie auch.

Statt uns mit Schaufensteranträgen zu befassen, haben
wir deshalb konkrete Verbesserungen für die freiwillig
Versicherten verabschiedet. So werden pro Kind künftig
drei Jahre auf die Vorversicherungszeit in der GKV an-
gerechnet. Damit zahlen viele Rentnerinnen und Rentner
nur noch den günstigeren Beitrag in der Krankenversi-
cherung der Rentner. Ebenso haben wir Waisenrentner
bis zum 25. Lebensjahr von den Krankenversicherungs-
beiträgen befreit. Beides war wichtig und richtig, meine
Damen und Herren. Natürlich beziehen nicht alle Selbst-
ständigen Spitzeneinkommen.


(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Gegenteil! – Harald Weinberg [DIE LINKE]: Das ist aber euphemistisch ausgedrückt!)


Das gilt besonders in der Gründungsphase eines Unter-
nehmens. Deshalb gibt es hierfür völlig zu Recht Unter-
stützung.

Ein anderes Thema ist aber, wenn Menschen dauerhaft
nicht von ihrer Arbeit leben können, sei es nun aufgrund
von Scheinselbstständigkeit oder weil sie sich in ihrer
Selbstständigkeit finanziell überhoben haben und es sich
nicht lohnt.

So gewichtig diese Probleme sind: Es sind Fragen des
Arbeits- und Sozialrechts, nicht der Gesundheitspolitik.
Schon gar nicht geht es hier um eine alleinige Aufgabe
der gesetzlich Versicherten, meine Damen und Herren.
Ebenso wenig ist es übrigens eine Aufgabe der GKV,
Doktoranden oder Langzeitstudierende zu finanzieren.
Wer ohne besondere Gründe nach 14 Fachsemestern kei-
nen Abschluss erreicht, braucht vielleicht auch von au-
ßen einen Anreiz.

Meine Damen und Herren, wenn wir darüber spre-
chen, die Beitragslast für freiwillig Versicherte neu zu
regeln, sollten wir auch an die Gerechtigkeit gegenüber
der Solidargemeinschaft denken. Natürlich werden wir
uns die Beitragsbemessung bei den Selbstständigen ge-
nau ansehen.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann denn? In dieser Wahlperiode anscheinend nicht mehr!)


Wir sollten es aber nicht isoliert tun, sondern im Kontext
der Beitragsstrukturen insgesamt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


Es ist niemandem geholfen, wenn die vermeintliche
Lösung einer Fragestellung an anderer Stelle neue Fragen
aufwirft oder dadurch gar Ungerechtigkeiten auftreten.
Ihr Antrag kommt diesem Gedanken in keinster Weise
nach, und deshalb werden wir ihn heute auch ablehnen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822820600

Bevor wir in der Debatte fortfahren, gebe ich Ihnen das

von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte
Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt – es
ging um die Drucksachen 18/11273 und 18/11673 –: ab-
gegebene Stimmen 538. Mit Ja haben 435 Kolleginnen
und Kollegen gestimmt, mit Nein 103. Es gab keine Ent-
haltungen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 537;
davon

ja: 435
nein: 102
enthalten: 0

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist

Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsru he-Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Klaus-Dieter Gröhler
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr. Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum

Alexander Hoffmann

(Dort mund)

Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Dr. Mathias Edwin Höschel
Anette Hübinger
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Ronja Kemmer
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Uwe Lagosky
Dr. Dr. h.c. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert

Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller

(Braun schweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte

Reiner Meier

Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Patrick Schnieder
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr. von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger

Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr. h.c. Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett

Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Jürgen Coße
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Michaela Engelmeier
Dr. h.c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann

(Wa ckernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen

Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel
Angelika Krüger-Leißner
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller (Chemnitz)

Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Markus Paschke
Jeannine Pflugradt
Joachim Poß
Achim Post (Minden)

Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr. Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal

Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann

Nein

SPD

Klaus Barthel
Dr. Ute Finckh-Krämer
Cansel Kiziltepe
Christian Petry

(Wol mirstedt)


DIE LINKE

Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert

Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Norbert Müller (Potsdam)

Dr. Alexander S. Neu
Petra Pau
Richard Pitterle
Martina Renner
Michael Schlecht
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel

Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Lisa Paus
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Dr. Julia Verlinden
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt .

Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat der Kolle-
ge Harald Weinberg für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Harald Weinberg (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822820700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! Wenden wir uns
einfach einmal den Tatsachen zu. Über welches Problem
reden wir eigentlich? Wir haben in Deutschland 4,2 Mil-
lionen Selbstständige. Über 50 Prozent davon – also

mehr als die Hälfte, nämlich 2,3 Millionen – sind So-
lo-Selbstständige, haben also selber keine Beschäftigten.
Es ist insofern keine kleine Gruppe. Ein Drittel davon –
jeder Dritte von den 2,3 Millionen – hat einen Verdienst
von unter 1 100 Euro im Monat. Das ist Tatsache. Die
nächste Gruppe, das nächste Drittel, hat ebenfalls ein
sehr niedriges Einkommen.

Wir erleben eine Strukturverschiebung: Waren früher
viele der Solo-Selbstständigen in der Landwirtschaft, im
Handel oder auf dem Bau zu finden, so sind sie heute






(A) (C)



(B) (D)


vielfach im Bereich der personen- und unternehmensna-
hen Dienstleistungen beschäftigt. Ich mache es mal an
ein paar Beispielen deutlich: Es ist der Paketzusteller,
der als Subunternehmer des Subunternehmers von DHL,
Hermes oder UPS usw. usf. tätig ist. Es sind Menschen
in der Gastronomie. Es sind Pflegekräfte als Subunter-
nehmer von Pflegediensten. Es sind ehemals angestell-
te Kraftfahrer, denen dann plötzlich gesagt worden ist:
Du arbeitest jetzt auf eigene Rechnung, wir stellen dir
das Fahrzeug, und du bist jetzt ein Selbstständiger. – Es
sind Lehrkräfte, beispielsweise in den Integrationskur-
sen – im Moment durchaus ein relativ großes Thema –,
denen auch einfach gesagt worden ist: Es gibt kein Ange-
stelltenverhältnis mehr, ihr seid jetzt selbstständige Ho-
norarkräfte. – Es sind Crowd- und Clickworker. Es sind
Reinigungskräfte. – Das sind alles Berufe, die jetzt nicht
gerade besonders gut und üppig bezahlt werden.

Wo kommt das her? Da hat der Vertreter des DGB
in der Anhörung schon das Zutreffende gesagt: Diese
prekäre Selbstständigkeit ist Ergebnis einer jahrelangen
Deregulierung des Arbeitsmarktes, und sie hat einen Na-
men – das muss man sehen –: Es war die Agenda 2010.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Neben der Schaffung eines Niedriglohnsektors wurde
der Bereich der prekären Selbstständigkeit gefördert.
Natürlich müsste man dort auch in der Arbeitsmarktpo-
litik ansetzen – da gebe ich Ihnen sogar recht – und eine
neue Ordnung der Arbeit schaffen. Dann hätten wir viele
dieser Probleme nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Was bewirkt das im Bereich der Krankenversi-
cherungsbeiträge? Da ja ein Mindesteinkommen von
2 178 Euro angenommen wird, das unter sehr strengen
Bedingungen auf 1 452 Euro abgesenkt werden kann,
kommen teilweise absurde Beitragsbelastungen auf ge-
ringverdienende Solo-Selbstständige zu. Zwischen 30
und 50 Prozent ihres Einkommens müssen sie dann für
Krankenversicherungsbeiträge berappen. Sie müssen
also ein Drittel bis die Hälfte dessen, was sie verdienen,
ausgeben, um krankenversichert zu sein. Häufig führt das
zu Beitragsschulden und dadurch faktisch zu einem Weg-
fall des Rechts auf gesundheitliche Versorgung für diese
Betroffenen.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das findet Herr Meier gut!)


Die andere Möglichkeit ist: Die kleinen Selbststän-
digen werden in die private Krankenversicherung abge-
drängt, die sie in jungen Jahren mit durchaus noch güns-
tigen Beiträgen ködert. Diese steigen dann allerdings
relativ schnell, und das wird ebenfalls zu einem riesen-
großen Problem.

Die Beitragsschulden sind übrigens auch für die Kran-
kenversicherungen selber zunehmend ein Problem. Die
Höhe der Beitragsschulden nimmt von Jahr zu Jahr zu.
Bei den gesetzlichen Krankenversicherungen haben sich
inzwischen Beitragsschulden in Höhe von über 5 Milli-
arden Euro angehäuft.

Ist das alles ein von den Linken neu entdecktes Pro-
blem? Nein, das ist es nicht. Wir haben dazu schon in
der 16. Wahlperiode etliche parlamentarische Initiativen
ergriffen, wir hatten in der letzten Wahlperiode mehre-
re parlamentarische Initiativen ergriffen, und wir haben
auch in dieser Wahlperiode eine Große Anfrage zu die-
sem Problem an die Regierung gerichtet und dafür ge-
sorgt, das im Februar eine Debatte zu diesem Thema ge-
führt wurde. Wir stehen vor der Situation, dass wir seit
zehn Jahren auf das Problem aufmerksam machen, aber
seit zehn Jahren ist nichts passiert. Seit mehr als zehn
Jahren warten die Betroffenen auf eine Lösung, und das
ist aus unserer Sicht ein Skandal.


(Beifall bei der LINKEN)


Kleine und mittlere Unternehmen, Selbstständige und
Freiberufler sind in der Tat gut beraten, ganz genau hin-
zuschauen, wer ihre Interessen wirklich ernst nimmt, und
das ist mit Sicherheit die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)


Zu unserer Politik für kleine und mittlere Unterneh-
men, für Selbstständige und Freiberufler gehört auch der
vorliegende Antrag, der in der Anhörung immerhin das
kleine Wunder bewirkt hat, dass alle dort Anwesenden –
bis auf den Vertreter der PKV natürlich – gesagt haben,
dass die Beitragshöhen ein Problem seien und unbedingt
etwas getan werden müsse. Nun werden Sie gleich wort-
reich begründen – wir haben es ja eben schon gehört –,
warum Sie unseren Antrag ablehnen werden; das war ja
schon im Ausschuss so. Aber ich fordere Sie auf: Hören
Sie auf, zu reden, und tun Sie endlich etwas!


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822820800

Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Heike Baehrens

das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Heike Baehrens (SPD):
Rede ID: ID1822820900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Expertenanhörung hat gezeigt: Es besteht
Handlungsbedarf.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Aber ganz so einfach geht es nicht, wie es die Linke in
ihren Anträgen vorschlägt. Einerseits ist die Forderung
nach einer Senkung der Bemessungsgrenze für den Min-
destbeitrag zwar berechtigt und wirtschaftlich vernünf-
tig, andererseits sollten wir tunlichst alles vermeiden,
was benutzt werden könnte, um Menschen in ungesicher-
te Solo-Selbstständigkeit zu drängen.

Seit längerem beobachten wir einen Wandel in der
Arbeitswelt: Die Formen der Erwerbstätigkeit verändern
sich, individuelle Erwerbsbiografien verlaufen weniger
geradlinig, Erwerbstätige wechseln häufiger zwischen
den verschiedenen Arbeitsformen, bauen sich kleine
Existenzen auf oder wechseln wieder ins Angestellten-
verhältnis. Von wem also reden wir heute? Wir reden von

Harald Weinberg






(A) (C)



(B) (D)


jenen Solo-Selbstständigen, die nur geringe Einkommen
erzielen. Vor allem bei Dienstleistern und in der Kultur-
und Kreativwirtschaft gibt es solche Formen schlecht be-
zahlter Arbeit. Da muss man oftmals tatsächlich bis zur
Hälfte des Bruttoeinkommens für die Krankenkassenbei-
träge aufwenden. Das führt zu Überforderung, und das
muss geändert werden; darin stimmen wir mit den An-
tragstellern durchaus überein. Wir haben auch bereits ge-
handelt und im Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz
durch die Verfahrensvereinfachung immerhin eine erste
Verbesserung auf den Weg gebracht, die ab dem kom-
menden Jahr greift.


(Beifall bei der SPD)


Mehr war mit unserem jetzigen Koalitionspartner bis-
her an dieser Stelle nicht zu erreichen. Aber wir als SPD
werden an diesem Thema dranbleiben. Darauf können
sich die Betroffenen verlassen; denn Menschen, die in
Arbeitsfeldern tätig sind, in denen sie kaum Verdienst-
möglichkeiten haben, dürfen durch Sozialversicherungs-
beiträge in einem solidarischen System der Krankenver-
sicherung nicht überfordert werden. Aber – das sage ich
für uns als SPD ganz klar – wir wollen genauso wenig,
dass Arbeitgeber Druck auf Beschäftigte ausüben, eine
bislang sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in
eine selbstständige Tätigkeit umzuwandeln. Genau das
ist nicht nur in Industriebetrieben oder bei Gebäudereini-
gern, sondern zum Beispiel auch im Umfeld von Pflege-
dienstleistern der Fall.

Dieser Aspekt muss bei der Lösungssuche sehr sorg-
fältig mitbedacht werden. Das ist im Interesse stabiler
Beitragseinnahmen in der gesetzlichen Krankenversiche-
rung, aber noch viel mehr im Interesse der betroffenen
Menschen; denn als Solo-Selbstständige müssen sie ih-
ren Krankenkassenbeitrag und ihren Beitrag zur Alterssi-
cherung allein aufbringen, während sie als Arbeiter oder
Angestellte bei den Sozialversicherungsbeiträgen zur
Hälfte vom Arbeitgeber entlastet werden. Gerade bei der
Rente hat das oft fatale Auswirkungen; denn Lücken im
Versicherungslauf führen zu erheblichen Renteneinbu-
ßen, bis hin zu Armut im Alter.

Daher, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken,
können wir bei der Analyse Ihrer Anträge mitgehen, aber
nicht bei der vermeintlich einfachen Lösung, die Sie vor-
schlagen. Es braucht eine klare Antwort gegenüber Ar-
beitgebern, die sich aus der sozialen Verantwortung steh-
len wollen. Dazu haben Sie heute etwas gesagt; aber in
Ihrem Antrag haben Sie dazu keinen Vorschlag gemacht.
Ich kann es auch hier nur noch einmal betonen: Solch ein
Ausnutzen unserer Solidarsysteme tragen wir als SPD
nicht mit.


(Beifall bei der SPD)


Wir haben in der nächsten Legislaturperiode die
Chance, unser Gesundheitssystem weiterzuentwickeln,
damit es auf Dauer gerecht, solidarisch und finanzierbar
bleibt. Darum setzen wir als SPD auf den Einstieg in die
Bürgerversicherung


(Beifall bei der SPD – Reiner Meier [CDU/ CSU]: Oh Gott! Alte Kamellen!)


– ich habe erwartet, dass Sie so reagieren –; denn eine
solche Krankenversicherung für alle bezieht selbstver-
ständlich auch jene Selbstständigen mit ein, die wenig
verdienen. Die Bemessungsgrenze muss daher so festge-
legt werden, dass der Beitrag auch für sie bezahlbar ist.
Gleichzeitig tragen dann Gutverdienende, und zwar auch
selbstständige Gutverdienende, einen Beitrag entspre-
chend ihrer tatsächlichen Leistungsfähigkeit.

Meine Damen und Herren, so funktioniert aus unserer
Sicht Solidarität.


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Aber nicht in der Realität!)


Als SPD werden wir den Weg bereiten für eine solida-
rische Lastenverteilung in unserem Gesundheitssystem.
Die Bürgerversicherung wird kommen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD – Tino Sorge [CDU/ CSU]: Das erzählen Sie aber schon so lange!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822821000

Die Kollegin Maria Klein-Schmeink hat für die Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen
und Kollegen hier im Saal! Es ist nicht das erste Mal,
dass wir über die soziale Situation von Selbstständigen
in Deutschland sprechen. Wir haben viel Grund, darüber
zu sprechen. Das hat die Anhörung zu den Anträgen der
Linken deutlich gezeigt. Sie hat gezeigt: Auch die Selbst-
ständigen brauchen unsere Solidarität. Da, denke ich,
müssen wir vorankommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn wir uns das anschauen, stellen wir fest, dass
es um eine ziemlich komplizierte Thematik geht. Un-
serem gesetzlichen Krankenversicherungssystem lag ja
ursprünglich ein ganz anderer Gedanke zugrunde. Es
wurde vorausgesetzt, dass ein Selbstständiger gut ver-
dient, Vermögen hat und daher in allen sozialen Lagen
für sich selber sorgen kann. Die Realität heute ist eine
vollkommen andere. Dabei geht es nicht nur um die pre-
käre Beschäftigung, die nach der Agenda 2010 weiter um
sich gegriffen hat, sondern es geht um ganz viele Formen
der Selbstständigkeit, gerade im Dienstleistungsbereich.
Der Pizzabäcker, die Schneiderin, die Dolmetscherin,
die Frau, die für das BAMF einen Sprachkurs gibt – die
Bandbreite ist groß. Wir wissen, dass auch die Probleme
groß sind. Das hat uns die Anhörung zu den Anträgen
noch einmal deutlich gezeigt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Von daher reicht es nicht, zu sagen: „Wir werden die
Bürgerversicherung einführen“; denn ein wesentliches
Grundproblem, nämlich dass bestimmte Bevölkerungs-
gruppen originär nicht in die gesetzliche Krankenver-
sicherung einbezogen wurden, werden wir damit allein
nicht lösen können. Wir lösen damit die Probleme des

Heike Baehrens






(A) (C)



(B) (D)


Verschiebebahnhofs zwischen PKV und GKV. Wir müs-
sen uns aber ganz grundsätzlich darüber Gedanken ma-
chen, wie wir einen Selbstständigen verbeitragen wollen.
Das bleibt unabhängig davon, ob wir die Bürgerversiche-
rung einführen oder bei dem jetzigen Zustand bleiben,
ein Problem, das wir lösen müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Da sind wir leider in dieser Wahlperiode an der mangeln-
den Erkenntnis und Bereitschaft der CDU/CSU, über-
haupt etwas zu tun, gescheitert, aber auch an einer SPD,
die sich dieses Themas – bislang jedenfalls – nicht ange-
nommen hat. Das muss man ganz klar sagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Meier, es geht nicht darum, dass die GKV klei-
ne Selbstständige übervorteilen will. Vielmehr haben wir
als Gesetzgeber Regelungen geschaffen, die besagen:
Wir setzen für den gesetzlich Versicherten Mindestein-
kommen voraus, die dann zu verbeitragen sind, und
zwar unabhängig davon, ob die Menschen genau dieses
Mindesteinkommen überhaupt erlösen oder nicht. Dafür
brauchen wir eine Lösung.


(Reiner Meier [CDU/CSU]: Aber nicht auf Kosten der kleinen Leute!)


– Ich gebe Ihnen recht.

Auch viele der Sachverständigen haben betont, dass
der Königsweg nicht unbedingt darin liegen kann – so
hat es die Linke vorgeschlagen –, das Einkommen, das
vorausgesetzt wird, auf die Geringfügigkeitsgrenze ab-
zusenken. Denn dann hätten wir tatsächlich ein Problem,
weil wir zwischen Brutto- und Nettoeinkommen unter-
scheiden müssten. Die Höhe der Beiträge, die ein versi-
cherungspflichtig Beschäftigter heute in die gesetzliche
Krankenversicherung einzahlt, richtet sich nach dem
Bruttolohn und eben nicht nach dem Nettoeinkommen.
Dieser wesentliche Unterschied muss natürlich mit in
Betracht gezogen werden; sonst haben wir kein gerechtes
System. Zur Lösung dieses Problems machen Sie keinen
konkreten Vorschlag.

Wir haben einen anderen Vorschlag gemacht, der Sie
demnächst hier im Hause beschäftigen wird. Dieser sieht
die Absenkung auf das Niveau der sonstigen freiwillig
Versicherten vor, das heißt, dass round about 1 000 Euro
vorausgesetzt werden. Das würde dazu führen, dass wir
eine vergleichbare Einkommensbetrachtung hätten, und
wir würden einen Ausgleich zwischen Selbstständigen
und versicherungspflichtig Beschäftigten möglich ma-
chen. Darum muss es im Kern gehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was nicht geht, ist, gänzlich zu ignorieren, dass wir
eine Lösung brauchen. Das müssen wir jetzt anpacken,
und wir müssen es so anpacken, wie es zum Beispiel der
Verband der Gründer und Selbstständigen nahegelegt
hat, als er sagte: Es gibt nicht nur ein Problem bei der
gesetzlichen Krankenversicherung und der Krankenver-
sicherungsabsicherung allgemein, sondern auch bei der
Rente. – Vielen Menschen in den Gruppen, über die wir
hier reden – immerhin, so wird geschätzt, betrifft dies
320 000 Menschen in Deutschland; diese Zahl wurde

genannt –, fehlen auch die Mittel für eine vernünftige
Alters absicherung. Das müssen wir zusammenbringen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822821100

Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Zeit?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zu diesem Thema haben wir Ihnen einen Vorschlag
vorgelegt, über den wir hier irgendwann nach Ostern de-
battieren werden. Ich hoffe, dass Sie sich dann mit etwas
mehr Sorgfalt mit diesem Thema auseinandersetzen. Die
vielen kleinen Selbstständigen, die einen wesentlichen
Beitrag für die gesellschaftliche Entwicklung hier in
Deutschland leisten, haben es verdient, dass Sie da ge-
nauer hinschauen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822821200

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht die Kollegin

Maria Michalk.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Maria Michalk (CDU):
Rede ID: ID1822821300

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Sehr verehrte Damen und Herren! Grundlage für
diese Debatte sind zwei Anträge der Linken. Ich möchte
einmal die Titel vorlesen: „Gerechte Krankenkassenbei-
träge für Selbstständige in der gesetzlichen Krankenver-
sicherung“ und „Gerechte Krankenkassenbeiträge für
freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung Ver-
sicherte“. Ich sage: Man könnte, wenn man nicht wei-
terliest, glauben, die Linke habe jetzt ihr Herz für alle
Selbstständigen entdeckt.


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Ich war selber zwölf Jahre Unternehmer! – Gegenruf des Abg. Tino Sorge [CDU/CSU]: Das ist etwas ganz anderes!)


Das wäre auch gut; denn Selbstständige verdienen – und
zwar immer, nicht nur in dieser Debatte – unsere Hoch-
achtung, weil sie für sich selbst, ihren Arbeitsplatz und
ihre Mitarbeiter zuständig sind. Sie kümmern sich selbst
und ständig um Arbeitsplätze. Das muss hier einfach ein-
mal gesagt werden. Deshalb haben sie unsere Hochach-
tung verdient.


(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Weinberg [DIE LINKE]: Danke für Ihre Hochachtung! Ich war selber Unternehmer! – Gegenruf des Abg. Tino Sorge [CDU/CSU]: Dann sollten Sie es auch besser wissen, Herr Kollege! – Weiterer Gegenruf des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE]: Ich kenne die Situation besser als Sie, Herr Kollege!)


Jeder Unternehmer arbeitet mit großem Risiko, und
jeder Unternehmer haftet ganz allein für das, was er tut:
für seine Gesellschaft, für sein Unternehmen, für seinen
Arbeitsplatz. Er verschuldet sich gelegentlich, auch in
Form von Bürgschaften, bis zur letzten Kaffeetasse im

Maria Klein-Schmeink






(A) (C)



(B) (D)


Schrank. Das muss man einmal sagen. Denn gerade von
Ihrer Seite höre ich immer wieder: Das sind die Schurken
der Nation.


(Widerspruch bei der LINKEN)


Jetzt sage ich es noch einmal – dies ist wichtig –, dass
jeder Selbstständige Hochachtung verdient.

In Deutschland – Sie haben die Zahl 4,2 Millionen
genannt, in der Anhörung wurde auf 3,5 Millionen ab-
gestellt; das lasse ich einmal dahingestellt sein – sind
60 Prozent der Selbstständigen freiwillig in der gesetz-
lichen Krankenversicherung versichert; das sage ich zur
allgemeinen Kenntnisnahme. 50 Prozent derjenigen, die
in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind,
haben ein Jahreseinkommen von maximal 23 000 Euro.
Das ist das Problem.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Da sind wir uns in der Analyse fraktionsübergreifend ei-
nig. Davon kann man keine Familie ernähren.

Trotzdem muss ich darauf hinweisen, dass auch So-
lo-Selbstständige in Ehe- oder in Bedarfsgemeinschaften
mit Partnern zusammenleben. Deshalb ist auch bei ihnen
die Frage der Versicherung zu prüfen. Denn wenn man in
Partnerschaft lebt, ist es für Bezieher geringer Einkom-
men nicht so einfach, Aufstockerleistungen zu bekom-
men, weil man die Bedürftigkeitsprüfung erst einmal
überstehen muss. Deshalb ist Ihre einfache Antwort – das
betrifft leider auch unseren Koalitionspartner –, das Pro-
blem könne man in der nächsten Legislaturperiode durch
Einführung der Bürgerversicherung lösen, nicht richtig.
Da lobe ich mir eine differenzierte Betrachtung.

Denn man muss auch wissen, dass, wenn Sie das
einführen, alle Betroffenen, egal ob sie ein großes oder
ein kleines Unternehmen führen, eingebunden sind. Al-
lerdings haben diejenigen mit höherem Einkommen die
finanzielle Möglichkeit, sich neben der Bürgerversiche-
rung noch zusätzlich zu versichern. Damit schaffen Sie
auch keine Einheitsversicherung, die ich persönlich auf-
grund der Erfahrung der letzten 40 Jahre vor der Wieder-
vereinigung ablehne.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erzählen Sie uns doch nichts!)


Deshalb ist es wichtig, dass wir an unserem geglieder-
ten Versicherungssystem festhalten.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was tun Sie? Nichts!)


Aber ehrlich gesagt: Die Betrachtung der Wirtschafts-
stärke von Selbstständigen ist ein Thema. In der Anhö-
rung wurden uns Vorschläge – das machen Sie auch – mit
Blick auf die Mindestbemessungsgrenze auf den Tisch
gelegt. Sie wissen auch, dass da unterschiedliche Betrach-
tungsweisen vorgetragen worden sind. Der GKV-Spit-
zenverband spricht von einer Herabsetzung der Grenze
von 2 231 Euro um ein Drittel, also auf 1 487 Euro. Der
vdek spricht von einer Herabsetzung auf 991 Euro. Sie
haben jetzt von 1 000 Euro gesprochen. Vorschläge gibt

es viele. Das beweist, dass eine einfache Lösung eben
nicht so einfach zu erreichen ist.

Deshalb ist es richtig – Herr Weinberg, Ihre letzte Fest-
stellung ist falsch –: Die Koalition hat jedenfalls bis zur
Bemessungsgrenze eine Lösung für die freiwillig Versi-
cherten im Gesetzblatt stehen, die sich – das kann man
nicht oft genug sagen – an der Belastbarkeit orientiert. Es
ist ein fließender Beitragssatz zu zahlen. Das heißt: Wer
in einem Jahr Umsatzeinbrüche hatte, für den wird der
Beitrag abgesenkt. Mit diesem niedrigen Beitrag geht er
in das nächste Wirtschaftsjahr. Ist die Ertragslage besser,
muss er vielleicht nachzahlen. Diese Struktur der Belast-
barkeit ist gerecht.

Gleiche Leistungen, wenn man medizinische Hilfe
braucht: Das ist die Grundphilosophie, auf der die Uni-
on mit ihren Konzepten für die Zukunft weiter aufbauen
wird.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822821400

Der Kollege Dirk Heidenblut hat für die SPD-Fraktion

das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Dirk Heidenblut (SPD):
Rede ID: ID1822821500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine liebe Kollegin-

nen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Erst
einmal muss ich sagen: alle Hochachtung dafür, wie man
es mit Anträgen, die ein kleines Segment herausgreifen,
schafft, eine so breite Diskussion aufzumachen. Das ist
aller Ehren wert; das kann man nicht anders sagen.

Ich muss zugeben: Das freut an der einen oder ande-
ren Stelle; denn ich habe schon aus dem ersten Beitrag
des Kollegen Meier in dieser Debatte herausgehört – ich
hoffe, das habe ich nicht falsch verstanden –, dass wir
uns einig sind, dass wir bei vielen Fragen, um die es hier
geht, doch noch einmal an arbeitsrechtliche und andere
Dinge heranmüssen. Das wird man auch im Ministerium
mit Sicherheit gern hören.

Ich habe darüber hinaus gehört – ich zitiere da ein-
mal –, dass wir über das Ganze im Kontext der gesamten
Beitragsstrukturen diskutieren müssen. Wir sind ja sehr
dafür, über die Beitragsstrukturen insgesamt zu diskutie-
ren. Ich will nicht – die Kollegin Baehrens hat das schon
gemacht; das führt ja immer zu großen Freudenstürmen –
das Wort „Bürgerversicherung“ erneut in den Mund neh-
men – ach, jetzt habe ich es gemacht! –,


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


aber es ist natürlich durchaus ein Herzensanliegen von
uns, an dieser Stelle voranzukommen.

Übrigens: Wer bei der Anhörung der Sachverständigen
aufgepasst hat – ich bin mir nicht ganz im Klaren darü-
ber, warum die Kollegin Klein-Schmeink bei der Frage,

Maria Michalk






(A) (C)



(B) (D)


welche Probleme die Bürgerversicherung lösen und wel-
che sie nicht lösen kann, auf einmal so kleinmütig wird –,


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das musst du im gleichen Kontext erklären!)


der hat sehr deutlich gehört, dass einer der Sachverstän-
digen gesagt hat, die Lösung liege darin, alle Selbststän-
digen in die gesetzliche Krankenversicherung einzube-
ziehen, und zwar zwingend.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Das ist ein Aspekt, der sich mit der Bürgerversicherung
durchaus deckt.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir ja d’accord! Ihr müsst aber trotzdem noch sagen, wie das verbeitragt wird!)


– Dass wir die Frage der Verbeitragung an dieser Stelle
trotzdem lösen müssen, allerdings im Rahmen eines Ge-
samtkonzepts der Bürgerversicherung, will ich gar nicht
bestreiten; das ist auch nicht ganz so einfach.


(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also haben Sie keine Antwort darauf?)


In Ihren Anträgen werden positive Aspekte angeris-
sen, und sie beinhalten viele Punkte, an denen wir wei-
terarbeiten können. Sie sind aber – das ist zur Genüge
gesagt worden – ein wenig zu kleinräumig und nicht ziel-
führend. Es ist auch nicht wirklich gerecht, wenn man die
Lösung des Problems an einer im Zweifel gewürfelten
Größenordnung festmachen möchte. Deshalb können wir
natürlich nicht zustimmen. Aber wir wollen diesen Weg
weiter beschreiten. Die kleinen Selbstständigen standen
nämlich schon immer im Fokus unserer Betrachtungen.
Das hat auch etwas mit der Bürgerversicherung zu tun.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822821600

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Gesundheit auf Drucksa-
che 18/11771. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/9711 mit
dem Titel „Gerechte Krankenkassenbeiträge für Selbst-
ständige in der gesetzlichen Krankenversicherung“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die
Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/9712 mit dem Titel „Gerechte Kranken-
kassenbeiträge für freiwillig in der gesetzlichen Kran-
kenversicherung Versicherte“. Wer stimmt für diese

Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion
gegen die Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Neuregelung des Mutterschutzrechts

Drucksache 18/8963
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Fami-
lie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss)


Drucksache 18/11782

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundes-
ministerin Manuela Schwesig.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren Abgeordnete! Liebe Gäste! Heute ist ein gu-
ter Tag für die Frauen; denn nachdem wir vor einigen
Stunden hier im Parlament das neue Gesetz für mehr
Lohngerechtigkeit auf den Weg gebracht haben, wollen
wir nun auch das neue Mutterschutzgesetz auf den Weg
bringen.

Der Mutterschutz ist für das Kind, aber auch für die
Mutter ganz wichtig. Es gibt ihn in Deutschland schon
lange, und das ist auch gut so. Das entsprechende Ge-
setz ist aber aus 1952, und man kann sich vorstellen, dass
sich seitdem sehr viel verändert hat und dass wir dieses
Gesetz modernisieren und auf die Höhe der Zeit bringen
müssen.

Mir ist besonders wichtig, dass wirklich jede Mutter
und jedes Kind von diesem Schutzgedanken erfasst wird.
Das ist bisher nicht so. Für Schülerinnen, Praktikantin-
nen und Studentinnen gab es bisher keinen Mutterschutz,
und es ist gut, dass das jetzt so kommt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ein weiterer Punkt liegt mir besonders am Herzen.
Wenn Kinder mit einer chronischen Erkrankung oder ei-
ner Behinderung geboren werden, dann ist das eine ganz
besondere Situation und Herausforderung. Deshalb war
es mir besonders wichtig, dass wir den Mutterschutz im
Falle einer Behinderung des Kindes ausbauen und ver-
bessern. Auch das sieht dieser Gesetzentwurf vor.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir haben auch eine bessere Regelung für die wirk-
lich schwierige Situation einer Fehlgeburt gefunden. Das
ist auch sehr wichtig.

Dirk Heidenblut






(A) (C)



(B) (D)


Daneben sorgen wir dafür, dass der Mutterschutz
wirklich einen Schutz bietet. Das bisherige Gesetz in der
neuen Form soll aber nicht dazu führen, dass man auf
einmal ein Arbeitsverbot erhält, nur weil man schwanger
ist. Ich wurde von vielen Frauen angesprochen, die ge-
sagt haben: Der Schutz in der Schwangerschaft und nach
der Geburt ist wichtig, er darf aber nicht dazu führen,
dass ich nur deshalb, weil ich schwanger bin, auf einmal
ein Arbeitsverbot erhalte.


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: So ist es, ja!)


So geht es gerade vielen im Gesundheitswesen. Viele
Ärztinnen haben sich deshalb gewünscht, dass wir mit
der neuen Regelung eine gute Balance zwischen dem
Schutz und der Selbstbestimmung der Frau finden, damit
sie selbst mitentscheiden kann, ob sie noch weiterarbei-
ten kann oder nicht. Auch das ist uns gelungen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Auch um diesen Gesetzentwurf wurde lange gerun-
gen, weil es immer wieder Details gab, die man mitei-
nander abstimmen musste. Ich bin sehr froh, dass das
den beiden Fraktionen gelungen ist, wofür ich mich ganz
herzlich bedanken möchte.

Ich möchte meine kurze Redezeit nutzen, um auch der
Parlamentarischen Staatssekretärin Frau Widmann-Mauz
zu danken. Es ist schön, dass Sie heute auf der Regie-
rungsbank sitzen. Sie haben mit mir gemeinsam feder-
führend diese Punkte des Koalitionsvertrages verhandelt.
Fast am Ende dieser Legislaturperiode können wir jetzt
sagen: Bei vielen Dingen, die wir zur Verbesserung der
Situation von Frauen verhandelt haben – Frauenquote,
Lohngerechtigkeit, Elterngeld Plus und auch den Schutz
von Prostituierten –, waren die Verhandlungen nicht
leicht, und es war auch nicht leicht, diese Dinge hier auf
den Weg zu bringen. Es ist uns aber gemeinsam gelun-
gen, und deshalb sage ich auch Ihnen persönlich vielen
Dank für die gute Grundlage.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich freue
mich, dass wir jetzt den Mutterschutz für die Frauen in
unserem Land weiter verbessern. Wenn wir gemeinsam
auch noch das Pflegeberufsgesetz hinkriegen, dann kön-
nen wir, glaube ich, sagen: Wir haben gemeinsam für die
Familien und vor allem für die Frauen in unserem Land
geliefert.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822821700

Die Kollegin Jutta Krellmann hat für die Fraktion Die

Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Jutta Krellmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822821800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Während früher Schwangere vor dem Zugriff
der Arbeitgeber geschützt waren, sollen sie nun verhan-

deln dürfen, in welchem Umfang sie Schutz für sich und
ihr ungeborenes Kind in Anspruch nehmen.


(Maik Beermann [CDU/CSU]: Genau! Das finde ich gut!)


Als Frau und als Gewerkschafterin schrillen bei mir die
Alarmglocken, wenn ich so etwas höre.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Im ersten Moment liest sich der Gesetzentwurf so, als
sei alles im grünen Bereich. Gut ist zum Beispiel – das ist
ja auch schon gesagt worden –, dass Schülerinnen, Stu-
dentinnen und Praktikantinnen in das Mutterschutzgesetz
aufgenommen werden – und einiges mehr. Wir haben
eben ja auch schon einiges gehört.

Dass die Bundesregierung gleichzeitig aber Schutz-
rechte für Frauen im Mutterschutzgesetz aufweicht, geht
gar nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Diese Bundesregierung stellt sich wieder einmal klar an
die Seite der Arbeitgeber und ihrer Lobbyisten. Diese
haben nun den Fuß in der Tür, um weitere Schutzrechte
für alle Beschäftigten abzubauen. Es muss doch niemand
glauben, dass es, wenn es einmal beschlossen ist, bei
diesem einen Abbau bleibt. Bisher garantierte und orga-
nisierte der Staat den Schutz. Nun sollen die einzelnen
Beschäftigten individuell darüber verhandeln, wie viel
Schutz sie in Anspruch nehmen.


(Zuruf von der CDU/CSU: „Mitbestimmung“ heißt das!)


Wer da der Sieger sein wird, wissen wir doch.


(Sönke Rix [SPD]: Die Aufsichtsbehörden werden doch nicht abgeschafft! – Zuruf von der CDU/CSU: Kein Generalverdacht!)


Meine Damen und Herren von der CDU und SPD,
dieses Spiel lassen wir Ihnen nicht durchgehen.


(Beifall bei der LINKEN)


Schutzrechte von Beschäftigten sind nicht verhandelbar.
Bisher waren Schwangere vor Nachtarbeit ab 20 Uhr und
vor Sonn- und Feiertagsarbeit geschützt. Diese Regelung
weichen Sie nun auf und erlauben, dass Schwangere bis
22 Uhr und am Wochenende arbeiten können. Sie haben
eine falsche Vorstellung von Selbstbestimmung. Ich fra-
ge Sie: Welche Verkäuferin – nicht Ärztin, nicht Höher-
qualifizierte – kann denn ihrem Chef widersprechen und
sagen, dass sie nicht bis 22 Uhr an der Kasse sitzen will?


(Sönke Rix [SPD]: Die Aufsichtsbehörde ist doch nicht ausgeschaltet! – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Welche Angestellte im Service kann den Wunsch ihres
Chefs ablehnen, am Wochenende zu arbeiten?


(Sönke Rix [SPD]: Das macht doch die Aufsichtsbehörde!)


Wer wie die CDU ein Gesellschaftsbild hat, bei dem die
Frauen hinter dem Herd stehen,


(Widerspruch bei der CDU/CSU)


Bundesministerin Manuela Schwesig






(A) (C)



(B) (D)


der braucht wahrlich keinen Mutterschutz für beschäftig-
te Arbeitnehmerinnen.


(Beifall bei der LINKEN – Sönke Rix [SPD]: Da haben Sie in Teilen recht, aber nur in Teilen!)


Mit diesem Gesetzentwurf laufen Sie weiter gegen die
Rechte der Beschäftigten Amok. Zuerst haben Sie mit
den Hartz-Gesetzen die Axt an den Schutz der sozialen
Sicherungssysteme gelegt: Sie haben die Bezugsdauer
beim Arbeitslosengeld gekürzt, die Zumutbarkeitsregeln
abgeschafft und Hartz IV eingeführt. Anschließend ha-
ben Sie mit der Agenda 2010 den Arbeitsmarkt zerlegt:
Sie zwangen Menschen in prekäre Beschäftigung und ha-
ben damit den größten Niedriglohnsektor in ganz Europa
geschaffen.


(Maik Beermann [CDU/CSU]: Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit!)


Sie nahmen den Beschäftigten die Sicherheit und den
Schutz des Normalarbeitsverhältnisses.

Dank Ihrer Politik gibt es für viele Menschen nur noch
die Arbeitsschutzgesetze, die zwischen ihnen und den
Arbeitgebern stehen. Diese demontieren Sie jetzt auch
noch. Dass Sie damit bei den Verletzlichsten in der Ge-
sellschaft anfangen, ist regelrecht ekelhaft.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Maik Beermann [CDU/CSU]: Na, na, na!)


Sie verstehen einfach nicht, dass Beschäftigte im Kapita-
lismus per Gesetz geschützt werden müssen.


(Sönke Rix [SPD]: Das sind aber lange vier Minuten!)


Sie brauchen keine Wahlfreiheiten für alle möglichen
Optionen. Selbst das Bundesarbeitsgericht hat festge-
stellt, dass Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und
Arbeitnehmern eben nicht auf Augenhöhe stattfinden.


(Petra Crone [SPD]: Vier Minuten Redezeit!)


Wenn diese Erkenntnisse und medizinische Grundla-
gen nicht das Handeln bestimmen, dann sind wir mittler-
weile im postfaktischen Zeitalter angekommen. So geht
das nicht.


(Beifall bei der LINKEN – Sönke Rix [SPD]: Ich glaube, die Uhr der Präsidentin ist stehen geblieben!)


Finger weg vom Mutterschutz! Arbeitsrechte sind
Schutzrechte! Schutzrechte sind nicht verhandelbar. Des-
halb werden wir als Linke diesem Gesetzentwurf nicht
zustimmen.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822821900

Der Kollege Marcus Weinberg hat für die CDU/CSU

das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Marcus Weinberg (CDU):
Rede ID: ID1822822000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Frau Krellmann, ich habe Sie in den letzten Jahren
bei den intensiven Debatten über den Mutterschutz im
Familienbereich nicht erlebt. Ich muss sagen: Schade! Es
hätte wahrscheinlich viel Spaß gemacht, mit Ihnen darü-
ber zu diskutieren. Diese Mischung aus Kapitalismuskri-
tik im Allgemeinen und Unwissenheit über einen vorlie-
genden Gesetzentwurf:


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Das – darf ich sagen – hat Ihrer Fraktion nicht gutgetan.

Wie bei allen guten Dingen im Leben gilt: Das Beste
dauert – zumindest meistens – neun Monate. Eigentlich
heißt es: „Der Weg ist das Ziel“, aber dieses Mal ist es
das Ergebnis. Auch dieses Gesetz haben wir intensiv
beraten und neun Monate lang diskutiert. – In der Psy-
choanalyse wird man vielleicht irgendwann feststellen,
warum Gesetzesberatungen mit der SPD immer neun
Monate dauern.


(Petra Crone [SPD]: Mit Ihnen brauchen wir länger!)


Ob man daraus irgendwelche Rückschlüsse ziehen kann,
weiß ich nicht.

Wichtig ist uns, die Bedeutung dieses Themas klar-
zumachen – Frau Krellmann, ich komme gleich auf Ihre
Kritik im Einzelnen zu sprechen –; denn genau diese drei
Punkte hatten bei uns in der Diskussion Priorität.

Erstens. Es gibt natürlich kein Wenn und Aber bei den
Themen „Gesundheitsschutz für die Schwangere“ und
„Gesundheitsschutz für das ungeborene Leben“. Das hat
immer oberste Priorität.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Sönke Rix [SPD])


Der zweite Punkt ist die Selbstbestimmtheit der Frau-
en. Es gibt Veränderungen in der Arbeitswelt. Auch
wir – das gilt also auch für mich – reden gelegentlich
mit Frauen. Dabei haben wir mitgenommen, dass viele
Frauen gesagt haben: Wir wollen doch die Freiheit ha-
ben, zu entscheiden, ob wir möglicherweise bis 22 Uhr
arbeiten. In dem Zusammenhang stimmt Ihre Darstellung
des bisherigen Gesetzes nämlich nicht. Danach gab es
Branchen, die komplett freigestellt waren. Dort mussten
die Frauen bis 22 Uhr arbeiten. Jetzt sagen wir: Die Frau
muss entscheiden, der Arzt muss es bestätigen. Das ist
auch gut so. Danach wird es gemeldet. Wenn dann die
dafür zuständige Behörde sieht, dass es möglicherweise
Probleme mit dem Arbeitgeber gibt, kann auch ein Ver-
bot ausgesprochen werden. Das ist klug so, weil es die
Selbstbestimmtheit der Frau stärkt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es ist auch nicht verwerflich, wenn man in diesem
Land sagt: Wir wollen doch gerade, dass Frauen einge-
stellt werden. Wir wollen, dass Arbeitgeber sagen: Es
macht für mich im Vergleich zu anderen Personen keinen
Unterschied, eine Frau einzustellen, die möglicherweise

Jutta Krellmann






(A) (C)



(B) (D)


schwanger wird und wo es möglicherweise gewisse Ein-
schränkungen durch den Mutterschutz gibt. Deswegen
war es uns wichtig, zu sagen: Viele Maßnahmen müssen
tatsächlich auch im Hinblick auf die Folgewirkungen für
die Wirtschaft abgestimmt werden.

Unternehmer müssen sagen können: Ich finde es toll,
wenn bei mir eine Frau arbeitet, die Mutter wird. Das ist
für einen kleinen mittelständischen Betrieb gut. Deswe-
gen war es auch eine unserer Aufgaben, uns zu fragen:
Wo können wir Bürokratie abbauen? Und wo können wir
die Entlastung bzw. Flexibilität so gestalten, dass Unter-
nehmen sagen: Jawohl, das machen wir gerne mit. Der
dritte Punkt war also, auch die Interessen der Wirtschaft
mit im Auge zu haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das alte Gesetz stammt aus dem Jahr 1952. Auch da-
mals hat man schon zwei Jahre darüber diskutiert. Wir
haben hier das letzte Mal, glaube ich, intensiv über den
Begriff der Lustbarkeiten diskutiert. Ich will noch ein-
mal daran erinnern und verdeutlichen, in welchem Maße
wir uns weiterentwickelt haben und wie dieses Gesetz
zwischenzeitlich weiterentwickelt wurde: Damals, in den
50er-Jahren, wurde beispielsweise beim mutterschutz-
rechtlichen Kündigungsschutz während der Schwanger-
schaft eine Ausnahmeregelung eingeführt. Sie bestand
darin, dass Tagesmädchen und Haushaltsgehilfinnen
nach dem fünften Schwangerschaftsmonat gekündigt
werden durfte. Man stelle sich das einmal vor: In der
Bundesrepublik Deutschland gab es einmal eine solche
Regelung. Damals – so konnte man nachlesen – haben
die Ausschussmitglieder darüber beraten, ob denn dem
Arbeitgeber eine schwangere Haushaltsgehilfin zuzumu-
ten ist. Ich stelle einmal die These auf: Vielleicht hatte
der eine oder andere Arbeitgeber auch Angst, dass das
Kind der Haushaltsgehilfin eine gewisse Ähnlichkeit mit
ihm haben könnte. Deswegen konnte man ihr nach dem
fünften Schwangerschaftsmonat kündigen. Sie sehen
also: Wir sind weitergekommen.


(Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Was war uns wichtig? Unser Leitgedanke ist, dass wir
so viel Mutterschutz wie notwendig haben wollen. Das
haben wir – nach den Debatten mit der SPD, unserem
Koalitionspartner – am Ende, glaube ich, auch in ein sehr
gutes Gesetz gegossen.

Natürlich hat der Staat eine Schutzfunktion für Schwä-
chere. Er hat eine Schutzfunktion für diejenigen, die ei-
nen besonderen Schutz brauchen. Und Schwangere sind
eine Gruppe, die einen besonderen Schutz benötigt. Es
kann aber auch nicht richtig sein, eine Schutzglocke zu
schaffen, die die Freiheiten der Frau einschränkt.

Die Ministerin hat das Thema Beschäftigungsverbot
angesprochen. Es wäre nicht gut, wenn Frauen, die arbei-
ten wollen, durch staatliche Regelungen in ein Beschäfti-
gungsverbot gedrängt werden. Das wäre, glaube ich, so-
wohl für die Schwangeren als auch für die Unternehmen
völlig kontraproduktiv.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822822100

Kollege Weinberg, gestatten Sie eine Frage oder Be-

merkung des Kollegen Wunderlich?


Marcus Weinberg (CDU):
Rede ID: ID1822822200

Aber natürlich.


Jörn Wunderlich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822822300

Vielen Dank, Herr Kollege. – Herr Kollege Weinberg,

ich würde mich freuen, wenn Sie in dem Kontext auch
noch etwas zur Gefährlichkeit oder Gefährdung bei der
Arbeit sagen würden. Früher war es ja so: Wenn eine Ge-
fährdung vorlag, war die Arbeit im Rahmen des Schwan-
gerschafts- oder Mutterschutzes untersagt. Inzwischen
wird in dem Gesetzentwurf zwischen zumutbarer und
unzumutbarer Gefährdung differenziert.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Verantwortbarer“ und „unverantwortbarer“!)


– Oder „verantwortbarer“ und „unverantwortbarer“. – Ab
wann ist denn eine Gefährdung für die Schwangere und
ihr Kind verantwortbar oder nicht mehr verantwortbar?
Gilt das ab 50 Prozent oder ab 70 Prozent Gesundheits-
gefährdung? Ab wann ist es nicht mehr verantwortbar?


(Beifall bei der LINKEN)



Marcus Weinberg (CDU):
Rede ID: ID1822822400

Vielen Dank. – Ich bin verzweifelt, dass ich Ihnen das

in zwei Minuten erklären muss.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann stimmt etwas mit der Regelung nicht!)


Eigentlich aber steht es im Gesetzentwurf. Vielleicht stel-
len wir ganz einfach die Frage, was für uns wichtig ist.
Wichtig für uns ist, dass es drei Möglichkeiten gibt. Zu-
nächst einmal muss man den Unternehmen auch sagen,
dass zur Klarstellung des Gefährdungsbegriffs und der
Gefährdungsbeurteilung die Verordnung zum Schutze
der Mütter am Arbeitsplatz jetzt in das Gesetz aufgenom-
men wird. Anhand der Verordnung hätte man auch schon
vor vielen Jahren die abstrakte Gefährdungsbeurteilung
überprüfen können.

Danach gibt es doch drei Möglichkeiten. Erstens soll-
te am Arbeitsplatz sichergestellt werden, dass es keine
Einschränkungen für die schwangere Frau gibt. Dann
steht die Ampel auf „Grün“. Dann gibt es zweitens die
Möglichkeit, zu schauen, ob es unter Umständen Ge-
fährdungen geben kann. Das muss im Rahmen einer Ge-
fährdungsbeurteilung konkretisiert werden. Das heißt, es
muss genau gefragt werden, ob eine bestimmte Tätigkeit
in einem bestimmten Zusammenhang gefährlich ist oder
nicht. Danach wird entschieden, ob es ein Beschäfti-
gungsverbot gibt. Drittens gibt es den Bereich oder die
Berufe, wo ganz klar feststeht, dass eine Schwangere
dort nicht mehr arbeiten kann. In einem Bereich, wo es
um chemische Giftstoffe oder Ähnliches geht, sollte sie
sowieso nicht arbeiten. Es geht also um Bereiche, wo
mit Stoffen gearbeitet wird, welche die Schwangere ge-

Marcus Weinberg (Hamburg)







(A) (C)



(B) (D)


fährden. Das heißt, es wird festgestellt, ob die Ampel auf
„Grün“, „Gelb“ oder „Rot“ gestellt ist.

Wenn es darüber hinaus sozusagen individuelle Pro-
blemlagen der Frau gibt, dann gibt es selbstverständlich
immer noch die Möglichkeit, den Arzt zu konsultieren.
Ich glaube, das stärkt noch weiter die Flexibilität der Ar-
beitnehmerinnen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich weise Ihre Unterstellung ganz klar zurück. Wir ha-
ben den Gesundheitsschutz als allererste Priorität sicher-
gestellt. Darüber hinaus haben wir die Regelungen aus
Achtung vor der Selbstbestimmtheit der Arbeitnehmerin
dahin gehend flexibilisiert, darüber zu entscheiden, wann
und wie sie arbeitet.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das sieht leider anders aus!)


– Vielen Dank, Herr Wunderlich.

Ich will aber noch auf wichtige Punkte kommen, die
die Ministerin schon angesprochen hat. Denn es gibt Re-
gelungen, die bereits vor dem 1. Januar 2018 umgesetzt
werden müssen. Wir haben den 1. Januar 2018 deshalb
festgelegt, weil Unternehmen wie auch Verwaltungsein-
heiten darauf angewiesen sind, dass noch Konkretisie-
rungen für die Umsetzung erfolgen.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Die wissen nicht, was eine unverantwortbare Gefährdung ist!)


In diesem Zusammenhang ist es unsere Forderung als
Parlament an das Ministerium, dass das geleistet wird.
Die Unternehmen müssen wissen, was sie zu tun haben.
Deswegen ist es richtig, dass wir grundsätzlich das In-
krafttreten des Gesetzes zum 1. Januar 2018 festgelegt
haben.

Aber für gewisse Gruppen gilt das nicht. Das ist etwa
dann der Fall, wenn ein Kind eine Behinderung hat. Die
verlängerte Schutzfrist nach der Geburt eines Kindes
mit einer Behinderung tritt ebenso wie der Kündigungs-
schutz nach einer Fehlgeburt sofort in Kraft. Das war uns
wichtig; wir wollten, dass das sofort gilt. Das ist, glaube
ich, auch für die Betroffenen das richtige Signal.

In dem Zusammenhang gab es in der Diskussion ei-
nen Gedanken der Opposition, den ich gerne aufgreifen
möchte. Sie fordern die Mutterschutzfristen auch für
Frauen, die eine Fehlgeburt nach der zwölften Schwan-
gerschaftswoche erlitten haben. Auch wir haben uns da-
rüber Gedanken gemacht. Wir haben uns aber dagegen
entschieden. Ich spreche das an, weil das ein wichtiger
Punkt ist, und ich finde, man sollte auch darstellen, wa-
rum man sich dagegen ausspricht.

Wir sind der Auffassung, dass die Frau selbst entschei-
den sollte, ob sie ihren Arbeitgeber über eine Fehlgeburt
informiert. Mit der von Ihnen vorgeschlagenen Regelung
müsste sie das aber tun, weil es sich bei der nachgeburtli-
chen Mutterschutzfrist um ein absolutes Beschäftigungs-
verbot handelt. In diesem Fall einer Fehlgeburt ist – ich
glaube, das kann man sagen – die Krankschreibung mög-

licherweise der bessere Weg; so wird wahrscheinlich ver-
fahren. Deswegen werden wir Ihren Vorschlag ablehnen.

Ich kann zusammenfassend feststellen: In neun Mona-
ten entsteht, wie gesagt, viel Gutes. Wir haben jetzt einen
guten Gesetzentwurf, finde ich, der Schutzfunktionen auf
der einen Seite und Freiheit auf der anderen Seite, aber
auch den Schutz der Wirtschaft zusammenbringt. Des-
wegen war es richtig, dass wir jetzt nach über 60 Jahren
endlich das Mutterschutzgesetz reformiert und auf einen
vernünftigen Weg gebracht haben. Deswegen bitte ich
herzlich um Unterstützung.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822822500

Das Wort hat die Kollegin Beate Müller-Gemmeke für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau
Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wir
Grünen wollen einen modernen und diskriminierungs-
freien Mutterschutz. Wir wollen schwangere und stillen-
de Frauen schützen. Was wir aber nicht wollen, sind un-
sinnige Beschäftigungsverbote. Darin sind wir uns also
einig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Und doch ist der Mutterschutz nichts anderes als Ar-
beits- und Gesundheitsschutz. Deshalb brauchen wir ein-
heitliche Regelungen. Genau das ist an manchen Stellen
nicht wirklich gut gelungen. Das hätten Sie vermeiden
müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])


Bei der Arbeitszeit beispielsweise geht es im Mut-
terschutzgesetz vor allem darum, wann Frauen arbeiten
dürfen und wann nicht. Im Arbeitsschutzgesetz aber sind
die Arbeitszeitbedingungen ein wesentlicher Teil der Ge-
fährdungsbeurteilungen. Da gibt es einen Unterschied.

Ganz abstrus ist – das wurde schon angesprochen –
der neue Begriff der „unverantwortbaren Gefährdung“.
Was bitte schön ist das? Gibt es jetzt auch verantwortba-
re Gefährdungen? Eine solche Unterscheidung kennt das
Arbeitsschutzgesetz bisher nicht.

Es wird jetzt lange dauern, bis der Ausschuss für Mut-
terschutz diesen neuen Begriff definiert und mit Leben
füllt. Bis dahin ist die Rechtslage unklar, und das wird
nicht zu weniger, sondern, im Gegenteil, wieder zu mehr
Beschäftigungsverboten führen. Denn welcher Betrieb
wird es schon wagen, eine Gefährdung als verantwortbar
zu beurteilen? Natürlich keiner.

Gefährdungen müssen vermieden oder beseitigt wer-
den, und wenn das nicht gelingt, dann müssen Schutz-

Marcus Weinberg (Hamburg)







(A) (C)



(B) (D)


maßnahmen greifen. Das sind die Grundsätze im Ar-
beitsschutzgesetz, und genauso muss das auch beim
Mutterschutz gelten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Daran ändert auch Ihr komischer Entschließungsantrag
nichts. Sie hätten den Begriff der „unverantwortbaren
Gefährdungen“ einfach streichen müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es gibt einen weiteren weißen bzw. blinden Fleck im
Mutterschutzgesetz. Gefahrstoffe, Druckluft, Strahlung,
Zwangshaltung, Hitze oder Lärm, all diese Belastungen
werden aufgezählt, weil sie den Frauen nicht guttun. Die
psychische Gesundheit wird aber nur an einer Stelle ganz
beiläufig erwähnt. Die negativen Auswirkungen von
arbeitsbedingten psychischen Belastungen auf die Ge-
sundheit schwangerer Frauen und auf die Entwicklung
ungeborener Kinder sind aber bekannt. Wir haben diese
Lücke immer wieder kritisiert und einen entsprechenden
Änderungsantrag im Ausschuss gestellt. Aber es bleibt
dabei: Stress und psychische Belastungen werden weiter-
hin ignoriert. Das ist für uns nur schwer nachvollziehbar.
Das entspricht vor allem in keiner Weise einem ganzheit-
lichen Mutterschutz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Mit dem neuen Mutterschutzgesetz bekommen die
Frauen zu Recht mehr Selbstbestimmungsrechte. Sie
können selber mitentscheiden, ob sie arbeiten oder nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Grundsätzlich ist das richtig. Aber wir sind auch skep-
tisch. Es muss natürlich gewährleistet sein, dass die Frau-
en freiwillig arbeiten und nicht auf Druck der Arbeitge-
ber. Deshalb haben wir eine frühere und regelmäßige
Evaluierung des Gesetzes im Ausschuss gefordert. Das
ist aber abgelehnt worden. Hier hätten wir uns mehr Pro-
blembewusstsein gewünscht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Für uns gibt es also Licht und Schatten bei diesem Ge-
setz. Es geht in die richtige Richtung. Wir haben es uns
wahrlich nicht leicht gemacht und lange darüber nachge-
dacht, aber wir können nicht dafürstimmen. Wir werden
uns enthalten. Ein wesentlicher Grund sind die unglei-
chen Regelungen, was den Arbeitsschutz betrifft. Als
Beispiel habe ich den Begriff „unverantwortbare Gefähr-
dung“ genannt. Weil es bei diesem Gesetz um die Ge-
sundheit der Frauen und der ungeborenen Kinder geht,
werden wir aber ganz genau beobachten und nachfragen,
wie das Gesetz tatsächlich umgesetzt wird und wie es
sich am Ende auswirkt. Der Mutterschutz ist uns wichtig.
Deshalb bleiben wir dran. Das kann ich Ihnen versichern.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822822600

Das Wort hat die Kollegin Yüksel für die Fraktion der

SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gülistan Yüksel (SPD):
Rede ID: ID1822822700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Vater und
Mutter zu werden, ist etwas Wunderschönes. So schön
dieses Ereignis ist, so belastend kann eine Schwanger-
schaft für werdende Mütter aber auch sein, sowohl kör-
perlich als auch psychisch. Wichtig ist, Mutter und Kind
bestmöglich in der Schwangerschaft und darüber hinaus
zu schützen. Das geltende Mutterschutzgesetz ist nun
65 Jahre alt. Es ist also an der Zeit, es an die heutige ge-
sellschaftliche Realität anzupassen; denn Frauen gehören
mittlerweile ganz selbstverständlich in die Arbeitswelt,
und das ist richtig und gut so.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Unser Ziel war deshalb, eine Balance zu finden zwi-
schen dem Gesundheitsschutz für die Frau und ihr Kind
sowie den individuellen Wünschen der Frau, ihrem Be-
ruf auch in Schwangerschaft und Stillzeit nachzugehen.
Mit der Streichung der Branchenausnahmen und neuen
verständlichen Regelungen können Frauen nun selbst
entscheiden, ob sie sonn- oder feiertags arbeiten wollen.
Dafür müssen sie sich ausdrücklich bereiterklären, und
Alleinarbeit muss zu ihrem Schutz ausgeschlossen sein.


(Beifall bei der SPD)


Für Nachtarbeit zwischen 20 und 22 Uhr muss zusätz-
lich ein ärztliches Attest vorgelegt werden. Außerdem
war es uns wichtig, hier deutlich zu machen, dass es sich
um keinen Regelfall handelt, und dass die Frauen, die
während dieser Uhrzeit arbeiten, besonders geschützt
sind. So haben wir in den Verhandlungen ein behördli-
ches Genehmigungsverfahren durchsetzen können, bei
dem die zuständige Behörde den Antrag auf Nachtarbeit
prüfen muss und gegebenenfalls ablehnen kann.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bei der Mehrarbeit haben wir durchgesetzt, dass nun
auch Teilzeitbeschäftigte entsprechend ihrer vertraglich
vereinbarten Arbeitszeit berücksichtigt werden, ein wich-
tiger Verhandlungserfolg, da gerade Frauen überdurch-
schnittlich häufig in Teilzeit arbeiten. Darüber hinaus
haben wir dafür gesorgt, dass im Gesetz ein Rückkehr-
recht auf einen gleichen oder vergleichbaren Arbeitsplatz
verankert wird.

Ich freue mich auch, dass der Mutterschutz nun noch
mehr Frauen zugutekommt; denn künftig werden auch
Praktikantinnen, Schülerinnen und Studentinnen in den
Mutterschutz aufgenommen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das ist gut!)


Beate Müller-Gemmeke






(A) (C)



(B) (D)


Außerdem gibt es mehr Schutz schon ab dem 1. Juli die-
ses Jahres für Frauen, die Kinder mit einer Behinderung
zur Welt bringen. Ihr nachgeburtlicher Mutterschutz wird
von acht auf zwölf Wochen verlängert.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch der Kündigungsschutz für Frauen, die nach der
zwölften Schwangerschaftswoche eine Fehlgeburt er-
leiden, wird verbessert: Er gilt mindestens vier Monate
nach der Geburt. Generell sind kündigungsvorberei-
tende Handlungen durch den Arbeitgeber während der
Schwangerschaft und Schutzfrist verboten.

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen
und Kollegen, Schwangerschaft, Geburt und Stillen,
das sind natürliche Dinge. Sie sind ein Teil des Lebens.
Dadurch, dass sich Betriebe frühzeitig mit dem Thema
Mutterschutz beschäftigen und diesen in ihren Alltag in-
tegrieren müssen, werden Schwangerschaft und Stillzeit
entstigmatisiert. Mit der Reform des Mutterschutzgeset-
zes gehen wir heute deshalb auch einen wichtigen Schritt
hin zu mehr Gleichberechtigung und Partizipation.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822822800

Das Wort hat die Kollegin Bettina Hornhues für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Bettina Hornhues (CDU):
Rede ID: ID1822822900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Bereits während der
ersten Lesung haben wir einstimmig festgestellt, dass
die Novellierung des Mutterschutzgesetzes ein wichtiges
und mehr als überfälliges Vorhaben ist. Umso mehr freue
ich mich, dass wir dieses wichtige Gesetz heute verab-
schieden können. Für uns als CDU/CSU-Bundestags-
fraktion standen während der Gesetzesberatungen immer
zwei Dinge im Vordergrund:

Erstens. Der Schutz der Schwangeren und der des un-
geborenen Lebens stehen an vorderster Stelle.

Zweitens. Das Mutterschutzgesetz ist ein Gesetz für
die Praxis. Das heißt, es muss verständlich und anwen-
derfreundlich sowohl für die betroffenen Frauen als auch
für ihre Arbeitgeber sein.


(Beifall der Abg. Nadine Schön [St. Wendel] [CDU/CSU])


Darum haben wir uns während der Gesetzesberatun-
gen dafür eingesetzt, Bürokratie abzubauen und Rechts-
sicherheit zu schaffen. Schließlich soll das Gesetz für
schwangere und stillende Frauen kein Hemmnis sein, zu
arbeiten; wir wollen vielmehr, dass die Frauen selbstbe-
stimmt entscheiden, möglichst lange im Beruf zu blei-
ben. Schwangerschaft ist eben keine Krankheit, Frau

Krellmann, sondern eine besonders schöne und aufregen-
de Zeit im Leben einer Frau.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Trotzdem gilt der Arbeitsschutz! Das eine schließt das andere nicht aus!)


Wenn das Wort „Mutterschutz“ fällt, denken viele zu-
nächst nur an die Schutzfristen von sechs Wochen vor
und acht Wochen nach der Geburt. Aber beim Mutter-
schutz geht es um so viel mehr. Das Mutterschutzgesetz
greift ab dem Zeitpunkt, wo eine Frau ihrem Arbeitgeber
von der Schwangerschaft berichtet. Dementsprechend
sind sowohl viele Aspekte des Arbeitsschutzes beinhaltet
als auch die Frage, wie Arbeitgeber und Frauen während
dieser Zeit miteinander umzugehen haben.

Zwischen allen Beteiligten die richtige Balance zu fin-
den, war die große Herausforderung bei diesem Gesetz,
welche wir meiner Meinung nach sehr gut gelöst und ei-
ner modernen Arbeitswelt angepasst haben.

Ich möchte im Folgenden auf drei wichtige Aspekte
eingehen, die für uns als CDU/CSU-Bundestagsfraktion
besonders wichtig sind.

Erstens: das Verbot der Nachtarbeit. Aus einem umge-
stalteten Paragrafen zur Nachtarbeit, § 5 Mutterschutz-
gesetz, geht nun deutlich hervor, dass Ausnahmen vom
Nachtarbeitsverbot, also auch Arbeit nach 20 Uhr, bran-
chenunabhängig möglich sind. Arbeit nach 20 Uhr muss
zwar von der Aufsichtsbehörde genehmigt werden. Ein
großer Erfolg für uns ist hierbei aber, dass die Frau wäh-
rend dieser Zeit der Prüfung, in der die Aufsichtsbehör-
de über den Antrag entscheidet, weiterarbeiten kann und
eben nicht währenddessen im Beschäftigungsverbot lan-
det, was der ursprüngliche Entwurf so vorgesehen hatte.

Zweitens: die Gefährdungsbeurteilungen. Dieses war
während der gesamten Verhandlungen für uns mit der
wichtigste Punkt. Auch hier konnten wir die Vorschläge
im ursprünglichen Entwurf noch ändern: Individuelle Ei-
genschaften und Bedürfnisse der Frauen spielen bei der
Gefährdungsbeurteilung auch zukünftig keine Rolle. Na-
türlich hat aber der Arbeitgeber die Pflicht, Schutzmaß-
nahmen für die Frau festzulegen, sollten diese notwendig
sein.

Neu ist jetzt, dass der Arbeitgeber der Frau ein Ge-
spräch über weitere Anpassungen ihrer Arbeitsbedin-
gungen anzubieten hat. Daraus folgen allerdings keine
Pflichten für den Arbeitgeber. Steht also sinnbildlich die
Ampel auf Grün, gehen von dem Arbeitsplatz also keine
Gefahren für die Schwangere und das ungeborene Kind
aus, kann hinter die Gefährdungsbeurteilung unbürokra-
tisch ein Haken gemacht werden.

Drittens: Verbotsvorbehalt für die getaktete Arbeit.
Auch der von uns stark kritisierte Punkt des Verbots der
getakteten Arbeit im Gesetzentwurf konnte von uns ent-
schärft werden: Getaktete Arbeit mit vorgeschriebenem
Arbeitstempo wird auch weiterhin möglich sein, sofern
für die Schwangere und ihr Kind keine unverantwortbare
Gefährdung vorliegt. Schließlich muss man bedenken,
dass man bei getakteter Arbeit nicht immer gleich von
Akkordarbeit ausgehen darf. Viele Taktungen können

Gülistan Yüksel






(A) (C)



(B) (D)


so dem Arbeitstempo der Schwangeren angepasst wer-
den, dass sie möglichst lange ihre Arbeit weiterverfolgen
kann, was den Wünschen der Frauen entspricht.

Und mit den Wünschen der Frauen möchte ich auch
schließen. Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion und
speziell als AG Familie haben uns dafür eingesetzt, den
Wünschen von modernen Frauen in einer modernen Ar-
beitswelt mit diesem Gesetz gerecht zu werden – sei es,
dass sie noch Schülerinnen oder Studentinnen sind oder
dass sie als Arbeitnehmerinnen bzw. arbeitnehmerähnli-
che Personen beschäftigt werden. Wir müssen zwar die
besonders Schutzbedürftigen unter ihnen schützen, dür-
fen mit zu viel Bürokratie und Verboten den Frauen aber
auch nicht die Teilhabe an der Arbeitswelt verwehren.
Schließlich haben wir nicht mehr das Jahr 1952, sondern
das Jahr 2017.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geschützt werden müssen sie trotzdem!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822823000

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neu-
regelung des Mutterschutzrechts. Der Ausschuss für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/11782, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/8963 in der Ausschussfassung anzu-
nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthal-
tung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent-
wurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/11782 empfiehlt der Ausschuss, eine Ent-
schließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke
angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate
Künast, Tabea Rößner, Dr. Konstantin von Notz,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Nutzungsrechte digitaler Güter für Verbrau-
cherinnen und Verbraucher verbessern

Drucksache 18/11416
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Recht und Verbrau-
cherschutz (6. Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Nicole Maisch, Renate Künast,
Markus Tressel, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Mehr Transparenz und Klarheit bei Bu-
chungs- und Vergleichsportalen schaffen

Drucksachen 18/10043, 18/11471

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin
Renate Künast für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822823100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Gäste! Man glaubt es ja nicht, aber es ist 50 Jah-
re her, dass der erste Taschenrechner auf den Markt
kam. Das war die technische Revolution. Die Sorge war
groß. Es hieß nämlich, es könnte sein, dass wir alle das
Kopfrechnen vergessen. Wenn man das einmal überlegt:
Es ist 50 Jahre her, dass wir diese Sorgen hatten. Jetzt
sagen wir schon: Die Zeit, in der wir heute leben, ist ein
digitales Zeitalter, da können die Geräte miteinander
kommunizieren. Alles ist technischer geworden. Ohne
Smartphone geht keiner aus dem Haus. Aber wissen Sie,
was auch geschehen ist? Die Unsicherheit ist größer ge-
worden. Die Unsicherheit der Menschen, auch der Kun-
dinnen und Kunden, darüber ist größer geworden, was
eigentlich ihre Rechte sind und wie sie diese durchsetzen.

Nehmen wir einmal zwei Punkte aus unseren beiden
Anträgen. Früher hatte eine Bibliothek ein Regal oder
mehrere, gefüllt mit Büchern. Wenn Sie Bücher aus Ihrer
privaten Bibliothek verleihen, verschenken oder vererben
wollten, dann konnten Sie das problemlos tun. Heute hat
man E-Books. Das ist die Weiterentwicklung nach dem
Taschenrechner. Was machen wir aber mit dem E-Book?
Man hat heutzutage mit seinen E-Books auch eine gro-
ße, umfangreiche Bibliothek, aber weniger Rechte als im
analogen Zeitalter mit damals analogen Gütern.

Die Regeln, die wir haben, kommen aus dem Zeitalter,
bevor es Tablets, Smartphones und Streaming-Dienste
gab. Deshalb sagen wir Grüne mit unserem Antrag zum
Urheberrecht: Wir wollen das Urheberrecht an dieser
Stelle fit machen für das digitale Zeitalter.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut! Endlich!)


Bettina Hornhues






(A) (C)



(B) (D)


Es soll nämlich so sein, dass die Verbraucher nicht mehr
schlechtergestellt sind, und da muss ich Sie von der Bun-
desregierung kritisieren. Sie haben zwar beim Urheber-
recht Novellierungen vorgenommen, aber die Nutzungs-
rechte digitaler Güter haben Sie schlicht nicht angepackt,
meine Damen und Herren, obwohl dies im Koalitions-
vertrag angekündigt war. Dazu machen Sie ja hin und
wieder mit Hingabe nächtliche Koalitionsrunden. Ange-
kündigt war, das Urheberrecht an die Erfordernisse und
Herausforderungen des digitalen Zeitalters anzupassen.
Passiert ist aber nichts.

Wir legen jetzt den Grundstein. Man muss nämlich
ein Buch zum Beispiel weiterverschenken können. Die
Verbraucherzentrale hat dazu eine Umfrage gemacht und
festgestellt: Eine Weiterveräußerbarkeit wünschen sich
80 Prozent der Nutzerinnen und Nutzer. Ich finde, das
muss auch möglich sein, meine Damen und Herren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Uns wird vorgemacht, dass das digitale Buch billi-
ger ist. Aber wenn Sie nicht gleich Ihr ganzes Gerät mit
weggeben wollen, dann können Sie das E-Book gar nicht
weiterverschenken, verleihen oder Ähnliches. Dadurch
ist es faktisch wieder teurer.


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


Das ist auch eine Form, uns hinters Licht zu führen,
meine Damen und Herren. Wir meinen, wir brauchen
endlich Klarheit darüber, was eigentlich die Eigentums-
und Besitzverhältnisse in diesem Bereich sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bei den Massen an Geld, um die es da geht, kann ich
Ihnen nur sagen: In anderen Bereichen wäre das unvor-
stellbar.

Gleichwertige Nutzungsmöglichkeiten, geräteunab-
hängige, plattformneutrale Nutzung und ein Weiterver-
äußerungsrecht – das alles können Sie mit dem Schutz
der Urheberrechte am Ende problemlos verbinden, wenn
Sie eine Balance und einen Ausgleich schaffen, meine
Damen und Herren.

In dem zweiten Antrag – die Präsidentin hat es ge-
sagt – geht es um Buchungs- und Vergleichsportale.
72 Prozent aller Nutzer des Internets nutzen beim Kauf
von Fernsehern und vielem anderen und auch bei der Bu-
chung von Reisen Buchungs- und Vergleichsportale und
kaufen oder buchen nicht direkt. Sie glauben an die Ehr-
lichkeit und die Fairness dieser Portale, und das ist der
Fehler. Das ist ein echter Fehler. Warum? Wie kommen
die angezeigten Preise zustande, ist die Frage. Sind das
tatsächlich finale Preise? Oder merke ich am Ende des
Buchungsvorgangs, wenn ich nur noch auf „Ja“ drücken
muss, dass von überallher noch Summen dazukommen?
Wie wird die Auswahl getroffen? Wer kommt eigentlich
bei den Angeboten nach vorn?

Wir hören Beispiele, dass Versicherungen am Ende
noch eine oder zwei Vertragsbedingungen verändern und
das Ganze noch einen Cent billiger machen, und schon
stehen sie vorn. Die Versicherung oder der Kühlschrank

steht dann oben auf der Liste. Das ist schön für das Un-
ternehmen, aber der Verbraucher ist betrogen. Deshalb
brauchen wir gerade auch in diesem Bereich Regeln. Wir
brauchen Transparenz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wir sagen: Buchungs- und Vergleichsportale brauchen
einheitliche Standards. Sie müssen offenlegen, wer der
Betreiber ist, ob es ein Buchungs- oder ein Vergleichs-
portal ist, ob Provisionen gezahlt werden, ob andere
Zahlungen fließen, ob es Absprachen gibt und was die
ausschlaggebenden Kriterien sind, meine Damen und
Herren.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822823200

Kollegin Künast, ich bitte Sie, einen Punkt zu setzen.


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822823300

Letzter Satz. – Sie können nicht ständig von digitaler

Agenda reden und davon, dass wir uns fit für das digitale
Zeitalter machen müssen, wenn Sie die Alltagsverträge
der Kunden, die im Netz abgeschlossen werden, in keiner
Weise zugunsten der Kunden regeln. Das ist unsozial.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822823400

Das Wort hat die Kollegin Kathrin Rösel für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Kathrin Rösel (CDU):
Rede ID: ID1822823500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Zuschauer, die zu später Stunde auf der
Zuschauertribüne sitzen! Wir befassen uns hier mit zwei
Anträgen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die zwar
nicht den gleichen Inhalt, aber doch einiges gemeinsam
haben. Alle Verbraucher werden von Ihnen mal wieder
über einen Kamm geschoren, wie kleine Kinder behan-
delt und bevormundet. Anbieter von digitalen Dienst-
und Serviceleistungen sind Ihrer Auffassung nach alle
kriminell, müssen reglementiert, kontrolliert und sankti-
oniert werden.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie bitte? Wo steht das denn? – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aus welchem Jahrhundert ist denn die Rede? – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Hört! Hört! Die wird verstanden!)


Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,
lassen sie mich Ihnen drei Dinge sagen.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört! 5 Euro für die Phrasenkasse! – Gegenruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So billig?)


Renate Künast






(A) (C)



(B) (D)


– Die nehme ich von Ihnen gerne.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Erstens. Die Verbraucher, die Sie hier ansprechen,
sind erwachsene Menschen.

Zweitens. Die Welt ist nun einmal nicht schwarz-weiß.

Drittens. Auch Sie werden die neuen Märkte, die sich
uns durch die digitale Welt bieten, nicht aufhalten kön-
nen.

Aber nun zur Sache.

Antrag 1. Sie möchten, dass sich die Nutzungsrech-
te von käuflich erworbenen digitalen Gütern, also zum
Beispiel E-Books, wie Sie es schon sagten, nicht von de-
nen unterscheiden, die in gebundener Form, also analog,
vorliegen. Auf den ersten Blick ist das ja eine gute Idee.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja nicht zu viel verlangt!)


Allerdings würden wir mit einer vollständigen Gleich-
stellung digitaler und analoger Güter Urheberrechte ent-
werten und bestehende Lizenzsysteme außer Kraft set-
zen;


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Soll vererbt werden können!)


denn digitale Güter können nun mal völlig ohne Quali-
tätsverlust in unendlicher Zahl kopiert werden. Schon al-
lein hieran wird deutlich, dass digitale Waren eben nicht
mit analogen gleichzusetzen sind.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat sie auch nicht getan!)


Wie wollen Sie es technisch umsetzen, dass bei der Wei-
tergabe, zum Beispiel eines E-Books, keine Kopie zu-
rückgehalten wird?


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn man sich auskennt, weiß man, dass so etwas geht, Frau Rösel!)


Im Übrigen fordern Sie an einer anderen Stelle ausdrück-
lich, dass Privatkopien angelegt werden dürfen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Besser wäre Jarzombek!)


Damit wir wissen, worüber wir überhaupt beraten sollen,
Frau Künast, wäre es schön, zu wissen, was genau Sie
nun eigentlich wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kein Wunder, dass im Urheberrecht nichts passiert! Unfassbar!)


Antrag 2. Dieser Antrag ist inhaltlich anders, beruht
aber auf der gleichen Annahme. Die Anbieter von On-
linevergleichsportalen und -buchungsportalen haben
nach Ihrer Auffassung ein und dasselbe Ziel, nämlich
die Verbraucher über den Tisch zu ziehen. Aber auch das
kann ich so nicht stehen lassen. Allerdings: Ja, es ist kor-
rekt, dass immer mehr Verbraucher diese Vergleichspor-
tale nutzen. Ja, es ist korrekt, dass bei vielen Vergleichs-
portalen nicht der gesamte Markt abgebildet wird. Ja, es

ist korrekt, dass die Betreiber von Vergleichsportalen ihre
Waren und Dienstleistungen eben auch verkaufen wol-
len. Aber es entspricht eben auch der Realität, dass die
Verbraucher bei der Nutzung von Vergleichsportalen nur
eine Orientierung wollen und gar keinen Anspruch erhe-
ben, den vollständigen Markt abgebildet zu bekommen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber doch gelogen! Sie sind doch christlich! Sie können doch die Lüge nicht zulassen! Sie sollen doch die Wahrheit sprechen!)


– Frau Künast, hören Sie mir doch zu. Wenn Sie eine
Frage haben, melden Sie sich bitte. Die beantworte ich
gerne. – Erst letzte Woche habe ich mit der Verbraucher-
zentrale gesprochen. Mir wurde bestätigt, dass die Nut-
zer regelrecht erwarten, über diese Portale angebotene
Waren und Dienstleistungen auch käuflich erwerben zu
können. Sie wollen außerdem, dass derlei Portale genau
auflisten müssen – das haben Sie ja schon gesagt –, wie
viel sie bei ihrem Service verdienen. Sie wollen die An-
bieter gesetzlich verpflichten, alle Angebote tagesaktuell
aufzulisten. Wenn wir Ihre Forderung wirklich umsetzen
wollen, frage ich mich: Wie wollen wir das ernsthaft kon-
trollieren?


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was wollen Sie denn? Machen Sie doch ihre eigenen Vorschläge!)


Gerade aus Ihren Reihen habe ich am letzten Freitag den
Begriff „Bürokratiemonster“ extrem oft gehört. Dieser
Begriff trifft Ihre Anträge ja besser als irgendetwas an-
deres.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Jetzt wird hier noch die Maut abgefeiert! Das wird ja immer besser! – Gegenruf des Abg. Sebastian Steineke [CDU/CSU]: Das ist noch viel schlimmer als die Maut! – Gegenruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber billiger! Ein paar Milliarden billiger!)


Die Europäische Union hat bereits im letzten Jahr ge-
meinsam mit den Anbietern von Vergleichsportalen und
Verbraucherportalen beschlossen, verbraucherfreund-
liche und verbraucherschützende Prinzipien für diese
Branche zu erarbeiten und diese nun auch anzuwenden.
Diese Leitlinien beinhalten unter anderem, wie Sie es
schon gefordert haben, dass objektive Vergleiche durch-
geführt werden, Geschäftsmodelle deutlich gemacht und
Werbebanner als solche gekennzeichnet werden müssen.
Diese Prinzipien fließen in das Gesetz gegen den unlaute-
ren Wettbewerb ein; meiner Meinung nach vollkommen
ausreichend.

Wir als Union werden Ihre Anträge ablehnen, weil sie
weit über das hinausgehen, was wir unter Verbraucher-
schutz verstehen.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glaube ich sofort! – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was verstehen Sie denn darunter?)


Kathrin Rösel






(A) (C)



(B) (D)


Wir sind der Überzeugung, dass Menschen zu selbstbe-
stimmten Entscheidungen durchaus fähig sind, und wir
trauen ihnen etwas zu, ohne sie alleinzulassen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das, meine Damen und Herren, verstehen wir Christ-
demokraten unter verantwortungsvollem Verbraucher-
schutz.

Lassen Sie mich bitte eines zum Schluss sagen. Sie,
liebe Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen, müss-
ten spätestens seit letztem Sonntag wissen, dass allein
die Fähigkeit, die Schilder „Dagegen“ und „Verbieten“
wechselseitig hochzuhalten, nicht ausreicht, um die Ver-
antwortung für unser Land und seine Menschen zu über-
nehmen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor vier Wochen hätten Sie sich noch nicht getraut, die Rede so zu beenden, aber jetzt! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822823600

Das Wort hat die Kollegin Dr. Petra Sitte für die Frak-

tion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was reden wir denn dann nach NRW: Schilder rauf oder runter?)



Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822823700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es soll

hier noch Kollegen bzw. Abgeordnete geben, die sich gut
daran erinnern, als Henne Gensfleisch zum Gutenberg
den Buchdruck mit beweglichen Lettern erfand. Zu sei-
ner Zeit war die Vervielfältigung von Texten revolutionär
und hatte bedeutenden kulturellen Einfluss auf die Kom-
munikation und auf die Informationswege. Mit nur einer
Vorlage konnte man damals schnell und mit niedrigen
Kosten Tausende Exemplare herstellen und weitergeben.

Sechs Jahrhunderte später reden wir nun wieder über
einen demokratischen und partizipativen Umgang mit
kulturellen, diesmal digitalen Gütern. Digitale Güter
wie elektronische Bücher, Musikdateien, Fotografien,
Texte und Software sind im Unterschied zu körperlichen
Gütern nicht einfach öffentlich verleih- oder tauschbar,
zu vererben oder weiterzuverkaufen. Es war schon die
Rede davon. Was für den einen oder die andere private
Anwenderin ärgerlich ist, wird für öffentliche Bibliothe-
ken richtig kompliziert. Viele Lesende fragen elektroni-
sche Bücher immer stärker nach. Doch die rechtlichen
und finanziellen Hürden für die elektronische Ausleihe
sind immer höher geworden. Es können nur diejenigen
elektronischen Bücher zur Ausleihe angeboten werden,
für die der Verlag mit der jeweiligen Bibliothek einen Li-
zenzvertrag ausgehandelt hat.

Die Enquete-Kommission „Internet und digitale Ge-
sellschaft“ hat damals die Handlungsempfehlung ausge-
sprochen, neben einer höheren Grundfinanzierung der

Bibliotheken stärker als bislang digitale Medien zur Nut-
zung bereitzustellen und deren Verleihbarkeit entspre-
chend analoger Werke sicherzustellen.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gute Forderung!)


– Na ja, da waren wir ja auch dabei. – Auch wenn der
EuGH in seinem Urteil vom November 2016 entschie-
den hat, dass die Regeln für das Ausleihen von Büchern
grundsätzlich auch für E-Books gelten sollen, braucht es
eine gesetzliche Klarstellung im Urheberrecht, um öf-
fentliche Bibliotheken zukunftsfähig zu machen und sie
in die Lage zu versetzen, ihren Nutzerinnen und Nutzern
ein aktuelles E-Book-Angebot anzubieten und das zu ei-
nem fairen Preis und fairen Lizenzkonditionen.

Meine Fraktion hat dies bereits vor zwei Jahren – üb-
rigens vor fast genau zwei Jahren – in einem Antrag zur
Sicherstellung der Verleihbarkeit digitaler Medien ent-
sprechend analoger Werke in öffentlichen Bibliotheken
konkretisiert.


(Beifall bei der LINKEN)


Zudem würde aber auch eine allgemeine Bildungs-
und Wissenschaftsschranke Studierenden, Forschenden,
Schülerinnen und Schülern erleichtern, publizierte Wer-
ke für den nichtgewerblichen, für den wissenschaftlichen
Gebrauch genehmigungsfrei und ohne Einschränkung zu
nutzen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich warte auf
den Referentenentwurf zu § 52a Urheberrechtsgesetz.
Dort könnten wir endlich alles klären.


(Beifall bei der LINKEN)


Ganz grundsätzlich sind wir der Meinung, dass digitales
Secondhand, also der temporäre Verleih oder der Weiter-
verkauf, möglich sein muss.

Auf den zweiten Antrag, zu dem Renate Künast als
Erste gesprochen hat, möchte ich nur kurz eingehen. Zu
Recht wird in diesem Antrag auf die Studie der EU-Kom-
mission aus dem Jahr 2014 verwiesen. Fast zwei Drit-
tel der Verbraucherinnen und Verbraucher hatten bereits
Probleme bei der Nutzung von Vergleichsplattformen,
meist verursacht durch unvollständige Information.
Wenn man nicht wahrnehmen kann, dass ein Portal be-
stimmte Anbieter durch eine Provision bevorzugt, wird
eine Neutralität nur vorgespiegelt, die tatsächlich gar
nicht gegeben ist.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Gleiche gilt natürlich, wenn es sich bei dem An-
gebot um ungekennzeichnete Werbung handelt. Hierfür
klare Kriterien zu schaffen, wäre ein ganz wichtiger
Schritt, um Kundinnen und Kunden vor Fehlentschei-
dungen zugunsten der Anbieter zu schützen. Wir unter-
stützen daher den Antrag, den Sie dazu gestellt haben.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Kathrin Rösel






(A) (C)



(B) (D)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822823800

Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Petra Rode-

Bosse das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Rode-Bosse (SPD):
Rede ID: ID1822823900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und

Kolleginnen! Liebe Besucherinnen und Besucher auf der
Tribüne! Wer hat nicht schon einmal ein Buch oder eine
Musik-CD an Freunde oder Familie verschenkt oder ein
solches Gut in einem Sozialkaufhaus oder einer Leseecke
abgegeben, damit andere es nutzen können? In vielen Ca-
fés finden wir eine Auswahl an Zeitschriften, die wir le-
sen dürfen, ohne sie erwerben zu müssen.

An diesen Beispielen, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, zeigt sich der Unterschied zwischen der Nutzung
von analogen, körperlichen Gütern und digitalen Gütern.
Denn ein Buch oder eine CD oder DVD kann man wei-
tergeben, ohne einen Rechtsbruch zu begehen, digitale
Güter dagegen nach aktueller gesetzlicher Lage so nicht.
Jede Lizenz für ein Computerprogramm muss man ein-
zeln erwerben, und man kann sie nicht für ein weiteres
Endgerät nutzen, sofern es nicht ausdrücklich zugelassen
ist. Videos, die man über das Internet gekauft und he-
runtergeladen hat, darf man auch nicht weitergeben. So
lauten die aktuellen gesetzlichen Regelungen.

Der Markt für digitale Güter hat sich rasant entwickelt,
ist Bestandteil des Alltags, wird überproportional von der
jungen Generation genutzt, jedoch allgemein mit steigen-
der Tendenz. Wir brauchen daher praxisnahe Regeln, die
allen Beteiligten gerecht werden, also den Verbrauchern
und Verbraucherinnen, aber auch den Urheberinnen und
Urhebern, den beteiligten Verlagen und Internetportalen.
Eine solche Regelung zu finden, ist wahrlich nicht ein-
fach.

Auf der einen Seite bringen digitale Güter uns Nutze-
rinnen und Nutzern viele Vorteile, und es eröffnen sich
viele neue Möglichkeiten. Sie stellen uns aber auch vor
große Herausforderungen, was die Verbraucherrechte,
den Datenschutz und die Urheberrechte angeht. Wir als
SPD-Bundestagsfraktion verfolgen auch den Ansatz,
Nutzungsrechte für digitale und analoge Güter so weit
wie möglich gleichzustellen. Vereinfachung und Rechts-
sicherheit sind dabei das Ziel. Doch beachten müssen
wir, was möglich ist.

Im Vergleich zu analogen Gütern lassen sich die digi-
talen Güter einfacher und viel schneller verändern und
aktualisieren – was ein Vorteil ist –, aber ebenso einfach
und schnell auch kopieren und weitergeben, und zwar,
ohne dass sie neu hergestellt werden müssen. Hinzu
kommt die Anfälligkeit digitaler Datensätze für die Ma-
nipulationen Dritter. Dieser Kontrollverlust ist bei den
digitalen Gütern, vor allem bei jenen, die nur online vor-
handen sind, erheblich größer als bei Gütern mit einge-
betteten digitalen Inhalten wie CDs oder DVDs. Sie sind
mit einer Internetverbindung permanent abrufbar. Das
heißt, dass sie nicht einfach verloren gehen können und
sich somit rasant – und meistens wohl auch unwiderruf-
lich – verbreiten lassen, und zwar, noch bevor die Kosten

der Herstellung sich amortisiert haben oder Urheberin-
nen und Urheber ihr angemessenes Honorar für das Werk
erhalten konnten. Daher braucht es durchaus Verständnis
für eine realistische Umsetzung von Nutzungsrechten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Denn die Stärkung der Verbraucherrechte ist das
eine – und ich glaube, sie wollen wir alle –, aber der
Schutz der Urheberrechte und damit auch die Sicherung
der Existenzgrundlage der Urheberinnen und Urheber
ist das andere. Wer würde noch Schriftstellerin, Musi-
ker oder Ähnliches werden wollen, wenn die Existenz-
grundlage entzogen wäre? Das Urheberrecht sichert den
Schöpfern und Produzenten sowohl die Kontrolle als
auch die Beteiligung an der wirtschaftlichen Verwertung
ihrer geschützten Güter, Werke und Leistungen.

Die Koalitionsfraktionen haben das Urheberrecht in
dieser Legislaturperiode bereits gestärkt, und zwar mehr
als in den meisten Legislaturperioden davor.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Es geht so! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mehr als in der vor 50 Jahren!)


Das Urhebervertragsrecht wurde reformiert, das Ver-
wertungsgesellschaftengesetz wurde beschlossen, und
zumindest wir wollen auch die Bildungs- und Wissen-
schaftsschranke einführen, die vorhin schon erwähnt
worden ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, wo ist sie?)


Ich kann sehr gut verstehen, dass Bündnis 90/Die Grü-
nen vorstellig werden; denn die digitalen Güter stellen
das Urheberrecht und die Verbraucherrechte im Allge-
meinen vor große Herausforderungen.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist das!)


Ich kann Ihnen aber versichern: Wir nehmen die Heraus-
forderung an, für alle Beteiligten gerechte Regeln auf
dem digitalen Markt zu schaffen.


(Beifall bei der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn der Martin Schulz dann da ist, oder was?)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822824000

Das Wort hat der Kollege Dr. Volker Ullrich für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Volker Ullrich (CSU):
Rede ID: ID1822824100

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Die digitale Revolution der letzten Jahre hat zu
völlig neuen Formen des Konsums von Kunst und Kultur
geführt: Menschen hören sich gestreamte Musik an, sie
lesen ihre E-Books und schauen sich digitale Filme an.






(A) (C)



(B) (D)


Und da liegt es nahe, die rechtliche Bewertung von digi-
talen und analogen Gütern genauer zu betrachten.

Die Grünen fordern in ihrem Antrag, eine rechtliche
Gleichstellung zu prüfen. Ich will Ihnen aber sagen, dass
Sie den Umfang und den Charakter von digitalen Gütern
nicht vollumfänglich verstanden haben; denn Sie verglei-
chen in diesem Antrag etwas, was nicht vergleichbar ist.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber für beide wird schon Geld gezahlt! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut! Dann will ich mein E-Book zurück!)


Zwar mögen die Inhalte die gleichen sein – und das Werk
wirkt gleich, ob Sie es sich auf einem E-Book ansehen
oder in gedruckter Form –, aber der Unterschied liegt in
der Kopierbarkeit und in der Reproduzierbarkeit.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ja, und für beides zahle ich Geld! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es nicht verstanden, Herr Ullrich!)


Im Mittelalter musste ein Buch teilweise in monate-
langer Handarbeit abgeschrieben werden, um eine Kopie
zu bekommen.


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut, dass wir nicht mehr im Mittelalter sind!)


Zu Zeiten des Buchdruckes mussten die Druckplatten an-
gefertigt werden,


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Nein, die beweglichen Lettern!)


um eine Kopie zu erzeugen. Heutzutage können Sie digi-
tale Inhalte ohne weitere Kosten durch einen Mausklick
reproduzieren. Im Fachjargon nennt man das: Diese digi-
talen Inhalte haben in Bezug auf die Reproduzierbarkeit
sogenannte Nullgrenzkosten.

Wenn Sie ein Produkt haben, bei dessen Vervielfäl-
tigung keine Grenzkosten entstehen, dann können Sie
dieses Produkt nicht mit einem Produkt vergleichen, bei
dem Kosten bei der Reproduktion entstehen. Sie verglei-
chen Dinge, die nicht vergleichbar sind; das muss ich Ih-
nen so ehrlich sagen. Ich glaube, die Grünen haben die
digitale Welt noch nicht richtig begriffen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oje! Oje!)


Der amerikanische Ökonom Jeremy Rifkin hat in sei-
nem Buch Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft ganz klar
dargelegt, dass wir angesichts der großen Herausforde-
rung, die die Digitalisierung darstellt, neue Rechtsfor-
men benötigen und dass wir nicht einfach die analoge
Welt eins zu eins in die digitale Welt übertragen können.


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie doch mal einen Vorschlag!)


Deswegen brauchen wir im Urheberrecht völlig neue
Modelle.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, dann los! Seit zwölf Jahren regiert ihr! Nichts passiert! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Los jetzt!)


Wir müssen über Lizenzmodelle sprechen. Wir müssen
über eine patentähnliche Möglichkeit sprechen, digitale
Urheberrechte zu schützen. Uns geht es nämlich um den
Schutz des Urhebers.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Denn selbst wenn Sie ohne weitere Kosten ein E-Book
unendlich reproduzieren können: Sie können nicht die
Wohnung und nicht das Essen des Autors ohne Grenz-
kosten multiplizieren. Auch Autoren und Kreative müs-
sen im digitalen Zeitalter von ihren Werken leben kön-
nen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Genau!)


Qualität kostet. Wer als Kreativer unterwegs ist, der
muss sich auch weiterhin darauf verlassen können, dass
ihm der Staat schützend zur Seite steht, dass der Staat
sich um ein Urheberrecht kümmert, damit kreative Leis-
tungen auch zukünftig vergütet werden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann mal los!)


Das ist unser Anspruch.


(Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann los!)


Frau Künast, Sie haben in Ihrer Rede überhaupt nicht
erwähnt,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! Das weiß ich genau! – Lachen bei der CDU/CSU)


dass der Urheber von seinem Werk leben können muss.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Flasche Großes Gewächs Riesling, dass ich es gesagt habe! – Lachen bei der CDU/CSU)


Wir können das Prinzip, dass der Urheber von seinem
Werk leben können muss, auch im digitalen Zeitalter
nicht einfach aus den Angeln heben, Frau Künast.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber er darbt ja, weil Sie keine Gesetze machen! – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Sie haben es in der Hand!)


Ich lade Sie ein,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


Dr. Volker Ullrich






(A) (C)



(B) (D)


mitzuwirken bei einer sinnvollen und guten Umstruktu-
rierung des Urheberrechts im digitalen Zeitalter.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das dauert mir bei Ihnen zu lang! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann mal los! – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Wo ist denn Ihre Vorlage?)


Ich lade Sie ein, mitzumachen, wenn wir zukünftig die
Wissenschaftsschranke einführen, damit Bildung und
Wissenschaft im Urheberrecht gut abgebildet sind.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Legislaturperiode ist gleich zu Ende!)


Meine Damen und Herren, mit Ihren Anträgen zeigen
Sie, dass Sie das digitale Zeitalter nicht verstanden ha-
ben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird durch Wiederholung auch nicht besser!)


Aber ich kann den Menschen klar und deutlich sagen,
dass sich die Autoren, dass sich Kreative im digitalen
Zeitalter an der Seite der Union am besten aufgehoben
fühlen werden.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Johannes Fechner [SPD]: Das sehen die Umfragen aber anders!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822824200

Nächster Redner ist der Kollege Dirk Heidenblut,

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD – Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Das kann ja nur besser werden!)



Dirk Heidenblut (SPD):
Rede ID: ID1822824300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Um
eines vorab klarzustellen: Ich bin nicht der Kollege, der
den Buchdruck von Grund auf kennt. Das ist wahrschein-
lich der Grund, warum ich hier nicht zu den digitalen Bü-
chern reden darf, sondern etwas zu den Onlineportalen
sage.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist auch wichtig!)


Das macht letzten Endes ja auch Sinn.

Wer von uns nutzt nicht Onlineportale? Wahrschein-
lich auch fast alle hier.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)


– Okay, Frau Künast nicht. Das ist dann schon mal ge-
klärt. – Aber die meisten anderen nutzen sie. Wir nutzen
sie natürlich nicht nur zu Informationszwecken, sondern
es werden auch Buchungen oder ähnliche Dinge darü-
ber getätigt. Ja, es macht natürlich Sinn, Verbraucherin-

nen und Verbraucher an der Stelle zu schützen und dafür
Sorge zu tragen, dass vernünftige Transparenzregelungen
und Richtlinien gelten. Nein, damit wird nicht unterstellt,
dass alle Onlineportalbetreiber Verbrecher sind und das
Ganze ausnutzen, sondern es ist einfach eine Notwen-
digkeit im Geschäftsleben – und Onlineportale sind Teil
des Geschäftslebens –, für die Verbraucher so etwas wie
Augenhöhe herzustellen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])


Da gehen wir durchaus mit; das ist überhaupt keine Fra-
ge.

Ihr Antrag geht uns aber zu weit, weil er ein wenig den
Eindruck vermittelt, dass die Onlineportale im Internet
sich in einem komplett rechtsfreien Raum bewegen. Das
ist natürlich nicht der Fall.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Internet gleich rechtsfreier Raum, das sagen die hier drüben!)


Wir haben Rechtsregelungen, die natürlich auch da gel-
ten. Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ist
eine solche Regelung. Erst vor kurzem wurde in einem
Urteil sehr deutlich gesagt, welche Offenlegungspflich-
ten bei einem Versicherungsportal bestehen. Das heißt,
es gibt Rechtsregelungen. Einiges von dem, was Sie in
Ihrem Antrag benennen, wird von diesen Rechtsregelun-
gen durchaus erfasst.

Es gibt einen zweiten Punkt, an dem Ihr Antrag in die
falsche Richtung zielt, nämlich in die nationale Richtung.
Vieles von dem, was Sie ansprechen, muss eigentlich
nicht auf unserer Ebene, sondern auf der europäischen
Ebene geregelt werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch die EU – das muss man sagen – schläft an der Stelle
nicht.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


Wir wissen, dass sie gerade wieder eine Expertise dazu
einholt; ich glaube, das wird als „Fitnesscheck“ bezeich-
net. Es soll geprüft werden – das ist genau die Richtung,
in die Ihr Antrag zielt –, inwieweit der Verbraucherschutz
wirklich greift und ausreichend ist.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die müssen auch endlich mal aus der Prüfphase herauskommen!)


Wir erwarten die Ergebnisse dieser Prüfung im zweiten
Quartal dieses Jahres. Aus unserer Sicht macht es Sinn,
unabhängig von der Frage, wo und auf welcher Ebene
etwas zu regeln ist, diese Ergebnisse abzuwarten, um sie
in vernünftige Entscheidungsprozesse einzubeziehen.

Vor diesem Hintergrund werden auch wir Ihrem An-
trag nicht zustimmen.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schade!)


Dr. Volker Ullrich






(A) (C)



(B) (D)


Aber wir werden den Verbraucherschutz, auch bezogen
auf Onlineportale, selbstverständlich weiterhin hoch
schätzen und aufrechterhalten.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822824400

Vielen Dank. – Damit sind wir am Ende der Debatte.

Tagesordnungspunkt 17 a. Interfraktionell wird die
Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/11416 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das
ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Tagesordnungspunkt 17 b. Wir kommen zur Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Ver-
braucherschutz zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen mit dem Titel „Mehr Transparenz und Klar-
heit bei Buchungs- und Vergleichsportalen schaffen“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/11471, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10043 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Das ist die Koalition. Wer stimmt dagegen? – Das ist die
Opposition. Wer enthält sich? – Niemand. Damit ist die
Beschlussempfehlung angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Bevorrechtigung des Carsharing

(Carsharinggesetz – CsgG)


Drucksache 18/11285

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur

(15. Ausschuss)


Drucksache 18/11770

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr und digitale
Infrastruktur (15. Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Matthias Gastel, Stephan Kühn

(Dresden), Markus Tressel, weiterer Abgeord-

neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Intelligente Mobilität fördern – Rechtssiche-
re Regelung zur Ausweisung von Carsha-
ring-Stationen schaffen

Drucksachen 18/7652, 18/11770

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Hier höre ich
keinen Widerspruch von Ihnen. Dann ist das so beschlos-
sen.

Wenn jetzt alle die Plätze eingenommen haben, eröff-
ne ich die Aussprache. – Das Wort hat Herr Bundesmi-
nister Dobrindt für die Bundesregierung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr
und digitale Infrastruktur:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir nutzen die
Stärken der Sharing Economy und bringen die intelligen-
te Mobilität in unsere Städte und Regionen. Mit unserem
Gesetz fördern wir den Trend zum Teilen und nutzen die
enormen Potenziale des Carsharing für noch mehr indivi-
duelle Mobilität. Was wir derzeit erleben, ist mit Sicher-
heit die größte Mobilitätsrevolution seit der Erfindung
des Automobils. Dazu gehören die Elektromobilität, das
automatisierte Fahren und die vernetzten Verkehre.

Shared Mobility ist heute ja längst keine Vision mehr,
sondern sie ist spätestens mit dem Siegeszug von Smart-
phones und Apps voll in der Mitte der Gesellschaft an-
gekommen. Immer mehr Menschen wollen den Komfort
der individuellen Mobilität durch das Auto, aber ohne
selber eines zu besitzen. Die Potenziale dieser Entwick-
lung sind enorm. Carsharing bringt mehr Mobilität bei
weniger Emissionen und kann – das zeigen alle Studien –
den CO2-Ausstoß erheblich reduzieren. Ein Carsharing-
fahrzeug kann bis zu 20 private Pkws ersetzen und macht
100 Meter Parkplätze am Straßenrand frei.

Es gibt auch eine Reihe von neuen Geschäftsmodel-
len, die damit verbunden sind. Deutschland geht hier
seit langem voran. Wir sind heute schon Europameister
im Carsharing. Mehr als die Hälfte aller Carsharingnut-
zer und mehr als die Hälfte der Carsharingautos fahren
in Deutschland. Dabei gibt es immer noch ein enormes
Wachstum. Im Jahre 2011 gab es 50 000 Nutzer von
Carsharingautos in Deutschland. Heute sind es mehr als
1,7 Millionen. Allein im letzten Jahr ist die Zahl der Nut-
zer noch einmal um 36 Prozent gestiegen, und die Zahl
der am Carsharing teilnehmenden Städte und Gemeinden
ist um weitere 60 gewachsen. Wir wollen, dass diese Dy-
namik noch weiter ausgebaut wird. Dafür haben wir das
Carsharinggesetz erarbeitet. Dabei geht es um drei zen-
trale Punkte.

Erstens. Wir definieren erstmals Carsharing und schaf-
fen damit die Grundlage für eine Bevorrechtigung. Dabei
beziehen wir alle mit ein, sowohl die stationsgebundenen
als auch die stationsunabhängigen Carsharinganbieter.

Zweitens. Wir machen Parkbevorrechtigungen mög-
lich. Das heißt, wir schaffen die Grundlage, damit die
Straßenverkehrsbehörden vor Ort Sonderparkplätze für
Carsharingfahrzeuge ausweisen können. Stationsbasier-
ten Carsharinganbietern geben wir die Möglichkeit, spe-
zielle reservierte Abhol- und Rückgabestellen an ausge-
wählten Standorten in den öffentlichen Verkehrsraum zu
verlagern. Durch das Vernetzen der Carsharingangebote
mit dem öffentlichen Personennahverkehr, mit Rad- und
Fußgängerverkehr und vielem mehr schaffen wir auch
lokale Mobilitätshubs.

Dirk Heidenblut






(A) (C)



(B) (D)


Drittens. Wir ermöglichen eine Parkgebührenbefrei-
ung. Wir schaffen die Möglichkeit, dass die Länder auf
Parkgebühren verzichten.

Mit diesen Maßnahmen tragen wir dazu bei, dass der
Flächenbedarf für Parkplätze deutlich geringer wird und
die Parkplatzsuchverkehre in unseren Städten massiv zu-
rückgehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Aktuell sind bis zu 40 Prozent der Verkehre in den
Städten reine Parkplatzsuchverkehre. Das kostet nicht
nur Zeit für diejenigen, die da fahren, sondern das scha-
det auch der Umwelt und belastet unsere Städte. Wir
können das mit Carsharingangeboten deutlich reduzie-
ren. Das verstehen wir unter intelligenter Mobilität. So
erreicht man mehr Mobilität bei weniger Emissionen.

Meine Damen und Herren, liebe Kollegen, wir arbei-
ten in allen Bereichen intensiv an der Mobilität 4.0. Wir
haben Anfang dieses Monats unser Programm für eine
flächendeckende Elektroladeinfrastruktur gestartet.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


15 000 Ladesäulen bauen wir in Deutschland mit
300 Millionen Euro auf.

Gestern haben wir in meinem Haus, im Bundesminis-
terium für Verkehr und digitale Infrastruktur, den ersten
Regierungs-Start-up-Pitch veranstaltet, eine Veranstal-
tung mit 32 Start-up-Teams mit jungen Gründern. Wir
haben uns die Innovationen im digitalen Bereich mit
Blick auf Mobilität präsentieren lassen. Wir haben uns
zeigen lassen, was die Branche in Deutschland kann.

Gerade heute haben wir als erstes Land der Welt den
Weg frei gemacht für das automatisierte Fahren. Wir ha-
ben ein Gesetz beschlossen, in dem wir die rechtliche
Gleichstellung von Mensch und Computer im Auto ge-
schaffen haben.

Jetzt beschließen wir das Carsharinggesetz. Ich bin
überzeugt, dass wir mit diesem Maßnahmenpaket in
Deutschland Innovationsführer bei der Mobilität blei-
ben – und damit auch an der Spitze von Wachstum,
Wohlstand und Arbeit.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist denn das Grünen-Bashing? Ist der Mann krank?)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822824500

Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt

der Kollege Herbert Behrens.


(Beifall bei der LINKEN)



Herbert Behrens (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822824600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sich heute, 30 Jahre nachdem die ersten Carsharingan-
gebote realisiert worden sind – damals noch auf Ver-
einsbasis –, an die Spitze der Bewegung zu setzen und,

nachdem im Jahr 2005 zum ersten Mal im Bundestag
Carsharing auf der Tagesordnung stand, im März 2017
einen Gesetzentwurf auf den Tisch zu legen – das ist mit
der Rede vom Innovationsführer nicht ganz zusammen-
zubringen. Aber immerhin: Das gibt es heute.

Wenn in jedem Jahr, in dem dieses Thema auf der Ta-
gesordnung stand, eine Verbesserung stattgefunden hätte,
hätten wir hier heute einen super Gesetzentwurf vor uns
liegen, der möglicherweise sogar hätte einstimmig be-
schlossen werden können. Aber dieses Gesetz ist, nach-
dem es 2005 zum ersten Mal hier besprochen worden ist,
nicht besser geworden, sondern es hat eigentlich in jedem
Jahr an Substanz verloren. Ich glaube, das ist keine gute
Voraussetzung, um ein zukunftsweisendes Gesetz zu ma-
chen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Es wäre vor längerer Zeit schon möglich gewesen,
etwas zu unternehmen. Aber vielleicht haben wir eine
Chance verpasst: Wir hätten lieber das Ende der Großen
Koalition abwarten sollen, um vielleicht zu einem spä-
teren Zeitpunkt ein richtig gutes Gesetz auf den Weg zu
bringen.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)


Aber nun gut: Heute, im März 2017, liegt es vor, und wir
haben uns damit zu befassen.

Wir haben damit zu tun, dass wir einen kleinen Ein-
stieg in das Carsharing bzw. in die Unterstützung von
Carsharing angeboten bekommen. Die Bundesebene
will möglich machen, dass das, was findige Kommunen
schon seit Jahrzehnten machen, auch andere Kommunen
machen dürfen, nämlich Sonderflächen schaffen, damit
Fahrer von Carsharingautos bevorzugt ihren Parkplatz
finden können und nicht lange herumsuchen müssen.

Das hat dazu geführt, dass in den Kommunen, in Bre-
men beispielsweise, schon seit langem Sonderflächen zur
Verfügung gestellt worden sind und jeder Carsharingnut-
zer weiß: Dort findet er einen guten Parkplatz, mögli-
cherweise sehr nahe an seiner Wohnung.

Denn das ist das Ziel: Carsharing soll als eigenständi-
ger Teil der städtischen Verkehrspolitik das ersetzen, was
uns häufig nervt, nämlich die vielen, vielen Autos, die im
Schnitt nur 36 Minuten pro Tag genutzt werden und nicht
dazu beitragen, dass man individuell mobiler ist. Viel-
mehr sind es häufig Fahrzeuge, die Wohnquartiere zustel-
len und Flächen in Beschlag nehmen, weil sie Parkraum
benötigen. Wir wollen durch bessere Carsharingangebote
dafür sorgen, dass der Flächenverbrauch in den Städten
geringer wird, sodass wir in der Lage sind, Wohnquar-
tiere möglichst autofrei zu halten, damit die Belastungen
dort sinken. Darum sind Carsharingangebote sehr wich-
tig und ein wichtiger Bestandteil der Verkehrswende.


(Beifall bei der LINKEN – Sören Bartol [SPD]: Dann könnt ihr ja einfach mal mitstimmen!)


– Ja, es wäre schön, wenn wir mitstimmen könnten. Aber
man ist an einer Minimallösung kleben geblieben, die
wir so nicht wollen. Es hat den Vorschlag des Bundesum-
weltministeriums gegeben, diese Regelung auf eine an-

Bundesminister Alexander Dobrindt






(A) (C)



(B) (D)


dere gesetzliche Basis zu stellen. Dann wäre es nämlich
möglich gewesen, von der Bundesebene aus sehr weit in
die Kommunen hineinzuwirken und entsprechende Vor-
schläge zu machen, um wirklich einheitliche Angebote
zu schaffen.


(Sören Bartol [SPD]: Das passiert doch jetzt – nur mit einem Zwischenschritt!)


Bei der E-Mobilität – das haben wir gesehen – war der
Verkehrsminister etwas mutiger; das hat wahrscheinlich
damit zu tun, dass Automobilkonzerne dahintersteckten
bzw. -stecken.


(Florian Oßner [CDU/CSU]: Woher kommen denn die Carsharingautos? – Zuruf von der SPD: Beim Carsharing stecken sie doch auch dahinter!)


Da war es möglich, zu sagen: E-Automobile dürfen auch
die Busspuren benutzen. – So etwas hätte ich mir auch
für das Carsharing gewünscht.


(Kirsten Lühmann [SPD]: Bei der Elektromobilität ist es nur eine Verordnungsermächtigung und keine konkrete Erlaubnis! Genau das Gleiche machen wir jetzt auch!)


Das wäre ein wirklich richtungweisendes Angebot ge-
wesen, mit dem wir der Verkehrswende, die wir in den
Städten brauchen, ein Stück näher hätten kommen kön-
nen. Aber da bleibt die Große Koalition einfach kleben.
Wir werden uns daher der Stimme enthalten, wenn es zur
Abstimmung über diesen Gesetzentwurf kommt.


(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU: Ui! – Das ist echt mutig!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822824700

Vielen Dank. – Für die Bundesregierung erhält jetzt

die Parlamentarische Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-
Sutter das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ri
Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD):
Rede ID: ID1822824800


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! 2005 war der Megatrend „Teilen statt besit-
zen“ vielleicht noch nicht da, Herr Behrens.


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Doch!)


Deswegen ist dies das richtige Gesetz zum richtigen Zeit-
punkt; denn es schafft tatsächlich Rechtssicherheit.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Sie haben schon recht: Jetzt ist dieser Megatrend da,
und er geht einher mit dem Megatrend der Verstädter-
ung. Dieses Potenzial heben wir jetzt, auch im Rahmen
anderer Gesetze wie des Elektromobilitätsgesetzes. Au-

ßerdem fördert unser Haus auch Hybrid- bzw. künftig
Elektrobusse.


(Andreas Rimkus [SPD]: Sehr gut!)


– Ja, wir wissen, dass wir gut sind.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)


Die Hälfte der Autofahrten, die in Ballungszentren un-
ternommen werden, sind weniger als 5 Kilometer lang.
Man kann es auch so sagen: 23 Stunden am Tag steht
das Auto in der Regel. Das macht die Städte natürlich
nicht attraktiver, weil der städtische Raum bisher darauf
ausgerichtet ist, dass Autos dort ihren Platz finden. Unser
Ziel ist deshalb, eine flexiblere, attraktivere und zweck-
mäßigere Mobilität zu ermöglichen. Das schätzen auch
die Nutzerinnen und Nutzer; circa 1,7 Millionen Kunden
gibt es bereits. Letztes Jahr war das Kundenwachstum
enorm; es betrug etwa im Bereich des stationsbasierten
Carsharing 51 Prozent. Das bestätigt, dass dieser Mega-
trend weiter voranschreitet. Ich freue mich deshalb sehr,
dass wir diese Entwicklung mit dem Carsharinggesetz
unterstützen können.

Im Kern geht es jetzt darum, dass man die Geschäfts-
modelle auf sichere Füße stellt und neue Geschäftsmo-
delle ermöglicht, zum Beispiel durch die Reduzierung
der Kosten, die Erhöhung der Verfügbarkeit der Fahrzeu-
ge und nicht zuletzt auch durch die höhere Sichtbarkeit
der Fahrzeuge im öffentlichen Raum. Mit diesem Gesetz
erhalten die zuständigen Behörden vor Ort die Möglich-
keit, für Carsharingfahrzeuge und -unternehmen Bevor-
rechtigungen im öffentlichen Straßenraum anzuordnen.
Geplant sind folgende Privilegien – wir haben es schon
gehört –: die Einrichtung von Sonderparkflächen für
Carsharingfahrzeuge und die Möglichkeit der Reduzie-
rung der Parkgebühren; das müsste auch Ihnen entgegen-
kommen.

Noch etwas weiter gehen wir im Hinblick auf das sta-
tionsbasierte Carsharing, dem insgesamt die größeren
Umweltentlastungspotenziale zukommen. Während sich
die Free-Floating-Systeme nur auf wenige große Städte
beschränken, decken stationsbasierte Carsharingangebo-
te mittlerweile einen großen Teil Deutschlands ab. Sogar
im ländlichen Raum sind Carsharingangebote durchaus
gang und gäbe. Sie tragen zu einer nachhaltigen Mobili-
tät bei, da viele Menschen zum Beispiel für die Strecke
zwischen dem Bahnhof und ihrem Ziel ein Carsharingau-
to nutzen.

Anbieter des stationsbasierten Carsharing sind bislang
darauf angewiesen, teures Privatgelände anzumieten,
um Abholung und Rückgabe der Autos zu organisieren.
Meistens geschieht dies auf wenig attraktiven Plätzen,
entweder auf Hinterhöfen oder in Parkhäusern. Entspre-
chend gering ist auch die Sichtbarkeit der Angebote.
Deswegen ist es gut, dass wir das jetzt verbessern.

Ich muss aber auch dazusagen, dass wir diese Art der
Privilegierung nach langer Diskussion nur für den Be-
reich der Bundesstraßen regeln konnten; denn nur für sie
sind wir vom Bund zuständig. Es gibt also durchaus auch
Potenzial bei den Ländern, sich hier mit einzubringen

Herbert Behrens






(A) (C)



(B) (D)


und ihre Landes- und Gemeindestraßen anzubieten, und
ich glaube, das ist in unser aller Interesse.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822824900

Frau Kollegin.

Ri
Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD):
Rede ID: ID1822825000


Ich komme gleich zum Ende. – Wichtig ist uns aller-
dings auch, dass das Carsharinggesetz alle Carsharing-
modelle – das stationsbasierte und das stationsunabhän-
gige, das Free Floating – gleichermaßen berücksichtigt.
Es geht hier auch darum, dass Wettbewerbsverzerrungen
verhindert werden.

Ich glaube, insgesamt kann man sagen, dass es ein
gutes Gesetz ist. Carsharing schont die Umwelt, die Nut-
zer sparen, und eine lange Parkplatzsuche kann man sich
auch schenken.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822825100

Vielen Dank. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-

nen spricht jetzt der Kollege Matthias Gastel.


(Florian Oßner [CDU/CSU]: Er ist der Schuldige!)



Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822825200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Teilen ist in. Wer durch mittelgroße
Städte und erst recht durch große Städte läuft, der kann
das leicht erkennen. Gerade in Berlin ist das unüberseh-
bar. An jeder Ecke stolpert man über ein Leihfahrrad,
an jeder zweiten Ecke findet man einen zur Verleihung
zur Verfügung gestellten E-Roller, und wenn man guckt,
welche Autos herumfahren, dann sieht man immer häufi-
ger solche mit Aufschriften von car2go, DriveNow oder
anderen Anbietern.

Das passt in eine Gesellschaft, die mobil sein will und
mobil sein muss und in der die Menschen für ihre Mobi-
lität immer häufiger verschiedene Verkehrsmittel indivi-
duell kombinieren und für ihre Reisekette einsetzen. Je
nach Ziel und Zweck der Reise nutzen sie verschiedene
Verkehrsmittel, und unterschiedliche Angebote konkur-
rieren um einen knappen Verkehrsraum.

Das Auto beansprucht mit Abstand am meisten Flä-
che. Das durchschnittliche Auto steht aber 23 Stunden
am Tag. Der Radverkehr fordert mehr Fläche für sich ein
und will nicht mehr im Dauerkonflikt mit dem Fußgän-
ger- und dem Kraftfahrzeugverkehr stehen. Und dann
geht es auch noch um die Lebensqualität der Menschen.
Sie fordern mehr Grün in ihren Städten und mehr Aufent-

halts- und Ruheflächen. Auch Flächen für Außengastro-
nomie werden sehr stark nachgefragt.

Genau hier liegt der größte Vorteil des Carsharing.
Ein Carsharingauto ersetzt im Durchschnitt sieben Pri-
vatfahrzeuge, und damit macht es Flächen frei für andere
Nutzungen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es ist gut, dass der Bund jetzt endlich einen Gesetzent-
wurf vorgelegt hat, auf den wir sehr lange, nämlich über
zehn Jahre, gewartet haben. Es geht um die Privilegie-
rung des Carsharing und damit auch um die Würdigung
des Carsharing als eines Beitrags zur Lebensqualität und
für eine bessere Umwelt – zugunsten der Menschen.

Dieses Gesetz hat aber erhebliche Schwächen; denn es
ist weder ambitioniert noch unbürokratisch:


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Erstes Beispiel. Die Verringerung des Flächenver-
brauchs durch den Kfz-Verkehr wird in diesem Gesetz-
entwurf schlicht und ergreifend ignoriert.

Zweites Beispiel. Dieser Gesetzentwurf gilt aus-
schließlich für die Flächen an Bundesstraßen. – Herr
Minister Dobrindt, ich muss hier schon sagen: Dass
ausgerechnet Sie, der keinerlei Skrupel hat, sich bei der
Ausländermaut über sämtliche rechtliche Warnungen
hinwegzusetzen, rechtliche Bedenken haben, auch ande-
re Straßen durch diesen Gesetzentwurf zu erfassen,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU: Jetzt kommt es! – Das ist unsachlich! – Weitere Zurufe von der CDU/ CSU: Oh!)


und das Gesetz an dieser Stelle ausbremsen, muss doch
sehr stark verwundern. Es ist geradezu ein Witz, dass die-
se Bedenken ausgerechnet von Ihnen kommen.


(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Jetzt fehlt noch das Thema „Stuttgart 21“!)


Drittes Beispiel. Hinsichtlich der konkreten Umset-
zung ist noch vieles unklar. Die Rechtsverordnung fehlt
nämlich noch.

Wir haben einen Antrag zum Thema Carsharing ge-
stellt, mit dem wir deutlich mutiger und entschlossener
gewesen sind, um dieses wichtige Thema voranzubrin-
gen; denn das Potenzial für Carsharing ist riesig. Eine
neue Studie von Allensbach sagt: Das Potenzial ist etwa
zehnmal höher als der Kreis derer, die Carsharing bisher
bereits nutzen. Wir bedauern, dass die Entschlossenheit
der Bundesregierung, ein Gesetz zum Carsharing vor-
zulegen, nicht damit einhergeht, ein wirklich gutes und
konsequentes Gesetz vorzulegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein so halbherziges Gesetz kann nicht unsere volle Zu-
stimmung erhalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sören Bartol [SPD]: Nur die halbe? Immer Parl. Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter hin! – Ulli Nissen [SPD]: Dann nehmen wir die halbe! – Zurufe von der CDU/CSU: Die halbe!)





(A) (C)


(B) (D)


– Die halbe!


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822825300

Vielen Dank. Wir sehen dann bei der Abstimmung,

was das heißt. – Jetzt hat der Kollege Steffen Bilger für
die CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Kirsten Lühmann [SPD])



Steffen Bilger (CDU):
Rede ID: ID1822825400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Nach unserer Debatte heute Nachmittag zum automa-
tisierten Fahren wurde in meiner Fraktion schon Kritik
laut, in dieser Debatte sei zu wenig Stimmung aufgekom-
men. Jetzt habe ich mir gedacht: Ich weiß gar nicht, wie
ich das in der Diskussion über das Carsharing hinbekom-
men soll.


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Es geht hier nicht um Stimmungen; es geht um gute Gesetze! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Beschimpfen Sie mich ein bisschen! Das fehlt mir!)


– Genau. Herr Krischer ist weiterhin bereit, viele Zwi-
schenrufe zu machen. – Aber bei anderen Themen, wenn
es nicht um das Carsharing geht, scheint das noch mög-
lich zu sein.

An und für sich herrscht bei dem Thema Carsharing
große Harmonie und Übereinstimmung, wenn die Linken
fast und die Grünen halb zustimmen können. Sie haben
noch ein bisschen Zeit, sich zu überlegen, ob daraus noch
eine richtige Zustimmung wird, wenn wir nachher darü-
ber abstimmen.


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Sie sind mit wenig zufrieden!)


Aber, meine Damen und Herren, wie auch immer: Es ist
gut, dass wir nun endlich ein Gesetz verabschieden kön-
nen, auf das wir alle so lange gewartet haben. Wir wollen
damit Carsharing in Deutschland dauerhaft fördern und
neue Potenziale erschließen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist denn der Herr Dobrindt?)


Wie ich bereits in meiner Rede vor drei Wochen zu
diesem Thema deutlich gemacht habe, hat das Carsharing
in den letzten Jahren ein beeindruckendes Wachstum ver-
zeichnet, sowohl bei den stationären Anbietern als auch
bei den stationsunabhängigen Anbietern, dem sogenann-
ten Free Floating. Die Angebote, vor allem von unseren
deutschen Firmen, in Großstädten werden wirklich gut
genutzt und sind äußerst erfolgreich. Die Nutzerzahlen
steigen kontinuierlich.

Dieser Trend nimmt in jüngster Zeit noch einmal
Fahrt auf. Dieses Gesetz soll dieser Entwicklung einen
weiteren Schub geben, damit die Dynamik anhält. Des-
wegen soll möglichen Hemmnissen, die die Attraktivität

des Carsharing in Zukunft gefährden könnten, mit die-
sem Gesetz frühzeitig begegnet werden.

Wir haben schon in der letzten Debatte viel über die
Vorteile gesprochen, die sich durch Carsharing eröffnen.
Zwischendurch haben wir im Verkehrsausschuss eine
Anhörung mit Sachverständigen durchgeführt, in der
es viele positive Rückmeldungen zu unserem Vorhaben
gab. Es wurde noch einmal deutlich, dass das Carsha-
ring sowohl aus Verkehrs-, Umwelt- als auch stadtpla-
nerischer Sicht große Potenziale in den großen Städten
bietet, in denen wir Probleme mit der Luftqualität und
mit einem Mangel an Flächen haben. Diese Ziele in den
Großstädten haben wir mit dem Carsharinggesetz ebenso
im Blick wie den ländlichen Raum.

Als Berichterstatter meiner Fraktion für alternative
Antriebe möchte ich betonen, dass gerade das Carsharing
große Chancen eröffnet und schon heute kräftig dazu bei-
trägt, verstärkt Elektroautos auf die Straßen zu bringen.
Dadurch wird die Akzeptanz für die Elektromobilität
weiter erhöht und werden Berührungsängste abgebaut.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Immerhin 10 Prozent der Carsharingfahrzeuge sind be-
reits Elektroautos.

Vor dem Hintergrund dieser vielen positiven Aspekte
ist es sehr erfreulich, dass hier im Hause unterm Strich
große Einigkeit besteht, das Carsharing weiter zu fördern
und auszubauen. Auch über die Frage, wie diese Förde-
rung gestaltet werden könnte, gibt es – das ist alles an-
dere als selbstverständlich – im Großen und Ganzen über
die Fraktionsgrenzen hinweg und unter den Sachverstän-
digen einen erfreulichen Konsens.

Wir benötigen Privilegien und Bevorrechtigungen für
Carsharingfahrzeuge, vorrangig für das Abstellen und
Parken im öffentlichen Straßenraum. Gerade in den in-
nerstädtischen Gebieten ist das ein entscheidender Er-
folgsfaktor für das Carsharing.

In der rechtlichen Umsetzung – das sage ich auch für
die noch aus der vorherigen Debatte anwesenden Rechts-
politiker – gab es bei diesem Gesetz doch einige Kontro-
versen. Hier ging es vorrangig um die rechtliche Veran-
kerung der vorgesehenen Privilegien. Eine Regelung zur
Bevorrechtigung im Straßenverkehrsrecht wäre aufgrund
der Privilegienfeindlichkeit dieses Rechtsgebiets äußerst
problematisch gewesen. Daher war es richtig, dieses
wichtige Vorhaben rechtlich sauber als eigenständiges
Gesetz auf den Weg zu bringen. Diese Sichtweise wurde
auch in der Anhörung von Sachverständigen ausdrück-
lich bestätigt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das Gesetz sieht nun im Kern vor, Ländern und Kom-
munen die Möglichkeit einzuräumen, Sonderstellflächen
einzurichten und Carsharingfahrzeuge von den Parkge-
bühren zu befreien. Dazu enthält das Gesetz die notwen-
digen Definitionen und Ermächtigungsgrundlagen für die
Bevorrechtigung und die Kennzeichnung der Fahrzeuge.

Ein Dank gilt unserem Koalitionspartner, vor al-
lem Arno Klare als Berichterstatterkollege, auch Sören

Matthias Gastel






(A) (C)



(B) (D)


Bartol, mit dem man nicht nur die Maut voranbringen
kann, sondern auch andere sinnvolle Projekte.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Heiterkeit bei der SPD)


Die Zusammenarbeit im parlamentarischen Verfahren
war ja wirklich konstruktiv. Wir konnten uns mit dem
Koalitionspartner auch noch auf einige kleinere Ände-
rungen einigen. So haben wir uns beispielsweise in der
letzten Woche darauf verständigt, die Befristung des
Zeitraums, in dem die Flächen zur Verfügung gestellt
werden, von längstens fünf auf längstens acht Jahre
hochzusetzen. So sinkt der Verfahrensaufwand für die
betroffenen Behörden, und den Anbietern kann die not-
wendige Planungssicherheit eingeräumt werden.

Mit dem Gesetzentwurf, dem wir heute zustimmen
werden, meine Damen und Herren, haben wir auf Bun-
desebene unsere Hausaufgaben erledigt. Jetzt sind Län-
der und Kommunen gefordert, die Möglichkeiten dieses
Gesetzes auch zu nutzen und die Potenziale auszuschöp-
fen. Ich bitte um Ihre Zustimmung.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822825500

Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt der

Kollege Arno Klare die Möglichkeit, die Debatte abzu-
schließen.


(Beifall bei der SPD)



Arno Klare (SPD):
Rede ID: ID1822825600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute ist
schon ein sehr guter Tag für die Mobilität in Deutsch-
land. Die Gäste, die da oben sitzen, haben natürlich nicht
alles mitbekommen. Wir haben heute aber schon ein
Schienenlärmschutzgesetz – übrigens einstimmig, wohl-
gemerkt – verabschiedet. Des Weiteren haben wir das
Straßenverkehrsgesetz geändert und an das angepasst,
was auf uns zukommt, nämlich automatisiertes Fahren.
Es ging nicht um autonome Fahrzeuge, sondern um au-
tomatisiertes Fahren. Das wurde leider nicht einstimmig
verabschiedet.

Ich habe jetzt noch genau 3:31 Minuten Zeit, um
eventuell noch einmal Einstimmigkeit für etwas ganz
Vernünftiges hinzubekommen, dem eigentlich alle zuge-
stimmt haben.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber erklären Sie das vorher mit der Maut noch einmal! Das will ich jetzt hören!)


In der Anhörung haben alle, die dort saßen – auch der
Bundesverband CarSharing, auch der VCD, der Verkehrs-
club Deutschland –, zwar Kritisches angemerkt, am Ende
aber gesagt: Das ist ein vernünftiges Gesetz. Dem muss
man jetzt zustimmen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dieser Verband ist ja, wie wir alle wissen, eher grün.
Trotzdem duze ich den Gerd Lottsiepen, der dort geredet
hat. Ich hoffe aber, dass da nur noch ein wenig Überzeu-

gungsarbeit vonnöten sein wird. Der Deutsche Städtetag
hat zugestimmt. Alle kommunalen Spitzenverbände ste-
hen dahinter. Alle sagen: Da gibt es jetzt endlich – zuge-
geben, nach langer Zeit – den Durchbruch. Das ist aber
etwas Vernünftiges. Dem kann man doch, bitte schön,
zustimmen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sagen alle: Besser als nichts! Das ist etwas anderes, lieber Arno!)


Es geht um den vernünftigen Zusammenhang zwi-
schen öffentlichem Verkehr und Carsharing. Dabei geht
es sozusagen um eine Symbiose. Damit wird eine Er-
gänzung vorgenommen. Carsharing ist – das ist jetzt ein
großes Wort – auch ein Element nachhaltiger Suffizienz-
strategie.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das ist jetzt etwas für die Gelehrten. Das heißt, es geht
darum, Individualverkehre zu vermeiden, ohne – gut
zuhören! – den Zuwachs von Mobilitätsoptionen zu be-
schneiden. Genau darum geht es.

Carsharing schließt die Lücke, die es beim öffentli-
chen Verkehr immer gibt, nämlich die Tür-zu-Tür-Ver-
bindung. Das ist aber – Herr Gastel hat gerade darauf
hingewiesen – sehr wichtig. Es muss eine Integration in
den öffentlichen Verkehr geben. Genau das leistet auch
dieses Gesetz. Es macht dies jetzt rechtlich möglich.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber leider nur für die Bundesstraßen! Das ist das Problem!)


Insofern kann ich mir nicht genau erklären, warum man
da nicht zustimmen kann.

„Es gibt keine Energiewende ohne Verkehrswende“:
Das ist doch eine Überschrift, die wir immer wiederholen.
Herr Rimkus wird ja nicht müde, genau das zu wiederho-
len. Er hat auch völlig recht, wenn er das sagt. Carsharing
ist ein Teil davon. Gerade ist darauf hingewiesen wor-
den, dass 10 Prozent der Fahrzeuge, die in Carsharing-
flotten laufen, E-Fahrzeuge – elektrisch betrieben – sind.
Wenn man den jetzigen Anteil der Elektrofahrzeuge am
Gesamtverkehr sieht, der im Nullkomma-Bereich liegt,
erkennt man, dass es um einen Riesenanteil – und damit
auch um eine Riesenchance – geht.

Ich hoffe, dass dieser Tag heute ein sehr guter Tag für
die Mobilität wird. Das wird so sein, wenn dieses Haus
diesem Carsharinggesetz jetzt komplett zustimmen wird.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann hätten Sie noch ein bisschen nachbessern müssen! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Besser als nichts!)


Im Grunde warten jetzt alle darauf, dass es heute eine
große Zustimmung geben wird. Denn im Grunde ist es –
darauf hat Gerd Lottsiepen vom VCD sehr richtig hinge-
wiesen – relativ egal, ob das im Rahmen des Straßenver-
kehrsrechts oder des Wegerechts gelöst wird. Letzteres
passiert jetzt. Vielmehr geht es darum, dass es, rechtlich

Steffen Bilger






(A) (C)



(B) (D)


gesehen, für die Kommunen möglich wird. Und genau
das schaffen wir mit diesem Gesetz.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum nur an Bundesstraßen?)


Auch ich hätte mir eine andere Lösung auf der stra-
ßenverkehrsrechtlichen Ebene gewünscht. Verfassungs-
rechtler haben mir aber gesagt, dass der Bund dafür gar
nicht zuständig ist.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt der Dobrindt!)


– Nein, das haben mir Verfassungsrechtler aus dem
BMJV – sozusagen die Gralshüter unserer Verfassung,
unserer Gesetze – gesagt. Deshalb muss ich irgendwann
einmal damit anfangen, das ernst zu nehmen. Und weil
ich das ernst nehme, bitte ich Sie jetzt um die Zustim-
mung. Das wäre ein wunderbarer Abschluss für den ge-
samten Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hätten Sie noch ein bisschen nachbessern müssen!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822825700

Vielen Dank. Das war jetzt ein sehr engagierter Ab-

schluss der Debatte.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Bevor-
rechtigung des Carsharing. Der Ausschuss für Verkehr
und digitale Infrastruktur empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11770,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/11285 in der Ausschussfassung anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der
Opposition angenommen.

Jetzt warten alle auf die zweite Hälfte der Abstim-
mung.


(Heiterkeit)


Deshalb gebe ich die Gelegenheit zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis ange-
nommen.

Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infra-
struktur auf Drucksache 18/11770 fort. Der Ausschuss
empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung
die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/7652 mit dem Titel „Intelli-
gente Mobilität fördern – Rechtssichere Regelung zur
Ausweisung von Carsharing-Stationen schaffen“. Wer

stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Opposition angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank
Tempel, Sabine Zimmermann (Zwickau),
Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Entkriminalisierung von Drogenkonsumie-
renden

Drucksache 18/11610

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(14. Ausschuss)

Tempel, Jan Korte, Matthias W. Birkwald, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktionen DIE LINKE
sowie der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Maria
Klein-Schmeink, Elisabeth Scharfenberg, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Beabsichtigte und unbeabsichtigte Auswir-
kungen des Betäubungsmittelrechts überprü-
fen

Drucksachen 18/1613, 18/10445

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die Frak-
tion Die Linke Frank Tempel.


(Beifall bei der LINKEN)



Frank Tempel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822825800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Die Grundlagen des Drogenstrafrechts ken-
ne ich vorrangig aus der polizeilichen Praxis. Ich war
unter anderem drei Jahre stellvertretender Leiter einer
mobilen Rauschgiftbekämpfungsgruppe.

Offizieller Zweck des Drogenstrafrechts ist es, Ange-
bot und Nachfrage zahlreicher Drogen zumindest deut-
lich zu reduzieren. Der Weg ist gegenwärtig, Menschen
nicht nur wegen des Handels, sondern auch wegen Be-
sitzes und Erwerbs dieser Substanzen mit einer Strafan-
drohung zu konfrontieren. Das Ergebnis ist: Angebot und
Nachfrage werden ganz offensichtlich nicht reduziert. Im
Gegenteil: Wir haben einen ausufernden Schwarzmarkt
mit Betäubungsmitteln als Hauptfinanzierungsquelle der
organisierten Kriminalität.

Substanzen werden unter den Rahmenbedingungen
des Schwarzmarktes oft noch gefährlicher, sind vielfach
verunreinigt und gestreckt und damit noch unberechen-
barer. Gerade jungen Menschen ist dieser Schwarzmarkt
sehr leicht zugänglich. Drogen sind ganz einfach zu ge-

Arno Klare






(A) (C)



(B) (D)


fährlich, um sie Kriminellen auf einem Schwarzmarkt zu
überlassen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es erweist sich: Umso gefährlicher die Droge an sich
bereits ist, umso gefährlicher sind die Nebenwirkungen
des Verbots. Trotzdem setzen Sie die Strafverfolgung
bereits sehr früh, nämlich beim Konsumenten direkt an.
Das heißt, wer einen Joint raucht, besitzt ihn auch und
macht sich damit strafbar. Er schädigt möglicherweise
auch sich selbst, lebt ungesund, aber er schadet definitiv
keiner anderen Person.

Heute entscheiden wir über eine wissenschaftliche
Evaluierung, also eine Überprüfung genau dieses Dro-
genstrafrechts. Parallel kann aber auch die Praxis ein
Weg der Überprüfung sein. In Berlin, Bremen, Münster,
Düsseldorf, Frankfurt am Main und Köln wird darüber
diskutiert, Cannabis in Modellprojekten legal anzubieten
und somit dem Schwarzmarkt zu entziehen. Im Wesent-
lichen von den Unionsparteien bekommen wir hierfür
häufig den Vorwurf einer falschen Signalwirkung. Macht
aber zum Beispiel Bremen ein solches Modellprojekt und
ermöglicht kontrolliert den legalen Erwerb von Cannabis,
kann sehr genau evaluiert werden, welche Signalwirkung
tatsächlich entsteht: Wie wird sich das Konsumverhalten
in der Bevölkerung dann entwickeln? Steigen oder sin-
ken die Risiken für Jugendliche? Gelingt es, den konsu-
mierten Wirkstoffgehalt THC zu reduzieren? Verbessern
sich die Möglichkeiten, durch begleitende Prävention
und Beratung den riskanten Konsum zu reduzieren?

Sind diese Modellprojekte erfolgreich, erweist sich die
jahrelange Prohibition von Cannabis als völlig absurd,


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


erweist sich ein wesentlicher Bestandteil der heutigen
Drogenpolitik als absurd. Solche Modellprojekte funkti-
onieren aber nur, wenn dem Konsumenten nach Verlas-
sen der Abgabestelle keine Strafanzeige droht und wenn
die Polizei zum Beispiel die gekauften 5 Gramm Canna-
bis nicht beschlagnahmt. Im Gesetz steht aber bislang:
Besitz und Erwerb sind strafbar. – Die Lösung wäre eine
gesetzliche Entkriminalisierung des Besitzes geringer
Mengen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Selbst das Bundesverfassungsgericht hat 1994 in ei-
ner Entscheidung zumindest die Strafbarkeit geringer
Mengen infrage gestellt. Nach der jetzigen Rechtslage
werden bei diesen Mengen von der Polizei mit hohem
Aufwand Anzeigen gefertigt, die die Justiz dann mit
ebenfalls nicht geringem Aufwand oft wieder einstellt.
Die Linke schlägt deswegen vor, unterhalb einer festge-
legten Menge keine Strafanzeigen mehr zu stellen und
damit den Weg für die genannten Modellprojekte in den
Ländern zu eröffnen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nach unserem Vorschlag gälte das – im Gegensatz zu den
geltenden Regelungen – im gesamten Bundesgebiet. Das
heißt, wer einen Joint kauft, bekommt keine Strafanzeige
mehr. Der Joint wird nicht beschlagnahmt, und man wird
von der Polizei auch nicht mehr in der Falldatei Rausch-
gift registriert. Wenn man nicht unter Rauscheinfluss ein
Fahrzeug geführt hat, bleibt auch der Führerschein unan-
getastet. Portugal wird übrigens genau für diesen erfolg-
reichen Weg international gelobt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch Strafanzeigen,
die wieder eingestellt werden, wirken kriminalisierend.
Diese Kriminalisierung ist falsch und muss aufhören.
Egal wie lange sich die Union – sie ist hauptsächlich der
Gegner – diesen Veränderungen noch entgegenstemmt,
zumindest die Linke wird diesen Kampf fortsetzen und
gewinnen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822825900

Vielen Dank. – Als Nächste hat Emmi Zeulner, CDU/

CSU-Fraktion, das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Emmi Zeulner (CSU):
Rede ID: ID1822826000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Fangen wir doch einmal mit etwas Positivem
an. Die Forderung der Linken nach einer einheitlichen
Regelung für die Bundesländer zur Eigenbedarfsmenge
bei Cannabis ist nicht verkehrt und sollte diskutiert wer-
den.


(Beifall des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE])


Abstrus finde ich allerdings, wie hoch der legale Eigen-
bedarf Ihrer Meinung nach sein soll. Man könnte meinen,
Sie nehmen den bundesweit niedrigsten Wert als Maß-
stab. Aber nein, Sie wollen mit 15 Gramm Cannabis den
bundesweit höchsten Wert nehmen. Faktisch wollen Sie
somit wieder einmal eine völkerrechtswidrige Legalisie-
rung nicht nur beim Eigengebrauch; denn diese Menge
reicht für 30 Joints und sichert einem Kleindealer somit
wunderbar sein Geschäft. Was Sie wollen, ist die bundes-
weite Möglichkeit zum Dealen mit staatlichem Segen.
Eine solche Zusage bekommen Sie von mir natürlich
nicht.


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Modellprojekte!)


Herr Tempel, Sie wollen einen Görlitzer Park in ganz
Deutschland,


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Gerade nicht! Das ist eine Lüge, eine ganz klare Lüge!)


ein Park, bei dem die rot-rot-grüne Regierung Berlins be-
reits kapituliert hat. Im „Görli“ sollen dem Konsum und
dem Handel freien Lauf gelassen und zusätzlich soll die
Polizeipräsenz verringert werden. Meiner Ansicht nach
ist das eine weitere Fehlentscheidung der rot-rot-grünen
Regierung in Richtung rechtsfreien Raum.

Frank Tempel






(A) (C)



(B) (D)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822826100

Frau Kollegin Zeulner, gestatten Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Tempel?


Emmi Zeulner (CSU):
Rede ID: ID1822826200

Ja.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822826300

Bitte schön.


Frank Tempel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822826400

Normalerweise wollte ich um diese Uhrzeit keine

Zwischenfrage mehr stellen.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das wäre auch vernünftig gewesen!)


Aber Sie haben mehrfach ganz klar die Unwahrheit
gesagt. Ist Ihnen bekannt – darüber wird seit mehreren
Jahren eine Diskussion geführt –, dass wir nicht eine
komplette Freigabe wollen, also dass wir nicht wollen,
dass der Dealer nun das, was er zuvor illegal verkauft
hat, legal verkaufen kann, sondern dass wir eine streng
kontrollierte, legale und regulierte Abgabe von Canna-
bis fordern – genauso wie bei anderen Substanzen –,
dass wir nicht wollen, dass die Dealer offiziell und mit
staatlichem Segen handeln dürfen, sondern dass wir eine
staatliche Kontrolle der Einhaltung der Regelungen zum
Jugendschutz und zum Verbraucherschutz fordern und
bestimmte Projekte fördern wollen?

Nicht umsonst habe ich übrigens von mehreren Par-
teien befürwortete Modellprojekte angesprochen. Den
Verantwortlichen mehrerer Städte – Bremen, Münster,
Frankfurt am Main, Berlin usw. – müssten sie genau das
Gleiche wie mir jetzt hier unterstellen: dass sie das Tun
der Dealer legalisieren wollen. Nehmen Sie zur Kennt-
nis, dass es bereits eine ganze Reihe von anderen Vor-
schlägen gibt, wie man sehr vorsichtig kontrolliert, dass
man genau diesem Schwarzmarkt etwas entgegensetzen
und ihn eben nicht legalisieren will?


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN – Tino Sorge [CDU/CSU]: Da scheint die Kollegin Ihren wunden Punkt getroffen zu haben, Herr Kollege!)



Emmi Zeulner (CSU):
Rede ID: ID1822826500

Zur Kenntnis nehme ich das selbstverständlich. Ich

würde Ihnen aber empfehlen, Ihr Parteiprogramm zu le-
sen; denn da fordern Sie etwas ganz anderes.


(Zuruf der Abg. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Ja, über die Anträge. Aber Fakt ist doch, was dahinter-
steht.


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Den Abschnitt habe ich geschrieben! Den kenne ich schon!)


Bitte, lesen Sie das Parteiprogramm der Linken.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822826600

Herr Tempel, keine Zwiegespräche.


Emmi Zeulner (CSU):
Rede ID: ID1822826700

Am Ende des Tages stellt sich die Frage: Wie wol-

len Sie kontrollieren, wenn Sie 15 Gramm Cannabis zur
Verfügung stellen, ob da etwas weitergegeben wird oder
nicht? Das können Sie gar nicht kontrollieren. Deswegen
bleibt meine Aussage so bestehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Aber die Kapitulation auf das, was im Görlitzer Park
passiert, kann natürlich nicht die richtige Antwort, kann
kein Ausdruck einer verantwortungsvollen Drogenpoli-
tik sein.

Wir als Politiker – ich bin Gesundheitspolitikerin; Sie
sind Polizist von Beruf, ich bin gelernte Krankenschwes-
ter – haben einen Schutzauftrag, den man nicht einfach
wegwischen kann.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mir ist es wichtig, zu sagen, dass wir in Deutschland ein
in höchstem Maß differenziertes Strafverfolgungssystem
bei Cannabisdelikten haben. Wir verfolgen eben nicht
pauschal, wie Sie es immer wieder hervorbringen; denn
es wird in jedem Abschnitt des Verfahrens – in jedem
Abschnitt! – eine Einzelfallentscheidung getroffen, und
die Möglichkeit zur Einstellung ist gegeben. Bereits die
Staatsanwaltschaft kann das Ermittlungsverfahren nach
dem Betäubungsmittelgesetz einstellen. Hier spielen die
Schwere der Tat, die individuelle Schuld und gerade auch
der Eigenbedarf eine Rolle.

Auch im Hauptverfahren ist eine Einstellung nach
der Strafprozessordnung und dem Jugendgerichtsgesetz
noch möglich. Selbst bei der Vollstreckung – das wissen
Sie ganz genau – ist eine Zurückstellung der Strafe nach
dem Betäubungsmittelgesetz möglich, wenn sich der Be-
troffene beispielsweise einer Therapie unterzieht. Gerade
bei Umsetzung Ihrer Forderung, dass die Strafverfolgung
eingestellt werden muss – Sie haben ein „muss“ in Ihrem
Antrag –, verhindern Sie die so wichtige Einzelfallbe-
trachtung, die unser Strafsystem so wertvoll macht.

Deswegen sind wir auch in dieser Legislatur deutlich
differenzierte Wege gegangen. Auf der einen Seite wol-
len wir Cannabis als Medizin. Wir haben die rechtliche
Grundlage dafür geschaffen. Das war uns zum Beispiel
im Hinblick auf Schmerzpatienten ein ganz wichtiges
Anliegen. Aber auf der anderen Seite wollen wir uns
ganz klar gegenüber dem Freizeitgebrauch abgrenzen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Auch mir ist es ein Anliegen, zu sagen: Bitte hören Sie
endlich auf, Cannabis zu verharmlosen.


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Das macht niemand!)


– Doch. – Cannabis ist eben keine harmlose Freizeitdro-
ge.


(Beifall bei der CDU/CSU – Frank Tempel [DIE LINKE]: Das habe ich nicht gesagt! Da hätten Sie zuhören müssen! Nicht einfach vorlesen! Zuhören!)





(A) (C)


(B) (D)


– Selbstverständlich habe ich zugehört.

In vielen Fällen dient es als Einstiegsdroge, und das
bestreiten Sie immer wieder.


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Das ist wissenschaftlich widerlegt!)


– Hören Sie einmal zu! – Ich denke an all die Fälle von
Jugendlichen, die in einer Abhängigkeit sind. Ich per-
sönlich habe in Suchtkliniken Gespräche geführt, und
in jedem einzelnen Gespräch mit den jungen Leuten
war immer ganz klar die Aussage: Der erste Kontakt mit
Suchtmitteln kam über Cannabis zustande. Dann haben
die Jugendlichen gesagt, sie hätten Interesse an mehr
gehabt. Sie wollten schauen, wie sie Erfahrungen in ei-
nem breiteren Spektrum sammeln konnten. Deswegen ist
Cannabis für mich ganz klar eine Einstiegsdroge. Canna-
bis kann auch schwere Psychosen, Schizophrenien auslö-
sen, vor allem bei den Jugendlichen; das wissen Sie ganz
genau. Es führt zu Konzentrationsstörungen usw. Aufklä-
rung darüber ist deswegen ein wichtiger Teil der Präven-
tion. Bei mir steht im Mittelpunkt, darauf hinzuweisen,
welche Gefahren vom Cannabiskonsum ausgehen.

Ich habe zum Beispiel in einer Fachambulanz für jun-
ge Suchtkranke in München nachgefragt. Da ist es so,
dass fast 60 Prozent der Patienten die Hauptdiagnose
Cannabisstörung haben. Es muss uns doch einfach zu
denken geben, dass da wirklich etwas im Argen liegt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Frank Tempel [DIE LINKE]: Trotz Verbot! Das Verbot hat überhaupt nichts geholfen! Gar nichts!)


Sie wissen, dass der THC-Gehalt bei Cannabis in den
letzten Jahren um das Dreifache gestiegen ist.


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Weil es auf dem Schwarzmarkt keine Kontrolle gibt! Ja!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822826800

Herr Kollege Tempel, jetzt hat wirklich Frau Zeulner

das Wort.


Emmi Zeulner (CSU):
Rede ID: ID1822826900

Eine Legalisierung ist deswegen für mich ganz klar

nicht der richtige Weg.

Zum Beispiel Colorado – Herr Tempel, Sie haben Por-
tugal zitiert –: Hier ist mit der Legalisierung von Canna-
bis für Erwachsene der Konsum bei den Jugendlichen um
71 Prozent höher als in Staaten, in denen es keine Legali-
sierung gibt. Das zeigt deutlich, dass die Begrenzung der
Legalisierung auf Erwachsene gerade keinen ausreichen-
den Jugendschutz bietet. Das ist aber das, worauf wir uns
konzentrieren wollen.

Was Sie mit dem Antrag machen, ist reine Klientel-
politik, aber keine Politik, die dem Schutz der Gesund-
heit dient. Ich möchte das nicht. Ich möchte, dass unsere
Parks, auch der Görlitzer Park, den Familien gehören und
dass die Familien nicht aus den Parks verdrängt werden.
Unsere Prioritäten müssen ganz woanders liegen. Wir

müssen Lösungen schaffen, wie wir junge Leute davon
abhalten, überhaupt zum Joint zu greifen, wie wir die-
jenigen stärken, die Nein zu Drogen sagen, wie wir die
Eltern, Erzieher und Lehrer in ihrer Schutzaufgabe stär-
ken und ihnen Hilfestellungen geben, wie wir denjeni-
gen, die bereits in einer Abhängigkeit sind, helfen, aus
dieser Abhängigkeit wieder herauszufinden. Das sind die
Prioritäten, die ich persönlich als Gesundheitspolitikerin
setze, und da haben wir genug Arbeit vor uns.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822827000

Vielen Dank. – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht

jetzt Dr. Harald Terpe.


Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822827100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Gäste im Bundestag! Wir haben jetzt eine ganze
Menge darüber gehört, wie die Motivation für die Hal-
tung ist, die meine Kollegin Emmi Zeulner eben vorge-
tragen hat. Glaube mir bitte, liebe Emmi: Mich treibt das
Gleiche um. Alles, was du an Problemen geschildert hast,
ist aber genau unter den Bedingungen der Prohibition
entstanden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Alle Negativfolgen – das ist völlig richtig – sind in der
jetzigen Welt entstanden.


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Das ist aber eine kühne Behauptung!)


Ich will als Arzt etwas dagegen unternehmen, nämlich
die Prävention stärken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das geht nur, wenn man die Prävention auch zulässt, in
die Legalität holt


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Prävention durch Rausch! Das ist ein interessanter Ansatz!)


und die Konsumenten nicht kriminalisiert; sonst kom-
men sie nicht in die Legalität.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Also: Wer weiterhin behauptet, dass das Drogenver-
bot eine generalpräventive Wirkung hat, ignoriert diese
Realität,


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Emmi Zeulner






(A) (C)



(B) (D)


in der das Betäubungsmittelgesetz selbst Teil des Pro-
blems ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


An der Wirksamkeit und Verhältnismäßigkeit des gelten-
den Betäubungsmittelrechts bestehen erhebliche Zweifel,
auch weil die Studien beispielsweise nicht sagen, dass
Cannabis eine gesicherte Einstiegsdroge ist, weil Studien
sagen, dass Entkriminalisierung die Bedingungen für die
Prävention verbessert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das Drogenverbot basiert auf keinerlei wissenschaft-
lichen Risikobewertung der einzelnen Substanzen, er-
schwert vielmehr Prävention mit Blick auf Drogen, die
bei uns illegal sind. Es ist unverhältnismäßig und schadet
mehr, als es nützt; das haben wir eigentlich schon gehört.

Deswegen ist es so wichtig, das Betäubungsmittelge-
setz zu evaluieren. Gegen Evaluation und wissenschaft-
liche Bewertung kann nun wirklich keiner in diesem
Hause etwas haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir wissen doch alle, dass die Hälfte aller Strafrechtspro-
fessoren dahintersteht, dass es unterstützt wird von der
Neuen Richtervereinigung, von der Deutschen Gesell-
schaft für Suchtmedizin, von Experten aus der Suchthil-
fe, von Sozialarbeitern, Konsumentenverbänden, aus der
Erziehungswissenschaft und der Präventionsforschung.


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Konsumentenverbände!)


Es gibt also viele Unterstützer für den Gedanken, das Ge-
setz zu evaluieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich kann es nicht nachvollziehen, liebe Kolleginnen
und Kollegen aus der Union – das gilt möglicherweise
auch für einen Teil der Kollegen der SPD –, wenn Sie
sich vor dem Hintergrund dieser wissenschaftlichen Ex-
pertise gegen eine Evaluation stellen und unseren Antrag
heute ablehnen.


(Emmi Zeulner [CDU/CSU]: Darum geht es in dem Antrag nicht! – Tino Sorge [CDU/CSU]: Im Antrag steht kein Wort von Evaluation! Da steht nur was von Legalisierung! – Gegenruf des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE]: Es sind zwei Anträge!)


– Wir reden heute über zwei Anträge. Ich habe jetzt über
den Antrag gesprochen, den wir gemeinsam mit den Lin-
ken eingebracht haben und in dem es darum geht, eine
Evaluation durchzuführen. Diesem Anliegen verweigern
Sie sich.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man muss schon wissen, worüber man abstimmt! – Gegenruf der Abg. Emmi Zeulner [CDU/CSU]: Selbstverständlich!)


Eine unabhängige Evaluation des Betäubungsmittel-
gesetzes ist längst überfällig und dringend notwendig.
Wir brauchen in Deutschland eine ideologiefreie, auf
wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhende Drogenpo-
litik, eine Drogenpolitik der Fakten und nicht des Bauch-
gefühls – das muss ich einmal sagen –,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD])


eine akzeptierende Drogenpolitik, die Drogen nicht
verteufelt, sondern sachlich über Risiken aufklärt, eine
Drogenpolitik, die einen zuverlässigen Jugendschutz eta-
bliert, eine Drogenpolitik, die die Drogenkonsumenten
nicht unter Generalverdacht stellt, sondern Maßnahmen
bereitstellt, um die Schäden durch riskanten Drogenkon-
sum zu reduzieren,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD])


eine Drogenpolitik, die nicht länger auf die Diskriminie-
rung und Ausgrenzung setzt, sondern Drogenabhängige
mit ihren Problemen ernst nimmt. Der Mensch muss da
im Mittelpunkt stehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Deswegen frage ich Sie noch einmal: Was also spricht
gegen eine unabhängige Evaluation des Betäubungsmit-
telrechts?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822827200

Vielen Dank. – Der nächste Redner ist Burkhard

Blienert, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Burkhard Blienert (SPD):
Rede ID: ID1822827300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle-

ginnen und Kollegen! Liebe Kollegen Terpe und Tempel,
Sie wissen ganz genau: Wir werden den Anträgen auch
heute nicht zustimmen. Das ist so, wenn man in einer
Koalition sitzt und vertragstreu ist.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sie müssen sich nicht entschuldigen!)


Deshalb wird es von uns auch in keinem Fall eine andere
Entscheidung geben.

Ich möchte aber deutlich machen, auf welchem Weg
ich mich in den letzten drei Jahren befunden habe, mit
welchen Fragen ich mich auseinandergesetzt habe und
zu welchem Ergebnis ich persönlich an dieser Stelle
komme und wofür ich auch werbe. Man muss sich die
Frage stellen, warum Handlungsoptionen im Bereich der
Cannabis politik notwendig sind.

Dr. Harald Terpe






(A) (C)



(B) (D)


Sie sind notwendig, weil wir wissen, dass trotz des Ver-
botes Millionen von Menschen in Deutschland Cannabis
konsumieren, weil darunter leider auch viele Jugendliche
sind, weil Cannabis dann entweder verbotenerweise an-
gebaut wird oder die Menschen es sich in Deutschland
auf dem Schwarzmarkt besorgen. Diese Menschen sind
keine Kriminellen. In der Regel stehen sie fest im Leben.
Sie erfüllen ihre Aufgabe, sie belästigen niemanden, sie
bedrängen niemanden und sind auch sonst nicht gewalt-
tätig. Kiffer sind halt nicht die langhaarigen Ökos, die
mit verfilzter Mähne ungewaschen auf der Couch liegen
und sich nicht mehr bewegen können, so der Schauspie-
ler Moritz Bleibtreu, der vor wenigen Tagen in der Sonn-
tagsausgabe der Zeitung mit den vier großen Buchstaben
dazu Stellung bezogen hat.


(Zuruf von der SPD: Gut gelaunt! – Zuruf von der CDU/CSU: Die Welt?)


Warum müssen wir etwas tun? Wir müssen etwas tun,
weil wir es aus meiner Sicht als Gesellschaft leider zu-
lassen, dass all diese Menschen gedrängt werden, etwas
Illegales zu tun, weil sie sich halb im kriminellen Milieu
bewegen,


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


weil wir es leider zulassen, dass Milliarden an Schwarz-
geld in diesem Bereich generiert werden,


(Ulli Nissen [SPD]: Genau, steuerfrei!)


weil allzu deutlich wird, dass wir gesellschaftlich heute
viel weiter sind im Umgang mit Drogen und mit Sucht-
erkrankungen, und weil ich weiß, dass diese Gesellschaft
stark und selbstbewusst genug ist und leider Gottes die
Menschen allein lässt, die aber entscheiden könnten, ob
sie kiffen wollen oder nicht.

Moritz Bleibtreu sagt wie viele Menschen in Deutsch-
land auch – ich zitiere noch einmal –:

Ich halte eine Liberalisierung der Cannabispolitik
definitiv für den gesünderen Weg, mit der Droge
umzugehen.

Ich begrüße daher persönlich alle Diskussionen, die in
den einzelnen Bundesländern, in den Städten und Kom-
munen über Cannabismodellprojekte geführt werden.
Dort nämlich tauchen die Probleme auf, die es durch den
Konsum von Rausch- und Suchtmitteln gibt. Natürlich
haben diese Probleme auch mit Verstoß gegen Recht und
Ordnung zu tun, weil es nicht in Ordnung ist, was heute
auf deutschen Schulhöfen und in den dunklen Ecken der
Städte passiert. Daher ist es mir wichtig, auch die Gren-
zen zu benennen, in denen wir über einen sachgerechten
Umgang mit Drogen reden. Deshalb möchte ich über den
Umgang reden und nicht über die Freigabe.

Sie wollen in Ihrem Antrag auch den Eigenanbau er-
möglichen. Hiervon kann ich nur abraten, weil Sie mit
einem solchen Schritt genau das Teilziel der Prävention
konterkarieren. Denn wer sagt dem Konsumenten, wie
hoch der THC-Gehalt seiner Pflanze ist? Wer sagt dem
Konsumenten, wie hoch der Schadstoffgehalt seiner
Pflanze ist? Die Gesundheitsgefahren, die wir mit einer

regulierten Abgabe zu minimieren versuchen, würden
hierdurch wieder erhöht werden.

Drogen am Steuer: Auch hier teile ich, dass Verbesse-
rungen nötig sind, ganz klar. Es darf nicht sein, dass das
bloße Mitführen von geringen Mengen einer berauschen-
den Substanz wie zum Beispiel Cannabis zum Verlust der
Fahrerlaubnis führt, Alkohol am Steuer aber mit einem
Grenzwert versehen ist. Trotzdem sehe ich die Auswei-
tung auf alle Suchtstoffe in Ihrem Antrag als eher pro-
blematisch an. Das wirft noch weitere nicht zu lösende
juristische und ordnungspolitische Fragen auf.

Wie gehen wir mit beiden Anträgen um? Wir werden
sie heute ablehnen. Wir wissen aber ganz genau: Anträge
brauchen gesellschaftliche Mehrheiten. Diese notwendi-
gen Mehrheiten führt man aber nicht herbei, indem man
permanent die gleichen Anträge vorlegt und wir uns per-
manent über das Gleiche unterhalten. Ich plädiere eher
dafür, diese Aufbruchsstimmung, die wir in den Städten
und in den Kommunen haben, zu nutzen und auf Bundes-
ebene in der nächsten Legislaturperiode die notwendigen
Voraussetzungen zu schaffen, damit diese Modellpro-
jekte auf den Weg gebracht werden können. Wir soll-
ten gleichzeitig den Austausch mit den Bundesländern
suchen, um neue Wege in der Drogenpolitik zu gehen.
Ich denke, dass wir einen Punkt hier ganz klar benennen
müssen: Es ist nicht nur der Bund, der hier liefern kann.
Zur ganzen Wahrheit gehört auch, dass die Bundesländer
ihrerseits ihren Einfluss über die Länderkammer geltend
machen können.

Sie haben in den letzten Jahren feststellen können, dass
die Große Koalition einige wichtige drogenpolitische
Entscheidungen getroffen hat; meine Kollegin Emmi
Zeulner hat diese eben benannt. Wir haben in diesem Be-
reich viel getan. Was wir vereinbart haben: Cannabis als
Medizin, Regelungen zu neuen psychoaktiven Substan-
zen, oder die Verordnung zur Substitutionstherapie haben
wir auf den Weg gebracht. Drogenpolitik eignet sich aus
meiner Sicht nicht einseitig für Wahlkampfzwecke.


(Zuruf von der LINKEN: Wir machen das nicht nur im Wahlkampf!)


Vielmehr müssen wir ernsthaft und vernünftig über die
Folgen des missbräuchlichen Umgangs mit Drogen re-
den. Ich denke, ich bin an dieser Stelle recht unverdäch-
tig, dass ich mich neuen Ansätzen wie beispielsweise
Modellprojekten versperre; denn in vielen Gesprächen,
die wir teilweise gemeinsam im In- und Ausland geführt
haben, hat sich bei mir die Einschätzung verfestigt, dass
ein Umdenken in dieser Frage sinnvoll und notwendig
wäre.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE])


Ich bin zuversichtlich, dass wir das in der nächsten
Legislaturperiode schaffen werden. Ich möchte zum
Schluss noch Gustav Radbruch zitieren, der in der Wei-
marer Republik Rechtspolitiker der Sozialdemokratie
war. Er sagte:

In der deutschen Politik geschieht das Vernünftige,
nicht weil es vernünftig ist, sondern erst, wenn gar

Burkhard Blienert






(A) (C)



(B) (D)


nichts anderes mehr übrig bleibt, als das Vernünftige
zu tun.

In diesem Sinne: Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822827400


Vielen Dank. – Letzter Redner zu diesem Tagesord-
nungspunkt ist der Kollege Tino Sorge, CDU/CSU-Frak-
tion.


(Beifall bei der CDU/CSU – Frank Tempel [DIE LINKE]: Er hat nicht gesehen, dass es zwei Anträge sind!)



Tino Sorge (CDU):
Rede ID: ID1822827500


Doch, das hat er sehr wohl gesehen, Herr Kolle-
ge Tempel. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir debattieren ja heute zu später Stunde ein
altbekanntes Thema, nämlich die Frage: Wollen wir den
Konsum illegaler Substanzen entkriminalisieren? Ich
kann ja durchaus nachvollziehen, dass die Linke und
einige andere, auch die Grünen, meinen, dass man mit
einer Entkriminalisierung, dass man mit einer Legalisie-
rung die Zahl der Drogensüchtigen senken kann, weniger
Drogenkriminalität generiert und es für alle besser wird.
Die Frage ist eben nur, ob wir uns Experimente erlauben
wollen oder ob wir sagen: Wir machen das mit Vorsicht
und Augenmaß. – Oftmals trügt eben der schöne Schein.
Lassen Sie mich deshalb, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, noch auf ein paar Fakten hinweisen.

Die Zahl ist hier nur am Rande angesprochen wor-
den: 200 Millionen Menschen weltweit nehmen illega-
le Drogen. Dazu gehören Cannabis, Kokain, Heroin. In
Deutschland gibt es 600 000 Menschen, deren Konsum
von Cannabis und anderen illegalen Drogen als proble-
matisch gilt. Gerade die Anzahl, die Art und die Verfüg-
barkeit sogenannter neuer psychoaktiver Stoffe auf dem
europäischen Markt nimmt ja stetig zu. Aktuell werden
fast 600 neue psychoaktive Substanzen beobachtet. Al-
lein 2015 wurden davon 98 Substanzen erstmals gemel-
det.

Vor allem synthetische Cannabinoide und syntheti-
sche Cathinone als Substitute für Cannabis sind auf dem
Markt, obwohl wir alle wissen, dass diese hochgradig
giftig und gefährlich sind. Sie tun hier so, als sei das alles
kein Problem und als müssten wir diesen Bereich wei-
ter legalisieren und entkriminalisieren, um dem Problem
Herr zu werden.

Schauen Sie sich die Zahlen an. Im Februar 2016 gab
es eine EU-weite Warnung bezüglich des Cannabinoids
MDMB-CHMICA, das in Europa seit 2014 13 Todes-
fälle verursacht hat. 23 nichttödliche Vergiftungen sind
damit in Verbindung gebracht worden. Ich könnte Ihnen
noch eine Menge anderer Beispiele nennen, die belegen,

dass es nicht einfach entspannend läuft und keine Gefah-
ren zu verzeichnen sind.


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Das bräuchte keiner, wenn Cannabis legal wäre!)


Deshalb sagen wir: Hier geht es nicht um Entwarnung,
hier geht es um Entkriminalisierung, hier geht es einfach
darum, dass wir mit Augenmaß darauf achten, dass keine
Bereiche legalisiert werden, bei denen wir zum Schluss
nicht mehr wissen, was passiert.


(Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre wissenschaftliche Evaluation! – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist Nichtstun auch Augenmaß?)


Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir als Re-
gierungskoalition haben deshalb darauf reagiert. Wir
haben im November 2016 das Neue-psychoaktive-Stof-
fe-Gesetz verabschiedet. Hintergrund war, dass wir da-
mit effektiver gegen Händler vorgehen wollen. Harmlos
wirkende Produkte enthalten meist Betäubungsmittel in
unterschiedlicher Konzentration. Für jugendliche Konsu-
menten ist nicht erkennbar, was dort letztendlich drin ist.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben!)


Die verführen die Konsumenten zum Rauchen, zum
Schniefen, zum Schnupfen zu Rauschzwecken. Sie sa-
gen: Das alles ist kein Problem. Wir müssen das lega-
lisieren. – Wir haben einen anderen Ansatz. Wir wollen
nicht legalisieren, wir wollen auch nicht bagatellisieren,
sondern wir wollen sensibilisieren, wir wollen aufklären,
und wir wollen Leid vermeiden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Kollegin
Emmi Zeulner hat schon darauf hingewiesen, dass das
keine harmlosen Einstiegsdrogen sind.


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Das habe ich auch nicht gesagt!)


Es beginnt mit dem ersten Versuch, der passenden Clique,
dem passenden Verhalten – das erscheint dann normal, es
wird verharmlost, es wird gesagt: Es spielt keine Rolle,
ob wir Cannabis, Heroin oder Amphetamin nehmen. Das
sind synthetische Suchtstoffe. Deswegen verbietet sich in
diesem Bereich jedes Verharmlosen.


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Das macht niemand!)


– Genau das machen Sie, Herr Kollege Tempel.


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Nein, eben nicht!)


Sie stellen sich hierher und sagen: Ich war einmal Poli-
zist. Ich weiß, wie schlimm es auf der Straße ist, wenn
die Konsumenten kriminalisiert werden, weil sie keine
Drogen bekommen. – Das ist genau der falsche Weg. Wir
müssen den Menschen helfen, wir müssen Therapien an-
bieten, wir müssen über Drogengefahren aufklären. Wir
können doch nicht sagen: Weil wir das auf dem Schwarz-
markt nicht in den Griff bekommen, legalisieren wir den

Burkhard Blienert






(A) (C)



(B) (D)


Bereich einfach. Das ist der völlig falsche Weg, Herr
Kollege.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822827600

Herr Kollege Sorge, gestatten Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Tempel?


Tino Sorge (CDU):
Rede ID: ID1822827700

Ja, natürlich.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822827800

Bitte schön.


Frank Tempel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822827900

Der Kollege Blienert hat vorgeführt, wie man trotz

unterschiedlicher Position ohne Lügen auskommt. Ich
weise Sie noch einmal darauf hin, dass ich bei keiner
einzigen Veranstaltung die Gefährlichkeit von Canna-
bis infrage gestellt habe. Ihre permanente Behauptung
lautet, hier würde irgendetwas verharmlost. Mehrfach
habe ich darauf hingewiesen, dass große Risiken da sind.
All das, was Ihre Kollegin Zeulner aus der Suchtklinik
erzählt hat, all das, was auch Sie an synthetischen Sub-
stanzen von Produkten, die Cannabis ersetzen sollen,
erzählt haben, sind Rahmenbedingungen, die durch Ihre
Prohibition entstanden sind. Wer bräuchte denn syntheti-
sche Cannaboide, wenn Cannabis legal wäre und man auf
eine natürliche, rohstoffbasierte Substanz zurückgreifen
könnte?


(Emmi Zeulner [CDU/CSU]: Cannabis für Minderjährige wird nie legal!)


Sie unterstellen hier permanent, dass wir das gut finden,
was erst durch Ihre Prohibition entstanden ist.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben mehrfach Angebote gemacht, auch auf den
Wirkstoffgehalt von THC bezogen, dass gerade legale
Modelle die Möglichkeit wären, diesen Wirkstoffgehalt
unter Kontrolle zu bringen.


(Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD] und Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich diskutiere gerne mit dem Kollegen Blienert, ob der
Eigenanbau die richtige Variante ist oder nicht. Aber wir
machen genau dazu Vorschläge, übrigens mit der Deut-
schen Hauptstelle für Suchtfragen, mit dem Bund Deut-
scher Kriminalbeamter, mit vielen anderen Bereichen.
Der Kollege von den Grünen hat das aufgezählt. Sie sind
in der Gesellschaft fast isoliert, sich bei dieser Thematik
in der Drogenpolitik einem anderen Weg zuzuwenden.


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Das ist nicht wahr! – Emmi Zeulner [CDU/CSU]: Die Mehrheit ist gegen eine Legalisierung! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Sie wollen mehr Sucht!)


Sie arbeiten permanent mit Unterstellungen, dass wir
Drogen verharmlosen würden. Nein, wir wollen Scha-
densminimierung. Wir wollen weniger Suchterkrankun-
gen, wir wollen weniger Begleiterkrankungen, und wir
wollen vor allen Dingen weniger Todesfälle. Wenn Sie
hier permanent etwas anderes ohne jeglichen Beleg un-
terstellen, dann bitte ich Sie, sich für solche Lügen zu
entschuldigen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Tino Sorge (CDU):
Rede ID: ID1822828000

Als Erstes, Herr Kollege Tempel, ist es absolut unter-

irdisch, wenn Sie jemandem mit einer anderen Meinung
immer Lügen unterstellen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Max Straubinger [CDU/CSU]: Genau! – Frank Tempel [DIE LINKE]: Sie haben mir Lügen unterstellt!)


Das ist eine Art der Argumentation, die Sie gerne mit
Ihren Kollegen machen können, aber dieses Niveau ist
einfach nur unterirdisch.


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Aber Sie sind doch ein Lügner!)


Sie sagen immer, Sie würden auf Gefahren hinweisen
und würden nicht für eine Bagatellisierung sein. Genau
das Gegenteil ist der Fall:


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Eben nicht! Das können Sie mir nicht unterstellen!)


Sie sagen immer, es gebe gar keine Probleme.


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer sagt das denn?)


Es gab letztens eine Studie der Techniker Krankenkasse
und des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kin-
der- und Jugendalters. Gerade im rot-grün regierten Nie-
dersachsen fangen die jüngsten Kiffer mit 14 Jahren an;


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Trotz Ihrer Politik!)


frühester Einstieg in die Drogenkarriere. Sie sagen, sie
werden alle in die Illegalität gedrängt,


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das mit Niedersachsen zu tun?)


weil sie keinen guten Stoff bekommen, und dadurch,
dass sie Stoff kaufen, werden sie kriminalisiert, und des-
halb muss man es legalisieren.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten ordentlich zuhören!)


Da sage ich Ihnen auch ganz offen: Sie sollten die Stu-
dien lesen und zur Kenntnis nehmen,


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Thomasius!)


Tino Sorge






(A) (C)



(B) (D)


was beispielsweise der Leiter des Deutschen Zentrums
für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters, Herr Tho-
masius, gesagt hat. Sehen Sie, Sie kennen ihn.


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Ihr einziger Experte!)


Er sagte nicht nur, dass aufgrund des intensiven Cann-
abisgebrauchs Hirnschäden und Schizophrenie auftreten
können – das ist bereits ausgeführt worden –, sondern
auch, dass im Grunde besorgniserregende Zustände
herrschen. Da können Sie doch nicht das Ursache-Wir-
kungs-Prinzip umkehren und sagen: Wir müssen alles
legalisieren, dann wird alles besser. – Das ist der völlig
falsche Weg, Herr Kollege.


(Beifall bei der CDU/CSU – Maria KleinSchmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt ist alles gut, oder wie?)


Ich will auf einen anderen Aspekt in der Diskussion
und auch in einem Ihrer Anträge hinweisen. Sie haben
gesagt, wir müssten auch darauf achten, dass wir im Hin-
blick auf die Auswirkungen auf die Verkehrstüchtigkeit
im Straßenverkehr nicht zu einer Kriminalisierung derje-
nigen kommen, die Drogen konsumieren. Ich will nur auf
die Zahlen hinweisen: Laut Weltverkehrsforum werden
14 bis 17 Prozent aller Autounfälle mit Toten und Ver-
letzten unter dem Einfluss von Drogen,


(Zuruf von der LINKEN: Wie viele mit Alkohol? – Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Was ist dann Bier? Oktoberfest!)


von Cannabis und Benzodiazepinen, verursacht. Meine
Frage ist dann: Wollen Sie tatsächlich beispielsweise den
Eltern dieser Verkehrsopfer erklären, es sei richtig gewe-
sen, es sei gut gewesen, dass ein Mensch, der unter Dro-
gen stand, fahren durfte?


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Sie lügen schon wieder! Ich habe gesagt: wer kein Fahrzeug führt! Lügner! – Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht im Gesetz nicht drin! – Gegenruf der Abg. Maria Michalk [CDU/CSU]: Steht doch drin!)


– Schauen Sie in Ihren Antrag! In Ihrem Antrag steht,
dass er erst bei einem Drogengebrauch in riskanten Si-
tuationen


(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Oktoberfest!)


oder nach einer wiederholten Drogenfahrt kriminalisiert
werden soll, und das ist der völlig falsche Weg.


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Das ist gelogen!)


– Hören Sie auf, Herr Tempel, die Leute hier immer der
Lüge zu bezichtigen. Sie sitzen da, Sie behaupten Dinge,
die durch nichts unterlegt sind,


(Heike Baehrens [SPD]: Machen Sie doch gerade auch!)


Sie stellen sich als Polizist hierhin.


(Ulli Nissen [SPD]: „Sie stellen sich als Polizist hierhin“ – was soll das denn?)


Ich sage Ihnen einfach mal:


(Frank Schwabe [SPD]: Seien Sie ein bisschen netter!)


Die Leute, die ich kenne und Polizisten sind und das hö-
ren, was Sie reden, sind einfach nur peinlich berührt.


(Ulli Nissen [SPD]: Ich kenne genügend Polizisten! Die sind auf meiner Seite!)


Sie sagen: Wenn Leute wie Sie auf Streife wären, dann
wäre das einfach unterirdisch.


(Zurufe von der SPD und der LINKEN – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mein Gott, ist das von Unkenntnis getragen, was Sie da von sich geben!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822828100

Jetzt lassen Sie bitte den Kollegen Sorge reden.


Tino Sorge (CDU):
Rede ID: ID1822828200

Wenn Sie von Drogenkonsum und Einstiegswegen

reden, dann klingt das immer sehr abstrakt. Ich will es
mal an einem Beispiel festmachen. Ich komme aus dem
Bundesland Sachsen-Anhalt. Da ist es tatsächlich so,
dass mittlerweile – wie in vielen anderen Bundesländern
auch – Cannabis und seine Variationen die unangefochte-
ne Nummer eins sind und bei über 70 Prozent aller Dro-
gendelikte eine Rolle spielen, insbesondere auf Schulhö-
fen und an Schulen. Man sieht daran, dass eine gewisse
Affinität gerade der jungen Menschen dazu besteht, dass
es da einen enormen Anstieg gibt. Dafür ist natürlich die
schleichende gesellschaftliche Verharmlosung von Can-
nabis ein zentraler Grund; sie führt letztendlich zu sol-
chen Zahlen.

Meine Damen und Herren, ich will mich damit nicht
zufriedengeben. Wir, die Unionsfraktion, kämpfen dafür,
dass der Drogeneinstieg erschwert wird,


(Ulli Nissen [SPD]: Bei Alkohol genauso?)


dass Drogensucht klar als Krankheit benannt wird. Wir
wollen Prävention mit allen Mitteln, wir wollen die Hei-
lung unterstützen, aber wir wollen auch die Auswirkun-
gen der Drogensucht nicht arglos hinnehmen. Sie wollen
Bagatellisierung, Sie wollen Legalisierung,


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Das ist gelogen! Das ist immer noch gelogen! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Wir wollen mit Fachleuten darüber reden!)


wir wollen Sensibilisierung. Deshalb wird es Sie nicht
überraschen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir
Ihren Anträgen heute hier nicht zustimmen werden.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Tino Sorge






(A) (C)



(B) (D)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822828300

Vielen Dank. – Diese sehr emotionale Debatte ist jetzt

zu Ende.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Gesundheit zu dem Antrag der Fraktionen
Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel
„Beabsichtigte und unbeabsichtigte Auswirkungen des
Betäubungsmittelrechts überprüfen“. Das ist jetzt der
Tagesordnungspunkt 19 b. Der Ausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10445,
den Antrag der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 18/1613 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen
der Opposition angenommen.

Jetzt kommt der Tagesordnungspunkt 19 a. Abstim-
mung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Druck-
sache 18/11610 mit dem Titel „Entkriminalisierung von
Drogenkonsumierenden“. Wer stimmt für diesen An-
trag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der An-
trag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Opposition abgelehnt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 sowie Zusatz-
punkt 3 auf:

20. Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Fortentwicklung der haushaltsnahen
Getrennterfassung von wertstoffhaltigen Ab-
fällen

Drucksache 18/11274

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi-
cherheit (16. Ausschuss)


Drucksache 18/11781

ZP 3 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald,
Britta Haßelmann, Christian Kühn (Tübingen),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Wertstoffgesetz jetzt vorlegen

Drucksachen 18/4648, 18/9693

Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache, und das Wort hat der
Parlamentarische Staatssekretär Florian Pronold für die
Bundesregierung. – Bitte schön.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Fl
Florian Pronold (SPD):
Rede ID: ID1822828400


Seit nahezu 20 Jahren sind die ökologischen Anforde-
rungen an die Verwertung von Verpackungsabfällen nicht
mehr verändert worden.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Man sagt: Liebe Kolleginnen und Kollegen!)


Sie zu erhöhen, ist überfällig. Liebe Kolleginnen, liebe
Kollegen, sehr geehrte Frau Präsidentin, heute liegt ein
Gesetzentwurf vor, auf den wir alle lange gewartet ha-
ben. Das Verpackungsgesetz ist ein Kompromiss, und
dieser Kompromiss steht am Ende eines langen und zä-
hen Ringens.

Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks hat das Vor-
haben mit höchster Priorität und mit Nachdruck vorange-
bracht. Ich möchte mich ganz herzlich bei den Bericht-
erstattern der Koalition bedanken, die über zwei Jahre
intensiv an diesem Gesetzentwurf gearbeitet haben. Vie-
len Dank, liebe Dr. Anja Weisgerber, lieber Dr. Thomas
Gebhart und lieber Michael Thews. Ich möchte mich
auch ganz herzlich bei meiner zuständigen Abteilung mit
ihrem Abteilungsleiter Helge Wendenburg bedanken. Ich
glaube, wir alle haben in diesem Prozess viel gelernt und
auch viel dazugelernt. Ich habe schon manche kompli-
zierte politische Materien in meinem Leben bearbeitet,
aber ich hatte nicht geahnt, dass die komplizierteste die-
ses Verpackungsgesetz wird.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, entsprechend wenig ist auch herausgekommen!)


Im Vordergrund steht die deutliche Erhöhung der
Recyclingquoten; ich finde, nach 20 Jahren ist das längst
überfällig. In unserer Bevölkerung ist ein hohes Bewusst-
sein für die Wichtigkeit der Trennung von Müll, auch für
die Trennung von Kunststoffverpackungen vorhanden.
Aber bis heute dürfen fast zwei Drittel der Kunststoff-
verpackungen in die Verbrennung gehen, statt recycelt zu
werden.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da ändern Sie ja nichts dran! – Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Da ändert sich nichts!)


Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden wir die
Anforderungen an die Recyclingquote für Kunststoff-
verpackungen umdrehen: Zukünftig werden zwei Drittel
recycelt. Wir werden die Recyclingquoten bei Metall,
Glas und Papier auf fast 90 Prozent erhöhen. Das ist die
wichtigste Botschaft in diesem Gesetz. Es ist gut, dass
wir das Recycling nach über 20 Jahren noch einmal deut-
lich verbessern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir verpflichten zudem die Dualen Systeme, die
Nachhaltigkeit oder ökologische Vorteilhaftigkeit von
Verpackungen bei der Gestaltung ihrer Lizenzentgelte
stärker zu berücksichtigen. Da die Kommunen vor Ort
immer die Ansprechpartner sind – unabhängig davon, ob
sie tatsächlich zuständig sind oder nicht: die Bürgerin-






(A) (C)



(B) (D)


nen und Bürger wenden sich in erster Linie immer an
die Kommunen, wenn etwas schiefgeht –, haben wir alles
getan, um den Kommunen Einfluss- und Steuerungsmög-
lichkeiten vor Ort zu geben:


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Das ist das exakte Gegenteil! – Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Das tut weh!)


Sie können die Sammlungen vor Ort besser aufeinander
abstimmen, sie können über den Abholrhythmus bestim-
men, und sie können bestimmen, in welcher Form ge-
sammelt wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Das ist ein entscheidender Fortschritt im praktischen
Umgang mit der Abfallbeseitigung und der Verpackungs-
sammlung vor Ort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Außerdem garantieren wir durch die Einrichtung einer
Zentralen Stelle einen faireren Wettbewerb. Gerade für
die kommunalen Wertstoffhöfe ist es eine Vereinfachung,
wenn sie nicht mehr mit elf unterschiedlichen Dualen
Systemen verhandeln müssen,


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sondern?)


sondern mit einer Zentralen Stelle, die über die Spielre-
geln wacht und die dafür Sorge trägt, dass die schwarzen
Schafe ordentlich geschoren werden, damit nicht so viele
Lizenzentgelte umgangen werden können.


(Ulli Nissen [SPD]: Schwarze Schafe kann man nicht scheren!)


Ganz wichtig ist auch das von den Koalitionsfrakti-
onen wieder eingebrachte Konzept zur deutlichen Stär-
kung des Mehrwegsystems.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was?)


Wir haben in der Anhörung ziemlich viel darüber disku-
tiert, und ich glaube, dass es wichtig ist, entsprechende
Maßnahmen zu ergreifen. Aber ich sage auch: Es kann
nicht bei einer symbolischen Anforderung bleiben.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo sind denn die Sanktionen, wenn die Quote nicht eingehalten wird?)


Vielmehr werden wir in den nächsten Jahren ernsthafte
Schritte unternehmen müssen, um zu gewährleisten, dass
das System auch wirklich funktioniert.


(Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD])


Es reicht nicht, dass wir bei Bierflaschen eine hohe
Mehrwegquote haben. Es gibt auch andere Probleme.
Niemand hat bisher eine Lösung aufgezeigt, auch nicht in
der Anhörung, wie wir de facto zu einer höheren Mehr-
wegquote kommen. Aber wir alle wissen, dass das gerade
für kleine Brauereien, für viele mittelständische Betriebe

und für die Arbeitsplätze in Deutschland ein wichtiger
Punkt ist.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja schön! Warum machen Sie es nicht?)


Deswegen ist es gut, dass das aufgenommen wird.

Sehr geehrte Damen und Herren, die Umwelt profi-
tiert durch ökologische Weiterentwicklung, der Wettbe-
werb profitiert durch einen besseren rechtlichen Rahmen
und einen stärkeren Vollzug, die Bürgerinnen und Bürger
profitieren durch eine effiziente und bürgernahe Entsor-
gung, und die Kommunen profitieren durch mehr Gestal-
tungsmöglichkeiten – das sind vier gute Gründe, um dem
Gesetzentwurf zuzustimmen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822828500

Vielen Dank. – Für die Linke spricht jetzt der Kollege

Ralph Lenkert.


(Beifall bei der LINKEN)



Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822828600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen

und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Hinter
blumigen Worten wie „Produktverantwortung“ oder
„Recyclingquote“ werden in diesem Entwurf eines Ver-
packungsgesetzes knallharte Profitinteressen privater
Unternehmen versteckt.

Zur Geschichte: Die Dualen Systeme sollten seit den
90er-Jahren das System der gelben Tonne und des gel-
ben Sacks für Verpackung organisieren. Betrug bei der
Abrechnung sorgte für märchenhafte Sammelquoten
von 250 Prozent. Angeblich wurden nur 800 000 Tonnen
Verpackungen verkauft; aber es landeten 2,5 Millionen
Tonnen Verpackung in gelben Säcken oder Tonnen. Trotz
Lohndumping, trotz ruinöser Vergaben von Dienstleis-
tungen durch die Dualen Systeme führte dieser Betrug
fast zu deren Bankrott. Mit der Änderung der Verpa-
ckungsverordnung rettete diese Koalition die betrüge-
rischen Dualen Systeme und verhinderte eine Rekom-
munalisierung. Mit dem Wertstoffgesetz von 2015 sollte
dann die Privatisierung der Wertstoffe im Hausmüll er-
folgen. Die Einnahmen aus dem Verkauf dieser Wertstof-
fe senkten die Kosten der kommunalen Abfallwirtschaft.
Fehlen den Kommunen diese Einnahmen, steigen die
Müllgebühren für alle Gebührenzahlerinnen und Gebüh-
renzahler um circa 10 Euro pro Jahr. Linke und Grüne
verhinderten gemeinsam im Bundesrat dieses Privatisie-
rungswertstoffgesetz.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt versucht die Koalition, auf den letzten Metern
der Wahlperiode mit dem neuen Verpackungsgesetz we-
nigstens die Tür zur Privatisierung zu öffnen. Eine pri-
vat organisierte Zentrale Stelle soll als Schiedsrichter für
die Verpackungserfassung und -verwertung dienen. Das
nimmt den Kommunen ihren Gestaltungsspielraum und

Parl. Staatssekretär Florian Pronold






(A) (C)



(B) (D)


bereitet einen späteren, neuen Anlauf zur Privatisierung
vor. Das lehnt die Linke ab.


(Beifall bei der LINKEN)


Der Koalition aus Union und SPD standen als Paten des
Gesetzentwurfs unter anderem Rewe, Edeka, Procter &
Gamble und andere Handelsketten und Konzerne zur Sei-
te. Die Paten gründeten eine private Projektgesellschaft
zur Vorbereitung dieses Verpackungsgesetzes, und die Pa-
ten bezahlten diese Gesellschaft aus ihrer Tasche. Genau
diese private Gesellschaft hat dann das Bundesumweltmi-
nisterium beraten und den Gesetzentwurf vorgeschrieben
und – natürlich – von den Segnungen einer privat betrie-
benen Zentralen Stelle überzeugt. Da hatten die Einwände
des Verbandes kommunaler Unternehmen und sogar des
Bundeskartellamt keine Chance, gehört zu werden. Wer
da an eine neutrale Beratung glaubt, der glaubt auch, dass
Zitronenfalter Zitronen falten.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Gesetzentwurf lässt sich noch heilen. Dazu bringt
die Linke ihren Entschließungsantrag mit drei Punkten
ein:

Erstens. Die Zentrale Stelle wird als unabhängige,
staatliche Behörde unter Fachaufsicht des Umweltbun-
desamtes eingerichtet.

Zweitens. Wertstofferfassung – ob Papier, Glas oder
Pappe – als Teil der Abfallentsorgung ist öffentliche Da-
seinsvorsorge und damit Pflichtaufgabe der Kommunen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Drittens. Eine Mehrwegquote für Getränkeverpackun-
gen von 80 Prozent vermeidet Verpackungsabfälle und
schont die Ressourcen.

Stimmen Sie einfach unserem Antrag zu.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN – Ulli Nissen [SPD]: Machen wir nicht, Ralph! Keine Chance! Du hast uns nicht überzeugt!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822828700

Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht

jetzt Dr. Thomas Gebhart.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Thomas Gebhart (CDU):
Rede ID: ID1822828800

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Seit Jahren wird über eine neue Verpackungs-
gesetzgebung intensiv diskutiert. Es wurden Vorschläge
gemacht. Wir haben in unzähligen Diskussionsrunden
miteinander debattiert. Jetzt ist es nach jahrelangem Rin-
gen endlich gelungen, den Weg für ein mehrheitsfähiges
Gesetz frei zu machen. Es ist uns gelungen, eine vernünf-
tige Balance zwischen den unterschiedlichen Interessen
zu finden. Ich möchte mich ebenfalls herzlich bei allen
bedanken, die sich in diesen schwierigen Prozess kon-

struktiv eingebracht und zu seinem Gelingen beigetragen
haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dieses Verpackungsgesetz ist ein Fortschritt. Es ist ein
Fortschritt für die Verbraucherinnen und Verbraucher in
Deutschland. Es ist ein Fortschritt für die Umwelt. Wir
schonen Ressourcen, weil von diesem Gesetz Anreize
ausgehen, Verpackungen möglichst zu vermeiden. Wenn
Verpackungen gebraucht werden, dann werden sie nach
höheren Quoten als bisher recycelt. Es entstehen neue
Wertstoffe. Das ist überfällig. Die Bürgerinnen und Bür-
ger in diesem Land erwarten zu Recht, dass von dem,
was sie sorgsam in den gelben Sack hineinsortieren, mehr
recycelt wird und weniger in der Müllverbrennungsanla-
ge landet. Genau dies leisten wir mit diesem Gesetz.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein bisschen Wunschdenken!)


Dieses Verpackungsgesetz ist ein Fortschritt, der In-
novationen unterstützt. Wir haben es bei der Anhörung
gehört: Bereits im Vorfeld zu diesem Gesetz haben viele
Unternehmen in Deutschland angekündigt, in moderne
Anlagen zum Kunststoffrecycling zu investieren. Genau
darin liegt die Chance, dass wir unsere Vorreiterrolle in
Deutschland behaupten und ausbauen. Es ist eine Chance
auf zukunftsträchtige Arbeitsplätze. Auch das gehört in
diese Debatte.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dieses Verpackungsgesetz ist ein Fortschritt für die
soziale Marktwirtschaft. Wir setzen weiterhin auf wett-
bewerbliche Lösungen und auf das Prinzip der Produkt-
verantwortung. Das heißt, Unternehmen übernehmen
auch Verantwortung für die spätere Entsorgung ihrer
Verpackungen. Damit werden die Kosten für die Ent-
sorgung dieser Verpackungen Teil des Verkaufspreises
der Produkte. Sie werden Teil des Wettbewerbs. Damit
entstehen auf intelligente Art und Weise Anreize, Verpa-
ckungen einzusparen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Umwelt und Wirtschaft werden so in Einklang gebracht.
Wir stärken die soziale Marktwirtschaft, indem wir Rah-
menbedingungen für einen fairen und funktionierenden
Wettbewerb setzen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dieses Verpackungsgesetz ist auch ein Fortschritt für
die Kommunen.


(Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sehen die anders!)


Denn die Rechte der Kommunen werden im Vergleich
zur heutigen Situation eindeutig gestärkt. Die Kommu-
nen können künftig Vorgaben für die Sammlung von
Kunststoffen, Metallen und Verbundverpackungen ma-
chen. Sie können zum Beispiel Vorgaben machen, ob die-
se Abfälle im gelben Sack oder in einer Tonne gesammelt
werden. Sie können Vorgaben über Art und Größe dieser

Ralph Lenkert






(A) (C)



(B) (D)


Gefäße machen. Sie können auch darüber Vorgaben ma-
chen, wie oft diese Gefäße abgeholt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben die parlamentarischen Beratungen intensiv
genutzt, um eine Reihe von Verbesserungen herbeizu-
führen. Wir haben Regelungen eingeführt, die zu mehr
Rechtssicherheit, die zu mehr Klarheit führen. Wir haben
die Mehrwegquote wieder ins Gesetz geschrieben.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ohne Sanktionen!)


Aber wir sagen auch – das ist ein ganz entscheidender
Punkt –: Wir brauchen Ökobilanzen. Erst dann, wenn wir
saubere Ökobilanzen auf dem Tisch haben, haben wir die
notwendige Entscheidungsgrundlage, um weitere Ent-
scheidungen hinsichtlich Mehrweg und Einweg treffen
zu können. Das ist ein ganz entscheidender Punkt, bei
dem wir uns ganz klar unterscheiden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da unterscheiden wir uns!)


In diese Debatte gehört auch – ich will es noch einmal
ausdrücklich sagen –: Ein Pfand auf Weinflaschen wird es
nicht geben. Das ist vom Tisch. Wir haben von Anfang an
klar gesagt, als die entsprechende Debatte im Bundesrat
aufgekommen ist: Mit uns wird es dieses Zwangspfand
auf Weinflaschen nicht geben, weil es unverhältnismäßig
wäre. – Wir haben Wort gehalten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Was wäre die Alternative zu diesem Verpackungsge-
setz? Natürlich kann man sagen: ein Wertstoffgesetz. Das
hätten auch wir uns gewünscht.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir auch!)


Aber ich sage heute noch einmal ausdrücklich: An der
Union ist dieses Wertstoffgesetz nicht gescheitert.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: An wem denn dann? – Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Am Inhalt!)


Die Alternative zu diesem Verpackungsgesetz wäre
heute, dass alles so bleibt wie bisher. Das wäre Stillstand,
und Stillstand in diesem Bereich bedeutet Rückschritt.
Diesen Rückschritt können wir uns nicht leisten, den
wollen wir uns nicht leisten, und den werden wir uns
nicht leisten. Deswegen bitte ich Sie ausdrücklich um
Zustimmung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822828900


Vielen Dank. – Britta Haßelmann spricht jetzt für
Bündnis 90/Die Grünen.


Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822829000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Herr Gebhart, ich frage mich: An wem ist denn
ein Wertstoffgesetz gescheitert?


(Zuruf von der CDU/CSU: An den Grünen!)


– An uns Grünen sicherlich nicht;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


denn wir verlangen und diskutieren das seit Jahren.


(Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Sie wollten ein komplett anderes Wertstoffgesetz!)


In die politische Debatte haben wir in dieser Legisla-
turperiode seit 2015 Vorschläge eingebracht. Doch wir
diskutieren heute, meine Damen und Herren, kein Wert-
stoffgesetz. An diesem Wertstoffgesetz sind diese Bun-
desregierung und diese Koalition gescheitert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: So ein Quatsch!)


Aus dem Wertstoffgesetz ist heute maximal ein Verpa-
ckungsgesetz geworden, obwohl Sie seit Ihrem Koaliti-
onsvertrag große Ankündigungen gemacht haben, dass es
ein Gesetz zur Verwertung von Wertstoffen geben sollte.

Ihr ursprüngliches Ziel, nicht nur Verpackungen, son-
dern auch sogenannte stoffgleiche Nichtverpackungen
wie die Bratpfanne oder das Bobbycar zu sammeln, war
doch richtig.


(Ulli Nissen [SPD]: Wer schmeißt denn Bobbycars weg?)


Aber bei der Umsetzung sind Sie, meine Damen und
Herren, kläglich gescheitert. Wenn Sie es mit der Kreis-
laufwirtschaft wirklich ernst meinen, muss der Abfall
nach Materialien, also etwa nach Metallen, Kunststoffen,
Papier oder Glas, getrennt werden, aber eben nicht nach
Produkten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE])


Das ist doch klar. Das haben wir immer wieder betont.
Das sagt die gesamte Fachwelt.


(Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Die Grünen im Bundesrat haben es verhindert!)


Den vorliegenden Gesetzentwurf versteht jedoch kein
Mensch, meine Damen und Herren. Deshalb ist es ein
frommer Wunsch, Herr Gebhart, dass er etwas mit Trans-
parenz und Verbrauchern zu tun haben soll. Deshalb ma-
chen ja viele sogenannte intelligente Fehlwürfe. Sie wer-
fen, obwohl es gegen das Gesetz ist, auch Produkte aus
Plastik in die gelbe Tonne für Verpackung, weil es keine
Transparenz gibt und weil es die Leute nicht verstehen.
Die Mülltrennung nach Material hätten Sie bundesweit
zum Gesetz machen müssen, wie Sie es im Koalitions-
vertrag vereinbart haben. Dann könnten nämlich bun-
desweit Sachen wie Bobbycars, Bratpfannen oder vieles
mehr mit den Verpackungen in einer Wertstofftonne ge-
sammelt werden.

Dr. Thomas Gebhart






(A) (C)



(B) (D)


Dieses Gesetz, meine Damen und Herren, ist ein Fehl-
wurf, und zwar kein besonders intelligenter.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE])


Es ist ein Zeichen des Einknickens vor der Abfalllobby,
vor dem Handel und vor den Kommunen. Das wissen
alle, die sich mit der Sache beschäftigen, genau. Statt
eine bundesweite Wertstoffsammlung zu organisieren,
lassen Sie es zu, dass alle Beteiligten, Unternehmen und
Kommunen, nur ihre eigenen Claims abstecken zulas-
ten der Bürgerinnen und Bürger, die immer noch nicht
durchblicken, was eigentlich in die gelbe Tonne gehört.

Statt die Sammlung endlich für alle transparent neu
zu organisieren – das war eigentlich auch Anspruch und
Ziel –, zementieren Sie mit dem Gesetz doch die ineffizi-
ente und krisengeschüttelte Struktur der Dualen Systeme,
die weiterhin parallel besteht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dieses Gesetz verabschiedet sich von der Kreislaufwirt-
schaft und von der Ressourcenschonung. Instrumente zur
Vermeidung von Abfall fehlen.

Jetzt loben Sie sich auch noch selbst dafür, dass Sie
erst die Mehrwegquote aus dem Gesetzentwurf gestri-
chen haben und diese jetzt wieder hineinbringen. Ich fas-
se es nicht, meine Damen und Herren, dass Sie sich dafür
jetzt auf einmal loben!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE] – Ulli Nissen [SPD]: Hätten wir sie draußen lassen sollen? – Zurufe von der CDU/CSU)


Wir Grüne haben schon 2015 dem Bundestag Vor-
schläge für eine Wertstoffsammlung gemacht, die ökolo-
gisch, effizient, transparent und bürgernah organisiert ist.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ach je!)


Die Kommunen sollten Hausmüll und Wertstoffe in ei-
ner Hand sammeln. Die Bundesländer haben unsere Vor-
schläge in einem Bundesratsbeschluss unterstützt. Und,
meine Damen und Herren, es ging nicht darum, dass
jede Kommune hier selbst sammelt, sondern dass sie die
Steuerungsfähigkeit in diesem Bereich hat. Das ist der
entscheidende Punkt.


(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Richtig! Genau darum ging es!)


Da unterscheiden wir uns ganz massiv im Vergleich zu
Ihren Vorschlägen, meine Damen und Herren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE])


Mit diesem Gesetz wird die Abfallsammlung kom-
pliziert, bürokratisch, teuer. Darüber hinaus ist sie nicht
ökologisch. Deshalb lehnen wir es ab. Die Mülltrennung
nach Material hätte die Regierung bundesweit zum Ge-
setz machen müssen, so wie im Koalitionsvertrag be-
schrieben.


(Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Warum haben Sie es dann im Bundesrat verhindert?)


Dann könnten nämlich bundesweit Quietscheentchen,
Bratpfannen und vieles mehr zusammen mit Verpa-
ckungen in einer Wertstofftonne gesammelt werden.
450 000 Stoffe mehr hätten so recycelt werden können.
Hier haben Sie wirkliche eine Chance vertan.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822829100

Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt Michael

Thews das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Michael Thews (SPD):
Rede ID: ID1822829200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Das Thema Abfall ist den Deutschen
wichtig. Das merken wir an der aktuellen Berichterstat-
tung über dieses Gesetz; aber das haben wir auch in den
letzten Jahren immer wieder erfahren, wenn es um dieses
Thema ging.

Wir in Deutschland sind Weltmeister beim Abfall-
trennen. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten allerdings
völlig zu Recht, dass das, was sie trennen, anschließend
stofflich hochwertig recycelt wird, dass die Wertstoffe
zurückgewonnen werden und daraus neue Produkte ent-
stehen können. Wir wissen seit langem, dass diese Ent-
wicklung sinnvoll ist und wir dafür strengere Recycling-
quoten brauchen. Das ist technisch möglich, wurde aber
seit Jahren blockiert. Mit diesem Gesetz bekommen wir
sie jetzt. Deswegen sind wir sehr froh, dass wir jetzt mit
diesem Gesetz vorankommen – das ist eigentlich auch
der Kern des Gesetzes – und hier endlich für Klarheit
sorgen. Ich würde mich freuen, wenn auch Sie von der
Opposition dieses Gesetz unterstützen würden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Frau Haßelmann hat auch gerade gesagt, warum!)


– Zu Frau Haßelmann komme ich gleich.

Ich halte es für enorm wichtig, dass wir eine Einigung
erzielt haben, die zu einer Stärkung der Kommunen ge-
genüber den Dualen Systemen führt. In den Städten und
Kreisen ist es häufig so, dass die gewählten Vertreter ihre
Ansprüche formulieren, zum Beispiel hinsichtlich des
Einsatzes von Säcken bzw. Tonnen oder der Abholrhyth-
men, die in den Kreisen und Kommunen eingehalten
werden sollen, die Kommunen aber diese Anforderun-
gen gegenüber den Dualen Systemen in der Vergangen-
heit nicht immer durchsetzen konnten. Wir haben gerade
schon gehört: Es gibt elf Duale Systeme, mit denen man
sich abstimmen muss. Das war oft eine endlose Streiterei.
Im vorliegenden Gesetzentwurf schaffen wir Klarheit.
Nun können die Kommunen diese Dinge vorgeben und
sie auch gegenüber den Dualen Systemen durchsetzen.


(Beifall bei der SPD)


Das war dringend notwendig. Hierdurch haben wir, wie
ich finde, eine deutliche Verbesserung erzielt.

Britta Haßelmann






(A) (C)



(B) (D)


Ich bin auch sehr froh, dass wir eine Einigung im
Hinblick auf die Mehrwegquote erzielt haben. Ich weiß,
dass sich viele Verbraucherinnen und Verbraucher ganz
bewusst für Mehrweg entscheiden. Ich möchte, dass das
auch in Zukunft noch möglich ist. Wenn Mehrweg erst
einmal verschwunden ist, geht das nämlich nicht mehr.

Was auch wichtig ist, ist die Kennzeichnung am Re-
gal. Denn häufig erkennt der Verbraucher gar nicht: Han-
delt es sich um Mehrweg oder Einweg? – Diese Unter-
scheidung wird in Zukunft eindeutig möglich sein. Es
gibt auch eine freiwillige Initiative der Getränkeindus-
trie – auch das ist sehr gut –, die Flaschen entsprechend
zu kennzeichnen. Je besser das erkennbar ist, desto bes-
ser für die Verbraucherinnen und Verbraucher.

Bei all der Freude darüber, dass wir heute dieses Ge-
setz beschließen,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Freude merkt man Ihnen an!)


ist aber auch klar: Wir werden die Entwicklung hin zu
einem Wertstoffgesetz nicht aus den Augen verlieren.
Weil es gerade um die Frage ging, wer eigentlich dafür
verantwortlich ist, dass wir kein Wertstoffgesetz bekom-
men haben, muss ich Ihnen, Frau Haßelmann, sagen: Es
waren teilweise auch die grünen Umweltminister in den
Ländern,


(Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Genau!)


die durch ihre Forderungen die Diskussion über ein Wert-
stoffgesetz deutlich erschwert haben.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD]: Tja! Was nun, ihr lieben Grünen?)


Wir werden weiterhin versuchen, ein Wertstoffgesetz
auf den Weg zu bringen. Es ist natürlich erforderlich,
dass auch solche Abfälle, die keine Verpackung sind,
aber häufig aus denselben Materialien bestehen, einem
hochwertigen Recycling zugeführt werden.

In Zukunft werden mehr Anreize notwendig sein, auch
auf europäischer Ebene, damit Produkte von Anfang an
ökologisch geplant und gestaltet werden. Die Menschen
in unserem Land erwarten langlebige, reparierbare, wie-
derverwertbare und recyclingfreundliche Produkte. Ich
meine, dass wir mit dem Verpackungsgesetz hier und
heute einen großen Schritt vorangekommen sind; weitere
müssen folgen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD]: Gut gemacht! Das hat mich überzeugt! Jetzt stimme ich zu!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822829300

Vielen Dank. – Letzte Rednerin zu diesem Tagesord-

nungspunkt ist die Kollegin Dr. Anja Weisgerber, CDU/
CSU-Fraktion. Bitte schön.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Anja Weisgerber (CSU):
Rede ID: ID1822829400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen

und Kollegen! Ja, heute ist ein guter Tag für die Umwelt.
Denn mit dem Verpackungsgesetz erhöhen wir die Recy-
clingquoten, und damit werden mehr Sekundärrohstoffe
wiedergewonnen und in den Stoffkreislauf zurückge-
führt.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Sie vorher rausgestrichen haben!)


– Nein, diese haben wir nicht herausgestrichen; das war
die Mehrwegquote. Am besten hören Sie mir besser zu!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD], an den Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] gewandt: Ha, jetzt hast du aber eine gekriegt!)


Außerdem werden die Lizenzentgelte stärker ökolo-
gisiert. Das bedeutet, dass die Beteiligungsentgelte für
die Hersteller nach dem Verpackungsmaterial, nach der
Menge und nach der Recyclingfähigkeit bemessen wer-
den. Dadurch erhalten Hersteller weitere Anreize, auf
Verpackungsmaterialien zu verzichten und recyclingfä-
hige Materialien zu verwenden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ulli Nissen [SPD]: Das ist doch super!)


– Genau, das ist super. Deswegen ist das ein guter Tag
für die Umwelt.

Liebe Frau Haßelmann, ich muss jetzt schon einmal
fragen – das wurde auch von meinem Kollegen Thews
bereits angesprochen –: Wer hat denn das vorgelegte
Wertstoffgesetz in den Bundesländern und im Bundesrat
massiv kritisiert? Das waren vor allen Dingen die grünen
Umweltminister,


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil es schlecht war!)


und deswegen ist das Wertstoffgesetz so nicht gekom-
men. Das ist die Wahrheit.


(Beifall bei der CDU/CSU – Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht, weil es ein Wertstoffgesetz war, sondern weil es schlecht war! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es war schlecht! Es war Mist!)


Die Vorschläge, die Sie auf den Tisch gelegt haben,
hätten den Wettbewerb ausgeschaltet. Es wäre für die
Verbraucher teurer geworden, und es wäre der Abschaf-
fung der Dualen Systeme gleichgekommen. Weil es eine
Abkehr von der Produktverantwortung und damit ein
ökologischer Rückschritt gewesen wäre, haben wir ge-
nau das abgelehnt, liebe Frau Haßelmann.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht gut!)


Ja, wir haben die Mehrwegquote wieder im Gesetz-
entwurf verankert. Wir als Gesetzgeber haben nämlich
gesagt: Wir wollen den Gesetzentwurf an der Stelle nach-
bessern. Das war auch richtig, und das war auch ein per-

Michael Thews






(A) (C)



(B) (D)


sönliches Anliegen von mir, da wir sonst das bestehende
Mehrwegsystem ad absurdum geführt hätten.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn mit den Sanktionen?)


Das ist eine gute Botschaft – gerade auch an die kleinen
Brauerinnen und Brauer, die mit viel Aufwand Mehrweg-
strukturen aufgebaut haben.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Weisgerber, sagen Sie doch mal etwas zu den Sanktionen!)


In unserer zur Beschlussempfehlung vorgelegten Ent-
schließung steht auch, dass wir das Ganze mithilfe der
Ökobilanzen im Auge behalten müssen. Das ist genau
der richtige Weg; denn die Ökobilanzen geben hier Auf-
schluss.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Das Verpackungsgesetz ist auch ein Fortschritt für die
Kommunen; denn die Kommunen sind die Ansprech-
partner für die Bürgerinnen und Bürger bei der Abfall-
entsorgung. Wenn im Winter bei Eis und Schnee gelbe
Säcke mal nicht abgeholt werden, dann wenden sich die
Bürgerinnen und Bürger doch an die Kommunen und be-
schweren sich dort, obwohl die Dualen Systeme für die
Sammlung der Verpackungsmaterialen aus Kunststoff
und Metall verantwortlich sind. Bislang hatten die Kom-
munen aber nicht die Rechte – vor allen Dingen nicht
die Durchgriffsrechte –, die sie gegenüber den Dualen
Systemen brauchen. Liebe Frau Haßelmann, das ändert
sich durch diesen Gesetzentwurf.


(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Nein, das ändert sich nicht!)


Wenn man den Gesetzentwurf einmal liest, dann sieht
man auch, wo sich Verbesserungen für die Kommunen
ergeben. Sie bekommen nämlich mehr Einflussmöglich-
keiten und können letztendlich auch gegenüber den Du-
alen Systemen genau bestimmen, wie die Sammlungen
konkret ausgestaltet werden sollen. Sie können die Größe
der Behälter festlegen, sie können sagen, ob per Tonne
oder per Sack gesammelt werden soll, und sie können die
Abholintervalle bestimmen.


(Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gibt juristische Auseinandersetzungen! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das, was Sie da gemacht haben, führt nur wieder zu Gerichtsprozessen!)


Eine weitere wichtige Botschaft an die Kommunen
ist auch: Alle Landkreise und Gemeinden, die per Wert-
stoffhof sammeln, können dies auch in Zukunft tun. Das
heißt, die gut funktionierenden bestehenden Strukturen
können auch in Zukunft erhalten bleiben.

Die Kommunen können diese Rechte auch rechtssi-
cher ausüben; denn wir haben den Gesetzentwurf auch in
der Form entscheidend verändert, dass wir die Bedingun-
gen, unter denen die Kommunen den Dualen Systemen
Vorgaben machen können, zugunsten der Kommunen
noch einmal nachgebessert haben. Die Vorgaben, die

die Kommunen machen, müssen nun nicht mehr „er-
forderlich“, sondern nur noch „geeignet“ sein, um eine
effektive und umweltverträgliche Erfassung der Abfälle
sicherzustellen. Das sind zwar nur zwei kleine Worte,
aber das führt doch zu einem sehr großen Unterschied in
der Rechtsauslegung. Auch an der Stelle haben wir die
Kommunen noch einmal gestärkt.

Hinzu kommt letztendlich auch das Durchgriffsrecht.
Das heißt, für den Fall, dass etwas schiefgeht, können
die Kommunen selbst für eine Ersatzvornahme sorgen
und dann den Dualen Systemen die Kosten in Rechnung
stellen.

Ich hoffe, ich habe Ihnen jetzt noch einmal ausführlich
darlegen können, wie die Rechte der Kommunen gestärkt
werden.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, danke, Frau Lehrerin!)


Sie werden nämlich durch das Gesetz gestärkt, und das
merkt man auch, wenn man sich den Gesetzentwurf
durchliest.

Im gesamten Prozess war es wichtig, die Belange der
Wirtschaft nicht außer Acht zu lassen und einen fairen
Ausgleich zwischen den berechtigten Interessen der
Kommunen auf der einen Seite und den Interessen der
meist mittelständischen Entsorger auf der anderen Seite
zu erzielen. Auch das ist meiner Meinung nach gut ge-
lungen.

Die Pfandpflicht für Weinflaschen und damit auch für
den fränkischen Bocksbeutel ist ebenfalls vom Tisch.
Das ist mir auch ein persönliches Anliegen gewesen.


(Ulli Nissen [SPD]: Ich trinke lieber Rotwein!)


Das Gesetz sieht ambitionierte Recyclingquoten vor
und wird so die Kreislaufwirtschaft im Sinne der Umwelt
stärken.


(Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie die Stellungnahmen der Umweltverbände gelesen, Frau Weisgerber?)


Also lassen Sie uns heute gemeinsam das Verpackungs-
gesetz auf den Weg bringen.

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822829500

Vielen Dank. – Die Aussprache ist damit beendet.

Ich darf Sie jetzt noch einmal alle um Ihre allerhöchs-
te Konzentration bitten; denn wir haben jetzt eine ganze
Reihe von Abstimmungen vorzunehmen, und die Um-
weltpolitiker dürfen nachher noch einmal reden.


(Ulli Nissen [SPD]: Schön, nicht?)


Wir beginnen mit der Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zur Fortentwicklung der haushaltsnahen Getrennterfas-
sung von wertstoffhaltigen Abfällen. Der Ausschuss für
Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit emp-

Dr. Anja Weisgerber






(A) (C)



(B) (D)


fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/11781, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksache 18/11274 in der Ausschussfas-
sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koa-
litionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition an-
genommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stim-
menverhältnis angenommen.

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/11781 empfiehlt der Ausschuss, eine
Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Das ist die Koalition. Wer stimmt
dagegen? – Das ist niemand. Wer enthält sich? – Das ist
die Opposition. Die Beschlussempfehlung ist angenom-
men.

Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/11781 empfiehlt der Ausschuss, eine wei-
tere Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Opposition angenommen.

Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 18/11789. Wer stimmt für
diesen Entschließungsantrag? – Das ist die Opposition.
Wer stimmt dagegen? – Das ist die Koalition. Wer enthält
sich? – Niemand. Damit ist der Entschließungsantrag ab-
gelehnt.

Zusatzpunkt 3. Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen mit dem Titel „Wertstoffgesetz jetzt vorlegen“. Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/9693, den Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4648 abzuleh-
nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm,
Norbert Müller (Potsdam), Caren Lay, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Keine Beteiligung des Bundes am Wiederauf-
bau der Garnisonkirche Potsdam

Drucksachen 18/10061, 18/11642

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. –
Damit sind Sie einverstanden.1)

Wir kommen zur Abstimmung. Der Haushaltsaus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/11642, den Antrag der Fraktion Die Lin-
ke auf Drucksache 18/10061 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Opposition angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a bis 22 c auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Novellierung von Finanzmarkt-
vorschriften auf Grund europäischer Rechtsakte

(Zweites Finanzmarktnovellierungsgesetz – 2. FiMaNoG)


Drucksachen 18/10936, 18/11290, 18/11472
Nr. 1.4

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses (7. Ausschuss)


Drucksache 18/11775

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz,
Dr. Gerhard Schick, Harald Ebner, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

zu dem Vorschlag für eine Delegierte Ver-
ordnung der Kommission zur Ergänzung
der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen
Parlaments und des Rates durch techni-
sche Regulierungsstandards für die Anwen-
dung von Positionslimits für Warenderivate
K(2016)4362 endg.; Ratsdok. 15163/16

hier: Stellungnahme des Deutschen Bundes-
tages gemäß Artikel 23 Absatz 3 des
Grundgesetzes i. V. m. § 8 des Gesetzes
über die Zusammenarbeit von Bundes-
regierung und Deutschem Bundestag
in Angelegenheiten der Europäischen
Union

Nahrungsmittelspekulationen stoppen – Kom-
missionsvorschlag zurückweisen

Drucksachen 18/11173, 18/11775

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Susanna
Karawanskij, Klaus Ernst, Jutta Krellmann, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Finanzaufsicht nach Anlagepleiten zum
Schutz von Verbraucherinteressen stärken

Drucksachen 18/8609, 18/9734

1) Anlage 4

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen
ein Änderungsantrag und ein Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke vor.

Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.1)

Dann kommen wir zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften aufgrund
europäischer Rechtsakte.

Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11775,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Druck-
sachen 18/10936 und 18/11290 in der Ausschussfassung
anzunehmen.

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/11787 vor, über den wir zuerst
abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? –
Das ist die Linke. Wer stimmt dagegen? – Das ist die Ko-
alition. Wer enthält sich? – Das sind die Grünen. Damit
ist der Änderungsantrag abgelehnt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim-
men der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen
zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem glei-
chen Stimmenverhältnis angenommen.

Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist einstimmig angenommen.

Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 18/11788. Wer stimmt für
diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim-
men der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.

Tagesordnungspunkt 22 b. Wir setzen die Abstimmung
zu der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses auf
Drucksache 18/11775 fort. Der Ausschuss empfiehlt un-
ter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
mit dem Titel „Nahrungsmittelspekulationen stoppen –
Kommissionsvorschlag zurückweisen“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den

1) Anlage 5

Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Opposition angenommen.

Tagesordnungspunkt 22 c. Beschlussempfehlung des
Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Lin-
ke mit dem Titel „Finanzaufsicht nach Anlagepleiten
zum Schutz von Verbraucherinteressen stärken“. Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/9734, den Antrag der Fraktion Die Lin-
ke auf Drucksache 18/8609 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Opposition angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:

Erste Beratung des von den Abgeordneten
Halina Wawzyniak, Jan Korte, Dr. André Hahn,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE
LINKE eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Aufhebung des Artikel 10-Gesetzes
und weiterer Gesetze mit Befugnis für die
Nachrichtendienste des Bundes zu Beschrän-
kungen von Artikel 10 des Grundgesetzes

(G 10-Aufhebungsgesetz – G 10-AufhG)


Drucksache 18/5453
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss

Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.2)

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur-
fes auf Drucksache 18/5453 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es von Ih-
rer Seite aus dazu andere Vorschläge? – Ich sehe, das ist
nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 24:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-
gie (9. Ausschuss) zu dem Antrag des Bundesmi-
nisteriums für Wirtschaft und Energie

Anpassungsvertrag ERP-Förderrücklage

Einholung eines zustimmenden Beschlusses
des Deutschen Bundestages gemäß § 6 Ab-
satz 3 des
ERP-Verwaltungsgesetzes

Drucksachen 18/10825, 18/11779

Die Reden werden zu Protokoll gegeben. – Ich sehe,
Sie sind einverstanden.3)

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie
auf Drucksache 18/11779. Der Ausschuss empfiehlt un-
ter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 18/11779, dem Antrag des Bundesministeriums

2) Anlage 6
3) Anlage 7

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


für Wirtschaft und Energie auf Drucksache 18/10825
zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Auch diese Be-
schlussempfehlung ist einstimmig angenommen.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 25:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Annette Groth, Inge Höger,
Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion DIE LINKE

Willy-Brandt-Korps für eine solidarische hu-
manitäre Hilfe

Drucksachen 18/8390, 18/8649

Die Reden werden zu Protokoll gegeben. – Ich sehe,
Sie sind damit einverstanden.1)

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Menschenrechte und humanitäre Hilfe empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8649, den
Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8390
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der Frakti-
on Die Linke angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-
gie (9. Ausschuss)


– zu dem Vorschlag für eine Verordnung des
Europäischen Parlaments und des Rates über
den Elektrizitätsbinnenmarkt (Neufassung)

KOM(2016) 861 endg.; Ratsdok. 15135/16

– zu dem Vorschlag für eine Verordnung des
Europäischen Parlaments und des Rates zur
Gründung einer Agentur der Europäischen
Union für die Zusammenarbeit der Ener-
gieregulierungsbehörden (Neufassung)

KOM(2016) 863 endg.; Ratsdok. 15149/16

hier: Stellungnahme gemäß Protokoll Nr. 2

(Grundsätze der Subsidiaritätsund Verhältnismäßigkeitsprüfung)


Drucksachen 18/11229 A.16 und A.17,
18/11777 (neu)


Auch hier werden die Reden zu Protokoll gegeben. –
Ich sehe, auch hiermit sind Sie einverstanden.2)

1) Anlage 8
2) Anlage 9

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/11777 (neu), in Kenntnis
der auf Drucksache 18/11229 unter Buchstaben A.16 und
A.17 genannten Unterrichtungen eine Entschließung ge-
mäß Protokoll Nummer 2 zum Vertrag von Lissabon in
Verbindung mit § 11 des Integrationsverantwortungsge-
setzes anzunehmen. Mit der Annahme dieser Entschlie-
ßung rügt der Deutsche Bundestag die Verletzung der
Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen bei Enthaltung der Opposition angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über das Fahrlehrerwesen und zur Änderung an-
derer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften

Drucksachen 18/10937, 18/11289, 18/11472
Nr. 1.3

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur

(15. Ausschuss)


Drucksache 18/11706

Die Reden werden zu Protokoll gegeben. – Ich sehe,
Sie sind damit einverstanden.3)

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11706,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
chen 18/10937 und 18/11289 in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung
der Opposition angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen
zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem glei-
chen Stimmenverhältnis angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a bis 28 d auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Neufassung des Gesetzes zur Regelung
von Sekundierungen im Rahmen von Einsät-
zen der zivilen Krisenprävention

Drucksache 18/11134

3) Anlage 10

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärti-
gen Ausschusses (3. Ausschuss)


Drucksache 18/11672

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des

(3. Ausschuss)

Vogler, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Für eine aktive zivile Friedenspolitik

Drucksachen 18/11166, 18/11670

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des

(3. Ausschuss)

Dr. Franziska Brantner, Annalena Baerbock,
Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Zivile Krisenprävention und Friedensförde-
rung stärken – Neue Lösungsansätze erarbei-
ten und umsetzen

Drucksachen 18/11174, 18/11669

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des

(3. Ausschuss)

Dr. Franziska Brantner, Tom Koenigs, Annalena
Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Frakti-
on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

„Group of Friends“ für Konfliktprävention
im Rahmen der Vereinten Nationen

Drucksachen 18/11175, 18/11668

Die Reden werden zu Protokoll gegeben. – Ich sehe
keine Einwände.1)

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neufas-
sung des Gesetzes zur Regelung von Sekundierungen im
Rahmen von Einsätzen der zivilen Krisenprävention. Der
Auswärtige Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/11672, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11134 an-
zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung einstimmig angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte alle, die für den Ge-
setzentwurf sind, sich von den Plätzen zu erheben. – Wer
ist dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist
mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen.

Tagesordnungspunkt 28 b. Beschlussempfehlung des
Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion
Die Linke mit dem Titel „Für eine aktive zivile Friedens-
politik“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/11670, den Antrag der

1) Anlage 11

Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/11166 abzuleh-
nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist gegen die Stimmen der Fraktion Die Lin-
ke angenommen.

Tagesordnungspunkt 28 c. Beschlussempfehlung des
Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Zivile Krisen-
prävention und Friedensförderung stärken – Neue Lö-
sungsansätze erarbeiten und umsetzen“. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 18/11669, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 18/11174 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung
der Fraktion Die Linke angenommen.

Tagesordnungspunkt 28 d. Beschlussempfehlung
des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „‚Group of
Friends‘ für Konfliktprävention im Rahmen der Ver-
einten Nationen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11668, den
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 18/11175 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die
Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Zwei-
ten Gesetzes zur Entlastung insbesondere der
mittelständischen Wirtschaft von Bürokratie

(Zweites Bürokratieentlastungsgesetz)


Drucksache 18/9949

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss)


Drucksache 18/11778

– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

Drucksache 18/11790

Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.2)

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/11778, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/9949 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung bei Enthaltung der Fraktion Die Linke
angenommen.

2) Anlage 12

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte alle, die dem Gesetz-
entwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu er-
heben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis
wie zuvor angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a und 29 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Fünf-
zehnten Gesetzes zur Änderung des Atomge-
setzes

Drucksache 18/11276

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi-
cherheit (16. Ausschuss)


Drucksache 18/11659

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-
Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Sicherheit hat Vorrang – Ohne Stand von Wis-
senschaft und Technik keine Inbetriebnahme
von Schacht Konrad

Drucksachen 18/6773, 18/11690

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Für die Bundesregierung
erhält jetzt das Wort die Parlamentarische Staatssekretä-
rin Rita Schwarzelühr-Sutter.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ri
Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD):
Rede ID: ID1822829600


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sicherheit von Atomkraftwerken im In- und
Ausland – was sind die notwendigen Maßnahmen? Auf
diese Frage haben wir nach Fukushima national eine ein-
deutige Antwort gegeben, die das Bundesverfassungsge-
richt in allen wesentlichen Teilen bestätigt hat. Deshalb
werden wir den Ausstieg aus der Atomenergie fortsetzen
und vollenden. Daneben treffen wir mit dem Gesetz, über
dessen Entwurf wir heute abschließend beraten, die not-
wendigen Maßnahmen zur lückenlosen Umsetzung des
geltenden Europarechts im Hinblick auf die zurzeit noch
betriebenen Anlagen in Deutschland.

Mit dem Gesetz gehen wir aber auch einen Schritt
weiter, indem wir den Topical-Peer-Review-Mecha-
nismus der EU-Richtlinie über nukleare Sicherheit im
deutschen Recht verankern. Über diesen Mechanismus
wird auf EU-Ebene in den nächsten sechs Jahren eine

Untersuchung zu Fragen des Alterungsmanagements von
Atomkraftwerken durchgeführt. Wir wirken für die Rest-
laufzeit der Atomkraftwerke in Deutschland entschlossen
darauf hin, diese mit höchstmöglicher Sicherheit zu be-
treiben. Aber – und das ist besonders wichtig – das Fach-
wissen muss auch für die Phase der Stilllegung erhalten
bleiben.

Darüber hinaus müssen wir aus gutem Grund die Ent-
wicklungen in unseren Nachbarstaaten und auf internati-
onaler Ebene kritisch begleiten. Zwar liegt die Entschei-
dung für oder gegen die Nutzung der Atomkraft bei jedem
einzelnen Staat; es muss aber in unserem gemeinsamen
Interesse liegen, dass diese Nutzung unter Beachtung des
internationalen Wissenstandes in der Kerntechnik erfolgt.
Dies gilt insbesondere für die grenznahen Atomkraftwer-
ke in unseren Nachbarstaaten. Unsere Bürgerinnen und
Bürger erwarten völlig zu Recht, dass wir, gestützt auf
unsere Expertise und unsere Sachverständigenorganisa-
tionen, Fragen zu den technischen Bewertungen stellen.


(Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD])


Hier haben wir im Vergleich zu anderen Staaten, die der
Atomenergienutzung kritisch gegenüberstehen, den Vor-
teil, dass wir über großes Know-how verfügen und dass
wir das auch erhalten wollen.

Dieses Fachwissen nutzen wir heute und werden es
auch in Zukunft nutzen, um andere Staaten davon zu
überzeugen, dass mit der Kernenergienutzung inakzepta-
ble Risiken verbunden sind.


(Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD] – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da merkt man aber nichts von! Wo denn? Wie denn?)


Wir müssen das Fachwissen auch nutzen, um in den
technischen Diskussionen, Herr Krischer, zu überzeugen
und einen Betrieb auf höchstem technischem Niveau zu
erreichen, wenn wir ihn schon nicht verhindern können.


(Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD] – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie irgendetwas machen würden!)


Wie die Fälle in jüngster Vergangenheit zeigen, ist diese
Diskussion durch einen Austausch zum konkreten Fall
zu führen. Abstrakte Regeln auf EU-Ebene, die wie ein
Sicherheitszertifikat wirken und verbindlich festlegen
sollen, wie sicher „sicher genug“ ist, sind da nicht för-
derlich.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hä? Sie wollen keine Regeln?)


Bundesministerin Hendricks hat sich deshalb intensiv
für eine Vereinbarung mit Belgien über eine bilaterale
Kommission eingesetzt, zu deren Abschluss wir jüngst
gekommen sind. Auch mit den Nachbarländern, in denen
Atomkraftwerke betrieben werden, wurden solche bilate-
ralen Kommissionen eingesetzt.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür liefern Sie jetzt ein paar Brennstäbe hinterher!)


Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


– Ach, wissen Sie, Herr Krischer, ich frage mich eigent-
lich, warum nicht schon 2002 und in den Folgejahren
eine solche Kommission mit den Belgiern eingerichtet
wurde. Das müssen Sie vielleicht auch einmal erklären.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Wenn in unseren Nachbarländern Laufzeitverlänge-
rungen vorgesehen werden, dann setzen wir uns für eine
verpflichtende grenzüberschreitende Umweltverträglich-
keitsprüfung ein. Soweit es noch nicht rechtsverbind-
lich vorgeschrieben ist, werden wir uns außerdem für
freiwillige Beteiligungen der betroffenen Öffentlichkeit
auch über die Staatsgrenzen hinweg einsetzen. Das tun
wir zum Beispiel bei der Suche des Endlagers an der
deutsch-schweizerischen Grenze. Da unterstützt die
Bundesregierung die Kommunen und die Landkreise vor
Ort mit der Expertengruppe Schweizer Tiefenlager.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum unterstützen Sie denn nicht die Städte in der Region Aachen?)


– Ich will Ihnen einmal etwas sagen, Herr Krischer: Ich
wohne – man hört es am Dialekt – in Südbaden. Dort sind
Atomkraftwerke nicht 60, sondern 5 Kilometer entfernt.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht es nicht besser!)


Wir nehmen die Ängste der Menschen sehr ernst.


(Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD])


Wir setzen uns dafür ein, dass unsere Bedenken und kri-
tischen Fragen auch von den jeweiligen Aufsichtsbehör-
den aufgegriffen werden. Wir schlagen durchaus auch
kritische Töne an, wenn zum Beispiel ein Reaktor wie
Leibstadt nach einem Dryout-Effekt wieder angefahren
wird.

Lassen Sie mich abschließend sagen, dass aus mei-
ner Sicht das beste Argument gegen die Kernenergie
der erfolgreiche Ausbau der erneuerbaren Energien in
Deutschland ist.


(Beifall bei der SPD)


Deshalb lehnen wir eine EU-Förderung für AKWs ent-
schieden ab. Aus unserer Sicht darf es eine EU-Förde-
rung nur für die Technologien geben, die sicher, nachhal-
tig und kohlenstoffarm sind.


(Hubertus Zdebel [DIE LINKE]: Dann können wir doch mal Euratom abschaffen!)


Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822829700

Vielen Dank. – Für die Linke hat jetzt der Kollege

Hubertus Zdebel das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Hubertus Zdebel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822829800


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Mit der heute zu debattierenden Atomgesetz-
änderung will die Bundesregierung eine Euratom-Richt-
linie in nationales Recht umsetzen. Dabei geht es, so der
Anspruch, um die Verbesserung der Information der Öf-
fentlichkeit, um die Verbesserung der Zusammenarbeit
der Atomaufsichtsbehörden zwischen den EU-Staaten
und um die Verbesserung der Sicherheit der in Europa
und Deutschland noch in Betrieb befindlichen Atom-
kraftwerke. Es sollen also alles Verbesserungen sein.

Machen wir doch einmal den Realitätscheck, was
das Ganze angeht. Von sichereren Reaktoren ist in der
Wirklichkeit nichts zu spüren. Immer ältere Atommeiler
sind am Netz. Sie werden unter immer abenteuerlicheren
Bedingungen von der jeweiligen Atomaufsichtsbehörde
gesundgebetet. Ein Blick über die Grenze nach Belgi-
en genügt: Trotz aller toller EU-Richtlinien und deren
jeweils nationaler Umsetzung bleiben selbst so marode
Atommeiler wie die in Tihange und Doel in Betrieb.
Gleichzeitig lässt es die Bundesregierung zu, dass Uran-
brennstoff aus deutschen Fabriken in Gronau und Lingen
in großem Stil für den Weiterbetrieb der Atommeiler in
Belgien sorgen, und das, obwohl diese selbst aus Sicht
des Bundesumweltministeriums dringend abgeschaltet
gehören. Es ist eine überaus kuriose Sicherheit, die uns
hier verkauft werden soll. Was hier erklärt wird, passt
doch hinten und vorn nicht zusammen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch in Sachen verbesserter Informationspolitik ge-
genüber der Bevölkerung kann man nur den Kopf schüt-
teln. Am 10. März – das ist gerade einmal drei Wochen
her – blockierten Atomkraftgegnerinnen und -gegner das
AKW Brokdorf. Während der laufenden Aktion wurden
sie in Anwesenheit von Pressevertretern aufgefordert,
ihre Aktion zu unterbrechen. Wäre das nicht passiert,
hätte niemand in Deutschland je von dem Flugterror-
alarm „Renegade“ und von der teilweisen Evakuierung
der Mitarbeiter in den Atomkraftwerken erfahren. Eine
sofortige Information der Bevölkerung über solche Vor-
gänge ist nämlich nicht vorgesehen.


(Zuruf der Parlamentarischen Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter)


– Das haben Sie selber in der Antwort auf eine Anfrage
gesagt, die ich letztens gestellt habe. – So weit zur Rea-
lität.

Das wird durch die Gesetzesnovelle nicht besser.
Lediglich Informationen über Sicherheitsprobleme von
Atomkraftwerken zwischen den EU-Staaten auszutau-
schen, wie jetzt vorgesehen, reicht bei weitem nicht aus;
denn die wesentlichen Entscheidungen werden weiterhin
durch die jeweilige nationale Behörde getroffen.

Die Bundesregierung hat es versäumt, mehr Mitspra-
cherechte für die EU-Kommission und die betroffenen
Anrainerstaaten einzufordern, um auf den weiteren Be-

Parl. Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter






(A) (C)



(B) (D)


trieb störanfälliger Atomkraftwerke wie in Tihange in
Belgien unmittelbar einwirken zu können.


(Beifall bei der LINKEN)


Das ist nämlich nicht Bestandteil der Umsetzung der
EU-Richtlinie.

Die radioaktiven Wolken machen nicht an Grenzen
halt. Deswegen fordern wir Linken schon seit langem
mehr Mitbestimmungsrechte für die betroffenen Staaten
in den Grenzregionen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir fordern von der Bundesregierung jetzt ganz aktu-
ell, im Zuge der anstehenden Brexit-Verhandlungen, bei
denen es auch um den Euratom-Vertrag gehen wird, über
gemeinsame Sicherheitsüberprüfungen sowie gemeinsa-
me Entscheidungen der Behörden bei grenznahen Kraft-
werken zu verhandeln. Setzen Sie das bitte durch!


(Beifall bei der LINKEN)


Ein Wort noch zum Grünenantrag zum Schacht
Konrad, der hier auch zur Abstimmung steht, auf den ich
aus Zeitgründen aber leider nicht lange eingehen kann.
Natürlich kann eine Inbetriebnahme als Endlagerstand-
ort für schwach- und mittelradioaktiven Müll nur auf
Basis des aktuellen Standes von Wissenschaft und Tech-
nik erfolgen. Insofern folgen wir dem Grünenantrag.
Aber auch beim Schacht Konrad – zumindest das will
ich ansprechen – fehlt jeder Alternativenvergleich mit
anderen Standorten, genauso wie er bei Gorleben fehlt
und gefehlt hat. Deswegen fordern wir Linken: Ohne
ein vergleichendes Suchverfahren und entsprechende Si-
cherheitskriterien, wie es jetzt bei den hochradioaktiven
Abfällen laufen soll, darf Konrad nicht in Betrieb gehen.
Hier darf nicht mit zweierlei Maß gemessen werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit zu später
Stunde.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822829900

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Steffen Kanitz,

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Steffen Kanitz (CDU):
Rede ID: ID1822830000

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege
Zdebel, ich würde Sie doch herzlich bitten, diese beiden
Sachen nicht zu vermischen, Schacht Konrad und Gorle-
ben nicht in einen Topf zu werfen. Schacht Konrad ist ein
planfestgestelltes genehmigtes Endlager für schwach-
und mittelradioaktive Abfälle. Gorleben – das haben wir
gerade in einem langen Verfahren in der Endlagerkom-
mission gemeinsam beschlossen – ist möglicherweise
einer von ganz vielen Standorten. Wir wissen überhaupt
nicht, ob er im Verfahren bleibt, wie lange er im Verfah-
ren bleibt; er muss sich dem Vergleich stellen. Insofern,

glaube ich, ist es richtig, dass man die beiden Dinge nicht
vermischt.

Ich möchte gern das tun, was Sie aufgrund der Zeit
nicht tun konnten, nämlich auf den Antrag der Grünen
zum Schacht Konrad eingehen, der aus dem November
des vorletzten Jahres stammt und insofern leider schon
ein bisschen veraltet ist. Inzwischen hat sich relativ viel
getan.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht bei Konrad!)


– Das ist so. – Wir haben ein Nationales Entsorgungs-
programm aufgestellt, in dem die Bundesregierung sehr
klar gesagt hat, um wie viel Abfälle es sich handelt, ge-
rade auch im schwach- und mittelradioaktiven Bereich.
Es ist auch dem Engagement der Endlagerkommission
geschuldet, dass wir uns sehr klar auf die 303 000 Ku-
bikmeter festgelegt haben. Das loben Sie in dem Antrag
völlig zu Recht. Ich glaube, es ist richtig, dass man den
Menschen in der Region klarmacht: Es geht jetzt um eine
feste Größe von rund 300 000 Kubikmetern, die wir ein-
lagern wollen – hoffentlich ab 2022. Für alles das, was
darüber hinausgeht, müsste man ein ganz neues Planfest-
stellungsverfahren machen. Das haben wir im Nationalen
Entsorgungsprogramm so festgelegt.

Das BfS als derzeit noch zuständiger Betreiber sagt
sehr klar – ich glaube, da missverstehen Sie das BfS im
Moment –, dass schon aktuell Sicherheitsuntersuchungen
laufen, um die Planfeststellung hinsichtlich des aktuellen
Standes von Wissenschaft und Technik zu untersuchen.
Und es will das noch einmal sehr konkret tun, bevor
Schacht Konrad 2022 in Betrieb genommen werden soll.

In Ihrem Antrag sagen Sie, das darf nicht erst vor Ver-
schluss des Endlagers geschehen. Das ist völlig richtig.
Das ist der Grund dafür, warum das BfS das vor Inbe-
triebnahme noch einmal tun will. Deswegen glaube ich,
dass Ihr Antrag in der Tat überholt ist. Ich finde, man
kann dann auch ganz ehrlich sagen: Gut, wenn er über-
holt ist, dann kann man ihn auch zurückziehen. – Aber
Sie werden mir vielleicht gleich erklären, Frau Kotting-
Uhl, warum er immer noch aktuell sein soll.

Ich will aber gern die Chance nutzen, noch einmal
kurz auf Schacht Konrad einzugehen, weil das für uns
ein extrem wichtiges Projekt ist, das wir wirklich zeitge-
recht realisieren müssen. Es ist das Endlager in Deutsch-
land für schwach- und mittelradioaktive Abfälle. Es ist
so, dass vom Abfallvolumen her etwa 90 Prozent aller
radioaktiven Abfälle schwach- und mittelradioaktive Ab-
fälle sind. Das ist in Bezug auf die Radioaktivität nicht
wahnsinnig relevant; das ist ungefähr 1 Prozent der Ra-
dioaktivität. Aber es handelt sich insbesondere um die
Abfälle, die beim Rückbau der Kernkraftwerke anfallen
werden, nämlich um kontaminierte Anlagenteile, um
Werkzeuge, um Schutzkleidung, aber natürlich auch um
Forschungsabfälle aus dem schwach- und mittelradioak-
tiven Bereich.

Die gesamte Radioaktivität, die wir in Schacht Konrad
einlagern werden, wird der von wenigen Castoren, in
etwa vier bis fünf Castoren, entsprechen. Das ist natür-
lich relevant; das ist völlig klar. Aber es ist vom Gefähr-

Hubertus Zdebel






(A) (C)



(B) (D)


dungspotenzial nicht mit dem vergleichbar, was wir in
einem HAW-Endlager vorfinden werden. Trotzdem und
gerade deswegen halten wir uns beim Schacht Konrad
natürlich an höchste Sicherheitsstandards.

Um dies einmal international einzuordnen: Es gibt
schon einige Endlager für schwach- und mittelradioakti-
ve Abfälle. Viele Länder – Frankreich, Spanien, Großbri-
tannien, die USA – lagern schwach- und mittelradioak-
tive Abfälle oberflächennah. Ebenso ist es in Schweden
und Finnland. Dort geht man knapp unter die Oberfläche.
Deutschland ist neben der Schweiz das einzige Land, das
in die Tiefengeologie geht. Das hat auch gute Gründe,
denn wir sagen: Wenn wir ein gutes Wirtsgestein ha-
ben – und im Schacht Konrad haben wir das; wir haben
dort eine 400 Meter dicke Tonschicht, die das Endlager
von unten abdichtet –, dann ist das besser, als wenn wir
das Lager an der Oberfläche haben. Das zeigt aber, dass
der Sicherheitsanspruch Deutschlands auch im Bereich
schwach- und mittelradioaktiver Abfälle enorm hoch ist,
und das ist, glaube ich, auch richtig.

Wir haben ein langes Planfeststellungsverfahren hin-
ter uns gebracht, um Schacht Konrad zu genehmigen.
2002 ist die Genehmigung nach einer übrigens relativ
umfangreichen Bürgerbeteiligung erteilt worden. Man
kann immer nach mehr rufen, aber ein Blick in die Ge-
schichte zeigt, dass an 75 Tagen Erörterungen stattgefun-
den haben. Ich finde, so ganz wenig ist das nicht. Dann
hat es 2007 noch eine höchstinstanzliche Entscheidung
vom Bundesverwaltungsgericht gegeben, das die Plan-
feststellung noch einmal bestätigt hat.

Seit 2008 wird Schacht Konrad umgerüstet zu einem
Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle,
und alle Beteiligten planen im Moment für das Jahr 2022
die Inbetriebnahme. Ich glaube, daran müssen wir auch
alle gemeinsam festhalten, damit wir dieses Zieldatum
erreichen, weil wir dann, wenn wir 2022 abschalten,
möglichst schnell mit dem Rückbau beginnen wollen.
Schacht Konrad bildet natürlich gewissermaßen den Fla-
schenhals für den Rückbau. Insofern haben wir ein Inte-
resse daran, diesen Zeitplan einzuhalten.

Es gibt teilweise Vergleiche mit der Asse, die ange-
stellt werden, die aber, so finde ich, nicht zutreffend sind
und die man sehr klar zurückweisen muss. Der Unter-
schied ist natürlich, dass wir es hier erstens mit einem
trockenen Stollen zu tun haben. Zweitens fahren wir völ-
lig neue Einlagerungskammern auf. Wir gehen also nicht
in ein altes Grubengebäude, in das wir die Fässer einfach
reinwerfen, sondern wir haben – die Konrad-Behälter
sind bekannt – eine sehr gute und robuste Art und Weise,
die Endlagergebinde in ein sehr robustes Bergwerk ein-
zulagern.

Frau Kotting-Uhl, das, was ich gerade gesagt habe, ist
in der Tat das, was uns das BfS im Ausschuss gesagt hat
und was auch öffentlich nachzulesen ist. Das BfS sagt,
dass die Planfeststellungsunterlagen ständig und auch
aktuell hinsichtlich des Standes von Wissenschaft und
Technik untersucht werden. Ständig heißt, dass man eben
nicht nur vor 2022, also vor der Inbetriebnahme, eine ab-
schließende Sicherheitsuntersuchung macht. So, wie ich
Herrn König verstehe, ist es so, dass schon aktuell, seit

2014, damit begonnen wird, die Unterlagen zu sichten
und zu gucken: Was ist alt, und wo gelten die Sicherheits-
margen der Vergangenheit möglicherweise immer noch?
Ich glaube, hier wird extrem verantwortungsvoll gehan-
delt. Deswegen darf das jedenfalls kein Grund sein, hier
in eine Verzögerungsschleife zu kommen.

Wir haben in dieser Legislaturperiode eine ganze
Menge dafür getan, dass wir den Zeitplan einhalten kön-
nen und bis 2022 fertig werden. Wir haben eine völlig
neue Behördenstruktur aufgebaut, auch dank der Arbeit
der Endlagerkommission. Ich glaube, es ist gut und rich-
tig, dass wir eine klare Trennung haben zwischen Re-
gulierer auf der einen Seite und Vorhabenträger auf der
anderen Seite.

Ich habe mir die Entscheidungsmuster der Vergangen-
heit genau angeschaut. Wir haben das in der Endlager-
kommission besprochen. Das lief über DIN-A3-Blätter.
Und wenn man im Bereich der Schachtsanierung jeman-
den brauchte, dann waren die Entscheidungswege relativ
kompliziert. Das haben wir jetzt deutlich gestrafft und
vereinfacht. Es ist jetzt so, dass nicht mehr drei oder
vier Behörden darüber entscheiden, wie lang die Anker
eigentlich sein müssen, die da angebracht werden; viel-
mehr wird das vom Vorhabenträger vorgeschlagen und
vom Regulierer genehmigt, und dann kann das auch in
Auftrag gegeben werden. So haben wir sehr dazu beige-
tragen, dass das Projekt Konrad ein Erfolg werden kann.

Gleichzeitig übernimmt der Bund ab 2019 bzw. 2020
die Zwischenlager. Insofern sind wir über ein zentrales
Abfallmanagement in der Lage, zu disponieren und zu
schauen, welche Abfälle wann eingelagert werden. Ei-
gentlich haben wir also alle Voraussetzungen geschaffen,
um jetzt auch zeitnah in den Betrieb einzusteigen – im-
mer unter Sicherheitsgesichtspunkten; das hat das BfS
zugesagt –, und ich glaube, das ist auch richtig. Aber
unser Anspruch als Union ist es eben – so haben wir es
in der Kommission auch immer besprochen –, dass die
Zwischenlager, die wir haben, nicht zu faktischen Endla-
gern werden. Das sind wir den Leuten vor Ort schuldig.
Deswegen müssen wir Schacht Konrad auch 2022 in Be-
trieb nehmen.

Ich will, Herr Kollege Zdebel, weil Sie es angespro-
chen haben, noch einmal kurz auf das Thema eingehen,
das die Menschen in Gronau und in Lingen im Moment
in der Tat sehr bewegt, und auf den Pressezirkus, der in
den letzten drei, vier Tagen um das Thema entstanden ist.
Ich will das sehr deutlich sagen: Wir als Unionsfraktion
stehen ganz klar an der Seite der Beschäftigten der Uren-
co und der ANF in Lingen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)


Wir sind aus der Kernkraft ausgestiegen; das ist völlig
klar. Wir sind uns auch absolut einig: Bis 2022 schalten
wir die Kernkraftwerke ab. Das heißt aber in der Konse-
quenz nicht, dass wir sämtliches kerntechnisches Know-
how in Deutschland verlieren wollen,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber nicht besonders konsequent!)


Steffen Kanitz






(A) (C)



(B) (D)


auch deswegen nicht, weil wir Doel und Tihange bewer-
ten wollen, weil wir in der Lage sein wollen, gute Exper-
ten auszubilden,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber sehr inkonsequent!)


und weil es darum geht, dass wir mit der Areva einen
echten Kompetenzverbund an drei Standorten hier in
Deutschland haben,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch unfassbar!)


durch die wir in der Lage sind, über den Rückbau zu dis-
kutieren.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Brechen Sie einen dieser Bausteine heraus, dann kön-
nen Sie sich ganz sicher sein, dass sich der neue Eigen-
tümer in Frankreich sehr genau überlegen wird, wo die
Arbeitsplätze in Zukunft entstehen, ob hier bei uns in
Deutschland oder ob er das nicht alles nach Frankreich
verlagert.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da entstehen keine Arbeitsplätze mehr!)


Das sind hochqualifizierte Arbeitsplätze, die gut funk-
tionieren. Lieber Herr Kollege Krischer, auch dank Ih-
res Engagements hat die rot-grüne Landesregierung in
Nordrhein-Westfalen im Jahr 2013 ein Rechtsgutachten
in Auftrag gegeben. Man hat ja, politisch motiviert, ver-
sucht, die Standorte zu schließen, und gefragt: Welche
Möglichkeiten gibt es?


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Landesregierung kann das nicht! Dazu muss das Atomgesetz geändert werden!)


Das Gutachten ist diesbezüglich zu ganz klaren Ergeb-
nissen gekommen,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Die Landesregierung hat zu schließen!)


die da lauten: Die Genehmigung ist unbegrenzt, sie ist
erteilt, sie gilt, und es gibt keinen rechtlichen Weg, Kern-
kraftwerke zu schließen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie das Gutachten!)


Insofern, finde ich, müssen Sie sich am Ende des Tages
auch ehrlich machen. Sie wollen, dass die Kerntechnik
aus Deutschland in Gänze verschwindet. Wir wollen das
Know-how nicht nur erhalten, sondern selbstverständlich
auch ausbauen,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Das ist eine klare Aussage! Danke!)


weil wir in der Lage sein wollen, zu bewerten, ob die
Kernkraftwerke an den deutschen Grenzen sicher sind
oder nicht. Das geht nur mit eigenem Know-how, und

deswegen brauchen wir auch weiterhin beide Standorte
in Deutschland.


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das hat aber nichts mit der Lieferung von Brennelementen zu tun!)


Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822830100

Vielen Dank. – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht

jetzt Sylvia Kotting-Uhl.


Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822830200

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Frau Staatssekretärin, bei aller Wertschät-
zung des BMUB muss ich sagen: Ihre Rede hat klarge-
macht, warum das Bundesumweltministerium sich nicht
dafür eingesetzt hat, diese Richtlinie zur sogenannten
nuklearen Sicherheit zu verbessern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ulli Nissen [SPD]: Na, na, na! Was ist denn das für ein Vorwurf hier?)


Es ist ein großes Versäumnis des Bundesumwelt-
ministeriums, dass Sie nichts dafür getan haben, diese
Richtlinie irgendwie zu verbessern. Ihre Rede war eine
Mischung aus den Stichworten „Souveränität der Nach-
barländer“, „keine verbindlichen Standards auf EU-Ebe-
ne“ und „bilaterale Kommissionen, in denen alles gere-
gelt wird“.


(Ulli Nissen [SPD]: „Nichts getan“ ist aber ein ganz schön heftiger Vorwurf!)


Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich habe lange bei Ihnen
dafür geworben, dass Sie so eine bilaterale Kommission
mit Belgien einrichten. Ich habe immer dazugesagt: Ma-
chen Sie sie nicht so zahnlos wie die anderen Kommissi-
onen, die nicht einmal Dokumente austauschen. Und was
ist mit der bilateralen deutsch-belgischen Kommission?
Sie ist genauso zahnlos wie andere. Nicht einmal Doku-
mente werden ausgetauscht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hubertus Zdebel [DIE LINKE])


Das kann man sich in der Tat auch sparen.

Die Richtlinie, um deren Umsetzung es heute geht, ist
eine Euratom-Richtlinie. Das sagt eigentlich schon alles.
Wir finden darin in Artikel 6 unter c) den wunderbaren
Satz, dass Kernkraftwerke nur dann nachgerüstet werden
sollen, wenn das vernünftigerweise umsetzbar ist. Was
heißt denn „vernünftigerweise“? Es muss wirtschaftlich
sein. Also wird die Sicherheit in Bezug auf die Wirtschaft-
lichkeit relativiert. Oder es geht gar nicht mehr, weil die
Anlagen zu alt sind. Das sind doch die Gründe, warum
Fessenheim läuft, obwohl das Fundament viel zu dünn
ist, warum Cattenom weiterhin läuft, obwohl die Sicher-
heitseinrichtungen vermascht sind, warum Tihange mit
Löchern im Herzen weiterhin läuft. Diese Gründe sind
in Euratom zu suchen. Bei solchen zahnlosen Richtlinien

Steffen Kanitz






(A) (C)



(B) (D)


brauchen Sie mir nicht mit einer Kommission zu kom-
men, die auch nichts an der Sache verbessert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es gibt noch weitere Dinge in der Richtlinie, die wir
heute umsetzen, die absolut zahnlos sind: alle zehn Jahre
eine Selbstbewertung, Selbsteinschätzung – finden wir
uns gut, finden wir uns vielleicht nicht so gut? –, dazu ein
Peer Review ohne Umsetzungspflicht. Das alles bringt
nichts. Ich muss noch einmal sagen: Ich hätte von einer
Bundesregierung, die jetzt den breiten fraktions- und par-
teiübergreifenden Atomausstieg im Deutschen Bundes-
tag beschlossen und im nationalen Gesetz verankert hat,
erwartet, dass sie sich auf EU-Ebene anders einsetzt und
nicht hier etwas zur Abstimmung vorlegt, was völlig un-
verbindlich ist und diese Unverbindlichkeit festschreibt.

Ich habe leider nicht so viel Zeit wie der Kollege
Kanitz, um noch auf den Schacht Konrad einzugehen.
Aber ich will einmal sagen, Herr Kanitz: Vieles, was Sie
gesagt haben, kann ich unterstreichen. Da habe ich gar
keinen Widerspruch. Ich finde auch Ihre Bewertung des
Antrags sehr gut. Sie haben gefragt: Warum ist er über-
haupt noch aktuell, nachdem das Bundesamt für Strah-
lenschutz – das ist ja bald die neue Behörde BfE – bereits
alles tut, was in diesem Antrag steht? Ich muss sagen:
Die Forderung, sich nach dem Stand von Wirtschaft und
Technik auszurichten und nicht einzulagern, bevor dieser
Stand von Wirtschaft und Technik nachgewiesen ist – es
geht mir darum, dass dieser nachgewiesen wird, bevor
durch Einlagerungen Fakten geschaffen werden –, kann
durchaus vom Bundestag als richtig bestätigt werden,
auch wenn es im Moment tatsächlich so aussieht, als
würde die zuständige Behörde diesen Weg auch von al-
leine gehen. Ich glaube, es wäre trotzdem nicht schlecht,
als Bundestag zu sagen: Wir wollen den Stand von Wis-
senschaft und Technik nachgewiesen haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hubertus Zdebel [DIE LINKE])


Deswegen, glaube ich, tun auch Sie nichts Verkehr-
tes, wenn Sie diesem Antrag zustimmen. Wir geben dann
noch einmal ein deutliches Zeichen an die zuständige
Behörde, dass wir wollen, dass dieser Weg fortgesetzt
wird und nicht aus irgendwelchen Gründen – Personal-
wechsel zum Beispiel – die ganze Sache plötzlich wie-
der anders aussieht. Also geben Sie sich einen Ruck, und
stimmen Sie zu! Allerdings können wir der Umsetzung
dieser zahnlosen EU-Richtlinie in die AtG-Novelle nicht
zustimmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822830300

Vielen Dank. – Letzte Rednerin zu diesem Tagesord-

nungspunkt ist Hiltrud Lotze, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD – Ulli Nissen [SPD]: Jetzt wird es gut!)



Hiltrud Lotze (SPD):
Rede ID: ID1822830400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Bei der 15. Novelle des Atomgesetzes geht es im We-
sentlichen um drei Punkte:

Erstens geht es um eine Änderung der Informations-
pflicht für Betreiber kerntechnischer Anlagen. Diese wer-
den künftig verpflichtet, die Öffentlichkeit über Betrieb
und gegebenenfalls Störfälle in enger Abstimmung mit
den Behörden zu informieren. Das bringt mehr Transpa-
renz, und es ist immerhin ein Fortschritt.


(Beifall bei der SPD)


Zweitens wird mit dem Gesetz unmissverständlich
klargestellt, dass die Verantwortung der Betreiber für die
nukleare Sicherheit auch dessen Auftragnehmer und die
Unterauftragnehmer einschließt; auch ein Subunterneh-
mer muss also zukünftig Personal angemessen einsetzen,
wenn er dort arbeitet.

Drittens enthält das Gesetz Vorgaben zu den europa-
rechtlich vorgeschriebenen Peer Reviews für kerntech-
nische Anlagen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dieser Anpas-
sung machen wir, wenn auch in kleinen Schritten, den
Restbetrieb der Kernkraftwerke ein Stück sicherer. Wir
können die Zeit nicht zurückdrehen. Wir haben in un-
serem Land die Atomkraft genutzt. Jetzt geht es darum,
in den nächsten Jahren möglichst alle Sicherheitsrisiken
auszuschließen und für einen geregelten Ab- und Rück-
bau sowie für ein sicheres Endlager zu sorgen.

Wir haben in der letzten Woche das Standortauswahl-
gesetz beschlossen. Die Suche nach einem Endlager wird
neu gestartet. In den vergangenen Monaten haben wir
auch die Frage nach den Kosten für Rückbau und Endla-
gerung geregelt, und wir haben ein Abwälzen der Kosten
auf die Allgemeinheit weitestgehend verhindert.

Wir von der SPD hätten uns in mancherlei Hinsicht
mehr und Besseres gewünscht. Aber das, was wir trotz-
dem in dieser Koalition in Sachen Atomausstieg und
Abwicklung erreicht haben, kann sich durchaus sehen
lassen –


(Beifall bei der SPD)


auch wenn dieser Export von Brennstäben nach Belgien
die Bilanz jetzt nicht verbessert.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann man so sagen!)


Es ist nicht wünschenswert, dass so etwas passiert; es
passt auch nicht zu unserem Atomausstieg. Aber die
Rechtslage lässt eben nicht immer das zu, was politisch
wünschenswert ist.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber es gibt Leute, die sehen die Rechtslage anders! – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo steht die Verpflichtung zu solchen Brennstäbelieferungen? Wo steht denn das?)


Sylvia Kotting-Uhl






(A) (C)



(B) (D)


Und dass die Regierung sich an Recht und Gesetz hält,
das wollen wir doch wohl alle hier.


(Beifall bei der SPD)


Weil es so ist, konnte die Umweltministerin den Export
eben auch nicht verhindern.

Da ich Barbara Hendricks nun schon erwähnt habe:
Die Umweltministerin hat sich vehement dafür einge-
setzt, dass die Schrottreaktoren in Belgien abgeschaltet
werden;


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Vehement“? Sie liefert jetzt die Brennstäbe hinterher!)


alle zur Verfügung stehenden Mittel hat sie ausgeschöpft.
Es ist doch so: Wir wollen doch auch nicht, dass unsere
europäischen Nachbarn uns in die Energiewende rein-
quatschen. Hier gibt es Grenzen für den Einfluss. Das
müssen wir leider zur Kenntnis nehmen, auch wenn uns
das nicht gefällt. Ich möchte Barbara Hendricks dafür
danken, dass sie sich so vehement dafür eingesetzt hat.


(Beifall bei der SPD)


Damit bin ich schon am Ende und wünsche einen
schönen Abend und eine gute Nacht.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822830500

Ja, aber ich bitte, noch ein bisschen wach zu bleiben,

bis wir alle Abstimmungen durchgeführt haben. – Die
Aussprache ist beendet.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Än-
derung des Atomgesetzes. Der Ausschuss für Umwelt,
Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11659,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck-
sache 18/11276 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi-
tion angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte nun diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den
Plätzen zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stim-
menverhältnis angenommen.

Tagesordnungspunkt 29 b. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen mit dem Titel „Sicherheit hat Vorrang – Ohne
Stand von Wissenschaft und Technik keine Inbetriebnah-
me von Schacht Konrad“. Der Ausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11690,
den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf

Drucksache 18/6773 abzulehnen. Wer stimmt für die-
se Beschlussempfehlung? – Das ist die Koalition. Wer
stimmt dagegen? – Das ist die Opposition. Enthaltun-
gen? – Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenom-
men.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes über das Verfahren für die elektronische
Abgabe von Meldungen für Schiffe im See-
verkehr über das Zentrale Meldeportal des
Bundes und zur Änderung des IGV-Durch-
führungsgesetzes

Drucksache 18/11292
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ver-
kehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss)


Drucksache 18/11703

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden.1)

Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Ausschuss
für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11703,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/11292 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol-
len, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung einstimmig angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen
zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen aller Fraktionen
angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Neuordnung der Eisenbahnunfallun-
tersuchung

Drucksache 18/11288
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ver-
kehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss)


Drucksache 18/11666

Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden.2)

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11666, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
18/11288 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-

1) Anlage 13
2) Anlage 14

Hiltrud Lotze






(A) (C)



(B) (D)


hält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be-
ratung mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte alle, die dem Gesetz-
entwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu er-
heben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis
angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
19. Mai 2016 zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und dem Obersten Hauptquar-
tier der Alliierten Mächte Europa zur Ände-
rung des Abkommens vom 13. März 1967 zwi-
schen der Bundesrepublik Deutschland und
dem Obersten Hauptquartier der Alliierten
Mächte Europa über die besonderen Bedin-
gungen für die Einrichtung und den Betrieb
internationaler militärischer Hauptquartiere
in der Bundesrepublik Deutschland
Drucksache 18/11280
Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsaus-
schusses (12. Ausschuss)


Drucksache 18/11665
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich

sehe, Sie sind damit einverstanden.1)

Der Verteidigungsausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/11665, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/11280 anzunehmen.

Zweite Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –

1) Anlage 15

Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist damit angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/97 des
Europäischen Parlaments und des Rates vom
20. Januar 2016 über Versicherungsvertrieb
und zur Änderung des Außenwirtschaftsge-
setzes

Drucksache 18/11627

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss

Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden, Ihr Einverständnis vorausgesetzt.2)

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/11627 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
von Ihrer Seite aus dazu anderweitige Vorschläge? – Ich
sehe, das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.

Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung
angekommen.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Freitag, den 31. März 2017, 9 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen einen
schönen Restabend.