Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sieherzlich .Bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten, die mitder Regierungsbefragung beginnt, möchte ich Sie aufdie interfraktionelle Vereinbarung aufmerksam machen,dass die Unterrichtung der Bundesregierung über dieStellungnahme des Bundesrates und die Gegenäußerungder Bundesregierung auf Drucksache 18/11620 zu dembereits überwiesenen Entwurf eines Gesetzes zur Umset-zung der Richtlinie 2016/1148 des EuropäischenParlaments aus der laufenden Legislaturperiode und desRates vom 6 . Juli 2016 – jetzt kommt die berühmte Fra-ge, worum es da eigentlich geht – über Maßnahmen zurGewährleistung eines hohen gemeinsamen Sicherheits-niveaus von Netz- und Informationssystemen in der Uni-on dem federführenden Innenausschuss sowie zur Mitbe-ratung dem Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz,dem Haushaltsausschuss, dem Verteidigungsausschuss,dem Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastrukturund dem Ausschuss Digitale Agenda überwiesen werdensoll und den wenigen nicht genannten Ausschüssen nicht .Hat jemand dagegen Einwände? – Das ist nicht der Fall .Dann ist das so beschlossen, und dann können sich dieAusschüsse gegebenenfalls schon heute Nachmittag mitdiesem Thema befassen .Ich rufe jetzt unseren Tagesordnungspunkt 1 auf:Befragung der BundesregierungDie Bundesregierung hat als Thema der heutigenKabinettssitzung mitgeteilt: Stellungnahme der Bun-desregierung zum Bericht der Sachverständigen-kommission für den Zweiten Engagementbericht„Demografischer Wandel und bürgerschaftliches En-gagement: Der Beitrag des Engagements zur lokalenEntwicklung“.Hierzu erhält unseren Regeln folgend zunächst dieBundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Ju-gend die Gelegenheit für einen einführenden fünfminüti-gen Bericht . Frau Schwesig, Sie haben das Wort . – Werbereits weiß, dass er dazu sicherlich Nachfragen hat,kann das vielleicht schon jetzt zur Sortierung der Wort-meldungen anmerken .Bitte schön, Frau Schwesig .Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,Senioren, Frauen und Jugend:Vielen Dank, Herr Präsident . – Sehr geehrte Damenund Herren Abgeordnete! Die Bundesregierung legt demDeutschen Bundestag den Zweiten Engagementberichtvor . Er war Gegenstand der heutigen Sitzung des Bun-deskabinetts . Er umfasst den Bericht der Sachverständi-genkommission und die Stellungnahme der Bundesregie-rung, die durch mein Ressort federführend erstellt wurde .Sie alle erinnern sich, dass mit Beschluss vom DeutschenBundestag 2009 entschieden wurde, dass wir in jeder Le-gislaturperiode einen Engagementbericht vorlegen . Dasist ein Zeichen der Wertschätzung des Deutschen Bun-destages für das Ehrenamt . In diesem Jahr hatten wir denSchwerpunkt: Wie wirkt das Ehrenamt vor allem in Be-zug auf den demografischen Wandel, aber auch in Bezugauf die lokale Ebene? Wir reden und lesen oft darüber,was unser Land bedroht und spaltet . Die internationa-len Entwicklungen machen uns Sorge . Über das ThemaFlucht wird in Deutschland sehr kontrovers diskutiert .Wir haben mit Extremismus und Islamismus im Land zutun, bis hin zu Gewalt . Wir diskutieren über die Gegen-sätze zwischen armen und reichen Regionen und auchüber den demografischen Wandel.Der Zweite Engagementbericht verschließt vor alldiesen Fragen nicht die Augen . Aber er macht vor allemdeutlich, wie stark die Kräfte sind, die unser Land zu-sammenhalten und stärken . Ich glaube, das ist das Ent-scheidende des Engagementberichts, worauf wir aufbau-en sollten . Wir sollten vor allem das in den Fokus rücken,was das Land zusammenhält und stärkt . Das ist das eh-renamtliche Engagement . 80 Prozent des Engagementsin Deutschland finden auf lokaler Ebene statt. Damit istschon die Frage beantwortet, wie sich Engagement lokalauswirkt . Ehrlich gesagt: ohne bürgerschaftliches En-gagement kein gesellschaftliches Leben in unseren Dör-fern und Städten .
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 227 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 29 . März 201722798
(C)
(D)
Die Kommission hat mit Bürgerinnen und Bürgern,zum Beispiel in Frankfurt am Main, aber auch in Ber-lin-Friedrichshagen oder in Loitz in Mecklenburg-Vor-pommern, diskutiert . Sie hat damit die unterschiedlichenRahmenbedingungen und auch Kulturen des Ehrenamteskennengelernt . Aber überall hat sie Menschen gefunden,die einen hohen Gestaltungswillen haben, weil ihnen amHerzen liegt, was in ihrer Gemeinde, in ihrem Dorf, inihrer Stadt passiert . Das hält unser Land ganz konkret vorOrt zusammen .Der Zweite Engagementbericht liefert wertvolle In-formationen über Strukturmerkmale der Regionen . Derdemografische Wandel wirkt sich logischerweise in derländlichen Region in Vorpommern anders aus als viel-leicht in Oberbayern oder in Großstädten . Bürgerschaft-liches Engagement kann helfen, diesen Wandel so zu ge-stalten, dass die Lebensqualität und die Daseinsvorsorgeerhalten bleiben .In vielen Regionen unseres Landes fördern Kom-munen das bürgerschaftliche Engagement deshalb auchganz gezielt . Für die ältere Generation wird zum Beispielein Bürgerbus für Fahrten zum nächsten Arzt oder Ein-kauf organisiert . Eine solche Kommune habe ich zumBeispiel im letzten Jahr mit dem Deutschen Engagement-preis ausgezeichnet . Dort ist es mit bürgerschaftlichemEngagement gelungen, einen ganzen Ort, aus dem vieleMenschen weggezogen sind, zu neuem Leben zu erwe-cken . Ich bin überzeugt, dass das auch in anderen Regio-nen gelingen kann .Die Bundesregierung sieht sich durch den Bericht be-stärkt, den eingeschlagenen Weg ihrer Engagementpoli-tik weiterzugehen . Wir wollen vor allem die Menschenunterstützen, die unser Land zusammenhalten wollen,die das, was eigentlich am wertvollsten im Leben ist,die eigene Zeit, für andere Menschen geben, die denGedanken der Solidarität nach vorne bringen anstatt desGegeneinanders, die den Gedanken des Zusammenhaltsnach vorne bringen anstatt des Gedankens des Gegenei-nanders und die vor allen Dingen den Gedanken des Op-timismus und der Zuversicht nach vorne bringen anstattder Angstmache und der Spaltung .Wir wollen Menschen unterstützen, die sich dafürstarkmachen, und dabei arbeiten wir auf Augenhöhe mitder Zivilgesellschaft zusammen . Wir unterstützen auchganz konkret das Engagement vor Ort . Die lokalen Alli-anzen für Menschen mit Demenz und die Mehrgenerati-onenhäuser sind zum Beispiel wichtige Anlaufstellen fürbürgerschaftliches Engagement in den Kommunen .Besonders wichtig ist das Engagement von Initiativenund Vereinen, die sich vor allem für Demokratie und ge-gen Menschenfeindlichkeit und Extremismus einsetzen .Dazu haben wir das Bundesprogramm „Demokratie le-ben!“ aufgelegt, das die verschiedenen zivilgesellschaft-lichen Initiativen vor Ort verlässlich unterstützt . Wir wol-len von der zeitlich befristeten Projektitis wegkommenhin zu sicheren Strukturförderungen . Ich bin froh, dassdie Expertenkommission den Ansatz, mehr Verlässlich-keit bei der Unterstützung und Förderung zu gewährenanstatt Schnelligkeit und punktuelle Förderung vorzuse-hen, unterstützt .Ich möchte mich an dieser Stelle im Namen der Bun-desregierung bei der Kommission, die viel Leidenschaftund Arbeit in die Erarbeitung des Zweiten Engagement-berichts gelegt hat, bedanken . Diese Leidenschaft zeigtsich darin, dass sie einen Beschluss des Deutschen Bun-destages ignoriert hat; denn der Deutsche Bundestag hatdamals darum gebeten, dass dieser Bericht auf 300 Sei-ten kommt . Das Engagement ist aber so vielfältig, dasses auf 600 Seiten passt . Ich möchte an dieser Stelle umNachsicht für die Kommission werben .Wir müssen weiter darüber reden, was den Zusam-menhalt in unserem Land bedroht, und dafür sorgen, dassUngerechtigkeit und Spaltung kleiner anstatt größer wer-den . Nur wenn die Menschen merken, dass auch die Po-litik ihnen den Rücken stärkt, dann werden sie auch dieZeit und die Kraft für das Gemeinwohl weiter einsetzen .Deshalb freue ich mich auf die gemeinsame Beratung desEngagementberichts und auf die gemeinsame Diskussiondarüber, wie wir die Menschen im Land unterstützen, dieunser Land zusammenhalten – in den Kommunen, in denBundesländern –, und was wir auch seitens des Bundesdafür tun können .Vielen Dank .
Auch ich bedanke mich . – Frau Ministerin, der Um-
fang eines Berichts ist nicht immer ein verlässlicher Aus-
druck der Bedeutung desselben . Im konkreten Fall gehen
wir selbstverständlich davon aus; aber das lässt sich jetzt
durch Nachfragen noch erhärten .
Die erste Nachfrage geht an Frau Dr . Hein für die
Fraktion Die Linke .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Vielen Dank, Frau
Ministerin . – Der Erste Engagementbericht wurde am
22 . August 2012 vorgelegt . Nun soll pro Legislatur-
periode ein solcher Bericht vorgelegt werden . Die-
se Legislaturperiode ist fast um, und erst jetzt hat die
Bundesregierung im Kabinett die Stellungnahme der
Bundesregierung verabschiedet . Ich möchte Sie fragen:
Wann wird die Bundesregierung diesen Bericht in seiner
schönen Umfänglichkeit dem Parlament zur Beratung
vorlegen – außerhalb der Berichterstattung heute?
Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:
Mit der Beschlussfassung heute im Kabinett wird der
Bericht dem Deutschen Bundestag zugeleitet, und dann
sind Sie frei, ihn zu beraten und den weiteren Zeitplan zu
bestimmen .
Herr Brase .
Danke schön, Herr Präsident . – Frau Ministerin, Siehaben angesprochen, dass in dem Bericht und von derExpertenkommission vor allen Dingen die lokale Bedeu-Bundesministerin Manuela Schwesig
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 227 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 29 . März 2017 22799
(C)
(D)
tung von bürgerschaftlichem Engagement herausgestelltwurde . Ist es nicht notwendig, darüber nachzudenken,wie wir die Infrastruktur für bürgerschaftliches Engage-ment stärken können? Welche Möglichkeiten sehen Sie,dort den Weg weiterzugehen?Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,Senioren, Frauen und Jugend:Vielen Dank . – Der Bericht zeigt ganz klar, dass dasEngagement je nach lokaler Voraussetzung wirkt, dass esin Dörfern andere Engagementbereiche gibt als in Städtenund dass wir mit all dem, was wir fördern, lokal aufset-zen müssen . Deshalb gibt es auch aus meiner Sicht nichtdas eine Gesetz oder das eine Programm, mit dem manEngagement fördert, sondern man muss unterschiedlicheAngebote machen . Ich will einmal drei nennen:Wir haben zum Beispiel das Programm „EngagierteStadt“, wo wir vor allem kleine, aber auch mittelgroßeStädte beim Thema bürgerschaftliches Engagement un-terstützen .Wir haben die Mehrgenerationenhäuser . Sie habennicht nur fraktionsübergreifend dafür gesorgt, dass wirdie, die wir haben, erhalten können, sondern auch dafür,dass 100 neue dazukommen, und sie sind halt in Dörfernund großen Städten .Außerdem haben wir das Programm „Menschen stär-ken Menschen“, mit dem wir nicht in Strukturen gehen,sondern darauf setzen, dass die persönlichen Begegnun-gen zwischen Menschen, Nachbarschaftshilfen und Pa-tenschaften, unterstützt werden .Diese verschiedenen Ansätze sind – das zeigt der Be-richt – notwendig .
Frau Schulz-Asche .
Frau Ministerin, zunächst ist es schön, dass es das
Thema „bürgerschaftliches Engagement“ endlich einmal
ins Plenum des Deutschen Bundestages geschafft hat .
Von daher: Herzlichen Dank!
Die Kollegin Hein hat schon darauf hingewiesen, dass
wir kurz vor Ende der Legislaturperiode sind und dass
dieser Bericht trotz mehrerer Nachfragen, auch des Un-
terausschusses „Bürgerschaftliches Engagement“, erst
sehr spät vorgelegt worden ist . Die 630 Seiten, die der
Bericht umfasst, liegen uns nicht schon so lange vor, dass
wir darüber in Vorbereitung der Regierungsbefragung im
Detail hätten arbeiten können . Deswegen frage ich Sie
jetzt ganz direkt: Welche konkreten Handlungsempfeh-
lungen wird die Bundesregierung jetzt, da die Legisla-
turperiode nur noch sechs Monate dauert, noch geben,
um vor Ende der Legislaturperiode beim Thema „bürger-
schaftliches Engagement“ noch zu Potte zu kommen?
Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:
Vielen Dank . – Es wäre von der Bundesregierung na-
türlich fahrlässig gewesen, für das bürgerschaftliche En-
gagement erst zu handeln, wenn der Bericht vorliegt . Wir
haben, so wie vom Deutschen Bundestag gewünscht, den
Bericht in Auftrag gegeben, aber wir haben schon von
Anfang der Legislaturperiode an das bürgerschaftliche
Engagement unterstützt . Ich habe drei Beispiele genannt:
das große Programm „Engagierte Stadt“, die Mehrge-
nerationenhäuser; ihre Anzahl auszuweiten, ist mithilfe
der Fraktionen, insbesondere mithilfe ihrer Vertreter im
Haushaltsausschuss gelungen . Die Anzahl der „Lokalen
Allianzen für Menschen mit Demenz“ haben wir jetzt auf
500 aufgestockt .
Der Bericht zeigt, dass der Schritt, mit dem Engage-
ment an unterschiedlichen Bedürfnissen anzusetzen,
richtig ist . Außerdem haben wir zur Kenntnis genommen,
dass Ehrenamt oft Hauptamt braucht und dass den Kom-
munen das Geld fehlt . Deswegen hat diese Bundesregie-
rung wie noch keine Bundesregierung vorher Programme
zur kommunalen Entlastung auf den Weg gebracht . Wir
sehen nämlich, dass die Kommunen Entlastungen brau-
chen, um ihren anderen Aufgaben, wie die Unterstützung
des bürgerschaftlichen Engagements, Rechnung zu tra-
gen . Sie sehen also: Wir handeln natürlich schon längst
und haben jetzt nicht nur auf den Bericht gewartet .
Frau Schlegel .
Herzlichen Dank, Herr Präsident . – Frau Ministerin,ich habe Ihre Ausführungen am Anfang oder auch IhreKernaussagen so verstanden, dass es bei diesem Engage-ment immer um den Zusammenhalt und die Stärkung un-serer Gesellschaft geht, dass Sie vor allem wegkommenwollen von Projekten und hin zu einer Verstetigung oderauch zu Programmen . Viele Vereine und Verbände kla-gen über Nachwuchssorgen . Meine Frage ist: Steht dasso auch im Engagementbericht? Wird das unterstrichen?Was haben Sie schon auf den Weg gebracht, oder waswird die Bundesregierung in diesem Bereich noch tun?Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,Senioren, Frauen und Jugend:Der Bericht zeigt ganz klar die Entwicklung, von derwir alle erfahren, wenn wir selber Vereine oder Verbän-de besuchen . Es wird darüber geklagt, dass der Nach-wuchs fehlt . Der Bericht zeigt klar, was die Ursache ist:Der Nachwuchs fehlt nicht, weil sich junge Leute heuteweniger engagieren als früher . Im Gegenteil: Der Haupt-teil des ehrenamtlichen Engagements wird von jungenMenschen und Menschen mittleren Alters getragen . Aberwenn heute irgendwo junge Leute dazukommen, wollensie sich nicht sehr langfristig binden . Um es salopp zusagen: Nicht jeder, der in einen Verein eintritt, will sichWilli Brase
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 227 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 29 . März 201722800
(C)
(D)
damit verpflichten, für die nächsten 35 Jahre Schatzmeis-ter zu werden . Viele sind interessiert, sich kurzfristig aneiner Initiative oder an einem Projekt zu beteiligen . Des-halb müssen sich Vereine oder Verbände da neu ausrich-ten .Das ist, finde ich, ein Punkt aus dem Bericht, den wiraufgreifen können: Wie können wir das von Bundessei-te besser unterstützen? Es gibt bisher ein Projekt, undzwar ist das ein Projekt mit dem Deutschen OlympischenSportbund . Sie müssen wissen: Der Sport ist der größteEngagementbereich . Wir haben da das Projekt „Attrakti-ves Ehrenamt im Sport“ . Gesucht werden Funktionärs-trägerinnen und -träger in der zweiten Lebenshälfte fürSportvereine . Dabei geht es uns darum, zum Beispiel fürdie Besetzung von Leitungs- und Vorstandspositionen zuwerben . Wir werden den Bericht zum Anlass nehmen, zuüberlegen: Wie können wir das noch weiter ausbauen?
Frau Wagner .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Frau Ministerin, es
wird immer wieder sehr betont, wie wichtig das En-
gagement im Zusammenhang mit der demografischen
Entwicklung ist . Sie selbst haben es heute wieder betont .
Das kommt in Ihrer Pressemitteilung zum Ausdruck, und
auch der Titel des Berichts lässt darauf schließen . Sie
wissen: Ich bin Mitglied einer AG gewesen, die in Ihrem
Hause angesiedelt war, nämlich der AG „Jugend gestaltet
Zukunft“ . Mich würde interessieren: Wenn das Engage-
ment zum demografischen Wandel derartig wichtig ist,
ein solches Gewicht hat, warum hat es dann zu diesem
Thema keine eigene AG gegeben? Ich hätte das für sehr
sinnvoll gehalten .
Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:
Ich habe mich als Ministerin dafür eingesetzt, dass im
Rahmen der Demografiestrategie der Bundesregierung
eine AG Jugend gegründet wird . Ich bin, ehrlich gesagt,
eigentlich kein großer Fan davon, viele Arbeitsgruppen
einzurichten; mir geht es eher darum, zur Sache zu kom-
men . Aber als ich festgestellt habe, dass die Bundesregie-
rung sich in zehn Arbeitsgruppen mit dem Thema Demo-
grafie beschäftigt, aber die Jugend nicht beteiligt wird,
habe ich gesagt: Da müssen wir mit der Jugend rein .
Es gab eine Arbeitsgruppe . Was ich toll fand: Die Ju-
gend wurde direkt beteiligt . Um es mal konkret zu ma-
chen: Beteiligungsprojekte, die wir unterstützt und ge-
fördert haben, haben dazu geführt, dass zum Beispiel im
Landkreis Friesland 500 Jugendliche mitgemacht haben
und sich damit durchgesetzt haben, dass am 24 . Septem-
ber nicht nur der Deutsche Bundestag, sondern auch das
Jugendparlament im Landkreis Friesland gewählt wird .
Dafür gibt es ein eigenes Budget von 50 000 Euro .
Ich glaube, das zeigt, wie wir Dinge anstoßen können .
Aber entschieden und gemacht werden muss es vor Ort .
Es wird kein Gesetz, kein Programm geben, mit dem wir
vom Bund das Engagement vor Ort verordnen können .
Frau Crone .
Danke schön, Herr Präsident . – Frau Ministerin, es
gibt nicht nur das gute Engagement . Es gibt auch ein En-
gagement, das nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist,
das im Dunklen arbeitet . Hat sich der Bericht auch damit
beschäftigt, und zu welchem Fazit ist er gekommen?
Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:
Die Kommission hat sich auch mit dem Thema „dunk-
les Ehrenamt“ beschäftigt . Das ist erstmalig geschehen .
Die Kommission hat dazu im Bericht eine ganz klare
Sprache gefunden: Nicht überall, wo man sich engagiert,
ist es zugunsten des Landes, zugunsten der Gesellschaft,
zugunsten des Miteinanders . Es gibt auch Engagement
in der Freizeit, das sich gegen den Zusammenhalt, gegen
die Demokratie richtet . Die Politik hat den Auftrag, das
voneinander zu trennen und klarzustellen, dass öffentli-
che Förderung nur in den ehrenamtlichen Bereich gehen
darf, wenn es dem Gemeinwohl dient, wenn es dem Zu-
sammenhalt dient .
Frau Pahlmann .
Frau Ministerin, recht herzlichen Dank für die Darle-gungen zum Bericht . – Wir haben in der Vergangenheitein enormes Engagement unserer Bevölkerung erlebt .Wir sehen, dass das Engagement freiwillig ist, unbezahl-bar ist; man ist da nicht weisungsgebunden . Aber trotz-dem muss das Engagement eine Anerkennung erfahren .Gibt es irgendwelche Punkte in dem Bericht, die Be-zug nehmen auf die Anerkennungskultur? Was könnenwir tun, um die Leute bei der Stange zu halten, damit siewirklich gewillt sind, weiterzumachen und sich weiterhinzu engagieren? Welche Punkte werden eventuell explizitin dem Bericht genannt?Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,Senioren, Frauen und Jugend:Der Bericht sagt ganz klar, dass die Strukturen vor Ortso sein müssen, dass man sich ehrenamtlich engagierenkann . Der Bericht zeigt auch, dass da, wo ein gutes, stabi-les soziales Umfeld ist, da, wo die Leute soziale Teilhabehaben, egal ob es Menschen mit oder ohne Migrations-hintergrund sind, die Engagementbereitschaft und auchdie Möglichkeiten, mitzumachen, größer sind . Deswegensagt die Kommission, wir müssen uns Gedanken darübermachen: Wie kann insgesamt im Land eine gute Strukturaussehen, damit alle die Möglichkeit haben, sich zu en-gagieren?Bundesministerin Manuela Schwesig
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 227 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 29 . März 2017 22801
(C)
(D)
Die Kommission sagt in einer ziemlichen und auch fürmich überraschenden Deutlichkeit, dass sie darauf hin-weisen will, dass das Engagement von dem Thema „Un-entgeltlichkeit“ geprägt ist und dass es dabei bleiben sollund dass wir die Aufgabe haben, alle Debatten im So-zialrecht und im Steuerrecht, zum Beispiel die Übungs-leiterpauschale, stark zu trennen von einem Vergütungs-gedanken . Ich muss sagen, in diesem Punkt sind wir imSpannungsfeld; denn wir alle kennen zum Beispiel dieForderungen vor Ort . Bei der Übungsleiterpauschalewar diese ja, zumindest Verbesserungen zu erwirken .Die Kommission hebt hier den Zeigefinger und sagt: Damüsst ihr aufpassen, das Engagement müsst ihr klar vomVergütungsgedanken trennen .
Ich habe jetzt noch vier Nachfragen zu diesem Thema,
die ich noch aufrufen möchte . Dann würde ich gerne die
Fragen zu diesem Bereich abschließen, weil es noch eine
Reihe von angekündigten Fragewünschen über den vor-
getragenen Bericht hinaus gibt . – Frau Hein .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Frau Ministerin, Sie
haben eben gesagt, dass Sie schon handeln, bevor der Be-
richt der Bundesregierung vorliegt . Das hoffe ich auch .
Nun wurde der Bericht der Bundesregierung aber schon
im Mai des vergangenen Jahres vorgelegt . Mich würde
interessieren, welche inhaltlichen Auseinandersetzun-
gen, Gründe oder Widersprüche bewirkt haben, dass Sie
heute erst im Kabinett die Stellungnahme der Bundesre-
gierung beschlossen haben .
Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:
Wir haben parallel zu diesem Bericht den Siebten
Altenbericht gehabt, der sich vor allem mit der demo-
grafischen Entwicklung, mit den Strukturen vor Ort, mit
der kommunalen Situation und auch mit dem Thema En-
gagement beschäftigt hat . Weil beide Bereiche zumindest
Schnittmengen beim Thema Ehrenamt hatten, war es mir
wichtig, zunächst diesen Bericht abzuwarten und auszu-
werten, damit wir nicht etwas parallel machen, was nicht
zusammengeführt wird . Dieser Bericht kam später, erst
im Oktober letzten Jahres . Wir haben ihn auch ausgewer-
tet und miteinander beraten . Wir haben jetzt sozusagen
beide Berichte aufs Gleis geschickt . Sie werden es sehen,
wenn die 600 Seiten kommen . Ich bitte um Verständnis,
dass auch mein Haus sich intensiv mit diesen 600 Seiten
auseinandergesetzt hat .
Insofern haben wir fleißig daran gearbeitet. Vor allem
wollten wir die Dinge nicht machen, ohne sie miteinan-
der abgestimmt zu haben .
Herr Brase .
Herr Präsident! Frau Ministerin, der Freiwilligensur-
vey hat auch deutlich zum Ausdruck gebracht, dass wir
mit unserer Engagementpolitik insgesamt nur einen be-
stimmten Teil der Bevölkerung erreichen . Menschen, die
als bildungsfern beschrieben werden oder die aus materi-
ell weniger guten Verhältnissen kommen, gewinnen wir
kaum . Gibt der Bericht dazu Auskunft oder Hinweise,
wie wir perspektivisch auch diesen Menschen ein Mehr
an Beteiligung, an bürgerschaftlichem Engagement er-
möglichen können? Und wird dies ein Stück weit auch
durch das gedeckt, was damals im Freiwilligensurvey
zum Ausdruck gekommen ist?
Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:
Vielen Dank . – Vielleicht dies vorweg: Der Freiwil-
ligensurvey zeigt, dass das ehrenamtliche Engagement
in den letzten 15 Jahren gestiegen ist; nicht erst seit der
Flüchtlingshilfe, sondern schon früher . 30 Millionen
Menschen in unserem Land engagieren sich . Er zeigt
aber auch genau diese Zusammenhänge, nämlich dass
Menschen, die keine soziale Teilhabe haben, die zum
Beispiel bildungsfern sind, keinen so guten Zugang zum
Engagement haben . Er zeigt, dass deshalb die Voraus-
setzung für bürgerschaftliches Engagement auch eine
gute soziale Lage im Land ist . Diese ist Voraussetzung .
Deswegen kann man sagen: Voraussetzung für bürger-
schaftliches Engagement sind am Ende auch eine gute
Bildungspolitik und eine gute Sozialpolitik .
Die Schieflagen, die wir in unserer Gesellschaft ha-
ben, kann nicht das ehrenamtliche Engagement ausbü-
geln . Das sagt der Bericht aus . Zum Beispiel beim Thema
„Menschen mit Migrationshintergrund“ zeigt sich auch:
Diejenigen, die gut integriert sind, engagieren sich auch .
Die anderen haben nicht die Zugänge . Deswegen ha-
ben wir uns vorgenommen, keine Extraprogramme mit
Migrationsorganisationen zu machen, aber alle Migrati-
onsorganisationen anzusprechen, sich an den regulären
Programmen zu beteiligen, damit wir dort mehr Men-
schen erreichen .
Frau Schulz-Asche .
Frau Ministerin, Freiwilligendienste sind eine beson-dere Form des Engagements . Der Evaluationsbericht derFreiwilligendienste liegt uns schon länger vor . Deswegenmeine Frage: Welche Konsequenzen hat die Bundesre-gierung aus dem Evaluationsbericht gezogen? WelcheRegelungen wollen Sie in Konsequenz dieses Berichts indieser Legislaturperiode noch auf den Weg bringen?Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,Senioren, Frauen und Jugend:Zunächst zeigt auch dieser Bericht, der jetzt vorgelegtworden ist, dass der Bundesfreiwilligendienst im ehren-amtlichen Bereich wichtig ist . Für uns war wichtig, denBundesministerin Manuela Schwesig
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 227 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 29 . März 201722802
(C)
(D)
Freiwilligendienst auszubauen . Das haben wir mit denzusätzlichen 10 000 Stellen für die Flüchtlingshilfe kon-kret gemacht . Hier haben wir den Ansatz gebracht – inder vorherigen Frage wurde das schon angesprochen –,den Freiwilligendienst nicht nur für Menschen anzubie-ten, die sich für Flüchtlinge engagieren, sondern auchfür Flüchtlinge, die sich selbst engagieren, also jeden inden Bundesfreiwilligendienst zu integrieren . Die Fragenbezüglich des Zugangs der verschiedenen Träger zu Stel-len oder Fragen bezüglich der Finanzierung werden imalltäglichen Geschäft mit den Trägern von Freiwilligen-diensten beraten und besprochen .
Frau Crone, oder hat es sich erledigt?
– Es hat sich erledigt . Vielen Dank .
Gibt es über den gerade vorgetragenen Bericht hinaus
Fragen zur heutigen Kabinettssitzung? – Das scheint
nicht der Fall zu sein .
Dann rufe ich sonstige Fragen an die Bundesregierung
auf . Ich erteile zunächst der Kollegin Britta Haßelmann
das Wort .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Frau Ministerin, ich
habe eine Frage aus ganz aktuellem Anlass zur Genehmi-
gung der Bundesregierung, Brennelemente für Tihange
und Doel zu liefern . Das hat uns sehr irritiert; denn die
Ministerin hat sich ganz eindeutig positioniert und den
Menschen in der Region ziemlich viele Versprechungen
gemacht . Wir halten Tihange und Doel für gefährlich .
Sie sind als Schrottreaktoren nicht mehr weiter zu betrei-
ben . Dennoch liefern Sie, was in diesen Tagen deutlich
geworden ist, Brennelemente für Tihange und Doel aus
Deutschland und haben mit der Bundesregierung eine
Genehmigung dafür erteilt . Wir fragen Sie: Warum ist
das so, obwohl es ganz eindeutige Rechtsgutachten gibt,
dass das auch bei der heutigen gesetzlichen Grundlage zu
verhindern wäre?
Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:
Diese Lieferung war heute nicht Gegenstand der Ka-
binettssitzung . Deswegen wäre ich Ihnen dankbar, wenn
Sie einverstanden sind, dass der Staatssekretär antwortet,
weil er sich mit dieser detaillierten Frage bestimmt bes-
ser auskennt .
Fl
Sehr geehrte Kollegin, meine Ministerin hat sich, wie
Sie richtig bemerkt haben, wiederholt an die belgische
Regierung gewandt, um die Gefährdungslage, die durch
die Unsicherheiten in den Atomkraftwerken besteht, ent-
sprechend zum Thema zu machen . Alles, was im Rah-
men internationaler Vereinbarungen möglich ist, haben
wir unternommen . Unabhängig davon ist die rechtliche
Grundlage für die Genehmigung und Lieferung von
solchen Brennstäben im Atomgesetz verankert . Es gibt
ein Kurzgutachten von Greenpeace, das unterstellt, man
könnte das untersagen . Wir haben dazu ein ausführliches
Gutachten gemacht . Das Umwelt- und Bauministerium
ist zu dem Ergebnis gekommen, dass wir auf Basis des
geltenden Rechts diese Versagung nicht begründen kön-
nen . Deswegen haben wir das genehmigen müssen . Auch
wenn es uns politisch nicht gefällt, sind wir gehalten,
nach Recht und Gesetz zu handeln . Das ist der Grund,
warum diese Exportgenehmigung erteilt worden ist .
Herr Krischer .
Herr Staatssekretär, vielen Dank für Ihre Antwort auf
die Frage der Kollegin Haßelmann . – Ehrlich gesagt ver-
stehe ich Ihre Argumentation nicht ganz; denn Ihr Minis-
terium und Ihre Ministerin stellen fest, dass der Betrieb
von Tihange 2 – das ist der Reaktor mit den Rissen –
nicht sicher ist und er in Deutschland so nicht betrieben
werden dürfte . Ihr eigenes Gutachten – ich würde es an
der Stelle unterstützen; es wird übrigens auch durch das
Gutachten von Frau Ziehm im Auftrag von Greenpeace
bestätigt – sagt klar: Wenn die Verwendung des radioak-
tiven Materials im Ausland nicht sicher erfolgt – und das
ist nach Aussagen der Ministerin beim Reaktor Tihange 2
der Fall –, dann darf ein Export nicht erfolgen . – Ich bitte
Sie, mir zu erklären, wie Sie an der Stelle die Erteilung
der Exportgenehmigung zulassen konnten, obwohl Sie
selber sagen, dass der Betrieb dort nicht sicher möglich
ist .
Fl
Ich glaube, dass Sie hier eine Fehlinterpretation unse-res eigenen Gutachtens vornehmen:Nach der Entstehungsgeschichte und Systematik desAtomgesetzes betrifft die Genehmigungsvorausset-zung lediglich den Schutz vor einer missbräuchli-chen Verwendung der … Kernbrennstoffe …Das Atomgesetz entspricht damit bindenden Vorgabendes Europarechts . Der Tatbestand ist losgelöst von derFrage der Sicherheit des Betriebes eines ausländischenAtomkraftwerks zu betrachten .Deswegen ist es an der Stelle, auch wenn es uns nichtpasst, aufgrund der europarechtlichen Vorgaben bzw .ihrer Umsetzung in unserem Atomgesetz zwingend,dass wir eine solche Genehmigung erteilen . Wir habendas selber sehr ausführlich geprüft und sind zu diesemSchluss gekommen .Bundesministerin Manuela Schwesig
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 227 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 29 . März 2017 22803
(C)
(D)
Frau Scharfenberg .
Vielen Dank . – Meine Frage geht an Frau Ministerin
Schwesig. Frau Ministerin, wir befinden uns ja schon
lange im Prozess der Pflegeberufereform, und Sie haben
sich im Februar sehr engagiert dafür ausgesprochen, dass
die Reform der Pflegeausbildung nun endlich ganz bald
komme, und haben der Unionsfraktion eine Blockadehal-
tung bei der Reform vorgeworfen .
Ich möchte Sie nun fragen, ob Sie uns hier und auch
den ganzen Pflegekräften draußen im Land, die die Dis-
kussion sehr aufmerksam verfolgen, Informationen darü-
ber geben können, was denn die genauen Ursachen des
gestrigen, sehr irritierenden Nichtzustandekommens ei-
nes scheinbar getroffenen Kompromisses der Koalitions-
partner zu der Reform, die jetzt letztendlich doch nicht
zustande gekommen ist, waren . Es war ja eine Presse-
konferenz einberufen – lediglich die Union war anwe-
send, die SPD nicht –, und es wurde mitgeteilt, dass es
wohl doch keinen Kompromiss gibt . Was ist da jetzt ge-
rade Sache?
Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:
Mein Kollege Herr Gröhe und ich haben gemeinsam
einen Gesetzentwurf vorgelegt, basierend auf dem Koali-
tionsvertrag, der vorsieht, dass wir die drei Abschlüsse in
der Altenpflege, der Kinderkrankenpflege und der Kran-
kenpflege zu einem einheitlichen Berufsbild zusammen-
führen . Bedauerlicherweise gehört ja auch Ihre Fraktion
zu denjenigen, die ein solches Gesetz kritisieren und den
Vorwurf erheben, dass es für die Altenpflege schädlich
ist . Insofern gibt es viele Stimmen im politischen Raum,
aber auch in der Fachwelt, die diesen Weg richtig finden,
und viele Stimmen, die diesen Weg nicht richtig finden.
Die Fraktionen werten jetzt die Ergebnisse der Anhörung
aus und diskutieren darüber . Die Gespräche zwischen
den Fraktionen zum Pflegeberufegesetz dauern noch an.
Die Pressearbeit der Fraktion unseres Koalitionspartners
möchte ich nicht kommentieren .
Frau Höger .
Ich habe eine Frage an Staatsminister Roth . – Am
Montag haben die UN-Verhandlungen über die Ächtung
von Atomwaffen begonnen . Gleichzeitig haben am Mon-
tag die Staaten USA, Großbritannien und Frankreich ge-
gen diese Verhandlungen protestiert, obwohl ihnen doch
eine UN-Resolution vorangegangen ist, die mit großer
Mehrheit beschlossen worden ist . Wie positioniert sich
die Bundesregierung zu diesen Protestnoten gegen die
Verhandlungen?
Vielen Dank, Herr Präsident . – Frau Abgeordnete
Höger, ich habe schon damit gerechnet, dass Sie diese
Frage hier stellen, weil das Thema ja auch Gegenstand
einer dringlichen Frage war, die offensichtlich hier nicht
zugelassen wurde . Ich bin aber gerne bereit, darauf ein-
zugehen .
Am Anfang lassen Sie mich klarstellen: Die Bundes-
regierung ist selbstverständlich dem Ziel einer Welt ohne
Nuklearwaffen verpflichtet, und ihr Handeln ist darauf
ausgerichtet, dieses Ziel Schritt für Schritt zu erreichen .
Für uns ist der wesentliche Maßstab dieser Arbeit, der
wir seit Jahrzehnten verpflichtet sind – gemeinsam mit
vielen anderen Partnern im Rahmen der Vereinten Natio-
nen –, der sogenannte Nichtverbreitungsvertrag .
Wir haben selbstverständlich die Äußerungen einiger
der wichtigsten Nuklearstaaten vom vergangenen Mon-
tag zur Kenntnis genommen . Zwei Positionen, die auf
der Pressekonferenz zum Ausdruck gebracht wurden,
machen wir uns von der Bundesregierung ausdrücklich
zu eigen: erstens, dass die notwendige weltweite Abrüs-
tung schrittweise erfolgt, und zweitens, dass wir uns ganz
klar zum vorhandenen Vertragsregime, das heißt zum
Nichtverbreitungsvertrag, bekennen . In der vergangenen
Woche haben wir darüber auch schon im Bundestag de-
battiert .
Eine Initiative, die von den Staaten, die Atomwaffen
haben, nicht getragen wird, ist für uns sehr schwer zu
unterstützen . Alleine Russland und die Vereinigten Staa-
ten von Amerika halten 90 Prozent des Atomwaffenarse-
nals in ihren Händen, sind aber an diesen Verhandlungen
nicht beteiligt .
Frau Mihalic .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute hatdie Große Koalition mit Ihrer Mehrheit im Innen- und imRechtsausschuss zwei Tagesordnungspunkte, die meineFraktion beantragt hatte, von der Tagesordnung abge-setzt . Dabei ging es um neue Erkenntnisse zum Atten-tat auf dem Berliner Breitscheidplatz mit 12 Toten und50 Schwerverletzten und um neue Erkenntnisse zum At-tentäter Anis Amri, die in den letzten Tagen in der Presseveröffentlicht worden sind .
Bevor ich meine Frage stelle, will ich deutlich ma-chen: Ich finde es unmöglich, wie hier mit dem parla-mentarischen Aufklärungsrecht umgegangen wird . Esgeht nicht, den Tagesordnungspunkt mit dem Hinweisabzusetzen, dass dieser Sachverhalt heute Nachmittag imgeheim tagenden Parlamentarischen Kontrollgremiumbehandelt wird . Es kann nicht sein, dass das Parlamen-tarische Kontrollgremium bestimmt, über was der Innen-ausschuss diskutiert . Und auch inhaltlich ist es unheim-lich fragwürdig, dass Informationen in der Presse landen,die zugleich uns Abgeordneten vorenthalten werden,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 227 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 29 . März 201722804
(C)
(D)
obwohl wir beantragt haben, entsprechende Unterlagenbeizuziehen .
Frau Kollegin, jetzt ist die Minute um, in der Sie Ihre
Frage hätten stellen können .
Das tut mir leid . Die Vorrede war aus meiner Sicht
aber dringend notwendig, weil ich damit begründe, wa-
rum ich hier diese Frage stellen muss und nicht darauf
verzichten kann . Wir können nämlich nicht akzeptieren,
dass diese Angelegenheit im Geheimen versenkt wird
und wir das Thema, bevor wir uns dann drei Wochen in
die Osterpause begeben, nicht mehr diskutieren können .
Im Internetauftritt des RBB findet sich ein Behörden-
zeugnis des Bundesamtes für Verfassungsschutz, aus
dem hervorgeht, dass dem BfV schon im Januar 2016
bekannt war, dass Anis Amri eine hohe Beweglichkeit
aufwies und in mehreren Bundesländern aktiv war .
Deswegen möchte ich die Bundesregierung fragen: Wa-
rum wurde vom Bundesamt für Verfassungsschutz keine
Überwachungsmaßnahme gegen Anis Amri eingeleitet,
obwohl klar war, dass das BfV zuständig ist, weil es sich
um länderübergreifende Sachverhalte handelt? Warum
wurde da vonseiten des Bundesamtes für Verfassungs-
schutz nichts unternommen?
Ich vermute, dass das Innenministerium diese Frage
auf sich bezieht . – Bitte schön, Herr Kollege Schröder .
D
Vielen Dank, Herr Präsident . – Sehr verehrte Kolle-
gin, lassen Sie mich zunächst einmal feststellen, dass die
Bundesregierung nicht dafür zuständig ist, was im In-
nenausschuss oder in sonstigen Gremien des Deutschen
Bundestages beraten wird . Das macht allein das Parla-
ment. Darauf haben wir keinen Einfluss.
Zu dem zweiten Punkt, den Sie eben angesprochen
haben . Wir können den Fall Amri gerne hier diskutieren;
das haben wir auch schon gemacht . Ich möchte noch
einmal darauf hinweisen, dass natürlich auch die Verfas-
sungsschutzämter und insbesondere die Landesämter für
Verfassungsschutz Kenntnis von Amri hatten . Das Pro-
blem im Fall Amri war nur, dass die Polizeibehörden des
Landes Nordrhein-Westfalen zu dem Ergebnis gekom-
men sind, dass Amri kein Gefährder ist, keine gefährli-
che Person mehr darstellt, und ihn als Kleinkriminellen
eingestuft haben .
Und wenn eine Polizeibehörde zu dem Ergebnis kommt,
dass wir es mit einem Kleinkriminellen zu tun haben,
dann ist es in unserem Rechtsstaat nun einmal nicht zu-
lässig, dass der Verfassungsschutz, das heißt ein Nach-
richtendienst, diese Person so einfach überwacht .
Stellen Sie sich vor, eine Polizei – jetzt einmal abgesehen
vom Fall Amri – kommt zu dem Ergebnis: „Das ist ein
Kleinkrimineller“, und das Bundesamt für Verfassungs-
schutz zieht daraus die Schlussfolgerung: Den überwa-
chen wir 24 Stunden, 7 Tage die Woche . Was würden Sie
dazu wohl sagen?
Hier geht es um einen polizeilichen Fall, und selbst-
verständlich muss sich das Bundesamt für Verfassungs-
schutz an die polizeiliche Bewertung des Landes Nord-
rhein-Westfalen halten .
Ausnahmsweise gestatte ich eine Zusatzfrage, bitte
Sie aber, es dieses Mal wirklich in einer Minute hinzube-
kommen, Frau Mihalic .
Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie die Frage zulas-
sen . Das ist wirklich wichtig, weil das, was Sie jetzt gera-
de gesagt haben, Herr Schröder, nachweislich falsch ist .
In der Presse wird aus Dokumenten zitiert, es werden so-
gar Dokumente veröffentlicht, die glasklar belegen, dass
das Bundesamt für Verfassungsschutz über die Gefähr-
lichkeit von Anis Amri informiert war und er auch nach
Beendigung der polizeilichen Maßnahmen weiterhin als
Gefährder mit Anschlagsbereitschaft eingestuft wurde .
Das heißt, das, was Sie hier erzählen, stimmt nicht . Er
war kein Kleinkrimineller, er war ein Gefährder . Deswe-
gen meine Frage: Wieso hat das Bundesamt für Verfas-
sungsschutz trotz glasklarer Zuständigkeit in länderüber-
greifenden Sachverhalten und trotz Gefährlichkeit dieser
Person nichts unternommen in Sachen Überwachung?
D
Sie müssen jetzt schon die Chronologie beachten .Selbstverständlich hatten die Verfassungsschutzbehör-Irene Mihalic
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 227 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 29 . März 2017 22805
(C)
(D)
den Kenntnisse von einer möglichen Verstrickung auchin das terroristische Milieu . Selbstverständlich . Aber daswar eben ein polizeilicher Fall . Dann gab es eben einepolizeiliche Observation in Berlin – zusammen mit denKollegen von der Landespolizei Nordrhein-Westfalen,die das mit den Berliner Kollegen abgesprochen haben .
Das Grundproblem im Fall Amri war: Es gab dieausländerrechtliche Möglichkeit des Landes Nord-rhein-Westfalen, diese Person in Abschiebehaft zu neh-men . Es gab die Möglichkeit, zu verhindern, dass ereinfach nach Berlin geht . Der Mann stand ja unter Resi-denzpflicht in Nordrhein-Westfalen. Das Ganze war einpolizeilicher Fall . Selbst wenn Landesämter für Verfas-sungsschutz oder natürlich auch das Bundesamt für Ver-fassungsschutz Kenntnisse hatten, ist es aber doch so,dass dann, wenn nach einer polizeilichen Observations-phase die Landespolizeien zu dem Ergebnis kommen – indiesem Fall die von Nordrhein-Westfalen –, dass es sichhier um einen Kleinkriminellen handelt,
nicht einfach das Bundesamt für Verfassungsschutz über-nehmen kann . Das geht innerhalb unserer Rechtsordnungnun einmal nicht .
Eine kurze Bemerkung zur Geschäftslage: Wir haben
die für die Regierungsbefragung vorgesehene Zeit aus-
geschöpft . Mir liegen aber noch acht Wortmeldungen
vor, und die würde ich auch gerne aufrufen, zumal wir
wegen der zurückgezogenen Fragen in der Fragestunde
unseren Zeitplan insgesamt trotzdem einhalten können .
Dazu würde ich jetzt gerne Ihr Einvernehmen feststel-
len . – Über diese acht notierten Wortmeldungen hinaus
lasse ich aber keine Wortmeldungen mehr zu .
Nächste Wortmeldung: Frau Wagner .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Der Außenminister hat
sich in den vergangenen Wochen des Öfteren zu vertei-
digungspolitischen Fragen geäußert, so auch am Montag
dieser Woche, als er seine Vorstellung von einer europä-
ischen Verteidigungsunion beschrieben hat . In diesem
Zusammenhang ist ein in meinen Augen sehr bemerkens-
werter Satz gefallen, den ich gerne kurz zitieren würde:
Europa ist der Sicherheit seiner Bürgerinnen und
Bürger, einschließlich der territorialen Integrität sei-
ner Mitglieder, verpflichtet.
Das hört sich für mich fast so an, als solle die EU eine
neue NATO werden . Deswegen meine Frage an die Bun-
desregierung: Welche Aufgaben soll die EU Ihrer Mei-
nung nach übernehmen, um die territoriale Integrität ih-
rer Mitglieder konkret zu schützen?
Vielen Dank .
Herr Staatsminister .
Herr Präsident! Liebe Frau Kollegin! Das gesamte
außen- und sicherheitspolitische Engagement der Euro-
päischen Union ist darauf ausgerichtet, partnerschaftlich
mit der NATO zusammenzuarbeiten und NATO-Engage-
ment, wenn Bedarf besteht, entsprechend zu ergänzen .
Wir müssen natürlich zur Kenntnis nehmen, dass nicht
alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union gleicherma-
ßen Mitglied der NATO sind .
Die Sicherheitslage hat sich selbstverständlich ver-
ändert . Ich will darauf hinweisen, dass das Bedrohungs-
potenzial für Mitgliedstaaten der Europäischen Union
insbesondere im Baltikum, aber auch für Polen konkret
zugenommen hat . Wir können noch so lange darüber hin-
wegsehen: Wenn es dieses Gefühl der Bedrohung gibt,
müssen wir damit verantwortungsbewusst umgehen . –
Zugleich ist nach der Wahl von Donald Trump zum Prä-
sidenten der Vereinigten Staaten von Amerika immer
wieder darauf hingewiesen worden, dass die Europäer
mehr Verantwortung zu übernehmen haben, und uns ist
noch nicht klar, welche Rolle die Vereinigten Staaten zu-
künftig in der NATO spielen werden .
Die engere Zusammenarbeit zwischen NATO und EU
ist jedoch bereits im Sommer vergangenen Jahres, unter
anderem auf dem NATO-Gipfel in Warschau, aber auch
schon zuvor in Wales, bekundet worden . Diese engere
Zusammenarbeit trifft auf unsere uneingeschränkte Un-
terstützung .
Frau Müller-Gemmeke .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Ich habe eine Frage andie Bundesregierung zum geplanten Entgelttransparenz-gesetz . Der Auskunftsanspruch, der in diesem Gesetzvorgesehen ist, gilt nur für Betriebe mit mehr als 200 Be-schäftigten . Jetzt gibt es in diesem Zusammenhang eineweitere Zahl: 92 Prozent der auskunftsberechtigten Frau-en arbeiten in Betrieben, in denen entweder ein Tarifver-trag gilt oder die sich auf einen Tarifvertrag beziehen .Laut Gesetzentwurf soll von einer sogenannten Ange-messenheitsvermutung ausgegangen werden . Man gehtalso davon aus, dass Tarifverträge angemessen entloh-nen . Deswegen bekommen die genannten 92 Prozent derFrauen, wenn sie Auskunft verlangen, auch nur wenigeInformationen . Sie bekommen die Informationen, wel-cher Tarifvertrag gilt und wo er eingesehen werden kann .Diese Frauen können aber auch jetzt schon, also ohnedieses Gesetz, bei der Gewerkschaft nachfragen, wie derTarifvertrag aussieht . Im Zuge des Gesetzes würden siealso nicht weniger und auch nicht mehr Informationenbekommen . Von daher lautet meine Frage: Für wen wirddieses Gesetz eigentlich gemacht?Parl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 227 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 29 . März 201722806
(C)
(D)
Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,Senioren, Frauen und Jugend:Vielen Dank . – Dieses Gesetz wird für alle Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmer in Deutschland gemacht;denn das erste Mal wird in einem Gesetz der Grundsatz„Gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit“ganz klar festgeschrieben . Dieser Grundsatz gilt für alle .In diesem Gesetz werden sich mehrere Instrumente be-finden, mit denen dieses Thema vorangebracht werdensoll, zum Beispiel das Instrument der Berichtspflicht.Dies hört sich zuerst für viele bürokratisch an .
Aber dieses Instrument führt dazu, dass sich Betriebe mitmehr als 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit denGründen der Lohnlücke auseinandersetzen . Dabei spieltnicht nur der Transparenzgedanke eine Rolle, sondernauch Fragen der Teilzeitfalle und des Verhältnisses vonEinstufungen . Im Gesetz ist ja mehr als nur dieser Aus-kunftsanspruch enthalten; zum Beispiel verweisen wirauch auf verbindliche Prüfverfahren . Ich möchte nochauf eines hinweisen: Wenn man sich die Statistik an-schaut, sieht man: umso größer die Betriebe, desto höherdie Lohnlücke .Wir werden in diesem Gesetz dem Grundsatz folgen,den die Bundesregierung in vielen Gesetzen angelegt hat .Es ist ja so, dass dort, wo es Tarifbindung gibt, oft dieLohnsituation für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-mer und auch die Situation hinsichtlich der gleichen Ent-lohnung besser sind als dort, wo es keine Tarifbindunggibt . Deshalb verfolgen wir mit diesem Gesetz das Ziel,die Tarifbindung zu fördern, und gewähren Betrieben indiesem Falle Erleichterungen .
Volker Beck .
Zunächst habe ich eine Frage, die sich auf die Antwort
der Bundesregierung in der letzten Fragestunde bezieht .
Manche werden es noch wissen, anderen sage ich es: Ich
habe am 18 . Februar den Generalbundesanwalt und das
Bundeskriminalamt per E-Mail und den Generalbundes-
anwalt zusätzlich per Telefax darüber informiert, dass
sich Halife Keskin, der Leiter der Abteilung für Aus-
landsbeziehungen der Diyanet, in Köln und Oberhausen
aufhält . Es war dieser Herr, der die Anweisung der Diya-
net an die Generalkonsulate zum Ausspionieren von Mit-
gliedern der Gülen-Bewegung unterschrieben hat . Herr
Lange hatte hier berichtet, dass die E-Mail beim Gene-
ralbundesanwalt am Montag nach der Unterrichtung ge-
löscht wurde und dass das Fax nie aufgefunden wurde .
Wo die E-Mail beim Bundeskriminalamt geblieben ist,
sei unerfindlich.
Nun haben wir heute vom Innenministerium im In-
nenausschuss gehört, dass der Generalbundesanwalt ent-
schieden hat, gar nicht gegen Halife Keskin zu ermitteln .
Das ist natürlich eine andere Nachrichtenlage . Nach § 26
StGB in Verbindung mit § 99 StGB ist Halife Keskin der
Anstifter dieser Spionageaktion, wegen der der Gene-
ralbundesanwalt zunächst gegen unbekannt ermittelt hat
und nun gegen einige Imame namentlich ermittelt . Kön-
nen Sie mir sagen, wie der Herr Generalbundesanwalt
erklärt – er ist ja am Mittwoch auch beim Bundesjustiz-
minister vorstellig geworden –, dass er gegen die Per-
son Halife Keskin nicht ermittelt? Warum wird er, auch
wenn nicht gegen ihn ermittelt wird, nicht zumindest als
Zeuge einvernommen? Ob er etwas sagt oder von seinem
Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht, weiß man
nach einer Vernehmung; aber man verzichtet nicht auf
eine Vernehmung, weil man dies befürchtet .
Kollege Beck, ich bitte Sie, darauf zu achten, dass sich
selbst bei Wechseln im Präsidium die Fragezeit nicht ver-
doppelt .
Sie müssen jetzt bitte ein Fragezeichen setzen .
Das wusste ich nicht .
C
Herr Kollege Beck, wir sind uns in der Tat zunächsteinmal einig – das habe ich schon in der letzten Frage-stunde gesagt und will das auch hier betonen –, dass dieLöschungen dieser E-Mails nicht hätten stattfinden dür-fen .
Das Gespräch mit dem Generalbundesanwalt fandnur zu dem Thema „E-Mails“ statt . Dazu kann ich IhnenFolgendes sagen: Das Bundesministerium der Justiz undfür Verbraucherschutz hat ihn gebeten, diesen Vorkomm-nissen sofort nachzugehen und umgehend für organisato-rische Konsequenzen zu sorgen . Zudem sind diese Vor-gänge Gegenstand dienstrechtlicher und gegebenenfallsauch disziplinarischer Überprüfungen .Frau Staatssekretärin Wirtz hat am Abend des22 . März 2017 ein Gespräch mit Herrn Generalbundes-anwalt Dr . Frank geführt . Herr Dr . Frank hat seine bis-herigen Aufklärungsschritte dargelegt und die weiteren,kurzfristig beabsichtigten Anstrengungen zur Aufklärungdes Vorgangs erläutert . Er hat zudem die Sofortmaßnah-men geschildert, mit denen umgehend sichergestelltwurde, dass sich ein solcher Vorgang nicht wiederholenkann . Schließlich hat er in dem Gespräch mitgeteilt, dasser in der kommenden, also in dieser Woche mit den be-troffenen Arbeitseinheiten in der Bundesanwaltschafteine Überarbeitung der Arbeitsabläufe bei Wochenend-diensten und Bereitschaftsdienstangelegenheiten abstim-men und dann unserem Haus berichten wird . Am Morgendes 23 . März 2017 fand ergänzend dazu ein Gespräch
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 227 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 29 . März 2017 22807
(C)
(D)
zwischen dem Leiter der Strafrechtsabteilung und HerrnDr . Frank statt, bei dem es ebenfalls um die oben darge-stellten Komplexe ging .
Darüber, ob der Herr Generalbundesanwalt Ermittlun-gen anstellen lässt – danach haben Sie ja des Weiterengefragt –, wurde nicht gesprochen .
Bevor ich der Kollegin Haßelmann das Wort gebe, er-
innere ich an die Verabredung, die vor circa einer Viertel-
stunde mit dem Parlamentspräsidenten getroffen wurde,
dass wir nur noch die bis dahin gemeldeten Fragen auf-
rufen und danach tatsächlich zur Fragestunde übergehen .
Meldungen zu diesem Sachverhalt sind jetzt nicht mehr
möglich .
– Ist ja in Ordnung, Frau Kollegin Künast . Wir haben
deshalb entsprechend unseren Regeln die Regierungs-
befragung verlängert . Ich habe gerade nur auf weitere
Wortmeldungen reagiert, die ich nicht zulassen darf, weil
es eine andere Verabredung gibt . – Kollegin Haßelmann .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Ich habe eine Frage
an Herrn Pronold, kann mir vorher aber Folgendes nicht
verkneifen: Frau Ministerin Schwesig, was Sie geant-
wortet haben, stimmt so nicht . Das ist nicht Gegenstand
des Gesetzes . Das gilt nicht für alle Frauen, sondern ab
einer Grenze von 200 Beschäftigten im Betrieb .
Aber jetzt, Herr Pronold, zu Ihnen: Ich habe eine Frage
zu dem Thema „Brennelementelieferungen nach Tihange
und Doel“ . Wie viele Lieferungen von Brennelementen
in diese Schrottreaktoren stehen jetzt noch an? Und wie
viele haben Sie in jüngster Zeit genehmigt?
Fl
Die Information liegt mir nicht vor; die muss ich
schriftlich nachreichen .
– Nein, das ist mir nicht unangenehm . Vielmehr habe ich
die Zahlen nicht vorliegen . Bevor ich hier im Nebel sto-
chere, gebe ich Ihnen eine präzise schriftliche Auskunft,
wie es das Parlament verdient hat .
Das ist damit verabredet, und der Kollege von Notz
fragt .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Meine Frage rich-
tet sich an den Staatssekretär Schröder als Vertreter des
Innenministeriums . Es geht um Anis Amri . Die Diskre-
panz, Herr Schröder, ist entstanden, weil Ihr Innenmi-
nister in der entscheidenden Sitzung im Dezember nach
dem Anschlag gesagt hat, die einzige Bundesbehörde,
die nach seiner Vorstellung mit dem Fall zu tun haben
könne, sei das BAMF .
Jetzt wissen wir, dass der Bundesnachrichtendienst
Chats mitgelesen hat . Das wissen wir nicht von Ihnen,
sondern das lesen wir in der Presse . Die Chronologie,
die wir bekommen haben, war offensichtlich falsch . Da
gilt wie vor Gericht: Was unvollständig ist, ist falsch . –
Angesichts des schwersten salafistischen Anschlags auf
deutschem Boden müssen Sie uns zutreffend informie-
ren . Das ist nicht passiert .
Deswegen frage ich Sie: Wie konnte es passieren, dass
der immer noch als Gefährder eingestufte Amri – nicht
der Sachverhalt „Kalaschnikows irgendwo“ –, der seinen
Lebensmittelpunkt in Berlin hatte und zwischen Bundes-
ländern hin- und hergewechselt ist, nicht vom BfV über-
wacht wurde, obwohl man die Zelle um Abu Walaa An-
fang November hochgenommen hat und wusste, dass er
an denen dranhängt? Wir haben also diese hochgefährli-
che, psychisch labile Person in diesen Zusammenhängen,
die sich selbst umbringen will – das wurde protokollfest
gesagt –, und das Bundesamt für Verfassungsschutz un-
ternimmt nichts . Wie können Sie dies angesichts der
schweren Folgen, die das hatte, erklären?
D
Der Fall Amri war ein Fall, der von der Polizei inNordrhein-Westfalen geführt wurde; es war ein polizeili-cher Fall . Anis Amri ist auch polizeilich observiert wor-den .
Die Polizeien, insbesondere das LandeskriminalamtNordrhein-Westfalen, sind zu dem Ergebnis gekommen,dass Amri eben nicht gefährlich ist . Das war die fataleFehleinschätzung .
Selbstverständlich hatte auch das Bundesamt für Ver-fassungsschutz insbesondere zu Beginn des gesamtenFalles, vor der polizeilichen Observation, eine Einschät-zung dazu, was für Verbindungen Amri unter Umständensonst noch haben könnte . Man hat dann auch entspre-chende Nachfragen gestellt . Aber am Ende ist im FallAmri das Problem, dass es hier eine Fehleinschätzungder Landespolizei in Nordrhein-Westfalen gab . Es ist inunserer verfassungsrechtlichen Ordnung nun einmal so:Wenn jemand von einer Polizei als Kleinkrimineller ein-gestuft wird, dann kann nicht einfach ein Verfassungs-Parl. Staatssekretär Christian Lange
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 227 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 29 . März 201722808
(C)
(D)
schutzamt, ein Nachrichtendienst übernehmen und diePerson weiter observieren .Es wundert mich schon, dass gerade die Grünen jetztder Auffassung sind, dass die Kompetenzen und Mög-lichkeiten unserer Nachrichtendienste so massiv ausge-weitet werden sollten,
dass selbst solche Personen, die von den Polizeien alsKleinkriminelle eingeschätzt werden, plötzlich von denNachrichtendiensten observiert werden sollten .
Dass das nun gerade von den Grünen kommt, verwundertmich .
Das nächste Problem im Fall Amri ist, dass man ver-säumt hat, ihn wirklich in Abschiebehaft zu nehmen, ob-wohl das rechtlich möglich gewesen wäre .
Ich bitte alle Beteiligten, Fragesteller wie natürlich
auch Antwortende, mit der Zeit so umzugehen, wie wir
es verabredet haben, sodass ich auch noch die letzten drei
Fragen aufrufen kann .
Der Kollege Krischer hat das Wort .
Danke, Frau Präsidentin . – Auch wenn es mir bei der
Antwort des Kollegen Schröder gerade fast die Sprache
verschlagen hat – denn das, was Sie hier ausgeführt ha-
ben, war meines Erachtens eine absurde Darstellung –,
möchte ich dem Kollegen Pronold noch eine Frage zum
Thema Tihange stellen . Ich habe Sie so verstanden: Für
die Bundesregierung ist es keine missbräuchliche Ver-
wendung von Brennelementen und radioaktivem Mate-
rial, wenn dies in nach Ihrer Auffassung eindeutig nicht
sicheren Reaktoren eingesetzt wird . – Deshalb meine
Nachfrage: Sind Sie denn bereit, die Klage der Städte-
region Aachen und 60 weiterer Kommunen des Landes
Nordrhein-Westfalen und des Landes Rheinland-Pfalz zu
unterstützen, damit hier klares Recht geschaffen wird?
Es geht ja bei diesen Klagen unter anderem auch um die-
se Frage .
Fl
Herr Kollege Krischer, es wäre gut, wenn man nichts
unterstellt . Noch einmal: Wir haben juristisch umfassend
geprüft, ob diese Ausfuhr auf Basis des Atomgesetzes
unterbleiben kann . Es wäre in unserem Interesse gewe-
sen, diese Ausfuhr zu untersagen; aber wir sind an Recht
und Gesetz gebunden . Deswegen war die Genehmigung
zu erteilen . So ist es nun einmal, auch wenn es einem
politisch nicht passt .
Außerdem hat die Bundesregierung alles getan – auch
das habe ich vorhin schon gesagt –, um gegenüber Bel-
gien deutlich zu machen, wie wir die Gefährdungslage
einschätzen und wie wir unterbinden wollen, dass etwas
geschieht .
– Ich habe Ihnen zugehört, und es wäre ganz gut, wenn
Sie auch mir zuhören würden . – Wir sehen von daher kei-
ne Notwendigkeit, die genannte Klage zu unterstützen,
weil wir auf der Ebene, auf der die Bundesregierung et-
was unternehmen kann, alle Hebel in Bewegung gesetzt
haben, um den berechtigten Sorgen der Bevölkerung in
der Region Aachen und in ganz Deutschland Rechnung
zu tragen .
Die nächste Frage stellt der Kollege Mutlu .
Danke, Frau Präsidentin . – Auch meine Frage geht an
Herrn Schröder vom Innenministerium . Ich bekomme in
meiner Sprechstunde in letzter Zeit immer mehr Besuch
von türkischstämmigen Berlinerinnen und Berlinern und
entsprechende E-Mails auch aus anderen Bundesländern .
Sie beklagen sich darüber, dass ihnen von türkischen
Konsularbehörden die Pässe entzogen werden, wodurch
ihre Reisefreiheit massiv eingeschränkt wird, was für
diejenigen, die dienstlich unterwegs sein müssen, ein
großes Problem ist .
Wie möchte die Bundesregierung in diesem Zusam-
menhang den Betroffenen helfen, die, aus welchen Grün-
den auch immer, befürchten müssen, dass ihre Pässe von
Ankara nicht verlängert oder sogar entzogen werden – in
einem Fall hier in Berlin sogar mit deutscher Amtshilfe?
D
Die Bundesrepublik Deutschland hat innenpolitischkeinen Einfluss darauf, inwieweit die türkische Regie-rung oder die türkischen Botschaften Pässe ihrer Staats-angehörigen einziehen . Darauf kann allenfalls auf demdiplomatischen Wege Einfluss genommen werden. Ichweiß, dass das Auswärtige Amt auch zu anderen Fällenmit der Regierung in Ankara in Kontakt ist und insbeson-dere die Thematik der türkischen Staatsangehörigen, diehier in Deutschland leben, anspricht .Dieser Aspekt unterfällt natürlich auch der gesamtenProblematik, die wir zurzeit mit der türkischen Regie-rung haben . Das wird selbstverständlich auch vom Aus-Parl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 227 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 29 . März 2017 22809
(C)
(D)
wärtigen Amt angesprochen . Insofern schlage ich vor,dass das Auswärtige Amt gegebenenfalls noch ergänzenkann . Aber natürlich gibt es für uns innenpolitisch keineHandhabe gegenüber der türkischen Regierung, dafür zusorgen, dass Pässe verlängert werden; denn es sind ja tür-kische Staatsangehörige .
Ich sehe, dass Sie mit der Antwort nicht zufrieden
sind, aber wir müssen jetzt mit der letzten angemelde-
ten und zugelassenen Frage fortfahren . – Der Kollege
Ströbele hat das Wort .
Danke, Frau Präsidentin . – Ich hätte eigentlich gerne
eine Frage an Ihren Kollegen Krings gestellt, nämlich
warum er mir in der Fragestunde vom 15 . Februar 2017
auf eine Frage zum Fall Amri die Unwahrheit gesagt hat .
Leider geht das nicht, weil wir das im Geheimen erörtern
müssen . Deshalb stelle ich jetzt an Sie eine Frage, Herr
Staatssekretär Schröder .
Ich frage Sie: Wann wusste die Bundesregierung was
über die jetzt in mehreren Medien veröffentlichten Er-
kenntnisse aus einem Chatverkehr von Herrn Amri – die
Telefonverbindung ging nach Libyen – mit, vermutlich,
einer Person im Kampfgebiet des IS, vermutlich mit ei-
nem IS-Angehörigen? Diese Frage bezieht sich nicht nur
auf das Ministerium, sondern auch auf die unterstellten
Dienste Bundesamt für Verfassungsschutz und BKA .
D
Den Sicherheitsbehörden war bekannt – insbesondere
natürlich auch den nordrhein-westfälischen Sicherheits-
behörden –,
dass Amri solche Kontakte hatte, gerade zu Beginn der
Gesamtthematik Amri . Wann wer was genau wusste, ha-
ben wir in der Chronologie aufgeführt . Sie wird natürlich
immer weiter fortgeführt . Sie werden aber verstehen,
dass ich Ihnen zu einem so speziellen Sachverhalt hier
aus dem Stegreif nicht ein ganz konkretes Datum nennen
kann .
Man muss nicht Prophetin sein, um zu wissen, dass
uns dieses Thema auch in diesem Format weiter beschäf-
tigen wird .
Gleichwohl beende ich jetzt die Regierungsbefragung .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
Drucksachen 18/11681, 18/11719
Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Num-
mer 10 Absatz 2 der Richtlinien für die Fragestunde die
dringliche Frage auf Drucksache 18/11719 auf . Sie be-
zieht sich auf den Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums des Innern . Zur Beantwortung steht der Parlamen-
tarische Staatssekretär Dr . Günter Krings zur Verfügung .
Ich rufe die dringliche Frage 1 der Kollegin Dağdelen
auf:
Welche Maßnahmen werden umgehend von der Bundes-
regierung gegebenenfalls in Kooperation mit den Ländern
getroffen, um betroffene deutsche bzw . türkische Staatsange-
hörige in Deutschland aus Sicherheitsgründen zu warnen, vor
dem Hintergrund, dass der Chef des türkischen Geheimdiens-
tes MIT dem Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes,
Bruno Kahl, am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz
im Februar 2017 eine Liste mit Informationen über mehr als
300 Personen mit Meldeadressen, Handy- und Festnetznum-
mern sowie in vielen Fällen Fotos der Betroffenen und mehr
als 200 angeblich der Gülen-Bewegung zuzurechnenden Ver-
einen, Schulen und anderen Einrichtungen übergeben haben
Bitte, Herr Staatssekretär .
D
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Frau Kollegin Dağdelen, das Bundes-
amt für Verfassungsschutz hat den Erhalt der genannten
Unterlagen zum Anlass genommen, die Sachlage am
10 . März 2017 mit dem Bundeskriminalamt und den be-
troffenen Verfassungsschutz- und Polizeibehörden der
Länder in einer Sondersitzung der AG „Operativer In-
formationsaustausch“ des Gemeinsamen Extremismus-
und Terrorismusabwehrzentrums, abgekürzt GETZ, zu
besprechen .
Zu beachten ist, dass Gefährdungsbewertungen und
daraus erwachsende Gefährdetenansprachen bzw . Sen-
sibilisierungsgespräche grundsätzlich – das wissen Sie –
Sache der Landespolizeien sind . Das Bundeskriminalamt
übermittelte den Landespolizeibehörden mit Schreiben
vom 13 . März 2017 eine eigens zusammengestellte Liste
mit Personennamen zur Lageeinschätzung und Veranlas-
sung von Maßnahmen in eigener Zuständigkeit .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .Parl. Staatssekretär Dr. Ole Schröderhttp://www.faz.net/aktuell/politik/tuerkei/tuerkei-bespitzelt-offenbar-guelen-anhaenger-in-deutschland-14945808.htmlhttp://www.faz.net/aktuell/politik/tuerkei/tuerkei-bespitzelt-offenbar-guelen-anhaenger-in-deutschland-14945808.htmlhttp://www.faz.net/aktuell/politik/tuerkei/tuerkei-bespitzelt-offenbar-guelen-anhaenger-in-deutschland-14945808.html
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 227 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 29 . März 201722810
(C)
(D)
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Verehrter Herr
Staatssekretär, laut Medienberichten gab es nur in vier
Bundesländern Gefährdetenansprachen . Meine Frage
zielt darauf ab, ob Sie sicherstellen können, dass über-
all Gefährdetenansprachen mit all denen stattgefunden
haben, deren Namen auf dieser Liste stehen, und ob Sie
ausschließen können, dass sich auf dieser Liste des türki-
schen Geheimdienstes an den BND auch die Namen von
Mitgliedern des Deutschen Bundestages befinden.
D
Vielen Dank für diese beiden Fragen, Frau Kollegin . –
Die letzte Frage kann ich konkret beantworten: Es war
der Name eines Mitglieds dieses Hauses auf der Liste –
dieses ist bereits angesprochen worden –, in diesem Fall
wegen seiner Tätigkeit hier im Haus durch das Bundes-
kriminalamt .
Im Übrigen sind die Landespolizeien zuständig . Es ist
im Einzelfall eine Abwägungsfrage, ob und in welcher
Form alle angesprochen werden, bei denen Gefahren be-
stehen . Teilweise stehen auch die Namen von Einrich-
tungen, zum Beispiel von Stiftungen, auf der Liste, bei
denen die Frage ist, ob da eine konkrete Gefährdeten-
ansprache Sinn macht . Das müssen die Landespolizeien
in eigener Zuständigkeit entscheiden . Allerdings gibt es
dort auch immer Kontakte zum Bundeskriminalamt, das
die Angelegenheit natürlich streng im Auge behält .
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .
Herr Staatssekretär, neben dieser Liste und vor dem
Hintergrund der seit längerem bekannten und gehäuft
auftretenden Aktivitäten des türkischen Geheimdienstes
auf deutschem Territorium – es gibt auch ein Ermittlungs-
verfahren gegen Herrn F . Sayan, der in Untersuchungs-
haft ist – interessiert mich, ob Sie ausschließen können,
dass durch den türkischen Geheimdienst auf deutschem
Territorium Vorbereitungen zu Entführungen getroffen
worden sind . Mir wurde gesagt, dass es Hinweise auf
die Vorbereitung von Entführungen durch den türkischen
Geheimdienst in Deutschland gegeben hat . Können Sie
das ausschließen oder bestätigen?
D
Ich kann es, Frau Kollegin, jedenfalls nicht ausschlie-
ßen . Auch mir ist zu Ohren gekommen, dass es offenbar
Hinweise darauf gab, dass es so etwas gegeben haben
könnte . Aber mir ist nicht bekannt, ob sich diese Hinwei-
se erhärtet haben .
Zu einer Nachfrage hat der Kollege Volker Beck das
Wort .
Herr Kollege, Sie sprachen gerade an, dass ein Mit-
glied des Deutschen Bundestages auf der Liste steht .
Können Sie denn ausschließen, dass sich auf dieser Liste
weitere Abgeordnete von anderen Parlamenten befinden?
Und, wenn sie auf dieser Liste sein sollten, wann wurden
diese Abgeordneten im Rahmen einer Gefährdetenan-
sprache informiert?
D
Frau Präsidentin! Lieber Herr Kollege Beck, ich kann
die Frage gut verstehen, weil eben im Innenausschuss –
das darf ich für diejenigen erklären, die nicht dabei wa-
ren – von zwei Abgeordneten die Rede war . Was wir
sagen können, ist: Es war jedenfalls eine weitere Politi-
kerin auf der Liste . Ich kann aber nicht sagen, ob die Ge-
fährdetenansprache schon stattgefunden hat . Wenn nicht,
wird sie sehr zeitnah durchgeführt . Es war kein weiteres
Mitglied des Bundestages auf der Liste .
Die nächste Nachfrage stellt die Kollegin Hänsel .
Danke schön . – Herr Staatssekretär, wie viele solcher
Listen mit der Bitte um Amtshilfe seitens der Bundes-
regierung oder der nachgeordneten Behörden – BKA,
BND, Verfassungsschutz – sind vom türkischen Geheim-
dienst MIT seit Anfang letzten Jahres übergeben worden?
D
Frau Präsidentin! Ich kann Ihnen dazu keine Zahlen
nennen . Ich gehe davon aus, dass es sicherlich einen wei-
teren Fall gab, wo Namen, ob es eine Liste war oder Ein-
zelnamen, mitgeteilt worden sind . Wenn uns solche Na-
men mitgeteilt worden sind, sind sie, soweit mir bekannt
ist, dann jeweils auch an den Verfassungsschutz und
andere Sicherheitsbehörden weitergeleitet worden, also
in einem ähnlichen Verfahren wie dieses Mal . Aber eine
Liste vergleichbarer Art ist mir jedenfalls nicht bekannt .
Die Kollegin Haßelmann stellt die nächste Nachfrage .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Herr Staatssekretär,bevor ich meine Frage stelle, möchte ich kurz zu IhremZwischenruf von der Regierungsbank sagen: Ich findedas völlig unangemessen und inakzeptabel .
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 227 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 29 . März 2017 22811
(C)
(D)
D
Ich entschuldige mich dafür . Das war es in der Tat; da
haben Sie recht .
Das ist sehr gut; denn ansonsten hätte ich Sie darauf
hingewiesen, dass das gegenüber dem Parlament nicht
möglich ist .
D
Ich entschuldige mich dafür . Das war nicht in Ord-
nung .
Vielen Dank .
Dann habe ich noch eine Frage, und zwar zum gleichen
Sachverhalt: Wie gedenken Sie als Bundesregierung die
Mitglieder des Rechtsausschusses regelmäßig über die-
sen Sachverhalt und auch die weitere Entwicklung dazu
zu informieren, nachdem heute mit Koalitionsstimmen
aus Union und SPD die Behandlung des Tagesordnungs-
punktes, der von hoher Relevanz und hoher Brisanz ist,
abgesetzt worden ist?
Müssen die Mitglieder meiner grünen Fraktion jetzt
regelmäßig von ihrem Fragerecht in der Fragestunde und
von Kleinen Anfragen Gebrauch machen, da der Tages-
ordnungspunkt in den entsprechenden Ausschüssen von
den Fraktionen nicht gewünscht ist, oder werden Sie uns
auch ohne Kleine Anfragen oder schriftliche Fragen re-
gelmäßig darüber informieren?
Bitte, Herr Staatssekretär .
D
Frau Präsidentin! Frau Kollegin, jetzt verwirren Sie
mich etwas . In der dringlichen Frage, die Gegenstand
dieser Fragestunde ist, geht es um Tätigkeiten des tür-
kischen Geheimdienstes MIT . Jedenfalls im Innenaus-
schuss wurde dieses Thema nicht abgesetzt . Ich weiß
nicht, ob im Rechtsausschuss anders verfahren wurde .
– Dort wurde dieses Thema abgesetzt, okay . Eben wur-
de darauf Bezug genommen, dass ein Thema im Innen-
ausschuss nicht behandelt werden konnte . Das ist mir
nicht bekannt, dass es abgesetzt worden ist . Dass eine
Ausschussmehrheit zu dem Schluss kommt, dass in einer
bestimmten Sitzung etwas nicht behandelt werden kann,
heißt ja nicht, dass es nicht behandelt wird . Ich kann jetzt
nicht für die Kollegen sprechen .
– Es ist sogar nur vertagt worden .
Jedenfalls gehe ich davon aus, dass die Debatte in einer
der nächsten Sitzungen stattfinden wird. Ich kann an der
Stelle nicht sozusagen die Ausschussmehrheit präkludie-
ren . Aber dass man etwas in einer bestimmten Sitzung
absetzt, heißt nicht, dass man das Thema nicht behandelt .
– Nur in der konkreten Sitzung .
Die nächste Nachfrage stellt der Kollege Hunko .
Vielen Dank . – Herr Staatssekretär, eine Frage zu Ih-
rer Einschätzung: Erlauben die neusten Erkenntnisse des
Bundesinnenministeriums die Wiederaufnahme des Ver-
fahrens gegen den MIT-Agenten Gergerlioglu, der – das
ging durch die Medien – einen Agentenring des MIT ge-
steuert haben soll? Wie ist Ihre Einschätzung dazu? Dazu
gab es in Koblenz bereits ein Verfahren .
D
Herr Kollege, ich gehe davon aus, dass entweder eine
Landesjustizbehörde oder der Generalbundesanwalt die-
se Entscheidung treffen muss . Deshalb, glaube ich, stün-
de es dem Innenministerium nicht zu, eine Bewertung
vorzunehmen .
Die letzte Nachfrage zu dieser Frage stellt der Kollege
Weinberg .
Herr Staatssekretär, wenn ich Sie gerade richtig ver-
standen habe, waren auf der Liste, von der eben die Rede
war, ein Abgeordneter dieses Hauses und ein Abgeord-
neter eines Landesparlaments . Mich würde interessie-
ren: Haben Sie das auch hinsichtlich der Mitglieder von
Kommunalparlamenten überprüft?
D
Herr Kollege, ich kann das zurzeit nicht bestätigen .Ich werde dem Hinweis nachgehen . Ob weitere politi-sche Verbindungen oder Funktionen abgeklopft wordensind, kann ich Ihnen ad hoc nicht beantworten .
– Nicht uns .
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 227 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 29 . März 201722812
(C)
(D)
Nachdem die dringliche Frage aufgerufen und behan-
delt worden ist, rufe ich jetzt die Fragen auf Drucksa-
che 18/11681 in der üblichen Reihenfolge auf .
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak-
torsicherheit . Zur Beantwortung der Fragen steht der
Parlamentarische Staatssekretär Florian Pronold zur Ver-
fügung .
Die Fragen 1 und 2 der Kollegin Kotting-Uhl sollen
schriftlich beantwortet werden .
Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Peter Meiwald auf:
Welche Konsequenzen zum nachhaltigen Schutz unseres
Trinkwassers zieht die Bundesregierung aus den Ergebnissen
der Grundwasseruntersuchungen der Wasserwirtschaft im Ein-
zugsgebiet von Trinkwasserbrunnen, und welche sich hieraus
ergebenden Maßnahmen dazu ergreift sie über die aktuelle Re-
form der Düngegesetzgebung hinaus?
Bitte, Herr Staatssekretär .
Fl
Wie Sie wissen, gibt es einen Bericht von 2016, aus
dem hervorgeht, dass es seit 2008 keine Verbesserung
der Trinkwassersituation gibt . Sie ist in etwa gleich ge-
blieben . Rund 18 Prozent der Trinkwasserbrunnen wei-
sen eine Nitratbelastung über dem Grenzwert auf . Wir
als Bundesregierung versprechen uns eine deutliche Ver-
besserung durch die Novellierung der Düngeverordnung,
die, wenn ich es richtig im Kopf habe, diese Woche im
Bundesrat abschließend behandelt wird .
Ihre Frage bezieht sich auch darauf, was darüber hi-
naus getan werden soll und kann . Das obliegt im Regel-
fall den Ländern . Die Länder haben umfangreiche Mög-
lichkeiten und haben auch bisher schon davon Gebrauch
gemacht. Es gibt entsprechende landesspezifische Ver-
einbarungen, zum Beispiel zwischen den für das Wasser
und den für die Landwirtschaft zuständigen Stellen .
Außerdem gibt es die Möglichkeit, dass die Länder
weitere Trinkwassergebiete ausweisen können, für die
sie dann verbindliche Richtlinien vorschreiben können .
Das Zentrale aber wird sein, dass wir nun die Düngever-
ordnung in Kraft setzen . Wir hoffen, dass es dadurch mit-
telfristig zu signifikanten Verbesserungen kommen wird.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Vielen Dank, Herr
Staatssekretär . Die erste Nachfrage geht in die Richtung,
dass zumindest ein Großteil der Experten davon über-
zeugt ist, dass das, was jetzt durch die Ländergesetzge-
bung neu geregelt wird, nicht ausreichen wird, sondern
dass wir mittelfristig noch zu einer Veränderung der Situ-
ation bezüglich der Tierbesatzdichten kommen müssen .
Deswegen habe ich die Frage an Sie, ob es Gespräche
zwischen dem zuständigen Landwirtschaftsministerium
und dem Umweltministerium gibt, um entsprechende
Anreize zu schaffen, mittelfristig die Tierbesatzdichten
in den Intensivtierhaltungsregionen zu reduzieren .
Fl
Wie Sie aus den Debatten, die wir im Ausschuss für
Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit hatten,
wissen, war zum Beispiel keine Einigung über die Frage
einer baulichen Stärkung der kommunalen Seite zu erzie-
len, was die Massentierhaltung angeht . Natürlich hatten
wir während des gesamten Prozesses der Beratung der
Düngeverordnung intensive Gespräche. Ich finde, dass
wir mit dieser Düngeverordnung nun wesentliche Ver-
besserungen erzielen werden . Das ist ein guter Schritt in
Bezug auf die Sicherheit des Trinkwassers in Deutsch-
land .
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .
Herzlichen Dank . – Ich möchte noch auf einen ande-
ren Bereich zu sprechen kommen, der in der bisherigen
Betrachtung zu kurz gekommen ist, nämlich die Einträge,
die aus der Luft kommen . Das betrifft die Stickstoffein-
träge aus dem Straßenverkehr und auch aus der Industrie,
insbesondere aus den Kraftwerksbetrieben . Ich habe die
Frage, inwieweit es Bestrebungen des Ministeriums gibt,
diese Einträge zu reduzieren bzw . überhaupt erst einmal
in Bezug auf die Problematik der Trinkwasser- bzw .
Grundwasservorräte zu einer Bemessung der Einträge zu
kommen, um dann entsprechende Reduktionsstrategien
zu entwickeln .
Fl
Wie Sie zu Recht schildern, betreffen die Einträge
nicht nur die Landwirtschaft, sondern es gibt auch noch
andere Quellen für den Eintrag von Nitraten . Da spie-
len – das haben Sie richtig wiedergegeben – Verkehr und
Industrie eine Rolle . Das bewegt sich im Geleitzug der
allgemeinen Debatte, die wir dazu führen, bzw . der Maß-
nahmen insgesamt, was zum Beispiel den Klimaschutz
angeht . Wenn wir beispielsweise insgesamt eine Redu-
zierung der fossilen Energieträger im Verkehrsbereich
erreichen, wird es auch weniger Einträge ins Grundwas-
ser geben . Deswegen hat die Bundesregierung, wie Sie
wissen, zum Beispiel auch eine Elektromobilitätsstrate-
gie entwickelt . Wir bemühen uns, auch hier so schnell
wie möglich von fossilen Energieträgern wegzukommen .
Dann kommen wir zur Frage 4 des Kollegen Meiwald:Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über ver-
Bitte, Herr Staatssekretär .
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 227 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 29 . März 2017 22813
(C)
(D)
Fl
Ich vermute, dass sich das auf einen kürzlich in der
Welt erschienenen Artikel bezieht, der einen bekannten
Sachverhalt aufgreift, nämlich dass es durch die dualen
Systeme zu einer unvollständigen Lizenzierung von Ver-
packungen gekommen ist, die in den Verkehr gebracht
worden sind; es wurden geringere Mengen lizenziert .
Wir haben mit der siebten Novelle zur Verpackungsver-
ordnung diesen Missstand beseitigt . Hier ist es zu einer
Situation gekommen, die zwar nicht dazu führt, dass im
Zweifel die nichtlizenzierten Mengen in diesem Bereich
irgendwo verschwinden oder im Restmüll landen . Aber
ihre Entsorgung wurde nicht dem Verursacherprinzip
entsprechend finanziert. Das war eine nicht hinzuneh-
mende Situation, die wir bereits mit der siebten Novelle
zur Verpackungsverordnung abgestellt haben . Darüber
hinaus beraten wir in dieser Woche abschließend über
den Entwurf eines Verpackungsgesetzes . Danach wird es
eine zentrale Stelle geben, die eine bessere Überwachung
und Koordinierung der dualen Systeme – auch gegenüber
den Kommunen – bringen wird . Auch davon versprechen
wir uns Verbesserungen .
Streng genommen ist kein Müll verschwunden . Viel-
mehr wurden – fast strafrechtlich relevant – falsche An-
gaben gemacht . Das hätte übrigens einen Teil der dualen
Systeme fast an die Grenze des Ruins gebracht . Deswe-
gen sind wir dort eingeschritten .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Heißt das, dass Sie schon mit Untersuchungen belegen
können, dass die siebte Novelle entsprechende Ergebnis-
se gezeitigt hat und dass die Differenz zwischen dem,
was in Verkehr gebracht wird, und dem, was lizenziert
wird, schon auf null zurückgefahren wurde? Habe ich das
richtig verstanden?
Fl
Nein, das können wir nicht belegen; denn so schnell
kann man empirische Daten nicht erfassen . Aber von
zentraler Bedeutung ist in diesem Kontext, dass wir nicht
von virtuellen Mengen, die lizenziert werden sollen,
ausgehen, sondern dass wir mit der siebten Novelle zur
Verpackungsverordnung überprüfbare Mengen zugrunde
legen; das ist der entscheidende Unterschied . Damit ist
die Missbrauchsanfälligkeit sehr stark reduziert worden,
zumindest in den bekannten Fällen . Da es schon sieben
Novellen zur Verpackungsverordnung gegeben hat und
bei mir ein gesundes Misstrauen gegen manche Markt-
beteiligte verbleibt, will ich nicht ausschließen, dass wir
auch nach dem Verpackungsgesetz, wenn es neue Um-
gehungsvarianten oder Missbräuche gibt, eine achte No-
velle brauchen . Derzeit sind wir aber zu der Erkenntnis
gekommen, dass wir das Modell aus Falschlizenzierung
von Müll, Kostenersparnis und Konkurrenzkampf durch
die siebte Novelle ausschalten konnten .
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .
Vielen Dank . – Ich hatte die Frage bewusst ein biss-
chen weiter gefasst, weil wir gerade bei Altautos und
Elektroschrott trotz der gesetzlichen Grundlagen, die wir
an verschiedenen Stellen geschaffen haben – Stichwort:
ElektroG –, weiterhin Probleme haben . Wir stellen fest,
dass sowohl bei den Altautos ein relevanter Teil der Fahr-
zeuge sozusagen aus der Statistik verschwindet, ohne in
die Wiederverwertung zu gehen, als auch Elektroschrott
deutscher Herkunft insbesondere in Ghana, aber auch an
anderen Stellen auftaucht, obwohl das nicht mehr sein
darf . Welche Möglichkeiten sehen Sie auch im Hinblick
auf die Zusammenarbeit mit den Ländern, die für Kon-
trolle und Vollzug mit zuständig sind, um diesen Zustand
zu verbessern?
Fl
Die von Ihnen angesprochenen Sachverhalte sind vor-
gekommen und kommen wahrscheinlich zum Teil wei-
terhin vor . Die empirische Datengrundlage, die wir dazu
haben, ist relativ gering . Wir haben deswegen vor einiger
Zeit eine Studie zu den Altautobeständen in Auftrag ge-
geben und erwarten demnächst entsprechende Erkennt-
nisse . Da es sich aber um einen illegalen Bereich han-
delt, der bereits gegen bestehendes Recht verstößt, ist es
besonders schwierig, aussagekräftige Zahlen zu bekom-
men . Wir halten uns an die EU-Vorgaben zu den Altau-
tos . Es handelt sich hier primär um ein Überwachungs-
problem, weil sich die Unterscheidung zwischen Schrott
und Gebrauchtwagen in der Praxis schwierig gestaltet .
Dasselbe haben wir nun verstärkt bei der Frage der
Elektroaltgeräte . Sie wissen, dass wir jüngst hier im Par-
lament die Voraussetzungen dafür geschaffen haben . Es
geht insbesondere darum, dass nun auch die Verbringer
dokumentieren müssen, dass es sich tatsächlich um Ge-
brauchtgeräte handelt, die auch funktionsfähig sind, und
nicht um falsch deklarierten Elektroschrott . Da haben wir
die Anforderungen erhöht . Auch hier kommt es gerade in
der Konstellation mit dem Export darauf an, dass dann
auch die zuständigen Behörden diese neuen Vorgaben
überprüfen . Das ist die einzige Voraussetzung, wie man
diese Missbräuche und diese nicht hinnehmbaren Zu-
stände abstellen kann . Die gesetzlichen und die vollzugs-
rechtlichen Voraussetzungen dafür haben wir geschaffen .
Danke . – Wir kommen dann zur Frage 5 des KollegenHarald Ebner:Wie steht die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz,Bau und Reaktorsicherheit, Dr . Barbara Hendricks, aus heuti-ger Sicht zu der Verleihung des Großen Bundesverdienstkreu-zes mit Stern im Juni 2015 durch sie persönlich an den Münch-ner Toxikologen Professor Dr . Helmut Greim aufgrund seiner
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 227 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 29 . März 201722814
(C)
(D)
desumweltministerium aus den Vorwürfen gegenüber Profes-sor Dr . Greim ab, er habe einem durch Monsanto-Mitarbeiterverfassten wissenschaftlichen Artikel, der den Krebsverdachtgegen den Pestizidwirkstoff Glyphosat zerstreuen sollte, ge-gen Geld seinen Namen als Erstautor geliehen und den resul-tierenden Interessenkonflikt in Bezug auf die Unabhängigkeitseiner Aussagen im Rahmen von Expertenstatements wieder-
Bitte, Herr Staatssekretär .Fl
Sehr geehrter Herr Kollege Ebner, die Bundesre-
gierung hat zu den Vorwürfen gegen Herrn Professor
Greim bereits in den Antworten auf die schriftlichen Fra-
gen 10/138 vom 21 . Oktober 2016, veröffentlicht in der
Drucksache 18/10202, und 11/253 vom 30 . November
2016, veröffentlicht in der Drucksache 18/10596, Stel-
lung genommen . Dem ist nichts hinzuzufügen .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Danke, Frau Präsidentin . – Das wundert mich jetzt
sehr, Herr Staatssekretär; denn die aktuellen Vorwürfe
gegen Herrn Professor Greim können wohl kaum schon
im November geklärt worden sein . Das sind ganz neue
Fragen, die just in den letzten Wochen aufgetaucht sind .
Deshalb würde ich Sie schon bitten, in sich zu gehen und
zu prüfen, ob Sie diese Frage an der Stelle im Vorgriff auf
alles, was da kommen möge, wirklich schon beantwortet
haben .
Jetzt ist es so, dass nicht nur das BfR, sondern auch
das Umweltbundesamt an der Entstehung des Glypho-
sat-Bewertungsberichts beteiligt war, der die Voraus-
setzung für die Genehmigungserneuerung darstellt . Wie
wird das BMUB jetzt vor diesem Hintergrund die Auf-
klärung der Vorwürfe gegen Herrn Greim, die aus mei-
ner Sicht neu sind, und andere Wissenschaftler, die auch
Konsequenzen, was die Glaubwürdigkeit des Handelns
der deutschen Behörden und auch die Glaubwürdigkeit
der bisherigen Bewertung von Glyphosat angeht, nach
sich ziehen, vorantreiben?
Bitte, Herr Staatssekretär .
Fl
Es geht um einen Artikel, soweit ich das weiß, der aus
dem Jahr 2013 resultiert und der mit mehreren Universi-
täten gemeinsam und unter Einbeziehung auch der Indus-
trie erstellt worden ist . Das ist der Gegenstand der Kri-
tik, soweit ich das wahrnehme . Ich kann allerdings nicht
sehen, dass dieser Artikel in irgendeiner Form Eingang
in die jüngste Entscheidung der zuständigen Stellen auf
europäischer Ebene gefunden hat .
Sie haben das Wort zur nächsten Nachfrage .
Danke schön . – Aus unserer Sicht hat er sehr wohl
Eingang gefunden . Ich möchte Sie aber danach fragen,
wie Sie damit umgehen möchten, dass Mitglieder, die in
für den Gesundheitsschutz relevanten Gremien wie der
deutschen MAK-Kommission sitzen, die den Behör-
den Grenzwerte für den Arbeitsschutz vorschlagen und
die eigentlich die Interessen der Arbeitnehmer vertreten
sollen – da geht es um Konzentrationen und Grenzwerte
von bestimmten Stoffen am Arbeitsplatz –, gleichzeitig
seit Jahrzehnten nachgewiesenermaßen nicht nur engste,
sondern auch noch entlohnte Kontakte zur notwendiger-
weise gegenläufige Interessen vertretenden Industrie und
zu Lobbyorganisationen, die sie eigentlich kontrollieren
sollten, pflegen, diese Kontakte aber nur lückenhaft an-
gegeben haben und bis heute nur lückenhaft angeben .
Fl
Es gibt meiner Kenntnis nach in den entsprechenden
Gremien auf EU-Ebene wie auch auf nationaler Ebene
die Verpflichtung, Interessenskollisionen offenzulegen.
Wenn dies unterbleibt, ist es ein Verstoß gegen die Vor-
gaben . Ich bin jetzt nicht in der Lage, hier im Einzelnen
solche Vorwürfe zu prüfen oder zu bewerten; da bitte ich
um Verständnis . Insgesamt will ich aber schon festhalten,
dass wir davon ausgehen, dass wir ein bewährtes System
der Überprüfung haben und dass es eine wissenschaft-
liche Bewertung der Fragen gibt – nach wissenschaftli-
chen Standards .
Dass man über einzelne Bewertungen immer wieder
trefflich streiten kann, das ist so. Die Bundesregierung
hat sich bei der Frage entsprechender Prüfungen zum
Beispiel dagegengewandt, dass die Beweislast umge-
kehrt wird . Wir sind nach wie vor der Auffassung – wir
werden das auch gegenüber der EU vertreten –, dass die-
jenigen, die wollen, dass ein Produkt zugelassen wird,
erst einmal alle notwendigen Belege vorlegen müssen,
dass das Verhältnis nicht umgekehrt wird und dass das
Ganze durch die infragekommenden Institutionen wis-
senschaftlich geprüft wird .
Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Meiwald
das Wort .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Herr Staatssekre-tär, Professor Greim hat nicht nur gute Kontakte zu Monsanto, wie wir jetzt nach und nach erfahren, sondernauch zur Automobilindustrie . Er ist seit Jahren LeiterVizepräsidentin Petra Pauhttp://www.bmub.bund.de/service/mediathek/fotos/detailview/?tx_cpsbmugallery_pi1%5BshowUid%5D=49973http://www.bmub.bund.de/service/mediathek/fotos/detailview/?tx_cpsbmugallery_pi1%5BshowUid%5D=49973https://www.tum.de/die-tum/aktuelles/pressemitteilungen/detail/article/32544/https://www.tum.de/die-tum/aktuelles/pressemitteilungen/detail/article/32544/https://www.tum.de/die-tum/aktuelles/pressemitteilungen/detail/article/32544/http://www1.wdr.de/daserste/monitor/sendungen/gekaufte-expertise-100.htmlhttp://www1.wdr.de/daserste/monitor/sendungen/gekaufte-expertise-100.html
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 227 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 29 . März 2017 22815
(C)
(D)
des Forschungsbeirats der EUGT, einer Lobbyorgani-sation der Automobilhersteller . Halten Sie es für ange-messen, dass er in der Anhörung des ParlamentarischenUntersuchungsausschusses zum sogenannten Dieselgateals unabhängiger Sachverständiger aufgetreten ist, wie-derum ohne seine Tätigkeit für dieses andere Gremiumoffenzulegen und transparent zu machen? Wie bewertetIhr Ministerium das mit Blick auf die zukünftige Zusam-menarbeit mit solchen Institutionen?Fl
Ich bin mir als Parlamentarier und als Vertreter des
Ministeriums nicht sicher, ob wir für Sachverständige,
die vor Untersuchungsausschüssen aussagen, vergleich-
bare Offenlegungspflichten haben; ich habe davon keine
Kenntnis . Aber wenn es eine entsprechende Vorschrift
gibt, müsste man ihr Rechnung tragen . Ich kann aber
nicht die Dinge bewerten, die Sie hier jetzt als Vorhalt
machen . Ich glaube, das steht der Bundesregierung auch
nicht zu . Es handelt sich um einen parlamentarischen Un-
tersuchungsausschuss; insofern ist das dort zu klären .
Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Krischer
das Wort .
Herr
Greim hat als Wissenschaftler beispielsweise im Unter-
suchungsausschuss die interessante Meinung vertreten,
Stickoxide im Straßenverkehr seien kein gesundheitli-
ches Problem; das will ich nicht weiter ausführen .
Sie haben eben als Antwort auf die entsprechende Fra-
ge des Kollegen Ebner gesagt, Sie hätten alles das schon
einmal ausgeführt, was die Bundesregierung hier unter-
nommen hat . Mich würde noch einmal interessieren, ob
Sie aus heutiger Sicht die Notwendigkeit sehen, die Ver-
leihung des Bundesverdienstkreuzes an Herrn Greim zu
hinterfragen und zu evaluieren . Da ich nicht erinnerlich
habe, was Sie in der Vergangenheit dazu ausgeführt ha-
ben, könnten Sie hier vielleicht noch einmal erläutern,
was Sie im Vorfeld dieser Verleihung unternommen ha-
ben .
Fl
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Verleihung, die im Jahr 2015 auf Vorschlag des
BMUB vorgenommen worden ist, hat damit zu tun, dass
Herr Greim über viele Jahre und Jahrzehnte hinweg in
vielen Expertengremien auf nationaler und internationa-
ler Ebene ehrenamtlich tätig gewesen ist und auch den
Vorsitz von Gremien innegehabt hat . Das – die ehrenamt-
liche Tätigkeit, die er dort wahrgenommen hat – war die
Voraussetzung dafür, dass er für diese Verleihung vorge-
schlagen worden ist .
Die letzte Nachfrage zu dieser Frage stellt die Kolle-
gin Lemke .
Herr Staatssekretär, danke für diese Ausführungen . –
Die Frage meines Kollegen Ebner richtete sich aber nicht
auf den Grund, warum Herr Greim das Bundesverdienst-
kreuz erhalten hat bzw . warum das Umweltministerium
ihn für dessen Verleihung vorgeschlagen hatte, sondern
darauf, ob Sie die Notwendigkeit sehen, den in der jüngs-
ten Zeit bekanntgewordenen Vorwürfen gegen Herrn
Greim, die mein Kollege Ebner in seiner schriftlich for-
mulierten Frage erwähnt hat, nachzugehen . Die Vorwürfe
sind, glaube ich, gravierend . Vielleicht können Sie dem
Parlament das heute hier ohne Verweis auf alte Drucksa-
chen beantworten .
Bitte, Herr Staatssekretär .
Fl
Es entzieht sich meiner Kenntnis, ob es üblich ist, dass
diejenigen, die einen Vorschlag für die Verleihung des
Bundesverdienstkreuzes machen, eine Evaluierung vor-
nehmen, wenn nach der Verleihung Vorwürfe im Raum
stehen . Ich nehme an, dass es im Zusammenhang mit der
Verleihung eines Bundesverdienstkreuzes und der damit
verbundenen Ehrung ein Verfahren gibt, wenn angezwei-
felt wird, dass die Ehrung noch verdient ist . Das kann ich
nicht beurteilen, und das will ich auch nicht beurteilen .
Vielmehr bin ich dafür, dass man das zum Gegenstand
macht, wenn es nicht nur um Vorwürfe geht, sondern
wenn an dieser Stelle Erkenntnisse vorliegen .
Wir kommen damit zur Frage 6 des Kollegen Ebner:Welche Möglichkeiten sieht das Bundesumweltminis-terium vor dem Hintergrund der aktuellen Mani-pulationsvorwürfe gegen Monsanto in Bezug auf Glypho-
von behördlichen Risikobewertungsprozessen – durch Unter-nehmen in Zukunft durch geeignetere Regularien besser vor-zubeugen, und wie verhält sich das BMUB vor diesem Hinter-grund zu den Vorschlägen, kurzfristig, wenn möglich auch aufnationaler Ebene, eine behördliche Registrierungspflicht vonZulassungsstudien vor der Durchführung einzuführen, damitderen Ergebnisse im Nachgang gezielt abgefragt werden undnicht einfach in der Schublade verschwinden können, bzw .mittelfristig bei den für die Zulassung vorgeschriebenen Stu-
unabhängige Labore) zu etablieren?Bitte, Herr Staatssekretär .Peter Meiwaldhttp://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/glyphosat-wie-monsanto-ein-verbot-von-glyphosat-verhindert-1.3429242http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/glyphosat-wie-monsanto-ein-verbot-von-glyphosat-verhindert-1.3429242http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/glyphosat-wie-monsanto-ein-verbot-von-glyphosat-verhindert-1.3429242
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 227 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 29 . März 201722816
(C)
(D)
Fl
Wir haben das zum Teil schon bei den Nachfragen zur
vorangegangenen Frage behandelt .
Die Bewertung von Pflanzenschutzmittelwirkstoffen
erfolgt in Deutschland durch wissenschaftlich unabhän-
gige Behörden auf der Grundlage der in der EU festge-
legten Verfahren .
Die Bundesregierung – das habe ich schon ausge-
führt – wendet sich derzeit auch gegen Vorschläge, die
Beweislast dahin gehend umzukehren, dass Behörden
und nicht Unternehmen für die Erbringung von Studi-
en verantwortlich sind, die anschließend, wie es derzeit
geregelt ist, von unabhängigen Sachverständigen der
europäischen und der nationalen Behörden geprüft und
bewertet werden .
Zuständige EU-Behörden im Bereich Pflanzenschutz
sind insbesondere die Europäische Behörde für Lebens-
mittelsicherheit und die Europäische Chemikalienagen-
tur . Auf der nationalen Ebene prüfen und bewerten das
Bundesinstitut für Risikobewertung, das Julius-Kühn-In-
stitut und das Umweltbundesamt Pflanzenschutzmittel
und ihre Wirkstoffe .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Herr Staatssekretär, ich bin, gelinde gesagt, etwas ent-
setzt angesichts dessen, was Sie hier machen . Sie führen
uns bewusst in die Irre – das ist ganz offenbar –, wenn
Sie hier von Beweislastumkehr sprechen und damit völ-
lig verzerren, was in der Frage eigentlich gefragt wurde .
Es ging um etwas völlig anderes . Es ging erstens da-
rum, ob man nicht eine Registrierungspflicht beispiels-
weise von Untersuchungssettings für Studien vor ihrer
Durchführung einführt, um genau dem Missstand vor-
zubeugen, dass Studien erst einmal schön ausprobiert
werden und erst dann, wenn sie sozusagen funktionieren,
durchgeführt und evaluiert werden, sodass die Behörden
die entsprechend schön funktionierenden Studien vorge-
legt bekommen . Dazu haben Sie nichts gesagt . Ich bitte
Sie, dazu jetzt etwas zu sagen .
Zweitens ging es um die Entkopplung der Finanzie-
rung, der Vergabe und der Durchführung solcher Studien .
Je unabhängiger Studien sind, desto besser ist das für uns
alle . Das hat mit Beweislastumkehr überhaupt nichts zu
tun . Ich bitte Sie, dazu Stellung zu nehmen .
Fl
Wir haben ein System der wissenschaftlichen Über-
prüfung bei der Zulassung entsprechender Wirkstoffe
oder Pflanzenschutzmittel. Was Pflanzenschutzmittel an-
geht, fällt das übrigens in den Zuständigkeitsbereich des
BMEL .
Ja, es gibt diese Debatte über die Frage: Welche wis-
senschaftlichen Sicherungen sind zusätzlich einzubauen
im Hinblick darauf, was an Studien gar nicht vorgelegt
wird? Das ist ein sehr alter Streit, wenn es zum Schluss
um die Frage von wissenschaftlichen Bewertungen geht .
Aber ich finde, dass wir zu wissenschaftlich basierten Er-
kenntnissen kommen – wenn Sie sich nur anschauen, was
wir insgesamt an Vorgaben in unseren Prüfungsverfahren
haben! Im Einzelfall kann man diese Erkenntnisse dann
auch wieder anders sehen – dafür habe ich Verständnis –;
aber ich sehe jetzt keinen Anlass dafür, dass wir von
dem System, das wir bei der Risikoprüfung sowohl in
Deutschland wie auch in der EU haben, abgehen .
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .
Wenn Sie so überzeugt sind vom Funktionieren der bis-
herigen Zulassungsverfahren, Herr Staatssekretär, dann
möchte ich Sie fragen, ob Sie gestern beispielsweise das
WDR-Magazin FAKT gesehen haben, in dem berichtet
wurde, dass den Glyphosat-Herstellern die Gelegenheit
geboten wurde, die bereits formulierte, aber noch streng
vertrauliche Entscheidungsvorlage der ECHA bereits vor
der abschließenden Diskussion und Abstimmung schrift-
lich zu kommentieren, und zwar zu einem Zeitpunkt, als
die öffentliche Kommentierungsphase zum Sachverhalt
im Sommer bereits ausgelaufen war . Also, da läuft doch
ordentlich etwas schief .
Herr Staatssekretär, ist das vor diesem Hintergrund
überhaupt gar kein Anlass für das BMUB, die ECHA-Ent-
scheidungsfindung zu überprüfen?
Fl
Mir persönlich ist dieser Bericht gestern Abend im
Fernsehen nicht bekannt . Ich nehme das mit, und ich
glaube, dass wir in der weitergehenden Debatte über
Glyphosat und ähnliche Stoffe auch die Frage weiter er-
örtern werden, nach welchen Kriterien dies in Zukunft
stattfinden wird.
Zu einer Nachfrage hat der Kollege Meiwald das Wort .
Vielen Dank . – Ich glaube, es ist in der Tat notwendig,sich das ganze Zulassungs- und Überprüfungsverfahrennoch einmal wirklich sehr kritisch anzuschauen .Es gibt ein weiteres Totalherbizid, das im Moment zurWiedergenehmigung ansteht und bei dem Ihr Haus unddas Umweltbundesamt an dem Verfahren beteiligt sind .Das ist das Totalherbizid Glufosinat . Es ist letztlich einVorläuferprodukt von Glyphosat . Auch da würde michinteressieren, ob Sie vor dem Hintergrund der nach undnach in die Öffentlichkeit gelangenden Sachverhalte an-streben, dieses Verfahren noch einmal sehr genau unterdie Lupe zu nehmen und sehr kritisch zu schauen, was
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 227 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 29 . März 2017 22817
(C)
(D)
die Industrie vorgibt und was eigentlich die unabhängigeWissenschaft zu diesen Produkten sagt .Fl
Noch einmal, wir sind nicht federführend in diesen
Zulassungsfragen, und ich kann auch die Antwort auf
diese Frage nicht aus dem Ärmel schütteln, weil ich die
Detailkenntnis tatsächlich nicht habe . Ich glaube, dass es
in all diesen Fragen angemessen ist, sich immer die wis-
senschaftlichen Standards anzuschauen . Es gibt dort eine
große Verunsicherung, auch in der Frage, ob dies alles
korrekt abgeht . Die entsprechenden Vorwürfe wurden im
Rahmen der vorhergehenden Frage angesprochen . Die-
sen muss man nachgehen und den Sachverhalt aufklären .
Das halte ich für selbstverständlich .
Natürlich halte ich es auch für selbstverständlich, dass
man diese Abläufe verändert, wenn man zu Erkenntnis-
sen kommt, dass hier wissenschaftliche Standards ver-
letzt werden . Ich habe aber zumindest bisher noch keine
Anhaltspunkte dafür, dass man durch das aktuelle Sys-
tem nicht zu wissenschaftlichen Überprüfungen und zu
einer vernünftigen Risikobewertung kommt .
Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Krischer
das Wort .
Herr Staatssekretär, Sie müssen mir jetzt noch einmal
erläutern, wie das BMUB in der Frage Glyphosat jetzt
weiter agieren will . Sie haben Kritik an der Zulassung
geübt . Ihre Ministerin hat das auch in vielfältiger Art und
Weise getan . Jetzt gibt es eine Bewertung der ECHA .
Heißt das in der Konsequenz, das BMUB übt in Zukunft
an der weiteren Zulassung von Glyphosat keine Kritik
mehr und arbeitet nicht daran, dass dieses Pflanzen-
schutzmittel ersetzt wird?
Fl
Wir haben in der gesamten Debatte deutlich gemacht,
dass das BMUB zuständig ist für die Frage der Auswir-
kungen von Glyphosat auf die Biodiversität und dass die
Frage einer krebserregenden Wirkung von Glyphosat in
der Zuständigkeit des Landwirtschaftsministeriums liegt .
Wir haben, wie Sie wissen, damals bezüglich einer
Gesamtbewertung keine Einigung innerhalb der Bun-
desregierung erzielt, was zu den entsprechenden Aus-
wirkungen auf der europäischen Ebene geführt hat . Das
entsprechende Institut ist nun jüngst zu der Einschätzung
gekommen, dass dieses Mittel nach seiner Auffassung
nicht die Kriterien für eine Einstufung als „krebserre-
gend“ erfüllt, und die EU-Kommission wird demnächst
die Entscheidung treffen . Damit wird das Verfahren
der Legaleinstufung von Glyphosat abgeschlossen . Die
EU-Kommission hat angekündigt, dass sie die Biodiver-
sitätsüberlegungen, die von uns angeregt worden sind,
aufnehmen wird . Das ist für uns ein wichtiger Punkt auf
EU-Ebene .
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des
Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit . – Danke, Herr Staatssekretär .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums für Bildung und Forschung . Die Frage 7 des
Abgeordneten Özcan Mutlu soll schriftlich beantwortet
werden .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung . Die Fragen 8 und 9 des Abgeordneten Uwe
Kekeritz werden schriftlich beantwortet .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärti-
gen Amts . Zur Beantwortung steht der Staatsminister
Michael Roth zur Verfügung .
Ich rufe die Frage 10 des Kollegen Andrej Hunko auf:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die
Auflistung von persönlichen Angaben deutscher Staatsbürge-
gierungsorganisation Mirotworez („Friedensstifter“, https://
psb4ukr .org/criminal/) in der Kategorie „Tschistilischtsche“
, auf der auch die zwei ukrainischen Regierungs-
kritiker Oles Busyna und Oleh Kalaschnikow vor ihrer Ermor-
dung geführt wurden, und welche Schritte hat die Bundesre-
gierung zur Entfernung der Daten der auf der oben genannten
Internetseite aufgelisteten deutschen Staatsbürgerinnen und
Staatsbürger gegenüber der ukrainischen Seite unternommen?
Bitte .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Lieber KollegeHunko, der Bundesregierung ist die Veröffentlichungpersönlicher Daten auf der Webseite einer ukrainischenNichtregierungsorganisation bekannt . Die Bundesregie-rung hat über unsere Botschaft in Kiew unmittelbar nachBekanntwerden der Veröffentlichung im Mai 2016 denVorgang mit verschiedenen ukrainischen Stellen bespro-chen: mit dem Informationsminister, mit dem Innenmi-nister, mit dem Außenministerium . Wir haben das sowohlbilateral besprochen als auch im Rahmen der EU und imG-7-Format . Die G-7-Botschafter haben am 2 . Juni 2016ein Statement veröffentlicht, in dem sie die Offenlegungder persönlichen Daten auf der Webseite scharf kritisie-ren .Das, was wir dort lesen müssen, ist völlig inakzepta-bel, Herr Kollege Hunko . Die Bundesregierung hat diesauch deutlich gemacht . Wir haben noch einmal klarge-stellt: Die Veröffentlichung persönlicher Daten, unteranderem auch von deutschen Staatsangehörigen – dortsind Tausende von Namen aufgelistet –, mit dem Ziel, sieals angebliche Kollaborateure der separatistischen Kräfteim Donbass öffentlich zu brandmarken, ist für uns einschwerwiegender Vorfall und ein Verstoß gegen die in-ternationalen Standards des Datenschutzes .Peter Meiwaldhttps://psb4ukr.org/criminal/https://psb4ukr.org/criminal/
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 227 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 29 . März 201722818
(C)
(D)
Wir haben die Löschung der entsprechenden Datenvon der Webseite gefordert . Der Server ist nicht in derUkraine, sondern andernorts registriert . Wir haben beiunserer Kritik insbesondere die Lage der betroffenenJournalisten in den Mittelpunkt gestellt, indem wir deut-lich gemacht haben, dass die Veröffentlichung dieser Lis-te die Unabhängigkeit von Journalisten verletzt und sie inihrer Tätigkeit nicht nur behindert werden, sondern ganzkonkret gefährdet werden .Auch die Bundeskanzlerin hat dieses Thema zum Ge-genstand eines Telefonates mit dem ukrainischen Präsi-denten Petro Poroschenko gemacht . Darin hat die Bun-desregierung ihrer großen Sorge noch einmal Ausdruckverliehen .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Vielen Dank, Herr Staatsminister Roth, für die sehr
klaren Worte, bezüglich der Webseite . – Ich will das noch
einmal verdeutlichen: „Mirotworez“ heißt „Friedensstif-
ter“ . Das ist ein Wortspiel wie beispielsweise „Peacema-
ker“ für den größten Colt in den USA .
Nach der Veröffentlichung von Daten auf dieser Web-
seite sind zwei regierungskritische Personen in der Ukra-
ine ermordet worden . Dort gibt es eine Rubrik unter dem
Namen „Fegefeuer“ . In dieser Rubrik sind die auch von
Ihnen genannten deutschen Journalisten und Abgeordne-
ten des Deutschen Bundestages mit persönlichen Daten
aufgeführt . Ich bin einer davon . Von daher will ich mich
für die klaren Worte der Einschätzung bedanken .
Ich war im Rahmen einer Parlamentarierreise in Russ-
land und habe versucht, diese Webseite von dort aufzu-
rufen . Das geht nicht . Sie ist dort gesperrt . Von Deutsch-
land kann man sie aufrufen . Wäre das vielleicht eine
Möglichkeit, diesem ungeheuerlichen Vorgang ein Ende
zu bereiten?
Frau Präsidentin! Herr Kollege Hunko, ich hatte be-
reits darauf hingewiesen, dass die Webseite mit diesem
völlig inakzeptablen Inhalt auf einem Server läuft, der
nicht in der Ukraine registriert ist . Die Gesetzeslage in
der Ukraine eröffnet derzeit keine rechtliche Handhabe,
gegen die Initiatoren des Datenlecks einer Nichtregie-
rungsorganisation vorzugehen . Deshalb kann ich Ihnen
nur noch einmal versichern, dass es uns wichtig ist, klar-
zumachen, dass dies völlig inakzeptabel ist . Die damit
verbundene Sorge, die wir auch gegenüber der ukraini-
schen Regierung zum Ausdruck gebracht haben, teilen
im Übrigen die dortige Regierung und ihre verschiede-
nen Vertreterinnen und Vertreter .
Uns ist auch bekannt, dass sowohl ein Parlamentari-
er als auch ein Journalist, die auf dieser Liste aufgeführt
worden sind, ermordet wurden . Allein die große Anzahl
der dort gelisteten Namen macht deutlich, wie schwer-
wiegend dieser Vorgang ist . Ich kann nur hoffen, dass
diese Webseite alsbald gelöscht wird und wir das nicht
mehr lesen müssen . Denn ich kann Ihrer Sorge nur zu-
stimmen: Damit wird das Leben von Menschen konkret
bedroht und die Arbeit von freien Journalisten gefährdet .
Haben Sie eine zweite Nachfrage? – Nein . Die Kolle-
gin Vogler hat aber noch eine Frage .
Herr Staatsminister, wir haben hier vorhin im Zusam-
menhang mit einem anderen Vorgang – da ging es um
den türkischen Nachrichtendienst – sehr viel von Ge-
fährdungsansprachen gehört . Mich würde interessieren,
ob die Bundesregierung vorhat, in irgendeiner Form die
davon Betroffenen, sofern sie deutsche Staatsbürger sind
oder in Deutschland leben, über den Vorgang zu infor-
mieren und ihnen auch Hinweise zu geben, wie sie sich
verhalten können, damit sie nicht noch mehr in Gefahr
geraten . Mich hat es wirklich geschockt, zu hören, dass
der Kollege quasi im Ausland davon erfahren hat, dass
er da gelistet ist, und ich hätte eigentlich erwartet, dass
die Bundesregierung und die Bundesbehörden, wenn sie
von so einem Vorgang Kenntnis haben, die Betroffenen
informieren und warnen .
Ich will noch mal deutlich machen: Es handelt sich
nicht um eine staatliche Webseite . Es ist eine Veröffentli-
chung einer Nichtregierungsorganisation .
Es geht dabei um Tausende von Namen, die gelistet
werden . Deswegen ist die Überprüfung relativ schwierig .
Aber selbstverständlich haben wir ein sehr großes Inte-
resse daran, dass nicht nur Journalistinnen und Journalis-
ten, die die deutsche Staatsbürgerschaft haben, sondern
alle Journalisten, die sich der freien Meinungsäußerung
verpflichtet fühlen und unabhängig recherchieren wol-
len, nicht gefährdet werden . Das gilt in Deutschland, das
gilt in der Europäischen Union, das gilt selbstverständ-
lich auch für das Engagement in der Ukraine oder auch
in Russland .
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Hänsel
das Wort .
Danke . – Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung
denn Kenntnis darüber, wie viele deutsche Staatsbürger
auf dieser Webseite genannt sind?
Frau Präsidentin! Frau Kollegin Hänsel, ich habeschon auf die sehr große Zahl von Namen hingewiesen .Uns ist natürlich bekannt, dass dort auch eine Reihe vondeutschen Journalisten aufgelistet ist . Ich möchte jetztaber nicht hier etwas in den Raum stellen, was ich mög-licherweise nicht einwandfrei belegen kann . Ich vermagderzeit nicht zu sagen, ob wir das Gespräch mit allenPersonen, die auf dieser Liste aufgeführt worden sind,gesucht haben . Ich gehe dieser Frage aber gerne nach .Staatsminister Michael Roth
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 227 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 29 . März 2017 22819
(C)
(D)
Danke, Herr Staatsminister . – Die Fragen 11 und 12
des Kollegen Nouripour sollen schriftlich beantwortet
werden .
Wir kommen zur Frage 13 der Kollegin Hänsel:
bar nach Bekanntwerden der Vorwürfe, Peschmerga-Kräfte
der Barzani-Regierung hätten von Deutschland an
diese gelieferte Waffen gegen Jesiden im Shengal-Gebirge
an der Grenze des Irak zu Syrien eingesetzt, die vorliegen-
plausible Erklärung wurde der Bundesregierung seitens des
Amtes für Außenbeziehungen der Regionalregierung Kurdis-
tan-Irak bzw . des Peschmerga-Ministeriums der Regionalre-
gierung Kurdistan-Irak unter anderem zu dem Filmmaterial
der Nachrichtenagentur ANF sowie dem Fernsehsender Ru-
Bitte, Herr Staatsminister .
Frau Präsidentin! Liebe Frau Kollegin Hänsel, mit die-
sem Thema haben wir uns ja hier im Rahmen der Frage-
stunde, aber auch andernorts parlamentarisch schon sehr
intensiv befasst . Ich kann Ihnen noch einmal versichern:
Wenn wir mit solchen schwerwiegenden Vorwürfen kon-
frontiert werden, ist es für uns natürlich zwingend, diesen
Vorwürfen unmittelbar und eigenverantwortlich nachzu-
gehen . Das hat natürlich die Bundesregierung auch in
dem von Ihnen aufgeworfenen Fall gemacht . Ich möch-
te heute abermals bestätigen, dass der Bundesregierung
auch nach Untersuchung dieser vorliegenden Informatio-
nen keine eigenen Erkenntnisse vorliegen, die die in Ihrer
Frage aufgebrachten Vorwürfe bestätigen würden .
Wir haben die Angelegenheit natürlich auch direkt
mit der kurdischen Regionalregierung besprochen, und
zwar auf Grundlage einer – den diplomatischen Begriff
muss ich jetzt benutzen – gemeinsamen Demarche des
deutschen Generalkonsulats in Erbil und des Komman-
deurs des deutschen Einsatzkontingents im Nordirak am
7 . März dieses Jahres . Auf diese Demarche hin sagte der
Leiter des Amtes für Außenbeziehungen der Regionalre-
gierung Kurdistan-Irak eine vollständige Aufklärung des
Sachverhalts durch den Generalstabschef der Peschmer-
ga zu . Hierauf übermittelte die Regionalregierung dem
Generalkonsulat mit Verbalnote vom 9 . März das Ergeb-
nis der konkreten Untersuchung . Demzufolge seien – ich
zitiere aus der Verbalnote – „keinerlei deutsche Waffen in
irgendeinem Gefecht, außer im Kampf gegen die IS-Ter-
roristen, eingesetzt worden“ .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Danke schön . – Herr Staatsminister, man kann sich
Filmsequenzen aus dem Material der Nachrichtenagentur
ANF und des Fernsehsenders Rudaw auf YouTube an-
sehen, die eindeutig zeigen, dass die kurdischen Pesch-
merga im Nordirak, in Khanasor, G3-Gewehre der Firma
Heckler & Koch verwenden, um gegen Jesiden vorzuge-
hen . Sie sagen, es wurden eigenverantwortliche Recher-
chen betrieben . Meine Frage: Hat die Bundesregierung
dieses Filmmaterial geprüft? Hat die Bundesregierung
selbst alle möglichen Beweise geprüft, und zu welchem
Ergebnis kommt sie?
Frau Präsidentin! Liebe Frau Kollegin Hänsel, Sie
wissen, dass die Ausstattung mit Waffen an eine ent-
sprechende Endverbleibserklärung geknüpft ist . Wenn
wir Zweifel daran haben müssen, dass die Endverbleibs-
erklärung nicht vollständig umgesetzt bzw . respektiert
wird, dann hat das entsprechende Konsequenzen zur Fol-
ge .
Ich habe darauf hingewiesen, dass die Prüfungen
durch die Verantwortlichen der Regionalregierung Kur-
distan-Irak keine Erkenntnisse gebracht haben, dass an
diesen Vorwürfen etwas dran ist . Ich kann Ihnen aber-
mals bestätigen, Frau Hänsel, dass auch durch unsere ei-
genen intensiven Untersuchungen nicht bestätigt werden
kann, dass an diesen schwerwiegenden Vorwürfen etwas
dran ist . Noch einmal: Sie können sich darauf verlassen,
dass wir diesen Vorwürfen eigenständig nachgehen .
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .
Danke schön . – Herr Staatsminister, Sie haben aus der
Verbalnote der Lokalregierung des Nordirak zitiert, in
der versichert wurde, dass keine deutschen Waffen gegen
die Jesiden eingesetzt werden . Ich hätte gerne von Ihnen
gewusst: Welche plausible Erklärung zu diesem Sachver-
halt haben Sie von der Regionalregierung des Nordirak
erhalten? Oder haben Sie selbst herausgefunden, dass
es Filmmaterial gibt, das eindeutig zeigt, dass kurdische
Peschmerga mit G3-Gewehren der Firma Heckler &
Koch jesidische Frauen in Khanasor angreifen?
Frau Präsidentin! Frau Kollegin Hänsel, dies ist nichtder erste schwerwiegende Vorwurf, der öffentlich erho-ben wurde . Es ist nicht das erste Mal, dass die Bundes-regierung diesen Vorwürfen intensiv nachgeht, und es istauch nicht das erste Mal, dass die Bundesregierung fest-stellt, dass an diesen Vorwürfen nichts dran ist .Ich sage es noch einmal: Es liegen uns keine eigenenErkenntnisse vor, und das bedeutet, dass wir den Vor-würfen nachgegangen sind . Ich habe deutlich darauf hin-gewiesen, dass wir nicht nur an die Verantwortung derRegionalregierung appelliert haben, sondern dass wirkonkret nachgehakt haben . Aber wir belassen es nichtbeim Nachfassen, beim Schreiben von Demarchen undbei bilateralen Gesprächen, sondern wir verlassen unsauf die eigenen Informationen . Ich habe Ihnen gegenübernun schon mehrfach deutlich gemacht, dass uns keine ei-http://www.spiegel.de/politik/deutschland/irak-kurden-miliz-kaempft-offenbar-mit-deutschen-waffen-gegen-jesiden-a-1137481.htmlhttp://www.spiegel.de/politik/deutschland/irak-kurden-miliz-kaempft-offenbar-mit-deutschen-waffen-gegen-jesiden-a-1137481.htmlhttp://www.spiegel.de/politik/deutschland/irak-kurden-miliz-kaempft-offenbar-mit-deutschen-waffen-gegen-jesiden-a-1137481.html
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 227 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 29 . März 201722820
(C)
(D)
genen Informationen vorliegen, dass an den Vorwürfenetwas wahr ist .
Die Frage 14 der Kollegin Dağdelen soll schriftlich
beantwortet werden .
Die Frage 15 der Kollegin Dağdelen wurde zurück-
gezogen .
Ich rufe die Frage 16 des Kollegen Hans-Christian
Ströbele auf:
Wird die Bundesregierung ihre Unterstützung der liby-
schen „Einheitsregierung“, die von westlichen Regierungen
eingesetzt und abhängig ist, aber im Land keine Unterstützung
findet und vom libyschen Parlament nicht anerkannt wird,
überdenken und einstellen angesichts dessen, dass die Lage im
Land immer beunruhigender und bald nicht mehr handhabbar
ist sowie die Situation für Hundert-
tausende von Flüchtlingen unerträglich ist, und wird die Bun-
desregierung stattdessen Gespräche mit den Stammesführern,
die in Libyen traditionell und noch heute Anerkennung genie-
ßen, suchen und sich bemühen, Verhandlungen zu initiieren,
weil nach meiner Auffassung nur so eine Chance besteht, eine
Regierung zu bilden, die die Unterstützung weiter Teile der
Bevölkerung erreichen kann?
Bitte, Herr Staatsminister .
Danke, Frau Präsidentin . – Herr Abgeordneter
Ströbele, das Libysche Politische Abkommen war ja
schon mehrfach Gegenstand eines Gesprächs zwischen
uns und auch Gegenstand von Fragestunden . Ich freue
mich darüber, heute noch einmal ein paar Präzisierungen
vornehmen zu können .
Das Libysche Politische Abkommen, von dem schon
mehrfach die Rede war, ist im Dezember 2015 durch we-
sentliche Vermittlung der Vereinten Nationen zustande
gekommen . Es bildet den Rahmen bzw . das Fundament
für den notwendigen politischen Einigungsprozess in Li-
byen und wurde vom Sicherheitsrat der Vereinten Natio-
nen entsprechend indossiert .
Das Abkommen beruht auf einem innerlibyschen Dia-
log, an dem die verschiedensten Akteure beteiligt waren .
Es schließt die Benennung von Mitgliedern des Präsidi-
alrates sowie dessen Vorsitzenden ein, der gleichzeitig
Premierminister der Einheitsregierung ist .
Sie alle wissen um das Engagement der Unterstüt-
zungsmission der Vereinten Nationen in Libyen . Sie ko-
ordiniert die Umsetzung des Abkommens, und wir als
Bundesregierung unterstützen sie dabei . Wir wissen, dass
nur durch ein abgestimmtes Auftreten der internationalen
Gemeinschaft überhaupt Fortschritte bei der Umsetzung
erzielt werden . Eine Reihe wichtiger Umsetzungsschritte
steht noch aus . Das Abkommen ist weiterhin als wesent-
licher Bezugsrahmen anerkannt. Derzeit finden in Liby-
en aber auch Diskussionen darüber statt, ob an diesem
politischen Abkommen nicht Änderungen vorgenommen
werden müssen . Wenn ein entsprechender innerlibyscher
Konsens vorliegt, steht solchen Änderungen nichts im
Wege . Die UN-Mission UNSMIL ist in Kontakt mit den
Vertretern der Kommunen und der Stämme, um diese in
diesen politischen Prozess zu integrieren . Die Bundes-
regierung unterstützt diese Bemühungen der Vereinten
Nationen .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Herr Staatssekretär, wie lange wollen die Bundes-
regierung und die anderen westlichen Regierungen die
derzeitige Situation noch hinnehmen? Sie haben eine
Regierung etabliert bzw . eingesetzt, die nur am Leben
bleibt, weil sie von den westlichen Staaten und ihren
Verbündeten finanziert und militärisch geschützt wird.
Die Bevölkerung akzeptiert diese Regierung ganz offen-
sichtlich nicht . Das dort existierende Parlament weigert
sich bis heute, diese Regierung anzuerkennen . Wann reift
bei Ihnen die Einsicht, dass Sie mal wieder aufs falsche
Pferd gesetzt haben, dass Sie sich nach anderen Leuten
umsehen sollten, die dort vielleicht tatsächlich eine Ein-
heitsregierung bilden könnten?
Frau Präsidentin! Herr Abgeordneter Ströbele, wennsich jemand geirrt haben sollte, dann die gesamte inter-nationale Staatengemeinschaft .
Das Abkommen ist von den Vereinten Nationen indos-siert worden . Weil Sie dazwischengerufen haben, sageich: Dieses Abkommen wird auch weiterhin als wesentli-che Grundlage erachtet, und zwar von Russland, den Ver-einten Nationen, der Europäischen Union, aber auch vonden Nachbarstaaten Ägypten, Tunesien und Algerien .Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass we-sentliche Umsetzungsschritte noch nicht erfolgt sind,beispielsweise die Bestätigung der Regierung, die Ein-leitung einer Verfassungsreform und Neuwahlen . Dassind für uns essenzielle Dinge . Wir berühren hier einenPunkt der Außenpolitik, der internationalen Zusammen-arbeit, an den wir immer wieder stoßen: Wenn wir nachAbschluss eines Verfahrens mit der Umsetzung der Ver-einbarung nicht zufrieden sind, weil wesentliche Schrittenoch ausstehen, stellen wir dann dieses Abkommen völ-lig infrage, versuchen wir also, etwas komplett Neues zuerreichen, oder versuchen wir immer wieder, diejenigenin die Pflicht zu nehmen, die dieses Abkommen mit aufden Weg gebracht haben? Ich könnte Ihnen derzeit eineReihe von Abkommen in Krisenregionen nennen, in de-nen wir eine ähnliche Situation haben .Noch einmal: Auch wir sehen Veränderungsbedarf .Wir sehen Umsetzungsbedarf . Aber derzeit ist dieses Ab-kommen die wesentliche Grundlage für weitere Schritte .Wenn wir das einfach vom Tisch wischten, würde diessicherlich nicht zu mehr Stabilität in Libyen führen .Staatsminister Michael Roth
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 227 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 29 . März 2017 22821
(C)
(D)
Damit haben Sie das Wort zur zweiten Nachfrage .
Herr Staatsminister, also weiter wie bisher ohne Rück-
sicht darauf, dass die Zustände dort immer schlechter
werden . Das stand ja auch in meiner Frage . Dort hatte
ich auf eine entsprechende Meldung verwiesen, aus der
sich dies ergibt .
Könnte es vielleicht sein, dass vom Westen ausgesuch-
te Regierungsmitglieder gerade deshalb von einem stol-
zen Volk wie den Libyern nicht akzeptiert werden? Täte
man nicht besser daran, auf die traditionellen, gewachse-
nen Strukturen in dem Land Rücksicht zu nehmen – wie
übrigens auch in Afghanistan und anderen Ländern – und
mit den Stämmen und Stammesführern zu reden – das
alles sind keine Engel; aber sie haben hohes Ansehen im
Volk – und so zu einer vernünftigen Lösung zu kommen?
Warum weigern Sie sich, dies zu tun?
Frau Präsidentin! Herr Abgeordneter Ströbele, wir
weigern uns überhaupt nicht . Ich habe davon gespro-
chen, dass der derzeitige politische Stillstand für uns
nicht akzeptabel ist . Ich habe darüber hinaus darauf hin-
gewiesen, dass wir uns im Rahmen der internationalen
Gemeinschaft für entsprechende Veränderungen einset-
zen . Wir haben einmal die Regionalinitiative, die von
Ägypten, von Algerien und von Tunesien angestoßen
wurde . Darüber hinaus habe ich darüber berichtet, dass
die UNSMIL-Mission der Vereinten Nationen gerade um
das bemüht ist, was Sie eben eingefordert haben, näm-
lich die Kommunen, aber auch die Stämme in diesen Pro-
zess stärker einzubinden . Denn am Ende des Tages – das
wissen wir alle – werden wir in Libyen nur dann einen
Versöhnungs- und Stabilisierungsprozess, der Aussicht
auf Erfolg hat, erringen können, wenn alle wichtigen Ak-
teure einen Schritt aufeinander zugehen . Davon sind wir
derzeit noch entfernt . Aber die wesentliche Grundlage
bleibt dieses Abkommen . Dieses Abkommen muss dort
umgesetzt bzw . verändert werden, wo sich die Tauglich-
keit in der Praxis nicht bewiesen hat .
Danke, Herr Staatsminister . – Wir sind damit am Ende
des Geschäftsbereichs des Auswärtigen Amtes .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums des Innern . Zur Beantwortung steht der Par-
lamentarische Staatssekretär Dr . Günter Krings zur Ver-
fügung .
Ich rufe die Frage 17 des Kollegen Hans-Christian
Ströbele auf:
Welche Angaben macht die Bundesregierung zu Grund
und Rechtfertigung von Vorsprachen und Warnungen des
Bundesamtes für Verfassungsschutz bei Geldinstituten
in Deutschland wegen der Einrichtung und Unterhaltung von
Konten türkischer Gruppen, Vereine und Institutionen, und
welche Kriterien im Einzelnen legt das BfV bei der Auswahl
der türkischen Gruppierungen zugrunde, vor denen es die
deutschen Geldinstitute warnt?
Bitte, Herr Staatssekretär .
D
Frau Präsidentin! Lieber Herr Kollege Ströbele, viel-
leicht eine kurze Vorbemerkung . Da Sie in einem an-
deren Kontext in der Regierungsbefragung unterstellt
hatten, ich hätte bei einer anderen Beantwortung die Un-
wahrheit gesagt, wäre ich eigentlich versucht gewesen,
das an dieser Stelle zurückzuweisen . Aber da wir eben
schon Gelegenheit hatten, bilateral darüber zu sprechen,
kann ich, glaube ich, darauf verzichten .
Ich will deshalb gleich Ihre Frage beantworten, muss
aber, wenn man so will, Ihnen mit „Fehlanzeige“ antwor-
ten . Denn durch das Bundesamt für Verfassungsschutz
hat es keine Vorsprachen und Warnungen im Zusammen-
hang mit der Einrichtung und Unterhaltung von Konten
türkischer Gruppen, Vereine und Institutionen im Sinne
der Fragestellung gegeben .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Ich bin ja ein bisschen ein gebranntes Kind . Das ist
eine sehr apodiktische und klare Antwort . Können Sie
ausschließen, dass Mitarbeiter des Bundesamtes für
Verfassungsschutz bei deutschen Geldinstituten – ich
will die jetzt nicht nennen – aufgetaucht sind, sich zu
erkennen gegeben haben, erklärt haben, sie hätten gern
gewusst, ob dort Konten beispielsweise bestimmter
Gruppen bestehen, und dann Warnungen ausgesprochen
haben? Können Sie das ausschließen? Haben Sie einmal
beim Bundesamt für Verfassungsschutz nachgefragt?
D
Frau Präsidentin! Lieber Kollege, wenn Sie Fragen
stellen Bezug nehmend auf eine Behörde und auf ihren
Geschäftsbereich, fragen wir natürlich dort nach und
übernehmen ihre Antwort .
Sie haben das in der Nachfrage etwas verkürzt dar-
gestellt . Ich gehe davon aus, dass generell Nachrichten-
dienste im Rahmen ihrer Kompetenzen bei Geldinstitu-
ten nachfragen können . Sie haben sich in Ihrer Frage auf
türkische Gruppierungen und auf entsprechende Hinwei-
se von türkischer Seite, die dort eingegangen sein sollen,
bezogen . Entsprechend dieser Fragestellung – das kann
ich ganz klar sagen – haben wir die nachgeordnete Be-
hörde, die hier genannt worden ist, befragt und die Ant-
wort bekommen, die ich Ihnen gerade wiedergegeben
habe .
Sie haben die Möglichkeit einer zweiten Nachfrage .
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 227 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 29 . März 201722822
(C)
(D)
Warnungen, bei bestimmten Kontoinhabern aufzu-passen, zurückhaltend zu sein und vielleicht Meldungzu machen, wenn etwas Besonderes passiert, sind Ihnennicht bekannt? Besser müsste man „gibt es nicht“ fragen;denn sonst kommt immer die Aussage, dass das mögli-cherweise anderswo im Ministerium bekannt ist .D
Natürlich wird nicht nur eine nachgeordnete Behörde,
sondern auch das Ministerium insgesamt zur Beantwor-
tung solcher Fragen herangezogen . Es gilt, was ich in der
ersten Antwort gesagt habe .
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des
Bundesministeriums des Innern, da die Fragen 18 und
19 der Kollegin Ulla Jelpke, die Fragen 20 und 21 des
Kollegen Volker Beck sowie die Frage 22 des Kollegen
Özcan Mutlu schriftlich beantwortet werden sollen .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums der Finanzen . Die Fragen 23 und 24 des Kolle-
gen Stephan Kühn und die Frage 25 des Kollegen Oliver
Krischer sollen ebenfalls schriftlich beantwortet werden .
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri-
ums für Arbeit und Soziales auf . Die Fragen 26 und 27
der Kollegin Sabine Zimmermann werden schriftlich be-
antwortet .
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft . Zur Be-
antwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin
Dr . Maria Flachsbarth zur Verfügung .
Die Frage 28 des Kollegen Oliver Krischer sowie die
Fragen 29 und 30 des Kollegen Friedrich Ostendorff sol-
len schriftlich beantwortet werden .
Ich rufe die Frage 31 der Kollegin Kathrin Vogler auf:
Mit welchen Lobbyisten aus der Tabakindustrie haben
sich Vertreter der Bundesregierung im Laufe der vergangenen
zwölf Monate getroffen, und was wurde dabei auch hinsicht-
lich eines Tabakwerbeverbots besprochen?
Bitte, Frau Staatssekretärin .
D
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin . – Frau Kollegin
Vogler, zur Beantwortung Ihrer Frage verweise ich auf die
Antwort der Bundesregierung auf Drucksache 18/11368
auf die Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke mit dem
Titel „Tabaklobby und Tabakregulierung“ und insbeson-
dere auf die dortige Vorbemerkung sowie auf die Ant-
wort der Bundesregierung auf Frage 6 .
Mitglieder der Bundesregierung, Parlamentarische
Staatssekretärinnen bzw . Staatssekretäre und beamtete
Staatssekretärinnen bzw . Staatssekretäre der Bundesmi-
nisterien pflegen aufgabenbedingt in jeder Wahlperiode
Kontakte mit einer Vielzahl von Akteuren . Auch unter-
halb der Leitungsebene gab es aufgabenbedingt über die
bisherige Dauer der Wahlperiode dienstliche Kontakte
von Vertreterinnen und Vertretern der Ressorts zu Unter-
nehmen der Tabakwirtschaft .
Nach § 47 Absatz 3, auch in Verbindung mit § 62 Ab-
satz 2 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundes-
ministerien sind zum Beispiel Zentral- und Gesamtver-
bände sowie Fachkreise, die auf Bundesebene bestehen,
bei der Erstellung von Gesetz- und Verordnungsentwür-
fen zu beteiligen . Zu den so hinzuzuziehenden Verbän-
den und Fachkreisen zählen im Tabakbereich Vertreter
aus dem Gesundheitsbereich, von Verbraucherverbän-
den, von Forschungsinstituten und der Wirtschaft .
Die Bundesregierung steht daher grundsätzlich auch
mit Vertretern der Tabakwirtschaft und ihren Verbänden
im Austausch. Eine Auflistung der Gesprächstermine der
vergangenen zwölf Monate befindet sich in der Antwort
auf Frage 6 der zitierten Kleinen Anfrage . Eine Auskunft
über Termine unterhalb der Leitungsebene der Bundes-
ministerien erfolgte nicht .
Der Auflistung kann entnommen werden, ob jeweils
auch die Ausweitung der Werbeverbote für Tabakerzeug-
nisse und elektronische Zigaretten besprochen wurde .
Grundsätzlich wurden hierzu lediglich allgemeine Posi-
tionen ausgetauscht .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin . – Warum ich
nachfrage, liegt auf der Hand . Es gibt aus Ihrem Hause
einen Gesetzentwurf, der aber schon seit längerem in den
Schubladen der Bundesregierung schlummert . Wir fra-
gen uns natürlich, ob es die Möglichkeit geben wird, ihn
noch in dieser Wahlperiode zu beschließen .
Dabei interessiert mich, wie die Bundesregierung
die wirtschaftspolitischen Argumente, die immer wie-
der gegen ein Verbot von Tabakaußenwerbung ins Feld
geführt werden, angesichts der Tatsache bewertet, dass
bis zu 120 000 Menschen jedes Jahr an den Folgen des
Tabakkonsums sterben und dass nach einer Studie des
Deutschen Krebsforschungszentrums aus dem Jahr 2015
ein volkswirtschaftlicher Schaden in Höhe von bis zu
80 Milliarden Euro pro Jahr entsteht . Mich würde inte-
ressieren, wie Sie mit diesen wirtschaftspolitischen Ge-
genargumenten, die von der Wirtschaft vorgetragen wer-
den, umgehen .
Bitte, Frau Staatssekretärin .
D
Frau Kollegin, ich widerspreche Ihrer Aussage, inden Schubladen der Bundesregierung schlummere einGesetzentwurf . Ich will dem entgegensetzen, dass derGesetzentwurf am 17 . Dezember 2015 gegenüber derEU-Kommission notifiziert wurde, das Kabinett in
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 227 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 29 . März 2017 22823
(C)
(D)
der Sitzung am 20 . April 2016 diesen Gesetzentwurfbeschlossen hat, der Bundesrat in seiner Sitzung am17 . Juni 2016 dazu Stellung genommen hat und die Ge-genäußerung der Bundesregierung am 28 . Juni 2016 imKabinett beschlossen wurde . Die Beratungen im Deut-schen Bundestag haben allerdings noch nicht begonnen .So liegt das Verfahren jetzt beim Parlament .
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .
Vielen Dank . – Wenn die Bundesregierung ihre Haus-
aufgaben, wie Sie gerade dargestellt haben, erledigt hat
und allein das Parlament der Hemmschuh ist, dann gebe
ich Ihnen jetzt die Gelegenheit, noch ein bisschen für den
Gesetzentwurf aus Ihrem Hause zu werben, uns zu ver-
mitteln, welche Erkenntnisse die Bundesregierung zur
präventiven Wirkung eines Verbots der Tabakaußenwer-
bung, insbesondere auf Kinder und Jugendliche, hat und
warum es aus Ihrer Sicht wichtig ist, dass wir hier Fort-
schritte machen und nicht mehr das Schlusslicht in Euro-
pa sind, was die Regulierung von Tabakwerbung angeht .
Bitte, Frau Staatssekretärin .
D
Frau Kollegin, die Bundesregierung hat diesen Ge-
setzentwurf vorgelegt . In der Begründung kann aus-
führlich nachgelesen werden, welche Gründe die Bun-
desregierung hatte, diesen Gesetzentwurf in dieser Form
vorzulegen . Es gibt darüber hinaus einen gemeinsamen
Brief der Bundesminister Hermann Gröhe und Christian
Schmidt an die Regierungsfraktionen, der ebenfalls be-
reits das Licht der Öffentlichkeit, insbesondere der Pres-
seöffentlichkeit, erblickt hat . Von daher ist in diesem Zu-
sammenhang alles Notwendige gesagt .
Gleichwohl hat der Kollege Harald Weinberg eine
Nachfrage? – Er zieht sie zurück .
Danke, Frau Staatssekretärin . Damit sind wir am Ende
des Geschäftsbereichs, für den Sie zuständig sind .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums der Verteidigung . Die Fragen 32 und 33 des Kol-
legen Dr . Alexander Neu sollen schriftlich beantwortet
werden .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für Gesundheit .
Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staats-
sekretärin Ingrid Fischbach zur Verfügung .
Ich rufe die Frage 34 der Kollegin Kathrin Vogler auf:
Inwieweit teilt das Bundesgesundheitsministerium die zu
einem möglichen Verbot des Versandhandels rezeptpflichtiger
Medikamente geäußerten verfassungsrechtlichen und europa-
Bitte, Frau Staatssekretärin .
I
Frau Präsidentin, herzlichen Dank . – Frau Kollegin
Vogler, Ihre Frage beantworte ich gerne wie folgt: Die
Frage bezieht sich auf einen Referentenentwurf des Bun-
desministeriums für Gesundheit im Hinblick auf ein Ge-
setz zum Verbot des Versandhandels mit verschreibungs-
pflichtigen Arzneimitteln. Der Meinungsbildungsprozess
innerhalb der Bundesregierung zu diesem Entwurf ist
noch nicht abgeschlossen .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Inzwischen konnten wir auch Pressemitteilungen ent-
nehmen, Frau Staatssekretärin, dass der Meinungsbil-
dungsprozess zu diesem Thema innerhalb der Bundes-
regierung und zwischen den Koalitionsfraktionen noch
nicht abgeschlossen ist . Trotzdem würde mich interes-
sieren, welches Interesse aus Ihrer Sicht der Finanzmi-
nister mit seinem Widerspruch gegen den Referentenent-
wurf verfolgt und warum er den Zugang ausländischer
Kapital gesellschaften zur Arzneimittelversorgung in
Deutschland verteidigt . Denn dies würde doch eine er-
hebliche Minderung der Steuereinnahmen erwarten las-
sen und Arbeitsplätze gefährden, ganz zu schweigen von
der flächendeckenden Präsenzapotheke auch im ländli-
chen Raum .
I
Ich würde Sie bitten, diese Frage an das Bundesminis-
terium der Finanzen zu richten . Wir haben unsere Dar-
stellung deutlich gemacht. Wir befinden uns jetzt in der
Ressortabstimmung . Das heißt, jedes Ressort kann seine
Bedenken vortragen . Dann wird ein Meinungsbildungs-
prozess stattfinden, und dann werden wir auch zu einem
gemeinsamen Ergebnis kommen .
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .
Sie haben ja diesen Meinungsbildungsprozess ange-sprochen . Mich würde interessieren, wie Sie in den letz-ten Sitzungswochen dieses Parlaments mit diesem Mei-nungsbildungsprozess voranschreiten wollen, damit wirnoch in dieser Wahlperiode zum Abschluss eines entspre-chenden Gesetzgebungsverfahrens kommen .Konkrete Fragen: Ist das heute Abend Thema im Ko-alitionsausschuss? Welche Gespräche der unterschiedli-chen Ministerien finden in den nächsten drei sitzungsfrei-en Wochen statt? Können wir damit rechnen, dass es inParl. Staatssekretärin Dr. Maria Flachsbarth
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 227 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 29 . März 201722824
(C)
(D)
der nächsten Sitzungswoche Ende April in dieser Fragehier vorwärtsgeht?I
Ich persönlich habe keine Tagesordnung vorliegen,
aus der hervorgeht, worüber der Koalitionsausschuss
heute Abend spricht . Ich habe heute Morgen im Fernse-
hen Themen gehört – wie Sie wahrscheinlich auch –, ich
kann sie aber weder bestätigen noch widerrufen .
Deswegen werden wir warten, worüber der Koali-
tionsausschuss heute Abend spricht . Morgen sind wir
schlauer, und dann kann ich Ihnen gerne eine Antwort
darauf geben .
Ich rufe die Frage 35 des Kollegen Harald Weinberg
auf:
Wie ist der Stand des Vorhabens des Koalitionsvertrages
zwischen CDU, CSU und SPD, „das Psychotherapeutengesetz
samt den Zugangsvoraussetzungen zur Ausbildung über-
arbeiten“, und bis wann ist mit der Einbringung eines Gesetz-
entwurfs in den Bundestag zu rechnen?
Bitte, Frau Staatssekretärin .
I
Frau Präsidentin, herzlichen Dank . – Herr Kollege
Weinberg, ich beantworte Ihre Frage sehr gerne .
Das Bundesministerium für Gesundheit hat im Okto-
ber 2016 Eckpunkte zur Novellierung der Psychothera-
peutenausbildung vorgelegt und diese zwischenzeitlich
mit den Ländern sowie den psychotherapeutischen und
ärztlichen Verbänden diskutiert . Die Erkenntnisse aus
diesen Gesprächen fließen in die laufende Erarbeitung
eines Arbeitsentwurfs des Gesetzes ein, der im Frühjahr
dieses Jahres vorgelegt werden soll . Zudem hat das BMG
ein Bund-Länder-Begleitgremium installiert .
Neben der Regelung der neuen psychotherapeutischen
Ausbildung in einem Studium ist es auch die Weiterbil-
dung, für die entsprechende Strukturen implementiert
werden müssen . Hinsichtlich der Rahmenbedingungen
für die geplante Weiterbildung hat die Bundespsycho-
therapeutenkammer im März 2017 zwei Finanzierungs-
gutachten veröffentlicht . Eines, das von Walendzik &
Wasem, betrifft den ambulanten Bereich, das andere, das
von Steffen & Blum, betrifft den stationären Bereich .
Derzeit ist das BMG hierüber in Gesprächen mit der
Bundespsychotherapeutenkammer .
Mit der vorgesehenen umfassenden Reform der Psy-
chotherapeutenausbildung werden nach Auffassung des
BMG die in der aktuell bestehenden Ausbildung vor-
handenen Probleme bereinigt . Gleichzeitig wird eine
Ausbildung geschaffen, die ihre Absolventinnen und
Absolventen auf die zukünftigen Herausforderungen der
psychotherapeutischen Versorgung vorbereitet .
Die sorgfältige Vorbereitung, die dieses Projekt erfor-
dert, führt dazu, dass ein Referentenentwurf voraussicht-
lich erst zum Ende dieser Legislaturperiode vorgelegt
werden kann .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Frau Staatssekretärin, verstehe ich Sie richtig, dass
Ende der Legislaturperiode ein Referentenentwurf vor-
gelegt wird, dass wir aber in dieser Wahlperiode kein
Psychotherapeutengesetz sehen werden?
I
Wir werden im Frühjahr dieses Jahres den Arbeits-
entwurf vorlegen . Dann kommt es darauf an, in welcher
Geschwindigkeit wir wirklich wichtige und nachhaltige
Entscheidungen treffen . Wir werden uns die Zeit, die wir
brauchen, auch nehmen, weil wir das den Auszubilden-
den wirklich schuldig sind . Deswegen gehen wir davon
aus, dass der Referentenentwurf erst zum Ende der Le-
gislaturperiode vorgelegt werden kann .
Ihre zweite Nachfrage .
Ich habe noch eine kurze Nachfrage: Bedeutet das in
diesem Fall, dass das Thema erst einmal der Diskontinu-
ität anheimfällt?
I
Wir versuchen, alles, was wir noch in dieser Legisla-
turperiode regeln können, auch zu regeln .
Ich rufe die Frage 36 des Kollegen Harald Weinberg
auf:
Wie ist der Stand des Vorhabens zur Reform des Medizin-
studiums, und bis wann ist mit der Einbringung eines Gesetz-
entwurfs in den Bundestag zu rechnen?
Bitte, Frau Staatssekretärin .
I
Frau Präsidentin! Herr Kollege Weinberg, auch hie-rauf antworte ich Ihnen gerne .Der Masterplan Medizinstudium 2020 soll am31 . März dieses Jahres, also in Kürze, in einer Ab-schlusskonferenz auf Ministerebene beschlossen werden .Die im Masterplan Medizinstudium 2020 vorgesehenenMaßnahmen, die sich auf die rechtlichen Grundlagender medizinischen Ausbildung beziehen, werden in derApprobationsordnung für Ärzte umzusetzen sein, einerMinisterverordnung, die der Zustimmung des Bundesra-tes bedarf . Änderungen in Bundesgesetzen, die durch denKathrin Vogler
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 227 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 29 . März 2017 22825
(C)
(D)
Deutschen Bundestag zu beschließen sind, werden nichterforderlich sein .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Ich habe einfach nur eine Verständnisfrage: Heißt das,
wir haben bezüglich dieser Frage keine Handlungsnot-
wendigkeiten im Bundestag? Werden wir hier also etwas
sehen, was im Wesentlichen über die Ministerrunde und
den Bundesrat auf den Weg gebracht wird?
I
Wir haben den Koalitionsvertrag umgesetzt, und die-
ser Masterplan ist Gegenstand einer Absichtserklärung
des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und
des Bundesministeriums für Gesundheit .
Ihre zweite Nachfrage? – Sie verzichten darauf .
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des
Bundesministeriums für Gesundheit, da die Fragen 37
und 38 der Kollegin Pia Zimmermann schriftlich beant-
wortet werden sollen . – Herzlichen Dank, Frau Staatsse-
kretärin .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für Verkehr und digitale Infrastruktur . Zur Beant-
wortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Enak
Ferlemann zur Verfügung .
Ich rufe die Frage 39 des Kollegen Matthias Gastel
auf:
Was versteht die Bundesregierung in Bezug auf das Per-
sonenbeförderungsgesetz unter dem Begriff „vollständige
Barrierefreiheit“, und welche Konsequenzen zieht die Bun-
desregierung daraus, dass die Aufgabenträger die Umsetzung
einer vollständigen Barrierefreiheit bis zum Jahr 2022 für
Bundesregierung selbst die „zeitgerechte Umsetzung für nicht
Bitte, Herr Staatssekretär .
E
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Lieber Kollege, ich
gebe folgende Antwort: Wie sich aus der gesetzlichen
Regelung ergibt, ist die vollständige Barrierefreiheit
als Zielbestimmung zu verstehen . Außerdem können
im Nahverkehrsplan und durch die Länder Ausnahmen
festgelegt werden . Die Verwirklichung der Barrierefrei-
heit im öffentlichen Nahverkehr hängt maßgeblich von
dem Engagement der Aufgabenträger und Länder ab . Der
Bund unterstützt deren Bemühungen mit Mitteln aus dem
Regionalisierungsgesetz und dem Entflechtungsgesetz.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Herr Staatssekretär, vielen Dank . – Wenn der Bund ein
Gesetz erlässt und dort einen Begriff wie „vollständige
Barrierefreiheit“ einführt, gehe ich schon davon aus, dass
ein Verständnis dessen vorhanden ist, was konkret darun-
ter zu verstehen ist .
Daran füge ich meine erste Nachfrage an: Umfasst der
Begriff der „vollständigen Barrierefreiheit“ aus Sicht der
Bundesregierung beispielsweise auch temporäre Halte-
stellen, reine Schulbushaltestellen und solche für flexible
Bedienungsweisen? Als Beispiele nenne ich Haltestellen,
an denen nur der Nachtbus oder das Anrufsammeltaxi
hält .
E
Herr Kollege, Anlass für die Änderung des PBefG,
also des Personenbeförderungsgesetzes, war die UN-Be-
hindertenrechtskonvention, die die Bundesrepublik
Deutschland unterschrieben hat . In der Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtent-
wicklung des damaligen Deutschen Bundestages, der den
Vorschlag des deutschen Bundesrates aufgegriffen hatte,
wurde die Einführung der vollständigen Barrierefreiheit
unter anderem damit begründet, dass es Ziel sein müs-
se, in einem überschaubaren Zeitraum eine vollständige
Barrierefreiheit zu schaffen . Für die Umsetzung dieses
Zieles solle das Regel-Ausnahme-Prinzip zur Anwen-
dung kommen .
Der Gesetzgeber hat damit keine flächendeckende,
vollständige und ausnahmslose Barrierefreiheit für die
Nutzung des ÖPNV zum Stichtag 1 . Januar 2022 ver-
bindlich vorgeschrieben . Vielmehr ist dem Wortlaut der
Vorschrift und der dazugehörigen Gesetzesbegründung
zu entnehmen, dass der Nahverkehrsplan den Charakter
einer Zielvereinbarung hat, die es den Aufgabenträgern
abverlangt, die erforderlichen Maßnahmen und zeitli-
chen Vorgaben zu benennen, um am 1 . Januar 2022 voll-
ständige Barrierefreiheit erreichen zu können .
Dabei sind sowohl die Unternehmen als auch die Be-
hindertenbeauftragten und Behindertenbeiräte sowie die
Behindertenverbände zu beteiligen . Einzelheiten über
Aufstellung und Inhalt der Nahverkehrspläne regeln die
Länder in eigener Zuständigkeit . Darunter fallen auch die
Punkte, die Sie angesprochen haben .
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .
Vielen Dank . – Herr Staatssekretär, ich schließe einezweite Nachfrage an und komme auf den 15 . Februar2017 zurück, an dem ich Sie bereits zum selben Themabefragt hatte . Es geht um die mündliche Frage 51 vomFebruar dieses Jahres . Dort hatten Sie unter Verweis aufdie erhöhten Regionalisierungsmittel, die Sie in Ihrer ers-Parl. Staatssekretärin Ingrid Fischbach
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 227 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 29 . März 201722826
(C)
(D)
ten Antwort schon angesprochen hatten, ausgeführt – ichzitiere –:Insofern kann ich nicht erkennen, dass eine weitereErhöhung der Mittel dazu dienen würde, dieses Ziel– damit ist die vollständige Barrierefreiheit gemeint –zu erreichen .Der VDV beziffert das Investitionsvolumen, das imBereich „öffentlicher Verkehr“ zur Erreichung diesesZiels benötigt wird, auf etwa 20,5 Milliarden Euro . Dasist ein Betrag, der deutlich über die Erhöhung der Regio-nalisierungsmittel hinausgeht und mit dem natürlich dieKommunen und die Länder sehr stark gefordert werden,um es einmal vorsichtig auszudrücken .Angesichts dieser Zahl, aber auch angesichts desRückstands, den wir in Sachen barrierefreie Mobilitätnoch haben: Halten Sie Ihre Aussage aufrecht, dass eskein finanzielles Problem ist und dass der Bund das Not-wendige getan hat, damit die Länder und die Kommunenin der Lage sind, dieses Ziel bis 2022 tatsächlich umzu-setzen?E
Herr Kollege, die Aussage, die ich damals getroffen
habe, war nicht nur gut; sie ist auch korrekt .
Damit kommen wir zur Frage 40 des Kollegen Gastel:
Wie viel Geld hat die Deutsche Bahn AG aus Mitteln der
Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung in den ein-
zelnen Jahren 2014, 2015 und 2016 jeweils für Maßnahmen
der Barrierefreiheit an Bahnhöfen eingesetzt, und nach wel-
chen Kriterien gibt der Bund Vorgaben bezüglich der Bahn-
Bitte, Herr Staatssekretär .
E
Ich beantworte die Frage wie folgt: Nach Auskunft
der DB Station & Service AG hat das Unternehmen in
den angefragten Jahren Mittel aus der Leistungs- und
Finanzierungsvereinbarung wie folgt investiert: 2014
54,9 Millionen Euro, 2015 55,1 Millionen Euro und
2016 58,9 Millionen Euro .
Im Hinblick auf Bahnsteighöhen an Bahnhöfen gilt
die Regelung des § 13 Absatz 1 der Eisenbahn-Bau- und
Betriebsordnung, EBO: Bei Neubauten oder umfassen-
den Umbauten von Personenbahnsteigen sollen in der
Regel die Bahnsteigkanten auf eine Höhe von 76 Zenti-
meter über Schienenoberkante gelegt werden; Höhen von
unter 38 Zentimeter und über 96 Zentimeter sind unzu-
lässig . Bahnsteige, an denen ausschließlich Stadtschnell-
bahnen halten, sollen auf eine Höhe von 96 Zentimeter
über Schienenoberkante gelegt werden .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Vielen Dank . – Sie haben gerade auf den ersten Teil
der Frage geantwortet, dass die Deutsche Bahn jedes Jahr
etwa 50 Millionen bis 60 Millionen Euro aus den Mit-
teln der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung in die
Hand nimmt, um Bahnsteige aufzuhöhen und die Barrie-
refreiheit der Bahnhöfe zu verbessern . Insgesamt stehen
der Deutschen Bahn aber 3 Milliarden bis 4 Milliarden
Euro pro Jahr aus diesem Topf zu . Es ist also ein sehr
kleiner Teil der Gesamtmittel, die der Bund der Deut-
schen Bahn für Ersatzinvestitionen zur Verfügung stellt .
Jetzt ist meine Frage: Kommt aus Ihrer Sicht als
Bundesregierung die Aufgabe, mehr Barrierefreiheit zu
schaffen und damit allen Menschen Mobilität zu ermög-
lichen, schnell genug voran, wenn die Deutsche Bahn nur
50 Millionen bis 80 Millionen Euro dieser 3 Milliarden
bis 4 Milliarden Euro pro Jahr für diese Aufgabe inves-
tiert? Ich kann noch konkreter fragen: Hat die Barriere-
freiheit im Bereich Bahn überhaupt eine Chance, wenn
es anders als beispielsweise bei den Eisenbahnbrücken
keine Qualitätskennziffern gibt, die die Deutsche Bahn
einhalten muss, um die Zahlung einer Pönale, also Strafe,
zu vermeiden? Es gibt keine vergleichbaren Vorgaben für
das Thema Barrierefreiheit an den Bahnhöfen .
E
Herr Kollege, es gibt auch Kennzahlen für die Bar-
rierefreiheit, gerade auch bei der Höhe der Bahnsteige .
Sie werden mit unterschiedlichen Bewertungen ausge-
wiesen .
Sie fragen, ob es schnell genug vorangeht . Was ist
schon „schnell genug“? Das ist ein sehr dehnbarer Be-
griff . Nach Auffassung des Bundesverkehrsministeriums
kann es gar nicht schnell genug gehen . Aber die Bahn hat
ein Konzept: zuerst die großen Bahnhöfe, dann die mitt-
leren Bahnhöfe, und dann wird entsprechend abgestuft
weiter verfahren .
Das wird so gehandhabt, weil die Frequenz der Ein-,
Aus- und Umsteiger an großen Bahnhöfen um ein Viel-
faches höher ist als an kleinen Bahnhöfen . Es ist logisch:
Für die Reisenden ist es am allerbesten, wenn man mit
den größeren Bahnhöfen beginnt und dann immer wei-
ter abstuft . Wir haben dabei eine Tausenderregelung, das
heißt, auf Bahnhöfen mit unter 1 000 Ein- und Ausstei-
gern wird überhaupt nichts gemacht . Deswegen gibt es
ein Sonderprogramm des Bundesverkehrsministeriums –
das ist Ihnen bekannt –, aus dem mit Bundesmitteln etwa
162 Bahnhöfe zusätzlich barrierefrei umgebaut werden .
Daran sieht man, dass das Bundesverkehrsministerium
sehr daran interessiert ist, die Barrierefreiheit zu errei-
chen .
Wir wünschen uns auch, dass mehr Mittel aus der
LuFV eingestellt werden . Allerdings entscheidet das die
Bahn autonom .
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .Matthias Gastel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 227 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 29 . März 2017 22827
(C)
(D)
Herr Staatssekretär, Sie haben mir bereits das Stich-
wort für meine zweite Nachfrage geliefert, indem Sie die
kleinen Bahnhöfe mit bis zu 1 000 Reisenden angespro-
chen haben . Der Bund hatte dazu ein Förderprogramm
mit zunächst 50 Millionen Euro aufgelegt, das dann auf
80 Millionen Euro aufgestockt wurde .
Meine Frage an Sie ist: Wird es eine Neuauflage die-
ses Förderprogramms geben, und wenn ja, wird dies mit
förderfreundlicheren Kriterien erfolgen? Ich erinnere da-
ran, dass nur dann Mittel zugewiesen werden konnten,
wenn bereits baureife Planungen vorgelegen haben . Das
heißt, es haben in der Regel nur diejenigen profitiert, für
die die Deutsche Bahn bereits baureife Planungen gefer-
tigt hatte . Andere Bahnhöfe, deren Handlungsbedarf ge-
nauso groß oder sogar noch größer war, aber für die keine
baureifen Pläne vorlagen, konnten von Ihrem Programm
nicht profitieren. Wird es ein neues Programm geben,
und wenn ja, mit welchen Kriterien?
E
Es ist schon wundersam: Wir haben gerade ein neues
Programm aufgelegt, dessen Umsetzung noch gar nicht
begonnen wurde, da fragen Sie schon nach einem Nach-
folgeprogramm . Hintergrund der Einschränkungen bei
der Bewilligung ist das ZIP, also das Zukunftsinvestiti-
onsprogramm des Bundes . Dieses Programm ist zeitlich
beschränkt . Wir müssen die Mittel im Rahmen dieser
zeitlichen Beschränkung verbaut haben und nachgewie-
sen haben, wo das geschehen ist . Deswegen konnten nur
Bahnhöfe zum Zuge kommen, die baurechtlich gesehen
schon so weit sind, dass die für sie vorgesehenen Mittel
auch bis zum Auslaufen des ZIP finanziert bzw. verbaut
werden können .
Zusammen mit den Ländern hatten wir dabei eine, wie
ich finde, gute Idee. Die Länder tragen übrigens 50 Pro-
zent der für die Maßnahmen vorgesehenen Mittel . Mithin
beinhaltet das Programm 80 Millionen Euro vom Bund
und 80 Millionen Euro von den Ländern, also insgesamt
160 Millionen Euro . Dabei ist es so, dass während der
ersten Hälfe des Umbaus mit Bundesmitteln und wäh-
rend der zweiten Hälfe mit Landesmitteln gezahlt wird .
Das ist so, um den Zeitraum für die Umsetzung zu ver-
längern . Das Problem ist, dass der Zeitrahmen des ZIP
für Baumaßnahmen eigentlich viel zu eng gestrickt ist .
Deswegen haben wir uns dieser Idee bedient . Von daher
gesehen, müssen wir das erst einmal abarbeiten .
Ob es dann ein Nachfolgeprogramm geben wird, wird
die kommende Bundesregierung entscheiden . Ich würde
immer dafür plädieren; aber dafür muss mich der Wäh-
ler erst wieder in meine Position bringen, damit ich im
Weinberg der Kanzlerin weiterarbeiten darf .
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär .
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Donnerstag, den 30 . März 2017, 9 Uhr,
ein .
Die Sitzung ist geschlossen .
Ich wünsche Ihnen alles Gute für Ihre weiteren Unter-
nehmungen am heutigen Tag .