Protokoll:
18221

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 221

  • date_rangeDatum: 9. März 2017

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 01:40 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/221 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 221. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9. März 2017 Inhalt: Begrüßung der neuen Abgeordneten Angelika Krüger-Leißner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22061 A Wahl des Abgeordneten Christoph Strässer als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland zur Parlamentarischen Versammlung des Europarates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22061 B Wahl der Herren Dr. Reinhard Hauke und Dr. Johann Hinrich Claussen als ordentliche Mitglieder sowie von Herrn Dr. Karl Jüsten und Frau Dr. Petra Bahr als stellvertretende Mitglieder des Stiftungsrats der „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ . . . . . . . 22061 B Wahl von Herrn Burkhard Kleinert als or- dentliches Mitglied des Stiftungsrat der „Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Dikta- tur“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22061 C Wahl des Abgeordneten Dr. Mathias Edwin Höschel als Schriftführer . . . . . . . . . . . . . . . 22061 C Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22061 D Absetzung der Tagesordnungspunkte 45 und 49 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22063 B Zur Entwicklung des deutsch-türkischen Ver- hältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22063 C Tagesordnungspunkt 3: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am 9. März 2017 und zum Vorbereitungstreffen  der 27 Staats- und Regierungschefs für den Jubiläumsgipfel in Rom am 25. März 2017 Dr . Angela Merkel, Bundeskanzlerin . . . . . . . 22064 A Dr . Dietmar Bartsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . 22069 B Thomas Oppermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 22071 B Jan van Aken (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22072 D Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22074 C Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 22078 A Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22080 C Norbert Spinrath (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22081 D Dr . Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22082 C Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22085 A Dr . Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU) . 22085 C Andrej Hunko (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 22086 B Christian Petry (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22087 A Gunther Krichbaum (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 22088 C Michelle Müntefering (SPD) . . . . . . . . . . . . . 22090 A Thomas Dörflinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 22091 A Michael Brand (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 22092 B Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 22094 A Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22097 C Tagesordnungspunkt 4: a) Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Herbert Behrens, Karin Binder, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kündigungsschutz für Miete- rinnen und Mieter verbessern Drucksache 18/11049 . . . . . . . . . . . . . . . . 22094 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017II b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucher- schutz zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Halina Wawzyniak, Frank Tempel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Mietpreisbremse wirkungsvoll ausgestalten Drucksachen 18/9123, 18/10089 . . . . . . . . 22094 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Renate Künast, Hans-Christian Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zusam- menhalt stärken – Mietrecht reformieren Drucksache 18/10810 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22094 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Renate Künast, Luise Amtsberg . weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten Woh- nungsmärkten bei umfassenden Moder- nisierungen Drucksachen 18/8856, 18/11440 . . . . . . . . 22094 D – Zweite und dritte Beratung des von den Ab- geordneten Renate Künast, Christian Kühn (Tübingen), Luise Amtsberg . weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten Woh- nungsmärkten durch die Streichung der Rügepflicht und die Schaffung eines  Auskunftsrechts Drucksache 18/8857, 18/11440 . . . . . . . . . 22094 D Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 22095 A Dr . Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) . . . . . . . . 22100 A Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 22103 C Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22104 C Klaus Mindrup (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22106 A Kai Wegner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 22107 B Nicole Gohlke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 22110 B Dr . Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 22111 A Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22112 B Michael Frieser (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 22113 D Ulli Nissen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22115 C Michael Groß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22116 D Namentliche Abstimmungen . . 22118 A, 22118 B, 22118 C Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . 22121 C, 22123 D, 22126 D Tagesordnungspunkt 5: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbe- schränkungen Drucksachen 18/10207, 18/10650, 18/10924 Nr . 1 .3, 18/11446 . . . . . . . . . . . . 22118 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie – zu dem Antrag der Abgeordneten Michael Schlecht, Klaus Ernst, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Parlaments- statt Ministererlaubnis im Kartell- recht – zu dem Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, Kerstin Andreae, Katja Keul, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Bußgeldumgehung bei Kartell- strafen verhindern – Gesetzeslücke schließen Drucksachen 18/10240, 18/4817, 18/11446 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22119 A Brigitte Zypries, Bundesministerin BMWi . . . 22119 A Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 22120 A Dr . Matthias Heider (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 22129 B Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22131 C Marcus Held (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22132 D Thomas Lutze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 22134 A Hansjörg Durz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 22134 D Martin Dörmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22136 B Axel Knoerig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22137 B Tagesordnungspunkt 56: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines … Ge- setzes zur Änderung des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsa- chen Drucksache 18/11140 . . . . . . . . . . . . . . . . 22138 D Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 III b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Bundesfern- straßengesetzes Drucksache 18/11236 . . . . . . . . . . . . . . . . 22138 D c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Protokoll vom 29. Juni 2016 über die Vorrechte und Immunitäten des Einheitlichen Patentgerichts Drucksache 18/11238 (neu) . . . . . . . . . . . . 22139 A d) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Neuordnung des Rechts zum Schutz vor der schädlichen Wirkung io- nisierender Strahlung Drucksache 18/11241 . . . . . . . . . . . . . . . . 22139 A e) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erstellung gesamtwirt- schaftlicher Vorausschätzungen der Bundesregierung (Vorausschätzungsge- setz – EgVG) Drucksache 18/11257 . . . . . . . . . . . . . . . . 22139 A f) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2016/424 des Europäischen Parla- ments und des Rates vom 9. März 2016 über Seilbahnen und zur Aufhebung der Richtlinie 2000/9/EG (Seilbahndurch- führungsgesetz – SeilbDG) Drucksache 18/11258 . . . . . . . . . . . . . . . . 22139 B g) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Fünf- zehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes Drucksache 18/11276 . . . . . . . . . . . . . . . . 22139 B h) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zum Verbot des Betriebs lauter Güterwagen (Schienenlärmschutzgesetz – SchlärmschG) Drucksache 18/11287 . . . . . . . . . . . . . . . . 22139 B i) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Neuordnung der Eisenbahnun- falluntersuchung Drucksache 18/11288 . . . . . . . . . . . . . . . . 22139 C j) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über das Verfahren für die elektroni- sche Abgabe von Meldungen für Schiffe  im Seeverkehr über das Zentrale Mel- deportal des Bundes und zur Änderung des IGV-Durchführungsgesetzes Drucksache 18/11292 . . . . . . . . . . . . . . . . 22139 C k) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Neustrukturierung des Bundes- kriminalamtgesetzes Drucksache 18/11326 . . . . . . . . . . . . . . . . 22139 C Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu den Entwürfen für eine Durch- führungsverordnung und zwei Durchfüh- rungsbeschlüsse der Europäischen Kom- mission über das Inverkehrbringen von Saatgut zum Anbau der gentechnisch ver- änderten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 (Dokumente SANTE/10702/2016 CIS Rev. 3, SANTE/10704/2016 CIS Rev. 3, SANTE/10703/2016 CIS Rev. 3) hier: Stellungnahme gegenüber der Bun- desregierung gemäß Artikel 23 Ab- satz 3 des Grundgesetzes Keine Zulassung der gentechnisch verän- derten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 für den Anbau in der EU Drucksache 18/11415 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22139 D Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (zur Geschäftsordnung) . . 22140 A Elvira Drobinski-Weiß (SPD) (zur Geschäfts- ordnung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22141 A Tagesordnungspunkt 57: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 19. Februar 2016 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Finnland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhin- derung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen Drucksachen 18/11138, 18/11421 . . . . . . . 22142 A b)–f) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersich- ten 411, 412, 413, 414 und 415 zu Petitio- nen Drucksachen 18/11191, 18/11192, 18/11193, 18/11194, 18/11195 . . . . . . . . . 22142 B Tagesordnungspunkt 6: Wahlvorschläge der Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wahl der Mitglieder des Kura- toriums der Stiftung „Fonds zur Finanzie- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017IV rung der kerntechnischen Entsorgung“ ge- mäß § 4 des Entsorgungsfondsgesetzes Drucksache 18/11406 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22142 C Tagesordnungspunkt 7: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausge- staltung des Strafverfahrens Drucksache 18/11277 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22142 D Christian Lange, Parl . Staatssekretär BMJV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22142 D Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22144 A Dr . Patrick Sensburg (CDU/CSU) . . . . . . . . . 22145 A Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22146 D Bettina Bähr-Losse (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 22148 A Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 22149 A Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Ulle Schauws, Katja Dörner, Beate Müller-Gemmeke, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Für eine wirksame Frauen- und Gleichstellungspolitik in Deutschland Drucksache 18/11413 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22150 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Ulle Schauws, Özcan Mutlu, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wissenschaftsfreiheit fördern, Geschlechterforschung stärken, Gleichstel- lung in der Wissenschaft herstellen Drucksache 18/11412 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22150 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Bildung, Forschung und Tech- nikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Ab- geordneten Nicole Gohlke, Cornelia Möhring, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Geschlechtergerech- tigkeit in der Wissenschaft durchsetzen Drucksachen 18/9667, 18/11447 . . . . . . . . . . . 22150 C Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22150 C Gudrun Zollner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 22152 A Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 22153 D Sönke Rix (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22155 A Dr . Claudia Lücking-Michel (CDU/CSU) . . . 22156 C Marianne Schieder (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 22157 D Tagesordnungspunkt 9: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Arzneimittelver- sorgung in der GKV (GKV-Arzneimittel- versorgungsstärkungs-gesetz – AMVSG) Drucksachen 18/10208, 18/10608, 18/10696 Nr . 1 .5, 18/11449 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22159 B Michael Hennrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 22159 C Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 22160 D Dr . Karl Lauterbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 22161 D Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22162 D Reiner Meier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22163 D Martina Stamm-Fibich (SPD) . . . . . . . . . . . . . 22164 D Thomas Stritzl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 22166 A Tagesordnungspunkt 10: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Pia Zimmermann, Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gute Arbeit  in der Pflege – Perso- nalbemessung in der Altenpflege einführen Drucksachen 18/9122, 18/11347 . . . . . . . . . . . 22167 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Eine Lobby  für  die  Pflege  – Arbeitsbedin- gungen  und  Mitspracherechte  von  Pflege- kräften verbessern Drucksache 18/11414 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22167 D Erwin Rüddel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22168 A Pia Zimmermann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 22169 B Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 22170 C Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22171 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 V Erich Irlstorfer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 22173 A Heike Baehrens (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22174 B Ute Bertram (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 22175 B Tagesordnungspunkt 11: a) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Daten- schutzrechts an die Verordnung (EU) 2016/679 und zur Umsetzung der Richt- linie (EU) 2016/680 (Datenschutz-An- passungs- und -Umsetzungsgesetz EU – DSAnpUG-EU) Drucksache 18/11325 . . . . . . . . . . . . . . . . 22176 B b) Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Frank Tempel, Dr . André Hahn, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Datenschutzrechte der Bürgerinnen und Bürger stärken Drucksache 18/11401 . . . . . . . . . . . . . . . . 22176 C Dr . Thomas de Maizière, Bundesminister BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22176 C Petra Pau (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . 22178 A Gerold Reichenbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 22178 D Dr . Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22180 D Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . 22181 D Marian Wendt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22183 A Tagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Sven-Christian Kindler, Kerstin Andreae, Anja Hajduk, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Öffentliches Vermö- gen erhalten, ehrlich bilanzieren, richtig investieren Drucksache 18/11188 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22183 D Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22184 A Jens Spahn, Parl . Staatssekretär BMF . . . . . . . 22184 D Heidrun Bluhm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22186 C Dennis Rohde (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22187 D Alois Rainer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 22189 B Tagesordnungspunkt 13: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines An- spruchs auf Hinterbliebenengeld Drucksache 18/11397 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22190 B Christian Lange, Parl . Staatssekretär BMJV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22190 C Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) . . . 22191 B Dr . Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU) . . . . . . 22192 C Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22194 A Dr . Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 22195 A Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 22196 B Tagesordnungspunkt 14: Antrag der Abgeordneten Dr . Rosemarie Hein, Sabine Zimmermann (Zwickau), Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion DIE LINKE: Berufsbildungsgesetz no- vellieren – Ausbildung verbessern Drucksache 18/10281 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22197 B Dr . Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . . 22197 C Dr . Thomas Feist (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 22198 B Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22199 B Rainer Spiering (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22200 B Uda Heller (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 22202 B Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung  bewaffneter  deutscher  Streit- kräfte an der EU-geführten Ausbildungs- und Beratungsmission EUTM Somalia Drucksache 18/11273 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22203 C Michael Roth, Staatsminister AA . . . . . . . . . . 22203 D Dr . Alexander S . Neu (DIE LINKE) . . . . . . . . 22205 A Dr . Ralf Brauksiepe, Parl . Staatssekretär BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22206 A Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22207 A Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22208 A Tagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Katharina Dröge, Anja Hajduk, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Globale Investitionen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung gestalten Drucksache 18/11410 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22209 A Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22209 A Johannes Selle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 22210 A Thomas Lutze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 22211 C Dr . Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 22212 B Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017VI Tagesordnungspunkt 17: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu be- reichsspezifischen Regelungen der Gesichts- verhüllung Drucksache 18/11180 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22213 D Tagesordnungspunkt 18: Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz- ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Sigrid Hupach, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Einrichtung einer Kommission beim Bundesministerium der Finanzen zur Evaluierung der Staatsleis- tungen seit 1803 Drucksachen 18/4842, 18/11428 . . . . . . . . . . . 22214 A Tagesordnungspunkt 19: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/52/EU im Städtebaurecht und zur Stärkung des neuen Zusammenlebens in der Stadt Drucksachen 18/10942, 18/11181, 18/11225 Nr . 7, 18/11439 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22214 A Dr . Barbara Hendricks, Bundesministerin BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22214 B Marie-Luise Dött (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 22215 A Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22215 D Florian Pronold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 22216 C Dr . Barbara Hendricks (SPD) . . . . . . . . . . . 22217 A Michael Groß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22217 C Dr . Anja Weisgerber (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 22218 B Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 22219 B Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Christian Kühn (Tü- bingen), Sven-Christian Kindler, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nicht um jeden Preis – Großprojekte im Zeit- und Kostenrahmen realisieren Drucksache 18/8402 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22221 B Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22221 C Christian Haase (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 22222 B Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 22223 C Florian Pronold, Parl . Staatssekretär BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22224 C Florian Oßner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22225 D Tagesordnungspunkt 20: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Share Economy – Wachstumschancen der kollaborativen Wirtschaft nutzen und Herausforderungen annehmen Drucksache 18/11399 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22227 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 10: Antrag der Abgeordneten Dieter Janecek, Kerstin Andreae, Dr . Thomas Gambke, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Share Economy – Ökologische Chancen nutzen und Teilen statt Besitzen unterstützen Drucksache 18/11411 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22227 A Tagesordnungspunkt 21: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Güterkraftver- kehrsgesetzes, des Fahrpersonalgesetzes, des Gesetzes zur Regelung der Arbeitszeit von selbständigen Kraftfahrern, des Stra- ßenverkehrsgesetzes und des Gesetzes über die Errichtung eines Kraftfahrt-Bundesam- tes Drucksachen 18/10882, 18/11431 . . . . . . . . . . 22227 C Tagesordnungspunkt 22: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bun- desregierung: Verordnung zur Neuordnung der Klärschlammverwertung Drucksachen 18/10884, 18/11025 Nr . 2, 18/11443 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22227 D Michael Thews (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22228 A Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 22229 A Michael Thews (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22229 D Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 22230 A Karsten Möring (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 22230 A Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22231 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 VII Tagesordnungspunkt 23: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bevorrechtigung des Carsharing (Carsharinggesetz – CsgG) Drucksache 18/11285 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22232 C Steffen Bilger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22232 D Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22233 D Arno Klare (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22234 C Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22235 C Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22236 B Tagesordnungspunkt 24: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs, des Ju- gendgerichtsgesetzes, der Strafprozessord- nung und weiterer Gesetze Drucksache 18/11272 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22237 C Tagesordnungspunkt 25: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Geset- zes zur Änderung des Sicherheitsüberprü- fungsgesetzes Drucksachen 18/11281, 18/11407 . . . . . . . . . . 22237 C Tagesordnungspunkt 26: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Energie: – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Durchsetzung der Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt, zur Festlegung eines Noti- fizierungsverfahrens für dienstleistungs- bezogene Genehmigungsregelungen und Anforderungen sowie zur Änderung der Richtlinie 2006/123/EG und der Verord- nung (EU) Nr. 1024/2012 über die Ver- waltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt-Informationssystems KOM(2016) 821 endg .; Ratsdok . 5278/17 – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsreglementierun- gen KOM(2016) 822 endg .; Ratsdok . 5281/17 – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Ra- tes über den rechtlichen und operativen Rahmen für die durch die Verordnung ... [ESC Regulation] eingeführte Elektroni- sche Europäische Dienstleistungskarte KOM(2016) 823 endg .; Ratsdok . 5283/17 – zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung einer Elektroni- schen Europäischen Dienstleistungskar- te und entsprechender Verwaltungser- leichterungen KOM(2016) 824 endg .; Ratsdok . 5284/17 hier: Stellungnahme gemäß Protokoll Nr. 2 zum Vertrag von Lissabon (Grundsätze der Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprüfung) Drucksachen 18/11229 A .8 bis A .11, 18/11442 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22238 A Lena Strothmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 22238 B Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22239 D Sabine Poschmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 22240 C Dr . André Hahn (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22241 D Tagesordnungspunkt 27: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/1148 des Europäischen Parlaments und des Ra- tes vom 6. Juli 2016 über Maßnahmen zur Gewährleistung eines hohen gemeinsamen Sicherheitsniveaus von Netz- und Informa- tionssystemen in der Union Drucksache 18/11242 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22242 A Tagesordnungspunkt 28: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung des elektronischen Identitäts- nachweises Drucksache 18/11279 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22242 B Tagesordnungspunkt 30: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Fahndung bei besonderen Gefahrenla- gen und zum Schutz von Beamtinnen und Beamten der Bundespolizei durch den Einsatz von mobiler Videotechnik Drucksachen 18/10939, 18/11282, 18/11438 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22242 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017VIII b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bun- desdatenschutzgesetzes – Erhöhung der  Sicherheit  in  öffentlich  zugängli- chen großflächigen Anlagen und  im öf- fentlichen Personenverkehr durch op- tisch-elektronische Einrichtungen (Videoüberwachungsverbesserungsge- setz) Drucksachen 18/10941, 18/11183, 18/11225 Nr . 8; 18/11435 . . . . . . . . . . . . . 22242 C Günter Baumann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 22242 D Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 22243 D Sebastian Hartmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 22245 A Dr . Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22246 A Marian Wendt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22247 C Tagesordnungspunkt 31: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset- zes zur Änderung des BDBOS-Gesetzes Drucksache 18/11139 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22248 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Irene Mihalic, Matthias Gastel, Anja Hajduk, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Lückenlose BOS-Digitalfunkab- deckung in Bahnhöfen der Deutschen Bahn AG sicherstellen Drucksache 18/11409 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22249 A Tagesordnungspunkt 32: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthaltsrecht- licher Richtlinien der Europäischen Union zur Arbeitsmigration Drucksachen 18/11136, 18/11182, 18/11441 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22249 B Tagesordnungspunkt 33: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammen- hang mit Rechteüberlassungen Drucksache 18/11233 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22249 C Tagesordnungspunkt 34: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Ge- setzes zur Änderung des Kraftfahrzeug- steuergesetzes Drucksache 18/11234 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22249 C Tagesordnungspunkt 35: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Ab- stammung bei heterologer Verwendung von Samen Drucksache 18/11291 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22249 D Tagesordnungspunkt 36: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung raumordnungs- rechtlicher Vorschriften Drucksachen 18/10883, 18/11432 . . . . . . . . . . 22250 A Tagesordnungspunkt 37: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Binnen- schifffahrtsaufgabengesetzes Drucksachen 18/10818, 18/11200 . . . . . . . . . . 22250 B Tagesordnungspunkt 38: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvo- raussetzungen von ärztlichen Zwangsmaß- nahmen und zur Stärkung des Selbstbe- stimmungsrechts von Betreuten Drucksache 18/11240 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22250 C Tagesordnungspunkt 39: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Bauvertragsrechts und zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung Drucksachen 18/8486, 18/11437 . . . . . . . . . . . 22250 C Tagesordnungspunkt 40: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetz- buches – Strafbarkeit von Sportwettbetrug Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 IX und der Manipulation von berufssportli- chen Wettbewerben Drucksachen 18/8831, 18/11445 . . . . . . . . . . . 22250 D Dr . Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 22251 A Dr . André Hahn (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22251 D Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 22252 D Dr . André Hahn (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 22253 A Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22254 A Matthias Schmidt (Berlin) (SPD) . . . . . . . . . . 22254 D Ingo Wellenreuther (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 22255 C Tagesordnungspunkt 41: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Stärkung der nichtfinanziellen  Berichterstattung  der  Unternehmen in ihren Lage- und Kon- zernlageberichten (CSR-Richtlinie-Um- setzungsgesetz) Drucksachen 18/9982, 18/10344, 18/10444 Nr . 1 .6, 18/11450 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22256 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucher- schutz zu dem Antrag der Abgeordneten Renate Künast, Katja Keul, Uwe Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zukunfts- fähige Unternehmensverantwortung – Nachhaltigkeitsberichte wirksam und aussagekräftig ausgestalten – Umset- zung der CSR-Richtlinie Drucksachen 18/10030, 18/11450 . . . . . . . 22256 D Metin Hakverdi (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22256 D Birgit Menz (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 22257 B Dr . Heribert Hirte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 22258 A Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22259 B Dr . Hans-Joachim Schabedoth (SPD) . . . . . . . 22260 B Dr . Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 22261 A Tagesordnungspunkt 42: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 19. Februar 2013 über ein Einheit- liches Patentgericht Drucksachen 18/11137, 18/11451 . . . . . . . 22262 A b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung patent- rechtlicher Vorschriften auf Grund der europäischen Patentreform Drucksachen 18/8827, 18/9238, 18/9596 Nr . 1 .6, 18/11451 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22262 A Tagesordnungspunkt 43: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung der Bewälti- gung von Konzerninsolvenzen Drucksachen 18/407, 18/11436 . . . . . . . . . . . . 22262 C Tagesordnungspunkt 44: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Um- setzung des Rahmenbeschlusses 2008/841/ JI des Rates vom 24. Oktober 2008 zur Be- kämpfung der organisierten Kriminalität Drucksache 18/11275 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22262 D Tagesordnungspunkt 46: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Frak- tionen der CDU/CSU und SPD: Trilatera- le Partnerschaften in der ASEAN-Region stärken – Deutsches Know-how nutzen Drucksachen 18/10651, 18/11226 . . . . . . . . . . 22263 A Tagesordnungspunkt 47: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 19. Mai 2016 zwi- schen der Bundesrepublik Deutschland und dem Obersten Hauptquartier der Alliierten Mächte Europa zur Änderung des Abkom- mens vom 13. März 1967 zwischen der Bun- desrepublik Deutschland und dem Obers- ten Hauptquartier der Alliierten Mächte Europa über die besonderen Bedingungen für die Einrichtung und den Betrieb inter- nationaler militärischer Hauptquartiere in der Bundesrepublik Deutschland Drucksache 18/11280 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22263 B Tagesordnungspunkt 48: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Einführung eines familienge- richtlichen Genehmigungsvorbehaltes für freiheitsentziehende Maßnahmen bei Kindern Drucksache 18/11278 . . . . . . . . . . . . . . . . 22263 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017X b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Corinna Rüffer, Katja Keul, Katja Dörner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung des Bürgerlichen Gesetzbuchs zur Einführung eines gerichtlichen Geneh- migungserfordernisses bei freiheitsbe- schränkenden Maßnahmen gegenüber Kindern Drucksache 18/9804 . . . . . . . . . . . . . . . . . 22263 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22263 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 22265 A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu bereichsspezifi- schen Regelungen der Gesichtsverhüllung (Tagesordnungspunkt 17) . . . . . . . . . . . . . . . . 22265 D Dr. Tim Ostermann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 22265 D Dr. Lars Castellucci (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 22266 C Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 22267 B Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22268 A Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern . . . . . . . . . . . . . 22268 D Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Halina Wawzyniak, Sigrid Hupach, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Einrichtung ei- ner Kommission beim Bundesministerium der Finanzen zur Evaluierung der Staatsleistungen seit 1803 (Tagesordnungspunkt 18) . . . . . . . . . . . . . . . . 22269 C Margaret Horb (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 22269 C Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 22270 C Andreas Schwarz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 22271 A Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 22271 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22272 C Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/52/EU im Städtebaurecht und zur Stärkung des neuen Zusammenlebens in der Stadt (Tagesordnungspunkt 19) . . . . . . . . . . . . . . . . 22273 C Josef Göppel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 22273 C Hans-Werner Kammer (CDU/CSU) . . . . . . . . 22273 D Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Share Economy – Wachstums- chancen der kollaborativen Wirtschaft nut- zen und Herausforderungen annehmen – des Antrags der Abgeordneten Dieter Janecek, Kerstin Andreae, Dr . Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Share Economy – Ökologische Chancen nutzen und Teilen statt Besitzen unterstüt- zen (Tagesordnungspunkt 20 und Zusatztagesord- nungspunkt 10) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22274 A Hansjörg Durz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 22274 B Axel Knoerig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 22275 C Matthias Ilgen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22276 A Dr. Hans-Joachim Schabedoth (SPD) . . . . . . . 22276 C Klaus Ernst (DIE LINKE): . . . . . . . . . . . . . . . 22277 B Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22278 B Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes, des Fahrperso- nalgesetzes, des Gesetzes zur Regelung der Arbeitszeit von selbständigen Kraftfahrern, des Straßenverkehrsgesetzes und des Gesetzes über die Errichtung eines Kraftfahrt-Bundes- amtes (Tagesordnungspunkt 21) . . . . . . . . . . . . . . . . 22279 B Karl Holmeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 22279 C Oliver Wittke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 22280 B Udo Schiefner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22281 A Thomas Lutze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 22282 A Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22282 D Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 XI Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugendgerichtsgesetzes, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetze (Tagesordnungspunkt 24) . . . . . . . . . . . . . . . . 22283 D Dr. Silke Launert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 22283 D Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) . . . . . . . . . 22284 D Dr. Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . . . 22285 D Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22286 B Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22287 B Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22288 B Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 25) . . . . . . . . . . . . . . . . 22289 A Clemens Binninger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 22289 A Susanne Mittag (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22289 D Dr. André Hahn (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22290 D Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22291 D Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22292 C Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/1148 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6 . Juli 2016 über Maßnahmen zur Gewährleistung eines hohen gemeinsamen Sicherheitsniveaus von Netz- und Informationssystemen in der Union (Tagesordnungspunkt 27) . . . . . . . . . . . . . . . . 22293 C Clemens Binninger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 22293 D Gerold Reichenbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 22294 C Martina Renner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22295 C Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22296 A Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22297 B Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung des elektronischen Identitätsnachweises (Tagesordnungspunkt 28) . . . . . . . . . . . . . . . . 22297 D Heinrich Zertik (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 22297 D Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD) . . . . . . . . 22299 B Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 22300 C Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22301 B Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22302 C Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des BDBOS-Gesetzes – des Antrags der Abgeordneten Irene Mihalic, Matthias Gastel, Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Lückenlose BOS-Digitalfunkabdeckung in Bahnhöfen der Deutschen Bahn AG sicherstellen (Tagesordnungspunkt 31 und Zusatztagesord- nungspunkt 11) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22303 A Marian Wendt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22303 B Gerold Reichenbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 22303 D Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 22305 A Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22305 D Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22306 D Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung auf- enthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäi- schen Union zur Arbeitsmigration (Tagesordnungspunkt 32) . . . . . . . . . . . . . . . . 22307 C Andrea Lindholz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 22307 C Nina Warken (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 22308 B Sebastian Hartmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 22309 B Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 22310 B Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22310 D Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017XII Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rech- teüberlassungen (Tagesordnungspunkt 33) . . . . . . . . . . . . . . . . 22311 C Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU) . . . . . . . 22311 C Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . 22312 B Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22313 D Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22314 C Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22315 C Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Ände- rung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (Tagesordnungspunkt 34) . . . . . . . . . . . . . . . . 22316 B Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 22316 C Andreas Schwarz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 22317 C Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 22318 A Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22318 C Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22319 C Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung bei he- terologer Verwendung von Samen (Tagesordnungspunkt 35) . . . . . . . . . . . . . . . . 22320 C Hubert Hüppe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22320 D Dr. Georg Kippels (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 22321 D Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 22322 C Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 22323 C Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22324 A Anlage16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung raum- ordnungsrechtlicher Vorschriften (Tagesordnungspunkt 36) . . . . . . . . . . . . . . . . 22324 D Alexander Funk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 22324 D Annette Sawade (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22326 A Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 22326 C Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22327 A Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes (Tagesordnungspunkt 37) . . . . . . . . . . . . . . . . 22327 D Hans-Werner Kammer (CDU/CSU) . . . . . . . . 22328 A Matthias Lietz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22328 B Gustav Herzog (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22329 A Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22329 C Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22330 B Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stär- kung des Selbstbestimmungsrechts von Be- treuten (Tagesordnungspunkt 38) . . . . . . . . . . . . . . . . 22330 D Dr. Silke Launert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 22331 A Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU) . . . . 22331 D Dr. Matthias Bartke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 22333 A Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22334 B Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22335 A Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22335 C Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Bau- vertragsrechts und zur Änderung der kauf- rechtlichen Mängelhaftung (Tagesordnungspunkt 39) . . . . . . . . . . . . . . . . 22336 B Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU) . . . . . . 22336 B Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 22338 B Dr. Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . . . 22339 A Sabine Poschmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 22339 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 XIII Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 22340 A Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22340 C Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Über- einkommen vom 19 . Februar 2013 über ein Einheitliches Patentgericht – des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpas- sung patentrechtlicher Vorschriften auf Grund der europäischen Patentreform (Tagesordnungspunkt 42 a und b) . . . . . . . . . . 22341 C Sebastian Steineke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 22341 C Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 22342 B Christian Flisek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22342 D Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) . . . 22343 C Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22344 A Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen (Tagesordnungspunkt 43) . . . . . . . . . . . . . . . . 22345 A Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 22345 A Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 22348 A Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) . . . . . . . . . . . . 22348 C Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22349 B Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . 22350 A Anlage 22 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Umsetzung des Rah- menbeschlusses 2008/841/JI des Rates vom 24 . Oktober 2008 zur Bekämpfung der organi- sierten Kriminalität (Tagesordnungspunkt 44) . . . . . . . . . . . . . . . . 22351 A Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) . . . . . . . . . 22351 A Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 22352 C Bettina Bähr-Losse (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 22353 B Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 22354 A Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22354 C Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22355 B Anlage 23 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusam- menarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Trilatera- le Partnerschaften in der ASEAN-Region stär- ken – Deutsches Know-how nutzen (Tagesordnungspunkt 46) . . . . . . . . . . . . . . . . 22356 A Jürgen Klimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 22356 A Stefan Rebmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22357 B Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22357 D Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22358 C Anlage 24 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 19 . Mai 2016 zwischen der Bundesrepu- blik Deutschland und dem Obersten Haupt- quartier der Alliierten Mächte Europa zur Än- derung des Abkommens vom 13 . März 1967 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Obersten Hauptquartier der Alliierten Mächte Europa über die besonderen Bedin- gungen für die Einrichtung und den Betrieb internationaler militärischer Hauptquartiere in der Bundesrepublik Deutschland (Tagesordnungspunkt 47) . . . . . . . . . . . . . . . . 22359 C Julia Obermeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 22359 C Matthias Ilgen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22360 B Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 22361 A Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22361 C Markus Grübel, Parl. Staatssekretär BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22362 B Anlage 25 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Einfüh- rung eines familiengerichtlichen Genehmi- gungsvorbehaltes für freiheitsentziehende Maßnahmen bei Kindern – des von den Abgeordneten Corinna Rüffer, Katja Keul, Katja Dörner, weiteren Abge- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017XIV ordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bürger- lichen Gesetzbuchs zur Einführung eines gerichtlichen Genehmigungserfordernisses bei freiheitsbeschränkenden Maßnahmen gegenüber Kindern (Tagesordnungspunkt 48 a und b) . . . . . . . . . . 22362 D Dr. Silke Launert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 22363 A Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) . . 22363 D Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22364 D Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22365 C Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV . . . 22366 B Anlage 26 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Astrid Grotelüschen (CDU/CSU) zu der na- mentlichen Abstimmung über den von den Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Renate Künast, Luise Amtsberg, weiteren Ab- geordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten Wohnungsmärkten bei umfas- senden Modernisierungen (Zusatztagesordnungspunkt 4) . . . . . . . . . . . . 22366 D (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22061 221. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9. März 2017 Beginn: 9 .00 Uhr
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    4) Anlage 25 Vizepräsidentin Claudia Roth (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22265 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Albsteiger, Katrin CDU/CSU 09 .03 .2017 Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 09 .03 .2017 Beermann, Maik CDU/CSU 09 .03 .2017 Binder, Karin DIE LINKE 09 .03 .2017 Böhmer, Dr . Maria CDU/CSU 09 .03 .2017 Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 09 .03 .2017 Dröge, Katharina * BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 09 .03 .2017 Ehrmann, Siegmund SPD 09 .03 .2017 Fischer (Hamburg), Dirk CDU/CSU 09 .03 .2017 Gabriel, Sigmar SPD 09 .03 .2017 Hasselfeldt, Gerda CDU/CSU 09 .03 .2017 Katzmarek, Gabriele SPD 09 .03 .2017 Kühn-Mengel, Helga SPD 09 .03 .2017 Kunert, Katrin DIE LINKE 09 .03 .2017 Lerchenfeld, Philipp Graf CDU/CSU 09 .03 .2017 Leutert, Michael DIE LINKE 09 .03 .2017 Leyen, Dr . Ursula von der CDU/CSU 09 .03 .2017 Marks, Caren SPD 09 .03 .2017 Mosblech, Volker CDU/CSU 09 .03 .2017 Nahles, Andrea SPD 09 .03 .2017 Röspel, René SPD 09 .03 .2017 Rüffer, Corinna BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 09 .03 .2017 Rüthrich, Susann * SPD 09 .03 .2017 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Sarrazin, Manuel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 09 .03 .2017 Schlecht, Michael DIE LINKE 09 .03 .2017 Schmidt, Dr . Frithjof BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 09 .03 .2017 Schulte, Ursula SPD 09 .03 .2017 Strebl, Matthäus CDU/CSU 09 .03 .2017 Veit, Rüdiger SPD 09 .03 .2017 Vogt, Ute SPD 09 .03 .2017 Wagenknecht, Dr . Sahra DIE LINKE 09 .03 .2017 Wawzyniak, Halina DIE LINKE 09 .03 .2017 Weber, Gabi SPD 09 .03 .2017 Wöllert, Birgit DIE LINKE 09 .03 .2017 Zdebel, Hubertus DIE LINKE 09 .03 .2017 *aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zu bereichsspe- zifischen Regelungen der Gesichtsverhüllung  (Ta- gesordnungspunkt 17) Dr. Tim Ostermann (CDU/CSU): Wir alle haben den großen Zuzug von Menschen nach Deutschland in den letzten Jahren erlebt und erleben ihn auch derzeit noch . Unter ihnen sind viele von Krieg, Flucht und Verfolgung betroffene Menschen, aber auch nicht wenige, die allein aus wirtschaftlichen Gründen zu uns kommen . Nach ih- rer Ankunft ist dann nicht immer sofort klar, wer über- haupt hier bleiben darf und wer nicht, und es ist nicht klar, wie lange die Menschen bleiben werden . Eines ist für mich jedoch glasklar: Alle Menschen, die sich in Deutschland aufhalten, müssen sich an unsere Gesetze, an unsere Regeln halten . Dabei ist es mir be- wusst, dass nicht alle Menschen, die herkommen, sofort alle unsere kulturellen, größtenteils ungeschriebenen Re- geln kennen und unmittelbar befolgen können . Es gibt Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722266 (A) (C) (B) (D) jedoch einige Regeln, die für unsere Gesellschaft zentral und wichtig sind . Hier genügt es nicht, einfach darauf zu hoffen, dass mit der Zeit ein gewisser Integrationseffekt entsteht und die Menschen sich den Regeln anpassen . Stattdessen müssen wir diesen zentralen Regeln auch per Gesetz Geltungskraft verleihen Das Gebot, Gesicht zu zeigen, gehört für mich zu die- sen zentralen Regeln unseres Landes . Das Verhüllen oder Verschleiern des Gesichts verstößt gegen unsere Grund- werte einer offenen Gesellschaft. Besonders die Burka und die Nikab sind für mich ein unmissverständliches Zeichen dafür, dass sich jemand den Werten unserer Ge- sellschaft entzieht . Nun gehört es zu unserer freien, liberalen Gesell- schaft auch, dass wir die Freiheit des Einzelnen achten . Der Staat sollte und darf den Menschen nur bis zu einem gewissen grundrechtlichen Schutzbereich vorschreiben, wie sie sich zu verhalten haben . In bestimmten Situatio- nen ist der Schutzbereich allerdings eingeschränkt . Dies gilt dann, wenn Personen ein öffentliches Amt ausüben, eine sonstige Tätigkeit für unseren Staat verrichten oder wenn sie sich gegenüber staatlichen Stellen identifizieren müssen . Gerade in diesen Bereichen verstößt es gegen unsere gesellschaftlichen Regeln, sich zu verhüllen, und ich meine, dass wir hier eine gesetzliche Regelung brau- chen, die dieses verbietet . Deshalb ist es gut, dass die Bundesregierung diesen Gesetzentwurf vorgelegt hat . Wir werden uns den Gesetzentwurf im parlamenta- rischen Verfahren noch im Detail anschauen, aber im Grunde legt das Gesetz vor allem zwei Regeln fest, die sehr zu begrüßen sind . Erstens: Bei Ausübung des Diens- tes oder bei einer Tätigkeit mit unmittelbarem Dienstbe- zug darf das Gesicht nicht verhüllt werden . Dies dient der Gewährleistung einer funktionsfähigen Verwaltung und der Erhaltung des Selbstverständnisses unseres demokra- tischen Rechtsstaates . Nur wenn das Gesicht unverhüllt bleibt, ist eine ver- trauensvolle Kommunikation zwischen staatlichen Funk- tionsträgern und Bürgerinnen und Bürgern möglich . Da- bei ist es essenziell, den Beamten und Beamtinnen auch ins Gesicht schauen zu können . Denn Kommunikation kann nur stattfinden, wenn man seinem Gesprächspartner auch ins Gesicht schauen sowie seine Gestik und Mimik sehen kann . Die Sprache allein macht eben nur einen Teil aus . Hinzu kommt, dass die Beamten zur Neutralität ge- genüber den Bürgerinnen und Bürgern verpflichtet sind. Deswegen sollen mit diesem Gesetzentwurf das Bundes- beamtengesetz, das Beamtenstatusgesetz und das Solda- tengesetz geändert werden . Die zweite Regel lautet, dass eine ausweispflichtige Person ihr Gesicht bei einem Lichtbildabgleich in vol- lem Umfang zeigen muss . Dazu wird eine Änderung des Personalausweisgesetzes, des Aufenthaltsgesetzes und des EU-Freizügigkeitsgesetzes nötig . Ebenfalls wird die Bundeswahlordnung geändert, nach der ein fehlender Abgleich des Gesichtes mit dem Ausweispapier zu einer Zurückweisung durch den Wahlvorstand führt . Ich meine, dass dieser Gesetzentwurf eine wichtige Regel unseres Zusammenlebens aufgreift und mit Geset- zeskraft ausstattet . Ich freue mich auf die nun anstehen- den Beratungen im parlamentarischen Verfahren . Dr. Lars Castellucci (SPD): Der vorliegende Ge- setzentwurf regelt vermeintlich eine ganze Reihe von Sachverhalten . Ich darf aus dem Text zitieren: „Durch eine Änderung des Bundesbeamtengesetzes, des Beamtenstatusgesetzes und des Soldatengesetzes wird es Beamtinnen und Beamten sowie Soldatinnen und Soldaten untersagt, bei Ausübung ihres Dienstes oder bei Tätigkeiten mit unmittelbarem Dienstbezug das Gesicht durch Kleidung o . ä . zu verhüllen … Eine Änderung des Bundeswahlgesetzes sieht ein entsprechendes Verbot auch für die Mitglieder der Wahlausschüsse und Wahl- vorstände … vor . Zur Durchsetzung von Identifizierungspflichten wird eine Änderung des Personalausweisgesetzes dahinge- hend vorgenommen, dass die ausweispflichtige Person einen Abgleich mit dem Lichtbild ermöglicht, indem sie ihr Gesicht in dem dem Lichtbild entsprechenden Um- fang zeigt . An die Änderung im Personalausweisgesetz anknüpfend werden Änderungen im Aufenthaltsgesetz und im Freizügigkeitsgesetz/EU vorgenommen, die ebenfalls einen Abgleich mit dem Lichtbild des Identi- fikationspapiers bzw. mit dem des Ankunftsnachweises ermöglichen .“ Und schließlich: „Eine Änderung der Bundeswahlord- nung sieht vor, dass eine Wählerin oder ein Wähler dann vom Wahlvorstand zurückgewiesen werden kann, wenn sie oder er sich nicht ausweist oder die Feststellung ihrer oder seiner Identität durch den Wahlvorstand unmöglich macht und die zur Feststellung ihrer oder seiner Identität erforderliche Mitwirkungshandlung zum Abgleich mit dem Ausweispapier verweigert .“ So weit die verschiedenen Regelungen, die wir in die- sem Gesetz erlassen wollen . Ich habe mich bei der Lektüre des Textes gefragt, wel- che Probleme wir mit dem Gesetz lösen wollen . Denn Recht ist ja ein Entscheidungssystem für soziale Sach- verhalte und Konflikte, die nach materiellen Regeln in einem vorgeschriebenen Verfahren gelöst werden . Die Leistung des Rechts besteht also darin, dass es das Kon- fliktpotenzial „entfesselter” subjektiver Freiheiten durch Gleichheit verbürgende Normen zähmt . Also an dieser Stelle nochmals die Frage: Welche Pro- bleme sollen mit dem Gesetz gelöst werden? Ich selbst kann mich an keinen Fall erinnern, in dem eine Soldatin oder Beamtin mir verschleiert gegenüber- getreten wäre, vielleicht mit Ausnahme des Karnevals . Ich habe aus der Zeitung von dem Fall in Neukölln er- fahren, bei dem eine Referendarin ein Kopftuch tragen wollte und gegen dieses Verbot geklagt hat . Nachdem sie recht bekommen hatte, hat sie die Stelle dann aber doch nicht antreten wollen, soweit ich das mitbekommen habe . Insofern kann ich die Intention des Entwurfs verste- hen, hier Regelungen zu schaffen, die die Neutralität des Staates und seiner Bediensteten klarstellen . Allerdings scheint mir die Fallzahl relativ gering zu sein . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22267 (A) (C) (B) (D) Weiterhin ist mir kein Fall bekannt, bei dem die Wahlvorstände bei Bundestagswahlen verschleiert ihren Dienst verrichtet hätten . Allerdings haben wir in Deutsch- land nach meinen Recherchen rund 60 .000 Stimmbezir- ke, sodass mehrere Hunderttausend Bürgerinnen und Bürger auch in diesem Jahr dankenswerterweise wieder an der Durchführung der Bundestagswahlen mitwirken . Insofern kann eine Klarstellung wohl auch nicht wirklich schaden . Ich finde, ein Problem mit dem Gesetzestext zeigt sich in der Äußerung des Bundesrates und der Erwiderung der Bundesregierung: Der Bundesrat hat an einigen Stellen den Vorschlag gemacht, eine präzisere Formulierung zu wählen . Im Kern geht es mehrfach um den Zusatz „sowie zu ermöglichen, ihr Gesicht mit dem Lichtbild … abzu- gleichen“ . Das sieht die Bundesregierung nicht so, da dies schon im Passgesetz etc . enthalten sei . Und so geht es mir an ganz vielen Stellen des Geset- zestextes: Eigentlich sollte das doch klar sein . Es kann doch niemand auf die Idee kommen, vollverschleiert in die Wahlkabine laufen zu wollen, ohne dass eine kurze Überprüfung stattfindet, ob es sich tatsächlich um den oder die Wahlberechtigte handelt . Alles andere wäre doch absurd . In der Summe stelle ich fest, dass die hier angestreb- ten Änderungen in weiten Teilen selbstverständlich sein müssen . Wenn es dazu noch dieser Klarstellungen be- darf, dann kann man dem auch zustimmen . Ich möchte auf den Anfang meiner Rede zurückkom- men und die Frage, welche Funktion Recht hat . Recht hat nur eine begrenzte Reichweite; zum Beispiel hat das Recht nur einen begrenzten Zugriff auf den privaten Be- reich. Viele Dinge, die wir nicht gut finden müssen, sind rechtlich nicht zu beanstanden . Ich selbst habe auch Probleme mit vollverschleierten Frauen. Ich – ganz persönlich – empfinde das als einen Ausdruck eines Frauenbildes, das ich nicht gut finde. Diese Konflikte werden wir aber nicht durch Gebote und Verbote lösen . Das ist eine gesellschaftliche Aufgabe, die uns alle einschließt und von allen auch eine gewisse Of- fenheit für den Anderen benötigt – eine Tugend, die mir in den letzten Monaten zum Teil etwas in Vergessenheit geraten zu sein scheint . Ulla Jelpke (DIE LINKE): Hinter dem sperrigen Titel „Entwurf eines Gesetzes zu bereichsspezifischen Rege- lungen der Gesichtsverhüllung“ verbirgt sich der Ver- such, ein Problem zu regeln, das gar nicht besteht . Es soll Beamtinnen und Beamten verboten werden, während ihres Dienstes ihr Gesicht zu verhüllen . Auch wenn jeder konkrete Bezug sorgsam vermieden wird, ist doch klar, dass sich der Gesetzentwurf auf muslimische Frauen be- zieht, die eine Vollverschleierung tragen, zum Beispiel einen Nikab oder eine Burka, die oft nicht einmal mehr die Augen freilässt . Mir persönlich ist es unverständlich, warum sich jemand – auch im Namen einer Religion – so eine Kleidung antut . Und wenn eine solche Vollver- schleierung auf den Druck zumeist männlicher Fami- lienmitglieder zurückzuführen ist, dann lehne ich das entschieden ab . Doch um Rechte der Frauen geht es im vorliegenden Gesetzentwurf überhaupt nicht . Vielmehr sorgt sich die Bundesregierung um die „Funktionsfähigkeit der Ver- waltung“ . Sie glauben doch nicht im Ernst, dass diese von der Frage abhängt, ob Beamtinnen oder Beamte eine Gesichtsverhüllung tragen oder nicht? Wenn es Ihnen um eine effektive Verwaltung ginge, dann würden Sie den öffentlichen Dienst nicht kaputtsparen und die Beamten mit sinnlosen bürokratischen Schikanen auf Trab halten . Eine Gesichtsverhüllung stehe einer „vertrauens- vollen Kommunikation der staatlichen Funktionsträger mit den Bürgerinnen und Bürgern“ entgegen, meint die Bundesregierung . Ein Großteil dieser Kommunikation erfolgt heute telefonisch, per Post oder per E-Mail . Ob die Beamtin am anderen Ende der Leitung Nikab oder Minirock trägt, ob sie Christin, Atheistin oder Muslima ist, kann ich da nicht erkennen, und es ist genauso wenig von Interesse für meine Belange . Für eine „vertrauens- volle Kommunikation“ mit einer Behörde ist das gänz- lich egal . Die einzigen mir bekannten Angehörigen des öffent- lichen Dienstes, die ihr Gesicht verhüllen, sind Mitglie- der von Polizeisonderkommandos . Deren Auftreten etwa am Rande von Demonstrationen erscheint mir in der Tat nicht als besonders vertrauensbildende Maßnahme . Ansonsten ist mir kein einziger Fall bekannt, wo eine Beamtin tatsächlich vollverschleiert zum Dienst erschie- nen ist . Auch die Bundesregierung konnte bislang kein praktisches Beispiel für den Nutzen eines solchen Geset- zes beibringen . Somit handelt es sich um ein reines Vor- ratsgesetz, wenn nicht gar um ein rechtlich unzulässiges Einzelfallgesetz . Es bestand bislang keine Notwendig- keit für solch ein Gesetz und ich sehe auch in der Zukunft keine Notwendigkeit dafür . Nur eine winzige Minderheit der in Deutschland le- benden Muslimas trägt einen Nikab oder gar eine Burka . Doch dieses an sich sinnlose Sondergesetz, das faktisch nur gegen Angehörige einer Religionsgemeinschaft ge- richtet ist, wird auch von anderen Muslimen, die für sich persönlich eine Vollverschleierung ablehnen, als Element einer wachsenden Islamfeindschaft verstanden . Mit diesem Gesetzentwurf werden der rechte Rand, die Pegida-Stammtische und das AfD-Klientel bedient . In Sachsen-Anhalt gelang es der AfD bereits, mit ei- nem entsprechenden Antrag die CDU-SPD-Grünen-Re- gierung vor sich her zu treiben . Im Innenausschuss des Landtages einigten sich Koalition und AfD auf einen Antrag, um Gesichtsschleier im öffentlichen Raum – so wörtlich – „zu begrenzen“. Ich bezweifle, dass in ganz Sachsen-Anhalt mehr als eine Handvoll vollverschleier- ter Frauen lebt, und ich bin sicher, dass keine einzige da- von Beamtin ist . Aus so einem Antrag spricht die blanke Hysterie; bedient wird damit zugleich dumpfe Fremden- feindlichkeit . Dass auch die Grünen darauf aufspringen, ist bezeich- nend . Aber was soll man von einer Partei halten, die ihren Restpazifismus bereitwillig opferte, um die Bundeswehr zur Befreiung der afghanischen Frauen von der Burka an den Hindukusch zu schicken? Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722268 (A) (C) (B) (D) Fassen wir also zusammen: Der vorliegende Gesetz- entwurf hat kaum praktische Relevanz; er ist völlig über- flüssig. Doch er ist Wasser auf die Mühlen der Rechts- populisten, und er trägt in völlig unnötiger Weise dazu bei, das allgemeine Klima gegenüber Muslimen weiter zu vergiften . Daher lehnt die Linke dieses Gesetz ab . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist nicht gut gebrüllt; es ist eher Much Ado About Not- hing, was Sie dort zur Gesichtsverhüllung von SEK-Be- amtinnen und Feldjägerinnen veranstalten . Sie sollen fortan Karnevalsmasken nur noch tragen dürfen, wenn es aus gesundheitlichen Gründen erforderlich ist, wohl weil die Karnevalszeit ja leider Gottes nicht selten mit der einen oder anderen Grippewelle zusammenfällt . Das ist sicherlich gesundheitspolitisch lobenswert – wenn auch schlussendlich nicht überzeugend –, hat aber eben wenig mit dem Kampf zur Befreiung der unterdrückten Frau und schon gar nichts mit sinnvoller Terrorbekämp- fung zu tun . Aber genug der Polemik . Wenn dem so ist, dass man auf Grundlage des geltenden Rechts Richterinnen nicht verbieten kann, das Gesicht während der Verhandlung zu verhüllen, nun gut, dann kann man das meinetwegen re- geln . Klare Regeln sind im Rechtsstaat tendenziell richti- ger als juristische Verschwommenheit . Aber müssen wir über diese nichtexistenten Fälle tatsächlich eine mona- telange Debatte führen und dem bayerischen Minister- präsidenten eine bundespolitische Lichtung zum Röhren geben? Das ist doch Irrsinn . Es ist gut, dass die Reden zu diesem Thema heute zu Protokoll gehen; denn ehrlich gesagt kann man sich das alles nicht weiter anhören . Frauen in Burka sind sicherlich kein Anblick, den ich vermissen würde, wenn es ihn nicht mehr gäbe . Dennoch würde ich im Zweifel jeder Frau erst einmal das Recht zubilligen, sich so zu kleiden, wie sie es will . Belege da- für, dass sich Frauen hierzulande gegen ihren Willen in solche Verkleidungen sperren lassen, gibt es nicht . Aber auch wenn: Wie wollen Sie, liebe grauhaarige Verfech- ter der Emanzipation aus der CSU, diese Frauen denn aus ihrer wandelnden Textilhaft befreien, wenn Sie ih- nen faktisch den Zugang zum öffentlichen Raum noch erschweren? Es ist gut, dass die Koalition diesen Forde- rungen nicht nachgegeben hat und Säkularität nicht eben- so falsch versteht wie die parlamentarische Mehrheit in Frankreich, die aus der laizistischen Trennung von Staat und Kirche in dieser Sache ein Instrument der republi- kanischen Unterdrückung selbstgewählter Lebensstile gemacht hat. So schafft man nicht mehr Freiheit, sondern weniger . Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Recht- sprechung zum Kopftuch die positive Religionsfreiheit gestärkt . Der Staat hat demnach nicht zu beurteilen, wel- che Bekleidungsvorschriften jemand aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen für sich als verpflichtend ansieht oder nicht . Pauschale Verbote kann es nach die- sem Urteil nicht mehr geben . Entsprechende Regelungen müssen zudem diskriminierungsfrei erfolgen, also für alle Religionen und Weltanschauungen gleichermaßen gelten . An diesen Leitprinzipien hat sich auch die De- batte um das Verbot von Burka und Nikab zu orientieren . Das Grundgesetz gibt hier zu Recht hohe Hürden vor . Partielle Verbote der Vollverschleierung müssen gut be- gründete Ziele haben . Wir Grünen haben – anders als manch anderer in die- sem Hohen Hause – zur Vorstellung der Kirchen von Geschlechterrollen und zur Sexuallehre kein Blatt vor den Mund genommen . Genauso werden wir auch gegen frauenfeindliche Haltungen im Islam streiten . Burka und Nikab können Ausdruck eines patriarchalischen, frauen- feindlichen Gesellschaftsbilds sein, das wir ablehnen und sind es oft auch . Auch die große Mehrheit der Muslimas und Muslime in Deutschland sieht die derartig weit ge- hende Verhüllung nicht als religiöses Gebot . Aber diese Entscheidung treffen die individuellen Grundrechtsträge- rinnen, also die Frauen selbst, und niemand anders für sie . Wer diesen Frauen dieses Recht von vornherein ab- spricht, befördert im Ergebnis antimuslimische Ressenti- ments und lenkt von den tatsächlich sicherheitspolitisch entscheidenden Maßnahmen ab: von dem Bedarf einer besseren Ausstattung der Polizei, von deutlich verbes- serten Präventionskonzepten . Wer wirklich etwas für die Selbstbestimmung von Frauen tun will, sollte Bera- tungsstellen finanziell fördern, Frauen über ihre Rechte aufklären und ihnen Schutz gewähren, wenn sie in ihrer Freiheit und Selbstbestimmung bedrängt oder bedroht werden – in bundesweit besser finanzierten Frauenhäu- sern zum Beispiel . Summa summarum: Nicht alles, was man falsch fin- det, kann man verbieten . Ich wünsche mir dennoch, dass trotz aller bereichsspezifischer Verbote der Gesichtsver- hüllung die karnevalesken Traditionen aufrechterhalten werden und dass man den Rekruten in den Bundeswehr- kasernen in ihrer Freizeit die kleine Freude des Alltags nicht verwehrt, mit übergezogenen Kopfkissenbezügen Kissenschlachten zu veranstalten . In diesem Sinne ein nachhallendes Alaaf! Und bis gleich! Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister des Innern: Wer sein Gesicht offen zeigt, begeg- net seinen Mitmenschen in Offenheit. Diese Offenheit ist aus meiner Sicht eine Grundfeste unserer gemeinsamen Werteordnung . Ein vollverschleiertes Auftreten in der Öffentlich- keit kommt hingegen einer Ablehnung unserer Werte gleich . Die Vollverschleierung beeinträchtigt daher den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die zwischen- menschlichen Beziehungen . Dem entgegenzuwirken hält im Übrigen auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte für legitim . Denn wenn das Gesicht im Verborgenen bleibt, sind die Möglichkeiten des Kennen- lernens stark eingeschränkt . Das behindert Kommunika- tion, die eben nicht allein aus Worten besteht . Gerade für Menschen, die neu in unser Land kommen und von denen wir zu Recht die Integration verlangen, ist die Vollverschleierung ein Hemmnis . Im Verbergen des Gesichts manifestiert sich geradezu die Ablehnung der aufnehmenden Gesellschaft . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22269 (A) (C) (B) (D) Zu unserer Gesellschaft gehört auch die Gleichbe- rechtigung von Mann und Frau . In meinen Augen ist die Burka ein unerträgliches Symbol der Unterdrückung von Frauen . Eine derart manifestierte Diskriminierung kön- nen wir – auch zum Schutz von jungen Frauen und Mäd- chen – nicht hinnehmen . Ich halte es daher für geboten, dass jeder in der Öffentlichkeit sein Gesicht zeigt. Was für die zwischenmenschlichen Beziehungen all- gemein gilt, muss für das Verhältnis des Staates zu seinen Bürgern erst recht gelten: Vertrauen in das Amt des Be- amten kann nicht entstehen, wenn im Dienst das Gesicht komplett verhüllt ist. Eine offene Kommunikation mit den Bürgern wäre unmöglich und die Integrität des Staa- tes beeinträchtigt . Auch für die vertrauensvolle Zusam- menarbeit der Staatsdiener untereinander ist die offene Kommunikation essenziell . Der Gesetzgeber kann und muss daher zum Schutz der staatlichen Integrität vorausschauend handeln . Wir müs- sen nicht abwarten, bis der Streit um die Vollverschlei- erung im Dienst vor einem Gericht ausgetragen wird . Rechtsstreitigkeiten um religiös motivierte Bekleidung haben in den letzten Jahren zugenommen . Ein frühzeiti- ges Handeln des Gesetzgebers ist daher geboten . Wir senden mit dem Gesetzentwurf daher auch ein klares Signal: Unser Zusammenleben beruht auf Offen- heit. Wer die offene Gesellschaft ablehnt, kann unseren demokratischen Rechtstaat nicht repräsentieren . Klar ist auch: Nicht alles, was wir ablehnen, können wir verbieten . Grundsätzlich steht es jedem frei, sich so zu kleiden, wie es ihr oder ihm gefällt . Dies gilt umso mehr, wenn die Bekleidung unter den Schutz der Religi- onsfreiheit fällt . Dieses Spannungsfeld löst der vorgelegte Gesetzent- wurf umsichtig auf. Denn die Regelungen betreffen nicht jede Gesichtsverhüllung in der Öffentlichkeit. Der Ge- setzentwurf ist vielmehr das Ergebnis einer sorgfältigen Abwägung der betroffenen Rechtskreise. Er beschränkt sich auf die Bereiche, in denen es für die Funktionsfä- higkeit des Staates unabdingbar ist, dass ein Gesicht er- kennbar ist . Dies trifft für Beamte in Bund und Ländern, für Sol- daten sowie für Richter bei Ausübung ihres Dienstes und bei Tätigkeiten mit unmittelbarem Dienstbezug zu . Ent- sprechendes gilt auch für Mitglieder der Wahlausschüsse und Wahlvorstände . Zudem soll dort, wo gesetzliche Identifizierungs- pflichten bestehen, das Zeigen des Gesichts im Bedarfs- fall auch durchgesetzt werden können . Immer dann, wenn Identitätspapiere vorgelegt werden, muss der Abgleich des Lichtbilds mit dem Gesicht der Person möglich sein . Darüber hinaus gibt es weitere Bereiche, in denen ein Verbot der Vollverschleierung aus meiner Sicht ge- boten wäre . Dazu zählen zum Beispiel der Unterricht an Schulen oder die Betreuung in Kindergärten . Hier sind die Länder in der Pflicht, entsprechende Regelungen zu treffen. Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzent- wurf beinhaltet also kein pauschales Verbot dessen, was mir und vielen von uns nicht gefällt . Aber er sendet das starke Signal, dass das Auftreten der staatlichen Reprä- sentanten mit unverhülltem Gesicht für den demokrati- schen Rechtsstaat unabdingbar ist . Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Sigrid Hupach, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Einrichtung einer Kom- mission beim Bundesministerium der Finanzen zur Evaluierung der Staatsleistungen seit 1803 (Tages- ordnungspunkt 18) Margaret Horb (CDU/CSU): Die Fraktion Die Linke ist überraschend traditionsbewusst . So traditionsbewusst sogar, dass sie das Thema Staatsleistungen regelmäßig vor Wahlen auf ihre Agenda setzt . Im Jahr 2012 woll- ten Sie die Staatsleistungen noch ganz abschaffen. Ihre Intention hat sich seitdem nicht geändert und ist immer noch genauso durchschaubar . Sie wollen die Ablösung der Staatsleistungen quasi zum Nulltarif, auch wenn Sie in Ihrem jetzigen Antrag die Einsetzung einer Kommis- sion beim BMF zur Evaluierung der Staatsleistungen seit 1803 vorschieben . Dabei bauen Sie Ihre Argumentation auf der Annahme auf, dass sich die Staatsleistungen über die Jahre verrin- gert hätten . Es seien ja schon sehr lange Zahlungen an die Kirchen geleistet worden . Dabei verstehen Sie jedoch die Situation komplett falsch . Staatsleistungen sind der dauernde Ersatz für den Ausfall wirtschaftlicher Erträge . Die Länder erstatten die Einnahmen, die die Kirchen aus dem enteigneten Besitz erwirtschaftet hätten . Staatsleis- tungen sind somit keine Subventionen und schon gar kei- ne „Ewigkeitsrente“, wie es in Ihrem Antrag heißt . Wer das nicht begriffen hat, der lässt wichtige historische Ge- gebenheiten außer Acht . Man sollte annehmen, dass wir das bereits ausgiebig und verständlich hier im Bundestag klargestellt haben . Klar ist auch, dass wir gemäß Artikel 140 des Grund- gesetzes in Verbindung mit Artikel 138 Absatz 1 der Wei- marer Reichsverfassung einen Verfassungsauftrag haben . Der Bund soll hiernach Rahmenbedingungen schaffen. Der Auftrag lautet aber nicht, den Ländern und Kirchen komplizierte Detailvorgaben überzustülpen . Der Antrag der Linken überschreitet daher die Linie der Zuständig- keit . Besonders kritisch sehe ich die Größe der vorgeschla- genen Evaluierungskommission: „(Kirchen-) Historike- rinnen und (Kirchen-) Historiker, Kirchen- und/oder Ver- fassungsrechtlerinnen und -rechtler, Ökonominnen und Ökonomen sowie Vertreterinnen und Vertreter der Bun- desländer sowie der beiden großen Kirchen“ . Zusätzlich müssten Vertreter der Städte und Kommunen, der Kir- chengemeinden, des Heiligen Stuhls und gegebenenfalls weitere dazukommen . Wenn man alle Beteiligten an ei- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722270 (A) (C) (B) (D) nen Tisch holen sollte, werden das ja mindestens hundert Personen . Und Sie gehen davon aus, dass die zahllosen historisch gewachsenen Besonderheiten der Staatsleis- tungen in jedem einzelnen Bundesland, in jeder Kommu- ne, in jeder Kirchengemeinde in diesem „kleinen“ Kreis effizient und schnell bearbeitet werden können. Das klingt nicht nach einer realistischen Herangehensweise . Was von einem solchen Gremium zu erwarten ist, zeigt ein Blick in die Geschichte . Es gab nämlich in meiner Heimat bereits einen Arbeitskreis, der die Staatsleistun- gen bemessen und prüfen sollte . Im Jahr 1820 wurde von König Wilhelm I . von Württemberg eine „gemeinschaft- liche Kommission“ einberufen, die das Ziel verfolgte, die gerade mal 17 Jahre zuvor erfolgten Enteignungen der evangelischen Kirche abzulösen . Sage und schreibe 98 Jahre später war sie immer noch zu keinem Ergebnis gekommen und wurde mit dem Ende der Monarchie auf- gelöst . Diese Kommission erinnert mich doch stark an den jetzt vorgebrachten Antrag . Liebe Kollegen von der Fraktion Die Linke, auch Ihre Expertenrunde würde frü- hestens am Sankt-Nimmerleins-Tag zu einem Ergebnis kommen – wenn überhaupt . Wie gut die Länder und Kirchen sich einigen können, beweisen zahlreiche Beispiele . Nicht nur Hamburg und Bremen haben Antworten gefunden . Auch in Hessen und Brandenburg wurden Ablösungen vorbildlich durchge- führt . In Baden-Württemberg laufen ebenfalls Gespräche zur Ablösung der Staatsleistungen . Eine Kommission, die sich aus dem fernen Berlin einmischen würde, wäre nur kontraproduktiv . Wie stellen Sie sich das überhaupt in der Praxis vor? Wie sollte eine so heterogene Expertenrunde in Berlin eine Evaluierung beispielsweise für den Kölner Dom, die Heiliggeistkirche in Heidelberg oder die evangelische Kirche in Merchingen-Ravenstein vornehmen? Das kön- nen die Kirchen mit den Ländern besser . Liebe Kollegen der Fraktion Die Linke, ich wieder- hole meinen Vorschlag an Sie vom 15 . April 2016: Ins- tallieren Sie doch eine Kommission zur Evaluierung der Staatsleistungen in Thüringen; denn dort sind Sie seit Jahren in der Regierungsverantwortung . Interessanter- weise hört man aus Erfurt nichts, aber auch gar nichts . Auch hier im Bundestag ist es diesbezüglich still – kein Berichterstattergespräch, keine öffentliche Anhörung, ja, nicht einmal eine Debatte in den beratenden Ausschüssen haben Sie angestoßen . Und das, obwohl wir vonseiten der Regierungskoalitionen sowohl in der vergangenen als auch in der aktuellen Wahlperiode Gesprächsbereitschaft signalisiert und auch konkrete Angebote gemacht haben . Ich habe den Verdacht, dass Sie das Thema regelmäßig vor den Wahlen aus der Schublade holen, einzig und al- lein, um mit populistischen Äußerungen unsere Kirchen zu diskreditieren . Sie, liebe Frau Wawzyniak, sagten es ja selbst in Ihrer Rede vom 15 . April 2016, dass Die Linke mit der Frage, „ob überhaupt noch Staatsleistungen zu zahlen sind“, in den Wahlkampf ziehen sollte . Aber die- ses „linke“ Manöver ist mit uns nicht zu machen! Die Kirchen in unserem Land leisten eine wertvolle und unbezahlbare Arbeit für unser aller Gemeinwohl . Dieser Einsatz für unsere Gesellschaft ist von unschätz- barem Wert, und es ist mir eine Herzensangelegenheit, meine Rede mit dem ausdrücklichen Dank an alle Haupt- und Ehrenamtlichen in unseren Kirchen zu beenden . Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sieht keinen Handlungs- bedarf hinsichtlich der Einsetzung einer Evaluierungs- kommission . Wir werden daher den Antrag ablehnen . Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Staatsleistungen ha- ben ihre Grundlage darin, dass kirchliche Güter im Rah- men der Säkularisierung, namentlich im Reichsdeputa- tionshauptschluss im Jahre 1803, umfangreich enteignet wurden. Diese Güter befinden sich zumeist noch heute in staatlichem Eigentum . Damals übernahmen die Lan- desherren zugleich die Verpflichtung, die Besoldung und Versorgung der Pfarrer – sofern erforderlich – sicherzu- stellen . Es handelt sich also um eine Art von Pachtersatz- leistungen . Diese Staatsleistungen sind durch Artikel 140 des Grundgesetzes mit dem dadurch geltenden Arti- kel 138 Absatz 1 der Weimarer Reichsverfassung verfas- sungsrechtlich verbürgt . Diese Entschädigungszahlungen werden noch heute an die beiden großen Amtskirchen in fast allen Bundesländern – mit Ausnahme von Hamburg und Bremen – erbracht . Sie betragen rund 480 Millionen Euro jährlich . Wir diskutieren heute den Antrag der Fraktion Die Linke, welcher die Einrichtung einer Expertenkommis- sion beim Bundesministerium der Finanzen fordert . Sinn und Zweck dieser Kommission soll sein, den Umfang der enteigneten Kircheneigentümer und der bisher ge- leisteten Entschädigungszahlungen zu evaluieren und zu prüfen . Die Fraktion Die Linke zielt darauf ab, die Ablösesumme der Staatsleistungen zu ermitteln und die Zahlungen der Staatsleistungen somit zu beenden . Mit diesem Vorhaben sind sie zu Recht bereits im Jahr 2012 mit einem ähnlichen Gesetzentwurf gescheitert . Lassen Sie mich kurz erläutern, warum seitens des Bundes kein Anlass besteht, die Initiative zu einer Ab- lösung der Staatsleistungen zu ergreifen . Erstens ist festzustellen, dass der Bund selbst nicht Schuldner der Staatsleistungen ist . Wenn wir die Länder als Träger der Staatsleistungen betrachten, ist ferner zu unterstreichen, dass es diesen freisteht, einvernehmlich mit den Kirchen die Staatsleistungen zu verändern und neue Rechtsgrund- lagen zu schaffen. Eine individuelle Lösung zwischen den Bundesländern und Kirchen zu finden, ist im Rah- men der Länderhoheit die einfachere und sachgerechtere Vorgehensweise . Die Länder haben bislang jedoch nicht erkennen lassen, mit Gesprächen über die Ablösung der Staatskirchenleistungen beginnen zu wollen . Um die Staatsleistungen an die Kirchen abzulösen, ist eine expli- zite Initiative allerdings Grundvoraussetzung . Aus die- sem Grund besteht aktuell erst recht nicht für den Bund die Notwendigkeit, diesbezüglich tätig zu werden . Ich darf noch darauf verweisen, dass auch der Ko- alitionsvertrag keine Maßnahmen in diesem Bereich vorsieht . Das System der Kirchensteuer und des Staats- kirchenrechts hat sich bewährt . Eine Kommission, wie die Fraktion Die Linke sie in ihrem Antrag fordert, ist bürokratisch und verkennt die Gestaltungsautonomie auf Länderebene . Der Antrag der Fraktion Die Linke ist so- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22271 (A) (C) (B) (D) mit abzulehnen . Weder für die Einsetzung einer solchen Kommission noch für den Erlass eines Grundsätzegeset- zes zur Ablösung der Staatsleistungen des Bundes be- steht akuter Handlungsbedarf . Andreas Schwarz (SPD): Wir reden heute über ein altes Thema und über einen diskussionswürdigen An- trag . Bis ins Jahr 1803 müssen wir zurückblicken, um verstehen zu können, worum es hier eigentlich geht . Der Reichsdeputationshauptschluss vom 25 . Februar 1803 hat sicherlich nicht erwartet, dass sich fast auf den Tag genau 214 Jahre später ein gesamtdeutsches Parlament mit dessen Auswirkungen beschäftigen wird . Worum geht es im Einzelnen? Im Jahr 1803 wurden im Rahmen der staatlichen Säkularisierung die Kirchen teilweise ent- eignet . Von Klöstern bis zu ganzen Ländereien . Seither fließen Entschädigungszahlungen des Staates an die Kir- chen, nicht ohne Grund, so zum Beispiel um die Seelsor- ge trotzdem in der ländlichen Region aufrechtzuerhalten . Im Jahr 1919 wurden viele Kirchenrechtsregelungen in die Verfassung der Weimarer Republik aus dem Kaiser- reich übernommen . Aber eben auch, dass die Regelungen zur Kirchenfinanzierung neu verhandelt und neu geord- net werden müssten, und zwar in Artikel 138 Absatz 1 der Weimarer Reichsverfassung . Dieser Auftrag wurde mit Artikel 140 im Jahr 1949 auch ins Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland übernommen . Seither, und das ist doch einigermaßen erstaunlich, ist nichts gesche- hen . Ich möchte nicht verhehlen, dass auch ich glaube, dass wir hier tätig werden müssen . Mit „wir“ meine ich aber nicht zwangsläufig den Bund als Initiator dieser Ini- tiative, sondern am Ende einer notwendigen Kette . Bei der Berechtigung, die diese Debatte sicherlich hat, sind aber auch ein paar sensible Besonderheiten dieses Themas zu beachten . Die Kirchen in unserem Land tra- gen eine nicht hoch genug einzuschätzende Verantwor- tung für das Gemeinwohl in Deutschland . Nicht zuletzt in der Flüchtlingsfrage sind die Kirchen in unserem Land unverzichtbarer Partner einer humanen und menschen- würdigen Flüchtlingspolitik . Die kirchliche Seelsorge gibt den Menschen in unserem Land in einer immer schneller werdenden Welt Halt und Konstanz . Das gilt insbesondere für eine alternde Gesellschaft im ländlichen Raum . Hier ist die Kirche Hort des Zusammenkommens und auch des Gehörtwerdens . Ohne die sozialen und ka- ritativen Leistungen der Kirchen sähe der gesellschaft- liche Zusammenhalt in unserem Land ganz anders aus . Diesen Umstand sollten und dürfen wir bei jeder Debatte über die Finanzierung von Kirchen und Religionsge- meinschaften in unserem Land nie vergessen . Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, wie be- reits in der ersten Debatte zu Ihrem Antrag möchte ich heute auch noch mal betonen, dass wir gar nicht alles völlig abwegig finden, was Sie an Forderungen auffüh- ren . Sie fordern im Wesentlichen vier Punkte . Drei von diesen Punkten können wir etwas abgewinnen . Einem jedoch nicht . Da dieser jedoch der zentrale Punkt des An- trages ist, werden wir den gesamten Antrag leider nicht mittragen können . Ja, Sie fordern nicht zu Unrecht, dass es Zeit wird, den Umfang der Säkularisierungsverluste aus dem Jahr 1803 zu ermitteln . Dann spielt natürlich eine Rolle, wie hoch die Entschädigungszahlen seit dem Jahr 1919 sind. Ich glaube übrigens, dass die Differenz aus beiden Zahlen Sie eher überraschen würde als mich . Und jetzt stoßen wir aber auf das aus meiner Sicht entscheidende Problem . Und ich möchte das auch heu- te nochmals ausführen . In Ihrem Antrag fordern Sie die Einsetzung einer Kommission im Bundesfinanzminis- terium, bestehend aus – ich zitiere – Expertinnen und Experten wie Kirchenhistorikerinnen und Kirchenhisto- rikern, Kirchen- und/oder Verfassungsrechtlerinnen und -rechtlern, Ökonominnen und Ökonomen sowie Vertrete- rinnen und Vertretern der Bundesländer sowie der beiden großen Amtskirchen . Wenn Du nicht mehr weiter weißt, dann gründe einen Arbeitskreis . Ich glaube eine derartig aufgeblähte Kommission wird uns weitere 214 Jahre in der Debatte kosten, bis diese sich auch nur ansatzweise auf ein konkretes Ergebnis einigen könnte . Und, da wie- derhole ich mich nur ungern, wenn sie schon in solch großem Rahmen über Staatsleistungen und deren Zu- kunft diskutieren wollen, dann frage ich mich: wo sind die anderen Religionsgemeinschaften, die von Staatsver- trägen profitieren? Ob es nun die jüdischen Gemeinden in Sachsen-Anhalt oder die in Hamburg lebenden Musli- me und Aleviten sind . Sollen diese nicht an der Debatte beteiligt werden? Nein, ich glaube Sie zäumen das Pferd von hinten auf . Ja, wenn der Verfassungsauftrag erfüllt werden soll, muss der Bund irgendwann gesetzgeberisch tätig wer- den . In welcher Form auch immer . Aber zuvor muss es Gespräche auf viel kleinerer Ebene geben . Die Staats- verträge sind zwischen Bundesländern und Kirchen ge- schlossen und können nur zwischen diesen einvernehm- lich geregelt werden . Einige Bundesländer zahlen sehr viel, andere weniger . Teilweise erfolgen bis auf kom- munale Ebene gar keine Zahlungen mehr . Das bedeutet: Gespräche zwischen Landeskirchen und den jeweiligen Bundesländern und Kommunen sind nötig . Und sowohl Kirchen als auch Länder sind doch dazu bereit . Hier gibt es klare Signale der Gesprächsbereitschaft . Diese sollten aufgenommen werden, und dann freue ich mich auf die Initiative aus den Ländern, die dann etwa Bodo Ramelow anführen kann . Ich traue ihm da vielleicht mehr zu als seine Bundestagsfraktion . Erst danach kann und sollte der Bund tätig werden . Wie unfassbar Komplex diese Gespräche sind, kann ich als ehemaliger Bürgermeister gern mal im Einzelnen berichten, etwa Fragen rund um Unterhalts- und Kirchenbaulastfragen . Aus den genannten Gründen und nicht zuletzt, weil wir uns in einer Koalition befinden, können wir diesem Antrag nicht zustimmen . Christine Buchholz (DIE LINKE): In zwei Jahren wird ein Verfassungsauftrag, die Staatsleistungen an Religionsgemeinschaften betreffend, 100 Jahre alt. Der Artikel 140 unserer Verfassung hat den Artikel 138 der Weimarer Reichsverfassung aus dem Jahr 1919 zum Be- standteil des Grundgesetzes gemacht . Er lautet: „Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst . Die Grundsät- ze hierfür stellt das Reich auf .“ Die Staatsleistungen im Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722272 (A) (C) (B) (D) engen Sinne – altrechtliche Staatsleistungen genannt – liegen gegenwärtig im gesamten Bundesgebiet bei rund 460 Millionen Euro jährlich . Gut Ding will Weile haben, aber 98 Jahre sind eine beachtlich lange Zeit, und deshalb ist aus unserer Sicht die Erfüllung des damals gegebenen Auftrages mehr als überfällig . In der vergangenen Legislaturperiode hatte meine Fraktion einen Gesetzentwurf zur Ablösung der Staats- leistungen vorgelegt, der abgelehnt wurde . Das passiert uns hin und wieder mit unseren Vorschlägen, trotzdem blieb im Ergebnis dieser Ablehnung ein weiterhin nicht eingelöster Verfassungsauftrag . Mit unserem Antrag zur Einrichtung einer Kommission beim Bundesministerium der Finanzen zur Evaluierung der Staatsleistungen seit 1803 haben wir die Hürden für Ihrer aller Zustimmung niedriger gelegt . Wir sehen uns bestätigt, da es in allen Fraktion Stimmen gibt, nach denen die Ablösung der Staatsleistungen endlich in Angriff genommen werden muss . Und auch die beiden großen Kirchen sind bereit, darüber zu verhandeln . Wir sind davon ausgegangen, dass niemand etwas da- gegen vorbringen kann, eine Kommission, bestehend aus Kirchenhistorikerinnen, Kirchen- und Verfassungsrecht- lerinnen, Ökonominnen, Vertreterinnen der Länder und beider großer Amtskirchen einzusetzen, die sich des zu erfüllenden Auftrags annimmt und einen Vorschlag un- terbreitet, wie er konsensual erfüllt werden kann . Die CDU/CSU hat die mögliche Ablösesumme als ein Problem ausgemacht . Und ja, das ist eine Frage, die diskutiert werden muss . Durch Aussitzen kommt man an dem Punkt aber nicht weiter . Und weil es in der Ver- gangenheit immer wieder zu Verwirrungen und falschen Behauptungen geführt hat: Wir reden hier nicht von Sub- ventionen für Religionsgesellschaften zur Unterstützung ihrer Tätigkeit in Bereichen wie Sozialarbeit, Kinder- gärten, Schule, Jugendhilfe, Denkmalpflege. Die Leis- tungen der Kirchen sind hoch zu achten und tragen viel zum Zusammenhalt und friedlichen Zusammenleben in unserer Gesellschaft bei, vor allem auch wenn es um die Unterstützung und Hilfe für sozial benachteiligte Men- schen geht . Lothar Binding von der SPD hat in der ersten Lesung darauf verwiesen, dass dabei nicht die Handlungsfähig- keit der Kirchen auf dem Spiel steht, sondern dass die Summe der Staatsleistungen gerade mal 2 Prozent des Etats für die kirchliche Arbeit ausmacht . Das Ablösungsgebot hat einen guten Grund, ist es doch eine rechtliche Voraussetzung für einen säkularen und bekenntnisneutralen Staat und somit wichtig für die Entflechtung der finanziellen Beziehungen zwischen Staat und Kirche . Man kann mit Fug und Recht sagen, gerade in Zeiten einer weitaus größeren religiösen Viel- falt, als wir sie vor 100 Jahren hierzulande hatten, ver- stößt eine Bevorzugung bestimmter Kirchen gegenüber anderen Bekenntnisgemeinschaften und nichtreligiösen gesellschaftlichen Gruppen gegen das Prinzip der Tren- nung von Staat und Kirche . Und auch im Hinblick auf das Gleichbehandlungsgebot gegenüber allen Religions- gemeinschaften lässt sich auf Ewigkeit und Dauer die Bevorzugung nur zweier von ihnen nicht rechtfertigen . Aber es bleibt die Frage zu klären, inwieweit die Zah- lungen im engeren Sinne heute noch angemessen und zeitgemäß sind . Wir sagen, das sind sie nicht . Wir wol- len aber, dass darüber, ob dies so stimmt oder nicht, eine Expertinnen-kommission befindet. Die Voraussetzungen dafür sind gut, wie gesagt, beide große Kirchen haben mehrfach die Bereitschaft signalisiert, über die Ablösung der Staatsleistungen zu verhandeln . Dem sollte der Deut- sche Bundestag nicht nachstehen . Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ein Jubiläum steht vor der Tür . Es fällt unter die Katego- rie unerledigte Geschäfte . 2019 feiern wir 100 Jahre Verfassungsauftrag zur Ab- lösung der Staatsleistungen an die Kirchen . Weder der Reichstag der Weimarer Republik noch der Bundestag haben bislang ernsthaft Anstrengungen unternommen, dem Auftrag der Verfassung an den Gesetzgeber nach- zukommen . Das ist verfassungspolitisch ein unguter Zu- stand . Wir Grüne wollen den seit 1919 nicht umgesetzten Verfassungsauftrag – zur Ablösung der historischen Staatsleistungen an die großen christlichen Kirchen – endlich entschlossen umsetzen . Die Kirchen erhalten vom Staat bis heute Leistungen als Entschädigung für Enteignungen in der Zeit der Sä- kularisierung . Der grundgesetzliche Auftrag zur Ablö- sung dieser Staatsleistungen ist bislang nicht umgesetzt . Bündnis 90/Die Grünen fordern, dass durch die Bundes- regierung unverzüglich eine Expertenkommission einge- setzt wird, die eine Gesamtübersicht über die Staatsleis- tungen im Sinne des Artikels 138 Absatz 1 der Weimarer Reichsverfassung vom 11 . August 1919 anfertigt und Vorschläge für eine entsprechende Ablösungsgesetzge- bung unterbreitet . Gegenstand der heutigen Beratung sind also die fi- nanziellen Beziehungen zwischen Staat und Kirchen, genauer: zwischen den Ländern und den christlichen Bistümern und Landeskirchen, die durch staatliches Handeln während der Reformationszeit und des Reichs- deputationshauptschlusses enteignet worden waren . Um den finanziellen Unterhalt der verloren gegangenen Be- sitztümer fortzuführen, werden die sogenannten Staats- leistungen bezahlt . Die Linksfraktion ist bisher nicht durch gesteigertes Interesse an religionspolitischen The- men aufgefallen . Aber da sie dieses Thema ja nicht ohne Hintergedanken aufruft, zwei Bemerkungen zum Antrag: Man kann skandalisieren, dass jährlich über 500 Mil- lionen Euro den ohnehin reichen Kirchen „geschenkt“ werden . Man muss aber auch anerkennen, dass Institutio- nen, die enteignet wurden, ein Recht auf Entschädigung besitzen . Man kann skandalisieren, dass seit 1949 laut Huma- nistischer Union über 17 Milliarden Euro aus der Staats- kasse an die Kirchen bezahlt worden sind . Man muss aber auch anerkennen, dass es sich bei den Staatsleistungen nach Auskunft der allermeisten Verfassungsrechtlerinnen und Verfassungsrechtler eben nicht um eine einmalige Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22273 (A) (C) (B) (D) Entschädigung handelt, sondern um Unterhaltsleistun- gen, die den durch die enteigneten Güter entgangenen Gewinn entschädigen . Es ist wie im Familienrecht: Ein Vater kann den Unterhalt für sein Kind (oder auch für seine armen Eltern) ja nicht einfach unter Verweis darauf einstellen, jetzt hätte er aber genug gezahlt . Damit ist hinsichtlich der Vorgaben, die der Antrag für die einzusetzende Kommission macht, für uns klar: Un- ter der Hand will uns die Linksfraktion hier eine Vorfest- legung abringen . Das aber werden wir nicht mittragen . Hier geht es um Verfassungsrecht, und da muss man sich auch dann an die verfassungsrechtlichen Festlegungen halten, wenn sie einem nicht so gefallen . Die Staatsleistungen sind hinsichtlich ihrer histori- schen Herleitung wie ihres Umfangs und Charakters eine schwierige und komplizierte Materie . Deswegen ist es sinnvoll und richtig, dass die Bundesregierung eine Kommission einsetzen soll, die genau das evaluiert und die dann auch am besten berufen ist, Vorschläge zu ma- chen, wie ein Grundsätzegesetz, das allein der Bund zu erlassen ermächtigt ist, aussehen könnte . Es soll aber noch erwähnt werden, dass ein solches Grundsätzegesetz es den Ländern ermöglichen würde, eine gesetzliche Ablösung voranzutreiben . Es gibt näm- lich noch die Alternative der vertraglichen Ablösung . Soweit ersichtlich, haben zahlreiche Bundesländer von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Kirchenbaulasten im Vertragswege abzulösen oder die auf mannigfaltiger Rechtsgrundlage gezahlten Staatsleistungen zu pauscha- lieren . Darauf ist in der Debatte schon verschiedentlich hingewiesen worden . Dieser Weg ist durch das Vorgehen des Bundes den Ländern weder verbaut, noch können sie dazu verpflichtet werden, nach Erlass eines Grundsätze- gesetzes ihrerseits gesetzlich vorzugehen . Die Länderau- tonomie ist also in jedem Fall gewahrt . Der Ablösungsauftrag richtet sich an den Staat, nicht an die Kirchen . Darauf hinzuweisen ist keine Petitesse, denn die Kirchen werden immer wieder für die Staats- leistungen kritisiert, bis hin zu der Forderung, auf sie zu verzichten . Abgesehen davon, dass es Sache der Ver- tragsparteien ist, ihre vertraglichen Rechte wahrzuneh- men oder auch nicht, ist es ein Versäumnis allein des Staates, der die Ablösungsverpflichtung des Artikel 138 Weimarer Reichsverfassung nicht umgesetzt hat . Die Kirchen haben immer wieder deutlich gemacht, dass sie gegen eine Ablösung keine Einwände erheben würden – vorausgesetzt, sie stünden finanziell anschließend nicht schlechter da als bisher . Diese Bedingung aber ist in der verfassungsrechtlichen Literatur zu den Staatsleistungen ohnehin breit anerkannt . Insofern ist die Einsetzung einer Expertenkommission die konsequente Fortführung der Diskussion um dieses randständige, aber wichtige The- ma und liegt auch im Interesse der Kirchen – allerdings ohne die einschränkenden Bedingungen, die die Linke formuliert . Die Umsetzung des Verfassungsauftrages würde mehr Transparenz schaffen und die Chance zur Befriedung ei- ner Debatte bringen, die teilweise erbittert geführt wird und das gesellschaftliche Klima vergiftet . Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstimmung über den von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/52/EU im Städte- baurecht und zur Stärkung des neuen Zusammen- lebens in der Stadt (Tagesordnungspunkt 19) Josef Göppel (CDU/CSU): Der neue § 13b im BauGB ermöglicht die Ausweisung neuer Wohnbauge- biete am Außenrand eines jeden Ortsteils in Deutschland . Bei 11 162 Gemeinden mit durchschnittlich 30 Ortstei- len ergibt das 335 000 Baumöglichkeiten . Wenn nur die Hälfte der Gemeinden davon Gebrauch machen, wird der tägliche Flächenverbrauch von 60 auf 120 Hektar pro Tag verdoppelt . Das ist ein massiver Verstoß gegen den Koalitionsvertrag, in dem Union und SPD die Reduzie- rung auf 30 Hektar pro Tag beschlossen haben . Die Gemeinden können solche Flächen zwei Jahre lang ohne Umweltprüfung und Naturausgleich in be- schleunigten Verfahren ausweisen . Damit sind auch Was- serschutzgebiete, Frischluftschneisen und Freiräume für Erholung gefährdet . Landwirtschaftliche Flächen neh- men weiter ab . Besonders empörend finde ich, dass ein Bürgermeister den Vorrang der Innenentwicklung mit einer einfachen Erklärung „Es geht nicht“ abfertigen kann . Der § 13b for- dert keine vorherige Aufnahme von Leerständen im Orts- zentrum und keinen Nachweis konkreter Verhandlungen mit Eigentümern . Schließlich fehlt dieser Gesetzesänderung jede Ziel- genauigkeit . Zusätzliche Baumöglichkeiten machen Sinn in Gemeinden mit angespanntem Mietmarkt . Generelle Baulandausweisungen im ganzen Land führen aber nicht zu mehr Wohnungen, sondern zu mehr Planungsruinen . Insgesamt handelt es sich hier um verantwortungslo- sen Umgang mit Natur und Heimat, dem ich nicht zu- stimmen kann . Hans-Werner Kammer (CDU/CSU): Dem heute zur Abstimmung vorliegenden Gesetzentwurf stimme ich lediglich mit Einschränkung zu . Meine Position in der Sache erkläre ich wie folgt: Die Koalition stellt sich mit dem Gesetzentwurf aktu- ellen Herausforderungen der Stadtentwicklung und des Wohnungsbaus . Die Baugebietskategorie „Urbane Ge- biete“ unterstützt die Entwicklung lebendiger Stadtvier- tel . Zu begrüßen ist auch die befristete Ausweitung der beschleunigten Bebauungsplanverfahren auf Ortsrandla- gen, um den Wohnungsbau zu erleichtern . Ein weiterer wichtiger Bestandteil des Vorhabens ist die rechtliche Klarstellung zur Zulässigkeit von Ferien- wohnungen durch den neuen § 13a BauNVO . Das Ge- setz verfolgt dabei den richtigen Ansatz, indem es den Kommunen viel Entscheidungsfreiheit einräumt . Damit trägt es dem Umstand Rechnung, dass Kommunen unter- schiedliche Bedürfnisse hinsichtlich der Genehmigungs- fähigkeit von Ferienwohnungen haben . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722274 (A) (C) (B) (D) Gleichwohl greift der Entwurf insoweit zu kurz, als er die Möglichkeiten der Kommunen, Ferienwohnungen in reinen Wohngebieten zuzulassen, unnötigerweise ein- schränkt . In reinen Wohngebieten sind Ferienwohnungen nur dann ausnahmsweise zulässig, wenn der Bebauungs- plan kleine Beherbergungsbetriebe erlaubt und die frag- liche Immobilie überwiegend zum Dauerwohnen genutzt wird . Viele Vermieter unterhalten jedoch in ihrem Haus mehrere Ferienwohnungen . Die Neuregelung kann in vielen touristisch geprägten Kommunen zu unbeabsich- tigten Härten führen und negative Auswirkungen auf das touristische Angebot haben . Eine erneute Welle von Ge- richtsverfahren, die sich speziell mit diesem Problemfeld befassen, ist daher möglich . Sinnvoll wäre gewesen, auch für reine Wohngebiete auf die Entscheidungskompetenz der Kommunen zu vertrauen . Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Share Economy – Wachstumschancen der kollaborativen Wirtschaft nutzen und Heraus- forderungen annehmen. – des Antrags der Abgeordneten Dieter Janecek, Kerstin Andreae, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Share Economy – Ökologische Chancen nutzen und Teilen statt Besitzen unter- stützen (Tagesordnungspunkt 20 und Zusatztagesord- nungspunkt 10) Hansjörg Durz (CDU/CSU): Der Gedanke der ge- meinsamen Nutzung sowie des Teilens von Gütern ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheit selbst . Neu und geradezu revolutionär ist aber, dass sich damit äußerst er- folgreich Geschäftsmodelle betreiben lassen . Getrieben durch die rasante technologische Entwicklung im Zuge der Digitalisierung haben sich in wenigen Jahren inno- vative Geschäftsmodelle entwickelt, die alle nach dem- selben Prinzip funktionieren: Egal ob die Kunstplattform Etsy, der Büroraumvermittler WeWork oder die populä- ren Unterkunfts- bzw . Transportvermittler Airbnb und Uber, sie alle eint, dass sie als Internetplattformen Pro- dukte und Dienstleistungen für einen bestimmten Zeit- raum zur Nutzung vermitteln und zeitweilige Geschäfts- beziehungen ermöglichen . Wichtigste Branchen sind die Personenbeförderung, das Crowdfunding, Dienstleistun- gen für Haushalte, Unterkunftsvermittlung und die Ver- mittlung freiberuflicher und technischer Dienstleistun- gen . Und sie alle eint, dass es sich bei den Unternehmen allesamt um relativ junge Firmen handelt . Eine dritte Gemeinsamkeit ist: Sie alle scheinen einen Nerv bei Anlegern und Kapitalgebern zu treffen. Bereits 2015 wurde in den Wirtschaftsbereich der Share Eco- nomy mehr investiert als in den gesamten Social-Me- dia-Sektor, obwohl dieser Giganten wie Facebook und Twitter hervorgebracht hat . Es existieren bereits 17 Fir- men der Share Economy, die mit mehr als einer Milliar- de Dollar bewertet werden . Wie sehr die Geldgeber an das Geschäftsmodell glauben, zeigt sich auch daran, wie schnell es die Unternehmen in den Milliardenclub schaf- fen: Die Hälfte der Firmen erreichte bereits in weniger als fünf Jahren nach Gründung dieses schwindelerregen- de Niveau . In Deutschland ist die Share Economy großen Tei- len der Öffentlichkeit weniger aufgrund des damit ver- bundenen ökonomischen Marktpotenzials als vielmehr aufgrund der kontroversen Debatte um den Fahrdienst- vermittler Uber – Stichwort mangelnder Versicherungs- schutz – und die Unterkunftsplattform Airbnb – Stich- wort Wohnraumnutzungskonkurrenz – bekannt . Beide Aspekte, Potenzial wie Herausforderung, sind wichtig und haben ihre Berechtigung . Sie zeigen die Ambivalenz, die für die Branche Share Economy cha- rakteristisch ist: auf der einen Seite neue Unternehmen mit innovativen Geschäftsideen und entsprechenden Be- schäftigungsmöglichkeiten, auf der anderen Seite neue Herausforderungen, etwa in Bezug auf sozialpolitische Fragestellungen oder Fragen des Verbraucherschutzes bzw . einerseits der geringere Ressourcenverbrauch durch die bessere Auslastung und höhere Effizienz, das größere Angebot und das Mehr an Transparenz sowie die flexi- blere Verfügbarkeit und andererseits sozialpolitische Fra- gestellungen, vor allem im Verbraucher- und Arbeitneh- merschutz . Das Erfolgsmodell der sozialen Marktwirtschaft als ordnungspolitischer Rahmen in Deutschland ist grund- sätzlich dazu geeignet, auch die Share Economy zu er- fassen. Das heißt, offener Marktzugang für neue Akteure ja, aber nur unter der Voraussetzung, dass sich der Wett- bewerb mit herkömmlichen Anbietern auf Augenhöhe – sprich nach denselben Spielregeln, etwa im Arbeitneh- mer- und Verbraucherschutz – vollzieht . Das bedeutet jedoch gerade nicht, dass geltende Spiel- regeln zwingend aufrechtzuerhalten sind und damit ze- mentiert werden . Es ist gerade das Kernanliegen des An- trags der Koalitionsfaktionen, die Bundesregierung dazu aufzufordern, die bestehende Rechtsordnung vor dem Hintergrund innovativer Geschäftsmodelle zu durch- leuchten: Die Monopolkommission hat es zutreffend als asymmetrische Regulierung benannt, wenn konventio- nelle Dienste, die einer strikten Regulierung unterliegen, auf neue Wettbewerber der Share Economy treffen, die demgegenüber weniger oder gar nicht reguliert werden . Hier kann es sich in manchen Fällen empfehlen, die be- stehende Regulierung zu reduzieren oder abzubauen . In anderen Fällen ist es jedoch gegebenenfalls sinnvoller, die bestehende Regulierung auch auf neue Akteure zu übertragen . Der Anspruch lautet daher: gleiche Spielre- geln für alle, um ein einheitliches „level playing field“ zu erreichen . Hier liegt noch einiges an Arbeit vor uns . Die EU-Kommission hat im letzten Sommer wichti- ge Impulse zur Frage formuliert, welche Leitlinien für die Share Economy von Bedeutung sind . Hierzu hat sie Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22275 (A) (C) (B) (D) im Rahmen einer Mitteilung an die Mitgliedstaaten ers- te Vorschläge für Leitlinien unterbreitet, an der sich die Share Economy orientieren kann . Konkret fordert die EU-Kommission die Mitgliedstaaten auf, Vorgaben zu Haftungsregelungen, Verbraucher- und Nutzerschutz, Definition von Selbstständigen und Arbeitnehmern und Besteuerung zu erarbeiten . Dieser Aufforderung schließen sich die Koalitions- fraktionen an . Wir fordern die Bundesregierung auf, bis zum Ende der Legislaturperiode entlang dieser Punkte Handlungsbedarf und Rechtssetzungsbedarf zu identifi- zieren und damit einen Ordnungsrahmen für einen fai- ren und funktionsfähigen Wettbewerb zu erarbeiten . Hier bietet sich unserer Ansicht nach auch die große Chance, sich von überholter Regulierung zu verabschieden und damit die Wirtschaft von überflüssigen Auflagen zu ent- lasten . Wir fordern die Bundesregierung auf, Schwellenwer- te und Abgrenzungskriterien zu ermitteln, um professi- onelle von gelegentlichen Tätigkeiten zu unterscheiden . Diese Unterscheidung ist wichtig, damit Privatpersonen etwa anhand einer maximal zulässigen Zahl an Über- nachtungen in Privatunterkünften klar erkennen kön- nen, unter welchen Rechtsrahmen sie fallen und dadurch Rechtssicherheit erlangen . Wir fordern die Bundesregierung auf, insbesondere bestehende Fragen zu Datenschutz und Haftung im Zu- sammenhang mit Share Economy zu klären . Wir fordern die Bundesregierung auf, in ihrem En- gagement für den Breitbandausbau nicht nachzulassen . Dieser wird die grundlegende Voraussetzung für die weitere Verbreitung der Share Economy in Deutschland bleiben . Wir sind hier auf einem guten Weg, die entspre- chende Infrastruktur für die Digitalisierung technolo- gieoffen zu errichten und eine konvergente gigabitfähige Infrastruktur zu schaffen. Dabei wird insbesondere der Ausbau des Glasfasernetzes, auch für neue Technologi- en wie 5G, eine wichtige Rolle spielen, gerade um auch im ländlichen Raum den Menschen die Nutzung der di- gitalen Möglichkeiten zu ermöglichen . Als Deutscher Bundestag werden wir die Bundesregierung hier weiter unterstützen . Aus rein wirtschaftlicher Perspektive betrachtet ist der Trend der Share Economy an Europa bislang mehr oder weniger vorbeigegangen . 12 der 17 „Milliar- den-Start-ups“ stammen aus den Vereinigten Staaten, nur ein einziges Unternehmen hat in Großbritannien und da- mit auf europäischem Boden seinen Sitz . Dieser Zustand ist bedauerlich . Aber wir dürfen bei aller Euphorie und Begeisterung von Investoren über neue Geschäftsmodel- le nicht vergessen, dass Wirtschaft Spielregeln zu folgen hat . Regulierung ist kein Selbstzweck, sondern folgt in der Regel einem berechtigten Anliegen . Für uns als Union ist die Existenz neuer Marktakteure und Geschäftsmodelle grundsätzlich positiv konnotiert . Marktzugangsanforderungen sind daher nur dort akzep- tabel und gerechtfertigt, wo sie erforderlich und verhält- nismäßig sind . Dies gilt erst recht für komplette Verbote . Daher würde ich mir wünschen, wenn wir die sich uns bietende Chance nutzen, einen Ordnungsrahmen zu schaffen, der ausgewogen und am Allgemeinwohl ori- entiert für eine nachhaltige Entwicklung der Share Eco- nomy sorgt . Es bietet sich uns jetzt die Gelegenheit, die entsprechenden Strukturen im Sinne unserer Wirtschaft und vor allem der Menschen in unserem Land zu schaf- fen . Gehen wir es an . Axel Knoerig (CDU/CSU): Teilen und Tauschen – das sind die ältesten Grundlagen des Handels . Mit dem Begriff „Share Economy“ bezeichnen wir heute das gemeinsame Nutzen von Waren, Dienstleistun- gen oder Informationen . Das kann sowohl kostenlos als auch gegen Bezahlung erfolgen . In der digitalen Wirtschaft sind viele innovative Ge- schäftsmodelle entstanden: Die Plattform Wimdu bietet Unterkünfte an . Die Website MyHammer vermittelt Handwerker . Und namhafte Autohersteller bieten Car-Sharing an, etwa BMW mit DriveNow und Mercedes mit car2go . Diese neuen Konzepte fordern etablierte Anbieter wie das Taxi- oder Hotelgewerbe heraus . Hier müssen wir gleiche Bedingungen für alle Markt- teilnehmer schaffen. Es handelt sich um einen Milliar- denmarkt . Share Economy bietet aber auch viele Vorteile, wie unser Antrag zeigt: Erstens . Über Online-Plattformen kommen Geschäfts- beziehungen leicht zustande . Angebot und Nachfrage lassen sich gut aufeinander abstimmen . Zweitens . Es entstehen neue Arbeitsbeziehungen . Für uns als Union halte ich hier fest: Beschäftigte der Share Economy müssen genauso abgesichert sein wie Kollegen in anderen Branchen . Und auch für sie muss der Mindest- lohn gelten . Zugleich ist eine gewisse Flexibilität nötig . Drittens. Verbraucher profitieren von einer größeren Vielfalt bei Produkten und Dienstleistungen . Viertens . Das Prinzip des Teilens verspricht auch Nachhaltigkeit, wie zum Beispiel einen niedrigeren Res- sourcenverbrauch. Diese Effekte müssen wir nutzen. Die genauen Wirkungen und Möglichkeiten der Share Economy müssen noch geklärt werden . Das Bundesmi- nisterium für Bildung und Forschung hat hierzu schon mehrere Projekte initiiert . Das ist ein guter Auftakt . Wei- tere Projekte müssen folgen . Auch die anderen Ressorts investieren in die Share Economy . So wird heute ebenso das Carsharing-Gesetz des Bundesverkehrsministeriums beraten . In unserem Antrag gehen wir auf die Regelungsdefi- zite aller Branchen ein . Wir stellen daher in 18 Punkten einen Prüfauftrag an die Ministerien . Einige Forderungen habe ich bereits genannt, weitere möchte ich hervorheben: Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722276 (A) (C) (B) (D) Die Bundesregierung soll Schwellenwerte für die ein- zelnen Branchen vorschlagen, zum Beispiel in Bezug auf die Anbieter von Unterkünften: Ab welchem Grenzwert sind sie gelegentlich tätige Privatpersonen oder gewerb- liche Anbieter? Zu klären ist auch, wie Start-ups und unser Mittel- stand in der Share Economy noch gezielter unterstützt werden können – zum Beispiel durch Beratungsangebote und Forschungsförderung . Daran schließt eine weitere Forderung an: Wir erwar- ten einen Bericht zu den neuen Marktperspektiven für unsere Unternehmen . Deutsche und europäische Portale müssen mit den amerikanischen Plattformen mithalten können . Es gilt, die Chancen der Share Economy zu nut- zen . Zugleich müssen wir Rechtssicherheit für Unterneh- men, Beschäftigte und Verbraucher schaffen. Matthias Ilgen (SPD): Fakt ist: Share Economy ist ein Motor für mehr Arbeitsplätze . Das liegt unter ande- rem daran, dass die Beliebtheit von Share Economy bei den Bürgerinnen und Bürgern in den letzten Jahren stark gestiegen ist . Mit der Zahl der Anbieter wächst auch das Wachstumspotenzial jährlich . Eine Bevölkerungsbefra- gung hat ergeben, dass zukünftig noch mehr Menschen Share-Economy-Angebote nutzen wollen . Auch bei älte- ren Bürgern, die bisher seltener solche Angebote wahr- genommen haben, steigt das Interesse stark an . Fest steht für mich aber auch: Die Share-Economy-Anbieter empfinden die unklare Gesetzeslage in Deutschland als problematisch . Daher stehen wir Parlamentarier vor der Herausforderung, die Rechtsunsicherheit für alle Betei- ligten soweit wie möglich zu reduzieren . Hierbei müs- sen wir darauf achten, dass wir keine nationalen oder am Ende sogar lokalen Sonderregelungen schaffen. Dadurch, dass die Anwendbarkeit von Steuerrecht und Verbraucherschutz teilweise unklar ist, laufen wir Ge- fahr, einen unfairen Wettbewerb zu schaffen. Die Mono- polkommission hat es zutreffend als asymmetrische Re- gulierung charakterisiert, wenn konventionelle Dienste, die einer strikten Regulierung unterliegen, auf neue Wett- bewerber der Share Economy treffen, die demgegenüber weniger oder gar nicht reguliert werden . Hierbei kann es sich in manchen Fällen empfehlen, bestehende Regulie- rung zu reduzieren oder vielleicht sogar ganz abzubauen, auch wenn das manch einer von Ihnen sicherlich nicht hören möchte . Ein Thema liegt mir in dieser Debatte als Koordinator für Existenzgründung besonders am Herzen: die junge digitale Start-up-Szene . Gemeinsam mit meiner Frakti- on setze ich mich dafür ein, dass die Rahmenbedingun- gen für junge innovative Unternehmen und ihr Zugang zu Wagniskapital weiter verbessert werden . Nur so ist es uns möglich, innovative Plattformen für Share Eco- nomy in Deutschland und Europa zu schaffen. Ich hal- te eine Unterstützung in Form von Beratungsangeboten für kleine und mittlere Unternehmen sowie Start-ups im Share-Economy-Bereich für äußerst wichtig . Sie ermög- lichen unseren jungen digitalen Unternehmen, im glo- balen Wettbewerb zu bestehen, und helfen, dass unsere Start-ups und KMUs nicht allein zu Lieferanten von in- ternationalen Plattformen werden . Abschließend möchte ich noch auf zwei Punkte ver- weisen, die wir bei der Debatte um Share Economy nicht aus den Augen verlieren dürfen . Zum einen, dass die Kriterien zur Definition von Selbstständigen und Ar- beitnehmern in der Share Economy nicht auf der Stre- cke bleiben dürfen . Dazu gehört, dass die bewährten ar- beitsrechtlichen Standards – wie Abhängigkeit, Art der Arbeit oder Vergütung – nicht umgangen werden dürfen . Außerdem muss die soziale Absicherung der Leistungs- erbringer – wie Clickworker und Scheinselbstständige – gewährleistet sein . Zum anderen – und damit möchte ich schließen – brauchen wir als eine der wichtigsten Grund- voraussetzungen für die Verbreitung der Share Economy den flächendeckenden Breitbandausbau in Deutschland mit deutlich höheren Übertragungsgeschwindigkeiten im Gigabitbereich . Dr. Hans-Joachim Schabedoth (SPD): So lange ist es noch nicht her, da hat man noch zum Handy in der Grö- ße eines Briketts gegriffen, um schnurlos und fernab ei- nes Telefonanschlusses zu telefonieren . Heute kann man sich eine Welt ohne auf schlanke Smartphones schauende Menschen fast nicht mehr vorstellen . Bis vor kurzem war es größter Wunsch, ein eigenes Auto zu besitzen . Heute wollen viele Menschen das Auto gar nicht mehr besitzen, sie wollen sie nutzen und mit anderen teilen, die das Auto auch nur nutzen wollen . Nutzen oder besitzen? Diese Frage stellt sich auch für andere Güter . Weitere Beispiele sind wie schon immer die Bücher und mehr und mehr Werkzeuge wie Bormaschine, Trennschleifer usw . Und es gibt auch den Wunsch nach Unterstützung bei Repara- turen und im Haushalt, sogar ein Austausch gegen eigene Dienstleistungen . Wie wird geteilt? Nebst analoger Share-Läden, die vor allem in Großstädten zu finden sind, prägen Online- plattformen und ihre Apps die Teilwirtschaft – die Share Economy . Besonders beliebt, gerade in Großstädten, das Car Sharing . Die Wagen von Car2Go und DriveNow ge- hören in Berlin fest zum Stadtbild . Und im Reisebereich ist Airbnb aus dem Business nicht mehr wegzudenken . Immer mehr Menschen beziehen auch haushaltsnahe Dienstleistungen über Internetplattformen wie Book a Tiger oder Helpling . Dass es sich bei diesen Entwicklun- gen um einen komplexen Vorgang handelt, zeigen nicht zuletzt die vielen verschiedenen Dinge, die man auf di- verse Arten teilen kann . Analog dazu gibt es zig verschiedene Handlungsan- sätze und Papiere, die aktuell zu den Themen Plattfor- mökonomie und Teilwirtschaft kursieren . Jeder Ansatz ist für sich genommen gut und richtig . Doch anstatt in der Dunkelheit und mit der Hand Schmetterlinge fangen zu wollen, sollte man es mal bei Tageslicht mit einem Netz versuchen . Viele grundsätzliche Fragen sind bislang nicht abschließend beantwortet worden, zum Beispiel: Wie kann Share Economy einheitlich definiert werden? Wie gestalten sich die Arbeitsbedingungen? Wie viele Menschen sind davon betroffen? Wer haftet? Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22277 (A) (C) (B) (D) Bevor man mit dem Regulierungshammer draufhaut und womöglich den Nagel durch die Wand treibt, müssen die- se erstmal beantwortet werden . Was wir jetzt brauchen, ist erst einmal eine solide Datengrundlage . Denn wir wollen Rahmenbedingungen auf den Weg bringen, die weder die Plattformen zu sehr in ihrer Bewegungsfreiheit einschränken noch die Verbraucherrechte der Nutzer aus- hebeln . Das kann auch helfen, die laufenden, teils sehr emotionalen Debatten über die verschiedenen regulato- rischen Aspekte der Share Economy besser einzuordnen . Viele Diskutanten haben dabei noch die schwarz-weiß Brille auf . Plattformen sind die Spielwiese prekärer Be- schäftigung; jedwede regulatorische Eingriffe schränken die Wettbewerbsfähigkeit ein; Plattformen sind der Altar, auf dem die Handels- und die Dienstleistungsbranche, wie das Abendland sie bisher kannte, dem digitalen Wan- del und dem Wunsch nach Fortschrittlichkeit geopfert werden . Nun mal die SIM-Karte im Handy lassen! Von Entwe- der-oder ist hier nicht die Rede, es gilt ganz klar ein „So- wohl als auch“-Ansatz . Wirtschaftliche Chancen nutzen, beschäftigungsrelevante Risiken eindämmen! Bedenken und Fragen dazu haben wir in unserem Antrag aufgegrif- fen . Und schon jetzt können wir Veränderungen in der Branche beobachten . Ein Vorwurf, mit dem sich viele Plattformen konfrontiert sehen, lautet: Ihr Profit basiere auf einer modernen Tagelöhnerei . Dieser Vorwurf lässt sich nicht völlig entkräften, doch manche Firmen haben bereits einen Kurswechsel eingeleitet . Weg von der Ver- mittlung von Freiberuflern, hin zu sozialversicherungs- pflichtiger Beschäftigung und Bezahlung nach Tarif. Sie haben erkannt, dass sich Prozesssicherheit, Qualität und das Vertrauen der Kunden auf diese Weise schlicht besser gewährleisten lassen . In Zukunft wird die kollaborative Wirtschaft weiter wachsen . Mehr Menschen werden in diesem Bereich ihr Geld verdienen . Wir sollten diesen Prozess aufmerksam begleiten und dafür sorgen, dass gute Arbeit in diesem Wirtschaftsfeld der Zukunft möglich ist, auch ohne die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen einzuschrän- ken . Wie in vielen anderen Bereichen wird auch hier die anfängliche Aufregung der Routine weichen . Vielleicht wird ein eigenes Auto irgendwann wirklich ebenso exo- tisch wie das Briketthandy von damals . Klaus Ernst (DIE LINKE): Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU und SPD, Sie fordern uns in Ih- rem Antrag unter anderem auf, Ihre Maßnahmen der Di- gitalen Agenda und Ihr Engagement zur Gestaltung der Arbeit im digitalen Zeitalter zu begrüßen . Wollen wir uns einmal anschauen, was da von Ihrer Seite bisher vorge- legt wurde . Ein wesentlicher Bestandteil der Digitalen Agenda ist der flächendeckende Breitbandausbau. Die Notwendig- keit eines solchen Ausbaus ist unstrittig . Auf der Seite des BMWi liest man: „Deutschland will eine Vorrei- terrolle bei der Durchdringung und Nutzung digitaler Dienste einnehmen . … Deshalb braucht Deutschland flächendeckend Hochgeschwindigkeitsnetze.“ Auch hier könnte die Linke vollumfänglich zustimmen . Nur ist ihre Forderung alles andere als neu . Schon 2009 hatte Kanzlerin Merkel Highspeedan- schlüsse für 75 Prozent der Haushalte bis 2014 verspro- chen, mit mindestens 50 Mbit/s . Das ist drei Jahre her . Passiert ist seither nicht viel . Der Blick auf den Breitbandatlas des BMVI zeigt: Be- reits ab einer Bandbreite über 6 Mbit pro Sekunde herr- schen gravierende Versorgungslücken im Bundesgebiet . Um sich einmal klarzumachen, was 6 Mbit/s bedeuten, möchte ich ein einfaches Anschauungsbeispiel nennen . Nehmen wir an, Sie machen mit Ihrem Handy ein Bild und wollen dieses Ihrer Bekannten schicken . Sagen wir, das Bild hat die übliche Datengröße von 6 MB . Ihre Be- kannte wohnt nun vielleicht im Landkreis Bayreuth . Oder im südwestlichen Schwarzwald . Oder auf dem Land in Sachsen . Bei einem Internetanschluss von 6 Mbit pro Sekunde – was einem Datendurchsatz von 0,75 MB pro Sekunde entspricht – nimmt das Bild eine Downloadzeit von 8 Sekunden in Anspruch . Sie können jetzt gerne ein- mal bis acht zählen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie lange das ist . Von einer internationalen Vorreiterrolle sind wir Lichtjahre entfernt . Fakt ist: Die Bundesrepublik hat beim Breitbandausbau im internationalen Vergleich den Anschluss verloren . Wir rangieren im internationalen Ländervergleich auf den hintersten Plätzen, noch weit abgeschlagen hinter Rumänien, Tschechien und Irland . Während andere Staaten wie Australien und Südkorea bereits mit einer Breitbandversorgung von 100 Mbit pla- nen, will die Bundesregierung bis zum Jahr 2018 eine flä- chendeckende Grundversorgung mit mindestens 50 Me- gabit pro Sekunde fördern . Zu begrüßen wäre gewesen, hätte die Bundesregie- rung 2009 ihr Wort gehalten und den Breitbandausbau bis 2014 umgesetzt gehabt . So bleibt diese Maßnahme eine längst überfällige Maßnahme, die von der Bundes- regierung seit Jahren verschleppt wurde . Nun zum Bereich der zukünftigen Gestaltung von Arbeit und zu dem Dialogprozess „Arbeiten 4 .0“ . Als Ergebnis des Arbeitszeitdialoges mit Arbeitgebern und Gewerkschaften hat Ministerin Nahles angekündigt, den Achtstundentag in einem Feldversuch aufweichen zu wollen . Künftig sollen Gewerkschaften und ausgewählte Arbeitgeber die Möglichkeit bekommen, bei der Arbeits- zeit über die gesetzlichen Regeln hinauszugehen, sofern sie dies in einem Tarifvertrag vereinbart haben . Nahles will dabei herausfinden, ob Flexibilität und Schutz vor Überlastung zusammengehen . Die Idee, Menschen durch flexible und längere Arbeitszeiten vor Überlastung schüt- zen zu wollen, ist absurd . Denn in der Realität richten sich flexible Arbeitszeiten vor allem nach den Interes- sen der Arbeitgeber . Um Beschäftigte vor Überlastung zu schützen, müsste man vielmehr eine Verkürzung der realen Wochenhöchstarbeitszeit anstreben . Wie schon bei der Leiharbeit sollen jetzt gesetzliche Regelungen durch Tarifverträge verschlechtert werden können . Die Bundesregierung kehrt den Sinn von Tarif- verträgen um und bedient damit Interessen der Arbeitge- ber . Das ist ein Missbrauch der Tarifbindung . Um Beschäftigte effektiv zu schützen, brauchen wir eine Ausweitung der Mitbestimmungsrechte der Be- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722278 (A) (C) (B) (D) triebsräte auf das Arbeitsvolumen und mehr individu- elle Rechte für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer . Um Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zu schützen, braucht es auch ein Recht auf Nichterreichbarkeit wäh- rend der Freizeit: eine Anti-Stress-Verordnung . Es ist oberstes Gebot einer sozialen Politik, sich schützend vor die Beschäftigten zu stellen und dem Trend, dass Arbeit zunehmend krank macht, entgegenzuwirken . Nun geht es in dem Antrag in erster Linie um die soge- nannte Share Economy . Sie stellen völlig zu Recht fest: „Der ursprüngliche Gedanke der Share Economy bezog sich zunächst meist auf das unentgeltliche Teilen und Tauschen von Gütern unter sozialen und ökologischen Gesichtspunkten .“ Dieser ursprüngliche Gedanke lebt in bestimmten Nischen fort und hat seine Existenzbe- rechtigung und gehört auch aus unserer Sicht gefördert . Dazu haben die Grünen in ihrem Antrag durchaus ein paar richtige Positionen, weshalb wir dem Antrag auch zustimmen werden . Doch um was es bei Ihnen im Kern im Antrag geht, hat mit der ursprünglichen Share Economy fast nichts mehr zu tun . Insofern tue ich mich auch schwer, dies überhaupt mit dem Begriff „Share Economy“ oder „kol- laborative Wirtschaft“ fassen zu wollen . Oftmals geht es bei diesen vermeintlich innovativen Geschäftsmodellen in erster Linie um die Unterlaufung bestehender Stan- dards und Regelungen, insbesondere auch von Verbrau- cher und Arbeitnehmerschutzrechten . Insofern ist in den meisten Fällen für mich nicht erkennbar, warum darüber nachgedacht wird, hier Regelungen unter dem tatsächli- chen oder vermeintlichen Druck neuer Geschäftsmodelle aufweichen zu wollen . Da schütten Sie das Kind mit dem Bade aus . Davor kann ich nur warnen . Es muss vielmehr gesichert sein, dass die bestehen- den Regeln und Schutzstandards umfassend, effektiv und überprüfbar angewendet werden können . Doch so weit sind wir ja noch nicht; erst einmal wollen Sie viel prüfen, berichten und vorschlagen lassen . Insofern sage ich in Richtung der Regierung: Prüfen Sie ehrlich! Diffe- renzieren Sie, wo es um primär ökologische und soziale Gesichtspunkte geht und wo um knallharte Geschäftsin- teressen bzw . wo Geschäftsmodelle primär durch die Un- terlaufung von Standards funktionieren! Und schlagen Sie hier differenzierte, aber wirksame Lösungen vor! Wir sind gespannt, aber skeptisch, ob die Prüf- und Berichtsaufträge hier mit der richtigen Intention abge- schickt werden . Insofern können wir diesem Antrag nicht zustimmen . Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Eine Sache gleich vorweg, weil das in der öffentlichen Debat- te oftmals nicht und im Antrag der Koalitionsfraktionen leider gar nicht deutlich wird: Share Economy ist mehr als Uber und Airbnb . Es ist richtig und wichtig, dass die Themen solidarische Wirtschaft und gemeinschaftliche Konsumformen heute Eingang in die Tagesordnung des Deutschen Bundestags gefunden haben . Wir brauchen dringend neue Ideen, wie wir gleichzeitig unseren Wohl- stand erhalten und Ressourcen einsparen können, und innovative Geschäftsmodelle, die Teilen statt Besitzen ermöglichen . Immer mehr Menschen nutzen die bereits existierenden Angebote, registrieren sich für Carsharing, anstatt sich ein Privatfahrzeug zuzulegen, und erkennen, dass für ihre persönliche Lebensqualität die Verfügbar- keit von Dingen entscheidend und Eigentum kein Selbst- zweck ist . Die Akteure der Share Economy sind vielfältig, aktiv und kreativ . Mit dieser Debatte hier im Deutschen Bundestag haben wir die Chance, dies entsprechend zu würdigen und Modellen des gemeinwohlorientierten Tei- lens auch politisch Angebote zu machen . Innovation in diesem so zentralen Bereich für die ökologisch-soziale Modernisierung unserer Wirtschaft ist unbedingt unter- stützenswert . Leider hat die Große Koalition diese Chance heute ver- passt . Aus Ihrem Antrag geht doch ziemlich deutlich her- vor, dass der Begriff Share Economy in Ihrer Vorstellung eher so etwas wie ein Platzhalter für Uber und Airbnb ist . Die Vielfalt der Szene und die zahlreichen, innovativen Social Entrepreneurs und grünen Gründungen klammern Sie in Ihrem Antrag vollständig aus . Stattdessen konzen- trieren Sie sich auf die etablierten, großen Plattformen, vor allem im Bereich der Vermittlung von Dienstleistun- gen . Und es genügt Ihnen, in diesem Zusammenhang die altbekannten Problemstellungen zu beschreiben, ohne – und das ist zugegebenermaßen auch nicht ganz einfach; da werden wir auch noch viele Gespräche und die eine oder andere ausführliche Diskussion führen müssen – ab- schließende Antworten zu finden. Aber selbst dort, sehr geehrte Damen und Herren der Großen Koalition, wo Sie von Chancen sprechen, verkennen Sie das Offensichtli- che und ignorieren das Selbstverständnis der Mehrheit der Szene . Sie tun gerade so, als wäre Share Economy nicht mehr als ein trendiges Label für einen Marktsektor unter vielen, den Sie dann in guter schwarz-roter Traditi- on nach Ihren klassischen Kriterien für wirtschaftlichen Erfolg bemessen und dem Sie vor allem vor dem Hin- tergrund möglicher Wachstumschancen zunehmende Be- deutung zumessen . Dabei geht gerade der Ansatz, die Chancen der Sha- re Economy unter dem Titel Wachstumschancen zu dis- kutieren, völlig am Kern der Szene und ihrer Leitidee vorbei und zeigt leider wieder einmal, wie wenig sich Ihre Fraktionen unter dem Thema nachhaltiges Wirt- schaften vorstellen können und wie schwer sie sich da- mit tun, moderne Antworten auf die Digitalisierung zu finden. Wir haben in diesem Plenum bereits mehrmals darüber gesprochen, zuletzt auch in der Debatte zum Jah- reswirtschaftsbericht in Gegenüberstellung zum grünen Jahreswohlstandsbericht: Es ist allein schon nicht mehr zeitgemäß, im Bereich der klassischen Ökonomie wirt- schaftlichen Erfolg ausschließlich mit Blick auf quan- titatives Wachstum und Innovation in erster Linie über die Zahl von Neugründungen zu messen . Dass Sie das aber gerade bei der Share Economy tun, die ja nicht zu- fällig in einem engen Zusammenhang mit konsum- und wachstumskritischen sozialen Bewegungen steht, muss als komplette Themaverfehlung gewertet werden . Dabei ist das eigentliche Potenzial der Share Economy und der daraus resultierende politische Handlungsbedarf doch schon durch den Begriff ersichtlich: Es muss da- rum gehen, Teilen statt Besitzen zu unterstützen und die Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22279 (A) (C) (B) (D) damit einhergehenden ökologischen Chancen zu nutzen . Die Chancen der Share Economy liegen in ressourcen- schonenden Lebensentwürfen, nachhaltiger Mobilität, neuen Einstellungen zu Konsumgütern, einer gestärkten Rolle der Zivilgesellschaft in der Ökonomie, und – und das kann man gar nicht deutlich genug betonen – sie kann einen wichtigen Beitrag zur ökologisch-sozialen Moder- nisierung unseres Wirtschaftssystems leisten . Sie ist kein Wirtschaftszweig wie jeder andere, der momentan auf- grund guter Entwicklungschancen Ihre Aufmerksamkeit verdient, sondern sie ist und kann unter den entsprechen- den politischen Rahmenbedingungen eine bedeutende soziale Innovation sein, die sich quer durch die verschie- denen Branchen zieht und dort zu Ressourceneinsparun- gen und Effizienzgewinnen führt. Verstehen Sie mich nicht falsch: Die Vorschläge, die Sie mit Ihrem Antrag vorlegen, sind ja alle so nicht ver- kehrt . Niemand hat etwas dagegen, unseren Informati- onsstand zur Share Economy zu verbessern, Rechtsunsi- cherheiten zu benennen, die Bedingungen für KMU und Start-ups zu verbessern oder den Breitbandausbau vor- anzutreiben . Nur haben die meisten Ihrer Forderungen mit Share Economy erst einmal nur bedingt etwas zu tun . Und wenn Sie den Begriff dann doch aufgreifen, dann machen Sie keinerlei Vorschläge, wie Sie konkret und explizit Modelle des allgemeinwohlorientierten Teilens unterstützen wollen . Die Tatsache, dass Sie Ihren eige- nen Antrag offensichtlich weder im Plenum noch in den Ausschüssen debattieren möchten, spricht da auch für sich. Wir werden uns deshalb, was Ihren Antrag betrifft, sehr geehrte Damen und Herren der Großen Koalition, enthalten . Wenn es Ihnen tatsächlich darum geht, die Potenziale der Share Economy zum Tragen zu bringen, dann sor- gen Sie für Folgendes: Die Ideen und Konzepte gemein- schaftlicher Konsumformen müssen endlich Einzug in die klassische Wirtschaftspolitik finden, fest verankert in einer politischen Strategie „Solidarische Wirtschaft“ mit Zuständigkeit einer Staatssekretärin oder eines Staats- sekretärs im Bundeswirtschaftsministerium . Modelle des gemeinwohlorientierten Teilens müssen politisch gestärkt werden, wobei gerade nicht profitorientierte Gründungen eine besondere Berücksichtigung erfahren müssen und durch gezielte Maßnahmen wie Bürokra- tieabbau, eine Ausweitung der elektronischen Verwal- tungsdienstleistungen und die Überarbeitung veralteter Regularien mehr Freiräume erhalten . Meine Fraktion hat Ihnen dazu ja bereits Vorschläge vorgelegt . Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung des Güterkraftverkehrsgesetzes, des Fahr- personalgesetzes, des Gesetzes zur Regelung der Arbeitszeit von selbständigen Kraftfahrern, des Straßenverkehrsgesetzes und des Gesetzes über die Einrichtung eines Kraftfahrt-Bundesamtes (Tagesordnungspunkt 21) Karl Holmeier (CDU/CSU): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf passen wir das Güterkraftverkehrsgesetz an mehreren Stellen redaktionell an und nehmen ver- schiedene Klarstellungen vor . Gleiches gilt für das Fahr- personalgesetz, das Gesetz zur Regelung der Arbeitszeit von selbständigen Kraftfahrern, das Straßenverkehrs- gesetz und das Gesetz über die Errichtung eines Kraft- fahrt-Bundesamtes . Im GüKG besteht darüber hinaus bei der nationa- len Erlaubnis die Besonderheit, dass diese im Falle der Wiedererteilung unbefristet erteilt wird . Dies stellt eine Diskrepanz zum europäischen Recht dar und bereitet Schwierigkeiten im Verwaltungsvollzug . Darüber hinaus ist es erforderlich, eine Ermächtigungsgrundlage für die Speicherung bestimmter Verstöße des Unternehmers und des Verkehrsleiters zu schaffen. Hiermit wird eine aus dem europäischen Recht stammende Vorgabe umgesetzt . Transport und Logistik bilden das Rückgrat unse- rer Industrie, unserer Wirtschaft und unseres täglichen Lebens . Der jährliche Umsatz der Logistikbranche hat sich in den letzten 20 Jahren fast verdoppelt, auf etwa 250 Milliarden Euro . Transport und Logistik haben damit als Wirtschaftsfaktor und Arbeitsplatz enorme Relevanz für die deutsche Volkswirtschaft . Nahezu 3 Millionen Beschäftigte in Deutschland zeigen täglich ihre Flexibilität, Kreativität und Schaffenskraft in der Logistikbranche . Rund 10 Prozent der sozialversiche- rungspflichtig Beschäftigten in Deutschland arbeiten in der Logistikbranche . Jeder Sechste von ihnen fährt auf unseren Straßen und ist wesentlicher Stützpfeiler unse- res wirtschaftlichen Erfolges . Die Branche ist dabei auf faire Arbeits- und Wettbewerbsbedingungen angewiesen . Gerade durch den zunehmenden Wettbewerb osteuropä- ischer Fuhrunternehmen geraten die Sozialstandards im Straßengüterverkehr hierzulande verstärkt unter Druck und bringen sozial verantwortlich handelnde Unterneh- men in Bedrängnis . Dem gilt es politisch entgegenzuwir- ken, um fairen Wettbewerb und gute Arbeitsbedingungen zu ermöglichen . Mehr als 40 Prozent aller mautpflichtigen Verkehre in Deutschland werden inzwischen durch gebietsfremde Transportunternehmen, insbesondere aus den östlichen EU-Mitgliedstaaten, geleistet . Seit der fünften Erweite- rung der Europäischen Union 2004 hat sich das Lohn- und Sozialkostengefälle im Straßengüterverkehr verstärkt . Es bestehen starke Anreize, große Fuhrparkflotten aus Deutschland in die neuen EU-Länder zu verlegen . Die Dienstleistungsfreiheit im Verkehr wird dabei oft ausge- nutzt, um Betriebsstandorte lediglich formell zu verle- gen. Ausgeflaggte Fuhrparkkapazitäten bleiben faktisch in Deutschland und auf den Hauptmärkten . Fahrzeuge und Fahrerinnen und Fahrer sind zu Arbeitsbedingungen ihres Entsendelands tätig . Mittelständische Transportun- ternehmen, die bei Lohn-, Sozialkosten und Arbeitsbe- dingungen den westeuropäischen Standards entsprechen, werden aus dem Markt gedrängt . Viele Fahrerinnen und Fahrer kehren erst nach Wochen oder Monaten an ihren Betriebsstandort zurück . Ruhezeiten und private Freizeit werden im Führerhaus, an Raststätten, Umschlags- oder Hafenanlagen verbracht . Selbst minimale Sozialstan- dards werden ihnen dabei vorenthalten . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722280 (A) (C) (B) (D) Hier muss dringend gehandelt werden . Das tun wir . Es gilt, einen fairen Wettbewerb im grenzüberschreitenden Straßengüterverkehr zu ermöglichen sowie Lohn- und Sozialdumping zu unterbinden. Dem Umflaggen von Fuhrparkflotten und der Gründung von Briefkastenfir- men muss zum Wohle des deutschen Arbeitsmarktes ent- gegengewirkt werden . Die Bundesregierung muss die wettbewerbsverzerren- den und unfairen Arbeitsbedingungen bekämpfen . Dies alles haben wir zum Wohle des deutschen Transportlo- gistikgewerbes ausführlich in unserem Entschließungs- antrag aufgeführt und gefordert . Im Fall des Verbringens der wöchentlichen Ruhezeit im oder um das Führerhaus haben wir mit unserem Än- derungsantrag eine wichtige Klarstellung gemacht: Die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit darf nicht im Fah- rerhaus verbracht werden . Eine Zuwiderhandlung führt zu einer Sanktion . In einem gemeinsamen europäischen Binnenmarkt muss mittelfristig eine europäische Regelung geschaf- fen werden . Solange diese nicht vorliegt, müssen wir als nationaler Gesetzgeber handeln . Mit unserer Rege- lung wollen wir vor allem die ohnehin sehr belasteten Fahrer – wie uns im Rahmen der Expertenanhörung ein- drucksvoll verdeutlicht worden ist – vor menschenun- würdigen Verhältnissen schützen und somit gleichzeitig die Attraktivität des Kraftfahrerberufs verbessern . Das ist gleichzeitig auch ein wesentlicher Beitrag zur Erhöhung der Verkehrssicherheit auf unseren Straßen und stellt fai- re Wettbewerbsbedingungen sicher . Wir wollen schließlich auch der zum Teil prekären Si- tuation auf deutschen Rastplätzen an den Grenzen zu den Nachbarländern Rechnung tragen . Im Grenzbereich zu den Mitgliedstaaten der EU, die bereits durch nationale Regelungen Sanktionen in Bezug auf Verstöße gegen die Regelungen zur regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeit eingeführt haben, kommt es auf den Rastplätzen zuneh- mend zu Ausweichentwicklungen, die zu unmenschli- chen Zuständen auf den Rastanlagen führen . Unser Gesetzentwurf ist ein erster Schritt . Eine euro- päische Regelung ist dringend notwendig, und so werden wir die Thematik in der kommenden Wahlperiode erneut auf die Tagesordnung bringen, in enger Zusammenarbeit mit dem deutschen Transportlogistikgewerbe und zu sei- nem Wohle . Oliver Wittke (CDU/CSU): Mit unserem heutigen Beschluss nehmen wir Änderungen am Güterkraftver- kehrsgesetz, am Fahrpersonalgesetz, am Gesetz zur Re- gelung der Arbeitszeit von selbständigen Kraftfahrern, am Straßenverkehrsgesetz und am Gesetz über die Er- richtung eines Kraftfahrt-Bundesamtes vor . Eine ganz wesentliche Änderung ist dabei die Aufnahme eines Bußgeldtatbestands in das Fahrpersonalgesetz, der eine Bußgeldbewehrung vorsieht, wenn die regelmäßige wö- chentliche Ruhezeit in der Fahrerkabine verbracht wird . Wir sorgen damit für eine dringend benötigte Klarstel- lung des heute schon im EU-Recht geltenden Verbots, geben der Bundesregierung das notwendige Werkzeug zur Ahndung an die Hand und schieben dem Nomaden- tum von Lkw-Fahrern an deutschen Autobahnraststätten einen Riegel vor . Damit schützen wir die Kraftfahrer vor den teils menschenunwürdigen Verhältnissen, die wir heute noch an Autobahnraststätten und Parkplätzen vor- finden. Wir verbinden diesen Schritt auch mit der Hoffnung, der Diskussion auf europäischer Ebene durch unseren Schritt neue Dynamik zu verleihen . Nachdem Belgien, Frankreich und jetzt auch Deutschland eigene natio- nale Regelungen getroffen haben, steigt der Druck auf die Länder, die sich derzeit noch einer klar formulierten europaweiten Regelung verweigern . In diesem Zusam- menhang begrüße ich auch den von Minister Dobrindt im Januar in Paris unterzeichneten Aktionsplan Deutsch- lands und acht weiterer westeuropäischer Länder . Wir werden in unserem Kampf gegen das Sozialdumping im Straßengüterverkehr nicht nachlassen und weiterhin für die Rechte der Lkw-Fahrer und faire Wettbewerbsbedin- gungen für unsere Unternehmen kämpfen . Vor diesem Hintergrund haben CDU/CSU und SPD auch einen Entschließungsantrag eingebracht, der sich mit diesen und weiteren Herausforderungen beschäftigt . In den kommenden Jahren müssen wir Antworten auf die drängenden Fragen finden, wie wir fairen Wettbewerb und die Beachtung europäischer und nationaler Sozial- vorschriften sicherstellen . Dafür bedarf es der Weiterent- wicklung des Rechtsrahmens in Europa und Deutschland . Wichtig ist uns auch die Stärkung der Attraktivität des Berufs des Kraftfahrers . Die heute zu beschließende neue Regelung zu den Lenk- und Ruhezeiten leistet zwar ei- nen Beitrag hierzu, aber weitere Schritte müssen folgen . Dazu gehören familienfreundliche Arbeitszeiten oder auch bessere Bedingungen an den Laderampen . Wir müssen die Meldepflichten und -systeme und die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch zwi- schen Behörden verbessern, die Kontrollen intensivieren und Verstöße konsequenter sanktionieren . Wir dürfen nicht weiter zulassen, dass sich insbesondere osteuropä- ische Wettbewerber mit niedrigeren Sozial-, Lohn- und Sicherheitsstandards einen Vorteil vor unseren inländi- schen Unternehmen verschaffen. Viele der relevanten Regelungsbereiche liegen in der Zuständigkeit der Europäischen Union . Daher fordern wir die Bundesregierung auf, sich auf Europäischer Ebe- ne für eine entsprechende Weiterentwicklung des Rechts- rahmens einzusetzen . Dazu gehört nicht nur die bereits erwähnte Regelung zur Verbringung der Lenk- und Ru- hezeiten, sondern auch der Einsatz für eine stärkere Beto- nung der sozialen Aspekte in der erwarteten Straßenver- kehrsinitiative der Europäischen Kommission . Wichtig ist uns zudem, dass die Bundesregierung zü- gig zu einem Abschluss des Vertragsverletzungsverfah- rens zur Anwendung des Mindestlohns im Transportge- werbe kommt . Hier brauchen wir endlich eine Lösung, die fairen Wettbewerb zwischen in- und ausländischen Unternehmen sicherstellt . Spätestens im Frühjahr 2018, wenn die Bundesregie- rung an den Verkehrsausschuss berichtet, werden wir das Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22281 (A) (C) (B) (D) Thema erneut auf der Tagesordnung haben . Die Trans- port- und Logistikbranche mit ihren fast 3 Millionen Beschäftigten kann sich darauf verlassen, dass wir die Entwicklungen weiterhin aktiv begleiten und notwen- dige Anpassungen energisch einfordern und umsetzen werden . Udo Schiefner (SPD): Katastrophal und men- schenunwürdig geht es auf deutschen Autobahnrastplät- zen gerade an den Wochenenden und vor allem in Grenz- nähe zu Frankreich, Belgien und den Niederlanden zu . Bei unseren westlichen Nachbarn wird das Verbringen der regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeit mit Bußgeld bestraft . Die Lkw stehen deshalb alle auf unserer Rhein- seite. Auf Rastplätzen für normalerweise 90 befinden sich regelmäßig über 200 Fahrzeuge . Deren Fahrer haben nicht das Geld, um kostenpflichtige Toiletten oder Du- schen zu benutzen . Sie sind monatelang unterwegs, nicht nur wochenlang . Sechs oder neun Monate sind keine Sel- tenheit . Die Fahrer kommen nicht mehr nach Hause; sie haben keine sozialen Kontakte mehr, keine Bindung zu ihrer Familie . Das sind unwürdige Zustände . Mit diesen deutlichen Worten wurden uns die Zustän- de auf unseren Autobahnraststätten am Montag dieser Woche geschildert. In der öffentlichen Anhörung zu dem Gesetzespaket, das heute zur Abstimmung steht, wurde ausgiebig und eindrücklich aus der Praxis auf der Straße geschildert . Wir alle kennen die Bilder und Geschich- ten über die Bedingungen im Straßengüterverkehr in- zwischen aus zahlreichen Fernsehberichten . Einige von uns konnten das Elend auch persönlich in Augenschein nehmen . Ich war zuletzt Weihnachten bei Fahrern auf Autobahnrastplätzen, die das Fest der Familie fern ih- rer Heimat verbringen mussten . In dem Zusammenhang will ich all den deutschen Fahrern danken, die sich in Kraftfahrerkreisen organisieren und zum Beispiel Weih- nachtsaktionen für ihre Kollegen, vor allem aus Osteuro- pa, durchführen . Die eindrücklichen Schilderungen in der Anhörung haben alle Anwesenden im Verkehrsausschuss spürbar berührt . Sollten noch Zweifel daran bestanden haben, dass wir gegen das moderne Nomadentum dringend han- deln müssen: Seit Montag hat diese Zweifel sicher keiner mehr . Uns wurde vor Augen geführt, dass wir über Güter- kraftverkehr und Fahrpersonal nicht sprechen können, ohne über faire Arbeits- und Wettbewerbsbedingungen zu sprechen . Auf deutschen Autobahnen sollte beides selbstverständlich sein . Doch wir sehen, wie erschre- ckend anders die Realität aussieht . Das Leid der Fahrer ist dabei die eine Seite der Me- daille . Leiden tut auch das Gewerbe . Große Teile des deutschen Transportlogistikgewerbes sind akuten Wett- bewerbsverzerrungen ausgesetzt . Ehrliche Logistik- und Transportunternehmen, die ihre Mitarbeiter fair bezah- len, soziale Standards einhalten und Umläufe so planen, dass die Fahrer regelmäßig am Wochenende zu Hause sein können, verlieren zunehmend Aufträge . Ihre Exis- tenz ist bedroht . Die Spediteure und ihre Fahrerinnen und Fahrer, die Menschen am Steuer der Lkw, fahren am Li- mit . Sie leiden darunter, dass auf deutschen Autobahnen zu viele schwarze Schafe zu unscharfe Regeln ausnutzen und geltendes Recht missachten . Diese schwarzen Scha- fe stammen keineswegs nur aus Osteuropa . Auch für ei- nige in Westeuropa ansässige große Unternehmen gehört das zu ihrem Geschäftsmodell . Wir müssen politisch handeln . Das wissen wir seit Jahren . Endlich tun wir es . Am Montag wurde auch deut- lich benannt, wie wir handeln können: Ein Instrument, etwas zu ändern, wäre es, die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit vernünftig und menschenwürdig zu regulieren . Genau das Instrument, über das wir heute hier diskutie- ren, ist meiner Meinung nach eines der Schlüsselelemen- te, schrieb uns Udo Skoppeck, aktiver Fernfahrer und Aktivist für Fernfahrerrechte, ins Lastenheft . Wir haben die Forderung aufgenommen und im Verkehrsausschuss eine kleine, aber entscheidende Änderung zum Fahrper- sonalgesetz beschlossen . Um Missverständnissen vorzubeugen, will ich noch einmal benennen, was wir verbieten . Es geht um die re- gelmäßige wöchentliche Ruhezeit im Lkw . Mit Artikel 8 Nummer 8 der EU-Verordnung 561/2006 ist die Voraus- setzung gegeben, um zu unterbinden, dass die regelmä- ßige wöchentliche Ruhezeit im Fahrzeug verbracht wird . Die EU-Verordnung sagt: In zwei jeweils aufeinander- folgenden Wochen hat der Fahrer mindestens zwei regel- mäßige wöchentliche Ruhezeiten oder eine regelmäßige wöchentliche Ruhezeit und eine reduzierte Wochenru- hezeit von mindestens 24 Stunden einzuhalten . Wichtig sind hier die zu unterscheidenden Begriffe „regelmä- ßige“ und „reduzierte“ wöchentliche Ruhezeit . Weiter heißt es nämlich, dass nicht am Standort eingelegte täg- liche Ruhezeiten und reduzierte wöchentliche Ruhezei- ten im Fahrzeug verbracht werden können . Regelmäßige wöchentliche Ruhezeiten im Fahrzeug werden in dieser Ausnahme explizit nicht benannt . Dem EU-Recht fol- gend können und müssen wir das Verbringen der regel- mäßigen wöchentlichen Ruhezeit im Fahrzeug verbieten und ahnden . Keine Frage: Die Klarstellung zum Verbot des Ver- bringens der wöchentlichen Ruhezeit im Lkw, die wir nun beschließen, ist nur ein Mosaikstein . Eigentlich wäre eine europäische Regelung notwendig, die keinerlei In- terpretationsspielraum bietet . Eigentlich müssen wir noch viele weitere Aspekte angehen, wollen wir fairen Wettbewerb und faire Arbeitsbedingungen im Transport- und Logistikgewerbe garantieren . In unserem Entschließungsantrag haben wir dazu Punkte benannt . Der Bundesregierung haben wir damit wichtige Aufgaben gestellt . Ich erwarte, dass wir im Frühjahr 2018 erste Ergebnisse präsentiert bekommen . Schon jetzt aber kommt, wenn uns der Bundesrat zu- stimmt, der kleine Mosaikstein, der, wie ich sicher bin, große Wirkung haben wird . In der Diskussion um das Fahrpersonalgesetz wurde im Vorfeld häufig angezwei- felt, dass das Verbot des Verbringens der regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeit durchsetzbar sei . Dazu haben wir Montag wichtige Hinweise erhalten: Niederlande, Belgien und Frankreich zeigen bereits, dass das Verbot Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722282 (A) (C) (B) (D) kontrollierbar ist . Die Problematik der Kontrollen liegt bislang einzig darin, dass das „Schwert nicht schneidet“ . Mit dem heutigen Beschluss schärfen wir in jedem Fall das Schwert . Damit es schneidet, sind die Kontroll- behörden in der Pflicht und haben alle Möglichkeiten – wie ihre Kolleginnen und Kollegen in unseren westlichen Nachbarstaaten –, das Verbot durchzusetzen . Ich erwarte effektive Schwerpunktkontrollen, die deutlich abschre- ckenden Charakter haben müssen . Dazu sind integrative Kontrollen unter Einbindung von Polizeien, BAG, Zoll und auch Ämtern für Arbeitsschutz notwendig . Zudem müssen wir die Möglichkeiten der Digitalisierung noch besser nutzen . Mit dem digitalen Tachografen wird schon bald vieles einfacher . Ein obligatorischer digitaler Frachtbrief ist darüber hinaus dringend geboten . Das for- dern wir in unserem Entschließungsantrag . Ich will enden mit einem Zitat aus der Anhörung, das sich mir eingebrannt hat: „Ich weiß nicht, warum die Bevölkerung und die gesamte Politik – ich spreche jetzt die ganze Runde an – glauben, dass wir Kraftfahrer das stoisch mitmachen, nur weil es sich so eingebürgert hat .“ Vollkommen richtig; Nicht das Gewohnheitsrecht, son- dern das gesetzte Recht muss gelten . Zur Frage der Ru- hezeit im Lkw gibt es eine EU-Verordnung und nun auch eine entsprechende Klarstellung im Fahrpersonalgesetz, und diesen Regelungen verschaffen wir Geltung. Thomas Lutze (DIE LINKE): Die Erteilung natio- naler güterkraftverkehrsrechtlicher Zulassungen erfolgt bislang für bis zu zehn Jahre . Bei einer Verlängerung ist diese bisher aber unbefristet zu erteilen . Dass dies nun, in Übereinstimmung mit dem EU-Recht, dahin gehend geändert werden soll, auch diese nur für zehn Jahre zu erteilen, ist sinnvoll . Verstöße von Güterkraftverkehrsunternehmen werden bislang nicht in der Verkehrsunternehmensdatei beim BAG geführt, sondern an zwei anderen Stellen gespei- chert, um Dopplungen zu vermeiden . Die EU hat nun vorgeschrieben, dass klar definierte, schwerste Verstöße in diese Datei aufzunehmen sind . Dies anzupassen war notwendig . Im Entschließungsantrag der Koalition werden eine Reihe sinnvoller Dinge gefordert, die über den Ände- rungsantrag hinausgehen . Dem können wir bis auf eine Ausnahme zustimmen . Dass es sich hierbei jedoch aus- gerechnet um die wöchentlichen Ruhezeiten handelt, ist äußerst bedauerlich . Im Antrag wird sich dafür ausge- sprochen, entgegen dem mit dem Änderungsantrag ein- geführten klaren Verbot, die Regelungen auf EU-Ebene dahin gehend zu regeln, dass wöchentliche Ruhezeiten im Fahrerhaus verbracht werden können . Die Ruhezei- ten im Fahrerhaus sollen zwar verkürzt werden, dennoch reicht diese Regelung nicht aus . Verdi hat in der Anhörung des Verkehrsausschusses zu Recht darauf hingewiesen, dass der Änderungsantrag der Koalition nicht ausreichend ist . Die Formulierung, dass „nicht geeignete Schlafmöglichkeiten“ sanktioniert werden sollen, ist alles andere als rechtssicher . Der Bun- desrat hat einen Vorschlag gemacht, der dies eindeutig in einem neuen Paragrafen definiert hätte. Dem hätte man folgen sollen . Zur Verbringung der wöchentlichen Ruhezeiten hatten wir ein Berichterstattergespräch, bei dem Frau Staatsse- kretärin Bär auf Zeit spielen wollte, während sich alle vier Fraktionen dafür aussprachen, den untragbaren Zuständen insbesondere in Grenznähe zu Belgien und Frankreich einen Riegel vorzuschieben . Wir begrüßen daher, dass diesbezüglich nun zumindest überhaupt et- was geschieht . Da sowohl die Unternehmen als auch die Fahrer bestraft werden können, bleibt unklar, inwieweit die Haftungsfrage geregelt ist: Wer muss bei Vergehen etwas zahlen? Es wäre durchaus möglich gewesen, le- diglich die Unternehmen haften zu lassen . Bei Verstößen könnte das Fahrzeug dann so lange festgehalten werden, bis das Unternehmen die Buße hinterlegt hat . So sind jetzt jedoch Streitigkeiten über das Verursachen der Ver- fehlungen vorprogrammiert . Besser wäre es gewesen, den Weg des Bundesrates zu gehen, der dies explizit als Verbot regeln will und Sanktionen zudem nur für Unter- nehmen, nicht auch für Fahrer, einführen möchte . In etwa zwei Monaten ist ein Urteil des EuGH zur Frage der Reichweite des EU-Rechts zu erwarten . Auch nach der Anhörung ist mir nicht klar, warum man das Ur- teil nicht einfach abwartet und dann schaut, was national zu regeln ist . Der Entschließungsantrag beschreibt in seinem Fest- stellungsteil zutreffend die schwierige Situation des na- tionalen Güterkraftverkehrs . Es sei an dieser Stelle der Hinweis erlaubt, dass man bei Kroatien keinen Gebrauch von der Möglichkeit gemacht hat, die dortigen Unterneh- men weiter von der Kabotage auszuschließen . Dies wird mit dem Gesetzentwurf nachvollzogen, ist aber bereits seit Sommer 2015 wirksam . Hier hat man sich also wei- tere Konkurrenz sozusagen ins Haus geholt . Den Prüfauftrag hinsichtlich der verkürzten wöchent- lichen Ruhezeiten, die eben doch in der Fahrerkabine verbracht werden dürfen, also die Umläufe von zwei auf drei Wochen im EU-Recht zu verankern, sehen wir kritisch . Deswegen enthalten wir uns bei diesem Antrag, auch wenn wir allen weiteren Forderungen zustimmen können . Die Durchsetzung des Mindestlohns ist uns natürlich ebenfalls ein großes Anliegen . Deswegen begrüßen wir die Anpassung der Meldepflichten. Der Prüfauftrag an dieser Stelle ist allerdings zu schwach . Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Auf der Seite des Bundesverkehrsministeriums habe ich folgende Definition zum Begriff „Logistik“ ent- deckt: „Unter dem Begriff ‚Güterverkehr und Logistik‘ werden alle Maßnahmen verstanden, die notwendig sind, um Güter in der richtigen Menge, im richtigen Zustand, zum richtigen Zeitpunkt, mit den richtigen Informationen und zu minimalen Kosten am richtigen Ort bedarfsge- recht zur Verfügung zu stellen“ . Ende des Zitats . Von vernünftigen Arbeitsverhältnissen und fairer Ent- lohnung der Beschäftigten ist nicht die Rede; stattdessen werden die minimalen Kosten besonders hervorgehoben . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22283 (A) (C) (B) (D) Die „Billigstrategie“ im Bereich des Straßengüterver- kehrs hat dabei in eine fatale Abwärtsspirale geführt und Sozialdumping erst ermöglicht . Die Folge sind katastrophale soziale Verhältnisse: Fernfahrer, die teilweise länger als ein halbes Jahr ihre Familien in den Heimatländern nicht gesehen haben und praktisch ein Leben im Lkw verbringen, bzw . Beschäf- tigte, die kaum mehr als 500 Euro im Monat erhalten und von ihren Unternehmen disponiert werden, wie die Ware, die sie quer durch Europa transportieren . Und um das hier auch noch einmal klarzustellen: Dies ist keine Problemlage, die allein durch osteuropäische Transportunternehmen zu verantworten ist . Vielmehr ist es oft so, dass deutsche bzw . westeuropäische Unterneh- men praktisch ihre Logistikabteilung über Briefkasten- firmen in Osteuropa im Sinne der erwähnten „Billigstra- tegie“ ausgelagert haben. Im Straßengüterverkehr finden wir daher Arbeitsverhältnisse vor, von denen wir früher geglaubt haben, dass diese Zeit der Ausnutzung und des sozialen Elends längst überwunden sei . Ihre Gesetzesinitiative zur Änderung des Fahrperso- nalgesetzes verbessert die Lage der Fernfahrer nur unzu- reichend . Sie hätten der Position des Bundesrats folgen sollen . Das wäre eine echte Verbesserung gewesen . Der Bundesrat hat richtigerweise gefordert, dass der Unter- nehmer dafür zu sorgen hat, dass das Fahrpersonal die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit nicht mehr im Fahr- zeug verbringt . Die Ruhezeit sollte in festen Unterkünf- ten mit Sanitäreinrichtungen und ausreichenden Versor- gungsmöglichkeiten verbracht werden . Die Ruhezeit sollte nach dem Willen der Mehrheit der Länder wei- terhin am Wohnort des Fahrers bzw . Unternehmenssitz verbracht werden und nur in Ausnahmefällen unterwegs . Ihr Vorschlag bringt leider keine Rechtssicherheit . Was ist bitte unter der weit gefassten Formulierung ei- ner „geeigneten Schlafmöglichkeit“ zu verstehen? Da- bei hätte auch ein Blick in Richtung unserer westeuro- päischen Nachbarn Frankreich und Belgien genügt, um Anregungen zu bekommen . Klare Verbote in Verbindung mit wirksamen Kontrollen und spürbaren Bußgeldern für die Transportunternehmen zeigen dort seit Jahren Wir- kung . Dagegen sieht Ihr Vorschlag sogar vor, die Fahrer mit zur Kasse zu bitten – ein völlig falscher Ansatz, da der Fahrer am wenigsten Einfluss auf die Disposition der Fahrten hat . Die Anhörung im Verkehrsausschuss zu Beginn die- ser Woche hat es noch einmal ganz deutlich gezeigt: Die besten Gesetze und Verordnungen laufen ins Leere, wenn wir uns nicht um ihren wirksamen Vollzug kümmern . Regelmäßig berichten Fernfahrer, dass sie relativ selten von der Polizei oder dem Bundesamt für Güterverkehr kontrolliert werden . Wenn ein Fahrer in vier Jahren nur einmal in eine umfassende Kontrolle geraten ist, dann zeigt das schlaglichtartig, welche Defizite wir im Vollzug derzeit haben . Seltene Kontrollen in Verbindung mit milden Strafen und Bußgeldern sind für Transportunternehmer geradezu eine Einladung, gelegentliche Gesetzes- und Regelver- stöße in ihre Kostenkalkulation einzubeziehen: Es dürfte oft billiger sein, als sich an die Regeln zu halten . Wir brauchen also mehr Kontrollen . Der Bund ist hier mit dem Bundesamt für Güterverkehr direkt zuständig und könnte den Ländern ein gutes Vorbild sein, indem er das Kontrollpersonal massiv aufstockt . Staatssekretär Barthle wies in der Anhörung lapidar darauf hin, dass sich durch die Änderung des Fahrper- sonalgesetzes für den Bund kein erhöhter Erfüllungsauf- wand ergeben würde . Das klingt nach Aussitzen, nicht nach Anpacken . Wenn wir dem Sozialdumping auf unseren Straßen den Kampf ansagen, dann brauchen wir dringend klare Zuständigkeiten und schlagkräftige Strukturen. Ineffizi- ente Kontrollen müssen der Vergangenheit angehören . Sicherlich lässt sich einiges durch die zügige Einführung des digitalen Tachografen sowie des digitalen Fracht- briefs vereinfachen . Wir müssen aber gleichzeitig darü- ber diskutieren, ob wir beim BAG künftig einen Großteil der Kompetenzen zur Kontrolle des Straßengüterver- kehrs bündeln . Ich hatte es in meiner letzten Rede zu diesem Gesetz- entwurf schon gesagt: Wir stehen bei der Bekämpfung des Sozialdumpings im Straßengüterverkehr erst ganz am Anfang . So gesehen ist Ihr Gesetzentwurf ein erster kleiner Schritt – aber auch nicht mehr . Das ist kein großer Wurf, sondern nur der kleinste gemeinsame Nenner der sogenannten Großen Koalition . Auf mehr können Sie sich kurz vor Ende der Legislatur- periode offenbar nicht mehr einigen. Schade! Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugendgerichtsgesetzes, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetze (Tagesordnungspunkt 24) Dr. Silke Launert (CDU/CSU): Strafe muss spür- bar sein . Anders ist manchen Menschen leider oft nicht beizubringen, dass sie sich an gewisse Regeln zu halten haben: dass sie fremde Sachen nicht wegnehmen dürfen, dass es falsch ist, ohne Ticket mit dem Bus zu fahren oder dass sie ihren Unterhaltspflichten nachzukommen haben. Die Aufgabe des Richters im Strafverfahren ist es da- her, die richtige Strafe zu finden, die, aus der der Täter auch wirklich lernt und später nicht zum Wiederholungs- täter wird . Dafür stehen dem Richter im deutschen Straf- recht aktuell zwei Mittel zur Verfügung: die Geldstrafe und die Freiheitsstrafe . Als ehemalige Staatsanwältin kann ich bestätigen, dass wir mit diesen beiden Mitteln bedauerlicherweise oft nur bedingt etwas bewirken können . So werden gera- de bei kleinerer bis mittlerer Kriminalität Freiheitsstrafen oft zur Bewährung ausgesetzt und von den Tätern dann wie ein Freispruch empfunden . Geldstrafen werden nicht selten von nahen Angehörigen beglichen, die es gut mei- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722284 (A) (C) (B) (D) nen . Oder die bisweilen auch hohen Tagessätze schmer- zen deshalb nicht, weil der Täter schlicht vermögend ist . Der Anspruch des Strafrechts und unseres Rechts- staates ist es aber, auch diesen Tätern beizukommen . Vor dem Gesetz sind schließlich alle Menschen gleich, und so sollte ein Strafurteil auch für jeden Straftäter eine spürba- re Konsequenz haben . Um das zu erreichen, wollen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf den Katalog der Strafen um das Fahrverbot erweitern . Wir wollen, dass das Fahrverbot nicht nur dann verhängt werden kann, wenn die Straftat einen Straßenverkehrsbezug aufweist, sondern grundsätzlich bei allen Straftaten . Dabei soll der Charakter des Fahrverbots als Nebenstrafe beibehalten werden . Wir versprechen uns davon, den einen oder an- deren Täter damit stärker beeindrucken zu können als mit einer anderen Strafe . Warum? Weil Autos und Autofah- ren in unserer Gesellschaft einen Stellenwert haben wie sonst kaum anderswo auf der Welt . Ein Auto bedeutet Freiheit und Mobilität und für manch einen ist es hierzu- lande auch ein geliebtes Statussymbol . Sicher treffen wir hier einen empfindlichen Nerv. Das zeigt uns jedenfalls die aktuelle Erregung der Öffentlich- keit, und das zeigen uns auch die zahlreichen Gerichts- verfahren, in denen regelrecht leidenschaftlich darum ge- rungen wird, den Führerschein nicht abgeben zu müssen . Und genau das ist von uns gewollt; denn nur so kön- nen wir abschrecken und nur so können wir Wiederho- lungstaten vermeiden . Aus denselben Gründen wollen wir auch im Jugend- strafrecht die Sanktionsmöglichkeiten öffnen und um das Fahrverbot bei allen Straftaten erweitern . Dies halten wir erzieherisch für richtig, wenn mit einer anderen Strafe einem jungen Straftäter das Unrecht seines Verhaltens nicht deutlich genug vor Augen zu führen ist . Um den vielen Kritikern aus Jugendverbänden den Wind aus den Segeln zu nehmen, will ich an dieser Stelle an den sogenannten Warnschussarrest erinnern, der zum Ende der letzten Wahlperiode ins Jugendgerichtsgesetz eingeführt wurde . Da war der Aufschrei zunächst auch groß, und keiner wollte ihn haben . Inzwischen hat er den Praxistest jedoch mit Bravour bestanden und es wird von den Jugendgerichten vielfach auf ihn zurückgegriffen. Für nicht weniger sinnvoll als das Fahrverbot als Stra- fe erachte ich die in diesem Gesetzentwurf geplanten Neuregelungen zur Blutentnahme, die uns im Wesentli- chen dorthin zurückführen, wo wir schon einmal waren . Es geht insbesondere um die Fälle, in denen Polizei- beamte vermeintlich alkoholisierte Autofahrer aus dem Verkehr ziehen . Um in diesen Fällen später das Fahren unter Alkoholeinfluss nachweisen zu können, braucht es eine Blutentnahme . Diese muss wiederum von einem Richter angeordnet werden, denn sie steht unter dem so- genannten Richtervorbehalt . Vor 2007 haben Polizisten diese Eingriffe trotz des Richtervorbehalts regelmäßig selbst angeordnet . Be- gründet wurde das mit der besonderen Eilbedürftigkeit, da der Alkohol vom Körper recht schnell abgebaut wird und sich in einem späteren Gerichtsverfahren dann Nach- weisprobleme ergeben können . Vor zehn Jahren hat das Bundesverfassungsgericht schließlich klargestellt, dass der Richtervorbehalt leer- liefe, wenn man diese Praxis weiterverfolge . Damit hat er den Richtervorbehalt gestärkt . Weitere Urteile haben jedoch Folgefragen aufgeworfen und dadurch zu allerlei uneinheitlicher Rechtsprechung von Oberlandesgerich- ten geführt . Mit den geplanten Neuregelungen, werden wir nun wieder Klarheit schaffen: Wir wollen gesetzlich festschreiben, dass es in solchen Fällen wie denen von Trunkenheit am Steuer keine rich- terliche Anordnung braucht . Stattdessen soll es reichen, wenn die Staatsanwaltschaft oder die Polizei die Blutent- nahme anordnet . Dies ist nur recht und billig; schließlich wird der Täter dadurch weder schutzlos gestellt, noch ist der Richtervorbehalt aus verfassungsrechtlichen Grün- den zwingend geboten . Diese Änderung steht letztlich im Zeichen der Sicherstellung einer effektiven Strafverfol- gung und wird die ohnehin schon stark belastete Justiz entlasten – gerade bei einem Massendelikt wie dem der Trunkenheitsfahrt . Es ist eine mehr als gute Regelung also . Neben der Einführung des Fahrverbots als Strafe und der Änderung der Anordnungskompetenz bei der Blut- entnahme enthält der vorliegende Entwurf außerdem noch weitere Neuregelungen, die wichtige Anliegen sind und die ich nicht unterschlagen will . Dazu gehören insbesondere die verschärfte Strafbarkeit organisierter Formen von Schwarzarbeit oder auch die Erleichterung der Strafzurückstellung bei betäubungsmittelabhängigen Mehrfachtätern . Alles in allem also ein runder Gesetzentwurf . Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Mit dem Gesetz- entwurf zur Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugend- gerichtsgesetzes und der Strafprozessordnung wurde ein Bündel einzelner Reformvorhaben vorgelegt, welches Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz der Strafver- folgung enthalten soll . Dabei möchte ich mich auf zwei Punkte beschränken . Zum einen auf das Fahrverbot als Nebenstrafe und zum anderen auf die Abschaffung des Richtervorbehalts in § 81a Absatz 2 StPO . Nach derzeitiger Rechtslage wird ein Fahrverbot als Nebenstrafe ausschließlich für Straftaten vorgesehen, die bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen wurden . Sie ist damit eine Reaktion auf schuldhaft begangene Verkehrsverstö- ße, die als „Denkzettelmaßnahme“ den Täter vor einem Rückfall warnen und ihm das Gefühl geben soll, was es bedeutet, vorübergehend ohne Führerschein zu sein . Es wird vorgesehen, den Katalog der strafrechtlichen Sanktionen um die Möglichkeit der Verhängung eines Fahrverbots durch Einführung eines deliktsunabhängi- gen Fahrverbots als Nebenstrafe zu ergänzen . Damit soll eine zusätzliche Möglichkeit geschaffen werden, um in geeigneter Weise auf Straftäter einzuwirken . Es sollen Straftäter erreicht werden, bei denen die herkömmlichen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22285 (A) (C) (B) (D) Sanktionen der Geld- und der Freiheitsstrafe wirkungs- los sind . Weiterhin wird die Höchstdauer des Fahrverbots von drei Monaten auf sechs Monate erhöht . Im Jugend- strafrecht soll es aufgrund des im Vordergrund stehenden Erziehungsgedankens und jugendkriminologischer Er- wägungen bei einer Höchstdauer von maximal drei Mo- naten verbleiben . Um taktische Anfechtungen allein we- gen des aus Sicht des Verurteilten zu frühen Beginns des Fahrverbots zu vermeiden, wird das Fahrverbot erst ei- nen Monat nach Rechtskraft des Urteils wirksam . Zudem ist mit § 44 Absatz 4 StGB-E eine Regelung zur Nachei- nandervollstreckung mehrerer Fahrverbote vorgesehen . Die Union verschließt sich diesem Vorhaben grund- sätzlich nicht . Jedoch ist zu bedenken, dass die Bedeu- tung des Führens eines Kraftfahrzeugs für den Einzelnen heute sehr unterschiedlich sein kann . Ein Berufskraftfahrer oder ein Pendler, der zum Errei- chen seines Arbeitsplatzes auf sein Kraftfahrzeug ange- wiesen ist, wird durch ein Fahrverbot wesentlich stärker belastet als jemand, der auf den öffentlichen Nahverkehr ausweichen kann und damit leichter auf das Autofahren verzichten kann . Dies gilt zum Beispiel für Menschen, die ihren Wohnsitz in ländlicheren Gebieten haben und denen anders als in Großstädten kein vergleichbarer öf- fentlicher Personennahverkehr zur Verfügung steht . Klar ist, dass auch Freiheitsstrafen und Geldstrafen unterschiedlich wirken . Isoliert verhängte Geldstrafen und zu vollstreckende Freiheitsstrafen können insbe- sondere in spezialpräventiver Hinsicht unter Umständen ihren Zweck nicht erreichen oder unerwünschte Neben- folgen haben . So beeindrucken Geldstrafen wirtschaft- lich gutsituierte Täter nicht immer in hinreichender Wei- se, und dort, wo die Zahlung von Dritten übernommen wird, stößt diese Sanktion ins Leere . Verurteilungen zu vollstreckbaren Freiheitsstrafen haben neben den hohen Vollstreckungskosten nicht selten auch zur Folge, dass Straftäter ihren Arbeitsplatz und ihre Wohnung verlieren und dass ihre sozialen Beziehungen erheblich gestört oder aufgelöst werden . Dies erschwert die Wiederein- gliederung der Täter nach der Entlassung und erhöht die Gefahr neuer Straffälligkeit. Die Freiheitsstrafe ist ge- nerell sehr belastend, und die unterschiedliche Wirkung der Geldstrafe wird durch die Bemessung der Tagessätze jedenfalls teilweise ausgeglichen . Bei dem Fahrverbot scheint es angesichts der verschiedenen Lebensumstände und Vorlieben der Betroffenen kaum möglich, für eine annähernde Wirkungsgleichheit der Strafe zu sorgen . Noch verstärkt werden dürfte dieser Umstand dadurch, dass die Befolgung des Fahrverbots nur schwer kontrol- lierbar ist . Sinnvolle Anwendungsfälle lassen sich aber zum Beispiel bei Gewalttaten junger Menschen denken . Es spricht einiges dafür, dass sich ein solcher Täter einen neuen Rechtsbruch sehr genau überlegen wird, wenn er sein Auto oder Motorrad bereits für maximal drei Monate nicht benutzen darf . Der zweite Punkt ist das Thema „Abschaffung des Richtervorbehalts bei der Blutprobenentnahme“ . Von Fahrzeugführern, die unter Alkohol- oder Drogeneinfluss stehen, gehen erhebliche Gefahren für die Sicherheit des Straßenverkehrs und andere Verkehrsteilnehmer aus . Sie sind eine der Hauptursachen für Verkehrsunfälle mit schweren, oft tödlichen Folgen. Eine jederzeit effektive Verfolgung der Täter ist daher von besonderer Bedeu- tung . Das bisher geltende Recht enthält in § 81a Absatz 2 StPO einen Richtervorbehalt für alle körperlichen Unter- suchungen . Ausnahmen sind nur für den Fall vorgesehen, dass der Untersuchungserfolg bei einer Verzögerung ge- fährdet würde . Dann steht die Anordnungsbefugnis der Staatsanwaltschaft und ihren Ermittlungspersonen zu . Zur Beschleunigung der Beweissicherung im Straf- und Bußgeldverfahren insbesondere bei dem Verdacht auf ein Trunkenheitsdelikt und damit zur Verbesserung des Schutzes der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs vor ungeeigneten Fahrzeugführern soll der Richtervorbe- halt zukünftig für die Fälle der Entnahme einer Blutprobe gestrichen werden . Der Richtervorbehalt ist nicht erforderlich, da es sich bei einem vergleichsweise milden Eingriff um ein Massenphänomen in der Strafjustiz handelt . Außerdem gehört der Richtervorbehalt – anders als bei der Woh- nungsdurchsuchung – nicht zum rechtsstaatlichen Min- deststandard, und er kann aufgrund der Gegebenheiten in der Anwendungspraxis seiner Funktion als vorbeugende Kontrolle kaum gerecht werden . Denn der Richter hat keine echte Überprüfungsmöglichkeit . Er muss fast im- mer telefonisch und unter Zeitdruck eine Entscheidung treffen, auf Grundlage dessen, was ihm der Polizeibeam- te zum Sachverhalt berichtet . Ein rechtstaatlicher „Mehr- wert“ für den Beschuldigten ist selten ersichtlich . Zudem bleibt auf Antrag des Betroffenen nachträglich die Mög- lichkeit, die Rechtmäßigkeit der Anordnung entspre- chend § 98 Absatz 2 Satz 2 StPO überprüfen zu lassen . Wir sollten über diese Punkte noch intensiv debat- tieren, um Antworten zu finden und die Defizite im gel- tenden Straf- und Strafprozessrecht auszugleichen . Dies könnte ein Schritt sein, das Strafverfahren unter Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze noch effektiver und praxis- tauglicher zu gestalten . Dr. Johannes Fechner (SPD): Mit dem vorliegen- den Gesetz schaffen wir zahlreiche Verbesserungen und Verfahrensvereinfachungen im Strafprozessrecht und wir schließen Strafbarkeitslücken im Strafgesetzbuch . Wichtigste Regelung ist die Abschaffung des Richter- vorbehaltes bei der Blutentnahme zur Feststellung des Blutalkohols bei Verkehrskontrollen . Nach geltendem Recht muss ein Richter diese anordnen . In der Praxis hat sich aber nun gezeigt, dass wir einerseits sehr gut ge- schultes Personal bei der Polizei haben, das verantwor- tungsvoll mit dieser durchzuführenden Messmethode umgeht . Zudem hat sich gezeigt, dass die Rückfrage bei einem Richter oft nur pro forma erfolgte und erfolgen kann . Der Richter kann sich den Sachverhalt am Telefon schildern lassen, muss praktisch aber immer den Anga- ben des Polizisten vor Ort vertrauen . Die Erfahrung und alle Berichte zeigen, dass die Polizei verantwortungsvoll vorgeht . Den Richtervorbehalt braucht es deshalb nicht mehr . Vor allem war der Richtervorbehalt mit einem er- heblichen Arbeitsaufwand für die Polizei verbunden, da jede Blutalkoholentnahme in Absprache oder auf Anord- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722286 (A) (C) (B) (D) nung eines Gerichtes erfolgen muss . Mit der Abschaf- fung des Richtervorbehaltes erleichtern wir deshalb der Polizei ganz erheblich ihrer Arbeit, und wir verhindern, dass sich der Alkohol im Blut schon rapide abgebaut hat, bis die Entnahme endlich möglich ist . Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung nehmen lei- der auch bei uns zu . Dabei lassen sich die gut organisier- ten Tätergruppen einiges einfallen, um die tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse zu verschleiern . Diese neuen Methoden sind vom heutigen Straftatbestand des Vorent- haltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt nicht erfasst, sodass wir diese Lücke schließen müssen . Es ist deshalb gut, dass zukünftig mit der Einführung eines neuen be- sonders schweren Falls derjenige Arbeitgeber härter be- straft werden kann, der Beiträge zur Sozialversicherung vorenthält und sich zur Verschleierung der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse unrichtige, nachgemachte oder verfälschte Belege von einem Dritten verschafft. Schließlich fügen wir als neue Nebenstrafe die Ver- hängung eines Fahrverbotes ein . Gerichte haben damit die Möglichkeit, in bestimmten Konstellationen, in de- nen eine Geldstrafe möglicherweise nicht die spürbarste Sanktion ist, durch die Verhängung eines Fahrverbotes auf den Täter einzuwirken . Dies kann insbesondere dann sinnvoll sein, wenn kurze Freiheitsstrafen oder Geldstra- fen bei vermögenden Tätern keine entsprechende zielge- naue Wirkung erwarten lassen . Leider nimmt der illegale Wildtierhandel zu, was eine massive Bedrohung für den Artenschutz ist . Es ist deshalb richtig und gut, dass wir im Bundesnaturschutzgesetz regeln, dass das leichtferti- ge Töten und Zerstören von streng geschützten wildle- benden Tieren oder geschützten seltenen Pflanzenarten zukünftig strafbar ist . Durch dieses Gesetz schaffen wir eine ganze Reihe von strafprozessualen Verbesserungen, und wir schließen mehrere strafrechtliche Lücken . Es ist deshalb ein gutes Gesetz, weshalb wir diesem zustimmen sollten . Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Da ist sie wieder: die Ausweitung des Fahrverbots auf alle Strafen unabhängig der Verkehrsbezogenheit der Delikte . Der Gedanke ist ja nicht neu, wurde immer wieder einmal hochgeholt und dann wieder versenkt, – zu Recht, wie ich meine . Gerade diese Ausweitung halte ich im Hinblick auf den Sinn und Zweck des Strafrechts und der erwünsch- ten Wirkung auf den Täter für problematisch, weil eine neue Ausbildungsstelle, ein neuer Arbeitsplatz, die Ein- bindung in soziale Netzwerke integrativ und reduzierend auf die Wahrscheinlichkeit der Begehung einer erneuten Straftat wirken können . All dies kann aber mit einer der- artigen Sanktion gefährdet werden . Auch wird diese neue Strafe nicht auf alle Angeklagten anwendbar sein, sondern nur auf diejenigen mit Führer- schein . Das Ziel, eine umfängliche dritte Sanktionsform zu schaffen, kann also nicht erreicht werden. Vielmehr sind hier schwer zu begründende Ungleichbehandlungen denkbar, so zum Beispiel, wenn bei Mittätern der eine ein Fahrverbot erhalten soll und der andere mangels Führer- schein eine kurze Freiheitsstrafe verbüßen soll . Es sollten Sanktionsformen gewählt werden, die mit der Tat im Zusammenhang stehen, da diese für den Täter auch nachvollziehbar sind . Dies wäre hier gerade nicht der Fall . Ferner fehlt es an einem objektiven Verrechnungs- maßstab des Fahrverbots gegenüber der Geldstrafe beim führerscheinlosen Täter . Anders als beim Freiheitsentzug und der Geldstrafe fehlt es beim Fahrverbot an einer Ein- heit mit allgemeiner Gültigkeit, da die Folgen des Fahr- verbots je nach Täter unterschiedliche wirtschaftliche und soziale Auswirkungen haben können . Da sich im Gesetzentwurf keine detaillierten Angaben finden lassen, in welchen Fällen das Fahrverbot verhängt werden soll, ist neben den beschriebenen Problemen überdies die Gewährleistung des Bestimmtheitsgebots problematisch . Daneben wird statistisch nur der allergeringste Teil der Fahrer ohne Fahrerlaubnis überhaupt entdeckt . Das Risiko besteht, dass die Verurteilten dennoch weiterfah- ren und als Konsequenz lernen, dass die Verurteilung wirkungslos bleibt und ein Verstoß nicht weiter schadet . Das würde die Zielsetzung des Strafrechts ad absurdum führen . Als Gegenargument in den Medien wird vorgebracht, dass das Fahrverbot insbesondere gegen Väter, die den vorgeschriebenen Unterhalt an die alleinerziehende Mut- ter nicht zahlen, eingesetzt werden soll. Häufig wäre eine Geldstrafe hier nicht erfolgreich . Nach einer Bertelsmann Studie würden 2,3 Millionen Kinder in einem Ein-El- tern-Haushalt aufwachsen . Die Hälfte würde dabei gar keinen Unterhalt und 25 Prozent nur unregelmäßig wel- chen erhalten . Dies sei für die Mütter eine schwere Be- lastung . Zwar stimmt es, dass hier ein großes Problem für die Mütter besteht, jedoch bleibt die Forderung nach einem Fahrverbot für solche Fälle rein populistisch . Denn in den allermeisten Fällen scheitert es nicht an dem Unwil- len der Väter, sondern vielmehr an ihrer aktuellen Zah- lungsunfähigkeit . Hier springen dann vorerst die Ämter ein, die später versuchen, das Geld zurückzubekommen . Sofern es sich tatsächlich um Zahlungsunwillige handelt, wäre wiederum eine konsequentere Zwangsvollstre- ckung das deutlich bessere Mittel . Denn damit kommt auch das Geld auf das Konto, im Gegensatz zu einem Fahrverbot . Daneben ist der Vorschlag auch absurd, weil er zivilrechtliche und strafrechtliche Probleme ver- mischt; reiner Populismus also . Sinnvoller für eine wirksame Strafe wäre unter Um- ständen eine Änderung des § 40 Absatz 2 StGB, welcher regelt, was bei der Berechnung der Tagessätze berück- sichtigt wird . Hier müssten tatsächlich ermittelte Vermö- genswerte und weitere Verbindlichkeiten ausreichende Berücksichtigung finden. Die Ergänzungen der Regelbeispiele zur Schwarzar- beit und illegalen Beschäftigung sind problematisch . Ins- besondere die geplante Nummer 3 will eine Strafbarkeit für den Fall regeln, dass jemand „fortgesetzt Beiträge vorenthält und sich zur Verschleierung der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse unrichtige, nachgemachte Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22287 (A) (C) (B) (D) oder verfälschte Belege von einem Dritten verschafft, der diese gewerbsmäßig anbietet“ . Dabei ist allerdings in der Nummer 2 bereits das Verwenden solcher Belege geregelt . Hier soll dagegen noch einmal speziell das Ver- schaffen solcher unter Strafe gestellt werden. Damit han- delt es sich also um eine Vorverlagerung der Strafbarkeit, die ich generell kritisch sehe . Auch die Abschaffung des Richtervorbehalts bei Blut- probeentnahmen bei Straßenverkehrsdelikten ist nicht ohne, da diese einen Eingriff in die körperliche Unver- sehrtheit darstellen . Nur durch einen Richtervorbehalt kann die strukturelle Ungleichheit im Verfahren ausge- glichen werden. Untersuchungen, die bedeutsame Defi- zite in der Erreichbarkeit von Richtern in der Nachtzeit feststellen konnten und folglich die Beweissicherung gefährdet hätten, sind zudem nicht bekannt . Sollten hier dennoch Lücken auftreten, müssten diese beseitigt wer- den, um, wie ich es heute Mittag bereits sagte, der Ge- rechtigkeit endlich zum Durchbruch zu verhelfen . Das grundlegende Ziel, Drogenabhängige schneller einer Therapie zuzuführen, ist zu begrüßen . Dies ent- spricht auch den Wünschen aus der Praxis . Vielleicht sollte man sogar so weit gehen, nur zwei Drittel zu voll- strecken und den Rest bei Vorliegen der Voraussetzungen einer Zurückstellung nach 35 Betäubungsmittelgesetz mit entsprechender Auflage zur Bewährung auszusetzen. So könnten auch die hier Betroffenen schneller einer Therapie zugeführt werden . Denn in der Haft können nur schwer die erforderlichen Therapien angeboten werden . Schon wenn es sich um Freiheitsstrafen von mehreren Monaten handelt, kann dies den Therapieerfolg ernsthaft gefährden . Zur Stärkung der Bewährungshilfe und Straffälligen- arbeit lässt sich konstatieren, dass die Vereinfachungen und Klarstellungen mit Rücksicht auf das informationel- le Selbstbestimmungsrecht im Interesse einer effizienten Gefahrenabwehr liegen . Daneben können Daten zu den persönlichen Verhältnissen des Verurteilten die Qualität der Behandlungsuntersuchung zu Beginn der Inhaftie- rung und die Entlassungsvorbereitung an deren Ende verbessern . Die neuen Tatbestände auch zur leichtfertigen Tötung und Zerstörung von streng geschützten wildlebenden Tier- und Pflanzenarten sind grundsätzlich sinnvoll und unterstützenswert . Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zu Beginn dieser Legislatur gab es gro- ße Ankündigungen aus dem Bundesjustizministerium, die Strafprozessordnung grundlegend zu überarbeiten . Dazu wurde eine Kommission einberufen mit vielen Vertretern aus Wissenschaft und Praxis, die umfassende Empfehlungen für eine Reform vorgelegt haben . Fast 200 Seiten umfasst der Abschlussbericht der Experten . Auf Grundlage dieses Berichts erarbeitete das Justizmi- nisterium zwei Gesetzentwürfe, die wir in dieser Woche debattieren . Beide Vorlagen verdienen die Bezeichnung „Reform“ nicht . Von den umfassenden Vorschlägen der Kommission wurde zu wenig aufgegriffen. Der Gesetz- entwurf zu diesem Tagesordnungspunkt 24 beschert uns eher kleinere Änderungen im Strafprozessrecht . Aber auch kleinere Änderungsvorschläge sind nicht davor gefeit, unsinnig und falsch zu sein . Und so verhält es sich mit dem Vorschlag, das Fahrverbot als Nebenstra- fe für alle Straftaten zu ermöglichen . Bisher konnte dies nur verhängt werden, wenn zwischen der Tat und dem Führen eines Kfz ein Zusammenhang besteht oder die Tat unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeug- führers begangen wurde . Die Erweiterung ist nicht nur Unsinn, sondern führt gleich in mehrfacher Hinsicht zu Ungleichbehandlungen, was in meinen Augen sogar ver- fassungsrechtlich bedenklich ist . Anders als die Geldstrafe, deren Höhe sich an dem Einkommen des Verurteilten orientiert, kann das Fahr- verbot nicht individuell schuldangemessen ausgestaltet werden . Das heißt, einen Verurteilten, der in einer grö- ßeren Stadt lebt, in der viele Möglichkeiten bestehen, öf- fentliche Verkehrsmittel zu nutzen, trifft ein Fahrverbot weniger hart als zum Beispiel einen Lehrling oder ein Elternteil auf dem Lande, der auf das Auto angewiesen ist, um damit zur Arbeitsstelle, zum Einkauf zu gelangen oder die Kinder zur Schule zu bringen . Auch den, der den Führerschein zwingend zur Ausführung seiner Arbeit be- nötigt, zum Beispiel einen Kurierfahrer, trifft die Strafe ungleich hart . Hier kann das Fahrverbot existenzbedro- hend sein . Hingegen sind für Wohlhabende Fahrverbote leichter zu verschmerzen, können Sie sich doch problem- los per Taxi chauffieren lassen. Die Bundesregierung behauptet, dass das Fahrverbot als Ergänzung zu anderen Sanktionen sinnvoll sei, ins- besondere wo Geldstrafen keinen nachhaltigen Eindruck hinterlassen, eine Freiheitsstrafe zu einschneidend sei oder eine eigentlich angezeigte Freiheitsstrafe dadurch abgewendet werden könne . Was aber ist mit demjenigen, der gar keinen Führerschein hat? Er wird keine Freiheits- strafe abwenden können und ist somit benachteiligt . Die- selbe Strafe kann also faktisch zu Ungleichbehandlungen führen . Es ist auch schwer vermittelbar, warum bei einer Tat, die nicht im Zusammenhang mit dem Führen eines Kfz steht, das Führen eines Fahrzeugs verboten wird . Das macht bei Rasern oder anderen Straßenverkehrsdelikten Sinn – aber eben nicht bei sämtlichen Straftaten . Die im vorliegenden Gesetzentwurf vorgeschlagene Ausweitung eines Fahrverbots als Nebenstrafe auf alle Straftaten im Jugendstrafrecht lehnen wir ebenfalls ab . Nach § 2 Absatz 1 Satz 2 Jugendgerichtsgesetz orientiert sich das Jugendstrafrecht vorrangig am Erziehungsge- danken . Die Bundesrechtsanwaltskammer weist in ih- rer Stellungnahme zu diesem Gesetzentwurf zu Recht darauf hin, dass bei der Verhängung eines Fahrverbots als Nebenstrafe in Fällen, in denen die Tat in keinem Zusammenhang mit der Teilnahme am Straßenverkehr und Nutzung eines Kraftfahrzeugs steht, keinerlei Erzie- hungsfunktion der Sanktion erkennbar sei . Diese Kritik, die ebenfalls aus der Wissenschaft und von Fachverbän- den geäußert wurde, teilen wir . Ein weiterer Teil dieses Gesetzentwurfs betrifft die Aufhebung des Richtervorbehalts bei der Anordnung Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722288 (A) (C) (B) (D) einer Blutentnahme im Bereich der Straßenverkehrsde- likte . Als einfachgesetzlicher Richtervorbehalt unterliegt § 81a Absatz 2 Strafprozessordnung grundsätzlich der Disposition des Gesetzgebers, da im Normbereich von Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG zum Schutz der körper- lichen Unversehrtheit im Rahmen von Verhältnismäßig- keit und Wesensgehaltgarantie Eingriffe aufgrund eines Gesetzes zulässig sind und kein grundgesetzlicher Rich- tervorbehalt besteht . Die Einschaltung eines Richters als „neutraler Wäch- ter“ soll die Kontrolle über die Anordnungsvorausset- zungen und die Wahrung des Verhältnismäßigkeits- grundsatzes garantieren . Die StPO-Kommission des Bundesjustizministeriums hielt die Einschaltung eines Richters in diesem Bereich für verzichtbar – angesichts der geringen Eingriffstiefe und der weitgehenden Unge- fährlichkeit der Blutentnahme, die ja in jedem Fall von einem Arzt vorzunehmen ist . Zudem muss der Richter schon heute meist am Telefon aus der Ferne entscheiden und sich dabei auf die von der Polizei vorgetragene Sach- lage verlassen, ohne die Ermittlungsakten selbst einse- hen zu können . Insofern spricht auch aus unserer Sicht vieles für die Aufhebung des Richtervorbehaltes, zumal Verkehrsdelikte unter Alkoholeinfluss ein Massenphäno- men mit erheblichem Gefährdungspotenzial sind . Hinzu kommt, dass momentan keine einheitliche Praxis besteht, in welchen Fallkonstellationen die Polizei Blutproben schon wegen Gefahr im Verzug anordnen darf und wann dies dem Richter vorbehalten bleibt bzw . wann zumin- dest die Staatsanwaltschaft zu befassen ist . Der Gesetzentwurf sieht nun vor, dass die Anord- nungsbefugnis durch die Staatsanwaltschaft oder ihre Ermittlungspersonen erfolgen kann . Das bedeutet wohl auch, dass trotz Sachleitungsbefugnis der Staatsanwalt- schaft die Polizei als verlängerter Arm der Staatsanwalt- schaft ohne vorherige Weisung durch sie tätig werden kann, davon geht jedenfalls die Stellungnahme des Bun- desrates aus . Was aber fehlt, ist eine ausdrückliche Dokumenta- tionspflicht der Polizei, sofern sie die Anordnung vor- nimmt . Nur durch eine detaillierte Dokumentation der je- weiligen Gründe für die Anordnung einer Blutentnahme ist im Zweifel eine umfassende nachträgliche Überprü- fung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme möglich . Allerding darf die Aufhebung des Richtervorbehalts im Bereich der Straßenverkehrsdelikte nicht Einfallstor sein für weitere Verzichte auf dieses wichtige rechts- staatliche Kontrollinstrument . Praktische Erwägungen wie etwa, dass die Entscheidungen ja ohnehin meist nur aus der Ferne getroffen werden, dürfen nicht allein als Argument für die Aufhebung einer richterlichen Kontrol- le ausreichen . Christian Lange, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Wir befassen uns heute in erster Lesung mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugendgerichtsgesetzes, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetze . Mit der Ausweitung des Fahrverbots setzen wir eine Vorgabe des Koalitionsvertrags um . Ein Fahrverbot stellt ein spürbares und empfindliches Übel dar. Um den Gerichten diese Strafmöglichkeit auch jenseits von ver- kehrsbezogenen Delikten zur Verfügung zu stellen, soll das Fahrverbot – unter Beibehaltung seines Rechtscha- rakters als Nebenstrafe – für alle Straftaten zugelassen werden . Seine Verhängung ist insbesondere dann sinn- voll, wenn eine Geldstrafe allein beim Verurteilten kei- nen hinreichenden Eindruck hinterlässt oder dadurch Verurteilungen zu spezialpräventiv eher kontraprodukti- ven kurzen Freiheitsstrafen vermieden werden können . Zudem soll die Höchstdauer des Fahrverbots im Strafge- setzbuch von derzeit drei auf sechs Monate angehoben und das Fahrverbot erst einen Monat nach Rechtskraft wirksam werden . Damit wollen wir den Gerichten einen erweiterten Bemessungsspielraum eröffnen und der Ein- legung taktischer Rechtsmittel entgegenwirken . Zwar wurden gegen die Ausweitung des Fahrverbots von Teilen der Wissenschaft und der Verbände Einwände erhoben . Diese könnten aber fast durchgehend auch ge- gen das Fahrverbot in seiner jetzigen Form erhoben wer- den . Wie schon beim bisherigen Fahrverbot werden zum Beispiel die Gerichte auch beim ausgeweiteten Fahrver- bot zu berücksichtigen haben, welche Auswirkungen das Fahrverbot für den konkret betroffenen Täter hätte, wie stark ihn das Verbot also treffen würde. Die Beibehaltung des Fahrverbots als Strafe, die nur neben einer Geld- oder Freiheitsstrafe verhängt werden kann, wird es den Ge- richten erleichtern, sachwidrige Ungleichbehandlungen zu vermeiden und zielgenauer als bisher zu einer ange- messenen Sanktionierung des Täters zu gelangen . Die besonders kritischen Argumente vieler Fachleu- te im Jugendstrafrecht haben wir ebenfalls nicht einfach übergangen; siehe etwa die Begrenzung der Höchstdau- er des Fahrverbots im Jugendstrafrecht auf drei Monate . Letztlich muss immer der Jugendrichter im Einzelfall entscheiden, ob ein Fahrverbot konkret wirklich das Ziel fördert, eine erneute Straffälligkeit zu vermeiden, oder ob es womöglich sogar eher zusätzliche Probleme erwar- ten lässt . Auch die übrigen Inhalte dieses Gesetzentwurfs tra- gen nach meiner Überzeugung zu einer effizienteren Strafverfolgung bei . Im Bereich der Schwarzarbeit und illegalen Beschäf- tigung werden mit der Schaffung von zwei neuen Regel- beispielen für besonders schwere Fälle solche Verhal- tensweisen mit einer höheren Strafandrohung bedroht, die sich durch den hohen Organisationsgrad der Täter deutlich vom Grundtatbestand des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt abheben . Im Strafverfahrensrecht wollen wir für bestimmte Straßenverkehrsdelikte eine Ausnahme von der vorrangi- gen richterlichen Anordnungskompetenz für die Entnah- me von Blutproben schaffen, um der Polizei ein schnel- leres Handeln zu ermöglichen und die Aufklärung von Verkehrsstraftaten insgesamt zu fördern . Außerdem enthält der Entwurf im Bereich des Straf- vollstreckungsrechts Regelungsvorschläge, die eine Strafzurückstellung bei betäubungsmittelabhängigen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22289 (A) (C) (B) (D) Mehrfachtätern erleichtern . Im Bereich der Bewährungs- hilfe wird die Zulässigkeit der Übermittlung von Daten durch den Bewährungshelfer gesetzlich klargestellt . Der Gesetzentwurf sieht schließlich Änderungen im Bundesnaturschutzgesetz vor . Diese gehen einerseits auf die sogenannte EU-Richtlinie Umweltstrafrecht zurück . Andererseits ist im Bereich der Wilderei und der illega- len Entnahme von gefährdeten Tieren sowie des illegalen Wildtierhandels eine nachhaltigere strafrechtliche Ab- schreckung erforderlich, die durch eine Anhebung der Strafandrohung erreicht werden soll . Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung zu diesem Vorha- ben . Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Än- derung des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes (Ta- gesordnungspunkt 25) Clemens Binninger (CDU/CSU): Dass wir das Si- cherheitsüberprüfungsgesetz dringend gründlich überar- beiten müssen, dürfte spätestens seit November vergan- genen Jahres klar sein . Damals wurde bekannt, dass sich ein Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz im Internet unter falschem Namen islamistisch geäußert und auch Dienstgeheimnisse verraten hatte . Es ist der Behörde damals gelungen, den Islamist in den eigenen Reihen zu identifizieren. Was zeigt uns dieser Vorfall? Das Gesetz in seiner jetzigen Form ist nicht mehr zeitgemäß; es wird der herrschenden Bedrohung durch den internationalen Terrorismus, aber auch durch andere extremistische Bestrebungen nicht gerecht . Die Regelun- gen greifen zu kurz und werden den Anforderungen im Sicherheitsbereich nicht mehr gerecht . Wir müssen die Effektivität und die Qualität des personellen und des ma- teriellen Geheimschutzes verbessern . Angesichts des Vorfalls im Bundesamt für Verfas- sungsschutz ist es richtig, den Blick auf das Verhalten der Bewerber und Mitarbeiter der Nachrichtendienste im Internet zu richten . Soziale Netzwerke und Internetauf- tritte werden bei der Selbstdarstellung gegenüber und in der Kommunikation mit anderen immer wichtiger . Künf- tig müssen die Bewerber und Mitarbeiter der Nachrich- tendienste daher angeben, ob und welche eigenen Inter- netseiten sie betreiben und darlegen, in welchen sozialen Netzwerken sie Mitglied sind . Aus den Reihen der Opposition erreichen mich in diesem Zusammenhang immer wieder datenschutzrecht- liche Bedenken . Man muss aber in der Debatte ehrlich sein: Die öffentlich zugängliche Internetpräsenz einer Person – es geht also ausschließlich um öffentlich ver- fügbare Daten – in die Überprüfung miteinzubeziehen, ist angesichts der jüngsten Erfahrungen nur konsequent und absolut richtig . Anderes zu behaupten, wäre weder seriös noch zeitgemäß . Zu einem modernen Sicherheitsüberprüfungsgesetz, das den Herausforderungen der heutigen Zeit gerecht wird, gehört auch, dass die Lebensumstände der poten- ziellen Geheimnisträger mit beachtet werden . Es ist nicht mehr unüblich, für eine bestimmte Zeit im Ausland zu leben . Das bedeutet aber, dass es für die Nachrichten- dienste wichtig ist, bei der Sicherheitsüberprüfung auch mit den jeweiligen ausländischen Stellen zusammenar- beiten zu dürfen . Das werden wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf – unter strengen Voraussetzungen und mit der ausdrücklichen Zustimmung des Betroffenen – er- möglichen . Wenn wir den empfindlichen Sicherheitsbereich vor extremistischen Bestrebungen schützen wollen, ist es außerdem notwendig, den materiellen Geheimschutz aufzuwerten . Bisher sind die Bestimmungen zum Schutz von Verschlusssachen nur untergesetzlich geregelt . Das reicht meiner Meinung nach nicht . Eine gesetzliche Ver- ankerung im Sicherheitsüberprüfungsgesetz macht die gemeinsame Verantwortung für das Wohl und den Schutz unseres Landes deutlich . Das Sicherheitsüberprüfungsgesetz jetzt zu überarbei- ten, ist richtig und zeitlich notwendig . Man muss aber weiterdenken . Es ist doch so: Der Sicherheitsbereich endet nicht am Zugang zu Verschlusssachen oder dem Sabotageschutz . Deshalb haben wir auch erst im letzten Jahr beschlossen, dass sich alle Soldaten künftig schon zum Zeitpunkt ihrer Einstellung bei der Bundeswehr ei- ner einfachen Sicherheitsüberprüfung unterziehen müs- sen und nicht erst, wenn sie Berührung mit Verschlusssa- chen haben oder aus Gründen des Sabotageschutzes . An diesem Beispiel wird deutlich: Wir verhindern so, dass amtsbekannte, gewaltbereite Extremisten die Möglich- keit einer militärischen Ausbildung bei der Bundeswehr für ihre eigenen Zwecke nutzen . Wir werden daher in der Koalition darüber sprechen, ob und wie der zu überprü- fende Personenkreis gegebenenfalls erweitert werden muss . Nur so können wir den sich ständig wandelnden Anforderungen im Sicherheitsbereich entgegentreten . Susanne Mittag (SPD): Das Sicherheitsüberprü- fungsgesetz ist mittlerweile 22 Jahre alt und steht nun zur Überarbeitung an . Das ist auch nötig . Ein wenig an- gestaubt wirkt das derzeitige Gesetz schon, nicht nur, weil wir heute – einen Tag nach dem Internationalen Frauentag – in diesem Gesetz eine geschlechtsneutrale Personenbezeichnung durchführen, nein es werden vor allem wichtige technische Neuerungen nachvollzogen, die bisher unbeachtet geblieben sind . Aber um mal zum Ausgangspunkt des Gesetzes zu gehen: Warum brauchen wir eigentlich ein Sicherheits- überprüfungsgesetz? Ganz einfach: Es gibt Aufgaben und Tätigkeiten in unserem Staat, aber auch in privat- wirtschaftlichen Unternehmen, bei denen wir schon ge- nau wissen sollten, ob der oder diejenige, der sie erledigt, auch zuverlässig und auf dem Boden der freiheitlich-de- mokratischen Grundordnung steht . Das gilt für Extre- misten aller Ausprägung – also seien es Reichsbürger, Rechts- oder Linksextreme oder Islamisten oder ganz einfach Straftäter . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722290 (A) (C) (B) (D) Ich möchte keinen Polizisten, keinen Mitarbeiter von Nachrichtendiensten, keine sonstigen Mitarbeiter mit sensiblen Aufgaben betraut sehen, an dem Zweifel bei der Zuverlässigkeit bestehen . Aber nicht nur extremis- tische Einstellungen werden bei der Sicherheitsüberprü- fung betrachtet, sondern eben auch die Lebenssituation des Einzelnen . Jemand der stark überschuldet ist, könnte anfälliger sein für Anwerbeversuche anderer Nachrich- tendienste! Gerade bei hochsensiblen Informationen, die den Bestand oder die Sicherheit unseres Staates gefähr- den, muss der Staat wissen, wem er solche Informatio- nen und Aufgaben anvertrauen kann . Es werden daher aber eben nicht nur die Antragsteller, sondern auch die Lebenspartner in den Blick genommen . Das ist sicher- lich ein Eingriff, der je nach Schutzbedürfigkeit der Ver- schlusssachen abgestuft erfolgt . Die Überprüfung unter- liegt aber der Freiwilligkeit des Bewerbers . Jemand, der mit streng geheimen Verschlusssachen umgeht, muss an- ders durchleuchtet werden als jemand der nur mit „VS – Nur für den Dienstgebrauch“ in Kontakt kommt . Dazu dient das Sicherheitsüberprüfungsgesetz . Was soll geändert werden? Als Erstes machen wir natürlich einen Schritt in Rich- tung der Digitalisierung . Vor 20 Jahren war das noch kein Thema, heute schon . Endlich kann man im Jahre 2017 seine Zustimmung zur Sicherheitsüberprüfung auch elektronisch erklären, und es bedarf nicht mehr einer eigenhändigen Unterschrift . Es werden also in Zukunft Schriftformäquivalente, wie sie im E-Government-Ge- setz geregelt sind, genutzt werden . Darüber hinaus regeln wir materiellen Geheimschutz auch gesetzlich . Bisher hatten diesen nur die Allgemei- ne Verwaltungsvorschrift des Bundesministeriums des Innern zum materiellen Geheimschutz von Verschlusssa- chen, die sogenannten VSA, also eine untergesetzliche Regelung . Das hat zwar auch funktioniert, aber gesetz- lich geregelt ist es sicherer . Darüber hinaus stärken wir erneut das Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik – kurz BSI – als zuständige Behörde für den materiellen Geheimschutz in der Bundesverwaltung . Das BSI hat nun die Aufga- be und die Befugnisse für ein durchgängig hohes Niveau des materiellen Geheimschutzes im Geltungsbereich der VSA zu sichern . Dazu gehören Beratung, Zulassung und Überprüfung von organisatorischen und technischen Si- cherheitsmaßnahmen . Der Umgang mit sicherheitssensiblen Informationen bedarf klarer technisch aktueller Regeln . Mit dem neu- en Sicherheitsüberprüfungsgesetz schreiben wir den Grundsatz der „Kenntnis, nur wenn nötig“ gesetzlich fest . Dieser Grundsatz beschränkt die Weitergabe von eingestuften Informationen auf den zur Aufgabenerfül- lung notwendigen Teil . Das ist die eine Seite der Medail- le . Die andere Seite der gleichen Medaille ist aber auch, dass eine Verschlusssache zur Kenntnis bekommt, wenn sie für seine oder ihre Aufgabe benötigt wird . Das ist das sogenannte Need-to-share-Prinzip, das hier zum Tragen kommt . Gerade bei unserer Arbeit im NSA-Untersuchungs- ausschuss mussten wir immer wieder feststellen, dass dieses Prinzip eben nicht in allen Bereichen durchgän- gig geklappt hat . Man hat eher das Gefühl gehabt, dass „Kenntnis, nur wenn nötig“ den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern so in Fleisch und Blut übergegangen ist, dass eben auch wichtige Informationen nicht weitergege- ben wurden . Aber es kam eben auch vor, dass, wenn je- mandem etwas aufgefallen ist, nicht nachgefragt wurde . Die Begründung war dann immer: Das musste ich nicht für meine Aufgabe wissen. Ich hoffe, nein, ich erwarte, dass sich das verbessert . Insgesamt soll die gesamte Sicherheitsüberprüfung transparenter gestaltet werden . In Zukunft sollen alle be- troffenen Personen über das Ergebnis ihrer Sicherheits- überprüfung informiert werden . Das gilt für abgelehnte wie für zugelassene Personen . Ein jede und ein jeder muss wissen, welche Hinderungsgründe für eine Ableh- nung in einem sicherheitssensiblen Bereich bestehen . Das muss heute Standard sein . Allerdings gibt es auch dort eine Ausnahme . Bewer- berinnen und Bewerber von Nachrichtendiensten des Bundes wird das Ergebnis nicht mitgeteilt . Denn auslän- dische Nachrichtendienste versuchen immer wieder mit fingierten Bewerbungen, den Kenntnisstand der Nach- richtendienste bzw . die Einstellungspraktiken auszu- kundschaften. Bei aller Offenheit, so leicht sollten wir es den ausländischen Diensten nicht machen . Deshalb kann ich diese Ausnahme auch gut mittragen . Aber das wissen die Bewerber auch . Bei solch einer Sicherheitsüberprüfung fallen natur- gemäß auch persönliche Daten an . Wir regeln nun in diesem Gesetz, dass, spätestens ein Jahr nachdem eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit nicht oder nicht mehr ausgeübt wird, die personenbezogenen Daten gelöscht werden müssen . Davon kann allerdings abgewichen wer- den, wenn die betroffene Person einer längeren Speiche- rung zustimmt, da sie anstrebt, in Zukunft erneut eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit auszuüben. Ich denke, wir haben hier einen sehr ausgewogenen Gesetzentwurf, den wir nun ins parlamentarische Verfahren geben . Für interessant halte ich die Anmerkungen der Bun- desrates zu diesem Entwurf: Es versteht sich von selbst, dass Bewerberinnen und Bewerber für so sensible Tä- tigkeiten ihre öffentlich zugänglichen Accounts sozialer Netzwerke und ihre eigenen Internetseiten angeben . Wir sollten uns dabei aber wirklich nicht nur auf die eigenen Seiten beschränken, sondern sollten auch die Möglich- keit nutzen, öffentlich zugängliche Seite einzusehen, die eben nicht von den Betroffenen verwaltet werden. In Zei- ten von mit Hassnachrichten explodierenden Komment- arzeilen von Onlinezeitungen und anderen Internetseiten erscheint es nur sinnvoll, eben auch diese für die Bewer- tung heranzuziehen . Es kann ja sein, dass jemand auf seinem Facebook-Profil nur Katzenbilder teilt. Das heißt aber nicht, dass dieser sich auf anderen Seiten nicht ras- sistisch oder extremistisch äußert . Das muss bei der Si- cherheitsüberprüfung berücksichtigt werden . Ich denke, das werden wir hier im Saal alle nachvollziehen können . Dr. André Hahn (DIE LINKE): Die letzte grundle- gende Reform des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes liegt Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22291 (A) (C) (B) (D) inzwischen fast ein Vierteljahrhundert zurück . Ange- sichts der seitdem eingetretenen Veränderungen durch wachsende Terrorgefahren und erhebliche technische Fortentwicklungen erscheint es nachvollziehbar, das entsprechende Gesetz einer intensiven Überprüfung zu unterziehen . Die Bundesregierung hat dazu nun einen Entwurf vorgelegt, den wir heute in erster Lesung behan- deln . Ich will eingangs für meine Fraktion Die Linke eines ganz klar festhalten: Auch aus unserer Sicht gibt es gute Gründe, in bestimmten hochsensiblen Bereichen genau hinzuschauen, wen man mit extrem sicherheitsrelevanten Aufgaben betraut . Exemplarisch nenne ich hier nur Flug- häfen, Atomkraftwerke und andere besonders kritische Infrastruktureinrichtungen . Und natürlich bestreitet auch niemand die Notwendigkeit von Vorsorgemaßnahmen gegen potenzielle Terroranschläge . Für manche dieser Bereiche, wie beispielsweise die AKWs, existieren eige- ne gesetzliche Grundlagen, für alle anderen greifen die Bestimmungen des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes . Mit dem nun vorliegenden Gesetzentwurf sollen die Regelungen zum materiellen Geheimschutz aus einer all- gemeinen Verwaltungsvorschrift in das Sicherheitsüber- prüfungsgesetz überführt werden . Das erscheint durch- aus sinnvoll; denn aus unserer Sicht ist eine gesetzliche Regelung einfachen und jederzeit änderbaren Verwal- tungsvorschriften in aller Regel vorzuziehen . Der uns vorgelegte Gesetzentwurf bringt jedoch in der Praxis kaum wirkliche Verbesserungen . Die Kriterien für die Einstufung als „Sicherheitsrisiko“ bleiben nach wie vor unscharf, wenig nachvollziehbar, und sie sollen vor allem auch künftig nicht anfechtbar sein . Einer solchen Fassung können und werden wir als Linke nicht zustim- men . Aus Platzgründen kann ich hier nur einige wenige Problemfelder ansprechen . Nach wie vor gibt es keine klare Definition, wer nach welchen Kriterien entscheidet, ob sich jemand einer Si- cherheitsüberprüfung unterziehen muss, und, falls ja, für welche Stufe dies erfolgt . Das Vorliegen eines Sicher- heitsrisikos wird durch die Novelle wesentlich weiter gefasst als bislang . Demnach sollen nun schon „mögli- che Anbahnungs- und Werbungsversuche“ ausländischer Nachrichtendienste als kriminell verdächtigter Vereini- gungen oder extremistischer Organisationen ausreichen, um als ein solches Sicherheitsrisiko angesehen zu wer- den . Vor derartigen Anbahnungsversuchen ist aber letzt- lich niemand wirklich gefeit, der zum Umgang mit Ver- schlusssachen ermächtigt ist . Zudem fehlen eindeutige Kriterien, wem die Ertei- lung der Sicherheitsüberprüfung aus welchen Gründen verweigert werden kann . Gleichzeitig nimmt der Gesetz- entwurf Erweiterungen bei der Überprüfung selbst vor . Dies führt zu einer immer stärkeren Durchleuchtung und Abfrage der Lebensumstände sowie des Umfeldes der zu überprüfenden Personen . Für die Betroffenen sind die Entscheidungen oft we- der nachvollziehbar noch anfechtbar . Es ist dringend ge- boten, ablehnende Bescheide über die Erteilung einer Si- cherheitsüberprüfung in Zukunft gerichtlich überprüfen lassen zu können . An der Frage, ob eine Sicherheitsüber- prüfung erteilt wird oder nicht, können im Zweifel ganze berufliche und auch familiäre Existenzen hängen, wenn jemand deshalb seinen Job verliert oder gar nicht erst be- kommt . Ohne einen klaren Kriterienkatalog und die ver- waltungsgerichtliche Überprüfbarkeit sind der Willkür Tür und Tor geöffnet. Auch deshalb plädieren wir dafür, dass die Betroffenen zu ihrer Anhörung von einem An- walt oder einer Person ihres Vertrauens begleitet werden können . Davon ist im vorliegenden Gesetzentwurf aller- dings leider keine Rede . Auch zukünftig sollen nicht näher definierte soge- nannte „amtliche Stellen des Bundes“ über die Einstu- fung von Verschlusssachen befinden. Jedes Ministerium, jedes Amt soll weiterhin völlig frei entscheiden können, was geheim ist und was nicht . Eine bundesweit einheit- liche Einstufungspraxis ist daher auch in Zukunft nicht zu erwarten . Wohin das führt, haben wir nicht zuletzt in parlamen- tarischen Untersuchungsausschüssen leidvoll erfahren müssen . In den letzten drei Jahren der großen Koaliti- on ist ein Trend zur immer restriktiveren Einstufung von Dokumenten festzustellen . Das behindert wirksame Kontrolle der Opposition . Teilweise werden sogar Fak- ten als geheim eingestuft, die bereits presseöffentlich waren . Zum anderen wird ein und dieselbe abgefragte Information in Bezug auf den BND als verschlusswür- dig angesehen, wohingegen die Antwort auf den gleichen Sachverhalt beim Verfassungsschutz offen erfolgt oder umgekehrt . Und schließlich: Aus unserer Sicht gibt es keinen Grund, warum unbedingt Geheimdienste, insbesondere das Bundesamt für Verfassungsschutz, die Sicherheits- überprüfungen durchführen müssen . Wir meinen, dass es in aller Regel ausreichen sollte, Abfragen bei der Poli- zei und den zuständigen Staatsanwaltschaften durchzu- führen . Durch eine solche Bindung an klassische Exe- kutivbehörden wäre zudem die verwaltungsgerichtliche Überprüfbarkeit der Ergebnisse auch deutlich einfacher umzusetzen . In der vorliegenden Form kann die Linke den Gesetz- entwurf nur ablehnen, sofern es im Ergebnis der Aus- schussberatungen nicht noch zu deutlichen Korrekturen kommt . Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der vorliegende Gesetzentwurf regelt Fragen des personellen und des materiellen Geheimschutzes . Wichtige Fragen bleiben dabei aber unbeantwortet, und manche Antwort, die gegeben wird, ist – bei näherer Betrachtung – gar kei- ne . Dafür findet der Antrag vermeintliche Lösungen für Probleme, die zwar in der Praxis bestehen mögen, ihre Ursache aber gerade nicht in der bestehenden gesetzli- chen Regelung haben . Das gilt in besonderem Maße für den Fall „Roque M .“, den die Presse den Maulwurf beim Verfassungsschutz nannte . Es geht um einen Mitarbeiter beim Verfassungsschutz, der für die Überwachung von mutmaßlichen islamistischen Attentätern zuständig war, Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722292 (A) (C) (B) (D) aber im Netz offen seine Sympathie für den IS erklärt haben soll . Darauf reagiert nun der vorliegende Gesetzentwurf und ordnet an, dass zukünftig „Einsicht in den öffentlich sichtbaren Teil der Profilseiten in sozialen Netzwerken und in öffentlich sichtbare eigene Internetseiten“ genom- men werden kann . Dabei können bereits nach geltender Rechtslage Daten aus allgemein zugänglichen Quellen einschließlich des Internets im Rahmen einer Bewerbung beim Bundesamt für Verfassungsschutz erhoben wer- den, wenn die Daten Feststellungen über die Eignung, Befähigung und Leistung des Bewerbers ermöglichen . Insbesondere hinsichtlich der Sicherheitsüberprüfungen beim BfV ist der Gesetzentwurf daher in erster Linie ein Placebo . Der Gesetzentwurf zielt aber auch darauf ab, die Wahrung der schutzwürdigen Interessen der Bewerber einzuschränken, wenn zukünftig höchstpersönliche Äu- ßerungen pauschal und ohne jeden Bezug zur Tätigkeit abgefragt werden sollen . Sinnvoll wäre vielleicht gewe- sen, sich einmal bereichsspezifisch zu fragen, welche Sachverhalte für die Überprüfung zum Zweck der jewei- ligen Tätigkeit überhaupt relevant sind . Denn nur ein im Einzelfall begründeter Überprüfungsbedarf verhindert Wertungswidersprüche, wenn das private Profil oder die eigene Homepage ohne nennenswerte Reichweite im Einzelfall beispielsweise viel weniger relevant sind als die Beiträge, die jemand für eine einschlägige Zeitschrift oder einen einschlägigen Blog schreibt . Im Sinne der Rechtssicherheit ist aber auch für die nötige Rechtsklarheit zu sorgen. Was ist der „öffentlich sichtbare Teil“ einer Profilseite in einem sozialen Netz- werk? Ist es der für wirklich jeden, also auch Nichtnutzer des Netzwerks, einsehbare Teil, oder ist es der für alle Nutzer des Netzwerkes unabhängig vom Zugriffsrecht bzw . Friend-Status einsehbare Teil? Diese Fragen sind wichtig, auch um einen gerechten Ausgleich zwischen dem öffentlichen Sicherheitsinteres- se und der Wahrung der Rechte und Interessen der Be- troffenen zu schaffen. Diese Ausgewogenheit kommt im vorliegenden Entwurf aber zu kurz . Das gilt auch für den materiellen Geheimschutz . Auch hier fehlt dem Gesetzentwurf die nötige Ausgewogenheit . Es genügt eben nicht, zu definieren, was als Verschluss- sache besonders geheim zu halten ist . In der Demokratie hat auch das Interesse, Sachverhalte öffentlich zu disku- tieren, besonderes Gewicht . Notwendig wäre mindes- tens ein einheitliches Verfahren, in dem die Einstufung als geheimhaltungsbedürftig verwaltungsseitig schnell und einfach überprüft werden kann . Die Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen hat dazu bereits in der letzten Wahl- periode einen eigenen Antrag mit dem Titel eingebracht: „Demokratie durch Transparenz stärken – Deklassifizie- rung von Verschlusssachen gesetzlich regeln“, Bundes- tagsdrucksache 17/6128 . Die gleichen Fragen haben uns aber auch beim Archivgesetz beschäftigt . Diese Fragen haben für die parlamentarische Kontrolle der Regierung und die Demokratie große Bedeutung, und gerade in si- cherheitspolitisch schwierigen Zeiten ist es wichtig, die demokratischen Institutionen zu stärken. Ich hoffe daher sehr, dass das parlamentarische Verfahren jetzt genutzt wird, die offenen Fragen zu klären und diesen Gesetzent- wurf so weiterzuentwickeln, dass er tatsächlich die De- mokratie und die Sicherheit gleichermaßen stärkt . Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister des Innern: Personen, die eine sicherheits- empfindliche Tätigkeit ausüben, werden sicherheitsüber- prüft. Dies betrifft sowohl den öffentlichen Bereich, also die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesbehör- den, als auch den Bereich der Wirtschaft . Seit nunmehr knapp 23 Jahren regelt das Sicherheitsüberprüfungsge- setz die Voraussetzungen und das Verfahren hierzu . Das Gesetz hat sich in dieser Zeit bewährt, aber es ist in die Jahre gekommen . In den vergangenen 23 Jahren hat sich unsere Gesellschaft stark verändert: Das Internet ist mittlerweile allgegenwärtig, immer mehr Menschen verbringen einen Teil ihres Lebens im Ausland und auch die Sicherheitsbedrohungen sind andere geworden . Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf trägt die Bundesregie- rung diesen veränderten Rahmenbedingungen Rechnung . Er ergänzt zunächst die Maßnahmen, die bei einer Sicherheitsüberprüfung durchzuführen sind, um aktuel- le Bedürfnisse: Soziale Netzwerke und Internetauftritte nehmen einen immer größeren Stellenwert ein und wer- den zunehmend als Selbstdarstellungs- und Kommunika- tionsplattformen genutzt . Vor diesem Hintergrund können wir gerade bei Sicher- heitsüberprüfungen vor Informationen im Internet nicht die Augen verschließen, sondern müssen diese als Er- kenntnisquelle nutzen . Sind die Informationen für jeden sichtbar ins Internet eingestellt – und damit öffentlich –, können sie daher nach dem Gesetzentwurf in einem ge- wissen Umfang insbesondere bei den für die Mitarbeiter und Bewerber der Nachrichtendienste durchzuführenden Sicherheitsüberprüfungen berücksichtigt werden . Der Bundesrat hat hierzu in seiner Stellungnahme zum Ge- setzentwurf eine Ausdehnung des Umfangs der Recher- chen, vor allem aber auch des davon betroffenen Perso- nenkreises gefordert . Darüber wird im weiteren parlamentarischen Ver- fahren zu reden sein . Die Bundesregierung verschließt sich dieser Diskussion nicht, und ich hoffe, dass wir hier gemeinsam eine Lösung finden, die der Bedeutung von sicherheitsrelevanten Informationen im Internet gerecht wird . Doch nicht nur das Internet verbindet uns mit der Welt . Es ist mittlerweile weit verbreitet, dass Menschen Teile ihres Lebens im Ausland verbringen . Das Studiensemester in den USA, der nächste Karrie- reschritt durch ein berufliches Angebot in Polen oder die Entsendung an die deutsche Botschaft in Brasilien, sol- che Stationen sind in Lebensläufen längst keine Selten- heit mehr . Diese Auslandsaufenthalte machen bei Sicher- heitsüberprüfungen grundsätzlich eine Zusammenarbeit mit ausländischen Stellen notwendig, die in dem vorlie- genden Gesetzentwurf erstmals explizit geregelt wird . Bildet der Aufenthalt im Ausland den Lebensmittel- punkt, muss auch die dort verbrachte Zeit sicherheits- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22293 (A) (C) (B) (D) mäßig bewertet werden . Sonst entstehen Lücken in der Überprüfung, die nicht kalkulierbare Sicherheitsrisiken mit sich bringen können . Bei der Kooperation mit ausländischen Stellen werden auch immer die schutzwürdigen Interessen der betroffe- nen Personen berücksichtigt. Der Gesetzentwurf defi- niert klar diejenigen Daten, die zum Zwecke einer An- frage an ausländische Stellen übermittelt werden dürfen, und begrenzt sie somit zugleich . Zudem ist eine Anfrage im Ausland immer von der Zustimmung der betroffenen Person abhängig . Sie hat damit die Letztentscheidung über die Datenübermittlung . Durch Berücksichtigung dieses Zweiklangs von öffentlichem Interesse an der An- frage und den schutzwürdigen Interessen der betroffenen Person erzielt der Entwurf eine praxistaugliche Lösung für die Herausforderung der Globalisierung . Doch es gehen nicht nur Deutsche ins Ausland, son- dern es kommen auch Ausländer nach Deutschland . Der Gesetzentwurf schafft daher die Möglichkeit, im Rahmen von Sicherheitsüberprüfungen in bestimmten Fällen künftig auch auf Daten aus dem Ausländerzen- tralregister zuzugreifen . Mit dieser Anpassung wird eine wichtige Erkenntnisquelle erschlossen, die bereits in fünf Sicherheitsüberprüfungsgesetzen der Länder, im Luftsi- cherheitsgesetz und im Atomgesetz zur Verfügung steht . Die Maßnahme trägt damit auch dazu bei, ein vergleich- bares Niveau der verschiedenen Überprüfungsarten zu gewährleisten . Der veränderten Sicherheitslage trägt der Gesetzent- wurf mit der Erweiterung der möglichen Ablehnungs- gründe bei Sicherheitsüberprüfungen Rechnung . Die bis- herige Fokussierung auf ausländische Nachrichtendienste bei Anbahnungs- und Werbungsversuchen in Bezug auf Personen, die eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit aus- üben, ist überholt . Es ist vielmehr davon auszugehen, dass auch kriminelle, extremistische oder gar terroristi- sche Vereinigungen an Informationen über den Wissens- stand der Sicherheitsbehörden interessiert sind und ver- suchen werden, sich Zugang zu diesen Informationen zu verschaffen. Entsprechend müssen diese Gruppierungen im Sicherheitsüberprüfungsgesetz berücksichtigt wer- den. Besteht für eine Person in sicherheitsempfindlicher Tätigkeit eine besondere Gefährdung, beispielsweise weil sie für solche Gruppierungen erpressbar ist, darf sie nicht länger in diesem Aufgabenbereich eingesetzt wer- den. Besonders sensible Informationen, die im öffentli- chen Interesse geheim gehalten werden, sind aber nicht nur dadurch bedroht, dass Innentäter diese weitergeben könnten; auch Versuche von Unbefugten, ohne Hilfe von innen an diese Informationen zu gelangen, sind keine Seltenheit . Hier hilft das Instrument der Sicherheitsüberprüfung wenig . Wichtig sind an dieser Stelle vielmehr die orga- nisatorischen und technischen Vorkehrungen zum Schutz von Verschlusssachen, also ein funktionierender mate- rieller Geheimschutz . Dessen Grundsätze werden mit dem vorliegenden Entwurf erstmals auf Gesetzesebene verankert, und die bislang nur untergesetzlichen Bestim- mungen werden damit aufgewertet . Da es nicht ausreicht, nur zum Zeitpunkt der Durchführung der Sicherheits- überprüfung ein hohes Sicherheitsniveau zu erreichen, sondern dieses hohe Niveau über den gesamten Zeitraum der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit konstant aufrecht- zuerhalten ist, werden nunmehr regelmäßige Wiederho- lungsüberprüfungen für alle Arten der Sicherheitsüber- prüfung eingeführt . Der Entwurf sieht vor, bereits fünf Jahre nach erfolgreichem Abschluss der Erstüberprüfung die Maßnahmen der einfachen Sicherheitsüberprüfungen erneut durchzuführen; nach zehn Jahren steht dann die große Wiederholungsüberprüfung mit erneuter Durch- führung aller Maßnahmen an . Lassen Sie mich zusammenfassend sagen: Der vor- liegende Entwurf schafft ein modernes Sicherheitsüber- prüfungsgesetz, das den Herausforderungen unserer Zeit gerecht wird, das Gesamtgefüge der Sicherheitsgesetze sinnvoll ergänzt und die Sicherheit in unserem Land da- mit nachhaltig stärkt . Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden Zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/1148 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 2016 über Maßnahmen zur Gewährleistung eines hohen ge- meinsamen Sicherheitsniveaus von Netz- und In- formationssystemen in der Union (Tagesordnungs- punkt 27) Clemens Binninger (CDU/CSU): Die IT-Sicher- heitslage in der Bundesrepublik ist in den vergangenen Wochen, Monaten und Jahren zu Recht häufig themati- siert worden. Wir alle erinnern uns an den Cyberangriff auf die Telekom im vergangenen Jahr. Der Angriff, der bei knapp 1 Million Routern zu Störungen geführt hat, hat deutlich gezeigt, dass viele Systeme angreifbar sind und dass diese Systeme auch angegriffen werden. Wir erleben auch, dass die Zahl der Cyberangriffe insgesamt stark zunimmt . Die Sicherheit der digitalen Infrastruk- tur ist in der heutigen Gesellschaft daher von höchster Relevanz. Viele Bereiche des privaten und beruflichen Lebens der Bürgerinnen und Bürger und auch der Wirt- schaft wären ohne eine funktionierende und sichere IT so nicht mehr denkbar . Daher ist es dringend notwendig, eu- ropaweit ein hohes Sicherheitsniveau zum Schutze aller EU-Bürger zu gewährleisten . Auch bei uns in Deutsch- land wurde die Bedeutung der Bedrohung im Cyberraum in der Vergangenheit lange unterschätzt . In den letzten Jahren haben wir auf nationaler Ebene bereits einiges erreicht: der Umbau des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik, BSI, die Einrich- tung des Nationalen Cyber-Abwehrzentrums, der Natio- nale Cyber-Sicherheitsrat und zuletzt die Umsetzung des IT-Sicherheitsgesetzes . Neben diesen wichtigen nationa- len Maßnahmen benötigen wir jetzt vor allem auf europä- ischer Ebene eine verbesserte Zusammenarbeit . Deshalb war es auch wichtig, dass das Europäische Parlament mit der NIS-Richtlinie gemeinsame Regeln zum Schutz vor diesen neuen Gefahren beschlossen hat . Bereits mit dem Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722294 (A) (C) (B) (D) IT-Sicherheitsgesetz haben wir in Deutschland die meis- ten Vorgaben dieser Richtlinie erfüllt und sind mit gutem Beispiel vorangegangen . Mit dem IT-Sicherheitsgesetz haben wir bereits eine gesetzliche Meldepflicht für Betreiber kritischer Infra- strukturen geschaffen. Diese Meldepflicht wird jetzt mit dem vorliegenden Gesetzentwurf auch auf digitale Dienste wie Onlinemarktplätze und Suchmaschinen aus- geweitet und erfüllt damit die Vorgaben der EU-Richtli- nie. Gerade diese Meldepflicht ist zur Erstellung eines Lagebilds unabdingbar . Nur dadurch können wir nach- vollziehen, wie umfangreich die Angriffe sind und wel- che neue Schadsoftware im Umlauf ist . Durch den vorliegenden Gesetzentwurf werden die Befugnisse des BSI zur Überprüfung der technischen und organisatorischen Sicherheitsanforderungen erwei- tert und die rechtlichen Grundlagen für den Einsatz von Mobilen Incident Response Teams, MIRTs, geschaffen, die andere Stellen bei Bedarf, bei der Abwehr von Cy- berangriffen mit besonders hoher technischer Qualität, vor Ort unterstützen können . Zusätzlich wird es dem BSI ermöglicht, die Einhaltung der Vorgaben bei Betreibern von kritischer Infrastruktur vor Ort zu kontrollieren . Da- mit stärken wir das BSI weiter bei der Bündelung der Kompetenzen im Cybersicherheitsbereich und verbes- sern den Schutz von Staat, Wirtschaft und der Bevölke- rung vor Angriffen. Diese Erweiterung der Befugnisse des BSI ist nach den Angriffen der letzten Jahre auch dringend notwen- dig . Dabei ist aber auch zu betonen: Die Befugniserwei- terung des BSI darf den Datenschutz nicht untergraben . Um dies zu gewährleisten, werden daher auch weiterhin keine sensiblen Daten erfasst . Alle personenbezogenen Daten, die für die Wiederherstellung der Sicherheit bei Betreibern kritischer Infrastruktur wichtig sind, werden deshalb sofort gelöscht, wenn sie nicht mehr benötigt werden. Zudem verpflichten wir das BSI mit dem vor- liegenden Entwurf, bei grenzüberschreitenden Vorfällen die Behörden des jeweiligen EU-Staates zu informie- ren . Diese internationale Kooperation ist für ein hohes Schutzniveau in der gesamten Union mitentscheidend und wird deshalb auch zu Recht in der EU-Richtlinie ge- fordert . Neben den bereits erwähnten Maßnahmen zeigt auch die Einrichtung der Zentralen Stelle für Informations- technik im Sicherheitsbereich, ZITiS, im Bundesinnen- ministerium, welche Bedeutung der Cybersicherheit von den Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung zuge- messen wird . Bei der Diskussion über Cyberangriffe muss man aber auch immer erwähnen – und das ist durch die Angriffe in der Vergangenheit auch mehr als deutlich geworden –: Eine absolute Sicherheit vor solchen Angriffen gibt es nicht . Mit dem IT-Sicherheitsgesetz haben wir es aber geschafft, einheitliche Mindeststandards in der Bundes- republik zu schaffen. Die Umsetzung der Richtlinie ist für die europäische Zusammenarbeit im Bereich Cybersicherheit ein wich- tiges Signal und zeigt, dass wir unserer Vorreiterrolle in Europa nun auch endlich im Bereich der Cybersicherheit gerecht werden . Gerold Reichenbach (SPD): Die Digitalisierung durchdringt unser Leben immer weiter in nahezu allen Bereichen, ein Ende ist nicht absehbar . Das bereits heute bestehende Ausmaß an Vernetzung unserer Alltags- und Arbeitswelt, der Industrie und der Wirtschaft, dem Ge- sundheitswesen und vielem mehr macht uns in hohem Maße anfällig für Angriffe im und aus dem Cyberraum. Sicherheitslücken und Cyberangriffe können dramati- sche Folgen haben. Der Angriff auf Internetrouter Ende vergangenen Jahres, bei dem auch großflächig Router der Telekom ausfielen und circa 1 Million Kunden be- troffen waren, oder auch der Hackerangriff, der das Krankenhaus Neuss Anfang 2016 lahmgelegt hat, lassen erahnen, was für ein Gefahrenpotenzial im Bereich unsi- cherer IT-Produkte schlummert und wie sehr ihr Ausfall das öffentliche Gemeinwesen schädigen kann. Um sol- che Situationen geht es bei der Umsetzung der Richtlinie zur Gewährleistung eines hohen gemeinsamen Sicher- heitsniveaus von Netz- und Informationssystemen in der Europäischen Union, über die wir hier in erster Lesung beraten . Wir begrüßen daher diese vom Europäischen Parla- ment vorgelegte Richtlinie . Sie bildet die Grundlage für einen einheitlichen europäischen Rechtsrahmen, einen EU-weiten Ausbau nationaler Kapazitäten für die Cy- bersicherheit und eine stärkere Zusammenarbeit der Mit- gliedstaaten in diesem Bereich . Dies ist wichtig, denn IT-Sicherheit ist längst keine nationale Frage mehr . Es werden außerdem Mindestanforderungen und Melde- pflichten nicht nur für die Betreiber wesentlicher Diens- te, also für Betreiber kritischer Infrastrukturen, sondern auch für die Betreiber bestimmter digitaler Dienste ge- schaffen. Deutschland ist mit dem IT-Sicherheitsgesetz von 2015 bereits gut aufgestellt . Vorausschauend haben wir hier bereits mit Blick auf die NIS-Richtlinie viele Regelungen, die die Richtlinie nun vorgibt, umgesetzt, sodass die jetzt nötigen Änderungen gering gehalten wer- den können . Die Anforderungen der Richtlinie, die über das beste- hende IT-Sicherheitsgesetz hinausgehen, sind sinnvoll . Die Meldepflichten und stärkeren materiellen Vorgaben für Unternehmen, die nun beispielsweise Konzepte zur Bewältigung von Sicherheitsvorfällen vorlegen müssen, erachten wir als dringend erforderlich . Aktuelle Cyber- angriffe im Telekommunikationsbereich haben gezeigt, dass die Meldewege von der Bundesnetzagentur zum BSI bei Vorfällen in Telekommunikationsnetzen nicht mehr gerecht werden . Insbesondere der Telekom-Vorfall hat gezeigt, dass Meldewege optimiert werden müssen . Wir begrüßen daher auch die mit dem Umsetzungsgesetz eingeführte Doppelmeldepflicht von Sicherheitsvorfällen beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstech- nik und bei der Bundesnetzagentur . Durch die parallele Meldung wird es dem BSI ermöglicht, seine Ressourcen und Kompetenzen zeitnah und besser einzusetzen . Zur Erhöhung des Niveaus der Cybersicherheit wird das BSI insbesondere durch die Nachweis- und Meldepflichten der Betreiber kritischer Infrastrukturen weiter gestärkt . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22295 (A) (C) (B) (D) Fortan müssen zudem nicht nur Ausfälle, sondern auch erhebliche Störungen gemeldet werden . Wir wollen uns den vorliegenden Gesetzentwurf noch näher anschauen mit Blick auf die Frage, wo sich aus den jüngsten Sicherheitsvorfällen noch weiterer Bedarf zur gesetzlichen Reaktion ergibt . Besonderes Augenmerk liegt dabei darauf, wie Sicherheitslücken in IT-Endgerä- ten, wie beispielsweise jene im genannten Router-Vor- fall, vermieden werden können, aber auch, welche Mög- lichkeiten Netzbetreiber benötigen, um künftig Angriffe schneller abwehren oder sogar verhindern zu können . Denn je mehr beispielsweise die klassische Telefonie auf Voice-over-IP übergeht – und in wenigen Jahren wird Telefonie flächendeckend über Voice-over-IP laufen –, desto mehr ist auch die Möglichkeit der Absetzung ei- nes Notrufs von einer funktionierenden Internetverbin- dung abhängig . So werden zum Beispiel Router Teil einer sicherheitsrelevanten Infrastruktur . Aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion besteht darum auch im Bereich der Produkthaftung und der Einführung eines verlässli- chen Gütesiegels Handlungsbedarf . Da zunehmend alles mit allem vernetzt ist – Stichwort Internet der Dinge/ Internet of Things, IoT –, stellt sich immer drängender die Frage, wie die IT-Sicherheit der vernetzten Dinge sichergestellt werden kann und wer in der Haftung ist . Denn nicht nur offensichtlich internetfähige Geräte wie Computer, Smartphones und Tablets sind heutzutage vernetzt und eine potenzielle Gefahrenquelle, auch All- tagsgegenstände wie Wecker, Zahnbürsten, Babyphones, Kaffeemaschinen und Kühlschränke sind heute mit einer IP-Adres se ausgestattet und damit internetfähig . Das In- ternet der Dinge hat in einem sehr kurzen Zeitraum eine enorme Größe erreicht. Selten finden bei diesen Geräten Softwareupdates statt – oft weil die Hersteller keine si- cheren Produkte auf den Markt bringen, oft weil die Nut- zerinnen und Nutzer keine Softwareupdates durchführen oder diese auch nicht mehr zur Verfügung stehen . So ent- stehen weltweit bei Millionen Geräten Sicherheitslücken . Diese Geräte können leichter gehackt und für den Aufbau von Bot-Netzen und DDoS-Angriffe genutzt werden, die zu weiteren Ausfällen von Diensten und von ganzen Inf- rastrukturteilen führen können . So werden Massenwaren, die von jeder Privatperson gekauft werden können, zum Bestandteil einer kritischen Infrastruktur . Sicherheits- mängel bei privat erworbenen und genutzten Geräten werden so zu einem Sicherheitsrisiko für ganze Teile der Bevölkerung, wenn diese Geräte gehackt als Teil ei- nes Bot-Netzes beispielsweise für den Angriff auf einen Wasserversorger genutzt werden können . Ein Gütesiegel, basierend auf BSI-Mindeststandards halten wir daher für einen wichtigen ersten Schritt, um die Angreifbarkeit von IT-Produkten einzudämmen . Selbstverständlich macht das Internet nicht an natio- nalen Grenzen Halt . Insofern gilt es, europäische und in- ternationale Lösungen und Standards für diesen Bereich zu finden und durchzusetzen. Deutschland sollte hier mit gutem Beispiel vorangehen und eine Vorreiterrolle ein- nehmen . Denn ein hohes Maß an IT-Sicherheit bedeutet nicht nur eine Erhöhung der öffentlichen Sicherheit, son- dern auch einen Standortvorteil für Wirtschaft und Un- ternehmen . Wir sollten Regelungen für die Erhöhung der Sicherheit von IT-Produkten durch die Einführung eines Gütesiegels im weiteren gesetzgeberischen Verfahren da- her prüfen . Martina Renner (DIE LINKE): Die Bundesregierung hat sich vorgenommen, die Richtlinie zur Verbesserung der Netz- und Informationssicherheit, NIS-Richtlinie, in nationales Recht zu überführen . Wesentliche Regelun- gen der sogenannten NIS-Richtlinie allerdings wurden bereits mit dem im Sommer 2016 in Kraft getretenen deutschen IT-Sicherheitsgesetz umgesetzt . Dies betraf beispielsweise die sogenannten wesentlichen Dienste, sprich: Betreiber kritischer Infrastrukturen aus den Be- reichen Energie, Informationstechnik und Telekommu- nikation, Transport und Verkehr, Gesundheit, Wasser, Ernährung sowie Finanz- und Versicherungswesen . Sei- nerzeit nicht adressiert wurden die von der europäischen Richtlinie bereits erfassten „digitalen Dienste“ . Das sind Onlinemarktplätze, Suchmaschinen und Cloud-Compu- ting-Dienste . Diese Regelungslücke soll nun geschlossen werden . So weit, so scheinbar unspektakulär . Doch wer- den bei näherem Hinsehen drei grundlegende Mängel im Regierungsentwurf deutlich . Erstens . Rechtssicherheit für die Anbieter von „digi- talen Diensten“ wird nicht erreicht . Der Regierungsent- wurf zum Umsetzungsgesetz bleibt sowohl in der Defi- nition als auch in der Konkretion der Anforderungen für digitale Diensteanbieter völlig unbestimmt . Insbesondere bleibt unbeantwortet, wie diese von den bereits im Rah- men des IT-Sicherheitsgesetzes regulierten Anbietern von Telemediendiensten abzugrenzen sind . Im Zweifel müssten sich die Anbieter an beide Regelungen halten . Geschaffen wird so eine Doppelregulierung und ein un- durchsichtiges Dickicht an Sicherheitspflichten. Beides läuft der Gewährleistung der Netz- und Informationssi- cherheit und damit dem Zweck der Richtlinie zuwider . Weder Verbrauchern noch Anbietern ist damit gedient . Dringend notwendig ist es daher, eine inhaltliche Syste- matisierung der IT-Sicherheitspflichten für alle Anbieter und Dienste vorzunehmen . Zweitens . Das Bundesamt für Sicherheit in der Infor- mationstechnik, BSI, wird mit dem Umsetzungsgesetz weiter zu einer operativen Behörde ausgebaut . Erstmals erhält es operative Befugnisse zur Cyberabwehr, um mit eigenen Kräften – wie es im Entwurf des Gesetzestextes heißt – bei der „Wiederherstellung der Sicherheit oder Funktionsfähigkeit informationstechnischer Systeme“ mitwirken zu können . Zum Ausdruck kommt die Aus- weitung des Aufgabenbereichs auch in einem erneuten Stellenaufwuchs . Wurden dem BSI mit Verabschiedung des IT-Sicherheitsgesetzes bereits 220 Stellen zusätzlich zugewiesen, so kommen nun noch einmal 181,5 Stellen hinzu . Zugleich wird die Behörde allerdings nicht institutio- nell gestärkt, sondern bleibt dem Bundesinnenministeri- um unterstellt . Die Unabhängigkeit des BSI ist nicht ge- währleistet . Der Präsident des BSI hat gerade erst erklärt, bei Ermittlungen zu Cyberattacken müssten am Ende Indizien interpretiert werden . Dies bedarf natürlich einer Unabhängigkeit der Untersuchungsbehörde . Zudem wird das schwammige Verhältnis des BSI zu den polizeilichen Sicherheitsbehörden und den Geheimdiensten von der Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722296 (A) (C) (B) (D) Bundesregierung ausdrücklich gewollt . Dessen intensive Zusammenarbeit mit BND, BfV und MAD national via Cyber-Abwehrzentrum oder international in der Koope- ration mit der NSA soll nicht durchbrochen werden . Das Vertrauensproblem der für die Cyberabwehr zuständigen Bundesbehörde wird auf diese Weise nicht gelöst . Ge- rade die Sensibilität der beim BSI gesammelten Infor- mationen über Sicherheitslücken und -strukturen sowie der Umgang mit persönlichen Daten aus Unternehmen und von Privatpersonen erfordert zwingend, sie als un- abhängige Bundesbehörde mit unzweideutigem Sicher- heitsauftrag aufzustellen . Drittens . Die Bundesregierung verzichtet erneut da- rauf, Regelungen zur Produktsicherheit und Produkthaf- tung für IT-Produkte und IT-Dienste einzuführen . Das war bereits bei Verabschiedung des IT-Sicherheitsgeset- zes der Fall und ist es jetzt erneut . Ausgangspunkt von Sicherheitsproblemen aber sind in den allermeisten Fäl- len Sicherheitslücken in der eingesetzten Software . Zum Kern des Problems in der IT-Sicherheit vorzudringen, heißt daher, Haftungsverschärfungen für IT-Sicherheits- mängel im IT-Sicherheitsrecht aufzunehmen . Aus diesen Gründen werden wir dem Umsetzungsge- setz nicht zustimmen und uns enthalten . Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das Smartphone wird zum verwanzten, ja fast allgegenwärtigen Begleiter, das Smart TV zum Schlüs- selloch Per-Remote-Control ins Büro oder Wohnzimmer . Der aktuelle CIA-Leak fügt sich ein in die Reihe digitaler Sicherheitsvorfälle auf ganz unterschiedlichen Feldern: von den Snowden-Enthüllungen über die Stuxnet-At- tacke bis zu ausgefallenen Telekom-Routern, gehack- ten Mittelständlern und Krankenhäusern oder auch den jüngst stundenlang blockierten Servern im Deutschen Bundestag . All dies sollte auch den letzten tatsächlich oder auch nur vorgeblich Ahnungslos-Gutgläubigen in verantwortlicher Position zeigen: Was fehleranfällig ist, wird auch zu Fehlern führen, was potenziell hackfähig ist, das wird auch mit hoher Wahrscheinlichkeit gehackt werden, und zwar rund um die Uhr, weltweit . In einer immer digitalisierteren Welt birgt die Frage nach der Sicherheit unserer digitalen Infrastruktur und Kommunikation multiple systemische Risiken in so gut wie jedem Gesellschaftsbereich . Eigentlich sollte dies im Jahr 2017 eine Binsenerkenntnis sein, ist es jedoch angesichts einer Bundesregierung nicht, die immer nur in Sonntagsreden die Wichtigkeit und Dringlichkeit des Themas betont, wenn es aber im eigenen Verantwor- tungsbereich konkret wird, wieder einmal nur unbeteiligt mit den Schultern zuckt, sie es wieder und wieder sagt – selbst um Mitternacht in einer übervollen Tagesordnung nur zu Protokoll . Allein dieser Debattenplatz widerspricht den großen Worten, die an anderer Stelle auf Podien und in Interviews so gern in den Mund genommen werden . Denn auch wenn es sich bei den CIA-Operationen offen- bar um gezielte Maßnahmen handelt, beruhen sie doch auf Sicherheitslücken in verbreiteten Betriebssystemen, die auf einem grauen Markt gehandelt und zum Schaden der Allgemeinheit offengehalten und ausgenutzt werden, statt umgehend gemeldet und geschlossen zu werden . Hier mischen neben Kriminellen offensichtlich auch Geheimdienste mit, die sie wiederum mit Steuergeldern bei ihren Exploit-Ankäufen auch noch subventionieren . Zudem zeigt der CIA-Leak nach den Snwoden-Enthül- lungen abermals auf, dass selbst diese hochgerüsteten Akteure ihre eigenen Daten und Informationen nicht zu sichern in der Lage sind . Bezeichnend ist, dass die Bundesregierung es noch in ihrer letzten Cybersicherheitsstrategie fertig brachte, die Erkenntnisse der Aufklärungsarbeit seit Snowden nicht auch nur mit einem Wort zu erwähnen . Es ist und bleibt der Kardinalfehler dieser Großen Koalition, die- ses Thema weitgehend dem Bundesinnenminister und den Sicherheitsbehörden zu überlassen . Solange dies so ist, werden noch so richtige Ansätze auf dem Papier und noch so löbliche Anstrengungen der zuständigen Stellen an dieser immanenten sicherheitspolitischen Ambivalenz scheitern . Wie will denn der Staat für Vertrauen in Sachen digi- taler Sicherheit sorgen, wenn sich beispielsweise ein be- troffener Betreiber einer kritischen Infrastruktur gar nicht sicher sein kann, dass ebendiese staatlichen Stellen nach seiner Meldung einzig und allein an der umgehenden Lösung seines Sicherheitsproblems interessiert sind und nicht an dessen Offenhaltung zu ganz anderen Zwecken? So verwundert es kaum, dass die Zahlen der gemelde- ten Anlagen und Betreiber in den vom IT-Sicherheits- gesetz bereits berücksichtigten Branchen ebenso hinter den großspurigen Ankündigungen zurückbleiben wie die wenigen erfassten Störfälle im Vergleich zum realis- tisch zu erwartenden Umfang der Problematik . Es fehlt der Bundesregierung in diesem so sensiblen und immer komplexeren Feld bereits am notwendigen Überblick des Marktes – von umfassenden Lösungsansätzen und dem politischen Willen zu ihrer Umsetzung ganz zu schwei- gen . Hier scheinen sich die Befürchtungen zu bestätigen, wonach Unternehmen aufgrund des Kosten- und Kont- rolldrucks umfassende Meldungen scheuen und damit die Erfassung des eigentlichen Umfeldes völlig unzu- reichend erfolgt . Umso unverständlicher ist es, dass bei den bisher nach dem deutschen IT-Sicherheitsgesetz ge- meldeten Störfällen dem Parlament trotz wiederholter Nachfragen pauschal nähere Informationen verweigert werden . Und just hier setzt nun auch die Europäische Union mit der NIS-Richtlinie in vielen Punkten strengere Nach- weis- und Meldepflichten vor. Doch solange bei der Er- hebung, Verarbeitung und Weitergabe von Daten zu die- sen hochsensiblen Vorgängen weiterhin die Abgrenzung gegenüber Sicherheitsbehörden und Geheimdiensten so unklar geregelt bleibt wie in diesem Gesetzentwurf, wird sich an der Zögerlichkeit der Betreiber wenig än- dern . Umso atemloser werden nun kurzlebige Strategien, Abwehrzentren und zuletzt gar Cyberwehrpläne präsen- tiert . Diesem Aktionismus ist auch geschuldet, dass das erst 2015 verabschiedete IT-Sicherheitsgesetz bereits nach einem Jahr in vielen Punkten von der NIS-Richtli- nie überholt wurde . Anstatt die Vorlage aus Brüssel ab- zuwarten, wollte das Innenministerium partout vor der Europäischen Kommission punkten und darf nun das Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22297 (A) (C) (B) (D) eigene Gesetz überarbeiten, das aufgrund der fehlenden Verordnungsbasis in den unterschiedlichen Bereichen der kritischen Infrastrukturen noch nicht einmal umge- setzt war . Aber auch im zweiten Versuch versäumt nun die Bundesregierung überfällige Korrekturen, sei es bei der Rechtsunsicherheit im Bereich der digitalen Dienste, sei es beim so wichtigen Haftungsansatz, sei es bei der pauschalen Ausnahme in eigener Sache, nämlich diese Sicherheitsvorgaben auch auf die öffentliche Verwaltung anzuwenden . Demgegenüber gälte es, dieser Problematik umfas- send, entschlossen und gut koordiniert zu begegnen . Die Zuständigkeiten der Cybersicherheitsfragen müssen dringend zusammengeführt werden . Neben der notwen- digen Ausstattung bedarf es vor allem der entsprechen- den Unabhängigkeit, um als vertrauenswürdiger Akteur auch ernst und angenommen zu werden . Umso mehr stellt sich diese Frage, als das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik nun abermals ausgebaut wird und immer noch im Schatten des Bundesinnenministeri- ums agieren muss . Darüber hinaus gilt es auf allen Ebenen die IT-Resi- lienz strukturell zu stärken, angefangen bei der Sicher- heit einzelner IT-Produkte sowie tragender Softwarele- mente des Internets bis hin zum präventiven Umgang mit der inhärenten Verletzlichkeit dieser Systeme . Hier stellen sich wegweisende Fragen, die in viel größerem Kontext – international wie zivilgesellschaftlich – unter Einbeziehung zahlreicher Akteure auf eine ganze andere Basis gestellt gehören . Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister des Innern: Cybervandalismus ist eine ernste Bedrohung für unsere Gesellschaft . Lassen Sie mich nur eine Zahl herausgreifen: 70 Prozent der größeren Unter- nehmen in Deutschland waren bereits von einem Cyber- angriff betroffen. Die Zeit der digitalen Sorglosigkeit ist vorbei . Unsere Anstrengung richtet sich darauf, Deutsch- land zu einem der sichersten digitalen Standorte weltweit zu machen . Wir haben für Deutschland im letzten Jahr daher das IT-Sicherheitsgesetz auf den Weg gebracht . Dies war ein bedeutender Meilenstein der nationalen Digitalisierungspolitik . Wir haben damit bereits einen Rechtsrahmen, bei dem Staat und Wirtschaft für mehr Cybersicherheit zusammenarbeiten . Auf europäischer Ebene soll durch die sogenannte NIS-Richtlinie mehr Cybersicherheit in der gesamten EU erreicht werden . Das deutsche IT-Sicherheitsgesetz war die Blaupause für die Verhandlungen in der EU, die die Bundesregierung so in wesentlichen Punkten mitgestalten konnte . Der vorgelegte Gesetzentwurf setzt die Vorgaben die- ser EU-Richtlinie nun um . Ziel der Richtlinie ist es, in al- len Mitgliedstaaten Kapazitäten der Cybersicherheit auf- zubauen und wie in Deutschland Betreiber von kritischen Bereichen stärker in die Pflicht zu nehmen. Aufgrund des IT-Sicherheitsgesetzes und der ständig fortgeschriebenen Maßnahmen besteht bei uns nur sehr geringer Umset- zungsbedarf. Dies betrifft erstens den Schutz kritischer Infrastrukturen nach dem Gesetz über das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, BSIG, sowie Spe- zialgesetze für bestimmte Branchen . Soweit noch nicht erfolgt, müssen diese spezialgesetzlichen Regelungen auf das nach dem Gesetz über das Bundesamt für Sicher- heit in der Informationstechnik, BSIG, geltende Niveau angehoben werden . Die NIS-Richtlinie verpflichtet uns zu einer umfassen- deren Vorabkontrolle der Betreiber kritischer Infrastruk- turen . Die Aufsicht durch das BSI muss so angepasst werden, dass dies möglich ist . Der kooperative Ansatz des IT-Sicherheitsgesetzes, der auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Betreibern setzt, soll aber Prä- misse für das Handeln des BSI bleiben . Zweitens muss das BSIG um Regelungen zu Sicher- heitsanforderungen und Meldepflichten für Anbieter der sogenannten digitalen Dienste ergänzt werden: On- linemarktplätze, Suchmaschinen und Cloud-Compu- ting-Dienste . Die NIS-Richtlinie führt für diese Dienste wegen ihrer übergeordneten Bedeutung für das Internet europaweit einheitliche Vorgaben ein . Der Gesetzent- wurf orientiert sich daher weitestgehend am Wortlaut der Richtlinie . Schließlich verpflichtet die NIS-Richtlinie die Mit- gliedstaaten auch, wirksame Maßnahmen für ein Incident Response, das heißt zur Bewältigung konkreter Vorfälle, zu treffen. Es soll deshalb auch eine Rechtsgrundlage für den Aufbau mobiler Einsatzkräfte, Mobile Incident Response Teams, beim BSI geschaffen werden. Wie in der vom Kabinett im November verabschiedeten „Cy- ber-Sicherheitsstrategie für Deutschland 2016“ vorgese- hen, sollen diese Teams künftig die Verwaltung, kritische Infrastrukturen und vergleichbare Einrichtungen unter- stützen können, wenn daran ein öffentliches Interesse besteht . Deutschland hat bei der Cybersicherheit in Europa eine Vorreiterrolle inne . Trotzdem – und auch gerade deshalb – können wir Cybersicherheit nur gewährleis- ten, wenn wir weiterhin erfolgreich mit unseren Partnern zusammenarbeiten und uns aktiv in die Gestaltung der Rahmenbedingungen in Europa einbringen . Hierzu gilt es jetzt, die Vorgaben der NIS-Richtlinie rechtzeitig und zeitnah umzusetzen. Hiermit schaffen wir die Vorausset- zungen dafür, dass das IT-Sicherheitsgesetz EU-weit als Vorbild dienen kann, und werden wir unserer Vorreiter- rolle in Europa gerecht . Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung des elektronischen Identitätsnachweises (Tages- ordnungspunkt 28) Heinrich Zertik (CDU/CSU): In erster Lesung spre- chen wir heute über das Gesetz zur Förderung des elekt- ronischen Identitätsnachweises . Der elektronische Iden- titätsnachweis im handlichen Format ersetzte den alten Personalausweis, weil er den Zugang in die digitale Welt sicher und verlässlich für alle Nutzerinnen und Nutzer Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722298 (A) (C) (B) (D) öffnet. Seit 2010 wird der elektronische Identitätsnach- weis ausgegeben . Im Regierungsprogramm „Digitale Verwaltung 2020“ hatten wir festgelegt, dass die Nutzung des elektroni- schen Ausweises vereinfacht und die Anwendung erwei- tert wird . Leider bleibt die Nutzung der Onlineausweis- funktion, die die Inhaber wahlweise einschalten konnten, hinter den Erwartungen zurück . Obwohl sich die Nutze- rinnen und Nutzer mit dieser Funktion gegenüber ihren Kommunikationspartnern sicher identifizieren könnten, scheint die Hemmschwelle, diese Funktion zu aktivieren, groß zu sein . 61 Millionen Dokumente wurden bisher ausgegeben . Davon nutzt nur circa ein Drittel der Aus- weisinhaber die elektronischen Funktionen umfänglich . Das Gesetz soll dazu beitragen, dass sich das ändert . Ich kann verstehen, dass es eine grundsätzliche Skep- sis gegenüber der Einführung dieser Identitätskarte gibt . Erstaunlicherweise besteht diese Skepsis gegenüber vielen anderen Onlinedienstleistungen nicht . Viele In- ternetnutzerinnen und -nutzer geben bereitwillig ihre E-Mail-Adresse preis und scheuen sich nicht, persön- liche Angaben wie Geburtsdatum, Adresse, Kreditkar- tennummer usw . anzugeben . Datenklau, das sogenannte Phishing, ist die Folge . Geschädigte Nutzerinnen und Nutzer können davon berichten . Ich erinnere nur an den gigantischen Datenklau in 2014, als 18 Millionen Daten samt Zugangswörtern innerhalb weniger Tage abgefischt wurden . Dann ist es natürlich ein Leichtes für Kriminelle im Netz, Schadsoftware zu installieren und sich in Bank- konten oder E-Mail-Verkehr einzuhacken . Tausende von Schadprogrammen, so das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, werden täglich neu im Internet in Umlauf gebracht . Sie sind nicht zu kontrollieren . Was bietet der elektronische Identitätsnachweis nun für Vorteile, und was will der Gesetzgeber bezwecken? Erstens ist mit der Onlineausweisfunktion, kurz eID, eine verlässliche und sichere Identifizierung möglich. Deshalb wird diese Funktion zukünftig standardmä- ßig eingeschaltet sein . Damit soll das physische Pos- tIdent-Verfahren, bei dem der Ausweisinhaber eine zertifizierte Stelle wie zum Beispiel die Deutsche Post aufsuchen muss, durch ein digitales Verfahren ersetzt werden . So kann mit dem Smartphone und der entspre- chenden Ausweisapp der Identitätsnachweis erbracht werden . Vom heimischen PC aus können sich die Nut- zerinnen und Nutzer über ein Kartenlesegerät mit dem elektronischen Identitätsnachweis identifizieren, ohne vorher mit ihren alten Ausweisen Behörden oder Insti- tutionen aufsuchen und vor Ort ihre Identität nachweisen zu müssen . Das spart viel Zeit, und umständliche büro- kratische Abläufe können vereinfacht werden . Ob der elektronische Nachweis dann genutzt wird, bleibt nach wie vor eine freiwillige Entscheidung des Inhabers . Zweitens . Auch in der Wirtschaft wurde der elek- tronische Nachweis nur sehr zögerlich eingesetzt . Un- ternehmen haben bisher oftmals auf das elektronische Verfahren verzichtet, weil sie es als zu aufwendig und umständlich angesehen haben, die notwendige Berech- tigung für den Umgang mit dem elektronischen Identi- tätsnachweis zu erlangen . Da viele Nutzerinnen und Nut- zer die elektronische Funktion gar nicht aktiviert haben, hatten auch Unternehmen und Firmen die Anwendungs- möglichkeiten gar nicht erst angeboten . Für Firmen und Unternehmen schafft der Gesetz- geber deshalb jetzt die hohen Hürden ab und bietet ein vereinfachtes Verfahren an, um sich zertifizieren zu lassen . Damit steigt die Attraktivität für Behörden und Unternehmen, ihre Angebote und Dienstleistungen für Kundinnen und Kunden elektronisch anzubieten . Die Be- rechtigungszertifikate werden zukünftig nicht mehr nur für einen Geschäftsvorgang ausgestellt, sondern auf den Namen der Behörde oder des Unternehmens . Das bedeu- tet deutlich weniger Bürokratie und spart ebenfalls Zeit ein . Dadurch können sich auch Kundinnen und Kunden darauf verlassen, dass das Unternehmen, mit dem sie Ge- schäfte machen, auf Herz und Nieren geprüft ist . Daten- schutzbehörden werden regelmäßig überprüfen, dass mit den Benutzerdaten kein Missbrauch getrieben wird . Auch Behörden sollen aufgefordert werden, ihre Dienstleistungen auch elektronisch anzubieten . Vorreiter ist hier als einziges Bundesland Sachsen . Hier können Bürgerinnen und Bürger bereits auf elektronischem Weg BAföG-Anträge stellen und ihr Auto abmelden . Drittens . Es geht auch um Sicherheit für digitale Dienstleistungen . Leider beschäftigen Passfälschungen in erheblichem Maße Polizei und Sicherheitsbehörden, weil es geschickten Fälschern immer wieder gelingt, mit gefälschten Dokumenten neue Identitäten zu produzie- ren . Sozialbetrug ist eine Folge, die die Steuerzahler zu tragen haben . Das ist ärgerlich und ungerecht . Mit dem elektronischen Identitätsnachweis und dem elektroni- schen Aufenthaltstitel für Drittstaatsangehörige geben wir den Behörden ein fälschungssicheres Dokument an die Hand, welches betrügerische Machenschaften weit- gehend unterbindet und die Vernetzung der Behörden in allen EU-Ländern möglich macht . Auch das ist ein Bau- stein in unserer Sicherheitsarchitektur, die wir in der die- ser Legislaturperiode konsequent ausgebaut haben . Der Staat kommt damit auch seiner Fürsorgepflicht nach, die Daten seiner Bürgerinnen und Bürger zu schüt- zen . Die elektronische Identitätskarte gilt aufgrund ihres Aufbaus derzeit als ein äußerst sicheres Ausweisdoku- ment weltweit . Mehrere Staaten nutzen bereits diesen elektronischen Identitätsnachweis . Viertens knüpfen wir damit an das moderne digitale Zeitalter an und ermöglichen den elektronischen Handel zwischen Produzent und Konsument europaweit, ohne dass auch im internationalen Handel aufwendige Identi- tätsnachweise erbracht werden müssen . „Die eIDAS-Verordnung ist der erste konkrete Schritt in Richtung digitaler Binnenmarkt“, erläuterte Antonello Giacomelli, italienischer Staatssekretär für Kommunika- tion . Er signierte das Gesetz im Rahmen der italienischen Ratspräsidentschaft digital . Damit ist der Weg frei für den digitalen Binnenmarkt Europa – mit über 400 Mil- lionen Nutzern . Im Bereich der elektronischen Identifizierung setzt die EU-Verordnung auf eine gegenseitige Anerkennung der verschiedenen nationalen eID-Systeme, damit nicht Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22299 (A) (C) (B) (D) jedes der 27 Mitgliedsländer das gleiche System neu ein- führen muss . Seit 1 . Juli 2016 können auch Behörden aus den ande- ren EU Mitgliedstaaten auf Daten elektronisch zugreifen . Sogenannte Vertrauensdienste werden als „Zwischen- instanz“ beauftragt, damit es nicht zu Datenmissbrauch kommt . Bei den Vertrauensdiensten wurden neue, ver- einfachte Werkzeuge definiert und die Voraussetzungen für ein europaweit vereinheitlichtes Sicherheitsniveau geschaffen. Zukünftig können elektronische Transakti- onen EU-weit effizient und rechtsverbindlich durchge- führt werden . Öffentlich einsehbare Vertrauenslisten und das EU-Vertrauenssiegel stellen sicher, dass der Dienstleister rechtskonforme Vertrauensdienste anbietet . Das ist ein Meilenstein auf dem Weg zu Wirtschaftswachstum und globalem Handel, von dem Wirtschaft und Bürger profi- tieren werden . Schon der 1993 in Kraft getretene „analoge“ Euro- päische Binnenmarkt hatte große Wachstumsimpulse ausgelöst und für mehr Beschäftigung gesorgt . Allein in Deutschland stieg durch das wirtschaftliche Zusam- menwachsen Europas das Bruttoinlandsprodukt im Zeit- raum 1992 bis 2012 um durchschnittlich 37 Milliarden Euro pro Jahr . Mit Einführung des digitalen Systems werden Handel und Austausch im Netz im wahrsten Sin- ne grenzenlos . Knapp 60 Prozent der deutschen Ausfuh- ren gehen in EU-Länder . Deshalb hat Deutschland ein ureigenes Interesse an einer Weiterentwicklung des Bin- nenmarkts und baut mit am digitalen Weg . Ich werbe ausdrücklich für dieses Gesetz; denn es bringt wesentliche Verbesserungen für die Bürgerinnen und Bürger im europäischen Raum. Es schafft ein hohes Maß an Sicherheit für Nutzerinnen und Nutzer im digi- talen Handel, und es ist hoffentlich auch ein Instrument, mit dem der Datenmissbrauch eingedämmt werden kann . Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD): Im Jahre 2010 wurden ein Personalausweis und ein elektronischer Auf- enthaltstitel eingeführt, die über eine Funktion zum elek- tronischen Identitätsnachweis, genannt eID-Funktion, verfügen . Mithilfe dieser Funktion besteht nunmehr die Möglichkeit, sich gegenüber Behörden und Unterneh- men im Internet zuverlässig und vertrauenswürdig aus- zuweisen . Erreicht wird dies über eine 2-Faktor-Authen- tisierung . Beide Seiten, also die Ausweisinhaberinnen und Ausweisinhaber einerseits und die Behörden und Unternehmen andererseits, identifizieren einander: Der Staat stellt hier also eine sichere und verlässliche Infra- struktur zur gegenseitigen Identifizierung im Internet zur Verfügung . So ist beispielsweise die Beantragung eines Führungszeugnisses mit der eID-Funktion erheblich ein- facher geworden . Das hört sich zunächst alles sehr vorteilig an, bedenkt man insbesondere, dass mit der Nutzung dieser Funkti- on der eine oder andere Behördengang und damit auch in der Regel ein nicht unerheblicher Zeitaufwand ein- gespart wird . Dennoch müssen wir feststellen, dass die Bürgerinnen und Bürger bis jetzt die eID-Funktion ihres Personalausweises wenig bis gar nicht nutzen . Genau ge- nommen ist sie ein Ladenhüter . Die Gründe dafür mögen vielfältig sein . Sicherlich bestehen bei den Bürgerinnen und Bürgern mitunter Bedenken ob des faktischen und des rechtlichen Datenschutzes . Diese Bedenken sind ernst zu nehmen und zu respektieren . Schon der Koalitionsvertrag stellt zutreffend fest, dass die Voraussetzung für die Akzeptanz elektronischer Behördendienste Datenschutz und Sicherheit der Kom- munikation sind, wenn es um entspreche Angebote zwi- schen Bürger und Staat geht . Gerade deshalb wird im Koalitionsvertrag die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung als unerlässlich gesehen . Wir bekennen uns nach wie vor zu diesem Ansatz und wollen fortwährend dafür sorgen, dass ein Mehr an di- gitalen Verwaltungsdienstleistungen und Nutzung dieser Möglichkeiten nicht zu einem Weniger an Datenschutz und letztlich persönlicher Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger führt . Andererseits stehen wir als Gesetzgeber vor der Auf- gabe, der Digitalisierung speziell in der Verwaltung Rechnung zu tragen und sie fit für die Zukunft zu ma- chen, aber auch im Sinne einer verantwortlichen Wirt- schaftspolitik Unternehmen die Möglichkeit zu geben, die Vorteile der eID-Funktion in ihre Geschäftsabläufe zu implementieren und diese somit zu optimieren – nicht zuletzt auch im Interesse der Verbraucherinnen und Ver- braucher . Im Strudel dieses vermeintlichen Dualismus aus För- derung der eID-Funktion und Sicherstellung des Daten- schutzes und der Datensicherheit bewegt sich dieser Ge- setzentwurf . Die eingangs angesprochene sehr geringe Nutzung der eID-Funktion durch die Bürgerinnen und Bürger geht letztlich auch auf den Umstand zurück, dass sie in vie- len Personalausweisen und Aufenthaltstiteln gar nicht erst bei Aushändigung eingeschaltet ist . Die bisherige Rechtslage sieht vor, dass eine Bürgerin oder ein Bür- ger bei der Beantragung eines solchen Dokuments aktiv gefragt wird, ob sie oder er diese Funktion einschalten lassen und damit grundsätzlich nutzbar machen möchte . Viele entscheiden sich dagegen . Somit ist ihnen die Mög- lichkeit, diese Funktion zu nutzen, direkt zu Beginn ge- nommen . Hier möchten wir ansetzen und diesen Verfah- rensablauf durch rechtliche Änderungen modifizieren. Fortan soll die eID-Funktion zunächst standardmäßig eingeschaltet sein . Die Bürgerinnen und Bürger sollen bei Beantragung ihres Ausweisdokumentes ausführlich und präzise über die Rahmenbedingungen und die Vor- teile der eID-Funktion aufgeklärt werden. Wir erhoffen uns davon, dass dadurch Vorurteile und die mitunter ab- lehnende Haltung gegenüber der eID-Funktion abgebaut werden und ihre Nutzung insgesamt gefördert wird . Allerdings ist der freie Wille der Bürgerinnen und Bürger auch hier maßgeblich . So können sie letztlich selbst entscheiden, ob sie ausführlich informiert werden möchten, beispielsweise per Informationsbroschüre oder per E-Mail, oder eben auch nicht . Wenn sie eine einge- schaltete eID-Funktion nicht wünschen, haben sie auch fortan die Möglichkeit, diese deaktivieren zu lassen . Die- se sogenannte Opt-out Lösung haben wir als Sozialde- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722300 (A) (C) (B) (D) mokraten durchgesetzt . Über die genaue Ausgestaltung dieser Möglichkeit wird in den Ausschussberatungen noch zu befinden sein. Dass diese Möglichkeit bestehen wird, ist allerdings ein unumstößlicher Bestandteil die- ses Gesetzentwurfs . Den Bürgerinnen und Bürgern soll nichts gegen ihren Willen aufgezwängt werden . Ein anderer Aspekt dieses Gesetzentwurfs betrifft die Frage, wie man die Implementierung der eID-Funktion für Unternehmen attraktiver gestalten kann . Denn auch hier schlummern Potenziale: So könnten in Zukunft On- linedienstleistungen von Unternehmen, wie beispiels- weise die Anbahnung eines Versicherungsvertrages, auf ein datenschutzsichereres Fundament gestellt werden, wenn beide Seiten zur Identifizierung die eID-Funktion nutzen. Eine weitere Verbreitung dieser Identifizierungs- möglichkeiten bei den Unternehmen ist somit auch aus Sicht der Verbraucherinnen und Verbraucher begrüßens- wert, die diese Dienstleistungen zwar jetzt schon in An- spruch nehmen, bei allerdings deutlich geringerem Da- tenschutzniveau . Wiederum ist es derzeit für die Unternehmen nicht hinreichend attraktiv, die eID-Funktion zu implemen- tieren, da sie insgesamt so wenig genutzt wird . Dieses Missstands will sich der Gesetzentwurf annehmen . Aber auch an dieser Stelle sei deutlich betont: Dieser richtige und wichtige Grundgedanke wird nicht zulasten der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger gehen . Un- ternehmen, die diese eID-Funktion in ihre Geschäfts- abläufe integrieren möchten, müssen auch in Zukunft hohe Standards für ihre Dienste einhalten, damit sie die entsprechende Berechtigung dafür bekommen . Denn die eID-Funktion ist und bleibt eine staatliche, hoheitliche Einrichtung und ist kein Wirtschaftsgut . Unterm Strich: Wir gehen mit diesem Gesetzentwurf einen Schritt in die richtige Richtung . Die eID-Funktion muss stärker gefördert werden, damit ihre Vorteile zu- künftig von deutlich mehr Bürgerinnen und Bürgern ge- nutzt werden, ganz gleich, ob bei der Inanspruchnahme von Verwaltungs- oder Unternehmensdienstleistungen . Allerdings werden wir es nicht zulassen, dass diese För- derung der eID-Funktion zulasten des Datenschutzes und der Datensicherheit der Bürgerinnen und Bürger geht und ihnen durch den Gesetzentwurf Nichtgewolltes auf- genötigt wird . Daher glaube ich, dass wir in den Ausschussberatun- gen noch an der einen oder anderen Schraube werden drehen müssen . Kritisch sehen wir nämlich nach wie vor die Ausgestaltung der Erteilung von Berechtigungszer- tifikaten für Dienstanbieter, und auch der automatisier- te Lichtbildabruf unter anderem für Nachrichtendienste braucht einen klar gezeichneten und umgrenzten gesetz- lichen Tatbestand . Gleichzeitig bin ich aber auch sehr zuversichtlich, dass wir am Ende zu einem sinnvollen und ausgewoge- nen Ergebnis kommen werden, und ich ergänze: ein Er- gebnis, das unsere Verwaltungseinheiten in den Kommu- nen nicht belastet, sondern entlastet und damit Prozesse beschleunigt . Ulla Jelpke (DIE LINKE): Die Bundesregierung überschreibt ihren Gesetzentwurf mit „Förderung des elektronischen Identitätsnachweises“ . Das ist ein reiner Euphemismus . Tatsächlich birgt der Gesetzentwurf eine Verschlechterung der Datensicherheit für die Bürgerin- nen und Bürger . Es geht um den sogenannten ePass bzw . den elektroni- schen Identitätsnachweis im neuen Personalausweis . Der enthält seit 2010 einen Chip, mit dem sich die Inhaber, zum Teil unterstützt durch eine PIN, gegenüber Behör- den, aber auch der Privatwirtschaft ausweisen können . Das funktioniert dann ähnlich, als wenn man am Laden- tisch seinen Ausweis zeigt . Über die Vor- und Nachteile dieses Chips wurde schon viel geschrieben; das Fazit, das die Linke schon vor Jahren gezogen hat, bleibt be- stehen: Sicher ist er nicht und notwendig schon gar nicht . Unsere Skepsis wird von der großen Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger geteilt . Von den 51 Millionen Deutschen, die in den letzten Jahren diesen neuen Per- sonalausweis bekommen haben, entschieden sich zwei Drittel dafür, die Onlinefunktion von vornherein zu de- aktivieren . Für diese Option kann man sich nämlich der- zeit noch bei Aushändigung des Ausweises entscheiden . Und von dem anderen Drittel haben auch nur 5 Prozent das notwendige Kartenlesegerät für den Heimcomputer . Der Bundesregierung ist diese Boykotthaltung ein Dorn im Auge . Aber was macht sie jetzt? Anstatt sich Mühe zu geben, die Bürgerinnen und Bürger zu überzeu- gen, greift sie einfach zum Zwangsmittel . Der Ausweis soll ab sofort immer mit bereits eingeschalteter Online- funktion ausgehändigt werden; die Bürger haben nicht mehr die Wahl, ganz nach dem Motto: Wenn die Bürger die falschen Antworten geben, hören wir einfach auf, sie zu fragen . Willkommen zurück im Obrigkeitsstaat! Das eigentliche Motiv hinter diesem Manöver kann man leicht aus der Gesetzesbegründung herauslesen: Es geht um die Durchsetzung einer neuen Technologie im Interesse der Wirtschaft . Der Handel, heißt es da, war- te darauf, dass eine größere Anzahl potenzieller Nutzer die Investition in die neue Technologie rechtfertigt . Und diese größere Anzahl wird dem Handel jetzt per Gesetz zugeführt . Deswegen ist der Preis für einen Personal- ausweis von 8 Euro auf über 28 Euro angestiegen . Die Bürgerinnen und Bürger müssen für eine Technologie bezahlen, die sie nicht wollen und die sie auch gar nicht brauchen . Und noch schlimmer: Es ist eine Technologie, der sie zu Recht nicht trauen . Der Chaos Computer Club weist darauf hin, es sei „nur eine Frage der Zeit“, bis der Chip geknackt, das Lesegerät ferngesteuert oder die PIN ge- stohlen wird . Kriminelle können sich dann über das In- ternet mit falschen Identitäten ausweisen . Die Bundes- regierung behauptet natürlich, jeglichem Missbrauch werde „sicher“ vorgebeugt . Aber wenn eines im IT-Be- reich sicher ist, dann dieses: Es gibt keine Sicherheit, schon gar nicht langfristig. Im Auffinden und Schließen von Sicherheitslücken befinden sich Cyberkriminelle und IT-Industrie seit Jahren in einem unendlichen Wett- lauf . Da nutzt es nichts, wenn die Bundesregierung den Nutzern empfiehlt, ihr Betriebssystem regelmäßig zu Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22301 (A) (C) (B) (D) aktualisieren: Bis die Sicherheitslücke entdeckt ist, kann es schon zu spät sein . Und wenn man bedenkt, dass der Ausweis zehn Jahre lang gültig sein soll, kann man nur sagen: Das ist eine Einladung zum Knacken . Von der Praxis der Geheimdienste, sich in Privatcomputer einzu- schleichen, ganz zu schweigen . Völlig zu Recht hat die Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder am 24 . Januar dieses Jahres gewarnt, dass „das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger übergangen und Datenschutz sichernde Standards unterlaufen“ werden . Ich will noch einen Punkt des Gesetzentwurfs anspre- chen, der ebenso eine Verschlechterung des Datenschut- zes vorsieht: den erweiterten und rascheren Zugriff der Sicherheitsbehörden auf die bei den Personalausweis- behörden gespeicherten Passbilder . Bislang ist dies der Polizei vorbehalten, die den automatisierten Abruf nur durchführen darf, wenn Gefahr im Verzug ist . In Zukunft wird dies praktisch völlig voraussetzungslos erlaubt, und zwar auch den Geheimdiensten . Die haben also dann freien Zugriff auf sämtliche Passbilder. Die Begründung dafür ist abenteuerlich: Das Anwerben von V-Leuten durch die Geheimdienste könne gefährdet sein, heißt es da, wenn die V-Mann-Führer persönlich bei den Ange- stellten der Behörden ein Passbild abholen müssten, weil es ja sein könnte, dass die Angestellten den V-Mann ken- nen und damit die Geheimhaltung platzt . Hier wird eine datenschutzfeindliche Maßnahme mit einem demokratiefeindlichen Zweck begründet . Die Lin- ke lehnt es ab, dass den Geheimdiensten ständig mehr Befugnisse eingeräumt werden, und die V-Mann-Praxis hat sich sowieso schon längst als absolut schädlich he- rausgestellt . Ich erinnere nur daran, dass die V-Männer des Verfassungsschutzes jahrelang die Naziterroristen vom NSU unterstützt haben . Die Datenschutzbeauftragten lehnen daher auch die- se Änderung ab, und da schließt sich die Linke voll und ganz an . Wir wollen nicht, dass der Datenschutz auf den Altären von Geheimdiensten und Privatwirtschaft geop- fert wird . Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Stellen Sie sich vor, sie sind eine mit dem Politbe- trieb nicht näher vertraute Bürgerin und werden gefragt, was Sie von den Maßnahmen der Merkel-Regierungen zum E-Government halten . Wie muss die Antwort lau- ten? Richtig: nichts! Denn Sie können beim besten Wil- len überhaupt keine einzige bekannte Maßnahme nennen . Auf Nachfrage Ihrerseits wird man Ihnen womöglich die E-Government-Ruinen der letzten Jahre wieder in Erin- nerung rufen, darunter De-Mail, ELENA, elektronische Gesundheitskarte oder der neue elektronische Personal- ausweis . Richtig, der Personalausweis, werden viele sa- gen, da war doch was; der war irgendwie ziemlich teuer, aber warum denn noch genau? Wir erläutern es gerne: Es wurde nie wirklich kom- muniziert, worin der Mehrwert dieses elektronischen Ausweises liegt, was er kann . Das hatte eine gewisse Schlüssigkeit, weil der Ausweis auch nie wirklich son- derlich viel Vorweisbares konnte und kann . Die Vorstel- lung jedenfalls, dass der nPA zum zentralen Onlineiden- titätstool der Bürger im geschäftlichen Leben als auch im Umgang mit Behörden wird, ist deshalb absurd, weil es schlicht bis heute an den dazugehörigen Angeboten fehlt . Man hat eben auch die Wirtschaft nicht ins Boot holen können, ganz zu schweigen von den Verwaltungen, die bei der Digitalisierung nach wie vor überwiegend eisern mauern und sich der Entwicklung insgesamt zu verwei- gern versuchen . Es kann also keine Akzeptanz der eID-Funktion auf dem neuen Personalausweis geben, denn in wohl kaum einem anderen Bereich hat diese sogenannte Große Ko- alition ihre nachhaltige Untätigkeit durch markige Re- den und Symbolpolitik so umfänglich kaschiert wie im E-Government . Die Digitale Agenda ist ein Stückwerk geblieben; von Open Data über Cybersicherheit bis hin zu Behördenangeboten online sind wir praktisch nicht vorangekommen . Natürlich handelt es sich um ein kom- plexes Feld . Aber die Probleme Ihrer Koalition sind eben auch hausgemacht: mangelnde Koordination der Digitalisierung ihrer eigenen Regierung, mangelhafte Beachtung von Akzeptanz- und Vertrauensfaktoren wie Rechtsstaatlichkeit, IT-Sicherheit und Datenschutz, aber auch die Kniepigkeit des Bundesfinanzministers. Vor diesem Hintergrund mutet es umso wunderlicher an, was Sie mit dem vorliegenden Gesetzentwurf versu- chen: ein disparates Artikelgesetz rund um Pass, Perso- nalausweis und elektronische Aufenthaltstitel . Getrieben vom Scheitern des nPA versuchen Sie es nun mit der Brechstange, einfach indem Sie den rechtsstaatlich-da- tenschutzrechtlichen Rahmen aufweichen . Die Onlineausweisfunktion des elektronischen Per- sonalausweises soll „leichter anwendbar“ werden . Dazu sieht ihr Gesetzentwurf (Drucksache 18/11279) vor, dass die sogenannte eID-Funktion zum elektronischen Identi- tätsnachweis künftig bei jedem Ausweis automatisch und dauerhaft eingeschaltet wird . Dies soll die eID-Funktion schneller verbreiten und dadurch einen Anreiz für Be- hörden und Unternehmen schaffen, mehr Anwendungen bereitzustellen . Dieses Vorgehen ist von beispielloser Frechheit und grenzt an magisches Denken . Das BMI merkt, dass die Bürgerinnen und Bürger in freier Entscheidung zu zwei Dritteln der rund 51 Millionen ausgegebenen Ausweise/ eAT die eID-Funktion deaktivieren lassen haben, und schafft diese freie Entscheidung ab. Zur Strafe für die Ausübung ihrer Freiheiten wird den Pass- und Personal- ausweishaltern schlicht das Recht entzogen, überhaupt noch frei entscheiden zu können, ob die eID-Funktion eingeschaltet wird . Und diese Zwangsbeglückung soll dann den Erfolg eines Modells sicherstellen, bei dem von vornherein doch klar ist, dass nur bei hinreichenden An- geboten zur Nutzung der eID seitens der Wirtschaft und der Verwaltung überhaupt Transaktionen zustande kom- men, ganz zu schweigen vom notwendigen Vertrauen al- ler Seiten in den Einsatz der Technik . Auch Unternehmen und Behörden implementierten die eID bislang nur zögerlich in ihre Geschäftsabläufe . Das hat sicherlich viele Gründe, ganz sicherlich aber Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722302 (A) (C) (B) (D) wird sich daran nicht einfach dadurch etwas ändern, dass Sie die Funktion per Default freischalten . Denn sie muss von den Nutzern auch angewendet, also akzeptiert wer- den . Daher soll dem Gesetzentwurf zufolge nun aber auch noch das Verfahren vereinfacht werden, mit dem Unter- nehmen und Behörden berechtigt werden, die eID-Daten auszulesen . Kurz gesagt, Sie senken die datenschutz- rechtlichen Anforderungen an den Nachweis der Erfor- derlichkeit bei den Unternehmen, die mit der eID arbei- ten wollen . Die Mehrarbeit der Überprüfung sollen die Datenschutzbehörden tragen . Selbstverständlich führen Sie nicht aus, mit welchen Mitteln . Abgesehen davon, dass wir zum Gegenstand der Sachverständigenanhörung die Auffassung der Datenschutzbehörden zu dieser Form der Zwangsbeglückung machen werden, wird auch diese Aufweichung der rechtsstaatlichen Standards Ihnen nicht die Akzeptanz bringen . Denn sie hintertreiben damit zu- gleich die Vertrauenswürdigkeit der gesamten Idee der eID, die wesentlich auf dem dahinterliegenden Daten- schutzkonzept basiert . Dass Sie aber keine Akzeptanz für die eID finden, hat zahlreiche andere Gründe, die Sie in Ihrem Entwurf überhaupt nicht erwähnen oder angehen, darunter die fehlenden Angebote der Behörden selbst, die fehlenden Apps für mobile Anwendungen bzw . das durchaus in der Praxis funktionierende, wenn auch unsichere Identifizie- ren per SMS, das von Anbeginn ungelöste Problem der Kartenlesegeräte, die von der Bundesregierung nicht ge- fordert wurden, und, und, und . Es gehört deshalb zu der großen Ironie dieses Gesetz- entwurfs, dass Sie das Kopieren des Passes bzw . des Per- sonalausweises erstmalig per Gesetz zulassen, nachdem über Jahrzehnte und völlig zu Recht – zusätzliche Sicher- heitsrisiken für Betroffene – aus Datenschutzgründen Unternehmen belehrt wurden, genau dieses nicht zu tun . Der Hammer aber, ein klassischer BMI-Move, wie er im Lehrbuche steht, ist die im Gesetz sorgfältig auf den hinteren Seiten versteckte Einführung des voraus- setzungslosen automatisierten Pass- bzw . Personalaus- weisfotoabgleichs durch alle bundesdeutschen Geheim- dienste. Dieses ist nichts anderes als der offene Einstieg in eine bundesweite biometrische Bilddatenbank aller Bundesbürger . Die Aufrüstung der Geheimdienste unter der Großen Koalition spottet jeder Beschreibung . Und das, obwohl Skandale uns immer wieder zeigen, dass uns der notwen- dige rechtsstaatliche Zugriff auf die Dienste bis heute fehlt . Deutlicher kann man Demokratie- und Rechts- staatgleichgültigkeit nicht zum Ausdruck bringen . Mit Sicherheit hat dieses Vorhaben übrigens sicherlich nichts zu tun . Es dürfte vielmehr große Teile der Bevölkerung massiv beunruhigen . Wir fordern den Bundestag und insbesondere die SPD auf, dieses Gesetzesvorhaben noch zu stoppen . Der Sach- verständigenanhörung am 24 . April sehen wir mit Inte- resse entgegen . Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister des Innern: Wir alle erledigen heute einen Großteil unserer Geschäfte über das Internet . Wir be- stellen Bücher oder Kleidung bei Onlinehändlern . Wir schließen online eine Versicherung ab oder eröffnen ein neues Bankkonto . Bei allen diesen Vorgängen müssen wir uns identifi- zieren . Dies geschieht meist über eine Kombination von Benutzernamen und Passwort . Viele Menschen besitzen so eine Menge Benutzernamen und Passwörter . Den Überblick zu behalten, ist fast unmöglich . Und: Das Sys- tem „Benutzername/ Passwort“ macht es Identitätsdie- ben und Betrügern leicht . Benutzername und Passwort können gestohlen und anschließend betrügerisch einge- setzt werden . Diese Nachteile vermeidet die Onlineausweisfunktion des Personalausweises . So wie man den Personalausweis bis heute beim Bankschalter oder in der Behörde vorlegt, um sich zu identifizieren, kann man ihn seit 2010 auch bei Geschäften im Internet einsetzen . Ziel des Gesetzentwurfes ist es, die Nutzung des elektronischen Personalausweises weiterzuentwickeln . Personalausweise und elektronische Aufenthaltstitel mit geprüften Identitätsdaten sollen künftig durchgängig mit einer einsatzbereiten Onlineausweisfunktion ausgegeben werden . Der zweite wichtige Punkt betrifft das Verfahren zur Erteilung von Berechtigungen und Berechtigungszertifi- katen: Anbieter von Onlinedienstleistungen – also etwa Banken, Versicherungen, aber auch Behörden im E-Gov- ernment – benötigen nach geltendem Recht eine spezielle Berechtigung für jeden Service, um die Onlineausweis- funktion anbieten zu dürfen . Hierfür müssen sie gegenwärtig für jeden neuen Ser- vice immer wieder erneut ein aufwendiges Genehmi- gungsverfahren durchlaufen . Der Regierungsentwurf sieht hier wesentliche Erleichterungen vor . Drittens erweitert der Regierungsentwurf die Anwen- dungsmöglichkeiten des elektronischen Personalauswei- ses . Dies betrifft zunächst das sogenannte „Vor-Ort-Aus- lesen“ . Bürgerinnen und Bürger können ihren Ausweis in Zukunft am Bank-, Post- oder Behördenschalter dazu nutzen, ihre üblichen Personendaten – also etwa Namen und Adresse – auf elektronischem Wege, aber eben „vor Ort“ in ein elektronisches Formular zu übertragen . Das geht schnell und verhindert Schreibfehler . Außerdem können in Zukunft sogenannte Identifi- zierungsdiensteanbieter die Identifizierung mittels On- lineausweisfunktion übernehmen . Unternehmen und Behörden benötigen so künftig kei- ne eigene Informationstechnologie mehr, um diese Funk- tion anzubieten . Sie können für diesen sicheren Service einen spezialisierten Dienstleister beauftragen . Schließlich enthält der Regierungsentwurf noch zwei weitere Regelungen . Zum einen erhalten Sicherheitsbe- hörden künftig die Möglichkeit, die Pass- und Ausweis- register zum automatisierten Abruf von Passbildern zu Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22303 (A) (C) (B) (D) nutzen . So können Personen, von denen Sicherheitsrisi- ken ausgehen, schneller überprüft werden . Der automa- tisierte Abruf von Passbildern erleichtert die Arbeit der Sicherheitsbehörden und erhöht die Sicherheit der Bür- gerinnen und Bürger . Zum anderen enthält der Entwurf einen neuen Pass- versagungsgrund . Er soll Auslandsreisen verhindern, die mit dem Ziel vorgenommen werden, eine sogenannte Ferienbeschneidung von Mädchen vornehmen zu lassen . Solche „Ferienbeschneidungen“ sind als Verstümmelung weiblicher Genitalien nach § 226a StGB strafbar und müssen auch präventiv bekämpft werden . Hierzu dient der neue Passversagungsgrund . Ich bitte Sie, den Gesetzentwurf zu unterstützen . Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des BDBOSGesetzes – des Antrags der Abgeordneten Irene Mihalic, Matthias Gastel, Anja Hajduk, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Lückenlose BOS-Digitalfunkabde- ckung in Bahnhöfen der Deutschen Bahn AG sicherstellen (Tagesordnungspunkt 31 und Zusatztagesord- nungspunkt 11) Marian Wendt (CDU/CSU): Kommunikationstech- nologie unterliegt einem ständigen Wandel . Staatliche Kommunikationsinfrastrukturen sind unmittelbar betrof- fen . Sind sie veraltet, unzuverlässig oder nicht leistungs- fähig genug; so kann der Staat seinen Aufgaben nicht nachkommen . Sind sie obendrein unsicher; so geht von ihr eine Gefahr für die Menschen aus, einerseits weil die Gefahrenabwehr, eine der zentralen Aufgaben des Staa- tes, nicht zuverlässig gewährleistet werden kann, ande- rerseits weil sie Angriffen auf sie selbst nicht standhalten können . Die Bundesrepublik Deutschland hat also die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass ihre Kommunikationsinfrastruktur, namentlich vor allem die Netze des Bundes, aber auch alle anderen Kommunikationsinfrastrukturteile der Be- hörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben, si- cher sind, funktionieren und einem modernen Stand der Technik entsprechen . Ein entscheidender Faktor bei der Sicherstellung mo- derner und sicherer Kommunikationsinfrastrukturen ist es, die öffentliche Verwaltung in die Lage zu versetzen, möglichst flexibel auf die zukünftigen Herausforderun- gen zu reagieren und die Anforderungen stets anpassen zu können . Die bisherige Schwerfälligkeit, gegeben durch die verstreute Zuständigkeit und behäbige Appa- rate, muss überwunden werden . Eine Bündelung der Zu- ständigkeit in möglichst wenigen verantwortlichen Posi- tionen ist der richtige Weg . In Bezug auf die Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsauf- gaben bedeutet dies, dass die Aufgaben dieser Behörde schneller und flexibler an den Bedarf angepasst werden müssen, wenn es nötig wird . Die öffentliche Sicherheit wird durch den Digitalfunk für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsauf- gaben wesentlich gestärkt . Ein modernes Kommunika- tionssystem für Sicherheitskräfte ist unerlässlich . Der Wechsel von den analogen Vorläufersystemen hat lange genug gedauert . Daher ist es richtig und wichtig, jetzt den nächsten Schritt zu gehen und das neue, moderne System noch fitter für die Zukunft zu machen. Doch es geht auch um mehr . Die Erfahrung rund um den Aufbau und den Betrieb von Digitalfunknetzen und anderen Kommuni- kationsnetzen soll nun auch, wenn es nötig ist, in ande- ren staatlichen Bereichen genutzt werden . Die stellt eine effiziente Nutzung der erworbenen Kenntnisse und des Materials in diesem Bereich dar . Es vermeidet eine Dop- pelbeschaffung. Um einen Ausblick auf die kommenden Herausforde- rungen zu geben, möchte ich auf einen besonders wich- tigen Punkt hinweisen . Die Einführung eines überall und stets verfügbaren Breitbandnetzes für die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben ist der nächste und höchst wichtige Schritt . Genau wie in der Industrie, in der Fertigung und in vielen anderen, auch privaten Be- reichen ermöglicht der technologische Fortschritt immer bessere und effizientere Wege. Die Nutzung dieser Tech- nologien ist auch im Bereich der öffentlichen Sicherheit nicht nur denkbar, sondern geboten . Dass der Staat eine zumindest in Teilen autarke und im Katastrophenfall von Dritten unabhängige Infrastruk- tur betreibt und nutzen kann, die verlässlich und sicher ist, muss das Ziel der Bemühungen um eine neue Sicher- heitspolitik sein, für die ich mich in Zukunft persönlich einsetzen will . Der geplante Schritt, den Betrieb der Netze des Bun- des in die Hand der Bundesanstalt für die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben zu legen, ist der richtige Weg zu diesem Ziel . Auch wirtschaftlich gesehen ist es eine vernünftige Maßnahme . Bei einer Fremdver- gabe des Betriebes der Netze des Bundes, im Gegensatz zu einem Betrieb durch die BDBOS, entstünden unge- fähr 70 Millionen Euro mehr Kosten als in der gewählten Variante . Dem Gebot der Wirtschaftlichkeit entspricht unser Vorgehen also auch . Es ist geboten, weil es nicht zu rechtfertigen ist, wenn ein Staat einen möglichen Gewinn an Sicherheit bei be- wältigbaren Kosten nicht ergreift . Die Tatsache, dass es hier im Hause bisher keinen Streit über eine Notwendig- keit der Novellierung des BDBOS-Gesetzes gegeben hat, zeigt mir überdies, dass es einen breiten Konsens über die Modernisierung und Straffung staatlicher sicherheits- relevanter Kommunikation gibt . Auch der Bundesrat hat am 10 . Februar 2017 beschlossen, keine Einwände zu er- heben . Dies stimmt mich überaus positiv . Gerold Reichenbach (SPD): Vor knapp zehn Jahren wurde in Deutschland das weltweit größte Digitalfunk- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722304 (A) (C) (B) (D) netz für Behörden und Organisationen mit Sicherheits- aufgaben, die sogenannten BOS, aufgebaut . Dies war keineswegs banal . Schließlich verfügte Deutschland im Gegensatz zu den meisten anderen europäischen Staaten bereits im Analogfunk über ein Integriertes Funknetz für die BOS . Nach einem längeren Bund-Länder-Ab- stimmungsprozess fiel dann der Startschuss mit dem am 1 . September 2006 in Kraft tretenden „Gesetz über die Errichtung einer Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsauf- gaben“, dem sogenannten BDBOS-Gesetz . Am 2 . April 2007 wurde die BDBOS gegründet . Es war damals ein wichtiger Schritt, um ein Herzstück unseres polizeilichen und nicht polizeilichen Sicherheitssystems, nämlich die Kommunikation und den Datenaustausch, zu moderni- sieren . Der Digitalfunk ersetzte den bis dahin technisch veralteten, von der Polizei in Bund und Ländern, den Feuerwehren, den Rettungskräften sowie von den Kata- strophenschutz- und Zivilschutzbehörden in Bund und Ländern genutzten Analogfunk . Mitte 2009 haben wir mit dem ersten „Gesetz zur Änderung des BDBOS-Gesetzes“ die Voraussetzun- gen geschaffen, das in Deutschland bereits bestehende integrierte BOS-Funknetz von der analogen in die mo- derne digitale Funktechnik zu überführen . Damit wurde gewährleistet, dass die von Bund und Ländern für ihre jeweiligen Bedarfsträger dezentral beschafften digitalen Funkgeräte bestimmte Mindestanforderungen erfüllen und so störungsfrei mit den sonstigen Komponenten des BOS-Digitalfunknetzes sowie mit allen anderen Funkge- räten in diesem Netz zusammenarbeiten . Das BOS-Digitalfunknetz in Deutschland ist weltweit das Größte seiner Art und verfügt im Vergleich zum Ana- logfunk über einige Vorteile: Er ist abhörsicher, hoch- verfügbar, und hat eine verbesserte Sprachqualität . Der BOS-Digitalfunk wird heute bereits von über 700 000 re- gistrierten Teilnehmern genutzt und hat sich nicht nur im Alltag, sondern auch bei Großeinsatzlagen bewährt . Die- ses Ergebnis konnte durch die gute und enge Zusammen- arbeit zwischen dem Bund, den Ländern und der BDBOS erreicht werden . Mit dem nun heute vorliegenden zweiten und auch zu begrüßenden „Gesetz zur Änderung des BDBOS-Ge- setzes“ wollen wir sicherstellen, dass der öffentlichen Verwaltung die notwendige Flexibilität für die Zukunfts- herausforderungen und Zukunftsanforderungen gegeben werden, die durch den Wandel in staatlichen Kommuni- kationsstrukturen verursacht werden . Wir nehmen in das bestehende BDBOS-Gesetz eine Öffnungsklausel auf, mit der das Aufgabenspektrum der BDBOS jederzeit erweitert werden kann, um auf Ent- wicklungen im Bereich staatlicher Kommunikations- strukturen flexibel zu reagieren. Der Zweck der BDBOS liegt aber auch nach einer möglichen Übertragung wei- terer Aufgaben nach wie vor im Aufbau und Betrieb des Digitalfunks . Zunächst ist vorgesehen, den Eigenbetrieb der Netze des Bundes, NdB, als eine gesonderte Aufgabe an die BDBOS zu übergeben . Gerade mit der steigenden Gefahr durch Cyberattacken und dem schnellen techno- logischen Fortschritt sollen die Netze des Bundes mithal- ten können . Bund und Länder sitzen beim BDBOS nach wie vor in einem Boot . So wollen wir mit dem Änderungsgesetz die Möglichkeit des weiteren Zusammenwirkens von Bund und Ländern bei Planung, Errichtung und Betrieb der für ihre Aufgabenerfüllung benötigten informationstechni- schen Systeme einführen . Ebenso stellen wir klar, dass der beim BDBOS be- stehende Verwaltungsrat allein für die in § 2 Absatz 1 Satz 1 BDBOSG geregelten Belange des Aufbaus, Be- treibens und der Weiterentwicklung des Digitalfunks der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben sowie der Sicherstellung ihrer Funktionsfähigkeit zu- ständig ist . Dabei soll dem Verwaltungsrat insoweit die Entscheidung über die grundsätzlichen Angelegenheiten, soweit die zuvor genannten Belange nach § 2 Absatz 1 Satz 1 BDBOSG betroffen sind oder die Übertragung von Aufgaben nach § 2 Absatz 1 Satz 2 BDBOSG-E im Raum steht, obliegen . Außerdem soll der vom Verwal- tungsrat aufzustellende Jahresabschluss auf die in § 2 Absatz 1 Satz 1 BDBOSG geregelten Aufgaben fixiert werden . Wir legen fest, dass der jährlich zum 31 . Oktober für das folgende Geschäftsjahr zu erstellende Wirtschafts- plan Investitionen und Aufwendungen für die in § 2 Absatz 1 Satz 1 und 2 BDBOSG fixierten Aufgaben ge- sondert auszuweisen hat und die Aufhebung der in § 18 BDBOSG geregelten Übergangsvorschriften und der in § 19 BDBOSG vorgesehenen Änderungen des Bundes- besoldungsgesetzes . Natürlich sehen wir an einigen Stellen noch Umset- zungs- und Nachverdichtungsprobleme, insbesondere auch in der sogenannten In-House-Versorgung . Hier sind die Länder oder auch die Betreiber der jeweiligen Ein- richtungen weiter in der Pflicht. Der Antrag der Fraktion Bündnis90/Die Grünen greift damit auch nur einen Aspekt der notwendigen weiteren In-House-Verdichtung heraus, der der Sicherstellung ei- ner lückenlosen BOS-Digitalfunkabdeckung in Bahnhö- fen der Deutschen Bahn AG . Auch ohne den Antrag der Grünen ist auch heute schon die Deutsche Bahn AG genauso wie zum Beispiel Flughafenbetreiber in der Pflicht, technisch alles in die Wege zu leiten, damit Polizei und Rettungskräfte im Falle einer Krisensituation über den Digitalfunk vor Ort kommunizieren können . Übrigens nicht nur für den von den Grünen angeführten Fall eines Terroranschlages . Im Gegenteil, sie ist auch und gerade für die alltäglichen Einsätze der Polizei, der Feuerwehren und Rettungs- dienste notwendig . Wir wissen, dass es keine bundesweit einheitliche Rechtsverpflichtung der Betreiber zur Objektfunkver- sorgung gibt . Die Verantwortung für Anlagen der Eisen- bahninfrastruktur tragen die Eisenbahninfrastrukturun- ternehmen . Sie sind für die Gewährleistung des sicheren Betriebs ihrer Anlagen uneingeschränkt verantwortlich, wozu unter anderem auch Rettungskonzepte mit deren notwendigen Kommunikationsmöglichkeiten für die BOS gehören . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22305 (A) (C) (B) (D) Es ist doch schon seit Jahren mit Bundesmitteln aus der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung mög- lich – auch für die Deutsche Bahn AG und ihre Eisen- bahninfrastrukturunternehmen –, die Ausrüstung mit BOS-Funk zu finanzieren, dabei ist es sogar egal, ob analog oder digital . Dafür muss im jeweiligen Einzelfall ein funktionierendes Rettungskonzept vorliegen und eine Aus- bzw . Umrüstung mit BOS-Digitalfunk erforderlich sein . Der Deutschen Bahn AG obliegt es jetzt schon in ihrer eigenen unternehmerischen Verantwortung, dies an ihren Bahnhöfen zu ändern; daraus wollen wir sie auch nicht entlassen . Für den Gesetzentwurf bitte ich um Ihre Zustimmung . Den Antrag von Bündnis90/Die Grünen halten wir durch die bestehende Rechtslage für erledigt . Frank Tempel (DIE LINKE): Im vorliegenden Ge- setzentwurf will die Bundesregierung die Möglichkeit schaffen, der Bundesanstalt für den Digitalfunk der Be- hörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben, BDBOS, neue Aufgaben jenseits des bisherigen Betrie- bes des TETRA-basierten Digitalfunk BOS zukommen zu lassen . Angedacht ist die Übertragung des Eigenbe- triebes der Netze des Bundes, NdB . Das Netz des Bundes als zukünftige Netzinfrastruktur der Bundesverwaltung ist unzweifelhaft Teil der kriti- schen Infrastruktur und auf das Engste mit den Kernauf- gaben des Staates verbunden . Solch kritische Infrastruk- turen in Betrieb privater Firmen bilden ein potenzielles Sicherheitsrisiko . Die bisherigen zwei Netze, das BVN/ IVBV – Bundesverwaltungsnetz/Informationsverbund der Bundesverwaltung – und das IVBB – Informations- verbund Berlin-Bonn – wurden von zwei Privatfirmen, Verizon und T-Systems, betrieben . Darüber erfolgten die Regierungskommunikation sowie die Kommuni- kation der Bundesverwaltung . Via BVN/IVBV wird ebenfalls ein Teil der Datenverkehre des Deutschen Bun- destages abgewickelt . Mit den Snowden-Leaks wurde bekannt, dass Verizon zu jenen Firmen zählt, mit denen der US-amerikanische Geheimdienst NSA strategische Partnerschaften zur Datenüberwachung unterhält . Der Vertrag mit Verizon über den Betrieb des Bundesverwal- tungsnetzes wurde daraufhin später zu Recht gekündigt . Die Änderung des BDBOS-Gesetzes schafft die Mög- lichkeit, dass die Netze des Bundes, NdB, in Eigenbetrieb durch die Bundesbehörde geführt werden können . Das ist grundsätzlich zu begrüßen . Zudem sollen bis 2019 die einzelnen Fernkommunikationsnetze des Bundes zu- sammengefasst und migriert werden . Gegenüber einem Fremdbetrieb soll der Kostenvorteil des NdB in Eigenbe- trieb zudem laut dem Gesetzentwurf rund 160 Millionen pro Jahr betragen . Andererseits bleibt die Fraktion Die Linke skeptisch . Die Geschichte der Einführung des digitalen BOS-Netzes als auch des Netzes des Bundes war und ist ein Trauer- spiel . Schon zur Fußballweltmeisterschaft 2006 sollte in den Austragungsorten der digitale BOS-Funk verfügbar sein . Im Jahr 2007 gab es einen Neustart des gesamten Projektes . Seitdem ist die Bundesanstalt für den Digital- funk der Behörden und Organisationen mit Sicherheits- aufgaben für den Aufbau des Digitalnetzes zuständig . Immer größere Kosten, ein Ausbaurückstand von zwei Jahren und Berichte über ein Organisationschaos bei der BDBOS begleiteten deren Arbeit . Beim Aufbau des digi- talen Polizeifunks waren erhebliche Unregelmäßigkeiten zu beobachten . Der Bundesrechnungshof listete im Jah- re 2010 unglaubliche Zustände beim BDBOS auf . Mit- arbeiter wurden ohne Arbeitsvertrag angestellt, externe Dienstleister schrieben sich selbst die Arbeitsaufgaben zu, und die Rechnungslegung war über weite Strecken nicht nachvollziehbar . Die ursprünglich geplanten Kos- ten von 5,1 Milliarden Euro, die inzwischen auf 7,2 Mil- liarden Euro angestiegen sind, werden wohl noch um ei- nige Milliarden anschwellen . Grund dafür ist die immer noch nicht erreichte vollständige Abdeckung des Netzes . Insbesondere in Tälern, dichten Wäldern und innerhalb von Gebäuden ist der Empfang schwierig bis unmöglich . Deshalb muss die Stationsdichte nachträglich erhöht werden . Der heute vorliegende Antrag von Bündnis 90/ Die Grünen geht in diese Richtung und wird natürlich von den Linken unterstützt . Weiterhin ist die Übertragung digitaler Daten beim Polizeifunk so unterdimensioniert, dass jedes normale Handy einen weit höheren Funktionsumfang aufweist . Die Übertragung von Fahndungsfotos oder Fingerabdrü- cken ist faktisch unmöglich . Es steht also ein milliarden- schwerer Ausbau bei den Bandbreiten an . Nach Jahren der Kritik von Katastrophenschützern und auch unserer Fraktion haben die Bundesregierung und die Länder endlich die Notwendigkeit erkannt, das digitale BOS-Netz gegen längere Stromausfälle zu här- ten . Bereits nach zwei Stunden ist heute das Netz tot und sind Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienste und THW der Kommunikation beraubt. Der Puffer soll nun auf 72 Stunden ausgebaut werden . Wann dies abschließend der Fall ist, steht aber in den Sternen . Auch das Projekt „Netze des Bundes“ ist dem Zeitplan um Jahre hinterher . Neben Diskussionen um die Sicherheit des Netzes wegen bekannter Trassenverläufe im ehemaligen Leerrohrnetz der amerikanischen Armee gibt es auch erhebliche Kritik des Bundesrechnungshofes an Fehlausgaben in Milliar- denhöhe . Sie verstehen sicherlich, dass wir trotz des nachvoll- ziehbaren Ansatzes in ihrem Gesetz große Befürchtun- gen gegenüber Ihren Plänen hegen . Es ist schon viel zu viel Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler einge- setzt worden, und die Nutzbarkeit von digitalem BOS und des Netzes des Bundes ist trotzdem nicht auf dem versprochenen Stand . Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vie- le haben sicher nie davon gehört, aber: Die Umstellung des Analogfunks von Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben auf BOS-Digitalfunk ist eines der größten technischen Modernisierungsprojekte in Deutschland . Die ursprünglichen Planungen sahen die Inbetriebnahme eines Rumpfnetzes in Berlin zur Fuß- ball-WM 2006 vor . Die Gesamtumstellung sollte dann bereits im Jahr 2012 abgeschlossen sein . Nach der Um- stellung soll der neue BOS-Digitalfunk den Behörden mit Sicherheitsaufgaben in Bund und Ländern, wie der Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722306 (A) (C) (B) (D) Polizei, den Feuerwehren, dem THW oder den Sanitäts- und Rettungsdiensten, ein zuverlässiges und modernes Funknetz bieten . Der Ausschreibungs- und Planungspro- zess war allerdings so miserabel, dass dieses Ziel weit verfehlt wurde und die Umstellung bis heute nicht voll- ständig abgeschlossen ist . Die eigens 2007 gegründete Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Si- cherheitsaufgaben, also der BDBOS hat die bestehenden Probleme offensichtlich nicht im Griff, und der BOS-Di- gitalfunk entwickelt sich mehr und mehr zu dem Berliner Flughafen des Bundesinnenministeriums . Der vorlie- gende Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht nun die Übertragungen von weiteren Aufgaben an die BDBOS vor, die bisher nur den Ausbau und den Betrieb des BOS- Funks zu verantworten hat . Mir erscheint das Vorhaben so, als würde man jetzt dem neuen Berliner Flughafen auch noch den Betrieb von Tegel anvertrauen . Dabei haben die Verantwortli- chen aus der Misere offensichtlich nicht viel gelernt, wenn man den vorliegenden Gesetzentwurf betrachtet . Dieser soll es ermöglichen, dass weitere Aufgaben an die BDBOS übertragen werden, ohne dass diese genau spezifiziert sind. Dabei ist der Gedanke, weitere Auf- gaben im Bereich der staatlichen Kommunikation an einer Stelle zu bündeln und dadurch beispielweise die Resilienz gegen Hackerangriffe zu stärken, sicherlich sinnvoll . Aber setzt dies nicht eine genaue Planung vo- raus? Ich frage mich: Wo möchte die Bundesregierung mit diesem Gesetzentwurf hin? Offensichtlich weiß man das selbst nicht so genau . Die Übertragung des Betriebs der sogenannten Netze des Bundes als mögliche Option bleibt mir an dieser Stelle zu unkonkret, insbesondere im Hinblick darauf, dass es sich allein hier um ein Projekt mit einem Erfüllungsaufwand von 100 Millionen Euro handelt und dass ein jährlicher Erfüllungsaufwand von rund 92 Millionen Euro veranschlagt ist, nach bisheri- gen Zahlen der Bundesregierung . Weitere Kosten, für die möglichen neuen Aufgaben, kann die Bundesregierung nicht einmal benennen . Vielleicht wäre es auch im Hinblick auf die gegenwer- tige sicherheitspolitische Lage angebracht, sich erstmal auf die bestehenden Probleme im BOS-Digitalfunk zu konzentrieren und der Behörde nicht pauschal so weit- reichende Aufgaben zu übertragen . Die terroristische Anschlagsgefahr prägt die politische Debatte derzeit wie kaum ein anderes Thema . Es werden im Eiltempo neue Gesetze verabschiedet und Markplatzreden über die Aus- stattung der Sicherheitsbehörden und insbesondere der Polizei gehalten . Den Polizistinnen und Polizisten, die täglich ihren Dienst ausüben, helfen diese Gesetze und warmen Worte wenig, wenn wir immer wieder erleben, dass diese unter grundlegenden Ausstattungsdefiziten leiden. Hier ist die Bundesregierung in der Pflicht, nachzubessern und eben auch für einen funktionierenden und zuverlässigen Be- hördenfunk zu sorgen . Ohne einen störungsfreien Funkverkehr ist keine zu- verlässige Kommunikation sichergestellt, und diese ist Grundlage eines erfolgreichen Einsatzes . Die Bewälti- gung einer komplexen Lage, wie zum Beispiel bei einem Amoklauf oder einem Terroranschlag, ist nur durch eine absolut zuverlässige Kommunikation zwischen den ver- schiedenen Polizeieinheiten, aber auch anderen Behör- den mit Sicherheitsaufgaben, wie der Feuerwehr oder den Rettungsdiensten, möglich . Aber auch im alltäglichen Dienst stellen die bestehenden Probleme im Digitalfunk ein erhebliches Risiko für die Beamtinnen und Beamten dar . Wie soll beispielsweise Verstärkung gerufen werden, wenn man sich gerade in einem „Funkloch“ befindet? Mit einem zuverlässigen BOS-Digitalfunk würde die Bundesregierung einen wertvollen Beitrag für die Sicher- heit und körperliche Unversehrtheit der Polizistinnen und Polizisten leisten und nicht mit einer Strafverschärfung, wie kürzlich beschlossen . Die Probleme im Aufbau des BOS-Digitalfunks sind Jahre nach der Einführung immer noch vielseitig . In der Fläche besteht teilweise immer noch ein Mangel an Basisstationen, die eine zuverlässige Netzabdeckung garantieren . Aus diesem Grund greifen Einsatzkräfte immer wieder auf private Mobiltelefo- ne zurück, um Meldungen abzugeben oder zusätzliche Kräfte anzufordern . Der Mangel in der Fläche sorgt auch immer wieder für eine schlechte Funkverbindung inner- halb von Gebäuden . Des Weiteren ist die Umstellung in den Behörden mit Sicherheitsaufgaben selbst noch nicht vollständig abgeschlossen, wie eine Kleine Anfrage von uns ergeben hat . Hier gilt es dringend nachzubessern . Die größte Herausforderung liegt aber in der Objekt- funkversorgung von großen Gebäuden, wie verschiedene Zwischenfälle und Berichte in den letzten Jahren gezeigt haben . Dieses Problem greift unser Antrag „Lückenlose BOS-Digitalfunkabdeckung in Bahnhöfen der Deutschen Bahn AG sicherstellen“ auf . Bahnhöfe sind besonders sensible Orte, die täglich von vielen Menschen frequen- tiert werden . Daraus ergeben sich bereits im alltäglichen Geschehen besondere Herausforderungen, insbesondere im Hinblick auf terroristische Ereignisse . Wir fordern die Bundesregierung auf, diese Missstän- de endlich zu beheben und gemeinsam mit der Deutschen Bahn AG für eine flächendeckende und zuverlässige Ob- jektfunkversorgung in den Bahnhöfen und den Tunnelan- lagen zu sorgen . Ich möchte eindringlich um eine Unter- stützung unseres Antrages werben, der einen erheblichen Sicherheitsgewinn für die Bevölkerung und die Beamtin- nen und Beamten im Dienst bedeutet . Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister des Innern: Die Digitalisierung führt zu grundlegenden Veränderungen in unserem Land . Neben der Wirtschaft und Gesellschaft ist gerade auch der Staat von diesen Veränderungen betroffen. Die Bundesverwal- tung ist heute in ihrer Handlungsfähigkeit entscheidend auf eine moderne, sichere und zuverlässige IT-gestützte Kommunikation angewiesen . Dabei spielen Netzinfra- strukturen eine besondere Rolle . Sie stellen die übergrei- fende Sprach- und Datenkommunikation sicher, vernet- zen bundesweit Rechnernetze und bilden somit eine Art „zentrales Nervensystem“ für die moderne Verwaltung . Die kurzen Entwicklungszyklen auf dem IT-Markt führen allerdings dazu, dass alte Technologien den ste- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22307 (A) (C) (B) (D) tig wachsenden Anforderungen kaum noch Rechnung tragen . Daneben ist die Bedrohungslage der Netze durch hochentwickelte Schadprogramme wie zum Beispiel Trojaner gestiegen . Die Regierungsnetze werden täglich gezielt angegriffen. Auch hat die Vielfalt der Netze inner- halb der Bundesverwaltung zu einer hohen Komplexität geführt, welche die Beherrschbarkeit und damit die Si- cherheit der Regierungskommunikation gefährden kann . Die aktuellen Netzinfrastrukturen der Bundesverwal- tung sind historisch gewachsen und weisen eine Vielzahl von parallelen Flächennetzen und Spezialnetzen auf . Dazu kommt, dass unsere heutigen Netze kein einheit- liches Sicherheitsniveau und keine redundanten Netz- werkstrukturen für eine größtmögliche Verfügbarkeit besitzen: Punktuelle Modernisierungen und Erweiterungen der bestehenden Regierungsnetze können den Anforderun- gen einer vernetzten, modernen Verwaltung nicht dauer- haft gerecht werden . Deshalb wird derzeit mit dem Projekt „Netze des Bundes“ eine einheitliche Netzinfrastruktur mit erhöh- tem Sicherheitsniveau auf den Weg gebracht . Hierdurch werden die notwendige Größenvorteile, Krisensicherheit sowie Leistungssteigerung gewährleistet . Durch redun- dante Anbindungen wird die Verfügbarkeit der Netze er- heblich gesteigert . Es ist vorgesehen, der Bundesanstalt für den Digital- funk der Behörden und Organisationen mit Sicherheits- aufgaben, kurz: BDBOS, den Betrieb der Netze des Bun- des als gesonderte Aufgabe zu übertragen . Hierzu bedarf es der vorliegenden Gesetzesänderung, die eine solche Aufgabenübertragung an die BDBOS er- möglicht . Gegenwärtig bestehen die zentralen Aufgaben der BDBOS im Aufbau, Betrieb und der Weiterentwicklung des bundesweit einheitlichen digitalen Sprech- und Da- tenfunksystems für die Einsatzkräfte der Polizei, der Feuerwehr, der Rettungskräfte sowie der Katastrophen- und Zivilschutzbehörden in Bund und Ländern . Die Bundesanstalt ist besonders geeignet den Betrieb der Netze des Bundes zu übernehmen, da sie bereits für den Betrieb des designierten Backbones für die Netze des Bundes, dem „Kerntransportnetz Bund“, verantwortlich ist und aufgrund ihrer gefestigten Strukturen in der Lage ist, frühzeitig am Projekt Netze des Bundes mitzuwirken . Der Bund sichert sich mit der Übertragung der Aufgabe an eine Bundesanstalt im Vergleich zum Betrieb durch einen externen Dienstleister uneingeschränkte Einfluss- möglichkeiten . Dies ist gerade auch bei besonderen si- cherheitsrelevanten Lagen von Bedeutung . Auch die Einfluss- und Kontrollrechte des Parlaments bleiben so gewahrt . Wir haben ein gemeinsames Interesse daran, die Leis- tungsfähigkeit und Sicherheit der für das Funktionieren der Bundesverwaltung wichtigen behördlichen Netzinf- rastrukturen weiterhin zu gewährleisten und auf zukünf- tige Herausforderungen vorzubereiten . Deshalb bitte ich Sie um die Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf . Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Um- setzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union zur Arbeitsmigration (Tages- ordnungspunkt 32) Andrea Lindholz (CDU/CSU): Häufig ist der Vor- wurf zu hören, Deutschland und Europa schotteten sich ab . Migranten seien in Europa nicht mehr willkommen . Der vorliegende Gesetzentwurf zeigt, dass die europä- ische Migrationspolitik in eine ganz andere Richtung geht . Mit den drei EU-Richtlinien, die wir heute in deut- sches Aufenthaltsrecht umsetzen, erleichtern wir Nicht- europäern, die auf legalem Weg nach Europa gekommen sind, die Arbeitsmigration innerhalb der EU . Natürlich brauchen wir in Europa qualifizierte und motivierte Zuwanderer . Allerdings muss diese Zuwan- derung in jedem Fall klaren Regeln folgen, die jederzeit in allen EU-Mitgliedstaaten eingehalten und konsequent umgesetzt werden müssen . An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass die ganz große Mehrheit der Migranten in Europa unsere geltenden Zuwanderungsgesetze einhält . Die Phasen der hohen unkontrollierten und illegalen Migration, wie wir sie zuletzt erlebt haben, sind die Ausnahme und müssen die Ausnahme bleiben. Andernfalls erodiert die öffentli- che Akzeptanz für die Freizügigkeit in Europa noch wei- ter . Der Fortbestand des grenzfreien Schengen-Raums ist heute durch das dysfunktionale Asylsystem der EU akut bedroht . Die EU-Staaten müssen deutlich machen, dass es kla- re Regeln gibt, wer unter welchen Bedingungen und auf welchem Wege zu uns kommen darf . Dafür braucht die EU ein klares, verbindliches und glaubwürdiges Zuwan- derungsregime . Diejenigen Migranten, die unser gelten- des Recht einhalten, sollen auch von den Vorzügen des vereinten Europas profitieren können, aber eben unter bestimmten und kontrollierten Voraussetzungen . Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf kommt die Bun- desregierung ihrer Pflicht nach, drei EU-Richtlinien in das deutsche Aufenthaltsrecht umzusetzen . Nichteuropä- er erhalten durch die Umsetzung der Rest-Richtlinie, der ICT-Richtlinie und der Saisonarbeitnehmer-Richtlinie mehr Möglichkeiten und Freiheiten in der EU . Diese Re- form wird vielen Migranten, die nicht aus der EU stam- men, das Leben und Arbeiten in Europa und Deutschland erleichtern . Zum Beispiel sollen Studenten und Forscher leichter zu Studien- oder Forschungszwecken in andere EU-Staat wechseln dürfen . Ebenso sollen mit dem Gesetzentwurf die Regeln für unternehmensintern transferierte Arbeit- nehmer vereinfacht werden . Auch für Praktikanten und Teilnehmer von europäischen Freiwilligendiensten, die aus Drittstaaten stammen, wird das Aufenthaltsrecht verbessert . Zudem werden die Vorschriften zu Ein- und Ausreise von Saisonarbeitnehmern vereinheitlicht und vereinfacht . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722308 (A) (C) (B) (D) In der Landwirtschaft, der Gastronomie und der Bauindustrie werden seit Jahren zusätzliche saisonale Ar- beitskräfte gebraucht . Es ist daher richtig, Drittstaatlern die Einreise für Kurzaufenthalte bis zu 90 Tagen oder längere Aufenthalte bis zu sechs Monaten zu ermögli- chen, um in Deutschland vorübergehend zu arbeiten . Sai- sonarbeiter müssen dafür einen gültigen Arbeitsvertrag und eine bezahlbare Unterkunft nachweisen . Zu begrü- ßen ist auch, dass in § 41 Aufenthaltsrecht eine Möglich- keit zum Widerruf der Arbeitserlaubnis verankert wurde, um unsere heimischen Arbeitnehmer vor Lohndumping zu schützen . Eine noch weiter gehende Verbesserung der Schutzstandards für Saisonarbeitnehmer vor Missbrauch und Ausbeutung wäre sicherlich zu begrüßen . Allerdings ist das vorliegende Gesetz dafür nicht der richtige An- satzpunkt . Wichtig ist auch, die Anreize für illegale Migration und das Überziehen der Aufenthaltsgestattung zu mini- mieren . In diesem Zusammenhang wird erneut deutlich, wie wichtig die zügige Einführung des geplanten zentra- len Einreise-Ausreise-Registers der EU ist . Dieses Re- gister ist für die europaweite Identifikation sogenannter Visa-Overstayer von großer Bedeutung . Natürlich ist Migration für unsere Volkwirtschaft, für die internationale Forschung und Lehre und die Unter- nehmen in Europa von großer Bedeutung . Zudem ha- ben die letzten Jahre in vielfacher Hinsicht gezeigt, wie wichtig eine verbindliche Ordnung und eine verlässliche staatliche Kontrolle bei der Einwanderung sind . Migration und Einwanderungskontrolle schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern müssen als zwei Seiten der gleichen Medaille begriffen werden. Wer Migration nicht kontrolliert, riskiert, dass irgendwann Mauern ge- baut werden . Um das zu vermeiden, braucht es voraus- schauende, verbindliche und allgemein nachvollziehbare Regeln . Auch ich würde es begrüßen, wenn Deutschland ein einfaches Einwanderungsgesetz erhalten würde, wie es manche fordern . Diese Forderungen ignorieren jedoch die Tatsache, dass wir als EU-Mitglied unser Aufenthalts- recht immer im europäischen Kontext denken und regeln müssen . Dadurch wird das Ausländerrecht in Deutsch- land automatisch komplizierter als zum Beispiel in Ka- nada . Allerdings verkomplizieren wir mit der heutigen Novellierung das deutsche Aufenthaltsrecht und unsere Einwanderungsregeln zusätzlich . Es muss eine Aufgabe aller EU-Staaten sein, für Einwanderungsregeln zu sor- gen, die weltweit nachvollzogen und respektiert werden . Unter dem Strich verfügt Deutschland bereits über ein sehr liberales Einwanderungsrecht . Mit der heutigen Umsetzung der drei Richtlinien zur Arbeitsmigration stellen wir das erneut unter Beweis . Dazu bitte ich Sie um Ihre Zustimmung . Nina Warken (CDU/CSU): Laut dem kürzlich ver- öffentlichten Migrationsbericht der Bundesregierung ist der deutsche Arbeitsmarkt so beliebt wie nie . Fast 1 Mil- lion Unionsbürger sind allein 2015 nach Deutschland ge- kommen, um bei uns zu arbeiten oder um ein Studium oder eine Ausbildung aufzunehmen . Auch die Zahlen der Hochqualifizierten aus Drittstaaten sind erneut gestiegen. 2015 kamen rund 29 000 Fachkräfte aus Drittstaaten, fast doppelt so viele wie noch vor sechs Jahren . Mit 7 Prozent Zuwachs wird Deutschland auch für Studierende und Wissenschaftler immer attraktiver . Nicht ohne Grund hat die OECD unser Zuwanderungsrecht für Fachkräfte als eines der liberalsten weltweit ausgezeichnet . Dennoch liegt Deutschland im internationalen Wett- bewerb um hochqualifizierte Fachkräfte, die unsere Wirt- schaft dringend braucht, noch nicht so weit vorne, wie es eigentlich sein könnte . Der Gesetzentwurf zur Umsetzung der drei EU-Richt- linien zur Arbeitsmigration von Drittstaaten, den wir heute beschließen wollen, schafft hierbei Abhilfe: Erstens sorgen wir mit der Umsetzung der sogenann- ten REST-Richtlinie dafür, dass Wissenschaftler und Studenten aus Drittstaaten deutlich einfacher bei uns for- schen und studieren können . Für sie reicht künftig ein gültiger Aufenthaltstitel in einem EU-Mitgliedsland aus, und es muss in Deutschland für einen vorübergehenden Aufenthalt nicht auch noch ein solcher beantragt werden . Wenn also zum Beispiel der argentinische Krebsforscher, der bereits ein Visum für Spanien hat, auch unkompliziert in Deutschland forschen kann oder der Informatikstudent aus Kamerun, der in Warschau studiert, für ein Semester auch zu uns kommen kann, sorgen wir nicht nur für mehr Mobilität und wissenschaftlichen Austausch, sondern wir stärken und fördern damit den Wirtschaftsstandort Deutschland . Zweitens wird es mit der Umsetzung der ICT-Richtli- nie für Arbeitnehmer aus Drittstaaten deutlich einfacher, an mehreren Standorten ihres Unternehmens in Europa zu arbeiten . Führungskräfte, Spezialisten und Trainees, also genau die Arbeitnehmer, die wir hierzulande drin- gend brauchen, benötigen für Aufenthalte bis zu drei Monaten keinen zusätzlichen deutschen Aufenthaltstitel mehr . Auch für längere Entsendungen wurde das Verfah- ren deutlich vereinfacht, sodass die klügsten Köpfe leich- ter zu uns kommen können . Drittens wird mit dem Gesetzentwurf die Saisonar- beitnehmerrichtlinie umgesetzt und werden damit die Voraussetzungen festgelegt, unter denen Drittstaatsange- hörige als Saisonarbeiter beschäftigt werden können . Ich möchte aufgrund der Kritik der Opposition nochmal ganz deutlich betonen, dass es sich hierbei um absolut faire und transparente Regeln handelt: Sowohl Kurzaufenthal- te bis zu 90 Tagen als auch längere Aufenthalte bis zu sechs Monaten sind möglich . Dafür müssen ein gültiger Arbeitsvertrag und eine bezahlbare Unterkunft nachge- wiesen werden . Gleichzeitig wurden die Rechte der Sai- sonarbeiter gestärkt, um eine Ausbeutung zu verhindern . Die Kritik der Opposition an diesen Regelungen für Saisonarbeiter verkennt völlig, dass die Mobilität, die dadurch entsteht, nicht nur unseren Unternehmen in der Landwirtschaft, der Gastronomie oder der Baubranche hilft . Sie ist auch im Sinne der Arbeitnehmer . Mobilität bedeutet, für kurze Zeit und auch in wiederkehrenden Abständen in verschiedenen Ländern arbeiten zu können, ohne dass man seinen dauerhaften Wohnsitz dorthin ver- legen muss . Das gehört zu einer modernen Gesellschaft Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22309 (A) (C) (B) (D) dazu, und glauben Sie mir – auch wenn sich das die Op- position vielleicht nur schwer vorstellen kann –, es gibt Menschen, die auch dann weiterhin in ihrem Heimatland leben wollen, wenn die wirtschaftliche Lage dort nicht so gut ist wie bei uns . Lassen wir uns nicht von haltloser Kritik in die Irre führen . Betrachten wir lieber die Fakten . Fakt ist: Mit diesem Gesetzentwurf wird nun ein EU-weit einheitli- cher Rechtsrahmen im Bereich der Arbeitsmigration in Deutschland umgesetzt . Auch der Bundesrat begrüßt das ausdrücklich in seiner Stellungnahme und sieht so gut wie keinen Änderungsbedarf . Die wenigen Änderungswün- sche wurden von der Bundesregierung sorgfältig geprüft, mit dem Ergebnis, dass diese bei genauerer Betrachtung entweder bereits in den Regelungen des Gesetzentwurfs enthalten sind oder aber nicht zielführend wären . So stellt die Bundesregierung beispielsweise völlig zu Recht klar, dass die Unterscheidung zwischen anerkann- ten Flüchtlingen und anderen Drittstaatsangehörigen bei der Umsetzung der REST-Richtlinie sehr wohl gerecht- fertigt ist . Die Verantwortung des aufnehmenden Mit- gliedslandes endet nicht mit dem Asylverfahren, sondern gilt auch im Hinblick auf die Integration . Diesen Grund- satz einer konsequenten Trennung zwischen Flucht und Migration müssen wir auch bei diesem Gesetzentwurf beibehalten, um keine falschen Anreize zu erzeugen . Der vorliegende Gesetzentwurf setzt nicht nur eu- ropäisches in nationales Recht um, sondern er stärkt den Forschungs- und Wissensstandort Deutschland, er schafft neue und erleichterte Einsatzmöglichkeiten für hochqualifizierte Arbeitskräfte und sorgt für einen fairen Rechtsrahmen für Saisonarbeiter . All das ist sowohl im Interesse unseres Landes als auch im Interesse der Men- schen, die bei uns leben und arbeiten wollen . Lassen Sie uns deshalb den Gesetzentwurf mit breiter Mehrheit be- schließen . Sebastian Hartmann (SPD): Deutschland ist schon seit langem ein Einwanderungsland, und Migration ist gelebte deutsche Realität . Sowohl nach Deutschland als auch in umgekehrte Richtung migrieren pro Jahr Milli- onen von Menschen . Migration prägt also die deutsche Gesellschaft nachhaltig, auch wenn sich die Erkenntnis von Deutschland als Migrations- und Einwanderungs- gesellschaft nur langsam durchgesetzt hat . Lassen Sie uns klarstellen: Während es beim vorliegenden Gesetz- entwurf heute um eine Eins-zu-eins-Umsetzung einer europäischen Richtlinie in deutsches Recht geht, steht dahinter doch immer der nachhaltige Anspruch einer Steuerung und Regulierung der Einwanderung insge- samt, den die SPD-Bundestagsfraktion mit unserer For- derung nach einem Einwanderungsgesetz auch hier noch einmal bekräftigt . Deutschland verzeichnet dabei sowohl aus Mitglied- staaten der EU als auch aus Drittstaaten seit Jahren ei- nen steigenden Zuzug . Mit seiner starken Wirtschaft, einer guten Kinderbetreuung, einer exzellenten Gesund- heitsversorgung und vor allem freien, individuellen Ent- faltungsmöglichkeiten ist Deutschland ein attraktives Zielland für hochqualifizierte Einwanderer. Und auch Deutschland profitiert dabei in hohem Maße von der Zu- wanderung . Schon heute kann der Bedarf an beruflich qualifizier- ten Fachkräften in bestimmten Wirtschaftszweigen ohne Zuwanderung aus Drittstaaten nicht mehr abgedeckt werden . Viele Stellen bleiben unbesetzt . Es fehlen gut 1 Million Pflegekräfte, Ärzte oder Ingenieure. Das be- hindert unternehmerisches Wachstum . Zudem bedroht der demografische Wandel unsere Sozialsicherungssys- teme . In den nächsten zehn Jahren würde Deutschland ohne Migration über 6 Millionen Erwerbstätige verlie- ren . Diese enorme Zahl kann auch nicht alleine durch Zu- wanderung aus der EU aufgefangen werden; denn andere EU-Länder stehen vor ähnlichen Herausforderungen . Dabei wanderten in den letzten zehn Jahren bereits knapp 3,8 Millionen Menschen von außerhalb Euro- pas nach Deutschland ein . Allerdings nehmen im Zuge der Globalisierung auch Emigrationsbewegungen aus Deutschland heraus zu; das positive Migrationssaldo ist also deutlich geringer und liegt bei etwa 200 000 Zu- zügen jährlich . Um gegen die bestehenden und künfti- gen Arbeitskräfte- und Qualifikationsdefizite in der EU vorzugehen, müssen wir also weitere Anreize schaffen. Dazu trägt der vorliegende Gesetzentwurf bei . Er greift eine ganze Reihe von Maßnahmen auf, die bestehende Regeln vereinfachen und Bürokratie abbau- en . Konkret werden die ICT-Richtlinie, die Saisonarbeit- nehmerrichtlinie und die REST-Richtlinie im deutschen Aufenthaltsrecht umgesetzt . Damit stellen wir Regeln für ausländische Arbeitnehmer auf, die innerhalb ihres internationalen Unternehmens zeitweise in Deutschland arbeiten möchten . Zweitens regeln wir den Aufenthalt von Nicht-EU-Ausländern in Deutschland als Saison- arbeitnehmer, und drittens werden die Bedingungen für ausländische Studenten und Wissenschaftler, die in Deutschland forschen oder Studien absolvieren möchten, sowie für Praktikanten und Au-pair-Kräfte definiert. Durch diesen Gesetzentwurf wird der Zugang zum und die Bedingungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt und an deutschen Hochschulen transparent und fair gestaltet . Zudem schaffen wir unnötige bürokratische Hindernis- se ab und entlasten damit die deutsche Verwaltung . So müssen Wissenschaftler aus Drittstaaten nicht mehr ei- nen eigenen Aufenthaltstitel beantragen, wenn sie bereits an einer anderen europäischen Hochschule forschen und dort einen Aufenthaltstitel haben . Der wissenschaftliche Austausch über Länder- und Hochschulgrenzen hinweg ist wichtig für Innovation in der Forschung . Er wird in der Zukunft deutlich einfacher . Auch wird es nun mög- lich, vom Aufenthaltszweck des Studiums zu einer Aus- bildung zu wechseln . Diese Flexibilität kann helfen, die unzähligen unbesetzten Ausbildungsplätze in Deutsch- land zu füllen, wenn ausländische Personen das deutsche Ausbildungssystem kennen- und schätzen gelernt haben . Die Migration aus EU-Staaten nach Deutschland ist nur schwer zu prognostizieren . Aber davon ist abhängig, wie hoch der Bedarf an Arbeitsmigration aus Drittstaa- ten ist. Um diese bedarfsorientiert und flexibel steuern zu können, setzt sich die SPD aus Überzeugung für ein Einwanderungsgesetz ein . Wir haben dazu einen Entwurf Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722310 (A) (C) (B) (D) vorgelegt, der nach einem transparenten Punktesystem verständliche Regeln aufstellt und damit Einwanderung in geordnete Bahnen lenkt . Wir werden bei diesem The- ma auch nicht locker lassen . Aber heute stimmen wir dem vorliegenden Gesetzentwurf zu, der eins zu eins die EU-Richtlinien in deutsches Recht umsetzt . Ähnlich verhält es sich mit Saisonarbeitnehmern und ihren Rechten im deutschen Arbeits- und Sozialsystem . Sie werden künftig mit einer erhaltenen Arbeitserlaubnis kein zusätzliches Visum beantragen müssen . Auch hier entbürokratisieren wir die Abläufe . Das hat jedoch nichts mit dem von der Opposition erhobenen Vorwurf zu tun, dass die sozialen Rechte von Saisonarbeitnehmern in dem Gesetzentwurf fehlen. Um das an dieser Stelle klar zu sagen: Als SPD-Bundestagsfraktion achten wir natür- lich besonders auf die sozialen Rechte von Saisonarbeit- nehmern und stehen für diese ein . Dafür ist jedoch das Sozialgesetzbuch der richtige Regelungsort und nicht das Aufenthaltsrecht . Heute geht es darum, aufenthaltsrecht- liche Vorgaben der EU in Bundesgesetzen umzusetzen . Gleiches gilt für die Absicherung sozialer Rechte auch auf europäischer Ebene . Abschließend sei noch einmal betont, dass Arbeits- migration ein Gewinn für den deutschen Arbeitsmarkt ist; denn wir profitieren vom sozialen Kapital ebenso wie von Erfahrungen und Qualifikationen von Drittstaats- angehörigen . Darüber hinaus entstehen neue Ideen im Austausch mit Ausländern . Verschiedene kulturelle Hin- tergründe in Arbeitsteams, internationale Universitäten und heterogen besetzte Forschungseinrichtungen regen zur Zusammenarbeit und gemeinsamer Veränderung an . In einer zunehmend globalisierten Welt wird es immer Ein- und Auswanderung geben . Für uns in der Politik gibt es den Auftrag, diese zu gestalten . Eine Einwanderungs- gesellschaft wandelt sich permanent . Das bedeutet, dass die Regelstrukturen für die Entwicklung dieser Gesell- schaft auch entsprechend angepasst werden müssen . Die vorliegenden Regeln tragen zu einem solchen System mit klaren und einfacheren Einwanderungsregeln bei . Ulla Jelpke (DIE LINKE): Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht die Umsetzung von aufent- haltsrechtlichen EU-Richtlinien im Zusammenhang mit Arbeitsmigration vor . Konkret geht es dabei um Saison arbeiterinnen und -arbeiter, Studierende sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Forschende sowie unternehmensinterne Transfers sogenannter Dritt- staatenangehöriger, also von Nicht-EU-Bürgern . Laut der EU-Richtlinie zur Saisonarbeit sollen Saisonarbeiter aus Drittstaaten anderen EU-Bürgern hinsichtlich Ar- beitsschutz, Bezahlung, Arbeitszeiten und Arbeitsschutz gleichgestellt werden . Teil der Richtlinie ist allerdings ein aus unserer Sicht hochproblematisches Mitteilungs- verfahren zur Kontrolle und Steuerung der Arbeitsmigra- tion . Konkret bedeutet dieses Mitteilungsverfahren, dass die Mitgliedsländer der Bundesagentur für Arbeit und dem BAMF im Gesetzentwurf nicht weiter spezifizierte Daten des Drittstaatenangehörigen mitzuteilen und diese darauf zu prüfen haben, ob es Einwände gegen eine Ein- reise gibt . Begründet wird dieses Verfahren in zweierlei Weise . Zum einen wird behauptet, man benötige dieses Ver- fahren, um Arbeitnehmer aus Drittstaaten vor Ausbeu- tung, zum Beispiel in Hinblick auf das Arbeitsentgelt, schützen . Das klingt erst einmal schön . Doch in der Praxis bedeutet diese scheinbare Fürsorge, dass Arbeitnehmern die Einreise kurzerhand ganz verweigert werden kann, wenn die Befürchtung besteht, dass sie nicht den entspre- chenden Lohn erhalten . „Schutz des Ausländers und Ver- hinderung von Ausbeutung“, wie es in der Richtlinie be- hauptet wird, sehe ich durch ein solches Verfahren kaum gegeben . Ganz im Gegenteil, es kann nicht angehen, dass sich diese Regelungen gegen die Arbeitnehmer richten . Stattdessen braucht es effektivere Kontrollen und Sank- tionen für Unternehmer, sobald die Befürchtung besteht, dass Arbeiter ausgebeutet werden könnten . Hier müssen klare Regelungen erfolgen . Der zweite Aspekt, mit dem das Mitteilungsverfahren begründet wird, ist nicht weniger kritikwürdig . So sollen sicherheitsrelevante Mitteilungen an das BAMF erfol- gen, um den potenziellen Arbeitnehmer durchleuchten zu lassen und etwa die Einreise verweigern zu können . Die Bundesregierung räumt ein, dass die Betroffenen zwar schon einen Aufenthalt in einem anderen Mit- gliedsland hätten, aber nur so könne man nachträgliche Veränderungen berücksichtigen . Wohlgemerkt, es geht nicht um Mitarbeiter in Atomkraftwerken oder anderen sicherheitsrelevanten Bereichen, sondern um Erntehelfer und ähnliche Berufsgruppen . Das ist reine Vorverurtei- lung, die übrigens auch zulasten einer ohnehin schon vollkommen überforderten Bundesbehörde, der BAMF, geht . Dem BAMF noch mehr Aufgaben aufzubürden, be- deutet, noch größere Einbußen bei Qualität und Dauer der Asylverfahren auf Kosten von Flüchtlingen hinzu- nehmen . Immer wieder redet die Bundesregierung von Integra- tion und Qualifikation von Geflüchteten. Der Bundesrat hat zu Recht vorgeschlagen, dass auch Geflüchteten, die studieren und über einen internationalen Schutzstatus verfügen, die Möglichkeit von Studienaufenthalten in Deutschland gewährt werden muss . Dieser Vorschlag, der die vielen Beschwernisse, denen studierende Flücht- linge ausgesetzt sind, wenigstens etwas erleichtern sollte, wurde von der Bundesregierung schlichtweg ignoriert . Auch das ist nichts anderes als Ungleichbehandlung und Diskriminierung . Ich fasse zusammen: Durch den Gesetzentwurf wer- den Arbeitsmigrantinnen und -migranten unter General- verdacht gestellt; es findet kein Schutz vor Ausbeutung statt, und Geflüchtete werden diskriminiert. Insofern können wir diesen Antrag nur ablehnen . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jede Rede zu fortgeschrittener nächtlicher Stunde weckt Erinnerungen an die Zeiten, in denen dieses Haus noch in meinem heiß geliebten Rheinland tagte . Hier in Berlin habe ich oft mit Sehnsucht und Verlangen an Vater Rhein gedacht . Doch genug des Schwelgens in Erinnerungen – es geht um ein wichtiges Thema . Ich kann nur wiederho- len, was ich vor drei Wochen hier gesagt habe: Es wäre schön, wenn die Bundesregierung bei der Umsetzung der Aufnahmerichtlinie, der Qualifikationsrichtlinie und Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22311 (A) (C) (B) (D) der Verfahrensrichtlinie ebenso emsig wäre wie bei der Umsetzung der Richtlinien zur Arbeitsmigration . Auf die Umsetzung des Beratungsanspruchs für Asylsuchende im Verfahren, auf die Einhaltung der Vorgaben zur Be- stimmung sicherer Herkunftsstaaten und auf so manch andere Verbesserung der Situation für Schutzsuchende in Deutschland warten wir jedoch seit geraumer Zeit ver- gebens . Dennoch begrüße ich nach wie vor, dass die Bundes- regierung bemüht ist, im Bereich der Arbeitsmigration die Vorgaben des europäischen Rechts umzusetzen . Ich bedauere allerdings, dass die Gelegenheit nicht genutzt wurde, um das Recht der Arbeitsmigration endlich deut- lich zu liberalisieren, zu systematisieren und zu entbü- rokratisieren. Das wäre angesichts des demografischen Wandels und des zunehmenden Fachkräftemangels in vielen Sektoren und Regionen notwendig . Zugegeben: Die SPD hat das erkannt, zumindest ihr Fraktionsvorsit- zender, der kürzlich ein Einwanderungsgesetz präsentiert hat, das er in Auftrag gegeben hatte . Ob dieser Vorschlag rechtssystematisch kohärent ist – damit würde ich mich gerne hier befassen . Liebe Genossen, wann bringt ihr diesen Entwurf denn endlich ein, damit wir ihn sinnvoll beraten können? Oder zieht ihr hier den Schwanz ein wie bei der Ehe für alle, die Sie immer wieder versprechen, aber es kommt nichts?! Und wo bleibt Ihr Vorschlag zur Umsetzung des Shanghaier Kugelfischabkommens, den wir schon seit Jahrzehnten sehnsuchtsvoll erwarten? Sie trauen sich wohl einfach nicht . Im Detail habe ich ja schon in meiner letzten Rede begrüßt, dass der Gesetzentwurf Verbesserungen beim Zugang zum Studium vorsieht und das Aufenthaltsrecht von Forscherinnen und Forschern neu regelt . Nach wie vor halte ich es aber – wie auch der Bundesrat – für bedauerlich, dass Personen, die in einem anderen Mit- gliedstaat internationalen Schutz genießen, von diesen Verbesserungen ausgeschlossen werden . Dafür gibt es einfach keinen nachvollziehbaren Grund . Integrations-, arbeitsmarkt- und forschungspolitisch ist das ein ver- heerendes Signal . Hier müssen wir mehr wagen . Erwä- gungsgrund 29 der sogenannten REST-Richtlinie sieht die Möglichkeit der Erteilung nationaler Aufenthaltstitel zu Studien- und Forschungszwecken ausdrücklich vor . Von dieser Möglichkeit macht der Gesetzentwurf nur unzureichend Gebrauch . Dem Bundesrat ist insofern zuzustimmen: Es ist einfach nicht nachvollziehbar, wa- rum Studieninteressierte oder Forschende, die gerade erst internationalen Schutz erhalten haben, gegenüber Menschen derselben Staatsangehörigkeit, die sich noch im Herkunftsstaat befinden, schlechter gestellt werden sollen . Angesichts der hohen Anforderungen an die Titel- erteilung – Sicherung des Lebensunterhalts bei Studie- renden, Kostenübernahme der Forschungseinrichtung bis zu sechs Monaten nach der Aufnahmevereinbarung bei Forschenden – ist Missbrauch nicht zu befürchten . Zudem war die Koalition offenbar taub für die For- derung der Arbeitsgeber, bei der Richtlinienumsetzung für mehr Praxistauglichkeit und weniger Bürokratie zu sorgen . Die Gestaltungsspielräume der ICT-Richtlinie hätten etwa weitaus großzügiger genutzt werden können . Auf das Mitteilungsverfahren bei innereuropäischer Mo- bilität hätte man beispielsweise auch verzichten können . Wir brauchen endlich – ich wiederhole es – den Mut zu einem Einwanderungsgesetz, das die Regelungen der Arbeitsmigration liberalisiert, systematisiert, entbüro- kratisiert und durch die Möglichkeit der angebotsorien- tierten, also vom Nachweis eines Arbeitsangebots unab- hängigen Einwanderung ergänzt . Nur so können wir den Herausforderungen des demografischen Wandels, des Fachkräftemangels und der zunehmenden internationa- len Mobilität von Fachkräften, Studierenden, Forsche- rinnen und Forschern und ihren Familienangehörigen gerecht werden . Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechte- überlassungen (Tagespunkt 33) Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): Bei der Be- kämpfung legaler Steuervermeidung gehen wir heute ei- nen weiteren – grundlegenden – Schritt voran . Mit der sogenannten Lizenzschranke wollen wir künftig verhin- dern, dass internationale Konzerne konzerninterne Li- zenzeinnahmen für Forschungsleistungen bzw . Patente in Niedrigsteuerländer verschieben, ohne dass dort tat- sächlich Forschungsleistungen erbracht werden . Einem der bekanntesten legalen Steuertricks wollen wir damit einen Riegel vorschieben . Viele internationale Konzer- ne nutzen solche Steuergestaltungen . Von den Filialen, in denen sie ihre Produkte verkaufen, nehmen sie hohe Patent- bzw . Lizenzgebühren . Damit schrumpft zum Beispiel der zu versteuernde Gewinn in Deutschland . Die Einnahmen fließen in ein Land, wo sie unter einem Deckmantel der „steuerlichen Förderung von Forschung und Entwicklung“ gar nicht oder nur gering besteuert werden. Tatsächlich findet in diesem Staat aber keine Forschungs- oder Entwicklungstätigkeit statt . Einige un- serer europäischen Nachbarn helfen bei diesen Gewinn- verschiebungen leider mit und besteuern Lizenzeinkünf- te nur marginal . Steuervermeidung ist ein großes Problem . Der Verlust an Steuersubstrat wird immer größer, weil gerade die in- ternationalen Unternehmen schnell wachsen . Gleichzei- tig – und das ist gravierend – werden unsere deutschen Unternehmen im Wettbewerb benachteiligt . Denn unser Steuerrecht funktioniert . Die deutschen Unternehmen zahlen hier ihre Steuern . Die Steuerquoten liegen zwi- schen 20 und über 30 Prozent . Bei Google oder Apple aber fällt auf, dass die Konzernsteuerquoten zwar bei 20 bzw . 24 Prozent liegen, die Gewinne in Europa aber nur mit 3 bzw . 1 Prozent belastet sind . Das heißt, die- se Unternehmen zahlen hier bei uns – obwohl sie hier vielfältig Geschäfte abwickeln – kaum Steuern . Staaten, die derartig unfairen Steuerwettbewerb fördern, können nicht erwarten, dass wir dieser für uns schädlichen Praxis weiter zusehen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722312 (A) (C) (B) (D) Rabatte auf Lizenzeinkünfte, Lizenzboxen, dürfen von Staaten daher zukünftig nur noch gewährt werden, wenn das Unternehmen dort auch wirklich forscht und entwickelt, also Wertschöpfung betreibt . Erfüllt ein Staat diese Anforderung für Zwecke des schädlichen Steuer- wettbewerbs nicht, greifen die Regelungen des Gesetz- entwurfs: Das Unternehmen darf sich die Lizenzaufwen- dungen nicht vom zu versteuernden Gewinn abziehen, wenn damit im Empfängerland Lizenzeinnahmen entste- hen, die aufgrund eines als schädlich eingestuften Prä- ferenzregimes nicht oder nur niedrig besteuert werden . Diese nationale Regelung kann allerdings das Problem leider nicht an der Wurzel packen . Denn schädlicher Steuerwettbewerb ist ein internationales Problem . Daher ergänzt die Regelung das internationale Programm ge- gen „die Aushöhlung von Steuerbemessungsgrundlagen und Gewinnverlagerung“ – Base Erosion and Profit Shif- ting, kurz BEPS –, das Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble bereits im Jahr 2012 auf Ebene der G 20 und der OECD mitinitiiert hat . Nach Aktionspunkt 5 des BEPS-Projekts darf ein Staat Unternehmen nur dann eine spezielle Lizenzbox- regelung gewähren, wenn das Unternehmen in dem Staat Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten durchgeführt und dafür effektiv Ausgaben getätigt hat, sogenannter Nexus-Ansatz . Bereits im Jahr 2016 bestehende Lizenz- boxen, die diesem Nexus-Ansatz nicht entsprechen, müs- sen spätestens bis zum 30. Juni 2021 abgeschafft werden. Diesen Programmpunkt müssen wir nicht umsetzen, da wir keine Lizenzbox in Deutschland anbieten . Allerdings schützen wir uns mit dem vorliegenden Gesetz schon vor dem Jahr 2021 vor Verlust von Steuersubstrat durch ausländische, nicht dem Nexus-Ansatz entsprechende Lizenzboxen . Auch wenn die Lizenzbox in den Staaten der OECD und G 20 ein Auslaufmodell sein sollte, bleibt die Li- zenzschranke auch nach 2021 von Bedeutung . Denn Staaten, die sich dem BEPS-Projekt nicht angeschlossen haben, könnten das Steuermodell auch nach 2021 noch anbieten . Umso wichtiger ist es, dass wir uns internatio- nal abstimmen und das Steuerrecht weiter harmonisieren . Wir wollen den internationalen Steuerwettbewerb dabei nicht abschaffen, sondern fairer gestalten. Gewinne sol- len dort besteuert werden, wo sie erwirtschaftet werden . Alles andere führt zu Wettbewerbsverzerrungen, die vor allem unseren Mittelstand treffen, der hier in Deutsch- land fair seine Steuern zahlt . Deutsches Steuersubstrat darf außerdem nicht geschmälert werden . Die Umsetzung des BEPS-Projekts darf aber auch nicht zu Wettbewerbsnachteilen für unsere Exportindus- trie führen . Vor allem Doppelbesteuerung, hier und zu- gleich am Exportstandort, muss vermieden werden . Das werden wir auch im kommenden Gesetzgebungsverfah- ren wieder berücksichtigen . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Die Beobach- tungen der letzten Jahre haben gezeigt, wie multinatio- nale Unternehmen die unzureichende Abstimmung der nationalen Steuersysteme und den schädlichen Steuer- wettbewerb zwischen den Staaten in ihrem Sinne nutzen und so ihre Steuerlast auf ein Minimum senken können . Üblicherweise setzt hier das bekannte Unternehmensba- shing ein, die Beschimpfung der Unternehmen wegen ih- rer Steuerhinterziehung . Aber jeder der sich in die Rolle des Finanzvorstandes versetzt, würde ähnlich handeln – dorthin gehen, wo die Steuern unanständig niedrig sind, wenn die anderen Verhältnisse in diesem Niedrigsteuer- staat, etwa gut ausgebildete Arbeitnehmer, innere Sicher- heit, kulturelles Angebot, Gesundheitsvorsorge etc ., ver- gleichbar sind . Wir sprechen also heute davon, wie sich Staaten durch Steuerkonkurrenz gegenseitig das Leben schwer machen, um Unternehmen anzulocken . Ich bin froh, dass wir uns an diesem ruinösen Wettbewerb nicht beteiligen, indem wir das Gleiche tun wie eine ganze Reihe ansonsten seriöser Staaten . Vor einiger Zeit wäre unser Finanzminister ja auch dieser Versuchung unterle- gen – er hatte öffentlich eine Patentbox für Deutschland überlegt . Dieser Gedanke ist glücklicherweise mit dem heutigen Gesetzentwurf überwunden . „Steuerlast auf ein Minimum zu senken“, funktioniert über folgenden Me- chanismus: Gewinne verschieben und damit die Bemes- sungsgrundlage kleinrechnen, wir sagen auch: erodieren . Die Bemessungsgrundlage ist ja das, wonach sich die Steuer bemisst, also Steuersatz, Tarif, mal Bemessungs- grundlage . Insofern versuchen die Unternehmen, im ei- genen Land einerseits die Bemessungsgrundlage zu ver- kürzen – ist sie null, ist der Steuersatz gleichgültig . Klar: 30 Prozent auf nix ist ziemlich wenig . Andererseits wird versucht, den Gewinn in Länder zu verschieben, in denen der Steuersatz niedrig ist . Auch klar: Ist der Steuersatz niedrig oder null, ist die Bemessungsgrundlage gleich- gültig . Null mal Egal-wie-viel ist auch ziemlich wenig Der im Auftrag der G-20-Staaten entwickelte An- ti-BEPS-Aktionsplan der OECD zeigt verschiedene fiskalische Maßnahmen dagegen auf. Sie verfolgen das Ziel, die Transparenz und den Informationsaustausch un- ter den Staaten zu verbessern, die Steuersysteme aufei- nander abzustimmen und gegen schädlichen Steuerwett- bewerb vorzugehen . Im Dezember haben wir Teile davon auf Grundlage der EU-Amtshilferichtlinie umgesetzt . Den automatischen Informationsaustausch zwischen den Staaten zu verbessern, war ein überaus wichtiger erster Schritt . Damit sorgen wir für mehr Transparenz bei der Verrechnungspreisdokumentation und einen automati- schen Austausch von Tax-Rulings und länderbezogenen Berichten, Country-by-Country Reporting . Was gefehlt hat, waren Maßnahmen gegen schädlichen Steuerwett- bewerb . Es liegt im Wesen eines ersten Schrittes, dass weitere folgen sollen . Der Bundesrat hat unter Führung der SPD-regierten Länder zur Umsetzung der EU-Amts- hilferichtlinie durch einen Entschließungsantrag deutlich gemacht, dass auch Handlungsbedarf gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Lizenz- und Pa- tentboxen besteht . Mit Lizenz- und Patentboxen, also zum Beispiel Tochterunternehmen, in denen die eigenen Patente liegen und die extrem niedrig besteuert werden, bieten sich Staaten als Präferenzregime an . Damit treten Staaten dann untereinander in Steuerwettbewerb . Auf der Grundlage dieses Entschließungsantrages gehen wir nun mit einem passenden Gesetzentwurf dagegen vor und unternehmen einen weiteren Schritt auf dem Weg zur Umsetzung des Anti-BEPS-Aktionsplanes – am Beispiel Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22313 (A) (C) (B) (D) der Gewinnverlagerung durch Lizenzzahlungen an eine ausländische Patentbox . Als Beispiel für „musterhaftes BEPS-Verhalten“ wird häufig die Steuergestaltungsstrategie von Google ge- nannt: Das Mutterunternehmen in den USA überträgt Lizenzen für die Nutzung der Suchmaschine an eine ei- gene Tochtergesellschaft auf den Bermudas . Für den eu- ropäischen Markt werden die Lizenzen an eine weitere Tochter in den Niederlanden weitergegeben und von der irischen Tochter gegen Gebühr genutzt . In den Nieder- landen erfahren Einnahmen für Lizenznutzung eine steu- erliche Begünstigung . Man spricht hier von einer soge- nannten Lizenzbox, also etwa eine GmbH bzw . Limited, die das Patent hält . Die Lizenzzahlungen mindern in den Quellenstaaten den steuerpflichtigen Gewinn und wer- den im Empfängerstaat im Rahmen der Lizenzbox nicht oder nur niedrig besteuert . Die Besteuerung erfolgt im Ergebnis nicht in dem Staat, in dem die wirtschaftliche Aktivität stattfand, sondern in dem Staat, der den höchs- ten Steuerrabatt gewährt . Dies ist ein Paradebeispiel für schädlichen Steuerwettbewerb, den sich die Staatenge- meinschaft nicht mehr bieten lassen darf, weil am Ende alle Staaten arm und einige Konzerne reich sind . Wir nennen das „Race to the Bottom“ . Unter anderem mit dieser Vorgehensweise befasst sich der fünfte Punkt des Anti-BEPS-Aktionsplans . Die teilnehmenden Staaten haben sich darauf geeinigt, dass solche Präferenzregime schädlich sind, und sich gegen sie ausgesprochen, es sei denn, die Präferenzregime fol- gen dem sogenannten Nexus-Ansatz . Nexus bedeutet Zusammenknüpfen, abgeleitet von nectere oder binden, verknüpfen . Dieser Ansatz knüpft die steuerliche Be- günstigung an eine eigene aktive Forschungstätigkeit im jeweiligen Staat . Es ist aber nicht sicher, dass auch alle Staaten ihre Lizenz- oder Patentboxen auf den Nexus-An- satz eingrenzen, und Staaten außerhalb der OECD haben sich erst gar nicht dazu bekannt . Es besteht auch deshalb weiterhin Steuerwettbewerb . In vielen Doppelbesteuerungsabkommen ist ein Null- steuersatz auf Lizenzzahlungen zwischen Deutschland und dem jeweils anderen Staat vereinbart . Auf diese Wei- se könnten Unternehmen auch weiterhin durch Gewinn- verlagerung Steuervermeidung betreiben . Deshalb hat der vorliegende Gesetzentwurf das Ziel, im Falle eines schädlichen Steuerwettbewerbs die steuerliche Abzugs- fähigkeit für Lizenzzahlungen einzuschränken . Es wird eine sogenannte Lizenzschranke heruntergefahren . Die Voraussetzung dafür ist, dass die entsprechenden Einnah- men beim Empfänger aufgrund eines als schädlich einge- stuften Präferenzregimes, zum Beispiel einer Lizenzbox, nicht oder nur niedrig besteuert werden . Wie gehen wir dabei vor? Wir schaffen eine Gren- ze für schädliche Niedrigbesteuerung . Diese liegt bei 25 Prozent Ertragssteuerbelastung . Das Abzugsverbot ist dann abhängig von der Differenz zwischen der tatsächli- chen Besteuerung und der Sollbesteuerung von 25 Pro- zent . Das Ergebnis setzen wir dann wiederum ins Ver- hältnis zur Sollbesteuerung . Wer im anderen Staat zum Beispiel nur mit 5 Prozent Ertragsteuern belastet wird, erhält ein Abzugsverbot für 80 Prozent seiner Aufwen- dungen . Wir rechnen: 25 Prozent Sollbesteuerung minus 5 Prozent tatsächliche Steuer ergibt eine Differenz von 20 Prozent . Diese 20 Prozent setzen wir ins Verhältnis zu 25 Prozent Sollbesteuerung . Wir dividieren also 20 Pro- zent durch 25 Prozent . 25 Prozent sind ein Viertel, und die Division durch ein Viertel entspricht einer Multipli- kation mit vier, dem Kehrwert . 20 Prozent mal vier ergibt 80 Prozent . Wer den Zusammenhang lieber in einer For- mel nachvollziehen möchte: Abzugsverbot der Aufwen- dungen=(25 Prozent – tatsächliche Ertragsteuer Prozent)/ (25 Prozent) . Der Anwendungsbereich des Gesetzes erstreckt sich auf Tochterunternehmen und auf Betriebsstätten des je- weiligen Unternehmens . Erfasst werden also nur kon- zerninterne Lizenzzahlungen . Dabei achten wir ferner darauf, dass sich ein Unternehmen nicht mithilfe von zwischengeschalteten Gläubigern – gemeint sind kon- zernfremde Unternehmen, quasi Strohmänner – dem Ab- zugsverbot entziehen kann . All dies wird in einem neuen § 4j im EStG geregelt . Um Doppelbesteuerung zu ver- meiden, wird dieser Paragraf in den Ausnahmenkatalog für die Hinzurechnungsbesteuerung des AStG aufgenom- men . Wir sind dafür, dass Präferenzregime, die eine Vor- zugsbesteuerung erlauben, auf internationaler Ebene abgeschafft werden. Dabei sollten keine Ausnahmen gemacht werden . Die am Anti-BEPS-Projekt der OECD beteiligten Staaten haben sich aber leider auf eine solche Ausnahme verständigt . Eine steuerliche Begünstigung bei eigener Forschungstätigkeit im betreffenden Staat ist möglich . Dabei ist eine Niedrigbesteuerung von Lizenz- einnahmen ungeeignet, um Forschung und Entwicklung zu fördern . Die Begünstigung kommt viel zu spät – ex post –, und sie wirkt sich nur im Erfolgsfall aus . Eine direkte Forschungsförderung wäre viel effektiver. Diese Einigung bildet nun aber die Grundlage für die im Ge- setzentwurf enthaltene Rückausnahme von der Abzugs- beschränkung, wenn die Patentbox dem sogenannten Ne- xus-Ansatz – im Englischen Nexus Approach – entspricht, das heißt, wenn die Niedrigbesteuerung vom Umfang der eigenen Forschung und Entwicklung im Empfängerland abhängig gemacht wird . Die beschlossene Ausnahme für den Nexus-Ansatz sollte hier nur eine Übergangslösung auf dem Weg zu einer konsequenten Abschaffung von Präferenzregimen sein . In den anstehenden Gesetzesbe- ratungen werden wir außerdem die Begrenzung der Ab- zugsbeschränkung auf konzerninterne Lizenzzahlungen hinterfragen, denn eine schädliche Niedrigbesteuerung kann auch bei Lizenzzahlungen an Dritte vorliegen . Die- ser Gesetzentwurf ist ein Instrument, mit dessen Hilfe wir gegen eine Form des schädlichen Steuerwettbewerbs vorgehen können . Wir prüfen nun Möglichkeiten, wie dieses Instrument noch weitreichender und schärfer wir- ken kann . Immer wenn ein Steuerbürger zu wenig Steu- ern zahlt, bedeutet das: Andere Steuerbürger müssen zu viel bezahlen. Denn die öffentliche Infrastruktur wollen alle benutzen . Ich bin gespannt, wer in diesem Hase-Igel- Spiel den nächsten Zug macht . Richard Pitterle (DIE LINKE): Nehmen wir ein- mal an, es gäbe ein Möbelunternehmen mit schickem blau-gelben Logo und der tollen Idee, riesige Möbel- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722314 (A) (C) (B) (D) häuser an die Autobahnen in den Vorstädten zu bauen . Das Geschäft brummt, und das Unternehmen macht satte Gewinne . Darauf fallen hierzulande natürlich Steuern an . Und obwohl das Unternehmen von der gegebenen In- frastruktur hierzulande, der Autobahn etc . mächtig pro- fitiert, will es diese Steuern nicht zahlen, sondern den Gewinn am liebsten komplett für sich behalten . Um das zu erreichen, wird folgende Konstruktion gebastelt, die auch Lizenz- oder Patentbox genannt wird: Das Unter- nehmen gründet ein Tochterunternehmen in einer euro- päischen Steueroase wie Irland, Luxemburg oder den Niederlanden, wo auf den Gewinn, den wiederum das Tochterunternehmen macht, nur minimal Steuern anfal- len . Dann überträgt das große Möbelunternehmen die Rechte an seiner Möbelmarke auf das Tochterunterneh- men, und damit es die Marke weiter nutzen darf, wer- den Lizenzgebühren an das Tochterunternehmen gezahlt . Diese vom Möbelunternehmen zu zahlenden Lizenzge- bühren werden mit dem hierzulande erwirtschafteten Gewinn verrechnet, und siehe da: Das arme Möbelunter- nehmen macht kaum noch Plus und muss in Deutschland dementsprechend bedeutend weniger Steuern zahlen, während das Tochterunternehmen ordentlich Kasse zu Ministeuersätzen in der Steueroase macht . Diese dreiste Trickserei ist leider völlig normal bei international täti- gen Unternehmen . IKEA, Google oder Amazon machen von diesen Lizenzboxen seit Jahren Gebrauch und hei- zen den schädlichen internationalen Wettbewerb um die niedrigsten Steuersätze somit kräftig an . Jetzt endlich legt die Bundesregierung ein Gesetz vor, das diese Machenschaften bekämpfen soll . Wir von der Linken haben das schon lange gefordert und freuen uns, dass die Bundesregierung hier zumindest mal einen Schritt in die richtige Richtung zustande bringt . Kern des Gesetzes ist grob gesagt, dass die oben beschriebenen Lizenzaufwendungen hierzulande nicht mehr vollständig von der Steuer abgesetzt werden können, wenn der Emp- fänger sie mit weniger als 25 Prozent versteuern kann und wie im obigen Beispiel ein entsprechendes Nähever- hältnis zum zahlenden Unternehmen besteht . Inwiefern das Gesetz im Detail noch nachgebessert werden muss, wird sich in den kommenden Beratungen im Finanzaus- schuss zeigen . Eines ist jedoch jetzt schon klar: Die gro- ße Koalition hat ihrem Ruf als Koalition des Stillstands im Kampf gegen Steuerumgehung wieder alle Ehre ge- macht . Bereits in ihrem Koalitionsvertrag haben Union und SPD großspurig angekündigt, man wolle „sicherstel- len, dass der steuerliche Abzug von Lizenzaufwendungen mit einer angemessenen Besteuerung der Lizenzerträge im Empfängerland korrespondiert .“ Das war Ende 2013 . Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, was haben Sie in den letzten drei Jahren eigentlich ge- macht? Jedes Jahr muss die Gemeinschaft der Steuerzah- lerinnen und Steuerzahler auf Milliarden verzichten, weil Sie es nicht schaffen, entschlossen und zügig zu handeln. Und bevor Sie nun wieder mit der Ausrede kommen, dass Sie auf die Mitwirkung auf europäischer und internatio- naler Ebene angewiesen wären, werfen wir noch einmal einen kurzen Blick in Ihren Koalitionsvertrag . Da steht im selben Absatz, dass Sie „in Deutschland erforderli- chenfalls gesetzgeberisch voranschreiten“ würden . Vom Voranschreiten kann keine Rede mehr sein, im Gegenteil, Sie schleichen hinterher . Auf internationaler Ebene wurde inzwischen verein- bart, schädliche Lizenzboxregelungen bis Mitte 2021 ab- zuschaffen, danach ist das vorliegende Gesetz aller Vor- aussicht nach nahezu wirkungslos . Böse Zungen könnten also behaupten, die große Koalition hätte den Kampf gegen Lizenzboxen so lang wie möglich hinausgezögert, um die Megakonzerne so wenig wie möglich mit lästigen Steuerforderungen zu behelligen . Für die Linke ist dieses Schneckentempo bei der Bekämpfung solcher Gewinn- verlagerungskonstruktionen zur Steuerumgehung jeden- falls nicht hinnehmbar . Steuern müssen grundsätzlich da gezahlt werden, wo die Wertschöpfung stattfindet, und das muss auch gegen mächtige internationale Konzerne konsequent durchgesetzt werden . Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Die Bundesregierung bringt heute einen Gesetz- entwurf mit dem Kurztitel „Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken“ ein . Ich begrüße diese Initiative der Bundesregierung sehr . Denn Maßnahmen gegen „schäd- liche Steuerpraktiken“ – und das ist eine vornehme Be- schreibung der Tatsache, dass sich viele international tätige Unternehmen einer fairen Besteuerung entziehen – sind überfällig . Es ist im Übrigen erschütternd, dass die Bundesregierung und die Koalition dieses wichtige The- ma an den äußersten Rand im Plenum schieben . Nachts um 3 Uhr 20 eine solche Debatte anzusetzen, zeigt sehr deutlich, dass die Bundesregierung offensichtlich verhin- dern will, dass dieses wichtige Thema in der Öffentlich- keit diskutiert wird . Vielleicht auch deshalb, weil dieser Gesetzentwurf viel zu spät kommt und man die Kritik scheut . Denn die richtige Wirkung hätte dieses Gesetz vor zwei Jahren erzielt – um nämlich mehr Druck aus- zuüben zur Schaffung einer internationalen Vereinbarung gegen schädliche Steuerpraktiken . Schon vor zwei Jah- ren hatte England die sogenannte Lizenzbox eingeführt und war damit dem Beispiel von Luxemburg oder auch den Niederlanden gefolgt . Mit mehr Druck vonseiten Deutschlands hätte im Rahmen der OECD eine Regelung gefunden werden können, die zeitnah und wirksam die Steuerschlupflöcher auf der Basis von Lizenzzahlungen schließt . Und wir wissen doch seit mehreren Jahren, dass vor allem US-amerikanische IT-Konzerne mit diesem Werkzeug sich einer angemessenen Steuerzahlung in vielen europäischen Ländern entziehen . Lassen Sie mich das Thema etwas näher beleuchten . Es ist bekannt, dass der Steuerwettbewerb in den ver- gangenen Jahren eher zu- als abgenommen hat . Dieser „Wettbewerb“ wird nicht nur über Steuersätze ausgetra- gen, sondern auch über die Frage, welche Einkünfte in welcher Höher in die Steuerbemessungsgrundlage ein- fließen. In Europa sind unter dem Deckmantel der For- schungsförderung in vielen Staaten sogenannte Lizenz- boxen eingeführt worden . In einer Lizenzbox werden Einkünfte aus immateriellen Vermögensgegenständen, wie zum Beispiel Patenten, besonders niedrig besteuert . Mit Lizenzzahlungen in ein solches Sondersteuerregime können internationale Konzerne ihre Gewinne gezielt dort anfallen lassen, wo die Staaten Steuervergünstigun- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22315 (A) (C) (B) (D) gen anbieten, und so ihre Gesamtsteuerbelastung mini- mieren . Wenn also die Firma Fiat ihren Hauptsitz in die Niederlande und den Steuersitz nach England verlegt, dann sicher nicht deshalb, weil in den Niederlanden so perfekt italienisch gesprochen wird oder in England viele italienische Designer arbeiten . Oder Starbucks, das ein Tochterunternehmen in den Niederlanden grün- det – aber nicht, um Kaffee auszuschenken, sondern um als Auffangbecken für Lizenzzahlungen zu dienen. Dies geht nicht nur zulasten des deutschen bzw . nationalen Steueraufkommens, sondern schadet auch dem Wettbe- werb, weil Konzerne sich damit gegenüber nationalen Konkurrenten einen Kostenvorteil erschleichen . Es soll- te doch selbstverständlich sein, dass dem Staat, in dem die Wertschöpfung stattfindet, auch ein fairer Anteil des Steuersubstrats zusteht . Aus diesem Steueraufkommen finanziert der Staat schließlich nicht nur Infrastruktur und Bildung, sondern garantiert auch Rechtssicherheit . Allesamt wichtige Grundvoraussetzungen für erfolgrei- che Unternehmen . Staaten, die mit dem höchsten Steu- errabatt ausländische Unternehmen anlocken wollen, handeln unsolidarisch und untergraben sich gegenseitig die Finanzierungsbasis ihrer Gemeinwesen . Leider gibt es diesen schädlichen Steuerwettbewerb auch in Europa . Die internationalen Bemühungen im Rahmen des BEPS-Projektes haben nicht zu einer ausreichenden Ein- dämmung des Problems der Gewinnverschiebung ge- führt . Zwar hat man sich bei der OECD und in der G 20 darauf geeinigt, dass zukünftig nur noch Lizenzzahlun- gen zu begünstigen sind, die dem sogenannten modifi- zierten Nexus-Ansatz entsprechen . So soll eine begüns- tigte Besteuerung nur noch dann gewährt werden, wenn die zugrunde liegende Forschungs- und Entwicklungstä- tigkeit vom steuerpflichtigen Tochterunternehmen selbst ausgeführt wird . Allerdings gestatten die vereinbarten Übergangsfristen eine Beibehaltung der bisherigen Sys- teme bis zum Juni 2021 . Da die Lizenzzahlungen in Län- dern der Europäischen Union und des EWR nicht mit einer Quellensteuer belegt werden können, weil die Zins- und Lizenzrichtlinie dies verbietet, ist es notwendig, dass Deutschland zeitnah und konsequent nationale Abwehr- maßnahmen gegen die Gewinnverlagerung ergreift, um den Anreizsystemen anderer Staaten zu begegnen und kurzfristig das inländische Besteuerungssubstrat zu si- chern sowie langfristig jenen Staaten entgegenzuwirken, welche die Beschränkung auf den Nexus-Ansatz nicht einhalten . Die im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorge- sehene erstmalige Anwendung der Lizenzschranke ab dem Jahr 2018 kommt nach meiner Bewertung deutlich zu spät . Wir werden im weiteren parlamentarischen Ver- fahren die Möglichkeit einer rückwirkenden Anwendung ab dem 1 . Januar 2017 prüfen . Wir müssen in Europa stärkeren Druck ausüben und uns intensiv mit der Frage auseinandersetzen, wie das Steuerdumping schnell und effektiv beendet werden kann. Ich möchte zum Schluss betonen, dass Lizenzzah- lungen an fremde Dritte auch zukünftig weiter unein- geschränkt abzugsfähig gestellt werden sollen, um wirtschaftlich notwendige Geschäftsabläufe nicht zu behindern . Dies ist wichtig zu erwähnen, weil in der Öf- fentlichkeit fälschlicherweise der jetzt vorliegende Ge- setzentwurf mit Blick auf die nicht unerheblichen, aber gerechtfertigten und vom Gesetz gar nicht betroffenen Lizenzzahlungen zwischen unabhängigen Unternehmen diskreditiert wird . Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister der Finanzen: Vor gut einem halben Jahr habe ich Ihnen an dieser Stelle den Entwurf des Amtshil- ferichtlinien-Umsetzungsgesetzes vorgestellt . Mit jenem Gesetz, das zwischenzeitlich im Bundesgesetzblatt ver- öffentlicht ist, haben wir einen ersten großen Schritt zur Umsetzung der Maßnahmen aus dem BEPS-Projekt von OECD und G 20 gegen steuerlich motivierte Gewinnver- lagerungen getan . Schon damals hatte ich angekündigt, dass wir im Kontext des BEPS-Projekts klug analysieren müssen, wo noch konkreter Handlungsbedarf besteht . Und ich habe auch gesagt, dass wir, wenn wir einen sol- chen Handlungsbedarf festgestellt haben, dazu auch ge- setzgeberische Vorschläge machen werden . Einen weiteren Schritt hin zu mehr Steuergerechtig- keit haben wir dann jüngst mit dem Steuerumgehungs- bekämpfungsgesetz getan . Nach Bekanntwerden der sogenannten Panama-Papers haben wir kurzfristig ei- nen Gesetzentwurf erarbeitet, der im Februar hier in der ersten Lesung war . Mit dem Steuerumgehungsbekämp- fungsgesetz wollen wir die Grundlage dafür schaffen, dass Steuerpflichtige künftig nicht mehr mithilfe soge- nannter Briefkastenfirmen steuerliche Tatbestände ver- heimlichen können . Diesen eingeschlagenen Weg zu mehr Steuergerech- tigkeit setzen wir mit dem jetzt vorliegenden Gesetz ge- gen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen konsequent fort . Anlass für das Ge- setz ist, dass in der jüngeren Vergangenheit immer mehr Staaten sogenannte Patent- oder Lizenzboxregime ein- geführt haben . Diese werden von multinationalen Unter- nehmen in hohem Maße genutzt, um Gewinne in solche Staaten zu verlagern und dadurch Steuern zu vermeiden . Die Patent- oder Lizenzboxen mögen sich im Detail von Staat zu Staat unterscheiden . Eines haben diese Boxen jedoch stets gemeinsam: Einnahmen aus der Überlassung von Lizenzen, Patenten, Marken oder anderen Rechten werden entweder gar nicht oder sehr niedrig besteuert . OECD und G 20 haben im Rahmen des BEPS-Projekts die bestehenden Lizenzboxen analysiert . Dabei wurde festgestellt, dass keine einzige dieser Bo- xen den Kriterien des sogenannten Nexus-Ansatzes ent- spricht, der als Maßstab für eine zulässige Maßnahme im internationalen Steuerwettbewerb angesehen wird . Die steuerliche Folge der Nutzung einer Lizenzbox ist: Die Lizenzaufwendungen, die der Schuldner für die Nutzung des Rechts hat, können von diesem im einen Staat, zum Beispiel in Deutschland, als Betriebsausgaben abgezo- gen werden . Die korrespondierenden Einnahmen werden aber im anderen Staat – dem Lizenzboxstaat – entweder gar nicht oder nur niedrig besteuert . Konzerne, die schäd- liche Lizenzboxen nutzen, erzielen dadurch einen erheb- lichen Wettbewerbsvorteil gegenüber Unternehmen, die solche Boxen nicht nutzen . Diesen Zustand wollen wir nicht länger hinnehmen . Künftig sollen daher Zahlungen, Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722316 (A) (C) (B) (D) die ein Unternehmen in ein schädliches – weil nicht dem Nexus-Ansatz entsprechendes – Lizenzboxregime leis- tet, nur noch beschränkt als Betriebsausgaben abgezogen werden können . Der Nexus-Ansatz besagt vereinfacht, dass die Staaten Steuervergünstigungen durch Lizenz- boxen nur dann gewähren dürfen, wenn das zugrunde liegende Recht der Lizenzaufwendungen auch in diesem Staat geschaffen wurde. Ist dies der Fall, wird die Lizenz- box nach internationalem Verständnis nicht als schädlich eingestuft . Solche Lizenzboxen haben wir daher bewusst von unserer Regelung ausgeklammert . Unsere Regelung ergänzt und flankiert somit die internationalen Vereinba- rungen, die wir im BEPS-Projekt getroffen haben. Uns war wichtig, eine ausgewogene Regelung zu schaffen, die einerseits geeignet ist, als schädlich einzustufende Gestaltungen effektiv zu verhindern, andererseits aber möglichst zielgenau wirkt und keine unnötigen Belas- tungen für die ganz große Mehrheit der Steuerpflichtigen mit sich bringt, die solche Gestaltungen nicht nutzen . Von der Beschränkung der Abzugsfähigkeit werden da- her ausschließlich Zahlungen für Rechteüberlassungen erfasst, die in ein Lizenzboxregime fließen, das die fol- genden drei Kriterien kumulativ erfüllt: Erstens . Die Zahlung wird beim Empfänger abwei- chend von der Regelbesteuerung besteuert . Zweitens . Die Zahlung wird beim Empfänger niedrig besteuert, das heißt unter 25 Prozent . Drittens . Das Lizenzboxregime ist als schädlich ein- zustufen, weil es nicht dem auf OECD-Ebene vereinbar- ten Nexus-Ansatz entspricht . Sind alle diese Voraussetzungen sowie die weiteren Tatbestandsmerkmale erfüllt, gilt Folgendes: Je nied- riger die Belastung beim Gläubiger ist, desto niedriger soll künftig auch die steuerliche Abziehbarkeit der Auf- wendungen beim Schuldner sein . Dagegen bleiben Auf- wendungen für Rechteüberlassungen vollumfänglich abzugsfähig, wenn die ausländische Präferenzregelung dem Nexus-Ansatz entspricht . Das heißt auch: Unterneh- men, die keine Gestaltungen mit schädlichen Lizenzbo- xen durchführen, werden durch die Regelung keinerlei Mehrbelastung erfahren . Wir haben damit eine möglichst zielgenaue, ausgewo- gene und verhältnismäßige Regelung vorgelegt, die einer ungerechtfertigten Verlagerung von Besteuerungssubst- rat ins Ausland entgegenwirkt und eine faire Besteuerung sicherstellt . Ich würde mich freuen, wenn Sie auch diesen Ge- setzentwurf mit Wohlwollen beraten . Wir sind davon überzeugt, dass er ein guter Beitrag dazu ist, die Steuer- gerechtigkeit und damit auch die Akzeptanz von Steuer- zahlungen in diesem Land zu heben . Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (Ta- gesordnungspunkt 34) Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU): Mit der Ein- führung eines neuen Messverfahrens zur Ermittlung von Emissionswerten bei Autos schlagen wir ein neu- es Kapitel im Verkehrsrecht auf . Durch das sogenannte WLTP-Verfahren (Worldwide Harmonized Light-Du- ty-Vehicles Test Procedure) werden wir zukünftig reali- tätsnähere CO2-Emissionswerte im Zuge der Ermittlung von Abgasemissionen erhalten . Die Einführung dieser weltweit harmonisierten Testprozedur vollziehen wir durch die Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes, das wir heute debattie- ren . Das neue WLTP-Verfahren löst das bisher geltende NEFZ-Verfahren (Neuer Europäischer Fahrzyklus) ab . Im Gegensatz zum NEFZ-Verfahren, bei dem die Emissionswerte der Autos unter „Laborbedingungen“ er- mittelt werden, wird das WLTP-Verfahren unter realitäts- nahen Bedingungen die Emissionswerte messen . Wobei diese Realitätsnähe natürlich differenziert zu betrachten ist, da der tatsächlich CO2-Ausstoß auch immer vom per- sönlichen Fahrverhalten abhängt . Realitätsnähe heißt also: So wie ein Auto tatsächlich im Straßenverkehr genutzt wird, so wird auch der Emis- sionsausstoß gemessen: kein erhöhter Reifendruck, keine abgebauten Außenspiegel zur Reduzierung des Luftwi- derstandes, kein leerer Tank, keine ausgebaute Klimaan- lage . Ab dem 1 . September 2018 gilt: Für jedes zum Stra- ßenverkehr neu zugelassene Auto ist die Abgasmessung mit dem neuen WLTP-Verfahren verpflichtend. Alle an- deren Autos auf unseren Straßen, die vor diesem Stichtag zugelassen wurden, haben aber natürlich Bestandsschutz . Eine grundlegende Erneuerung, die mit dem neuen Messverfahren einhergeht, ist also auch das Zulassungs- verfahren . Werden Fahrzeuge bisher „autobezogen“ zu- gelassen, wird es in Zukunft zu einer „typenbezogenen“ Zulassung kommen . Demnach wird es nicht mehr nur eine Rolle spielen, ob man einen Golf, eine S-Klasse oder einen Corsa fährt, sondern welche konkreten Besonderheiten das Fahrzeug aufweist: mit oder ohne Klimaanlage? Schmale oder breite Reifen? Wie viele Airbags? Wie viel Hubraum? Innerhalb eines Autotyps wird es perspektivisch zu ei- ner Bildung von „Familien“ kommen . Denn, und das ist nicht neu, nicht jeder Golf ist gleich . In der Konsequenz heißt das: Nicht nur der Prüfzyklus wird kleinteiliger, auch die Zulassung von Fahrzeugen wird differenzierter. Nach der Veröffentlichung des Gesetzentwurfes waren die ersten – empörten – Reaktionen: Das neue Messverfahren führe zu einer versteckten Erhöhung der Kfz-Steuer . Schnell war man sich einig, dass dies Betrug am Wähler sei . Denn die Kfz-Steuer wird von der Ände- rung der Testprozedur beeinflusst, da die CO2-Emissio- nen eine wesentliche Komponente bei der Ermittlung der Höhe der Kfz-Steuer sind . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22317 (A) (C) (B) (D) Weil hier oft Fakten durcheinandergeraten, möchte ich folgende Punkte klarstellen . Erstens . Der vorliegende Gesetzentwurf regelt aus- schließlich die Einführung eines neuen Messverfahrens im Verkehrsrecht . Die konkrete technische Ausgestal- tung des Messverfahrens – die im Übrigen noch gar nicht endgültig feststeht; auch das könnte man kriti- sieren – wird hingegen über eine unmittelbar wirkende EU-Verordnung ins deutsche Recht implementiert . Diese Verordnung beschreibt dann genau, wie der Testzyklus auszusehen hat . Wir als Gesetzgeber haben darauf keinen Einfluss. Die Verordnung kommt aller Voraussicht nach im Mai 2017 . Ab dann gilt prinzipiell auch die Anwendung des WLTP-Verfahrens bei Neufahrzeugen . Um bei Käufern und Herstellern Planungs- und Rechtssicherheit zu schaffen und die Gleichmäßigkeit der Besteuerung sicherzustellen, ist der Stichtag zur An- wendung des neuen Messverfahrens zur Ermittlung der CO2-Werte für die Besteuerung aber erst der 1 . Septem- ber 2018 . Klarzustellen ist: Bestandsfahrzeuge bleiben unange- tastet . Zweitens . Anzunehmen ist, dass das neue Messver- fahren andere, realitätsnähere CO2-Werte zutage fördern wird, als es das NEFZ-Verfahren bisher tut . Das ist die klare Absicht dieser Verfahrensumstellung . Wissenschaftlichen Einschätzungen zufolge werden die Messergebnisse des WLTP-Verfahrens einen um 15 Prozent höher liegenden CO2-Ausstoß nachweisen . Im Vorhinein können jedoch weder Aussagen über er- wartete CO2-Werte gemacht, noch kann die dadurch zu erwartende Höhe der Kfz-Steuer prognostiziert werden . Denn für welches Fahrzeug sich die Käufer in Zukunft entscheiden, das wissen wir heute nicht . Was ich an dieser Stelle aber anmerken möchte: Als Neuwagenkäufer treffe ich eine ganz bewusste Entschei- dung für oder gegen ein CO2-armes Auto . Je nachdem, wie meine Entscheidung ausfällt, beeinflusst das natür- lich auch die Höhe der Kfz-Steuer . Wir setzen mit diesem Gesetz also auch einen ganz klaren Anreiz, sich für ein emissionsarmes Fahrzeug zu entscheiden . Drittens . Das vorliegende Gesetz bringt ausdrücklich keine Steuersatzerhöhung mit sich . Was sich ändert, ist ausschließlich die Bemessungsgrundlage der Kfz-Steuer, und auf die, so habe ich es ausgeführt, haben wir keinen Einfluss. Eine realitätsnähere Ermittlung des Emissionsaussto- ßes bei Autos auf EU-Ebene wird im Übrigen auch nicht erst seit dem VW-Abgasskandal forciert . Es gab auch im Vorfeld dieses Ereignisses immer wieder Diskussionen über eine Veränderung von Messzyklen . Abschließend möchte ich noch kurz auf den sehr in Verruf geratenen Diesel zu sprechen kommen . Mit Blick auf die massive Vertrauenskrise, ausgelöst durch VW, haben wir durch das neue Messverfahren auch die Chan- ce, Vertrauen zurückzugewinnen . Die Dieseltechnologie bleibt ein wichtiges Modul in der Motorenfamilien; denn am Ende zählt die Summe aller Emissionen, und dabei spielt natürlich auch der niedrigere Verbrauch pro km eine wichtige Rolle . Und genau hier liegt auch eine wirk- liche Chance, die hochinnovative deutsche Dieseltechno- logie wieder nach vorne zu bringen . Abschließend möchte ich festhalten: Erstens . Unser Ziel, mit der Kfz-Steuer eine Len- kungswirkung zu erreichen und kleinere und emissi- onsarme Fahrzeuge zu bevorteilen, wird mit dem neuen Messverfahren weiter verstärkt . Zweitens . Wie sich das Aufkommen der Kfz-Steuer tatsächlich entwickelt, haben Sie in der Hand, die Käufer neuer Fahrzeuge, je nachdem wofür Sie sich entscheiden . Sie haben die Freiheit und damit auch die Verantwortung . Drittens . Unser wirtschaftspolitisches Leitziel gilt wei- ter: Deutschland soll ein attraktiver Standort für moderne Fahrzeugtechnologien bleiben – für die Fahrer ebenso wie für die Autohersteller und ihre Technologiezulieferer . Dafür werden wir uns auch weiter einsetzen . Andreas Schwarz (SPD): Mit der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs etablieren wir ein neues Prüfver- fahren zur Ermittlung der Abgaswerte für Personenkraft- wagen und setzen damit eine Vorgabe der EU um . Dieses neue Verfahren WLTP, Worldwide Harmonized Light Duty Test Procedure, wird genauere bzw . realistischere Daten liefern als die alte Messmethode NEFZ, Neuer Europäischer Fahrzyklus, die von den realistischen Fahr- bedingungen im Alltag offenkundig stark abweicht. Wir begrüßen das, denn bislang lag der tatsächliche Kraft- stoffverbrauch eines Fahrzeugs teilweise deutlich höher als der vom Hersteller angegebene Normverbrauch . Hier musste endlich etwas unternommen werden . Das Bekanntwerden der Abgasmanipulation bei Volkswagen mag diesen Prozess beschleunigt haben, die Forderung nach realistischeren Messergebnissen wird aber bereits seit Jahren erhoben . Sowohl von der Autoin- dustrie als auch den Umweltschützern . Wir führen das WLTP-Verfahren schrittweise ein, damit sich die Autofahrerinnen und Autofahrer darauf vorbe- reiten können . Die Anwendung der neuen WLTP-Norm gilt hier in Deutschland für neu zugelassene Fahrzeuge erst ab dem 1 . September 2018 . Und da auch erst einmal nur für Modelle, die ab September 2017 etwa nach einem Modellwechsel eine neue Typgenehmigung benötigen . So weit, so gut . Wir nähern uns den Tretminen . Wie ist es denn um die Einnahmeseite bestellt? Was kommt auf die Bürgerinnen und Bürger zu? Viele Fach- leute gehen inzwischen davon aus, dass durch das neue Messverfahren der gemessene CO2-Ausstoß so sehr ansteigt, dass folglich auch für viele Fahrzeuge die Kfz-Steuer ansteigen wird . In unserem Berichterstatter- gespräch wurde auf meine Nachfrage hin, ob und wenn ja, in welcher Höhe es durch das neue Prüfverfahren zu Mehrbelastungen für die Autofahrerinnen und Autofah- rer kommen könnte, vom BMF erklärt, man könne zum jetzigen Zeitpunkt schlicht noch keine verlässlichen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722318 (A) (C) (B) (D) Aussagen darüber treffen, ob die Umstellung des Prüf- verfahrens generell zu höheren Belastungen führe . Es sei möglich, dass die Kfz-Steuer bei einigen Fahrzeugtypen steige, bei anderen wiederum sinke . Das überraschte et- was, denn der Referentenentwurf hatte dem Fiskus im Zeitraum von 2018 bis 2022 noch Mehrreinnahmen in Höhe von circa 1,1 Milliarden Euro prognostiziert . Das BMF meint also, das Steueraufkommen sei zum gegen- wärtigen Zeitpunkt nicht seriös zu beziffern. Ist diese Berechnung in dem vorliegenden Gesetzentwurf möglicherweise nicht mehr enthalten, weil sich damit das eigene Mantra „Mit uns keine Steuererhöhungen“ leicht in Luft auflöst? Jedenfalls darf man sich schon fragen, warum beispielsweise Einnahmeprognosen zur Maut erstellt werden konnten, für die Einführung des WLPT-Verfahrens aber nicht . Im bisherigen Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens habe ich mich maßgeblich da- für eingesetzt, dass ein Jahr nach Inkrafttreten überprüft wird, ob man eventuell gegensteuern muss . Nur so kön- nen wir mögliche Fehlentwicklungen korrigieren . Sabine Leidig (DIE LINKE): Mit der vorgelegten Änderung am Kfz-Steuer-Gesetz macht die Bundesre- gierung nicht mehr, als unbedingt notwendig . Es geht darum, dass die KfZ-Steuer künftig an die weltweit har- monisierte Testprozedur WLTP für Abgasmessung ange- passt wird . Dazu drei kritische Anmerkungen: Erstens . Es ist absurd, dass nach dem neuen Fahrzyk- lus die CO2-Emissionen höher liegen dürften als bisher . Das ist offenbar dem Einfluss der Bundesregierung zu „verdanken“, die wiederum unter massivem Einfluss der Automobilindustrie steht – und das dient nicht dem Woh- le der Allgemeinheit . Zweitens . Immerhin werden künftig nicht mehr die manipulierten Werte der „Prüfstände“ Grundlage der Kfz-Steuer-Bemessung sein, sondern Messmethoden, die dem wirklichen Schadstoffausstoß näher kommen – und der ist ja erheblich höher als angegeben . Als Stichtag für die neue CO2-Messung ist der 1 . September 2018 zwingend vorgegeben . Allerdings werden neue Fahrzeugtypen bereits ein Jahr vorher ent- sprechend gemessen . Für die könnte man also auch vor- her schon die neue Kfz-Steuer einführen . Das ist aber nicht gewollt . Aber warum nicht?! Drittens . Die Bundesregierung behauptet, es ergäben sich „keine haushalterischen Auswirkungen .“ Das ist al- lerdings wirklich falsch . Klar, die neue Kfz-Steuer kostet nichts . Aber dass seit Jahren und noch weiter auf die Be- steuerung nach tatsächlichem Verbrauch/CO2-Ausstoß verzichtet wird, das führte und führt weiterhin zu erheb- lichen Einnahmeausfällen . Im Auftrag der Linksfraktion im Bundestag hat das „Forum ökologisch-soziale Marktwirtschaft“ eine Studie erstellt und kommt zu folgenden Ergebnissen: Die auf dem Prüfstand im Labor gemessenen Typ- prüfwerte zum Ausstoß von Kohlenstoffdioxid, CO2 und Stickstoffoxiden, NOx von Pkw wichen in den vergange- nen Jahren immer gravierender von tatsächlich auf der Straße festgestellten Emissionen ab . Dies hat Auswir- kungen auf Verbraucherinnen und Verbraucher, Wettbe- werb, Politik, Umwelt, Klima und Gesundheit . Weniger beachtet sind die Auswirkungen auf die Kraftfahrzeugsteuer aufgrund der verfälschten Bemes- sungsgrundlage sowie zu Unrecht gewährter Steuer- befreiungen, die im Rahmen dieser Studie quantifiziert werden . Allein die Mindereinnahmen aufgrund nicht dem Realverbrauch auf der Straße entsprechender CO2-Anga- ben in den Herstellerbescheinigungen werden für den Zeitraum 2010 bis 2015 auf rund 3,3 Milliarden Euro geschätzt . Es ist davon auszugehen, dass dieser Betrag in den kommenden Jahren deutlich und beschleunigt zu- nehmen wird, falls keine Gegenmaßnahmen eingeleitet werden sollten . Die Mindereinnahmen durch Steuerbe- freiungen, die vermeintlich schadstoffarmen Fahrzeugen der Klasse Euro 6 aufgrund unzutreffender NOx-Werte zu Unrecht gewährt wurden, belaufen sich auf etwa 10 bis 18 Millionen Euro . Der systematische Betrug durch die Spitzen der Auto- mobilkonzerne, der von der Bundesregierung ermöglicht wurde, kommt die Allgemeinheit also in jeder Hinsicht teuer zu stehen . Es ist höchste Zeit, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen und für den Schaden zur Kasse zu bitten . Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn der Untersuchungsausschuss „Abgasskandal“ eines zutage gefördert hat, dann, dass die VW-Affäre nur die Spitze eines Eisbergs ist . Ein Eisberg, der tief in Politik und Au- tomobilwirtschaft reicht . Auch abgesehen von dem vor- sätzlichen Betrug durch den Einbau illegaler Abschaltein- richtungen, haben wir ein ganz grundsätzliches Problem mit dem aktuellen Testverfahren – dem Neuen Europä- ischen Fahrzyklus, NEFZ . Das aktuelle Testverfahren NEFZ misst falsch . Das Fahrverhalten und die äußeren Bedingungen im Labor – Beschleunigung, Schaltverhal- ten, die motorfreundliche Umgebungstemperatur – ent- sprechen nicht der Beanspruchung auf der Straße . Zudem bietet NEFZ den Automobilherstellern zahlreiche – le- gale und illegale – Schlupflöcher, um die Autos für den Test zu optimieren: rollwiderstandsoptimierte, schmalere Autoreifen; abgeklebte Autoteile für eine bessere Aero- dynamik; abgeschaltete Klimaanlagen und Navigations- systeme; moderne Software, die erkennt, wann sie sich auf dem Prüfstand befindet. Der Fantasie der Automo- bilhersteller wird derzeit leider kaum Grenzen gesetzt, um Kraftstoffverbrauch und CO2-Emissionen künstlich niedrig zu halten . Deswegen weichen die im Realbetrieb gemessenen CO2-Emissionen systematisch von den im NEFZ gemessenen Laborwerten ab . Und der Abstand wird immer größer . Das ergeben die Studien des Inter- national Council on Clean Transportation, ICCT . 2014 lag die Differenz zwischen den CO2-Emissionen im Realverkehr und den im NEFZ gemessenen Werten bei durchschnittlich 40 Prozent . 2001 lag dieser Wert noch bei rund 8 Prozent . Das ist ein Problem für die Verbraucherinnen und Verbraucher, denn sie werden durch unrealistische Ver- brauchswerte getäuscht und in ihrer Kaufentscheidung Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22319 (A) (C) (B) (D) beeinflusst. Das ist ein Problem für die Umwelt, denn durch die falschen Angaben werden die Gesundheits- und Umweltkosten des Pkw-Verkehrs verschleiert und die europäischen Grenzwerte für Pkw-CO2-Emissionen konterkariert . Das sollte aber auch den Finanzminister umtreiben . Seit dem 1 . Juli 2009 wird die Kfz-Steuer nämlich nach dem CO2-Ausstoß berechnet. Durch die Differenz zwi- schen Realität und Laborwert entgingen dem Fiskus laut Berechnungen des Forums Ökologisch-Soziale Markt- wirtschaft, FÖS, allein für den Zeitraum 2010 bis 2015 Steuereinnahmen in Höhe von 3,3 Milliarden Euro . Wir müssen uns auch die Frage stellen, inwiefern hier durch falsche Angaben seitens der Automobilhersteller syste- matisch Steuerhinterziehung betrieben wird und wurde . Im Zuge der Aufarbeitung des VW-Skandals ließ das Bundesverkehrsministerium die gesundheitsschädlichen Stickoxidemissionen von 53 Fahrzeugtypen prüfen . Im Abschlussbericht wurde festgestellt, dass nicht nur VW, sondern die gesamte Branche manipuliert hat . Im Zuge der Abgastests hat das Verkehrsministerium auch CO2-Emissionen auf Prüfstand und Straße ermitteln las- sen . Die CO2-Emissionen wurden in diesem Bericht aber nicht veröffentlicht mit dem Verweis, dass die Untersu- chungen noch nicht abgeschlossen sind und zu einem späteren Zeitpunkt in einem eigenen CO2-Prüfbericht veröffentlicht würden. Das war im April 2016, und wir warten immer noch auf die Ergebnisse . Es ist mir unverständlich, warum der Finanzminister hier nicht mehr Druck auf seinen Kollegen Verkehrs- minister ausübt . Warum Herr Schäuble Herrn Dobrindt nicht auffordert, die Ergebnisse der Nachmessungen zu veröffentlichen. Denn die wären doch eine gute Grundla- ge für das Finanzministerium, Berechnungen über mögli- che Nachforderungen anzustellen . Nachforderungen, die sich aus manipulierten CO2-Werten für die KfZ-Steuer ergeben . Sie können sich schon mal darauf einstellen, dass ich da im Finanzausschuss nachhaken werde . Angesichts der unrealistischen CO2-Werte des NEFZ ist es natürlich zu begrüßen, dass das alte Prüfverfah- ren durch die Einführung eines neuen ersetzt wird: die weltweit harmonisierte Testprozedur zur Ermittlung der Abgasemissionen, kurz WLTP . Das neue Testverfahren WLTP beruht auf realen Fahrstatistiken . Es macht auch strengere Vorgaben, beispielsweise in Bezug auf die in- dividuelle Ausstattung des Fahrzeuges oder die Testbe- dingungen . Allerdings gilt die realistischere Berechnung nach WLPT nur für neu zugelassene Fahrzeuge . Für die circa 40 Millionen Bestandsfahrzeuge ändert sich nichts . Außerdem ist leider auch das neue Verfahren WLPT nicht vor Manipulationen gefeit . Deshalb fordern wir Grüne: Die Tests müssen von wirklich unabhängigen Behörden kontrolliert werden . Und es muss auch harte Sanktionen geben für Tricksereien und falsche Angaben zu CO2-Werten . Und noch eine Lehre muss aus dem VW-Abgas-Skan- dal gezogen werden: Die Strategie der deutschen Au- tomobilindustrie, den Dieselmotor als klima- und um- weltfreundliche Brückentechnologie zu verkaufen, ist gescheitert . Autos, die nur unter Laborbedingungen Um- weltvorgaben einhalten können, haben keine Zukunft . Deshalb fordern wir Grünen einen schrittweisen Abbau der Dieselsubvention . Das Ziel sollte sein, dass die Ener- giesteuersätze für einen Liter Benzin und einen Liter Diesel in zehn Jahren steuerlich auf dem gleichen Niveau sind . Gleichzeitig wollen wir die Fahrer von Diesel-Pkw entlasten, indem wir die Kfz-Steuer konsequent nach dem CO2-Ausstoß von Kraftfahrzeugen ausrichten . Wir fordern, dass die Bundesregierung einen Aus- stiegsplan aus der Dieselsubvention vorlegt . Wir fordern, dass die Bundesregierung Konsequenzen aus dem Ab- gasskandal zieht, dass Herr Dobrindt endlich die realen CO2-Emissionen der geprüften Modelle öffentlich macht. Wir brauchen eine wirklich unabhängige Behörde, die Messungen überprüft . Es braucht Sanktionen für diejeni- gen, die manipulieren . Das brächte Transparenz für Ver- braucher und Klarheit für die Automobilindustrie . Denn nur mit echten Konsequenzen lässt sich der dringend not- wendige Wechsel hin zu effizienten und emissionsfreien Antrieben begleiten – das wäre ein echter Dienst für ei- nen zukunftsfähigen Industriestandort Deutschland . Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister der Finanzen: Bevor ich Ihnen den Inhalt des Entwurfes eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes vorstelle, ist es zum besse- ren Verständnis der sehr technischen Materie sinnvoll, einen kleinen Exkurs voranzustellen . Dies halte ich auch deshalb für wichtig, weil zu dem Gesetzentwurf einige fehlerhafte Informationen und irreführende Schlussfol- gerungen in der Presse und in der Öffentlichkeit herum- geistern, die ich heute hier ins rechte Licht rücken möch- te . Zur Vorgeschichte: Bereits im Jahre 2009 hat der Deutsche Bundestag in einer grundlegenden Entschei- dung den Regierungsentwurf der damaligen großen Ko- alition beschlossen, der die Umstellung der Bemessung der Kraftfahrzeugsteuer bei Personenkraftwagen, Pkw, auf eine vorrangig nach Kohlenstoffdioxidemissionen bemessene Steuer regelte . Nach dieser sogenannten CO2-Reform der Kraftfahrzeugsteuer ist grundsätzlich seit dem Stichtag 1 . Juli 2009 für Pkw-Erstzulassungen neben dem Hubraum vorrangig der von den Zulassungs- behörden festgestellte CO2-Wert für die Höhe der Kraft- fahrzeugsteuer maßgeblich . Diese Änderung der ökolo- gischen Komponente der Kraftfahrzeugsteuer diente und dient noch heute in besonderem Maße dem Ziel einer klimagerechten Zukunftspolitik . Mit dem Ziel vor Augen, bis 2020 den CO2-Ausstoß gegenüber 1990 um mindestens 40 Prozent zu senken, sind auch im Verkehrssektor weiterhin Emissionsmin- derungen notwendig . Neben der Steigerung des Anteils von Elektrofahrzeugen ist die CO2-basierte Kraftfahr- zeugsteuer mit ihrer daraus resultierenden Lenkungswir- kung eine zentrale Maßnahme, um den Straßenverkehr umweltverträglicher zu machen und einen adäquaten Beitrag zur Reduktion der CO2-Emissionen zu leisten . Der rechtliche Rahmen, nach dem die Zulassungsbehör- den den CO2-Wert feststellen, wird unmittelbar durch das Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722320 (A) (C) (B) (D) Unionsrecht vorgegeben, nämlich konkret durch die Ver- ordnung (EG) Nr . 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20 . Juni 2007 . Es handelt sich dabei um den sogenannten Neuen Europäischen Fahrzyklus, das sogenannte NEFZ-Messverfahren . Dieses stammt noch aus den 1990er-Jahren und führt als veralteter Prüf- zyklus zu realitätsfernen CO2-Werten . Bekanntlich lässt sich das Unionsrecht nicht von heute auf morgen ändern . Doch vorliegend ist noch für dieses Frühjahr mit dem In- krafttreten einer Änderungsverordnung der bereits ange- sprochenen Verordnung (EG) Nr . 715/2007 zu rechnen . Hintergrund hierfür ist die Entwicklung einer auf Ebe- ne der Vereinten Nationen weltweit harmonisierten Test- prozedur zur Ermittlung der Abgasemissionen leichter Kraftfahrzeuge, die „Worldwide harmonized light duty test procedure“ . Dieses sogenannte WLTP-Verfahren verfolgt das Ziel, künftig realitätsnähere Emissionswerte für CO2 im Rahmen der Typgenehmigung für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge zu erhalten . Die Art der Ermitt- lung der CO2-Emissionen nach WLTP wird sich erheb- lich von dem derzeit maßgeblichen NEFZ-Verfahren unterscheiden . Die verpflichtende WLTP-Einführung im Verkehrs- recht soll schrittweise und nur für Neufahrzeuge erfol- gen . Sie beginnt mit der Verabschiedung und dem In- krafttreten entsprechender Rechtsakte der Europäischen Union bis zum Frühjahr 2017 . Die nach WLTP ermittel- ten CO2-Werte sollen dann ab dem 1 . September 2017 bei der Genehmigung neuer Typen verbindlich werden . Ab dem 1 . September 2018 werden sie zur Bedingung für die Erstzulassung von Pkw . Die Automobilhersteller müssen demzufolge auch ihre auf dem Markt befindli- chen Fahrzeugmodelle nach WLTP nachprüfen lassen, wenn sie sie weiter produzieren werden . Es liegt nahe, dass einige Hersteller damit voraussichtlich kurz nach der Verkündung der EU-Vorschriften beginnen . Und damit komme ich nun unmittelbar zum Grund für das aktuell eingebrachte steuerrechtliche Gesetzes- vorhaben des 6 . Kraftfahrzeugsteueränderungsgesetzes . Was regeln wir nun eigentlich im nationalen Kraftfahr- zeugsteuergesetz? Das Kraftfahrzeugsteuergesetz bein- haltet eine gleitende dynamische Außenverweisung auf die maßgeblichen Vorschriften der Europäischen Union zur Ermittlung der CO2-Werte . Durch diese Verweisung würden sich die neuen CO2-Werte nach WLTP bereits mit dem Inkrafttreten der geänderten EU-Vorschriften ab Mitte 2017 auf die Kraftfahrzeugsteuer auswirken . Hier genau setzen wir an und schaffen frühzeitig Rechts- und Planungssicherheit, indem wir in Anlehnung an das Ver- kehrsrecht ebenfalls den 1 . September 2018 als einheitli- chen Stichtag zur Anwendung der nach WLTP ermittelten realitätsnäheren CO2-Werte für die Kraftfahrzeugsteuer in Deutschland bestimmen . Nur neue erstmals zugelasse- ne Pkw werden betroffen sein. Auswirkungen aufgrund neuer CO2-Werte nach WLTP auf die Steuererhöhe für davor zugelassene Pkw sind demzufolge ausgeschlos- sen. Leider wurde dies in der öffentlichen Wahrnehmung durch die eine oder andere unzutreffende Sachdarstel- lung verfälscht . Durch den einheitlichen Stichtag stel- len wir die Gleichmäßigkeit der Besteuerung von Pkw sicher . Würden wir im Kraftfahrzeugsteuergesetz kein verbindliches Datum für die Anwendung der CO2-Werte nach WLTP festlegen, wirkte sich unter anderem die op- tionale, frühzeitige oder spätere Umstellung auf WLTP vor dem 1 . September 2018 durch die Fahrzeugherstel- ler, die von unternehmerischen Erwägungen geprägt ist, auf die Besteuerung aus . In diesem Übergangszeitraum könnte die Gleichmäßigkeit der Besteuerung nicht si- chergestellt werden, da die von den Zulassungsbehörden übermittelten CO2-Werte bis zur verbindlichen Anwen- dung des WLTP nicht auf einem einheitlichen Verfahren beruhen . Der gleitende Einstieg in das ab 1 . September 2018 verbindliche Verfahren wäre für Verbraucher zu- dem intransparent . Wir erhöhen also nicht die Kraftfahrzeugsteuer, wie fälschlicherweise behauptet wurde, sondern wir sor- gen – unter Inkaufnahme von vorübergehenden Minde- reinnahmen – für Rechts-und Planungssicherheit und Steuergerechtigkeit . Nochmal: Bestandsfahrzeuge sind nicht betroffen. Und wir vermeiden Unsicherheit und Ungewissheit für die Bürgerinnen und Bürger, die sich in der Zeit vom Frühjahr 2017 bis zum 31 . August 2018 für die Anschaffung eines Neuwagens entscheiden. Wir schaffen Klarheit. Der einheitliche Stichtag 1. September 2018 wird für alle Pkw-Neuzulassungen gelten . Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung bei heterologer Verwendung von Samen (Tagesord- nungspunkt 35) Hubert Hüppe (CDU/CSU): Selbstverständlich wol- len alle Menschen wissen, wo sie herkommen . Das kann jeder von uns nachvollziehen . Von wem stamme ich ab? Wer sind meine Eltern? Wer sind meine Großeltern? Antworten auf diese Fragen sind für die Identität jedes Menschen wichtig . Inzwischen wissen wir, dass viele, die keine Antworten hierauf finden, unter ihrem Nicht- wissen leiden . Vielfach hört man von emotionalem Leid bei Menschen, die ihre Eltern früh verloren haben, die anonym zur Adoption freigegeben wurden oder die durch anonyme Samenspende entstanden sind . Eine Vereini- gung von Betroffenen, Spenderkinder e. V., formuliert, dass Anonymität ungünstige Dynamiken fördere . Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hat 2015 ent- schieden, dass durch heterologe Verwendung von Samen gezeugte Kinder einen Anspruch auf Auskunft über die Identität des anonymen Samenspenders haben . Zurück- verfolgen lässt sich eine Samenspende vor allem über die verschiedenen Entnahmeeinrichtungen, und die sind über ganz Deutschland verstreut . Ein zentrales Register gibt es bisher nicht – das ändern wir jetzt . Es ist deshalb begrüßenswert, dass das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung aufgegriffen wird; wo wir als Gesetzgeber Menschen zu Antworten über ihre biologischen Väter verhelfen können, sollten wir es tun . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22321 (A) (C) (B) (D) Im vorliegenden Entwurf sehen wir zwei Dinge vor . Im Gesetz zur Errichtung eines Samenspenderregis- ters und zur Regelung der Auskunftserteilung über den Spender nach heterologer Verwendung von Samen, Sa- menspenderregistergesetz, wird eine zentrale Informa- tionsstelle eingerichtet und die organisatorischen und verfahrenstechnischen Voraussetzungen für deren Füh- rung geschaffen. Darüber hinaus wird im Gesetzentwurf durch eine Änderung des BGB sichergestellt, dass ein Samenspender nicht als rechtlicher Vater eines durch künstliche Befruchtung in einer deutschen Einrichtung zur medizinischen Versorgung gezeugten Kindes festge- stellt werden kann . Beim Deutschen Institut für Medizinische Dokumen- tation und Information, DIMDI, werden die Daten des Samenspenders, der Mutter und die Geburtsdaten des Kindes zusammenlaufen und für 110 Jahre gespeichert werden . Personen können per Antrag Informationen an- fordern, wenn sie den Verdacht hegen oder wissen, dass sie durch heterologe Verwendung von Samen entstanden sind . Die Entnahmeeinrichtung erhebt die Daten des Spen- ders . Neben dem Namen meldet die Einrichtung den Geburtstag und -ort, die Staatsangehörigkeit und die An- schrift an das DIMDI . Vor jeder Spende muss der Spen- der aufgeklärt werden, dass eventuelle Kinder Zugang zu diesen Daten haben . Dem kann der Spender nicht wider- sprechen . Außerdem muss er erfahren, dass Samenspen- der nicht als rechtliche Väter festgestellt werden können . Diese Aufklärung ist zentral, damit potenzielle Spender sich über die Konsequenzen im Klaren sind . Möchten sie von ihren biologischen Kindern gefunden werden, möglicherweise viele Jahre später? Bei falschen Anga- ben droht ein Bußgeld . Die Entnahmeeinrichtung kenn- zeichnet die Daten des Spenders mit einer eindeutigen Spendennummer oder einer Spendenkennungssequenz . Der Spender kann freiwillig weitere Angaben machen, zum Beispiel könnte er den Grund für seine Samenspen- de angeben . Die Daten der Mutter sammelt die Einrichtung zur medizinischen Versorgung, in der die künstliche Be- fruchtung durchgeführt wird . Die Einrichtung meldet dem DIMDI außerdem den Zeitpunkt der Verwendung des Samens, den Beginn der Schwangerschaft und den errechneten Geburtstermin . Das tatsächliche Datum der Geburt und die Anzahl der geborenen Kinder werden unverzüglich gemeldet, die Meldepflicht liegt diesbezüg- lich bei der Empfängerin der Samenspende . Samen darf nur zur künstlichen Befruchtung einge- setzt werden, wenn die eindeutige Spendennummer oder die Spendenkennungssequenz vorliegt . Das schließt auch aus, dass deutsche Ärzte anonyme Samenspenden aus dem Ausland verwenden . Nur wenn die vorgeschriebe- nen Daten und eine eindeutige Identifikation per Spen- dennummer oder Spendenkennungssequenz vorhanden sind, kann ausländischer Samen benutzt werden . Zwar haben wir auf ausländische Entnahmeeinrichtungen keinen Einfluss, aber wir können die Verwendung von ausländischem Samen in deutschen Einrichtungen unter- binden, wenn keine Daten vorliegen . Damit wird, soweit realistisch möglich, das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung auch bei durch Verwendung von ausländi- schem Samen hervorgegangenen Kindern abgesichert . Die persönlichen Angaben des Spenders, der Mutter und des Kindes unterliegen natürlich dem Datenschutz . Nur das Deutsche Institut für Medizinische Dokumenta- tion und Information darf die Daten speichern und nur auf Antrag dem erfassten Kind des Spenders übermitteln bzw . vor dem sechzehnten Geburtstag des Kindes seinen Eltern . Was jetzt realistischerweise gesetzlich geregelt werden kann, regeln wir mit unserem Entwurf . Einige Formen der künstlichen Befruchtung, zum Beispiel außerhalb ei- ner Einrichtung der medizinischen Versorgung oder im Ausland, können nicht von einem deutschen Gesetz er- fasst werden . Private Samenspenden etwa sind nicht vom Gesetzentwurf betroffen. Wenn ein persönlicher Freund einem lesbischen Paar Samen spendet, wird er nicht vom Register erfasst – auf der anderen Seite ist er auch nicht von der Feststellung als rechtlicher Vater ausgeschlossen . Wir werden die parlamentarische Debatte mit einer Anhörung weiterführen . Wir werden prüfen, ob an eini- gen Stellen noch eine Feinjustierung nötig ist . Das grund- sätzliche Anliegen des Gesetzentwurfes, Spenderkindern die Wahrnehmung ihres Rechts auf Kenntnis der eige- nen Abstammung zu ermöglichen, haben wir im Koali- tionsvertrag vereinbart . Wir greifen damit das Anliegen Betroffener auf, ihren biologischen Vater zu finden. Die im Gesetzentwurf vorgestellten Regelungen stellen dafür eine praxistaugliche Grundlage dar . Sie sind im Vergleich zum Status quo ein großer Fortschritt . Dr. Georg Kippels (CDU/CSU): Wer bin ich, wo komme ich her? Diese Frage mag sich der ein oder an- dere schon einmal ernsthaft oder auch weniger ernsthaft gestellt haben . In den meisten Fällen handelt es sich mehr um eine philosophische Fragestellung und nur seltener um ein reales Informationsbedürfnis im Hinblick auf die eigene Persönlichkeit und Identität . Da der Mensch sich sehr intensiv über seine Außenweltbeziehung definiert, bekommt diese Frage aber eine ganz andere Bedeutung, wenn es um das Verhältnis zur eigenen Familie und dort insbesondere zu den Eltern, also Mutter und Vater, geht . Nun mag es gelegentlich vorkommen, dass dieses Ver- hältnis in bestimmten Lebensphasen, sehr häufig zum Beispiel in der Pubertät, gespannt ist und aus spontanen Reaktionen heraus die Verbindung, das heißt die Abstam- mung, gerne negiert würde . Abgesehen von diesen oberflächlichen Befunden ist die Frage der Abstammung für die Persönlichkeit und die Frage der Selbstreflexion von enormer Wichtigkeit, wenn nicht sogar in manchen Fällen existenziell und für die psychische und physische Verfassung ursächlich . So hat das BVerfG schon im Jahre 1988 festgestellt, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung umfasst . Auslöser des damaligen Falles war das Adoptionsrecht, das nach der damals geltenden Regelung ein sogenanntes Adopti- onsgeheimnis vorsah, das Ausforschungen der Adoptiv- familie verhindern sollte und nur bei Zustimmung von Kind und Annehmenden ausgeforscht werden durfte . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722322 (A) (C) (B) (D) Dem sah das BVerfG das Grundrecht auf Kenntnis der eigenen Abstammung gegenüber, das es aus dem allge- meinen Persönlichkeitsrecht ableitete . Damit war die Be- deutung der Abstammung für die Prägung der Individu- alität höchstrichterlich anerkannt und seither unstreitig . Diese Variante der rechtlich konstruierten Abstammung hat nur durch den medizinischen Fortschritt und die Möglichkeit der künstlichen heterologischen Inseminati- on eine neue Qualität gefunden, mit der sich der BGH im Jahre 2015 beschäftigen musste . Unter Beibehaltung der grundrechtlichen Bewertung bejahte das Gericht auch in diesem Fall ein entsprechendes Auskunftsrecht, wobei es aber in dogmatischer Hinsicht auf die seit Jahrzehnten immer wieder gerne bemühte und bewährte Krücke der Vorschrift des § 242 BGB und den Grundsatz von Treu und Glauben zurückgreifen musste . Diese mithin festgestellte Regelungslücke ist nun konsequent und vollständig mit dem im Kurztitel als Samenspenderregister bezeichneten Gesetz normiert worden . Es beinhaltet die notwendigen Regelungen zur Datenerfassung bei der Samenspende bzw . Abgabe und die Bedingungen, unter denen und mit welchem Inhalt Auskunft über den Spender erteilt werden kann . Damit ist dem grundrechtlichen Anspruch auf Abstammungser- kenntnis ausreichend Rechnung getragen worden . Dabei wurde auch darauf geachtet, dass der Prozess der Aus- kunftserteilung wie auch der Prozess der anschließenden Kontaktaufnahme, der durchaus ein hochemotionaler Vorgang ist, in geeigneter Form begleitet und beraten werden sollte . Irritierend, aber konsequent ist die Aufbewahrungs- frist von 110 Jahren, die sich an der Lebenserwartung orientiert und alle Möglichkeiten offenlässt, auch zu einem späteren Zeitpunkt des Entstehens des Informati- onsbedürfnisses dieses zu befriedigen . Die Erfahrung hat gelehrt, dass sowohl die Entstehung als auch die Bereit- schaft zur Einholung der Abstammungsinformation fast in jeder Lebensphase entstehen kann, egal ob noch jung oder schon älter . Entscheidend ist bei der Regelung, dass durch frühzeitige Löschung der Information kein psy- chologisch problematisches Vakuum entsteht . Eine wichtige Begleitregelung ist aber auch die Fra- ge der Anordnung der Abstammung in zivilrechtlicher Hinsicht, die nur für den Fall der ärztlich unterstützten künstlichen Befruchtung unter heterologer Verwendung von Samen nach dem Samenspenderregister erfolgt und eine Feststellung als zivilrechtlicher Vater mit entspre- chenden Folgen im Unterhalts-, Sorge- und Erbrecht ausschließt . Hier geht der Gesetzgeber im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs davon aus, dass nur im Rahmen der streng normierten Spende mit begleitender und unwiderruflicher Aufklärung über das Auskunftsrecht mit der erforderlichen Sicherheit ange- nommen werden kann, dass der Spender gerade keine Verantwortung als Vater übernehmen wollte . Dies sieht die Rechtsprechung bei privaten Spenden bzw . privater Befruchtung nicht zwingend als gegeben an, weil – um mit der etwas trockenen Sprache der Juris- ten zu sprechen – Spender und Empfängerin einen mehr oder weniger engen sozialen Kontakt miteinander haben . So der BGH noch im Jahre 2013 . Das Gesetz schließt daher eine wichtige Regelungslücke und führt mit den korrespondierenden Regeln des Zivilrechts hoffentlich zu einer Verbesserung der Spenderbereitschaft, um dem Kinderwunsch ungewollt kinderloser Paare Rechnung tragen zu können . Gleichzeitig wird aber dem dringen- den Bedürfnis nach Abstammungskenntnis und damit dem Wunsch nach Identitätsfindung Rechnung getragen. Die Frage „ Wer bin ich, wo komme ich her?“ bleibt zukünftig nicht mehr unbeantwortet . Ich bitte daher um Zustimmung zu diesem Gesetz . Mechthild Rawert (SPD): Die reproduktive Medi- zin, ihre technischen Möglichkeiten und damit verbun- dene ethische Fragen und gesellschaftliche Auswirkun- gen sind zentrale gesellschaftspolitische Themen . Es geht um die Freiheit, unterschiedliche Familienformen selbstbestimmt zu gestalten und zu verantworten, es geht um die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit und um die Erfüllung im Leben . Es geht schlicht darum, dass Kinder entstehen und geborgen aufwachsen können . Es geht also um etwas sehr Lebensnahes, was die allermeis- ten Menschen zutiefst berührt . Damit hole ich weit aus . Der Regelungsinhalt des vorliegenden Gesetzentwurfs zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung bei heterologer Verwendung von Samen ist im Vergleich dazu viel spezifischer und abgegrenzter, greift aber Rege- lungen auf, die der rechtlichen Klarstellung dienen . Jeder Mensch hat das aus dem Persönlichkeitsrecht folgende Recht auf Kenntnis seiner Abstammung . Wir regeln nun, dass dieses Recht auch für Menschen gilt, die durch Samenspende gezeugt wurden. Wir schaffen zum einen die rechtlichen Voraussetzungen für die Er- richtung und Führung eines bundesweiten Samenspen- derregisters beim Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information, DIMDI . In dieser zen- tralen Datenbank werden die Daten sehr lange – 110 Jah- re – aufbewahrt . Endlich werden auch Verfahren verein- heitlicht und vereinfacht . Wir regeln aber auch, dass der Samenspender weder durch das Kind noch durch dessen Eltern als rechtlicher Vater in Anspruch genommen wer- den kann . Zwischen Samenspendern und den durch die Samenspende gezeugten Personen entstehen also keine Erbschafts- bzw . Unterhaltsansprüche . Die biologischen Spender werden entlastet, bei Wunsch des Kindes auf Kenntnis der Abstammung Verantwortung übernehmen zu müssen . Diese Rechtssicherheit führt voraussichtlich auch zu einer größeren Spendebereitschaft . Ich bin davon überzeugt: Die mit dem Gesetz hergestellte Rechtssicher- heit hilft allen, den Frauen, den biologischen Spendern, den durch Samenspende gezeugten Kindern . Dank der nun hergestellten Rechtssicherheit wird die Möglichkeit einer Kontaktaufnahme, eines Kennenlernens erleichtert . Die Notwendigkeit dieser gesetzlichen Regelungen ergibt sich aus mehreren Gerichtsurteilen . Die Urteile des Bundesverfassungsgerichts vom 31 . Januar 1998, des Oberlandesgerichts Hamm vom 6 . Februar 2013 und zu- letzt des Bundesgerichtshofs vom 28 . Januar 2015 . Die- ses Urteil stellt klar, dass durch Samenspende gezeug- te Personen unabhängig von ihrem Alter ein Recht auf Kenntnis ihrer Abstammung haben . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22323 (A) (C) (B) (D) Wie gesagt: Dieses Gesetz ist klar umrissen, es ver- folgt nicht den Anspruch einer umfassenden Regelung der vielen Fragen zum Abstammungsrecht . Dennoch stellen sich mir auch bei diesem abgegrenzten Sach- verhalt Fragen und Forderungen, die Gegenstand einer Anhörung sein sollten . Der Gesetzentwurf nimmt aus- schließlich Bezug auf die ärztlich unterstützte künstliche Befruchtung, auf die „offizielle“ Samenspende. Gerade damit haben aber lesbische oder alleinstehende Frauen ein Problem, denn ihnen wird derzeit von vielen Ärztin- nen und Ärzten, von Ärztekammern genau diese Form der Samenspende verwehrt . Ich plädiere dafür, dass für lesbische Frauen bzw . Paare oder alleinstehende Frauen die gleichen Rechte gelten wie für heterosexuelle Men- schen, wenn es um die künstliche Befruchtung geht . Ich bin der Meinung, dass eine heterologe Insemination allen offenstehen sollte. In unserer bunten Lebenswirklichkeit finden derzeit zahlreiche „private“ heterologische Inse- minationen statt . Sollen diese gesondert geregelt wer- den? Oder ist es sinnvoller, die Anreize für eine private Insemination zu reduzieren, zum Beispiel indem wir ge- setzlicherseits den Kreis derer ausweiten, die berechtigt sind, eine künstliche Befruchtung vorzunehmen, indem Ärztinnen oder Ärzte zum Beispiel lesbische Paare nicht mehr abweisen dürfen? Wir leben in einer bunten Lebenswirklichkeit mit einer Vielfalt von Familienkonstellationen . Wir leben auch mit einem enormen wissenschaftlichen Fortschritt im Bereich der Reproduktionsmedizin – und daraus fol- genden zahlreichen Fragestellungen, die vielfach noch rechtlicher Regelungen bedürfen . In der politischen und gesellschaftlichen Debatte wird dabei auch das jewei- lige Familienbild berührt . Wir wissen längst, dass die sexuelle Identität der Eltern nicht entscheidend für das Kindeswohl ist . Die Vielfalt der sexuellen Identitäten der Eltern muss aber auch beim Abstammungsrecht immer mitbedacht werden, damit keine Person, die eine Familie gründen möchte, diskriminiert wird . Ich stelle mir auch die Frage, welche Regelungen wir hinsichtlich des Rechts auf Kenntnis der Abstammung finden, wenn der biologische Spender in einer ausländi- schen Samenbank aufgeführt ist . Darf es, kann es eine Ungleichbehandlung der Rechtsfolgen für die Beteiligten zu dem beim DIMDI existierenden Samenspenderregis- ter geben? Vielleicht ist diese Frage aber auch noch nicht im Zusammenhang dieses Gesetzes zu klären . Es besteht grundlegender Reformbedarf im Abstam- mungsrecht . Um diesen Reformbedarf zu prüfen und um Lösungen vorzuschlagen, hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz im Februar 2015 den interdisziplinären Arbeitskreis „Abstammung“ ein- gerichtet . Hier sitzen Sachverständige für die Bereiche Familienrecht, Verfassungsrecht, Ethik und Medizin bzw . Psychologie zusammen mit Vertreterinnen und Ver- tretern verschiedener Bundes- und Landesministerien . Im Sommer 2017 wird es den Abschlussbericht dieser Gruppe geben . Ich bin mir sicher: Zu den Ergebnissen des sehr breiten Themen- und Regelungsbereichs Ab- stammungsrecht wird es eine intensive gesellschaftliche und politische Debatte geben – und das ist auch gut so . Schließlich erleben wir den medizinisch-technischen und gesellschaftlichen Wandel mit seinen zahlreichen Fra- gestellungen und Herausforderungen . Wir wollen aber auch sicherstellen, dass eine Geburt ein Freudenereignis ist, wollen, dass Familie mit Sicherheit und Geborgenheit verbunden wird und nicht mit drohenden Rechtsstreitig- keiten oder unklarer Zugehörigkeit . Mein Fazit: Ich begrüße den vorliegenden Gesetzent- wurf der Bundesregierung mit seinen spezifischen Rege- lungen als einen guten Aufschlag . Wir werden wie bei allen Gesetzen dazu intensive parlamentarische Beratun- gen führen . Ich bin aber schon jetzt sehr gespannt auf die große gesellschaftliche und politische Debatte, die wir nach Veröffentlichung des Abschlussberichtes des AK „Abstammung“ zu führen haben . Ich lade Sie ein: Diskutieren Sie mit uns Parlamentarierinnen und Parla- mentariern dazu . Es geht um unser aller Zusammenhalt in Vielfalt . Kathrin Vogler (DIE LINKE): Der heute vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung greift ein Anliegen auf, mit dem sich die Betroffenen immer wieder aktiv an die Politik gewendet haben: Auch Menschen, die mit einer Samenspende gezeugt wurden, haben das Recht da- rauf, ihre Abstammung zu kennen . In Deutschland wer- den jährlich etwa 1 200 Kinder nach einer heterologen Insemination, also einer Befruchtung der Frau mit Spen- dersamen, geboren . Insgesamt leben über 100 000 so ge- zeugte Menschen in Deutschland . Ihnen wird dieses Ge- setz leider nicht mehr helfen können, ihren genetischen Vater zu finden, obwohl viele dieses Bedürfnis im Laufe ihres Lebens entwickeln . Bislang werden die Daten le- diglich bei den Entnahmeeinrichtungen festgehalten . Die Suche nach der Herkunft erfordert also das Abfragen einzelner Samenbanken, in der Hoffnung, die richtige zu finden und dort auch die richtigen Daten zu erhalten, die bisher auch nur 30 Jahre aufbewahrt werden müssen . Die Idee, diese derzeit völlig zersplitterten Daten zu- künftig zentral bei einer Bundesbehörde wie dem DIM- DI, dem Deutschen Institut für Medizinische Dokumen- tation und Information, zu sammeln und bereitzustellen, löst das Problem der zersplitterten Daten für die Zukunft . Gleichzeitig muss geregelt werden, dass sich aus einer Samenspende kein Verwandtschaftsverhältnis begründet . Dieses könnte nämlich zu ziemlich schwierig zu lösen- den rechtlichen Fragen führen – zum Beispiel im Bereich des Unterhalts- und Erbschaftsrechts . Der Verein „Spenderkinder“ hat zudem darauf gedrun- gen, dass sowohl der Spender als auch die sozialen Eltern vor der Samenspende ein verpflichtendes Beratungsan- gebot erhalten, um zu verstehen, dass die Kinder später das Bedürfnis haben könnten, ihren genetischen Vater kennenzulernen, und dass ein offener Umgang mit der Art der Zeugung für die familiäre Beziehung zwischen den sozialen Eltern und dem Kind positiv sein kann . Dem kommt der Gesetzentwurf zumindest teilweise nach . Leider hat die Bundesregierung die Anregung nicht aufgegriffen, eine Möglichkeit zu schaffen, den geneti- schen Vater in irgendeiner Weise in den Abstammungs- dokumenten der Kinder zu nennen und trotzdem recht- liche Ansprüche auszuschließen . Wir werden in der Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722324 (A) (C) (B) (D) weiteren Beratung des Gesetzes prüfen, ob es nicht doch Möglichkeiten gibt, diesen Wunsch der Betroffenen zu berücksichtigen . Auch weitere wichtige Vorschläge bleiben leider un- berücksichtigt . So vermisse ich zum Beispiel eine Be- grenzung der Zahl der Kinder, die mit den Samen eines einzelnen Spenders gezeugt werden dürfen . Dieses wäre angezeigt, um zu verhindern, dass unter Umständen sehr viele genetisch verwandte Spenderkinder gezeugt wer- den, die dann ein höheres Risiko haben, unwissentlich mit einem Halbgeschwister eine Familie zu gründen, wo- durch die Kinder aus solchen Familien höheren Risiken für Erbkrankheiten ausgesetzt wären . Ebenfalls nicht nachzuvollziehen ist, dass das Regis- ter nicht auch genutzt wird, um die Daten von Zeugungen in Form einer Embryonenspende zu erfassen . Auch wenn dieses Verfahren meiner Ansicht nach nicht vereinbar ist mit dem Embryonenschutzgesetz, wird es in Deutschland dennoch angewandt . Auch diese Kinder haben das Recht, ihre Abstammung zu kennen . So ist es wohl doch so, dass die unselige Tradition fortgesetzt wird, dass die Gesetz- gebung hinter den Anforderungen neuer Techniken in der Reproduktionsmedizin herhinkt. Deswegen hoffe ich, dass wir hier im Lauf der Beratung noch zu Verbesserun- gen kommen werden . Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Wissen eines Menschen, wo sie oder er herkommt, hat eine erhebliche Bedeutung für die eigene Persönlich- keit . Geprägt wird man von den Eltern, die einen groß- ziehen . Wenn sich aber herausstellt, dass der eigene Vater nicht auch der biologische Erzeuger ist, oder wenn von vorneherein klar ist, dass die genetischen Eltern andere sind, kann dies Menschen – zumindest vorübergehend – in eine schwere Krise stürzen . Zumindest kann es den Wunsch auslösen, diesen biologischen Elternteil auch kennenzulernen . Die Rechtsprechung hat diese Bedeutung schon län- ger erkannt . Das Oberlandesgericht Hamm hat bereits im Jahr 2013 in einem richtungsweisenden Urteil den An- spruch von durch Samenspende gezeugten Kindern auf Kenntnis des Spenders anerkannt . Die Bundesregierung hat sich allerdings viel Zeit gelassen, diesen Anspruch auch in Gesetzesform zu gießen . Und sie tut es mit die- sem Gesetzentwurf auch nur halbherzig . Punkt 1: Der Anspruch auf Kenntnis der eigenen Ab- stammung besteht verfassungsrechtlich für alle Kinder, die mittels Samenspende gezeugt wurden . Der Gesetzent- wurf der Bundesregierung schafft allerdings nur Abhilfe für die Kinder, die zukünftig gezeugt werden . Alle bereits lebenden Personen werden konsequent ausgeklammert . Für sie ist die geplante Gesetzesregelung also überhaupt keine Hilfe . Sie bleiben weiterhin darauf verwiesen, sich mühsam auf dem Rechtsweg gegenüber den beteiligten Samenbanken und reproduktionsmedizinischen Zentren eine Auskunft zu erstreiten . Punkt 2: Der Vorschlag der Bundesregierung ist ver- fassungsrechtlich fragwürdig, weil er zulasten der ge- zeugten Kinder geht . Die Koalition will nämlich auf der einen Seite jegliche Vaterschaftsfeststellung im Hinblick auf den Spender ausschließen. Sie schafft aber auf der anderen Seite keine Möglichkeit für andere Personen, von Beginn an in die Rechte und Pflichten eines zwei- ten Elternteils einzutreten . Selbst wenn diese dazu bereit wären, kann der spätere Vater bzw . die spätere Co-Mutter des gezeugten Kindes nicht schon vorab als Elternteil an- erkannt werden . Der Vorschlag der Koalition nimmt da- mit dem Kind einen Unterhaltsanspruch, ohne ihm einen gleichwertigen Anspruch als Ersatz zu geben . Und dies ist auch das zentrale Manko des Gesetzent- wurfes: Die Koalition drückt sich vor der eigentlich ent- scheidenden Frage, wie familienrechtliche Konstellatio- nen in diesen Fällen geregelt werden sollen . Sie scheut davor zurück, weil sie grundsätzlich nicht weiß, wie sie mit neuen oder atypischen Familienkonstellationen um- gehen soll . Und dieses Zögern geht wieder einmal zulas- ten der betroffenen Kinder. Wir Grünen sind da schon längst weiter, auch beim Thema Samenspende . Wir haben bereits vor einem Jahr einen Antrag vorgelegt, in dem wir das neue familien- rechtliche Instrument der sogenannten Elternschafts- vereinbarung fordern . Damit wird auch dem nicht bio- logischen Elternteil ermöglicht, schon vor der Geburt in sämtliche Rechte und Pflichten einzutreten. Das Kind er- hält damit von Anfang an zwei gleichberechtigte Eltern- teile . Wie sinnvoll und wichtig eine solche Regelung ist, hat sich in der Anhörung zu diesem Antrag gezeigt . Es wird also Zeit, dass auch die Koalition dies zur Kenntnis nimmt und ihren Gesetzentwurf entsprechend verbessert . Wir sind Ihnen dabei gern behilflich. Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung raumordnungsrechtlicher Vorschriften (Tagesord- nungspunkt 36) Alexander Funk (CDU/CSU): Die geplante Ände- rung des Raumordnungsgesetzes verfolgt im Wesentli- chen drei wichtige Ziele: Erstens. Da ist zum einen die verstärkte Öffentlich- keitsbeteiligung, mit der die Bürger nun bereits deutlich früher eingebunden werden sollen, als dies bisher der Fall war . Zweitens . Darüber hinaus geht es um die Umsetzung einer europäischen Richtlinie zur maritimen Raumpla- nung . Damit ist sichergestellt, dass künftig alle EU-Län- der maritime Raumordnungspläne schaffen, so wie Deutschland dies bereits 2009 etwa für die Schifffahrt, die Offshorewindenergie oder den Umweltschutz in der Nord- und Ostsee getan hat . Dies sollen alle anderen EU-Länder in Zukunft entsprechend handhaben, und sie sollen ihre Festlegungen dann grenzüberschreitend ab- stimmen . Drittens . Dritter Punkt ist das Thema Hochwasser- schutz . Hier soll der Bund künftig die Kompetenz erhal- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22325 (A) (C) (B) (D) ten, im Bedarfsfall länderübergreifende Pläne aufzustel- len . Der Hochwasserschutz liegt ja grundsätzlich in der Kompetenz der Länder . Wenn man sich einmal die Hoch- wassersituationen der letzten Jahre genauer anschaut, so muss man feststellen, dass eine Unterstützung der Länder durch einen länderübergreifenden Schutz erforderlich und angemessen ist . So wichtig die maritime Raumplanung und ihre grenz- überschreitende Abstimmung und so notwendig der län- derübergreifende Schutz gegen Hochwasser auch sind, so unstrittig sind diese Regelungsfelder auch . In diesem Hause gibt es wohl niemanden, der den jeweils vorge- sehenen Schutzzweck der Norm auch nur ansatzweise ernsthaft bestreiten würde . Möglicherweise sieht dies be- züglich der künftig besseren Beteiligung der Öffentlich- keit bei dem einen oder der anderen schon etwas anders aus . Vergegenwärtigen wir uns noch einmal, worum es konkret geht: Es geht um eine obligatorische Öffentlich- keitsbeteiligung – einschließlich der Prüfung von Projek- talternativen – bereits im Raumordnungsverfahren . Beim Raumordnungsverfahren handelt es sich um ein frühes Stadium eines Vorhabens, genauer: um planerische Festlegungen, und eben noch nicht um konkrete Vorha- ben, sprich: Genehmigungsverfahren, Planfeststellungs- verfahren . Diese greifen erst zu einem späteren Zeitpunkt Platz . Als Beispiel: Beim Autobahnbau, der Errichtung von Schienenstrecken oder auch bei dem Projekt Stutt- gart 21 ist die Raumordnung dem Planfeststellungsver- fahren vorgelagert . Und genau hier, in diesem Stadium, soll künftig die Öffentlichkeit eingebunden werden. Wa- rum? Weil wir maximale Transparenz insbesondere bei der Durchführung von Infrastrukturvorhaben, aber etwa auch bei Geothermie-Anlagen walten lassen möchten, und zwar von Anfang an . Es gilt: Wer neue Projekte ins Auge fassen, erfolgreich planen und vor allem erfolg- reich umsetzen will, der braucht eine Bevölkerung, die diese Projekte auch mitträgt! Minister Dobrindt hat in diesem Zusammenhang vom Begriff der größtmöglichen Transparenz gesprochen. Zu Recht! Es geht um eine umfassende, vollumfängliche und damit transparente, daneben aber vor allem auch frühzeitige Information der Öffentlichkeit. Alle relevan- ten Informationen müssen der Öffentlichkeit zugänglich sein . Transparenz hat ja bekanntermaßen zwei Funktio- nen: den offenen Zugang zu Informationen und gleich- zeitig auch die Rechenschaft . Nebenbei bemerkt: Mit der frühen Information der Öffentlichkeit haben wir ja inzwischen sehr gute Er- fahrungen gemacht . Ich spreche hier von der ersten Öf- fentlichkeitsbeteiligung beim Bundesverkehrswegeplan . Dazu gab es fast 40 000 Eingaben von Bürgerinnen und Bürgern, die sich zur Hälfte per Post, zur Hälfte online geäußert haben . Dementsprechend ist es richtig, die Öf- fentlichkeit auch bei Raumordnungsverfahren in Zukunft nicht mehr außen vor zu lassen, sondern direkt einzubin- den und zu beteiligen . Mit den letzten Änderungen am Gesetzentwurf zur Änderung des Raumordnungsgesetzes, die vor der ab- schließenden Beratung im Verkehrsausschuss erfolgt sind, sollten alle Seiten gut leben können: Neben der Korrektur eines Redaktionsversehens in § 7 ROG, die der Bundesrat vorgeschlagen hatte, und einigen Folge- änderungen in den §§ 9, 15 und 17, die natürlich absolu- ter Konsens sind, sollten auch die weiteren Änderungen nicht für Probleme sorgen: Der Änderungsantrag Artikel 1 Nummer 12 § 9 Absatz 2 Satz 4 (neu) ROG entspricht einem Vorschlag des Bundesrates und steht in Zusammenhang mit einer Präklusionsregelung im Entwurf des Gesetzes zur An- passung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben . Mit der Änderung soll eine entsprechende Präklusi- onsvorschrift sowie der Hinweis auf die Präklusion im Raumordnungsgesetz normiert werden . Die Präklusions- vorschrift bei Raumordnungsplänen ist relevant, um die Auswirkungen eines Urteils des Bundesverwaltungsge- richts vom 16 . April 2015 für die Verwaltung praktikab- ler zu gestalten . Ähnlich sieht es bei dem Änderungsantrag zu Artikel 1 Nummer 13a § 10 Absatz 2 ROG aus, der auch auf einen Vorschlag des Bundesrates zurückgeht . Diese Änderung steht ebenfalls in Zusammenhang mit einer Regelung über Rechtsbehelfsbelehrungen im Entwurf des Geset- zes zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben . Die Änderung soll eine entsprechende Vor- schrift im Raumordnungsgesetz normieren und somit zu einer klaren und eindeutigen Rechtslage führen . Schließlich gibt es noch den Änderungsantrag zu Arti- kel 1 Nummer 14b § 11 Absatz 2 ROG, ebenso auf Vor- schlag des Bundesrates . Der Gesetzentwurf der Bundes- regierung würde zu einer Aufhebung des geltenden § 12 Absatz 2 ROG führen . Dieser dient jedoch der Gewähr- leistung der Rechtssicherheit und soll daher beibehalten werden . Mit dem Gesetz zur Änderung raumordnungsrechtli- cher Vorschriften soll auch § 48 Absatz 2 Satz 2 (neu) Bundesberggesetz-E geändert werden . Konkret soll hier eine Raumordnungsklausel eingeführt werden . Das heißt, auch bei Vorhaben nach dem Bundesbergrecht sind künftig die Ziele der Raumordnung zu beachten . Daraus folgt, dass auch hier der Rechtsschutz auf die planerische Ebene vorverlagert wird . Nun könnte man zu der Ansicht gelangen, eine Raum- ordnungsklausel im Bundesberggesetz hätte Konsequen- zen für die Zulassung von Rohstoffgewinnungsvorhaben in Deutschland und könnte zu verzögernden Klagen in einem frühen Stadium der Vorhaben führen . Dement- sprechend sei die Raumordnungsklausel aus dem Ge- setzentwurf zu streichen . Aber das Gegenteil ist hier zu- treffend: Eine solche Streichung würde der Intention des Gesetzgebers und damit dem Regelungszweck diametral entgegenstehen . Wie eingangs ausgeführt, kommt es uns ja gerade darauf an, die Bevölkerung von Anfang an über geplante Vorhaben zu informieren und einzubinden . Und das muss selbstverständlich auch für untertägige Projekte gelten, wenn wir es mit der Transparenz ernst meinen . Daher bitte ich um Zustimmung zu unserem Änderungs- antrag sowie zum Gesetz . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722326 (A) (C) (B) (D) Annette Sawade (SPD): Unser gemeinsamer Raum, das ist unsere Umgebung, wo wir wohnen und leben . Die Änderung des mittlerweile neun Jahre alten Raumord- nungsgesetzes von 2008 befasst sich ganzheitlich mit der maritimen sowie der untertägigen Raumplanung, mit der Mitbestimmung von Bürgern bei Großprojekten und mit den Herausforderungen des Klimawandels für unseren gemeinsamen Raum . Vier Ziele liegen der Gesetzesänderung zugrunde: erstens die Umsetzung der EU-Richtlinie 2014/89/EU zur Schaffung eines Rahmens für die maritime Raum- planung, zweitens die frühzeitige Bürgerbeteiligung bei Großprojekten sowie Prüfung von Alternativen, drittens der Hochwasserschutz und viertens die bergrechtlichen Vorschriften, die die Raumordnung gewissermaßen drei- dimensional entwickeln . Nationalen und europäischen Herausforderungen des Klimawandels können wir nur gemeinsam begegnen . Das Thema Hochwasserschutz gewinnt in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung . Wer erinnert sich nicht an Gerd Schröder in Gummistiefeln an der Elbe? Matthias Platzeck an der Oder? Und die Starkstromregenfälle aus 2016 haben erneut gezeigt, dass Flüsse nun einmal nicht an der Landesgrenze enden . Gerade meinen Wahlkreis Schwäbisch Hall – Hohenlohe hatte es mit Braunsbach, aber auch anderen Orten ganz besonders hart getroffen. Deswegen ist es gut, dass die Länder endlich beim Hochwasserschutz zusammenarbeiten müssen und der Bund die Kompetenz bekommt, bei Bedarf einen länder- übergreifenden Raumordnungsplan für den Hochwasser- schutz aufzustellen . Lassen Sie mich über den Punkt sprechen, der mir auch als Vorsitzende des Unterausschusses Kommunales besonders wichtig ist: das Mitspracherecht der Bürgerin- nen und Bürger zu Belangen der Raumordnung . „Wer an den Dingen seiner Gemeinde nicht Anteil nimmt, ist kein stiller, sondern ein schlechter Bürger“, formulierte Perikles im fünften Jahrhundert . Wir möchten, dass un- sere Bürgerinnen und Bürger mitentscheiden können, wenn unser gemeinsamer Raum neu gestaltet wird oder geschützt werden muss . Die Großprojekte in Deutschland, die verspätet und mit höheren Kosten zum Teil immer noch nicht abge- schlossen sind, haben häufig den Protest der Bürgerinnen und Bürger hervorgerufen . Und dazu muss man leider oft sagen: zu Recht! Weil unter anderem Alternativen und die dazugehörige Transparenz fehlten . Die Gesetzesänderung möchte solche Geschehnisse in Zukunft vermeiden. Die Öffentlichkeitsbeteiligung wird sogar obligatorisch . Größtmögliche Transparenz und Al- ternativplanungen zum Großprojekt, die ernsthaft in Be- tracht kommen, sollen zur Sprache gebracht werden und Gehör finden. Unsere Bürgerinnen und Bürger sollen sich aktiv an der Raumordnung beteiligen können . Dazu gehört es na- türlich auch, dass die Vorhaben von Großprojekten digi- tal veröffentlicht und kommentiert werden können. Deshalb meine Bitte auch an die Bürgerinnen und Bürger: Informieren Sie sich, was um Sie herum pas- siert! Sprechen Sie aus, wie unsere gemeinsamen Räu- me gestaltet werden sollen! Nach drei Jahren der großen Koalition – das ist schneller als die Umsetzung so man- cher Großprojekte in Deutschland –, setzen wir nun die EU-Richtlinie und weitere Änderungen am Raumände- rungsgesetz um . Sabine Leidig (DIE LINKE): Wir begrüßen es, dass nun auch für den Hochwasserschutz länderübergreifen- de Raumordnungspläne aufgestellt werden können . Hier arbeiten die Länder ja oft aneinander vorbei, auch wenn diese das offenkundig anders sehen, wie aus ihrer Stel- lungnahme hervorgeht . Die Frage ist aber, ob es einen solchen Raumordnungsplan geben wird . Für Häfen und Flughäfen ist hier bislang überhaupt nichts passiert . Auf eine schriftliche Frage von Herbert Behrens hin antwor- tete das BMVI, dass dies nicht nötig sei, weil die ver- kehrliche Anbindung von Häfen und Flughäfen durch Hafenkonzept, Flughafenkonzept und Bundesverkehrs- wegeplan ausreichend berücksichtigt seien . Diese beiden Konzepte leisteten aber eben nicht das, was man eigent- lich bräuchte, nämlich eine wirkliche Standortpriorisie- rung . Hier wird eine Chance vertan . Was für uns gar nicht geht, ist, dass der bisherige Ab- satz 6 des § 17 ersatzlos gestrichen werden soll . Hierin ist bislang die Beteiligung des Deutschen Bundestages geregelt . Ich möchte mich aber nicht selbst entmachten und kann die Begründung nicht verstehen, nach der der Deutsche Bundestag bei Rechtsverordnungen, als solche werden die Raumordnungspläne des Bundes erlassen, nicht beteiligt wird . Im Grundsatz stimmt das schon, aber bei den Verordnungen nach dem BImSchG ist das anders . Und ein Plan, der die Anbindung der Häfen und Flughäfen regelt, den muss man im Verkehrsausschuss, der ja schließlich auch den Bundesverkehrswegeplan be- schlossen hat, schon gerne beraten . Ebenso der Umwelt- ausschuss den zum Hochwasserschutz . Falls es den denn jemals geben wird . Die Frage ist eben nur, warum man diese Bundesraumordnungspläne ins Gesetz schreibt, wenn das Ministerium dann meint, man braucht die so- wieso nicht . Wir begrüßen, dass eine Öffentlichkeitsbeteiligung nunmehr – zumindest im regulären, nicht im beschleu- nigten Verfahren – vorgeschrieben ist, auch wenn dies in den meisten Ländern bereits so gehandhabt wurde . Die Begründung, dass man damit Akzeptanz für Großpro- jekte schaffen will, teilen wir aber nicht. Denn es geht nicht nur um die Akzeptanz, also das Durchsetzen von Großprojekten, sondern eben auch darum, ob eine sol- che Maßnahme überhaupt nötig ist . Immerhin sollen nun „ernsthaft in Betracht kommende Alternativen“ geprüft werden, dies schließt explizit auch solche ein, die von Teilnehmern im Beteiligungsverfahren eingebracht wur- den . Aber die Anpassung an das neue URG, die der Bun- desrat vorschlug, ist abzulehnen, weil sie Beteiligungs- rechte einschränkt . Dass die Bundesregierung den Aufbau Ost für abge- schlossen hält, in der Begründung heißt es explizit, „dass sich 26 Jahre nach der Wiedervereinigung räumliche Disparitäten … nicht mehr feststellen lassen“, ist für uns ebenfalls nicht nachvollziehbar . Es wird suggeriert, dass Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22327 (A) (C) (B) (D) es die krassen Disparitäten zwischen Ost und West nicht mehr gibt, sondern es quasi überall strukturpolitische Schwächen und Stärken gebe . Das ist aber aus unserer Sicht eben nicht der Fall, weil sich bei allen Struktur- daten wie beispielsweise Arbeitslosigkeit, Bruttoinlands- produkt, kommunale Steuereinnahmen oder FuE-Ausga- ben immer die DDR abzeichnet, weil es eben im Osten großflächig eine größere negative Betroffenheit gibt. Selbst die schwächsten Westbundesländer sind immer noch „reicher“ als die stärksten Ostländer . Bedenken haben wir wegen der neuen Bestimmungen zu Vorranggebieten . Denn hierzu heißt es in der Begrün- dung, damit kann beispielsweise „eine Siedlungsent- wicklung den Freiraumschutz ausschließen, desgleichen ein Infrastrukturausbau die Erfordernisse des Biotopver- bundes oder der vorbeugende Hochwasserschutz die Be- lange des Naturschutzes“ . Genau das wollen wir nicht . Dass quantifizierte Vorgaben zur Verringerung der Flächeninanspruchnahme als neuer Grundsatz explizit verankert werden, findet unsere Zustimmung, weil da- mit die Umsetzung des 30-Hektar-Zieles der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie unterstützt wird . Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Heute geht es um die Zukunft der Meere . In Nord- und Ostsee haben wir viele unterschiedliche Interessen, die unter einen Hut gebracht werden müssen . Es ist zu begrü- ßen, dass wir dafür jetzt einen europäischen Rahmen ha- ben . Doch wie bei allen Richtlinien, die die Europäische Union auf den Weg bringt, kommt es auch hier auf die konkrete Umsetzung an . Und ich möchte ergänzen: Es kommt auch auf den Zeitpunkt der Umsetzung an . Hier hat die Bundesregierung ein weiteres Mal geschlampt und ist eine geraume Weile im Verzug . Setzen Sie da- her die Richtlinie um – aber bitte vernünftig . Wir geben Ihnen gerne Vorschläge für eine bessere Umsetzung mit auf den Weg . Ähnlich wie an Land gibt es auch auf dem Meer viele unterschiedliche Interessen . Wir müssen einerseits un- sere Meere so weit schützen wie möglich . Wir müssen unsere artenreichen Meere auch für die folgenden Gene- rationen bewahren . Die Meere sind eine entscheidende Lebensgrundlage . Gefährden wir den guten Zustand der Meere, bringt dies vielseitige negative Auswirkungen wie eine Verstärkung des Klimawandels, Artensterben oder eine Versauerung der Meere mit sich . Die Ozeane sind daher besonders schützenswert, und es muss deren Schutz zukünftig eine deutlich höhere Bedeutung beige- messen werden . Die maritime Raumplanung kann ein Instrument sein, Nutzungsinteressen aufzuzeigen, frühzeitig dem Schutz der Meere, Ressourcen und Lebewesen einen größeren Raum zu geben und die Interessen auszugleichen . Es ist sinnvoll, frühzeitig einen Überblick darüber zu erhalten, wo menschliche Nutzung stattfindet und wie Meeres- schutz nötig und möglich ist . Der Schutz der Meere ist vielseitig . Hier geht es vor allem um die Beibehaltung einer hohen Wasserqualität, damit die Meere im ökologi- schen Gleichgewicht bleiben . Es geht außerdem um den Schutz der im Wasser lebenden Tier- und Pflanzenarten. Vor allem der Schutz der Fischbestände wird in Zukunft aufgrund drohender Überfischung einiger Arten eine gro- ße Rolle spielen . Aber es wird auch darum gehen, Gebie- te zu schützen, um Lebewesen eine Rückzugsmöglich- keit zu bieten . Wenn wir uns in Nord- und Ostsee umsehen, welche vielseitigen Nutzungsinteressen bestehen, ist eine lang- fristige maritime Raumplanung sehr wichtig . Denn der Meeresschutz steht Nutzungsinteressen von Öl- und Gas- förderungen, der Schifffahrt, dem Tourismus, der Fische- rei oder Offshorewindanlagen häufig entgegen. Manch- mal können Interessen aber auch ausgeglichen werden . Bisher spricht sich Deutschland im Rahmen seiner maritimen Raumplanung als Bund mit den Küstenlän- dern im Rahmen des Integrierten Küstenzonenmanage- ments, IKZM, einigermaßen ausreichend ab . Allerdings finden manche Planungsansätze wie Öffentlichkeitsbe- teiligung darin noch nicht ausreichend Berücksichtigung . So ist das leider auch mit dem aktuellen Gesetzentwurf . Gut gemeint, aber noch lange nicht gut gemacht . So ist im Gesetzentwurf zwar die aus der EU-Richtlinie ver- langte Öffentlichkeitsbeteiligung enthalten. Aber hier muss die Bundesregierung dringend ihre Auffassung von Öffentlichkeitsbeteiligung anpassen. Sie darf nicht so aussehen, dass zwei Wochen in einem Amt ein Ordner mit Planungsunterlagen ausliegt, zu dem in einem sehr begrenzten Zeitraum die Bürger Stellung nehmen kön- nen – und am Ende weder Lob noch Kritik Berücksich- tigung finden. Eigentlich hätte Ihnen die Öffentlichkeits- beteiligung zum Bundesverkehrswegeplan eine Lehre sein sollen . Rund 40 000 Stellungnahmen – aber kaum Einfluss der Bürger auf das Vorhaben. Am Ende war es eine Farce und das Papier nicht wert, auf dem der Bericht zur Öffentlichkeitsbeteiligung veröffentlicht worden war. Eine solche Lachnummer darf sich nicht wiederholen . Dasselbe gilt für die sogenannte Alternativenprüfung . Diese soll auch für die maritime Raumplanung vorgese- hen sein . Aber wir zweifeln stark daran, dass diese auch wirklich ernst gemeint ist . Die Erfahrungen aus dem Bundesverkehrswegeplan 2030 zeigen: Das stand nur auf dem Papier . Eine objektive Prüfung oder gar Realisie- rung tatsächlich vernünftiger Alternativen fanden nicht statt . Diese Pseudoprüfung darf sich nicht wiederholen . Diese Lehrbeispiele aus der kürzlich beendeten Auf- stellung des Bundesverkehrswegeplans 2030 zeigen: Bitte wiederholen Sie diese Fehler nicht . Denn: Wo Öf- fentlichkeitsbeteiligung draufsteht, muss auch eine ech- te Beteiligung der Öffentlichkeit drin sein. Ein simples Gehörtwerden der Bürger reicht dazu nicht . Die Bürger müssen sich sicher sein, in einem Beteiligungsprozess auch Lösungsvorschläge einbringen zu können, die ernsthaft abgewogen werden . Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722328 (A) (C) (B) (D) Änderung des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes  (Tagesordungspunkt 37) Hans-Werner Kammer (CDU/CSU): Die Moderni- sierung und insbesondere die Digitalisierung der Binnen- schifffahrt kommen voran. Der verstärkte Einsatz von Binnenschifffahrtsinformationsdiensten und vor allem der Nutzung des automatisierten Schiffsidentifikations- systems AIS auch in der Binnenschifffahrt tragen enorm zu einer Steigerung der Verkehrssicherheit auf den deut- schen Wasserstraßen bei, etwa durch eine bessere Über- wachung von Risikotransporten . Andere Maßnahmen wie der zunehmende Automatikbetrieb von Schleusen dienen der Effizienzsteigerung. Ziel dieser Optimierung des Verkehrsträgers Wasserstraße ist es, seine Attraktivi- tät zu erhöhen und so eine umweltfreundliche Verlage- rung von Transporten auf das Wasser zu erreichen . Die- se Modernisierung macht jedoch zahlreiche rechtliche Änderungen notwendig, denn technischer Fortschritt im Informationszeitalter bedeutet immer eine massive Zu- nahme der anfallenden Daten und Informationen . Gerade der Staat, in diesem Fall die Wasserstraßen- und Schiff- fahrtsverwaltung, muss damit sehr verantwortungsvoll umgehen . Daher ist eine vernünftige Rechtsgrundlage zwingend erforderlich. Diese schafft die Große Koalition mit dem vorliegenden Gesetzentwurf . Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme die Ab- schaffung des Länderfachausschusses kritisiert. Aber dieses Gremium hat seit mehr als zwanzig Jahren nicht mehr getagt . Während der gesamten WSV-Reform war bislang keine Sitzung nötig . Der Ausschuss ist absolut verzichtbar, weil sich Bund und Länder auf vielen ande- ren Wegen über die Wasserstraßen austauschen . Das wird auch in Zukunft so sein, gerade bei der von den Ländern angeführten Debatte um die Zukunft der Nebenwasser- straßen . Alle Beteiligten wissen doch, dass es hier ohne Beteiligung der Länder gar nicht zu einer Lösung kom- men kann. Die Abschaffung des Länderfachausschusses ist daher konsequent und lange überfällig . Anderen Bedenken des Bundesrates tragen wir hinge- gen mit den vom Ausschuss eingebrachten Änderungen Rechnung . Zum einen mildern wir eine unverhältnismä- ßige Härte bei der Sanktionierung von Datenschutzver- stößen durch Transportbeteiligte ab . Zweitens erschwe- ren wir Führerscheintourismus nach einem Entzug der deutschen Fahrerlaubnis . Dieses Feintuning am Entwurf ist gelungen . Ich danke den Kolleginnen und Kollegen der Koalition sowie der Grünen für die konstruktive Zusammenarbeit bei diesem Gesetz . Was die Linken bei dem Gesetz um- treibt, verstehe ich hingegen nicht . Im Ausschuss lehnen Sie, Herr Behrens, dieses Gesetz ab . Zugleich wollten Sie aber auf die heutige Aussprache verzichten? Wer ein Ge- setzesvorhaben ablehnt, sollte auch von sich aus bereit sein, das zu begründen . So werden jedoch zwei Dinge offenkundig: Erstens ist die Kritik der Linken an diesem Gesetz unberechtigt . Zweitens fehlt ihnen der Respekt für die Arbeit dieses Parlaments . Matthias Lietz (CDU/CSU): Mit der heutigen Debat- te passen wir das Binnenschifffahrtsaufgabengesetz noch einmal an die bestehende Verwaltungssituation der Was- ser- und Schifffahrtsverwaltung (WSV) an. Und das ist gut so und richtig; denn der Frühjahrsputz ist dringend nötig . Es ist höchste Zeit, den Staub wegzuwischen . Zum einem muss das Binnenschifffahrtsaufgabenge- setz eine Rechtsgrundlage für die WSV bilden, um Daten zur Erfüllung konkret benannter Verwaltungsaufgaben zu nutzen . Zum anderen muss – auch gegen den Willen der Länder – aufgeräumt und entsorgt werden . Es kann nicht angehen, dass ein Länderfachausschuss, der seit der europäischen Handelsliberalisierung 1996 nicht mehr getagt hat und mittlerweile gegenstandslos geworden ist, beibehalten wird . Das entbehrt jeder Grundlage und wi- derspricht unseren Zielen der WSV-Reform, die straffere Strukturen schaffen soll. Die jetzige Anpassung des Binnenschifffahrtsaufga- bengesetzes setzt die Reform der WSV weiter richtig um . Durch den verstärkten Einsatz von Binnenschifffahrtsin- formationsdiensten (RIS) und der Nutzungspflicht des automatischen Schiffsidentifikationssystems (AIS) wer- den durch die WSV mehr Daten verarbeitet, die nun auch für entsprechende Logistik- und Verwaltungsabläufe in der voranschreitenden Digitalisierung genutzt werden sollen . Nur so kann das Personal der Verwaltung weitaus sinnvollere Aufgaben übernehmen, als etwa Binnen- schifffahrtsstatistiken noch mit Meldungen der Primär- erhebungen zu füllen . Dies geht in vielen Fällen auch automatisiert und verringert Zeitaufwand und Kosten . Dieser Schritt war lange fällig und zeichnet ein wirt- schaftliches Entlastungspotenzial von rund 170 000 Mel- dungen oder 360 000 Euro auf . Das ist Bürokratieabbau, wie wir es im Koalitionsvertrag vereinbart haben . Das entlastet die Verwaltung, und das spart Kosten . So beantworten wir eben auch die Fragen, die wir uns zur Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung ge- stellt haben: „Welche Aufgaben müssen durch die WSV selbst wahrgenommen werden und welche nicht?“ und „Wo können Aufgaben sogar völlig entfallen?“ . Beide Fragen gehen wir mit dem Binnenschifffahrtsaufgaben- gesetz an . Wir lösen damit auch das Versprechen ein, den Betrieb von Schifffahrtsanlagen wirtschaftlicher zu gestalten, weil es eben zukünftig automatisierte und fernbediente Schifffahrtsanlagen geben wird. Und das versteht sich von selbst . Der Gesetzentwurf schafft die Grundlage für ein zu- kunftsfähiges Verkehrs-, Unfall-, Schleusen- und Lie- gestellenmanagement . So werden Sicherheit, Interoper- abilität und Effizienz des Verkehrssystems Binnenschiff bzw . Wasserstraße noch einmal deutlich erhöht . Dabei sind wir uns der Sensibilität bestimmter Daten durchaus bewusst und sorgen dafür, dass logistikrelevante Daten nicht uferlos gesammelt oder weitergegeben werden . Wir tragen dem Rechnung, indem wir die gesteigerte Schutzbedürftigkeit der betroffenen Binnenschiffer nicht gefährden und die Privatsphäre der zahlreichen Partiku- liere schützen, bei denen das Schiff als Wohn- und Ar- beitsstätte gleichermaßen den Lebensmittelpunkt von Fa- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22329 (A) (C) (B) (D) milien bildet . Und diesen Schutz behalten wir nicht nur in der Datenübermittlung bei, sondern weiten ihn auch auf das Fahrerlaubnisregister aus . Ein Riegel wird somit dem Führerscheintourismus mit ausländischen Fahrerlaubnissen vorgeschoben . Denn der Gesetzentwurf sieht vor, die Löschungsregel des künftig zentralen Fahrerlaubnisregisters für Befähigungszeug- nisse zu präzisieren . Deutsche Fahrerlaubnisse werden nicht schon bei Entzug, sondern erst drei Jahre später aus dem zentralen Register gelöscht . Damit können Zuwider- handlungen bei Routinekontrollen aufgedeckt werden, und so erschweren wir die Nutzung von ausländischen Fahrerlaubnissen, die das Fahrverbot unerlaubterweise umgehen könnten . Und das schafft bereits heute Fakten. Wir bleiben für eine zukunftsfähige, digitalisierte Binnenschifffahrt am Ball, und wir werden für eine straffere Wasser- und Schifffahrtsverwaltung weiter den Staubwedel schwin- gen . Gustav Herzog (SPD): Die Digitalisierung hat auch vor der Binnenschifffahrt nicht Halt gemacht. Be- reits heute fallen auf unseren Bundeswasserstraßen in zunehmenden Mengen Telematikdaten an und machen eine gesetzliche Regelung für ihre Nutzung dringend notwendig . Im Gesetzgebungsverfahren wurden in der Abwägung einzelner Regulierungsbereiche aber auch ernstzunehmende Interessengegensätze insbesondere zur Nutzung der Daten deutlich . Inwieweit können sich personenbezogene Daten ableiten, und in welchem Maße dürfen die Daten zur polizeilichen Verfolgung von Straf- taten und Ordnungswidrigkeiten herangezogen werden? Diese Fragen wurden kontrovers diskutiert und heute beraten wir abschließend in zweiter bzw . dritter Lesung das Dritte Gesetz zur Änderung des Binnenschifffahrts- aufgabengesetzes . Binnenschifffahrtsinformationsdienste wie der RIS, River Information Service, oder die Einführung der Nut- zungspflicht des automatischen Schiffsidentifikations- systems AIS generieren mittlerweile erhebliche Daten- mengen . In erster Linie dienen sie zwar der Sicherheit und Erleichterung des Schiffsverkehrs, können aber auch zur Verbesserung der Interoperabilität und Effizienz des gesamten Verkehrssystems Wasserstraße herangezogen werden. Die zugrundeliegenden Daten können die Effi- zienz von Logistikketten verbessern und die Verwaltung des Schiffsverkehrs deutlich erleichtern. Daten fallen hierbei nicht nur auf den Schiffen und in den Häfen, bei Logistikpartnern und bei der Passa- ge von Schleusen an, sie fließen vor allem auch bei der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes, WSV, zusammen. Mit der Änderung des Binnenschiff- fahrtsaufgabengesetzes erlauben und regeln wir die Er- hebung, Verarbeitung und Nutzung dieser Daten durch die bundeseigene Verwaltung . Dabei gehen wir über die rein statistische Auswertung hinaus und schaffen unter anderem auch die Voraussetzungen für ein optimiertes Verkehrs-, Unfall-, Schleusen- und Liegeplatzmanage- ment. Die Effizienz unserer Infrastruktur wird dadurch erheblich aufgewertet . Ein wichtiger und ernsthaft diskutierter Punkt war das Ausmaß der Weitergabe dieser Daten, deren Auswertung und Verwendung durch Dritte in der Logistikkette, wie zum Beispiel an die Hafenbetreiber . Als Teil der Lösung haben wir die Datenweitergabe mit strikten Regeln, Spei- cherfristen und Löschpflichten sowie mit einem ange- messenen Sanktionierungsmechanismus bei Missbrauch versehen . Das dient insbesondere dem Schutz personen- bezogener Daten, die aus den Datenströmen abgeleitet werden können . Die SPD-Bundestagsfraktion stimmt dem Gesetzent- wurf der Bundesregierung mit Änderungen zu, wird aber insbesondere diesen Bereich zum Schutz persönlicher Daten intensiv begleiten und auch zukünftig aufmerksam beobachten . Herbert Behrens (DIE LINKE): Wie auf hoher See werden auch in der Binnenschifffahrt größere und schnel- lere Schiffe eingesetzt. Das stellt erhöhte Anforderungen an die Wasserstraßen . Niedrigwasser, Hochwasser oder Eisgang führen gerade für größere Schiffe zu erheblichen Einschränkungen der Schiffsauslastung und der Fahrten- planung . Um optimal mit diesen Einschränkungen umzu- gehen, setzen Binnenschiffer in Europa zunehmend Tele- matiksysteme, die in die sogenannte River Information Systems, RIS, europaweit harmonisiert wurden, ein . Zu- dem wird mit der nach dem vorliegenden Gesetzentwurf verpflichtenden Nutzung des Automatic Identification System, AIS, die Verkehrssicherheit verbessert . Über das AIS vermitteln Schiffe unter anderem Position, Kurs und Geschwindigkeit sowie weitere Daten an andere Schiffe und an die Schifffahrtsbehörden. Dies dient vor allem der Vermeidung von Kollisionen . So weit, so gut . Es ist nichts dagegen einzuwenden, dass mit der Änderung des Binnenschifffahrtsaufgaben- gesetztes eine Rechtsgrundlage für die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung zum Erheben, Verarbeiten und Nutzen von Daten zur Optimierung und Sicherung der Schifffahrt geschaffen wird. Doch ein Aspekt der Geset- zesänderung ist sehr kritisch zu sehen . Denn die Ände- rung schreibt auch eine „vermehrte Automatisierung von Schifffahrtsanlagen“ vor und schafft dafür einen weiteren rechtlichen Rahmen . Das Ziel dabei ist, und ich zitiere, „den Betrieb der Schifffahrtsanlagen wirtschaftlicher zu gestalten“ . Und „wirtschaftlicher“ heißt auch in diesem Fall: mit weniger Personal . Der Schleusenwärter vor Ort soll von einem Kollegen, der aus weiter Ferne bis zu zehn Schleusen gleichzeitig von einer Leitzentrale heraus be- dient, ersetzt werden . Da zeigt sich der neoliberale Geist der WSV-Reform in der Urfassung von Peter Ramsauer . Die Automatisierung der Schleusen ist bereits in vollem Gange . Die Schleusen der Mittelweser, die Mindener Schleusen und die Schleusen am Stichkanal Osnabrück werden künftig von einer Fernbedienzentrale in Minden aus bedient und überwacht . Die Schleusen Petershagen und Schlüsselburg wurden bereits im März 2004 an die Fernbedienzentrale angeschlossen . Seit 2005 werden die Schleusen Landesbergen und Drakenburg ferngesteu- ert . Die Anbindung der Schleuse Langwedel ist im Sep- tember 2010 erfolgt . 2015 hat Staatssekretär Ferlemann angekündigt, dass alle Schleusen an der Oberen Ha- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722330 (A) (C) (B) (D) vel-Wasserstraße automatisiert werden . Auch am Main, Donau und Main-Donau-Kanal sind 52 Schleusen längst automatisiert und werden aus einer Entfernung von bis zu 120 Kilometern gesteuert . Das Ganze findet nicht in einem luftleeren Raum statt. Die Kollegen der WSV sind schon Jahrzehnte dauerhaf- tem Personalabbau ausgesetzt . Seit 1993 wurde jede drit- te Stelle bei der WSV abgebaut . Ausscheidende Kollegin- nen und Kollegen wurden nicht ersetzt . Auszubildende wurden nach ihrem Abschluss nicht übernommen . Nur unter dem Druck der Belegschaften ist es im Jahr 2013 gelungen, den weiteren Personalabbau, der bereits an den Kern der Verwaltung ging, zu beenden, um die krassesten Folgen der Kahlschlagpläne abzuwehren . Die Schleusenautomatisierung führt zu langsameren Schleusungen, was auf häufiger befahrenen Wasserstra- ßen leicht zu Staus führen kann . Nach Angaben der WSV verlängert sich ein Schleusenvorgang sogar nach Ablauf- optimierung um drei bis vier Minuten gegenüber einer Schleusung mit Bediener . Der bis 2015 amtierende Leiter des WSA Eberswalde Heymann bestätigte dies gegen- über dem „Nordkurier“: „Es ist einfach so, dass ein Wär- ter die Boote sprichwörtlich besser stapeln kann .“ In dem Artikel vom 18 . August 2014 bemängelte Heymann den Personalabbau, der verhindert, dass Schleusen durchgän- gig mit Wärtern betrieben werden, und fügt hinzu: „Das ist letztlich von der Politik so gewollt .“ Auch was die Sicherheit angeht, führt die Schleusen- automatisierung zu Problemen . Wenn eine Schleusung schiefgeht, müssen die Leitzentralen erstmal Rettungs- kräfte, die nicht für den Umgang mit Schiffen ausgebil- det sind, zur Hilfe rufen . So blieb an der Schleuse Leh- men im Mai 2016 ein Sportboot mit dem Heck auf dem Betondrempel unterhalb des Oberwassertores hängen, während das Wasser abgesenkt wurde . Weil kein Schleu- senwärter vor Ort war, der den Unfall hätte verhindern können, mussten 40 Feuerwehrleute aus Lehmen, Bro- denbach und Kobern-Gondorf zur Rettung anrücken . Genau diese Schieflage wollen Sie, Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, zum neuen Standard machen . Die Digitalisierung darf nicht für die verfehlte Spar- politik von Union, SPD und Grünen auf Kosten der Beschäftigten und der Sicherheit auf den Wasserstra- ßen missbraucht werden . Deswegen können ich und die Fraktion Die Linke dem vorliegenden Änderungsentwurf sowie dem Änderungsantrag nicht zustimmen . Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit der vorgesehenen Gesetzesänderung soll eine Rechtsgrundlage für die Bundesverwaltung geschaffen werden, auch sogenannte AIS-Daten der Binnenschif- fe zu nutzen . Dies ist sinnvoll und begrüßen wir . Denn dadurch wird eine bessere Bewältigung des Verkehrs möglich, aber auch eine bessere Steuerung oder sogar Optimierung des Verkehrs auf Binnenwasserstraßen . Die Erfassung der automatisch gesendeten Daten auch durch die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung, WSV, ist längst nötig geworden in einer Zeit, in der zunehmend Informationen digitalisiert übermittelt werden . Dem Ge- setzentwurf werden wir daher zustimmen . Dazu sollen aber meiner Auffassung nach zukünftig auch Schiffsdokumente in der Binnenschifffahrt zählen. In der Seeschifffahrt hat teilweise der Prozess schon in Richtung digitalisierte Schiffs-, Besatzungs-, Fracht- oder Zollpapiere begonnen – Stichwort European Single Maritime Window . Dieser Prozess muss sich auch in der grenzüberschreitenden Binnenschifffahrt durchsetzen. Das würde die Nutzung des Binnenschiffs enorm verein- fachen und Verwaltungsprozesse beschleunigen . Bringen Sie also die WSV als Dienstleister für die Binnenschiff- fahrt auf Vordermann, und modernisieren Sie bei dieser Gelegenheit auch die Verwaltungsprozesse . Es wird ja viel gesprochen von Verwaltungsverein- fachung und -modernisierung . Wo bleibt in diesem Zu- sammenhang die im Koalitionsvertrag angekündigte Zusammenführung der Schifffahrtsgesetze zu einem Schifffahrtsgesetzbuch? Die vielen verstreuten Gesetze und Verordnungen, die oft zu deutlich ins Detail gehen, lassen die Beteiligten schnell verzweifeln . Ich empfehle daher: Nehmen Sie von der unvorteilhaften Regelungs- tiefe in Gesetzen und Verordnungen Abstand . Regeln Sie stattdessen die Details auf der Ebene der technischen Vor- schriften . Als Vorbild einer solchen Entwicklung nenne ich exemplarisch das Vorgehen bei der EU-Maschinen- richtlinie . Hier wurde das sehr gut und nachvollziehbar vollzogen . Führen Sie also schleunigst die bestehenden Regularien in einem Schifffahrtsgesetzbuch zusammen, und nehmen Sie tiefergehende Regelungen ausschließ- lich in Form von Richtlinien vor . Lassen Sie mich abschließend noch eine Frage stel- len: Wann wird die Bundesregierung an der Umsetzung der WSV-Reform eigentlich weiterarbeiten? Seit Beginn der Wahlperiode wurde auf Druck der SPD die Arbeit an einer sehr wichtigen Reform fast vollständig eingestellt . Man hat in Bonn eine zusätzliche Behörde geschaffen, die aber weder richtig in Gang kommt noch Erleichte- rungen für die Nutzer mit sich bringt . Das eigentliche Ziel, durch eine Reform als Verwaltung besser und lö- sungsorientierter arbeiten zu können – und dadurch dem miserablen Zustand der Schleusen entlang der Wasser- straßen ein Ende zu setzen, wurde nicht erreicht . Bei der Binnenschifffahrt ist die Reform nicht angekommen. Sie hat weiterhin mit maroden Schleusen zu kämpfen . Sie sollten die WSV eigentlich als Dienstleister für die Wasserstraßennutzer sehen. Stattdessen pflegen Sie die kaiserlich-wilhelminische Amtsschimmelstruktur weiter . Das ist schlecht für unser Land und gegen eine ökolo- gisch sinnvolle Verlagerung der Gütertransporte auf das Binnenschiff. Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22331 (A) (C) (B) (D) des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten (Ta- gesordnungspunkt 38) Dr. Silke Launert (CDU/CSU): Jedem Menschen steht es grundsätzlich selbst zu, über die eigene Gesund- heit „nach eigenem Gutdünken“ – wie der Bundesge- richtshof es formuliert hat – zu entscheiden . Das ist richtig so und deshalb auch verfassungsrecht- lich garantiert . Ärzte können daher Eingriffe, selbst wenn sie medi- zinisch angezeigt sind, grundsätzlich nicht vornehmen, ohne vorab eine Einwilligung der Patientin oder des Pa- tienten eingeholt zu haben . Fehlt die Einwilligung, kann sich der Arzt wegen einer Körperverletzung nach dem Strafgesetzbuch strafbar machen . Bei Menschen, die psychisch krank sind oder denen aus einem anderen Grund die Einsichtsfähigkeit fehlt, ist das anders . Wenn sie nicht erkennen, dass ihre Ge- sundheit auf dem Spiel steht und sie sich deshalb einem ärztlichen Eingriff verweigern, können sie einer medizi- nischen Zwangsbehandlung unterzogen werden . Da es sich hierbei um einen erheblichen Grundrechts- eingriff handelt, sind solche Zwangsmaßnahmen jedoch nach geltendem Recht nur in ganz engen Grenzen zuläs- sig . Insbesondere muss sich die Patientin oder der Patient aufgrund eines Gerichtsbeschlusses in einer freiheitsent- ziehenden Unterbringung befinden. Nur dann kann der Betreuer einer solchen Maßnahme zustimmen und sie dann durch das Gericht genehmigen lassen . So sieht es das Gesetz vor . Doch was ist in den Fällen, in denen nicht einsichts- fähige Patienten nicht freiheitsentziehend untergebracht sind? Und wenn diese Unterbringung auch gar nicht nö- tig ist, weil er oder sie weder in der Lage noch willens ist, sich durch Flucht zu entfernen? Wenn also beispielsweise eine psychisch schwer kran- ke und deshalb betreute Frau querschnittsgelähmt ist und man dann bei ihr ein Herzleiden feststellt; wenn dieses Leiden dringend eine OP erfordert, die Frau sich aber ve- hement weigert, sich der OP zu unterziehen, was dann? Nach aktueller Rechtslage können hier tatsäch- lich zwangsweise keine medizinischen Behandlungen durchgeführt werden . Im schlimmsten Fall drohen also schwerwiegende gesundheitliche Schäden, wenn nicht gar der Tod . In einem ähnlich gelagerten Fall hat das Bundesver- fassungsgericht im Juli des vergangenen Jahres klarge- stellt, dass der Staat auch in solchen Fällen einzugreifen hat. Er habe hier ebenso eine Schutzpflicht, die sich aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrt- heit ergibt . Mit anderen Worten: Wenn der Mensch nicht in der Lage ist, sich selbst zu schützen, dann obliegt es dem Staat, für ihn schützend einzugreifen . Die gesetzliche Lücke, die das Bundesverfassungsge- richt an dieser Stelle offenbart hat, wollen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nun schließen . Der Entwurf sieht daher vor, dass die Einwilligung ei- nes Betreuers in eine ärztliche Zwangsmaßnahme künftig von der freiheitsentziehenden Unterbringung entkoppelt wird . Die freiheitsentziehende Unterbringung soll nicht mehr zwingende Voraussetzung sein . Stattdessen wollen wir als Voraussetzung, dass die Maßnahme im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus, in dem die gebotene medizinische Versorgung des Betreuten einschließlich einer erforder- lichen Nachbehandlung sichergestellt ist, durchgeführt wird . Damit lassen sich die Behandlungen dann auch auf offenen Stationen durchführen, eben weil die freiheits- entziehende Unterbringung gerade nicht notwendig ist, und ambulante Zwangsbehandlungen bleiben weiterhin ausgeschlossen . Im Übrigen belassen wir es in diesem Entwurf bei den strengen materiellen und verfahrensrechtlichen Zu- lässigkeitsvoraussetzungen . Und das muss auch so sein, denn vor dem Hintergrund des schwerwiegenden Grund- rechtseingriffs darf die Zwangsmaßnahme auch nach der Neuregelung wirklich nur Ultima Ratio sein, also das letzte anzuwendende Mittel . Um dies zu untermauern, wollen wir außerdem eine neue Regelung einführen, mit der klargestellt wird, dass auch bei Zwangsmaßnahmen die Vorschrift des § 1901 a BGB zu beachten ist . Demnach wird ausdrücklich vorausgesetzt, dass Be- treuer und Betreuungsgerichte bei der Entscheidung „Zwangsmaßnahme oder nicht“ stets die in einer Patien- tenverfügung getroffenen Festlegungen berücksichtigen. Sollte eine Patientenverfügung nicht vorliegen oder die dort zum Ausdruck gebrachten Erklärungen nicht der ak- tuellen Behandlungssituation entsprechen, dann müssen die Behandlungswünsche und der mutmaßliche Wille des Betreuten zur Grundlage der Entscheidung gemacht wer- den . Darüber hinaus wollen wir als Regelverpflichtung für Betreuer einführen, dass diese in geeigneten Fällen die Betreuten auf die Möglichkeiten der Patientenverfügung hinweisen und sie gegebenenfalls bei der Errichtung un- terstützen . In meinem oben gebildeten Fall wäre der Betreuer also dann dazu aufgefordert, die Frau auf die Möglichkeit ei- ner Patientenverfügung hinzuweisen, wenn sie sich gera- de in einem Zustand der Einwilligungsfähigkeit befindet. Das Ziel dieser Regelungen und des Gesetzentwurfs insgesamt ist ganz klar, Zwangsbehandlungen möglichst zu vermeiden . Sie müssen das letzte Mittel bleiben . Glei- chermaßen wollen wir mit diesem Gesetz das Selbstbe- stimmungsrecht des Einzelnen stärken und die Verbrei- tung von Patientenverfügungen fördern . Ich denke, das sind wirklich wichtige Anliegen, und ich denke, wir können sie mit diesem Gesetzentwurf um- setzen . Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU): Am 1 . Ja- nuar 1992 trat das Betreuungsrecht in Kraft . Damals, vor Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722332 (A) (C) (B) (D) inzwischen 25 Jahren, wurde aus Vormundschaft Betreu- ung, aus Entmündigung eine unterstützte Entscheidung des Betroffenen. Das Gesetz brachte für alle Menschen, die ihre Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht mehr selbst regeln können und deshalb auf die Hilfe anderer angewiesen sind, entscheidende Verbesserungen mit sich: Es hat die Selbstbestimmung jedes Einzelnen ge- stärkt . Ein großer Schritt für unsere Gesellschaft . Trotzdem liegt auch heute noch ein gutes Wegstück vor uns . Das Betreuungsrecht hat sich in den vergangenen Jahren wei- terentwickelt, es wurde mehrfach umfassend reformiert und modernisiert, so wie im Jahre 2013 mit dem Gesetz zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme . Der uns heute vorliegende Gesetzentwurf der Bun- desregierung knüpft genau an diese Reform an . Mit der geplanten Änderung soll eine durch das Bundesverfas- sungsgericht im letzten Jahr festgestellte Regelungslücke geschlossen werden . Bitte stellen Sie sich folgende Situation vor: Ein Mensch, der beispielsweise infolge einer Altersdemenz unter rechtlicher Betreuung steht und nicht mehr fähig ist, über seine medizinische Behandlung selbst zu ent- scheiden, muss gegen seinen natürlichen Willen ärztlich behandelt werden . Ohne Behandlung würde ihm ein ernsthafter gesundheitlicher, lebensbedrohlicher Scha- den entstehen . Bislang, nach geltender Rechtslage, dürfte dieser Mensch aber nur dann gegen seinen Willen behan- delt werden, wenn er durch einen Gerichtsbeschluss in einer geschlossenen Einrichtung untergebracht ist . Es gibt aber auch Situationen, und darauf basiert die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, in denen eine solche freiheitsentziehende Unterbringung nicht angeordnet werden darf. Dies betrifft nach geltender Rechtslage Personen, die sich freiwillig in einer Klinik befinden oder sich krankheitsbedingt räumlich nicht entfernen können . Folglich können sie nicht ärztlich zwangsweise behandelt werden, selbst dann nicht, wenn sie lebensbedrohlich erkrankt sind . Das ist das Dilemma, das es zu beseitigen gilt . Deswegen begrüßen wir den Gesetzentwurf der Bun- desregierung, der nicht nur diese Schutzlücke schließt, sondern überdies das Selbstbestimmungsrecht der Be- treuten weiter stärkt . Der Entwurf sieht konkret vor, dass zukünftig eine zwangsweise medizinische Behandlung nur dann zuge- lassen werden kann, wenn sich der Betreute stationär in einem Krankenhaus aufhält . Der Entwurf spricht an dieser Stelle von einer „Entkopplung“ der ärztlichen Zwangsbehandlung von der freiheitsentziehenden Unter- bringung . Ich gebe zu, es ist eine komplizierte Thematik . In aller Kürze lässt sich der Kerninhalt der geplanten Regelung folgendermaßen verständlich zusammenfassen: Künf- tig sollen ärztliche Zwangsbehandlungen nicht nur auf geschlossenen Stationen eines Krankenhauses, sondern nun auch auf offenen Stationen in einem Krankenhaus möglich sein . Ganz wichtig zu erwähnen ist, dass der Gesetzentwurf keine Ausweitung auf ambulante ärztliche Zwangsbe- handlungen vorsieht . Das begrüße ich . Auch wenn ich die Argumentation vieler nachvollziehen kann, die sich für ambulante zwangsweise Behandlungen aussprechen, empfinde ich den Weg des stationären Aufenthalts im Krankenhaus als den richtigen . Denn wir dürfen hierbei Folgendes nicht außer Acht lassen: Wir bewegen uns bei dieser Thematik in einem grundgesetzlichen Spannungs- verhältnis . Zwangsbehandlungen greifen mit einer sehr hohen Intensität in die Grundrechte des Betreuten ein . Sie sollten also nur als letztes Mittel angeordnet werden dürfen, wenn die drohende Gefahr besteht, dass der Pati- ent einen erheblichen gesundheitlichen Schaden erleiden könnte . Ich verstehe den Einwand und die damit zusammen- hängenden Bedenken, dass Betroffene, die beispielswei- se in speziellen Pflegeheimen leben, aus ihrer gewohnten Umgebung „herausgerissen“ und in ein Krankenhaus verlegt werden müssen, um medizinische Hilfe zu be- kommen . Mit dem Ausschluss ambulanter Zwangsbe- handlungen stellen wir aber sicher, dass den Betroffenen einerseits die erforderliche medizinische Nachbehand- lung zukommt und andererseits, dass ihr Wohn- und Le- bensbereich nicht durch ärztliche Zwangsmaßnahmen beeinträchtigt wird . Zurückkommend auf den Anfang meiner Rede möch- te ich nochmals den Meilenstein erwähnen, den wir vor 25 Jahren erreicht haben . Damals hat der Gesetzgeber das Selbstbestimmungsrecht von betreuten Personen maßgeblich gestärkt . Der uns heute vorliegende Gesetz- entwurf rückt die Selbstbestimmung weiter in den Vor- dergrund . Patientenverfügungen, Behandlungswünsche, die jemand vor der Erkrankung mit seinem freien Willen geäußert hat, und auch der mutmaßliche Wille der Be- treuten sollen mehr Beachtung finden. Dies wird nun im Gesetz klargestellt . Im Sinne der Selbstbestimmung, und das ist besonders wichtig, will der Gesetzentwurf das Instrument der Pa- tientenverfügung weiter verfestigen und damit ärztliche Zwangsbehandlungen auf das unbedingt erforderliche Maß begrenzen . Das Aufgabenfeld des rechtlichen Be- treuers wird dadurch verpflichtend erweitert. Zukünftig müssen Betreuer Betroffene über die Patientenverfügung aufklären und diese auf Wunsch der Betreuten in geeig- neten Fällen schriftlich fixieren. Der Gesetzentwurf weitet damit außerdem den Aufga- benbereich der Beratungsleistung der Betreuungsvereine aus . Diese Aufgabenerweiterung unterstreicht die in den letzten Jahren wahrgenommene Tendenz eines gestie- genen Arbeitsaufkommens bei den Betreuungsvereinen . Auch vor diesem Hintergrund erscheint die Anhebung der Betreuervergütung, die derzeit als paralleles Gesetz- gebungsverfahren hier im Deutschen Bundestag disku- tiert wird, als wichtiger Bestandteil eines funktionieren- den und qualitativ hochwertigen Betreuungswesens . Der Gesetzentwurf bietet also meiner Meinung nach eine gute Grundlage für die weitere parlamentarische De- batte, in der wir insbesondere die Praktikabilität dieser Änderung prüfen werden . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22333 (A) (C) (B) (D) Dr. Matthias Bartke (SPD): Das Gesetz, über das wir heute erstmals beraten, ist das Resultat des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 26 . Juli 2016 . Der Fall, der hinter diesem Beschluss steht, macht uns nach- denklich . Wann ist ein Wille nicht mehr frei? Welche Rolle kann ein Wille noch spielen, wenn der Betroffene nicht mehr einsichtsfähig ist? Im Ausgangsverfahren ging es um eine 63-jährige Frau, die psychisch schwer erkrankt war – eine Mischung aus Schizophrenie, Manie und Depression . Eine Autoim- munkrankheit führte zusätzlich zu großflächigen Hautau- sschlägen und massiver Muskelschwäche . Im Zuge der Behandlungen wurde dann auch noch Brustkrebs festge- stellt . Die erkrankte Frau aber war gegen eine Operation wie auch gegen Bestrahlung . Ihre rechtliche Betreuerin beantragte deswegen ärztliche Zwangsmaßnahmen zur Behandlung des Brustkrebses . Es war klar: Ohne ärzt- liche Maßnahmen würde sich der Krebs ausbreiten und letztlich zum Tod der Patientin führen . Zwangsbehandlungen sind bei psychisch Kranken grundsätzlich möglich . Sie stehen aber zu Recht un- ter sehr engen Voraussetzungen . Dazu zählt, dass nur zwangsbehandelt werden darf, wer auch zwangsunter- gebracht ist . Diese Zwangsunterbringung hatten die Gerichte bei der 63-Jährigen aber abgelehnt . Die Frau war nämlich so krank und schwach, dass sie nicht mehr weglaufen konnte . Damit erübrigte sich die Zwangsun- terbringung und damit auch die Zwangsbehandlung . Der Fall ging durch die Instanzen und landete schließ- lich vor dem Bundesverfassungsgericht, das sich mit der Frage befasste: Muss man Bürger vor sich selbst schüt- zen? Im Juli letzten Jahres hat es die Antwort darauf ge- geben: Unter bestimmten Umständen: Ja . Die geltende Rechtslage bestimmt Folgendes: Hilfsbe- dürftige Menschen, die stationär in einer nicht geschlos- senen Einrichtung behandelt werden und sich nicht aus eigener Kraft fortbewegen können, dürfen notfalls auch gegen ihren natürlichen Willen nicht ärztlich behandelt werden . Das Bundesverfassungsgericht hat beschlossen: Diese Rechtslage verstößt gegen die Schutzpflicht aus Artikel 2 Absatz 2 GG . Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit . Das Recht zur Selbstbestimmung umfasst grundsätz- lich auch das Recht auf Krankheit . Der Patient kann Ent- scheidungen treffen, die anscheinend unvernünftig sind. Wenn ich eine lebenserhaltende Therapie ablehne und mich zum Sterben entschließe, ist das Ausdruck meiner Selbstbestimmung . Die Voraussetzung dafür ist aber mein freier Wille . Manche Betreute können keinen freien Wil- len mehr bilden . Wegen ihrer psychischen Erkrankung oder wegen einer seelischen oder geistigen Behinderung können sie die Notwendigkeit einer ärztlichen Behand- lung nicht erkennen, oder aber sie können nicht nach dieser Einsicht handeln . So kann eine schwere Demenz eine Person nicht verstehen lassen, dass eine Operation lebensrettend ist . Halluzinierte Befehle zur Selbsttötung können die Selbstbestimmungsfähigkeit aufheben . Eine schwere Depression kann dazu führen, dass der Erkrank- te keine Entscheidung mehr treffen oder zum Ausdruck bringen kann . Es liegt ein großer Unterschied zwischen einer frei- en Entscheidung und einer Entscheidung, der es an Ein- sichtsfähigkeit fehlt . Lehne ich eine Chemotherapie ab, weil ich die Qualen der Behandlung bei unsicheren Hei- lungschancen nicht in Kauf nehmen will und akzeptiere ich im Gegenzug meinen Tod, oder lehne ich die Chemo- therapie ab, weil mir die Behandlung qualvoll erscheint und ich nicht begreife, dass ich ohne sie auf jeden Fall an dem Krebs sterben werde? Doch auch wenn Patienten die Konsequenzen ihrer Weigerung nicht abschätzen können, so haben sie doch einen natürlichen Willen . Wegen des verfassungsrecht- lich verbürgten Selbstbestimmungsrechts ist auch dieser Wille grundsätzlich zu beachten. Ein Eingriff in dieses Recht muss auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen und verhältnismäßig sein . Ein Handeln gegen den natür- lichen Willen lässt sich nur rechtfertigen, wenn es ande- ren, gewichtigeren Rechtsgütern dient . Bereits in der letzten Legislatur hat der Bundestag ein Gesetz zur Regelung der ärztlichen Zwangsmaßnahmen beschlossen . Nach der bis dahin geltenden Rechtspre- chung des Bundesgerichtshofs wurde die gesetzliche Re- gelung im Paragrafen zur freiheitsentziehenden Unter- bringung gesehen . 2012 entschied der Bundesgerichtshof dann aber, dass diese Regelung nicht ausreichend war . Damit gab es keine Zwangsbefugnisse zur Durchsetzung notwendiger medizinischer Maßnahmen mehr. Betroffe- nen drohte ein schwerwiegender gesundheitlicher Scha- den oder sogar der Tod . Der Bundestag beschloss daher ein neues Gesetz, dass die bis dahin geltende Rechtslage möglichst nah abbildete . Dazu zählte, dass eine Zwangs- behandlung nur im Rahmen einer Unterbringung erfol- gen kann . Wie die Unterbringung bedurfte damit auch die Zwangsbehandlung der gerichtlichen Genehmigung und unterlag denselben strengen verfahrensrechtlichen An- forderungen . Die Regelung sollte ganz bewusst nur für untergebrachte Personen gelten, um den Grundrechtsein- griff möglichst zu minimieren. Auch die SPD-Fraktion hat daher diesem Gesetz zugestimmt . Tatsächlich führ- te diese Regelung nun aber zu der paradoxen Situation, dass Betroffene untergebracht werden müssen, damit sie zwangsbehandelt werden können . Das Bundesverfas- sungsgericht hat uns die Hausaufgabe mit auf den Weg gegeben, die festgestellte Schutzlücke unverzüglich zu schließen . Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht . Der Gesetzentwurf liegt nun vor . Die Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme wollen wir von der freiheitsentziehenden Unterbringung entkoppeln . Ärztliche Zwangsmaßnahmen werden statt- dessen an das Erfordernis eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus gebunden . Die materiellen Zu- lässigkeitsvoraussetzungen für die Einwilligung bleiben ansonsten erhalten . Das Gleiche gilt auch für die stren- gen verfahrensrechtlichen Anforderungen . So muss die ärztliche Zwangsmaßnahme zum Wohl des Betreuten notwendig sein, um einen drohenden erheblichen ge- sundheitlichen Schaden abzuwenden . Der Betreute muss einwilligungsunfähig sein . Ein in einer Patientenverfü- gung zum Ausdruck gebrachter oder mutmaßlicher Wille des Betreuten darf der Zwangsmaßnahme nicht entge- genstehen . Es muss – ohne Druck und mit der notwendi- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722334 (A) (C) (B) (D) gen Zeit – mindestens ein Überzeugungsversuch gemacht worden sein . Der drohende gesundheitliche Schaden darf durch keine andere weniger belastende Maßnahme abgewendet werden können . Außerdem muss der zu er- wartende Nutzen die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegen . Vor allem mit dem Verweis auf die Patientenverfü- gung bzw . den mutmaßlichen Willen wird klargestellt, dass der Wille des Betreuten unbedingt Beachtung finden muss . Liegt eine Patientenverfügung vor, muss dieser Geltung verschafft werden. Kommt keine Patientenver- fügung zum Zug, ist der Betreuer an den mutmaßlichen Willen des Betreuten gebunden . Dafür muss der Betreuer konkrete Anhaltspunkte finden: Ausschlaggebend sind frühere schriftliche oder mündliche Äußerungen, ethi- sche oder religiöse Überzeugungen und auch sonstige persönliche Wertvorstellungen . Bei der Suche nach dem mutmaßlichen Willen muss er auch nahe Angehörige und sonstige Vertrauenspersonen einbeziehen . Dieser Weg ist wichtig, um dem Willen des Betreuten gerecht zu werden . Er ist aber auch aufwendig und wird nie ganz sicherstellen können, wie der Betreute tatsäch- lich zu den ärztlichen Zwangsmaßnahmen steht . Aus die- sem Grund stärken wir mit dem vorliegenden Gesetz auch die Patientenverfügung. Betreuer sind damit verpflichtet, auf die Möglichkeit einer Patientenverfügung hinzuwei- sen und bei der Errichtung zu unterstützen . Das ist vor allem dann hilfreich, wenn der Betreute nach einer Phase der Einwilligungsunfähigkeit wieder einwilligungsfähig ist . Für den Fall einer erneuten Einwilligungsunfähigkeit kann der Betreute dann festlegen, welche Behandlungen vorzunehmen und welche zu unterlassen sind . Auch zukünftig dürfen ärztliche Zwangsmaßnahmen nur das letzte Mittel sein, das bei drohender erheblicher Selbstgefährdung in Betracht kommt . Wir gehen damit den schmalen Grat zwischen Selbstbestimmungsrecht und Schutz der Betroffenen. Ich denke, wir haben eine gute Lösung gefunden . Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Wie im Gesetzent- wurf der Bundesregierung zutreffend festgestellt wird, gibt der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 26 . Juli 2016 Anlass zur Änderung des Betreuungsrechts . Die Koppelung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme an eine freiheitsentziehende Unterbringung führt zu der Situation, dass es Fallkonstellationen gibt, in denen au- ßerhalb einer geschlossenen Unterbringung keine Mög- lichkeit besteht, einen Menschen gegen seinen Willen ärztlich zu behandeln, selbst wenn schwerste Gesund- heitsschäden drohen . Infolgedessen hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber aufgegeben, unter Berücksichtigung der Schutzpflicht des Staates, die sich aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes – „Jeder hat das Recht auf Le- ben und körperliche Unversehrtheit – eine Regelung zu treffen, um diese Schutzlücke zu schließen. Dazu ist es, wie der Gesetzentwurf anführt, in der Tat erforderlich, die Einwilligung in die ärztliche Zwangsbehandlung von der freiheitsentziehenden Unterbringung abzukoppeln, wobei immer zu beachten ist, dass staatliche Eingriffe in Grundrechte nur als Ultima Ratio und so gering wie möglich erfolgen dürfen . Ob dies hier der Fall ist, müs- sen die Beratungen zeigen . Nach den vorgeschlagenen Regelungen sind vor einer Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Behandlung gegen den Willen des Betreuten insgesamt sieben Vo- raussetzungen kumulativ zu erfüllen, bevor der Betreuer zu der Einwilligung die zusätzlich erforderliche Geneh- migung des Betreuungsgerichts einholen kann . Einerseits erspart die vorgeschlagene Regelung dem Betroffenen die zusätzlich belastende geschlossene Un- terbringung, andererseits besteht die Gefahr, dass die vorgeschlagene Neuregelung quasi die Tür zur Akzep- tanz von ambulanten Behandlungen gegen den Willen des Betroffenen werden kann. Solche Behandlungen wa- ren und sind aber nicht gewollt . Von daher ist dies äußerst kritisch zu betrachten . Sehr schön ist, dass in dem nun vorgeschlagenen § 1906 a BGB auch als Voraussetzung gefordert wird, dass „zuvor ernsthaft, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks versucht wurde, den Betreuten von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnah- me zu überzeugen“, während in der geltenden Regelung des 1906 BGB nur von dem Versuch der Überzeugung gesprochen wird . Auf dieses dringende Erfordernis hat die Linke bereits vor mehr als vier Jahren hingewiesen . Es soll – so ergibt es sich aus dem Gesetzestext bzw . aus der Begründung – kein Erfüllungsaufwand entstehen, weder für den Staat noch für die Bürger noch für die Wirt- schaft . Oder anders gesagt: Es bleibt bei den geltenden Kostenregelungen im Gesundheitswesen, wobei wir aus früheren Beratungen spätestens seit 2012 wissen, dass es Einrichtungen gibt, die offenbar auf Zwangsbehandlun- gen in Gänze verzichten können, eben weil sie mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Druck die Betroffenen von der Notwendigkeit der ärztlichen Hilfe überzeugen . Dies kostet Zeit; es kostet Nerven, und es kostet Geld . Kosten, die, wie wir alle wissen, aufgrund der Kostenre- gelungen des Gesundheitssystems nicht von der Kasse in dem erforderlichen Umfang erstattet werden . Hier muss in diesem Kontext auch nachgebessert wer- den. Insbesondere ist die Linke der Auffassung, dass es sich bei der notfalls einzuwilligenden Zwangsbehand- lung nicht um die Behandlung der Anlasserkrankung handeln darf . Denn Psychopharmaka heilen nicht; sie stellen ruhig . Die Nebenwirkungen von Psychopharmaka sind – das ist unbestritten – ganz erheblich . Aber insofern dürfte eine solche Behandlung schon an den genannten Voraussetzungen scheitern . Besser wäre es allerdings dies ausdrücklich ins Gesetz aufzunehmen . Keinesfalls darf suggeriert werden, dass diese Rege- lung, so sie denn verabschiedet werden sollte, Spielräu- me für ambulante Zwangsbehandlungen eröffnet. Aller- dings ist, wenn die Voraussetzung der Behandlung nach dem neuen § 1906a Absatz 1 Nummer 4 BGB ernst ge- nommen wird, eine Zwangsbehandlung so gut wie nicht mehr erforderlich . Man muss sich aber auch die Zeit für den Patienten nehmen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22335 (A) (C) (B) (D) Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Mit dem Gesetz zur Neuregelung der be- treuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme im Jahr 2013 scheint es – zumin- dest ersten veröffentlichten Zahlen zufolge – gelungen zu sein, Zwangsbehandlungen in der Psychiatrie zu re- duzieren . Das ist ein wichtiger Erfolg, der keinesfalls durch das Anliegen, Zwangsbehandlungen auf Personen auszuweiten, die deswegen nicht untergebracht werden können, weil sie sich der Behandlung räumlich nicht entziehen können oder wollen, gefährdet werden darf . Ziel muss sein, die vom Bundesverfassungsgericht fest- gestellte Schutzlücke zu schließen, ohne dabei die Vo- raussetzungen für Zwangsbehandlungen im Allgemeinen auszuweiten . Das gelingt der Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf nur teilweise . Wir begrüßen, dass der Ge- setzentwurf die Möglichkeit einer Zwangsbehandlung auf einen stationären Krankenhausaufenthalt beschränkt und eine ambulante Zwangsbehandlung ausgeschlossen bleibt . Menschen müssen sich zu Hause sicher fühlen können . Kritisch ist, dass mit der Gesetzesänderung Zwangs- behandlungen psychiatrischer Erkrankungen auf offenen psychiatrischen Stationen ermöglicht werden . Das kann sich nicht nur negativ auf das Klima in offenen Stationen auswirken, sondern birgt auch die Gefahr, dass psychisch erkrankte Menschen davon abgeschreckt werden, sich freiwillig in die stationäre Behandlung zu begeben . Eine ähnlich unerwünschte Ausweitung ergibt sich aus der neuen Rechtsgrundlage für eine Verbringung der betreu- ten Person in ein Krankenhaus, die vor allem auf Perso- nen abzielt, die wegen einer somatischen Erkrankung in einem Krankenhaus zwangsbehandelt werden sollen . Die Regelung ermöglicht jedoch gleichermaßen, ohne ein vorgeschaltetes Unterbringungsverfahren Personen für eine Zwangsbehandlung in ein psychiatrisches Kranken- haus zu bringen . Um der unterschiedlichen Natur somati- scher und psychischer Erkrankungen und Behandlungen gerecht zu werden, spricht einiges dafür, wie im Maßre- gelvollzugsrecht und dem Unterbringungsrecht der Län- der, auch im Betreuungsrecht zwischen psychiatrischer und somatischer Zwangsbehandlung zu unterscheiden . Um den geltenden Schutz vor unverhältnismäßigen Zwangsbehandlungen weiter zu stärken, plädieren wir dafür, den Erforderlichkeitsgrundsatz im neuen § 1906a BGB zu konkretisieren, zumindest jedoch den entspre- chenden Wortlaut der Regelung zur Unterbringung im § 1906 Absatz 1 BGB zu übernehmen . Auch die Vor- schläge des Betreuungsgerichtstags zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts finden wir sinnvoll, wie die Klarstellung in § 1906a Absatz 1 Nummer 3 BGB, dass die Zwangsbehandlung dem früher erklärten Willen der betreuten Person entsprechen muss . Um Zwangsbehandlungen weiter zu reduzieren, ist uns wichtig, psychiatrische Krankenhäuser zu verpflich- ten, Patientinnen und Patienten mit wiederkehrenden Krisen eine Behandlungsvereinbarung anzubieten . So können Betroffene, wenn sie es möchten, gemeinsam mit ihrem Arzt oder Psychotherapeuten verbindlich fest- legen, wie sie im Zustand der Einwilligungsunfähigkeit behandelt werden möchten . Als geeignetes Instrument zur Zwangsvermeidung hat sich auch die Qualifizierung von Verfahrenspflegerinnen und -pflegern herausgestellt, vgl . Werdenfelser Weg . Hier wünschen wir uns eine ge- setzliche Konkretisierung . Sinnvoll, aber nicht ausreichend ist die im Gesetz- entwurf vorgesehene Evaluation der Auswirkungen der gesetzlichen Änderungen auf die Anwendungspraxis . Notwendig ist ein dauerhaftes Monitoring über Anzahl, Dauer und Durchführung von Zwangsbehandlungen, um Missstände in der Praxis und gesetzliche Fehlentwick- lungen zu erkennen und zu korrigieren . Zwangsmaß- nahmen sind schwere Eingriffe in die Grundrechte von Menschen, die, solange sie stattfinden, streng kontrolliert werden müssen . Wir sollten dieses Gesetzgebungsverfahren als Chan- ce nutzen, um Zwang in der Psychiatrie weiter zu redu- zieren und hoffen hierbei auf die Aufgeschlossenheit der Koalitionsfraktionen für Nachbesserungen . Christian Lange, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister der Justiz und für Verbraucherschutz: Die Bun- desregierung hat dem Bundestag den Gesetzentwurf zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten vorgelegt, über den heute in erster Lesung beraten werden soll . Mit dem Entwurf wollen wir die vom Bundesverfas- sungsgericht am 26 . Juli 2016 festgestellte Schutzlücke im Betreuungsrecht unverzüglich schließen . Aktuell sieht das Betreuungsrecht vor, dass ärztliche Zwangsmaßnahmen zwar grundsätzlich möglich sind, wenn die Betroffenen aufgrund einer psychischen Krank- heit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln können . Weitere zwingende Voraussetzung ist aber eine freiheitsentzie- hende Unterbringung . Die Durchführung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme ist also nur dann möglich, wenn die betroffene Person freiheitsentziehend untergebracht ist. Ist eine solche Unterbringung jedoch nicht erforderlich, weil sich die betroffene Person gar nicht entfernen kann oder will, so führt das dazu, dass diese auch dann nicht gegen ihren natürlichen Willen behandelt werden kann, wenn ihr ein erheblicher gesundheitlicher Schaden droht . Denn in diesen Fällen ist es nicht erlaubt, die Betroffenen geschlossen unterzubringen, weil dies nicht erforderlich ist . Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass diese Rechtslage mit der Schutzpflicht des Staates für das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrt- heit hilfebedürftiger Personen unvereinbar ist (Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes) . Wie das Bundes- verfassungsgericht sind auch wir der Meinung, dass hil- febedürftige Menschen nicht alleingelassen werden dür- fen und es die Aufgabe des Staates ist, ihnen wie allen Menschen die erforderliche medizinische Versorgung zu ermöglichen . Ziel des Entwurfs ist es, diese Regelungslücke in angemessener Weise unter Beachtung des Ultima-Ra- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722336 (A) (C) (B) (D) tio-Gebots zu schließen . Denn Zwang darf trotz allem immer nur das letzte Mittel sein . Das erreichen wir, indem wir ärztliche Zwangsmaß- nahmen von der freiheitsentziehenden Unterbringung entkoppeln . Stattdessen soll eine ärztliche Zwangsmaß- nahme im Rahmen eines stationären Aufenthalts in ei- nem Krankenhaus möglich sein, „in dem die gebotene medizinische Versorgung des Betreuten einschließlich einer erforderlichen Nachbehandlung sichergestellt ist“ . Gleichzeitig wollen wir das Selbstbestimmungsrecht von Betroffenen stärken. Dazu sieht der Entwurf aus- drücklich vor, dass die Festlegungen in einer Patien- tenverfügung, die früher mit freiem Willen geäußerten Behandlungswünsche des Betroffenen bzw. sein mut- maßlicher Wille beachtet werden müssen . Damit wird noch deutlicher gemacht, dass der schon nach geltendem Recht zu beachtende Wille des Betreuten die maßgebli- che Grundlage für die Entscheidung über die ärztliche Zwangsmaßnahme überhaupt ist . Außerdem wollen wir die Verbreitung von Patienten- verfügungen und Behandlungsvereinbarungen fördern, indem wir den Betreuer verpflichten, den Betreuten in geeigneten Fällen auf die Möglichkeit einer Patienten- verfügung hinzuweisen und ihn auf seinen Wunsch bei deren Erstellung zu unterstützen . Wir müssen nämlich – und das ist uns ganz besonders wichtig – alles dafür tun, dass ärztliche Zwangsmaßnah- men nach Möglichkeit vermieden werden . Solche Maß- nahmen stellen einen schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Personen dar. Auch vor dem Hintergrund der UN-Behindertenrechtskonvention gilt es, das Selbstbestimmungsrecht zu stärken und Eingriffe auf das unbedingt erforderliche Maß zu reduzieren . Beiden Aspekten – der staatlichen Schutzpflicht auf der einen und der Stärkung des Selbstbestimmungsrechts auf der anderen Seite – wird mit dem Entwurf besser als bisher Rechnung getragen . Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie diesen Ge- setzentwurf möglichst rasch beraten und noch vor dem Ende dieser Wahlperiode verabschieden . Wir wollen den Menschen, um die es geht, möglichst schnell auf einer sicheren Rechtsgrundlage helfen . Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Bauvertragsrechts und zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung (Tagesordnungs- punkt 39) Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU): Mit dem Gesetz zur Reform des Bauvertragsrechts und zur Ände- rung kaufrechtlicher Vorschriften stellen wir die rechtli- chen Rahmenbedingungen für Bauverträge auf ein neues und stabiles Fundament und beseitigen die Haftungsfalle für Handwerker . Damit setzen wir zentrale Anliegen der Union aus dem Koalitionsvertrag um . Bevor ich zu den inhaltlichen Ausführungen komme, möchte ich mich beim Kollegen Kelber stellvertretend für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BMJV aus- drücklich für die sehr gute Zusammenarbeit bedanken . Änderungswünsche der Koalitionsfraktionen wurden en- gagiert aufgegriffen und äußerst konstruktiv und ergeb- nisorientiert mit beeindruckend viel juristischer Fantasie umgesetzt. Ich hoffe, dass Sie es ebenso sehen wie ich, dass sich die besten Argumente durchgesetzt haben und wir heute ein gutes Gesetz beschließen werden . Weil insbesondere das Bauvertragsrecht sehr umstrit- ten schien und Verzögerungen befürchtet wurden, sind zu Beginn des Gesetzgebungsverfahrens insbesondere von Handwerksseite Bedenken erhoben worden, die Ver- knüpfung der Änderungen im Mängelgewährleistungs- recht mit der Schaffung gesetzlicher Regelungen zum Bauvertragsrecht sei nicht sachgerecht und führe zu Ver- zögerungen . Deshalb möge man beide Teile des Gesetz- entwurfs abtrennen und den kaufvertraglichen Teil vorab beschließen . Allerdings besteht schon im Hinblick auf den Adressatenkreis ein sachlicher Zusammenhang zwi- schen den Regelungsmaterien, denn es sind jeweils Wer- kunternehmer beteiligt . Im Ergebnis war es dann umge- kehrt so, dass wir uns beim Bauvertragsrecht im Prinzip schnell einig waren . Zur Verzögerung kam es, weil der SPD-Fraktion der Gesetzentwurf des eigenen Ministers in der AGB-Frage nicht weit genug ging . Beginnen möchte ich mit der Reform des Bauver- tragsrechts. Damit schaffen wir für Bauvorhaben neue Rechtsgrundlagen und damit Rechtssicherheit und Trans- parenz sowohl für Bauherren wie für Bauunternehmen . Reformbedarf ergibt sich insbesondere daraus, dass das Werkvertragsrecht des BGB auf den kurzfristigen punktuellen Austausch von Leistung und Gegenleistung ausgelegt ist . Die Durchführung von komplexen, auf län- gere Zeit angelegten Bauvorhaben kann man damit nicht sachgerecht abbilden . Nach langjährigen Diskussionen und der Vorarbeit zweier Arbeitsgruppen in den beiden vergangenen Wahl- perioden wird das Bauvertragsrecht erstmals ausführlich im BGB geregelt . Für den Bauvertrag, den Verbraucher- bauvertrag sowie für den Architekten- und Ingenieurver- trag werden spezielle Regelungen in das Werkvertrags- recht des BGB eingefügt . Ein Kernpunkt der Reform ist die deutliche Erhöhung des Verbraucherschutzes bei Bauverträgen, die wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben . Angesichts niedriger Zinsen ist Bauen aktuell auch für Private sehr attraktiv . Der Bau eines Eigenheims ist häufig eine Entscheidung für das ganze Leben und bedeutet für Verbraucherinnen und Verbraucher regelmäßig die größte finanzielle Belas- tung, die sie in ihrem Leben schultern . Deshalb sind sie besonders schutzwürdig . Bauunternehmer müssen Verbraucherbauherren des- halb künftig vorab eine detaillierte Baubeschreibung zur Verfügung stellen, die Vertragsinhalt wird . Die angebote- nen Leistungen werden auf diese Weise transparent . So Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22337 (A) (C) (B) (D) können Verbraucher realistisch vergleichen und sich für das qualitativ beste Angebot entscheiden . Um wirksam zu sein, muss der Verbraucherbauvertrag in Textform geschlossen werden . Damit sie die Entscheidung gründ- lich überdenken können, bekommen Verbraucherinnen und Verbraucher ein 14-tägiges Widerrufsrecht . Durch die Begrenzung der Höhe von Abschlagszahlungen wird eine finanzielle Überforderung der Häuslebauer verhin- dert . Fast immer ergeben sich während der Bauausführung gegenüber den Planungen Änderungswünsche, egal ob es sich um ein privates Eigenheim oder ein Industriege- bäude handelt . Bislang wird oft darüber gestritten, ob die Änderungen erforderlich sind und wer diese zu bezahlen hat . Schließlich dauert es zu lange, bis gerichtlich darü- ber entschieden ist . Streitigkeiten während der Bauaus- führung führen häufig zu Baustillständen. Das hat negati- ve Folgen für Zeitplanung und Baukosten . Künftig wird die einvernehmliche und zügige Lö- sung von solchen Konflikten erleichtert. Es wird eine 30-tägige Frist für die Reaktion des Bestellers auf ein entsprechendes Nachtragsangebot des Unternehmers vorgesehen . Äußert er sich nicht, soll die Einigung als gescheitert gelten . Das ursprünglich im Entwurf vorgesehene zusätzli- che Einigungsverfahren mit Sachverständigenbeteili- gung vor der möglichen Inanspruchnahme einstweiligen Rechtschutzes haben wir im Sinne der angestrebten Be- schleunigung aus dem Gesetzentwurf gestrichen . Für den Fall, dass sich Besteller und Unternehmer nicht einigen, haben wir das grundsätzlich aus der VOB/B bekannte einseitige Anordnungsrecht des Bauherrn in das BGB-Bauvertragsrecht übernommen . Klarheit über die konkrete Anordnung wird dadurch erreicht, dass sie in Textform erfolgen muss . Natürlich ist klar, dass ein solches Anordnungsrecht einen tiefen Eingriff in die Ver- tragsfreiheit darstellt . Dieser ist aber gerechtfertigt; denn auch der Bauunternehmer bekommt ein scharfes Schwert an die Hand: Nach dem neuen Bauvertragsrecht führt eine solche Anordnung des Bestellers unmittelbar zu einer Preisan- passung zugunsten des Bauunternehmers . Dieser kann 80 Prozent der geforderten Mehrvergütung verlangen . Damit wird seine Liquidität sichergestellt und das Insol- venzrisiko verringert . Zur Vermeidung des Missbrauchs dieser 80-Pro- zent-Regelung wird zum Schutz des Bestellers eine Verz- insungspflicht des Bauunternehmers eingeführt. Eine schnelle Rechtsdurchsetzung wird dadurch er- reicht, dass Streitfälle aufgrund der Zuständigkeits- konzentration beim Landgericht durch mit der Materie besonders gut vertraute Richter schnell und effizient ge- richtlich entschieden werden können . Spezialkammern sind deshalb sinnvoll, weil es sich um ein komplexes und schwieriges Rechtsgebiet handelt, dessen Behandlung besondere Einarbeitung, Kenntnisse und Erfahrungen erfordert . Schon der 70 . Deutsche Ju- ristentag hatte sich 2014 dafür ausgesprochen, bei den Landgerichten Spezialkammern unter anderem für Bau- sachen einzurichten . Die Detailprivilegierung der Vorschriften der VOB/B zum Anordnungsrecht und zur Vergütungsanpassung wur- de aus dem Gesetzentwurf gestrichen . Diese Regelung hätte sonst dazu geführt, dass in der Praxis regelmäßig die AGB-rechtlich privilegierten VOB/B-Bestimmungen vereinbart und so die zugunsten des Unternehmers einzu- führende 80-Prozent-Abschlagszahlung auf Basis seines Angebots umgangen worden wären . Wir hätten damit un- ser eigenes gesetzliches Leitbild demontiert . Mit dem Erfordernis einer Schlussrechnung wird eine zusätzliche Fälligkeitsvoraussetzung eingeführt . Das hat folgenden Grund: Ein Bauvertrag ist typischerweise komplex und besteht regelmäßig aus vielen Einzelleis- tungen . Damit besteht generell ein Bedürfnis des Be- stellers, die geltend gemachte Rechnungssumme anhand einer Aufschlüsselung der erbrachten Einzelleistungen überprüfen zu können . Die Reform des Bauvertragsrechts wird insgesamt zu einem sachgerechten Interessenausgleich und zu mehr Rechtssicherheit führen . Das ist nicht nur gut für die Ver- braucherinnen und Verbraucher, sondern ist auch und ge- rade im Interesse der Bauwirtschaft und der Architekten . Zum zweiten Teil des Gesetzes: Wie im Koalitions- vertrag vereinbart, beenden wir zum 1 . Januar 2018 die Haftungsfalle für Handwerker . Sie werden im Kaufrecht erstmals einen gesetzlichen Anspruch gegen den Verkäu- fer auf Ersatz der Aus- und Einbaukosten erhalten, wenn er ihnen mangelhaftes Material geliefert hat . Handwerker sind gegenüber ihren Kunden aufgrund des geschlosse- nen Werkvertrags zum Ausbau des fehlerhaften und zum Einbau des mangelfreien Baumaterials verpflichtet. Bis- lang mussten sie die Kosten des Aus- und Wiedereinbaus selbst tragen . Das ändern wir mit der Neuregelung, und wir verbessern damit die Rechte der Handwerker signifi- kant und nachhaltig . Für die Kosten des zusätzlichen erforderlichen Aus- und Wiedereinbaus werden zunächst die Verkäufer haf- ten, die gegebenenfalls wiederum bei ihren Lieferanten Regress nehmen können, sodass letztlich derjenige die Kosten zu tragen hat, der dafür verantwortlich ist . Im Interesse des Handwerks haben wir den Anwen- dungsbereich des Nacherfüllungsanspruchs konkreti- siert, um den Einbaufällen vergleichbare Sachverhalte abzudecken . Wir haben dabei primär die Maler und La- ckierer vor Augen, die mangelhafte Farben oder Lacke nicht im Wortsinne eingebaut, sondern angebracht ha- ben und diese abschleifen und erneut anbringen müssen . Auch sie sollen die dafür erforderlichen Kosten vom Ver- käufer erstattet bekommen . Um Folgeprobleme zu vermeiden, die sich aufgrund unterschiedlicher Verträge in der Leistungskette ergäben, wird das streitanfällige sogenannte Selbstvornahmerecht des Verkäufers zugunsten eines reinen Aufwendungser- satzanspruchs gestrichen . Es gab Befürchtungen, dass die neuen gesetzlichen Regelungen über Allgemeine Geschäftsbedingungen ausgehebelt werden könnten . Selbst unser Koalitions- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722338 (A) (C) (B) (D) partner war zunächst der Meinung, der Gesetzentwurf des eigenen SPD-Justizministers sei insoweit nicht aus- reichend . Deshalb haben die Verhandlungen länger ge- dauert als ursprünglich geplant . Tatsächlich handelt es sich bei der AGB-Frage um eine rechtlich sehr komplexe Regelungsmaterie . Glückli- cherweise konnten wir diese Irritationen im Rahmen der Berichterstattergespräche ausräumen . In der AGB-Frage hat sich die CDU/CSU-Fraktion gegenüber der SPD durchgesetzt . Das heißt, es bleibt bei dem im ursprünglichen Gesetzentwurf vorgesehenen Klauselverbot . Wir haben uns auf eine Lösung verständigt, die Ver- braucher und kleine Handwerksbetriebe schützt, aber im unternehmerischen Geschäftsverkehr eine flexible Inhaltskontrolle durch die Gerichte erlaubt, sodass die besonderen Gegebenheiten von Geschäften im B2B-Be- reich berücksichtigt werden können . Mit der Indizwir- kung wird Einzelfallgerechtigkeit erreicht . Vielfältige Konstellationen erfordern nun einmal die Möglichkeit flexibler Entscheidungen durch die Gerichte. Nehmen wir einmal an, der Bundestag wäre dem Vor- schlag der SPD gefolgt und hätte die Verwendung die- ser einen Klausel generell verboten . Dann hätte dieses Klauselverbot unmittelbar für die gesamte Wirtschaft gegolten, auch für große international tätige Unterneh- men . Das wäre nicht sachgerecht . Die Regelung hätte zu einem Dammbruch geführt: Es wäre eine Debatte über die AGB-feste Ausgestaltung aller in § 308 und § 309 BGB geregelten Klauselverbote entbrannt, weil Kleinun- ternehmer mit dem Argument ihrer Schutzbedürftigkeit jeweils eine unmittelbare Geltung gefordert hätten . Dazu kommt, dass eine solche Regelung angesichts der Diskussion, ob das deutsche AGB-Recht im internati- onalen Vergleich nicht ohnehin viel zu restriktiv ist, Gift für den Rechts- und Wirtschaftsstandort Deutschland ge- wesen wäre . Nach eingehender Prüfung und Beratung ist der Aus- schuss für Recht und Verbraucherschutz daher zu dem Ergebnis gekommen, dass eine solche Regelung mit Blick auf die Rechtsprechung zur Indizwirkung der Klauselverbote für den unternehmerischen Bereich nicht erforderlich ist . Die Union hat sich für die Vertragsfreiheit eingesetzt, hält aber zugleich gegenüber den Handwerkern Wort und lässt sie bei den Aus- und Einbaukosten nicht im Stich . Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Der Gesetzentwurf zur Reform des Bauvertragsrechts und zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung steht am heutigen Tag nach langen Verhandlungen vor der Verabschiedung im Deutschen Bundestag . Mit den eingebrachten Än- derungen ist uns ein sinnvoller Interessenausgleich für alle Seiten gelungen . Durch die initiale Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs im kaufrechtlichen Män- gelgewährleistungsrecht ergaben sich erhebliche Unge- rechtigkeiten zulasten von kleinen Handwerksbetrieben . Mit diesem Gesetzentwurf wird die Kostentragungs- pflicht bei den Einbau- und Ausbaufällen im Rahmen der Nacherfüllung an die Hersteller der mangelhaften Bau- materialien weitergereicht . Es ist das Ziel erreicht, dass kleine Handwerksbetriebe vor existenzbedrohenden Haf- tungsfällen geschützt werden . Im Interesse des Handwerks konnten wir weitere Änderungen durchsetzen . Maler oder Lackierer, welche mangelhafte Farben oder Lacke verarbeiten, sehen sich ebenfalls der Pflicht zum Abschleifen und erneuten An- bringen der Farben oder Lacke ausgesetzt . Solche Sach- verhalte erscheinen mit den Einbau- und Ausbaufällen vergleichbar, sodass wir den Anwendungsbereich des Nacherfüllungsanspruchs konkretisieren . Das Klauselverbot bei der Nacherfüllung bleibt je- doch auf Allgemeine Geschäftsbedingungen beschränkt, die gegenüber einem Verbraucher verwendet werden . Im Ergebnis sind die kleinen Handwerksbetriebe weiterhin geschützt . In der Rechtsprechung wird einem Klausel- verbot gegenüber Verbrauchern eine Indizwirkung für den unternehmerischen Bereich zugeschrieben . Ein Aus- schluss oder die Einschränkung der Haftung des Bau- stoffhändlers für Nacherfüllungsaufwendungen durch AGB werden nach den allgemeinen Regeln der Inhalts- kontrolle unwirksam sein . Der zweite Teil dieser umfassenden Gesetzesände- rungen betrifft den Bauvertrag und den Verbraucher- bauvertrag, welche eine Regelung als eigenständige Vertragstypen im Bürgerlichen Gesetzbuch erfahren . Bei langwierigen Bauvorhaben ergeben sich oftmals Verän- derungen zum ursprünglich geschlossenen Vertrag, wel- che eine Anpassung des Vergütungsanspruchs erfordern . Bei Streitigkeiten über die Höhe der Vergütung für zu- sätzliche Leistungen wird ein Anspruch auf Abschlags- zahlung in Höhe von 80 Prozent der im Angebot fest- gesetzten Vergütung geschaffen. Die genaue Berechnung der Mehrvergütung bleibt weiterhin der Schlussrechnung vorbehalten. Mit der vorläufigen Pauschalierung möch- ten wir jedoch das Insolvenzrisiko von Bauunternehmen verringern, da diese selbst für Materialien in Vorleistung gehen müssen . Durch eine nachträgliche Änderung des Gesetzent- wurfs verpflichten wir die Unternehmen jedoch, keine überhöhten Forderungen bei der Mehrvergütung zu stel- len . Überzahlungen sind mit einer Verzinsung nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs von bis zu 9 Prozent zurückzugewähren . Einem möglichen Miss- brauch der Unternehmer wird damit entgegengetreten . Als weitere Änderung konnte die AGB-rechtliche Pri- vilegierung der VOB/B wieder aus dem Gesetzentwurf gestrichen werden . Es sind keine zwingenden Gründe er- sichtlich, dass die Inhaltskontrolle nach § 307 BGB bei der Berechnung der Vergütungsanpassung keine Anwen- dung finden soll. Einem Rosinenpicken der günstigsten Bedingungen verhandlungsstarker Besteller möchten wir keine gesetzliche Grundlage schaffen. Mit den exemplarisch aufgezeigten Änderungen in diesem umfassenden Gesetzesvorhaben möchte ich ver- deutlichen, dass uns sinnvolle Regelungen mit Blick auf alle Interessen gelungen sind . Es ist nun abzuwarten, ob sich die Verbesserungen auch in der Praxis niederschla- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22339 (A) (C) (B) (D) gen werden . Ich kann jedenfalls mit gutem Gewissen um Zustimmung zu diesem Gesetz bitten . Dr. Johannes Fechner (SPD): Mit dem heute vor- liegenden Gesetzentwurf zum neuen Bauvertragsrecht und den wichtigen Änderungen im Kaufrecht schließen wir ein Gesetzgebungsvorhaben ab, bei dem viele inten- siv mitgearbeitet hatten – zum Teil über Jahre . Zu danken gilt es deshalb allen Beteiligten . Hierzu gehören die Mit- glieder der Expertenkommission zum Bauvertragsrecht, die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Justizministeri- um und alle Verbände, die sich durchweg konstruktiv an der Erarbeitung dieses Gesetzentwurfes beteiligt haben . In Deutschland gibt es rund 600 000 Handwerksun- ternehmen, die über 500 Milliarden Euro Umsatz er- wirtschaften und in denen über 5 Millionen Personen beschäftigt sind . Für die SPD war deshalb klar, dass wir das Handwerk, unsere Wirtschaftsmacht von nebenan, unterstützen . Und das wollen wir nicht nur in Sonntags- reden tun, sondern mit diesem Gesetzentwurf erleichtern wir den Handwerkern in Deutschland das Geschäft . Zu- künftig kann ein Handwerker grundsätzlich von seinem Baustofflieferanten, der ihm mangelhaftes Material ge- liefert hat und das er bei seinem Kunden eingebaut hat, nicht nur neues Material, sondern auch die Ersetzung der Ein- und Ausbaukosten verlangen . Erfasst sind jetzt auch Fälle, bei denen mangelhaftes Material angebracht und nicht nur eingebaut wurde . Verwendet also etwa ein Ma- ler mangelhafte Farbe, kann er die Kosten der Neulackie- rung von seinem Lieferanten verlangen . Wichtig ist auch, dass in einem solchen Fall der Handwerker entscheiden kann, wer den Schaden repariert . Ihm und seinem Kun- den bleibt also die Situation erspart, dass der Baustofflie- ferant und damit ein dem Kunden völlig Unbekannter die Reparatur vornimmt . In einem Punkt hat sich die SPD nicht durchgesetzt . Dies war bekanntlich der Grund, warum wir für diesen Gesetzentwurf so lange gebraucht haben . Wir hätten gerne die Haftung des Baustofflieferanten für Ein- und Ausbaukosten bei Materialfehlern AGB-fest geregelt . Leider wollten dies unsere Kolleginnen und Kollegen von der Union aus Rücksicht auf die Interessen des Han- dels nicht . Es mag sein, dass es Argumente gibt für die Annahme, die Rechtsprechung werde solche AGB-Aus- schlüsse schon für unwirksam erklären . Aber wenn das genau unser Ziel ist, wenn wir also verhindern wollen, dass Handwerker in langwierigen, aufwendigen, teuren Prozessen für ihre ordentlich erbrachte Arbeit ihrem Geld hinterherlaufen müssen, dann hätten wir das auch gleich ins Gesetz so hineinschreiben können . Immerhin konnten wir eine verbindliche Evaluierung festschreiben, die ausdrücklich untersuchen wird, wie die Praxis das AGB-Klauselverbot handhabt . Einen großen Fortschritt gibt es im Bauvertragsrecht für Bauherren, aber auch für Bauunternehmen . Ausdrück- lich haben Bauherren nun auch nach Vertragsabschluss einen Rechtsanspruch auf Änderungen des Bauwerks . Eigentlich gilt ja der Grundsatz „pacta sunt servanda“, aber da man gerade eine Immobilie in der Regel ein Le- ben lang nutzt, muss es möglich sein, wenn während der Bauausführung ein neuer Wunsch entsteht, diesen auch umsetzen zu können . Hierfür haben wir klare Regeln geschaffen. Dem neuen Anordnungsrecht des Bauherrn steht der Anspruch des Bauunternehmers gegenüber, die- ses nur ausführen zu müssen, wenn eine angemessene Vergütung hierfür bezahlt wird und wenn der Bauunter- nehmer auch in der Lage ist, die angeordnete Änderung auszuführen . Durch klare Regelungen zur Ausübung des Anordnungsrechtes und zur Berechnung der angemesse- nen Mehrvergütung für den Bauunternehmer verhindern wir zudem Rechtsstreitigkeiten und damit einhergehende Bauverzögerungen . Handwerker, Bauherren und Bauunternehmen er- halten durch dieses Gesetz mehr Rechtssicherheit . Wir schaffen mehr Rechte für Verbraucher, Handwerker und Bauunternehmen . Stimmen wir also diesem intensiv be- ratenen und ausgewogenen Gesetz zu . Sabine Poschmann (SPD): Als Handwerksbeauf- tragte der SPD-Bundestagsfraktion begrüße ich, dass es uns mit dem vorliegenden Bauvertragsrecht und im Spe- ziellen mit den Regelungen zur kaufrechtlichen Mängel- gewährleistung gelungen ist, ein zentrales Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen . Mit der vorliegenden Regelung bleiben nun – wie zwischen Union und SPD vereinbart – „Unternehmer nicht pauschal auf den Folgekosten von Produktmängeln sitzen“ . Dennoch hätte sich meine Fraktion gewünscht, dass wir dieses Versprechen an die Handwerksunterneh- men ohne Hintertüren für den Handel umgesetzt hätten . Denn ohne die von uns geforderte AGB-feste Ausge- staltung des Gewährleistungsrechts bleibt es dem Han- del weiterhin möglich, die Übernahme der Einbau- und Ausbaukosten zu verweigern . Ein entsprechender Passus in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen genügt . Da ist es auch nur wenig tröstlich, dass die Handwerker ge- gen entsprechende Klauseln rechtlich vorgehen können . Denn die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Malermeister in einen langwierigen und kostspieligen Rechtsstreit mit einer Baumarktkette begibt, ist äußerst gering . Meine Fraktion hat frühzeitig auf diese Lücke im Ge- setzentwurf hingewiesen . Auch der Bundesrat hat in sei- ner Stellungnahme deutlich gemacht, dass man durch die Ausweitung des entsprechenden Klauselverbotes auf Ge- schäftsbeziehungen zwischen Unternehmern Rechtssi- cherheit für die Handwerksunternehmen hätte herstellen können . Ich bedauere sehr, dass sich unser Koalitions- partner dieser Auffassung nicht angeschlossen hat und unserem Vorschlag für eine AGB-feste Ausgestaltung nicht gefolgt ist . Umso wichtiger ist es, dass der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz die im Gesetzestext festgeschrie- bene Evaluierung der Regelungen konkretisiert hat . Wir legen Wert darauf, dass hierbei die Auswirkungen des Gesetzes auf die unternehmerische Praxis genau unter die Lupe genommen werden . Sollte es hier Fehlentwick- lungen geben, die das Handwerk benachteiligen, müssen wir nachbessern . Nur dann werden wir dem Versprechen an die vielen kleinen Handwerksunternehmen in unse- rem Land gerecht, dass sie nicht länger für unverschulde- te Folgekosten aufkommen müssen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722340 (A) (C) (B) (D) Karin Binder (DIE LINKE): Fast zehn Jahre haben die Bundesregierung und Koalition gebraucht, um end- lich eine Reform des Vertragsrechts vorzulegen und die Verbraucherinnen und Verbraucher besser zu schützen . Knapp ein Jahr brauchte der Bundestag, um nach der An- hörung den Gesetzentwurf endlich zu verabschieden . Da- mit hat sie über Jahre hinweg Menschen, die sich ihr ei- genes Zuhause finanzieren, im Regen stehen lassen. Bei anderen Gesetzesvorhaben, die ihr wichtig sind, ist die Koalition schneller . Das ist unverantwortlich . Der Schutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern ist beim Bau eines Eigenheims besonders wichtig . Die Realität ist, dass 97 Prozent der Bauverträge Mängel aufweisen . Die privaten Haus- und Wohnungsbesitzer sind aber Verbrau- cherinnen und Verbraucher, denen die Kompetenz fehlt, um das einschätzen zu können . Für die meisten ist der Bau die größte Investition ihres Lebens . 20 bis 30 Jahre geht ein Großteil ihres Einkommens in die Finanzierung der Wohnimmobilie . Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Bau- vertragsrecht hat Licht und Schatten . Er schlägt wichtige Verbesserungen vor, hat aber auch Mängel und benach- teiligt Verbraucherinnen und Verbraucher gegenüber den Bauunternehmen und Banken, die den Bau finanzieren. Zu begrüßen ist, dass Bauunternehmer gegenüber pri- vaten Bauherren zu einer Baubeschreibung verpflichtet werden und dass es verbindliche Vereinbarungen zur Bauzeit und ein zweiwöchiges Widerrufsrecht geben soll . Außerdem sollen Obergrenzen für die Abschlags- zahlungen eingeführt werden . Die Bauunternehmen werden auch verpflichtet, die Bauunterlagen herauszu- geben – was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte . Zudem soll auch dem Bauunternehmer künftig der Aufwand für den Austausch fehlerhafter Produkte von den Herstellern erstattet werden . Das erleichtert die gute Bauausführung. All das schafft mehr Klarheit für Verbraucherinnen und Verbraucher . Doch die generelle Benachteiligung privater Bauherren gegenüber den Un- ternehmen wird nicht ausgeglichen . Für Verbraucherinnen und Verbraucher bleiben erheb- liche Nachteile bestehen, wenn sie bauen oder sanieren wollen: So ist völlig unzureichend beschrieben, was eigentlich ein Verbrauchervertrag ist . Regelungen zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher sollen an einem bestehenden Gebäude nur bei erheblichen Um- baumaßnahmen greifen . Viele Bauleistungen sind damit überhaupt nicht erfasst . Übliche Einzelleistungen, wie der Rohbau eines Hauses oder der Einbau von Fenstern und Türen, werden nicht in das neue Gesetzeswerk ein- bezogen . Das wird dazu führen, dass Unternehmer die Bauvorhaben in zahlreiche Einzelverträge aufteilen, um sich vor gerechtfertigten Ansprüchen der Verbraucherin- nen und Verbraucher zu drücken . Eine solche erhebliche Verhinderung von Verbraucherschutz ist für die Linke nicht hinnehmbar . Außerdem ist es in der Baubranche üblich, Kasse zu machen, bevor gebaut wird . Es muss doch endlich unterbunden werden, dass Unternehmen von Verbrau- cherinnen und Verbrauchern hohe Abschlags- und Si- cherheitszahlungen verlangen, ohne dass eine Fertigstel- lungsgarantie gegeben wird . Wir sagen: Die Höhe der Sicherheitsleistung muss bei 20 Prozent gedeckelt wer- den. Häufig werden Verbraucherinnen und Verbraucher vertraglich genötigt, vor der Schlüsselübergabe 100 Pro- zent des Vergütungsanspruchs an die Werkunternehmer auszuzahlen . Das macht es aber erheblich schwerer, spä- ter berechtigte Mängelansprüche durchzusetzen . Wir sa- gen: Ein Bauvertragsrecht, das Verbraucherschutz ernst nimmt, muss sicherstellen, dass erst gezahlt wird, wenn die Leistung ordnungsgemäß erbracht wurde . Bauherren müssen zuerst die Möglichkeit haben, mit Expertinnen und Experten ihrer Wahl den Bau in Ruhe abzunehmen . Dringend erforderlich ist außerdem ein gesetzlich gere- geltes Kündigungsrecht der Verbraucherinnen und Ver- braucher bei Insolvenz des Bauunternehmens . Bei einer Insolvenz erhöhen sich die finanziellen und zeitlichen Risiken für die Eigenheimbauer erheblich . Leider zeigt sich auch bei dem Gesetzentwurf zum Bauvertragsrecht, dass es sich die Bundesregierung zur Aufgabe macht, Unternehmen vor Verbrauchern zu schützen, anstatt den Verbraucherschutz zu stärken . Den Gesetzentwurf lehnen wir daher ab . Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dieses Gesetz war jetzt zwar auch eine Weile in der Versenkung verschwunden, aber am Ende muss ich positiv vermer- ken, dass die Zeit offenbar sinnvoll genutzt worden ist. Es ist ja leider eher selten in dieser Legislatur, dass die Erkenntnisse aus Anhörungen tatsächlich noch berück- sichtigt und eingearbeitet werden . Hier ist es jedenfalls mal tatsächlich so gelaufen, und das verdient auch das Lob der Opposition . Zunächst zur kaufrechtlichen Män- gelhaftung: Handwerker, die vom Hersteller mit fehler- hafter Ware beliefert wurden, sollen künftig auch für die Kosten für den Ein- und Ausbau der Waren beim Kunden entschädigt werden . Zwei Probleme wurden im Verfah- ren erkannt und behoben . Auch Handwerker, die ihre Ware nicht direkt einbauen, sondern verarbeiten, wie beispielsweise die Maler ihre Farbe, sollen von der Neu- regelung erfasst werden . Das ist zu begrüßen . Außerdem sollte der Lieferant im Ursprungsentwurf ein Wahlrecht haben, ob er dem Handwerker den Schaden ersetzt oder die Arbeiten selbst vornimmt . Dabei wäre es für den ei- gentlichen Kunden zu der befremdlichen Lage gekom- men, dass er plötzlich ein anderes als das von ihm beauf- tragte Unternehmen in sein Haus lassen müsste . Dieses Wahlrecht ist nunmehr zu Recht gestrichen worden . Mit diesen Verbesserungen wurde den Interessen der Betei- ligten angemessen Rechnung getragen . Nicht ganz so schlank und eindeutig sind die Neurege- lungen zum Bauvertragsrecht geworden . Unstreitig sind da zunächst mal die Verbesserungen für die Verbraucher, also die klassischen „Häuslebauer“ . Hier werden endlich Pflichten zur Baubeschreibung und zu Vereinbarungen über eine verbindliche Bauzeit eingefügt, die für mehr Klarheit und Rechtssicherheit sorgen . Ob die Verbrau- cher allerdings mit ihrem neuen Widerrufsrecht bei Bau- verträgen glücklich werden, wage ich zu bezweifeln . Läuft alles nach Plan, wird der Verbraucher ordnungs- gemäß darüber belehrt, dass er fristgerecht widerrufen kann, aber die bis dahin angefallenen Kosten tragen muss . Ist der Verbraucher nicht ordnungsgemäß belehrt Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22341 (A) (C) (B) (D) worden, läuft die Widerrufsfrist nicht ab, und er kann noch ein ganzes Jahr lang widerrufen, wobei dann be- reits erheblich Summen verbaut sein können . In diesem Fall ist es unangemessen, wenn das Gesetz trotz fehler- hafter Belehrung eine verschuldensunabhängige einsei- tige Kostentragung festlegt . Ein solches Widerrufsrecht ist für den Verbraucher letztlich gefährlicher als gar kein Widerrufsrecht . Problematisch ist ebenfalls, dass die Ausnahme von der Pflicht zur Stellung einer Bauhandwerkersicherung nicht mehr für Verbraucher schlechthin, sondern nur noch für Verbraucherbauverträge im Sinne des § 650h BGB gilt . Das ist eine unnötige Schlechterstellung der Verbraucher gegenüber heute . Nicht nur für Verbraucher, sondern für alle Auftraggeber soll es künftig ein Anord- nungsrecht für Änderungen am Bau geben . Das Baurecht soll damit flexibler werden. Dem Änderungswunsch des Bestellers steht aber logischerweise ein Anspruch auf Vergütungsanpassung des Unternehmers gegenüber . Die Ermittlung der Höhe dieses Anspruchs ist leider extrem kompliziert . Zunächst soll der Unternehmer ein Angebot über die Mehrvergütung abgeben und sich darüber mit dem Bauherrn einigen . Wenn innerhalb von 30 Tagen keine Einigung erzielt wird, kann der Bauherr entweder seinen Änderungswunsch zurücknehmen, oder der Un- ternehmer kann 80 Prozent der Summe aus seinem An- gebotsvorschlag als Abschlagszahlung geltend machen . Dem Besteller bleibt als Alternative nur, die Höhe der Vergütungsanpassung durch eine einstweilige Verfügung vor Gericht klären zu lassen . Immerhin haben Sie das zusätzliche Sachverständigengutachten wieder gestri- chen, das noch vor einer gerichtlichen Verfügung hätte eingeholt werden sollen . Das ganze Verfahren ist ohne- hin schon so kompliziert, dass es für private Verbrau- cher eher nicht handhabbar sein dürfte . Da ist es mehr als gerecht, dass Sie die ursprüngliche Bevorzugung der öffentlichen Hand als Bauherr wieder gestrichen haben. Im Regierungsentwurf war noch vorgesehen, dass im Bereich der öffentlichen Aufträge der Rückgriff auf Ein- zelteile der VOB/B möglich sein sollte . So hätten sich verhandlungsstarke Unternehmer die besten Regelungen herauspicken können und zum Beispiel die Abschlags- zahlung von 80 Prozent umgehen können . Das wäre eine ungerechtfertigte Besserstellung gewesen . Ob das neue Anordnungsrecht trotz seiner kompli- zierten Regelung den Praxistest bestehen wird, bleibt abzuwarten . In einem so streitanfälligen Bereich wie dem Baurecht wird es mit Sicherheit nicht lange dauern, bis wir die erste Gerichtsentscheidung dazu evaluieren können . Damit die Gerichte dazu auch gute und schnelle Entscheidungen treffen können, ist die Einrichtung von Spezialkammern an den Zivilgerichten sicherlich hilf- reich . In ihrem Änderungsantrag haben Sie dies jetzt im Gerichtsverfassungsgesetz verbindlich vorgeschrieben – leider ohne Beteiligung derjenigen, die diese Vorgaben in der Praxis umzusetzen haben, den Ländern . Ihr Hinweis, es handele sich nicht um ein Zustimmungsgesetz, ist vor- sichtig ausgedrückt nicht gerade diplomatisch . Trotz der genannten Kritikpunkte sehe ich das berech- tigte Bedürfnis nach Neuregelungen im Bauvertragsrecht und bei der kaufrechtlichen Mängelhaftung . Daher stim- men wir dem Gesetz zu . Eine gründliche Evaluation halte ich allerdings für unumgänglich . Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkom- men vom 19. Februar 2013 über ein Einheitli- ches Patentgericht – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung patent- rechtlicher Vorschriften auf Grund der europä- ischen Patentreform (Tagesordnungspunkt 42 a und b) Sebastian Steineke (CDU/CSU):Knapp 40 Prozent der Patentanmelder innerhalb der Europäischen Union kommen aus Deutschland . Das ist eine beeindruckende Zahl . Daran sieht man nicht nur, wie innovativ deutsche Unternehmen arbeiten, sondern vor allem, wie wichtig ein effektiver Patentschutz für unsere heimische Wirt- schaft ist . Schon im letzten Sommer haben wir hier im Bundes- tag über die Patentreform debattiert . Dass wir die nun vorliegenden zwei Gesetzentwürfe der Bundesregierung heute als Paket beraten können, war lange Zeit nicht klar . Grund war der Brexit im vergangenen Jahr . Das Verei- nigte Königreich war das Zünglein an der Waage für die Einführung des einheitlichen europäischen Patentsys- tems; denn ohne die Ratifizierung des Übereinkommens über ein einheitliches Patentgericht von Großbritannien wären die beiden Verordnungen zur Schaffung eines ein- heitlichen Patentschutzes und der anzuwendenden Über- setzungsregelungen nicht anwendbar . Dies war auch der Grund, weshalb das parlamentarische Verfahren in die- sem Hause zunächst nicht weitergeführt wurde . Nach- dem die britische Seite angekündigt hatte, das Überein- kommen trotz des Brexit zu ratifizieren, konnten wir den Weg nun freimachen, und darüber bin ich sehr froh . Die Patentreform sieht in erster Linie ein europäisches Einheitspatent mit Wirkung für alle teilnehmenden Staa- ten vor . Bislang zeichnete sich das Patentrecht durch ei- nen parallelen Schutz für Erfindungen mit der sogenann- ten Doppelschutzfunktion aus . Es gab das nationale und das europäische Patent . Die Verletzung des europäischen Patents wurde nach nationalem Recht behandelt . Dies hatte zur Folge, dass der Patentanmelder gerichtlichen Rechtsschutz nur auf nationaler Ebene und mit Wirkung für das Territorium des jeweiligen Vertragsstaates in An- spruch nehmen konnte . Dies bedeutet, dass es bislang für europaweite Patente keinen einheitlichen Schutztitel gab . Diese Schutzlücke wird nun mit der Patentreform geschlossen . Mit dem Einheitspatent wird es nunmehr ei- nen europaweit einheitlichen Schutz geben . Im Zeitalter der Globalisierung und des europäischen Binnenmarktes ist dies eine absolute Notwendigkeit . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722342 (A) (C) (B) (D) Neben dem Schutz durch europäische Patente wer- den wir allerdings auch den nationalen Patentschutz kei- neswegs abschaffen. Deshalb wird mit dem Gesetz das bestehende Verbot der doppelten Inanspruchnahme von nationalen und europäischen Patenten neu gestaltet . An der Aufhebung des Doppelschutzverbotes gab es durch- aus Kritik . Dem trägt der Gesetzentwurf vor allem mit der zusätzlichen Einführung der Einredemöglichkeit bei doppelter Inanspruchnahme Rechnung . Durch diese prozesshindernde Einrede kann die beklagte Partei eine doppelte Inanspruchnahme vor einem nationalen Gericht und dem Einheitlichen Europäischen Patentgericht unter bestimmten Voraussetzungen vermeiden . Dies war für uns ein zentraler Punkt, um eine Aufhebung des Doppel- schutzverbotes in Betracht zu ziehen . Unser nationales System hat sich bewährt . Um eine nachhaltige Einschätzung über eine Weiterführung des bisherigen nationalen Patentschutzes abgeben zu kön- nen, ist es deshalb aus unserer Sicht auch sinnvoll, die weitere Entwicklung erstmal abzuwarten, bevor man über andere Modelle, die keinen Doppelschutz mehr vorsehen, nachdenkt . Zudem ist ein Verfahren vor dem Einheitlichen Europäischen Patentgericht deutlich teurer als vor dem Bundespatentgericht, so dass der Weg zur nationalen Gerichtsbarkeit nach wie vor eine deutliche finanzielle Entlastung der hiesigen Patentinhaber zur Folge hat . Auch mit der Kostenfrage beim Europäischen Patentgericht haben wir uns auseinandergesetzt . Kleine und mittelständische Unternehmen erhalten in Gerichts- verfahren eine deutliche Ermäßigung . Damit werden die Zugangsvoraussetzungen für das Rückgrat unserer Wirt- schaft zur Patentgerichtsbarkeit deutlich erleichtert . Die Zusammensetzung und der Aufbau der Gerichts- barkeit sind im Übereinkommen geregelt . Das Einheitli- che Patentgericht umfasst ein Gericht erster Instanz und ein Berufungsgericht . Eine erstinstanzliche Regional- kammer wird seinen Sitz in München haben . Sachlich zuständig wird das Patentgericht für Einheitspatente, für europäische Patente und für ergänzende Schutzzertifikate sein . Für die klassischen europäischen Patente wird es für eine Übergangszeit eine Opt-out-Möglichkeit geben, mit der ein Patentinhaber sich dagegen aussprechen kann, dass sein Patent der Gerichtsbarkeit des Europäischen Patentgerichts unterfällt . Dies gibt den derzeitigen Pa- tentinhabern in Deutschland eine zusätzliche Wahlmög- lichkeit . Ziel dieser Reform ist vor allem ein Mehr an Rechts- sicherheit, eine System- und Verfahrensvereinfachung sowie eine Kostenreduktion . Ich denke, dies haben wir mit den vorliegenden Entwürfen erreicht . Ich freue mich auch, dass die Entwürfe im Rechtsausschuss die Zustim- mung aller vier Fraktionen erhalten haben . Dies zeigt, dass wir hier auf dem richtigen Weg sind . Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Wir sprechen heute über einen Gesetzentwurf zu einer weiter gehenden Eu- ropäisierung des Patentwesens . Deutschland und die anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union profitieren von den Grundfreihei- ten . Der europäische Binnenmarkt ist durch den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr gekennzeichnet . Die Vorzüge eines Austausches von Gütern über Landesgren- zen hinweg erfordern spiegelbildlich den Schutz von Pa- tenten auf europäischer Ebene . Der Patentmarkt stellt sich gegenwärtig als fragmen- tiert dar, und es zeigen sich beträchtliche Unterschiede zwischen den nationalen Gerichtssystemen . Kleinere Unternehmen können ihre Patente nicht durchsetzen oder sich gegen unberechtigte Klagen wehren . Mit diesem Gesetzentwurf wird nun ein Einheitliches Patentgericht geschaffen. Zugleich wird mit der Einrich- tung des neuen Gerichts die Einführung des europäi- schen Patents mit einheitlicher Wirkung, das EU-Patent, ermöglicht . Das Gericht wird künftig für Klagen gegen die Erteilung des EU-Patents und auch für Klagen gegen die Verletzung des EU-Patents zuständig sein . Die ein- heitliche Wirkung des EU-Patents in den teilnehmenden Staaten wird mehr Rechtssicherheit schaffen. Für die In- anspruchnahme des Patentschutzes wird es insbesondere nicht mehr auf den Ort der Rechtsverletzung ankommen . Beim Europäischen Patentamt entfielen bisher 40 Pro- zent der Anmeldungen auf solche aus Deutschland . Aus diesem Grund wird der dezentralen Verteilung des Ein- heitlichen Patentgerichts eine grundlegende Bedeutung zukommen. Die Zentralkammer wird sich in Paris befin- den, aber eine Außenstelle ist in München geplant, und es treten noch vier Lokal- und Regionalkammern in Düssel- dorf, Mannheim, München und Hamburg hinzu . Dies ist für den Wirtschaftsstandort Deutschland wichtig . Patente und ihre Durchsetzung sind ein wichtiger ökonomischer Faktor . Patentschutz wirkt sich auf die Innovationskraft aus . Es ist noch kurz auf das positive Signal aus Großbri- tannien einzugehen . Bedingung für das Einheitliche Pa- tentgericht ist die Teilnahme der drei größten EU-Staaten: Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich . Mit der Ankündigung der Ratifizierung in London wird das Einheitliche Patentgericht möglich . Die Ankündi- gung ist aber auch als Signal zu verstehen, dass Groß- britannien sich weiterhin dem europäischen Binnenmarkt verpflichten möchte. Ich bitte Sie um Zustimmung zu diesen Gesetzentwür- fen . Christian Flisek (SPD): Seit den 1960er-Jahren wurde eine Reform des europäischen Patentsystems angestrebt . Das Einheitliche Patentgericht setzt einen Schlussstein für diese Reformbemühungen und schafft damit Rahmenbedingungen, in denen sich innovative Industrie im gesamten europäischen Binnenmarkt unter einem starken Schutz entwickeln kann . Der Patentschutz wird dadurch wesentlich erweitert und kann in allen teilnehmenden Mitgliedstaaten durchgesetzt werden . Anstelle vieler einzelner Blumen, die bisher an den ein- zelnen Patentamten gepflückt werden mussten, ist nun gleich der ganze Strauß aus einer Hand erhältlich . Das ist ein großer Fortschritt . Das Übereinkommen, das hier ratifiziert werden soll, wurde von der Bundesrepublik am 19 . Februar 2013 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22343 (A) (C) (B) (D) unterzeichnet . Nach dem Brexit-Votum am 23 . Juni 2016 war unklar, ob der ursprüngliche Zeitplan zur Ein- führung des Einheitlichen Patentgerichts eingehalten werden kann . Wichtige Elemente des einheitlichen Pa- tentgerichts wurden infrage gestellt, weil sie auf eine Be- teiligung Großbritanniens aufbauen . Wir sind froh, dass Großbritannien aus dem Projekt des einheitlichen Patent- gerichts schlussendlich nicht austeigen möchte, und sind froh, dass das Übereinkommen zum Einheitlichen Paten- gericht nun umgesetzt werden kann . Der Bundestag trägt mit der Ratifizierung des Übereinkommens das Seinige bei, um das Projekt nun zügig zum Abschluss zu bringen . Das einheitliche Patentgericht soll möglichst schnell auf- gebaut werden und die Arbeit aufnehmen . Es wurde beanstandet, dass die Kosten für eine Patent- anmeldung in diesem System zu hoch seien . Tatsächlich sind die Gebühren für das europäische Patent höher als die Gebühren für nationale Patentanmeldungen . Natür- lich sind die Kosten der Patentanmeldung ein wichtiger Faktor, an dem sich jedes Patentsystem messen lassen muss . Der Preis ist allerdings an der Gegenleistung zu messen – und im europäischen Patentsystem ist der Schutz wesentlich weitreichender als in den nationalen Systemen . Im Ergebnis ist es preiswerter, ein europäi- sches Patent zu erwerben als ein Dutzend nationaler Pa- tente . Das Europäische Patentgericht wird das deutsche Pa- tentgericht nicht verdrängen . Das deutsche Patentgericht leistet ausgezeichnete Arbeit und ist dank der Mitarbeit technischer Richter eines der modernsten und besten Pa- tentgerichte in Europa . Diese stärken sollen beibehalten und genutzt werden, und das deutsche Patentgericht wird weiterhin über deutsche Patente entscheiden . Zu einem funktionsfähigen europäischen Patentsystem gehört nicht nur das Europäische Patentgericht, sondern auch das Europäische Patentamt . Bei dem Europäischen Patentamt hat sich in den letzten Jahren eine Unruhe un- ter den Mitarbeitern breitgemacht . Ich sage das nicht nur aufgrund von Berichterstattungen in Zeitungen – obwohl hier auch umfassend der Führungsstil des Präsidenten kritisiert wurde . In persönlichen Gesprächen wurde mir von Mitarbeitervertreten, ehemaligen Beschäftigen im Patentamt, zur Lage der Arbeitsbedingungen im Euro- päischen Patentamt berichtet . Hier wurde berichtet, dass die Stimmung im Amt durch ein Übermaß von Melde- pflichten vergiftet sei, und Arbeitnehmer würden dazu aufgerufen, sich gegenseitig zu denunzieren . Die Ausein- andersetzungen eskalierten erstmals Anfang letzten Jah- res, als zwei Gewerkschaftsvertreter entlassen wurden . Besonders problematisch sind solche Entlassungen, weil die Rechtsschutzmöglichkeiten im EPA beschränkt sind . Das EPA hat einen Sonderstatus und unterliegt keiner nationalen oder europäischen Gerichtsbarkeit . Es ist da- mit eine Art Raumschiff, das von der restlichen Rechts- ordnung abgeschirmt nach eigenen Regeln funktioniert . Rechtlicher Schutz kann nur vor Beschwerdekammern erlangt werden . Mit der Unabhängigkeit dieser Be- schwerdekammern steht und fällt eine faire Behandlung der Arbeitnehmer . Die Unabhängigkeit der Beschwerde- kammern ist jedoch dann in Gefahr, wenn der Präsident für die Suspendierung unliebsamer Richter wirbt . Neben den beschränkten Rechtschutzmöglichkeiten verschärft das besonders intensive Abhängigkeitsverhältnis der Ar- beitnehmer am Patentamt die Lage . Das Abhängigkeits- verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber beim EPA ist besonders stark, weil die soziale Absicherung im Wesentlichen über ein System des EPA erfolgt . Bei je- dem Konflikt mit dem Präsidenten riskieren die Arbeit- nehmer damit wesentliche Grundlagen ihrer Existenz . Neben der Kritik der Arbeitnehmer im EPA tritt die Kritik der Patentanwälte . Patentanwälte, die regelmäßig am EPA Patente beantragen, stellen eine Verschlechte- rung der Qualität der Patente fest . Diese Verschlechte- rung führen sie ebenfalls auf die Personalführung im Amt zurück . Das europäische Patentamt hat seit seiner Gründung eine äußert erfolgreiche Entwicklung genommen . Die Strukturen des EPA sind – auch für Arbeitnehmer – funk- tionstüchtig, wenn die Führung sich nicht gegen, sondern an die Seite der Mitarbeiter stellt . Wir sind hier mit der Kritik nicht allein, die Kollegen aus dem niederländi- schen Parlament beschäftigen sich ebenfalls mit den Zu- ständen am EPA . Die Bundesrepublik Deutschland hat allerdings als Sitzstaat der größten Niederlassung des Pa- tentamtes eine besondere Verantwortung, diese Missstän- de zu beseitigen und damit für ein einwandfreies Funkti- onieren des europäischen Patentsystems zu sorgen . Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE):Wir re- den heute hier in zweiter Lesung über einen besseren Schutz von Erfindungen in Europa durch ein einheitli- ches Patentgericht . Ziel des dafür von der Bundesregie- rung vorgelegten Gesetzentwurfes ist es, die Rahmenbe- dingungen für die innovative Industrie im europäischen Binnenmarkt durch einen besseren Schutz von Erfindun- gen nachhaltig zu stärken . Die besondere wirtschaftli- che Bedeutung eines flächendeckenden einheitlichen Patentschutzes in Europa liege in der Kostengünstigkeit und darin, dass er „in einem Verfahren vor dem Einheit- lichen Patentgericht mit Wirkung für alle teilnehmenden EU-Mitgliedstaaten durchgesetzt werden kann“, so heißt es in der Begründung . Insbesondere die deutsche Indus- trie, auf die rund 40 Prozent der an Anmelder aus Euro- pa erteilten europäischen Patente entfallen, soll von dem verbesserten Schutz ihrer Erfindungen profitieren. Das Einheitliche Patentgericht soll bei Streitigkeiten über Patente, die vom Europäischen Patentamt erteilt wurden, mit europaweiter Wirkung entscheiden . Deren erste In- stanz soll ihren Sitz in Paris nehmen, mit Außenstellen in London und München . Die Berufungsinstanz soll in Luxemburg angesiedelt werden . In der Bundesrepublik Deutschland soll eine Abteilung der Zentralkammer in München und jeweils eine Lokalkammer in Düsseldorf, Hamburg, Mannheim und München eingerichtet werden . Die Linke unterstützt diesen besseren Schutz von Erfindungen in Europa und damit grundsätzlich diesen Gesetzentwurf . Im Zusammenhang mit der angestreb- ten Konsistenz und Kostenersparnis für die streitenden Parteien ist die vorgesehene Errichtung eines Einheitli- chen Patentgerichts zu begrüßen . Denn bisher muss bei Nichtigkeitsklagen und Verletzung vor den jeweiligen nationalen Gerichten geklagt werden, und die Wirkung Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722344 (A) (C) (B) (D) der gerichtlichen Entscheidung bleibt auf das jeweilige Staatsgebiet beschränkt . Trotzdem bleiben für uns Kri- tikpunkte offen. So bedauern wir es sehr, dass die Kos- tentragfähigkeit für kleine und mittlere Unternehmen, KMU, infrage steht . Während sich die Gerichtskosten im Rahmen bewegen, sind die Vertretungskosten sehr hoch und aufgrund von Ausnahme- und Ermessensregelungen unkalkulierbar . Damit gehen sie mit einem hohen Risiko einher . Wirksame Maßnahmen zur Förderung von KMU wären auf der Erteilungsseite eine Rabattierung der Amtsgebühren und auf der Durchsetzungsseite die Aus- weitung der Prozesskostenhilfe auf juristische Personen und die Schaffung einer geeigneten Prozesskostenversi- cherung . Doch davon ist bisher nichts im europäischen Patentpaket zu finden. Profiteure des Einheitspatent-Pa- kets sind diejenigen, die einen geografisch möglichst breiten Patentschutz benötigen und über die erforderli- che Finanzausstattung verfügen, um die hierfür und für die gerichtliche Durchsetzung ausgerufenen Kosten zu tragen . Trotzdem bleibt meine Fraktion insgesamt bei ihrer Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf und fordert, in der Umsetzung die von uns kritisierten Sachverhalte im Blick zu behalten und die gesetzlichen Regelungen zu korrigieren, sollten sich unsere Befürchtungen bewahr- heiten . Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Als wir das letzte Mal über das Europäische Einheitliche Patentgericht sprachen, am 23 . Juni 2016, stimmten die Briten gerade für ihren Ausstieg aus der Europäischen Union . Ein schwarzer Tag für Europa, der zunächst auch das Verfahren über das Einheitliche Patentgericht zum Stillstand brachte . Denn das neue Patentgericht soll ne- ben der Zentralkammer in Paris und einer Abteilung in München auch eine dritte Abteilung in London haben . Nun hat Großbritannien aber angekündigt, das Abkom- men über das Einheitliche Patentgericht, dessen Umset- zungsgesetz wir heute debattieren, doch ratifizieren zu wollen . Das ist gut so . Was sind die Vorteile des Einheitspatentes? Dazu muss man sich die Struktur der Patente in der EU vor Augen führen . Es gibt zunächst das nationale Patent, das bei uns nach deutschen Vorschriften erteilt wird . Daneben gibt es auch schon bisher die Möglichkeit eines Europäischen Patents, das aber faktisch nur ein Bündel aus nationalen Patenten ist . Rechtsschutz bei diesem Patent ist auch nur über die jeweiligen nationalen Staaten, die im „Bündel- patent“ erfasst sind, möglich . Was also fehlt, ist ein Patent, dessen Schutzwirkung einheitlich für die Vertragsstaaten des Europäischen Pa- tentabkommens gilt . Dieses Ziel soll jetzt mit diesem Gesetz realisiert werden . Für den Patentinhaber bedeutet dies, dass er das Einheitspatent anstelle oder neben dem nationalen Patent oder dem bisherigen Europäischen „Bündelpatent“ wählen kann . Bekommt er das Einheits- patent erteilt, so kann er sich im Streitfall an das Einheit- liche Patentgericht wenden und ein Urteil erlangen, dass es seiner Gegenseite in allen Mitgliedstaaten untersagt, sein Patent zu vertreiben oder herzustellen . Eine Vielzahl nationaler Verfahren, wie jetzt beim „Bündelpatent“ er- forderlich, wird vermieden . So positiv das alles klingt, das Einheitspatent hat einen Haken: Es ist teuer . Ein Verfahren vor dem Ein- heitlichen Patentgericht wird voraussichtlich ungefähr doppelt so viel kosten wie ein Verfahren vor den deut- schen Behörden . Allerdings bekommt man auch mehr für sein Geld, denn die rechtliche Wirkung des Schutzes gilt für alle Vertragsstaaten . Müsste der Patentinhaber Ver- fahren vor mehreren nationalen Gerichten durchführen, wie es derzeit beim Bündelpatent der Fall ist, kann es sogar noch teurer werden . Wir müssen aufpassen, dass keiner zurückbleibt und dass das Einheitspatent nicht zu einem Privileg der großen Konzerne verkommt . Die Kostenfrage können wir nicht im nationalen Alleingang regeln, deshalb muss die Bundesregierung sich jetzt auf EU-Ebene dafür einsetzen, dass Programme zur Un- terstützung von KMU, wie sie die Kommission bereits angekündigt hat, auch tatsächlich durchgesetzt werden . Wenn das nicht klappt, müssen wir über das zugrunde- liegende Übereinkommen nachverhandeln . Man könnte zum Beispiel die Prozesskostenhilfe auf KMU ausdeh- nen, wenn sie die Kosten des Verfahrens nicht bestreiten können . Denn Rechtsschutz muss jedem möglich sein, und Rechtsdurchsetzung darf nicht am Geld scheitern . Die Frage des angemessenen Rechtsschutzes ist auch der Punkt, der mich beim zweiten Gesetz beschäftigt, das wir heute debattieren . Mit dem Begleitgesetz passen wir das deutsche Recht an das neue europäische Patentrecht an . Das ist weitgehend sinnvoll und erforderlich, weshalb ich nur auf einen Punkt eingehen will: die Aufhebung des Doppelschutzverbotes . Bisher war es nicht möglich, dass ein nationales Pa- tent in Deutschland neben dem europäischen (Bündel-) Patent Wirkung entfaltet . Das soll sich mit dem Einheits- patent nun ändern . Beide Patente – das Einheitspatent und das deutsche Patent – sollen nach dem Gesetzent- wurf nebeneinander bestehen können . Das bedeutet, dass Patentinhaber bei Verletzung ihres Patentes zwischen zwei Rechtswegen den Weg aussuchen können, der ihnen mehr Schutz bietet . Entweder ziehen sie vor das Einheits- gericht und klagen wegen Verletzung des Einheitspaten- tes, oder sie wählen das deutsche Patentgericht wegen Verletzung des nationalen Patentes . Ob diese Wahlfrei- heit notwendig ist, ist schon zweifelhaft . Was aber in jedem Fall gewährleistet werden muss, ist ein ausrei- chender Schutz des Beklagten . Der Gesetzentwurf sieht dazu die „Einrede der doppelten Inanspruchnahme“ vor, die der Beklagte vor dem Patentgericht geltend machen kann, wenn ein Verfahren gegen ihn aus derselben Sache bereits beim Einheitlichen Patentgericht rechtshängig oder das Verfahren sogar schon abgeschlossen ist . Das Übereinkommen zum Einheitspatentgericht ent- hält aber keine Einrede der doppelten Inanspruchnahme für den umgekehrten Fall . In der Begründung des Ge- setzentwurfes heißt es: „Im Übrigen, insbesondere nach Abschluss des nationalen Verfahrens, ist auch das Ein- heitliche Patentgericht aufgerufen, eine Lösung für den Fall der doppelten Inanspruchnahme zu finden.“ Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22345 (A) (C) (B) (D) Letztlich werden Richter des neuen Einheitsgerichtes mangels konkreter Regelung höchstens den Einwand des Rechtsmissbrauchs gelten lassen können . Das ist aber al- les andere als Rechtssicherheit, die doch mit der Verein- heitlichung im Patentrecht angestrebt wurde . Wir müssen also auf europäischer Ebene nachbessern . Wenn wir das schon auf europäischer Ebene im Pa- tentrecht nachbessern, können wir auch gleich die weite- re offene Baustelle angehen – die Biopatente. Die Reform wurde nicht genutzt, um die Patenterteilung für Pflanzen und Tiere als Produkte „im Wesentlichen biologischer Verfahren“ endlich eindeutig auszuschließen . Eine un- verbindliche Mitteilung der Kommission reicht mir nicht aus . Es droht eine steigende Privatisierung genetischer Ressourcen zulasten von Züchtung, Landwirtschaft und der Verbraucherinnen und Verbraucher . Das müssen wir stoppen, um biologische Vielfalt zu erhalten und die Kontrolle und Monopole von Lebensmittelketten durch Biopatentinhaberinnen und -inhaber zu unterbinden . Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleich- terung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen (Tagesordnungspunkt 43) Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Erstens . Für mich schließt sich mit dieser heutigen Rede ein großer Kreis in meiner Arbeit hier im Deutschen Bundestag . Denn es war meine erste Rede in diesem Hohen Haus, die ich am 14 . Februar 2014 – vor über drei Jahren – anlässlich der Beratung im Rahmen der ersten Lesung des jetzt zum Abschluss kommenden Gesetzgebungsverfahrens gehalten hatte . Und damals hatte ich bei diesem Gesetz- entwurf darauf verwiesen, dass es im Insolvenzrecht noch andere wichtige Baustellen gebe, die eigentlich vordringlich abgearbeitet werden müssten – insbesonde- re die Reform des Insolvenzanfechtungsrechts . Wir wa- ren deshalb überzeugt, dass eine finale Behandlung des hiesigen Konzerninsolvenzgesetzes keinen Sinn mache, wenn nicht zuvor oder jedenfalls gleichzeitig auch das Insolvenzanfechtungsrecht – im Sinne übrigens unserer Koalitionsvereinbarung – reformiert würde . Diese zweite Baustelle erwies sich als deutlich kom- plexer als gedacht, insbesondere wegen der Wünsche des Fiskus . In der letzten Sitzungswoche aber haben wir dieses „große Loch“ schließen können, und wenn nichts Unvorhergesehenes passiert, wird der Gesetzentwurf am morgigen Freitag auch den Bundesrat passieren . Damit waren auch für das Konzerninsolvenzgesetz die Ampeln auf Grün gestellt . Das Gesetz, dessen Regierungsentwurf übrigens noch unter der früheren Bundesregierung erarbeitet wurde und dessen erste Vorarbeiten noch auf die letzte Große Koa- lition zurückgehen (!), bildet den Abschluss – sicher nur vorläufig – einer insolvenzrechtlichen Novellierungstrias aus erstens dem ESUG, also dem Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen, zwei- tens der Reform der Restschuldbefreiung und schließ- lich heute drittens der Regelung der Konzerninsolvenz . Alle Gesetze teilen das Ziel einer Erhaltung von Werten und Arbeitsplätzen durch „Sanierung vor Zerschlagung“ . Das ist ein richtiger Weg und konkrete soziale Marktwirt- schaft . Zweitens . Lassen Sie mich aber jetzt zunächst noch einmal das Kernanliegen des heute abschließend zu be- ratenden Gesetzentwurfs in Erinnerung rufen: Das Bild des Bürgers vom Unternehmen ist noch immer geprägt von der einzelnen Gesellschaft, meistens der GmbH oder der Aktiengesellschaft . Die wirtschaftliche Realität ist aber eine völlig andere . Unternehmensgruppen, teilweise bestehend aus mehreren Hundert einzelnen Gesellschaf- ten, bestimmen das Geschehen . Das gilt nicht nur für die bekannten multinationalen Konzerne, sondern auch für viele Mittelständler und sogar Handwerker . Schon lange hat unsere Rechtsordnung auf dieses Phä- nomen reagiert. So verlangen die Offenlegungsvorschrif- ten des Bilanzrechts eine zusammengefasste Darstellung aller Konzernunternehmen, um ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Fi- nanz- und Ertragslage des – so ist es gemeint – gesamten Konzerns zu vermitteln . Im Gesellschaftsrecht wird das Phänomen Konzern an zahlreichen Stellen aufgegriffen. Es begründet unter hier nicht weiter interessierenden Voraussetzungen Durch- griffsmöglichkeiten, Haftung, Zurechnung usw. Auf der Grenze zum Arbeitsrecht tragen schließlich der Konzern- betriebsrat und die konzernweite unternehmerische Mit- bestimmung dem Vorliegen einer Unternehmensgruppe Rechnung . Stiefmütterlich behandelt wird der Konzern aber bis- lang im Insolvenzrecht . Hier steht die einzelne natürliche oder juristische Person im Vordergrund, genauso wie im 19 . Jahrhundert, als mit der Konkursordnung die Vor- gängerin unserer heutigen Insolvenzordnung geschaffen wurde . Das ist wenig überzeugend; denn dadurch werden die sogenannten Synergievorteile, die bei der lebenden Großorganisation Konzern den Gesellschaftern, Gläubi- gern und damit auch den Arbeitnehmern zugutekommen, in der Abwicklung vergeudet . Das Insolvenzverfahren über die einer Unternehmens- gruppe angehörigen Unternehmen kann nämlich bislang an ganz unterschiedlichen Orten mit jeweils unterschied- lichen Insolvenzverwaltern stattfinden. Die Praxis – dazu zählen auch die Insolvenzgerichte – hat hier im Wege von Auslegung und Vereinbarung zwar durchaus praktikable Lösungen entwickelt, beispielsweise ein einheitliches In- solvenzverfahren in Köln . Für die notwendige Rechtssi- cherheit reicht dies aber nicht aus, zumal wir uns hier in einer Konkurrenz vor allem mit England befinden (des- sen „markttreibende Rolle“ in diesem Bereich übrigens im Falle eines Brexits durchaus andere EU-Staaten sich zu übernehmen anschicken) . Es ist relativ leicht möglich, den sogenannten Mittelpunkt der hauptsächlichen Inte- ressen eines Unternehmens nach England (oder einen anderen EU-Staat) zu verlegen und dann dort das ganze Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722346 (A) (C) (B) (D) Insolvenzverfahren über eine Unternehmensgruppe ein- heitlich abzuwickeln . Handeln ist daher geboten . Wo konkret liegt das Problem? Fünf Fragenkreise las- sen sich ausmachen: erstens die divergierende örtliche Zuständigkeit der Insolvenzgerichte, wie gerade gesagt; zweitens die Tatsache, dass dann noch unterschiedliche Insolvenzverwalter in den verschiedenen Verfahren tä- tig sind; drittens, dass wir es mit unterschiedlichen In- solvenzmassen zu tun haben; viertens die Frage, wie das eine Verfahren auf das andere Verfahren einwirkt; und fünftens und letztens, ob man einen Masterplan machen kann, mit dem man das gesamte Unternehmen einheitlich sanieren kann . Der Entwurf adressiert positiv drei der genannten Fra- gestellungen und einen weiteren explizit negativ . Diese „Selbstbeschränkung“ ist zunächst zu begrüßen; denn in den streitigen Fragen, in denen noch keine endgültige Klarheit besteht, sollte der Gesetzgeber nicht autoritativ eingreifen . Als Erstes ermöglicht er eine einheitliche örtliche Zu- ständigkeit für das Insolvenzverfahren der verschiedenen konzernangehörigen Unternehmen bzw . Gesellschaften . Der Gesetzentwurf stellt für diesen Ort im Grundsatz auf das sogenannte Prioritätsprinzip ab, also den Ort, an dem zuerst ein Insolvenzantrag gestellt wurde . Das er- scheint mir überzeugend, weil es nur für einen frühzeitig gestellten Eigenantrag gilt und Missbrauch in Form von Zuständigkeitserschleichungen auch noch durch andere Maßnahmen verhindert wird . Zum Zweiten stellt er klar, dass in solchen Fällen ein einheitlicher Insolvenzverwalter bestellt werden darf, dass also gerade nicht, wie bisher teilweise behauptet wurde, zwischen den einzelnen insolventen Gesellschaf- ten so starke Konflikte bestehen, dass immer – kosten- intensiv – unterschiedliche Verwalter bestellt werden müssen . Soweit das gleichwohl der Fall ist, sollen sie zur Zusammenarbeit verpflichtet werden. Zum Dritten will der Entwurf die Möglichkeit einer freiwilligen Koordination durch ein besonderes neues Koordinationsverfahren schaffen, also einen Masterplan. Zusammengefasst: Was das Gesellschaftsrecht zu- sammengeführt hat, das soll das Insolvenzrecht nicht scheiden . Das ist im Ansatz richtig und wichtig; denn die durch die Neuregelung klargestellte Möglichkeit, die In- solvenzverfahren verschiedener konzernangehöriger Un- ternehmen an einem Ort und in einer Hand abzuwickeln, spart Kosten . Das ist gut für die Gläubiger, die Arbeit- nehmer und damit für die Menschen in unserem Land . Was der Entwurf andererseits nicht vorschlägt: Weder werden die Insolvenzverfahren der einzelnen konzern- angehörigen Unternehmen als solche zusammengefasst, noch – und erst recht nicht – werden die Vermögensmas- sen der einzelnen Gesellschaften zusammengefasst . Das entspricht der Selbstständigkeit juristischer Personen auch im Konzern . Würde man anders vorgehen – es gibt durchaus Stimmen, die das fordern –, würde die Mög- lichkeit der Kreditvergabe an die einzelnen Gesellschaf- ten nachhaltig beeinträchtigt . Denn als Gläubiger braucht man Berechenbarkeit, und das heißt auch: Man muss vor- her wissen, mit wem man nachher in einem Boot sitzt, wenn die Mittel des Kreditnehmers nicht mehr reichen . Drittens . An diesem, wie gesagt, schon seit Beginn der Legislaturperiode vorliegenden guten Gesetzentwurf ha- ben wir in den vergangenen Monaten noch einige Punkte verbessert: Hinsichtlich des „Gruppen-Gerichtsstands“ haben wir in § 3a InsO (neu) deutlich gemacht, dass die Begrün- dung einer Zuständigkeit an einem anderen Ort als dem Sitz eines Konzernunternehmens nur dann in Betracht kommt, wenn dieses Unternehmen „nicht offensichtlich von untergeordneter Bedeutung“ ist – und dies dahin gehend konkretisiert, dass dies dann der Fall ist, wenn dieses Unternehmen mehr als 15 Prozent (statt ursprüng- lich 10 Prozent) der Mitarbeiter des Konzerns beschäf- tigt oder seine Bilanzsumme oder seine Umsätze mehr als 15 Prozent (statt ursprünglich 10 Prozent) der Kon- zernzahlen betrugen, wobei das genannte Beschäftigten- quorum in jedem Fall die Begründung einer abweichen- den Zuständigkeit ausschließt . Damit wird sichergestellt, dass das Insolvenzverfahren in jedem Fall nicht von dort wegverlegt werden kann, wo es eine – relativ gesehen – große Beschäftigtenzahl gibt . Auf Wunsch meiner Fraktion haben wir zudem in § 3e Absatz 2 InsO (neu) klargestellt, dass auch GmbH & Co KGs als Konzerne „gelten“, auch wenn sie es natürlich in unserem gesellschaftsrechtlichen Verständnis nicht sind . Aber auch hier ist es sinnvoll, sicherzustellen, dass die Insolvenz der Komplementärin einer Gesellschaft dort abgewickelt wird, wo auch das Insolvenzverfahren über die Gesellschaft selbst durchgeführt wird . Schließlich wollen wir anordnen, dass die Kosten für den „Verfahrenskoordinator“ (so „umgetauft“; im Regie- rungsentwurf noch „Koordinationsverwalter“) von den Kosten der Einzelverfahren abgezogen werden, sodass insgesamt keine höheren Verwalterkosten entstehen (Ar- tikel 3 des Gesetzentwurfs mit der Änderung von § 3 Ab- satz 2 der Insolvenzrechtlichen Vergütungsverordnung) . Denn natürlich soll der mit dem neuen Verfahren ange- strebte Gewinn für die Insolvenzmasse(n) nicht durch höhere Kosten des Insolvenzverfahrens konterkariert werden . Auf Wunsch der SPD-Fraktion haben wir schließlich eine Regelung in § 269c Absatz 1 InsO (neu) aufgenom- men, dass in jeden Gruppen-Gläubigerausschuss ein Ar- beitnehmervertreter berufen wird . Viertens . Die CDU/CSU-Fraktion hatte zudem gebe- ten, zu prüfen, ob ähnlich den insolvenzrechtlichen Zu- ständigkeiten nicht auch die finanzgerichtlichen Zustän- digkeiten konzentriert werden könnten . Geprüft wurde die zentrale Zuständigkeit eines Finanzgerichts für alle finanzgerichtlichen Verfahren, an denen gruppenangehö- rige Unternehmen beteiligt und die nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über die jeweiligen Unterneh- men anhängig geworden sind . Der Vorschlag wurde seitens des – insoweit federfüh- renden – BMF als ein nachvollziehbares und grundsätz- lich unterstützungswürdiges Anliegen angesehen, weil es dazu beitragen könne, die Klärung der mitunter komple- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22347 (A) (C) (B) (D) xen steuerrechtlichen Verhältnisse in der insolventen Un- ternehmensgruppe zu erleichtern . Denn dadurch könnten wie durch die §§ 3a ff. InsO (neu) insbesondere wider- sprüchliche Entscheidungen vermieden und damit die Rechts- und Planungssicherheit erhöht werden . Da allerdings aus Sicht des – insoweit federführen- den – BMF eine Zuständigkeitskonzentration bereits auf der Ebene der Finanzämter, die dem finanzgerichtlichen Verfahren vorgelagert wäre und sämtliche Steuerrechts- verhältnisse erfassen würde, nicht in Betracht kommt, und da von der vorgeschlagenen finanzgerichtlichen Zuständigkeitskonzentration Verfahren ausgenommen werden sollen, die vor Eröffnung des Insolvenzverfah- rens über die jeweils betroffenen Unternehmen anhängig geworden sind, ließe sich über die angedachte Regelung nur ein Bruchteil der vorgenannten Vorteile realisieren . Eine zügige und koordinierte Bereinigung der gesamten steuerrechtlichen Seite der Konzerninsolvenz ließe sich damit wohl nicht erreichen, zumal die vor Insolvenzer- öffnung bereits anhängig gewordenen finanzgericht- lichen Verfahren ab dem Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ohnehin unterbrochen sind, soweit sie nicht – was in der Praxis die Ausnahme ist – nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften aufgenommen werden (§ 155 Satz 1 FGO in Verbindung mit § 240 Satz 1 ZPO) . Hiernach mögliche Vorteile, die man sich von einer finanzgerichtlichen Zuständigkeits- konzentration versprechen könnte, würden sich zudem nicht in jedem Fall erzielen lassen . So sind die Finanz- gerichte nicht für alle unternehmensrechtlich wichtigen Steuerarten zuständig; beispielsweise entscheiden über Gewerbesteuerbescheide außerhalb der Stadtstaaten die Verwaltungs- und nicht die Finanzgerichte . Auch wäre einem finanzgerichtlichen Gruppen-Gerichtsstand die Entscheidungskompetenz für Streitigkeiten über die Aus- legung des Rechts eines anderen Bundeslandes entzogen . Schließlich sind den Möglichkeiten Grenzen gesetzt, sämtliche Verfahren in Analogie zu § 3c Absatz 1 InsO (neu) bei einem Senat zu konzentrieren . Eine solche Konzentration auf einen Senat könnte je- denfalls nicht solche Verfahren erfassen, die in die Zu- ständigkeit der gesetzlich vorgesehenen Spezialsenate gemäß § 5 Absatz 2 Satz 2 FGO fallen . Auch wäre frag- lich, ob die Richter eines Senats ausreichen würden, um sämtliche sich im Zusammenhang mit Konzerninsolven- zen stellenden steuerrechtlichen Fragen (etwa umsatz- steuerrechtliche einerseits und körperschaftsteuerrecht- liche andererseits) mit der dafür jeweils erforderlichen Fachkompetenz abzudecken . Ein von uns diskutierter möglicher Ausweg könnte darin bestehen, durch eine Öffnungsklausel zumindest eine Zuständigkeitskonzentration innerhalb der jeweili- gen Landesgrenzen zu ermöglichen . Aus Sicht von Un- ternehmensgruppen, deren Organisation über Landes- grenzen hinwegreicht, wäre es dann allerdings bei einer dezentralen Zuständigkeit der Finanzgerichte geblieben . Daher hätte diese Lösung ebenfalls keine verlässlichen Beiträge zur „Gesamtbereinigung“ der steuerrechtlichen Seite der Konzerninsolvenz leisten können . Ein denkba- rer Vorteil hätte allerdings darin bestehen können, dass sich auf Landesebene Gerichte mit spezieller Kompetenz und Erfahrung auf dem Gebiet des Insolvenzsteuerrechts entwickeln können . Andererseits ist in den Bundeslän- dern mit Ausnahme von Bayern und Nordrhein-West- falen jeweils ohnehin nur ein Finanzgericht zuständig, sodass der insoweit anzustrebende Zustand schon weit- gehend erreicht ist . Zudem werden in den meisten Fällen mit insolvenzrechtlichem Bezug umsatz- und körper- schaftsteuerrechtliche Fragen im Vordergrund stehen, die bereits jetzt die Zuständigkeit von regelmäßig eingerich- teten Spezialsenaten in umsatzsteuerlichen bzw . körper- schaftsteuerlichen Angelegenheiten begründen, sodass die Schaffung einer weiteren Spezialzuständigkeit einen Kompetenzgewinn eher nicht hätte erwarten lassen . Für Bayern (zwei Finanzgerichte) und Nordrhein-Westfalen (drei Finanzgerichte) hätte sich zudem die Frage gestellt, ob die erhofften Vorteile einer Konzentration den damit verbundenen Regelungsaufwand rechtfertigen . Vor diesem Hintergrund hätte sich die von uns in Be- tracht gezogene Zuständigkeitskonzentration nicht in der gewünschten Weise und auch nicht mit dem Grup- pen-Gerichtsstand vergleichbaren Wirkungen umsetzen lassen . Die erwogene Änderung der Finanzgerichtsord- nung würde einen Beitrag, der über das geltende Prozes- srecht und die dort bereits vorgesehenen Möglichkeiten hinausgeht, zur Erreichung der mit dem Entwurf zum Konzerninsolvenzrecht verfolgten Ziele kaum leisten . Um korrespondierende Entscheidungen bezüglich der im Zusammenhang mit Konzerninsolvenzen relevanten Spezialproblematik der Behandlung von steuerlichen Or- ganschaften (§ 2 Absatz 2 Nummer 2 UStG) zu fördern, bietet die Finanzgerichtsordnung zudem bereits heute das verfahrensrechtliche Instrumentarium der Beiladung (§ 174 Absatz 5 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 4 AO, §§ 60, 60a FGO) von Organträgern bzw . Organgesell- schaften und Finanzbehörden anderer Bundesländer zum gerichtlichen Verfahren . Fünftens . Und natürlich hätten wir uns auch noch die Regelung anderer offener Fragen vorstellen können. Eine davon bildet die Beteiligung von Arbeitnehmervertretern im (vorläufigen) Gläubigerausschuss, ein Problem, das schon im Rahmen der Reform durch das ESUG nicht gelöst worden war . Denn nach geltendem und insoweit hier jetzt auch nicht zu änderndem Recht sind hier kei- ne Vertreter zulässig, die nicht auch gleichzeitig selbst Arbeitnehmer bzw . Insolvenzgläubiger sind, was für Ge- werkschaftsvertreter gerade nicht gilt . In diesem Zusammenhang ist darüber hinaus allge- mein die Frage klärungsbedürftig, wie die Vertretung von Gläubigern im (vorläufigen) Gläubigerausschuss ausgestaltet werden sollte . Dabei wollten wir insbeson- dere auch sicherstellen, dass im (vorläufigen) Gläubi- gerausschuss keine Vertreter mehr sitzen, hinter denen keine Gläubigerinteressen mehr stehen . Mit diesem auch als „empty voting“ bezeichneten Vorgehen ist eine Übernahme und Umgestaltung von Gesellschaften in der Insolvenz durch Finanzhaie zulasten sanierungsfähiger Unternehmen und ihrer Arbeitnehmer möglich . Hier ist es daher besonders bedauerlich, dass die SPD-Fraktion keinen Handlungsbedarf gesehen hat . Gleichwohl: Wir haben ein gutes Gesetz gemacht, und dazu bitte ich um Ihre Zustimmung . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722348 (A) (C) (B) (D) Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Man könnte sa- gen: Was lange währt, wird endlich gut . Ich freue mich, dass wir heute ein Thema abschließen können, zu dem ich meine allererste Rede in diesem Hohem Hause ge- halten habe . Eine Zielsetzung dieses Gesetzentwurfs ist die Vermei- dung suboptimaler Verwertungsergebnisse, die Vermei- dung eines „Gegeneinanderarbeitens“ der verschiedenen Insolvenzverwalter mit unterschiedlichen Verwertungs- strategien, die Vermeidung unproduktiver Verfahrens- verzögerungen . Es wird deutlich: Der Gläubigerschutz steht im Mittelpunkt dieses Gesetzentwurfs und damit der Schutz von Unternehmen, von Handwerksbetrieben, aber vor allem auch von Arbeitnehmerinnen und Arbeit- nehmern . Bisher ließen sich zentrale negative Auswirkungen durch dezentrale Insolvenzbewältigung in Konzernen ei- gentlich nur dadurch einschränken, dass alle Beteiligten guten Willens waren, zusammenzuarbeiten . Das hat al- lenfalls für eine Abmilderung gereicht; aber ausschließen konnte man negative Konsequenzen eigentlich nie . Mit diesem Gesetzentwurf wollen wir die Vorausset- zungen dafür schaffen, dass auch Konzerninsolvenzen künftig rechtssicher und effektiv bewältigt werden kön- nen . Dies ist umso wichtiger, als es gerade im Rahmen von Konzerninsolvenzen oftmals um eine Vielzahl von Arbeitsplätzen geht und dort beträchtliche Vermögens- werte auf dem Spiel stehen . Dabei baut der Gesetzentwurf auf den Zielbestim- mungen des geltenden Insolvenzrechts, insbesondere auf § 1 Insolvenzordnung, und konkretisiert diese Ziel- bestimmungen praxistauglich und gut orientiert . Es soll die Realisierung solcher Insolvenzbewältigungsstrate- gien ermöglicht werden, die den Gesamterlös für alle Gläubiger im Vergleich zum unkoordinierten Nebenei- nanderherlaufen der verschiedenen Verfahren – so will ich es einmal nennen – verbessern, ohne dabei aber eine Schlechterstellung von Gläubigern einzelner Konzerntei- le zu verursachen . Dabei erliegt dieser Entwurf gerade nicht der Versu- chung – das ist ganz wichtig –, ein konsolidiertes Kon- zernverfahren einzuführen . Sie wissen, im Konzern- und im Gesellschaftsrecht gelten die Grundsätze der rechtlichen Trennung und der Selbstständigkeit . Diesen Grundsätzen würde eine Massekonsolidierung voll und ganz widersprechen . Auch unter dem Gesichtspunkt der Rechtsklarheit und der Rechtssicherheit im Geschäfts- verkehr wäre dies nicht zu vermitteln . Denn sonst müsste sich künftig ein Gläubiger – zum Beispiel im Vorfeld ei- ner Kreditvergabeentscheidung – zunächst einmal darü- ber klar werden, in was für einer wirtschaftlichen bzw . finanziellen Situation der Konzern insgesamt und seine Teile sind, bevor er dann mit der entsprechenden Schuld- nergesellschaft kontrahieren kann . Die flexiblen Koordinierungsmechanismen, die hier zum Einsatz kommen sollen – ich will es einmal das Handwerkszeug nennen –, wurden von meinen Vorred- nern schon dargestellt . Lassen Sie mich daher nur noch handverlesen auf Einzelheiten eingehen: Neben die allgemeine Gerichtsstandregelung, wie wir sie kennen, in § 3 Insolvenzordnung tritt nun die Mög- lichkeit eines Gruppengerichtsstands auf Antrag des Schuldners . Dabei ist wichtig, dass das nicht als eine ausschließliche Gerichtsstandregelung ausgestaltet ist, was eine flexible Handhabe ermöglicht. Denn es kann auch weiterhin Konstellationen geben, wo kein erhöhter Koordinierungsbedarf gegeben ist; da erscheint die alte Regelung durchaus praktikabel . In der ersten Beratung gab es nun eine Reihe ver- schiedener Punkte, die ich gerne überdacht haben wollte . Auch hier bin ich sehr zufrieden, dass gegenüber dem ersten Entwurf noch einiges erreicht werden konnte . Da- her bitte ich um Ihre Zustimmung . Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Mit der heutigen Debatte schließen wir endlich das Dauerthema Kon- zerninsolvenzrecht ab . Was noch in der letzten Legisla- tur begann, kommt endlich zu einem glücklichen, einem guten Ende . Der Gesetzentwurf schafft Regeln für eine effektivere Abwicklung von Insolvenzen konzernangehöriger Un- ternehmen . Nach geltendem Recht sind die konzernan- gehörigen Unternehmen jeweils eigene Rechtsträger mit eigenen Vermögensmassen, für die jeweils eigene Insol- venzverfahren durch die Insolvenzgerichte am Ort des Sitzes des jeweiligen Unternehmens bearbeitet werden, in denen gegebenenfalls jeweils verschiedene Insolvenz- verwalter bestellt werden . Diese dezentrale Bearbeitung kann zu Nachteilen führen, wenn die zu dem Konzern zu- sammengeschlossenen Unternehmen eine wirtschaftliche Einheit bilden, weil betriebs- und finanzwirtschaftliche Funktionen der insgesamt verfolgten unternehmerischen Tätigkeiten auf unterschiedliche Unternehmensträger verteilt sind . Durch die Dezentralisierung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis im Rahmen der Insolvenzverfahren wird die Erhaltung der wirtschaftlichen Einheit der Un- ternehmensgruppe erschwert und droht eine Verringerung der Befriedigungsinteressen der Gläubiger, insbesondere wenn die Insolvenzverwalter jeweils verschiedene, nicht aufeinander abgestimmte Verwertungsstrategien verfol- gen, und nicht zuletzt findet sich nun rechtssicher auch die GmbH & Co . KG wieder . Die damit verbundenen Reibungsverluste versucht der Gesetzentwurf durch Einführung geeigneter Koordinati- onsinstrumentarien zu minimieren; ganz vermeiden wer- den wir diese nie . Durch die vorgesehenen Instrumenta- rien sollen die Insolvenzverfahren, die über die einzelnen Konzerngesellschaften eröffnet werden, besser aufeinan- der abgestimmt werden . Die Änderungen schränken die Spielräume zur Be- stimmung des Gruppen-Gerichtsstands ein . Grundsätz- lich kann der Gruppen-Gerichtsstand bei jedem Gericht begründet werden, das für die Eröffnung des Verfahrens über gruppenangehörige Unternehmen zuständig ist, die nicht „von untergeordneter Bedeutung“ sind . Ob eine untergeordnete Bedeutung anzunehmen ist, richtet sich danach, ob die vorgesehenen Schwellenwerte für die Kri- terien Bilanzsumme, Umsatzerlöse und Arbeitnehmer- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22349 (A) (C) (B) (D) zahlen überschritten sind . Diese Schwellenwerte werden von 10 auf 15 Prozent angehoben . Gleichzeitig wird die Kumulation gelockert . Künftig reicht es aus, wenn zwei der drei Schwellen überschritten werden, wobei die Überschreitung der auf die Arbeitnehmerzahlen bezoge- nen Schwelle nunmehr zwingend ist . Werden die Schwellen von keinem gruppenangehöri- gen Schuldner erreicht, sieht Absatz 1 Satz 4 vor, dass der Gruppen-Gerichtsstand jedenfalls bei dem Gericht begründet werden kann, das für den gruppenangehörigen Schuldner mit den meisten Arbeitsplätzen zuständig ist . Uns Sozialdemokraten geht es in erster Linie um den Er- halt von den Arbeitsplätzen . Deswegen begrüße ich diese Änderung ausdrücklich . Mit diesem Gesetz wird sichergestellt, dass die Ar- beitnehmer im Gruppen-Gläubigerausschuss vertreten sind . Aus SPD-Sicht wäre eine ausdrückliche Regelung zur Vertretung der Arbeitnehmer bereits im vorläufigen Gläubigerausschuss durch Gewerkschaftsvertreter wün- schenswert gewesen . Da der Koalitionspartner trotz in- tensiver Beratungen dazu nicht bereit war, findet sich diese Regelung nicht mehr, glücklicherweise, weil für eine solche Regelung sowieso kein praktisches Bedürfnis mehr besteht . Die gerichtliche Praxis war schneller und klüger . Nicht nur Arbeitnehmervertretungen aus dem Un- ternehmen, sondern auch Mitglieder des Betriebsrats und der Gewerkschaften werden zwischenzeitlich selbstver- ständlich in den vorläufigen Gläubigerausschuss berufen. Eine weitere Änderung betrifft den Begriff „Koordi- nationsverwalter“, der durch „Verfahrenskoordinator“ ersetzt wird, um deutlich zu machen, dass sich dessen Aufgaben von denen eines Insolvenzverwalters grund- legend unterscheiden . Der Verfahrenskoordinator hat zum Vorteil aller Insolvenzmassen auf eine abgestimm- te Abwicklung der einzelnen Verfahren hinzuwirken . Er verwaltet nicht die Insolvenzmassen der gruppenangehö- rigen Schuldner . Insbesondere geht auf ihn nicht die Ver- waltungs- und Verfügungsbefugnis in Bezug auf diese Vermögensmassen über . Da die Tätigkeit des Verfahrenskoordinators in der Regel der Entlastung der einzelnen Insolvenzverwal- tungen dient und das Koordinationsverfahren zu keinen Mehrkosten führen soll, wird auch ein Abschlag in der Höhe der Vergütung des Verfahrenskoordinators einge- führt . Und das ist gut so . Richard Pitterle (DIE LINKE): Aufgaben- und Arbeitsteilung ist schon lange nicht mehr auf Betrie- be und einzelne Unternehmen beschränkt . Das Ideal- bild vom engagierten Einzelunternehmer, der Produkte oder Dienstleistungen eigenverantwortlich entwickelt und vermarktet, ist in allen Branchen ein Auslaufmo- dell . Wettbewerbsdruck und eine zunehmend komplexe Wirtschaftswelt zwingen Unternehmen dazu, sich Part- ner zu suchen, mit denen sie gemeinsam an Lösungen arbeiten . Bei der Verbindung von verschiedenen Unter- nehmen sind der Phantasie in der Praxis keine Grenzen gesetzt. Die Verflechtungen reichen von der einfachen Kapitalbeteiligung über die gemeinsame Nutzung von Ressourcen bis hin zu echten Beherrschungs- und Ge- winnabführungsverträgen, die die zusammenarbeitenden Unternehmen wie ein großes Unternehmen erscheinen lassen. Landläufig werden diese durch Verträge oder Ka- pitalbeteiligungen verbundenen Unternehmen als Kon- zern bezeichnet . Auch wenn verlässliche Statistiken insbesondere durch internationale Verflechtungen schwer zu erstellen sind, lässt sich diese Konzentration in allen Branchen be- obachten . In vielen Bereichen dominieren Konzerne den Markt bei Umsatz und Beschäftigten . Trotz dieser Bedeutung der Konzerne bereitet die rechtliche Behandlung von Konzernstrukturen dem deutschen Recht nach wie vor erhebliche Probleme . Das Gesellschaftsrecht geht grundsätzlich vom sogenannten Trennungsgebot aus: Jedes Unternehmen eines Konzerns ist rechtlich selbstständig . Auch im Steuerrecht gilt der Grundsatz der Individualbesteuerung der einzelnen Ge- sellschaften, auch wenn mit vielen Sonderregelungen versucht wird, den Konzern insgesamt zu erfassen . Nun sind es gerade in letzter Zeit international agie- rende Konzerne, die wiederholt die Öffentlichkeit und Steuerpolitik bewegt haben . Obwohl sie wie ein Unter- nehmen nach außen in Erscheinung treten, können sie die Aufteilung in verschiedene rechtlich selbstständige Unternehmen ausnutzen, um Gewinne kleinzurechnen, zu verschieben und so ihre Steuern auf ein Minimum zu reduzieren . Erst kürzlich haben wir mit dem Gesetz über Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verla- gerungen erstmalig Regelungen für „multinationale Un- ternehmensgruppen“ in die Abgabenordnung aufnehmen müssen . Im Insolvenzrecht, das heute Gegenstand der Beratun- gen ist, gilt – ich zitiere den geschätzten Kollegen Hirte aus seiner Kommentierung zur Insolvenzordnung –: „Eine Person, ein Vermögen, eine Insolvenz .“ Bisher gibt es in der Insolvenzordnung keine eigenständigen Regelungen, wie bei Konzernen zu verfahren ist, wenn einzelne Teile insolvent werden . Gerade bei stark ver- flochtenen Unternehmen führt jedoch die Insolvenz einer Gesellschaft häufig zu einem Dominoeffekt, der die an- deren Gesellschaften und damit den Konzern insgesamt in den Abgrund reißen kann . Die Insolvenzrichter und In- solvenzverwalter haben es bisher jedoch geschafft, auch Konzerninsolvenzen mit pragmatischen Lösungen zu bewältigen . Wenn derartige Regelungen nun in der Insol- venzordnung aufgenommen werden, ist das prinzipiell zu begrüßen . Das vorliegende Gesetz wählt einen minimalistischen Ansatz . Konzentration auf ein gemeinsames Insolvenz- gericht, ein paar Koordinierungsregeln und die Beschwö- rung guter Zusammenarbeit der Beteiligten: Fertig ist das „Konzerninsolvenzrecht“ . Allerdings halten viele der an- gehörten Sachverständigen die Regelungen für unprak- tikabel . Wir begrüßen, dass Sie unseren Forderungen gefolgt sind, der Anzahl der Beschäftigten für die Wahl des ge- meinsamen Gerichtsstandes Vorrang einzuräumen und auch die Arbeitnehmervertretung im gemeinsamen Gläu- bigerausschuss sicherzustellen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722350 (A) (C) (B) (D) Wir hätten uns aber insgesamt einen mutigeren Ansatz gewünscht, der, wie es auch in der betrieblichen Steuer- lehre gefordert wird, das Trennungsgebot zugunsten des Einheitsgebotes zumindest bei stark verflochtenen Unter- nehmen aufgibt . Wenn ein Konzern organisatorisch und betriebswirtschaftlich wie ein Unternehmen agiert, sollte er auch wie nur ein Unternehmen behandelt werden . Oder wie der Volksmund sagt: mitgefangen, mitgehangen . Das Konzept der sogenannten materiellen bzw . Mas- sekonsolidierung kommt in den USA bei größeren Kon- zerninsolvenzen regelmäßig erfolgreich zur Anwendung . Gerade aus Gläubigersicht erscheint ein derartiges Ver- fahren wünschenswert . Geschäftspartner vertrauen auf die Stärke des Konzerns, wenn sie Verträge mit den ein- zelnen Gesellschaften abschließen . Bei der Insolvenz ei- nes Teiles müssen sie dann aber erkennen, dass das Ta- felsilber unerreichbar fern bei der Mutter liegt und die verstoßene Tochter leider nur leere Schubladen vorwei- sen kann . Mit der Massekonsolidierung steht den Gläubi- gern dann auch das Tafelsilber der Mutter zur Verfügung . Und wenn der Konzern ohnehin wie ein Unternehmen agiert, lässt sich die Sanierung einzelner Teile in einem einheitlichen Verfahren für den ganzen Konzern effekti- ver sicherstellen . Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Man kann wohl sagen, dass dieses Gesetz seit der ersten Lesung am 14 . Februar 2014 die Dauer der Legislaturperiode voll ausgeschöpft hat . Ob es allein dadurch schon an Qualität gewonnen hat wie ein reifer Käse, ist allerdings zweifel- haft . Wenn ein Gesetz so lange auf sich warten lässt, könn- te man vermuten, dass sein Inhalt sehr fortschrittlich – geradezu revolutionär – und innovativ sein muss, dass sich die Gemüter der Koalitionsbeteiligten so sehr daran erhitzen und das Verfahren deshalb so lange stockt und nichts vor oder zurück geht . Mit viel Spannung wurde also der Änderungsantrag erwartet . Wer hineinschaut, wird aber eines Besseren be- lehrt . Ein wesentliches Anliegen des Gesetzes war es von Anfang an, die gerichtliche Zuständigkeit zu konzen- trieren, um Missbrauch durch Rosinenpickerei beim Gerichtsstand zu vermeiden . Neu ist jetzt, dass die Schwelle für ein gruppenangehöriges Unternehmen, das einen Gruppengerichtsstand begründen kann, von 10 auf 15 Prozent der zusammengefassten Bilanzsumme ange- hoben wurde . Das weicht den bisherigen Vorschlag also eher auf . Dafür haben Sie jetzt der Zahl der Arbeitsplätze ein höheres Gewicht beigemessen . Erreicht kein gruppenan- gehöriges Unternehmen den Schwellenwert, dann kann der Gerichtstand bei dem Gericht begründet werden, das für den gruppenangehörigen Schuldner mit den meisten Arbeitsplätzen zuständig ist . Das ist nachvollziehbar und gleicht die Erhöhung des Schwellenwertes wieder eini- germaßen aus . Neu ist außerdem die Umbenennung des Koordi- nationsverwalters in „Verfahrenskoordinator“ . Laut Gesetzesbegründung grenze dies die Tätigkeiten eines Koordinationsverwalters besser von denen eines Insol- venzverwalters ab . – Wow! Sie sehen: Es hat sich ge- lohnt, ganze drei Jahre hierauf zu warten . Meine damaligen Kritikpunkte sind daher heute noch immer dieselben wie damals: Die Rolle des Koordinati- onsverwalters wurde durch die Umbenennung nicht ge- stärkt . Er soll bei unterschiedlichen Insolvenzverfahren diese koordinieren und auf abgestimmte Abwicklung der einzelnen Verfahren hinwirken, ohne wirkliche Wei- sungsrechte oder sonstige Durchschlagskraft . Unter ei- nem reifen Käse stelle ich mir etwas anderes vor . Aber immerhin: Wenn er schon nicht wirklich bedeu- tungsvoll sein wird, soll er nicht noch unnötig Kosten zulasten der Insolvenzmasse verursachen . Das haben Sie erkannt und bei der Vergütungsregelung Vorsorge getrof- fen . Da der neue Verfahrenskoordinator die einzelnen In- solvenzverwalter entlasten soll, bekommen diese künftig einen Abzug von Ihrer Regelvergütung, damit insgesamt keine Mehrkosten entstehen. Das finde ich gut. Die Ausnahme sagt dann aber, dass der Abzug nicht erfolgt, wenn das Koordinationsverfahren für die Ver- walter Zusatzaufwand verursacht . Ich werde das Gefühl nicht los, dass diese Ausnahme in der Praxis zur Regel werden dürfte . Daher bleibe ich dabei: Ob Koordinationsverwalter oder Verfahrenskoordinator, diese Konstruktion über- zeugt mich nach wie vor nicht, und wir werden dem letzt- lich auch nicht unsere Zustimmung geben . Immerhin haben Sie am Ende noch eine Verbesserung der Arbeitnehmervertretung im Gruppen-Gläubigeraus- schuss vorgenommen, die positiv zu bewerten ist . Am Ende reicht das dann aus unserer Sicht noch für eine Ent- haltung . Zum Schluss möchte ich Ihren Blick aber doch noch einmal über die Grenzen dieses Gesetzes hinausrich- ten: Wie sagte der Kollege Hirte in der ersten Lesung so schön: „Was das Gesellschaftsrecht zusammengeführt hat, das soll das Insolvenzrecht nicht scheiden“ . Daran gemessen ist durchaus noch einiges zu tun . Denn der Grundwiderspruch zwischen Insolvenzrecht und Steuerrecht ist noch lange nicht gelöst . Steuerlich können Mütter und Töchter ihre Verluste munter und lustig miteinander verrechnen . Geht aber ei- ner Tochter die Luft aus, hat die Mutter plötzlich nichts mehr damit zu tun . Dass dies zu nicht hinnehmbaren Zuständen führt, haben wir gerade erst bei den Verhandlungen mit den Atomkonzernen über die Kosten der Atommüllendlage- rung gesehen . Da haben wir dann im Einzelfall jetzt den heiligen Trennungsgrundsatz einmal berechtigterweise durchbrochen und per Gesetz festgelegt, dass die Mütter auch bei der Insolvenz ihrer Atommüll-Töchter weiter haften . Was beim Atommüll richtig ist, kann auch im sons- tigen Leben nicht völlig falsch sein . Insolvenzrecht und Steuerrecht der Konzerne miteinander zu synchronisie- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22351 (A) (C) (B) (D) ren bleibt eine Herausforderung für weitere Legislatur- perioden . In Ihrem heutigen Gesetzentwurf ist zwar nicht alles Käse, aber für die wirklich wichtigen Fragen würde auch der weitere Reifungsprozess nichts mehr bringen . Brin- gen wir es also zu Ende . Anlage 22 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Umsetzung des Rahmen- beschlusses 2008/841/JI des Rates vom 24. Oktober 2008 zur Bekämpfung der organisierten Krimina- lität (Tagesordnungspunkt 44) Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Die Bekämpfung der organisierten Kriminalität prägt die rechtspolitische Agenda in Deutschland seit den späten 1980er-Jahren . Das Schadens- und Bedrohungspotenzial der organisier- ten Kriminalität ist unverändert hoch . Es handelt sich um ein komplexes und vielschichtiges Kriminalitätsphäno- men, welches sich gesellschaftlichen und wirtschaftli- chen Veränderungen schnell anpassen kann . Organisierte kriminelle Gruppierungen betätigen sich dabei in allen Kriminalitätsbereichen . Als typische Felder sind der Rauschgifthandel und -schmuggel, die Kriminalität im Zusammenhang mit dem Wirtschaftsleben oder Delikte der Eigentumskriminalität zu nennen . Darüber hinaus gewinnen die Deliktsfelder Cybercrime und Schleusen- kriminalität immer weiter an Bedeutung . Ursache hier- für ist die zunehmende Bedeutung des Internets und der digitalen Welt . Insbesondere im sogenannten Darknet werden kriminelle Marktplätze betrieben, in denen in- kriminierte Güter erworben werden können . Es werden unter anderem Drogen, Waffen, Falschgeld, gefälschte Ausweise oder gestohlene Kreditkartendaten angeboten . Ausschlaggebend für diese Entwicklung sind die Ano- nymität und ein vermeintlich geringes Entdeckungsrisi- ko, aber auch der Umstand, dass über die illegalen On- linemarktplätze weltweit eine Vielzahl von potenziellen Kunden unter Nutzung kryptierter Verbindungen erreicht werden können, und dies alles ohne spezielle Computer- kenntnisse . Derartige Kriminalität stellt nicht nur eine Bedrohung für den jeweils betroffenen Bürger oder des jeweils be- troffenen Rechtsguts der Allgemeinheit dar, sondern es besteht darüber hinaus die wachsende Gefahr der Unter- wanderung und Korrumpierung staatlicher und gesell- schaftlicher Institutionen . Folglich ist rechtspolitisches Ziel die Schaffung einer gesetzlichen Maßnahme, welche die organisierte Kriminalität besser bekämpfen kann – auch in den modernen Medien . Mit dem vorliegenden Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches überführen wir die europarechtlichen Vorgaben aus dem Rahmenbeschluss 2008/841/JI in das nationale Recht . In den Bereichen, in denen durch die europäischen Vorgaben Anpassungsbedarf bestand, wurden die notwendigen Veränderungen vorgenommen . Der Rahmenbeschluss ist im Wesentlichen bereits schon durch den bestehenden § 129 StGB umgesetzt . Allerdings ist der Begriff der Vereinigung nach § 129 StGB in der Ausformung, die er durch die Rechtsprechung des Bun- desgerichtshofs erfahren hat, enger als die Definition der Vereinigung in Artikel 1 des Rahmenbeschlusses . Des- wegen wird eine Angleichung der Definitionen als auch der Straftaten vorgenommen, die im Zusammenhang mit der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung began- gen werden . Hierdurch werden die gegenseitige Aner- kennung von Urteilen und gerichtlichen Entscheidungen sowie die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit er- leichtert . Die CDU/CSU-Fraktion ist Vorreiter, wenn es darum geht, gute europarechtliche Rechtsrahmen zu un- terstützen, zu fördern und dann auch in nationales Recht umzusetzen . Ich würde mir wünschen, dass alle Fraktio- nen im Bundestag ein vergleichbares Engagement für die Sicherheit der Menschen in die Debatte einbringen . Der Entwurf sieht insoweit vor, den Begriff der Ver- einigung in § 129 Absatz 2 StGB-E legal zu definieren als einen auf längere Dauer angelegten, von einer Fest- legung von Rollen der Mitglieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Ausprägung der Struktur un- abhängigen organisierten Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordne- ten gemeinsamen Interesses . Damit wird den Vorgaben des Rahmenbeschlusses Rechnung getragen und dieser vollständig umgesetzt. Der Begriff ist folglich durch ein personelles, zeitliches, organisatorisches sowie volunta- tives Element charakterisiert . Durch diese ausdrückliche gesetzliche Festlegung, wonach es weder einer förmli- chen Festlegung von Rollen für ihre Mitglieder noch der Kontinuität ihrer Mitgliedschaft noch einer bestimmten Ausprägung ihrer Struktur bedarf, unterscheidet sich die Vereinigung im Sinne des § 129 Absatz 1 Satz 1 i . V . m . Absatz 2 StGB-E von der Vereinigung in der Auslegung durch die derzeitige Rechtsprechung . Die Anforderungen an die Organisationsstrukturen und die Willensbildung werden dadurch verringert . Mit- hin bedarf es keiner derartig ausgeprägten „Gruppeniden- tität“ mehr, wie sie die Rechtsprechung derzeit fordert . Somit fallen hierarchische Zusammenschlüsse, in denen sich die Mitglieder einem autoritären Anführerwillen unterwerfen, nicht aus dem Tatbestand des § 129 StGB heraus. Gerade bei mafiösen Strukturen, die intensiv die Abschottung nach innen und außen betreiben, besteht ein Problem, den von der Rechtsprechung geforderten gemeinsamen Täterwillen zur Begehung konkreter Straf- taten nachzuweisen . Dies bedeutet jedoch nicht, dass die bloße lose Übereinkunft von mindestens zwei Personen genügt . Es ist ausreichend, wenn der Zusammenschluss ein Mindestmaß längerfristiger instrumenteller Voraus- planung und Koordinierung sowie eine irgendwie gearte- te regelhafte Willensbildung aufweist . Dies stimmt auch mit dem Rahmenbeschluss überein, welcher Zusammen- schlüsse aus dem Tatbestand ausscheidet, die sich zufäl- lig zur unmittelbaren Begehung einer Straftat bilden . Auch eine Abgrenzung zum Begriff der Bande wird hierbei gewährleistet, indem eine möglicherweise nur rudimentäre Organisationsstruktur und die Verfolgung Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722352 (A) (C) (B) (D) eines übergeordneten gemeinsamen Interesses zu fordern ist . Im Bereich politisch motivierter Kriminalität liegt dieses übergeordnete gemeinsame Interesse in der von den Mitgliedern der Vereinigung geteilten politischen Überzeugung und der Verfolgung politischer Ziele, de- nen die Begehung der einzelnen Straftaten dient . Zur Vermeidung einer zu weitgehenden Vorfeldstraf- barkeit sieht der Entwurf vor, als Bezugstaten nur Straf- taten einzubeziehen, die im Höchstmaß mindestens mit Freiheitsstrafe von zwei Jahren bedroht sind . Damit wird von der vom Rahmenbeschluss eröffneten Möglichkeit der Einschränkung nach der Schwere der in Aussicht genommenen Straftaten Gebrauch gemacht . Aus dem Schutzzweck der Norm, dem Verhältnismäßigkeitsgrund- satz und der Bedeutung von § 129 StGB als Katalogtat für bestimmte strafprozessuale Möglichkeiten folgt darü- ber hinaus, dass die von der Vereinigung geplanten oder begangenen Straftaten eine erhebliche Gefahr für die öf- fentliche Sicherheit bedeuten und unter diesem Gesichts- punkt von einigem Gewicht sein müssen . Der Entwurf greift die vom Rahmenbeschluss eröffnete Möglichkeit des einschränkenden Erfordernissen des in Aussicht ge- nommenen Handelns um eines unmittelbaren oder mit- telbaren finanziellen oder sonstigen materiellen Vorteils willen hingegen nicht auf . Vielmehr wird die Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses verlangt . Die Beschränkung auf die Verfolgung eines finanziellen oder sonstigen materiellen Vorteils hätte eine gewis- se Einschränkung der Möglichkeiten der Wohnraum- überwachung nach § 100 c Absatz 2 Nummer 1 Buch- stabe b der Strafprozessordung in Verbindung mit § 129 Absatz 5 Satz 3 StGB-E zur Folge gehabt . Weiterhin wird bei den Strafandrohungen des § 129 Absatz 1 StGB-E zwischen Gründung und der Mitglied- schaft einerseits und der Werbung und der Unterstützung andererseits differenziert. Die Erweiterung des Verei- nigungsbegriffs wirkt sich auch auf § 129 a StGB aus. Nach § 129 Absatz 1 Satz 2 StGB-E werden Personen, die für eine kriminelle Vereinigung um Mitglieder oder Unterstützer werben oder sie unterstützen, entsprechend dem Gewicht ihres Tatbeitrages mit geringerer Strafe be- droht werden als Personen, die eine kriminelle Vereini- gung gründen oder ihr als Mitglied angehören . In § 129 Absatz 1 Satz 1 StGB-E werden die Gründung einer kriminellen Vereinigung und die Mitgliedschaft in einer solchen wie bisher mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft . Es ist stets zu berücksichtigen, dass organisierte Kri- minalitäts-Verfahren häufig komplexe, personalintensive und zeitaufwändige Ermittlungen erfordern . Gerade vor dem Hintergrund einer zunehmenden Nutzung digitaler Kommunikationsmittel, der Verwendung von Anonymi- sierungsmechanismen, steigende Professionalisierung, des hohen Anteils transnational agierender Gruppierun- gen und letztlich der Mobilität der Angehörigen steigen die Herausforderungen der Strafverfolgungsbehörden . Der Bekämpfung der organisierten Kriminalität kommt damit eine unvermindert hohe Bedeutung zu . Im Jahr 2015 wurden im Zusammenhang mit den or- ganisierten Kriminalitäts-Verfahren in Deutschland mehr als 8 500 Tatverdächtige ermittelt . Bei rund einem Drittel der Tatverdächtigen handelt es sich um deutsche Tatver- dächtige . Dieser Gesetzesentwurf stellt folglich ein pro- bates Mittel dar, die Auslegung des § 129 StGB an dem wirklichkeitsnahen Bild hierarchisch strukturierter Orga- nisationen zu orientieren. Die Übergänge sind fließend. So kann sich beispielsweise eine Bandenstruktur in eine Vereinigung im Sinne von § 129 StGB wandeln . Das- selbe gilt umgekehrt namentlich bei Zweckänderungen . Kriminelle Vereinigungen können innerhalb einer grö- ßeren Organisation bestehen, die als solche § 129 StGB nicht unterfällt . Mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf wird der Rah- menbeschluss effektiv in das nationale Recht umgesetzt. Dabei wird ein guter Ausgleich zwischen den europäi- schen Verpflichtungen einerseits und nationalen Anfor- derungen des Strafrechts andererseits geschaffen. Dieser Gesetzesentwurf ist ein scharfes Schwert, um gegen die organisierte Kriminalität vorzugehen . Uns als Union ist die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger von über- ragender Bedeutung . Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Wir sprechen heute über den Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung eines Rahmenbeschluss des Rates der Europäischen Union . Er betrifft die Strafbarkeit der Bildung krimineller und ter- roristischer Vereinigungen . Das deutsche Strafrecht stellt die Bildung einer kri- minellen Vereinigung bereits unter Strafe . Bei terroris- tischen Vereinigungen im In- oder Ausland sieht das Gesetz zwingend eine Freiheitsstrafe von mindestens ei- nem Jahr vor . Wenngleich durch eine solche Vereinigung noch kein Individualrechtsgut betroffen ist, werden die öffentliche Sicherheit und die staatliche Ordnung bereits verletzt . Kriminelle Organisationsformen steigern die Gefahr für wichtige Rechtsgüter der Gemeinschaft . Ins- besondere den Bedrohungen durch den internationalen Terrorismus setzt das Strafrecht hier wirksame rechts- staatliche Maßnahmen entgegen . Dennoch besteht ein gesetzgeberischer Handlungsbe- darf . Der Rahmenbeschluss des Rates der Europäischen Union vom 24. Oktober 2008 beinhaltet eine Definition der kriminellen Vereinigung . Es ist mit Bedauern fest- zustellen, dass es der Rechtsprechung nicht gelungen ist, eine europarechtskonforme Auslegung des Vereini- gungsbegriffs zu finden. Der Wortlaut der Strafvorschrift stand dem nicht entgegen . Eine Neubestimmung des Be- griffs der Vereinigung wurde vielmehr dem Gesetzgeber überlassen . Mit diesem Gesetzentwurf kommen wir dieser Not- wendigkeit nach. Die Legaldefinition der kriminellen Vereinigung entspricht den Vorgaben aus dem Rahmen- beschluss des Rates . Das vielfach kritisierte Erfordernis einer Gruppenidentität wird aufgegeben . Bisher mussten die Mitglieder derart in Beziehung stehen, dass sie sich als einheitlicher Verband fühlen . Für die Strafbarkeit als kriminelle Vereinigung soll es künftig vielmehr auf die Organisationsstruktur, die Vorausplanung und Ko- ordinierung ankommen . Mit der Neuregelung werden hierarchische Zusammenschlüsse unter einem autoritä- ren Anführerwillen als kriminelle Vereinigung erfasst . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22353 (A) (C) (B) (D) Von solchen Gruppierungen gehen erhebliche Gefahren für wichtige Rechtsgüter der Gemeinschaft aus . Mit der Legaldefinition der kriminellen Vereinigung wird der Rechtsprechung eine verbindliche Auslegungsregel ge- geben . Der Gesetzentwurf leistet einen Beitrag zu mehr Rechtssicherheit . Zugleich bewirkt die Umsetzung euro- parechtlicher Vorgaben eine Angleichung der Strafvor- schriften . Die Bildung einer kriminellen Vereinigung ist in jedem Mitgliedsstaat der Europäischen Union strafbar und wird mit vergleichbaren Strafen geahndet . Der Gesetzentwurf enthält jedoch weitere Änderun- gen des Straftatbestands der Bildung einer kriminellen Vereinigung . Diese Änderungen werden vom Rahmen- beschluss des Rates nicht gefordert und erscheinen nicht zweckdienlich . Ich möchte auf zwei Punkte eingehen, die es kritisch zu würdigen gilt . Der Gesetzentwurf möchte zwischen der Gründung und Beteiligung auf der einen Seite und der Unterstüt- zung und Werbung auf der anderen Seite differenzieren. Für die Unterstützung oder die Werbung um Mitglieder oder Unterstützer einer kriminellen Vereinigung soll künftig ein abgesenkter Strafrahmen gelten . Die erhöhte Strafandrohung bei besonders schweren Bezugstaten soll bei der Unterstützung und Werbung sogar entfallen . Eine Differenzierung bei den angedrohten Strafen erscheint nicht notwendig . Die Unterstützung und Wer- bung für eine kriminelle Vereinigung stehen als gleichar- tige Alternativen auf einer Ebene . Das Rechtsgut der öffentliche Sicherheit und staatlichen Ordnung wird in allen Alternativen verletzt . Die Absenkung der Strafrahmen setzt zudem ein fal- sches Signal . Wir möchten die Täter mit diesem Gesetz nicht begünstigen . Ziel dieses Gesetzentwurfs ist eine effektivere Strafverfolgung von kriminellen Vereinigun- gen . Diesem Ziel wird auch bei der Einschränkung der Straftaten, auf welche die kriminelle Vereinigung gerich- tet ist, widersprochen . Als Bezugstaten sollen nach dem Gesetzentwurf nur noch Straftaten erfasst werden, die im Höchstmaß mindestens mit Freiheitsstrafe von zwei Jah- ren bedroht sind . Im Umkehrschluss sind Straftaten mit geringerer Strafdrohung wie die Bedrohung nicht erfasst . Kriminelle Vereinigungen, die ein Klima von systema- tischer Einschüchterung und Bedrohung schaffen, sind von der Strafbarkeit ausgeschlossen . Diese Strafbarkeits- lücke sollte in dieser Gestalt nicht hingenommen werden . Diese aufgeworfenen Punkte bedürfen im Ausschuss und in der Sachverständigenanhörung nochmals einer eingehenden Diskussion . Ich wünsche uns gute Beratun- gen . Bettina Bähr-Losse (SPD): Die EU-Kommission hat die Mitgliedstaaten dazu aufgefordert, den EU-Rah- menbeschluss zur Bekämpfung der organisierten Krimi- nalität vollständig umzusetzen . Der Rahmenbeschluss zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität ist zwar durch das geltende deutsche Recht im Wesentlichen, aber eben noch nicht vollständig umgesetzt, da der Begriff der Vereinigung in § 129 des Strafgesetzbuches, StGB, in der Auslegung durch die Rechtsprechung des Bun- desgerichtshofs enger ist als die Definition in Artikel 1 des Rahmenbeschlusses . Bisher unterfallen hierarchisch organisierte Gruppen mit bloßer Durchsetzung eines au- toritären Anführerwillens mangels „Gruppenidentität“ nicht dem Tatbestand . Die Vorgeschichte zu diesem Gesetz beginnt auf ei- nem Bauhof in der sächsischen Stadt Mittweida . Dort hatte sich ab dem Jahr 2005 regelmäßig eine Gruppe politisch rechtsorientierter Jugendlicher getroffen. An- fang 2006 kam innerhalb der Gruppe die Idee auf, eine Kameradschaft zu gründen . Im März 2006 wurde auf dem Bauhof eine Gründungsversammlung mit 30 bis 50 anwesenden Personen durchgeführt, in deren Rahmen man sich auf den Namen „Kameradschaft Sturm 34“ einigte . Der Vorschlag, eine förmliche Mitgliederliste anzulegen, wurde nicht umgesetzt, weil man eine solche Liste im Falle polizeilicher Ermittlungen für nachteilig hielt . Bei einer späteren Veranstaltung im Juni 2006 wur- de aber ein vierköpfiger Vorstand gewählt. Eine schriftli- che Satzung oder offizielle Entscheidungsregeln wurden nicht niedergelegt . Nach Gründung der „Kameradschaft Sturm 34“ kam es bei mehreren Gelegenheiten zu von Kameradschafts- mitgliedern initiierten Schlägereien, bei denen zahlreiche Personen – teilweise erheblich – verletzt wurden . Im Revisionsverfahren gegen das erstinstanzliche Ur- teil des LG Dresden, das die Voraussetzungen für eine kriminelle „Vereinigung“ nicht gegeben sah, setzte sich der 3 . Strafsenat des BGH mit der Frage auseinander, ob die „Kameradschaft Sturm 34“ als kriminelle Vereini- gung im Sinne des § 129 StGB einzustufen und die An- geklagten wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung hieran zu verurteilen seien . Der 3 . Strafsenat des BGH stufte die „Kameradschaft Sturm 34“ als kriminelle Vereinigung im Sinne des § 129 StGB ein . Entscheidender als diese Bewertung ist jedoch viel- mehr, dass der 3 . Strafsenat des BGH es aus grundsätz- lichen Erwägungen heraus abgelehnt hat, den Vereini- gungsbegriff „europarechtsfreundlich“ und damit weiter als bisher zu interpretieren und gleichzeitig nach einer Regelung durch den Gesetzgeber rief . Zur Lösung des Problems sieht der vorliegende Ent- wurf vor, in § 129 StGB eine Legaldefinition der Vereini- gung in Anlehnung an Artikel 1 des Rahmenbeschlusses aufzunehmen. Die Erweiterung des Vereinigungsbegriffs wird dazu führen, dass Erscheinungsformen aus dem Be- reich der organisierten Kriminalität zukünftig strafrecht- lich noch besser erfasst werden können . Im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens werden folgende Punkte Berücksichtigung finden müs- sen: Erstens. Mit der Aufnahme einer Legaldefinition in § 129 StGB ist zwangsläufig eine Ausweitung der Straf- barkeit im Vorfeld der eigentlichen Rechtsgutverletzung verbunden . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722354 (A) (C) (B) (D) Zweitens muss gewährleistet werden, dass die vorge- sehenen Änderungen nicht im Widerspruch zu wesentli- chen Grundgedanken des Gesamtgefüges des deutschen Strafrechts für die Behandlung mehrerer zusammenwir- kender Personen, wie Vereinigungen, Gruppen, Banden oder die Beteiligungsform der Mittäterschaft, stehen . Sollten diese Bedenken im Rahmen des weiteren Ge- setzgebungsverfahrens ausgeräumt werden, steht einer Umsetzung des Rahmenbeschlusses nichts mehr im Weg . Frank Tempel (DIE LINKE): Dieser im Bundes- tag eingebrachte Gesetzentwurf strebt eine Anpassung zu dem vom Europarat vereinbarten Rahmenbeschluss 2008/841/JI vom 24 . Oktober 2008 an . Mit dem Geset- zesentwurf wird der Begriff der kriminellen Vereinigung in § 129 StGB an die Definition in dem genannten Rah- menbeschluss angepasst . Dadurch wird der Tatbestand des § 129 StGB deutlich erweitert . Eine kriminelle Ver- einigung ist zukünftig „ein auf längere Dauer angeleg- ter von einer Festlegung von Rollen der Mitglieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Ausprägung der Struktur unabhängiger organisierter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines überge- ordneten gemeinsamen Interesses“ . Nach der bisherigen Rechtsprechung verlangt eine Vereinigung dagegen „ei- nen auf eine gewisse Dauer angelegten, freiwilligen or- ganisatorischen Zusammenschluss von mindestens drei Personen, die bei Unterordnung des Willens des Einzel- nen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame krimi- nelle Zwecke verfolgen und derart in Beziehung stehen, dass sie sich als einheitlicher Verband fühlen .“ Dieser Erweiterung soll einschränkend begegnet werden, indem die Begehung einer Straftat verlangt wird, die im Höchst- maß mit einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jah- ren bedroht ist . Ursprünglich war hier eine Strafbarkeit von mindestens fünf Jahren geplant . Da dann aber der für rechtsextreme Gruppen typische §130 StGB herausge- fallen wäre, wurde dies geändert . Diese Einschränkung wirkt sich jedoch nicht auf den § 129 a StGB aus . Die Regierungen der Mitgliedstaaten haben erhebli- chen Einfluss auf die Gesetzgebung innerhalb der EU. In Deutschland findet das über den Artikel 23 GG statt. Weil mit der neuen Definition die bisher vorausgesetzte „Gruppenidentität“ nicht mehr erforderlich ist, fallen da- nach auch hierarchisch organisierte Zusammenschlüsse, in denen die Mitglieder sich einem autoritären Anführer- willen unterwerfen, unter den Tatbestand . Neben dieser unter Umständen sinnvollen Erweiterung führt die neue Definition aber auch dazu, dass Gruppierungen mit ei- ner lockeren Netzstruktur unter den Tatbestand fallen . Die sowieso schon kritisierte vorverlagerte Strafbarkeit der Tatbestände wird also noch weiter vorverlagert und ausgeweitet . Trotz der Einschränkung für den §129 StGB kann eine solche Erweiterung wegen der grundlegenden Kritik an der in den Tatbeständen weit vorverlagerten Strafbarkeit nicht mitgetragen werden . Die Forderung nach einer Verschärfung des Straf- rechts ist keine angemessene Lösung des Problems . Eine Verschärfung des Strafrechts hilft den Opfern nicht, hat auf Täter keine abschreckende Wirkung und führt des- halb auch nicht zu mehr Sicherheit . Präventive Maßnah- men sind nachhaltiger und versprechen im Gegensatz zur Strafrechtsverschärfung, konkrete Erfolge zu zeigen . Wir brauchen mehr Prävention im Bereich der Gruppen, die für Radikalisierung anfällig sind . In der Kriminologie ist belegt, dass härtere Strafen Tä- ter bei der Begehung von Straftaten nicht abschrecken . Nur die hohe Entdeckungswahrscheinlichkeit einer Tat schreckt ab . Entdeckungswahrscheinlichkeiten steigen mit dem Einsatz von mehr Personal bei Polizei und Zoll, einer besserer Ausstattung für die Erledigung dieser spe- zifischen Aufgabe und gezielter Aus- und Weiterbildung der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten in diesem Be- reich . Eine Verschärfung der Gesetze kann nicht zur Redu- zierung der organisierten Kriminalität führen und bringt auch nicht mehr Sicherheit . Eine Änderung eines Geset- zes sollte in rechtlichem Sinne erforderlich, angemessen und verhältnismäßig sein . Da es hier nicht der Fall ist, wird die Bundestagsfraktion Die Linke diese vorgeschla- gene Änderung ablehnen . Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Es steht gleich im ersten Satz des vorliegenden Gesetzentwurfs: Der Rahmenbeschluss 2008/841/JI des Rates vom 24 . Oktober 2008 zur Bekämpfung der orga- nisierten Kriminalität ist durch das geltende Recht im Wesentlichen bereits umgesetzt. Lediglich die Definiti- on der Vereinigung in § 129 Strafgesetzbuch soll in An- lehnung an den Rahmenbeschluss etwas weiter gefasst werden, und es soll eine Legaldefinition dieses Begriffs aufgenommen werden . Darüber hinaus enthält der Gesetzentwurf den Vor- schlag, bei den Strafandrohungen des § 129 StGB zwi- schen der Gründung und Mitgliedschaft einerseits – bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe – und der Unterstützung bzw . Werbung um Unterstützer und Mitglieder anderer- seits – bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe – zu differenzie- ren . Konkret heißt dies, dass es nun abgestufte Strafdro- hungen für die Gründung einer kriminellen Vereinigung und die Mitgliedschaft in ihr einerseits und die Unterstüt- zung einer kriminellen Vereinigung und die Werbung für eine solche andererseits gelten . Dieser Vorschlag klingt ganz vernünftig . Der Bundesrat hat ebenfalls keine weiteren Einwände gegen dieses Umsetzungsgesetz . In seiner Stellungnah- me vom 10. Februar 2017 empfiehlt er lediglich zur bes- seren Verständlichkeit der Legaldefinition des Begriffs „Vereinigung“ in § 129 Absatz 2 StGB-E, die Regelung in zwei Sätze aufzuteilen . In einem ersten Satz sollen die grundlegenden Erfordernisse einer Vereinigung be- stimmt und im zweiten Satz dann die Umstände gelistet werden, die der Annahme einer Vereinigung nicht entge- genstehen . Dieser Vorschlag des Bundesrates führt in der Tat zu einer besseren Verständlichkeit und sollte daher aufgegriffen werden. Viel mehr gibt es zu den Änderun- gen in der Strafvorschrift nicht zu sagen . Deshalb ein paar Anmerkungen zur Geschichte des § 129 StGB, „Bildung einer kriminellen Vereinigung“; sie ist in der Tat eine bewegte . Immer wieder wurde ver- sucht, die Vorschrift politisch zu instrumentalisieren . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22355 (A) (C) (B) (D) Der Eindruck drängte sich zum Beispiel auf anlässlich von Strafverfahren gegen Teilnehmer einer Kundgebung gegen den Naziaufmarsch in Dresden im Februar 2010 . Schon im Vorfeld der Gegendemonstrationen hatte die sächsische Polizei verlangt, die Internetadresse für die bundesweiten Proteste gegen den Naziaufmarsch abzu- schalten . Außerdem ließ die sächsische Polizei und Justiz Aufrufplakate zur Gegendemonstration beschlagnahmen . Mit Sitzblockaden blockierten dann am 13 . Februar 2010 Zehntausende den Aufmarsch der Rechtsextremisten . Im Frühjahr wurde ein Ermittlungsverfahren ge- gen Unbekannt wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung eingeleitet. § 129 StGB eröffnet den Er- mittlungsbehörden eine Vielzahl von weitreichenden Ermittlungsbefugnissen, zum Beispiel Telekommuni- kationsüberwachung, Observationen oder Einsatz ver- deckter Ermittler . Der Verdacht der Beteiligung oder Unterstützung einer kriminellen Vereinigung reicht . Im folgenden Jahr wurden am Tag der gleichen Demons- tration gegen den Aufmarsch am 19 . Februar 2011 Mo- bilfunkverkehrsdaten ganzer Funkzellen abgefragt – das heißt, Millionen von Handy-Gesprächen, die Demons- tranten geführt hatten, wurden erfasst . Solche Vorgänge bei der Anwendung des § 129 StGB sind geeignet, ein Unbehagen zu schüren, der Straftatbestand werde als wohlfeile „Allzweckwaffe“ gegen unliebsames politi- sches Verhalten instrumentalisiert . Der BGH-Richter Thomas Fischer schrieb in seiner Kolumne in der Zeit, in Vorstellung und Definition der „Vereinigung“ schwinge noch viel von der „Geheim- gesellschaft“ mit, nebst ihren Implikationen der Staats- feindlichkeit und des Umsturzes; sie stammten sozusa- gen aus den Kindertagen des Staats . In der Tat reicht die Geschichte des § 129 StGB weit zurück bis ins Preußische Strafgesetzbuch und dann ins Reichsstrafgesetzbuch . Er war Mittel zur Verfolgung liberaler und demokratischer Tendenzen . Er kam zur Anwendung in Prozessen gegen bekannte Vertreter der Deutschen Arbeiterbewegung wie August Bebel und befeuerte die Verfolgung der Sozialdemokratie, später auch anderer Vereinigungen . Auch das 20 . Jahrhundert überdauerte die „kriminelle Vereinigung“ im Strafge- setzbuch . In der Weimarer Zeit fand sie Anwendung bei der Verfolgung der „Ringvereine“ in Berlin . Später wurde sie durch Änderungen den aktuellen, vor allem politisch-gesellschaftlichen Umständen angeglichen und erweitert um die § 129 a und b StGB . Einiges davon habe ich miterlebt . Sogar mitgestaltet habe ich Änderungen nach der Jahrtausendwende . Ob sich die jetzt vorgelegten Änderungen in der Praxis der Rechtsprechung merklich auswirken, bleibt abzuwarten . Zu mehr Klarheit kann die Legaldefinition vielleicht beitragen. Das Grundproblem der §§ 129 ff StGB, mitunter po- litisch instrumentalisiert zu werden, bleibt aber wohl be- stehen . Christian Lange, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister der Justiz und für Verbraucherschutz: Mit dem Gesetzentwurf, den wir heute hier behandeln, wollen wir die Strafvorschrift des § 129 Strafgesetzbuch, den Straf- tatbestand der Bildung krimineller Vereinigungen, an die Vorgaben des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäi- schen Union vom 24 . Oktober 2008 zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität anpassen . Das deutsche Strafrecht entspricht diesem Rahmenbe- schluss bereits heute in weitem Umfang . Jedoch ist der Begriff der Vereinigung nach § 129 Strafgesetzbuch zwar nicht vom Wortlaut her, wohl aber in der Ausformung, die er durch die Rechtsprechung des Bundesgerichts- hofs erfahren hat, enger, als dies der Rahmenbeschluss fordert . Deshalb besteht noch gesetzgeberischer Hand- lungsbedarf, damit Deutschland seiner Verpflichtung zur Umsetzung in vollem Umfang nachkommt . Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht vor, ins Strafgesetzbuch eine Legaldefinition des Vereini- gungsbegriffs aufzunehmen, die sich eng an den europä- ischen Vorgaben orientiert. Damit ist zwangsläufig eine Ausweitung der Strafbarkeit im Vorfeld der eigentlichen Rechtsgutsverletzung verbunden . Denn die Lockerung des Vereinigungsbegriffes führt dazu, dass die Anforde- rungen an die Organisationsstruktur abgesenkt werden . Aus dieser Organisationsstruktur wurden bisher aber die Gefährlichkeit entsprechender Vereinigungen und damit die Strafwürdigkeit der Betätigung bereits im Vorfeld des strafbaren Versuchs abgeleitet . Um dieser Ausweitung der Strafbarkeit zu begegnen, sollen zukünftig die Bezugstaten, auf deren Begehung eine kriminelle Vereinigung im Sinne des § 129 Straf- gesetzbuch gerichtet sein kann, beschränkt werden, und zwar auf Straftaten, bei denen die Höchststrafe eine Frei- heitsstrafe von zwei Jahren an aufwärts ist . Der Gesetzentwurf sieht außerdem vor, bei der Straf- androhung zwischen der Gründung einer kriminellen Vereinigung und der Mitgliedschaft in ihr einerseits so- wie der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung und der Werbung um Mitglieder oder Unterstützer für sie an- dererseits zu differenzieren. Der Gesetzentwurf folgt da- mit einer Wertung, die das Strafgesetzbuch schon heute beim Tatbestand der Bildung terroristischer Vereinigun- gen vornimmt . Die Erweiterung des Vereinigungsbegriffs wirkt sich auch auf den Straftatbestand der Bildung terroristischer Vereinigungen aus . Hier bedarf es keiner Einschränkung des Anwendungsbereichs, da eine terroristische Verei- nigung ohnehin nur eine Vereinigung sein kann, die auf die Begehung bestimmter besonders schwerer Straftaten gerichtet ist . Auch wenn die Änderungen an den §§ 129 ff. Straf- gesetzbuch überschaubar sind, so wird insbesondere die Erweiterung des Vereinigungsbegriffs dazu führen, dass Erscheinungsformen aus dem Bereich der organisierten Kriminalität zukünftig strafrechtlich noch besser erfasst werden können . Ich bitte Sie daher, diesen Gesetzent- wurf der Bundesregierung zu unterstützen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722356 (A) (C) (B) (D) Anlage 23 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu- sammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Trilate- rale Partnerschaften in der ASEAN-Region stär- ken – Deutsches Know-how nutzen (Tagesord- nungspunkt 46) Jürgen Klimke (CDU/CSU): Ich freue mich sehr, dass wir heute den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD „Trilaterale Partnerschaften in der ASEAN-Re- gion stärken“ verabschieden . Der Deutsche Bundestag setzt damit ein wichtiges Zeichen für die Notwendigkeit von internationaler wirtschaftlicher Zusammenarbeit und ebenso ein Gegengewicht zum immer stärker propagier- ten Protektionismus einzelner Akteure sowie zum militä- rischen Wettrüsten in der ASEAN-Region, das wir in der jüngeren Vergangenheit beobachten können . Die zehn ASEAN-Staaten mit ihren über 600 Millio- nen Einwohnern bieten große wirtschaftliche Entwick- lungspotenziale . Damit Deutschland auch in den kom- menden Jahren als entwicklungspolitischer Akteur in der Region präsent sein kann, ist es notwendig, dass wir un- ser Engagement auf ein breiteres Fundament stellen und die bereits wirtschaftlich stärker entwickelten Partner des ASEAN-Bündnisses in Dreieckskooperationen mit wirt- schaftlich schwächeren Staaten der Region einbeziehen . Unser Ziel ist es, das wirtschaftliche Gefälle zwischen den einzelnen Staaten abzusenken . An dieser Stelle möchte ich auf die von der Oppositi- on geäußerten Vorbehalte zu diesem Antrag eingehen . So wurde geäußert, der Antrag zeige keine Neuerungen auf, sei quasi ein Nullsummenspiel . Das sehe ich so nicht . Aus meiner Sicht ist das eine mutwillige Fehlinterpreta- tion des Antrages . Der Koalition geht es primär um den verstärkten Aus- bau vorhandener und bewährter Strukturen sowie um die Intensivierung von Synergieeffekten, die der Verbesse- rung der Lebensgrundlage der Menschen vor Ort dienen . Der Antrag ist zudem ein Statement, dass entwick- lungspolitische Kooperationen in Südostasien kein Aus- laufmodell sind, sondern in der Strategieplanung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit ihren festen Platz haben . Die ASEAN-Region ist im stetigen Wandel und weist große Entwicklungsunterschiede auf . Mit einer Delegati- on des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung konnte ich mir Anfang Februar dieses Jahres in Laos und Kambodscha wieder ein Bild von der Situation machen . Im Gespräch mit unseren Partnern in Laos wurde mir erneut versichert, dass Deutschland großes Ansehen in dem Land genieße und man auf den Ausbau der Entwick- lungszusammenarbeit setze . Laos ist seit 1997 Mitglied der südostasiatischen Staatengemeinschaft (ASEAN) und seit 2015 Mitglied der Wirtschaftsgemeinschaft ASEAN Economic Community (AEC) . Es gehört zu den am wenigsten entwickelten Staaten der Welt . Um unsere Entwicklungsbemühungen in Laos und den anderen ASEAN-Staaten in Zukunft noch breiter aufzustellen, bietet sich meiner Meinung nach der Aus- bau von trilateralen Entwicklungsprojekten an . Um beim Beispiel zu bleiben: neben Deutschland und Laos noch ein weiterer Partner aus der Region . Für dieses Entwicklungsmodell werben wir mit un- serem Antrag . Das BMZ hat mit Dreieckskooperationen bereits vielfältige Erfahrung gemacht . Bei den bisherigen Kooperationen handelte es sich fast ausschließlich um Vorhaben im Rahmen der technischen Zusammenarbeit . Ich plädiere an dieser Stelle auch dafür, die finanzielle Zusammenarbeit in diesem Bereich auszubauen . Deutschland hat aktuell mit Thailand, Malaysia und Indonesien trilaterale Kooperationen vereinbart, die je- weils einen weiteren regionalen Partner einbeziehen . Diese Maßnahmen fördern nicht nur lokale Entwicklun- gen, sondern tragen auch zum Harmonisierungs- und In- tegrationsprozess innerhalb der ASEAN-Region bei . Die Vorteile liegen auf der Hand; denn die Grundla- gen für den Ausbau dieses Entwicklungsmodells sind vorhanden . So verfügt beispielsweise Thailand über ent- wicklungspolitische Institutionen, die sich im Wesentli- chen auf die ärmeren Nachbarn ausrichten . Das Beispiel Thailand zeigt: Mit wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklung der vergangenen Jahr- zehnte wandelte sich Thailand zu einem Schwellenland – und damit einhergehend auch die Zusammenarbeit mit Deutschland . Aus der bilateralen Zusammenarbeit ent- standen verschiedene deutsch-thailändische Kooperatio- nen, um in den Nachbarländern Thailands Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit umzusetzen . Wünschenswert wäre es, wenn diese Erfolge zukünf- tig auch auf Regionen in der ASEAN-Region ausstrahlen könnten, die bisher noch nicht in trilateralen Projekten berücksichtigt sind . So sehe ich beispielsweise ähnli- che Entwicklungs-herausforderungen in der Grenzregi- on zwischen Thailand und Myanmar . Dieser Landstrich war lange Zeit stark vom Drogenanbau betroffen. Durch einen intensiven Strukturwandel konnten die Region in jüngerer Vergangenheit zu einem Teeanbaugebiet entwi- ckelt und einige nachhaltige Ansätze im Bereich Touris- mus etabliert werden . Aber: Die Reduzierung des Dro- genanbaus in den letzten Jahren konnte nicht verhindern, dass sich die Region in jüngerer Vergangenheit zu einem großen Handelsplatz für synthetische Drogen entwickelt hat, die von dort in ganz Südostasien verbreitet werden . Neue trilaterale Projekte in dieser Region könnten aus meiner Sicht ein Beitrag Deutschlands sein, lokal und bi- lateral erzielte Verbesserungen aufzugreifen und mithilfe eines breiteren Bündnisses fortzuführen . Der Blick auf die Zahlen verdeutlicht es: Trilatera- le Kooperationen auf dem Gebiet der ASEAN-Staaten sind durchaus ausbaufähig . Das vereinbarte Gesamt- auftragsvolumen dieser Projekte zwischen Deutschland und Thailand beträgt 8,3 Millionen Euro und läuft bis Dezember 2017 . Thailand ist damit der wichtigste Part- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22357 (A) (C) (B) (D) ner bei dieser Art Umsetzungsvorhaben . Zum Vergleich: Mit Malaysia ist ein Gesamtvolumen von rund 3 Milli- onen Euro vereinbart, mit Indonesien ein Volumen von 700 .000 Euro . Lassen Sie mich nochmals die Zielrichtung des Antrages zusammenfassen: Die vielfältigen Einsatz- möglichkeiten von trilateralen Kooperation in der ASEAN-Region sollen geprüft und die Effizienz zukünf- tiger Maßnahmen gesteigert werden . Bestehende Dreieckskooperationen sollen fortgesetzt werden, wenn dadurch Synergieeffekte zu erzielen sind. Dreieckskooperation sollen verstärkt als Instrument genutzt werden, um international anerkannte Standards in Projekten der Entwicklungszusammenarbeit einzuhal- ten . Neue Felder für trilaterale Kooperation sollen gefun- den werden, die insbesondere im Hinblick auf die Umset- zung der UN-Nachhaltigkeitsziele sinnvoll sind . Die Privatwirtschaft soll bei zukünftigen Dreiecks- kooperationen verstärkt miteinbezogen werden können . Es sollen gezielt nachhaltige Projekte initiiert werden, die in Sektoren liegen, die bisher noch nicht im Bereich der Dreieckskooperationen vertreten sind . Und das gewonnene Fachwissen aus Dreieckskoope- ration soll für Dritte nutzbar und zugänglich sein . Das heißt Evaluierung durch das DEval soll ein höherer Stel- lenwert zukommen . Mit dieser Zielsetzung untermauert der Antrag die Asi- enstrategie der Bundesregierung . Die deutsche Entwick- lungszusammenarbeit wird in den kommenden Jahren mit den Partnerländern, in multilateralen Organisationen wie der Weltbank, der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB), der Europäischen Union und eben im Rahmen der ASEAN-Staaten große Herausforderungen angehen müssen . Dazu zählt unter anderem den verstärkten Di- alog mit den globalen Entwicklungspartnern zu suchen, die soziale und ökologische Gestaltung der asiatischen Marktwirtschaften zu gestalten, den Schutz von Klima und Biodiversität zu sichern und die Bekämpfung von Konflikt- und Fluchtursachen zu verstetigen. In Thailand besagt das Sprichwort „Den Amboss zu einer Nadel schleifen“, was sich bei uns in „Steter Trop- fen höhlt den Stein“ übersetzen lässt . In diesem Sinne werbe ich für Ihre Zustimmung für den Antrag, da wir damit einen neuen Baustein für intensive und nachhaltige Beziehungen mit den ASEAN-Staaten implementieren werden . Stefan Rebmann (SPD): Trilaterale Partnerschaften haben sich als ein erfolgreiches Instrument der deutschen Entwicklungszusammenarbeit bewährt . Die Partner- schaft zwischen einem traditionellen Geberland, einem Schwellenland als weiterem Geberland und einem Ent- wicklungsland als Nehmerland kann neue Synergien zwischen globalem Norden und Süden herstellen und ist damit auch ein Beitrag zur Umsetzung der Sustainable Development Goals (SDG 17: Globale Partnerschaften für nachhaltige Entwicklung) . Die Stärkung trilatera- ler Partnerschaften ist somit wünschenswert, und die ASEAN-Region bietet sich dafür in besonderem Maße an . Die Association of Southeast Asian Nations, ASEAN, ist ein wichtiger wirtschaftlicher Partner in Asien . Rund 630 Millionen Menschen leben in den ASEAN-Mitglied- staaten . Mit rund 2,3 Billionen US-Dollar an erwirtschaf- tetem Bruttoinlandsprodukt, BIP, pro Jahr reichen die ASEAN-Mitgliedstaaten fast an die Wirtschaftsleistung Großbritanniens, der sechstgrößten Volkswirtschaft der Welt, heran . Prognosen gehen davon aus, dass sich das Wirtschaftswachstum der ASEAN bis 2030 auf 10 Billi- onen US-Dollar vergrößert . Aber nicht nur wirtschaftlich, sondern auch entwick- lungspolitisch stellt die ASEAN mit ihren Mitgliedstaa- ten eine wichtige Partnerin dar . Als Staatenbündnis hat sie sich den Menschenrechten sowie den Grundsätzen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verschrieben, ASEAN-Charta 2007 . Zweifelsfrei bedarf es hier noch weitreichender Reformen in vielen Mitgliedstaaten; je- doch stellt dies einen guten Ausgangspunkt für eine en- gere Zusammenarbeit dar . Die Herausforderungen sind groß: Unter dem Dach der ASEAN haben sich Staaten unterschiedlicher Kulturen, Religionen und Sprachen, unterschiedlicher Regierungs- formen und unterschiedlicher Entwicklungen zusam- mengeschlossen . Während beispielsweise Singapur im Index der menschlichen Entwicklung, HDI, auf Platz 11 liegt, liegt Kambodscha auf Platz 143 von 188 . Oder ein- facher gesagt: Während Singapur boomt, leben in Laos immer noch 23,3 Prozent der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze . Die ASEAN-Mitgliedstaaten haben ein großes Interesse, diese Entwicklungslücke zu schließen und haben ein eigenes Programm, „Narrowing the Development Gap“, initiiert . Der Ausbau von trila- teralen Kooperationen im südostasiatischen Raum kann ein weiterer Beitrag sein, finanzielle Mittel zu generie- ren, Know-how zu stärken und somit nachhaltige Ent- wicklung zu fördern . Ein besonderes Augenmerk sollte im Zuge der trila- teralen Partnerschaften auf die Themen Menschenrechte und Arbeitsbedingungen gelegt werden . Immer wieder kommt es beispielsweise zu Fällen von Zwangsarbeit auf thailändischen Fischfangkuttern oder zu Misshandlungen von Hausangestellten in Singapur . Daher ist bei Maßnah- men der trilateralen Partnerschaft zwingend darauf zu achten, dass menschenrechtliche, soziale und ökologi- sche Standards eingehalten und gefördert werden . Ist die- se Voraussetzung erfüllt, können trilaterale Partnerschaf- ten ein wirksames Instrument zur Förderung nachhaltiger Entwicklung sein und sollten aus den oben genannten Gründen im südostasiatischen Raum ausgebaut werden . Dieser Antrag ist ein erster wichtiger Schritt dazu . Niema Movassat (DIE LINKE): In der deutschen Entwicklungszusammenarbeit finden trilaterale Partner- schaften bis heute zu wenig Beachtung . Dabei birgt die gezielte Zusammenarbeit zwischen einem etablierten Ge- berland, einem Schwellen- und einem Entwicklungsland großes Potenzial . In den Industriestaaten ausgebildete Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722358 (A) (C) (B) (D) Topexperten mögen hochqualifizierte Studienabschlüsse vorweisen haben aber in der Geschichte der Entwick- lungszusammenarbeit in zahllosen Projekten bewiesen, dass ihre Konzepte den harten Praxistest im Alltag vieler Entwicklungsländer nicht bestehen . Mit Entwicklungs- und Schwellenländern gemeinsam geplante, finanzierte und implementierte Kooperations- projekte hingegen haben den Vorteil, sich meist bereits in der Realität bewährt zu haben . Deshalb sind sie unter Umständen nicht nur wirkungsvoller als herkömmliche Entwicklungspartnerschaften, sondern tragen auch in be- sonderem Maße zu mehr „Augenhöhe“ in der Entwick- lungspolitik bei, weil sie die eigenen Erfahrungen der Länder des Südens besonders berücksichtigen . Wie keinem zweiten Staat ist es Kuba gelungen, mit sehr geringen finanziellen Mitteln eine sehr gute staatli- che Bildungs- und Gesundheitsversorgung aufzubauen, zu der jede Kubanerin und jeder Kubaner auch kostenlos Zugang hat . Die Kindersterblichkeitsrate ist in Kuba niedriger, die Lebenserwartung höher als in den USA obwohl in den Vereinigten Staaten pro Kopf im Durchschnitt rund 46- mal so hohe Gesundheitskosten entstehen wie auf der Karibikinsel . Kubanische Ärzte helfen bereits heute in aller Welt und sind besonders in Entwicklungsländern sehr erfolgreich . Angesichts der großen gesundheitspoli- tischen Ziele der SDG-Agenda und der veränderten poli- tischen Gesamtlage sollte die Bundesregierung dringend auf Kuba zugehen und die Möglichkeiten einer Dreiecks- kooperation mit Ländern ohne funktionierendes Basisge- sundheitssystem eruieren . Ähnliches gilt für das kubanische Bildungssystem . Ideologische Scheuklappen verursachen leider auch heu- te noch vor allem bei Vertreterinnen und Vertretern der Unionsfraktionen antikommunistische Reflexe, wenn es um das sozialistische Kuba geht . Diese Geisteshaltung stammt aus dem letzten Jahrhundert und sollte dringend überwunden werden . Selbst die USA haben in den letzten Jahren einen zeitgemäßeren Umgang mit der Karibikin- sel gefunden . Wenn der vorliegende Antrag der Regierungskoalition eine Evaluierung der bisherigen Dreieckskooperationen mit deutscher Beteiligung fordert, ist das durchaus unter- stützenswert . Es ist ebenso richtig zu fordern, neue trila- terale Partnerschaften in strategisch wichtigen Bereichen aufzunehmen, wenn sich dadurch entwicklungspolitische Synergieeffekte erzielen lassen. Insgesamt ist der Antrag jedoch unausgegoren und zusammengestückelt . Der Abschnitt über Drogenanbau im Grenzgebiet zwischen Thailand, Laos und Myanmar etwa fügt sich nicht in den restlichen Text ein und lässt den Leser ratlos zurück, auch weil sich dieser Aspekt im Forderungsteil nirgends wiederfindet. An anderer Stelle ist der Antrag der Regierungskoalition schlicht falsch . So bezeichnet er Kambodscha, Laos, Myanmar und Viet- nam als neue ASEAN-Mitglieder, obwohl Vietnam 1995, Myanmar und Laos 1997 und Kambodscha 1999 beige- treten sind . Die ASEAN-Gruppe besteht heute aus Thailand, In- donesien, Malaysia, den Philippinen, Singapur, Brunei, Vietnam, Myanmar, Laos sowie Kambodscha und um- fasst rund 600 Millionen Einwohner . Auch wenn die Un- terschiede bei den Lebensbedingungen etwa zwischen Malaysia und Myanmar gewaltig sind, ist das Potenzial in der Region für trilaterale Partnerschaften zweifellos groß . Sie könnten zu einer Stärkung der regionalen Inte- gration beitragen, wie sie die Mitgliedsländer anstreben . Auf der anderen Seite ist die Region auch nicht völlig konfliktfrei. Bestehende Spannungen zwischen Kambod- scha, Thailand und Vietnam etwa klammert der vorlie- gende Antrag in seiner Analyse völlig aus . Wer tatsächlich trilaterale Partnerschaften zwischen den ASEAN forcieren will, sollte sich etwas näher mit der Ausgangslage beschäftigen, als die Antragsteller es in diesem Fall getan haben . Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Wenn wir heute einen Antrag zur Stärkung der ASEAN-Region abschließend beraten, so müssen wir diesen Antrag vor dem Hintergrund des Wechsels der Regierungsverantwortung in den USA und in Hinblick auf eine veränderte globale Weltlage bewerten. Offen- sichtlich wird Präsident Trump die enge Zusammenar- beit, die die Obama-Administration der ASEAN-Region angeboten hat, nicht in gleicher Weise fortsetzen . Umso mehr eröffnen sich für Europa und Deutschland Chancen einer engeren Zusammenarbeit mit der ASEAN-Region . Diese Zusammenarbeit kann und muss auf vielen Ebenen erfolgen . Wichtig ist, die Handelsbeziehungen auszubau- en und jetzt stringent die Verhandlung entsprechender Verträge zwischen der EU und ASEAN voranzutreiben . Mir ist es ein Anliegen, dies hier am Anfang zu betonen, wenngleich es nicht Gegenstand dieses Antrages ist . Der Antrag fordert, eine Ausweitung bestehender entwicklungspolitischer Dreieckskooperationen in der ASEAN-Region und deren vielfältige Einsatzmöglich- keiten zu prüfen . Die Regierung solle zudem das Deutsche Evaluierungsinstitut der Entwicklungszusammenarbeit (DEval) mit der Evaluierung von Dreieckskooperationen mit deutscher Beteiligung beauftragen und die Hand- lungsempfehlungen für weitere Projekte nutzen . Dieses sind wichtige Arbeitsfelder . Und ich hatte schon bei der ersten Lesung drei wichtige Aspekte betont, die ich auch hier nochmals anführen möchte: Rechtsstaatlichkeit, Bil- dung und klimaschonende Energieversorgung . Ich denke, dass es unverändert wichtig ist, diese drei Aspekte bzw . Themen intensiv zu verfolgen . Rechts- staatlichkeit, Gewaltenteilung, eine unabhängige Jus- tiz, Einhaltung der Menschenrechte: Fortschritt gerade hinsichtlich der Rechtstaatlichkeit ist der beste Anreiz für ausländische Investitionen, sogenannte FDI . Dabei könnten, im Zusammenhang zum Beispiel mit einer Verstärkung des akademischen Austausches zwischen den Ländern, Dreieckskooperationen eine wichtige Rol- le spielen . Auf der Regierungsebene der ASEAN-Staa- ten wird eine Zusammenarbeit bisher strikt abgelehnt, weil dies als Einmischung in die Belange eines anderen ASEAN-Staates empfunden wird . Aber ein Blick über Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22359 (A) (C) (B) (D) den eigenen Tellerrand würde die Zusammenarbeit för- dern, die heute aufgrund unterschiedlicher Strukturen nur schwer möglich ist . Wenn in gemeinsamen Projekten geforscht und in Thinktanks Vorschläge entwickelt werden, ist das kein Einmischen . Man wird sich dann damit auseinanderset- zen können, wie möglicherweise in ähnlichen Strukturen aktuelle Themen angegangen werden können . Als Bei- spiele seien die Korruptionsbekämpfung und der Aufbau einer unabhängigen Justiz oder aber auch die Förderung von erneuerbaren Energien genannt . Das Gleiche gilt für die Bildung . Hier können es ge- meinsame Initiativen, zum Beispiel im Bereich der beruf- lichen Bildung, sein . Es gibt einige hervorragende Vor- reiter wie das German-Malaysian Institute (GMI) . Von einer solchen Institution könnte – im Sinne von „Best Practice“ – die Idee einer sehr berufsnahen Ausbildung in einer Partnerschaft in Nachbarländer getragen werden . Und dann das weite Feld der Energieversorgung: Hier könnten tri- oder sogar multilaterale Zusammenarbeiten erhebliche Synergieeffekte freisetzen. Dies ist vorstell- bar sowohl in einer rein technischen Zusammenarbeit als auch in einer Konstellation, die Finanzierung, tech- nisches Know-how und Maschinenbau mit praktischer Umsetzung umfasst . Wichtig ist, dass konkrete Projekte umgesetzt werden und dabei verstärkt auch auf die loka- len Kräfte – „Regional Ownership“ ist das Stichwort – zu setzen . Diese freizusetzen wird und muss der Anspruch für unsere Unterstützung sein, nicht das Besserwissen in einigen Vorzeigeprojekten . Fazit: Der Antrag der Koalition „Trilaterale Partner- schaften in der ASEAN-Region stärken – Deutsches Know-how nutzen“ benennt sinnvolle Maßnahmen, wel- che die grüne Bundestagsfraktion unterstützt . Eine ver- besserte Abstimmung der Geberländer, die Evaluierung bestehender trilateraler deutscher Kooperationen durch das DEval, Prüfaufträge für die Ausweitung bestehender trilateraler Kooperationen und gegebenenfalls die Schaf- fung neuer Kooperationen in der ASEAN-Region, insbe- sondere mit Blick auf die Nachhaltigkeitsziele (genannt SDGs: Sustainable Development Goals) und das Pariser Klimaabkommen, die Forderung nach der Einhaltung in- ternationaler Standards (ILO-Kernarbeitsnormen unter anderem) und die Einbeziehung der lokalen Privatwirt- schaft sind alles Forderungen, die unsere Unterstützung finden. Der Antrag benennt viele gute Aspekte, wobei natür- lich erst die Umsetzung in konkrete Maßnahmen den Erfolg ausmachen wird . Diese Umsetzung werden wir Grünen weiterhin beobachten und auch einfordern . Die Chancen in der Zusammenarbeit mit den ASEAN-Län- dern sind gerade für Deutschland und vor allem für die mittelständische Industrie groß . Wir Grünen wollen die Nutzung dieser Chancen nach besten Kräften unterstüt- zen . Anlage 24 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 19. Mai 2016 zwischen der Bun- desrepublik Deutschland und dem Obersten Hauptquartier der Alliierten Mächte Europa zur Änderung des Abkommens vom 13. März 1967 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Obersten Hauptquartier der Alliierten Mäch- te Europa über die besonderen Bedingungen für die Einrichtung und den Betrieb internationaler militärischer Hauptquartiere in der Bundesrepu- blik Deutschland (Tagesordnungspunkt 47) Julia Obermeier (CDU/CSU): Vor wenigen Wochen stand auf der Münchner Sicherheitskonferenz die Bedeu- tung der NATO im Zentrum vieler Reden und Diskus- sionsrunden . So erörterten fünf NATO-Verteidigungsmi- nister – vom westlichsten bis hin zum östlichsten Teil des Bündnisgebietes – die Bedeutung der transatlantischen Verteidigungsallianz . Sie waren sich einig: Die NATO ist alles andere als obsolet . Vielmehr nehme ihre Bedeutung angesichts der aktuellen sicherheitspolitischen Heraus- forderungen weiter zu . Auch unsere Bundeskanzlerin Dr . Angela Merkel hob hervor, dass kein einzelner Staat der Welt die Herausfor- derungen unserer heutigen Zeit allein bewältigen könne . Dies bedürfe großer gemeinsamer Anstrengungen . Da- raus ergebe sich die Notwendigkeit, die multilateralen internationalen Strukturen wie beispielsweise die NATO zu stärken und effizienter zu gestalten. Vor diesem Hintergrund ist auch der vorliegende Ge- setzentwurf von großer Aktualität . Vor einigen Jahren, auf dem Gipfel in Lissabon 2010, hat der NATO-Rat sich darauf geeinigt, die NATO-Kommandostrukturen zu re- formieren . Dabei wurde der Beschluss gefasst, die Strukturen stark zu verschlanken und die Zahl der militärischen Hauptquartiere zu reduzieren . In der Folge wurde mit dem gemeinsamen Hauptquartier in Lissabon eines der operativen Kommandos der NATO geschlossen, und auch drei taktische Kommandos für Luftstreitkräfte, See- streitkräfte und Landstreitkräfte sowie zwei Gefechts- stände zur Führung von Luftstreitkräften wurden aufge- löst . Dies führte zu deutlichen Personaleinsparungen in der NATO-Kommandostruktur: von rund 13 000 Mann um etwa 4 000 auf weniger als 9 000 . Das heißt, die Zahl der Dienstposten wurde um ganze 33 Prozent reduziert . Dieser Reform fiel auch ein Standort in Deutschland zum Opfer: Das taktische Kommando der Landstreit- kräfte in Heidelberg mit 350 Dienstposten wurde 2013 geschlossen . Durch die Reform sollten jedoch nicht bloß die Kom- mandostrukturen neu und effektiver gestaltet, sondern auch der gemeinsame NATO-Militärhaushalt durch wei- tere Maßnahmen entlastet werden . Diesem Ziel dient auch der vorliegende Gesetzentwurf . Darin wird ein Ab- kommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722360 (A) (C) (B) (D) dem Obersten Hauptquartier der Alliierten Mächte Euro- pa umgesetzt, indem die Kosten für die Instandsetzung und Instandhaltung der Infrastruktur von Hauptquartie- ren der NATO-Kommandostruktur neu aufgeteilt wer- den . Zukünftig soll die NATO nicht mehr die gesamten Kosten alleine tragen . Diese werden nun mit den Staaten, in denen die NATO-Hauptquartiere liegen, geteilt . Diese Regelung betrifft drei NATO-Stützpunkte in Deutschland: das Hauptquartier mit dem Luftwaffenober- kommando der NATO in Ramstein, den multinational besetzten Gefechtsstand der NATO zur Führung von Luftstreitkräften in Uedem und das erste NATO-Fern- meldebataillon in Wesel . Für diese Standorte übernimmt die Bundesrepublik Deutschland zukünftig die Hälfte der Infrastrukturkosten . Durch diese Maßnahme entstehen dem Bund auf den ersten Blick Kosten in Höhe von 200 000 Euro . Auf den zweiten Blick zeigt sich jedoch: Deutschland spart durch die Reform jedes Jahr über 1,5 Millionen Euro . Diese Einsparungen entstehen, da alle Staaten mit Hauptquar- tieren der NATO-Kommandostruktur die Hälfte der In- frastrukturkosten übernehmen und hierdurch im Mili- tärhaushalt der NATO insgesamt fast 12 Millionen Euro eingespart werden . Da Deutschland als zweitgrößter NATO-Beitragszahler – nach den USA und vor Frank- reich – fast 15 Prozent des Etats trägt, profitieren wir fi- nanziell auch sehr stark durch die Neuregelung . Wir unterstützen den vorliegenden Gesetzentwurf . Er ist Teil der Reform, die die Strukturen der NATO schlan- ker, effektiver und erschwinglicher macht. Das ist wich- tig; denn wir brauchen ein starkes transatlantisches Ver- teidigungsbündnis . Matthias Ilgen (SPD): Der vorliegende Gesetzent- wurf spiegelt die Umsetzung von Teilen einer bereits im Jahre 2010 beschlossenen NATO-Reform wider . Die- se Reform wiederum mündete im letzten Jahr in einem Änderungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Obersten Hauptquartier der Alli- ierten Mächte in Europa . Der daraus resultierende Ge- setzentwurf sieht, kurz gesprochen, eine Umschichtung der durch NATO-Hauptquartiere in Deutschland entste- henden Kosten vor . Das klingt zunächst vielleicht etwas plastisch, be- trifft aber hierzulande beispielsweise das sogenannte „Headquarters Allied Air Command“, oder kurz: „HQ AIRCOM“, in Ramstein oder auch das „Headquarters Rapid Deployable German-Netherlands Corps“ in Müns- ter . Die bisherige Regelung, was die Unterhaltung der NA- TO-Hauptquartiere betrifft, entstammt dem Abkommen von 1967 und sieht dabei eine Übernahme der Kosten seitens der NATO zu 100 Prozent vor . Im Zuge der Re- form der NATO-Kommandostruktur aus dem Jahre 2010 wurde beschlossen, diesen Schlüssel dahingehend anzu- passen, dass sich künftig NATO und Gastgeberland diese Kosten hälftig teilen, also im Verhältnis 50 : 50, statt wie bisher der angesprochenen 100 : 0 . Das Zahlenspiel klingt komplizierter, als es ist: Durch diese hälftige Übernahme der Kosten für Liegenschafts- instandsetzung und Liegenschaftsinstandhaltung entste- hen im Kapitel 1408 des Bundeshaushaltes – das ist das Kapitel im Haushalt des Bundesministeriums der Vertei- digung, welches sich unter dem Schlagwort „Unterbrin- gung“ auch mit den Liegenschaften beschäftigt – Mehr- ausgaben in Höhe von 200 000 Euro . Auf der anderen Seite reduzieren sich die Ausgaben in Kapitel 1401 – dieses Kapitel betrifft unter anderem die sogenannten „Verpflichtungen im Rahmen der Mitgliedschaft zur NATO“ – um gut 1,7 Millionen Euro . Diese Zahl ergibt sich aus der Tatsache, dass die NATO derzeit 23,6 Millionen Euro für die Unterhaltung der Hauptquartiere ausgibt . An der in Zukunft eingespar- ten Hälfte dieser Summe, nämlich 11,8 Millionen Euro, ist Deutschland, durch seinen Anteil am NATO-Haushalt von 14,65 Prozent – ich hoffe, Sie sind noch bei mir –, mit eben diesen besagten 1,7 Millionen Euro beteiligt . Nach Adam Riese führt der vorliegende Gesetzentwurf also zu Minderausgaben von 1,5 Millionen Euro . Ja, man mag es kaum glauben, aber hier liegt ein Gesetz vor, wel- ches bei uns in Deutschland zu haushälterischen Einspa- rungen führt . Anderen Ländern, deren Anteil am NATO-Bud- get prozentual kleiner ist, die aber über entsprechende NATO-Hauptquartiere innerhalb ihrer Landesgrenzen verfügen, entstehen dadurch durchaus Mehrkosten . Der Punkt ist allerdings, dass die Verteilung der Gesamtkos- ten auf die Mitgliedsländer der NATO sich in Zukunft etwas gerechter darstellt . Mir ist bei all diesen Zahlenspielen schon klar, dass es trotz Einsparungen jetzt wieder aus bestimmten Rich- tungen des Hauses das übliche Getöse gibt: „NATO ab- schaffen!“ und „Kein Geld mehr für die NATO!“ – das sind hanebüchene Forderungen, die uns in diesem hohen Hause nur allzu vertraut sind . Fest steht aber: Die NATO ist für Deutschland seit über 60 Jahren ein Garant für unsere Sicherheit und für die westliche Sicherheitsarchitektur als Ganzes . Ob Sie das nun gerne hören oder nicht . Daran wird zukünftig weder ein Donald Trump etwas ändern noch die Kolle- ginnen und Kollegen von der Linkspartei . Gerade die seit einigen Jahren veränderte sicherheits- politische Lage innerhalb Europas macht die NATO auf absehbare Zeit unersetzlich . Umso wichtiger ist es dabei, diese Institution eben nicht „obsolete“ werden zu lassen, wie vor einigen Wochen noch der neu gewählte US-ame- rikanische Präsident wenig eloquent propagierte, oder die NATO gar institutionellen Staub ansetzen zu lassen, sondern sie auch weiterhin modern, dynamisch und fit zu halten, um eben auch in Zukunft ein Instrument an der Hand zu haben, mit Hilfe dessen Deutschland auf sicher- heitspolitische Herausforderungen angemessen reagieren kann . Deshalb ist es wichtig, die auf NATO-Ebene ange- schobenen Reformen auch hierzulande umzusetzen . Der Bundesrat hat diesem Entwurf in seiner Sitzung am 10 . Februar bereits ohne Einwendungen zugestimmt . Wir als SPD-Bundestagsfraktion schließen uns den Kol- https://de.wikipedia.org/wiki/Gefechtsstand https://de.wikipedia.org/wiki/Luftstreitkr%C3%A4fte http://www.1gnc.org/ http://www.1gnc.org/ Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22361 (A) (C) (B) (D) leginnen und Kollegen aus den Ländern an und stimmen diesem Entwurf ebenfalls zu . Inge Höger (DIE LINKE): Die NATO ist ein Re- likt des Kalten Krieges . Sie bezeichnet sich als Vertei- digungsbündnis und ist in Wirklichkeit doch meist ein Angriffsbündnis. Betrachtet man ihr Wirken in den Jahr- zehnten seit Ende des Kalten Krieges, dann ist sie bes- tenfalls überflüssig. Überall, wo die NATO konkret aktiv war, wie im Jugoslawienkrieg, in Afghanistan etc ., war ihr Handeln jedoch extrem destruktiv . Die NATO ist so- wohl verantwortlich für die Zerstörung ganzer Regionen und unzähliger Menschenleben als auch für Angriffe auf das Völkerrecht und die Destabilisierung vieler Länder . Das Gebot der Stunde ist die Auflösung der NATO, nicht eine Neuordnung der Finanzierung dieses Bünd- nisses . In dem vorliegenden Gesetzentwurf geht es vor- dergründig darum, dass zukünftig die Staaten, in denen es NATO-Kommandostrukturen gibt, die Hälfte der Un- terhalts- und Instandsetzungskosten für diese Kriegsin- frastruktur bezahlen . Damit müssen einerseits die Statio- nierungsländer mehr zahlen, und andererseits werden das zentrale NATO-Budget und der Anteil der Mitgliedslän- der daran entlastet . Angesichts der Milliardenausgaben für Kriege und Kriegsvorbereitungen geht es hier nur um die Umverteilung von 11,8 Millionen Euro jährlich . Zu berücksichtigen ist dabei, dass die Liegenschaften des Bundes der NATO unentgeltlich zur Nutzung überlassen werden und nur die Kosten der Instandsetzung und In- standhaltung nun anders verteilt werden . Die Linke befürchtet, dass diese Gesetzesänderung nur einer von vielen Schritten ist, mit denen die NATO mit einem immer größeren Budget ausgestattet und auch der deutsche Militäretat immer weiter aufgebläht wird . Bei diesem Gesetz geht es wohl „nur“ um die anteilige Fi- nanzierung der NATO-Kommandobehörde zur Führung von Luftstreitkräften in Ramstein und den NATO-Ge- fechtsstand zur Führung von Luftstreitkräften in Uedem . Zukünftig geht es wohl um weitere NATO-Strukturen wie etwa in Geilenkirchen und Kalkar . Darüber hinaus wird bereits diskutiert, dass Deutsch- land sich in noch größerem Umfang als bisher an den US-Stützpunkten und Kommandostrukturen hierzulande beteiligt . Da ginge es dann um ganz andere Beträge . Alle momentan vorbereiteten Entscheidungen im Bereich der Militärausgaben stehen unter der Vorgabe bzw . dem Ziel, zukünftig 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in Kriegsvorbereitungen zu investieren . Wenn dies tat- sächlich umgesetzt wird – und nicht nur Ursula von der Leyen hat dies zugesagt –, dann bedeutet dies, dass das wirtschaftsstarke Deutschland bis 2024 mehr Militäraus- gaben hat als Russland . Ein militärisch starkes Deutsch- land, mit starken Ansprüchen im Bereich der Macht- und Interessenpolitik – das war noch nie ein Vorbote für eine friedliche Entwicklung . Egal ob die neue Aufrüstungswelle mit dem Druck aus Washington oder mit der globalen Sicherheitslage begründet wird: Sie ist in jedem Fall eine falsche und ge- fährliche Entwicklung . Nötig sind Abrüstungsinitiativen und eine Rückkehr zu vertrauensbildenden Maßnahmen . In diesem Kontext lehnt die Linke jede Reform der NATO-Strukturen ab, die nicht zu Abrüstung führt . Wir fordern den Austritt Deutschlands aus der NATO und werden an der Mobilisierung der Proteste gegen den nächsten NATO-Gipfel im Mai in Brüssel mitwirken . Wir wollen die Stimmen für eine friedliche Zukunft stär- ken . Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir debattieren den Entwurf eines Gesetzes, das die zwischen dem obersten Hauptquartier der NATO und der Bundesrepublik Deutschland ausgehandelten Än- derungen des Vertrages ratifiziert, der 1967 zwischen diesen beiden Parteien geschlossen wurde . In der Sa- che geht es im Kern darum, dass die Instandsetzung und Instandhaltung von NATO-Hauptquartieren künftig jeweils zur Hälfte von der NATO und dem jeweiligen Aufnahmestaat getragen werden sollen . Bei der Über- lassung von Liegenschaften und bei Baumaßnahmen wird den Vertragsparteien die Möglichkeit eingeräumt, hinsichtlich der Kostenverteilung spezifische Regelun- gen und Vereinbarungen zu treffen. Das Abkommen geht auf den Beschluss der Staats- und Regierungschefs der NATO-Mitgliedstaaten zu einer neuen Kommandostruk- tur der NATO von 2010 zurück . Für die Bundesrepublik Deutschland entstehen hierdurch Mehrkosten in Höhe von 200 000 Euro . Laut Gesetzentwurf stehen diesen er- hebliche Einsparungen im NATO-Haushalt gegenüber, an denen Deutschland in der Höhe von 1,72 Millionen Euro teilhat . Die NATO setzt sich mit einer Vielzahl von Heraus- forderungen in unserer Welt auseinander . Durch das aggressive Vorgehen Russlands in der Ukraine hat die Bündnisverteidigung gerade für die östlichen Mitglied- staaten eine wichtige Rolle eingenommen . Zahlreiche Maßnahmen, die auf den Gipfeln in Wales und Warschau beschlossen wurden, sollen die Entschlossenheit des Bündnisses in Gänze und die Solidarität zwischen den Bündnispartnern unterstreichen . Das Ganze soll dem Zweiklang der Abschreckung und des Dialogs dienen . Das ist richtig, weil wir unseren östlichen Bündnispart- nern gegenüber solidarisch sein müssen . Wichtig ist mir, dabei nochmals deutlich zu unterstreichen, dass wir zwar durchaus die Notwendigkeit sehen, unsere östlichen Bündnispartner auch mit Beiträgen der Bundeswehr zu unterstützten, es jedoch unerlässlich ist, den Dialog mit gleicher Kraft, nein noch viel stärker zu verfolgen . Eine militärische Lösung wird es nicht geben, und es wäre nichts fataler, als wieder in die Logik des Kalten Krieges, der massiven Abschreckung und von Rüstungsspiralen zurückzuverfallen . Vor dem Hintergrund der für die NATO wieder ge- stiegenen Bedeutung der Bündnisverteidigung hat die Bundesregierung den Verteidigungsetat bereits erhöht . Die USA haben auch schon vor Präsident Trump gefor- dert, dass die Mitgliedstaaten das 2-Prozent-Ziel erfüllen sollen . Die Bundesregierung hatte in Wales zugesagt, das Erreichen dieses Ziels anzustreben . Inzwischen wol- len Frau Merkel und Frau von der Leyen es nicht nur versuchen, sondern tatsächlich im nächsten Jahrzehnt erreichen . Das käme einer massiven Aufstockung des Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722362 (A) (C) (B) (D) Verteidigungshaushaltes gleich . In diesem Jahr hätten die Ausgaben nach NATO-Kriterien bei 65 Milliarden Euro liegen müssen, also 26 Milliarden Euro über dem tatsächlichen Ansatz . Es ist nicht zielführend, die Beiträge der NATO-Staa- ten zum Bündnis am Erreichen des 2-Prozent-Zieles fest- zumachen . Die Berechnungen der Militärausgaben nach NATO-Kriterien enthalten auch Ausgaben wie Pensions- zahlungen, die zur tatsächlichen Verteidigungsfähigkeit nichts beitragen . Der Input alleine reicht als Messgrö- ße nicht aus . Viel wichtiger ist es, sich den Output an- zuschauen, also was die Streitkräfte leisten . Die NATO muss ihre Messgrößen über das 2-Prozent-Ziel hinaus weiterentwickeln, sodass nicht einfach nur Geldausge- ben, sondern die konkreten Beiträge der Staaten aner- kannt werden . Pauschale Rufe nach einer Erhöhung des deutschen Verteidigungshaushaltes sind nicht zielführend . Eine Er- höhung macht ganz besonders dann keinen Sinn, wenn nur des Ausgebens wegen gekauft wird und wenn die Beschaffungsstrukturen so problembehaftet sind wie die der Bundeswehr . Viel mehr Geld hilft nicht zwingend viel . Die europäischen Staaten könnten durch eine bes- sere Abstimmung untereinander mit dem gleichen Geld weitaus mehr zur NATO beitragen als bisher . Insofern ist die Zusage von Kanzlerin Merkel und Verteidigungsmi- nisterin von der Leyen – zumal sie nicht einmal sagen, wofür genau sie das viele Geld ausgeben wollen – falsch . Vor diesem Hintergrund gehen wir nun in die Bera- tungen des vorliegenden Gesetzentwurfes und werden die geänderte Kostenverteilung bei der Unterhaltung von NATO-Hauptquartieren wohlwollend prüfen . Markus Grübel, Parl. Staatssekretär bei der Bun- desministerin der Verteidigung: Mit dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 19 . Mai 2016 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Obersten Hauptquartier der Alliierten Mächte Eu- ropa (SHAPE1) zur Änderung des Abkommens vom 13 . März 1967 zwischen der Bundesrepublik Deutsch- land und SHAPE über die besonderen Bedingungen für die Einrichtung und den Betrieb internationaler militä- rischer Hauptquartiere in der Bundesrepublik Deutsch- land, dem sogenannten Ergänzungsabkommen zum Hauptquartier-Protokoll, das wir heute in erster Lesung beraten, soll die innerstaatliche Umsetzung des Ände- rungsabkommens erfolgen . Das Änderungsabkommen verfolgt das auf politischer Ebene beschlossene Ziel, die Kosten der Instandset- zung und Instandhaltung der Infrastruktur von militäri- schen Hauptquartieren der NATO-Kommandostruktur zwischen der NATO und der Bundesrepublik Deutsch- land als Aufnahmestaat aufzuteilen . Die gegenwärtige Fassung des Ergänzungsabkommens zum Hauptquar- tier-Protokoll von 1967 weist diese Infrastrukturkosten ausschließlich der NATO zu . Das Änderungsabkommen geht auf den Beschluss des NATO-Rates zurück, den NATO-Militärhaushalt entsprechend der von den Staats- und Regierungschefs der NATO-Mitgliedstaaten veranlassten und inzwischen durchgeführten Reorganisation der NATO-Kommando- struktur zu entlasten . Hierzu ist unter anderem vorgese- hen, dass Aufnahmestaaten NATO-Hauptquartiere der NATO-Kommandostruktur, die sich in ihrem Hoheitsge- biet befinden, künftig in verstärktem Maße im Rahmen des sogenannten Host Nation Support unterstützen . In Deutschland betrifft dies die NATO-Hauptquartiere in Uedem, Wesel und Ramstein . So sollen die Kosten für die Instandsetzung und Instandhaltung der Liegenschaf- ten von NATO-Hauptquartieren nicht mehr – wie bis- her – ausschließlich von der NATO getragen, sondern zwischen der NATO und dem jeweiligen Aufnahmestaat hälftig aufgeteilt werden . Die NATO will mit der neuen Kostenregelung Ein- sparungen im NATO-Haushalt erreichen . Diese sollen sich – bezogen auf den gegenwärtigen Haushalt – auf rund 11,8 Millionen Euro pro Jahr belaufen . Bei ei- nem deutschen Finanzierungsanteil von 14,654 Prozent wird Deutschland entsprechend seinem Anteil mit rund 1,72 Millionen Euro an diesen Einsparungen teilhaben . Diesen Einsparungen in Bezug auf den NATO-Haus- halt stehen gegenwärtig Mehrausgaben in Höhe von rund 0,2 Millionen Euro für die hälftige Übernahme der Kos- ten für die Liegenschaftsinstandsetzung und -instandhal- tung der NATO-Hauptquartiere in Deutschland gegen- über . Zudem erfordert die Umsetzung der Regelung zur geänderten Kostenaufteilung zusätzliche Personalres- sourcen zur Erbringung liegenschaftsbezogener Leistun- gen für die NATO-Hauptquartiere in Deutschland . Dies wird im Rahmen der Trendwende Personal berücksich- tigt und mit Kosten in Höhe von rund 0,6 Millionen Euro pro Jahr zu Buche schlagen . Die Mehrkosten liegen damit trotz der organisatori- schen und personellen Anpassungen immer noch deut- lich unter den jährlichen Einsparungen beim deutschen Anteil an den im NATO-Militärhaushalt veranschlag- ten, von der NATO zu tragenden Infrastrukturkosten für NATO-Hauptquartiere insgesamt . Mit der Änderung des Ergänzungsabkommens leistet Deutschland seinen solidarischen Beitrag zur Umsetzung des Beschlusses des NATO-Rates, den NATO-Militär- haushalt deutlich zu entlasten . Die Inkraftsetzung des Än- derungsabkommens ist darüber hinaus für Deutschland finanziell von Vorteil, da die Einsparungen am deutschen Anteil des NATO-Militärhaushaltes die Mehrausgaben für die Liegenschaftsinstandsetzung und -instandhaltung der drei NATO-Hauptquartiere in Deutschland überwie- gen . Anlage 25 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines familiengerichtlichen Genehmigungsvorbehal- tes für freiheitsentziehende Maßnahmen bei Kindern Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22363 (A) (C) (B) (D) –  des  von  den  Abgeordneten  Corinna  Rüffer,  Katja Keul, Katja Dörner, weiteren Abgeordne- ten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs zur Einführung eines gerichtlichen Genehmi- gungserfordernisses bei freiheitsbeschränken- den Maßnahmen gegenüber Kindern (Tagesordnungspunkt 48 a und b) Dr. Silke Launert (CDU/CSU): Wir beraten heute über ein sensibles Thema, über das keiner gerne spricht: Es geht um „freiheitsentziehende Maßnahmen bei Kin- dern“ in Heimen, Krankenhäusern und anderen Einrich- tungen . Leider gibt es Situationen, in denen sich aus Gründen des Kindeswohls die Frage nach dem Einsatz freiheitsentziehender Maßnahmen wie beispielsweise mechanische Vorrichtungen (Fixierung am Bett etc .) oder Medikamente stellt, weil sich das Kind sonst selbst oder andere gefährden würde . Leidet beispielsweise ein jun- ges Mädchen an einer lebensbedrohlichen Magersucht und wiegt nur noch 30 Kilogramm bei einer Größe von 179 Zentimetern, so muss wahrscheinlich eine Zwangs- ernährung erfolgen, um das Leben des Mädchens zu ret- ten . Ein Junge, der mit Selbstmordgedanken in eine kin- der- und jugendpsychiatrische Klinik eingeliefert wird, muss in der Nacht an seinem Bett fixiert werden, um zu verhindern, dass er sich selbst verletzen kann . Freiheitsbeschränkende Maßnahmen sind immer ein sehr schwerwiegender Eingriff in die Persönlichkeits- und Schutzrechte eines Menschen und dürfen dement- sprechend nur als allerletztes Mittel der Hilfe und des Schutzes eingesetzt werden . In den von mir benannten Beispielen handelt es sich um Situationen, in denen mit den entsprechenden Maßnahmen wohl das letztmögliche Mittel zum Schutz der Kinder ausgeschöpft wurde . Leider gibt es aber auch Fälle, in denen freiheitsent- ziehende Maßnahmen zu leichtfertig angewendet wer- den . In jüngerer Zeit sind einige Fälle von Einrichtungen bekannt geworden, in denen Kinder mit geistigen und seelischen Behinderungen regelmäßig freiheitsbeschrän- kenden Maßnahmen ausgesetzt wurden, obwohl mildere Maßnahmen möglich gewesen wären . Hier mangelt es vielleicht im Einzelfall am Wissen des Personals um die Bedeutung der freiheitsentziehenden Maßnahme, oder aber es ist nicht genügend Personal vorhanden, um eine Freiheitsentziehung zu vermeiden . In Gesprächen mit Experten wurde mir zudem be- richtet, dass freiheitsentziehende Maßnahmen von den betroffenen Kindern häufig als intensivere Beeinträch- tigung wahrgenommen werden als die eigentliche Un- terbringung . Das ist für mich nachvollziehbar: Während sich Kinder bei einer Unterbringung frei auf der Station bewegen können, spüren sie bei einer Fixierung durch Gurte oder beim Einschluss in einen Raum unmittelbar die fehlende Bewegungsmöglichkeit . Bislang unterliegen in Deutschland nur Unterbringun- gen von Minderjährigen, die mit einer Freiheitsentzie- hung verbunden sind, einer Genehmigung des Familien- gerichts . Für die unterbringungsähnlichen Maßnahmen sieht das Gesetz dagegen anders als das Betreuungsrecht für volljährig Betreute keine gerichtliche Genehmi- gungspflicht vor. Über diese Maßnahmen entscheiden al- lein die Eltern im Rahmen ihrer elterlichen Sorge . Das ist auch grundsätzlich richtig so . Das Verfassungsrecht legt den Vorrang der elterlichen Verantwortung fest, weil es davon ausgeht, dass die Eltern selbst am besten wissen, was gut für das eigene Kind ist . Allerdings sieht das Grundgesetz auch eine Wächter- funktion des Staates vor, die gerade in der vorliegenden Situation entscheidend ist. Die Eltern befinden sich ver- ständlicherweise in einer besonderen emotionalen Belas- tungssituation, wenn sie darüber entscheiden müssen, ob bei ihrem Kind freiheitsentziehende Maßnahmen ange- wendet werden dürfen . Nicht selten stehen sie in einem schwierigen Interessenkonflikt zwischen dem Schutz ih- res Kindes einerseits und dem Wunsch nach einer fach- gerechten Betreuung andererseits . In solchen Drucksitu- ationen werden teilweise weitreichende Einwilligungen erteilt und Empfehlungen von Ärzten und Pflegepersonal nicht immer hinterfragt . Anders als zu Hause geben die Eltern aber ihre Kontrollmöglichkeit an die Einrichtun- gen ab und müssen auf eine verhältnismäßige Anwen- dung durch das Personal vertrauen . Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir die Eltern deshalb bei dieser schwierigen Entscheidung unterstützen: Künftig sollen auch freiheitsentziehende Maßnahmen bei Kindern nur nach gerichtlicher Prüfung und Genehmigung des Familiengerichts zulässig sein . Dabei ist es der Union ein wichtiges Anliegen, dass wir das grundrechtlich geschützte Elternrecht vollumfäng- lich erhalten . Auch nach dem vorliegenden Gesetzent- wurf obliegt die Entscheidung, ob und in welcher Art und Weise eine freiheitsentziehende Maßnahme durchgeführt werden darf, daher ausschließlich den Eltern . Lehnen sie eine Maßnahme ab, darf diese daher auch künftig von dem Heim oder der Einrichtung nicht durchgeführt wer- den . Nur wenn die Eltern eine Maßnahme bejahen, soll diese zusätzlich durch das Familiengericht überprüft und genehmigt werden . Schließlich will ich noch darauf hinweisen, dass das Genehmigungserfordernis selbstverständlich nicht im el- terlichen Haushalt gilt . Ein Bedürfnis für die zusätzliche Überprüfung durch das Familiengericht besteht nur dann, wenn die Eltern ihre eigene Kontrollmöglichkeit abgege- ben haben, weil sich ihr Kind in einem Heim oder einer Einrichtung befindet. Zusammenfassend möchte ich sagen: Die Entschei- dung für oder gegen freiheitsentziehende Maßnahmen kann mitunter erhebliche Folgen für die Entwicklung des Kindes oder des Jugendlichen haben . Eltern sollten in dieser Situation, die in der Regel ohnehin schon äußerst belastend ist, nicht allein gelassen werden und sich allein auf die Einschätzung der Einrichtung verlassen müssen . Ich hoffe daher, dass wir im weiteren Verlauf des parlamentarischen Verfahrens zu einem guten Ergebnis kommen . Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Wir beraten heute in erster Lesung den Gesetzentwurf der Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722364 (A) (C) (B) (D) Bundesregierung zur Einführung eines familiengericht- lichen Genehmigungsvorbehaltes für freiheitsentziehen- de Maßnahmen bei Kindern . Mit dem Gesetzentwurf sollen bestimmte freiheitsentziehende Maßnahmen bei Minderjährigen unter den Vorbehalt der Genehmigung des Familiengerichts gestellt werden . Derzeit besteht eine solche Genehmigungspflicht nur für eine freiheits- entziehende Unterbringung in einem Heim, nicht aber für sonstige freiheitsentziehende Maßnahmen wie zum Beispiel eine Fixierung . Im Betreuungsrecht bedürfen solche Maßnahmen zum Schutz der betroffenen Erwach- senen einer gerichtlichen Genehmigung . Im Interesse des Kinderschutzes sollen daher künftig auch Maßnahmen, mit denen Kindern und Jugendlichen über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig auf nicht altersgerechte Wei- se die Freiheit entzogen werden soll – gemeint sind hier zum Beispiel Fixierungen, medikamentöse Sedierungen, Anbringen von Bettgittern –, nicht ohne gerichtliche Kontrolle zulässig sein . Das Familiengericht muss im- mer dann eingeschaltet werden, wenn sich das Kind in einem Krankenhaus, einem Heim oder einer ähnlichen Einrichtung befindet. Aus meiner Sicht ist der vorgelegte Entwurf ein wich- tiger Baustein für besseren Kinderschutz . Wir als CDU/ CSU-Bundestagsfraktion haben uns mit Nachdruck für eine gesetzliche Regelung eingesetzt, um damit auf teilweise unhaltbare Zustände in Heimen und Kranken- häusern reagieren zu können . Als ehemaliger Familien- richterin bin ich davon überzeugt, dass es allen Beteilig- ten – den Eltern, dem Heim- oder Krankenhauspersonal, aber allen voran den Kindern – hilft, wenn sich ein Rich- ter oder eine Richterin mit juristischer Fachkunde und mit professioneller Distanz prüft, ob etwas so Einschnei- dendes wie eine Freiheitsentziehung dem Kindeswohl entspricht . Sachverständige und Praktiker aus dem Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie berichten uns zum Teil von erschreckenden Verhältnissen in einzelnen Einrich- tungen . Kinder würden oftmals über längere Zeit mit mechanischen oder medikamentösen Mitteln „ruhig ge- stellt“, ohne dass es dafür einen unabweisbaren Bedarf gebe. Die betreffenden Eltern seien schlichtweg überfor- dert, im Sinne ihres Kindes sachgerechte Entscheidun- gen zu treffen. Sie befinden sich bei der Entscheidung über freiheitsentziehende Maßnahmen meist in einer besonderen Belastungssituation; sie sehen sich in einem Interessenskonflikt, weil sie einerseits die Grundrech- te ihres Kindes schützen wollen und andererseits errei- chen möchten, dass ihr Kind fachgerecht behandelt wird . In solchen Situationen werden oftmals weitreichende Vollmachten an Ärzte oder Betreuungspersonal erteilt, die in ihren Auswirkungen von den Eltern weder kon- trolliert noch hinterfragt werden können . Eltern stehen teilweise unter solchem Druck, dass sie Einwilligungen in freiheitsentziehende Maßnahmen auch erteilen, wenn sie vermieden werden könnten . Die Sachverständigen berichten zudem, dass Fixierungen von den Kindern oft- mals als einschneidender erlebt würden als zum Beispiel eine Unterbringung auf einer geschlossenen Station . Vor dem Hintergrund solcher Schilderungen müssen wir als Gesetzgeber dafür sorgen, dass Eingriffe in die Rechte des Kindes nur dann erfolgen, wenn sie geeignet, erforderlich und angemessen sind . Die Überprüfung ei- ner solchen Maßnahme durch eine unabhängige Instanz entlastet zudem die Eltern und hilft ihnen dabei, die Inte- ressen des Kindes jeweils am besten wahrzunehmen . Die Schaffung eines familiengerichtlichen Genehmigungs- vorbehaltes ist aus meiner Sicht das gebotene Mittel . Zugleich muss sich dieser Genehmigungsvorbehalt auf das notwenige Maß beschränken . Es muss zum Beispiel klar sein, dass nicht das Familiengericht einzuschalten ist, wenn ein Kind in der Kita in einen Hochstuhl ge- setzt wird . Auf solche Konstellationen hin, in denen ein Genehmigungsvorbehalt unangebracht wäre, werden wir den Gesetzentwurf in den parlamentarischen Beratungen genau prüfen . Wichtig ist uns außerdem, dass das Elternrecht ge- wahrt bleibt . In Artikel 6 Absatz 2 des Grundgesetzes ist festgeschrieben: Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ih- nen obliegende Pflicht. Dafür stehen wir als CDU und CSU ein – und das gilt auch bei diesem Gesetzentwurf . Der Entscheidungsvorrang der sorgeberechtigten Eltern bleibt in vollem Umfang gewahrt . Die Befugnis zur Ent- scheidung über den Einsatz freiheitsentziehender Maß- nahmen und die Art und Weise ihrer Anwendung liegen weiterhin bei den Eltern . Lehnen sie eine Maßnahme ab, darf sie nicht durchgeführt werden . Entscheiden sich die Eltern aber für eine freiheitsentziehende Maßnahme bei ihrem Kind, das sich in einem Krankenhaus, einem Heim oder einer anderen Einrichtung aufhält, muss das Fami- liengericht zustimmen, wenn die Maßnahme über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig in nicht altersgerech- ter Weise erfolgen soll . Das entspricht der staatlichen Wächterfunktion, die ebenfalls in Artikel 6 Absatz 2 des Grundgesetzes ihre Grundlage findet. Das Familienge- richt hat im Verhältnis zum Elternrecht keine ersetzende, sondern eine unterstützende Funktion . Der neue Geneh- migungstatbestand soll um notwendige verfahrensrecht- liche Anpassungen ergänzt werden; so soll der Min- derjährige einen Verfahrensbeistand erhalten, um seine Interessen im Verfahren zur Geltung zu bringen . Zudem soll die Höchstdauer der freiheitsentziehenden Maßnah- me von bisher zwölf auf sechs Monate verkürzt werden . Ein Wort noch zu dem Gesetzentwurf von Bünd- nis 90/Die Grünen, der heute ebenfalls in erster Lesung beraten wird: In der Zielrichtung sind wir uns mit Ihnen einig . Ich glaube allerdings, dass der Gesetzentwurf der Koalition das Problem wesentlich zielgenauer adressiert . Weil Sie keine Beschränkung auf nicht altersgerechte Maßnahmen vorsehen, müsste zum Beispiel die Kita bei jedem Kleinkind, das zum Mittagessen in den Hochstuhl gesetzt wird, zunächst das Familiengericht anrufen . Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Eine mit Freiheits- entziehung verbundene Unterbringung von Minderjähri- gen muss laut § 1631b Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) vom Familiengericht genehmigt werden . Sogenannte freiheitsbeschränkende oder unterbringungsähnliche Maßnahmen unterliegen hingegen keiner richterlichen Genehmigungspflicht. Für diese Maßnahmen ist eine Zu- stimmung der Sorgeberechtigten ausreichend . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22365 (A) (C) (B) (D) Unabhängig von der Frage, ob solche Methoden der Behandlung unabdingbar sind, ist eine neben das Eltern- recht tretende weitere Kontrollinstanz zunächst offen- sichtlich zu begrüßen, zumal die Wirkung von Fixierun- gen oder auch Sedierung bei Kindern gravierender sein kann als die Unterbringung an sich . Während bei erwachsenen Betreuten bei solchen Maßnahmen eine betreuungsgerichtliche Genehmigung einzuholen ist, ist eine solche Genehmigungspflicht nach § 1906 BGB auf das Kindschaftsrecht nicht analog an- wendbar . Legt man die entsprechenden Artikel der UN-Kinder- rechtskonvention und die UN-Behindertenrechtskonven- tion zugrunde, ist die Genehmigungspflicht bei freiheits- beschränkenden Maßnahmen von Minderjährigen nur der logische Schluss . Dies würde auch, wie es die Grünen in ihrem Gesetzentwurf betonen, die bisher unzureichende gesetzliche Regelung im Sinne einer Stärkung der Rechte von Kindern und Jugendlichen ergänzen . Das wäre ein wichtiges Signal; denn „Kinder haben besondere Bedürf- nisse hinsichtlich ihrer Förderung, ihres Schutzes, ihrer Mitbestimmung und ihrer Entwicklung . Kinder und Ju- gendliche mit Behinderungen oder psychischen Erkran- kungen haben darüber hinaus mit weiteren Barrieren zu kämpfen und erleben häufig gesellschaftliche Diskrimi- nierung . Sie sind eine besonders verletzliche Gruppe, die durch das Recht geschützt werden muss“ . Allerdings wird mit der vorgeschlagenen Regelung der Widerspruch zwischen Elternrecht einerseits und Recht des Kindes andererseits nicht aufgelöst, wie es auch in der Beschlussempfehlung des Bundesrates aufgezeigt wird . Allein den Blick auf das Genehmigungsverfahren zu lenken und damit zu suggerieren, die Situation sei ge- klärt, reicht eben nicht aus . Viel wichtiger wäre es, die entsprechenden Fachberei- che und die Jugendhilfe personell so auszustatten, dass es möglichst nicht zu genehmigungspflichtigen Maßnah- men kommt . Insbesondere die vorgelagerten Systeme der Jugendhilfe, welche unterstützen und helfen können, sind hierbei besonders zu beachten und entsprechend auszustatten . Es überrascht aber nicht wenig, dass es im Vorfeld zu diesem Gesetzentwurf, anders als sonst üblich, keine Fachdebatte mit der Jugendhilfe gab . Lediglich Ärzten wurde die Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Ge- setzentwurf gegeben, war heute in der taz zu lesen . Ich möchte insoweit nur Wolfgang Hammer und Friedhelm Peters zitieren, welche sich wie folgt geäußert haben: „Was hier als Kinderschutz gedacht ist, wird zum Einfallstor für Freiheitsentzug als pädagogischem Mittel, wo immer Eltern und Einrichtungen sich überfordert se- hen“ bzw . „Fixierungen mit Gurten auf einer Liege sind ein No-Go in der Jugendhilfe“ . Es bleibt dabei: Bei allen guten Absichten müssen der Schutz und die Rechte des Kindes stets im Vordergrund stehen . Und es ist Aufgabe der Jugendhilfe, dies zu ge- währleisten . Dafür braucht sie die entsprechende per- sonelle, fachliche und finanzielle Ausstattung. Zwangs- maßnahmen sind kein Mittel der Jugendhilfe, sondern Vertrauen und Zuwendung . Ich denke, in diesem hochsensiblen Bereich werden die Beratungen intensiv und tiefgründig unter Beteili- gung der Jugendhilfe verlaufen . Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gut, dass wir die bestehende gesetzliche Lücke beim Schutz von Kindern und Jugendlichen endlich schließen . Gut, dass wir uns an dieser Stelle einig sind und nach uns nun auch die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorgelegt hat . Der Bundesgerichtshof hat bereits 2013 den Gesetz- geber aufgefordert, zu prüfen, ob eine familiengerichtli- che Genehmigung bei freiheitsentziehenden Maßnahmen eingeführt werden sollte . Zwei Jahre später hat der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen in seinem Staatenbericht die Anwendung von Zwang und unfrei- williger Behandlung gegenüber Menschen mit Behinde- rungen in Deutschland gerügt – auch die Tatsache, dass nirgends dokumentiert wird, inwieweit Zwangsmaßnah- men angewendet werden . Wir haben für alle möglichen Dinge Statistiken, aber wir wissen nicht einmal, wo und wie oft Zwangsmaßnahmen stattfinden. Die gesetzli- che Neuregelung kommt also ziemlich spät und ist das Mindeste, was wir machen müssen, um Kinder besser zu schützen . Zimmereinschlüsse, das oftmals stundenlange Ver- weilen in Time-Out-Räumen, Fixierungen am Bett oder Spezialbetten, in denen Kinder gefangen sind – all diese Maßnahmen finden Anwendung in Einrichtungen der Be- hindertenhilfe, der Kinder- und Jugendhilfe oder in Kin- der- und Jugendpsychiatrien . Die Recherchen des Baye- rischen Rundfunks, die dann im vergangenen Jahr in dem erschütternden Beitrag Blackbox Heim veröffentlicht wur- den, haben diese Missstände sehr eindrücklich gezeigt . Anders als bei Erwachsenen, die unter Betreuung ste- hen, muss derzeit bei Kindern kein Gericht solche freiheit- beschränkenden Maßnahmen genehmigen . Das ist völlig inakzeptabel und wird schon lange von vielen Expertin- nen und Experten kritisiert . Kinder müssen mindestens den gleichen Schutz erwarten können wie Erwachsene! Das verlangen auch die UN-Behindertenrechtskonven- tion und die UN-Kinderrechtskonvention: Keinem Kind darf die Freiheit entzogen werden, und bei allen Maßnah- men muss das Wohl des Kindes Vorrang haben . Da derzeit die Zustimmung der Sorgeberechtigten ausreicht, um freiheitsbeschränkende Maßnahmen anzu- wenden, können Eltern unter immensen Druck geraten, wenn sie ihr Kind aus Mangel an ambulanten Hilfen in einer heilpädagogischen Einrichtung unterbringen müs- sen . Eine solche Entscheidung ist für Eltern ohnehin schon sehr schwerwiegend . Noch viel schmerzvoller wird sie, wenn die Einrichtung von den Eltern vorab eine pauschale Zustimmung zu freiheitsbeschränkenden Maßnahmen verlangt . Ohne Unterschrift kein Heim- platz; das kommt nicht selten vor . Eine solche Blanko- vollmacht reicht künftig nicht mehr aus . Mit der neuen gesetzlichen Regelung stärken wir also auch die Position der Eltern gegenüber den Einrichtungen . Deshalb bin ich Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722366 (A) (C) (B) (D) Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de erleichtert, dass wir diese Schutzlücke nun im Sinne von Kindern und ihren Eltern schließen . Auch wenn wir grundsätzlich den Gesetzentwurf der Bundesregierung begrüßen, gibt es Kritik . Der Gesetz- entwurf sieht vor, dass im Genehmigungsverfahren frei- heitsbeschränkender Maßnahmen ein ärztliches Zeugnis ausreichend ist . Wie mehrere Fachverbände festgestellt haben, ist ein solches ärztliches Zeugnis anstelle eines Sachverständigengutachtens nicht ausreichend und birgt das Risiko, dass die gesetzliche Neuregelung ins Leere läuft . An dieser Stelle muss nachgebessert werden . Außerdem schlagen wir in unserem Gesetzentwurf vor, dass die Einrichtungen über die Anwendung von Zwangsmaßnahmen Bericht erstatten müssen . Neben den Familiengerichten können auch die Eltern einen solchen Bericht anfordern . Eine solche Dokumentation der kon- kreten Maßnahmen mit genauer Datums- und Zeitangabe sowie einer Erläuterung zur Funktion und Erforderlich- keit der Maßnahmen hat eine wichtige Kontrollfunktion . Die grundsätzliche Frage, die wir uns stellen müssen, ist jedoch: Wie lassen sich Zwangsmaßnahmen, die ja im- mer auch eine Form von Gewalt sind, die oft demütigend und erniedrigend sind, vermeiden? Es gibt ja zahlreiche alternative Ansätze und Methoden, die auf Deeskalation statt Gewalt setzen . Es ist extrem wichtig, das Mitarbei- terinnen und Mitarbeiter in Einrichtungen diese Ansätze kennen und anwenden können . Gewaltfreie Konzepte müssen in der Ausbildung vermittelt werden, und wäh- rend der Berufslaufbahn müssen regelmäßig entspre- chende Fortbildungen und Schulungen stattfinden. Außerdem müssen wir uns fragen, ob die bisherige Kontrolle von Einrichtungen durch Heimaufsichten aus- reichend ist und wie die Länder an dieser Stelle mög- licherweise unterstützt werden können . Auch für die Kontrolle ist gut geschultes und qualifiziertes Personal nötig – aber auch eine ausreichende finanzielle Ausstat- tung der zuständigen Behörden . Auf bundesrechtlicher Ebene sind wir beim Schutz von Kindern und Jugendlichen einen kleinen Schritt wei- ter . Aber die Diskussion darf an dieser Stelle auf keinen Fall enden . Christian Lange, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister der Justiz und für Verbraucherschutz: Wir bera- ten heute über den Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines familiengerichtlichen Genehmigungsvorbehalts für freiheitsentziehende Maßnahmen bei Kindern . Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht vor, freiheitsentziehende Maßnahmen bei Minderjährigen zu- künftig unter den Vorbehalt einer Genehmigung durch das Familiengericht zu stellen . Freiheitsentziehende Maß- nahmen sind Maßnahmen, die dem Betroffenen medika- mentös oder mechanisch – etwa durch Bettgitter, Gurte, Schutzanzüge oder sogenannte Time-Out-Räume – die Bewegungsfreiheit entziehen . Solche Maßnahmen wer- den in kinder- und jugendpsychiatrischen Kliniken sowie in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe und der Behindertenhilfe bisher ohne familiengerichtliche Ge- nehmigung eingesetzt, sofern die Eltern einwilligen . Bis- lang bedarf nur die Unterbringung eines Minderjährigen durch die Eltern, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, einer Genehmigung des Familiengerichts . Sollen an einem Minderjährigen dagegen weitere freiheitsentzie- hende Maßnahmen angewandt werden, genügt hierfür die Einwilligung der Eltern allein . Der Bundesgerichtshof hat in einer grundlegenden Ent- scheidung vom 7 . August 2013 klargestellt, dass die Rege- lung des Betreuungsrechts für Erwachsene, die eine solche Genehmigungspflicht vorsieht, mangels Regelungslücke auf Minderjährige nicht entsprechend angewandt werden kann . Er hat es dem Gesetzgeber überlassen, eine Rege- lung zu treffen, wenn er sie für erforderlich hält. Die Einführung der vorgesehenen Genehmigungs- pflicht ist nach Auffassung der Experten aus folgenden Gründen dringend erforderlich: Erstens werden freiheitsentziehende Maßnahmen von den Betroffenen häufig als besonders gravierend erlebt. Gerade Kinder, die häufig noch einen ausgeprägten Be- wegungsdrang haben, kommen besser damit klar, auf einer vielleicht weitläufigen geschlossenen Station unter- gebracht zu sein und sich wenigstens innerhalb derselben frei bewegen zu können, als zum Beispiel damit, fixiert zu sein . Und zweitens entlastet es auch die Eltern, wenn eine unabhängige Instanz die Verantwortung für derart einschneidende Eingriffe in das Freiheitsgrundrecht des Kindes bzw . Jugendlichen mitträgt . Denn gerade die Eltern befinden sich in einer besonderen Belastungssi- tuation, wenn sie bezüglich ihres Kindes vor die Frage gestellt sind, ob freiheitsentziehende Maßnahmen ange- wandt werden sollen . Die Einführung der Genehmigungspflicht ist in der Fachliteratur und von Verbänden schon seit längerer Zeit gefordert worden . Dementsprechend positiv wurde der Gesetzentwurf aufgenommen . Auch der Bundesrat hat den Gesetzentwurf begrüßt . Ich bitte Sie daher, den vorliegenden Gesetzentwurf zu unterstützen und damit den Kindesschutz weiter zu verbessern . Anlage 26 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Astrid Grotelüschen (CDU/ CSU) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Abgeordneten Christian Kühn (Tübin- gen), Renate Künast, Luise Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten Wohnungsmärkten bei umfassenden Modernisie- rungen (Drucksache 18/8856) (Zusatztagesord- nungspunkt 4) Astrid Grotelüschen (CDU/CSU): In der Ergebnis- liste zu der namentlichen Abstimmung ist meine Abstim- mung nicht enthalten . Mein Votum lautet: Nein . 221. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 3 Regierungserklärung zum Europäischen Rat TOP 4, ZP 3 u. 4 Kündigungsschutz für Mieter und Mietpreisbremse TOP 5 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen TOP 56, ZP 5 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 57 Abschließende Beratungen ohne Aussprache TOP 6 Wahl: Stiftung Fonds kerntechnische Entsorgung TOP 7 Effektivere und praxistauglichere Strafverfahren ZP 6 - 8 Frauen- und Gleichstellungspolitik TOP 9 Stärkung der Arzneimittelversorgung in der GKV TOP 10, ZP 9 Personalbemessung in der Altenpflege TOP 11 Datenschutzrecht TOP 8 Öffentliches Vermögen TOP 13 Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld TOP 14 Novellierung des Berufsbildungsgesetzes TOP 15 Bundeswehreinsatz EUTM Somalia TOP 12 Globale Investitionen TOP 17 Gesetz zu Regelungen der Gesichtsverhüllung TOP 18 Evaluierung der Staatsleistungen an Kirchen TOP 19 Umsetzung einer EU-Richtlinie im Städtebaurecht TOP 16 Zeit- und Kostenrahmen bei Großprojekten des Bundes TOP 20, ZP 10 Wachstumschancen der kollaborativen Wirtschaft TOP 21 Änderungen im Straßenverkehrsrecht TOP 22 Neuordnung der Klärschlammverwertung TOP 23 Carsharinggesetz TOP 24 Änderungen im Straf- und Strafprozessrecht TOP 25 Änderung des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes TOP 26 EU-Regelungen über Dienstleistungen TOP 27 EU-Richtlinie zu Netz- und Informationssystemen TOP 28 Förderung des elektronischen Identitätsnachweises TOP 30 Erhöhung der Sicherheit durch Videotechnologie TOP 31, ZP 11 Staatliche Kommunikationsinfrastruktur TOP 32 Umsetzung von EU-Richtlinien zur Arbeitsmigration TOP 33 Schädliche Steuerpraktiken bei Rechteüberlassungen TOP 34 Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes TOP 35 Recht auf Kenntnis der Abstammung bei Samenspende TOP 36 Änderung raumordnungsrechtlicher Vorschriften TOP 37 Änderung des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes TOP 38 Ärztliche Zwangsbehandlung bei Betreuten TOP 39 Reform des Bauvertragsrechts TOP 40 Strafbarkeit von Sportwettbetrug TOP 41 CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz TOP 42 Europäische Patentreform TOP 43 Bewältigung von Konzerninsolvenzen TOP 44 Bekämpfung der organisierten Kriminalität TOP 46 Trilaterale Partnerschaften in der ASEAN-Region TOP 47 Abkommen zu militärischen Hauptquartieren TOP 48 Freiheitsbeschränkende Maßnahmen gegenüber Kindern Anlagen Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10 Anlage 11 Anlage 12 Anlage 13 Anlage 14 Anlage 15 Anlage 16 Anlage 17 Anlage 18 Anlage 19 Anlage 20 Anlage 21 Anlage 22 Anlage 23 Anlage 24 Anlage 25 Anlage 26
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822100000

Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie zu unserer Plenarsitzung .

Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich Ih-
nen mitteilen, dass für den ausgeschiedenen Kollegen
Dr . Frank-Walter Steinmeier die Kollegin Angelika
Krüger-Leißner als Mitglied des Deutschen Bundes-
tages nachgerückt ist,


(Beifall)


dem sie schon in früheren Wahlperioden angehört hat .
Deswegen wird der eine oder andere ihr vertraut vorkom-
men und umgekehrt . Wir freuen uns auf die Zusammen-
arbeit in der verbleibenden Zeit dieser Legislaturperiode .

Wir müssen noch eine Reihe von Wahlen durchführen .

Die SPD-Fraktion schlägt vor, als Vertreter der Bun-
desrepublik Deutschland zur Parlamentarischen Ver-
sammlung des Europarates für den Kollegen Johann
Saathoff den Kollegen Christoph Strässer als neues
persönliches stellvertretendes Mitglied zu wählen . Kön-
nen Sie dem zustimmen? – Das sieht so aus . Damit ist der
Kollege Strässer in dieser Funktion gewählt .

Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur
und Medien schlägt vor, im Stiftungsrat der Stiftung
Flucht, Vertreibung, Versöhnung als Vertreter der
katholischen Kirche für den ausgeschiedenen Weihbi-
schof Dr . Hans-Jochen Jaschke als Nachfolger seinen
bisherigen persönlichen Stellvertreter Weihbischof
Dr. Reinhard Hauke als ordentliches Mitglied und als
dessen Nachfolger als persönliches stellvertretendes Mit-
glied Prälat Dr. Karl Jüsten zu wählen . Des Weiteren
schlägt die Beauftragte vor, als Vertreter der evangeli-
schen Kirche Herrn Dr. Johann Hinrich Claussen als
ordentliches Mitglied im Stiftungsrat und Frau Dr. Petra
Bahr als sein persönliches stellvertretendes Mitglied zu
wählen . Ich vermute, dass es auch dazu Einvernehmen
gibt . – Das ist der Fall . Damit sind Weihbischof Dr . Hau-
ke und Herr Dr . Claussen als ordentliche Mitglieder und
Prälat Dr . Jüsten und Frau Dr . Bahr als jeweilige persön-

liche stellvertretende Mitglieder des Stiftungsrates ge-
wählt .

Des Weiteren schlägt die Fraktion Die Linke vor, für
den Stiftungsrat der Stiftung zur Aufarbeitung der
SED-Diktatur Herrn Burkhard Kleinert als Nachfol-
ger für Herrn Andreas Möller als ordentliches Mitglied
des Gremiums zu wählen . – Auch hierzu höre und sehe
ich keinen Widerspruch . Damit ist Herr Kleinert als or-
dentliches Mitglied gewählt .

Schließlich müssen wir noch eine Schriftführerwahl
durchführen . Die CDU/CSU-Fraktion schlägt vor, für die
Kollegin Cemile Giousouf den Kollegen Dr. Mathias
Edwin Höschel als Schriftführer zu wählen . Ich frage,
ob Sie damit einverstanden sind . – Das ist der Fall . Damit
ist der Kollege Höschel als neuer Schriftführer gewählt .

Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tages-
ordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten
Punkte zu erweitern:

ZP 1 Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/
CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Fortentwicklung des Gesetzes zur Suche und
Auswahl eines Standortes für ein Endlager für
Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und
anderer Gesetze

Drucksache 18/11398

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
Haushaltsausschuss


(siehe 220 . Sitzung)


ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

Ehe für alle


(siehe 220 . Sitzung)







(A) (C)



(B) (D)


ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian
Kühn (Tübingen), Renate Künast, Hans-Christian
Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Zusammenhalt stärken – Mietrecht reformie-
ren
Drucksache 18/10810
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit

ZP 4 – Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Christian Kühn (Tübingen), Renate
Künast, Luise Amtsberg, weiteren Abgeordne-
ten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Dämpfung des Mietanstiegs auf ange-
spannten Wohnungsmärkten bei umfassen-
den Modernisierungen
Drucksache 18/8856

– Zweite und dritte Beratung des von den Ab-
geordneten Renate Künast, Christian Kühn

(Tübingen), Luise Amtsberg, weiteren Abge-

ordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Dämpfung des Mietanstiegs auf
angespannten Wohnungsmärkten durch
die Streichung der Rügepflicht und die 
Schaffung eines Auskunftsrechts 
Drucksache 18/8857

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses
für Recht und Verbraucherschutz (6 . Ausschuss)

Drucksache 18/11440

ZP 5 Weitere Überweisung im vereinfachten Ver-
fahren

(Ergänzung zu TOP 56)

Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
zu den Entwürfen für eine Durchführungs-
verordnung und zwei Durchführungsbe-
schlüsse der Europäischen Kommission über
das Inverkehrbringen von Saatgut zum An-
bau der gentechnisch veränderten Maislinien

(Dokumente SANTE/10702/2016 CIS Rev. 3, SANTE/10704/2016 CIS Rev. 3, SANTE/10703/2016 CIS Rev. 3)

hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes-

regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3
des Grundgesetzes

Keine Zulassung der gentechnisch veränder-
ten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 für
den Anbau in der EU
Drucksache 18/11415

ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulle
Schauws, Katja Dörner, Beate Müller-Gemmeke,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Für eine wirksame Frauen- und Gleichstel-
lungspolitik in Deutschland

Drucksache 18/11413
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales

ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai
Gehring, Ulle Schauws, Özcan Mutlu, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Wissenschaftsfreiheit fördern, Geschlechter-
forschung stärken, Gleichstellung in der Wis-
senschaft herstellen

Drucksache 18/11412
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18 . Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke,
Cornelia Möhring, Sigrid Hupach, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE

Geschlechtergerechtigkeit in der Wissenschaft
durchsetzen

Drucksachen 18/9667, 18/11447

ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche,
Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Eine Lobby für die Pflege – Arbeitsbedingun-
gen  und Mitspracherechte  von Pflegekräften 
verbessern

Drucksache 18/11414
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
Haushaltsausschuss

ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dieter
Janecek, Kerstin Andreae, Dr . Thomas Gambke,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Share Economy – Ökologische Chancen nut-
zen und Teilen statt Besitzen unterstützen

Drucksache 18/11411
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
Ausschuss Digitale Agenda

ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Irene
Mihalic, Matthias Gastel, Anja Hajduk, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Lückenlose BOS-Digitalfunkabdeckung in
Bahnhöfen der Deutschen Bahn AG sicher-
stellen

Drucksache 18/11409
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur

Dabei soll von der Frist für den Beginn der Beratun-
gen, soweit erforderlich, abgewichen werden .

Anstelle des Tagesordnungspunktes 8 – hier geht es
um den Antrag zum Thema „Umgang mit öffentlichem
Vermögen“ – sollen unter Beibehaltung der vereinbarten
Debattenzeit der Antrag auf der Drucksache 18/11412
mit dem Titel „Wissenschaftsfreiheit fördern, Geschlech-
terforschung stärken, Gleichstellung in der Wissenschaft
herstellen“ und der Antrag auf der Drucksache 18/11413
mit dem Titel „Für eine wirksame Frauen- und Gleich-
stellungspolitik in Deutschland“ sowie die Beschluss-
empfehlung auf der Drucksache 18/11447 zu dem Antrag
mit dem Titel „Geschlechtergerechtigkeit in der Wissen-
schaft durchsetzen“ aufgerufen werden . Die nachfolgen-
den Tagesordnungspunkte der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen rücken entsprechend nach hinten .

Der Tagesordnungspunkt 29 – erste Beratung des Ent-
wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Waffen-
gesetzes und weiterer Vorschriften – soll zusammen mit
dem Tagesordnungspunkt 52 – hier geht es um den An-
trag „Gefahren durch Waffen minimieren – Öffentliche
Sicherheit stärken“ – in verbundener Beratung aufgeru-
fen werden .

Die Tagesordnungspunkte 45 – hier geht es um eine
Änderung des Weingesetzes – und 49 – hier geht es um
die digitale Verwaltung – werden heute abgesetzt .

Sind Sie mit diesen Änderungen einverstanden? – Das
ist gut so . Dann ist das damit so beschlossen .

Wir können jetzt zum Tagesordnungspunkt 3 kom-
men:

Abgabe einer Regierungserklärung durch die
Bundeskanzlerin

zum Europäischen Rat am 9. März 2017 und
zum Vorbereitungstreffen der 27 Staats- und 
Regierungschefs für den Jubiläumsgipfel in
Rom am 25. März 2017

Hierzu liegen zwei Entschließungsanträge der Frakti-
on Die Linke vor . Über einen Entschließungsantrag wer-
den wir später namentlich abstimmen .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-
rung 96 Minuten vorgesehen. – Das ist offenkundig auch
einvernehmlich, sodass wir so verfahren können .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Regierungs-
erklärung der Bundeskanzlerin, ganz sicher aber in der
darauffolgenden Aussprache, wird auch von der gegen-
wärtigen Entwicklung des Verhältnisses zu unseren
türkischen Partnern, insbesondere zu türkischen Re-
gierungspolitikern, die in unserem Land Wahlkampf ma-
chen wollen, die Rede sein . Dabei werden ganz sicher
unterschiedliche Akzente, verschiedene Meinungen und
Erwartungen zum Umgang mit diesem Wunsch und der
Art, wie er vorgetragen wird, deutlich werden . Ich möch-
te zur Klarstellung ein paar Punkte festhalten, bei denen
wir alle vermutlich einer Meinung sind .

Erstens. Wer dieses Land öffentlich verdächtigt, Na-
zimethoden anzuwenden, wenn seine Behörden und
gewählten Repräsentanten im Rahmen unserer Verfas-
sungsordnung handeln, disqualifiziert sich selbst.


(Beifall im ganzen Hause)


Zweitens . In diesen turbulenten, gelegentlich hysteri-
schen Zeiten kann sich jeder sein eigenes Bild machen,
wo Menschenrechte geachtet, Rechtsstaatlichkeit, Ge-
waltenteilung gesichert und Meinungs- und Pressefrei-
heit praktiziert werden .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Und weil drittens diese Prinzipien unserer Verfassung
nicht zur Disposition stehen, bitten wir die Menschen in
Deutschland um Verständnis, dass wir sie auch bei be-
gründeter Empörung anderen nicht verweigern .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Aber wir erwarten viertens von jeder ausländischen
Regierung und schon gar von jedem Partnerland, dass die
Rechte, die deren Vertreter bei uns in Anspruch nehmen,
auch den eigenen Landsleuten zu Hause in gleicher Wei-
se garantiert werden .


(Beifall im ganzen Hause)


Hierzulande kann jeder seine Meinung sagen, auch
ausländische Gäste . Wir aber auch .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Und deshalb werden wir es uns fünftens, gerade auch
im Interesse unserer türkischen Mitbürger, die zugleich
deutsche Staatsbürger sind, nicht nehmen lassen, darauf
hinzuweisen, wohin es die Türkei absehbar führen wird,
wenn die Pläne, für die türkische Politiker in Deutsch-
land werben, verwirklicht werden können,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


nämlich in die Entwicklung zu einem zunehmend au-
tokratischen Staat, der sich immer weiter von Europa,

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


seinen Überzeugungen und demokratischen Standards
entfernt .


(Beifall im ganzen Hause)


Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
die Bundeskanzlerin Frau Dr . Angela Merkel .


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


– Ich habe zum europäischen Gipfel keinen Satz gesagt,
Frau Bundeskanzlerin .


(Heiterkeit)



Dr. Angela Merkel (CDU):
Rede ID: ID1822100100

Das stimmt . – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Meine Damen und Herren! Traditionell
widmet sich der Europäische Rat im März schwerpunkt-
mäßig der wirtschaftlichen Entwicklung in Europa . So
steht es jedenfalls Jahr für Jahr auf der Tagesordnung .
Tatsächlich jedoch kamen auch in den vergangenen Jah-
ren immer wieder andere, mindestens genauso wichtige
Themen hinzu: die Stabilisierung der Euro-Zone, die Ag-
gression Russlands gegen die Ukraine, unser gemeinsa-
mer Umgang mit Flucht und Migration .

Auch in diesem Jahr erwartet uns kein reiner Wirt-
schaftsgipfel; denn der heute beginnende Europäische
Rat fällt in eine Zeit, die uns ganz grundsätzliche Ent-
scheidungen über die zukünftige Ausrichtung der Euro-
päischen Union abverlangt . Das gilt für die Lehren, die
wir aus den weiterhin starken Flucht- und Migrationsbe-
wegungen nach Europa ziehen müssen . Das gilt für die
bevorstehenden Verhandlungen über den Austritt Groß-
britanniens aus der Europäischen Union . Und das gilt für
die Vorbereitungen auf den 60 . Jahrestag der Unterzeich-
nung der Römischen Verträge, den wir Ende des Monats
in Rom mit 27 Mitgliedstaaten begehen werden . Alle
diese Themen bilden den Rahmen für die Beratungen,
die wir heute und morgen in Brüssel führen werden . Sie
bilden damit auch den Rahmen für die Beratungen über
die wirtschaftliche Entwicklung in Europa .

Die wirtschaftliche Entwicklung ist zuletzt wieder
deutlich positiver . Dies ist ein wichtiges Beispiel dafür,
was wir als Europäische Union schaffen können, wenn
wir gemeinsam handeln . Auf unsere einzigartige Mi-
schung aus Wettbewerbsfähigkeit und sozialer Sicherung
können wir in Europa stolz sein . So etwas gibt es in die-
sem Umfang auf der Welt nicht noch einmal .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Deshalb ist die soziale Marktwirtschaft, wie wir es in
Deutschland nennen, ein Erfolgsmodell, um das uns wei-
te Teile der Welt beneiden . Wir sind und bleiben einer der
größten Wirtschaftsräume der Welt, und wir können auf
globaler Ebene vieles gemeinsam gestalten . Auch wenn
uns die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise der Jah-
re 2008 und 2009 vor enorme Schwierigkeiten gestellt
hatte, sind die Wachstumsaussichten inzwischen wieder
besser, und zwar besser, als von vielen erwartet . Die Eu-

ropäische Kommission geht jetzt davon aus, dass dieses
Jahr alle 28 Mitgliedstaaten wieder auf einen positiven
Wachstumspfad zurückkehren und dass dieser Trend
auch in den kommenden Jahren anhalten wird .

Die Arbeitslosigkeit ist in einigen Teilen Europas,
gerade unter den jungen Menschen, immer noch viel zu
hoch . Deshalb dürfen wir uns damit auf gar keinen Fall
abfinden. Ermutigen kann uns jedoch, dass sich die Ar-
beitslosigkeit insgesamt in Europa jetzt wieder auf dem
niedrigsten Stand seit 2009 befindet. Trotz aller weiterhin
bestehenden Herausforderungen – ich will sie wirklich
nicht kleinreden; denken wir nur an Griechenland – kön-
nen wir außerdem feststellen, dass sich insgesamt auch
die Lage der öffentlichen Finanzen und der Umfang der
Investitionen in Europa kontinuierlich verbessert haben .
Dazu trägt auch der Investitionsfonds bei, der vom Kom-
missionspräsidenten Jean-Claude Juncker vorgeschlagen
wurde und zusammen mit der Europäischen Investitions-
bank durchgeführt wird .

Das ist für uns hier in Deutschland in seiner Bedeu-
tung gar nicht hoch genug einzuschätzen, weil natürlich
zwischen einer guten Zukunft bei uns in Deutschland und
einer guten Zukunft in Europa ein direkter Zusammen-
hang existiert . Nur wenn es auch Europa gut geht, wird
es auch Deutschland dauerhaft gut gehen können . Das
dürfen wir nie vergessen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb müssen wir um der Arbeitsplätze willen und
des Wohlstands willen sowohl auf der nationalen Ebene
als auch auf der europäischen Ebene natürlich weiter da-
ran arbeiten, auch in Zukunft im globalen Wettbewerb
bestehen zu können . Es kommt etwas hinzu: Nur so wer-
den wir dann auch unsere Werte und unsere Interessen
weltweit behaupten können . Weiter daran arbeiten heißt:
Wenn sich die Welt um uns herum jeden Tag weiterent-
wickelt, zum Teil in atemberaubendem Tempo, dann
muss sich auch Europa weiterentwickeln . Wesentlich
dafür ist, die Globalisierung und die Digitalisierung als
Chance zu begreifen und gemeinsam alles dafür zu tun,
beides mitzugestalten, und zwar wieder auf der Grund-
lage unserer Werte, aber auch unserer wohlverstandenen
eigenen Interessen . Dazu gehört ganz selbstverständlich
auch eine Handelspolitik, die auf freien Handel setzt .
Auch diese muss sich natürlich an unseren Werten und
Interessen orientieren . Aber Deutschland als Handelsna-
tion ist in besonderem Maße darauf angewiesen, einen
guten Zugang nicht nur zum europäischen Binnenmarkt,
sondern auch zu den Weltmärkten zu haben und sich dort
ohne Hindernisse und Benachteiligungen dem globalen
Wettbewerb stellen zu können .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich freue mich deshalb sehr, dass das Europäische Par-
lament jetzt dem CETA-Abkommen zwischen der Euro-
päischen Union und Kanada mit deutlicher Mehrheit zu-
gestimmt hat . Ich möchte an dieser Stelle ein herzliches
Dankeschön an den kanadischen Premierminister Justin

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


Trudeau und seine ganze Regierung senden . Sie haben
viel Geduld mit uns Europäern gehabt,


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


aber es hat zum Erfolg geführt .

Auch wenn wir in Teilen der Welt nationalistische und
protektionistische Ansätze auf dem Vormarsch sehen –
Europa darf sich niemals einigeln, abschotten und zu-
rückziehen. Europa muss sich seine Offenheit gegenüber
der Welt bewahren, auch und gerade in der Handelspo-
litik . Wir gehen als Europäer dabei natürlich nicht naiv
vor . Wir haben über die Vor- und Nachteile von CETA
intensiv und lange diskutiert . Das war notwendig und
richtig. Ich finde, das Ergebnis kann sich sehen lassen.

Wir sollten auch mit anderen Partnern die Verhandlun-
gen zu weiteren Handelsabkommen zügig fortführen . Es
ist wichtig, dass wir uns in der Europäischen Union da-
rüber einig sind, dass Europa gegen unfaire und protek-
tionistische Handelspraktiken gemeinsam vorgehen und
seine Interessen entschlossen verteidigen wird, wann und
wo immer das nötig ist .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg . Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Dabei können wir in Europa auf unsere jeweiligen
Stärken vertrauen, und zwar auch und gerade, wenn die-
se sich von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat und von Regi-
on zu Region unterscheiden . Denn die Vielfalt Europas
besteht nicht nur aus Sprache und Kultur, sondern auch
aus den oft sehr vielfältigen wirtschaftlichen Spezialisie-
rungen . Die Europäische Union sollte diese Unterschiede
nicht behindern, sondern ihre Mitgliedstaaten und Regi-
onen in ihren jeweiligen Stärken unterstützen . Natürlich
ist eine kluge, gemeinsame Regulierung auf europäischer
Ebene an vielen Stellen notwendig und sinnvoll . Aber
Ziel des europäischen Binnenmarktes ist es ausdrücklich
nicht, alle Unterschiede zu beseitigen . Deshalb sollte Eu-
ropa stärker dazu beitragen, dass die innovativen Kräfte
und das kreative Potenzial in den Regionen voll zur Ent-
faltung kommen können . Wo dafür Hindernisse bestehen
oder wo die Regulierung übertrieben wurde, sollten wir
wirklich prüfen, ob und vor allem wie diese abgebaut
werden können .

Ich freue mich, dass die Europäische Kommission mit
Jean-Claude Juncker an der Spitze und dem zuständigen
Ersten Vizepräsidenten Frans Timmermans dies für sich
zu einer Priorität erklärt hat und etwa 80 Regulierungen
zur Disposition gestellt hat, von denen die allermeisten
jetzt nicht umgesetzt werden . Ich freue mich, dass sich
die Kommission seit ihrem Amtsantritt damit verstärkt
auf die Aufgaben konzentrieren kann, bei denen die Eu-
ropäische Union tatsächlich einen Mehrwert leisten kann .

Das gilt zum Beispiel für die Flüchtlingspolitik . Hier
haben wir ohne Zweifel Fortschritte zu verzeichnen . An
weiteren Fortschritten wird gearbeitet . So wollen und
müssen wir das Gemeinsame Europäische Asylsystem
reformieren; die Innenminister arbeiten mit Hochdruck
daran . Wir müssen es reformieren, solidarischer ausge-

stalten und vor allen Dingen auch krisenfest machen . Im
Bereich der Rückführungen wollen wir auf europäischer
Ebene enger zusammenarbeiten . Die Europäische Kom-
mission hat auch dazu wichtige Vorschläge vorgelegt .

Dennoch – da gibt es überhaupt nichts zu beschöni-
gen – liegt immer noch zu vieles zu sehr im Argen . Die
Lage der Flüchtlinge auf den griechischen Inseln ist wei-
terhin sehr unbefriedigend, und das EU-Türkei-Abkom-
men wird von der griechischen Seite bis heute nicht so
umgesetzt, wie das notwendig wäre .


(Zuruf der Abg . Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Auf der zentralen Mittelmeerroute nach Italien haben
wir im Grunde tagtäglich Todesfälle zu beklagen . Der
Kampf gegen die kriminellen Schlepper und Schleuser
muss deshalb unverändert allerhöchste Priorität haben .
Ihnen muss das skrupellose und menschenverachtende
Handwerk gelegt werden .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dieser Kampf gegen die kriminellen Schlepper – wir ha-
ben gerade wieder fürchterliche Nachrichten aus Libyen
gehört –, der damit verbundene notwendige Schutz der
europäischen Außengrenzen und die Bekämpfung von
Fluchtursachen – das alles rettet Leben, ganz konkret und
jeden Tag .

Das ist das Konzept, das hinter den Bemühungen steht,
migrationspolitische Partnerschaften mit Drittstaaten,
also mit Herkunfts- und Transitstaaten, einzugehen . In
enger Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Transit-
staaten können wir den Menschen, die in ihren Heimat-
ländern ohne unser Handeln keine Perspektive für sich
sehen und die sich deshalb auf den lebensgefährlichen
Weg nach Europa machen, helfen und die derzeit untrag-
bare Lage nachhaltig in den Griff bekommen. Dafür setze
ich mich, dafür setzt sich die gesamte Bundesregierung
mit ganzer Kraft ein . Ich erinnere nur an unsere Migra-
tionspartnerschaften zum Beispiel mit Niger und Mali .

Anfang Februar haben wir hierüber auch ausführlich
auf dem informellen Gipfel auf Malta beraten und ganz
konkrete Beschlüsse gefasst, die umgesetzt werden müs-
sen . Einen Schwerpunkt bildete Libyen, wo wir vor allen
Dingen an der politischen Lösung arbeiten müssen; denn
eine stabile politische Situation gibt es in Libyen zurzeit
nicht . Ich selber habe hierzu zuletzt intensive Gespräche
auch in Ägypten und Tunesien geführt .

Ein wichtiges Beispiel einer solchen migrationspoli-
tischen Partnerschaft ist natürlich die Zusammenarbeit
zwischen der Europäischen Union und der Türkei . Seit
die EU-Türkei-Vereinbarung in Kraft ist, also seit nun-
mehr fast einem Jahr, hat die Zahl der Menschen, die in
der Ägäis ums Leben kommen, massiv abgenommen,
sind die Lebensbedingungen der in der Türkei lebenden
Flüchtlinge wie im Übrigen auch die Lebensbedingun-

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel






(A) (C)



(B) (D)


gen der nach Jordanien und in den Libanon kommenden
Flüchtlinge verbessert worden .


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Na ja!)


Weil es jedoch noch immer an europäischer Solidarität
mangelt, um es zurückhaltend zu formulieren – denken
wir nur an die Verteilung von Flüchtlingen über freiwil-
lige Kontingente –, wird manchmal zu leicht übersehen,
dass wir selbst dann, wenn die europäische Solidarität in
der Flüchtlingspolitik vorbildlich wäre, Vereinbarungen
mit Herkunfts- und Transitstaaten bräuchten, wie wir sie
jetzt mit einigen Staaten Nordafrikas anstreben und wie
wir sie mit der Türkei haben . Ohne solche Abkommen
könnten wir auch bei bester europäischer Solidarität nicht
viel mehr tun, als uns mit illegaler Migration abzufinden.


(Zuruf der Abg . Ulla Jelpke [DIE LINKE])


Gelöst wäre damit gar nichts, und geholfen wäre damit
auch niemandem .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nur mit solchen Vereinbarungen mit Herkunfts- und
Transitstaaten können wir wirksam, das heißt tatsächlich
nachhaltig, an den Fluchtursachen vor Ort oder, wie im
Fall der vor Krieg und Terror in Syrien fliehenden Men-
schen, zumindest in der Nähe der Heimat der Flüchtlinge
ansetzen .

Wir sollten niemals vergessen, dass niemand seine
Heimat, sein gewohntes Umfeld leichtfertig verlässt . Die
EU-Türkei-Vereinbarung wie auch andere Vereinbarun-
gen mit Drittstaaten sind also im Interesse aller . Sie sind
im Interesse der Menschen, die ihre Heimat aus Furcht
vor Krieg und Verfolgung verlassen müssen . Sie sind
im Interesse Europas, da sie die Zahl der nach Europa
kommenden Menschen nachhaltig reduzieren . Und sie
sind im ureigenen Interesse der betroffenen Drittstaaten
selbst, wollen sie sich nicht mit der ungebremsten Aus-
breitung eines kriminellen und mafiösen Schlepperwe-
sens in ihren Ländern oder an ihren Küsten abfinden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, gilt nicht zuletzt
auch und gerade für die Türkei .

Es gibt also einerseits umfassende gemeinsame eu-
ropäisch-türkische Interessen . Es gibt andererseits – wir
spüren das in diesen Tagen einmal mehr überdeutlich –
tiefgreifende Differenzen zwischen der Europäischen
Union und der Türkei, zwischen Deutschland und der
Türkei .

Mit wenigen Ländern hat Deutschland so komplizier-
te, aber zugleich so vielfältige Verbindungen wie mit der
Türkei: über die Millionen Menschen, die sich beiden
Ländern verbunden fühlen, über unsere engen wirtschaft-
lichen Beziehungen, darüber hinaus als NATO-Partner
und im gemeinsamen Kampf gegen den islamistischen
Terror . Umso trauriger und deprimierender sind die Äu-
ßerungen, mit denen türkische Regierungsmitglieder,
auch der türkische Staatspräsident, die Bundesrepublik

Deutschland in die Nähe des Nationalsozialismus ge-
rückt hat .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das ist so deplatziert, dass man es eigentlich ernsthaft gar
nicht kommentieren kann; zu rechtfertigen ist es schon
überhaupt nicht, auch nicht mit einem Wahlkampf zur
Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei . Das
alles ist zudem so überaus traurig, weil NS-Vergleiche
grundsätzlich immer nur ins Elend führen, also dazu, die
Menschheitsverbrechen des Nationalsozialismus zu ver-
harmlosen, und das werden wir nun auf gar keinen Fall
zulassen .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Vergleiche der Bundesrepublik Deutschland mit dem
Nationalsozialismus müssen aufhören . Sie sind der engen
Verflechtungen und Beziehungen zwischen Deutschland
und der Türkei und unseren beiden Völkern – politisch,
gesellschaftlich, als NATO-Partner und wirtschaftlich –
nicht würdig .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die tiefgreifenden und ernsten Meinungsunterschie-
de mit der Türkei berühren ganz grundsätzliche Fragen
von Demokratie und Recht: zum Zustand der Presse- und
Meinungsfreiheit in der Türkei, zum Schicksal so vieler
verhafteter Journalisten, auch des Journalisten Deniz
Yücel, für dessen Freilassung sich die ganze Bundesre-
gierung mit allen in ihrer Macht stehenden Mitteln ein-
setzt .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


All das legt die ganze Bundesregierung in ihren Ge-
sprächen auf allen Ebenen wieder und wieder auf den
Tisch . Wir tun das in aller Klarheit, und wir tun das auf
der Grundlage unserer Werte, also Meinungsfreiheit,
Pressefreiheit, Redefreiheit und Versammlungsfreiheit .
Diese Werte gelten . Sie leiten uns auch, wenn es darum
geht, ob türkische Politiker bei uns auftreten können, um
Reden für ein Präsidialsystem zu halten, das aus Sicht der
Venedig-Kommission des Europarates für die zukünftige
Entwicklung der Türkei mehr als problematisch ist . Das
ist – das spüren wir alle – natürlich eine äußerst schwie-
rige Gratwanderung . Orientierung können uns dabei wie-
der nur unsere Werte, unser Recht und unsere Gesetze,
unsere nationalen wie europäischen Interessen geben .
Und deshalb ergänze ich: So schwierig das alles derzeit
auch ist, so unzumutbar manches ist: Unser außen-, si-
cherheits- und geopolitisches Interesse kann es nicht
sein, dass die Türkei, immerhin ein NATO-Partner, sich
noch weiter von uns entfernt . Es lohnt sich also von un-
serer Seite, sich nach Kräften für die deutsch-türkischen

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel






(A) (C)



(B) (D)


Beziehungen einzusetzen, allerdings auf der Basis unse-
rer Werte, unserer Vorstellungen und in aller Klarheit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Innerhalb des bei uns geltenden Rechts und der bei
uns geltenden Gesetze halten wir in der Bundesregierung
deshalb auch Auftritte türkischer Regierungsmitglieder
in Deutschland weiterhin für möglich, sofern und so-
lange sie ordnungsgemäß, rechtzeitig und mit offenem
Visier angekündigt sind und dann auch tatsächlich ge-
nehmigt werden können . Ich werde mich weiter mit gan-
zer Kraft dafür einsetzen, dass wir unsere Grundwerte so
leben können und so leben, wie wir das für richtig halten;
denn sie machen unsere Art und unser Leben aus, und
ich werde mich genauso dafür einsetzen, dass dies, wo
immer möglich, auch in anderen Ländern, auch in der
Türkei, möglich sein wird und möglich sein muss .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch ein Wort an die
vielen Menschen mit türkischen Wurzeln, die entweder
deutsche Staatsbürger sind oder schon viele Jahre bei uns
leben . Sie sind Teil unseres Landes, sie begegnen uns als
Mitschüler, als Arbeitskollegen und als Sportfreunde .
Sie tragen zum Wohlstand unseres Landes bei, sie tragen
zum guten Zusammenleben in unserem Land bei, und
wir wollen alles tun, damit nicht eventuell Konflikte, die
innertürkisch sind, in dieses Zusammenleben hineinge-
tragen werden .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich glaube, ich spreche in Ihrer aller Namen, wenn ich
sage: Lassen Sie uns unsere Art des Zusammenlebens
weiter fördern und sogar noch verbessern, wo immer das
möglich ist . Das ist uns ein Herzensanliegen .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Meine Damen und Herren, wir haben in den vergange-
nen Jahren lernen müssen, wie direkt sich manche Kriege
und Konflikte in unserer Nachbarschaft auf unser eigenes
Leben in Europa auswirken können, auch wenn wir zu
lange und manchmal auch zu gerne dachten, dass uns die
Lage dort vielleicht nicht wirklich berühren würde . Heu-
te müssen wir erkennen, dass das der Fall ist, dass uns
das berührt, aber zudem auch, dass sich vieles auf der
Welt ändert, zum Beispiel auch der Charakter der transat-
lantischen Beziehungen . Das steht im Übrigen nicht von
vornherein im Widerspruch dazu, dass ich zutiefst davon
überzeugt bin, dass die transatlantische Partnerschaft auf
der Grundlage unserer Werte und Interessen für uns alle,
also nicht nur für uns Europäer, auch weiterhin von über-
ragender Bedeutung ist . In diesem Geist jedenfalls werde
ich in der kommenden Woche meine Gespräche mit Prä-
sident Donald Trump in Washington führen .

Genau weil sich der Charakter der transatlantischen
Beziehungen verändert, hat sich Europa dazu entschlos-
sen, in Zukunft mehr Verantwortung als in der Vergan-

genheit zu übernehmen, und zwar sowohl in unserer eige-
nen Nachbarschaft als auch darüber hinaus . Das beginnt
bereits mit der Lage auf dem westlichen Balkan, über die
wir heute auch beim Europäischen Rat sprechen werden .
Der Europäische Rat steht zur europäischen Perspektive
für die Länder des westlichen Balkans . Wir werden die
Staaten der Region auf diesem Weg weiter unterstützen,
gleichzeitig aber auch auf die Umsetzung der dafür not-
wendigen Reformen drängen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wir haben leider feststellen müssen, dass sich die Ent-
wicklung sehr viel komplizierter gestaltet, als wir uns das
dachten . Dennoch liegt es nach wie vor – ein Blick auf die
Landkarte genügt – in unserem ureigenen europäischen
Interesse, dass Wohlstand, Demokratie und Rechtsstaat-
lichkeit auch in diesem Teil Europas selbstverständlich
werden . Ich freue mich, dass die von Deutschland initi-
ierten Balkankonferenzen fortgesetzt werden, in diesem
Jahr von Italien . Ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt,
um die Länder auch untereinander besser in Kontakt zu
bringen . Wohlstand, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie
in diesen Ländern sind die beste Voraussetzung für lang-
fristige Stabilität und gute nachbarschaftliche Beziehun-
gen im westlichen Balkan .

Mehr Verantwortung wird Europa auch in der Sicher-
heits- und Verteidigungspolitik übernehmen . Auch da-
rüber werden wir heute in Brüssel sprechen, wie schon
beim letzten Europäischen Rat im Dezember . Eine
ambitionierte europäische Sicherheitsagenda ist heute
wichtiger denn je . Wir müssen als Europäische Union
zu einem eigenständigen Krisenmanagement in unserer
Nachbarschaft in der Lage sein, und zwar ausdrücklich
nicht in Konkurrenz, sondern komplementär, ergänzend,
zur NATO .

Wichtig wird dabei sein, die militärischen und zivilen
Fähigkeiten der Mitgliedstaaten nicht nur mit den nöti-
gen finanziellen Möglichkeiten auszustatten, sondern sie
auch strukturell besser miteinander zu verzahnen . Wir
wissen, es gibt nicht die alleinige militärische Lösung ei-
nes Konfliktes; wir wissen aber auch, dass es ohne mili-
tärisches Eingreifen, nur mit zivilem Engagement häufig
nicht geht . Deshalb wollen wir den umfassenden Ansatz
europäischer Sicherheits- und Verteidigungspolitik ver-
zahnen, verbessern – das Miteinander ziviler und militä-
rischer Instrumente .


(Zuruf von der LINKEN)


Dazu gehört das Instrument der Ständigen Strukturierten
Zusammenarbeit, das im Lissabon-Vertrag angelegt ist
und das es uns ermöglicht, bei der Entwicklung, Planung
und Entsendung von Fähigkeiten weiter voranzuschrei-
ten . Dabei soll jeder Mitgliedstaat mitmachen dürfen,
ohne dazu gezwungen zu sein .

Meine Damen und Herren, wir müssen notwendige
Verbesserungen in Europa ambitioniert, also mit einem
hohen Anspruch angehen können, ohne dabei jedes Mal
den Zusammenhalt zwischen den Mitgliedstaaten zu ge-
fährden; denn die vor uns liegenden Aufgaben sind zu

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel






(A) (C)



(B) (D)


groß, als dass wir in Europa immer nur mit dem kleinsten
gemeinsamen Nenner arbeiten können .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Daher muss es weiter und notfalls verstärkt möglich sein,
dass einige Mitgliedstaaten voranschreiten, während an-
dere sich an bestimmten Schritten nicht oder noch nicht
beteiligen wollen . Für ein solches Europa der unter-
schiedlichen Geschwindigkeiten gibt es im Übrigen in
der Geschichte der Europäischen Union schon Beispiele .
Letztlich sind die Einführung des Euros und der Schen-
gen-Raum zwei Beispiele, an denen sich das schon zeigt .

Mit einem weiteren solchen Beispiel wird sich der
Europäische Rat heute befassen, nämlich mit der Schaf-
fung einer europäischen Staatsanwaltschaft . Sie soll dem
Zweck dienen, Straftaten gegen die finanziellen Interes-
sen der Europäischen Union zu verfolgen, beispielsweise
in Fällen von Veruntreuung europäischer Fördermittel .

Auch hier möchte eine Gruppe von Mitgliedstaa-
ten voranschreiten, während andere sich jedenfalls zum
jetzigen Zeitpunkt noch nicht daran beteiligen wollen .
Entscheidend bei diesen Fragen der unterschiedlichen
Zusammenarbeit ist für mich, dass dann, wenn wir sol-
che Schritte gehen, diese anschließend für alle Mitglied-
staaten offen bleiben. Wir dürfen also nicht ausgrenzen.
Ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten ist
einladend und nicht ausschließend .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Zugleich können wir in Europa bei wichtigen Fragen
vorankommen, ohne dass Mitgliedstaaten sich zu einer
Teilnahme gezwungen sehen oder auf Dauer von ihr aus-
geschlossen werden . Ich glaube, dass das ein wichtiger
Weg ist . Dieser wird auch eine Rolle spielen, wenn es
um die weitere Entwicklung der Europäischen Union und
um die Rolle Europas in der Welt geht . Das wollen wir
am 25 . März 2017 anlässlich des 60 . Jahrestages der Un-
terzeichnung der Römischen Verträge auch begehen und
feiern .

Nach wie vor gilt: 60 Jahre europäische Integration
sind 60 Jahre Frieden, Wohlstand und Stabilität auf der
Grundlage gemeinsamer europäischer Werte . Im An-
schluss an den heutigen Europäischen Rat werden wir
uns deshalb morgen auf das Treffen zum 60. Jahrestag
in Rom vorbereiten, und zwar im Kreise der zukünftig
27 Mitgliedstaaten sowie der Präsidenten des Europäi-
schen Rates und der Europäischen Kommission .

Heute werden wir auch über die Wiederwahl von
Donald Tusk zum Präsidenten des Europäischen Rates
für weitere zweieinhalb Jahre entscheiden . Ich sehe seine
Wiederwahl als ein Zeichen der Stabilität für die gesamte
Europäische Union an und freue mich darauf, die Zusam-
menarbeit mit ihm fortzusetzen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade wir Deut-
schen profitieren jeden Tag von der Europäischen Union:

von der Reisefreiheit, vom europäischen Binnenmarkt,
von der Freundschaft und dem engen Austausch mit un-
seren europäischen Nachbarn . Es gibt keine andere Re-
gion auf dieser Welt, die eine solche Erfolgsgeschichte
für sich verbuchen könnte . Und doch laufen wir viel zu
oft Gefahr, die Europäische Union im besten Falle als
bloße Selbstverständlichkeit, im schlechtesten Falle als
Verursacher und Sündenbock für fast alle Probleme un-
serer Zeit zu begreifen .

Um Europa zusammenzuhalten, bedarf es deshalb
kontinuierlich großer Anstrengungen, und zwar von uns
allen, und einer ehrlichen Bestandsanalyse dahin gehend,
dass auch mal die Mitgliedstaaten schuld daran sind, dass
etwas nicht richtig läuft .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen
Union ist ein Anlass, den wir als Weckruf begreifen soll-
ten – trotz der vielen spezifischen Faktoren, die bei den
britischen Wählerinnen und Wählern eine Rolle gespielt
haben . Es bleibt dabei, dass die Verhandlungen mit Groß-
britannien erst beginnen können, nachdem die britische
Regierung ihre Absicht offiziell mitgeteilt hat. Für eine
vertiefte Diskussion in Brüssel wird es heute und morgen
also noch zu früh sein .

Um Europa langfristig zusammenzuhalten, vor allem
aber auch, um Europa langfristig zu stärken, müssen wir
die Errungenschaften der europäischen Integration be-
wahren und verteidigen . Dazu müssen wir uns beim Ju-
biläumsgipfel in Rom zu unseren gemeinsamen Werten
und Interessen bekennen . Denn trotz aller Rückschläge
und Enttäuschungen, die wir gerade in den letzten Jahren
erlebt haben, hat ein Satz aus der Berliner Erklärung, die
wir zum 50 . Jubiläum der Römischen Verträge im Jah-
re 2007 verabschiedet haben, für mich nichts, aber auch
gar nichts von seiner Bedeutung eingebüßt . Ich zitiere:

Wir Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Uni-
on sind zu unserem Glück vereint .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich verstehe diesen Satz allerdings auch als Ansporn .
Er ist für mich ein Ansporn, die Herausforderungen ent-
schlossen anzugehen, die eine Welt im Wandel für uns
bereithält – eine Welt, die, wie wir auch schon oft gesagt
haben, an vielen Stellen aus den Fugen geraten zu sein
scheint .

Dazu müssen wir die Europäische Union überall dort
verbessern, wo sie dringend verbessert werden muss .
In wichtigen gesamteuropäischen Fragen müssen wir
schneller zu Entscheidungen kommen und diese konse-
quenter umsetzen . Wir müssen uns auf die Themen kon-
zentrieren, für die ein Handeln auf europäischer Ebene
tatsächlich besser geeignet ist als ein Handeln auf nati-
onaler und regionaler Ebene . Dann wird Europa erfolg-
reich sein und seine Werte und Interessen behaupten kön-
nen . Wenn wir das tun, dienen wir auch den Menschen .

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel






(A) (C)



(B) (D)


Nur das und nichts anderes hat uns zu leiten: dass wir den
Menschen zu dienen haben .

Das sind die Grundsätze, entlang derer ich mich beim
Europäischen Rat und darüber hinaus für eine gute Zu-
kunft einsetzen werde . Ich bitte dafür um Ihre Unterstüt-
zung .

Herzlichen Dank .


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der SPD – Drei Abgeordnete des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN in T-Shirts mit Aufschrift erheben sich)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822100200

Bevor ich jetzt dem Kollegen Bartsch für die Fraktion

Die Linke das Wort erteile, bitte ich die Kollegen mit die-
sen T-Shirts, sich entsprechend unserer Hausordnung aus
dem Saal zu begeben und ohne T-Shirts gegebenenfalls
wieder in den Saal zu kommen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beifall bei der LINKEN – Katrin GöringEckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann wären sie ja nackt! Wir wollen nicht, dass sie sich ausziehen!)


Es wird im Übrigen, Herr Kollege Mutlu, nicht da-
durch besser, dass Sie das zu einem Stilmittel erheben
wollen .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Gute Aktion!)


Bitte sehr, Herr Kollege Bartsch .


(Die angesprochenen Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN verlassen den Plenarsaal)



Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822100300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin

ja dankbar, dass die Regierungserklärung um genau das
Thema erweitert worden ist, auf das die drei Kollegen,
die jetzt etwas mutlos den Saal verlassen, hingewiesen
haben . Es geht um die Freiheit von Deniz Yücel . Es ist
gut, dass sich der Ältestenrat so verständigt hat . Ich will
auch ausdrücklich sagen: Ja, unsere Demokratie lebt von
der Kontroverse, auch von der deutlichen Auseinander-
setzung, aber es ist gut, dass es Punkte gibt, bei denen
wir Gemeinsamkeiten haben . Deswegen, Herr Bundes-
tagspräsident, bin ich Ihnen für Ihre fünf Punkte, die Sie
hier erwähnt haben, sehr dankbar . Ich bin froh, dass wir
in dieser Frage Konsens im Haus haben . Ich hätte mir
im Übrigen gewünscht, dass die Bundesregierung diese
Klarheit schon lange an den Tag gelegt hätte, so wie Sie
in Ihren fünf Punkten .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich finde besonders den Vergleich unseres Landes mit
Nazideutschland völlig inakzeptabel . Das will ich noch

einmal – ich hoffe im Namen des gesamten Hauses – her-
vorheben .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich bin aber genauso klar in der Positionierung, dass
die Verhaftungen von über 150 Journalistinnen und Jour-
nalisten, die Verhaftungen von Oppositionspolitikern,
darunter sogar Fraktionsvorsitzenden, die willkürlichen
Verhaftungen im Staatsapparat und in der Armee nicht zu
akzeptieren sind . Hier wird die Demokratie in der Türkei
abgeschafft, zumindest aber der Rechtsstaat ausgehöhlt.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir als Linksfraktion und -partei fordern die sofortige
Freilassung von Deniz Yücel .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dem Brief des Welt-Chefredakteurs ist eigentlich nichts
hinzuzufügen . Er ist ein Symbol geworden . Wir sehen
jetzt in der Türkei deutlich, was schon seit Monaten
zu beobachten ist . Mir scheint, dass das nur ein Vorge-
schmack darauf ist, was passiert, wenn das Verfassungs-
referendum im Sinne von Erdogan angenommen wird .
Die Entscheidung über die Wiedereinführung der Todes-
strafe liegt weiterhin auf dem Tisch . Das alles können wir
nicht wollen .

Ich will darauf verweisen, dass auch viele Türkinnen
und Türken in unserem Land diese Politik ablehnen . Ich
lese immer, dass sehr viele diese teilen würden . Nein,
viele lehnen sie ab . Uns alle können diese Zuspitzungen
zwischen der Türkei und Europa und Deutschland nicht
gefallen . Wir erwarten von Ihnen, Frau Merkel, dass Sie
mit den europäischen Staatschefs deutlich Kritik an An-
kara üben, aber auch einen Plan entwickeln, wie man
wieder zueinanderfinden kann, und zwar auf der Grund-
lage des Völkerrechts, der Menschenrechte, der Presse-
freiheit und von allem, was dazugehört .


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Hat sie gesagt!)


Wenn Sie allerdings jetzt hier sagen, dass Sie in Klar-
heit agiert haben, dass Sie die Möglichkeiten ausge-
schöpft haben, dann ist das wirklich weit weg von der
Realität . Nutzen Sie doch endlich einmal Ihre Möglich-
keiten . Machen Sie doch zum Beispiel das, was Ihr Vor-
gänger gemacht hat. Helmut Kohl hat 1992 die Waffen-
exporte in die Türkei eingestellt . Warum exportieren wir
und andere europäische Länder weiterhin Waffen? Stel-
len Sie das ein . Machen Sie sich beim Europäischen Rat
dafür stark . Das wäre eine Maßnahme .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Oder frieren Sie die Vorbeitrittshilfen für die Türkei ein .
Das muss doch spürbar sein . Wir brauchen nicht nur
Worte, sondern auch konkretes Handeln . Helmut Kohl
sollte Ihr Maßstab sein . Nach einem Massaker hat er die

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel






(A) (C)



(B) (D)


Waffenlieferungen damals eingestellt. Sie machen auf
diesem Gebiet aktuell gar nichts . Das ist so nicht zu ak-
zeptieren .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Hinzu kommt: Sie haben den Despoten doch erst
starkgemacht . Kurz vor der Wahl sind Sie hingefahren .
Das war nichts anderes als eine Wahlunterstützung .
Europa hat sich mit dem Flüchtlingsdeal erpressbar ge-
macht, und Erdogan erpresst jetzt . Das ist der eigentliche
Skandal, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wenn Sie jetzt zum Europäischen Rat fahren, so tun
Sie dies – das haben Sie völlig zu Recht so beschrieben –
in Zeiten der größten Krise . Alle schauen ängstlich auf
die Wahlen, nach Frankreich und nach Holland . Aber
diese Krise ist doch nicht vom Himmel gefallen . Dazu
habe ich gerade Sätze mit einer Phrasendichte, die ich
seit zehn Jahren kenne, gehört . Aber es ist doch die Uni-
on mit ihrem verantwortungslosen neoliberalen Diktat,
die für die sozialen Verwerfungen in Europa gesorgt hat
und die auch dafür gesorgt hat, dass die europäische Idee
im Moment am Abgrund steht . Für die jetzige Situation
tragen Sie eine Mitverantwortung .


(Beifall bei der LINKEN)


Sie sind über zehn Jahre Bundeskanzlerin der Bundesre-
publik Deutschland .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Gott sei Dank!)


Die Meldungen, die man jeden Tag vernimmt, ver-
schlagen einem die Sprache . Nun werden in Europa so-
gar wieder Zäune errichtet . Die Situation in Ungarn ist
eine Katastrophe . In Ungarn hat das Parlament diese Wo-
che beschlossen, Flüchtlinge in Lagern zu halten . Viktor
Orban sperrt mitten in der EU Menschen ein . Das ist
rechtswidrig . Auf dem Gipfel muss die EU beschließen,
dass gehandelt wird, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg . Dr . Karl-Heinz Brunner [SPD])


Mittlerweile haben sich sogar die Vereinten Nationen ein-
geschaltet und die Situation in Ungarn scharf kritisiert .

An dieser Stelle muss ich eines dazusagen: Dieser
Orban ist gern gesehener und hofierter Gast bei der Re-
gierungspartei CSU . Da ist doch irgendetwas nicht in
Ordnung, wenn dieser Mann, der mitten in Europa Lager
errichtet, bei der CSU gefeiert wird .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr . Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Sie sind doch die Partei mit dem Stacheldraht, Herr Bartsch!)


In der Flüchtlingspolitik hat die EU versagt . Es gibt
kein europäisches Agieren . Es gibt keine Solidarität der

Regierungen . Sie haben keinen Plan, wie Sie Europa
seine Menschlichkeit zurückgeben können . Es ist doch
unfassbar, dass die Bilder, die wir alle im letzten Jahr ge-
sehen haben – zum Beispiel das Bild des syrischen Jun-
gen Aylan Kurdi am Strand von Bodrum –, so schnell in
Vergessenheit geraten sind . Sie, Frau Merkel, haben im
August 2015 gesagt: Diese Bilder mahnen uns, „das The-
ma der Migration schnell und im europäischen Geist, das
heißt im Geist der Solidarität, anzugehen und auch Lö-
sungen zu finden.“ Das ist jetzt fast zwei Jahre her. Und?
Wo ist der Geist der Solidarität? Wo sind der europäische
Geist und die europäischen Lösungen? Fehlanzeige .

Schauen wir nach Griechenland . Die Bilder von Rent-
nerinnen und Rentnern und von Kranken, die auf der
Straße leben, kennen wir alle . In den letzten Wochen und
Monaten passierte dasselbe . Es ist das alte Muster, das
wir schon einmal hatten: wieder Erpressung in Richtung
Athen, wieder Erpressung in Richtung der griechischen
Regierung . Das Ergebnis dieser Politik ist, dass die Ju-
gendarbeitslosigkeit in Griechenland nach wie vor bei
über 50 Prozent liegt, und das seit Jahren . Dort wächst
eine Generation der Hoffnungslosigkeit heran. Da kann
man nicht sagen: Ja, aber die Arbeitslosigkeit ist doch ein
bisschen zurückgegangen . – Nein, die Situation in den
südlichen Ländern ist katastrophal, gerade im Hinblick
auf die Jugendarbeitslosigkeit .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Rechtspopulisten erzielen beständig Zuwächse .
Wenn wir in Europa nicht endlich umsteuern, werden wir
in einem europäischen Albtraum erwachen, meine Da-
men und Herren .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es ist der Neoliberalismus, der die extreme und populisti-
sche Rechte in Europa erst starkgemacht hat . Der Rechts-
populismus ist die dunkle Seite des Neoliberalismus .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Aber auch hier in Deutschland werden die Verwer-
fungen größer . Die Schere zwischen Arm und Reich ist
größer geworden . Der Armutsbericht von letzter Woche
ist die Rote Karte für die Politik der Großen Koalition .
Wir haben auf der einen Seite obszönen Reichtum, und
auf der anderen Seite sind 15,7 Prozent der Menschen in
Deutschland von Armut bedroht . Das sind 13 Millionen
Menschen, so viele wie in Nordrhein-Westfalen leben .


(Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Das sind 18 Millionen!)


Es sind Familien, vor allen Dingen Alleinerziehende und
in besonderer Weise Frauen, die davon betroffen sind.
Sie handeln innerhalb des Landes unzureichend, Stich-
worte Kinderarmut und Altersarmut . Notwendig wären
ein Investitionsprogramm in Deutschland und ein euro-
päisches Investitionsprogramm, statt weiter die Märk-
te mit billigem Geld zu fluten. Das wären die richtigen
Maßnahmen . Dafür müssten Sie sich einsetzen .


(Beifall bei der LINKEN)


Dr. Dietmar Bartsch






(A) (C)



(B) (D)


Aber was machen Sie? Sie wollen lieber mehr Geld in
Rüstung und Kriegsgerät stecken . Als das 2-Prozent-Ziel
vereinbart worden ist, habe ich gedacht, es ist so ernst
zu nehmen wie im Hinblick auf die Entwicklungspolitik
eine ODA-Quote von 0,7 Prozent . Hier agieren Sie aber
wirklich . Sie wollen 20 bis 30 Milliarden Euro mehr für
Rüstung ausgeben . Mehr Verantwortung? Ja, damit bin
ich einverstanden . Aber mehr in Rüstung investieren?
Das ist doch eine Wahnsinnsidee! Was hat das denn mit
der Bekämpfung von Fluchtursachen zu tun? Überhaupt
nichts!


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Geben Sie mehr Geld für die Entwicklungspolitik und
den Klimaschutz, aber doch nicht für mehr Rüstung! Das
ist doch der völlig falsche Weg . Was ist denn mit dem
Satz „Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg aus-
gehen“? Das, was hier gemacht wird, ist doch das Ge-
genteil .


(Beifall bei der LINKEN)


Ja, Europa ist in der größten Krise: Rechtspopulis-
mus, Jugendarbeitslosigkeit, Finanzkrise . Frau Merkel,
Sie sind seit über zehn Jahren Bundeskanzlerin, und des-
halb tragen Sie für diese Krise relevant Verantwortung .
Deswegen brauchen wir in der zentralen Industriemacht
Europas einen Politikwechsel: Damit der soziale Zusam-
menhalt im Land wiederhergestellt wird und das große
Projekt Europa nicht scheitert . Das ist ein Friedenspro-
jekt gewesen und wird jetzt gefährdet .


(Beifall bei der LINKEN)


Damit uns unsere Kinder und Enkel nicht irgendwann
einmal fragen, was wir damals gemacht haben, ist jetzt
Handeln und sind jetzt nicht nur salbungsvolle Worte an-
gesagt .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822100400

Das Wort erhält nun der Kollege Thomas Oppermann

für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Thomas Oppermann (SPD):
Rede ID: ID1822100500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In zwei

Wochen jährt sich zum 60 . Mal die Unterzeichnung der
Römischen Verträge . Es ist keine Frage: Die Gründung
der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft war eine Zei-
tenwende . Sie war der Grundstein für die Europäische
Union und die europäische Antwort auf den jahrhunder-
telangen Nationalismus, der unendlich viel Krieg, Zer-
störung und Unterdrückung hervorgebracht hat .

Die Europäische Union hat uns jetzt 60 Jahre lang sta-
bile Demokratien, Freiheit, Wachstum, Wohlstand und
vor allen Dingen Frieden beschert . Deshalb sage ich:
Welche Mängel diese Union auch immer haben mag, wir
müssen alles dafür tun, dass diese weltweit einzige Form

der transnationalen Zusammenarbeit erhalten bleibt, und
sie gegen alle Angriffe von innen und von außen vertei-
digen;


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


denn heute droht eine erneute Zeitenwende .

Dass jetzt auch der amerikanische Präsident die EU
angreift, ihre Gegner unterstützt und ihre Werte infrage
stellt, konnten wir uns bisher nicht vorstellen . Es passt
aber offenkundig nicht in das Weltbild von Donald
Trump, dass 27 prinzipiell gleichberechtigte Nationen
ihre Probleme gemeinsam lösen und ihre Interessen aus-
gleichen wollen . Das ist das exakte Gegenteil von „Ame-
rica First“ . Amerika zuerst, Frankreich zuerst, wer auch
immer zuerst: Dieser Neonationalismus kann kein Mo-
dell für das gute Zusammenleben der Völker im 21 . Jahr-
hundert sein .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn jeder nur noch auf seine eigenen Interessen schaut,
dann werden am Ende alle verlieren .

Gefahr droht der Europäischen Union aber nicht nur
von außen, sondern durch nationalistische und rechtspo-
pulistische Parteien auch von innen . In Polen und Ungarn
sind Jaroslaw Kaczynski und Viktor Orban dabei, Grund-
werte wie die Pressefreiheit und eine freie Justiz zu de-
montieren, und der Umgang mit Flüchtlingen in Ungarn,
der im Augenblick praktiziert wird, ist indiskutabel .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg . Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich muss an dieser Stelle auch erwähnen: Gerade kam
die Meldung, dass Polen damit droht, den EU-Gipfel
platzen zu lassen, wenn kein rechtskonservativer Pole,
sondern der liberale Donald Tusk zum EU-Ratspräsiden-
ten gewählt wird. Ich finde, das ist peinlich.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Überall in Europa propagieren diese Kräfte Abschot-
tung und nationales Denken . Die EU war noch nie in ih-
rer Geschichte so unter Druck . Von außen zeigen Putin
und Trump ein unverhohlenes Interesse daran, Europa
auseinanderzutreiben . Von innen warten Le Pen und
Wilders darauf, ihnen dabei zu helfen . In diesen Tagen
haben viele ein Interesse daran, die Europäische Union
zu schwächen . Die Einzigen, die kein Interesse daran ha-
ben können, das sind die Menschen in Deutschland und
Europa . Deshalb darf Europa, dürfen wir nicht zulassen,
dass Europa von innen zerbricht, noch dass es von außen
gespalten wird .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg . Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich finde, wir müssen jetzt mit mehr Mut für Europa
kämpfen – so wie es zum Beispiel eine Bewegung macht,

Dr. Dietmar Bartsch






(A) (C)



(B) (D)


die sich „Pulse of Europe“ nennt . In über 35 Städten in
Deutschland demonstrieren jetzt jeden Sonntag Men-
schen für Europa:


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Familien, Jüngere ebenso wie Ältere . Das sind noch
kleine Gruppen . In meiner Heimatstadt Göttingen haben
letzten Sonntag 150 Personen teilgenommen . Es werden
aber von Woche zu Woche mehr . Das kann eine richtige
Graswurzelbewegung werden . Und das Bemerkenswerte
daran ist: Sie demonstrieren nicht gegen etwas, sondern,
lieber Volker, sie demonstrieren für etwas, für die Euro-
päische Union,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


für die Vorzüge eines offenen Europas, für Reisefreiheit,
für eine Sicherheit gebende Gemeinschaft im Weltgefü-
ge .

Wir haben im letzten Jahr in dieser Gesellschaft eine
Politisierung von rechts erlebt . Was wir jetzt erleben, ist
eine Politisierung derjenigen, die sich die Demokratie
und Europa nicht kaputt machen lassen wollen . Und ge-
nau eine solche positive Kraft brauchen wir, meine Da-
men und Herren .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Viele haben erkannt, dass der Kampf um den Erhalt der
liberalen Demokratien, der sozialen Marktwirtschaft und
einer Gesellschaft, die auf Toleranz und Respekt beruht,
eben nur mit einem funktionierenden Europa gewonnen
werden kann .

Meine Damen und Herren, ich war letzte Woche in
London und hatte Gelegenheit, dort mit jungen Men-
schen über den Brexit zu diskutieren . Viele von ihnen
glauben, dass sich ihr Leben dadurch zum Schlechteren
verändern wird. Sie sehen ihre Chancen und Hoffnun-
gen bedroht, aber sie wissen natürlich auch, dass das Re-
ferendum politische Fakten geschaffen hat. Der Antrag
Großbritanniens wird kommen . Das ist ohne Zweifel ein
großer Verlust für die Europäische Union .

Natürlich muss die Freundschaft zwischen Deutsch-
land und Großbritannien auch nach dem Brexit fortbeste-
hen . Das bedeutet übrigens für mich auch, dass möglichst
schnell für die 3 Millionen EU-Bürger in Großbritannien
Rechtssicherheit geschaffen werden muss. Die britische
Regierung kann die EU-Mitgliedschaft abwickeln . Was
man aber nicht abwickeln kann, sind Menschen, die auf
ihre EU-Bürgerschaft vertraut haben .


(Beifall bei der SPD)


Das gilt natürlich genauso für die über 1 Million briti-
schen Staatsbürger, die in der EU leben. Ich finde, wir
müssen diesen Menschen schnell sagen können, dass sie
ihren Status behalten .

Im Übrigen sollte klar sein: Wir wollen faire Verhand-
lungen, keine Sonderbehandlung Großbritanniens . Die

Leitlinie für die Brexit-Verhandlungen muss die Einheit
der Europäischen Union sein . Die vollen Vorteile des
Binnenmarktes bleiben untrennbar verbunden mit den
vier Grundfreiheiten der Europäischen Union; denn die
EU ist eine Partnerschaft mit Rechten und Pflichten und
kein Selbstbedienungsladen, aus dem sich jeder das neh-
men kann, was ihm gefällt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg . Volker Kauder [CDU/CSU])


Meine Damen und Herren, die Situation in der Tür-
kei ist bestürzend . Über 100 000 Menschen wurden im
letzten Jahr aus dem Staatsdienst entlassen . Jeder, der
eine andere Meinung hat, muss Angst haben, verhaftet
zu werden . Über 100 Journalisten – unter ihnen Deniz
Yücel – und die Führung der Opposition sitzen im Ge-
fängnis . Vor diesem Hintergrund ist es für mich ein ab-
soluter Widerspruch, wenn sich jetzt Präsident Erdogan
und türkische Minister in Deutschland auf die Meinungs-
freiheit berufen, während sie gleichzeitig die Meinungs-
und Pressefreiheit in der Türkei mit Füßen treten .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Auch wenn es für viele schwer erträglich ist, dass in
Deutschland türkische Regierungsmitglieder für eine
Verfassungsreform werben, mit der die weitgehende Ab-
schaffung der parlamentarischen Demokratie verbunden
ist, plädiere ich trotzdem dafür, nicht allgemeine Einrei-
severbote oder Redeverbote zu verhängen; denn Erdogan
sucht mit diesen schrillen Provokationen doch nur die
direkte Auseinandersetzung mit Deutschland . Er sucht
ein Feindbild und will die nationalen Emotionen der tür-
kischen Landsleute für seine umstrittene Verfassungsre-
form mobilisieren. Ich finde, dabei sollten wir ihm nicht
helfen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822100600

Herr Kollege Oppermann, darf der Kollege van Aken

eine Zwischenfrage stellen?


Thomas Oppermann (SPD):
Rede ID: ID1822100700

Ja, gern .


Jan van Aken (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822100800

Herr Oppermann, vielen Dank . – Ich bin ganz bei Ih-

nen: Auch ich finde es richtig, dass wir in Deutschland
unsere Freiheitsrechte hochhalten und türkische Politiker
hier reden sollten .

Aber meine Frage an Sie ist: Sind Sie nicht auch der
Meinung, dass nach all den Worten, auch den guten Wor-
ten, die in den letzten Tagen von der Bundesregierung ge-
kommen sind, endlich konkretes Handeln kommen muss?
Denn ohne konkretes Handeln wird sich kaum etwas ver-
ändern . Ich denke zum Beispiel an die deutsch-türkische
Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich . Die Vorstellung,

Thomas Oppermann






(A) (C)



(B) (D)


dass Deniz Yücel von einem türkischen Polizisten, der
vielleicht von einem Deutschen ausgebildet wurde, fest-
genommen wurde, finde ich fürchterlich.

Um es mit Blick auf den Sicherheitsbereich noch kon-
kreter zu machen: Sie wissen, dass an zwei Standorten
in der Türkei Soldaten der Bundeswehr stationiert sind,
nämlich in Incirlik und in Konya . Es war Ihre Partei, die
im Herbst letzten Jahres ganz klar gesagt hat: Solange
Abgeordnete dieses Parlamentes die Bundeswehrsolda-
ten in der Türkei nicht besuchen dürfen, so lange kann
die Bundeswehr dort nicht bleiben . Die Soldaten müssen
abgezogen werden .

Nun herrscht seit fünf Monaten ein faktisches Be-
suchsverbot für Incirlik . Gestern hat mir die türkische
Regierung wieder untersagt, Konya zu besuchen . Finden
Sie nicht auch, Herr Oppermann, dass Sie zu dem stehen
sollten, was Sie im letzten Herbst gesagt haben: „Solan-
ge Besuche von Parlamentariern aus diesem Hause nicht
möglich sind, kann die Bundeswehr nicht weiter aus der
Türkei operieren“?


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Thomas Oppermann (SPD):
Rede ID: ID1822100900

Wir sind mit der Türkei in der NATO verbunden . Des-

halb arbeiten wir mit ihr zusammen . Wir werden diese
Zusammenarbeit nicht aufkündigen .


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Die Parlamentsrechte sind Ihnen egal?)


Das wäre falsch, weil das jetzt dazu führen würde, dass
der Gesprächsfaden abreißen würde .


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee!)


Es gibt auch gemeinsame Interessen bei der Bekämp-
fung des Terrorismus . Die Terrorakte, die in der Türkei
passieren, sind ein Angriff auf die türkische Bevölke-
rung; auch das muss an dieser Stelle einmal gesagt wer-
den . Diese lehnen wir auf das Schärfste ab .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Was hat das mit der Bundeswehr zu tun?)


Was die Besuchsrechte der Abgeordneten angeht, bin
ich der Meinung: Diese müssen wir durchsetzen .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wie denn?)


Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee . Wir können
diese Besuchsrechte durch weitere Gespräche, die nötig
sind, durchsetzen .


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie, wie!)


Die Türkei muss akzeptieren, dass die in der Türkei stati-
onierten Soldaten vom Parlament dorthin geschickt wor-
den sind .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Oppermann, das ist ein ziemliches Gestottere!)


Deshalb bin ich dafür, weiter daran zu arbeiten, dass die-
se Besuchsrechte umgesetzt werden können . – Vielen
Dank .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der LINKEN – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lächerlich!)


An einer weiteren Eskalation der Emotionen, Herr van
Aken, und weiteren Druckmitteln können wir auch des-
halb kein Interesse haben, weil diejenigen, die darunter
am meisten leiden werden, die türkischstämmigen Men-
schen in Deutschland sind . Auf deren Rücken wird das
nämlich abgeladen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb bin ich dem Außenminister Sigmar Gabriel,
aber auch Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, dafür dankbar,
dass Sie klargemacht haben: Die in Deutschland leben-
den Türkinnen und Türken sind Teil dieses Landes . Sie
bauen Brücken zwischen diesen Ländern . Diesen Men-
schen müssen wir gerecht werden, meine Damen und
Herren .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber klar muss auch sein: Die Nazivergleiche sind
hanebüchen und absurd . Die türkischen Regierungsmit-
glieder sollten diesen Unsinn sofort beenden . Wir soll-
ten nicht müde werden, die Freilassung der inhaftierten
Journalisten und der anderen zu fordern, die inhaftiert
sind, weil sie in Opposition zu dieser Regierung stehen .
Die Türkei muss wieder auf einen demokratischen Weg
zurückkehren, sonst kann sie kein enger Partner von
Deutschland und Europa bleiben .

Meine Damen und Herren, die neue amerikanische
Administration hat, jedenfalls zuletzt, erklärt, dass sie an
der NATO festhalten will . Aber die leichtfertigen Äuße-
rungen von Donald Trump über die NATO zeigen uns
eines ganz deutlich: Wir werden in Europa in Zukunft
mehr für die eigene Sicherheit tun müssen . Dazu werden
auch wir Deutschen beitragen . Aber dass wir in Deutsch-
land die Verteidigungsausgaben um 25 Milliarden Euro
pro Jahr erhöhen, um dem 2-Prozent-Ziel der NATO
nachzukommen, das halte ich für absolut unrealistisch .
Das wäre eine massive Aufrüstung . In einen solchen
Rüstungswettlauf sollten wir nicht eintreten .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bei den Verteidigungsausgaben kann es doch nicht
darum gehen, die Masse und das Volumen zu steigern,
sondern es muss doch vor allem darum gehen, welche
Fähigkeiten wir brauchen, um unsere Sicherheit zu ge-
währleisten . Diese Fähigkeiten dürfen wir nicht im natio-

Jan van Aken






(A) (C)



(B) (D)


nalen Alleingang, sondern müssen wir in Europa gemein-
sam organisieren .

Meine Damen und Herren, es wäre im Übrigen zu
kurz gedacht, allein mit höheren Verteidigungsausgaben
mehr Sicherheit in Europa zu schaffen. Wir müssen Si-
cherheit umfassender denken. Wenn wir die Konflikte
und Kriege in unserer Umgebung befrieden wollen, dann
dürfen nicht Waffen im Vordergrund stehen, sondern
dann müssen wir an die materiellen Probleme heran, die
häufig hinter diesen Konflikten stehen. Da sage ich: Die
Höhe der Entwicklungsausgaben ist ein guter Indikator
für die künftige Sicherheit .

Wenn wir jetzt mehr Geld für Verteidigung ausgeben,
dann bin ich entschieden dafür, dass wir dann auch, sozu-
sagen im Gleichschritt, mehr Geld für humanitäre Hilfe
und für wirtschaftliche Zusammenarbeit ausgeben .


(Beifall bei der SPD)


Ich hatte in München die Gelegenheit, mit dem
UN-Flüchtlingskommissar Filippo Grandi zu sprechen,
der sich wünscht, dass Deutschland auch im Jahr 2017
die humanitäre Hilfe der UN wieder so stark unterstützt
wie 2016 . Genau das machen wir auch . Deutschland ist
mit 360 Millionen Euro nach den USA der zweitgrößte
Geber für das Flüchtlingshilfswerk .

Ich muss ganz ehrlich sagen: Dass der Flüchtlings-
kommissar der Vereinten Nationen jedes Jahr herum-
gehen muss, um das nötige Geld für die Versorgung der
Flüchtlinge in den Flüchtlingslagern mit dem Allernö-
tigsten einzuwerben, das ist unwürdig .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg . Dr . Petra Sitte [DIE LINKE])


Wir haben bei Friedensmissionen einen Finanzie-
rungsmechanismus, der automatisch funktioniert . Ei-
nen solchen Mechanismus brauchen wir auch beim
UN-Flüchtlingshilfswerk . Ich halte das für überfällig .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Meine Damen und Herren, angesichts der Wiederkehr
des Nationalismus war es noch nie so wichtig wie heute,
dass Europa in einer solidarischen Gemeinschaft weiter
zusammenhält . Dieses Prinzip der Solidarität muss Eu-
ropa auch in Zukunft auszeichnen: bei der Aufnahme
von Flüchtlingen, bei unserer gemeinsamen Sicherheit
und natürlich auch bei der Bewältigung der Euro-Krise .
Allein diese Aufzählung zeigt: Es gibt kein Land in der
Europäischen Union, das keine Unterstützung braucht,
genauso wenig wie es ein Land gibt, das nicht etwas ge-
ben könnte . Die Europäische Union lebt vom Geben und
Nehmen und nicht vom „Ich zuerst!“ . Deshalb sage ich:
Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass das auch
in Zukunft so bleibt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822101000

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält nun

der Kollege Cem Özdemir das Wort .


Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822101100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Sep-

tember 1946 geschah etwas Erstaunliches: Gerade ein-
mal ein Jahr war vergangen seit dem schrecklichsten
Krieg aller Zeiten mit 60 Millionen Kriegstoten und dem
Holocaust mit 6 Millionen Opfern . Europa war noch im-
mer ein Trümmerfeld . Genau in einer solchen Situation
ruft Winston Churchill, zwischenzeitlich Oppositions-
führer im Unterhaus in Großbritannien, die „Vereinigten
Staaten von Europa“ aus . Man höre und staune: Zentrale
Akteure dieser „Vereinigten Staaten von Europa“ sollten
die einstmaligen Erzfeinde Frankreich und Deutschland
sein . Was sich damals wie eine wilde Utopie anhörte, ist
heute längst Realität .

Nein, wir haben nicht die Vereinigten Staaten von Eu-
ropa, aber wir können bald 60 Jahre Römische Verträge
und damit 60 Jahre europäische Integration feiern . Ich
finde, liebe Freundinnen und Freunde, das ist ein freudi-
ger Anlass . Bei allen schlechten Nachrichten, die wir in
diesen Tagen haben, sollten wir nicht vergessen, was wir
da zu feiern haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


In diesen 60 Jahren haben viele Menschen, nicht nur
bei uns in der Bundesrepublik Deutschland, sondern in
der ganzen Europäischen Union, ein großartiges Europa
aufgebaut, mit Demokratie, mit Menschenrechten und
mit Freiheit – mit Werten, die am Ende triumphiert ha-
ben . Die Zeiten der Diktaturen sind in Südeuropa vorbei,
aber sie sind Gott sei Dank auch in Osteuropa vorbei,
genauso wie der Eiserne Vorhang Geschichte ist .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wir haben mittlerweile – das sage ich mit Stolz – ein
Europa der offenen Grenzen innerhalb der EU, wir haben
ein Europäisches Parlament, eine direkt gewählte Volks-
vertretung, wir haben eine Unionsbürgerschaft – alles
Dinge, auf die wir stolz sein können, alles Dinge, die wir
aber auch verteidigen müssen, damit es sie morgen noch
gibt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Eigentlich sollte jede Kollegin und jeder Kollege, die
bzw . der an diesem Pult hier reden darf, als Deutsche
bzw . als Deutscher reden, aber sie bzw . er sollte immer
auch zugleich als überzeugte Europäerin bzw . Europäer
reden; denn man kann nur guter deutscher Staatsbürger
sein, wenn man gleichzeitig auch überzeugter Europä-
er ist und das in seinem Handeln und in seiner Sprache
deutlich macht . Auch das wäre sehr wichtig für den Zu-
sammenhalt der Europäischen Union .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Thomas Oppermann






(A) (C)



(B) (D)


Aber – das gilt für jedes Projekt, das man liebt, für
jedes Projekt, das einem wichtig ist – es gehört Ehrlich-
keit dazu . Das heißt: Europa kann nur erfolgreich sein,
wenn es dynamisch bleibt, wenn wir selbstkritisch sind,
wenn wir anpassungsfähig sind und wenn wir auch nicht
den Reformwillen verlieren . Darum ist es erforderlich,
angesichts der Angriffe von innen wie von außen zu re-
agieren. Zu den Angriffen muss man sagen: Dass diese
von Herrn Putin kommen, gut, daran haben wir uns ge-
wöhnt . Dass er uns und der Europäischen Union nicht gut
gesinnt ist, das wissen die meisten hier, vielleicht bis auf
einige wenige .


(Zurufe von der LINKEN: Oh!)


Aber dass jetzt noch dazu der Präsident der Vereinig-
ten Staaten von Amerika kommt, ist etwas, was ich mir
zumindest in meiner Schulzeit nicht hätte vorstellen kön-
nen . Aber das kann doch nicht heißen, dass wir uns jetzt
hier den ganzen Tag erzählen, wie schlimm die Welt ist,
sondern daraus kann es doch nur eine Konsequenz geben,
nämlich dass wir uns mit allen Kräften darum kümmern,
dass das vornehmste Ziel der deutschen Außenpolitik
Europa sein muss, die Europäische Union sein muss, ein
starkes, ein handlungsfähiges Europa sein muss .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg . Thomas Oppermann [SPD])


Ich will nicht, dass wir, wenn wir in 120 Jahren hof-
fentlich erneut die Römischen Verträge feiern, Austritts-
schreiben im Briefkasten der Europäischen Union haben .
Ob wir die bekommen oder ob wir sie nicht bekommen,
das liegt eben auch an uns . Da will ich schon sagen: Ich
hätte in den vergangenen Jahren Ihrer Kanzlerschaft,
Frau Merkel, gerne etwas von Ihnen darüber gehört, wie
Sie sich Europa vorstellen, wie Ihre Vorstellung von Eu-
ropa ist .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Da hätten Sie mal zuhören sollen!)


Wenn man nicht führt, wenn man nicht erklärt, dann
macht man sich weniger angreifbar – natürlich ist das
einfacher; das verstehe ich schon –, dann polarisiert man
nicht so .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Führen Sie mal Ihre eigene Partei ein bisschen!)


Nur, das Problem ist: Es gibt in der Politik kein Vaku-
um . Das Vakuum wird immer gefüllt, und wenn wir als
Demokraten es nicht füllen, dann füllen es die Populis-
ten . Ich will aber nicht, dass die Populisten uns sagen,
wie es mit Europa weitergehen soll, sondern wir müssen
sagen, was mit Europa passiert .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Michelle Müntefering [SPD])


Auch das will ich sehr klar sagen: Wer glaubt, dass
Europa zu einem reinen Binnenmarkt zurückentwickelt
werden kann, der ist nicht nur naiv, sondern der hat Eu-
ropa bereits abgeschrieben . Die Römischen Verträge, die
die Gründungsmütter und Gründungsväter wollten, sind
eben nicht bloß reine Handelsverträge gewesen; ihnen
ging es immer um eine große europäische Idee .

Machen wir uns doch nichts vor: Auch wir Deutsche
mit all unserer wirtschaftlichen Stärke sind am Ende des
Tages zu klein, um die Probleme, über die wir hier re-
gelmäßig im Parlament reden, ob es die Terrorbekämp-
fung ist, ob es der Kampf gegen den Klimawandel ist,
ob es der Kampf gegen Epidemien oder der Einsatz für
Demokratie ist, zu lösen . Dafür brauchen wir die anderen
Partnerinnen und Partner; aber dann muss man auch mit
den Partnern so umgehen, dass die Partnerschaft erfolg-
reich wird .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Norbert Spinrath [SPD])


Darum hätte ich gerne von Ihnen gehört, dass Sie sa-
gen: Nur wenn es den europäischen Nachbarn gut geht,
dann geht es uns Deutschen gut . Das muss künftig das
Narrativ der deutschen Europapolitik sein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Genau das hat sie gesagt! – Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Davon war doch die Rede!)


– Wir werden es gleich sehen, meine Damen und Herren .

Ich hätte gerne einmal etwas darüber gehört, dass über
40 Prozent Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland und
Spanien eben nicht nur ein griechisches und spanisches
Problem sind, sondern dass das auch ein Problem der
deutschen Innenpolitik ist, meine Damen und Herren;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


denn wenn die Zukunftshoffnungen der Menschen in Eu-
ropa verloren gehen, dann gehen sie regelmäßig leider
nicht zu den Demokraten, sondern dann gehen sie oft
zu den Populisten, und das führt uns nicht weiter . Mei-
ne Damen und Herren, wenn man über Europa spricht,
dann muss man eben auch über Sozialpolitik sprechen .
Dann muss man darüber sprechen, dass ein Europa, das
zukunftsfähig ist, nur ein gerechtes Europa sein kann .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Und ein gerechtes Europa, das bekommen wir nur, wenn
wir verstehen, was jeder Unternehmer weiß: Man kann
sich in der Krise eben nicht nur raussparen, sondern in
der Krise muss man auch investieren, damit der Rubel
wieder rollt,


(Lachen bei der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Der Rubel soll nicht rollen!)


damit die Wachstumszahlen steigen


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Der Rubel eben nicht!)


und damit Arbeitsplätze geschaffen werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Dr . Petra Sitte [DIE LINKE])


Ich freue mich auch – Kollege Oppermann hat es ange-
sprochen –, dass wir mittlerweile an jedem Wochenende
Menschen sehen, junge Menschen, die in europäischen
Städten auf die Straßen gehen und sich versammeln, und
es werden Woche für Woche mehr . Das Motto „Pulse of
Europe“, unter dem sie sich versammeln, bedeutet: Wir

Cem Özdemir






(A) (C)



(B) (D)


alle sind für die Zukunft Europas verantwortlich, jeder
und jede von uns .

Wissen Sie, ich bin ja jetzt lange genug dabei, dass
ich immer so ein bisschen darauf warte: Wann kommt
eigentlich „die bösen Europäer, die Bösen in Brüssel“?
Ich finde es großartig, dass die das nicht sagen. Die sagen
nicht nur nicht: „Die anderen sind schuld“, sondern sie
sagen: Wir sind, jeder von uns ist Europa . Jeder von uns
hat es in der Hand, wie Europa aussieht. – Ich finde, wir
sind diesen jungen Menschen zu großem Dank verpflich-
tet . Den Enthusiasmus, den ich mir hier wünschen wür-
de, finden wir auf den Straßen bei den jungen Menschen,
meine Damen und Herren, und das tut gut . Es tut gut, in
diesen Tagen diesen Enthusiasmus zu hören .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich gestatte mir jetzt einen Exkurs, weil es ja hieß: Wir
sollten türkische Politiker hier reden lassen . – Dazu sage
ich gleich etwas . Aber, Herr Oppermann, wenn türkische
Politiker hier reden dürfen, dann ist es natürlich schwie-
rig, zu begründen, warum dann ein Herr Orban nicht bei
der CSU zu Gast sein soll . Da ist ja eine gewisse Logik .
Also, laden Sie ihn von mir aus ein .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Der Vergleich ist wirklich schräg!)


Aber wenn Sie ihn einladen, dann sagen Sie ihm bitte,
wie Asylpolitik in Europa auszusehen hat, und dann sa-
gen Sie ihm bitte etwas über europäische Werte .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Erzählen Sie ihm doch etwas von Ihren CSU-Bürger-
meistern vor Ort, die eine ganz großartige Politik ma-
chen . Das würde ich mir wünschen: nicht nach dem
Mund reden, sondern Klartext!

Jetzt will ich doch noch etwas zur Türkei sagen . Meine
Damen, meine Herren, ich höre in diesen Tagen immer:
Wir brauchen die Türkei . – Klar . Wer könnte da wider-
sprechen? Aber gerade jetzt ist es wichtig, zu sagen, dass
die Türkei auch uns braucht! Es ist doch nicht so, dass die
Bundesrepublik Deutschland und Europa Mitglied in der
Türkei werden wollen . Die Türkei will Mitglied in der
Europäischen Union werden . Da wäre es doch vielleicht
auch ganz gut, wenn man mal sagt, wer sich wem anzu-
passen hat und wer sich an wessen Normen orientieren
muss .


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Auch das hat sie gesagt, sehr deutlich sogar! Haben Sie es nicht gehört? – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU)


Meine Damen, meine Herren, als wir Teil dieser Bun-
desregierung mit der Sozialdemokratie waren und die
Beitrittsverhandlungen mit der Türkei geführt haben, da
war die Türkei auf dem Reformweg .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben damals Beitrittsverhandlungen initiiert und
haben eine reformorientierte Türkei unterstützt, in der

Eigentum an Christen zurückgegeben wurde, in der über
die kurdische Frage gesprochen werden konnte und in
der die Folter bekämpft wurde . Sie haben eine Türkei,
die sich in die gegenteilige Richtung entwickelt hat, auf
einmal auf Ihrer Karte nicht nur wiederentdeckt durch
den Flüchtlingsdeal, sondern Ihnen konnte es mit den
Beitrittsverhandlungen nicht mehr schnell genug gehen .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wahnsinn! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


Ich gestehe, es überfordert mich intellektuell, zu ver-
stehen, wie die Türkei-Logik dieser Regierung funktio-
niert . Vielleicht liegt es daran, dass es in der Frage der
Türkei bei Ihnen gar keine Logik gibt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber ich wollte gar nicht so polemisch sein . Sie haben
mich einfach dazu provoziert .


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das ist aber eigentlich unter Ihrem Niveau!)


Lassen Sie mich zur Türkei Folgendes sagen: Alle
haben gesagt, dass diese Vorwürfe aus der Türkei mit
dem Nazivergleich absurd sind, dass sie eigentlich so
absurd sind, dass man gar nicht darauf antworten muss .
Ich finde, die beste Antwort geben unsere Lehrerinnen
und Lehrer in der Bundesrepublik Deutschland, die im
Geschichtsunterricht, aber auch in anderen Fächern das
Narrativ unseres Landes „Nie wieder Auschwitz!“ unse-
ren Kindern gemeinsam beibringen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vielleicht nehmen wir das sogar zum Anlass, zu über-
legen, wie wir das künftig vermitteln in Gesellschaften,
in Schulklassen, die bunt zusammengewürfelt sind, da es
ja leider immer weniger Überlebende des Holocaust gibt,
die in die Schulklassen kommen . Ich hatte das Glück,
dass ich eine Überlebende in meiner Schulklasse erlebt
habe . Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie mich das be-
eindruckt hat als jemanden, der so etwas zu Hause nie
gehört hat . Vielleicht müssen wir das künftig gemeinsam
so weiterentwickeln, dass wir in interkulturellen Klassen
gerade ganz besonderen Wert darauf legen, dass dieses
„Nie wieder Auschwitz!“ gelehrt wird, aber auch die Ver-
antwortung aufgezeigt wird, die daraus erwächst: dass
man das nur umsetzen kann, wenn man sich nicht nur
bei uns, sondern in der ganzen Welt dafür einsetzt, dass
Diktaturen keine Chance haben, dass Unterdrückung von
Menschen gemeinsam bekämpft wird .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen, meine Herren, ich will Ihnen mit Blick
auf diese Debatte einen konstruktiven Vorschlag machen:
Lassen Sie uns aufhören, zu streiten, ob türkische Poli-
tiker hier reden sollen oder nicht! Dazu haben wir jetzt
einiges gehört . Sie sollen in Gottes Namen hier reden; sie
sollen sehen, was für ein großartiges Land dies ist .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: In Gottes Namen nicht! – Weitere Zurufe)


Cem Özdemir






(A) (C)



(B) (D)


– In Gottes Gnade .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Auch nicht!)


– Herr Kauder, ich bin immer wieder erstaunt darüber,
wie Sie sich von dem C im Namen Ihrer Partei absetzen .
Aber sei es drum; das machen Sie dann mit Ihren Wäh-
lern aus .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das diskutieren wir nachher aus . Ich habe mich schon ein
paarmal gewundert, wie Sie sich da weiterentwickeln .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ich setze mich vom C nicht ab!)


Wenn sich Ihre Wähler heimatlos fühlen sollten: Ich hätte
da bei uns eine Heimat anzubieten .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/ CSU]: So wird das nix mit den Grünen!)


Aber zurück zum Thema . – Wenn türkische Politiker
hier auftreten, dann erwarte ich von ihnen zumindest
eine Geste des guten Willens in unsere Richtung, dass sie
deutlich machen, dass beispielsweise Deniz Yücel frei-
gelassen gehört, dass beispielsweise auch der Oppositi-
onsführer Selahattin Demirtas freigelassen gehört;


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Michael Brand [CDU/CSU])


der gehört nicht ins Gefängnis, sondern ins Parlament,
damit man sich mit ihm darüber streiten kann, wie die
Richtung der Türkei künftig sein soll .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)


An die Adresse des türkischen Staatspräsidenten: Man
ist nicht stark, wenn man Oppositionelle einsperrt . Man
ist nicht stark, wenn man Angst vor Journalisten hat, weil
sie kritische Fragen stellen könnten . Man ist nicht stark,
wenn man Medien mit Rollkommandos niedermacht,
weil man Angst vor ihren kritischen Berichten hat . Ich
finde, man merkt dem türkischen Staatspräsidenten an,
dass er Angst hat, das Referendum zu verlieren . Wir soll-
ten alles dafür tun, dass er es verliert .


(Beifall des Abg . Michael Brand [CDU/ CSU])


Das wäre eine gute Nachricht für die Demokratie in der
Türkei und eine gute Nachricht für das deutsch-türkische
Verhältnis .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wenn also türkische Politiker – in unser aller Namen,
Herr Kauder – hier Kundgebungen machen wollen, dann
sollen sie sie machen .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: So ist es richtig!)


Dann lade ich Sie ein: Machen wir gemeinsam eine Ge-
genkundgebung – an der Seite der Türkischen Gemeinde,
an der Seite der Alevitischen Gemeinde, an der Seite der
vielen demokratischen türkischen, kurdischen Organisa-
tionen – und zeigen wir, was für eine großartige Demo-
kratie, was für eine großartige Meinungsfreiheit wir hier
haben! Ich glaube, das wäre ein klares Signal Richtung
Ankara und würde dort der Opposition helfen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich sage ein Weiteres: Wir sollten aus den Fehlern der
Vergangenheit lernen. Wir haben die öffentlich-rechtli-
chen muttersprachlichen Angebote zurückgefahren, weil
wir gesagt haben: Die Leute schauen doch sowieso Fern-
sehen aus Russland oder aus der Türkei oder von anders-
wo . – Das rächt sich jetzt . Deshalb schlage ich vor: Ma-
chen wir doch so etwas wie ein deutsch-türkisches Arte!
Stärken wir Angebote in der Muttersprache,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


aber, bitte schön, rechtsstaatlich, ohne Erdogan-Propa-
ganda bei uns! Die braucht keiner; die will keiner .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Michael Brand [CDU/CSU])


Ich will noch etwas sagen, nicht nur an den Bund ge-
richtet, sondern auch an die Länder: Ein Spitzelnetzwerk
à la Erdogan kann in der Bundesrepublik Deutschland
nirgendwo akzeptiert werden:


(Beifall des Abg . Michael Brand [CDU/ CSU])


in keiner Moschee, in keinem Kaffeehaus, bei keinem
Imam, bei keinem türkischstämmigen Lehrer . Da haben
wir auch eine Verantwortung für die Demokraten in der
türkischen Community .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Dann geht mal ran in NRW!)


Sie müssen sich sicher sein, dass sie hier sicher sind und
dass sie den Schutz unserer Gesetze genießen . Hier muss
niemand Angst haben, meine Damen und Herren, vor
dem langen Arm Erdogans .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)


Zum Schluss will ich mich an die Deutschtürken bei
uns in der Bundesrepublik Deutschland wenden: Unsere
Demokratie ist nicht dazu da, in der Türkei eine Diktatur
zu errichten . Deshalb sagt bitte Nein zu Erdogans Ver-
fassungsänderung! Nehmt den Menschen in der Türkei
nicht die Freiheit, die ihr hier in unserem Land gemein-
sam mit uns genießt!

Cem Özdemir






(A) (C)



(B) (D)


Danke sehr .


(Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822101200

Volker Kauder hat nun das Wort für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1822101300

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wenige Wochen vor dem wichtigen Jubiläum
der Unterzeichnung der Römischen Verträge, die dieses
Europa so bedeutend gemacht haben, müssen wir fest-
stellen, dass dieses Europa in keinem guten Zustand ist .
Es liegt nicht an Europa, an den europäischen Institu-
tionen, dass dieses Europa in keinem guten Zustand ist .
Vielmehr sind es die Mitgliedstaaten, die dieses Europa
in diese schwierige Situation bringen . Wenn wir darüber
sprechen, was sich in Europa verändern muss, kann sich
der Blick deswegen nicht nur auf Kommission und Eu-
ropäisches Parlament richten, sondern er muss sich na-
türlich auch automatisch auf einzelne Staaten in Europa
richten .


(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Zum Beispiel Deutschland!)


Insofern ist es natürlich nicht ganz einfach, von die-
sem Pult aus, von diesem Parlament aus, vonseiten dieser
Regierung öffentlich wohlfeile Ratschläge zu erteilen.
Das alles macht es nicht ganz so einfach, Herr Özdemir,
von diesem Pult aus zu etwas aufzufordern . Es ist richtig,
dass wir in Europa miteinander gemeinsame Positionen
vertreten müssen . Genauso wichtig ist aber, dass wir alle
mitnehmen. Ständige öffentliche Belehrungen sind dabei
nicht hilfreich, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Was ist stattdessen zu tun? Es sind gemeinsame Pro-
jekte zu entwickeln, um diesem Europa wieder Mut, Zu-
versicht und Kraft zu geben . Bei diesem gemeinsamen
Entwickeln von Zukunftsprojekten ist es gerade die Bun-
desrepublik Deutschland, die immer wieder neue Ideen
einbringt . Herr Özdemir, wenn Sie genau zuhören wür-
den, hätten Sie gehört, dass die Bundeskanzlerin nicht
gesagt hat: „Hauptsache, Deutschland geht es gut“, son-
dern dass sie auf genau diese Abhängigkeit zwischen der
guten Situation in Deutschland und der guten Situation
in Europa hingewiesen hat – ich zitiere jetzt ihren Satz –:

Das ist … gar nicht hoch genug einzuschätzen in
seiner Bedeutung, weil natürlich zwischen einer gu-
ten Zukunft bei uns in Deutschland und einer gu-
ten Zukunft in Europa ein direkter Zusammenhang
existiert .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Damit ist klar ausgedrückt worden, dass wir genau
wissen, dass wir nur gemeinsam, miteinander, in diesem
Europa vorankommen können . Aber damit muss auch

klar sein, dass es gemeinsame Grundsätze geben muss .
Wenn wir davon sprechen, dass es in Europa Herausfor-
derungen gibt, beispielsweise die Jugendarbeitslosig-
keit, beispielsweise die Arbeitslosigkeit, beispielsweise
Wachstum, dann muss man sich auch fragen: Warum läuft
es in einigen europäischen Ländern schlecht, und warum
läuft es vor allem in Deutschland gut? Da haben Sie doch
in Ihrer Regierungszeit etwas getan, was in Ordnung war .
Insofern kann man fragen: Wo liegt der Unterschied? In
Deutschland sind die Reformen gemacht worden, die
notwendig waren, um wieder Wachstum zu bekommen
und um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen . Diese sind in
anderen Ländern eben nicht gemacht worden .


(Beifall bei der CDU/CSU – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Absolut!)


Wer dieses Erfolgsmodell – die Reformen, die ge-
macht worden sind – jetzt wieder zurückdrehen will, der
sollte sich anschauen, wie das Ergebnis in den europäi-
schen Ländern ist, in denen solche Reformmaßnahmen
nicht durchgeführt worden sind .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich rate dazu, in Europa nicht nach dem Motto zu ver-
fahren:


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: So ein Unsinn!)


Wir müssen nur ein bisschen mehr Geld in den Ausbil-
dungsmarkt hineinwerfen, dann wird es besser . – Ich
sage Ihnen: Das Erfolgsmodell der beruflichen Ausbil-
dung in Deutschland ist das duale Ausbildungssystem .
Sie können den Ländern in Europa noch so viel Geld
geben . Wenn das System der dualen Ausbildung nicht
kommt, wird das keinen Erfolg haben . Deswegen sind
Reformmaßnahmen, neue Strukturen, die den Herausfor-
derungen der Zeit gerecht werden, von zwingender Not-
wendigkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Natürlich ist klar: Dieses Europa muss sich den neuen
Herausforderungen stellen . Es muss Antworten auf die
wirtschaftliche Entwicklung finden;


(Zuruf der Abg . Heike Hänsel [DIE LINKE])


es muss aber auch Antworten auf die außenpolitischen
Herausforderungen finden. Ich gehe einmal davon aus,
Frau Bundeskanzlerin, dass auf dem anstehenden Gipfel
über diese Fragen gesprochen wird .

Es ist notwendig, dass wir in Europa eine gemeinsame
Linie in der Flüchtlingspolitik finden. Man braucht sich
nicht zu wundern, dass es wie in Ungarn zu Fehlentwick-
lungen kommt, wenn die Europäische Union nicht in der
Lage ist, hier eine gemeinsame Antwort zu finden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Diese gemeinsame Antwort muss natürlich heißen: So-
lidarität . Zur Solidarität gehört, dass man Griechenland

Cem Özdemir






(A) (C)



(B) (D)


und Italien mit diesem Problem nicht alleinlässt, liebe
Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg . Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE])


Beide können das alleine nicht leisten . Nach dem Motto
zu leben: „Hauptsache, sie kommen in Griechenland und
Italien an; der Rest interessiert uns nicht“, wird uns nicht
helfen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Deswegen muss Europa eine Antwort auf diese konkrete
Herausforderung finden.

Ich bleibe dabei: Nationale Egoismen dürfen in Euro-
pa nicht dazu führen, dass wir die notwendigen Aufga-
ben nicht lösen . Die Sicherung der gemeinsamen Außen-
grenze ist dann nicht mehr nationale Aufgabe, wenn das
Ergebnis ist, dass eine Sicherung nicht stattfindet. Dann
brauchen wir eine europäische Grenzsicherungspolizei,
die genau diese Aufgabe erfüllt . Wenn die Sicherung der
gemeinsamen Außengrenze nicht gelingt, dann braucht
man sich nicht zu wundern, wenn der eine oder ande-
re zu der Meinung kommt: Dann überlegen wir, ob wir
die Sicherung nicht doch national machen müssen . – Das
wäre genau die falsche Reaktion für ein offenes und frei-
es Europa .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Axel Schäfer [Bochum] [SPD])


Deswegen muss die europäische Grenzsicherung voran-
kommen .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich
hat die Europäische Union die Aufgabe, die Werte, die in
Europa gelten, zu vertreten und dafür zu sorgen, dass sie
auch eingehalten werden . Das gilt für europäische Län-
der wie Polen oder Ungarn, auf die wir mit einiger Sorge
schauen, aber natürlich auch für Länder, die sich in dem
Prozess befinden, sich stärker an Europa zu orientieren
und vielleicht ganz nach Europa zu kommen . Hier gilt
der Grundsatz: Wer nicht bereit ist, die Werte Europas,
zu denen Freiheit, Religionsfreiheit, Menschenrechte,
Rechtsstaatlichkeit gehören, für sich zu akzeptieren, der
ist meilenweit von der Wertegemeinschaft Europa ent-
fernt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Jetzt komme ich zu Ihnen, Herr Özdemir: Wir von der
Union haben immer davon gesprochen – nie etwas ande-
res gesagt –, dass wir eine besondere Beziehung Europas
zur Türkei wollen . Wir haben immer von der Privilegier-
ten Partnerschaft gesprochen . Wenn man uns vorwirft,
dass wir einen Kurswechsel vorgenommen haben, dann
muss man feststellen: Das trifft auf Sie zu, weil Ihnen die
jetzige Situation nicht passt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir hatten immer eine klare Position in dieser Frage .
Ich muss Ihnen, weil Sie vorhin etwas lässig über das
C gesprochen haben, einmal sagen: Seit mehr als einem
Jahrzehnt sind meine Fraktion und ich ganz persönlich

bei dem Thema Religionsfreiheit unterwegs; das wird ja
auch von Ihnen nicht bestritten . In diesen zehn Jahren
und auch schon davor, als Sie eine rot-grüne Regierung
gebildet haben, hat sich an der Situation der Christen in
der Türkei nichts fundamental verändert – null hat sich
verändert .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Aber damals, als Sie an der Regierung waren, konnte ich
nicht feststellen, dass Ihnen das ein besonderes Anliegen
war .

Ich kann nur sagen: Wir haben immer darauf gedrängt,
dass wir mit der Türkei keine weiteren Verhandlungska-
pitel eröffnen, bevor nicht das Kapitel „Menschenrechte,
Rechtsstaat, Religionsfreiheit“ eröffnet wird.


(Zuruf von der LINKEN: Das haben Sie doch!)


– Nein, das ist eben nicht geschehen . – Dazu haben wir
aber nicht unbedingt Zustimmung von allen anderen be-
kommen .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Eben!)


Ich will die Namen derjenigen, die das verhindern woll-
ten, gar nicht nennen .

Trotzdem bleibe ich dabei – das ist meine Botschaft an
die türkische Regierung –: Ihr braucht den Mund nicht so
voll zu nehmen, solange ihr nicht bereit seid, ein Grund-
element von Freiheit, nämlich Religionsfreiheit, in eu-
rem Land zuzulassen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Nicht wir in Deutschland haben Angst vor der Meinungs-
freiheit; wir können ertragen, was da einige Regierungs-
mitglieder sagen . Umgekehrt wird ein Schuh draus: Die
Türkei hat Angst vor der Meinungsfreiheit, meine sehr
verehrten Damen und Herren . Das muss immer wieder
deutlich gemacht werden .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg . Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich muss auch fragen: Wie stellt der türkische Präsi-
dent sich das denn vor? Er sagt: Ich will nach Deutsch-
land kommen, und wenn ich nicht reinkomme, gibt es
einen Riesenaufstand; ich will da reden . – Da muss ich
sagen: Uns passt manches nicht, was da gesagt wird .
Trotzdem finde ich es richtig, dass wir darauf reagie-
ren und sagen: Bei uns gilt die Redefreiheit; ihr könnt
kommen . – Aber im gleichen Atemzug verlange ich, dass
wir in der Türkei auch überallhin können, beispielsweise
nach Incirlik, meine sehr verehrten Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Den Mund voll zu nehmen und zu sagen: „Ich will nach
Deutschland kommen“, aber uns die Reise nach Incirlik
zu verbieten, das geht überhaupt nicht . Das muss man
denen mal sagen .

Volker Kauder






(A) (C)



(B) (D)


Jawohl, ich finde es völlig in Ordnung, wenn Herr
Erdogan oder auch andere in Deutschland sprechen wol-
len . Ich würde aber erwarten, dass wir dort auch einmal
hingehen und lautstark sagen, was wir im Hinblick auf
bestimmte Verhaltensweisen in der Türkei erwarten .


(Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nehmen Sie mich mit!)


Ich bin sehr gespannt, ob Herr Erdogan das ertragen
kann oder nicht . Da würde ich die Reisefreiheit für Ab-
geordnete, die Religionsfreiheit, die Ausbildung von
Priestern für die griechisch-orthodoxe Kirche und vieles
andere mehr nennen . Im Übrigen würde ich auch sagen:
Ein Land, dessen Repräsentanten sich so verhalten wie
Erdogan, braucht sich nicht zu wundern, wenn der Tou-
rismus zurückgeht . In einem solchen Land wollte ich
auch nicht Urlaub machen, meine sehr verehrten Damen
und Herren,


(Beifall bei der CDU/CSU)


um das auch einmal klar und deutlich zu sagen .


(Zuruf von der LINKEN: Billiger Populismus!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, ja, dieses
Europa hat große Aufgaben vor sich, und es gibt eine
Reihe von Problemen. Trotzdem finde ich, dass wir vor
diesen Schwierigkeiten nicht kapitulieren dürfen . Wir
müssen dieses Europa nicht nur als Wertegemeinschaft,
sondern auch als Schicksalsgemeinschaft begreifen .
Dieses Europa hat uns Freiheit, Frieden und Wohlstand
gebracht . In diesem Europa haben wir immer wieder ein-
mal Herausforderungen und auch schwierige Situationen
gehabt . Aber für dieses Europa werden wir überall in der
Welt beneidet . In Asien sagen sie: Wir wären froh und
dankbar, wenn wir eine solche Einrichtung wie ihr in Eu-
ropa hätten .

Ich kann nur sagen: Allein für die mehr als 70 Jahre
Frieden in Europa haben wir Grund jeden Tag dankbar
zu sein .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Aus dieser Dankbarkeit heraus erwächst für uns die Ver-
pflichtung, alles zu tun, damit wir alle miteinander in die-
sem Europa weiter in eine friedliche und gute Zukunft
hineinwachsen können .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822101400

Nächste Rednerin ist die Kollegin Sevim Dağdelen für

die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822101500

Verehrter Herr Präsident! Frau Bundeskanzlerin!


(Die Bundeskanzlerin verlässt die Regierungsbank)


– Ich sehe: Wenn die Opposition spricht, geht Frau Kanz-
lerin . Sie könnten der Opposition hier ruhig zuhören,
Frau Kanzlerin .


(Beifall bei der LINKEN – Die Bundeskanzlerin nimmt in der hinteren Reihe der CDU/ CSU-Fraktion Platz)


Werte Kolleginnen und Kollegen, wenn die Koalition
schon so viel Redezeit hat und die Opposition so wenig,
dann ist das ja wohl nicht zu viel verlangt .


(Zurufe von der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, wir stehen vor einer neuen
Runde der Eskalation durch den türkischen Staatsprä-
sidenten Erdogan und seine Helfershelfer . Gestern hat
der türkische Innenminister Süleyman Soylu auf einer
Kundgebung politische Morde an Andersdenkenden in
Deutschland angekündigt; ja, er hat sie sogar als Wahl-
versprechen abgegeben . Wenn es auch nicht jedem in
diesem Hause klar ist: Damit werden auch deutsche Ab-
geordnete zur Zielscheibe der Mordansagen aus Ankara .
Die Gewaltpolitik aus Ankara muss in Deutschland end-
lich ernst genommen werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Dazu kommt, dass Erdogan seinen Werbefeldzug
für die Diktatur auch in Deutschland durchführen will .
Wie zwei Drittel der deutschen Bevölkerung will auch
die Linke, dass dieser Auftritt verhindert wird . Die Bun-
desregierung kann das rechtlich . Sie muss politisch ver-
hindern, dass eine ganze Generation von jungen Leuten
in Deutschland von der Propaganda Erdogans vergiftet
wird .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir wollen Deutschland nicht zur Wahlarena für Folter
und Einführung der Todesstrafe werden lassen . Erdogan
und seine Minister sind hier nicht erwünscht .


(Beifall bei der LINKEN)


Es ist doch wirklich abenteuerlich, dass der türkische
Außenminister Cavusoglu gestern wortreich in den türki-
schen Medien berichtet, dass es bei dem Treffen mit Au-
ßenminister Gabriel um die Vorbereitung eines Auftritts
von Erdogan in Deutschland gegangen sei, und Gabriel
selber schweigt sich dazu aus . Ich sage Ihnen: Diese Tür-
keipolitik der Bundesregierung hat nichts mit Dialog zu
tun .

Der Merkel/Erdogan-Pakt hat die Bundesregierung
erpressbar gemacht .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist doch Unsinn!)


Volker Kauder






(A) (C)



(B) (D)


Sie haben zu den Entwicklungen in der Türkei lange Zeit
geschwiegen .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das wird durch Wiederholung nicht besser!)


Frau Merkel, Sie haben den Satiriker Böhmermann auf
Verlangen Erdogans zum Abschuss freigegeben .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Mein Gott! Das ist echt unter Niveau!)


Bei der Armenien-Resolution haben Sie sich auf Verlan-
gen von Erdogan im Bundestag feige davongemacht und
sich später auch noch davon distanziert . Als wir Abge-
ordnete wegen dieser Resolution von Erdogan bedroht
wurden und er Bluttests von uns gefordert hat, weil un-
ser Blut verunreinigt sei, haben Sie geschwiegen, Frau
Merkel . Als die Besuchsverbote für Abgeordnete auf
dem Militärstützpunkt Incirlik ausgesprochen wurden,
haben Sie gebettelt und die Bundeswehr dort belassen,
obwohl bis heute keine Einreise möglich ist .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wovon reden Sie eigentlich? Ist ja unglaublich!)


Wann immer es bei Wahlen für Erdogan auf Messers
Schneide stand, sind Sie ihm sofort zu Hilfe geeilt . Der
Merkel/Erdogan-Pakt hat Sie erpressbar gemacht . Ihr
Gewährenlassen hat ihn jedes Mal ermutigt, weiterzuma-
chen .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Schauen Sie doch mal Nachrichten, damit Sie besser informiert sind, deutsche Nachrichten vor allen Dingen!)


Das ist kein Dialog, meine Damen und Herren . Das ist
schlicht hässliche Geopolitik, die Demokratie und Men-
schenrechte opfert .


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb verlangen wir Linke: Diese Politik muss aufhö-
ren . Sie muss beendet werden .

Dazu passt, dass der deutsche Rüstungskonzern Rhein-
metall jetzt auch noch eine Panzerfabrik in der Türkei
einrichten möchte und die Bundesregierung grünes Licht
dazu gibt. Sie liefern Waffen an Erdogan, obwohl Sie
wissen, dass Erdogan damit den Krieg gegen die Kurden
führt. Sie liefern Waffen an Erdogan, obwohl Sie genau
wissen und nicht ausschließen können, dass diese Waffen
an islamistische Terrorgruppen wie Ahrar al-Sham oder
sonstige von der türkischen Regierung weitergegeben
werden. Sie liefern Waffen an Erdogan, obwohl Sie er-
klären, dass die Türkei unter dem Muslimbruder Erdogan
zu einer zentralen Aktionsplattform für den islamisti-
schen Terrorismus in der ganzen Region geworden ist .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich finde, diese Rüstungsexporte sind kein Beitrag zum
Dialog . Sie sind ein Beitrag zum Unfrieden, und deshalb
müssen sie gestoppt werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir fordern eine radikale Wende in der deutschen Tür-
kei-Politik .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822101600

Frau Kollegin Dağdelen, die Bundeskanzlerin ist in

Kenntnis aller Fraktionen ab 11 Uhr zur Abreise zu genau
dem Europäischen Rat – –


(Zurufe von der LINKEN)


– Ja, ich habe das mitbekommen, aber Frau Dağdelen of-
fenkundig nicht .


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Viertel vor 11 haben wir!)


Und sie hat während Ihrer ganzen Rede hier im Ple-
num – –


(Zuruf von der LINKEN: Nein, sie hat geschwänzt! – Widerspruch bei der CDU/CSU)


– Soll ich vortragen, wen ich in ähnlicher Tätigkeit von
hier oben aus beobachtet habe?


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte überhaupt darauf hinweisen, dass ich, wenn
ich die Präsenz im Plenum mit der auf der Regierungs-
bank vergleiche, nicht finden kann, dass wir Anlass zur
Beschwerde haben .


(Zuruf von der LINKEN: Na ja!)


Das ist die ganze Wahrheit .

Das Wort hat nun der Kollege Norbert Spinrath für die
SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Norbert Spinrath (SPD):
Rede ID: ID1822101700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! In wenigen Tagen feiert
Europa den 60 . Jahrestag der Römischen Verträge . Ein
Traum der Vordenker eines geeinten Europas ist Wirk-
lichkeit vieler, aber nicht aller geworden . Frieden und
Wohlstand waren die Versprechen, die mit der Gründung
der späteren Europäischen Union gemacht wurden .

Beim Frühjahrsgipfel stehen wie immer die Themen
Wachstum und Beschäftigung auf der Tagesordnung . Ich
wünschte mir, die Staats- und Regierungschefs hätten
mehr Zeit und auch mehr Willen, sich intensiver mit die-
sen Themen zu beschäftigen . Es geht darum, Wohlstand
für alle zu schaffen und zu sichern. Ich appelliere an die
Bundesregierung, dafür Sorge zu tragen, dass es zu einer
hinreichenden Beschäftigung mit diesen Themen kommt .

Noch immer haben wir ein sehr ungleiches Wachstum
in der Union . In einer Reihe von Mitgliedstaaten gibt
es zu viele Arbeitslose – insbesondere junge Menschen
leiden unter der Arbeitslosigkeit –, und wir haben noch
immer große Ungleichheiten bei den Beschäftigungsbe-
dingungen und bei den Lebensstandards. Offene Märk-
te, liebe Kolleginnen und Kollegen, dürfen nicht nur der

Sevim Dağdelen






(A) (C)



(B) (D)


Wirtschaft nutzen, sie müssen auch den Menschen die-
nen .


(Beifall der Abg . Bettina Bähr-Losse [SPD])


So sollen alle Menschen in Europa am steigenden Wohl-
stand teilhaben; denn nur so gibt es für die Bürgerinnen
und Bürger einen europäischen Mehrwert . Das heißt für
mich: Nur ein soziales Europa wird den Zusammenhalt
der Bevölkerung, den wirklichen Willen zu einer Einheit
Europas, aber auch den Zusammenhalt der Mitgliedstaa-
ten stärken . Nur dann gelingt es, die Interessen der Men-
schen und der Märkte endlich zusammenzubringen .


(Beifall bei der SPD)


Die wichtigen Themen Wachstum und Beschäftigung,
aber auch weitere wichtige Themen wie Migration, äuße-
re Sicherheit und Verteidigung werden allerdings in ei-
nem schmalen Zeitkorsett, an nur einem Tag, behandelt;
denn einmal mehr ist die Union im Krisenmodus . Am
zweiten Tag des Gipfels beschäftigt man sich mit dem
Austritt des Vereinigten Königreichs aus der europäi-
schen Familie . Eng damit verbunden – das ist zwingend
und notwendig – ist die Diskussion über die Zukunft der
EU der 27 .

Ich danke Jean-Claude Juncker und der EU-Kom-
mission, dass sie für die Diskussion das Weißbuch zur
Zukunft Europas vorgelegt haben . Vorschläge über die
Zukunft der Union gab es ja hinreichend und schon län-
ger, so zum Beispiel im Fünf-Präsidenten-Bericht, der
konkrete Vorschläge und konkrete Zeitpläne für die Wei-
terentwicklung enthält, zum Beispiel zur Vollendung der
Wirtschafts- und Währungsunion . In vielen Mitgliedstaa-
ten gab es darüber aber kaum politische Diskussionen,
noch weniger gab es die Bereitschaft zu weiteren Schrit-
ten zur Vertiefung . Lieber agiert man weiter im Krisen-
modus; man wartet ab, sitzt häufig genug Probleme aus.
Ich denke, es ist angesichts der globalen Veränderungen,
angesichts diverser Themen, die dringend einer Lö-
sung bedürfen, und angesichts eines sich verbreitenden
Rechtspopulismus und nationaler Egoismen an der Zeit,
sich endlich klar zum europäischen Geist zu bekennen
und nicht unterschiedliche Geschwindigkeiten zu fahren .
Es geht nicht um weniger Europa, sondern darum, mehr
Europa zu wagen, und zwar im Sinne der Menschen in
Europa .


(Beifall bei der SPD)


Herr Juncker zeigt den Mitgliedstaaten in seinem
Weißbuch fünf Szenarien und damit ihre Wahlmöglich-
keiten auf . Wir als SPD-Fraktion sprechen uns klar für
eine Weiterentwicklung der Europäischen Union in Gän-
ze aus, für eine Vollendung der Wirtschafts- und Wäh-
rungsunion . Die Union darf sich eben nicht auf den Bin-
nenmarkt und die Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen
reduzieren . Diesem Szenarium erteilen wir eine ganz
klare Absage . So, wie wir die vier Grundfreiheiten bei
den Austrittsverhandlungen gegen die Briten verteidigen,
verteidigen wir sie für die zukünftig verbleibende EU
der 27 . Wir wollen hin zu einer Wirtschafts- und Wäh-
rungsunion mit echtem gemeinsamem Handeln, zu ei-
nem sozialen Europa mit gemeinsamen Sozialstandards
statt Sozialdumping, zu mehr Arbeitnehmerrechten auch

auf europäischer Ebene . Wir wollen Familien stärken,
Teilhabe am Wohlstand sichern und soziale Gerechtig-
keit nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa .

Mit meinem Dank für Ihre Aufmerksamkeit will ich
noch eines sagen: Die größte Bedrohung für den sozialen
Frieden innerhalb Europas ist aus meiner Sicht die Per-
spektivlosigkeit junger Menschen; denn wer selbst keine
Perspektiven mehr hat, wird schwerlich für die zukünfti-
gen Generationen Perspektiven und dauerhaften sozialen
Frieden schaffen können.


(Beifall bei der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822101800

Vielen Dank, Norbert Spinrath . – Guten Morgen, liebe

Kolleginnen und Kollegen!

Bevor Dr . Hans-Peter Friedrich sich auf den Weg
macht, möchte ich ganz herzlich die Deutsch-Mongoli-
sche bzw . Mongolisch-Deutsche Parlamentariergruppe
hier bei uns im Deutschen Bundestag begrüßen .


(Beifall)


Seien Sie uns willkommen, und lauschen Sie dem nächs-
ten Redner, Dr . Hans-Peter Friedrich für die CDU/
CSU-Fraktion .


Dr. Hans-Peter Friedrich (CSU):
Rede ID: ID1822101900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

60 Jahre Erfolgsgeschichte Europas, aber Europa in
schwerem Fahrwasser – ich glaube, das ist die Zusam-
menfassung der aktuellen Situation . Aber, wie wir wis-
sen, liegt in jeder Krise auch eine Chance .

Kollege Oppermann hat es vorhin angesprochen: Es
gibt viele Menschen in Deutschland und in anderen Län-
dern, die aufgerüttelt sind von dieser schwierigen Situati-
on in Europa . Sie erkennen, dass die Teilstaaten Europas
für sich allein genommen keine Chance haben, eine Rolle
zu spielen, weder ökonomisch noch außenpolitisch noch
geopolitisch, wenn wir dieses Europa nicht zusammen-
halten . Das 21 . Jahrhundert wird nicht das Jahrhundert
der Europäer sein, die Entwicklung wird über uns hin-
wegrollen, wenn wir nicht in der Lage sind, dieses Euro-
pa zusammenzuhalten .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Axel Schäfer [Bochum] [SPD])


Das verstehen die Menschen .

Unsere zweite Chance besteht darin, dass wir in dieser
Krisensituation über die Fehler nachdenken können, die
in den letzten 60 Jahren gemacht wurden . Ich empfehle
dringend, zu erkennen, dass das Hauptproblem in Europa
im Moment darin besteht, dass eine Akzeptanz der Euro-
päischen Union bei den Bürgern, vorsichtig gesagt, nur
sehr eingeschränkt vorhanden ist . Deswegen empfehle
ich uns, dass wir auf dieses Europa aus dem Blickwin-
kel der Bürger schauen und nicht aus dem Blickwinkel
irgendwelcher wissenden Eliten . Die Bürger fragen: Was

Norbert Spinrath






(A) (C)



(B) (D)


geht es eigentlich Europa an, wie wir den Feinstaub in
Leipzig messen?


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Luftqualität!)


Was geht es eigentlich Europa an, wie wir im Franken-
wald und im Fichtelgebirge unsere Felder düngen, ob-
wohl wir das seit Jahrhunderten machen, ohne dass es in
Brüssel jemanden gab, der schlauer war?


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil Umweltschutz keine Grenzen kennt!)


Und was fällt eigentlich Europa ein, uns ein FFH-Gebiet
als Hindernis für den Bau einer Straße von A nach B vor-
zugeben?


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen empfehle ich uns, dass sich Europa auf die
politischen Gebiete beschränkt, die aus der Sache heraus
für jeden erkennbar nur auf europäischer Ebene gelöst
werden können .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche sind das denn?)


Da gibt es wichtige Bereiche,


(Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie meinen Umweltschutz!)


zum Beispiel die innere Sicherheit . Wenn sich die Terro-
risten, wenn sich die Verbrecher in Europa herumtreiben,
dann gibt es nur eine einzige Antwort: Wir müssen die
Zusammenarbeit der Sicherheitskräfte, der Polizeien in
Europa organisieren .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, die Menschen im Baltikum
haben das schon verstanden . Sie fühlen sich von Russ-
land bedroht . Deswegen wollen sie eine europäische Ver-
teidigungsunion . Ich bin froh, dass wir jetzt auf diesem
Weg sind; denn auch im Rest Europas werden die Men-
schen bald verstehen, dass es den Amerikanern ernst ist,
wenn sie sagen – übrigens nicht erst seit Donald Trump,
sondern schon seit zehn Jahren –: Europa ist reich und
stark genug, um sich selbst zu verteidigen . – Jetzt müssen
wir das aber auch organisieren; das leuchtet jedem ein .
Das werden wir den Bürgern auch vermitteln können .


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Aha!)


Die Frau Bundeskanzlerin hat es angesprochen: Wir
müssen das Thema Digitalisierung gestalten . Jeder
Mensch weiß, dass es kein regionales Netz gibt . Es gibt
das weltweite Netz, das nicht 9 Millionen Österreicher
und noch nicht einmal 82 Millionen Deutsche gestalten
können, sondern das nur 500 Millionen europäische Ver-
braucher gemeinsam gestalten können . Dann wird ein
Schuh daraus . Das verstehen die Leute . Deswegen muss
sich Europa darauf konzentrieren .

Ein weiteres Thema ist die Energieunion . Wenn wir
Europa unabhängiger vom Gas der Russen und vom Öl
der Scheichs machen wollen, dann müssen wir einen

Energiemix in ganz Europa organisieren . Dafür brauchen
wir Europa . Das wird jeder verstehen; das leuchtet jedem
ein .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau deswegen machen Sie Nord Stream 2?)


Außerdem müssen wir Europa aus dem Blickwinkel


(Abg . Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– keine Zwischenfragen! – der Bevölkerung sehen . Viele
Menschen fühlen sich durch Europa bevormundet . Ex-
emplarisch wurde das an dem Ausspruch deutlich, der
zum Brexit geführt hat: Wir wollen unser Land zurück . –
Das war der Slogan derjenigen, die den Brexit favorisiert
haben . Auf diese Ängste der Bevölkerung gibt es nur eine
einzige Antwort .


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bayern First!)


Sie lautet: Wir müssen die Selbstverantwortung der Regi-
onen und der Mitgliedstaaten stärken .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Genau!)


Wir müssen von ihnen verlangen, dass sie Verantwortung
übernehmen, und die Verantwortung auch dort verorten .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822102000

Herr Friedrich, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder

-bemerkung von – –


Dr. Hans-Peter Friedrich (CSU):
Rede ID: ID1822102100

Nein .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822102200

Zeit haben Sie jede Menge .


Dr. Hans-Peter Friedrich (CSU):
Rede ID: ID1822102300

Frau Präsidentin, ich muss jetzt im Fluss bleiben .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822102400

Wollen Sie wissen, wer sie Ihnen stellen möchte?


Dr. Hans-Peter Friedrich (CSU):
Rede ID: ID1822102500

Als Beispiel nenne ich Ihnen einmal –


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822102600

Gut .


Dr. Hans-Peter Friedrich (CSU):
Rede ID: ID1822102700

– das Thema Staatsverschuldung . Wir haben hier in

diesem Hohen Haus entschieden, dass wir in Deutsch-
land keine weitere Staatsverschuldung wollen; denn
wer heute Staatsverschuldung betreibt, belastet sich und
macht sich morgen handlungsunfähig . Die Aufnahme der
schwarzen Null und der Schuldenbremse in das Grund-
gesetz wurde gemeinsam von allen wichtigen Fraktionen

Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)







(A) (C)



(B) (D)


im Haus verabschiedet . Andere Leute sehen das aber an-
ders . Die Italiener und die Griechen sagen: Lieber heute
schön leben als an morgen denken!


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich denke, Sie wollen Europa zusammenhalten?)


Wenn dem so ist, müssen wir sagen: Liebe Freunde, dann
müsst ihr die Suppe selber auslöffeln. – Auch das ist De-
mokratie: für die Folgen einstehen, die man selber aus-
gelöst hat .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So macht man Europa kaputt! – Dr . Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Populismus!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, weil Sie
sich so aufregen: Ihr großer Kandidat Schulz erzählt uns
allen Ernstes, wir bräuchten Euro-Bonds, Haftungsunion
und Transferunion .


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aufgeblasener CSU-Gockel!)


Das ist Quatsch in Tüten . Wir müssen die Verantwortung
dort festmachen, wo sie liegt, nämlich bei der Unfähig-
keit der Nationalstaaten, Reformen durchzuführen . Kol-
lege Kauder hat das vorhin angesprochen .

Die zweite Schnapsidee Ihres großen Kandidaten
Martin Schulz besteht darin, die Sozialsysteme in Europa
zu vergemeinschaften . Damit ist er schon in den Euro-
pawahlkampf gezogen, Stichwort „gemeinsame Arbeits-
losenversicherung“ . Glauben Sie allen Ernstes, dass die
deutschen Arbeitnehmer dafür zahlen werden, dass die
sozialistischen Regierungen in Südeuropa unfähig sind,
Arbeitsmarktreformen zu machen und Wettbewerbsfä-
higkeit herbeizuführen? Das glauben Sie doch nicht allen
Ernstes .


(Beifall bei der CDU/CSU – Norbert Spinrath [SPD]: Sie haben es nicht verstanden!)


Europa aus der Sicht der Bürger zu sehen, heißt auch,
dass wir keine falschen Versprechungen machen . Ich lese
in den Schlussfolgerungen, wir müssten die Jugendar-
beitslosigkeit beseitigen und die Wettbewerbsfähigkeit
herstellen . Meine Damen und Herren, ohne Reformen in
den Ländern geht das nicht . Europa hat nicht die Mittel,
sondern die Länder haben die Mittel . Wenn die Griechen,
die Italiener und die Franzosen die Massenarbeitslosig-
keit bekämpfen wollen und ihre jeweilige Regierung
dazu unfähig ist, dann müssen diese Regierungen ab-
gewählt werden . Das ist die Alternative, da müssen wir
hinkommen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Vorhin ist vom Kollegen Kauder schon angesprochen
worden – zu diesem Thema steht übrigens auch etwas in
dem Weißbuch, das Herr Juncker jetzt vorgelegt hat –,
dass wir in Europa das Potenzial unserer Talente aus-
schöpfen müssen . Wie können wir das Potenzial unserer
Talente ausschöpfen? Zum Beispiel, indem wir eine gute

Bildungspolitik betreiben . Die Kompetenz für die Bil-
dungspolitik liegt aber nicht in Brüssel .


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich frage mich nur, wo die Kompetenz der Union liegt!)


Und glauben Sie mir: Bayern wird die Bildungskompe-
tenz auch nicht an Brüssel abgeben, nur weil einige in
Südeuropa nicht in der Lage sind, eine vernünftige Bil-
dungspolitik zu machen .


(Dr . Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bayern First!)


Deswegen sage ich: Wir müssen aufhören, den Men-
schen mehr zu versprechen, als Europa halten kann, weil
es die Instrumente dafür gar nicht hat . Wir müssen viel-
mehr sagen: Dann liegt die Verantwortung eben bei den
Mitgliedstaaten, die dafür auch die Kompetenzen haben .


(Dr . Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch besser bei Bayern! Alle Verantwortung bei Bayern! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Das wäre gut!)


Die Kommission sagt, wir müssten in diesem Jahr
oder im nächsten Jahr, in 2018, entscheiden, wie es mit
Europa weitergeht . Das müsse 2018 entschieden sein,
weil 2019 die Bürger entscheiden . – Allein daran können
Sie schon den Denkfehler erkennen . Lassen wir doch die
Bürger über die Zukunft Europas entscheiden . Ich mache
Ihnen einen Vorschlag: Sie gehen einmal gemeinsam mit
Ihren sozialistischen Freunden in Brüssel in sich und for-
mulieren eine Vision Ihres sozialistischen Europas,


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja peinlich!)


und wir gehen einmal mit unseren Freunden aus der
EVP-Fraktion in uns und formulieren die Vision eines
wirtschaftlich starken christdemokratischen Europas,


(Christine Lambrecht [SPD]: Bleiben Sie doch nicht unter Ihren Möglichkeiten! – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


und dann lassen wir die Bürgerinnen und Bürger ent-
scheiden, vielleicht schon am 24 . September dieses Jah-
res . Das wäre doch eine Möglichkeit,


(Beifall bei der CDU/CSU)


statt mit Spitzenkandidaten aufzuwarten, von denen der
eine einen Bart hat und der andere nicht . Darum geht es
doch nicht . Es geht um politische Inhalte .


(Norbert Spinrath [SPD]: Welche politischen Inhalte habt ihr denn?)


Wir wollen, dass die Bürger über diese politischen Inhal-
te entscheiden . Dann wird ein Schuh daraus .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube,
dass Europa eine Veränderung seines Selbstverständnis-
ses braucht . Die europäischen Institutionen müssen er-
kennen, dass sie den politischen Willen der Bürger Euro-

Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)







(A) (C)



(B) (D)


pas ausführen und nicht dazu da sind, die Bürger Europas
zu belehren .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deswegen, liebe Frau Bundeskanzlerin,


(Christine Lambrecht [SPD]: Sie ist schon längst weg! Die wollte Sie nicht hören!)


machen Sie sich auf den Weg zum Europäischen Rat . Sie
sind die Einzige, die in der Lage ist, Europa zu führen .
Aber Sie müssen es auch tun .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822102800

Vielen Dank, Dr . Hans-Peter Friedrich . – Das Wort zu

einer Kurzintervention hat Annalena Baerbock .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Dr . Friedrich, da Sie ja hier so da-
für geworben haben, in den Dialog zu treten, verwundert
es doch, warum Sie keine Zwischenfragen zulassen .


(Dr . Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Dialog? Den wollte ich nicht mit Ihnen!)


– Nein, Dialog wollen Sie nicht . Genau, das unterstrei-
chen Sie noch einmal . – Man kann Europa ja hervorra-
gend gestalten, wenn man keinen Dialog will; das haben
Sie eben noch einmal deutlich gemacht . Wenn das die
Position der CDU/CSU bzw . die Europakompetenz der
Union ist, dann muss einem wirklich angst und bange
werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Frau Bundeskanzlerin ist ja vorhin schon gegan-
gen . Sie haben sich empört, als Cem Özdemir gesagt hat,
dass man stärker darauf achten muss, dass man nicht nur
„Deutschland zuerst“ denkt . Sie haben in Ihrer Rede jetzt
noch einmal bewiesen, dass das genau Ihr Ansatz ist . Wie
können Sie es eigentlich wagen, wenn wir 60 Jahre Rö-
mische Verträge, 60 Jahre Solidarität, 60 Jahre Miteinan-
der feiern, zu sagen, dass die anderen ihre Suppe selber
auslöffeln müssen? Das widerspricht dem Grundgedan-
ken der Europäischen Union .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Ich komme zu meiner Frage, die Sie nicht beantwor-
ten wollten . Sie haben hier gefragt, was Luftqualität in
Deutschland mit der EU zu tun hat . Vielleicht schauen
Sie sich die Verträge einmal an . Sie sehen eine Kompe-
tenzübertragung im Umweltbereich vor, weil Luft und
Wasser eben keine Grenzen kennen . Wenn in einem Land
die Luft verschmutzt wird, dann geht diese verschmutz-
te Luft auch direkt über die Grenze . Wenn Sie jetzt hier
herumtönen – das sind ja immer so schöne populistische
Phrasen –, Europa müsse sich um das Große kümmern
und nicht nur um das Kleine, dann möchte ich einmal
wissen: Steht die CDU/CSU, steht die Union dafür, dass

wir die Kompetenzen im Umweltschutz- und im Klima-
schutzbereich auf die nationale Ebene zurückverlagern?
Ist das Ihre Forderung?

Was Sie hier gerade ausgemalt haben, widerspricht
auch dem, was Sie zur Unabhängigkeit vom „Russen-
gas“ gesagt haben . Wie wollen Sie denn eine gemeinsa-
me Energiepolitik schaffen, wenn Sie der Europäischen
Union keine Kompetenzen im Bereich Umweltschutz
und Klimaschutz geben wollen? Das müssen Sie erklä-
ren, sehr geehrter Herr Kollege .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822102900

Jetzt Dr . Friedrich .


Dr. Hans-Peter Friedrich (CSU):
Rede ID: ID1822103000

Frau Kollegin, ohne dass ich mit Ihnen in den Dialog

treten will,


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann sind Sie hier falsch, Herr Friedrich! Im Parlament wird diskutiert!)


will ich Ihnen sagen: Sie haben offensichtlich nicht zuge-
hört . Ich habe gesagt, dass es in Europa und in unserem
Gemeinwesen unterschiedliche Verantwortungsebenen
gibt, dass jede Ebene ihrer Verantwortung gerecht wer-
den muss und dass man nicht sagen kann, dass alles, was
wichtig ist, jetzt in Europa gemacht wird . Vielmehr müs-
sen die Kompetenzen da, wo sie sind, ausgeübt und ver-
antwortet werden . So funktioniert Demokratie . In einer
Kommune werden die Dinge entschieden, die die Kom-
mune betreffen. In einem Mitgliedstaat werden die Dinge
entschieden, die den Mitgliedstaat angehen . Nur da, wo
Europa betroffen ist, wo europäische Themen betroffen
sind, muss Europa wirklich entscheiden . Das ist doch der
Punkt, über den wir reden .


(Dagmar Ziegler [SPD]: Aber das wissen wir schon! – Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das ist jetzt erstes Semester Volkswirtschaftslehre!)


Das Entscheidende ist, dass man sich beschränken muss .

Sie sprachen von der Umweltpolitik und sagten, Was-
ser und Luft kennen keine Grenzen . Das alles ist mir be-
kannt .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja! Sind Sie sicher?)


Nur, meine sehr verehrten Damen und Herren, das be-
deutet doch nicht, dass Europa diese Politikbereiche re-
geln muss . Hier kann jedes Mitgliedsland in seiner Zu-
ständigkeit Regelungen treffen. Sie können doch nicht
sagen: Alles, was wichtig ist, muss möglichst weit oben
entschieden werden .


(Dr . Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Hören Sie doch mal richtig zu! – Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das Dr. Hans-Peter Friedrich hat sie doch gar nicht gesagt! Sie hat etwas ganz anderes erzählt!)





(A) (C)


(B) (D)


Dann müssten Sie alles von der UNO entscheiden lassen,
weil es viele wichtige Dinge gibt . Entscheidend ist viel-
mehr, dass jeder auf seiner Ebene seine Hausaufgaben
macht .

Arbeitsmarktpolitik und Sozialpolitik sind Aufgaben
der Nationalstaaten . Das sind auch die Aufgaben, die
hier im Deutschen Bundestag wahrgenommen werden .
Sie müssen ebenso in den Parlamenten in Griechenland,
Italien, Spanien und Frankreich wahrgenommen werden .
Das ist meine Rede .

Ich sage Ihnen: Wir müssen die Verantwortung da
haben, wo sie liegt, und dürfen nicht so tun, als könne
Europa alle Probleme lösen . Die Europäische Kommissi-
on ist keine Überregierung und kein Reparaturbetrieb für
unfähige Regierungen


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Das stimmt!)


– das müssen Sie endlich einmal zur Kenntnis nehmen –,
sondern die Europäische Union ist ein ausführendes
Organ für den Willen der europäischen Bürger . Das habe
ich Ihnen deutlich zu machen versucht . Aber wenn Sie
das noch nicht verstanden haben – ich hätte noch Zeit –,
dann reden wir darüber noch .


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ha, ha! – Oh, wie nett!)


Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Chauvinismus!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822103100

Ich bin froh, dass wir ein Parlament haben – Herr

Dr. Friedrich sieht das hoffentlich genauso –, das so stark
ist, dass es Dialoge führt und Kontroversen austrägt, und
in dem wir miteinander diskutieren . Das ist der Unter-
schied zu anderen Parlamenten, über die wir heute Mor-
gen schon geredet haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Nächster Redner: Andrej Hunko für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Andrej Hunko (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822103200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr

Dr . Friedrich, auch ich muss ganz ehrlich sagen: Das,
was Sie hier eben abgeliefert haben, war wirklich Natio-
nalchauvinismus von der übelsten Sorte .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Lachen des Abg . Max Straubinger [CDU/CSU])


Von den Feindbildern, die Sie im Hinblick auf Südeuro-
päer bedient haben, will ich mich ausdrücklich distan-
zieren .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen kurz vor dem 60 . Jahrestag der Römi-
schen Verträge eine ernsthafte Debatte über Europa . Ich
beginne mit einem Zitat:

Ein steigender Anteil von Menschen, die dauerhaft
nicht von ihrer Arbeit leben können, untergräbt die
Legitimität unserer Wirtschafts- und Gesellschafts-
ordnung .

Das sagte nicht der Vorsitzende der Rosa-Luxem-
burg-Stiftung, sondern der Vorsitzende der Bertels-
mann-Stiftung, Aart de Geus, nach der Veröffentlichung
des Social Justice Index 2016, also der Studie über die
soziale Gerechtigkeit in Europa; ich denke, da hat er
recht . Diese Studie beschreibt den wachsenden Anteil der
Working Poor, von Menschen, die von ihrer Arbeit nicht
leben können . Das hat sehr viel mit Europapolitik zu tun,
und das hat viel mit europäischen Strukturen zu tun . Da-
rüber müsste man in dieser Krise Europas viel mehr re-
den als zum Beispiel über neue Militärausgaben und eine
Militarisierung der EU .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Europäische Kommission – wir haben Jean-Clau-
de Juncker vor einem Jahr mit dem EU-Ausschuss be-
sucht – hat sehr wohl erkannt, dass die soziale Frage
auch die Legitimität der Europäischen Union untergräbt .
Sie hat eine Initiative gestartet, die sogenannte europäi-
sche Säule sozialer Rechte . Das hört sich groß an, und
dem könnte man erst einmal zustimmen . Je genauer man
hinschaut, desto kleiner wird sie aber . Es ist wie beim
Scheinriesen in Jim Knopf und Lukas der Lokomotivfüh-
rer: Am Anfang erscheint sie sehr groß; am Ende sind es
aber nur ein paar Kriterien für ein Leistungsscreening der
EU-Staaten . Das reicht bei weitem nicht aus . Wir brau-
chen eine deutliche Wende hin zu echten sozialen Rech-
ten in Europa und nicht nur ein bisschen Kosmetik .


(Beifall bei der LINKEN)


Letzte Woche ist das Weißbuch der Europäischen
Kommission veröffentlicht worden. Dort sind fünf Sze-
narien aufgezeigt worden, wie sich die EU entwickeln
könnte. Ich finde es gut, dass eine offene Debatte geführt
und auf der Grundlage von Szenarien diskutiert wird .
Lange Zeit war es ja so, dass ein bestimmter Weg im-
mer als alternativlos dargestellt wurde . Bei diesen fünf
Szenarien sucht man aber vergeblich nach einem sozia-
len Szenario, zum Beispiel nach der Bekämpfung der Ju-
gendarbeitslosigkeit in Südeuropa oder des wachsenden
Anteils von Working Poor. Stattdessen findet eine zuneh-
mende Diskussion – auch in dem Weißbuch – über eine
neue Militarisierung der EU statt .

Auf dem Gipfel, zu dem Frau Merkel gerade gefahren
wird, wird ernsthaft über die Einrichtung eines militäri-
schen Hauptquartiers der EU beraten, und Gegenstand
der Diskussion ist auch die Erreichung des 2-Pro-
zent-Ziels der NATO . Wir sagen ganz klar Nein zu dieser

Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)







(A) (C)



(B) (D)


massiven Aufrüstung . Das würde in Deutschland näm-
lich bedeuten, den Militäretat von 36 Milliarden Euro auf
über 60 Milliarden Euro pro Jahr zu erhöhen .

Herr Oppermann, Sie haben eben gesagt, Sie würden
das als unrealistisch ansehen. Ich hoffe, Sie lehnen das
ganz klar ab .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir bringen hier einen Antrag ein, der nichts weiter for-
dert, als dass der Bundestag diese Erhöhung bis zum Jah-
re 2024 ablehnt,


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


und ich bin gespannt, ob Sie ihm zustimmen werden . Ich
glaube, diese Ehrlichkeit und dieses Signal brauchen die
Menschen in Deutschland .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822103300

Vielen Dank, Andrej Hunko . – Nächster Redner:

Christian Petry für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Christian Petry (SPD):
Rede ID: ID1822103400

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren!

Der Friederich, der Friederich,
Das war ein arger Wüterich!


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822103500

Ich nehme an, das war ein Zitat .


Christian Petry (SPD):
Rede ID: ID1822103600

Das war ein Zitat, und es geht noch weiter:

Er fing die Fliegen in dem Haus
Und riss ihnen die Flügel aus .


(Heiterkeit bei der SPD und der LINKEN)


Herr Friedrich, das, was Sie hier vorgetragen haben,
ist wirklich besonders: Zum einen rütteln Sie an den
Grundfreiheiten . Sie wollen die Arbeitsmarkt- und Sozi-
alpolitik wieder nationalisieren und regionalisieren .


(Dr . Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Sie ist national!)


Sie rütteln an der Personenfreiheit und der Warenver-
kehrsfreiheit in der EU . Das ist ganz schlimm . Zum
anderen hören wir hier von Ihnen nationalistische und
chauvinistische Töne


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Oi!)


gegenüber Griechenland und den Südeuropäern . Fragen
Sie doch einmal Ihren Kollegen Herrn Oettinger, was er
dazu und zu Eigenmitteln der EU sagt!


(Dagmar Ziegler [SPD]: Oder Herrn Töpfer!)


Er hat das im Europaausschuss getan . Er ist für die Stär-
kung der Eigenmittel zur Erledigung der Aufgaben . Er ist
für den Wegfall der Deckelung, der Obergrenze, damit
die neuen Aufgaben finanziert werden können. Er wider-
spricht Ihnen; er hat ein Konzept .

Sie wollen die kleinen Zahnräder aus dem Uhrwerk
Europa herausnehmen und meinen, die großen Zahnräder
würden dann noch funktionieren . Meinen Sie das wirk-
lich?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie haben ein wirklich seltsames Verständnis von Euro-
pa, und ich hoffe, dass hier kein Konsens mit Ihrer Frak-
tion besteht .

Ich glaube, dass auf dem Gipfel, der jetzt ansteht, die
wirtschaftlichen Themen sehr wichtig sind . Es läuft zur-
zeit wesentlich besser . Die 28 Mitgliedstaaten haben sich
in den letzten Monaten wirtschaftlich deutlich verbessert,
die Arbeitslosenzahlen sind auf dem niedrigsten Stand
seit 2009, und dieser Weg muss weitergegangen werden .

Wir dürfen uns aber nicht darüber hinwegtäuschen,
dass die notwendigen Schlussfolgerungen im Euro-Raum
noch zu ziehen sind und dass hier noch entsprechende
Maßnahmen in der Finanz- und Wirtschaftspolitik getrof-
fen werden müssen . Wir brauchen langfristig gemeinsa-
me Maßnahmen, um diesen Wirtschaftsraum weiter zu
stabilisieren .

Aktuell beschäftigen uns in den Fachausschüssen das
Europäische Semester und die länderspezifischen Emp-
fehlungen . Die Kommission hat hier einen interessanten
Vorschlag gemacht . Sie möchte, dass die Konsolidierung
der Staatshaushalte nicht einseitig weiter forciert wird,
sondern dass stattdessen eine fiskalische Lockerung an-
gestrebt wird – Herr Oettinger lässt grüßen –, die allen
Mitgliedstaaten ausreichende Investitionen ermöglicht .

Staaten mit hohem Defizit in der Euro-Zone wären
damit zwar weiterhin zum Sparen angehalten, aber sie
könnten wieder notwendige Investitionen tätigen . Staa-
ten wie Deutschland und die Niederlande müssten dann
noch stärker investieren .

Häufig wird gefragt, wo investiert werden soll, und
das Gegenargument genannt – das habe ich gestern auch
von Herrn Spahn wieder gehört –, dass wir gar keine ent-
sprechenden Planungskapazitäten haben und gar nicht so
viel Geld ausgeben können . Das halte ich für Käse . Hier
ist noch viel Luft drin .

Wir müssen unser makroökonomisches Ungleichge-
wicht langfristig wieder in den Griff bekommen, wobei
wir die Arbeitsplätze im Exportbereich natürlich brau-
chen . Das hat damit zu tun, dass wir die Volkswirtschaf-
ten um uns herum stärken müssen, damit auch der Import
aus diesen Ländern gelingen kann . Dann sind wir – auch

Andrej Hunko






(A) (C)



(B) (D)


wenn das hohe Exportniveau bleibt – im Gleichgewicht .
Wir in Deutschland werden davon in einem gemeinsa-
men Europa dauerhaft und sicher partizipieren .


(Beifall bei der SPD)


Bedauerlicherweise hat das Bundesfinanzministerium
diese Lockerung direkt abgelehnt . Das halte ich nicht für
richtig. Ich bin der Auffassung, dass dies noch einmal in
den parlamentarischen Gremien beraten werden muss;
denn die Deckelung der Haushaltsobergrenze im laufen-
den Haushalts- bzw . Finanzrahmen ist aufgrund der neu-
en Aufgaben in der Finanz- und in der Flüchtlingskrise
zu überdenken . Hierfür braucht die Europäische Union
eigene Mittel .

Herr Oettinger hat uns vorgetragen, dass er eine Dis-
kussion über Eigenmittel möchte . Sie umfasst natürlich
auch – Sie haben es genannt – das Thema Bonds . Natür-
lich ist das ein Thema . Es umfasst aber auch die mögliche
Beteiligung an Steuern . Auch das haben wir zu diskutie-
ren . Die Diskussion darüber ist noch nicht zu Ende . Aber
sie von vornherein abzulehnen, halte ich für völlig falsch;


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sind Sie für die Vergemeinschaftung oder dagegen?)


denn damit machen Sie die europäische Idee kaputt .


(Beifall bei der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sagen Sie doch einmal: Sind Sie dafür oder dagegen?)


– Ich bin – um Ihre Frage klar zu beantworten – dafür,
dass die Europäische Union mit Eigenmitteln – sei es aus
Steuern oder aus Bonds – ausgestattet wird .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Steuerrecht für die EU! Wunderbar!)


In diesem Sinne ist es, denke ich, wichtig, auf die Ent-
wicklung Europas in Richtung einer Gemeinschaft, wie
wir sie seit 60 Jahren kennen, hinzuwirken .

Das ist doch ein fantastisches Modell, das man nicht
mit solchen nationalistischen Tönen kaputt machen soll-
te . Es sicherte über 60 Jahre Frieden, Freiheit und Wohl-
stand . Ich komme aus dem Saarland . Wir hatten vor
kurzem den 25 . Jahrestag von Schengen . Schengen liegt
an der Grenze . Das Abkommen von Schengen brachte
Schritte nach vorne .

Ich darf ein Beispiel für ein Leben an der Grenze brin-
gen .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822103700

Aber kurz! Sie sind schon durch .


Christian Petry (SPD):
Rede ID: ID1822103800

Ganz kurz . – Mein Großvater ist ein Beispiel für viele

Saarländer . Er wurde 1911 geboren und verstarb 2003 .
Er hatte sechs Nationalitäten, ohne ein einziges Mal um-
gezogen zu sein . Wollen wir denn wieder zurück in eine
solche alte Zeit? Das kann doch wohl nicht wahr sein!
Ich rufe Sie auf: Kämpfen Sie gemeinsam für die Fort-
entwicklung eines sozialen und friedlichen Europas!

In diesem Sinne: Glück auf!


(Beifall bei der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822103900

Vielen Dank, Christian Petry . – Nächster Redner ist

Gunther Krichbaum für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Gunther Krichbaum (CDU):
Rede ID: ID1822104000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Bei dem bevorstehenden Gipfel steht nicht nur die wirt-
schaftliche Lage in Europa auf dem Programm, sondern
auch – das klang schon mehrfach an – das Vorberei-
tungstreffen „60 Jahre Römische Verträge“. Es lagen
zwei bestialische Weltkriege hinter Europa . Wenn man
die Schwierigkeiten bedenkt, vor denen damals die
Gründungsväter der heutigen Europäischen Union stan-
den, dann wird man geradezu demütig, wenn man die
Schwierigkeiten sieht, die – ohne jeden Zweifel – heute
vorhanden sind . Man war sich aber in einem einig . Weil
wir die Inhumanität hinter uns lassen wollten, haben wir
die Gemeinschaft auf den Grundsätzen der Humanität
gegründet . Daran müssen wir uns messen lassen . Und
daran müssen sich auch gerade in diesen Tagen manche
Länder der Europäischen Union messen lassen .

Eines, lieber Cem Özdemir, bedarf der Korrektur .
Ohne jeden Zweifel hat sich 1946 Winston Churchill
für die Vereinigten Staaten von Europa ausgesprochen,
aber – das ist eines der großen historischen Missver-
ständnisse – ohne die Beteiligung von Großbritannien .


(Dr . Fritz Felgentreu [SPD]: Leider wahr!)


Vielmehr sollte Frankreich die Aufgabe übernehmen,
Deutschland unterzuhaken, damit es nicht mehr auf dum-
me Ideen kommt .

Aber eines ist doch hervorzuheben, nämlich der Mut
von Charles de Gaulle, Konrad Adenauer und vor allem
Robert Schuman; denn man hatte sich dazu entschlossen,
das Ganze ohne ein Referendum zu machen . Ich glaube,
ich brauche hier in dieser Runde nicht zu sagen, wie ein
Referendum in Frankreich wenige Jahre nach dem Krieg
ausgegangen wäre, wenn man gefragt hätte: Wollt ihr ge-
meinsam mit Deutschland in eine Gemeinschaft zur Ver-
waltung kriegswichtiger Güter, nämlich Kohle und Stahl,
eintreten? Ich glaube, jedem ist klar, wohin das geführt
hätte .

Es ist genau dieser Mut, der in Großbritannien gefehlt
hat . Cameron hat gerade keinen Mut bewiesen, sondern
den Kotau vor seinen eigenen Fraktionsmitgliedern ge-
macht, als er ein Referendum, für das es überhaupt keine
Veranlassung gab, vom Zaun gebrochen hat . Das hat zu
einem europäischen Schlamassel geführt . Deswegen gilt
das jetzt geradezu sinnbildlich für die Brexit-Verhand-
lungen; das können wir den britischen Freunden zurufen .

Für meine Begriffe gilt hier ein altes afrikanisches
Sprichwort: Wenn du schnell gehen willst, dann geh al-
leine . Aber wenn du weit gehen willst, dann geh gemein-
sam . – Das zeichnet auch die Europäische Union ange-

Christian Petry






(A) (C)



(B) (D)


sichts der Schwierigkeiten, vor denen wir im Zeitalter der
Globalisierung stehen, aus .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Wir stehen heute in der Tat vor vielen Herausforderun-
gen . Ich will jetzt nicht näher – das würde das Zeitbud-
get sprengen – auf die fünf Vorschläge von Jean-Claude
Juncker eingehen . Ja – das hat die Bundeskanzlerin aus-
geführt –, wir werden künftig sicherlich einen Schwer-
punkt darauf setzen müssen, das Instrument der verstärk-
ten Zusammenarbeit stärker zu nutzen . In der Tat müssen
wir bei der europäischen Integration in vielen Punkten
vorangehen . Aber eines bleibt festzuhalten: Wir sind im-
mer nur als Europäische Union stark . Wir müssen auf-
passen, dass es nicht zu einer Fragmentierung der Eu-
ropäischen Union kommt . Aber eines ist auch wahr: Im
Zeitalter der Globalisierung müssen wir enger als früher
zusammenarbeiten .

Eine der großen Herausforderungen sind jetzt die
USA; das ist wahr . Das hätten wir uns vor wenigen Mo-
naten noch nicht träumen lassen . Ich erinnere an Henry
Kissinger, den früheren amerikanischen Außenminister,
der einmal sagte: Europa? Welches Europa? Sagt mir
doch einmal die Telefonnummer von diesem Europa! –
Ich frage umgekehrt: Welche Telefonnummer haben in
diesen Tagen eigentlich die USA? Wir brauchen in der
Tat Verlässlichkeit im transatlantischen Bündnis . Dieses
transatlantische Bündnis ist viel zu wertvoll, als dass es
nationalen Politiken zum Opfer fallen darf .


(Beifall des Abg . Dr . Dr . h . c . Karl A . Lamers [CDU/CSU])


Einen Aspekt, der heute noch gar nicht Gegenstand
der Debatte war, möchte ich ansprechen: die Verhältnis-
se in der Ukraine . Außenminister Gabriel hält sich heute
zu Gesprächen in Moskau auf . Er hat sicherlich unsere
Unterstützung, wenn einmal mehr darauf hingewiesen
wird, dass das, was in der Ukraine geschieht, völlig in-
akzeptabel ist . Die Krim-Halbinsel ist bis zum heutigen
Tage völkerrechtswidrig annektiert . Im Osten des Landes
sorgt Russland für eine systematische Destabilisierung .
Nein, wer im 21 . Jahrhundert Krieg als ein Instrument
der Politik begreift, darf sich nicht wundern, wenn er in
die Politik zu Beginn des 20 . Jahrhunderts zurückfällt .
Ich glaube, das müssen wir Herrn Putin ziemlich deutlich
sagen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Die Türkei war schon mehrfach Gegenstand der De-
batte . Es ist schon eine Ironie der Geschichte, dass sich
Herr Erdogan hier in Deutschland auf die Grundrechte
beruft, etwa auf das Recht der freien Meinungsäußerung,
die er den Menschen im eigenen Land verweigert . Ich
glaube – da habe ich vielleicht eine andere Meinung als
die meisten hier –, alles hat seine Grenzen . Es fängt da-

mit an, dass Repräsentanten des türkischen Staates hier
keine Grundrechtsträger sind;


(Beifall des Abg . Dr . Christoph Bergner [CDU/CSU])


Kollege Röttgen hat kürzlich in einer Fraktionssitzung
auf diesen Umstand hingewiesen .


(Dr . Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Fraktionssitzung ist intern!)


Grundrechte sind Abwehrrechte des Bürgers, und zwar
der deutschen Bürger, gegenüber dem Staat . Aber sie
kommen für Repräsentanten eines anderen Staates nicht
infrage . Deswegen muss klar sein: Natürlich sind uns die
Repräsentanten der türkischen Regierung jederzeit will-
kommen, aber nicht als Wahlkämpfer . In diesem Moment
werden wir parteiisch und werden in Wahlkämpfe hin-
eingezogen .

Bei all dem sollten wir immer das Ende bedenken .
Wollen wir in Zukunft auch Herrn Putin einen freien
Auftritt gewähren oder auch vielen anderen? Es wäre
gut, innerhalb der Europäischen Union Leitlinien zu ent-
werfen und einen Konsens dazu zu finden, wie wir ins-
gesamt damit umgehen . Ich glaube, es bedarf hier einer
europäischen Antwort . Mit Blick auf die Anwürfe, die in
jüngster Zeit in Richtung Bundesrepublik Deutschland
erhoben wurden, hat mir eine schlüssige, vehemente und
dezidierte Antwort der Europäischen Kommission ge-
fehlt; das darf ich an dieser Stelle einmal sagen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich glaube mit Blick auf die Türkei aber auch: Die Not
muss natürlich schon ziemlich groß sein, wenn Reprä-
sentanten der türkischen Regierung glauben, sie müssten
unbedingt auch noch die Stimmen der Auslandstürken
einwerben, weil man innerhalb der Türkei um die eigene
Mehrheit fürchtet . Da ist es sicherlich schon weit gekom-
men . Die wirtschaftliche Situation, in der sich die Türkei
im Augenblick befindet, ist dramatisch. Da steht Herr
Erdogan sicherlich unter einem viel größeren Druck, als
wir das hier manchmal wahrnehmen .

60 Jahre Römische Verträge, das ist eine große Chan-
ce für uns . Im Rückblick können wir auf der einen Seite
dankbar sein . Wir haben nämlich eine beispiellose Pe-
riode des Friedens in Europa . Auf der anderen Seite ist
es aber auch eine Verpflichtung, das Modell der Aussöh-
nung auf andere Länder und andere Regionen Europas
zu übertragen; denn auch die Staaten des westlichen Bal-
kans sind ja Gegenstand des Gipfels . Hier können das eu-
ropäische Modell, die deutsch-französische Aussöhnung
sehr wohl Pate stehen für eine Aussöhnung, die wir in
dieser Region noch brauchen, um zu einem Mehr an Sta-
bilität zu finden.

Eines – das sei abschließend gesagt – ist auch in die-
sen Staaten wichtig – darum kommen sie nicht herum –,
nämlich die kritische Selbstreflexion auf die eigene Ge-
schichte; denn ohne diese Auseinandersetzung wird das
Ganze nicht funktionieren . In diesem Sinne haben wir ein
großes Interesse daran, diesen Staaten zu helfen .

Gunther Krichbaum






(A) (C)



(B) (D)


Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822104100

Vielen Dank, Gunther Krichbaum . – Nächste Redne-

rin: Michelle Müntefering für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Michelle Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1822104200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Als Vorsit-
zende der Deutsch-Türkischen Parlamentariergruppe im
Bundestag sage ich Ihnen sehr klar und deutlich: Das
deutsch-türkische Verhältnis geht derzeit durch eine sei-
ner heikelsten Phasen . Darum ist mir der Dank an die
Mitglieder und den Vorstand der Parlamentariergrup-
pe wichtig, die in diesen herausfordernden Zeiten über
die Fraktionsgrenzen hinweg an einem guten Verhältnis
zwischen Deutschen und Türken arbeiten und dabei auch
deutlich Kritik üben, zuletzt bei unserem gemeinsamen
Besuch in der Türkei vor wenigen Wochen .

Ich empfinde die Verschlechterung unserer Beziehun-
gen als Katastrophe . Deutschland und die Türkei sind
über Jahrzehnte einander verbunden, wirtschaftlich, kul-
turell, familiär . Binnen weniger Monate ist die türkische
Gesellschaft hier wie dort gespalten – in einer Zeit, in
der es so wichtig ist, Vorurteile auch gegenüber der Tür-
kei als mehrheitlich muslimischem Land zu überwinden .
Und, Herr Kauder, die Türkei ist mehr als Erdogan, die
Türkei ist auch ein schönes Land .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist gut, dass Frau Merkel diese unsäglich geschichts-
vergessenen Unterstellungen zurückgewiesen hat . Das
war Zeit, das war nötig .

Die letzte Reise von Frau Merkel in die Türkei wurde
positiv aufgenommen, auch weil sie endlich die Opposi-
tion getroffen hat. Das haben wir als Sozialdemokraten
ihr schon lange geraten . Ich ermutige die Frau Bundes-
kanzlerin, bei der nächsten Reise – dann hoffentlich nach
dem Referendum – auch die Zivilgesellschaft zu treffen.
Das ist Zeit, und das ist nötig .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich verstehe all jene bei uns gut, die es kaum ertragen,
dass türkische Minister hier Wahlkampf für ein Referen-
dum machen, das die Macht in die Hand eines Mannes
legt, während wichtige Teile der Opposition inhaftiert
sind und kritische Journalisten drangsaliert werden . Auch
die Venedig-Kommission prangert dies nun an .

Die Wahrheit ist meistens einfach: In einem Land, in
dem ich die Zeitung aufschlage und in der es keine Kri-

tik an der Regierung gibt, in diesem Land muss es einen
Grund für Kritik an der Regierung geben .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich bin froh, dass wir uns als Parlamentariergruppe
gemeinsam für eine OSZE-Wahlbeobachtermission und
für die Freilassung Deniz Yücels und der anderen Jour-
nalistinnen und Journalisten einsetzen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Dass wir zusammenstehen, ist ein wichtiges Signal
auch an die Türkei; denn wir bewegen uns zwischen der
außenpolitischen Betrachtung, den eigenen, deutschen
Interessen und unserer moralischen Verantwortung . Der
außenpolitische Blick zeigt: Strategisch braucht Erdogan
die Stimmen der Nationalisten und Rechten . Der Aus-
gang des Referendums ist durchaus offen. Bis zum
16 . April wird jede Provokation genutzt werden . Aber es
ist denkbar, dass er sich mit seinem Anti-EU-Kurs ver-
rennt, ebenso wie schon mit seiner Syrien-, Russland-
oder Israel-Politik in der Vergangenheit . Aber diesmal
steht alles auf dem Spiel, und das müssen wir wissen .

Unsere Interessen sind der soziale Frieden in Deutsch-
land und der weitere Austausch mit der Türkei . Das
müssen auch die Türkinnen und Türken wissen; denn
sie entscheiden über die Zukunft ihres Landes, nicht wir .
Es war allerdings unser Fehler, dass wir mit Ankara nie
die Kapitel Justiz und Menschenrechte diskutiert haben,
Herr Kauder . Fragen Sie bitte auch einmal bei Herrn Po-
lenz und anderen nach, was die Fehler Ihrer Partei in der
Türkei-Politik betrifft.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Da rede ich mit Ihnen!)


Als Letztes – daraus erklärt sich natürlich unsere mo-
ralische Verantwortung –: Die deutsche Geschichte ver-
pflichtet uns, hinzuschauen, wenn Demokratie mit Füßen
getreten wird, zu klarer Haltung und zu unmissverständ-
licher Sprache genauso wie zu Diplomatie . Unsere De-
mokratie haben auch Millionen Türken mitgestaltet . Sie
wissen: Deutschland mag nicht perfekt sein, aber Nazis
sind wir sicher nicht .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen politisches Fingerspitzengefühl und
kühlen Verstand . Wahlkampfauftritte wünsche ich mir
nicht . Einreiseverbote würden alleine jetzt den Fal-
schen helfen . Wir brauchen klare Regeln, wie es Sigmar
Gabriel zu Recht angemahnt hat . Auch die Opposition in
der Türkei muss Rederecht bekommen .

Übrigens, wenn Erdogan hier in Deutschland auftritt,
dann bricht er die Verfassung, türkisches Recht; denn
er hat mit dem Amtseid seinem Volk geschworen, dass
er als Staatspräsident neutral ist . Grundsätzlich sollten
wir hier nach dem 16 . April im Haus erörtern, ob und
wie Vertreter außereuropäischer Länder in Deutschland
Wahlkampf machen sollten . Diese schwierige Frage soll-
ten wir nicht auf den Schreibtischen der kommunalen
Ordnungsdienste abladen .

Gunther Krichbaum






(A) (C)



(B) (D)


Herzlichen Dank und Glück auf!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822104300

Vielen Dank, Michelle Müntefering . – Der nächste

Redner: Thomas Dörflinger für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Thomas Dörflinger (CDU):
Rede ID: ID1822104400

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn diese
Aussprache zur Regierungserklärung der Bundeskanz-
lerin unaufhörlich ihrem Schlusspunkt zustrebt, so hat
dieses Ende für mich im doppelten Wortsinn eine Bedeu-
tung: weil es die letzte Plenarrede ist, die ich im Deut-
schen Bundestag halten werde, und weil dieses Parla-
ment vor der großen Herausforderung steht, nach dem
24 . September dieses Jahres ohne meine Mitwirkung
auskommen zu müssen, was allerdings angesichts der
Tatsache, dass das Verzeichnis ehemaliger Mitglieder des
Deutschen Bundestages voll von Persönlichkeiten ist, die
sich zu ihrer aktiven, teils auch zu ihrer nachaktiven Zeit
für unersetzlich gehalten haben, eine überschaubare Auf-
gabe ist .

Gestatten Sie mir einige Bemerkungen im Grundsatz:
Politik wird in jedem Politikbereich nicht nur daran ge-
messen, ob die vorgelegten Konzepte zukunftsfähig sind,
sondern auch daran, ob man die Fähigkeit zur kritischen
Selbstreflexion entwickelt hat und daraus die richtigen
Schlüsse zieht . Hans-Peter Friedrich hat dankenswerter-
weise darauf hingewiesen .

Es gehört mit zur Wahrheit, wenn wir über 60 Jahre
Römische Verträge reden, dass die weit überwiegende
Zahl der politischen Bereiche, die wir in dieser Zeit be-
arbeitet haben, von uns mit Fortschritten abgeschlossen
worden ist . Aber zur Wahrheit gehört auch, dass in die-
sen 60 Jahren nicht alles gelungen ist, was hätte gelingen
können . Deshalb müssen wir im Zuge dieser kritischen
Selbstreflexion den Blick darauf richten, was wir mögli-
cherweise in den nächsten Jahren besser machen können,
auch und nicht zuletzt im Interesse der Bürgerinnen und
Bürger .

Dazu gehört auch, meine Damen und Herren, dass wir
die Warnung von Helmut Kohl, wir Deutsche sollten mit
den Mitgliedsländern der Europäischen Union unabhän-
gig von ihrer Größe und von ihrer Bedeutung reden, ernst
nehmen . Deswegen ist es auch eine Form des nationalen
Chauvinismus, wenn wir Deutsche uns gerieren, als hät-
ten wir quasi das Patentrezept für die Europäische Union .
Das haben wir sicher nicht, und diesen Anspruch sollten
wir auch nicht erheben . Wir haben gute Ideen – die haben
andere auch –, mehr aber nicht .

Wenn wir in einem Berichterstattergespräch des Deut-
schen Bundestages so verfahren, dass aus jeder Frakti-
on eine Persönlichkeit kommt, wir uns dann an einen
Tisch setzen und darüber nachdenken, wie wir für ein
bestimmtes Problem eine Lösung herbeiführen, dann ist
das sozusagen die Blaupause für die Dialogfähigkeit in

der Europäischen Union . Es kann nicht so sein, dass ein
Mitgliedsland auftritt und den anderen vorschreibt, was
sie denn zu tun und zu lassen hätten, meine sehr verehr-
ten Damen und Herren .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ein wesentlicher Grundsatz europäischen Denkens
war immer der Grundsatz der Subsidiarität . Hans-Peter
Friedrich hat das anhand einiger Beispiele durchdekli-
niert, die man in der Sache nicht teilen muss . Ich teile
sie . Ich verlange von niemandem, dass er sie in der Sache
teilt . Aber eines ist an diesem Grundsatz immer richtig:
Der Grundsatz der Subsidiarität dekliniert sich immer
von unten nach oben, nie von oben nach unten . Nie ist
es so, dass die oberste Ebene für sich definiert, was sie
denn zu tun hat, und dann das, was sie nicht zu tun bereit
oder imstande ist, an die nächste Ebene hinunter reicht,
was unweigerlich zur Folge hätte, dass insbesondere die
Rechnungen auf der untersten Ebene ankommen; viel-
mehr definiert sich Subsidiarität von unten nach oben.
Das heißt, wir definieren auf der lokalen, dann auf der
regionalen und dann auf der supraregionalen Ebene – bei
uns auf der Ebene der Bundesländer –, was dort sinnvol-
lerweise getan werden muss. Dann definieren wir auf der
nationalstaatlichen Ebene und dann auf der europäischen
Ebene, was wir dort sinnvollerweise zur politischen Um-
setzung verorten .

Ich glaube, dass die Bürgerinnen und Bürger einen
Anspruch darauf haben, dass wir 60 Jahre nach Inkraft-
treten der Römischen Verträge noch einmal einen kriti-
schen Blick darauf werfen, ob wir dem Grundsatz der
Subsidiarität in jedem einzelnen der von uns betreuten
Politikbereiche gerecht geworden sind oder ob hier noch
Verbesserungsbedarf herrscht .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch im Vertrag geregelt! – Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was wollt ihr denn zurückholen?)


Meine Damen und Herren, wir werden in wenigen
Wochen erleben, dass sich einer aus der europäischen
Familie verabschiedet . Es gibt wohl niemanden in die-
sem Hohen Hause, der das gutheißt . Allerdings hat dieser
Prozess, wenn wir es richtig machen, vielleicht auch sein
Gutes . Michel Barnier hat gestern vor dem Europaaus-
schuss des Deutschen Bundestages Wert darauf gelegt,
dass der Prozess des Austritts Großbritanniens in ei-
nem transparenten Verfahren stattfindet. Darin liegt die
Chance; jeder der Knoten zwischen Großbritannien und
der Europäischen Union, die nun einzeln gelöst werden
müssen, wird nämlich im Bild der Öffentlichkeit noch
einmal deutlich, damit klar ist: Nicht alles, was wir in
60 Jahren Europa erreicht haben, ist selbstverständlich,
sondern vieles war das Ergebnis mühsamer Arbeits- und
Einigungsprozesse, und wir müssen etwas tun, damit das
europäische Netz zwischen den Mitgliedstaaten so bleibt,
wie es ist, und womöglich noch etwas enger geknüpft
werden kann .

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich mit einem
Dankeschön schließen, einem Dankeschön, das sich zu-

Michelle Müntefering






(A) (C)



(B) (D)


nächst an die Menschen in meinem Wahlkreis richtet, die
mir mit ihrem Votum in fünf aufeinanderfolgenden Bun-
destagswahlen die Chance eröffnet haben, ihre Interessen
zunächst in Bonn und dann in Berlin zu vertreten . Ich
hoffe, dass die Menschen im Herbst dann zu der überwie-
genden Einschätzung gelangen, ich hätte das unter dem
Strich relativ ordentlich gemacht .

Ich will ein Dankeschön sagen an meine Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeiter im Wahlkreis und hier in Berlin;
denn ohne deren Expertise hätte ich diese Aufgabe nicht
so wahrnehmen können, wie ich es mir vorgestellt habe .

Ich sage auch ein Dankeschön an meine Familie, weil
die nämlich durch ihre Eigeninitiativen und ihre Kreati-
vität unter Beweis gestellt hat, dass es auch ganz gut –
vielleicht noch besser – zu Hause funktionieren kann,
wenn der Alte nicht da ist .

Ich sage ein Dankeschön nicht zuletzt auch an meine
Fraktion, die es mit mir nicht immer ganz einfach ge-
habt hat . Allerdings, lieber Volker Kauder, lieber Michael
Grosse-Brömer, umgekehrt ist dieser Satz auch richtig .

Ich wünsche dem Deutschen Bundestag Kraft und
Selbstvertrauen, und ich schließe mit einem Satz von
Norbert Lammert . Der Präsident des Deutschen Bundes-
tages hat im Hohen Hause viele kluge Sätze gesagt . Einer
dieser Sätze war, dass sich das Parlament eine Regierung
hält und nicht umgekehrt;


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


deswegen müsse eigentlich die Regierung immer das tun,
was das Parlament möchte . Mit Verlaub: Ich hatte in den
letzten Jahren gelegentlich den Eindruck, dass es umge-
kehrt ist . Passen Sie auf, dass das nicht einreißt!

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822104500

Vielen Dank, Thomas Dörflinger. Sie lassen uns hier

oben mit Wehmut zurück . Wir haben erst März . Viel-
leicht reden Sie ja doch noch einmal . Ansonsten würde
ich mich für Ihre letzte Rede bedanken; das haben Sie
relativ ordentlich gemacht .


(Heiterkeit)


– „Relativ ordentlich“ – ich habe Sie zitiert – war Ihre
letzte Rede . – Aber schauen wir mal, ob Sie nicht doch
noch einmal reden .

Letzter Redner in dieser Debatte: Michael Brand für
die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Michael Brand (CDU):
Rede ID: ID1822104600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Natürlich kann man in der Türkei seine Meinung frei äu-

ßern – wenn man bereit ist, dafür auch die Konsequenzen
zu tragen . – Diesen Satz hat mir vor wenigen Tagen Can
Dündar, der frühere Chefredakteur der ältesten freien
Tageszeitung in der Türkei, von Cumhuriyet, gesagt . Im
August letzten Jahres hat er die Türkei verlassen, und er
lebt seitdem im Exil in Deutschland – wie viele andere
Intellektuelle, im Übrigen auch NATO-Soldaten, die hier
in Deutschland Asyl beantragt haben .

Den für ihn so schmerzlichen Schritt, seine Familie
und seine Türkei zurückzulassen, hat er damals so be-
gründet:

Einer solchen Justiz zu trauen, würde bedeuten, sei-
nen Kopf unter die Guillotine zu legen .

In der heutigen Debatte sprechen wir auch über den
Fall Deniz Yücel . Für ihn habe ich eine Patenschaft über-
nommen – im Übrigen auch für weit weniger prominente
Fälle, wie zahlreiche andere Kollegen –, habe beantragt,
ihn im Gefängnis besuchen zu dürfen . Wir reden hier
nicht allein über ihn; denn hinter dem Vorgehen der türki-
schen Regierung steckt System . In keinem Land der Welt
sind derzeit mehr Journalisten im Gefängnis als in der
Türkei . „Reporter ohne Grenzen“ spricht von 150 Jour-
nalisten .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Wahrheit ist De-
niz Yücel eine politische Geisel . Er wurde weggesperrt,
weil er seine Arbeit gemacht hat . Die Vorwürfe der Ter-
rorpropaganda und der Aufwiegelung der Bevölkerung
sind vorgeschoben . Auch das hat inzwischen System in
der heutigen Türkei. Die gesetzliche Terrordefinition öff-
net Willkür Tür und Tor .

Wenn heute die türkische Führung auf die Unabhän-
gigkeit der Justiz hinweist – wie schon mehrfach in die-
sen Tagen passiert –, dann muss man ihr sagen: Freunde,
das ist ein Märchen . Viele Richter sind inzwischen zu
Erfüllungsgehilfen einer Verhaftungsmaschine gewor-
den – in allen Bereichen, wo Mutige aufstehen, ihr Wort
erheben .

Die Untersuchungshaft für Yücel ist unverhältnismä-
ßig . Er hat sich freiwillig gestellt und vertraut auf ein
rechtsstaatliches Verfahren . Deniz Yücel muss schnell
freigelassen werden . Das wäre im Übrigen auch ein Si-
gnal, die Spannungen zwischen unseren Ländern abzu-
bauen .


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Hinter dem Fall Yücel und vielen anderen stecken
eine unbequeme Wahrheit und ein sehr grundsätzlicher
Fakt, bei dem wir uns auch nichts in die Tasche lügen
dürfen: Es geht im Kern nicht um Wahlkampfauftritte .
Es geht nicht um Brandschutzfragen . Es geht nicht da-
rum, wer wem was vorhält . Es geht in Wahrheit um nicht
weniger als um die Einschränkung und letztlich die fakti-
sche Abschaffung der Demokratie und des Rechtsstaates
in der Türkei .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)


Bei der geht im Übrigen der Präsident sehr konsequent
und sehr rational vor .

Thomas Dörflinger






(A) (C)



(B) (D)


Zu den Diffamierungen gegen Deutschland, zu Pro-
paganda und manchen Verschwörungstheorien möchte
ich wirklich nichts mehr sagen; das fällt auf die türkische
Führung selbst zurück .

Es gehört aber klar ausgesprochen, dass der Wahl-
kampf à la AKP in Deutschland unerwünscht ist . Das gilt
selbstverständlich auch für HDP und andere . Diese ge-
zielten Grenzüberschreitungen müssen aufhören .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten uns aber
nicht provozieren lassen; denn das ist genau das Ziel .
Diese Polarisierung, die Einteilung der Welt in Gut und
Böse, hilft Erdogan . Wir dürfen dem türkischen Präsi-
denten auch nicht auf den Leim gehen und so tun, als ob
alle in der Türkei so denken würden .

Wie viele sind mit Erdogans Plan zu diesem undemo-
kratischen Präsidialsystem überhaupt nicht einverstan-
den! Eine Mehrheit dafür ist doch keineswegs sicher;
deswegen doch diese panischen Reaktionen . Die Not
muss schon ziemlich groß sein, dass gerade die niedrigs-
ten Instinkte bedient werden sollen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, umso mehr sollten
wir die Gelegenheit offensiv nutzen, auch in dieser De-
batte und in den nächsten Tagen darüber zu sprechen,
was das eigentliche Ziel dieses Referendums ist: die Ge-
waltenteilung würde ausgehebelt, der Präsident könnte
mit Dekreten am Parlament vorbei regieren, das Parla-
ment jederzeit auflösen, die Gerichte würden ihre Unab-
hängigkeit verlieren durch die Ernennung von Richtern
durch den Präsidenten . Eine wirkliche Kontrolle des Prä-
sidenten und gleichzeitigen Regierungschefs fände also
nicht mehr statt, und die Rechte des Einzelnen würden
eingeschränkt . Liebe Freunde, darüber müssen wir spre-
chen, statt auf die gezielte Eskalation durch die türkische
Regierung einzusteigen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822104700

Entschuldigung . – Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wir haben vorhin über ein munteres und dialogfreudiges
Parlament gesprochen . Manche scheinen das falsch ver-
standen zu haben . Wenn ich „Dialogfreudigkeit“ sage,
dann beziehe ich das auf Rede und Gegenrede und nicht
auf Ihre Rede untereinander .

Ich bitte jetzt alle ziemlich dringend, vor allem die
sich hinten sammelnden Kolleginnen und Kollegen: Bit-
te nehmen Sie Platz! Hören Sie dem letzten Redner in
dieser Debatte zu! Es gehört auch zu einem munteren
und dialogfreudigen Parlament, dass man sich ein Bild
von dem macht, was die Redner und Rednerinnen sagen,
und sich nicht selber dauernd sozusagen bei Seitenge-
sprächen ins Gespräch bringt . Das meine ich wirklich im
Ernst .


(Beifall des Abg . Manfred Grund [CDU/ CSU] – Volker Kauder [CDU/CSU]: Ehrlich!)


Sonst unterbreche ich die Sitzung . Dann wird es heute
Nacht nicht 3 Uhr, sondern 4 Uhr .


Michael Brand (CDU):
Rede ID: ID1822104800

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin . – Darüber müs-

sen wir sprechen . Ich kann mir im Übrigen auch nicht
vorstellen, dass beim Wissen über diese Fakten, die ich
gerade genannt habe, das Referendum eine Mehrheit be-
kommen wird . Wir müssen vor dem Referendum auch
deutlich sagen – hier ist auch die Bundesregierung in der
Pflicht –, dass eine Mehrheit für dieses Präsidialsystem
nicht ohne Konsequenzen bleiben kann . Nicht wir wen-
den uns von der Türkei ab, sondern die Türkei würde sich
mit diesem Schritt von Deutschland und Europa abwen-
den . Deutschland und Europa – das ist jedenfalls meine
Sicht der Dinge – können nicht achselzuckend zur Tages-
ordnung übergehen, wenn de facto die türkische Demo-
kratie abgeschafft wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Am 16 . April entscheidet sich viel, und deswegen
darf man in dieser gefährlichen Situation nicht mit seiner
Stimme spielen . Man darf auch nicht vergessen, was der
heutige Präsident als Bürgermeister von Istanbul gesagt
hat:

Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufstei-
gen, bis wir am Ziel sind .

Es geht bei der Debatte nicht allein um die Türkei,
liebe Kolleginnen und Kollegen, sondern es geht auch
darum, dass Konflikte anderer Länder bei uns nicht aus-
getragen werden dürfen . Der Präsident des Bundesamtes
für Verfassungsschutz hat gestern klar Stellung bezogen .
Ich will das, was er gesagt hat, hier einmal zitieren:

Wir sehen seit langem, dass die Konflikte in der
Türkei auch Auswirkungen auf die Sicherheitslage
in Deutschland haben . Die Bruchlinien zwischen
den verschiedenen Lagern in der Türkei bilden
sich spiegelbildlich in Deutschland ab . Es besteht
die Gefahr, dass diese Stellvertreterauseinanderset-
zungen zwischen PKK-Anhängern und nationalis-
tischen/rechtsextremistischen Türken eskalieren,
weil in beiden Szenen ein hohes, schlagkräftiges
Gefährdungspotenzial vorhanden ist .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das darf der deut-
sche Staat nicht akzeptieren . Der Rechtsstaat muss wehr-
haft sein gegen Terroristen, gegen Nationalisten und ge-
gen Extremisten .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Kollege Özdemir hat ja auf die Spitzeldienste hingewie-
sen . Ein Alarmsignal ist auch der deutliche Anstieg der
nachrichtendienstlichen Tätigkeiten der Türkei in der
Bundesrepublik Deutschland .

Ich komme zum Schluss . Ja, der Gesprächsfaden darf
nicht reißen, gerade jetzt nicht . Die Beziehungen zwi-
schen unseren beiden Ländern und den Menschen in der
Türkei und in Deutschland sind eng und vielfältig . Gera-
de deswegen muss gelten: In den Grundsätzen muss die
deutsche Politik klar bleiben . Sie darf sich nicht wegdu-
cken . Die Mutigen in der Türkei haben zu Recht Erwar-
tungen an uns . Die Dinge nicht beim Namen zu nennen

Michael Brand






(A) (C)



(B) (D)


und die Konsequenzen vor dem Referendum nicht offen
und ehrlich auszusprechen, würde den Falschen ganz si-
cher in die Hände spielen .

Danke .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822104900

Vielen Dank, Michael Brand . – Ich schließe die Aus-

sprache .

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge der Fraktion Die Linke .

Zuerst kommen wir zum Entschließungsantrag auf
Drucksache 18/11430 . Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Ich nehme an, es
enthält sich niemand mehr . – Der Entschließungsantrag
ist abgelehnt . Zugestimmt hat die Fraktion Die Linke,
dagegen waren CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die
Grünen .

Wir kommen zum Entschließungsantrag auf Druck-
sache 18/11429 . Wir stimmen nun auf Verlangen der
Fraktion Die Linke namentlich ab . Deswegen bitte ich
die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgese-
henen Plätze einzunehmen . – Ich frage: Sind die Plätze
besetzt? – Darf ich die Schriftführer und Schriftführerin-
nen bitten, die Plätze einzunehmen? Eigentlich wussten
sie, dass jetzt abgestimmt wird . Ich habe heute Nacht den
letzten Dienst und möchte rechtzeitig zum Frühstück zu
Hause sein .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Da seid ihr selber schuld! Hättet ja zu Protokoll geben können!)


– Herr Kauder, wir müssen noch miteinander reden . –
Sind die Plätze besetzt? Auf der Regierungsseite fehlt die
Opposition . Das macht Sinn, aber nicht bei der Abstim-
mung . – Herr Petzold ist jetzt gekommen . Vielen lieben
Dank .

Ich eröffne die Abstimmung über den Entschließungs-
antrag der Fraktion Die Linke .

Gibt es noch Kolleginnen und Kollegen, die nicht
abgestimmt haben? – Ich frage ein letztes Mal: Gibt es
Kolleginnen und Kollegen, die noch nicht abgestimmt
haben? – Es scheint nicht so zu sein . Dann schließe ich
die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen . Das Er-
gebnis wird Ihnen, wie immer, später mitgeteilt .1)

So, jetzt ist hier nicht Party, sondern wir machen hier
jetzt Parlament, wir machen weiter . Deswegen bitte ich,
die Gespräche zu beenden, sich hinzusetzen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b sowie
die Zusatzpunkte 3 und 4 auf:

4 . a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Caren Lay, Herbert Behrens, Karin Binder,

1) Ergebnis Seite 22097 C

weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Kündigungsschutz für Mieterinnen und
Mieter verbessern

Drucksache 18/11049
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit

b) Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Ausschusses für Recht und
Verbraucherschutz (6 . Ausschuss) zu dem
Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Halina
Wawzyniak, Frank Tempel, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion DIE LINKE

Mietpreisbremse wirkungsvoll ausgestal-
ten

Drucksachen 18/9123, 18/10089

ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian
Kühn (Tübingen), Renate Künast, Hans-Christian
Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zusammenhalt stärken – Mietrecht reformie-
ren

Drucksache 18/10810
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit

ZP 4 – Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Christian Kühn (Tübingen), Renate
Künast, Luise Amtsberg, weiteren Abgeordne-
ten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Dämpfung des Mietanstiegs auf ange-
spannten Wohnungsmärkten bei umfassen-
den Modernisierungen

Drucksache 18/8856

– Zweite und dritte Beratung des von den Ab-
geordneten Renate Künast, Christian Kühn

(Tübingen), Luise Amtsberg, weiteren Abge-

ordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Dämpfung des Mietanstiegs auf
angespannten Wohnungsmärkten durch
die Streichung der Rügepflicht und die 
Schaffung eines Auskunftsrechts 

Drucksache 18/8857

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6 . Ausschuss)


Drucksache 18/11440

Über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für
Recht und Verbraucherschutz zum Antrag der Fraktion
Die Linke zur Mietpreisbremse sowie über die beiden

Michael Brand






(A) (C)



(B) (D)


Gesetzentwürfe der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur
Dämpfung des Mietanstiegs werden wir später nament-
lich abstimmen . Das heißt, wir haben drei namentliche
Abstimmungen, die in diesem Zusammenhang auf uns
zukommen werden .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 77 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich bitte Sie noch einmal, Gespräche, die nichts mit
Mietpreisen oder Mietpreisbindung zu tun haben, drau-
ßen zu führen. Das betrifft wirklich alle. Ich fange ein-
fach nicht an, wenn Sie nicht damit aufhören .

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Caren Lay
für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822105000

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! In deutschen Großstädten sind die Mietpreise in
wenigen Jahren um 30 oder 40 Prozent, in Berlin und
Augsburg sogar um über 50 Prozent gestiegen . Eine bes-
sere Anlage als in Mietwohnungen können sich viele im
Moment überhaupt nicht vorstellen . Das Einzige, was
bei diesem sagenhaften Beutezug von Spekulanten durch
unsere Städte und durch die Portemonnaies der Miete-
rinnen und Mieter stört, sind die Altmieter, die alte und
deswegen günstige Mietverträge haben. Ich finde, diesen
sagenhaften Beutezug durch unsere Städte und durch un-
sere Portemonnaies müssen wir hier endlich stoppen .


(Beifall bei der LINKEN)


Findige Vermieter setzen aber alles daran, Mieterin-
nen und Mieter mit alten Mietverträgen rauszuekeln, wie
sie und wo sie nur können . Ein prominentes Beispiel –
vielleicht das prominenteste Beispiel – ist der Fall des
Karl-Heinz Gerigk aus Köln, genannt Kalle . Er sollte
nach über 30 Jahren seine Wohnung im beliebten Köl-
ner Agnesviertel verlassen, weil der Vermieter ihm eine
Eigenbedarfskündigung geschickt hatte, mit der Begrün-
dung, er wolle dort mit seiner Freundin einziehen . Der
Vermieter hat die Kündigung verschickt und gleichzeitig
die Wohnung im Internet zum Kauf angeboten. Offenbar
wollte er sich da wohl kein neues Nest bauen, sondern es
ging ihm darum, die Wohnung möglichst teuer zu ver-
kaufen – da konnte er ohne Kalle offenbar mehr Geld
bekommen . Trotzdem musste Kalle diese Wohnung ver-
lassen. Ich finde, das sind Verhältnisse, bei denen man
sagen muss: So geht es einfach nicht .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Zahl solcher Eigenbedarfskündigungen ist rasant
angestiegen: Über 40 000 waren es im vorletzten Jahr .
Das ist eine ganze Kleinstadt von Mieterinnen und Mie-
tern, denen wegen Eigenbedarfs gekündigt wurde . Die
Begründungen werden immer absurder: Da soll mal ein
Au-pair-Mädchen einziehen, jemand braucht ein Arbeits-
zimmer in seiner Zweitwohnung, entfernteste Verwandte
werden plötzlich in der Begründung des Eigenbedarfs
angegeben – und das alles nur, um alteingesessene Mie-

ter aus ihren Wohnungen zu schmeißen. Ich finde, es ist
höchste Zeit, Mieterinnen und Mieter vor solchen Kündi-
gungen besser zu schützen .


(Beifall bei der LINKEN)


Leider haben viele Gerichtsurteile die Situation für
Mieter verschlechtert . Beispielsweise sollen jetzt auch
Unternehmen Eigenbedarfskündigungen aussprechen
können . Es ist doch, ehrlich gesagt, völlig absurd, dass
jetzt jeder, der Mitglied einer GbR ist, plötzlich Eigenbe-
darf anmelden kann .

Noch absurder ist das hier: Wenn ein Mieter beim Ver-
mieter Schulden hat, dann kann er eine fristlose Kündi-
gung dadurch abwenden, dass er den Ausstand bezahlt,
aber eine ordentliche Kündigung kann er dadurch nicht
abwenden. Deswegen schicken dann findige Vermie-
ter beide Kündigungsformen gleichzeitig raus, und,
schwups, sind sie die unliebsamen Mieter los .

Es häufen sich Urteile, die es für rechtmäßig erklä-
ren, dass Mieter, die wegen Schäden eine Mietminderung
geltend gemacht haben, aus ihren Wohnungen geworfen
werden . Ich muss sagen: Es darf doch einfach nicht wahr
sein, dass ein Mieter, der sein Recht auf Mietminderung
geltend macht, danach die Kündigung bekommt . Dem
müssen wir einen Riegel vorschieben .


(Beifall bei der LINKEN)


Eines ist doch klar: Je mehr wir den Kündigungs-
schutz für die Mieter verbessern, desto besser schützen
wir unsere Städte vor Spekulation . Und das sollten wir
dringend tun, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen: die
Mietpreisbremse . Es müsste doch völlig unstrittig sein,
dass hier dringend nachgebessert werden muss; denn
selbst dort, wo sie überhaupt eingeführt wurde, stiegen
die Mieten weiter, in Berlin zum Beispiel um 17 Prozent
in nur einem Jahr .

Meine Damen und Herren, diese Mietpreisbremse ist
ein Rohrkrepierer . Hier rächen sich einfach die zahlrei-
chen Ausnahmen, die die Union auf Druck der Immobi-
lienwirtschaft damals in das Gesetz hineinverhandelt hat .


(Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Na, Frau Kollegin! Das ist ja unter Ihrem Niveau! – Gegenruf der Abg . Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber zutreffend!)


Da gibt es Ausnahmen beim Neubau, Ausnahmen für
möblierte Wohnungen, Ausnahmen bei Modernisierun-
gen . Ich will klipp und klar sagen: Mit all diesen Ausnah-
men kann eine Mietpreisbremse nicht funktionieren . Alle
diese Ausnahmen müssen gestrichen werden .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Deutsche Mieterbund fand in einer eigenen Studie
heraus, dass 70 bis 95 Prozent aller neuen Wohnungs-

Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)


angebote über dem lagen, was die Mietpreisbremse für
zulässig erklärt .


(Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das sagt doch überhaupt gar nichts aus, Frau Kollegin!)


Welche Konsequenzen hat das? Keine . Was ist denn das
für ein Gesetz, gegen das zu 95 Prozent verstoßen wer-
den darf, ohne dass irgendetwas passiert?


(Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Der Schluss ist methodisch völlig unzulässig!)


Es kann doch nicht sein, dass einem Vermieter keinerlei
Strafe droht, wenn er sich nicht an Gesetze hält . Das Um-
gehen der Mietpreisbremse ist Betrug am Mieter, und das
muss auch wie Betrug geahndet werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir brauchen einfach wirkungsvolle Strafen . Und es
muss, wie ich finde, auch das, was zu viel eingezogen
wurde, vom ersten Tag an zurückgezahlt werden .

Ich finde auch gut, was Herr Maas vorschlägt, was die
Grünen wollen . Auch wir fordern, dass man ein Recht da-
rauf hat, die Miete des Vormieters zu kennen . Das sollte
doch völlig unstrittig sein – übrigens auch bei der Union .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollte Herr Maas!)


Aber das reicht leider als Nachbesserung bei weitem
nicht aus, wenn die Mietpreisbremse wirklich funktio-
nieren soll . Aber selbst zu dieser banalen Verbesserung
ist die Koalition einfach nicht in der Lage .

Ich muss sagen: Diese schlechte Politik in Bezug
auf Wohnen, diese Vernachlässigung von Mieterrechten
führt im Endeffekt dazu, dass arme und alte Menschen an
die Stadtränder verdrängt werden . Das führt zur Enteig-
nung der städtischen Mittelschichten . Und beides wollen
wir nicht .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Die Linke als Vorbild für die Mittelschicht, das wäre mir neu!)


Es wäre so viel mehr nötig, Stichwort „zweite Miet-
rechtsnovelle“ . Auch da ist viel angekündigt worden,
aber hier ist nichts eingebracht worden .

Wir brauchen aus meiner Sicht dringend eine Ab-
schaffung der Modernisierungsumlage, die nur teure und
sinnlose Modernisierungen befördert . Das darf einfach
nicht sein .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir müssen bei den Mietspiegeln nachbessern . Auch
das haben wir beantragt .

Wir haben bisher allein fünf Debatten zum Mietrecht
und insgesamt elf Debatten zur Wohnungs- und Mieten-
politik geführt .


(Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Es wurde nicht besser!)


Von der Koalition kam nur ein Gesetz zur Mietpreisbrem-
se, bei dem außer der Überschrift einfach nichts stimmt .
Das ist Ihre Gesamtbilanz . Da frage ich mich: Wollen Sie

mit dieser Bilanz nach vier Jahren hier rausgehen? Das
darf ja wohl nicht wahr sein .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich weiß natürlich, dass es an der CDU liegt . Sie wol-
len ja gar nicht, dass die Mietpreisbremse wirkt . Sie wol-
len ja freie Fahrt für Spekulanten . Das ist Ihnen wichtiger
als der Schutz der Mieterinnen und Mieter .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Das einzig Gute daran ist, dass hoffentlich kein Mieter
Sie im September mehr wählen wird . Gott sei Dank sind
die in diesem Land immer noch in der Mehrheit .

Ich sehe die SPD leider nicht sonderlich kämpfen . Das
finde ich schade. Ich finde nicht, dass man so viel – –


(Widerspruch bei der SPD – Zurufe von der SPD: Oh! Gucken Sie sich mal die Umfragen an!)


– Sie haben ja außer der Mietpreisbremse gar nichts
durchgesetzt .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Mietpreisbremse?)


Wo ist denn Ihr Kampf? Sie haben doch hier die Mehr-
heit für eine Nachbesserung der Mietpreisbremse . Lassen
Sie uns die doch gemeinsam nutzen .


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, zu guter Letzt: Neben einer
guten Mietpreisbremse brauchen wir auch eine richtige
Bodenpreisbremse .


(Zuruf von der CDU/CSU: Das wäre ja Enteignung!)


Auch hier müssen wir einmal einen Riegel vorschieben .
Und wir brauchen einen besseren Kündigungsschutz für
Gewerbemieten . Was den Mietern passiert, passiert ja
auch den kleinen Läden . Sie haben es vielleicht hier in
Berlin beim Café Filou, bei der Buchhandlung Kisch &
Co oder auch bei Bantelmann mitbekommen . Alle die-
se Läden, die seit Jahren die Stadtteile prägen, sind jetzt
vom Rausschmiss bedroht .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822105100

Sie auch .


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)



Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822105200

Das dürfen Sie nicht zulassen . Wir brauchen einen

besseren Kündigungsschutz für Mieterinnen und Mieter
und auch für die kleinen Läden .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU)

bau gesagt!)

Caren Lay






(A) (C)



(B) (D)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822105300

Vielen Dank, Caren Lay .

Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift-
führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim-
mung über den Entschließungsantrag der Linken auf

Drucksache 18/11429 zu der Abgabe einer Regierungs-
erklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen
Rat bekannt: abgegebene Stimmen 565 . Mit Ja haben ge-
stimmt 110 Kolleginnen und Kollegen, mit Nein haben
gestimmt 455 . Der Entschließungsantrag ist abgelehnt .

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 565;
davon

ja: 110
nein: 455
enthalten: 0

Ja

DIE LINKE

Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr . Gregor Gysi
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Norbert Müller (Potsdam)

Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord

Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Annalena Baerbock
Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Katja Dörner
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth

Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms

Nein

CDU/CSU

Stephan Albani
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram

Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer






(A) (C)



(B) (D)


Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Rainer Hajek
Dr . Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann

(Dort mund)

Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Dr . Mathias Edwin Höschel
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek

Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr . Michael Meister

Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann

(Braun schweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr . Wolfgang Schäuble
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Patrick Schnieder
Nadine Schön (St . Wendel)

Dr . Ole Schröder


(Wiesbaden)


Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)







(A) (C)



(B) (D)


Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Marco Bülow
Dr . Lars Castellucci
Jürgen Coße
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar

Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Michaela Engelmeier
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Dr . Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann

(Wa ckernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil

Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Angelika Krüger-Leißner
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller (Chemnitz)

Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
Dr . Ernst Dieter Rossmann

Michael Roth (Heringen)

Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Elfi Scho-Antwerpes
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Dirk Vöpel
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese

(Wol mirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

Fraktionslos

Erika Steinbach

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.






(A) (C)



(B) (D)


Wir fahren mit der Debatte fort . Der nächste Redner
ist Dr . Jan-Marco Luczak für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Jan-Marco Luczak (CDU):
Rede ID: ID1822105400

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Zuschauer auf den Rängen! Ich glaube, im
Ziel sind wir uns doch alle einig .


(Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN – Ulli Nissen [SPD]: Da sind wir aber gespannt, Herr Luczak! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, Sie tun nur so!)


– Doch, wir sind uns im Ziel alle einig: Wir wollen Mie-
ter schützen, und wir wollen auch nicht, dass Mieter aus
ihren angestammten Wohnvierteln verdrängt werden .


(Ulli Nissen [SPD]: Was sagen Sie Ihren Wählerinnen und Wählern in Berlin, Herr Luczak?)


Das Einzige, worin wir uns nicht einig sind, ist, wie wir
den Weg beschreiten, wie wir das Ziel das erreichen .

Man muss einfach sagen: Die Wohnungsmärkte in
Deutschland sind eben sehr differenziert. Es ist ein gro-
ßer Unterschied, ob man über Ballungszentren wie Ber-
lin, Hamburg, München, Düsseldorf


(Ulli Nissen [SPD]: Frankfurt!)


oder Universitätsstädte oder über den ländlichen Raum
spricht . Es gibt da komplett unterschiedliche Situationen .


(Caren Lay [DIE LINKE]: Das ändert nichts an der Richtigkeit unserer Forderungen!)


Weil die Wohnungsmärkte so differenziert sind, brau-
chen wir differenzierte Lösungen. Da bringen uns die
einfachen Antworten, die uns die Linken und auch die
Grünen vorschlagen, überhaupt nicht weiter, meine Da-
men und Herren .


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Das sind keine einfachen Antworten! – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einfache Wahrheiten? Haben Sie den Antrag überhaupt gelesen?)


Für uns ist es wichtig, dass es einen Ausgleich zwi-
schen den Mietern auf der einen Seite und den Vermie-
tern, den vermietenden Eigentümern auf der anderen
Seite gibt .


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Das ist aber nicht eingetreten!)


Deswegen haben wir ja auch das Instrument der Miet-
preisbremse eingeführt . Das stand schon in unserem
Wahlprogramm und in unserem Koalitionsprogramm .

Jetzt fragen manche: Funktioniert die Mietpreisbrem-
se? – Dazu gibt es in der Tat unterschiedliche Studien,
die man methodisch hinterfragen könnte, zum Beispiel
das, Frau Lay, was Sie angesprochen haben, dass nämlich
95 Prozent der Mieten, die angeboten werden, über der
ortsüblichen Vergleichsmiete lägen . Daraus ziehen Sie

jetzt den Schluss, dass es sich dabei immer um Verstöße
gegen die Mietpreisbremse handele .


(Caren Lay [DIE LINKE]: Der Deutsche Mieterbund hat das geschrieben!)


Ich sage: Nein . Man muss sich einmal genau anschau-
en, was dahintersteht . Sie können bei den Angeboten,
die man zum Beispiel auf Immoscout und anderswo fin-
det, nicht wissen, ob die Vormiete nicht möglicherweise
schon höher gewesen ist .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir reden aber mit den Berlinerinnen und Berlinern! Dann wissen wir es!)


Sie wissen nicht, ob es sich um eine umfassend moder-
nisierte Wohnung handelt . All das können Sie nicht an
den Angeboten ablesen . Deswegen ist der Schluss, den
Sie daraus ziehen, nämlich dass 95 Prozent der Vermieter
betrügen würden, einfach nicht in Ordnung .


(Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie sollten an dieser Stelle lieber ein bisschen mehr bei
den Fakten bleiben .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich sage ganz klar: Wir als Gesetzgeber haben die kla-
re Erwartung, dass sich die Vermieter an die Mietpreis-
bremse halten .


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Na toll!)


Das ist eine völlige Selbstverständlichkeit . Wir machen
Gesetze, damit sich daran gehalten wird . Deswegen ha-
ben wir den Mietern ja auch Rechte an die Hand gege-
ben . Sie können die überhöhte Miete rügen und dann die
zu viel gezahlte Miete zurückverlangen .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber erst ab Widerspruch, Herr Luczak!)


Das ist gut und richtig .

Ich kann nur alle Mieterinnen und Mieter auffordern:
Nehmt diese Rechte wahr, ihr werdet Erfolg haben! –
Das zeigen alle Gerichtsurteile, die es bislang gibt . Selbst
der Deutsche Mieterbund sagt: Alle Urteile, die es zur
Mietpreisbremse gibt, sind ausnahmslos zugunsten der
Mieter ausgefallen . Ausnahmslos!


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, weil vorher die Miete falsch war!)


Deswegen kann ich nur noch einmal festhalten: Die
Mietpreisbremse ist selbstverständlich kein Allheilmit-
tel – darauf komme ich noch zu sprechen –,


(Ulli Nissen [SPD]: Wir sind auf Verbesserungsvorschläge gespannt!)


aber sie ist ein Instrument, das funktioniert . Ich kann nur
sagen: Mit besonderer Selbstbehauptung sollten die Mie-
ter ihre Rechte wahrnehmen, dann werden sie auch vor
den Gerichten Erfolg haben, meine Damen und Herren .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)


Jetzt komme ich zu den Ausnahmen, die, wie die Lin-
ken und die Grünen vorschlagen, gestrichen werden sol-
len . Die Ausnahmen sind ja nicht einfach irgendwie ent-
standen; vielmehr haben wir uns alle Ausnahmen wohl
überlegt . Alle Ausnahmen haben ihre Berechtigung .


(Caren Lay [DIE LINKE]: Ja, um die Mietpreisbremse wirkungslos zu machen!)


Ich nenne das Beispiel Neubau . Die Mietpreisbrem-
se wirkt nicht – und soll auch nicht greifen –, wenn es
um neugebaute Wohnungen geht . Das liegt nicht daran,
dass wir Spekulation befördern wollen, sondern das liegt
daran, dass Sie heute keine neue Wohnung zu den Prei-
sen der ortsüblichen Vergleichsmiete bauen können . Das
können Sie einfach nicht; das geht nicht . Dafür sind die
Baukosten zu hoch . Sie müssen derzeit 10 bis 11 Euro
pro Quadratmeter an Miete einplanen, um neu bauen
zu können . Würde die Mietpreisbremse da auch gelten,
hieße das: Ich baue für 10 Euro pro Quadratmeter, aber
wenn die ortsübliche Vergleichsmiete bei 7 Euro pro
Quadratmeter liegt, dann fehlen auf einmal 3 Euro pro
Quadratmeter in der Rechnung .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist doch Quatsch! Bei der Wiedervermietung, Herr Luczak! Es geht um die Wiedervermietung!)


Das würde bedeuten, dass sich das Ganze nicht trägt,
dass es nicht wirtschaftlich und nicht finanzierbar ist. Die
Folge wäre weniger Neubau . Damit würden wir das Pro-
blem doch nur verschärfen . Die steigenden Mieten resul-
tieren doch daraus, dass wir ein zu geringes Angebot auf
dem Wohnungsmarkt haben . Deswegen müssen wir alles
dafür tun, dass die Mietpreisbremse keine Investitions-
bremse ist und dass in unserem Land mehr gebaut wird .
Deswegen ist diese Ausnahme für den Neubau auch völ-
lig richtig, meine Damen und Herren .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ein zweiter Punkt, den Sie streichen wollen, hat mit
dem Bestandsschutz zu tun . Wir haben gesagt: Wir kön-
nen nicht in bestehende Verträge eingreifen und sagen:
Du vermietest deine Wohnung aktuell zwar für 10 Euro
pro Quadratmeter, wenn du sie jetzt neu vermietest, dür-
fen das aber nur noch 7 Euro sein . – Wir müssen uns da
doch in dem Rahmen bewegen, den die Verfassung uns
vorgibt . Es geht um Artikel 14 unseres Grundgesetzes,
den Schutz des Eigentums . Wenn wir in einen laufenden
Vertrag oder eine laufende Finanzierung eingreifen wür-
den – natürlich gibt es bestimmte Erwartungen, was man
aus einer Mietwohnung herausbekommt –, würden wir
unter dem Strich erstens verfassungswidrig handeln und
zweitens – das ist ein ganz praktisches Problem – viele
kleine Vermieter, um die es hier auch geht, in den Ruin
treiben . Wir reden ja nicht immer nur über die großen
Wohnungsgesellschaften, sondern vor allem auch über
die vielen privaten Kleinvermieter . Deswegen werden
wir solche Ausnahmen nicht mitmachen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Niemand hat hier beantragt, in laufende Verträge einzugreifen! Das ist eine Nebelkerze, die Sie hier zünden, Herr Luczak!)


Wenn Sie beim Bestandsschutz eine Ausnahme ma-
chen wollen, dann stellt das selbstverständlich einen
Eingriff in bestehende Verträge dar, weil Sie damit so-
zusagen auf die Situation zugreifen . Es entstünde also
eine Rückwirkungsproblematik, die verfassungsrechtlich
höchst problematisch ist . Dafür gibt es keine Rechtferti-
gung . Es ist ganz klar, Herr Kollege Kühn, dass wir uns
damit in verfassungsrechtlicher Hinsicht auf sehr dün-
nem Eis bewegen würden .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Es geht nur um Neuverträge!)


Das werden wir nicht mitmachen .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das trifft sich gut! Das will ja auch keiner!)


Ich möchte noch etwas zur Modernisierung sagen . Die
umfassende Modernisierung ist eine weitere Ausnahme,
die wir bei der Mietpreisbremse vorgesehen haben . Ich
möchte eines ganz klar sagen: Natürlich soll es hier kei-
nen Missbrauch geben . Da sind wir völlig klar, auch als
Union . Es darf nicht sein, dass junge Familien oder ältere
Menschen aus ihrer Wohnung herausmodernisiert wer-
den. Wenn ein Missbrauch offen zutage tritt, muss es –
das sage ich ganz klar – Sanktionen geben .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann hätten Sie es doch reingeschrieben!)


Dann muss überlegt werden, ob man Schadenersatzan-
sprüche geltend machen kann . Man müsste auch darüber
nachdenken, ob das vielleicht sogar ein ordnungswidriges
Verhalten ist . Da bin ich völlig dabei . Einen Missbrauch
des Instruments der Modernisierungsmieterhöhung darf
es nicht geben, und das gibt es mit uns auch nicht .


(Klaus Mindrup [SPD]: Gibt es aber ständig!)


Ich finde Ihre Argumentation in dieser Diskussion
seltsam . Sie sagen zum Beispiel, wir hätten die Schwel-
le für die umfassende Modernisierung zu hoch ange-
setzt . Was ist eigentlich eine umfassende Modernisie-
rung? Sie sagen, wenn man ein Drittel der Kosten, die
ein vergleichbarer Neubau gekostet hätte, aufwenden
muss, würde dadurch ein falscher Anreiz gesetzt . Das
würde nämlich dazu führen, dass alle Vermieter mög-
lichst hochpreisig modernisierten, um unter diese Aus-
nahmeregelung zu fallen . Dazu kann ich nur sagen: Wir
als Union haben darauf hingewiesen, dass dieser Effekt
eintreten kann . Weil wir genau dieses Problem gesehen
haben, haben wir gesagt: Wir dürfen die Schwelle nicht
zu hoch setzen . Deswegen haben wir in die Begründung
hineingeschrieben, dass auch in den Fällen, in denen ein
Drittel der Kosten nicht erreicht wird, aber verschiedene
Baugruppen qualitativ angefasst werden, zum Beispiel

Dr. Jan-Marco Luczak






(A) (C)



(B) (D)


Badsanierung, Fenstersanierung oder Elektroinstallation,
eine umfassende Modernisierung vorliegt .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das Gegenteil von dem, was Sie gerade gesagt haben!)


Damit wollen wir eine möglichst hochpreisige Moder-
nisierung verhindern . Wir wollen keinen Anreiz für eine
hochpreisige Modernisierung bieten, die die Mieter hin-
terher vor Schwierigkeiten stellt . Das haben wir als Uni-
on hineinverhandelt, und das war auch richtig so .


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo bleibt der Applaus der Union?)


Ich will noch einen Punkt ansprechen . Sie tun ja im-
mer so, als seien alle Modernisierungen Luxusmoder-
nisierungen, dass das quasi der Regelfall sei . Ich sage:
Nein, das ist nicht so . In den allermeisten Fällen geht es
um eine energetische Modernisierung oder den altersge-
rechten Umbau . Das sind beides gesamtgesellschaftlich
wichtige Ziele, die wir verfolgen . Ich glaube, da sind wir
uns völlig einig . Natürlich brauchen wir die energetische
Sanierung, um unsere ehrgeizigen Klimaschutzziele zu
erreichen, und natürlich brauchen wir auch einen alters-
gerechten Umbau, um mit der demografischen Entwick-
lung Schritt halten zu können .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tun Sie aber nicht!)


Die Grünen haben das in ihrem Antrag sehr schön
formuliert . Das könnte ich eins zu eins übernehmen . Sie
schreiben in ihrem Antrag:

Unsere Wohnungen und Wohnungsmärkte müssen
fit für die Zukunft gemacht werden. ... Angesichts
der Klimakrise ist es dringend notwendig, auch im
Gebäudebestand deutlich mehr Energie einzuspa-
ren .

Dann geht es weiter:

Zusätzlich brauchen wir durch den demographi-
schen Wandel vermehrt altersgerechte und barriere-
freie Wohnungen, damit die Menschen so lange wie
möglich selbstbestimmt leben können .


(Ulli Nissen [SPD]: Aber wenn sie die Miete nicht mehr bezahlen können, was ist dann?)


Ja, genau . Wunderbar schreiben Sie das in Ihrem Antrag .
Das ist völlig richtig so . Nur: Sie ziehen die völlig fal-
schen Schlüsse daraus .

Wozu würde das, was Sie jetzt hier vorschlagen, näm-
lich die Ausnahmen für die umfassende Modernisierung
abzuschaffen und bei der Modernisierungsmieterhöhung
massive Einschnitte vorzunehmen, führen? Das führt
doch nur dazu, dass diese Modernisierungen unter dem
Strich nicht mehr wirtschaftlich tragbar sind und nicht
mehr finanzierbar sind. Dann werden sie letztlich auch
nicht mehr vorgenommen . Und wer hat dann hinterher
die Folgen zu tragen? Das sind doch die Mieterinnen und
Mieter, die mit der zweiten Miete, den Betriebskosten,
jetzt schon erheblich belastet sind . Die zweite Miete, die

Betriebskosten, ist viel stärker als die Kaltmiete gestie-
gen .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das gilt aber auch nicht überall! Gucken Sie einmal nach Köln oder München!)


Gerade die altersgerechte Modernisierung halte ich
wirklich für eine zutiefst soziale Frage . Die 90-jährige
Witwe, die ihr Bad nicht mehr benutzen kann, weil es
nicht altersgerecht umgebaut ist, und nicht mehr in ihre
Wohnung kommt, weil sie vielleicht Probleme mit der
Hüfte hat und es keinen Fahrstuhl gibt, müsste also aus
ihrer Wohnung ausziehen, weil Sie verhindern, dass die
Wohnung modernisiert wird . Das geht nicht . Das werden
wir nicht mitmachen . Das ist auch eine soziale Frage,
meine Damen und Herren .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD]: Und wie soll sie die Miete bezahlen, wenn dann der Fahrstuhl drin ist? – Zuruf des Abg . Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Deswegen ist es völlig richtig, dass das Konzept der
Modernisierung bei den Kosten auf drei Schultern liegt .
Natürlich muss der vermietende Eigentümer Kosten tra-
gen . Natürlich muss auch der Staat hier etwas tun . Da
muss gefördert werden . Es gibt ja eine ganze Reihe von
Förderprogrammen bei der KfW . Man kann auch noch
überlegen, was man steuerlich machen kann . Aber na-
türlich muss auch der Mieter seinen Anteil über die Mo-
dernisierungsmieterhöhung dazu beitragen . Wir wollen
insbesondere deshalb an diesem Konzept der drei Säu-
len, die das Ganze tragen, festhalten, weil wir sonst die
gesamtgesellschaftlichen Ziele nicht erreichen . Dass Sie
hier die Belastung einseitig den Vermietern aufbürden
wollen, ist nicht in Ordnung . Das wird es mit der Union
auch nicht geben .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte noch einen letzten Punkt ansprechen – es
gäbe noch ein paar Punkte, die ich ansprechen könnte;
aber irgendwann ist meine Redezeit dann auch zu Ende –,


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Nur die Redezeit, Herr Kollege! Keine Sorge! Nur die Redezeit!)


nämlich die Rügepflicht, die Sie streichen wollen. Ak-
tuell ist es ja folgendermaßen: Wenn ein Mieter in eine
Wohnung einzieht, dann kann er – dieses Recht haben
wir ihm gegeben – die Höhe seiner Miete rügen . Ab die-
sem Zeitpunkt kann er, wenn sich hinterher herausstellt,
dass die Miete zu hoch war, den zu viel gezahlten Betrag
auch zurückverlangen . Er kann also zum Vermieter sa-
gen: Ich habe zu viel gezahlt; bitte zahle mir das zurück .


(Ulli Nissen [SPD]: Aber erst ab Widerspruch, Herr Luczak! – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum erst ab Widerspruch?)


– Ab der Rüge, Frau Kollegin .


(Ulli Nissen [SPD]: Warum das, wenn es ein Fehler war?)


Dr. Jan-Marco Luczak






(A) (C)



(B) (D)


Und was ist jetzt der Sinn und Zweck dieser Rüge-
pflicht, die Sie nun streichen wollen? Sie sagen, im Prin-
zip schaffe ein solches Verfahren für den Vermieter einen
Anreiz, die Mietpreisbremse zu umgehen .


(Ulli Nissen [SPD]: Logisch!)


Sie bauen hier wieder das Feindbild des Vermieters auf .
An dieser Stelle müssen wir wirklich deutlich Wider-
spruch erheben . Das entspricht einfach nicht den Tatsa-
chen . Die weit überwiegende Zahl der Mietverhältnisse
funktioniert wunderbar . Da gibt es ein gutes Verhältnis
zwischen Vermietern und Mietern, und das klappt wirk-
lich ohne Probleme .


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Wo ist dann Ihr Problem? – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Warum machen Sie dann überhaupt ein Gesetz, wenn es so schön ist?)


Der tatsächliche Sinn und Zweck dieser Rügepflicht ist
doch, Planungssicherheit zu geben – Planungssicherheit
für den Vermieter, weil er nämlich wissen muss, was er
verlangen kann .


(Ulli Nissen [SPD]: Ja, Planungssicherheit für den Vermieter! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Luczak, wie kalt ist das denn? Planungssicherheit für den Eigentümer, und dem kleinen Mann wird in die Tasche gefasst?)


Wir reden jetzt – noch einmal – nicht über die gro-
ßen Gesellschaften, sondern es geht, liebe Frau Künast,
um den kleinen Vermieter, den kleinen Eigentümer, der
vielleicht eine oder zwei Wohnungen als Altersvorsor-
ge hat . Dieser hat große Probleme, zu bestimmen: Wie
hoch ist denn eigentlich die ortsübliche Vergleichsmiete
plus 10 Prozent? Wie viel Miete kann ich denn da über-
haupt nehmen? Er hat große Probleme, diese zu ermit-
teln, weil wir immer noch keine Reform der Mietspiegel
haben . Als Union haben wir das schon lange eingefor-
dert . Das BMJV hat aber immer noch keinen vernünfti-
gen Vorschlag vorgelegt . Das wäre einmal ein richtiger
Vorschlag, damit wir da einmal ein Stück weiterkommen .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822105500

Herr Luczak, bitte einmal atmen und die Frage beant-

worten: Sind Sie dazu bereit, eine Zwischenfrage – –


Dr. Jan-Marco Luczak (CDU):
Rede ID: ID1822105600

Ja .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822105700

Gut . – Frau Lay .


(Ulli Nissen [SPD]: Er grinst jetzt voller Freude!)



Dr. Jan-Marco Luczak (CDU):
Rede ID: ID1822105800

Meine Zeit ist angehalten worden .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822105900

Ich sage nur: Sitzungsschluss 3 Uhr morgens .


Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822106000

Vielen herzlichen Dank dafür, dass Sie die Frage zu-

lassen . – Sie haben jetzt lange und ausführlich erläutert,
bei welchen Nachbesserungen der Mietpreisbremse Sie
nicht mitgehen würden . Ich habe aber mehrere Zitate von
Ihnen gefunden, in denen Sie gesagt haben, dass Sie of-
fen für Nachbesserungen sind, zum Beispiel im Bereich
der Auskunftspflicht des Vermieters. Entsprechend haben
Sie sich im Mai 2016 sowie am 7 . und am 8 . September
2016 zitieren lassen .

Sind Sie weiterhin bereit, wenigstens in diesem einen
Punkt, der Auskunftspflicht des Vermieters, die Miet-
preisbremse noch in dieser Legislaturperiode nachzubes-
sern? Oder galt diese Aussage nur kurz vor den Abgeord-
netenhauswahlen in Berlin?


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Jan-Marco Luczak (CDU):
Rede ID: ID1822106100

Ich stand selber bei den Abgeordnetenhauswahlen von

Berlin nicht zur Wahl . Insofern war das völlig unabhän-
gig von diesen Wahlen, Frau Kollegin .


(Lachen bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Für mich und für uns alle in der Fraktion ist völlig
klar: Die Mietpreisbremse muss in der Praxis funktio-
nieren . Es bringt ja überhaupt nichts, wenn wir hier als
Gesetzgeber Gesetze erlassen, an die sich hinterher in
der Praxis keiner hält . Deswegen sage ich: Alles das, was
dazu führt, dass die Mietpreisbremse in der Praxis besser
funktioniert, finde ich selbstverständlich in Ordnung.


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Aber? – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr tut doch nur so!)


Deswegen kann man auch über das Auskunftsrecht re-
den, wenn es um die Vormiete geht . Das Auskunftsrecht,
das Sie jetzt vorschlagen und haben wollen, geht aber
viel weiter . Sie sagen ja, dass der Vermieter dem Mieter
alle erdenklichen Tatsachen beibringen muss, damit der
Mieter das Ganze valide beurteilen kann .

An dieser Stelle sage ich noch einmal: Wir reden hier
nicht von den großen Gesellschaften, sondern von den
65 Prozent der Wohnungen in unserem Land, die von pri-
vaten Kleinvermietern angeboten werden . Diese haben
große Schwierigkeiten, zu ermitteln, was denn eigent-
lich die ortsübliche Vergleichsmiete ist . Wenn Sie jetzt
verlangen, dass sozusagen alle Tatsachen beigebracht
werden, dass es valide sein muss, dann wälzen Sie damit
einseitig das Risiko auf die Vermieter ab . Das ist nicht in
Ordnung . Deswegen noch einmal: Über die Auskunfts-
pflicht kann man reden. Aber auch alle anderen Tatsa-
chen vorher mitzuteilen, das wird es mit der Union an der
Stelle nicht geben .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach! Sie lügen sich hier etwas zurecht!)


Dr. Jan-Marco Luczak






(A) (C)



(B) (D)


Jetzt fängt die Uhr wieder an, zu laufen . Ich habe nur
noch wenige Sekunden Redezeit . Deswegen möchte ich
noch kurz meine Gedanken zum zuletzt von mir ange-
sprochenen Punkt, zur Rügepflicht, zu Ende bringen. Pla-
nungssicherheit war der entscheidende Gesichtspunkt an
dieser Stelle. Wenn man die Rügepflicht obsolet werden
lassen würde, wenn man sie streichen würde, würde das
möglicherweise dazu führen, dass ein Mieter, der über
Jahre in einer Wohnung gewohnt hat, wenn er ohnehin
auszieht, sagen könnte: Ich habe eigentlich viel zu viel
Miete gezahlt und fordere den Differenzbetrag jetzt zu-
rück . – Dadurch würde sich der private Kleinvermieter
mit einer großen Summe, die er zurückzahlen müsste,
konfrontiert sehen . Dies könnte ihn eventuell sogar in
ernsthafte wirtschaftliche Schwierigkeiten bringen . Des-
wegen haben wir gesagt: Nein, wir wollen hier Rechtssi-
cherheit haben .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist doch gar keine Rechtssicherheit!)


Wir wollen nicht, dass jemand überfordert wird . Deswe-
gen ist die Rügepflicht richtig.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822106200

Redezeit!


Dr. Jan-Marco Luczak (CDU):
Rede ID: ID1822106300

Der letzte Punkt . – All diejenigen Vermieter, die hier

Missbrauch betreiben, die vorsätzlich eine falsche Vor-
miete angeben, sind Betrüger . Das ist ganz klar .


(Die Verblendung eines Sitzplatzes in den Reihen der LINKEN fällt zu Boden)


– So schlimm war das doch gar nicht, Frau Kollegin .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822106400

Würden Sie bitte zum Ende kommen .


Dr. Jan-Marco Luczak (CDU):
Rede ID: ID1822106500

Für solche Betrüger gibt es einschneidende Sanktions-

möglichkeiten; das ist in Ordnung .

Deswegen: Unter dem Strich sind wir dafür, dass die
Mietpreisbremse funktioniert . Das tut sie in der Praxis
auch . Ihre Vorschläge können wir nicht mittragen, meine
Damen und Herren, weil sie an der Praxis völlig vorbei-
gehen .

Vielen Dank .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822106600

Es macht nichts, dass Sie randaliert haben . Das be-

kommen wir wieder hin .


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Das war eine Protestaktion!)


– Das war eine Protestaktion, ja . – Nächster Redner:
Chris Kühn für Bündnis 90/Die Grünen .

Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Stutt-
gart beträgt die durchschnittliche Neuvertragsmiete
13 Euro pro Quadratmeter . Dies sind 5,9 Prozent mehr
als im letzten Jahr . In München – dies an die Adresse der
Kolleginnen und Kollegen der CSU –: 17,55 Euro, An-
stieg um 9,7 Prozent . Jetzt Berlin, Herr Luczak: 10 Euro,
Anstieg im letzten Jahr um 12,3 Prozent . Eine große
deutsche Illustrierte hat dieser Tage getitelt: „Städter in
Not“ . Ich sage: Diese Illustrierte hat absolut recht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Aber Angebotsmieten natürlich! Bleiben Sie bei der Wahrheit!)


Ich will nicht, dass Städte zu Wellnesszonen für Wohl-
habende oder Reichenghettos werden, sondern die durch-
mischte Stadt, die sozial gerechte Stadt ist das Ziel . Das
hat diese Koalition in dieser Legislaturperiode gemein-
sam leider nicht geschafft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Ulli Nissen [SPD]: Daran arbeiten wir noch!)


Sie haben dabei, die Mieten in Deutschland zu de-
ckeln, völlig versagt . Die Kanzlerin hatte es im letzten
Wahlkampf versprochen . Auch die SPD hatte es ver-
sprochen . Aber Sie sind damit gescheitert . Diese Zahlen
zeigen ganz klar: Die Mietpreisbremse in Deutschland
funktioniert nicht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr . Johannes Fechner [SPD]: Das sehen die Gerichte aber anders!)


Sie funktioniert deswegen nicht, Herr Luczak, weil
Sie von der Union die Mietpreisbremse von Anfang an
hintertrieben haben .


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Die SPD hat sich bei diesem Spiel leider aufs Kreuz
legen lassen . Wenn Sie nun heute hier sagen, dass das
Raussanieren ein Problem ist, aber dass Sie nichts an der
Modernisierungsumlage ändern wollen,


(Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das habe ich nicht gesagt!)


dann ist aus unserer Perspektive ganz klar, dass Sie hier
Krokodilstränen vergießen, aber nicht politisch handeln
wollen. Das finde ich, ehrlich gesagt, angesichts der Situ-
ation in unseren Städten unerträglich .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Klaus Mindrup [SPD])


Menschen werden heute durch Mieterhöhungen auf-
grund von Sanierungen aus den Innenstädten und aus
den Kiezen vertrieben . Das hat damit zu tun, dass die
Mietpreisbremse zu viele Löcher hat, dass sie zu viele

Dr. Jan-Marco Luczak






(A) (C)



(B) (D)


Ausnahmen kennt, dass sie nicht transparent ist und dass
es eine Rügepflicht gibt, die dem Mietrecht eigentlich
systemfremd ist . Das haben Sie zu verantworten . Des-
wegen haben Sie die Mieterinnen und Mieter in dieser
Legislaturperiode enttäuscht . Sie als Union sollten sich
wirklich einmal überlegen, ob Sie mit diesen Ansagen an
die Mieterinnen und Mieter auch in den nächsten Wahl-
kampf ziehen wollen, wenn Sie schon jetzt mit der Miet-
preisbremse so gegen die Wand gefahren sind .

Sehr geehrter Herr Luczak, noch einmal: Ich höre
immer wieder, dass Sie von Eigentum und Eigentümern
sprechen; das haben Sie auch jetzt wieder ein paarmal
gesagt . Sie sagen auch immer wieder, zum Beispiel auf
Podiumsdiskussionen: Wir wollen zukünftige Eigentü-
mer schützen und in Eigentum bringen . – Die Eigentü-
mer von morgen sind doch die Mieterinnen und Mieter
von heute . Die hohen Mietpreise fressen den Menschen
sozusagen das Geld weg, sodass sie nichts mehr sparen
können, um Eigentum zu erwerben . Ich sage Ihnen: Eine
funktionierende Mietpreisbremse ist auch Schutz der Ei-
gentümer von morgen . Deswegen sollten Sie sich noch
einmal überlegen, ob die Position, die Sie im Augenblick
bei der Mietpreisbremse haben, wirklich zu Ihren Grund-
haltungen passt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Dann könnten Sie doch schon einmal bei der Grunderwerbsteuer in Berlin ansetzen!)


Heute haben Sie, weil es hier um Gesetzentwürfe geht,
über die auch namentlich abgestimmt wird, die Chance,
Farbe zu bekennen, ob Sie die Mietpreisbremse wirklich
scharfstellen wollen, ob Sie also mietrechtliche Refor-
men durchführen wollen oder nicht . Dies ist, soweit man
das im Augenblick sehen kann, in dieser Legislaturperio-
de die letzte Mietrechtsdebatte,


(Ulli Nissen [SPD]: Das wird sich noch zeigen! Wenn man ein gutes Gesetz einbringt, werden Sie sich noch wundern!)


die von der Opposition beantragt worden ist . Sie haben
nun die Chance, die größten Schnitzer aus der Miet-
rechtsnovelle herauszunehmen . Ich glaube nicht mehr
an ein zweites Mietrechtspaket . Es ist von Heiko Maas
mehrfach vorgeschlagen, aber von der Union abgebügelt
worden . Ich sage Ihnen deswegen: Heute haben Sie die
Chance, noch etwas zu ändern .

Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD,
reden viel über sozialen Zusammenhalt, soziale Gerech-
tigkeit und davon, dass Sie Mieterinnen und Mieter in
Deutschland schützen wollen .


(Ulli Nissen [SPD]: Wir reden nicht nur darüber!)


Auch Ihr Spitzenkandidat tut das . Aber am Ende, glau-
be ich, kommen Sie nicht darum herum: Auch im Wahl-
kampf müssen Sie Ihrem Handeln hier im Parlament und
der Bilanz, die Sie als Große Koalition vorlegen, stand-
halten; das sage ich Ihnen ganz klar .


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Keine Sorge!)


Deswegen fordere ich Sie auf: Bekennen Sie hier und
heute Farbe!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wenn man heutzutage in Stuttgart mit durchschnitt-
lich 75 anderen Menschen in der Schlange steht, um sich
um eine Wohnung zu bewerben, dann wird einem voll-
kommen klar, dass die Wohnungsmärkte aus dem Ruder
geraten sind .


(Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Richtig! Aber da nützt eine Mietpreisbremse überhaupt nichts! – Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Deshalb brauchen wir mehr Neubau!)


Das Mietrecht, wie wir es kennen, ist ein Ausgleichs-
recht . Aber es funktioniert angesichts der überhitzten
Wohnungsmärkte eben nicht mehr, Mieterinnen und
Mieter vor Raussanierungen und überzogenen Mietfor-
derungen zu schützen . Deswegen braucht es eine soziale
Erneuerung des Mietrechts .


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Sagen Sie doch auch mal einen Satz zum Thema Neubau, bitte!)


Dafür stehen wir Grünen, sowohl mit unserem Antrag als
auch mit unseren Gesetzentwürfen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Bilanz, Herr Luczak, die Sie hier so schön dar-
gestellt haben, ist doch eine ganz andere . Die Bilanz
ist doch eigentlich, dass die Mieterinnen und Mieter in
dieser Legislaturperiode in eine ziemlich dunkle Röhre
geblickt haben . Und auf dieser dunklen Röhre stehen
„CDU/CSU“ und „Herr Luczak“ drauf .


(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Ulli Nissen [SPD]: Mit der Aussage bin ich einverstanden!)


Denn Sie haben verhindert, dass in dieser Legislaturperi-
ode mehr Rechte für Mieterinnen und Mieter beschlossen
wurden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Ziemlich platt, Herr Kollege Kühn!)


Es braucht also eine Ablösung der Großen Koalition,
auch angesichts der dramatischen Situation auf den Woh-
nungsmärkten . Sie sind nämlich nicht handlungsfähig,
weder beim Mietrecht noch bei anderen Fragen des Woh-
nens . Wir Grünen treten dafür ein, dass es mehr Schutz
für Mieterinnen und Mieter, mehr sozialen Wohnungsbau


(Michael Frieser [CDU/CSU]: Ha, ha! Das ist unfassbar!)


und endlich wieder ausgeglichene Wohnungsmärkte gibt .
Wir wollen damit dafür sorgen, dass wir den sozialen Zu-
sammenhalt in unseren Städten nicht länger gefährden .

Christian Kühn (Tübingen)







(A) (C)



(B) (D)


Danke schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Sie hätten auch mal einen Satz zum sozialen Wohnungsbau sagen sollen!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822106700

Vielen Dank, Chris Kühn . – Nächster Redner: Klaus

Mindrup für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Klaus Mindrup (SPD):
Rede ID: ID1822106800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wenn ich Sprechstunden durchführe oder in
meinem Wahlkreis in Berlin unterwegs bin, gibt es ein
Thema, auf das ich am häufigsten angesprochen werde:
Das ist die Angst der Menschen, ihre eigene Wohnung
zu verlieren, sei es durch starke Mietsteigerungen, sei es
durch Modernisierungen, sei es durch Umwandlung in
Eigentumswohnungen oder sei es durch Eigenbedarfs-
kündigungen . Ich persönlich kann diese Angst nachvoll-
ziehen. Ich finde, wir dürfen sie an dieser Stelle auch
nicht kleinreden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich bin seit 2002 Aufsichtsrat einer kleinen Mieterge-
nossenschaft im Prenzlauer Berg . Als im Jahr 2000 ein
Spekulant unsere Wohnungen erwerben wollte, ist es uns
gelungen, sie zu sichern . Wir haben seitdem spekulati-
onsfreien Wohnraum zur Verfügung gestellt, wir haben
weitere Häuser dazugekauft, wir schreiben schwarze
Zahlen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union,
und wir vermieten weit unter dem Mietspiegel . Das ist
also möglich, auch mit einem seriösen Geschäftsmodell
möglich .

Ein paar Straßen weiter, in der Kopenhagener Straße,
wo ich mein Wahlkreisbüro habe, steht ein Haus, über
das hier schon mehrfach diskutiert worden ist . Da sieht
man, was in diesem Land rechtlich auch möglich ist .
Wir müssen uns dieses Extrembeispiel einmal anschau-
en . Das Haus in der Kopenhagener Straße 46 hat einem
Freund von mir gehört . Nachdem er gestorben war, ha-
ben seine Kinder das Haus meistbietend weiterverkauft .
Der neue Eigentümer hat eine umfassende Modernisie-
rung angekündigt . Die Mieten sollten um 10 bis 15 Euro
pro Quadratmeter steigen, also nicht auf, sondern um 10
bis 15 Euro .

Die Modernisierung sollte von Firmen durchgeführt
werden – und wurde auch zum Teil von diesen durch-
geführt –, die mit dem neuen Eigentümer wirtschaftlich
verflochten waren. Daher wurden extrem hohe Baukos-
ten aufgerufen . Das Ziel des neuen Eigentümers war aber
gar nicht, als Vermieter aufzutreten . Er hat den Altbau in
Eigentumswohnungen aufteilen lassen, um sie zu verkau-
fen . Damit dieses Modell aufgeht, musste er erst einmal
seine Mieterinnen und Mieter, eigentlich seine Kunden,
loswerden . Ihm ist das – bis auf zwei Wohnungen – auch

gelungen . Heute stellen wir fest, dass gar nicht alle Bau-
maßnahmen, die damals angekündigt worden sind, auch
durchgeführt wurden . Nachdem ein Haus entmietet wur-
de, kann man ja Eigentumswohnungen als Betongold
verkaufen, auch wenn die teure Wärmerückgewinnung
gar nicht gebaut wurde .


(Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Da müssen wir ran!)


Ich erwähne dieses Modell, weil oftmals nicht zwi-
schen den Geschäftsmodellen unterschieden wird . Man
spricht häufig von „Investoren“, aber es gibt einen Unter-
schied zwischen Vermietern, die sich an die Spielregeln
halten – vor allen Dingen städtische Wohnungsbaugesell-
schaften, Genossenschaften, kleine Vermieter und ande-
re –, und Leuten, die Häuser billig aufkaufen und entmie-
ten, um die Wohnungen anschließend teuer zu verkaufen .

In diesem Land hat sich ein grauer Baumarkt breit-
gemacht . Diesen grauen Baumarkt müssen wir stoppen,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


und ich habe gerade von Herrn Dr . Luczak gehört, dass
die Union das will .

Die Therapie bzw . die Methode ist schon klar . Heiko
Maas hat das Mietrechtspaket II vorgelegt, und nach dem
Mietrechtspaket II wird so etwas wie in der Kopenhage-
ner Straße gar nicht mehr möglich sein,


(Ulli Nissen [SPD]: Was nun, Herr Luczak? – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an die Abg . Ulli Nissen [SPD] gewandt: Er sagt jetzt: Darüber müssen wir reden!)


weil danach bei Modernisierungen auch der Grundsatz
der Wirtschaftlichkeit zu beachten sein wird . Das müsste
einer Partei der sozialen Marktwirtschaft eigentlich ver-
ständlich zu machen sein .


(Beifall bei der SPD)


Wirtschaftlichkeit und soziale Zumutbarkeit werden
bei Modernisierungen nicht mehr richtig geprüft . Das ist
ein ganz schwerer Fehler . Man kann ihn relativ einfach
beheben, indem man sagt: Die Höhe der umlegbaren
Kosten wird gekappt, wie das von Herrn Maas ja auch
vorgeschlagen worden ist, und die Modernisierungsum-
lage wird der Zinsentwicklung angepasst . Damit kann je-
der seriöse Vermieter leben, aber der graue Baumarkt in
unserem Land würde ausgetrocknet . Ein Parlament wie
der Bundestag muss doch in der Lage sein, so etwas zu
beschließen .


(Beifall bei der SPD – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Große Koalition ist es nicht!)


Wir als SPD wollen gemeinwohlorientierte Geschäfts-
modelle unterstützen . Als Erstes sehen wir natürlich die
städtischen Wohnungsbaugesellschaften und die Genos-
senschaften als Partner an . Wir können das Bündnis aber

Christian Kühn (Tübingen)







(A) (C)



(B) (D)


gerne um alle erweitern, die das Gemeinwohl im Blick
haben . Ich bin hier überhaupt nicht ideologiefrei .


(Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das war ein Freud’scher Versprecher!)


– Ich bin hier überhaupt nicht ideologiebehaftet . Das war
ein schöner Versprecher, aber das Thema ist wirklich
ernst . – Es geht tatsächlich um den sozialen Frieden in
unserem Land; das ist ja schon deutlich gemacht worden .

Eine soziale Marktwirtschaft funktioniert nur dann,
wenn der soziale Frieden gewahrt wird und wenn Mie-
terinnen und Mieter dauerhaft und sicher in ihren Woh-
nungen leben können . Die Mietpreissteigerungen sind
ja gerade schon zu Recht angesprochen worden . Was
soll eine Rentnerin bzw . ein Rentner denn machen? Die
Renten steigen dank unserer Politik zwar etwas, aber die
Mieten steigen noch viel schneller . Das kann doch nicht
funktionieren . Deswegen besteht hier dringender Hand-
lungsbedarf .


(Beifall bei der SPD)


Ich dachte, wir haben im Koalitionsvertrag vernünf-
tige Lösungen gefunden, die ganz klar den Weg weisen .
Eigentlich wurde verabredet, dass das Mietrechtspaket II
umgesetzt werden muss . Ich stelle aber fest, dass wir uns
hier bei der konkreten Umsetzung offensichtlich nicht ei-
nig werden . Daraus kann ich nur eine Schlussfolgerung
ziehen: In den nächsten Koalitionsvertrag – ich hoffe und
gehe davon aus, dass wir der künftigen Koalition angehö-
ren werden – wird die SPD ganz eindeutige Regelungen
hineinschreiben, und ich kann Ihnen versprechen, dass
wir, ähnlich wie beim Mindestlohn, ein soziales Miet-
recht in diesem Land durchsetzen werden .

Danke schön .


(Beifall bei der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822106900

Vielen Dank, Klaus Mindrup . – Nächster Redner: Kai

Wegner für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Kai Wegner (CDU):
Rede ID: ID1822107000

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema
„Miete und Wohnen“ ist für die Menschen in unserem
Land von größter Bedeutung


(Die Verblendung eines Sitzplatzes in den Reihen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN fällt zu Boden – Heiterkeit im ganzen Hause)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822107100

Entschuldigen Sie! – Ich weiß nicht, was heute mit der

Opposition los ist .


(Heiterkeit im ganzen Hause – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich glaube, nach der Bundespräsidentenwahl sind sie nicht ordentlich festgezogen worden!)


Vielleicht war nachts jemand unterwegs und hat sie ange-
sägt – keine Ahnung .


Kai Wegner (CDU):
Rede ID: ID1822107200

Frau Künast, ich habe doch noch gar nicht angefan-

gen . Der Protest muss doch nicht jetzt schon kommen .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822107300

Auch diese Lücke werden wir füllen . – Herr Wegner,

reden Sie bitte einfach weiter .


Kai Wegner (CDU):
Rede ID: ID1822107400

Das Thema „Miete und Wohnen“ ist für die Menschen

in unserem Land von größter Bedeutung . Deshalb begrü-
ße ich es in der Tat, dass wir einmal mehr in dieser Legis-
laturperiode eine Debatte hierzu führen .

Ein ausgewogenes und – ja – soziales Mietrecht ist für
diese Koalition eine schiere Selbstverständlichkeit .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gerade weil das Wohnen eine existenzielle Bedeutung
hat, ist das Mietrecht in Deutschland zu Recht mieter-
freundlich und mit einem weitreichenden Kündigungs-
schutz sowie einer Sozialklausel ausgestaltet worden . Vor
diesem Hintergrund muss jeder Eingriff in das Mietrecht
sorgfältig abgewogen sein, damit der gebotene Ausgleich
zwischen den unterschiedlichen Interessen auch wirklich
gewährleistet bleibt . Wenn ich aber zum Beispiel lese,
was Linke und Grüne zum Kündigungsschutz im Wohn-
raummietrecht vorlegen, muss ich schon sagen, dass die-
se Anträge Maß und Mitte schmerzlich vermissen lassen .

Mit dem, was Sie uns hier präsentieren, werden Sie
der notwendigen gesellschaftlichen Ausgewogenheit in
keiner Weise gerecht . Im Gegenteil: Sie wollen übermä-
ßig in die verfassungsmäßigen Eigentumsrechte der Ver-
mieter eingreifen, liebe Kolleginnen und Kollegen . Und
da machen wir nicht mit .


(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die ganz dicke Keule der Verfassung!)


– Ja, das ist aber so .

Fast noch schlimmer ist das, was in Ihren Initiativen
zur Mietpreisbremse zu lesen ist . Insbesondere der An-
trag der Linken liest sich wie ein einziger Misstrauensbe-
weis gegen alle Vermieterinnen und Vermieter . Ja, liebe
Kolleginnen und Kollegen, leider gibt es auch unter Ver-
mietern vereinzelt schwarze Schafe . Das dürfen wir nicht
dulden . Wir dürfen denen das auch nicht durchgehen las-
sen . Aber einen ganzen Berufsstand an den Pranger zu
stellen, meine Damen und Herren, ist eben auch nicht in
Ordnung .


(Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vermieter ist doch gar kein Beruf! – Zurufe von der LINKEN)


Diesen Misstrauensbeweis gegen Vermieterinnen und
Vermieter, die beinahe 40 Millionen Menschen in unse-

Klaus Mindrup






(A) (C)



(B) (D)


rem Lande ein Zuhause geben, weisen wir als CDU/CSU
entschieden zurück .

Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, der so-
wohl bei den Linken als auch bei den Grünen vorkommt
und bei dem es völlig in die falsche Richtung geht . Sie
fordern, dass die Mietpreisbremse auch für erstvermie-
tete Neubauwohnungen und umfassend modernisierte
Wohnungen gelten soll . Damit zeigen Sie einmal mehr,
dass Sie elementare Grundprinzipien der marktwirt-
schaftlichen Ordnung nicht verstanden haben, meine Da-
men und Herren .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, Sie haben es nicht verstanden!)


Kein rational denkender Mensch wird noch Geld in die
Hand nehmen und neue Wohnungen bauen, wenn er das
Geld nicht über die Miete wieder hineinbekommen kann,
meine Damen und Herren .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat ja keiner was dagegen!)


Und kein vernünftiger Mensch wird eine in die Jahre ge-
kommene Wohnung sanieren und die Wohnqualität für
die Mieter erhöhen, wenn er dafür am Ende noch drauf-
zahlen muss. Linke und Grüne haben offenbar bis heute
nicht verstanden, dass für eine ausreichende Wohnraum-
versorgung zu wenige Wohnungen gebaut werden und
dass für die Erreichung der Klimaschutzziele zu wenig
modernisiert wird, meine Damen und Herren .

Wir haben die Mietpreisbremse eingeführt, um star-
ken Preissteigerungen – –


(Ulli Nissen [SPD]: Wer hat es erfunden? – Weitere Zurufe von der SPD)


– Wir in der Koalition . Ich spreche doch von der Koali-
tion; noch sind wir in der Koalition, auch wenn ihr euch
etwas anderes wünscht . – Zur Wahrheit gehört, dass die
Große Koalition diese Mietpreisbremse eingeführt hat .
Die Vorgängerregierung aus Rot-Grün hat das übrigens
nicht getan, meine Damen und Herren . Von daher ist es
vielleicht ganz gut, dass die Union mitregiert .


(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Vorgängerregierung war Schwarz-Gelb, und die hat das Mietrecht richtig geschleift!)


Ja, meine Damen und Herren, wir haben die Miet-
preisbremse mit unserem Koalitionspartner eingeführt,
um starken Preissteigerungen auf den Mietwohnungs-
märkten zu begegnen . Und ja, wir wollen verhindern,
dass sich Mieter eine Wohnung in Gegenden, in denen
es eine starke Nachfrage gibt, nicht mehr leisten können .
Sie hingegen wollen eine Mietpreisbremse, die zur In-
vestitionsbremse umfunktioniert wird, liebe Kolleginnen
und Kollegen . Auch da machen wir nicht mit; denn so
etwas nützt weder den Mieterinnen und Mietern noch
irgendjemand anderem . Vielmehr brauchen wir mehr
Investitionen in neuen Wohnraum, meine Damen und
Herren .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ja, wir wollen den Anstieg der Mieten begrenzen . Da
sind wir uns alle einig .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt nicht! Sie tun nur so!)


Ja, wir wollen, dass in Deutschland Wohnen bezahlbar
bleibt . Es gibt aber einen Unterschied, meine Damen und
Herren: Sie von der Opposition wollen Wohnungsmangel
verwalten, wir wollen Wohnungsneubau gestalten . Und
wir tun gut daran . Denn wenn die Nachfrage nach Woh-
nungen steigt, dann muss auch das Angebot an Wohnun-
gen mitwachsen, um die Mietpreise konstant zu halten .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das weiß ja selbst Klein Fritzchen!)


– Na, es wäre ja super gut, Frau Künast, wenn das alle
wüssten . Es wäre auch gut, wenn in Ihren Initiativen, die
wir heute beraten, irgendetwas von neuem Bauen enthal-
ten wäre .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das können wir ja nicht in jeden Antrag schreiben!)


Kein einziger Punkt in Ihren Initiativen schafft irgendei-
ne neue bezahlbare Wohnung, meine Damen und Herren .
Darüber müssen wir viel mehr reden .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Herr Wegner, vielleicht haben Sie es noch nicht gemerkt: Es geht heute um Mietrecht und soziale Wohnraumförderung!)


Dass Linke und Grüne mit dem notwendigen Neubau
von Wohnungen leider häufig Probleme haben, zeigt sich
immer wieder, zuletzt einmal mehr in Berlin . Eines der
größten Bauvorhaben der wachsenden Stadt wurde von
Linken und Grünen und wegen der Machtfrage leider
auch von unserem Koalitionspartner SPD hier in Berlin
über Nacht einkassiert . 5 000 neue Wohnungen hätten
auf der Elisabethaue in Pankow gebaut werden können,
12 500 Menschen hätten dort ein neues Zuhause finden
können . Das Projekt wurde über Nacht einkassiert, so-
dass 12 500 Menschen in Berlin kein neues Zuhause fin-
den können, meine Damen und Herren .

Das zeigt einmal mehr Ihre Doppelmoral: hier im Par-
lament wohlfeile Anträge formulieren und für bezahlbare
Mieten kämpfen, aber dort, wo man Regierungsverant-
wortung hat, wo es darum geht, neue Wohnungen zu bau-
en, da legen Sie den Schalter um und sagen: Nein, das
wollen wir nicht . – Diese Doppelmoral nehmen wir nicht
hin und lassen sie Ihnen auch nicht durchgehen, meine
Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Mieter, die in Berlin raussaniert werden, sind Ihnen einfach egal! Das ist leider Fakt!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
das beste Mittel – Frau Künast hat mir das bestätigt – ge-
gen steigende Mieten ist und bleibt der Wohnungsneubau .

Kai Wegner






(A) (C)



(B) (D)


Anders gewendet: Wenn das Wohnen in Deutschland für
alle Bevölkerungsgruppen bezahlbar bleiben soll, gibt es
nur ein Mittel: bauen, bauen und nochmals bauen .

Lieber Christian Kühn, du hast das Beispiel genannt:
75 Menschen stehen in Stuttgart für eine Wohnung an .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Im Durchschnitt!)


– Im Durchschnitt, absolut richtig . Es können auch noch
mehr sein . In Berlin haben wir eine ähnliche Situation . –
Jetzt würde ich gerne einmal hören, welche der Maßnah-
men aus Ihren Anträgen dagegen Abhilfe schaffen wür-
de . Wenn es keine Wohnungen gibt, werden weiterhin im
Durchschnitt 75 Menschen für eine Wohnung anstehen .


(Zuruf der Abg . Sabine Leidig [DIE LINKE])


Deswegen brauchen wir mehr Wohnungsbau . Ich möch-
te die Opposition bitten, den Schalter umzulegen . Wir
brauchen mehr Baulandmobilisierung . Wir brauchen
mehr Wohnungsbau in allen Preissegmenten . Das ist die
Aufgabe, die wir als Deutscher Bundestag haben, meine
Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen haben wir eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit beantragt!)


Ja, diese Koalition setzt auf Bauen . Diese Koalition
setzt auf Investitionen in den Wohnungsbau . Wir haben
uns gemeinsam auf einige Maßnahmen verständigt . Ich
denke da an das Bündnis für bezahlbares Wohnen und
Bauen . Wir haben eine umfassende Bestandsaufnahme
vorgenommen . Wir haben auch einige Maßnahmen um-
gesetzt . Als Beispiel erwähne ich die Verdreifachung der
Mittel für den sozialen Wohnungsbau auf 1,5 Milliarden
Euro im Jahr .

Nun ist es leider eben nicht so, dass die Mittel, die
wir für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung stel-
len, von den Ländern dafür verwendet werden . Ich kann
nur sagen: Wir alle sollten fraktionsübergreifend auf die
Länder einwirken, damit diese Mittel endlich für den so-
zialen Wohnungsbau eingesetzt werden, statt in irgend-
welchen Haushaltslöchern zu versickern .


(Zuruf der Abg . Ulli Nissen [SPD])


Es ist unanständig, was die Länder hier machen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir debattieren heute Abend ein wichtiges Instrument
für mehr Wohnungsbau . Wir verabschieden heute Abend
die Änderung der Bauplanungsrechtsnovelle .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Darüber reden wir heute Abend! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, weil Sie sich immer noch nicht trauen!)


Wir schaffen damit einen neuen Baugebietstypus, näm-
lich das „Urbane Gebiet“ . Herr Luczak hat es schon
gesagt: Die Situationen in Ballungszentren und in länd-
lichen Räumen sind unterschiedlich, auch was den Miet-
markt angeht . Mit diesem neuen Baugebietstypus er-

möglichen wir es den Städten und Gemeinden, höhere
Bebauungsdichten zu beschließen und damit zusätzliche
Wohnungen in den urbanen Zentren zu schaffen. Zudem
schaffen wir die Voraussetzungen dafür, dass die Städte
und Gemeinden leichter Baurecht am Ortsrand schaffen
können . Auch das entlastet den Wohnungsmarkt, gerade
in den Ballungszentren .

Andere Punkte aus dem Bündnis hingegen harren
noch einer Umsetzung . Ich denke zum Beispiel an die
Entbürokratisierung von Vorschriften und Normen im
Bauordnungsrecht .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ja!)


Hier wünsche ich mir – Frau Künast, ich hoffe, da sind
wir einer Auffassung –,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, schon wieder nicht!)


dass sich die Länder endlich darauf verständigen, eine
einheitliche Musterbauordnung in diesem Land zu schaf-
fen . Auch das wäre ein Schub für mehr Wohnungsbau in
Deutschland .

Ein weiterer Punkt, der uns wichtig war, ist und sein
wird, auch in den kommenden Auseinandersetzungen,
ist die steuerliche Förderung zur Ankurbelung des Miet-
wohnungsbaus. Ich finde es sehr bedauerlich, dass wir
uns in der Koalition mit unserem Koalitionspartner nicht
einigen konnten . Ich glaube, es ist wichtig, dass wir ge-
rade in diesen Zeiten Kapital freisetzen und steuerliche
Förderung ermöglichen, um den Mietwohnungsbau an-
zukurbeln, meine Damen und Herren .

Ein Punkt, der in den Anträgen und Gesetzentwürfen
Ihrerseits überhaupt nicht vorkommt, ist die Schaffung
von Wohneigentum . Die haushaltsbezogene Wohneigen-
tumsquote liegt in Deutschland deutlich unter 50 Pro-
zent, während in Ländern wie Schweden, Belgien oder
Italien mehr als zwei Drittel der Menschen sprichwört-
lich in den eigenen vier Wänden leben . Ich glaube, wir
müssen hier mehr tun und den Menschen Mut machen .
Auch müssen wir es ermöglichen, dass Menschen mehr
auf Eigentum setzen. Dies schafft mehr Bindung für ihre
Wohnung, dies schafft mehr Bindung für die Quartiere –
das brauchen wir –, und es ist natürlich auch die beste
Altersvorsorge, die man sich überhaupt wünschen kann .

Wir werden dafür streiten und kämpfen, dass wir ein
Baukindergeld bekommen, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, weil wir es gerade Familien ermöglichen wollen, in
den eigenen vier Wänden zu wohnen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer stellt denn den Finanzminister seit vielen Jahren?)


Wir sind uns einig, dass wir jährlich zwischen 350 000
und 400 000 Wohnungen brauchen . Ich bleibe dabei: Wir
brauchen diese Wohnungen in allen Preissegmenten;
denn wenn wir bei den großen Neubauvorhaben nur auf
sogenannte günstige Wohnungen setzen, gefährdet das
die soziale Mischung in den Quartieren, und wir schaffen
uns die Probleme in bestimmten Quartieren von morgen .

Kai Wegner






(A) (C)



(B) (D)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822107500

Denken Sie bitte an die Redezeit .


Kai Wegner (CDU):
Rede ID: ID1822107600

Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin .

Die Sicherung von bezahlbarem Wohnraum ist eine
wichtige Gestaltungsaufgabe . Diese Koalition nimmt
diese Gestaltungsaufgabe an . Die Anträge und Gesetz-
entwürfe der Opposition gehen leider vollkommen in die
falsche Richtung . Mehr Plan, weniger Markt, Misstrauen
gegen Vermieter statt faires Miteinander – das kann nicht
funktionieren . Deshalb werden wir Ihren Initiativen auch
nicht folgen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822107700

Vielen Dank, Herr Wegner .

Ich möchte Sie alle noch einmal bitten, sich an die Re-
dezeiten zu halten . Wir sind schon jetzt unglaublich weit
darüber .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einfach den Saft abdrehen!)


– Ich drehe nicht einfach den Saft ab . Ich möchte nur da-
rum bitten, dass man sich an die Redezeit hält . Ansonsten
ziehe ich bei den nachfolgenden Kollegen Redezeit ab .
Ich habe das in einem Fall schon getan . Ab jetzt mache
ich das konsequent .

Nächste Rednerin ist Nicole Gohlke für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Nicole Gohlke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822107800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich will die Gelegenheit in der heutigen Debatte zur Miet-
preisbremse nutzen, um ein paar Worte als Münchnerin
dazu zu verlieren . Dass die Situation auf dem Münchner
Mietmarkt dramatisch bis unmenschlich ist, ist allgemein
bekannt . Wir haben mittlerweile eine Durchschnittsmiete
von um die 17 Euro pro Quadratmeter . Bei Neubauten
können es auch schon einmal 25 Euro werden .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Wahnsinn!)


Im Münchner Wohnungsamt landen jährlich
10 000 Anträge mit höchster Dringlichkeitsstufe . Es ist
schlicht so, dass sich Gering- und Mittelverdienende,
Rentnerinnen und Rentner, Studierende, Auszubilden-
de und Alleinerziehende, also die große Mehrheit der
Münchnerinnen und Münchner, das Wohnen in München
eigentlich nicht mehr leisten können . Umso bedenklicher
ist auch, zu sehen, dass sich dieses Drama in so gut wie
allen Großstädten wiederholt . An dieser Stelle kann man
nicht mehr nur auf lokale Besonderheiten verweisen,
sondern hier handelt es sich um politisches Versagen,

das bei der Bundesregierung losgeht . Das kann nicht so
bleiben .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die sogenannte Mietpreisbremse der Großen Koaliti-
on ist, wie das Beispiel München zeigt, ein nahezu wir-
kungsloses Instrument, weil der Mietspiegel in Wahrheit
ein Mieterhöhungsspiegel ist, solange völlig überdimen-
sionierte Mieten vor der Neuvermietung und Mieterhö-
hungen bei Neubau und Modernisierungen zulässig sind .
Aktuell kann man in München davon ausgehen, dass 30
bis 50 Prozent der Mieterhöhungen durch Modernisie-
rung entstehen . Dem folgt dann ganz oft auch noch die
Umwandlung in Eigentumswohnungen .

Es ist einfach unverantwortlich, dass die Große Ko-
alition an diesem wirkungslosen Konzept festgehalten
und auf jede Nachbesserung verzichtet hat, wie das die
Opposition und diverse Mieterinitiativen vorgeschlagen
hatten . Das hätte uns vier Jahre weitere Mietenexplosio-
nen und die weitere Vertreibung der Normalbevölkerung
aus den Städten ersparen können . Ich kann Ihnen sagen:
Das wäre für die Münchnerinnen und Münchner wirklich
von unschätzbarem Wert gewesen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ohne eine Deckelung der Mieten bei Neuvermietung,
ohne die Abschaffung von Mieterhöhungen bei Moder-
nisierung und ohne ein Umwandlungsverbot von Miet-
in Eigentumswohnungen ist heute keine Politik mehr im
Sinne von Mieterinnen und Mietern zu machen . Das ist
die Wahrheit . Da hilft jetzt auch der nächste zahme Vor-
schlag von Heiko Maas zur Absenkung der Modernisie-
rungsumlage von 11 auf 8 Prozent nicht weiter, zumal die
Union schon klargemacht hat, dass nicht einmal das mit
ihr zu machen ist .

Das wäre aber auch wirklich nur Kosmetik gewesen .
Die Situation verändern würde es gar nicht . Die muss
sich aber ändern, wenn unsere Städte noch lebenswert
für alle Menschen sein sollen . Aber noch nicht einmal
das kann die SPD durchsetzen . Wir Linken wollen die
Abschaffung der Modernisierungsumlage.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Und die Abschaffung des Wohnungseigentums!)


Das Beispiel München zeigt auch, dass die Instru-
mente, die einer Kommune zur Verfügung stehen, alleine
nicht ausreichen, um die Profitlogik am Wohnungsmarkt
und die Spekulation mit Grund und Boden einzudäm-
men . Um in Städten wie München die Probleme noch in
den Griff zu bekommen, dazu braucht es einen wirkli-
chen Kurswechsel in der Wohnungspolitik, und zwar auf
allen Ebenen .

Wir brauchen eine echte Mietpreisbremse, eine, die
den Namen verdient und die nicht nur aus Schlupflö-
chern und Ausnahmen besteht . Wir brauchen mehr sozi-
alen Wohnungsbau . Bund und Länder müssen dafür die
Verantwortung übernehmen . In München ist ein großer
Teil der Mietsteigerungen auf die Steigerungen der Bo-






(A) (C)



(B) (D)


denpreise zurückzuführen . Deswegen ist es allerhöchste
Zeit, der Bodenspekulation einen Riegel vorzuschieben


(Beifall bei der LINKEN)


und Bodenwertsteigerungen umzulegen für mehr kom-
munalen und sozialen Wohnungsbau . Diese Umlage
würde wirklich Sinn machen . Gehen Sie dieses Problem
einmal an .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich glaube, in der zugespitzten Situation, in der wir
uns befinden, muss man sich entscheiden: Politik für
Mieterinnen und Mieter oder Profite für wenige. Die
Linke will eine Politik für Mieterinnen und Mieter . Wir
wollen einen Kurswechsel in der Wohnungspolitik . Da-
bei sollten Sie mitmachen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822107900

Vielen Dank, Nicole Gohlke . – Nächster Redner:

Dr . Johannes Fechner für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Johannes, sag was, worauf ich reagieren kann!)



Dr. Johannes Fechner (SPD):
Rede ID: ID1822108000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribü-
nen! In Deutschland gibt es über 20 Millionen Mietver-
hältnisse . Das heißt, ein Großteil, wahrscheinlich sogar
die Mehrheit, der Bundesbürger lebt zur Miete . Weil die
Wohnung der höchstpersönliche Lebensraum ist und
existenzielle Bedeutung für den Bürger hat, müssen wir
dafür sorgen, dass Bürger gesichert in der Wohnung zur
Miete leben können und keine Sorge vor Kündigung
haben müssen . Wir haben ein soziales Mietrecht, aber
an einigen Stellen können wir unser soziales Mietrecht
durchaus noch verbessern .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dabei geht es nicht darum, von Vermietern ein Feind-
bild aufzubauen, nein, aber wie in jeder Gruppe gibt es
eben auch dort schwarze Schafe . Wir wollen nicht die
normalen Vermieter treffen, sondern wir wollen die Ab-
zocker drankriegen . Wir stellen einfach fest: Der freie
Markt allein regelt die Wohnraumversorgung eben nicht
ausreichend bei uns .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wenn heute etwa einem Mieter wegen Mietrückstän-
den fristlos gekündigt wird, dann kann er die Mietschul-
den bei einer fristlosen Kündigung nachbezahlen . Das
ist eine gute Regelung . Das bietet einen Anreiz, dass er
sich darum kümmert, das Geld noch zu besorgen . Davon
profitiert letztlich dann auch der Vermieter, wenn er doch
noch seine Miete bekommt . Deshalb ist es für mich nicht

einsehbar, dass wir diese Regelung nicht auch bei der or-
dentlichen Kündigung einführen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich finde, es gibt keinen Grund, die fristlose Kündigung
von der ordentlichen Kündigung zu unterscheiden .

Wir schlagen eine weitere Verbesserung vor – ein
Aspekt, auf den die Linken gar nicht eingehen –: Bei
Wohnraummietverhältnissen haben wir einen besonde-
ren sozialen Schutz, anders als bei Gewerbemietverhält-
nissen. Ich finde, es gibt Gewerbemietverhältnisse, bei
denen ein ähnliches Schutzbedürfnis besteht, etwa dann,
wenn karitative oder gemeinnützige Einrichtungen die
Wohnung angemietet haben . Es gibt zahlreiche karitative
Einrichtungen oder gemeinnützige Vereine, die Wohn-
raum – etwa für betreutes Wohnen, für Frauenhäuser zum
Schutz der Opfer vor Gewaltübergriffen oder für Ähnli-
ches – angemietet haben. Ich finde, auch hier sollten wir
einen besonderen Kündigungsschutz einführen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Schließlich finde ich Ihren Vorschlag, liebe Kollegen
von den Linken, überraschend konservativ . Sie wollen
die Eigenbedarfskündigung nur zulassen, wenn der Ver-
mieter selbst oder engste Familienangehörige die Woh-
nung beziehen wollen . Einmal davon abgesehen, dass Sie
nicht genau definieren – lesen Sie einmal nach –, was
denn ein Familienangehöriger genau sein soll – Cousin,
Sohn, Tante, Großeltern –, wollen Sie offensichtlich auch
langjährige Partner schlechterstellen, wenn sie nicht ver-
heiratet sind . Nach Ihrem Vorschlag kann ein Ehepaar
Eigenbedarf geltend machen, nicht aber der Vermieter,
der in einer langjährigen Beziehung mit seinem Partner
gelebt hat . Das ist ein rückwärtsgewandtes Gesellschafts-
bild, und das sollte nicht Gesetz werden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD hat in die-
ser Legislaturperiode viel für die Mieterinnen und Mie-
ter erreicht . Was haben wir uns Kritik anhören müssen
für unsere Neuregelung zum Maklerrecht! Jetzt gilt der
Grundsatz: Wer bestellt, der muss zahlen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Heute sehen wir: Die seriösen Makler profitieren – sie
halten ihre Kundschaft –, und die Mieterinnen und Mie-
ter werden deutlich entlastet, weil sie den Makler nur
noch dann bezahlen müssen, wenn sie ihn tatsächlich
beauftragt haben . Das ist eine große Entlastung für die
Mieterinnen und Mieter bei uns .

Ferner haben wir die Mietpreisbremse eingeführt .
Dass sie funktioniert, zeigen zahlreiche Urteile in ganz
Deutschland, mit denen aufgrund der Regelung, die wir
ins Gesetz geschrieben haben, Abzocke bei den Miete-
rinnen und Mietern gestoppt wurde . Diese Urteile zei-
gen: Die Mietpreisbremse ist sinnvoll . Sie funktioniert,
und sie verhindert exzessive Mietsteigerungen . Das ist

Nicole Gohlke






(A) (C)



(B) (D)


ein großer Erfolg dessen, was die SPD durchgesetzt hat,
liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der SPD)


Natürlich kann die Mietpreisbremse noch besser wer-
den; keine Frage . Es ist überfällig, dass wir eine Rege-
lung zu einem Auskunftsanspruch treffen, damit der
Mieter auch erfährt, was der Vormieter bezahlt hat, wo-
durch er erst seinen Anspruch berechnen kann . Natürlich
sollten Mieter dann auch den vollen überzahlten Betrag
zurückerstattet bekommen und nicht nur den Betrag, der
ab dem Zeitpunkt der ersten Rüge fällig wird .

Ich bedaure sehr, dass unsere politischen Lebensab-
schnittsgefährten von der Union diesen Schritt nicht mit-
gehen wollten . Leider war auch in diesem Bereich bei Ih-
nen kein Herz für die Mieterinnen und Mieter vorhanden;
ich muss es so deutlich sagen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der LINKEN)


Da rund die Hälfte unserer Bürgerinnen und Bürger
zur Miete lebt, werden wir uns weiterhin für ein sozia-
les und gerechtes Mietrecht einsetzen . Der freie Markt
allein wird eben nicht für eine ausreichende Wohnraum-
versorgung sorgen können. Die Schaffung eines besseren
Mietrechts verschieben wir nicht auf den Sankt-Nim-
merleins-Tag, sondern wir verschieben es auf den Sankt-
Martins-Tag, sprich: auf den Tag der Bundestagswahl .


(Beifall bei der SPD)


Ab dem 24 . September wird es hier eine Mehrheit für ein
sozialeres und gerechteres Mietrecht geben, meine sehr
geehrten Damen und Herren .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822108100

Da ich aus dem katholischen Bayern komme, kann ich

Ihnen, was Sankt Martin angeht, sagen: So schnell wird
man nicht heiliggesprochen . – Nächste Rednerin: Renate
Künast für Bündnis 90/Die Grünen .


(Kai Wegner [CDU/CSU]: Jetzt geht es noch mal richtig los!)



Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822108200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde

es ja gut, dass die Kollegen von der CDU/CSU schon
einiges erwarten; denn ich habe mir ebenfalls gedacht,
dass ich erst einmal auf Ihre Redebeiträge antworte . Es
haben ja gerade zwei Berliner Mitglieder des Parlamen-
tes geredet, bei denen ich mich, ehrlich gesagt, frage, in
welcher Stadt sie leben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Frieser [CDU/CSU]: Berlin!)


Aber so ein bisschen waren diese beiden Reden wie der
Jingle „Das Sandmännchen ist da!“; denn mit diesen Re-
den sollte uns Sand in die Augen gestreut werden .

Meine Damen und Herren, es war schon kurios: Herr
Wegner hat großspurig ausgeführt, was Sie alles getan
haben oder tun werden, und Herr Luczak hat gesagt, wo-
rüber man zu reden bereit ist . Daher rede ich jetzt einmal
über das, was Schwarz-Gelb getan hat . Sie haben den
Kündigungsschutz geschleift, zum Beispiel . Unter dem
Deckmäntelchen des Mietnomadentums, das es kaum
gibt – einige Mietnomaden gibt es allerdings –, haben Sie
die Vollstreckungsregelung gegenüber allen Mieterinnen
und Mietern verschärft, und Sie haben deren Rechtsmit-
tel verkürzt, meine Damen und Herren . Das ist Ihre Vor-
stellung von Mietrecht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Luczak stellt sich hier hin – Herr Wegner auch –
und sagt: Wir haben ja alle gleiche Ziele . – Also, dieses
rhetorische Element kenne ich . Ich sage Ihnen aber: Wir
haben nicht alle gleiche Ziele .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Denn gleiche Ziele hat man nicht deshalb, weil man es
sagt, sondern weil die einzelnen Maßnahmen, die dahin-
ter gesetzt werden, in die gleiche Richtung gehen, meine
Damen und Herren .

Sie reden von Artikel 14 Grundgesetz und sagen, es
müsste doch einen Ausgleich zwischen Vermietern und
Mietern geben . Sie verwenden danach aber ständig mit
Verve das Wort „Planungssicherheit“ . Ja, ich sehe es
schon optisch vor mir: Den Investoren aus irgendwelchen
anderen Ländern, die ihr Geld in einer boomenden Stadt
wie etwa Berlin in Beton anlegen wollen und die ihr Geld
nach Berlin schleppen, verschaffen Sie Planungssicher-
heit . Meine Damen und Herren, das ist nicht der Kern
von Artikel 14 Grundgesetz und schon gar keine Sozial-
bindung des Eigentums .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dann hätten Sie hier immer wieder „Daseinsvorsorge“
rufen müssen . Dieses Wort haben Sie aber gar nicht in
den Mund genommen .

Ich sage Ihnen: Wir kommen zu einer anderen Ein-
schätzung . Die Mietpreisbremse wirkt für meine Be-
griffe, Herr Kollege Fechner, leider nicht. Das hat das
DIW gesagt . Das hat der Deutsche Mieterbund gesagt .
Die Mietpreise liegen bei der Wiedervermietung um
22 Prozent oberhalb der Mietpreisbremse, oberhalb des
zulässigen Wertes . Das DIW hat uns erklärt, dass bei den
Mieten noch mal richtig obendrauf gelegt wurde, weil es
so lange gedauert hat, bis die Mietpreisbremse in Kraft
trat . Auch dagegen haben Sie nichts getan, meine Damen
und Herren .

Zur Rüge . Wie man Löcher in Käse zu Käse reden
kann, hat Herr Luczak vorgeführt; das muss man erst
mal hinkriegen . Die Rüge soll Planungssicherheit für den
Vermieter schaffen. Was für eine Chuzpe ist das denn?
Irgendein ganz einfacher Arbeiter oder eine einfache Ar-
beiterin, meinetwegen eine Erzieherin oder eine Alten-
pflegerin, eine Person also, die nicht viel Geld hat, soll,

Dr. Johannes Fechner






(A) (C)



(B) (D)


wenn sie zu viel Miete zahlt, nicht einen Auskunftsan-
spruch haben, der sofort gilt .


(Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Es gibt doch einen Auskunftsanspruch!)


– Es geht darum: der sofort gilt, im Sinne von: Es muss
sofort eine Antwort gegeben werden . – Ihren Auskunfts-
anspruch können Sie sich an die Wand nageln, weil keine
Frist drinsteht, bis wann .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das wird zur Unverschämtheit; denn es muss inhaltlich
substanziiert gerügt werden: „Ich zahle 10 Euro statt
7,50 Euro“ oder „Ich zahle 15 Euro statt 10 Euro“ . Das
ist falsch . Das ist rechtlich nicht unterlegt .


(Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Nein! Das ist nicht zutreffend!)


Man muss also vorher die Auskunft haben, um es zu be-
legen . Und erst ab der Rüge kann man beanspruchen, zu
viel gezahlte Miete zurückzubekommen – nicht ein oder
zwei Jahre zurück . Können Sie mir im Hinblick auf Arti-
kel 14 Grundgesetz erklären, warum eine Altenpflegerin
oder Erzieherin die in den letzten zwei Jahren zu viel ge-
zahlte Miete nicht zurückfordern kann? Das ist unchrist-
lich und unsozial –


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


da können Sie hier noch so viel erzählen, Sie seien bereit,
zu reden. Wie die Kollegin Lay treffend sagte: Sie reden
immer vor den Wahlen, dass Sie reden würden; nach den
Wahlen kommen aber keine Taten . – Deshalb weiß ich
auch, warum Sie im Augenblick, sechs Monate vor der
Bundestagswahl, schon wieder darüber reden, dass Sie
reden würden, meine Damen und Herren .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich glaube, dass wir andere Regeln brauchen, zum
Beispiel Deckelungen, wie wir sie in unserem Entwurf
aufgeführt haben . Wir brauchen nicht nur Begrenzungen;
wir brauchen auch andere Bemessungszeiträume für ei-
nen Mietspiegel, meine Damen und Herren . Wir brau-
chen bei der Modernisierungsumlage einen Deckel .

Die Modernisierungsumlage hatte mal den Sinn, Mo-
dernisierungen anzuschieben . Das ist heute aber eigent-
lich gar nicht das Problem . Heute werden 11 Prozent der
Kosten umgelegt, aber man zahlt die erhöhte Miete noch
jahrzehntelang, obwohl die Investitionskosten längst ge-
deckt sind . Warum können wir das unter dem Gesichts-
punkt der Daseinsvorsorge nicht ein Stück reduzieren?
Warum können wir das nicht?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Tun wir doch! Dazu sind wir doch bereit! Das steht im Koalitionsvertrag!)


Warum können wir es nicht so machen, wenn es um eine
sinnvolle energetische Sanierung geht, die wir brauchen,

oder auch wenn es um die Schaffung von Barrierefreiheit
für alte und behinderte Menschen geht? Warum können
wir im grauen Markt der internationalen Investoren nicht
mit einer Kappung der umlagefähigen Summen ein Stück
weit zu einer Deckelung kommen, meine Damen und
Herren? Das wäre sozial .

Herr Wegner hat erzählt, wir wollten den Kündigungs-
schutz abschaffen. Dazu sage ich Ihnen was: Wenn das
Jobcenter oder das Sozialamt zu spät zahlt, was mal vor-
kommt, darf das nicht dazu führen, dass der Mieter seine
Wohnung einfach so verliert; denn das ist unsozial .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822108300

Frau Kollegin .


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822108400

Mein letzter Satz . – Nach dieser Rede muss ich Ihnen

in aller Deutlichkeit sagen: Doppelmoral hat in diesem
Hause einen Namen: CDU, Luczak und Wegner .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822108500

Jetzt hat der Kollege Michael Frieser, CDU/CSU, das

Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Michael, du musst mich jetzt verteidigen! – Gegenruf des Abg . Kai Wegner [CDU/CSU]: Warum nur dich?)



Michael Frieser (CSU):
Rede ID: ID1822108600

Vielen Dank . – Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Frau Präsidentin, Ihre Vorgängerin hat gerade da-
rum gebeten, die Redezeiten wirklich einzuhalten, weil
wir schon sehr spät dran sind . Die Minute, die sich Frau
Künast gerade für den Berliner Wahlkampf geklaut hat,
gebe ich Ihnen selbstverständlich gern zurück, damit das
Haus auch wirklich weiterkommt .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war keine volle Minute!)


Frau Künast, zu dieser gespielten Form von Entrüs-
tung: Kehren Sie zu Ihrer eigentlichen Bestimmung
zurück: Treten Sie im Deutschen Bundestag weiter
Schutzbretter heraus! Das funktioniert effektiv. Die Ar-
gumentation funktioniert bisher nicht .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ha, ha, ha! – Zuruf der Abg . Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Sie hatten gerade doch genug Zeit, und trotzdem sind
Sie noch nicht zu Ende .

Es war zu erwarten, dass eine solche Debatte noch
einmal aufflammt. Ich muss am Anfang ganz eindeutig

Renate Künast






(A) (C)



(B) (D)


sagen: Das, was hier mit etwas Brimborium formuliert
wird, heißt doch: Wir müssen tatsächlich überlegen, ob
wir bei Verzugsfolgen und der Umlage der Modernisie-
rungskosten etwas ändern . Niemand hätte etwas dage-
gen . Auch davon spricht der Koalitionsvertrag .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ja! Aber umsetzen! Der Koalitionsvertrag ist doch schon drei Jahre alt!)


Aber jetzt einmal zur Linken gesagt: Mir ist die Ori-
entierungslosigkeit klar, in der sich Ihre Partei befindet.
Aber Ihre Argumentation zu Ende gedacht, würde Ent-
eignung bedeuten . Das würde am Ende des Tages – da-
mit wären viele Ihrer Probleme gelöst – Enteignung bis
hin zur Bodenenteignung bedeuten . Dann bräuchte der
Vermieter bei der Nutzung seines Eigentums am Ende
überhaupt nicht mehr auf Wirtschaftlichkeit zu achten .
Das wäre noch nicht einmal mehr Sozialismus . Ich kann
mir überhaupt nicht erklären, wie man so einen wirklich
funktionierenden Wohnungsmarkt dort installieren will,
wo er nicht funktioniert .

Die Behauptung, Mieter würden in diesem Land nicht
geschützt, ist unwahr . Sie bleibt auch trotz noch so häu-
figer Wiederholung unwahr. Dass es Missstände gibt,
stellt, glaube ich, niemand in Abrede . Insofern meine ich:
Es ist jetzt wirklich alles an Argumenten ausgetauscht
worden . Es ist immer das Schöne an einem etwas späte-
ren Platz auf der Rednerliste, dass man sich gut auf die
Vorredner beziehen kann .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie müssen die elf Minuten nicht ausschöpfen!)


Beim Thema Mietpreisbremse ist es ja nicht so, dass
wir nicht darauf hingewiesen hätten, an welchen Stellen
sie systembedingt zum Teil nicht funktionieren kann .
Genau da, wo sie nicht funktioniert, nämlich in den Bal-
lungsräumen, helfen jedoch all Ihre Vorschläge nicht be-
sonders weiter .


(Caren Lay [DIE LINKE]: Was ist denn Ihr Vorschlag?)


Ich werfe einmal die entscheidende Frage auf: Wollen
Sie eigentlich vom Ballungsraum auf der einen Seite bis
hin zum Leerstandsgebiet auf der anderen Seite in die-
sem Land alles über einen Kamm scheren? Das würde
am Ende des Tages bedeuten: Es funktioniert nirgendwo
mehr . Es wird nirgendwo mehr investiert, sei es im Bal-
lungsraum oder sei es in Gebieten mit tatsächlich vorhan-
denen Leerständen .

Das Land ist ungleich besiedelt, also braucht es auch
ungleiche Antworten, um einen Mietmarkt am Laufen zu
halten . Deshalb sage ich noch einmal – zurück zu den
entscheidenden Grundsätzen –: Der Normalfall ist eben
nicht der herzlose Großkonzern, der mit Fremdkapital
Wohnungen anbietet . Nein, es ist der Klein- und Kleinst-
vermieter . Drei Viertel der Wohnungen in diesem Land
werden von Familien, von Einzelvermietern an die Men-
schen, an die 20 Millionen Mieter, vermietet .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Der Kollege hat vorhin 65 Prozent gesagt! Was gilt denn jetzt, 65 Prozent oder 75 Prozent? Sprechen Sie sich auch mal ab?)


Der Normalfall in diesem Land ist, dass ein unbefriste-
tes Mietverhältnis besteht und dass dieses nur in ausge-
wiesenen Ausnahmefällen beendet werden kann . Es gibt
nur sehr wenige Gründe, die das zulassen . Das geht nur
bei erheblicher Verletzung grundsätzlicher vertraglicher
Pflichten. Insofern sage ich auch beim Thema der Eigen-
bedarfskündigung, das Sie immer wieder anführen:


(Caren Lay [DIE LINKE]: Das stimmt doch gar nicht! Haben Sie nicht zugehört?)


Es gibt hier nur begrenzte Möglichkeiten, die dem Ver-
mieter in unserem Land zur Verfügung stehen .

Die entscheidende Frage – darauf will ich schon noch
einmal eingehen – betrifft die Verzugsfolgen bei der
Nichtzahlung von Miete . Es gibt gute Gründe, warum
wir hier zwischen außerordentlicher Kündigung und or-
dentlicher Kündigung unterscheiden . Wenn Sie tatsäch-
lich zum Prinzip machen wollen, dass durch die Zahlung
eines Kleinstbetrages trotz eines hohen Betrages an auf-
gelaufenen Mietschulden die wesentlichen Leistungen –
die Zurverfügungstellung der Mietsache – erbracht wer-
den, dann kündigen Sie das Synallagma auf . Irgendwann
sind die Hauptleistungspflichten, das Zurverfügungstel-
len von Mietraum auf der einen Seite und das Zahlen von
Miete auf der anderen Seite, nicht mehr in Ausgleich zu
bringen . Das bedeutet die Aufkündigung dessen, was wir
bei dieser Frage der Verlässlichkeit, der Berechenbarkeit
und, wenn Sie es denn so haben wollen, der Planungssi-
cherheit für einen Mieter durchaus brauchen und haben
müssen .

Am Ende des Tages geht es doch darum, dass in die-
sem Bereich – dazu sagt niemand ein Wort – 1 Million
Wohnungen fehlen . Der Fehlbestand an Wohnungen in
diesem Land hat sich mittlerweile auf 1 Million sum-
miert . Ich höre kein einziges Wort darüber, wie sich die-
ser Mietwohnungsbestand auf Dauer effektiv, nachhaltig
und bezahlbar für beide Seiten – für einen Investor oder
Vermieter und einen zukünftigen Mieter – tatsächlich
herstellen lässt . Der wesentliche Unterschied in diesem
Haus ist, dass wir nicht nur daran denken, den Mieter zu
versorgen, der im Augenblick schon eine Wohnung hat,
sondern auch den Mieter, der keine Wohnung hat, damit
er in Zukunft eine Wohnung haben wird . Das geht in die-
sem Land anscheinend nur mit CDU/CSU, meine Damen
und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD]: Was sollen wir dazu nur sagen?)


Für dieses Auf-die-Tränendrüse-Drücken habe ich
durchaus Verständnis . Aber wenn einer sagt, dass er da-
mit gegen Altersarmut angehen will, dann stelle ich fest:
Auch die Vermieter, gerade die Kleinstvermieter, sind
Menschen, die Wohnraum brauchen . Auch dort gibt es
Kinder, die Wohnraum brauchen . – Um diesen entschei-
denden Punkt geht es nämlich . Wir wollen, dass die Men-
schen in Eigentum investieren, um ihre Zukunft zu si-
chern, um ihre Altersvorsorge ein Stück weit zu sichern .
Deshalb sage ich: Mit dem Vergießen von Krokodils-
tränen über die Explosion des Wohnraumbedarfs in den

Michael Frieser






(A) (C)



(B) (D)


Ballungsräumen und dem Missachten aller anderen in
diesem Land verhindern Sie keine Altersarmut, sondern
Sie schaffen sie erst, wenn Sie Ihren Antrag am Ende des
Tages durchsetzen wollen .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Herr Frieser, Sie haben die Grundsystematik der Mietpreisbremse nicht verstanden! Sie gilt nur in Gegenden mit Wohnraummangel!)


Die Antwort auf die entscheidende Frage bleiben Sie
schuldig . Wenn Sie über die Mietpreisbremse und die
Orientierung an Vergleichsmieten reden, dann müssen
Sie auch die entscheidende Frage beantworten: Wie wol-
len Sie das ohne Mietspiegel überhaupt machen? Wie
wollen Sie in dieser Frage eine Orientierung bekommen?
Sie schütten nicht nur das Kind mit dem Bade aus, son-
dern Sie sorgen auch dafür, dass es am Ende des Tages
kein Badewasser mehr gibt .


(Ulli Nissen [SPD]: Ha, ha!)


Das kann sicher nicht im Sinne des Erfinders sein und
sicherlich nicht im Sinne der deutschen Mieter und eines
Mietmarktes, der tatsächlich funktioniert .

Kein Satz zum Thema „Sozialer Wohnungsbau“ bei
einer anscheinend so wahnsinnig wichtigen mietrechtli-
chen Debatte .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hatten wir vor ein paar Wochen! – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Es geht um Mietrecht!)


Kein Satz über die entscheidende Botschaft, dass ein
Wohnungsmarkt nur dann aufrechterhalten werden kann,
wenn er beständig mit neuen Wohnungen versorgt wird .
Kein Satz zu der entscheidenden Frage: Wenn ich tat-
sächlich die Modernisierung des Altbestandes nicht mehr
zulassen will, wo soll der ausreichend hohe Wohnungs-
bestand am Ende des Tages herkommen?


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir schon vor ein paar Wochen diskutiert!)


Dann ein Satz zum Thema Verteuerung; auch hier gab
es Krokodilstränen, und es wurde gesagt, wie teuer das
Ganze geworden ist . Hier muss man doch der Vermie-
terseite ein Stück weit entgegenkommen . Aber schauen
wir uns einmal die Länder an, in denen die Grünen in der
Regierungsverantwortung sind: Wenn Sie schon von Ver-
teuerung reden, dann reden Sie doch auch darüber, dass
an dieser Stelle die Grunderwerbsteuer gesenkt werden
muss . Das würde den Wohnungsbaumarkt tatsächlich
entlasten . Am Ende des Tages – es tut mir leid – bleibt
nur das übrig: eine Rote Karte .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822108700

Vielen Dank . Danke schön, Sie haben Ihr Versprechen

eingehalten . Das ist wunderbar . Das können andere auch
und damit Zeit einsparen .

Nächste Rednerin ist Ulli Nissen für die SPD-Frak-
tion .


(Beifall bei der SPD)



Ulli Nissen (SPD):
Rede ID: ID1822108800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich erzähle Ihnen nichts Neues, wenn ich sage,
dass die Rechte der Mieterinnen und Mieter mir beson-
ders wichtig sind . Wir von der SPD nehmen die Sorgen
und Ängste der Menschen ernst, die ihr soziales Umfeld
nicht verlieren wollen .

Unser Ziel ist es, die Rechte der Mieterinnen und Mie-
ter weiter zu stärken . Wir sehen unter anderem Hand-
lungsbedarf bei der fristlosen Kündigung wegen Zah-
lungsverzugs . Wir wollen eine Schonfristregel . Wenn
innerhalb dieser der Mietrückstand des Mieters oder der
Mieterin beglichen wird, dann soll die außerordentliche
Kündigung, aber auch die ordentliche Kündigung un-
wirksam werden . Damit können wir verhindern, dass je-
mand, der einmal seine Miete nicht zahlen konnte, direkt
von Wohnungslosigkeit bedroht ist . Allerdings wollen
wir auch – und das fehlt mir in Ihrem Antrag –, dass dies
nur einmal innerhalb von zwei Jahren möglich ist; denn
auch Vermieterinnen und Vermieter brauchen Rechtssi-
cherheit .


(Caren Lay [DIE LINKE]: Schön, dass die Koalition dauernd sagt, was bei uns fehlt! Wo ist Ihr Vorschlag? Von Ihnen liegt gar nichts vor!)


Es gibt nämlich nicht nur Mieterinnen und Mieter, de-
ren finanzielle Situation angespannt ist, sondern auch
Vermieterinnen und Vermieter, die dringend darauf ange-
wiesen sind, dass sie ihr Geld pünktlich bekommen, weil
sie selber Zahlungsverpflichtungen haben. Deswegen ist
das für mich ein wichtiger Aspekt. Das wird häufig nicht
betrachtet .


(Beifall der Abg . Elisabeth WinkelmeierBecker [CDU/CSU])


Auch mir ist wichtig, dass wir klarer festlegen, wann
eine Kündigung wegen Eigenbedarfs nicht durchgesetzt
werden kann . Dazu zählt für mich auch die Unterbrin-
gung eines Au-Pairs . Auch Personengesellschaften dür-
fen eine Kündigung wegen Eigenbedarfs nicht durch-
setzen können . Außerdem soll eine Eigenbedarfsklage
unwirksam sein, wenn den gekündigten Mieterinnen und
Mietern nicht eine leerstehende Wohnung im gleichen
Haus oder in der gleichen Anlage alternativ angeboten
wird. Häufig treten die Probleme für Mieterinnen und
Mieter durch Eigenbedarfsklagen bei der Umwandlung
von Miet- in Eigentumswohnungen auf .

Hier, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind auch die
Bundesländer gefragt; denn die Länder können gemäß
§ 577a BGB im Wege der Rechtsverordnung für Ge-
meinden, in denen die Wohnraumversorgung besonders
gefährdet ist, eine verlängerte Kündigungsfrist von bis
zu zehn Jahren festlegen . Also, liebe Länder, tut was!
Liebe Kolleginnen und Kollegen aus Hessen, leider ist

Michael Frieser






(A) (C)



(B) (D)


unter Schwarz-Grün in Hessen keine Verbesserung ein-
getreten .


(Beifall der Abg . Birgit Kömpel [SPD])


Es bleibt, wie unter CDU und FDP, bei einem Kündi-
gungsschutz von fünf Jahren . Das bedauere ich sehr, lie-
be Kolleginnen und Kollegen der Grünen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Weiter können die Länder unter anderem eine Landes-
verordnung erlassen, mit der die Umwandlung von Miet-
in Eigentumswohnungen unter Genehmigungsvorbehalt
gestellt wird – auch ein wichtiger Aspekt . Dies würde
uns in Frankfurt helfen . Sie werden sich nicht wundern:
Auch das ist unter Schwarz-Grün in Hessen nicht pas-
siert . Also, Hessen, tut da was!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben einiges im Mietrecht und gerade im sozia-
len Wohnungsbau auf den Weg gebracht . Aber wir wollen
mehr . Die Nachjustierung der Mietpreisbremse ist ange-
sprochen worden – ich gehe davon aus, dass letztlich die
CDU/CSU mitmacht, weil viele der Kollegen aus Wahl-
kreisen mit angespannten Wohnungsmärkten kommen –:
Die Vermieterinnen und Vermieter müssen die Vormiete
offenlegen; das wollen wir gesetzlich verankern.

Ich bin selber Vermieterin und gehe mit gutem Bei-
spiel voran: Ich habe innerhalb von zwölf Jahren ein ein-
ziges Mal die Miete um 20 Euro erhöht . Ganz aktuell,
zum 1 . April, vermiete ich eine Wohnung im Frankfurter
Nordend und nehme keine Mieterhöhung vor – die Miete
bleibt so hoch wie vor zehn Jahren . Das wünsche ich mir
auch von vielen anderen .


(Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Als gut verdienende Bundestagsabgeordnete kann man sich das auch leisten!)


– Herr Luczak, das habe ich auch vorher schon gemacht,
als ich noch keine Bundestagsabgeordnete war . Stellen
Sie sich das vor! Ich habe vor acht Jahren einmal die
Miete erhöht .

Wichtig ist auch der Rückzahlungsanspruch, der An-
spruch auf Rückzahlung der zu viel gezahlten Miete seit
Vertragsbeginn . Herr Luczak, Sie haben vorhin gesagt,
Vermieterinnen und Vermieter wüssten nicht genau, wie
hoch die ortsübliche Vergleichsmiete ist . Sie können sich
an Haus & Grund wenden, und dann wissen sie, wie hoch
die ortsübliche Vergleichsmiete ist . Das ist also über-
haupt kein Problem .


(Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das ist aber nicht gerichtsfest! – Michael Frieser [CDU/CSU]: Das reicht halt nicht, und Sie wissen das, Frau Kollegin!)


Wichtig ist: Vermieterinnen und Vermieter müssen zu
viel gezahlte Miete ab dem Zeitpunkt des Beginns des
Mietvertrages zurückzahlen . Dafür werden wir uns mit
allen Kollegen einsetzen . Ich denke, da machen wir alle
intensiv mit .


(Beifall bei der SPD)


Ein ganz wichtiger Aspekt des Mietrechtspakets II
ist heute auch schon angesprochen worden: die Ausge-
staltung der Modernisierungsumlage . Liebe Kolleginnen
und Kollegen, es ist sicherlich nicht nur in Frankfurt ein
wichtiger Aspekt, dass Luxussanierungen zu enormen
Mieterhöhungen führen und dies fast schon alltäglich
ist – auch wenn es nicht immer so krasse Formen an-
nimmt wie in der Wingertstraße 21 oder, ganz aktuell,
in einem Mehrparteienhaus in der Lersnerstraße 10 in
Frankfurt-Nordend . Hier, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, soll die Miete nach Modernisierung von 920 Euro
kalt auf 2 427 Euro steigen . Das ist eine Steigerung um
164 Prozent, um 1 507 Euro . Was hat der Mieter von
einem gedämmten Keller und einem neuen Bad, wenn
er die Miete nicht mehr bezahlen kann? Was hat eine
Mieterin davon, dass ein Fahrstuhl neu angebaut wird,
wenn die alte Dame die Miete nicht mehr bezahlen kann,
Herr Luczak? Noch kann man alles machen, und wenn
der Markt es hergibt, wird es auch gemacht; das ist kein
Einzelfall . Aber wir möchten nicht, dass die Stadtteile
luxussaniert werden und sich normale, alteingesessene
Mieterinnen und Mieter die Wohnung nicht mehr leisten
können . Wir wollen weiterhin bunte, gemischte Stadttei-
le . Deshalb ist unsere Forderung, die Modernisierungs-
umlage deutlich zu senken . Im Augenblick ist angedacht,
sie von 11 auf 8 Prozent zu senken; mein Wunsch wäre
5 Prozent .

Zusätzlich – das ist noch viel wichtiger – wollen wir
die Kappungsgrenze einführen . Das bedeutet, dass eine
Erhöhung der Miete um maximal 3 Euro pro Quadrat-
meter in acht Jahren möglich wäre . Das würde für die
Lersnerstraße anstatt einer Erhöhung um 1 507 Euro eine
Erhöhung um 336 Euro bedeuten .


(Beifall des Abg . Klaus Mindrup [SPD])


Vielleicht hätte dies der Mieter noch tragen können .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind Probleme,
die wir wirklich dringend in den Griff bekommen müs-
sen . Ich weiß, 95 bis 98 Prozent der Vermieterinnen und
Vermieter sind wirklich gutwillig – sie tun alles für ihre
Mieter –, aber es gibt dummerweise schwarze Schafe,
und da müssen wir eingreifen . Lasst uns dafür gemein-
sam kämpfen, liebe Kollegen! Ich freue mich auf weitere
Zusammenarbeit .


(Beifall bei der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822108900

Vielen Dank . – Letzter Redner zu diesem Tagesord-

nungspunkt ist der Kollege Michael Groß, SPD-Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Michael Groß (SPD):
Rede ID: ID1822109000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Den Letz-
ten beißen ja bekanntlich die Hunde . Ich werde versu-
chen, mich kurzzufassen . Viele warten ja auf die nament-
liche Abstimmung .

Wir behandeln heute ein wichtiges Thema: Wohnen
und Leben in Städten . Es geht eben nicht nur um den

Ulli Nissen






(A) (C)



(B) (D)


bezahlbaren Wohnraum, sondern auch um die Frage:
Können Menschen in ihrem Lebensumfeld, in der Nach-
barschaft wohnen bleiben, können sie sich die Nachbar-
schaft aussuchen, die Wohnung, in der sie leben wollen?

Wir müssen dafür sorgen, liebe Kolleginnen und Kol-
legen, dass ältere Menschen, die seit langem in ihrem
Stadtteil leben, die wissen, dass sie ein Netzwerk haben,
auf das sie sich verlassen können, Nachbarn haben, die
für sie einkaufen, nicht wegen einer Modernisierung aus
ihrer Wohnung getrieben werden . Um dafür zu sorgen,
müssen wir die soziale Funktion des Mietrechts stärken .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das trifft natürlich auch auf junge Familien zu. Die
Situation in Berlin, München, Hamburg wurde gerade
schon beschrieben . Aber der Kollege Fechner hat deut-
lich gemacht: Die Mietpreisbremse greift . Insbesondere
dort, wo Mieter in die Lage versetzt werden, zu klagen,
bekommen sie recht .

Wir müssen natürlich auch dafür sorgen, dass Trans-
parenz hergestellt wird, dass es eine Auskunftspflicht des
Vermieters darüber gibt, wie hoch die Vormiete war . Wir
müssen dafür sorgen, dass die Rückzahlungspflicht ab
dem ersten Tag des Mietvertrags gilt .


(Beifall bei der SPD)


Lieber Herr Kollege Luczak, ich habe, glaube ich,
im Juni letzten Jahres mit Ihnen hier debattiert . Damals
habe ich gesagt: Und täglich grüßt das Unionsmurmel-
tier! – Ich wiederhole das an dieser Stelle . Ich habe von
Ihnen keine Aussage gehört, wie Sie dazu stehen, dass
wir die Modernisierungsumlage von 11 auf 8 Prozent
senken müssen . Es wurde ja schon richtig beschrieben:
Viele Menschen sind eben nicht in der Lage, die erhöhte
Miete nach der Investition zu bezahlen . Gerade wurden
schon Zahlen genannt . Wenn jemand 20 000 Euro in eine
Wohnung investiert, hat er nachher das Recht, dauerhaft
183 Euro auf die Mieter umzulegen . Wir haben im Koa-
litionsvertrag vorgeschlagen, das an eine Amortisations-
zeit zu binden .


(Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Sie haben den Vorschlag selber zurückgezogen!)


Selbst dazu sind Sie zurzeit nicht bereit .

Ich kann nur noch einmal sagen: Den besten Entwurf
zum Mietrecht hat Heiko Maas vorgelegt .


(Beifall bei der SPD)


Das ist der beste Vorschlag zu einer rückläufigen Ent-
wicklung der Mietkosten und zur Sicherung der sozialen
Funktion des Mietrechts .


(Zuruf von der SPD: Bester Mann!)


Erlauben Sie mir noch zwei Sätze zum Thema Woh-
nungsbau . Die Union stellt es immer so dar, als sei die
Schaffung von Wohnungen das einzige Instrument, um

dafür zu sorgen, dass Menschen Wohnen bezahlen kön-
nen . Es ist ein Instrument .


(Kai Wegner [CDU/CSU]: Das ist nicht das einzige, aber ein wichtiges Instrument!)


Das andere ist das Mietrecht, eine Leitplanke, die der
Bundestag auf den Weg bringen kann . Damit haben wir
sicherzustellen, dass Mieten bezahlbar bleiben .

Ein Instrument ist ohne Zweifel bezahlbarer Wohn-
raum . Wir haben eine gute Bilanz . Die SPD hat durch-
gesetzt, die Mittel für soziale Wohnraumförderung auf
1,5 Milliarden Euro zu verdreifachen .


(Beifall bei der SPD)


Ich kann Ihnen nur sagen: Das ist ein Erfolgsmodell in
SPD-Ländern .


(Zuruf von der SPD: Super! – Kai Wegner [CDU/CSU]: Hat der Finanzminister gut gemacht!)


In NRW wurden im letzten Jahr 10 000 neue Sozialwoh-
nungen geschaffen. Das ist ein Erfolgsmodell, liebe Kol-
leginnen und Kollegen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, richtig! – Zuruf des Abg . Kai Wegner [CDU/CSU])


– Sie mussten wir ja eher zum Jagen tragen .

Ein weiterer Aspekt ist: Wir müssen dafür sorgen, dass
der Bund nach 2019 in der gemeinsamen Verantwortung
mit den Ländern und Kommunen bleibt . Wir dürfen das
nicht den Regionen und finanzschwachen Kommunen
überlassen, liebe Kolleginnen und Kollegen; jetzt wollte
ich schon fast die Genossinnen und Genossen anspre-
chen . Aber es ist natürlich wichtig, dass wir uns gemein-
sam dafür einsetzen .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir haben das schon verstanden! Das reicht!)


– Ja . Wir haben ja gestern noch in fröhlicher Runde zu-
sammengesessen .

Also: Ein ganz wichtiger Aspekt ist, dass wir für star-
ke Städte sorgen . Ein wichtiges Instrument wird sein,
unsere kommunalen Wohnungsunternehmen zu stärken .


(Beifall bei der SPD)


Wir haben ein zu geringes Korrektiv . Von den über
40 Millionen Wohnungen gehören nur 2 Millionen den
Genossenschaften, und 2 Millionen sind in der Hand der
kommunalen Wohnungsunternehmen . Wir müssen dafür
sorgen, dass dieser Anteil größer wird und die kommuna-
len Wohnungsunternehmen das Korrektiv auf dem Woh-
nungsmarkt werden .


(Beifall bei der SPD – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wie macht ihr das, Michael?)


Dazu gehört auch eine vernünftige Liegenschaftspoli-
tik der Kommunen . Grundstücke sind heute ein Preistrei-
ber beim Thema Wohnungsbau . Die Kommunen müssen

Michael Groß






(A) (C)



(B) (D)


wieder in die Lage versetzt werden, vernünftige und vo-
rausschauende Liegenschaftspolitik zu betreiben .

Mein letzter Satz: Wir müssen die Grundsteuer C ein-
führen, liebe Kolleginnen und Kollegen,


(Zurufe von der CDU/CSU: Ah!)


und die bestrafen, die mit ihren Grundstücken spekulie-
ren .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822109100

Vielen Dank .

Damit ist die Aussprache beendet, und wir kom-
men zu den Abstimmungen, zunächst über Tagesord-
nungspunkt 4 a sowie Zusatzpunkt 3 . Interfraktionell
wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksa-
chen 18/11049 und 18/10810 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit
einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall . Dann ist die
Überweisung so beschlossen .

Tagesordnungspunkt 4 b . Wir kommen zur Abstim-
mung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Recht und Verbraucherschutz zu dem Antrag der
Fraktion Die Linke mit dem Titel „Mietpreisbremse wir-
kungsvoll ausgestalten“. Der Ausschuss empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10089, den
Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/9123
abzulehnen . Bevor wir über diese Beschlussempfehlung
auf Verlangen der Fraktion Die Linke namentlich ab-
stimmen, weise ich darauf hin, dass wir gleich noch zwei
weitere namentliche Abstimmungen direkt im Anschluss
durchführen werden .

Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die vorgesehenen Plätze einzunehmen . – Sind die Plätze
an den Urnen alle besetzt? – Ich sehe, das ist der Fall .
Dann eröffne ich die erste namentliche Abstimmung, und
zwar über die Beschlussempfehlung .

Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmkarte
abgegeben? – Ich sehe, das ist der Fall . Dann schließe
ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen .1)

Ich bitte alle, Platz zu nehmen, damit wir mit den Ab-
stimmungen fortfahren können .

Zusatzpunkt 4 . Wir stimmen jetzt über zwei Gesetz-
entwürfe der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nament-
lich ab .

Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Dämpfung des Mie-
tanstiegs auf angespannten Wohnungsmärkten bei um-
fassenden Modernisierungen . Der Ausschuss für Recht
und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11440,
den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/8856 abzulehnen . Auf Verlangen der

1) Ergebnis Seite 22121 C

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stimmen wir nament-
lich ab . Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die vorgesehenen Plätze einzunehmen . – Sind die Plätze
an den Urnen besetzt? – Ich sehe, das ist der Fall . Ich er-
öffne die zweite namentliche Abstimmung, diesmal über
den Gesetzentwurf der Grünen .

Haben alle ihre Stimmkarte abgegeben? – Dann schlie-
ße ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen .2)

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent-
wurf eines Gesetzes der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten
Wohnungsmärkten durch Streichung der Rügepflicht
und die Schaffung eines Auskunftsrechts. Der Aus-
schuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter
Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/11440, den Gesetzentwurf der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8857 abzulehnen .
Auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
stimmen wir namentlich ab . Sind die Plätze an den Urnen
besetzt? – Ich sehe, dass das der Fall ist. Dann eröffne
ich die dritte namentliche Abstimmung, und zwar wieder
über einen Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen .

Ist noch jemand im Saal, der die Stimmkarte nicht ab-
gegeben hat? – Wie ich sehe, ist das nicht der Fall . Dann
schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen .3)

Die Ergebnisse der Abstimmungen werden Ihnen spä-
ter bekannt gegeben . – Bitte nehmen Sie jetzt alle wieder
Platz .

Dann rufe ich die Tagesordnungspunkte 5 a und b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Neun-
ten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen
Wettbewerbsbeschränkungen

Drucksachen 18/10207, 18/10650, 18/10924
Nr. 1.3

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Energie (9 . Ausschuss)


Drucksache 18/11446

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-
gie (9 . Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Michael
Schlecht, Klaus Ernst, Karin Binder, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Parlaments- statt Ministererlaubnis im
Kartellrecht

– zu dem Antrag der Abgeordneten Katharina
Dröge, Kerstin Andreae, Katja Keul, weiterer

2) Ergebnis Seite 22123 D
3) Ergebnis Seite 22126 D

Michael Groß






(A) (C)



(B) (D)


Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Bußgeldumgehung bei Kartellstrafen ver-
hindern – Gesetzeslücke schließen

Drucksachen 18/10240, 18/4817, 18/11446

Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen
ein Änderungsantrag und ein Entschließungsantrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor .

Interfraktionell wurde vereinbart, dass für die Debatte
60 Minuten vorgesehen sind . – Ich höre hier keinen Wi-
derspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache. Für die Bundesregierung
hat Bundesministerin Brigitte Zypries das Wort .

Brigitte Zypries, Bundesministerin für Wirtschaft
und Energie:

Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Ja, „neunte Novelle des Gesetzes
gegen Wettbewerbsbeschränkungen“ klingt sehr nach
Rechtstechnik . Aber das ist es nicht . Es geht hier um un-
ser Herzstück der sozialen Marktwirtschaft . Es geht um
eine faire Wettbewerbsordnung . Dafür haben wir die Än-
derungsvorschläge eingebracht, über die das Hohe Haus
heute entscheidet .

Weil eine faire Wettbewerbsordnung für unsere sozi-
ale Marktwirtschaft so wichtig ist, würde ich gerne als
Allererstes einmal dem Bundeskartellamt Danke sagen .
Das Bundeskartellamt hat ja die Aufgabe, diese Gesetze
zu vollziehen, selber aufmerksam zu sein und immer zu
schauen, wo es Verfahren einleiten muss und wo nicht .
Das macht es gut, wie ich finde, auch wenn wir nicht im-
mer einer Meinung sind .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– Ich finde, es könnte etwas mehr Begeisterung da sein.

Was ändern wir nun mit diesem Gesetzentwurf?

Der erste Punkt ist, dass wir den kartellrechtlichen
Ordnungsrahmen für die digitale Welt verbessern . Ein
Markt im Sinne des Wettbewerbsrechts wird künftig
auch dann vorliegen, wenn zwischen den unmittelbar
Beteiligten kein Geld fließt. Damit reagieren wir darauf,
dass viele Unternehmen ihre Dienste heutzutage im Netz
unentgeltlich anbieten. Das finden die Verbraucherinnen
und Verbraucher in der Regel gut . Sie merken allerdings
nicht, dass sie statt mit Geld mit Daten im Netz bezahlen .
Die Unternehmen erarbeiten sich auf diese Art und Wei-
se natürlich eine Marktmacht . Deswegen machen wir da
eine Änderung .

Der zweite Punkt ist, dass durch dieses kostenlose An-
gebot der Wert des Unternehmens nicht so sehr in einem
Buchwert besteht, also nicht aus den Einnahmen in einer
ordentlichen Bilanz ersichtlich ist . Vielmehr besteht der
Wert des Unternehmens darin, dass es über viele Daten
verfügt und viele Menschen gebunden hat . Dieser Wert
kann sehr hoch sein . Denken Sie beispielsweise daran,
dass Facebook für WhatsApp 19 Milliarden US-Dollar
gezahlt hat . Wir wollen deshalb, dass das Bundeskar-

tellamt künftig auch diese Art von Übernahmen prüfen
kann . Wir haben einen Kaufpreis von über 400 Millionen
Euro festgeschrieben . Das war in der Debatte nicht ganz
einfach . Auch ich habe natürlich mitbekommen, dass
die Start-up-Szene Bedenken hatte, dass ihnen der eine
oder andere Exit dadurch verwehrt werden könnte . Aber,
ich denke, mit 400 Millionen Euro haben wir eine solch
hohe Kaufpreisschwelle gewählt, dass negative Auswir-
kungen auf die deutsche Start-up-Szene ausgeschlossen
sein müssten .

Der dritte Punkt ist, dass wir mit der Novelle sicher-
stellen, dass sich Unternehmen, die eines Kartellrechts-
verstoßes überführt wurden, nicht mehr vor den Bußgeld-
zahlungen drücken können, indem sie ihr Unternehmen
rechtlich anders organisieren, indem sie umstrukturieren,
Teile verkaufen und anders zusammenfügen . Das soll
künftig nicht mehr möglich sein . Ich glaube, das ist ein
guter Beitrag für mehr Gerechtigkeit im Wirtschaftsle-
ben .

Der vierte Punkt ist, dass wir den Presseverlagen hel-
fen . Das entspricht auch unserem Koalitionsvertrag . Wir
erlauben Presseverlagen künftig, den Vertrieb ihrer An-
zeigen gemeinsam zu organisieren . Es kann also jenseits
der redaktionellen Ebene mehr Zusammenarbeit geben .
Das war uns wichtig; denn sie müssen sich wirtschaftlich
besser aufstellen können .


(Beifall bei der SPD – Martin Dörmann [SPD]: Das stärkt die Medienvielfalt!)


Der fünfte Punkt ist, dass wir an dem Verfahren der
Ministererlaubnis behutsame Korrekturen vornehmen .
Sie soll auch in der Zukunft in der Praxis handhabbar
bleiben . Gerade der erfolgreiche Abschluss des Verfah-
rens „Edeka/Kaiser’s Tengelmann“ hat ja gezeigt: Die
Ministererlaubnis ist im begründeten Einzelfall ein sinn-
volles Korrektiv zur rein wettbewerblichen Betrachtung
des Bundeskartellamtes .

Ich denke, dass wir mit dieser neunten GWB-Novel-
le einen Schritt zur Verbesserung der Ordnungspolitik in
den Zeiten der Digitalisierung unternommen haben . Es
wird nicht der letzte sein . Bestimmt wird sich das Haus
auch in der nächsten Legislaturperiode damit befassen
müssen, welche Änderungen angesichts der Digitalisie-
rung notwendig sind . Wir werden vonseiten des Bun-
deswirtschaftsministeriums in Kürze ein Weißbuch zu
der Frage der Regelung von Internetplattformen vorle-
gen. Sicherlich wird es dadurch Diskussionsstoff geben,
welche Regulierungen im Wettbewerbsrecht notwendig
sind . Ich freue mich auf die Diskussion . Ich glaube, dass
sie notwendig ist . Jetzt danke ich zunächst einmal dafür,
dass die neunte GWB-Novelle auf diese Art und Weise
zur Verabschiedung kommen kann .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822109200

Vielen Dank . – Nächster Redner für die Fraktion Die

Linke ist Klaus Ernst .


(Beifall bei der LINKEN)


Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822109300

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Voraussetzung dafür, dass eine Marktwirtschaft
funktioniert, ist, dass der Wettbewerb funktioniert . Ein fai-
rer Wettbewerb setzt voraus, dass kein Unternehmen einen
Markt beherrscht, dass kein Unternehmen nennenswerten
Einfluss auf die Marktpreise hat und dass Transparenz
über Angebot und Nachfrage besteht . – So kann man es in
den schönen Lehrbüchern nachlesen . Das Gegenteil davon
sind monopolisierte Märkte . Es ist Aufgabe des Staates, si-
cherzustellen, dass auf den Märkten eine faire Konkurrenz
herrscht . Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen,
das Gegenstand der heutigen Debatte ist, gilt als zentrale
Norm des deutschen Kartell- und Wettbewerbsrechts . Wie
steht es nun um den Wettbewerb in Deutschland ange-
sichts einer so herausragenden Bedeutung?

Wenn wir einen Blick auf den Versicherungsmarkt
werfen, sehen wir, dass dort zehn Unternehmen fast
60 Prozent des Marktes kontrollieren . Im Lebensmittel-
bereich haben wir ähnliche Verhältnisse . Das Bundeskar-
tellamt hat dazu festgestellt:

Der Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland ist
ein hochkonzentrierter Markt .

Die vier großen Handelsunternehmen – Edeka, Rewe,
Aldi und die Schwarz-Gruppe – haben über 85 Prozent
Marktanteil . Hier handelt es sich auch um ein Nachfrage-
monopol, weil diese Unternehmen natürlich unheimlich
großen Einfluss auf die Produzenten von Lebensmitteln
nehmen können, zum Beispiel auch auf die Milchprei-
se . Wir wissen, wie es den Milchbauern zurzeit geht . Die
Preise sind so, dass die Milchbauern davon kaum noch
vernünftig leben können .

Doch wissen Sie, was das Schlimmste ist? Wir wissen
noch viel zu wenig über die tatsächliche Marktkonzent-
ration in vielen Branchen . Unsere Fraktion hat mehrfach
kritisiert, dass die Monopolkommission die systemati-
sche Beobachtung der Marktkonzentration faktisch ein-
gestellt hat . Haben Sie einmal in die Hauptgutachten der
Monopolkommission der letzten Jahre geschaut? Da fin-
den sich nur noch Analysen einzelner Branchen . Aber ein
Gesamtüberblick über die Monopolisierung in der Bun-
desrepublik Deutschland wird faktisch nicht mehr gege-
ben . Das ist nicht hinnehmbar . Wir brauchen hier wieder
umfassende Informationen .

Dank der Arbeit der Kartellbehörden wissen wir zu-
mindest, dass es den Anbietern auf den Märkten für Nah-
rungsmittel, Pharmaprodukte oder Baustoffe – auch die
Gleisproduzenten fallen mir ein – immer wieder gelingt,
durch Preisabsprachen den Wettbewerb außer Kraft zu
setzen . Die Instrumente der Kartellbehörden beschränken
sich bisher auf Fusionskontrolle und Missbrauchsaufsicht .
Es gibt keine Handhabe, gegen marktbeherrschende Stel-
lungen, die schon bestehen, vorzugehen . Das ist ein Fehler
im System . Deshalb fordern die Grünen – meines Erach-
tens vollkommen zu Recht –, als Ultima Ratio eine miss-
brauchsunabhängige Entflechtungsmöglichkeit zu schaf-
fen, damit tatsächlich eingegriffen werden kann, ohne dass
es besondere Umstände gibt, die dazu einen Anlass geben .

Die aktuelle Novelle justiert etwa bei den daten- und
internetbasierten Dienstleistungen nach . So sollen hier

zur Bewertung einer marktbeherrschenden Stellung unter
anderem auch Nutzerzahlen herangezogen werden; das
ist richtig . Auch die Einschränkung der Möglichkeiten
großer Unternehmen, hohe Geldbußen zu vermeiden –
Sie haben es angesprochen, Frau Ministerin –, ist richtig .
Das grundsätzliche Problem der bereits konzentrierten
Märkte und der Marktmacht Einzelner ist jedoch nach
wie vor ungelöst . Da kommen wir auch mit diesem Ge-
setzentwurf keinen Schritt weiter .

Meine Damen und Herren, im Pressebereich – das ist
sehr problematisch – führen Ihre Ausnahmeregelungen
sogar zu einer Förderung der Konzentration . Deshalb
lehnen wir den Gesetzentwurf ab .


(Beifall bei der LINKEN)


Zum Schluss noch ein paar Worte zur Ministererlaub-
nis und zu unserem Antrag dazu . Das Bundeskartellamt
hatte die Übernahme von Tengelmann durch Edeka unter
anderem deshalb untersagt, weil damit die Einkaufsalter-
nativen eingeschränkt würden und die Gefahr von Prei-
serhöhungen und der Druck auf Zulieferer wüchsen . Der
damalige Wirtschaftsminister genehmigte die Übernah-
me durch Edeka jedoch per Ministererlaubnis wegen der
großen Zahl von Arbeitsplätzen, die in Gefahr war . Das
war unserer Auffassung nach richtig.

Gegenwärtig muss einer Ministererlaubnis entweder
zugrunde liegen, dass die gesamtwirtschaftlichen Vor-
teile der Übernahme die Einschränkungen im Wettbe-
werb aufwiegen oder dass es ein überragendes Interesse
der Allgemeinheit gibt . Wir gehen davon aus, dass die
Zahl der Arbeitsplätze – damit meine ich vernünftige Ar-
beitsplätze, also tarifvertragliche mit Betriebsratsstruk-
turen – sehr wohl einen solchen Umstand darstellt . Das
Oberlandesgericht Düsseldorf sah das anders . Abgesehen
davon, dass dies absurd ist, zeigt dieses Urteil, dass die
Erwägungsgründe klarer formuliert werden müssen . Wir
müssen auch in dieser Frage nachjustieren .

In unserem Antrag fordern wir, dass die Sicherung
von guter Arbeit, also Betriebsratsstrukturen und tarifli-
che Beschäftigung, bei der Fusionsentscheidung berück-
sichtigt werden muss . Wir plädieren auch dafür, dass die
Ministererlaubnis durch eine Parlamentserlaubnis ersetzt
wird und damit eine öffentliche und transparente Debatte
darüber stattfindet, ob eine Fusion im Interesse des All-
gemeinwohls akzeptiert wird oder nicht .

Die jetzige Ministererlaubnis wird der politischen
Tragweite von Großfusionen nicht gerecht . Deshalb
glauben wir, dass wir der Antwort auf die Frage bzw . der
Entscheidung, ob etwas im öffentlichen Interesse liegt
oder nicht, mit Beteiligung des Parlaments Nachdruck
verleihen müssen .

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822109400

Vielen Dank . – Bevor ich den nächsten Redner auf-

rufe, darf ich kurz die von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelten Ergebnisse der namentlichen
Abstimmungen bekannt geben .






(A) (C)



(B) (D)


Erstens . Namentliche Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung zum Antrag der Fraktion Die Linke
mit dem Titel „Mietpreisbremse wirkungsvoll ausge-
stalten“, wonach der Antrag abgelehnt werden sollte:

abgegebene Stimmen 570 . Mit Ja haben gestimmt 461,
mit Nein haben gestimmt 53, Enthaltungen 56 . Die Be-
schlussempfehlung ist damit angenommen, der Antrag
wurde also abgelehnt .

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 570;
davon

ja: 461
nein: 53
enthalten: 56

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Artur Auernhammer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Norbert Brackmann
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dr . Maria Flachsbarth

Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Rainer Hajek
Dr . Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann


(Dortmund)


Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Dr . Mathias Edwin Höschel
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf

Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller

(Braun schweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr . Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Patrick Schnieder
Nadine Schön (St . Wendel)

Dr . Ole Schröder

(Wies baden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein

Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Dr . h .c . Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Jürgen Coße
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Dr . Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl

Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann

(Wa ckernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Angelika Krüger-Leißner
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller (Chemnitz)

Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)







(A) (C)



(B) (D)


Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Elfi Scho-Antwerpes
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath

Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Dirk Vöpel
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese

(Wol mirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

Fraktionslos

Erika Steinbach

Nein

DIE LINKE

Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr . Gregor Gysi
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach

Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Caren Lay
Sabine Leidig
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Norbert Müller (Potsdam)

Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


Enthalten

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Annalena Baerbock
Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Katja Dörner
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring

Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Zweitens . Namentliche Abstimmung über den Ent-
wurf eines Gesetzes zur Dämpfung des Mietanstiegs auf
angespannten Wohnungsmärkten bei umfassenden Mo-

dernisierungen: abgegebene Stimmen 567 . Mit Ja haben
gestimmt 110, mit Nein haben gestimmt 457 . Damit ist
der Gesetzentwurf abgelehnt .






(A) (C)



(B) (D)


Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 567;
davon

ja: 110
nein: 457
enthalten: 0

Ja

DIE LINKE

Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr . Gregor Gysi
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Norbert Müller (Potsdam)

Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank

Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Annalena Baerbock
Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Katja Dörner
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)


Corinna Rüffer
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms

Nein

CDU/CSU

Stephan Albani
Artur Auernhammer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Norbert Brackmann
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann

Ingrid Fischbach
Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr . Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann

(Dort mund)

Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues






(A) (C)



(B) (D)


Dr . Mathias Edwin Höschel
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel

Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller

(Braunsch weig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel

Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr . Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Patrick Schnieder
Nadine Schön (St . Wendel)

Dr . Ole Schröder

(Wies baden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)


Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Dr . h .c . Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Jürgen Coße






(A) (C)



(B) (D)


Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Dr . Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann

(Wa ckernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held

Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Angelika Krüger-Leißner
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller

Detlef Müller (Chemnitz)

Dr . Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder

Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Elfi Scho-Antwerpes
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Dirk Vöpel
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese

(Wol mirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer

Fraktionslos

Erika Steinbach

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Drittens . Namentliche Abstimmung über den Entwurf
eines Gesetzes zur Dämpfung des Mietanstiegs auf an-
gespannten Wohnungsmärkten durch Streichung der
Rügepflicht und die Schaffung eines Auskunftsrechts:

abgegebene Stimmen 573 . Mit Ja haben gestimmt 110,
mit Nein haben gestimmt 463 . Damit ist auch dieser Ge-
setzentwurf abgelehnt .

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 571;

davon

ja: 110

nein: 461

enthalten: 0

Ja

DIE LINKE

Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Matthias W . Birkwald

Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst

Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr . Gregor Gysi
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein






(A) (C)



(B) (D)


Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Norbert Müller (Potsdam)

Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Annalena Baerbock
Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Katja Dörner
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek

Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms

Nein

CDU/CSU

Stephan Albani
Artur Auernhammer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner

Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Norbert Brackmann
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting

Christian Haase
Florian Hahn
Rainer Hajek
Dr . Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann

(Dort mund)

Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Dr . Mathias Edwin Höschel
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob






(A) (C)



(B) (D)


Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller

(Braunsch weig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick

Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr . Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Patrick Schnieder
Nadine Schön (St . Wendel)

Dr . Ole Schröder

(Wies baden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn

Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl

Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Dr . h .c . Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Dr . Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß






(A) (C)



(B) (D)


Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann

(Wa ckernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler

Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Angelika Krüger-Leißner
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller (Chemnitz)

Dr . Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post

Achim Post (Minden)

Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Elfi Scho-Antwerpes
Swen Schulz (Spandau)


Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Dirk Vöpel
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese

(Wol mirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

Fraktionslos

Erika Steinbach

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Jetzt hat der Kollege Dr . Matthias Heider, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort . – Bitte schön .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Matthias Heider (CDU):
Rede ID: ID1822109500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle-

ginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir
ändern hier heute das Grundgesetz . Keine Sorge, Frau
Präsidentin, es ist das „Grundgesetz der sozialen Markt-
wirtschaft“ . So hat Ludwig Erhard das Kartellgesetz da-
mals genannt . Ich halte diesen Namen für richtig . Er zeigt
die Bedeutung dieses Gesetzes für unsere Wirtschaft .

Einmal in jeder Legislaturperiode überprüfen wir
grundlegend den Rahmen wettbewerblichen Handelns,
den Rahmen für unsere Wirtschaft . Durch jede Änderung
des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen richten
wir den Kompass des Wettbewerbs in Deutschland neu
aus . Das ist notwendig, weil sich die Wettbewerbsbedin-

gungen von Zeit zu Zeit ändern . In manchen Branchen
müssen die Unternehmen härter am Wind segeln, in an-
deren Branchen und Wettbewerbsbereichen mag es rich-
tig sein, etwas Wind aus den Segeln zu lassen .

Von der Veröffentlichung des Referentenentwurfs
dieses Gesetzes bis heute hat es acht Monate gedauert .
Heute können wir es in letzter Lesung mit einigen Än-
derungen verabschieden . Damit sind wir im Vergleich
zum schon erwähnten Ministererlaubnisverfahren im
Fall Edeka/Kaiser’s Tengelmann geradezu schnell . In
diesem Verfahren hat der damalige Minister Sigmar
Gabriel nämlich immerhin elf Monate gebraucht, um zu
einer Entscheidung zu kommen . Es war aber auch eine
schwierige Entscheidung .

Mit diesem Vergleich möchte ich gleich am Anfang
eine der wichtigsten Änderungen hervorheben, die wir
an diesem Gesetzentwurf noch gemeinsam vornehmen
wollen, nämlich die Änderung beim Ministererlaubnis-






(A) (C)



(B) (D)


verfahren . Durch die Änderung stärken wir dieses Ver-
fahren . Das ist auch wichtig . In den elf langen Monaten,
die das Verfahren Edeka/Kaiser’s Tengelmann gedauert
hat, war es für die Beschäftigten und die Unternehmen
unsicher, was mit ihnen geschieht . Hinzu kam, dass das
Verfahren – jedenfalls nach Auffassung eines Gerichtes –
nicht so transparent geführt worden war, wie es eigent-
lich von einer Behörde zu erwarten ist .

Es ist gut, dass sich die beteiligten Unternehmen in
diesem Verfahren am Ende geeinigt haben . Das bedeutet:
Die Beteiligten sind von Edeka mit Zahlungen und Leis-
tungen klaglos gestellt worden . Klagen gegen die Minis-
tererlaubnis sind daraufhin zurückgezogen worden . Es
brauchte fast 18 Monate, bis diese Unsicherheit beseitigt
war und die Beschäftigten und die Unternehmer aufat-
men konnten .

Wir wissen zum jetzigen Zeitpunkt nicht, ob sich die
Arbeitsplatzsituation über alle Unternehmensteile von
Edeka/Kaiser’s Tengelmann hinweg ohne Verlust entwi-
ckelt . Der Prozess ist noch im Gang, und wir werden uns
als Parlament weiter darüber berichten lassen .

Als Gesetzgeber ist es unsere Pflicht, zu fragen: Was
können wir in Zukunft in Verfahren besser machen? Was
muss das Parlament zur Sicherung eines rechtsstaatli-
chen Verfahrens und einer wirtschaftlichen Ausnahme-
entscheidung jetzt unternehmen? Denn die Exekutive ist
an Recht und Gesetz gebunden, und es darf nicht einmal
der Eindruck erweckt werden, meine Damen und Her-
ren, dass irgendwelche Spielregeln in diesem Verfahren
unklar sind .

Für uns als CDU/CSU-Fraktion war die Antwort klar:
Wir müssen das Verfahren stärken, damit neben der kar-
tellrechtlichen Entscheidung des Bundeskartellamtes
eine mehr politisch gewichtete Entscheidung der Mi-
nisterin oder des Ministers zugunsten gesamtwirtschaft-
licher Vorteile oder eines überragenden Interesses der
Allgemeinheit in einer Ausnahmesituation ihr Gewicht
behalten kann . Arbeitsplätze können, um das klar zu sa-
gen, ein überragendes Interesse der Allgemeinheit recht-
fertigen .

Bei dem Erhalt von kollektiven Arbeitnehmerrechten
sah das Oberlandesgericht Düsseldorf verfassungsrecht-
liche Probleme . Wir haben zum Verfahren verschiedene
Vorschläge gemacht . Ich freue mich, dass wir uns mit den
Kolleginnen und Kollegen der SPD auf einen Großteil
unserer Vorschläge einigen konnten . Durch die Änderun-
gen straffen wir das Verfahren, und wir machen es trans-
parenter .

Die wichtigste Änderung ist, dass künftig eine Höchst-
frist für das Verfahren gelten wird . Beim nächsten Mal,
meine Damen und Herren, läuft im Wirtschaftsministe-
rium die Uhr mit . Wenn nach sechs Monaten keine Ent-
scheidung vorliegt, gilt der Antrag auf die Erlaubnis als
abgelehnt . Die Frist kann auf Antrag der Unternehmen
nur einmal um bis zu zwei Monate verlängert werden .
Nach acht Monaten ist dann aber Schluss. Dies strafft das
Verfahren zeitlich und gibt den Beschäftigten sowie den
Unternehmen, aber auch dem Markt Rechtssicherheit .
Wir hätten uns als Union eine noch kürzere Frist vorstel-
len können, aber das ist eben ein Kompromiss .

Bisher – so sah es das geltende Recht vor – sollte
das Verfahren bereits nach vier Monaten beendet sein .
Das war eine Sollvorschrift, die nicht gezogen hat . Die-
se Vorgabe besteht natürlich weiter . Unternehmer sind
Kaufleute, und die sind auf schnelle Entscheidungen im
Geschäftsverkehr angewiesen . Wenn das Ministerium in
diesem Zeitraum nicht entscheidet, muss zukünftig der
Deutsche Bundestag – also wir – schriftlich über die
Gründe unterrichtet werden . Das wahrt unser Informati-
onsrecht als Parlament .

Weiterhin machen wir das Ministererlaubnisverfah-
ren transparenter . Das Ministerium muss sich zukünftig
binden und Leitlinien erlassen, in denen der Ablauf ei-
nes Ministererlaubnisverfahrens genau dargestellt wird .
Die Leitlinien sollen insbesondere die Fristenregelun-
gen, Dokumentationspflichten und Verfahrensrechte der
Beteiligten regeln . Schließlich stärken wir die Rolle der
Monopolkommission und verpflichten das Ministerium,
sich bei einer abweichenden Entscheidung dezidiert mit
der Monopolkommission auseinanderzusetzen . – Ich er-
innere nur daran, dass der Vorsitzende der Monopolkom-
mission im Zuge dieses Ministererlaubnisverfahrens von
seinem Amt zurückgetreten war .

Ein von den Grünen und Linken gefordertes Vetorecht
oder sogar eine Parlamentserlaubnis haben wir nicht
aufgenommen . Die Ministererlaubnis ist eine klassische
Aufgabe der Exekutive . Unsere Aufgabe als Parlament
ist es, die Regierung zu kontrollieren und die Bindung
an Recht und Gesetz – gegebenenfalls durch weitere Ge-
setzgebung; so wie wir das hier heute tun – sicherzustel-
len . Das ist die Auswirkung der Gewaltenteilung . Es ist
unser Auftrag nach Artikel 20 Absatz 3 des Grundgeset-
zes . Wir setzen die Grundlagen, damit Entscheidungen
weder zeitlich noch inhaltlich beliebig werden . Ich den-
ke, dass das Ministerium und die Unternehmen mit un-
seren Änderungen in Bezug auf dieses Verfahren für die
nächste Ministererlaubnis gut gerüstet sind, wer immer
dann auch Wirtschaftsminister sein wird .

Ich freue mich, dass wir neben den Änderungen zum
Ministererlaubnisverfahren auch den Koalitionsvertrag
im Punkt „Verbraucherschutz und Bundeskartellamt“
umsetzen konnten . Wir hatten, was den Verbraucher-
schutz angeht, eine Prüfpflicht für Behörden vereinbart.
Das gilt also auch, meine Damen und Herren, für eine
Bundesoberbehörde wie das Bundeskartellamt .

Verbraucherschutz ist für uns als CDU/CSU-Fraktion
ein wichtiges Thema . Daher haben wir uns mit unserem
Koalitionspartner darauf geeinigt, dass das Bundeskar-
tellamt in Zukunft auch Verstöße gegen Verbraucherrech-
te prüfen kann .

Das Amt kann sogenannte Sektoruntersuchungen in
Branchen durchführen, in denen der Verdacht besteht,
dass schwerwiegende Verstöße gegen Verbraucherrechte
vorliegen . Außerdem können zukünftig Mitarbeiter des
Bundeskartellamtes an Gerichtsverfahren teilnehmen,
die erhebliche Verstöße gegen Verbraucherrechte betref-
fen . Sie können Hinweise auf Beweismittel geben und
ihre Erkenntnisse und ihr Know-how in das Gerichtsver-
fahren einbringen .

Dr. Matthias Heider






(A) (C)



(B) (D)


Informieren, prüfen und berichten: Das ist der erste
Schritt einer Behörde, die wir auf ein neues Aufgaben-
feld vorbereiten . Den Vorschlag der SPD, das Bundes-
kartellamt zu einer allgemeinen Verbraucherschutzbe-
hörde auszubauen, haben wir anhand der Anhörung und
in weiteren Gesprächen intensiv geprüft . Jedoch konnten
wir zum jetzigen Zeitpunkt


(Marcus Held [SPD]: Uns nicht überwinden!)


eine solche Entscheidung nicht mittragen . Es fehlt an
klaren Aufgabenbeschreibungen und an eindeutigen Ab-
grenzungen bei Eingriffsmaßnahmen genauso wie an der
Beachtung der Befugnisse anderer Behörden .

Meine Damen und Herren, eine allgemeine Verbrau-
cherschutzbehörde ist ein Systemwechsel . Bisher werden
Verstöße gegen allgemeine Verbraucherrechte privat-
rechtlich, durch Abmahnungen und Klagen, verfolgt . Die
Kolleginnen und Kollegen der SPD wollten hier einen
Systemwechsel vornehmen, der an ein Gesetzesvorha-
ben angedockt werden sollte, das ihnen dafür mal eben
angeflanscht erschien. Das geht unseres Erachtens nicht
„mal eben“ . Dazu brauchen wir weitere Vorbereitungen,
eine Abstimmung mit anderen Bundesbehörden und vor
allen Dingen – ganz wichtig – eine Etatisierung im Bun-
deshaushalt .

Inhaltlich sehen wir derzeit bei der Durchsetzung von
Verbraucherrechten vorwiegend im Bereich der digitalen
Wirtschaft Defizite. Eine Abgrenzung der digitalen von
der analogen Welt ist aber ausgesprochen schwierig . Au-
ßerdem ist nicht klar, warum wir eine weitere Behörde
brauchen, die Verbraucherrecht durchsetzt . Die Bundes-
netzagentur, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistun-
gen, die Datenschutzaufsichtsbehörden und die Anstalten
der Bundesländer im Medienbereich verfolgen bereits
Verstöße gegen Verbraucherrechte in ihrem jeweiligen
Bereich .

Was das oft genannte Beispiel, das schwierige Vorge-
hen gegen sogenannte Fake Shops im Internet, angeht,
frage ich: Warum greifen dort die Staatsanwaltschaf-
ten nicht härter durch? Hier geht es, meine Damen und
Herren, um die Verfolgung von Betrugsdelikten . Nach
einem Anfangsverdacht wird ein Ermittlungsverfahren
eingeleitet: Das wären die richtigen Schritte, mit denen
man den Verbraucherrechten zum Durchbruch verhelfen
könnte . Diese Aufgabe müssen wir nicht zusätzlich dem
Bundeskartellamt übertragen .

Meine Damen und Herren, mit Blick auf die Rede-
zeit kann ich leider zu allen anderen Themen nichts mehr
vortragen . Ich glaube, dass wir mit den Änderungen in
der neunten Novelle einen Gesetzentwurf in kompakter
Form vorlegen . Eins ist sicher: Nach der neunten Novelle
folgt die …? Zehnte Novelle, richtig . – Ich bedanke mich
für Ihre Mitwirkung und bitte um Zustimmung zu den
Änderungen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU – Martin Dörmann [SPD]: Die Kölner freuen sich schon auf die elfte!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822109600

Vielen Dank . – Jetzt hat der Kollege Dieter Janecek,

Bündnis 90/Die Grünen, das Wort .


Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822109700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Wir Grüne sind die

Partei des fairen Wettbewerbs . Wenn wir keinen fairen
Wettbewerb haben, dann haben wir nicht Marktwirt-
schaft, sondern Machtwirtschaft . Das wollen wir nicht .

Ein funktionierender fairer Wettbewerb ist eine tra-
gende Säule für unsere soziale und ökologische Markt-
wirtschaft . Dieser Wettbewerb ist Motor für Innovation,
Kreativität und führt zu niedrigen Preisen und hoher
Qualität . Genau das wollen wir . Deswegen wollen wir
fairen Wettbewerb . Daher legen wir einen eigenen An-
trag vor, um das zu verbessern, was Sie in Ihrem Gesetz-
entwurf nicht geschafft haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wo fairer Wettbewerb herrscht, haben Verbraucherin-
nen und Verbraucher die Wahl . Sie sind besser geschützt
vor Abzocke und unfairen Geschäftsbedingungen; denn
ohne faire Regeln nimmt die wirtschaftliche Konzentra-
tion zu, häufig verbunden mit Schäden für Mensch und
Umwelt . Der von Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf ent-
hält einige richtige Punkte im Sinne einer Digital- und
Wettbewerbspolitik, wie sie meine Fraktion schon lange
fordert . Damit werden Fortschritte erzielt; das ist auch
gut so . Allerdings: Wir müssten deutlich mehr tun .

Jetzt komme ich zu unseren Vorschlägen und Beispie-
len, etwa zum Thema digitale Märkte . Sie sind erst einmal
ein großer Gewinn für uns alle, für die Verbraucherinnen
und Verbraucher. Vergleichsportale schaffen mehr Trans-
parenz bei Angebot und Preisen . Über soziale Netzwerke
können Nutzerinnen und Nutzer Interessen und Meinun-
gen teilen . Aber die Wettbewerbspolitik muss sich auf
diese neuen internetbasierten Plattformmärkte ausrich-
ten . Die Wettbewerbswirkung dieser Märkte ist eben
nicht eindeutig . Da der Mehrwert der Plattformen direkt
mit der Anzahl der Nutzerinnen und Nutzer steigt – das
ist der sogenannte Netzwerkeffekt –, konzentriert sich
Marktmacht auf wenige Plattformen und im extremsten
Fall auf eine Plattform . Das kann ein Problem sein . Das
Beispiel WhatsApp und Facebook ist genannt worden .
Der Kaufpreis lag damals bei 19 Milliarden US-Dollar
für WhatsApp, für ein Unternehmen, das zwar geringen
Umsatz, aber 450 Millionen Nutzerinnen und Nutzer hat-
te .

Deswegen fordern wir, dass das Bundeskartellamt zu-
künftig bei der Genehmigung von Fusionen die Möglich-
keit hat, nicht nur auf den Umsatz der Firmen zu schauen,
sondern zusätzlich auf das Transaktionsvolumen und den
Kaufpreis, der bei der Fusion gezahlt werden soll . Das ist
wichtig und notwendig; denn sonst bekommen wir die
Konzentration in diesem Bereich nicht in den Griff.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Thomas Lutze [DIE LINKE])


Ich mache es ein bisschen konkreter, was die Digital-
wirtschaft angeht . Es gibt zwei Prinzipien, die wir unbe-
dingt brauchen . Das eine wird mit dem etwas sperrigen

Dr. Matthias Heider






(A) (C)



(B) (D)


Wort der Interoperabilität beschrieben . Dabei geht es da-
rum, dass Sie, wenn Sie eine Smartphone-Anwendung,
eine App haben, auch mit anderen kommunizieren kön-
nen, dass es da keine Lock-in-Effekte gibt und dass kei-
ne geschlossenen Märkte nebeneinander existieren, was
dazu führt, dass Monopolisten ihre Machtstellung aus-
nutzen . Da haben wir momentan beim Wettbewerbsrecht,
zum Beispiel im Bereich der Messengerdienste, ein Pro-
blem . Sie können jetzt nicht von Threema zu WhatsApp
kommunizieren; das geht nicht . Dieses Problem müssen
wir lösen . Wir müssen da bei der Gesetzgebung ran und
einfordern: Die Anbieter selbst müssen nachweisen, dass
das technisch nicht möglich ist . Wenn sie das nicht kön-
nen, dann muss das machbar sein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der zweite Punkt betrifft die Datenportabilität. Auch
das ist wieder ein sperriges Wort, aber einfach zu erklä-
ren: Dabei geht es darum, dass Sie, wenn Sie Daten oder
auch Datenhistorien gespeichert haben, zum Beispiel
Kontaktdaten in einer Anwendung, und wenn Sie einen
anderen Anbieter nutzen wollen, die auch mitnehmen
können . Die EU-Datenschutz-Grundverordnung regelt
das; sie ist ab 2018 anzuwenden . Aber sie muss jetzt zü-
gig in deutsches Recht umgesetzt werden, damit wir auch
in diesem Bereich mehr Wettbewerb haben, indem wir
diese Möglichkeiten im Sinne der Verbraucherinnen und
Verbraucher haben .

Ich komme zum Thema Verbraucherschutz . Herr
Dr . Heider, Sie haben den Gesetzentwurf ja schon ver-
teidigt . Die SPD hatte nämlich anderes vor – sie ist als
Tiger gesprungen und dann nicht wirklich als Tiger ge-
landet; ich lasse jetzt einmal die üblichen Vergleiche weg
und mache es sachlich –: Sie wollten eine schlagkräfti-
ge Verbraucherschutzbehörde ausbauen . Sie wollten die
Kompetenzen des Bundeskartellamts auf den wirtschaft-
lichen Verbraucherschutz ausweiten . Aber das haben Sie
eben nicht gemacht. Wir finden, das ist ein Versäumnis.
Denn wie kann bitte der Verbraucher zivilrechtlich gegen
Unternehmen vorgehen, die zum Beispiel die AGBs ver-
schlechtern oder Datenschutzbestimmungen umgehen
und ausnutzen? Das kann er eben nicht . Dazu braucht er
auch die Keule des Wettbewerbsrechts, die Sie ihm aber
nicht gegeben haben . Wir wollen, dass der zivilrechtliche
Verbraucherschutz um einen behördlichen ergänzt wird,
damit da endlich Waffengleichheit herrscht. Das ist not-
wendig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme noch zum Ministererlaubnisverfahren .
Es ist richtig, dass das erst einmal ein Akt der Exeku-
tive ist und in der Endentscheidung auch bleiben soll .
Aber wir haben gerade bei der Causa Tengelmann ge-
sehen, dass das nicht so ganz funktioniert . Was ist denn
beispielsweise das Gemeinwohlinteresse? Das Gemein-
wohlinteresse kann nicht darin bestehen, dass man einen
Unternehmensbereich als schützenswert ansieht – in die-
sem Fall Kaiser’s Tengelmann – und dort Arbeitsplätze
sichert, aber die anderen Arbeitsplätze – in dem Fall bei
Edeka – sozusagen zur Disposition stellt, die Position
dieser Mitarbeiter schwächt und dann sagt: Das ist das
Gemeinwohlinteresse . – Ich glaube, der Bundestag muss

in der Lage sein, Einspruch zu erheben und eine Debatte
darüber zu führen . Das fordern wir . Wir sagen: Innerhalb
von vier Sitzungswochen brauchen wir die Gelegenheit
zu einer Diskussion .

Wenn dann der Minister sagt, er ist nicht einverstan-
den, dann kann er noch immer zu der Regierung gehen
und sagen: Stimmt mal so oder so ab. Dann treffen wir
eine Entscheidung . – Die kann dann auch anders als die
vom Parlament getroffene aussehen. Nichtsdestotrotz
brauchen wir im Parlament breitere Beteiligungsrechte,
auch der Verbraucherschutzbehörden und der Daten-
schutzbehörden, damit sie darlegen können, ob das im
Sinne des Gemeinwohls ist . Denn unser Eindruck ist,
dass es im Fall Tengelmann nicht so gelaufen ist, sondern
dass da Gespräche im Hintergrund gelaufen sind, die am
Ende nicht dem Gemeinwohl gedient haben, sondern In-
teressen von Einzelnen, die vielleicht schon im Vorfeld
viel Einfluss hatten.

Wir Grüne stimmen dem vorliegenden Entwurf so
nicht zu, sagen aber auch, dass es Fortschritte gibt . Uns
liegt jetzt die neunte Novellierung vor . Das ist gut so und
notwendig . Es werden weitere folgen; das ist ja ange-
sprochen worden . Im Bereich des Verbraucherschutzes
haben wir eben noch Bedarf . Ich glaube, das wird die
SPD selbst auch noch einmal für sich betonen . Das muss
dringend auf die Tagesordnung .

Für uns bleibt am Ende in der Substanz: Da uns fairer
Wettbewerb und konsequenter Verbraucherschutz so am
Herzen liegen, müssen wir uns bei beiden Vorlagen ent-
halten .

Es gibt noch eine weitere Problematik, die wir kri-
tisch sehen: die Freistellung privater Presseverlage von
der Kartellverfolgung . Natürlich brauchen wir eine un-
abhängige Presse, die auch wettbewerbsfähig sein muss,
aber Preisabsprachen sind nach unserer Auffassung das
falsche Instrument, um sie im Wettbewerb mit der Gra-
tiskonkurrenz aus dem Internet zu stärken . Auch hier
müssen wir die Regeln beachten und dürfen keine Son-
derregeln schaffen. Sonst ist der Wettbewerb außer Kraft
gesetzt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Thomas Lutze [DIE LINKE])


In diesem Sinne: Kämpfen Sie weiter für fairen Wett-
bewerb! Ich danke für die Debatte und freue mich auf
Ihre weiteren Beiträge .

Danke schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822109800

Vielen Dank . – Als Nächstes hat Marcus Held für die

SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Marcus Held (SPD):
Rede ID: ID1822109900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Wir beschäftigen uns heute pünkt-
lich zum Fristablauf am Montag mit dem Neunten Gesetz

Dieter Janecek






(A) (C)



(B) (D)


zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschrän-
kungen, das wir heute zu beschließen haben . Wir haben
in den zurückliegenden Monaten, in dem zurückliegen-
den Jahr – so lange ist die Debatte schon gelaufen –,
verschiedenste Bereiche diskutiert und geregelt . Es gab
Bereiche, bei denen klar war, dass sie in dieses Gesetz
gehören, es gab andere Bereiche, die vielleicht aus his-
torischen Gründen schon passend gemacht worden sind,
und es gab Bereiche, bei denen diskutiert wurde, ob sie
in dieses Gesetz gehören: Das betrifft beispielsweise die
Zusammenarbeit öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstal-
ten . Hier bestand besonders der Wunsch der Länder, dass
die Anstalten enger kooperieren dürften . Das ist aber aus
unserer Sicht nicht Sache des Wettbewerbsrechts bzw .
des Rechts der Wettbewerbsbeschränkungen, vielmehr
müssen die Länder gegebenenfalls den Rundfunkstaats-
vertrag ändern . Deshalb ist das Ergebnis auch so gewe-
sen .

Uns als SPD war es sehr wichtig, die Presseland-
schaft, die der Kollege Janecek eben angesprochen hat,
in Deutschland zukunftsfähig zu machen und zu stärken .
Uns ging es vor allem um die Printmedien, die in den
zurückliegenden Jahren doch erhebliche Nachteile durch
Onlineplattformen und Presseagenturen, die vor allem im
Internet tätig sind, hinnehmen mussten . Hinzu kommt die
Onlinekonkurrenz bei den Anzeigen; der Anzeigenteil
bei den Printmedien ist immer weiter zurückgegangen .

Deshalb haben wir Beschlüsse vorgesehen, die po-
sitive Auswirkungen auf die Redaktionen haben und
dazu führen, dass die Verlage weiterhin ausreichend
Mittel für ihre redaktionelle Arbeit zur Verfügung stel-
len können . Gleichzeitig müssen wir bedenken, dass es
nicht so weitergehen darf in Deutschland . Zumindest in
Teilen Ostdeutschlands haben wir schon weiße Flecken
auf der Landkarte, was Tageszeitungen betrifft, die über
kommunale Ereignisse berichten; oft gibt es nur günsti-
ge Anzeigenblätter auf kommunaler Ebene . Dem müssen
wir entgegenwirken . Ich glaube, das haben wir mit den
Regelungen zu Kooperationen im Pressebereich auch
geschafft. Darauf wird der Kollege gleich noch näher
eingehen .


(Beifall bei der SPD)


Ferner haben wir in den zurückliegenden Monaten in-
tensiv über die Ministererlaubnis diskutiert, Herr Heider .
Es gibt jetzt die Ablehnungsfiktion für den Minister nach
sechs Monaten, wenn der Antrag gestellt ist, und eine
Verlängerungsmöglichkeit um zwei Monate für den Fall,
dass man noch weitere Aspekte in das Verfahren einbrin-
gen möchte . Wir haben sehr lange darüber diskutiert,
wobei die Diskussion von der Fusion von Kaiser’s Ten-
gelmann mit Edeka überschattet wurde . Trotzdem sollten
wir diesen Punkt versachlichen und darauf hinweisen,
dass in den letzten knapp 50 Jahren noch nicht einmal
20 Anträge auf eine Ministererlaubnis zur Fusion gestellt
worden sind .

Die letzte Entscheidung ist eine positive Entscheidung
unseres Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel gewesen:
Es wurden 16 000 Arbeitsplätze durch den bewusst po-
sitiven Umgang mit der Ministererlaubnis erhalten, und

wir sind stolz darauf, dass diese 16 000 tarifgebundenen
Arbeitsplätze erhalten werden konnten .


(Beifall bei der SPD)


Der kollektive Verbraucherschutz – das ist eben schon
andiskutiert worden – ist für uns Sozialdemokraten eines
der wichtigsten Themen . Wir hätten ihn in diesem Ge-
setz gerne noch stärker verankert . Wir wollten die Rolle
des Bundeskartellamtes als einer Behörde stärken – Herr
Heider hat es schon gesagt –, die dann auch Ansprech-
partnerin für Bürgerinnen und Bürger sein sollte, die sich
mit einer Beschwerde an diese Institution wenden kön-
nen . Dies ist uns leider nicht gelungen, weil es keinen
Kompromiss mit der Union in dieser Frage hat geben
können . Das muss man an dieser Stelle auch in dieser
Klarheit sagen . Wir werden uns als SPD in den kommen-
den Monaten und in der kommenden Wahlperiode noch-
mals intensiv dafür einsetzen, dass das Bundeskartellamt
tatsächlich auch Ansprechpartner für die Verbraucherin-
nen und Verbraucher wird .

Aber wir haben mit diesem Gesetz einen Kompromiss
erreicht, mit dem wir wenigstens den Einstieg geschafft
haben . Das Bundeskartellamt kann Sektoruntersuchun-
gen durchführen, wenn der Verdacht auf erhebliche und
dauerhafte Verstöße gegen verbraucherrechtliche Vor-
schriften besteht und – darüber hinaus – wenn eine Viel-
zahl von Verbraucherinnen und Verbrauchern betroffen
zu sein scheint . Das wollen wir nochmals intensivieren .

Wir werden bei der Evaluation auch noch einmal
darauf gucken, wie sich das in den nächsten zwei, drei
Jahren entwickelt . Wir wollen hier auf jeden Fall an der
Seite der Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch
an der Seite der redlichen Unternehmerinnen und Unter-
nehmer sein . Für die setzen wir uns als SPD ein, meine
Damen und Herren .


(Beifall bei der SPD)


Eine wichtige Regelung in diesem Gesetz ist auch,
dass Zusammenschlüsse von Dienstleistungsunterneh-
men bei den Sparkassen ermöglicht werden . Wir wis-
sen alle, dass die Sparkassen besonders wichtig auch in
der kommunalen Arbeit in Deutschland sind . Wir sind,
glaube ich, sehr stolz darauf, dass unser Bankenwesen
in Deutschland neben den Großbanken vor allem auch
Sparkassen und Volksbanken kennt . Aus diesem Grun-
de haben wir intensive Gespräche mit den Sparkassen
geführt. Wir haben erreicht, dass im Backoffice-Bereich
künftig Zusammenschlüsse von Dienstleistungsunter-
nehmen sowohl bei den Sparkassen als auch bei den Ge-
nossenschaftsbanken möglich sind . Es gab natürlich eine
intensive Debatte darüber, ob das im Vergleich zu den
anderen Banken richtig ist . Ich bin der Meinung, dass die
Kommunen, die insbesondere Träger unserer Sparkassen
sind, die Möglichkeit erhalten sollten, kommunale Struk-
turen bzw . kleine Unternehmer vor Ort zu unterstützen .
Das tun sie oft, gerade wenn es um Kreditierungen im
Bereich der Wirtschaft geht . Deshalb haben es die Spar-
kassen auch verdient, dass sie von uns hier die entspre-
chende Unterstützung und Rückendeckung bekommen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Marcus Held






(A) (C)



(B) (D)


Abschließend, meine Damen und Herren, möchte ich
mich bei allen, die bei den intensiven Diskussionen mit-
gewirkt haben, noch einmal herzlich bedanken . Bedan-
ken möchte ich mich insbesondere bei den Kolleginnen
und Kollegen aus dem Bundeswirtschaftsministerium,
die wir ja eingehend konsultiert haben . Ich glaube, wir
machen uns mit dieser neunten Novelle auf zu mehr
Wettbewerb, zu mehr Gerechtigkeit, die für uns als SPD
besonders wichtig ist, aber auch zu mehr Flexibilität . Al-
les das, was wir noch realisieren wollen, werden wir in
der zehnten Novelle mit anderen Mehrheiten realisieren .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822110000

Vielen Dank . – Für die Fraktion Die Linke hat jetzt

Thomas Lutze das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Thomas Lutze (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822110100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sicherlich ist vieles von dem, was in der neun-
ten Novelle drinsteht, ausdrücklich zu begrüßen . Meine
Redezeit von drei Minuten würde auch nicht ausreichen,
das alles aufzuzählen, geschweige denn, zu kommentie-
ren . Das Problem ist jedoch nicht das Begrüßenswerte,
sondern dass die meisten Sachen schlichtweg überfällig
sind . Wir hätten vieles von dem, über das wir heute disku-
tieren, möglicherweise schon vor zehn Jahren gebraucht,
um auf bestimmte Marktumwälzungen zu reagieren, die
scheinbar einfach so im luftleeren Raum geschehen sind .

Ich nenne Ihnen ein Beispiel – der Kollege Janecek
hat es auch schon erwähnt –: den Messengerdienst
WhatsApp . Ihm kann man mittlerweile getrost eine Be-
deutung zumessen, die die SMS möglicherweise vor 10
oder 15 Jahren einmal hatte . Diese geschlossene Platt-
form eines einzelnen Unternehmens ist gerade dabei,
Standard für Millionen von Menschen zu werden, so wie
es möglicherweise – wie haben es noch erlebt – die SMS
einmal gewesen ist. Dass WhatsApp zu allem Überfluss
auch noch von Facebook gekauft wurde, verschlimmert
die Situation noch . Die marktbeherrschende Stellung
wird möglicherweise auf Jahrzehnte festgeschrieben .

Die Novelle zum GWB führt nun dazu, dass die Kar-
tellwächter in einem solchen Fall ein Wörtchen mitzu-
reden gehabt hätten . Aber Sie fassen das grundsätzliche
Problem nicht an: Sobald ein digitaler Kommunikations-
dienst eine gewisse Schwelle der Verbreitung bei Nut-
zern überschritten hat, verbreitet er sich quasi automa-
tisch weiter . Wenn zum Beispiel sieben, acht oder zehn
Ihrer Freunde diese Kommunikationsplattform nutzen,
dann entsteht für Sie dadurch ein Druck, selber auch
dort mitzumachen, weil Sie ansonsten von dieser Art der
Kommunikation ausgeschlossen werden .

Da mag es zwar auch andere Angebote geben, die
vielleicht komfortabler, technisch fortgeschrittener oder
sicherer sind; ihre Marktchancen sind allerdings in aller
Regel gleich null, weil es eben diese monopolistischen
Plattformen gibt . Ein Beispiel, das man dazu anführen

könnte: Jemand hat einen Telefonanschluss von Vo-
dafone und könnte nicht so einfach mal mit jemandem
telefonieren, der bei der Telekom ist . – Ich glaube, alle
würden uns für ein bisschen verrückt halten, wenn wir
eine solche gesetzliche Grundlage hätten . Aber in dem
konkreten Fall dieser WhatsApp-Dienste oder des älteren
SMS-Dienstes ist das heute leider Gottes Realität .

Statt sich also allein auf die vorhandene Marktmacht
bei möglichen Fusionen zu konzentrieren, hätte eine
wirksame Reform an diesem Punkt ansetzen müssen .
Nur wenn man den Betreiber einer marktbeherrschenden
Kommunikationsplattform dazu zwingt, seinen Dienst
auch für Mitbewerber zu öffnen, wie wir das im Bereich
der Telekommunikation, also der Telefon- und Inter-
netanbieter, bereits seit den 90er-Jahren haben, hat ein
Konkurrent tatsächlich eine Chance, seine Produkte und
seine Dienstleistungen anzubieten und sich zu beweisen .
Das haben wir leider nicht, auch nicht mit Ihrer Novelle,
und das kritisieren wir als Linksfraktion .


(Beifall bei der LINKEN)


Ein zweites Beispiel . Es zieht sich die Ratlosigkeit in
der digitalen Frage wie ein roter Faden durch die No-
velle . Dass ausgerechnet unter der Überschrift „Gesetz
gegen Wettbewerbsbeschränkungen“ die Presseverlage
geradezu zur Kartellbildung aufgefordert werden, ist aus
Sicht der Linksfraktion ein schlechter Witz .


(Martin Dörmann [SPD]: Das ist ja auch eine falsche Darstellung!)


Natürlich stehen die Verlage im Zuge der Digitalisierung
unter Druck . Aber keine der Maßnahmen der Bundesre-
gierung ist dazu geeignet, die Branche wirklich langfris-
tig zu unterstützen .


(Martin Dörmann [SPD]: Das werde ich gleich erläutern!)


Der vorliegende Entwurf führt zu einer weiteren Mono-
polisierung; er führt zu Arbeitsplatzabbau und zu weni-
ger Pressevielfalt, und das sehen wir als Linksfraktion
sehr kritisch . Ich bin sehr gespannt auf Ihre Ausführun-
gen; Sie werden sicherlich etwas dazu sagen . Vielleicht
habe ich dann noch die eine oder andere Zwischenfrage
zu dem Thema .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN – Martin Dörmann [SPD]: Ich hoffe, ich kann Sie überzeugen! Ich stehe für jede Zwischenfrage zur Verfügung!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822110200

Vielen Dank . – Nächster Redner für die CDU/

CSU-Fraktion ist der Kollege Hansjörg Durz .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Hansjörg Durz (CSU):
Rede ID: ID1822110300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Im Rahmen der Ordnungspolitik legt der Staat die
grundsätzlichen Spielregeln des Wirtschaftsprozesses
fest . Dazu gehört neben der Gewährleistung von Wettbe-

Marcus Held






(A) (C)



(B) (D)


werb auch dessen Regulierung, insbesondere durch das
entsprechende Wettbewerbsrecht . Die Prinzipien dieser
Ordnungspolitik Eucken’scher Prägung, wie wir sie heute
noch denken, haben von ihrer Richtigkeit und damit auch
an Aktualität nichts eingebüßt . Was die Vordenker jedoch
nicht ahnen konnten, war das Ausmaß an Möglichkeiten
und Herausforderungen, die mit den Informations- und
Kommunikationstechnologien, wie sie sich uns heute
bieten, verbunden sind . Wir können jeden Tag beobach-
ten, dass die Entwicklung der Digitalwirtschaft von ei-
ner in der Wirtschaftsgeschichte einzigartigen Dynamik
geprägt ist . Der Vordenker der sozialen Marktwirtschaft,
Walter Eucken, kam zu seiner Zeit zu dem Schluss, dass
der technische Fortschritt das Element der Konkurrenz
verstärkt, Marktmacht reduziert und damit den Konsu-
menten dient. Aber trifft diese Annahme auch in Zeiten
der Digitalisierung heute noch uneingeschränkt zu?

Fragen wie diese, die auch von der Monopolkommis-
sion in ihrem lesenswerten Sondergutachten aus dem
Jahr 2015 detailliert beleuchtet wurden, waren der Aus-
gangspunkt der GWB-Novelle . Wir müssen uns fragen:
Ist der Ordnungsrahmen unseres Wirtschaftssystems den
Herausforderungen der Digitalisierung gewachsen? Wir
haben es in mehreren Reden bereits thematisiert . Hier
spielt die Frage des Wettbewerbsrechts eine zentrale Rol-
le .

Der Wettbewerbsrechtsrahmen in Deutschland wie
in der Europäischen Union hat sich in den vergangenen
Jahrzehnten bewährt . Das bestehende Instrumentari-
um ist auch grundsätzlich geeignet, heute und morgen
Wettbewerbsverstößen zu begegnen . Dennoch ist es er-
forderlich, auf Besonderheiten der digitalen Märkte zu
reagieren. Die, wie ich finde, richtigen Antworten geben
wir heute mit der Verabschiedung der neunten GWB-No-
velle .

Die Novelle ist ein gutes Beispiel dafür, wie der Ge-
setzgeber durch die bewusste und vor allem auch behut-
same Gestaltung des ordnungspolitischen Rahmens den
mit der Digitalisierung verbundenen Strukturwandel
fördert, gestaltet und damit auch zur Grundlage gesell-
schaftlichen Wohlstands machen kann .

An welchen Stellen passen wir das Kartellrecht nun an
die Bedingungen der Digitalisierung an? Ich möchte drei
Punkte herausgreifen .

Erstens . Wir haben beobachtet, dass es in der Vergan-
genheit zur Übernahme von jungen Unternehmen durch
große Konzerne kam, ohne dass beispielsweise das Kar-
tellamt die Fälle einer Überprüfung hätte unterziehen
können . Meist geht es um innovative Geschäftsideen mit
einem hohen wettbewerblichen Marktpotenzial, die je-
doch bislang nicht zu nennenswerten Umsätzen geführt
haben . Die Beispiele Facebook und WhatsApp sind zwar
keine deutschen Beispiele, sind aber mehrfach erwähnt
worden . An diesen Beispielen wird deutlich, dass wir das
Problem am besten durch die Einführung eines neuen und
zusätzlichen Aufgreifkriteriums für die Fusionskontrolle
lösen. Wir schaffen neben den Umsatzschwellen durch
die Einführung des Transaktionswertes ein zusätzliches
Merkmal . Wenn der Transaktionswert 400 Millionen
Euro übersteigt, kann das Bundeskartellamt Zusammen-

schlüsse auch dann prüfen, wenn der Umsatz der Unter-
nehmen unterhalb der relevanten Schwelle liegt . Damit
stärken wir das Instrumentarium der Wettbewerbsbehör-
de dafür, Konzentrationstendenzen gegebenenfalls früh-
zeitig entgegenwirken zu können .

Wir haben dabei eine ausgewogene Regelung gefun-
den . Die Höhe wurde im parlamentarischen Verfahren
ausgiebig diskutiert . Zuerst wurde befürchtet, dass die
Gründerszene eventuelle Nachteile davontragen könnte .
Aber dies ist nach meiner Überzeugung nicht der Fall .
Wir haben den Transaktionswert mit 400 Millionen Euro
großzügig bemessen und gleichzeitig eine erhebliche
Inlandstätigkeit des zu erwerbenden Unternehmens in
Deutschland festgeschrieben . Beide Kriterien sind dazu
geeignet, jene Fälle zu erfassen, deren Zusammenschlüs-
se auch eine gewisse Relevanz für den Markt abbilden .
Dadurch wird gewährleistet, dass auch wirklich nur der
Kauf von großen Start-ups unter die Kontrolle fallen
wird . Das kommt auch der Start-up-Szene zugute, näm-
lich dadurch, dass diese für die Zukunft vor übermächti-
ger Konkurrenz geschützt wird .

Zweitens . Auch bei der Erbringung unentgeltlicher
Leistungen können Unternehmen eine starke Markt-
stellung erreichen . Beispiele sind Hotelbuchungs-, Da-
ting- oder Immobilienplattformen . In all diesen Fällen
können wir beobachten, dass sich auch unentgeltliche
Austauschbeziehungen, beispielsweise zwischen Nut-
zer und Plattform, zu einem kartellrechtlich relevanten
Markt entwickeln können . Und diese Märkte sollten der
Missbrauchs- und Fusionskontrolle der Kartellbehörde
grundsätzlich zugänglich sein . Genau das stellen wir nun
auch im GWB klar, indem wir festschreiben, dass der
Annahme eines Marktes nicht entgegensteht, dass eine
Leistung unentgeltlich erbracht wird . Durch diese Ergän-
zung ist klar: Auch im Falle einer unentgeltlichen Leis-
tungsbeziehung kann ein Markt vorliegen und damit das
Kartellrecht grundsätzlich Anwendung finden.

Drittens . Im Zuge der Digitalisierung entwickeln sich
zunehmend sogenannte mehrseitige Märkte, beispiels-
weise E-Commerce-Plattformen, Betriebssysteme, Kre-
ditkartensysteme oder auch App Stores . Sie alle eint die
Existenz einer Plattform, die zwischen verschiedenen
Nutzern vermittelt, im Falle der E-Commerce-Plattfor-
men etwa zwischen Händler und Konsumenten oder im
Falle von App Stores zwischen den Entwicklern und den
Endgerätenutzern . Auf diesen Märkten beobachten wir
das Phänomen der sogenannten Netzwerkeffekte. Diese
treten nicht nur, aber besonders häufig bei digitalen Platt-
formen zutage. Indirekte Netzwerkeffekte entstehen etwa
auf Auktionsplattformen . Diese sind für Verkäufer umso
attraktiver, je mehr Käufer die Plattform nutzen, und an-
dersherum . Jede Nutzergruppe wird also indirekt von der
Entscheidung aller anderen begünstigt, auf der Plattform
aktiv zu sein. Gerade diese Effekte sind dazu geeignet,
eine Monopolbildung zu befördern .

Um dieser Realität besser gerecht werden zu können,
fügen wir im GWB Kriterien zur Beurteilung von Markt-
macht neu hinzu, um die Besonderheit von mehrseitigen
Märkten besonders und besser erfassen zu können . Zu-
künftig wird das Bundeskartellamt bei seiner Bewertung
der Marktstellung eines Unternehmens genau diese Zu-

Hansjörg Durz






(A) (C)



(B) (D)


sammenhänge berücksichtigen und genau analysieren
können. Die hier beschriebenen Netzwerkeffekte können
also als Markteintrittsbarriere wirken und damit zu ei-
ner Gefährdung des Wettbewerbs führen . Die Betonung
liegt dabei auf „können“ . Eine endgültige Aussage wird
auch weiterhin von einer Reihe anderer Faktoren abhän-
gig sein . Um es deutlich zu sagen: Es wird deshalb auch
in Zukunft auf die Prüfung des Einzelfalls ankommen .
Damit sind keine Vorfestlegungen verbunden . Im Gegen-
teil: Während das Vorliegen von indirekten Netzwerkef-
fekten wirtschaftliche Konzentration fördern kann, kann
von anderen Eigenschaften digitaler Märkte eine entge-
gengesetzte Wirkung ausgehen . Wenn zum Beispiel ohne
größeren Aufwand mehrere Plattformen parallel genutzt
werden können, wird einer Monopolisierungstendenz
durch die Möglichkeit der Digitalisierung durch die Kon-
kurrenz genau entgegengewirkt .

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Digitali-
sierung und Vernetzung durch das Internet können ei-
nerseits die Wettbewerbsintensität auf Märkten deutlich
erhöhen – hier ist Eucken aktueller denn je –; anderer-
seits können zunehmende Größe und Marktbedeutung
einzelner digitaler Plattformen das Risiko des Markt-
missbrauchs in Bezug auf Wertschöpfungsketten för-
dern, und sie können aufgrund von Netzwerkeffekten
zu Monopolen tendieren . Walter Eucken kam vor dem
Hintergrund der technologischen Entwicklung seiner
Zeit zu dem Schluss, dass technologischer Fortschritt den
Wettbewerb intensiviert . Die Möglichkeiten der Informa-
tions- und Kommunikationstechnologie, wie sie sich uns
heute zeigen, konnte er dabei nicht im Auge haben . Wir
dagegen können die richtigen Maßnahmen ergreifen, um
dem sich zeigenden Spannungsfeld besser, schneller und
effektiver gerecht zu werden. Aus diesem Grund stärken
wir mit der GWB-Novelle die Arbeit der Wettbewerbs-
behörden .

Gerade im digitalen Zeitalter benötigt fairer Wettbe-
werb auch ein zeitgemäßes Wettbewerbs- und Kartell-
recht zur effektiven Kontrolle und damit zur effektiven
Sicherstellung von Wettbewerb . Die Grundlage dazu
schaffen wir heute. Wir werden uns aber in Zukunft wie-
der mit der Thematik beschäftigen müssen und das Wett-
bewerbsrecht an die Entwicklungen der digitalen Märkte
anpassen .

Ich darf mich ganz herzlich für Ihre Aufmerksamkeit
bedanken .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822110400

Vielen Dank . – Nächster Redner ist der Kollege Martin

Dörmann, SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Martin Dörmann (SPD):
Rede ID: ID1822110500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es ist schon angekündigt worden, dass ich einige Anmer-
kungen zu den medienrelevanten Bestimmungen dieser
Novelle zum Wettbewerbsrecht machen möchte .

Ich will noch einmal herausstellen: Für die SPD-Frak-
tion ist die Sicherung von Medienfreiheit und Medien-
vielfalt ein ganz zentrales gesellschaftspolitisches Anlie-
gen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Leider müssen wir uns in der heutigen Zeit mit Entwick-
lungen auseinandersetzen, die beides gefährden, nämlich
mit Fake News, antidemokratischem Populismus, auto-
ritären Regimen, die Regierungspropaganda verbreiten,
und sogar mit der Verfolgung und Inhaftierung von Jour-
nalistinnen und Journalisten, etwa in der Türkei, aber
auch in anderen Ländern dieser Welt . All diese Phäno-
mene belegen eindrücklich, wie wichtig eine vielfältige
Presselandschaft ist, wie wichtig gute Recherche und wie
wichtig qualitativ hochwertiger Journalismus für unsere
Freiheit und für unsere Demokratie sind . Deshalb müs-
sen wir das alles stärken .


(Beifall bei der SPD)


Gleichzeitig erleben wir eine tiefgreifende Verände-
rung der Medienlandschaft . Die fortschreitende Digitali-
sierung und das Internet haben gravierende ökonomische
und strukturelle Folgen . Die Umsätze von Zeitungen und
Zeitschriften gehen seit vielen Jahren deutlich zurück .
Ich nenne einmal eine Zahl: Im Jahre 2000 erzielten Ta-
geszeitungsverlage in Deutschland noch Gesamterlöse
in Höhe von 10,8 Milliarden, 2015 waren es nur noch
7,6 Milliarden Euro, ein Rückgang von etwa einem Drit-
tel . Die Gründe liegen auf der Hand: Viele Menschen
nutzen verstärkt kostenlose Angebote im Netz, sodass
es weniger Abonnenten gibt . Vor allem aber sind die
Werbeeinnahmen von Printmedien eingebrochen, weil
es eine sehr starke Verlagerung ins Internet gegeben hat .
Deshalb sind die Einnahmen der Printverlage, was die
Tageszeitungen angeht, in den letzten 15 Jahren um über
50 Prozent zurückgegangen . Man kann also konstatieren,
dass hier ein gravierender Wandel stattfindet.

Jetzt sagen viele: Okay, die machen jetzt aber auch An-
gebote im Internet . – Ich will noch einmal herausstellen:
Es gibt keinen einzigen Zeitungsverlag, der im Moment
mit seinen zusätzlichen Angeboten im Internet schwarze
Zahlen schreibt . Im Gegenteil: Zunächst muss ja inves-
tiert werden; die Einnahmen, die dort erzielt werden kön-
nen, wachsen erst . Erst jetzt gibt es auch Bezahlangebote .
Das wird sukzessive angenommen . Aber am Ende ist es
immer noch so, dass bei den großen Zeitungsverlagen der
Printbereich den Onlinebereich quersubventioniert . Des-
halb ist der Kostendruck weiterhin groß . Wozu führt das?
Möglicherweise gibt es weniger Recherche . Redaktionen
werden zusammengelegt . Vielleicht verschwinden sogar
einzelne Titel . – Das ist die Entwicklung, die wir stoppen
müssen;


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


denn das ist genau das Gegenteil dessen, was wir für eine
vielfältige Medienlandschaft brauchen .

Die Koalition hat sich bereits im Koalitionsvertrag
vorgenommen, eine bessere Zusammenarbeit der Pres-
severlage zu ermöglichen . Es geht ausdrücklich nicht
um Fusionen; das sage ich an die Kollegen Lutze und
Janecek gerichtet, die indirekt einen anderen Eindruck

Hansjörg Durz






(A) (C)



(B) (D)


vermitteln wollten . Es geht vielmehr darum, die ökono-
mische Lage für die Presseverlage zu verbessern, und
zwar indem Kosten gesenkt und mehr Erlöse erzielt wer-
den. Die Kostensenkungen betreffen dabei gerade nicht
die Redaktionen, weil wir nicht bei der redaktionellen
Ebene ansetzen .

Worum geht es konkret? Es geht darum, dass wir eine
Bereichsausnahme für Presseverlage machen, damit sie
in zwei Bereichen zusammenarbeiten können: im Ver-
trieb, beispielsweise im Abovertrieb, damit sie Portfolios
entwickeln können, die besser angenommen werden, und
in der Anzeigenvermarktung . Ich habe ja gerade darge-
stellt, wie drastisch die Einnahmen dort gesunken sind .
Wir wollen es ermöglichen, dass sich Zeitungsverlage
mit gemeinsamen Anzeigenangeboten gegenüber den
übermächtigen Mediaagenturen profilieren können, die
heute den Großteil der Umsätze großer Unternehmen im
Bereich Werbung bündeln und sie auf die einzelnen Be-
reiche – Fernsehen, Internet, Zeitungen – verteilen . Es
ist ja ganz klar, dass ein einzelner Zeitungstitel da keine
Verhandlungsmacht hat . Deshalb müssen Verlage stärker
kooperieren können, um gemeinsame Angebote durchzu-
setzen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822110600

Sie müssen jetzt zum Schluss kommen, Herr Dörmann .


Martin Dörmann (SPD):
Rede ID: ID1822110700

Ich komme zum Schluss . – Ich appelliere an die Op-

position, weil ich glaube, dass wir beim Thema Presse-
freiheit eine große Einigkeit haben sollten: Helfen Sie
mit, gemeinsam diese wichtige Reform auf den Weg zu
bringen! Lassen Sie uns dafür sorgen, dass mehr Ein-
nahmen für gute Recherche, für starke Redaktionen zur
Verfügung stehen! Damit stärken wir die Presse und den
unabhängigen Journalismus, und das ist genau das, was
wir in der heutigen Zeit brauchen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822110800

Vielen Dank . – Als letzter Redner zu diesem Tages-

ordnungspunkt hat jetzt der Kollege Axel Knoerig für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Axel Knoerig (CDU):
Rede ID: ID1822110900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das
Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen wird aktuel-
len Marktentwicklungen angepasst. Das betrifft insbe-
sondere – das ist heute schon häufig betont worden – die
digitale Wirtschaft . Hier müssen wir den gesetzlichen
Rahmen laufend an den technischen Fortschritt anpassen .

Immer wieder erleben wir, dass große IT-Unterneh-
men und Internetriesen im Verdacht eines Monopolver-

haltens stehen . Sie erinnern sich: Microsoft musste 2012
die Rekordstrafe von 860 Millionen Euro zahlen . Die EU
hat hier einen klaren Fall von Marktmissbrauch erkannt
und richtig gehandelt . Die EU hat auch schon mehrfach
Google überprüft, und das Bundeskartellamt hat Face-
book nach der Fusion mit WhatsApp im Visier .

Wir brauchen dringend das sogenannte Kartell-
recht 4 .0; denn im Vergleich zur klassischen Wirtschaft
ist die Marktmacht digitaler Unternehmen schwieriger zu
bewerten . Ihr Wert liegt vor allem in Nutzerzahlen und
Daten . Umsatz und Gewinn spielen eine untergeordne-
te Rolle . Das zeigt das Beispiel Snapchat . Die Foto-App
hat im letzten Jahr über 500 Millionen Dollar Verlust
gemacht . Dennoch hat sie gerade den zweitgrößten
Börsengang der Geschichte hingelegt . Dank 160 Mil-
lionen Nutzern wurde der Marktwert auf 25 Milliarden
Dollar beziffert. Wie Sie wissen, ist die Aktie vor we-
nigen Tagen abgestürzt; jetzt liegt ihr Wert sogar unter
dem Ausgabepreis . Das erinnert ein Stück weit an die
New-Economy-Blase, die wir im Jahre 2001 hatten: völ-
lig überbewertete Gewinnerwartungen und unberechen-
bare Kursstürze .

Meine Damen und Herren, wir führen nun neue Prüf-
kriterien zur Bewertung digitaler Marktmacht ein . So
wird bei Fusionen künftig auch der Transaktionswert be-
rücksichtigt . Das heißt: Auch beim Kauf von Firmen mit
geringem Umsatz oder Gewinn prüft das Kartellamt die
Übernahme, und zwar – das hat der Kollege Hansjörg
Durz schon auf den Punkt gebracht – ab einer Summe
von 400 Millionen Euro . Damit sorgen wir für fairere
Wettbewerbsbedingungen in der digitalen Wirtschaft .

Ich möchte jetzt einen Sprung in ein anderes Wirt-
schaftssegment machen, in die Milchwirtschaft, weil die-
se Novelle auch Änderungen hinsichtlich Anzapfverbot
und Verkauf unter Einstandspreis beinhaltet . Wir gehen
damit gegen unfaire Handelspraktiken und Preisdumping
vor; denn der Lebensmittelhandel nutzt seine Markt-
macht aus, um den Milchbauern Rabatte und ungünstige
Konditionen aufzuzwingen .

Lieber Herr Kollege Held, Sie freuen sich darüber,
dass im Zusammenhang mit der Ministererlaubnis über
16 000 Arbeitnehmer geschützt wurden . Das ist sicher-
lich richtig . Ich war selber Arbeitnehmer und teile Ihre
Freude; ich weiß, dass das nicht gering zu schätzen ist .
Ich betone aber, dass wir auch 10 000 Milchviehbetriebe
haben, die wirtschaftlich am Ende sind und Insolvenz an-
gemeldet haben, und damit Tausende von Arbeitskräften
ihren Job verlieren .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das muss man herausstellen; denn die Medaille hat zwei
Seiten, und man kann nicht nur die eine Seite betrachten .

Der Rohmilchpreis hat sich mittlerweile erholt . Dazu
haben auch unsere zahlreichen Maßnahmen beigetragen,
zum Beispiel die beiden Agrarpakete . Aber die Landwir-
te brauchen langfristige Perspektiven . Nur so können sie
mit Investitionen die Zukunft ihrer Betriebe sichern und
neu ausrichten . Ich sage: Der Milchmarkt muss neu auf-
gestellt werden . Wir brauchen bessere Instrumente zur
Marktbeobachtung und sehr wohl auch zur Milchmen-

Martin Dörmann






(A) (C)



(B) (D)


gensteuerung . Nur so können die zunehmenden Schwan-
kungen abgefedert werden .

Das Bundeskartellamt hat die Lieferbedingungen
für Rohmilch in Norddeutschland überprüft . Präsident
Mundt hat in einer öffentlichen Anhörung des Deutschen
Bundestages im Januar eine Auswertung angekündigt . Er
hat wörtlich formuliert:

Dieses Papier werden wir veröffentlichen und dann
in einen sehr intensiven Dialog mit allen treten, die
in der Branche beteiligt sind .

Wir vonseiten der Politik müssen uns mit dem Kar-
tellamt, den Marktakteuren und den Verbänden an einem
Tisch zusammensetzen . Ich möchte nicht erleben, dass
wir nach der Markterholung wieder vor denselben Pro-
blemen stehen . Deshalb brauchen wir einen ganzheit-
lichen Ansatz . Dabei sind folgende Fragen zu klären:
Kann die 100-prozentige Andienungspflicht der Land-
wirte an die Molkereien wegfallen? Was wird aus den
Vertragslaufzeiten und Kündigungsfristen? Wie können
wir das Referenzpreissystem ändern?

Meine Damen und Herren, wir haben also noch viel
vor uns, es ist noch viel zu tun . Mit diesem Gesetz sind
wir für die Milchlandwirte einen Schritt nach vorne ge-
gangen . Wir haben das Anzapfverbot entsprechend ver-
schärft und den Verkauf unter Einstandspreis geregelt,
sodass wir über das Kartellrecht einige positive Signale
nach außen verkünden können .

Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822111000

Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet . Wir

kommen zu den Abstimmungen .

Tagesordnungspunkt 5 a . Wir kommen zur Abstim-
mung über den von der Bundesregierung eingebrachten
Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbe-
werbsbeschränkungen . Der Ausschuss für Wirtschaft und
Energie empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/11446, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/10207
und 18/10650 in der Ausschussfassung anzunehmen .

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/11455 vor, über
den wir zuerst abstimmen . Wer stimmt für diesen Än-
derungsantrag? – Das sind die Grünen . Wer stimmt da-
gegen? – CDU/CSU- und SPD-Fraktion . Wer enthält
sich? – Die Fraktion Die Linke . Damit ist der Änderungs-
antrag abgelehnt .

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Da-
mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den
Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von
Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis ange-
nommen .

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/11456 . Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bünd-
nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke
abgelehnt .

Tagesordnungspunkt 5 b . Wir setzen die Abstimmung
zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirt-
schaft und Energie auf Drucksache 18/11446 fort . Der
Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschluss-
empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/10240 mit dem Titel „Par-
laments- statt Ministererlaubnis im Kartellrecht“ . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die
Koalitionsfraktionen . Wer stimmt dagegen? – Das ist die
Fraktion Die Linke . Wer enthält sich? – Bündnis 90/Die
Grünen . Damit ist die Beschlussempfehlung angenom-
men .

Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/4817 mit dem Titel „Bußgeldum-
gehung bei Kartellstrafen verhindern – Gesetzeslücke
schließen“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition ange-
nommen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 56 a bis 56 k sowie
Zusatzpunkt 5 auf:

56 . a) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines … Ge-
setzes zur Änderung des Gesetzes über
die internationale Rechtshilfe in Strafsa-
chen

Drucksache 18/11140
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

b) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Siebten
Gesetzes zur Änderung des Bundesfern-
straßengesetzes

Drucksache 18/11236
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der
GO

c) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zu dem Protokoll vom 29. Juni 2016

Axel Knoerig






(A) (C)



(B) (D)


über die Vorrechte und Immunitäten des
Einheitlichen Patentgerichts
Drucksache 18/11238 (neu)

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Neuordnung des Rechts zum Schutz vor
der schädlichen Wirkung ionisierender
Strahlung
Drucksache 18/11241
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss

e) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Erstellung gesamtwirtschaftlicher
Vorausschätzungen der Bundesregierung

(Vorausschätzungsgesetz – EgVG)

Drucksache 18/11257
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Haushaltsausschuss

f) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Durchführung der Verordnung

(EU) 2016/424 des Europäischen Parla-

ments und des Rates vom 9. März 2016
über Seilbahnen und zur Aufhebung der

(Seilbahndurchführungsgesetz – SeilbDG)

Drucksache 18/11258
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

g) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Fünfzehnten
Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes
Drucksache 18/11276
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Haushaltsausschuss

h) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zum Verbot des Betriebs lauter

(Schienenlärmschutzgesetz – SchlärmschG)

Drucksache 18/11287
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit

i) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Neuordnung der Eisenbahnunfal-
luntersuchung

Drucksache 18/11288
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

j) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes über das Verfahren für die elektro-
nische Abgabe von Meldungen für Schiffe 
im Seeverkehr über das Zentrale Melde-
portal des Bundes und zur Änderung des
IGV-Durchführungsgesetzes

Drucksache 18/11292
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Ausschuss Digitale Agenda

k) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Neustrukturierung des Bundes-
kriminalamtgesetzes

Drucksache 18/11326
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO

ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

zu den Entwürfen für eine Durchführungs-
verordnung und zwei Durchführungsbe-
schlüsse der Europäischen Kommission über
das Inverkehrbringen von Saatgut zum An-
bau der gentechnisch veränderten Maislinien

(Dokumente SANTE/10702/2016 CIS Rev. 3, SANTE/10704/2016 CIS Rev. 3, SANTE/10703/2016 CIS Rev. 3)


hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes-
regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des
Grundgesetzes

Keine Zulassung der gentechnisch veränder-
ten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 für
den Anbau in der EU

Drucksache 18/11415

Es handelt sich hierbei um Überweisungen im ver-
einfachten Verfahren ohne Debatte.

Wir kommen zunächst zu den unstrittigen Überwei-
sungen, Tagesordnungspunkte 56 a bis 56 k . Interfrak-
tionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überwei-
sen . – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden; sonst wäre

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


es auch nicht unstrittig . Damit sind die Überweisungen
so beschlossen .

Wir kommen nun zu einer strittigen Überweisung, Zu-
satzpunkt 5: Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/11415 mit dem Titel „Keine Zulas-
sung der gentechnisch veränderten Maislinien MON 810,
1507 und Bt11 für den Anbau in der EU“ . Die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen beantragt die Abstimmung über
ihren Antrag in der Sache, die Fraktionen der CDU/CSU
und der SPD wünschen Überweisung .

Mir ist mitgeteilt worden, dass hierzu das Wort zur
Geschäftsordnung gewünscht wird . Ich erteile der Kol-
legin Lemke das Wort .


Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822111100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich beantrage namens meiner Fraktion jetzt
bereits zum vierten Mal eine Abstimmung über die An-
träge zur Zulassung von drei Genmaissorten, über die in
Brüssel derzeit diskutiert wird . Die Anträge der Firmen
Monsanto, Dow und Syngenta liegen dort seit letztem
Herbst vor . Wir wollen die Zulassung dieser Genmais-
sorten auf europäischer Ebene nicht und haben dazu
entsprechende Anträge ins Parlament eingebracht . Die
Koalition aus CDU/CSU und SPD hat in der Vergangen-
heit die Abstimmung über unsere Anträge bereits dreimal
blockiert und verhindert seitdem auch die Befassung mit
unseren Anträgen in den zuständigen Ausschüssen, in-
zwischen ohne Angabe von Gründen .

Seit unserem ersten Antrag hat sich die Situation inso-
weit verändert, als dass es in Brüssel eine Entscheidung
gegeben hat, zwar gegen die Zulassung dieser Genmais-
sorten, aber ohne qualifizierte Mehrheit, und zwar unter
anderem deshalb, weil sich Deutschland in Brüssel ent-
halten hat . Die deutsche Bundesregierung ist nicht hand-
lungsfähig:


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Doch! Sie ist handlungsfähig! – Gegenruf des Abg . Dr . Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr müsst euch mal entscheiden!)


Agrarminister Schmidt ist für die Zulassung dieser Gen-
maissorten, und Bundesministerin Hendricks ist gegen
die Zulassung dieser Genmaissorten .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Offensichtlich gibt es in dieser Koalition niemanden, der
in der Lage ist, in einer solchen Situation eine Entschei-
dung herbeizuführen, um Deutschland in Brüssel hand-
lungsfähig zu machen . Deutschland hat sich in dieser
Abstimmung enthalten, was, wie gesagt, zur Folge hatte,
dass seitens der zuständigen Gremien keine Entschei-
dung getroffen wurde.

Nun steht die Entscheidung im Berufungsausschuss
am 27 . März in Brüssel an; so ist es zumindest angekün-
digt . Wenn sich das unrühmliche Abstimmungsverhältnis
der deutschen Bundesregierung im Berufungsausschuss
wiederholen sollte – das muss man aufgrund der Vorge-

schichte leider annehmen –, dann wird man auch im Be-
rufungsausschuss zu keinem Ergebnis kommen .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das hat mit der Geschäftsordnung nichts zu tun!)


Die Folge dessen ist, dass die EU-Kommission direkt
entscheidet .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Geschäftsordnung!)


– Das ist zur Geschäftsordnung, Herr Kollege . Aber hal-
lo! Wenn ich zum Inhalt gesprochen hätte, hätte ich Ihnen
ganz andere Sachen vorgehalten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU: Hey, hey!)


Das heißt, dass die Entscheidung nicht von den Mit-
gliedstaaten und nicht von den nationalen Parlamenten
herbeigeführt wird . Das Europäische Parlament hat sich
übrigens gegen die Zulassung dieser Sorten ausgespro-
chen . Dort war eine klare Positionierung möglich, die
Sie selbst unserer Fraktion hier im Deutschen Bundestag
verweigern .

Die Kommission wird also wegen der Handlungsunfä-
higkeit der Mitgliedstaaten und weil sich die Parlamente
wegen Ihrer Blockadehaltung, zumindest in Deutschland,
nicht positioniert haben, die Entscheidung übernehmen,
und das in einer solchen Frage . Sie haben in der Debatte
hier den Verbraucherschutz, die Verbraucherrechte be-
schworen, die sehr vielen Bürgerinnen und Bürgern Eu-
ropas extrem wichtig sind .


(Dr . Matthias Heider [CDU/CSU]: Das hat mit der Geschäftsordnung nichts zu tun!)


Zwei Drittel der Menschen in Europa wollen keinen
Genmais auf den Äckern und in der Konsequenz auf ih-
ren Tellern .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz genau! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Das hat mit der Geschäftsordnung auch nichts zu tun!)


Ich fordere Sie jetzt erneut auf: Hören Sie auf, unse-
ren Antrag zu blockieren! Hören Sie auf, Oppositions-
rechte zu beschneiden! Wir beantragen hier die Abstim-
mung über unseren Antrag . Was Sie mit Ihren Anträgen
machen, ist Ihre Angelegenheit bzw . eine Parlament-
sentscheidung; aber hören Sie auf, zu verhindern, dass
über unseren Antrag hier abgestimmt werden kann, aus-
schließlich weil innerhalb der Bundesregierung keine Ei-
nigung herbeigeführt werden kann .

An die Kolleginnen von der SPD möchte ich noch
einmal appellieren: Lassen Sie eine Entscheidung, eine
Abstimmung hier im Parlament über unseren Antrag zu!
Ich verstehe ja Ihr Dilemma . Ich verstehe, dass Sie, wenn
sich Ihre Ministerin in der Regierung nicht durchsetzen
kann, ein Erklärungsproblem haben; aber das haben Sie
sowieso . Sie müssen den Menschen eh erklären, warum
die Bundesregierung nicht agiert hat, warum sie nicht ge-
handelt hat, obwohl die Mitglieder der Regierung, glaube
ich, mehrheitlich gegen die Zulassung dieser Genmais-

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


sorten sind . Zerstören Sie nicht auch noch das Vertrauen
in die Beratungsabläufe in unserem Parlament und in un-
seren Ausschüssen, wo die Opposition das Recht hat, ihre
Anträge zur Abstimmung zu stellen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822111200

Vielen Dank . – Frau Drobinski-Weiß, bitte schön .


Elvira Drobinski-Weiß (SPD):
Rede ID: ID1822111300

Danke, Frau Präsidentin . – Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Ja, wir haben diesen Antrag heute
zum vierten Mal auf der Tagesordnung im Plenum . Frau
Lemke, Sie haben völlig recht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich erspare mir alle Murmeltieranspielungen, da wir hier
schon drei Debatten zu diesem Thema hatten . Aber ich
sage Ihnen: Wir werden auch diesmal einer Abstimmung,
wie Sie sie wünschen, widersprechen .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht „diesmal“, sondern schon wieder!)


Ich erkläre das gerne noch einmal, damit Sie es verste-
hen, damit auch du, lieber Kollege Harald Ebner, das
verstehst .


(Lachen des Abg . Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir sind nun einmal in einer Koalition mit der CDU
und der CSU . Unser Koalitionspartner ist leider – ich
sage es bewusst: leider – nicht so eindeutig gegen die Zu-
lassung der genannten Genmaissorten in Brüssel, wie wir
es sind bzw . das von der SPD-geführte Umweltministeri-
um; Frau Lemke hat das ja schon ausführlich dargestellt .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber flotte Bauernregeln an die Wand kleben!)


Immerhin hat es bisher verhindert, dass es eine Zulas-
sung auf der EU-Ebene gibt,


(Beifall der Abg . Dr . Nina Scheer [SPD])


und zwar durch eine Enthaltung . Sie wissen, dass die Ge-
meinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien das
so vorsieht .

Ich sage es jetzt noch einmal ganz deutlich, auch dir,
lieber Harald: Wir wollen uns hier nicht ständig von euch
vorführen lassen .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr führt euch selber vor!)


Ihr kennt unsere Haltung . So etwas lehnen wir einfach
ab. Trotz aller Differenzen, die wir mit unserem Koali-
tionspartner haben, gehört es sich, bei solchen Anträgen

Einigkeit zu erzielen . Das wissen auch die Grünen, die ja
auch schon Regierungserfahrung gesammelt haben .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Die Grünen haben doch mal gewürfelt, wer zustimmen darf und wer nicht!)


Wir werden Ihren Antrag also wieder an den Ausschuss
überweisen .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum kleben Sie dann so flotte Bauernregeln?)


Ich finde es auch nicht gut, dass der zuständige Land-
wirtschaftsminister Schmidt, der ja gentechnikfreie
Äcker in ganz Deutschland nicht haben will, sein Minis-
terium bei einer Abstimmung in Brüssel nicht für eine
Ablehnung stimmen lässt .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hier könnten wir das jetzt entscheiden!)


– Nein, das können wir nicht .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, könnten wir!)


Ich finde diese Haltung, um das auch einmal zu sa-
gen, nicht in Ordnung . Unser Bundesumweltministerium
positioniert sich dazu Gott sei Dank anders . Aber es ge-
hört sich einfach, dass wir vor einer Abstimmung in der
Koalition, auch wenn es noch so schwerfällt, Einigkeit
erzielen . Deshalb wollen und werden wir heute hier nicht
abstimmen, sondern beantragen die Überweisung in den
Ausschuss .

Haben Sie herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zum vierten Mal!)


– Ja, zum vierten Mal .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822111400

Vielen Dank . – Dann stimmen wir nach ständiger

Übung zunächst über den Antrag auf Ausschussüber-
weisung ab . Die Fraktionen der CDU/CSU und der
SPD wünschen Überweisung der Vorlage auf Druck-
sache 18/11415 zur federführenden Beratung an den
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft und zur
Mitberatung an den Ausschuss für die Angelegenheiten
der Europäischen Union . Wer stimmt für diese Überwei-
sung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit
ist die Überweisung mit den Stimmen der Koalitionsfrak-
tionen gegen die Stimmen der Opposition beschlossen,
und wir stimmen heute über den Antrag auf Drucksa-
che 18/11415 nicht in der Sache ab .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 57 a bis 57 f auf .
Hierbei handelt es sich um die Beschlussfassung zu Vor-
lagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist .

Tagesordnungspunkt 57 a:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent-

Steffi Lemke






(A) (C)



(B) (D)


wurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
19. Februar 2016 zwischen der Bundesrepu-
blik Deutschland und der Republik Finnland
zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und
zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf
dem Gebiet der Steuern vom Einkommen
Drucksache 18/11138
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses (7 . Ausschuss)

Drucksache 18/11421

Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/11421, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11138 an-
zunehmen . Wir kommen zur

zweiten Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist bei Enthaltung der Fraktion Die Linke ange-
nommen .

Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe-
titionsausschusses, Tagesordnungspunkte 57 b bis 57 f .

Tagesordnungspunkt 57 b:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)

Sammelübersicht 411 zu Petitionen
Drucksache 18/11191

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Sammelübersicht 411 ist einstimmig ange-
nommen .

Tagesordnungspunkt 57 c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)

Sammelübersicht 412 zu Petitionen
Drucksache 18/11192

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Sammelübersicht 412 ist einstimmig ange-
nommen .

Tagesordnungspunkt 57 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)

Sammelübersicht 413 zu Petitionen
Drucksache 18/11193

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 413 ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen angenommen .

Tagesordnungspunkt 57 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 414 zu Petitionen

Drucksache 18/11194

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 414 ist einstimmig ange-
nommen .

Tagesordnungspunkt 57 f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 415 zu Petitionen

Drucksache 18/11195

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 415 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppo-
sition angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:

Wahlvorschläge der Fraktionen CDU/CSU, SPD,
DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Wahl der Mitglieder des Kuratoriums der
Stiftung „Fonds zur Finanzierung der kern-
technischen Entsorgung“ gemäß § 4 des Ent-
sorgungsfondsgesetzes

Drucksache 18/11406

Wer stimmt für den Wahlvorschlag der Fraktionen
CDU/CSU, SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/11406? – Wer stimmt dagegen? – Der
Wahlvorschlag ist mit den Stimmen des gesamten Hau-
ses angenommen .

Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes  zur  effek-
tiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung 
des Strafverfahrens

Drucksache 18/11277
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Parlamen-
tarischen Staatssekretär Christian Lange für die Bundes-
regierung das Wort . – Bitte schön .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Dr . Patrick Sensburg [CDU/CSU])


C
Christian Lange (SPD):
Rede ID: ID1822111500


Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Unsere Strafjustiz arbeitet in ho-
hem Maße effektiv. Die Staatsanwaltschaften haben im
Jahr 2014 allein mehr als 4,5 Millionen Verfahren bear-
beitet . In diesem Zeitraum haben die Strafgerichte weit
über 700 000 Gerichtsverfahren erledigt . Dabei wird eine

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


Vielzahl der Verfahren innerhalb kurzer Zeit, nämlich im
amtsgerichtlichen Verfahren innerhalb von drei Monaten,
abgeschlossen .

Aber es gibt zunehmend Strafverfahren, die die Jus-
tiz vor große Herausforderungen stellen . Deshalb hat
der Bundesjustizminister zu Beginn der Legislaturperi-
ode eine Expertenkommission gebeten, Vorschläge zur
weiteren Effektivierung und Steigerung der Praxistaug-
lichkeit der Strafjustiz zu erarbeiten . Der Gesetzentwurf,
über den wir heute in erster Lesung beraten, greift die
Empfehlungen dieser Kommission auf . Er betont dabei,
dass sich eine Effektivierung des Strafverfahrens nicht
allein auf Beschleunigungs- und Vereinfachungsaspekte
beschränken darf. Effektivierung des Strafverfahrens be-
deutet auch und vor allem, die bestmögliche Feststellung
des wahren Sachverhalts als zentrale Grundlage schuld-
angemessenen Strafens durch zeitgemäße strafprozes-
suale Regeln zu fördern . Genau das wollen wir tun .

Im Mittelpunkt unseres Gesetzentwurfes steht deshalb
die Regelung zur audiovisuellen Dokumentation von Be-
schuldigtenvernehmungen . Die Expertenkommission hat
hierzu in ihrem Abschlussbericht völlig zu Recht festge-
stellt, dass die gesetzlichen Vorgaben zur Protokollierung
dieser Vernehmungen nicht dem Stand und den Möglich-
keiten des 21 . Jahrhunderts entsprechen .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt wird es auch nicht besser!)


Die Praxis hält trotz bereits vor Jahren geschaffener Mög-
lichkeiten der Bild-Ton-Aufzeichnung weitgehend an den
überkommenen Protokollierungen in Form schriftlicher
Inhaltsprotokolle fest . Sie schöpft damit die Möglichkei-
ten nicht aus, durch eine präzise, wortgenaue Aufzeich-
nung der Vernehmungsinhalte die Wahrheitsfindung als
zentrale Aufgabe der Strafverfahren entscheidend zu ver-
bessern . Deshalb wollen wir die Bild-Ton-Aufzeichnung
jetzt jedenfalls bei Kapitaldelikten und bei besonders
schutzbedürftigen Beschuldigten verpflichtend anordnen
und Ausnahmen hiervon nur noch in ganz engen Grenzen
zulassen .


(Beifall bei der SPD – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur bei Tötungsdelikten! Das ist lachhaft!)


Die audiovisuelle Dokumentation des Vernehmungs-
geschehens ist der Mitschrift durch die vernehmenden
Beamten weit überlegen . Das gilt gerade bei schweren
Tatvorwürfen mit oft langwierigen Beschuldigtenver-
nehmungen . Die Aufzeichnung der Vernehmung ist in
diesen Fällen auch deshalb besonders effektiv, weil sie
das Vernehmungsgeschehen objektiv und für jeden Ver-
fahrensbeteiligten später auch nachvollziehbar abbildet .
Zweifel am Vernehmungsergebnis oder an der Art, wie
ein Geständnis zustande gekommen ist, kommen deshalb
erst gar nicht auf .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Häufig wirkt sich dies auch im weiteren Verfahren, etwa
durch den Verzicht auf die Vernehmung der Verneh-
mungsbeamten, positiv aus .

Eine effektive Verfahrensgestaltung erfordert immer
auch ein transparentes und kommunikatives Verhandeln .
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner grundlegen-
den Entscheidung zur Verständigung ganz ausdrücklich
betont, dass eine offene, kommunikative Verhandlungs-
führung der gesamten Verfahrensführung dienlich ist
und daher eine selbstverständliche Anforderung an die
sachgerechte Prozessleitung darstellt . Unser Gesetzes-
vorhaben sieht deshalb vor, die Grundsätze von Kommu-
nikation und Transparenz auch im Gesetz weiter zu ver-
ankern und die hierzu bereits bestehenden Regelungen
zu ergänzen .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)


Die Pflicht des Gerichts, den äußeren Ablauf der Haupt-
verhandlung in umfangreichen Verfahren vorab mit den
Beteiligten abzustimmen, gehört dabei zu den eigentlich
selbstverständlichen Anforderungen an eine kommuni-
kative Verhandlungsführung .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das geschieht ja heute schon! Alte Kamellen! 70er-Jahre!)


Dies gilt gleichermaßen für die Pflicht des Gerichts, dem
Verteidiger zu Beginn der Hauptverhandlung das Wort zu
geben .

Natürlich enthält der Gesetzentwurf darüber hinaus
auch zahlreiche Regelungen, die auf eine Beschleuni-
gung der Verfahrensabläufe abzielen,


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zum Beispiel?)


ohne dabei in die Verfahrensgrundrechte der Beteiligten
einzugreifen . Beispielhaft für die vielen Gesetzesände-
rungen, die der Entwurf hierzu enthält, nenne ich hier
nur die neue Vorschrift zur Fristsetzung für Beweisanträ-
ge, die erst zum Schluss der Hauptverhandlung gestellt
werden . Ein Beweisantrag, der erst nach Ablauf der vom
Gericht hierfür gesetzten Frist gestellt wird, ist danach
nicht etwa unzulässig . Das wäre mit den Grundsätzen des
Strafverfahrens und den Beschuldigtenrechten nicht zu
vereinbaren . Das Gericht kann aber künftig solche Anträ-
ge, wenn es sie für unbegründet hält, im Urteil und nicht
durch immer neue Beschlüsse in der laufenden Hauptver-
handlung, die das Verfahren verzögern, ablehnen .

Meine Damen und Herren, der vorgelegte Gesetz-
entwurf wird damit dem Ziel, das Strafverfahren pra-
xistauglicher und zugleich effektiver auch im Sinne der
Verbesserung von Kommunikation, Transparenz und
Dokumentation auszugestalten, mit all seinen Inhalten
gerecht . Ich bitte Sie deshalb um wohlwollende Beratung
und schließlich um Zustimmung .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Parl. Staatssekretär Christian Lange






(A) (C)



(B) (D)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822111600

Vielen Dank, Herr Staatssekretär . – Als nächster Red-

ner kommt Jörn Wunderlich von der Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Jörn Wunderlich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822111700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

„Wohlwollende Beratung“, Herr Staatssekretär? Als ich
den Referentenentwurf und den Gesetzentwurf das erste
Mal auf den Tisch bekommen habe, habe ich mich zu-
nächst gefreut,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann nicht lange gewesen sein!)


steht doch dort in der Problembeschreibung – ich zitiere
jetzt einmal –:

Diese . . . anspruchsvolle Aufgabe wird für die Straf-
gerichte in der täglichen Praxis noch dadurch er-
schwert, dass sie sich einer dauerhaft hohen Arbeits-
belastung ausgesetzt sehen . . .

Und:

Der Staat ist . . . von Verfassungs wegen gehalten,
eine funktionstüchtige Strafrechtspflege zu ge-
währleisten, ohne die der Gerechtigkeit nicht zum
Durchbuch verholfen werden kann .

Starke Worte, habe ich gedacht . Und: Jau, endlich hat es
sich bis zur Regierung herumgesprochen, dass die Justiz
personell unterbesetzt ist . Ich bin ja selbst Richter und
weiß, wie die Arbeitsbelastung schon vor Jahren war .
Nach Auskunft meiner Kollegen ist die Situation auch
nicht besser, sondern schlechter geworden .

Jetzt geht es los, dachte ich. Aber dann fiel mir wieder
der Föderalismus ein . Ich weiß ja auch, dass die Justiz
Ländersache ist .


(Dr . Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Immerhin!)


„Hei, wer hat denn da gehudelt?“, habe ich gedacht . Und:
Wie will die Bundesregierung das denn regeln? Zwei
Sätze weiter wurde ich dann aufgeklärt . Denn man beab-
sichtigt – Zitat –,

… das bestehende Regelungsgefüge unter Wahrung
der genannten Ziele des Strafverfahrens an die sich
ändernden Rahmenbedingungen anzupassen .

Anders ausgedrückt: Man möchte versuchen, die Sache
mit dem vorhandenen – zu wenigen – Personal doch noch
einigermaßen zu regeln, damit, wie schon zitiert, der Ge-
rechtigkeit zum Durchbruch verholfen werden kann .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Im Vergleich zum Referentenentwurf, der sich stark
auf die Stärkung der Beschuldigtenrechte konzentrierte,
wurde der vorliegende Gesetzentwurf deutlich reduziert .
So ist beispielsweise die Möglichkeit des Beschuldigten,
einen Pflichtverteidiger zu beantragen, nicht mehr ent-
halten . Die erste Vernehmung des Beschuldigten kann
unabhängig vom Tatvorwurf in Bild und Ton aufgezeich-

net und später in der Hauptverhandlung vorgeführt wer-
den . Bislang ging dies nur bei richterlichen Protokollen .
Nun kennt man ja aus diversen Krimis – aus dem Tat-
ort und was weiß ich, wie sie alle heißen – polizeiliche
Vernehmungen . Wenn ich mir vorstelle, dass so etwas in
echt passiert und aufgezeichnet wird, muss ich sagen:
Ich möchte mir das nicht vorstellen . Kopfkino ist ganz
schrecklich .

Entfallen ist auch das ursprünglich vorgesehene Ver-
bot der Überwachung von Anbahnungsgesprächen zwi-
schen inhaftierten Mandanten und Verteidigern . Warum?

Auch war zuvor vorgesehen, bei umfangreichen Ver-
fahren die Termine mit der Verteidigung, der Staatsan-
waltschaft und den Nebenklagevertretern zu erörtern –
Sie haben es erwähnt, Herr Staatssekretär –, wobei mit
„umfangreich“ gemeint war: mehr als drei Termine . In-
zwischen ist dies nur noch ab mehr als zehn Terminen
erforderlich . Das Recht des Verteidigers, eine Erklärung
zur Anklage abzugeben, wurde ebenfalls auf entspre-
chend lange Verfahren reduziert . Gut, ob drei oder zehn
Tage, darüber kann man streiten .

Ziel dieser Regelung soll ja unter anderem sein, spä-
tere Streitigkeiten in der Hauptverhandlung zu vermei-
den oder ihnen vorzubeugen . Späteren Streitigkeiten in
der Hauptverhandlung vorbeugen? Hallo? Streitigkei-
ten in der Hauptverhandlung sind ja etwas ganz Neues .
Ich selbst war über zwölf Jahre Strafrichter . Ich dachte,
Staatsanwalt und Verteidiger sind immer einer Meinung,
haben sich lieb, und am Ende muss man gar kein Urteil
sprechen, sondern einen Vergleich herbeiführen .


(Dr . Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Darüber sollten Sie noch mal nachdenken!)


– Für diejenigen, die es nicht verstanden haben: Das war
Sarkasmus .


(Dr . Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Aha!)


– Ich habe mir zwar gedacht, dass einige das nicht ver-
stehen, aber eigentlich dachte ich, bei der SPD; aber gut .

Leider macht der Regierungsentwurf die guten Vor-
schläge, die im Referentenentwurf enthalten waren,
rückgängig . Dagegen bleiben kritikwürdige Regelungen
weiter enthalten . Typisch! Dass DNA-Ergebnisse künf-
tig auch gegen Verwandte verwendet werden können,
scheint jedenfalls problematisch . Ich sehe auch die Er-
folgsaussichten von DNA-Reihenuntersuchungen stark
infrage gestellt . Bislang gab es immer den Druck: Wenn
ich mich weigere, dann gerate ich selber in Verdacht .
Aber jetzt kann man sagen: Wenn ich mitmache, kann
die ganze Verwandtschaft in Verdacht geraten . Ob Erfolg
dann tatsächlich noch garantiert ist, bezweifle ich wirk-
lich .

Die geltende Frist zur Stellung von Beweisanträgen
schränkt ebenfalls die Möglichkeiten der Verteidigung
ein . Ebenso ist die vorbehaltlos erweiterte Möglichkeit
zur Verlesung ärztlicher Atteste zumindest zu hinterfra-
gen .

Na ja, es folgen ja die, wie Sie schon sagten, guten
Beratungen . Schauen wir einmal, was wir in den Bera-
tungen noch retten können . Auf alle Fälle wäre, um eine






(A) (C)



(B) (D)


funktionsfähige Strafrechtspflege zu gewährleisten, deut-
lich mehr Personal erforderlich, um der Gerechtigkeit
endlich zum Durchbuch zu verhelfen . Zeit dafür wird es
allemal .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822111800

Danke, Herr Kollege . – Als nächster Redner spricht

Dr . Patrick Sensburg von der CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Patrick Sensburg (CDU):
Rede ID: ID1822111900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die sogenannte StPO-Reform war eines – so
wurde es von Justizminister Maas angekündigt – der
wichtigsten und größten rechtspolitischen Vorhaben


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


dieser Legislaturperiode .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Mäuschen!)


Die Ziele waren hochgesteckt, und ich muss ganz ehr-
lich sagen: Ich habe mich gefreut, für dieses Thema Be-
richterstatter zu sein, weil es wichtig ist, den Strafprozess
um viele Dinge zu entschlacken und zu vereinheitlichen
und die vielen Änderungen, die es in den letzten Jahren
in der StPO gegeben hat, einmal zu harmonisieren .

Ursprünglich sollte der Strafprozess vom Ermitt-
lungsverfahren über das Zwischen-, das Haupt- und das
Rechtsmittelverfahren bis hin zum Vollstreckungsver-
fahren reformiert und effektiver gestaltet werden. Dafür
wurde beim Justizministerium eine Expertenkommission
eingesetzt, die sich das alles angucken und entsprechen-
de Vorschläge machen sollte .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hochkarätig!)


Diese Kommission hat am 7 . Juli 2014 ihre Arbeit auf-
genommen und eine Auftaktsitzung durchgeführt . In der
Folge fanden viele weitere Sitzungen statt, und es wurde
versucht, dieses große Thema zu strukturieren .

Die Erwartungen wurden aber schnell gedämpft, weil
man gemerkt hat, dass der große Wurf einer Strafprozess-
reform, durch die der Strafprozess effektiver gestaltet
und verschlankt werden sollte und im Endeffekt die un-
terschiedlichen Normen harmonisiert werden sollten –
das war ja das Ziel zu Beginn –, gar nicht gelingen konn-
te. Bestimmte Dinge fielen ganz über Bord, zum Beispiel
das Vollstreckungsverfahren . Das gesamte Rechtsmit-
telverfahren sollte harmonisiert und effektiver gestaltet
werden . Davon blieb nur rudimentär etwas übrig . Auch
andere Punkte, wie gesagt, wurden am Ende nur noch
als punktuelle Reförmchen vorgeschlagen . Eine große, in
sich geschlossene Reform war es dann eben nicht mehr .

Wir hatten im Koalitionsvertrag folgendes Ziel verein-
bart – ich zitiere –:

Wir wollen das allgemeine Strafverfahren und das
Jugendstrafverfahren unter Wahrung rechtsstaat-
licher Grundsätze effektiver und praxistauglicher
ausgestalten . Dazu wird eine Expertenkommission
bis zur Mitte dieser Wahlperiode Vorschläge erar-
beiten .

Was ist geblieben? Es blieb leider nur ein Sammelsu-
rium von einzelnen Regelungen, die mit Beschleunigung
und Effektivität leider nur teilweise etwas zu tun haben.
An anderen Punkten muss man leider über Verlängerung,
Erschwerung oder auch rechtsstaatliche Bedenken disku-
tieren .

Statt eine Vereinfachung des Strafprozessverfahrens
vorzufinden, muss man schauen, ob beispielsweise die
im Referentenentwurf noch enthaltenen § 148 Absatz 2
StPO zur Neuregelung der sogenannten Anbahnungs-
gespräche und § 73 Absatz 3 StPO zur Sachverständi-
genauswahl oder der im Gesetzentwurf vorgesehene
§ 141 Absatz 3 StPO zur gerichtlichen Überprüfung der
Bestellung eines Pflichtverteidigers im Ermittlungsver-
fahren wirklich zu einer Beschleunigung führen können .
Ich glaube eher, wir reden hier von einer Verzögerung
und eben nicht von einer effektiven Ausgestaltung.

Herr Staatssekretär, in Bezug auf die effektive Gestal-
tung haben Sie hier einen Punkt angesprochen . Ich hätte
mir gewünscht, es wäre jetzt ein ganzes Sammelsurium
von Normen und Regelungen vorgelegt worden, das den
Strafprozess, wie wir es im Koalitionsvertrag festgehal-
ten haben, effektiver gestaltet hätte. Dieser Gesetzent-
wurf enthält einiges – das gestehe ich zu –, aber unter
dem Strich ist es viel zu wenig .

Unbefriedigend ist das, was wir seit langem bemän-
geln: Es fehlt an einer Regelung zur sogenannten Quel-
len-TKÜ, also der Quellen-Telekommunikationsüber-
wachung . Dazu enthält dieser uns aktuell vorliegende
Gesetzentwurf leider nichts. Ich finde es schade, dass
der Justizminister, der wahrscheinlich gerade im Richter-
wahlausschuss ist, jetzt nicht hier ist . Er hat gute Ansätze,
zum Beispiel bei der Vorratsdatenspeicherung und ande-
ren Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen, vo-
rangebracht . Ich glaube, kein Justizminister hat bisher so
viel in Bezug auf die Überwachung der Telekommunika-
tion gemacht wie Justizminister Maas .


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Vor allem verfassungsmäßig!)


Bei der Quellen-TKÜ scheint er aber kalte Füße bekom-
men zu haben . Dementsprechend wird er sie hier nicht
vertreten wollen .

Wenn man einmal hinschaut, dann sieht man – das
finde ich besonders traurig –, dass dieser Gesetzentwurf
die Quellen-TKÜ nicht enthält . Ich habe gehört, es wür-
de ein separater Gesetzesvorschlag vorgelegt werden,
der sie enthält . Der § 100a StPO werde gerade zwischen
dem Innenministerium und dem Justizministerium koor-
diniert . Ich wundere mich schon, dass die Quellen-TKÜ
nicht in diesem Gesamtpaket, über das wir jetzt seit Mo-
naten diskutieren, enthalten ist und hinterhergeschoben
werden soll .

Jörn Wunderlich






(A) (C)



(B) (D)


Ich muss sagen: Das ist keine gute Zusammenarbeit
zwischen dem Ministerium und dem Parlament . Ich
würde mir wünschen, einen in sich geschlossenen Ge-
setzesvorschlag zu erhalten . Da kann ich nur sagen: Herr
Minister, hören Sie auf das, was die JuMiKo im Sommer
letzten Jahres gefordert hat, nämlich die Quellen-TKÜ .
Oder hören Sie auf das, was im November letzten Jahres
der Generalbundesanwalt auf der Tagung der Generalan-
wälte gefordert hat . Die haben noch einmal ganz deutlich
gesagt, dass wir die Quellen-TKÜ brauchen . Ich empfeh-
le: Hören Sie auf Ihre Leute .

Ein besonderes Problem scheint mir – das ist gerade
angesprochen worden – die audiovisuelle Aufzeichnung
zu sein, die laut dem Gesetzentwurf in § 136 StPO gere-
gelt wird . Ich habe nicht jeden Gedanken von Ihnen, Herr
Kollege Wunderlich, was seine Stringenz angeht, nach-
vollziehen können, aber ich habe Ihre Bedenken gehört .
Auch ich teile Bedenken in Bezug auf die Ausgestaltung
der audiovisuellen Aufzeichnung . Natürlich wird man,
wenn man von Anfang an vor einer Videokamera sitzt,
ganz anders agieren . Es wird ein ganz anderes Verhal-
ten von Zeugen geben . Dann muss man auch noch – das
muss man ja sagen – auf die Revisionsseite schauen .
Wenn wir damit eine Vielzahl von Revisionsgründen
schaffen, dann frage ich mich: Erleichtert die audiovisu-
elle Aufzeichnung wirklich etwas? Oder handelt es sich
im Kern dann um die Schaffung von Revisionsgründen
für Verteidiger? Das kann nicht das Ziel sein . Darüber
werden wir in der parlamentarischen Debatte noch ein-
mal intensiv reden müssen .

Ich kann nur empfehlen, die audiovisuelle Aufzeich-
nung nicht als verpflichtende Regelung – wie Sie, Herr
Staatssekretär Lange, es gerade noch einmal betont ha-
ben – zu schaffen. Wir sollten sie auch nicht als Kann-
regelung einführen . Vielmehr sollte es da – wie es bis
jetzt der Fall ist – eine Sollregelung geben, welche die
Möglichkeit schafft, eine Aufzeichnung durchzuführen.
Es sollte aber weder eine Verpflichtung noch einen inten-
dierten Zwang mit einer Sollvorschrift geben . Ich glaube,
die Gerichte können sehr gut entscheiden, wann sie eine
audiovisuelle Aufzeichnung brauchen und wann nicht .

Ich könnte, wenn ich mehr Zeit hätte, nach dem An-
sprechen all dieser Themen noch sehr viele andere Punk-
te anführen; denn dieser Gesetzentwurf enthält sehr viele
Details . Das muss man dem Justizministerium lassen:
Es ist zwar kein großer Wurf geworden, aber an vielen
Punkten sind Ansätze vorhanden, die zu unterstützen
sind . Wir müssen sie aber intensiv diskutieren . Beispiels-
weise müssen wir diskutieren, wie es mit der Zeugenver-
nehmung bei der Polizei aussieht, die jetzt verpflichtend
sein soll . Der Zeuge muss also hingehen . Die Frage ist,
wie denn die Folgen sind, wenn der Zeuge da nicht er-
scheint . All das erscheint mir unter dem Blickwinkel des
geplanten Zeitrahmens, den sich das Justizministerium
wünscht, verdammt schwierig zu sein .

Wir wollen die Anhörung schon am 29 . März durch-
führen . So haben wir es im Rechtsausschuss beschlossen .
Das Gesetz soll bereits am 27 . April, also in knapp sechs
Wochen, beschlossen werden . Wir wollen im Deutschen
Bundestag ein Gesetz dieser Komplexität – wo Einzelre-

gelungen in der gesamten Strafprozessordnung geändert
werden sollen – in sechs Wochen beschließen .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich will das nicht!)


Ich glaube, wir sollten uns da wirklich etwas mehr Zeit
gönnen und in die einzelnen Regelungen hineinschauen,
um dann hinterher ein gutes Gesetz – es zeitigt ja inten-
sive Eingriffe in Grundrechte von Bürgerinnen und Bür-
gern – zu haben .

Ich glaube, wir müssen diskutieren, ob wir die Quel-
len-TKÜ noch gemeinsam mit dem Gesetz regeln sollten .
Wir haben die Regelung des § 81a StPO, also den Rich-
tervorbehalt bei der Blutentnahme . Darüber diskutieren
wir übrigens schon seit der letzten Wahlperiode . All das
müssen wir in einem geschlossenen Gesamtkontext se-
hen . Von daher würde ich mir wünschen, dass wir das
in Ruhe und mit Qualität machen, und nicht mit einem
Schnellschuss mit vielen Einzelregelungen, die dann hin-
terher noch weniger zusammenpassen, als es vor dieser
Reform der Fall war .

Der Kollege Dörflinger hat heute Morgen in der Debat-
te über Europa unseren Bundestagspräsidenten Norbert
Lammert zitiert . Der hat gesagt: Ein Parlament hält sich
eine Regierung, und nicht eine Regierung ein Parlament .

Ich würde mir wünschen, dass wir in der jetzt kom-
menden Debatte den Entwurf insgesamt so kooperativ
diskutieren, dass wir dabei ein gutes Ergebnis herausbe-
kommen, indem wir all die genannten Aspekte einbrin-
gen, diskutieren und dann zu einem runden Gesamtpaket
schnüren . Denn so, wie es jetzt aussieht, sehe ich noch
keine StPO-Reform . Ich sehe viele einzelne Komponen-
ten . Manche sind sehr gut, manche sind noch verbesse-
rungsfähig, und manche halte ich noch nicht einmal in
Bezug auf den Bestimmtheitsgrundsatz für verfassungs-
gemäß . Da gibt es noch viel Arbeit für das Parlament .

Ich wünsche uns intensive Beratungen . Dem Gesetz-
entwurf in dieser Form kann ich so nicht zustimmen .
Auch kann ich seine Annahme nicht empfehlen .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Johannes Fechner [SPD]: Alles diskutiert!)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822112000

Vielen Dank . – Das Wort hat nunmehr Hans-Christian

Ströbele von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich vermisse hier den Justizminister .


(Dr . Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Richterwahlausschuss! – Dr . Johannes Fechner [SPD]: Richterwahlausschuss! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der ist im Richterwahlausschuss!)


– Ja, aber man hätte den Minister angesichts dieses gro-
ßen Projektes, bei dem es um eine große Strafverfahrens-

Dr. Patrick Sensburg






(A) (C)



(B) (D)


novellierung geht, hier vielleicht erwarten können . Ich
hätte ihn auch gerne einmal gefragt, ob er das, was er
angekündigt hat, wirklich gemeint hat . Denn das kann ja
wohl nicht wahr sein .

Das, was hier neu sein soll – das hat Herr Lange vor-
hin hier dargestellt –, wird ganz überwiegend schon seit
den 70er-Jahren praktiziert . Dass bei Großverfahren eine
Vorbesprechung mit dem Vorsitzenden Richter stattfin-
det, war immer so . Ich kann mich an keinen Großprozess
erinnern – ich war bei vielen dabei –, bei denen das nicht
gemacht worden ist .

Oder das Erklärungsrecht des Verteidigers im Straf-
prozess . Ich habe als Verteidiger viele Erklärungen abge-
geben . Ich habe es nicht einmal erlebt, dass jemand auch
nur Bedenken dagegen geäußert hätte . Auch die Fristset-
zung bei Beweisanträgen am Ende der Beweisaufnahme
ist das übliche Verfahren . Wenn das Gericht mit seinem
Pensum fertig ist, dann wird gefragt: Welche Anträge
werden von der Verteidigung noch gestellt? Dann wer-
den sie gestellt, und dann werden sie entschieden . Auch
das ist normal .

Nehmen wir einmal an, aus einem Antrag ergibt sich
ein wichtiger Beweisantrag und die Entscheidung da-
rüber wird in das Urteil verlagert . Wenn der Beweisan-
trag im Urteil zu Unrecht abgelehnt wird, dann hat das
möglicherweise zur Folge, dass der Prozess von vorne
begonnen werden muss . Es ist besser, im Prozess wird
über Anträge mit Rede und Gegenrede entschieden, ohne
das Ganze zu vertagen .

Was übrig geblieben ist, ist ein ganz kleiner Ansatz für
eine audiovisuelle Aufzeichnung im Vorverfahren oder
für Gerichtsverfahren selber . In der Tat verlaufen Straf-
prozesse in Deutschland wie vor 100 Jahren . Da sitzt bei
nicht so schwerwiegenden Fällen der Amtsrichter, mögli-
cherweise mit Schöffen, im Gerichtssaal. Dieser schreibt
möglichst mit, was die Zeugen oder der oder die Ange-
klagte äußern . Die Protokollführerin oder der Protokoll-
führer, der Staatsanwalt und auch der Verteidiger schrei-
ben mit und bemühen sich dabei, das festzuhalten, was
tatsächlich gesagt worden ist . Wenn man sich das nach-
her einmal durchliest, dann stellt man fest: Das hat mit
dem, was wirklich gesagt worden ist, häufig nur ganz am
Rande zu tun . Jeder hat etwas anderes aufgeschrieben .

Warum kann man in einem modernen Staat, in dem
es einfache Möglichkeiten gibt, Vernehmungen und Be-
fragungen aufzuzeichnen, kein Tonband mitlaufen zu
lassen? Jetzt sage ich schon „Tonband“, diese sind ja
ebenfalls veraltet . Ich meine natürlich einen Tonträger,
auf dem alles aufgezeichnet wird und mit dessen Hilfe
man feststellen kann, vielleicht kurz vor oder in der Ur-
teilsberatung, was tatsächlich gesagt worden ist .

Genauso ist es natürlich bei großen Prozessen . Man-
che Prozesse dauern Monate oder Jahre . Am Ende des
Prozesses soll man noch wissen, was an einem Tag von
einem Zeugen gesagt oder einem anderen Zeugen nicht
gesagt worden ist . Das könnte man dann mit einer Auf-
zeichnung nachprüfen .

Die große Expertenkommission, die das Justizminis-
terium eingesetzt hat, hat dazu Empfehlungen gegeben .

Was ist davon übrig geblieben? Über die Möglichkeit, in
der Hauptverhandlung eine Aufzeichnung einzuführen,
wird nichts ausgesagt . Das kommt in dem Gesetzentwurf
überhaupt nicht vor . Ausgesagt wird lediglich etwas über
die Vernehmung des Beschuldigten . Da kann – ich beto-
ne: kann – dieses Verfahren angewandt werden . Zwin-
gend ist das aber nur bei Verfahren – Herr Lange, Sie
haben von einer „großen Entlastung“ gesprochen – bei
einer einzigen Straftat: Es muss sich um ein Tötungsde-
likt handeln . Wie viele Verfahren von den Strafverfahren
in Deutschland betreffen ein Tötungsdelikt? Ich schätze
diese Zahl auf weit unter 1 Prozent .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gott sei Dank! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warten Sie mal die heutige Nacht ab!)


Sie schaffen hier eine Regelung, die an anderer Stel-
le dringend erforderlich wäre . Im Vorverfahren sollten
Zeugenvernehmungen zumindest auf Tonträger aufge-
nommen werden, damit am Ende der Hauptverhandlung
mit Beweis und Gegenbeweis, nach der Anhörung von
neuen Zeugen und den Aussagen von Wachtmeistern und
Kriminalbeamten nicht gefragt wird: Was hat der Zeuge
im Vorverfahren, was hat der Beschuldigte gleich nach
seiner Festnahme in der ersten Vernehmung wirklich
gesagt? Das, was der Kriminalbeamte mühsam in seine
Schreibmaschine hackt, ist meistens nicht das, was tat-
sächlich gesagt worden ist . Da kann man viel schreiben .
An diesem Punkt hätten Sie wirklich zu einer Entlastung
des Verfahrens beitragen können . Das haben Sie nicht ge-
macht, weil Sie sich nicht einigen konnten .

Natürlich gab es dazu in der Expertenkommission sehr
unterschiedliche Auffassungen. Ich selbst habe an einem
Strafverteidigertag teilgenommen, bei dem dafür eine
eigene Arbeitsgruppe eingesetzt wurde, um diese Frage
zu diskutieren. Da bestand unisono die Auffassung, und
zwar von Richtern, von anwesenden Staatsanwälten und
von Rechtsanwälten, dass man eine Aufzeichnung ganz
dringend braucht .

Lassen Sie uns einen Strafprozess mit modernen Mit-
teln gestalten, auch mit modernen Kommunikationsmit-
teln . Der Federkiel ist längst beseitigt; heute ist es der
Kugelschreiber . Lassen Sie ihn uns in möglichst vielen
Fällen durch elektronische Aufnahmen ersetzen . Dann
haben die übrigen Prozessbeteiligten genügend Möglich-
keiten und Fähigkeiten, die sie ausleben können, ein Ver-
fahren wirklich mitzuerleben und zur Wahrheitsfindung
das Mögliche beizutragen, und müssen sich nicht mit ih-
rer Schrift herumärgern .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822112100

Herr Kollege, das war ein guter Schlusssatz .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es gibt viele Möglichkeiten . Machen Sie Gebrauch
davon! Eine Renovierung des gesamten Strafverfahrens-

Hans-Christian Ströbele






(A) (C)



(B) (D)


rechts ist dringend erforderlich . Dieser Gesetzentwurf
leistet das überhaupt nicht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822112200

Vielen Dank . – Als Nächste hat das Wort die Kollegin

Bettina Bähr-Losse von der SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Bettina Bähr-Losse (SPD):
Rede ID: ID1822112300

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Liebe Kollegin-

nen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Zu den
Aufgaben des Staates gehört auch, eine funktionierende
Strafrechtspflege zu gewährleisten. Das bedeutet, dass
prozessuale Vorschriften laufend auf Tauglichkeit, Zeit-
gemäßheit und Effektivität hin zu überprüfen sind.

Der vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur effekti-
veren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafver-
fahrens reformiert die Strafprozessordnung an wichtigen
Stellen und ermöglicht eine Verfahrensvereinfachung
und Verfahrensbeschleunigung, die zugleich die Rechte
der am Verfahren Beteiligten wahrt . Er basiert auf der
Untersuchung aller Verfahrensabschnitte des Strafver-
fahrens durch eine Expertenkommission .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Vorschläge haben Sie aber nicht übernommen!)


Der Grat, Herr Ströbele, auf dem wir uns bei diesem Vor-
haben bewegen, ist schmal . Wir wollen und müssen den
Strafanspruch des Staates durchsetzen . Gleichzeitig sind
die Grundrechte der mit Strafe Bedrohten zu sichern und
zu gewährleisten .

Zwei Punkte möchte ich an dieser Stelle in den Fo-
kus stellen . Die Forensik hat wesentliche Fortschrit-
te auf dem Gebiet der DNA-Analyse erzielt . Augen-,
Haar- und Hautfarbe einer Person lassen sich mit hoher
Wahrscheinlichkeit bestimmen . Denjenigen, die meinen,
dass dadurch eine Stigmatisierung bestimmter Gruppen
erfolge, halte ich entgegen, dass zahlreiche andere Ver-
dächtige entlastet werden, die vielleicht vorher unter
Generalverdacht standen. Im Übrigen wäre eine Öffent-
lichkeitsfahndung ohne klare Benennung von Äußerlich-
keiten völlig sinnlos . Wenn die technischen Möglichkei-
ten diese wichtigen Hinweise für die Ermittlungsarbeit
liefern, muss die Polizei, müssen die Ermittlungsbehör-
den in der Lage sein, diese auch zu nutzen .

Davon getrennt zu betrachten sind die sogenannten
Beinahetreffer. Hierzu gab es vor einigen Jahren eine
Entscheidung des Bundesgerichtshofs, dass, so die bis-
herige Rechtslage, die bei einer Reihenuntersuchung ge-
wonnene Information, dass die DNA eines Untersuchten
zwar nicht mit der Tatort-DNA identisch ist, aber ein Ver-
wandtschaftsverhältnis besteht, weder hätte gewonnen
noch verwertet werden dürfen . In dem damaligen Fall
wurde die erfolgte Verurteilung gleichwohl nicht aufge-
hoben . Aber es wurde deutlich auf bestehende Zweifel
an der Verwertbarkeit derartiger Informationen hinge-
wiesen . Um diese Zweifel zu beseitigen und klarzustel-

len, dass diese Informationen verwertet werden dürfen,
erfolgte die Anpassung in dem Entwurf .

Insgesamt darf bei der Bewertung dieser Fragen nicht
aus den Augen verloren werden, dass es um die Aufklä-
rung von schweren Straftaten geht . Wenn also Wissen-
schaft dabei helfen kann, Verbrechen aufzuklären, sollte
das auch möglich sein und sollte falsche Rücksichtnahme
nicht dazu führen, dass zum Beispiel Mörder geschützt
werden .


(Beifall bei der SPD)


Der zweite wichtige Punkt, den ich herausgreifen
möchte, betrifft den Bereich der Verbesserung der Do-
kumentation des Ermittlungsverfahrens . Der Entwurf
knüpft an die jüngst aus Opferschutzgründen erweiterten
Regelungen zur audiovisuellen Aufzeichnung von Zeu-
genvernehmungen an und will diese moderat auch auf
einen begrenzten Bereich der Beschuldigtenvernehmung
ausdehnen .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur Tötungsdelikte!)


Bei vorsätzlichen Tötungsdelikten – Herr Ströbele, eine
Sekunde; ich komme jetzt dazu – sowie bei besonders
schutzbedürftigen Personen sollen Vernehmungen des
Beschuldigten im Ermittlungsverfahren grundsätzlich
in Bild und Ton aufgezeichnet werden . Das Recht des
Beschuldigten, in der Hauptverhandlung aussagen zu
können und gehört zu werden, wird dadurch also nicht
beschnitten .

Ich habe eingangs gesagt, dass der Grat, auf dem wir uns
bewegen, schmal ist . Ich setze deshalb auf Ihre konstruk-
tive Mitarbeit bei kritischen oder strittigen Punkten des
Entwurfs in Gesprächen und Verhandlungen, die dieser
ersten Lesung folgen werden . Ich bin froh, dass wir einen
so erfahrenen Strafverteidiger wie Sie, Herr Ströbele,


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hören ja nicht auf mich!)


und einen engagierten Juristen wie Herrn Sensburg dabei
haben, die sich in diese Verhandlungen wirklich nutz-
bringend für alle einbringen können .

Das Justizministerium wird zudem in diesem Monat
ein Symposium abhalten, dessen Inhalte auch Eingang
in den Entwurf finden werden, sodass wir die notwendi-
gen Reformen zu einem erfolgreichen Abschluss bringen
können; denn das sind wir den Opfern von Gewaltverbre-
chen und ihren Hinterbliebenen schuldig .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822112400

Vielen Dank, Frau Kollegin . – Als letzter Redner in

dieser Aussprache spricht nunmehr Alexander Hoffmann
von der CDU/CSU-Fraktion zu Ihnen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Hans-Christian Ströbele






(A) (C)



(B) (D)



Alexander Hoffmann (CSU):
Rede ID: ID1822112500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kollegin-

nen und Kollegen! Die Aufgabe der StPO, der Straf-
prozessordnung, ist es, auf der einen Seite den Rahmen
für die strafrechtliche Sachverhaltsaufklärung zu bieten
und auf der anderen Seite den staatlichen Strafanspruch
zu wahren . Die Kollegin Bähr-Losse hat richtigerweise
herausgestellt, dass das kein statisches Konstrukt ist;
vielmehr hat ein funktionierender Rechtsstaat die Dauer-
aufgabe, dieses Regelungsgefüge an geänderte Rahmen-
bedingungen anzupassen . Ich denke, dass wir im Lichte
dieser Daueraufgabe den heute hier zu beratenden Ent-
wurf sehen sollten .

Im ersten Block geht es um die Komponenten Verfah-
rensvereinfachung und Verfahrensbeschleunigung . Die
Strafrechtler unter Ihnen wissen, dass es den Satz gibt:
Die Strafe soll der Tat auf dem Fuße folgen . – Ich glau-
be, bei dem ersten Block können wir wirklich feststellen,
dass dieser Entwurf durchaus gute Inhalte vorzuweisen
hat . Wir sehen umfassende Änderungen im Befangen-
heitsrecht; denn wir müssen feststellen, dass gerade das
Befangenheitsrecht in den letzten Jahren in der Praxis an
der einen oder anderen Stelle zunehmend als Instrument
zur Verfahrensverzögerung missbraucht worden ist .

Stellen Sie sich vor, dass ein Ablehnungsgesuch erst
kurz vor Beginn der Hauptverhandlung gestellt wird .
Nun wird vorgesehen, dass der Beginn der Hauptver-
handlung damit nicht verzögert wird . Sie kann bis zur
Verlesung des Anklagesatzes begonnen bzw . aufge-
nommen werden, wenn der Richter abgelehnt wird und
damit eine Verzögerung der Hauptverhandlung drohen
würde . Das Gericht kann zusätzlich dem Antragsteller
die Verpflichtung auferlegen, dieses Ablehnungsgesuch
auch noch schriftlich zu begründen . Wenn er diese Frist
fruchtlos verstreichen lässt, wäre auch das ein Grund, der
eine Ablehnung möglich macht . Ich halte das für eine
deutliche Beschleunigung und deutliche Steigerung der
Effizienz des Verfahrens; das sieht man, wenn man sich
mit der Praxis auseinandersetzt .

Der zweite Punkt in dem Feld der Verfahrensbe-
schleunigung sind Änderungen im Beweisantragsrecht,
die ich durchaus für zielführend halte . Auch hier stellen
wir fest, dass Beweisanträge oftmals nicht nur aus fester
Überzeugung gestellt werden, sondern zum Ziel haben,
ein Verfahren in die Länge zu ziehen . Deswegen sieht der
Entwurf in meinen Augen richtigerweise nun die Mög-
lichkeit vor, dass nach Ende der Beweisaufnahme der
Vorsitzende eine angemessene Frist setzen kann, binnen
derer weitere Beweisanträge gestellt werden können und
danach eben nicht mehr .

Ich freue mich außerordentlich darüber, dass dieser
Entwurf auch das Ermittlungsverfahren weiter im Blick
behält, die Erscheinens- und Aussagepflicht von Zeugen
vor Ermittlungspersonen . Es ist durchaus richtig, wie
der Kollege Sensburg gesagt hat, dass wir punktgenau
im weiteren Verfahren überlegen müssen, welche Kon-
sequenzen wir im Ergebnis ziehen . Aber ich glaube, man
wird einer solchen Regelung schon eine Daseinsberechti-
gung zusprechen müssen . Das war der erste Block .

Den zweiten Block würde ich unter der Überschrift
„Optimierung der Wahrheitsfindung“ subsumieren. Die
audiovisuelle Aufzeichnung – das wissen Sie – gibt es
seit dem Jahr 1993 . Die wollen wir mit diesem Vorha-
ben ausdehnen . Es gab jüngst eine Ausweitung in diesem
Bereich aus Gründen des Opferschutzes . Auch deren Da-
seinsberechtigung ist, glaube ich, unbestritten . Man muss
einfach konstatieren, dass es Konstellationen gibt – bei-
spielsweise bei Anwesenheit des Täters –, in denen es
dem Opfer nicht zumutbar ist, den Tathergang zu schil-
dern bzw . zu konkretisieren .

Nun gibt es den Grundsatz, eine audiovisuelle Auf-
zeichnung im Ermittlungsverfahren bei vorsätzlichen
Tötungsdelikten und bei besonders schutzbedürftigen
Personen zu ermöglichen . Auch das ist etwas, glaube ich,
was wir dringend diskutieren sollten . Ich will zunächst
die Vorteile skizzieren, bevor ich dann aufzeigen möch-
te, mit welchen möglichen Nachteilen, liebe Kolleginnen
und Kollegen, wir uns auch auseinandersetzen sollten .

Wir erhoffen uns durch diese Regelung – da bin ich
ganz beim Ministerium – eine Verbesserung der Sach-
verhaltsaufklärung und eine bessere nachträgliche Über-
prüfbarkeit der Einhaltung bestimmter Formalitäten;
das sollte auch im Interesse von Strafverteidigern sein,
Kollege Ströbele . In einem Zeitalter, in dem sich digita-
le Möglichkeiten neu eröffnen und schnell weiterentwi-
ckeln, glaube ich, spricht auch nichts dagegen, das Straf-
prozessrecht an die heutigen technischen Möglichkeiten
anzupassen .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tun sie doch! – Wo denn?)


Im Zeitalter der internationalen Terrorismusbekämp-
fung heiße ich es auch gut, wenn wir solche Mittel einset-
zen, weil sie letztendlich beim internationalen Beweist-
ransfer deutlich besser übermittelbar sind .

Aber ich glaube, dass wir uns angesichts der Heraus-
forderungen, die eine solche Regelung mit sich bringt,
schon auch die Frage stellen müssen, welche Risiken
eine solche Entwicklung in sich birgt . Ich glaube, dass
wir das auch im weiteren Beratungsverfahren bedenken
müssen . Wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass das
Konfrontationsrecht des Angeklagten nicht ausgehöh-
lt werden darf . Es muss nach dem Grundsatz der Waf-
fengleichheit immer möglich sein, dass der Angeklagte
in seinem Verfahren auch Zeugen befragt .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Verteidigung!)


Deswegen müssen wir mit Augenmaß entscheiden, wie
viel wir in eine mögliche audiovisuelle Aufzeichnung
verlagern können .

Ein weiterer Punkt – ich bin dem Kollegen Sensburg
sehr dankbar, dass er mir dafür ein Stück weit die Augen
geöffnet hat – ist natürlich Folgendes: Wenn wir uns das
heutige Revisionsrecht angucken, dann müssen wir ein-
fach feststellen, dass es unglaublich komplex geworden
ist . Wer sich in der Szene auskennt, der weiß, dass es
Strafverteidiger gibt, die eigentlich nur noch Revisions-
experten sind, und andere, die sich das Revisionsrecht
gar nicht mehr zutrauen, so komplex ist es geworden .






(A) (C)



(B) (D)


Da müssen wir uns natürlich schon überlegen, ob solche
technischen Möglichkeiten unter Umständen ganz neue
Diskussionsfelder im Bereich des Revisionsrechts eröff-
nen .

Insgesamt ist es ein Gesetzentwurf, auf dessen Bera-
tung im weiteren Verfahren ich mich freue . Ich möchte
aber an dieser Stelle schon sagen: Es ist letztendlich das
kleine Überbleibsel eines Projekts, das der Justizminis-
ter als eines der größten rechtspolitischen Projekte dieser
Legislaturperiode angekündigt hat . Ich persönlich bedau-
ere ein Stück weit, dass es auf zehn Seiten zusammenge-
schmolzen ist .


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Das habt ihr doch zusammengestrichen! Den 50a! – HansChristian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sagen ja nichts im Ausschuss!)


Ich will Ihnen auch noch einmal sagen, dass die Union
immer bereit ist, mit Ihnen über Strafprozesse aller Be-
reiche zu diskutieren, und will Ihnen da ein Stück weit
Mut machen . Ich freue mich auf die weiteren Beratungen
in diesem Verfahren .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822112600

Vielen Dank . – Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/11277 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall .
Dann sind die Überweisungen so beschlossen .

Ich rufe die Zusatzpunkte 6 bis 8 auf:

ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulle
Schauws, Katja Dörner, Beate Müller-Gemmeke,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Für eine wirksame Frauen- und Gleichstel-
lungspolitik in Deutschland

Drucksache 18/11413
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales

ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai
Gehring, Ulle Schauws, Özcan Mutlu, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Wissenschaftsfreiheit fördern, Geschlechter-
forschung stärken, Gleichstellung in der Wis-
senschaft herstellen

Drucksache 18/11412
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18 . Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke,
Cornelia Möhring, Sigrid Hupach, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE

Geschlechtergerechtigkeit in der Wissenschaft
durchsetzen

Drucksachen 18/9667, 18/11447

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .


(Unruhe)


– Ich warte noch eine Sekunde, bis alle ihre Plätze ein-
genommen haben .

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin
Katrin Göring-Eckardt von der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und liebe Kolle-
gen! Wir erinnern uns: Auf die Frage, warum für ihn ein
paritätisch besetztes Kabinett so wichtig sei, antworte-
te der kanadische Premier Justin Trudeau: Because it’s
2015 . – Wir haben jetzt das Jahr 2017 . Deutschland ist
weit davon entfernt – nicht nur optisch für die Damen,
die Herrn Trudeau so hübsch finden.

Seit vier Jahren werden wir regiert von einer Großen
Koalition aus den Blockierern von der Union und mit den
Trommelwirbeln von der SPD . Aber immer wenn eine
große Tat dem Trommelwirbel folgen müsste – so ist das
ja eigentlich –, kreißt der Berg und gebiert eine Maus .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben das Jahr 2017 . Frauen verdienen 21 Pro-
zent weniger . Die Rentenlücke im Alter beträgt 57 Pro-
zent . 2017 reden wir immer noch über die gläserne De-
cke, Minijobs und Teilzeitfalle für Frauen – immer noch .
Das ist Ihre Bilanz, Frau Ministerin, und das müssen Sie
sich auch sagen lassen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frauen in Deutschland erleben sexuelle Erniedrigung,
sexuelle Gewalt . Ja, sie übernehmen nach wie vor den
Hauptteil der Fürsorgearbeit oder der Pflegearbeit. Und
die Bundeskanzlerin, angesichts dieser Situation, findet:
Das ist ein schöner Moment, den Frauen einmal Danke
zu sagen . – Ja danke für das Danke! Die Rosen nehmen
wir auch, aber: Es ist 2017, und die Frauen in diesem
Land haben die Nase gestrichen voll . Es geht nicht mehr,
dass immer nur geredet und geredet und geredet wird und
einfach nichts oder viel zu wenig passiert – im Jahr 2017,
meine Damen und Herren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Nicole Gohlke [DIE LINKE])


In der SPD reden Sie darüber, wofür jetzt Zeit sei . Of-
fensichtlich war nicht mal Zeit, hier angesichts des Frau-

Alexander Hoffmann






(A) (C)



(B) (D)


entages eine anständige Debatte aufzusetzen, die wir ei-
gentlich in jedem Jahr hatten – vielleicht war Ihnen Ihre
Bilanz selbst zu peinlich –, aber dafür, wenigstens für die
Debatte über die Situation von Frauen in diesem Land,
muss Zeit sein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Recht auf Rückkehr auf Vollzeit . Viel zu oft reduzie-
ren Frauen für Familie und Kind die Arbeitszeit und kön-
nen später nicht auf eine Vollzeitstelle zurückkehren . Das
Rückkehrrecht steht im Koalitionsvertrag . Bis heute gibt
es aber nicht mal einen Entwurf dazu . Vier vergeudete
Jahre für die Frauen! So muss man es sagen, meine Da-
men und Herren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Marianne Schieder [SPD]: Oje, oje!)


Die Frauenquote . Da, wo es sie gibt, wirkt sie . Aber
für wie viele gilt sie? Für 101 Unternehmen von 3 500
börsennotierten! Da hat doch die gläserne Decke noch
nicht mal einen Sprung bekommen .

Statt Entgeltgleichheit bekamen wir dank der Blockie-
runion ein Transparenzgesetz . Nur bei Unternehmen mit
mehr als 200 Beschäftigten haben Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter ein Auskunftsrecht . Übersetzt heißt das: Ge-
rade mal 40 Prozent der erwerbstätigen Frauen können
das Recht nutzen, zu wissen, was die anderen verdienen .
Von Entgeltgleichheit, für die wir immer wieder demons-
trieren, jedes Jahr – da spucken alle große Töne –, kann
nicht mal im Ansatz die Rede sein . Auch das ist Ihre Bi-
lanz, und, ich finde, darüber muss hier gesprochen wer-
den .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Selbst als es um die Reform des Sexualstrafrechts
ging, mussten die Frauen selbst Druck ausüben, damit
endlich etwas geschieht .

Ich finde, die Frauen in diesem Land haben mehr
verdient . Die alleinerziehende Mutter, die Bankerin, die
Studentin, die lesbische Mutter, die Rentnerin, die Archi-
tektin, die Musikerin, die Transfrau, die Hebamme, die
Pflegekraft, die Großmutter haben mehr verdient. Alle
Frauen in diesem Land gehören nicht nur auf dem Papier
und im Grundgesetz gleichberechtigt, sondern auch im
tatsächlichen Leben . Es ist die Zeit, dafür zu kämpfen
und nicht nur nette Worte zu sagen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn man sich das anschaut, muss man sagen: Sie
verpassen gerade einen historischen Moment . In den
USA ist ein frauenfeindlicher Präsident gewählt worden .
Es sind Hunderttausende von Frauen auf die Straße ge-
gangen . Sie haben sich rosa Mützen aufgesetzt . In Polen
konnte durch den Aufstand der Frauen ein Gesetz gegen
die Abtreibung verhindert werden .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Auch hier in Deutschland schauen die Frauen nicht
länger nur zu, wenn sie nicht das kriegen, was ihnen zu-

steht . Gestern konnte man das in ganz Deutschland sehr
deutlich und sehr eindrücklich sehen . Die Frauen sind in
diesem Land schon auf der Straße, aber sie haben offen-
sichtlich immer noch viel zu wenig Lobby in diesem Par-
lament und vor allen Dingen in dieser Regierung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ja, die Errungenschaften der Gleichstellung stehen
offensichtlich wieder zur Debatte. Die AfD macht sich
lustig über vermeintliches Gender-Gaga . Forscherinnen
und Forscher, die sich mit Geschlechterfragen auseinan-
dersetzen, werden zurzeit massiv angefeindet – in diesem
Land massiv angefeindet. Ich finde, wir sollten uns ge-
meinsam vor diese Forscherinnen und Forscher stellen .
Es kann nicht sein, dass über Frauenfragen nicht mehr
geforscht werden kann, dass über Genderfragen nicht
mehr geforscht werden kann, ohne dass man in diesem
Land Hassmails und -postings bekommt, meine Damen
und Herren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich finde, wir sollten diese krasse Form des Gen-
der-Bashings sehr ernst nehmen . Wer meint, es sei egal,
ob Frauen in der Sprache vorkommen, dem sage ich:
Gut, dann machen wir es eben umgekehrt, dann sprechen
wir komplett weiblich, und die Männer sind mitgemeint .
Wer meint, dass die Quote leistungsfeindlich sei, dem
kann ich nur sagen: Dann möchte ich mir gerne mal die
Leistung von manchen der Männer anschauen, die das
behaupten. Wenn ich an Herrn Höcke denke, dann finde
ich: Seine Leistung ist in der Tat krass negativ bezüg-
lich jeder gesellschaftlichen Frage in diesem Land . Nein,
es ist keine Heulsusenveranstaltung, es ist Kampf . Wir
kämpfen, und wir wollen kämpfen . Es ist eben in dieser
Zeit auch wieder Zeit für Feminismus, meine Damen und
meine Herren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg . Nicole Gohlke [DIE LINKE])


Es muss doch anders gehen . Es geht nicht mehr um
die kleinen, feinen Schritte, die als Erfolg abgerechnet
werden, es geht um Haltung . Es geht darum, dass wir den
Frauen sagen: Egal, was ihr werden wollt, ganz gleich,
wer ihr sein wollt, wir machen euch den Weg frei . Ihr
habt Rechte . Wir geben so lange keine Ruhe, bis eure
Gleichstellung erreicht ist, bis Frauen tatsächlich das
gleiche Gehalt verdienen, bis sie DAX-Unternehmen
führen, bis Mädchen Ingenieurinnen werden . Natürlich
dürfen Jungs auch Glitzernagellack verwenden oder Ein-
hornstaub versprühen . Natürlich dürfen sie das . Nein,
wir werden rosa Spielzeug nicht verbieten, aber ich sage:
Das, meine Damen und Herren, ist wirklich gaga .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Für die Frauen in diesem Land zu kämpfen, lohnt sich .


Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822112700

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss .

Katrin Göring-Eckardt






(A) (C)



(B) (D)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir treten für die Werte unserer Gesellschaft ein, den
alten und den neuen Frauenfeinden entgegen . Ich fordere
die Frauen von Union und SPD auf: Zieht eure pinken
Mützen auf! Tretet gemeinsam mit einer klaren Haltung
für die Frauen in diesem Land ein! Es geht nicht mehr um
kleine Schritte, es geht um eine große gesellschaftliche
Auseinandersetzung . Und dafür müssen wir Parlamenta-
rierinnen und Parlamentarier stehen, nicht nur da drau-
ßen mit netten Worten und Dankeschön, sondern auch in
einem harten Kampf und in einer harten Auseinanderset-
zung .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822112800

Danke, Frau Kollegin . – Als nächste Rednerin spricht

Gudrun Zollner von der CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Gudrun Zollner (CSU):
Rede ID: ID1822112900

Sehr geehrte Frau Präsidentin Noll! Verehrte Kolle-

ginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen vermittelt den Eindruck,
dass wir in Deutschland in den letzten Jahren eine völlig
verfehlte und völlig unwirksame Politik für die Gleichbe-
rechtigung von Frauen betrieben hätten,


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat sie nicht gesagt!)


als hätten wir nichts erreicht, als hätten wir den hohen
Frauenanteil im Parlament in dieser Legislaturperiode
nicht für Verbesserungen für Frauen genutzt .

Aber erinnern wir uns: Vor genau zwei Jahren haben
wir hier im Deutschen Bundestag erstmals eine feste
Quote für Frauen in Führungspositionen verabschiedet .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Quötchen! – Marianne Schieder [SPD]: Auf Drängen der Union!)


Wir alle und besonders wir Frauen aller Fraktionen ha-
ben das als Meilenstein in der Frauenpolitik am Interna-
tionalen Frauentag 2015 überschwänglich und zu Recht
gefeiert .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und dann?)


Wir waren uns einig, dass wir die Rahmenbedingungen
verbessern müssen, um die Vereinbarkeit von Familie
und Beruf zu erleichtern . Auch hier waren wir nicht un-
tätig: Einführung eines Rechtsanspruchs auf einen Kita-
platz, das Elterngeld Plus, das Familienpflegezeitgesetz,
Ausbau der Betreuungsinfrastruktur usw .

Mittlerweile ist das vierte Investitionsprogramm
„Kinderbetreuungsfinanzierung“ für die Jahre 2017 bis
2020 bereits im Bundesrat beraten und im Kabinett be-
schlossen worden . Das Sondervermögen soll dafür um

1,126 Milliarden Euro aufgestockt werden . Ein nächster
großer Schritt ist das Entgelttransparenzgesetz, das sich
derzeit im parlamentarischen Verfahren befindet. Natür-
lich müssen Frauen für die gleiche Arbeit auch den glei-
chen Lohn erhalten . Dem widerspricht ja auch niemand,
und das wird von uns allen ja auch gefordert . Mein per-
sönlicher Meilenstein und meine persönliche Herzens-
angelegenheit ist die Verbesserung des Unterhaltsvor-
schussgesetzes mit dem Wegfall der Bezugsdauer von
72 Monaten und der Erhöhung des Kindesalters von 12
auf 18 Jahre . Auch das gehört zur Gleichberechtigung
und zur Chancengerechtigkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wer Kinder in die Welt setzt, muss sich auch finanziell
verantwortlich zeigen . Die Last nur einem Elternteil auf-
zubürden und zum Schluss auch noch bessergestellt zu
sein, das ist für mich keine Gleichstellung .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, dass wir
in Deutschland auf einem guten Weg sind, bescheinigt
uns auch die kürzlich vorgestellte OECD-Studie „Dare
to Share“, auf die Sie Bezug nehmen . Diese stellt fest,
dass Deutschland in den vergangenen Jahren die Voraus-
setzungen für die Erwerbstätigkeit von Müttern deutlich
verbessert hat und wir eines der OECD-Länder mit der
dynamischsten Familienpolitik und mit der höchsten
Frauenerwerbsquote sind . Ich weiß, dass jetzt gleich der
Einwand kommt: Hohe Frauenerwerbsquote, schön und
gut, aber viele Frauen arbeiten immer noch in Teilzeit .
Ja, und? Sie reden doch immer von Vielfalt . Vielfalt
bedeutet für mich auch Wahlfreiheit, die Freiheit einer
Familie, zu entscheiden, welches Lebensmodell für sie
am besten ist . Und es bringt uns kein Stück weiter, wenn
wir immer noch in Rabenmütter und Heimchen am Herd
unterscheiden und die eine Mutter wie auch die andere
damit diskriminieren .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie sprechen von Aufwertung und Wertschätzung für
diejenigen, die Kindererziehung, Hausarbeit und Pflege
übernehmen . Dann dürfen Sie aber bitte nicht nur ein
Modell favorisieren, nämlich das der schnellen Rückkehr
in den Beruf und möglichst nur noch in Vollzeit .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, aber die Chancen dürfen wir auch nicht verbauen! Für alle anderen nicht!)


Viele Frauen entscheiden sich ganz bewusst, nur in Teil-
zeit zu arbeiten, weil sie ihre persönliche Erfüllung in der
Erziehung ihrer Kinder sehen, und immer mehr junge
Väter tun es ihnen gleich .


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Und warum entscheiden das weniger Männer?)


Schon im Artikel 6 Absatz 2 des Grundgesetzes ist fest-
gehalten, dass Eltern das natürliche Recht und die Pflicht






(A) (C)



(B) (D)


haben, ihre Kinder zu erziehen . Ich möchte nicht, dass
der Staat diese Aufgabe übernimmt .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das macht er auch nicht!)


Natürlich muss jeder persönlich immer sein finanzi-
elles Auskommen und seine Rente im Blick haben . Al-
tersarmut, besonders bei Frauen, müssen wir unbedingt
verhindern . Deshalb fordern wir von der CSU auch den
dritten Rentenpunkt für Mütter, die vor 1992 Kinder zu
Welt gebracht haben: Alle Mütter werden dann für ihre
Erziehungsleistung gleich behandelt . Das nenne ich
Gleichstellungspolitik, und ich lade Sie alle herzlich
dazu ein, uns hierbei zu unterstützen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, unsere Bun-
deskanzlerin unterstrich heute Morgen in ihrer Regie-
rungserklärung, dass unsere soziale Marktwirtschaft die
erfolgreichste in der EU ist . Die Steuereinnahmen sind
auf einem Höchstpunkt, und die Arbeitslosigkeit ist so
niedrig wie schon seit vielen Jahren nicht mehr . Das ist
ein Verdienst der Arbeitgeber und Arbeitnehmer in unse-
rem Land, und sie machen ihre Sache gut . Das verdan-
ken wir auch den vielen Frauen, die in den Unternehmen
ihre Frau stehen . Es steht außer Frage, dass Frauen in den
Spitzengremien großer Unternehmen immer noch unter-
repräsentiert sind, aber es ist auch deutlich: Die Quote
wirkt, auch wenn es manchen vielleicht etwas zu lang-
sam gehen mag .

Aber ich möchte auch betonen: Wir Frauen sind nicht
besser oder schlechter als Männer, wir sind anders .


(Marianne Schieder [SPD]: Wir sind schon besser!)


Und so sind wir auch anders in unserer Berufswahl . Män-
ner setzen da mehr auf hohes Einkommen oder Macht .
Uns Frauen ist Zufriedenheit und Spaß an der Arbeit
wichtiger, auch wenn das leider oft schlechter bezahlte
Jobs sind . Aber es wäre doch einmal eine gute Aufgabe
für die vielen Gewerkschaften, sich für die Vergütung der
sogenannten Frauenberufe starkzumachen . Meist sehe
ich in den Medien nur männliche Gewerkschaftsvertre-
ter, die sich für Piloten oder Lokführer einsetzen .

Auch von mehr Homeoffice-Plätze würden viele Fa-
milien profitieren. Dazu ist aber eine flächendeckende
Breitbandanbindung notwendig . In den Metropolen ist
das kein Problem, aber in den ländlichen Räumen schon .
Mit einem Internetanschluss von 3 000 Mbit/s kann man
keine vernünftige Arbeit verrichten . Das gilt für Ange-
stellte genauso wie für Selbstständige . Deshalb begrüße
ich ausdrücklich die Fördermittel aus dem Haus unseres
Bundesministers Alexander Dobrindt sowie die zusätzli-
chen Gelder der Bayerischen Staatsregierung .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Dobrindt ist der größte Feminist!)


Nicht zu vergessen unsere große Aufgabe: die Integra-
tion der Schutzsuchenden in unserem Land . Bildung ist

der beste Weg zur Integration, und er führt nur über das
Erlernen der deutschen Sprache .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber wir reden hier über Frauen und Gleichstellung! Damit hat Herr Dobrindt nichts zu tun!)


Und hier müssen wir ganz besonders darauf achten, dass
das auch den Frauen ermöglicht wird . Sie kommen meist
aus einer von Männern dominierten Gesellschaft . Be-
sonders hier müssen wir auf die Gleichberechtigung von
Frauen und Männern bestehen . Wenn ich dann aber wie
letzten Freitag in der Passauer Neuen Presse lesen muss,
dass ein polnischer EU-Abgeordneter allen Ernstes der
Meinung ist, dass „Frauen schwächer, kleiner und weni-
ger intelligent“ sind, dann sind wir leider davon noch ein
ganzes Stück entfernt .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und deshalb ungleich bezahlt werden müssen!)


Es zeigt uns aber wieder, dass Gesetze alleine nicht rei-
chen und dass die Gleichberechtigung von Mann und
Frau noch immer nicht in allen Teilen der Gesellschaft
angekommen ist .

Wie völlig absurd die Meinung dieses gewählten
Volksvertreters ist, zeigt das Beispiel der tollen Luft-
und Raumfahrtingenieurin Magdalena Pree aus Nieder-
bayern, die als erste deutsche Astronautin – fünf weitere
Frauen werden ihr folgen – zur ISS fliegen will.

Werte Kolleginnen und Kollegen, seien wir doch stolz
auf das, was wir schon alles erreicht haben, und hören
wir endlich auf, alles schlechtzureden . Natürlich gibt es
immer wieder etwas zu verbessern, und das ist auch gut
so . Sonst hätte die Opposition keine Arbeit mehr .

Vielen Dank .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg . Sönke Rix [SPD] – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht ganz einfach um Gerechtigkeit! Es ist keine Frage von Zeitverschiebung!)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822113000

Vielen Dank, Frau Kollegin . – Als Nächstes hören wir

die Kollegin Katja Kipping von der Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Katja Kipping (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822113100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestern

war der Internationale Frauenkampftag – ein Tag, an dem
wir daran erinnern, was noch alles zu erkämpfen ist . Im-
mer noch bekommen Frauen deutlich niedrigere Löhne .
Wir kennen die Zahl: 21 Prozent . Niedrigere Löhne füh-
ren zu niedrigeren Renten . Da muss man sich nicht wun-
dern, wenn die Altersarmut vor allem weiblich ist .

Hinter diesen unterschiedlichen Löhnen steht natür-
lich auch eine Wertung, nämlich die Unterstellung, dass
die Arbeit am und mit dem Menschen weniger profita-
bel ist als die Arbeit an den Maschinen . Wir Linke sind

Gudrun Zollner






(A) (C)



(B) (D)


überzeugt: Diese finanzielle Diskriminierung der Arbeit
mit den Menschen muss aufhören . Deswegen müssen die
Löhne in Pflege, Gesundheit und Bildung steigen, und
zwar gründlich .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich glaube, wenn man das ernst meint, muss man ran an
die schwarze Null; sie muss einfach weg .

Wenn wir über Geschlechtergerechtigkeit reden, Frau
Schwesig, so kann ich nur sagen: Sie sind gut darin, Sa-
chen zu thematisieren; aber wenn es konkret wird und
umgesetzt werden muss, auch finanziell unterfüttert
werden muss, lassen Sie sich immer wieder vom Koali-
tionspartner ausbremsen . Wer etwas für Frauen erreichen
will, wer wirkliche Gleichberechtigung will, der darf sich
nicht von der CDU/CSU ausbremsen lassen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Schauen wir uns die Situation im Wissenschaftsbe-
trieb an: Über die Hälfte aller Studierenden sind Frauen;
aber wenn es um die Habilitation, um Professorenstellen
geht, dann brechen die Quoten ein . Dort, wo es wirklich
um Einfluss geht, da wirken die gläsernen Decken. Die
Arbeitssituation an den Universitäten hat natürlich etwas
mit dieser Situation zu tun . Unterhalb der Professur gibt
es faktisch keine unbefristeten Arbeitsplätze, das heißt,
der Flaschenhals ist extrem eng . Soziale Unsicherheit,
fehlende Planbarkeit des Lebens, weil man sich immer
nur von einer befristeten Stelle zur nächsten hangeln
muss – all das erschwert, dass sich Frauen auf eine Karri-
ere im Wissenschaftsbereich einlassen . Deswegen sagen
wir: Das Gebot der Stunde für bessere Arbeitsbedingun-
gen im Wissenschaftsbereich, aber auch für mehr Profes-
sorinnen lautet ganz klar: Wir brauchen mehr unbefriste-
te Stellen im Wissenschaftsbereich, wir brauchen mehr
Planbarkeit, damit Frauen Karriere in der Wissenschaft
machen können .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zu den Wurzeln der Ungleichheit gehört meiner Mei-
nung nach die ungerechte Verteilung der Tätigkeiten zwi-
schen den Geschlechtern . Immer noch wird ein Großteil
der wunderbaren, liebevollen Familien- und Hausarbeit,
der Care-Arbeit, von Frauen getragen . Hier ist Umvertei-
lung angesagt . Es muss Schluss damit sein, dass man den
Männern diese liebevolle, schöne, sinnstiftende Tätigkeit
vorenthält . Das können wir den Jungs nicht weiter antun .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ein wichtiges Instrument ist dabei natürlich die Verkür-
zung der allgemeinen Arbeitszeit. Ja, ich finde, die Ar-
beitswoche der Zukunft muss die 30-Stunden-Woche
sein .


(Beifall bei der LINKEN – Marian Wendt [CDU/CSU]: 20! Wir gehen gar nicht mehr arbeiten!)


Von einer gerechteren Verteilung der Tätigkeiten profi-
tieren Männer wie Frauen und übrigens auch die Part-
nerschaft .

Weil Sie die wirkliche Wahlfreiheit angesprochen
haben: Ich finde, dazu gehört zuallererst, dass wir uns
von klassischen Rollenmustern befreien . Vor dem Hin-
tergrund ist es wichtig, dass es Initiativen wie „Eltern in
der Politik“ gibt, die darum streiten, dass politisches En-
gagement und aktive Elternschaft miteinander vereinbar
sind . Wir fordern Kinderzeit und politikfreie Sonntage .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Wenn wir uns von klassischen Rollenmustern befreien
wollen, müssen wir auch hinterfragen, was als wirklich
männlich gilt . Früher war es ja so, dass man als besonders
verantwortungsvoller Vater galt, wenn man besonders
viel Kohle nach Hause gebracht hat . Das ging eigentlich
immer damit einher, dass man besonders viel Zeit im Job
zugebracht hat . Diese Zeiten sollten vorbei sein .


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Am besten gar nicht arbeiten!)


Ich meine, Männer, für die es selbstverständlich ist,
dass sie mindestens 50 Prozent der Erziehungs-, Pflege-
und Hausarbeit übernehmen, sind die wahren Trendset-
ter . Das sind die wahren Helden des Alltags .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Danke!)


Ich möchte noch einmal ganz grundsätzlich werden .
Wir alle erleben es: Wer immer sich positiv zu Frauen-
rechten äußert, der muss mit einem Shitstorm rechnen,
nicht nur im Netz . Ja, wir erleben aktuell eine aggressive
antifeministische Mobilmachung . Allen Frauen, die sich
für Frauenrechte einsetzen, sei es im Betrieb, im Netz, in
der Redaktion oder auch in so mancher Fraktion, kann
ich nur sagen: Lassen wir uns durch diese aggressive
Mobilmachung nicht entmutigen! Halten wir es mit Clara
Zetkin, die angesichts vieler Widrigkeiten immer wieder
sagte: Jetzt erst recht!


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Um es zusammenzufassen: Die Frauenbewegung hat
wirklich viel erreicht . Früher konnte selbst der dümmste
sexistische Spruch noch mit schenkelklopfendem Beifall
rechnen . Diese Zeiten sind vorbei . Das ist gut . Immer
mehr Eltern wollen gleich viel Zeit mit den Kindern ver-
bringen . Hier hat man wirklich etwas erkämpft . Kom-
pliment! Hut ab vor der Frauenbewegung! Aber es gibt
immer noch viel zu tun .

Unsere Kämpfe um Geschlechtergleichgerechtigkeit
richten sich eben nicht ausdrücklich gegen Männer . Ganz
im Gegenteil: Wir streiten für eine Gesellschaft, in der
ein gutes Leben für alle möglich ist . Deswegen legen wir
uns mit allen Verhältnissen an, in denen der Mensch ein
geknechtetes Wesen ist .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)


Katja Kipping






(A) (C)



(B) (D)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822113200

Herr Kollege Sönke Rix von der SPD-Fraktion geht

jetzt als Mann in die Debatte rein . Bitte schön .

(Beifall bei der SPD)



Sönke Rix (SPD):
Rede ID: ID1822113300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Gestern war der Internationale Frauentag . Schönen Dank
an die Grünen, dass Sie uns diese Debatte heute ermög-
lichen . Schönen Dank auch für die Vorlage der beiden
Anträge . Natürlich kann man der Regierung vorwerfen:
Warum habt ihr keinen Antrag vorgelegt?


(Beifall der Abg . Ulla Jelpke [DIE LINKE])

Ich will es damit begründen: weil wir keine Anträge stel-
len, sondern weil wir Gesetze verändern .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir arbeiten nämlich gerade an einer großen Anzahl von
Gesetzen, die das Leben der Frauen besser machen, die
zu mehr Gleichstellung und zu mehr Gleichberechtigung
führen . Auf einige davon will ich eingehen, ebenso auf
einige, die wir bereits umgesetzt haben .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir nicht viel von gesehen!)


In dieser Wahlperiode haben wir sehr viel in Bezug
auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erreicht .
Wir haben nicht nur die Situation von Frauen durch die
Einführung des Elterngeldes Plus, der Familienpflege-
zeit und durch den Kitaausbau verbessert, sondern durch
„KitaPlus“ auch die Partnerschaftlichkeit verbessert;
Kollegin Kipping hat gerade darauf hingewiesen . Wir ha-
ben gesagt, wir wollen gesetzlich, also zum Beispiel über
Elterngeld Plus, mehr Partnerschaftlichkeit fördern, um
mehr Männer dazu zu drängen – manchmal muss man sie
vielleicht auch drängen –, sich mehr Zeit für ihre Famili-
en zu nehmen . Dazu formulieren wir keine Anträge, dazu
haben wir ein gutes Gesetz gemacht, liebe Kolleginnen
und Kollegen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben so viel Geld für den Ausbau von Kitas aus-
gegeben wie lange nicht mehr . Wir haben nicht nur quan-
titativ, sondern auch in die Qualität investiert . Auch das
trägt zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und
Beruf bei . Es kommt insbesondere Frauen zugute, weil
sie dann tatsächlich die Möglichkeit haben, berufstätig
zu sein . Da haben wir etwas auf den Weg gebracht . Da
sind wir noch nicht am Ende . Da kann noch viel mehr
passieren . In dieser Wahlperiode haben wir jedenfalls
sehr viel erreicht, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg . Paul Lehrieder [CDU/CSU])


Wir haben die Situation von Alleinerziehenden ver-
bessert . Wenn wir über arme Menschen sprechen, über
Menschen, die als Erstes von Armut betroffen sein könn-
ten, dann fallen uns immer sofort die Alleinerziehenden
ein. Die Große Koalition hat Maßnahmen getroffen, um

die Situation von Alleinerziehenden zu verbessern . Wir
haben beispielsweise den Entlastungsbetrag für Alleiner-
ziehende deutlich erhöht . Eine so deutliche Erhöhung hat
es noch nie gegeben, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Und es ist auch gut so, dass wir das gemacht haben .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es gibt eine Gesetzesvorlage zum Unterhaltsvor-
schuss . Gerade in der Woche, in der der Internationale
Frauentag begangen wird, hat eine Anhörung dazu statt-
gefunden . Wir wollen den Unterhaltsvorschuss maßgeb-
lich erweitern . Das entlastet insbesondere die alleiner-
ziehenden Frauen . Wie gesagt, Frau Göring-Eckardt, wir
brauchen keine Anträge, wir machen Gesetze .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf der Abg . Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ein weiteres Gesetz ist gerade im parlamentarischen
Verfahren . An den Beratungen sind auch Sie beteiligt .
Wir verbessern die Situation von Frauen im Mutter-
schutz . Wir verbessern die Situation der Frauen, die als
Studierende, als Schülerinnen Kinder bekommen, aber
auch die Situation von Müttern behinderter Kinder . Auch
das führt zur Verbesserung der Situation von Frauen .
Auch hierzu brauchen wir keinen Antrag; da machen wir
ein Gesetz, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hätten wir gerne heute beraten!)


Wir haben die Frauenquote – übrigens dankenswer-
terweise auch mit den Stimmen der Grünen – auf den
Weg gebracht . Sie müssen uns Sozialdemokraten doch
nicht darauf hinweisen, dass es da noch viel mehr zu tun
gibt, dass man da noch viel mehr erreichen kann . Aber
Sie wissen doch, in welcher Koalition wir sind und dass
wir einen Ausgleich finden müssen; das kennen die Grü-
nen aus Hessen sehr gut . Man kann mit der Union nicht
immer alles sofort durchsetzen; aber sie ist lernfähig . So
konnten wir in dieser Großen Koalition die Frauenquote
auf den Weg bringen, und das ist gut so, liebe Kollegin-
nen und Kollegen .


(Beifall bei der SPD)


Wir haben das Sexualstrafrecht reformiert . Dafür ha-
ben die Frauen, auch in diesem Parlament, jahrzehnte-
lang gekämpft . Aber das ist nicht gegen die Stimmen der
Koalition geschehen, Frau Göring-Eckardt, sondern mit
den Stimmen der Koalition . Tun Sie doch nicht so, als
hätten wir nichts gemacht! Die Reform war ein Meilen-
stein, und das ist gut so . Jetzt heißt Nein wirklich Nein,
und das haben insbesondere die Frauen hier im Parlament
fraktionsübergreifend erreicht, und zwar gemeinsam mit
der Großen Koalition . Herzlichen Dank dafür!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Jetzt sind wir dabei, auch die Situation bei der Be-
zahlung von Frauen und Männern zu verbessern . Frau
Schwesig hat ein Entgelttransparenzgesetz auf den Weg






(A) (C)



(B) (D)


gebracht, um Entgeltgleichheit zu erreichen. Das befin-
det sich derzeit im parlamentarischen Verfahren . Auch
hier wissen wir, liebe grüne Kollegen und liebe Kolle-
gen der Linkspartei: Wenn wir in einer anderen Koalition
wären, dann würden wir vielleicht auch in diesem Punkt
mehr erreichen . Wir machen aber einen ersten und sehr
wesentlichen Schritt: Wir gehen das Thema „Gleichstel-
lung bei den Löhnen“ erstmals gesetzlich an und sorgen
dafür, indem wir Transparenz herstellen . Auch das ist ein
Meilenstein .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, ist es nicht! Das reicht noch lange nicht!)


Ich bin dankbar, dass wir uns in der Großen Koalition da-
rauf einigen konnten, und dankbar, dass Frau Schwesig
den Gesetzentwurf auf den Weg gebracht hat, liebe Kol-
leginnen und Kollegen .


(Beifall bei der SPD)


Natürlich gibt es noch viel zu tun, und manchmal sind
am Ende eines gemeinsamen Weges die Gemeinsamkei-
ten aufgebraucht . Gerade was Arbeitszeitmodelle angeht,
sind wir als SPD-Fraktion sehr wohl dafür, die Familien-
arbeitszeit einzuführen, um tatsächlich dafür zu sorgen,
dass man sich die Arbeitszeit partnerschaftlich teilen
kann und so mehr Zeit für die Familie hat; denn beide El-
ternteile sind gefragt . 30 Stunden plus 30 Stunden sind ja
immer noch mehr, als wenn einer Vollzeit und der andere
gar nicht arbeitet . Von daher ist es richtig, dass Manuela
Schwesig auch dazu einen Vorschlag unterbreitet hat .
Wir arbeiten auch an diesem Vorschlag, liebe Kollegin-
nen und Kollegen .


(Beifall bei der SPD)


Das Bedrückende am Internationalen Frauentag ist –
alle meine Vorredner haben es angesprochen –, dass
vieles, was wir für selbstverständlich gehalten haben,
eben doch nicht mehr selbstverständlich ist . Gerade die
Populisten von rechts sind massiv unterwegs, die Frau-
enrechte, die Gleichstellung und die Gleichberechtigung
infrage zu stellen . Damit legen Sie ihre Axt nicht nur an
die Gleichstellung, sondern auch an die Demokratie .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg . Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, es muss uns gemein-
sam gelingen, die Populisten von rechts davon zu über-
zeugen, dass die Gleichheit der Menschen nicht nur für
Männer gilt, sondern natürlich für Frauen und Männer .
Wir werden es uns nicht bieten lassen, wenn sie an der
Gleichstellung rütteln wollen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Paul Lehrieder [CDU/CSU])



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822113400

Vielen Dank . – Jetzt spricht die Kollegin Dr . Claudia

Lücking-Michel von der CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Claudia Lücking-Michel (CDU):
Rede ID: ID1822113500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Wir verhandeln hier
heute das Thema Chancengerechtigkeit . Dazu liegen drei
Anträge vor, in denen es um viele verschiedene Anliegen
geht . Als Bildungs- und Wissenschaftspolitikerin will ich
die Anliegen aufgreifen, die sich mit der Situation in un-
serem Wissenschaftssystem befassen .

Erstes Stichwort: Geschlechterforschung . Das ist ein
Stichwort aus dem Antrag der Grünen . Ja, natürlich:
Sachlich-kritische Auseinandersetzung gehört zu jeder
Wissenschaftskultur, und selbstverständlich müssen wir
gegen jede Form von Diffamierung vorgehen, die gan-
ze Forschungsfelder und erst recht einzelne Forschende
betrifft. Das gilt auch und gerade für das Forschungsfeld
Geschlechterforschung . Wissenschaftsfreiheit ist ein ho-
hes Gut, das wir nicht infrage stellen .

Es gibt zudem selbstverständlich gute Gründe, auf
die Erkenntnisse der Geschlechterforschung zu setzen .
Sie befasst sich mit relevanten geschlechtsbezogenen
Unterschieden in den verschiedenen Forschungsfeldern,
und dass das wichtig sein kann, merkt man immer am
besten am Beispiel der medizinischen Forschung . Wenn
man da Geschlechterforschung nicht ernst nimmt, dann
kann das tödliche Folgen haben; denn Symptome und
Krankheitsverläufe sind bei Männern und Frauen durch-
aus sehr unterschiedlich . Für Männer und Frauen können
unterschiedliche Medikations- und Behandlungsformen
richtig sein . Es gilt wie immer: Richtig gute Spitzenfor-
schung braucht Diversität von Fragestellungen und Fra-
gestellern . Geschlechterforschung kann darüber hinaus
auch helfen, sich klarer darüber zu werden, was denn
die Voraussetzungen für wirkliche Chancengerechtigkeit
sind .

Damit zu meinem zweiten Stichwort: Chancengerech-
tigkeit in der Wissenschaft . Ja, es stimmt, Frauen sind an
Hochschulen und Forschungseinrichtungen immer noch
unterrepräsentiert . Es gilt auch die alte Binsenweisheit:
Je höher die Karrierestufe, je höher die Besoldung, je
mehr Macht und Möglichkeiten mit einer Aufgabe ver-
bunden sind, desto niedriger der Anteil der Frauen . Diese
Situation – da stimme ich vollkommen zu – ist nicht ak-
zeptabel; denn das ist weder gerecht, noch kommt man
damit zu wirklich exzellenten Ergebnissen in der Wis-
senschaft . Die Gründe für diese Situation aber sind sehr
vielfältig . Wer wirklich nachhaltig etwas verändern will,
der muss entsprechend vielfältig ansetzen .

Alle Erkenntnisse nutzen aber nichts, wenn sie nicht
umgesetzt werden . Aus den Projekten der BMBF-För-
derrichtlinie „Frauen an die Spitze“ sind teilweise sehr
konkrete Handlungsempfehlungen an die verschiedenen
Akteure der Wissenschaftscommunity hervorgegangen .
Lesen hilft! Es reicht aber nicht, wenn es dabei bleibt . Ich
würde sagen, an der Stelle haben wir in vielerlei Hinsicht
kein Erkenntnis-, sondern vor allen Dingen ein Umset-
zungsproblem .

Wie genau man aber hinschauen muss, zeigt vielleicht
folgender Hinweis . Gleich im dritten Absatz des Antrags
der Grünen heißt es – Zitat –:

Sönke Rix






(A) (C)



(B) (D)


Die Chancen eines männlichen Hochschulabsolven-
ten auf eine Professur sind nach wie vor höher als
die einer Hochschulabsolventin .

Vergleicht man dies mit den Zahlen derjenigen, die sich
um einen Lehrstuhl bewerben, dann gilt: Jede 18 . Frau,
aber nur jeder 26 . Mann ist dabei erfolgreich . Frauen
hätten demnach sogar die besseren Chancen . In unserem
Fachgespräch zur Chancengleichheit, das wir im Herbst
geführt haben, waren die Expertinnen einhellig der Mei-
nung, dass Berufungsverfahren an den Hochschulen
inzwischen – zum Beispiel dank standardisierter Leitli-
nien – in der Regel durchaus vorbildlich geschlechtersen-
sibel ablaufen . Das sollten wir auch einmal anerkennen .

Trotzdem spießt der Antrag der Grünen einen wichti-
gen Punkt auf und hat recht, wenn man die ganze Lauf-
bahn in den Blick nimmt . Jedenfalls bewerben sich in ab-
soluten Zahlen nach wie vor deutlich weniger Frauen auf
Professuren als Männer, und das, obwohl sie im Schnitt
mittlerweile schon 40 Prozent derjenigen ausmachen,
die eine Promotion erfolgreich abschließen . Das heißt
im Klartext: Nach der Promotion scheiden viel zu viele
Frauen aus dem Wissenschaftssystem aus und gehen ihm
mit ihren Talenten und Begabungen verloren .

Mein drittes Stichwort heißt deshalb: Vereinbarkeit
von Familie und Beruf . Ja, es stimmt, wir haben eine
ganze Reihe von Problemen, die wir angehen müssen;
aber ein großes ist nach wie vor die Vereinbarkeit einer
Wissenschaftskarriere mit der Verantwortung für die Fa-
milie . Das ist nach wie vor ein großes Thema, vor al-
lem für Frauen . Es sollte auch für junge Väter ein Thema
sein; allerdings sind es nach wie vor noch immer regel-
mäßig die Frauen, die stärker die Sorgearbeiten in der
Familie ausüben .

Die Strukturen der Arbeitswelt, zumal in der Wissen-
schaft – wir haben es jetzt schon mehrfach gehört –, sind
nicht familienfreundlich, nicht für die Mütter, aber auch
nicht für die Väter . Die Kultur der ständigen Verfügbar-
keit, die Idee eines Forschertypus, der allein und nur für
seine Forschungsarbeiten lebt, prägt leider nach wie vor
noch zu sehr die Wissenschaft .

Was tun wir bislang, um den erfolgreichen Kulturwan-
del in der Wissenschaft zugunsten der Eltern und ihrer
Familien zu beschleunigen? Ich nenne einige Beispiele:

Wir haben in vielen Zusammenhängen – Begabten-
förderung, BAföG – eine Verlängerungsmöglichkeit auf-
grund von Familienpflichten eingeführt.

Wir arbeiten mit Hochdruck an immer umfassenderen
Kinderbetreuungsmöglichkeiten .

Es gibt auch kluge Ideen, etwa über die Mittel der
DFG-Gleichstellungspauschale, Verwaltungs- oder La-
borunterstützung für schwangere Frauen oder zurück-
kehrende Elternteile zu finanzieren.

Es gibt planbarere Karrierewege . Wir haben ein refor-
miertes Wissenschaftszeitvertragsgesetz, neue Ideen für
ein Tenure-Track-Programm und – das will ich besonders
hervorheben – das von der Bundesregierung mittlerwei-
le schon in der zweiten Phase geförderte Professorin-
nenprogramm . Wir müssen es unbedingt ausweiten und

dafür sorgen, dass es für die jungen Frauen neben den
Perspektiven auf eine Professur in Zukunft auch Stellen-
möglichkeiten vor und neben einer Professur gibt .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Das ist alles gut und richtig . Wir sind uns wahrschein-
lich einig: Es hilft immer noch nicht genug und geht zu
langsam . Wir brauchen weitere kreative Ideen . Das be-
trifft vor allen Dingen Arbeitszeitmodelle und Möglich-
keiten zur kreativen Gestaltung des Arbeitsplatzes .

Als Beispiel möchte ich eine Idee vorstellen, die in
der Fraunhofer-Gesellschaft entwickelt wurde, die ja
durchaus Bedarf hat, ihre Frauenbilanz zu verbessern .
Dort hat man beispielsweise zwei verschiedene Kar-
rierewege entwickelt . Als Expert Scientist ist man von
Verwaltungsaufgaben befreit und kann Zeit und Ort der
eigenen Arbeit weitgehend selbst bestimmen . Wenn die
eigene Situation es wieder zulässt – etwa nach einer Fa-
milien- oder Pflegephase –, kann man dann in den Pfad
des Senior Scientists wechseln .

Mir ist an dieser Stelle die Botschaft wichtig: Mit gu-
ten rechtlichen Rahmenbedingungen können wir dafür
sorgen, dass – bei aller Wahlfreiheit der Einzelnen – El-
ternschaft nicht länger zum Hinderungsgrund für eine
wissenschaftliche Karriere wird .

Damit komme ich auch schon zum Schluss . Es ist gut,
dass wir uns heute aus Anlass des Weltfrauentages mit
Chancengerechtigkeit auch und gerade für Frauen be-
schäftigen .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, Dank an die Grünen!)


Noch wichtiger wäre mir aber, dass wir dieses Anliegen
auch die anderen 364 Tage im Jahr ernst nähmen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)


Frauen brauchen keine vereinfachten Zugangsbedin-
gungen oder spezielle Nachhilfe für wissenschaftliche
Karriere . Wir müssen ihnen keinen roten Teppich ausle-
gen . Aber wir müssen endlich die bestehenden Hürden,
die es für sie nach wie vor gibt, aus dem Weg räumen .
Das wäre gut für die Frauen, aber auch für die Qualität
unserer Wissenschaft .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822113600

Vielen Dank, Frau Kollegin . – Jetzt hat die Kollegin

Marianne Schieder von der SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Marianne Schieder (SPD):
Rede ID: ID1822113700

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir disku-
tieren, wie Sie schon gehört haben, heute gleich mehrere
Anträge der Opposition zur Gleichstellung von Männern

Dr. Claudia Lücking-Michel






(A) (C)



(B) (D)


und Frauen . Auch ich möchte mich vor allen Dingen auf
das Thema „Gleichstellung in der Wissenschaft“ konzen-
trieren, da ich genauso wie Frau Dr . Lücking-Michel dem
entsprechenden Ausschuss angehöre .

Das Grundanliegen der beiden dazu vorgelegten An-
träge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Frak-
tion Die Linke teilen wir . Gerade im Bereich von Wis-
senschaft und Forschung sind wir weit davon entfernt,
wirklich von gleichen Chancen für Männer und Frauen
sprechen zu können .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Komm, Marianne, wir machen das!)


Die Lage bessert sich . Doch der Fortschritt ist hier in der
Tat eine Schnecke .

Seit geraumer Zeit besuchen mehr Mädchen als Jun-
gen weiterführende Schulen und erreichen auch die bes-
seren Schulabschlüsse . Mit Ausnahme der Ingenieurwis-
senschaften sind Frauen in allen Studiengängen meist
gleich vertreten, wenn nicht sogar überrepräsentiert und
erreichen auch hier die besseren Abschlüsse . Also fragt
man sich: Wie kann es immer noch sein, dass Frauen in
den Führungsebenen unserer Universitäten, Hochschulen
und außeruniversitären Forschungseinrichtungen kaum
zu finden sind?

Sicher ist es so, dass Frauen, wenn sie überhaupt im
System bleiben, dann spätestens während der Promotion
und der Habilitation erfahren, dass sie es viel, viel schwe-
rer haben als ihre männlichen Kollegen . Der Wunsch –
es ist darauf hingewiesen worden –, Familie und Beruf
miteinander vereinbaren zu wollen, stellt junge Wissen-
schaftlerinnen vor die allergrößten Herausforderungen .
So viel zur Problemanalyse, bei der wir uns, wie gesagt,
schnell einigen können . Aber was folgt daraus?

Schaut man sich den Antrag der Linken an, dann stellt
man fest – das habe ich bereits bei der ersten Lesung,
aber auch im Ausschuss gesagt –: Dieser umfangreiche
Antrag ist ein Rundumschlag . Er fällt mehr unter die Ka-
tegorie „Wünsch dir was!“, als dass er sich eignen würde,
Wege aufzuzeigen, wie die Lage verbessert werden kann .


(Widerspruch bei der LINKEN – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Wie bitte?)


– Ja, es ist so . – Kompetenzverteilung und Zuständig-
keiten finden ebenso wenig Berücksichtigung wie die
Selbstverwaltungshoheit der betroffenen Einrichtungen.

Was ist das zum Beispiel für eine Forderung, die Poli-
tik der temporär befristeten Pakte zu beenden und dafür
als Bund die Grundfinanzierung für die Universitäten
deutlich anzuheben und auf hohem Niveau zu versteti-
gen?


(Cornelia Möhring [DIE LINKE]: Konkreter geht es doch gar nicht!)


Sie sollten die Rechtslage kennen, liebe Kolleginnen und
Kollegen . Nach der momentanen Rechtslage führt kein
Weg dorthin .


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Stimmt doch gar nicht!)


– Das stimmt schon . – Auch der Großteil der anderen
Forderungen ist einfach unrealistisch und reines Wunsch-
denken .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Gegensatz dazu
ist der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen sehr viel
brauchbarer .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auch nach meinem Dafürhalten wäre eine neue Diskus-
sion über Genderforschung sinnvoll .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich hoffe, da kommt kein Aber!)


Vor allen Dingen, lieber Kai Gehring – das kommt in die-
sem Antrag ein bisserl zu kurz –, wäre eine Diskussion
sinnvoll, wie die Genderforschung in allen relevanten
Forschungsbereichen eine selbstverständliche Berück-
sichtigung finden kann.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Auch für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemo-
kraten ist die Fortsetzung des Professorinnenprogramms
unbedingt nötig .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich bin der Meinung, dass man das Programm nicht nur
fortführen, sondern auch weiterentwickeln sollte .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann beschließen Sie es!)


– Ich komme darauf zu sprechen, lieber Kai . – Ich kann
mir beispielsweise vorstellen, das Programm auch für
Positionen vor und neben der Professur zu öffnen. Denn
in der Regel scheiden jungen Wissenschaftlerinnen nicht
erst kurz vor der Berufung zur Professorin aus dem
System aus . Bereits während der Promotion und in der
Postdocphase gehen zu viele Frauen verloren . Selbstver-
ständlich müssten die Mittel für das Programm bei seiner
Weiterführung aufgestockt werden .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist einfach Fakt:
Dieses Programm verhalf und verhilft nicht nur Frauen
zu einer Professur, sondern es hat auch maßgeblich dazu
beigetragen, dass das Thema Gleichstellung auf den Lei-
tungsebenen angekommen ist und dort verankert werden
konnte . Die breite Nutzung dieses Programms durch die
Hochschulen unterstreicht, wie gut es angenommen wird .

Zum Schluss möchte ich mich eindringlich an unseren
geschätzten Koalitionspartner wenden . Liebe Kollegin-
nen und Kollegen, ich finde es wirklich sehr, sehr schade,
dass wir heute nicht über einen Antrag von CDU/CSU
und SPD zum Thema „Wissenschaft und Gleichstellung“
diskutieren können . Auf diese Weise hätten wir auch die
Fortsetzung des Professorinnenprogramms beschließen
können . An der SPD – das möchte ich betonen – liegt
es nicht .


(Beifall bei der SPD)


Unser Antrag ist fertig . Ich kann nicht nachvollziehen,
warum die CDU/CSU sich hier verweigert . Mein Ange-

Marianne Schieder






(A) (C)



(B) (D)


bot steht nach wie vor . Noch ist Zeit für einen gemein-
samen Antrag, nicht mehr viel – das weiß ich –, aber sie
reicht noch aus . Vielleicht ist der eine oder der andere
ja durch die heutige Diskussion zu besseren Einsichten
gekommen .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822113800

Vielen Dank, Frau Schieder . – Ich schließe die Aus-

sprache .

Zusatzpunkte 6 und 7 . Interfraktionell wird Überwei-
sung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/11413 und
18/11412 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? –
Das ist der Fall . Dann sind die Überweisungen so be-
schlossen .

Zusatzpunkt 8 . Wir kommen zur Beschlussempfehlung
des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfol-
genabschätzung zu dem Antrag der Fraktion Die Linke
mit dem Titel „Geschlechtergerechtigkeit in der Wissen-
schaft durchsetzen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11447, den
Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/9667
abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenprobe! – Gibt es Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/
CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Stärkung der Arzneimittelversorgung

(GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz – AMVSG)


Drucksachen 18/10208, 18/10608, 18/10696
Nr. 1.5

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit (14 . Ausschuss)


Drucksache 18/11449

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache, sobald die Kolleginnen
und Kollegen von der SPD-Fraktion sich gesetzt haben .
Das Wort hat Michael Hennrich von der CDU/CSU-Frak-
tion . – Bitte schön .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michael Hennrich (CDU):
Rede ID: ID1822113900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Legislaturperiode neigt sich dem Ende zu,


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Na, na! Es sind schon noch ein paar Monate! – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Wir haben noch ein paar Monate!)


und wir rufen zum ersten Mal in größerem Umfang die
Arzneimittelthemen auf . Das liegt zum einen daran, dass
wir einen vorgelagerten Pharmadialog hatten, zum ande-
ren daran, dass wir mit Rabattverträgen, einem Festbe-
tragssystem und der frühen Nutzenbewertung ein System
etabliert haben, das nicht einfach zu verstehen ist, aber
gute Versorgung zu vernünftigen Preisen gewährleistet .
Dieses System wird von allen Beteiligten akzeptiert: von
Patienten, von Kassen, von Ärzten und von Herstellern .

Wenn ich mir die entsprechenden Anträge der Opposi-
tion anschaue, dann haben wir, wie ich glaube, auch hier
im Parlament einen großen Konsens, vor allem unter den
Gesundheitspolitikern, weil wir Patienten mit innovati-
ven Produkten versorgen, in der Regel zu vernünftigen
Preisen und so für die Industrie einen verlässlichen und
sicheren Rahmen vorgeben . Das ist ja im Kern auch die
Grundidee des AMNOG .

Wir haben in den letzten Wochen Diskussionen über
den Sinn und Unsinn des Pharmadialogs geführt . Ich will
ganz klar und deutlich sagen: Ich glaube, es war ein ganz
wichtiger Punkt, dass wir diesen Pharmadialog geführt
haben . Es gab ja Kritik nach dem Motto, da habe es Ver-
einbarungen zulasten Dritter gegeben . Ich denke, das Ge-
setzgebungsverfahren hat deutlich gemacht, dass wir als
Parlament stark genug sind, unsere eigenen Akzente zu
setzen . Beim Thema Vertraulichkeit ist uns das meiner
Meinung nach in vorbildlicher Weise gelungen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der Pharmadialog war auch deshalb wichtig, weil wir
der Pharmaindustrie in der vergangenen Legislaturperio-
de einiges zugemutet haben . Ich darf in Erinnerung rufen:
Wir haben mit dem AMNOG ein System etabliert, das ei-
nen echten Paradigmenwechsel darstellte . Wir haben die
Rabattverträge gestärkt . In der letzten Legislaturperiode
gab es darüber hinaus einen Herstellerabschlag in Höhe
von 16 Prozent . Wenn wir das alles zusammenrechnen,
kommen wir in den vier Jahren dieser Legislaturperio-
de auf ein Einsparvolumen von rund 20 Milliarden Euro .
Das ist der Grundstein dafür, dass die GKV heute immer
noch solide finanziert ist.

Wenn man sich anschaut, was wir in anderen Berei-
chen gemacht haben – ich weise nur auf die Sparbeiträ-
ge hin –, kann ich nur sagen: Es war richtig, dass wir
mit der Industrie über die Pharmapolitik diskutiert und
gemeinsam erörtert haben: Welchen Stellenwert hat die
Pharmaindustrie in Deutschland noch? Wir waren ja ein-
mal die Apotheke der Welt, und heute werden wir von
amerikanischen Pharmaunternehmen dominiert . Und
weiter: Wo liegen die zentralen Herausforderungen? Was
können wir machen? Wie können wir die Forschung stär-
ken? Welche Trends gibt es? Im Pharmadialog ging es
auch darum – ich glaube, das wird uns auch in Zukunft

Marianne Schieder






(A) (C)



(B) (D)


noch beschäftigen –: Wie vernetzt sich Forschung mit
Versorgung? Kommen wir am Ende vielleicht zu einem
System, in dem Forschung und Versorgung immer mehr
verschmelzen?


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich glaube, der Pharmadialog hat bei allen Beteilig-
ten zu einem Erkenntnisgewinn geführt . Wir sind damit
für die nächsten Jahre gut aufgestellt und können daran-
gehen, über die zentralen Herausforderungen zu disku-
tieren . Dass wir als Parlamentarier nicht daran beteiligt
waren, kann ich verschmerzen . Ich kann Ihnen ganz of-
fen sagen: Ich habe den Bericht gelesen . Da stand nichts
drin, was mir als Parlamentarier nicht vorher schon be-
kannt gewesen wäre .

Einer der Schwerpunkte im Gesetzgebungsverfahren
ist natürlich die frühe Nutzenbewertung . Ich glaube –
auch das hat der Pharmadialog gezeigt –, dass sich das
System bewährt hat und viele Probleme von der Selbst-
verwaltung gelöst wurden . Am Ende gab es zwei The-
men, über die wir intensiv diskutieren mussten: über die
europäische Referenzierung und die damit verbundene
Frage der Vertraulichkeit sowie über die chronischen Er-
krankungen. Ich sage ganz offen: Ich bin nicht sonderlich
traurig, dass die Vertraulichkeit der Arzneimittelpreise
nicht kommt .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie der Abg . Martina Stamm-Fibich [SPD])


Das hätte der Wähler im 21 . Jahrhundert, in dem alle über
Transparenz und Ähnliches reden, schlecht verstanden .
Ich glaube, wir alle können ganz gut damit leben, dass es
keine Vertraulichkeit der Arzneimittelpreise geben wird .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Und ich sage auch, dass das eine Barriere für das Arztin-
formationssystem gewesen wäre .

Ein ganz wesentlicher Baustein in diesem Gesetzge-
bungsverfahren war, einen Akzent im Bereich „Qualität
der Versorgung“ zu setzen . Auch hier wäre Vertraulich-
keit ein Hindernis gewesen . In Bezug auf chronische Er-
krankungen war es richtig, dass wir die Möglichkeit für
flexiblere Preise geschaffen haben. Deswegen glaube ich,
dass wir folgende zwei Punkte gut abgearbeitet haben:
Wir haben strukturelle Verbesserungen in Bezug auf den
Bestandsmarkt vorgenommen, und wir schauen, wie wir
mit Adaptive Pathways umgehen, um auch hier eine ent-
sprechende Antwort zu finden.

Wir wollten die Begleitdiagnostik und die personali-
sierte Medizin nach vorne bringen, sodass es am Ende
richtig war, zum Beispiel auf die Umsatzschwelle zu ver-
zichten . Wir wollen zwar keine Vertraulichkeit, aber wir
wollen mit diesem Punkt der Pharmaindustrie das klare
Signal geben, dass es für sie in Zukunft mehr Sicherheit
und einen verlässlichen Rahmen gibt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das Wichtigste ist aber, glaube ich, dass wir das The-
ma „Qualität in der Versorgung“ nach vorne bringen .
Ich habe schon das Stichwort „Arztinformationssystem“

genannt . Wir haben die Arzneimittelversorgung in den
zurückliegenden Jahren immer unter dem Aspekt Wirt-
schaftlichkeit und nicht unter den Aspekten Versorgungs-
sicherheit und Qualität diskutiert .

Wir haben beim Thema Antibiotika etwas gemacht,
und wir schauen, dass wir die Forschung im Bereich
Kinderarzneimittel intensivieren . Wir gehen das Thema
Lieferschwierigkeiten an, indem wir eine Meldepflicht
etablieren . Aber ich glaube, dass wir uns hier in Zukunft
vielleicht noch neuen Herausforderungen stellen müssen .
Wir haben das Thema Zytostatika-Versorgung gut gere-
gelt, und wir haben die Ausschreibungen für Impfstoffe
abgeschafft. Das sind ganz wesentliche Bausteine, die
die Qualität der Versorgung sicherstellen .

Zum Schluss möchte ich noch sagen: Wir haben ein
Signal an die mittelständische Industrie gesetzt, indem
wir nicht nur Politik für Big Pharma, sondern eben auch
für den Mittelstand gemacht und ihm Handlungsspielräu-
me eröffnet haben. Deswegen möchte ich mich an die-
sem Punkt auch ausdrücklich bei der SPD bedanken, die
sich sehr kooperativ gezeigt hat .

Ich glaube, dass wir hier ein rundes Paket geschaffen
haben, das uns Versorgungssicherheit und Planungssi-
cherheit für die nächsten Jahre gibt .


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Das ist ein Lob!)


Deswegen möchte ich mich bei allen Beteiligten herzlich
bedanken .

Danke für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822114000

Vielen Dank, Herr Kollege . – Nächste Rednerin ist

Frau Kathrin Vogler von der Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Kathrin Vogler (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822114100

Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute will die
Mehrheit von CDU/CSU und SPD in diesem Haus ein
Gesetz beschließen, das die Versorgung mit Arzneimit-
teln stärken soll . Schauen wir doch einmal genauer hin,
was jetzt tatsächlich geliefert wurde .


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Da bin ich aber mal gespannt!)


Der Gesundheitsminister Herr Gröhe hat sich mit
seinen Ministerkollegen für Wirtschaft und Forschung
zwei Jahre lang mit Industrievertretern getroffen, um den
Pharmastandort Deutschland voranzubringen . Schon von
der Anlage her war klar, dass hier nicht so sehr die Inte-
ressen der Patientinnen und Patienten und das Wohl der
Versicherten im Mittelpunkt stehen sollten, sondern eben
eine Standortpolitik .

So sah dann auch Ihr erster Gesetzentwurf aus . Die
Erstattungspreise für neue Medikamente, die die Kran-
kenkassen auf der Basis der Nutzenbewertung nach dem
ersten Jahr verhandeln, wollten Sie tatsächlich geheim

Michael Hennrich






(A) (C)



(B) (D)


halten . Damit sollten die Arzneimittelpreise in Deutsch-
land angeblich gesenkt werden, aber eben um den Preis,
dass bei unseren europäischen Nachbarländern keine In-
formationen über den realen Preis in Deutschland vorlie-
gen und sie darüber getäuscht würden, sodass sie dann
dort eben mehr als nötig bezahlen müssten . Ich sage
Ihnen ganz klar: Europäische Solidarität, wie sie Frau
Merkel und Herr Schäuble an anderer Stelle so gerne
im Munde führen, sieht für uns nun wirklich anders aus .
Deshalb haben wir von vornherein gesagt: Das geht gar
nicht .


(Beifall bei der LINKEN)


Im Gegenzug wollten Sie den Unternehmen eine klit-
zekleine Kostenbremse für die superteuren Medikamen-
te auferlegen . Erst ab einem Umsatz von 250 Millionen
Euro im ersten Jahr sollte der Preis nach den Preisver-
handlungen nachträglich rückwirkend gesenkt werden .
Von dieser Maßnahme wären aber nur sehr wenige Me-
dikamente betroffen gewesen. Wirkliche Einsparungen
für die Krankenkassen hätte das kaum gebracht . Nun ist
ja einerseits gegen eine solche Kostenbremse eigentlich
nichts einzuwenden . Ich habe mich aber immer gefragt:
Warum sollen eigentlich die Unternehmen im ersten Jahr
den Preis ganz allein festlegen?


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Weil Forschung wirklich viel Geld kostet! Das müssten Sie doch wissen!)


Um wirksam Kosten zu bremsen, hätte der Rabatt, den
die Kassen und die Unternehmen nach dem ersten Jahr
vereinbaren, ab dem Tag der Zulassung gelten müssen .
Nur so wäre es wirklich eine echte Bremse gewesen .


(Beifall bei der LINKEN)


Dann hätten sich die Unternehmen auch gut überlegen
müssen, ob sie Scheininnovationen – die den Patientin-
nen und Patienten nichts bringen, die Versicherten aber
mit hohen Kosten belasten – wirklich massiv in den
Markt drücken wollen . Statt aber diese Bremse nun rich-
tig scharf zu stellen, haben Sie sie kurzerhand komplett
gestrichen . Das ist, ehrlich gesagt, nicht zu fassen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Stattdessen verlängern Sie jetzt das Preismoratorium .
Das betrifft aber die neuen Medikamente gar nicht und
wirkt wie ein Rasenmäher . Auch eher niedrige Preise
dürfen nicht steigen, selbst wenn die Unternehmen höhe-
re Ausgaben bei den Löhnen und höhere Energiekosten
haben . Also, Politik für den Mittelstand, lieber Michael
Hennrich, sieht echt anders aus .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nun sagen Sie: Es sollte ja gar nicht primär um Kos-
teneinsparungen gehen, sondern um die Versorgungssi-
cherheit . – Wir haben in den letzten Jahren gerade bei
essenziell wichtigen Medikamenten immer wieder mit
Lieferengpässen zu tun gehabt. Auch Impfstoffe kamen
immer öfter nicht in den Arztpraxen und Apotheken an .

Zur Lösung dieser Probleme haben wir als Linke Ihnen
sehr konkrete Vorschläge gemacht .


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Aber nicht praxisnahe!)


Man könnte etwa die Hersteller gesetzlich verpflichten,
drohende Lieferengpässe frühzeitig zu melden und durch
Vorratshaltung von wichtigen Medikamenten Vorsorge
zu leisten .


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Das haben wir doch schon gemacht! Lesen Sie doch das Gesetz!)


Bei Verstößen gegen die Melde- und Vorratspflicht müss-
ten dann aber auch schmerzhafte Sanktionen drohen;
denn schließlich geht es hier um die Gesundheit der Be-
völkerung . Das aber wollen Sie nicht . Sie begnügen sich
mit einem sogenannten Jour fixe und mit völlig unver-
bindlichen Meldepflichten. Bei diesem Jour fixe wird das
Ministerium dann mit den Herstellern über die Engpässe
sprechen . Ich sage es einmal so: Schaden tut das nicht .
Aber hilft es?

Gestern haben wir im Ausschuss noch eine ganze Rei-
he von Änderungsanträgen beraten, die in der Gesamt-
schau das Gesetz eher verbessert haben, zum Beispiel mit
den Sonderregelungen für die Krankenhausapotheken .
Man sieht schon, dass es auch in der Koalition ein paar
Abgeordnete gibt, die daran arbeiten und sich bemühen,
dem Ministerium ein paar Fortschritte abzuhandeln .


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Das Lob könnte man netter formulieren!)


In einem Änderungsantrag folgen Sie sogar unserem
Vorschlag und beenden die Ausschreibungsverfahren der
Krankenkassen zumindest schon einmal bei den Impf-
stoffen. In der Begründung geben Sie auch zu, dass ex-
klusive Rabattverträge zu Lieferproblemen führen kön-
nen. Das ist, finde ich, ein schöner Erkenntnisfortschritt.
Darüber habe ich mich gefreut .


(Beifall bei der LINKEN)


Insgesamt aber ist das Gesetz aus unserer Perspekti-
ve nicht geeignet, die Arzneimittelversorgung wirklich
substanziell zu verbessern . Und gegen die Mondpreise
haben Sie nun gar nichts getan . Das ist leider eine ver-
schenkte Chance . Deshalb können wir auch trotz der po-
sitiven Ansätze nicht Ja zu diesem Gesetz sagen, sondern
uns nur enthalten .


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der SPD: Immerhin!)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822114200

Vielen Dank . – Der nächste Redner ist der Kollege

Dr . Karl Lauterbach von der SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Karl Lauterbach (SPD):
Rede ID: ID1822114300

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Zunächst einmal lautet die Frage, die berechtigt
gestellt wird: Ist das in Bezug auf die Arzneimittelversor-

Kathrin Vogler






(A) (C)



(B) (D)


gung ein Verstärkungsgesetz oder nicht? Ich will das an
drei Beispielen klarmachen .

Wir haben uns erstens sehr intensiv mit der Frage
beschäftigt: Sollten die verhandelten Arzneimittelprei-
se transparent bleiben, oder sollten sie vertraulich sein?
Dazu gibt es unterschiedliche Auffassungen. Im parla-
mentarischen Verfahren sind wir – wofür ich mich aus-
drücklich bei allen Beteiligten bedanken möchte – zu
dem Ergebnis gekommen, dass vertrauliche Preise nicht
zeitgemäß sind . Wir leben in einer Zeit, wo wir mehr
Transparenz in unserem Gesundheitssystem benötigen
und wo sowohl die Ärzte als auch die Patienten ein Recht
darauf haben, die Preise der verordneten Arzneimittel
zu kennen, sonst kann keine wirtschaftlich vernünftige
Verordnung getroffen werden und sonst kann der Patient
ein Medikament nicht wertschätzen . Außerdem wäre das
nicht nur für das Ausland von Bedeutung gewesen; denn
selbstverständlich sind die Informationen über hohe Prei-
se, die der Öffentlichkeit bekannt sind, auch ein Mittel,
das den Krankenkassen hilft, in den Verhandlungen über
die Arzneimittelpreise entsprechenden Druck aufzubau-
en .

Daher ist diese Transparenz ein zeitgemäßes und sinn-
volles Instrument, um im AMNOG-Verfahren überhaupt
zu guten, gerechten und angemessenen Preisen zu kom-
men . Das ist eine Verstärkung dieses Verfahrens . Wir
haben klipp und klar gesagt: Geheimpreise gehören dort
nicht hinein .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte zweitens ausdrücklich auf Folgendes hin-
weisen: Es ist ein unerträglicher Umstand, dass zwar in
den Apotheken fast alle Medikamente lieferbar sind – es
gibt in den Apotheken kaum Lieferengpässe –, dass aber
in den Krankenhausapotheken zwischen 30 und 50 Arz-
neimittel, die für die Patienten unbedingt notwendig
sind – fehlen diese Medikamente, kann das für die Pati-
enten lebensbedrohlich sein –, entweder nicht erhältlich
oder nur zeitweise erhältlich sind . Das ist ein Armuts-
zeugnis, insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass
der Patient, wenn er diese Medikamente nicht bekommt,
weil sie nicht lieferbar sind, dies nie erfährt .

Ein Beispiel: Ein krebskrankes Kind wird in einem
solchen Fall mit einer Kombinationstherapie behandelt,
die nicht optimal ist, weil das entsprechende Medika-
ment, zum Beispiel Alkeran, nicht vorrätig ist . Die El-
tern und das Kind erfahren nie, dass auch eine andere
Behandlung sinnvoll gewesen wäre . Gleichzeitig werden
diese Medikamente teilweise im Ausland zu höheren
Preisen noch verkauft, oder sie werden beim Großhandel
gelagert, um sie für niedergelassene Onkologen über die
Lieferkette bereitzustellen . Das sind unhaltbare Zustän-
de. Das haben wir abgeschafft.

Wir haben drittens eine Verpflichtung zur Meldung
eingeführt . Wir haben darüber hinaus den Krankenhäu-
sern die Möglichkeit gegeben, sich zu bevorraten, wenn
der Hersteller nicht liefern kann. Er ist verpflichtet, dies
zu melden . Das Krankenhaus kann sich für einen Zeit-
raum von über 14 Tagen bevorraten . Das ist eine drama-

tische Sanktion, weil die Hersteller, die liefern könnten,
dies aber nicht tun, dadurch einen Kunden verlieren . Der
Kunde, in diesem Fall das Krankenhaus, kann sich dann
im Ausland die Medikamente besorgen . Somit wenden
wir die Bedrohung vom Patienten ab und halten eine ent-
sprechende Sanktion bereit .

Das Arzneimittelgesetz hätte eine wirtschaftliche
Sanktion in Höhe von maximal 25 000 Euro zugelassen .
Die Sanktion, die wir jetzt beschlossen haben, geht weit
darüber hinaus und beinhaltet klare Verantwortlichkei-
ten . Ich glaube, das ist auf jeden Fall ein Schritt in Rich-
tung Versorgungsstärkung im Arzneimittelbereich .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Abschließend möchte ich sagen: Ich persönlich be-
trachte es auch als eine Verstärkung der Versorgung,
wenn in den Arztinformationssystemen demnächst nicht
nur die Preise, sondern auch die Leitlinien, die Thera-
piealternativen, die entsprechenden Bewertungen des
AMNOG-Verfahrens durch das IQWiG so präsent sind,
dass sie der Arzt elektronisch schnell und in einer ver-
ständlichen Art und Weise abrufen kann . Wir dürfen uns
nicht täuschen: Oft ist tatsächlich die Praxissoftware
die einzig belastbare und rasch zur Verfügung stehende
Quelle für einen Arzt, um sich zu informieren . Wenn
ein Arzt anhand der Software die Kosten eines Medika-
ments, die wissenschaftliche Bewertung des IQWiG und
die Therapiealternativen sieht, dann ist er auf der Grund-
lage des besten wissenschaftlichen Stands in der Lage,
eine Entscheidung zu treffen.

Diese Möglichkeit war bisher nur im Ausnahmefall
möglich und wurde von den Herstellern, die die not-
wendigen Informationen nur sehr zögerlich zur Verfü-
gung gestellt haben, zum Teil unterlaufen . Das ist eine
deutliche Verbesserung für die Ärzte . Das ist eine deut-
liche Verbesserung der Arzneimittelsicherheit . Das wird
im Übrigen auch dazu führen, dass die auf Basis des
AMNOG verhandelten Preise und die Nutzenbewertun-
gen mehr Einfluss auf die Versorgung haben. Auch hier
sehe ich eine Verbesserung im Vergleich zu vorher .

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822114400

Vielen Dank, Herr Kollege . – Das Wort hat nunmehr

Frau Kordula Schulz-Asche von Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was vor
zwei Jahren mit dem sogenannten Pharmadialog begann,
findet nun heute sein vorläufiges Ende im sogenannten
Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz, das hier heute
zur Abstimmung steht . Nach zwei Jahren Dialog und ei-
nem Jahr Beratung im Parlament ein solches Gesetz vor-
zulegen, halte ich für einen schlechten Scherz .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dr. Karl Lauterbach






(A) (C)



(B) (D)


Das Gesetz zeigt, wie unter einer Großen Koalition Re-
formstillstand dazugehört, und dies gerade im so wichti-
gen Bereich der Versorgung von Patientinnen und Patien-
ten mit Arzneimitteln .

Wir hatten schon immer befürchtet, dass der Pharma-
dialog der Großen Koalition scheitern wird . Unter Aus-
schluss der Öffentlichkeit diskutierten drei Ministerien,
zwei von der CDU und eines von der SPD geführt, ge-
meinsam mit der Pharmaindustrie über Mittel und Wege,
die Arzneimittelforschung und den Wirtschaftsstandort
Deutschland zu stärken . Nur am Katzentisch, wenn sie
überhaupt beteiligt waren, saßen die Krankenkassen, die
Patientenvertreter, die Zivilgesellschaft, unabhängige
Experten und die Bundestagsabgeordneten als Vertreter
der gesetzgebenden Gewalt .

Das Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz wird
heute mit seiner Verabschiedung ein Beleg dafür sein,
dass der Pharmadialog gescheitert ist; denn die komple-
xen Herausforderungen der Arzneimittelversorgung sind
wieder nur vertagt worden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was steht denn überhaupt in diesem Bauchladen, in
diesem Gesetz? Das Preismoratorium für Arzneimit-
tel, die vor 2011 auf den deutschen Markt kamen, wird
nun bis Ende 2022 verlängert . Auch ich halte das für
einen unvermeidbaren Schritt, um die derzeitige Arznei-
mittelversorgung überhaupt bezahlbar zu halten . Aber
wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass dies kein
nachhaltiger Schritt ist und vor allem kleine und mittle-
re pharmazeutische Hersteller treffen wird, die die stei-
genden Lohnkosten durch die seit Jahren fixierten Preise
nicht abbilden können .

Außerdem werden die Rabattverträge abgeschafft, die
bisher zwischen den Krankenkassen und Zytostatika-her-
stellenden Apotheken geschlossen wurden . Die neuen In-
strumente sind hinsichtlich der Versorgung jedoch nicht
ausreichend durchdacht . Unklar bleibt, wie die Qualität
für die Patienten mit Krebserkrankungen auf Dauer gesi-
chert werden kann .

Meine Damen und Herren, das Vertrauensverhältnis
zwischen Patienten, Onkologen und Apotheken ist zen-
tral für eine erfolgreiche Behandlung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bei einem Markt mit einem Umsatz von 3 Milliarden
Euro pro Jahr muss man darauf achten, dass auch die
Korruptionsanfälligkeit wirklich ausgeschlossen ist .

Es gibt ein paar richtige Korrekturen, die vorgeschla-
gen werden . Dazu zähle ich die Anhebung der Apothe-
kenvergütung um rund 110 Millionen Euro, den verstärk-
ten Einsatz von Diagnostika in der Antibiotikatherapie,
um Resistenzen zu vermeiden, die Einführung des Arzt-
informationssystems – das ist gerade schon angespro-
chen worden –, damit die Nutzenbewertung endlich auch
in der Arztpraxis ankommt und somit die Patientenver-
sorgung gestärkt werden kann .

Doch kommen wir zurück zu den vermeintlichen
Versprechen des Pharmadialogs . Erst in dieser Woche,
in letzter Minute, wurden zwei wesentliche Regelungen

aus dem AMVSG entfernt . Die Umsatzschwelle, die die
Kosten für neue, innovative Arzneimittel im ersten Jahr
der Markteinführung begrenzt hätte, kommt nicht . Die
Schwelle war mit 250 Millionen Euro ohnehin so hoch,
dass sie im letzten Jahr nur bei drei Medikamenten wirk-
sam geworden wäre . Anstatt die Schwelle abzusenken,
wird die Regelung ganz gestrichen . Das ist wirklich un-
glaublich; denn das ermöglicht den Herstellern, im ersten
Jahr der Markteinführung weiter unbegrenzt die Preise
festzusetzen, die sogenannten Mondpreise . Das hätte
wirklich nicht passieren dürfen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wenn wir die Preise gerade bei innovativen Medika-
menten nicht in den Griff bekommen, dann werden ent-
weder die Krankenkassenbeiträge explodieren, oder es
werden immer mehr Patienten von der Versorgung aus-
geschlossen . Deswegen fordern wir ganz deutlich, dass
die zwischen Kassen und Herstellern ausgehandelten
Rabatte vom ersten Tag der Markteinführung an gelten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Gestrichen wurde – glücklicherweise, muss man sa-
gen – die Abschaffung der Transparenz der ausgehan-
delten Erstattungspreise . Diese Transparenz führt dazu,
dass die in Deutschland ausgehandelten Preise auch in
anderen Ländern als Referenzpreis dienen . Peinlich für
die Bundesregierung ist nur, dass es ohnehin das einzige
positive Ergebnis aus dem Pharmadialog für die Phar-
maindustrie war, und das streichen Sie auch noch, meine
Damen und Herren . Das einzige Ergebnis des Pharmadi-
alogs ist seit Anfang dieser Woche Geschichte .

Mittelfristig ist die Gesundheitsversorgung mit dem
vorliegenden Gesetz nicht auf dem heutigen Stand zu
halten. Sie haben es noch nicht einmal geschafft, dass
alle damit zufrieden sind .

Herr Gröhe hat gestern hier an dieser Stelle gesagt:
Das Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz ist ein Ge-
samtkunstwerk . – Das ist es weiß Gott nicht . Es ist ver-
tane Zeit für alle Beteiligten gewesen . Der Pharmadialog
ist ein Dialog nach dem Motto gewesen: Außer Spesen
nichts gewesen .

Ich danke Ihnen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822114500

Vielen Dank, Frau Kollegin . – Der nächste Redner ist

Reiner Meier von der CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Reiner Meier (CSU):
Rede ID: ID1822114600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Im vergangenen Jahr haben unsere gesetzlichen Kran-
kenkassen einen Überschuss von 1,38 Milliarden Euro
erzielt . Das ist bemerkenswert; denn wir haben an meh-

Kordula Schulz-Asche






(A) (C)



(B) (D)


reren Stellen die Leistungen für die Versicherten deutlich
verbessert . Die gute Finanzsituation der Kassen ist damit
Ausdruck einer verantwortungsvollen Ausgabenpolitik,
die wir betreiben .

Verantwortung heißt aber auch, das große Ganze
in den Blick zu nehmen . Neben der optimalen Versor-
gung der Patienten gehören dazu wirtschaftliche und
forschungspolitische Überlegungen; denn mit weit über
100 000 Arbeitsplätzen in der Pharmaindustrie steht uns
ein großer Arbeitgeber und ein bedeutender Partner für
unsere Hochschulen und unsere Forschung gegenüber .
Damit das so bleibt, hat die Bundesregierung erfolgreich,
Frau Schulz-Asche, einen Pharmadialog geführt, den wir
mit dem Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz in we-
sentlichen Teilen umsetzen .


(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können Sie die noch mal aufzählen?)


Es ist parlamentarischer Usus, dass kein Gesetzent-
wurf den Bundestag so verlässt, wie er ihn erreicht hat .
Ich meine aber, dass wir beim AMVSG am Ende ein
noch besseres Paket geschnürt haben . So wird die Resis-
tenzsituation künftig bei den Festbeträgen für Antibiotika
berücksichtigt . Ähnliches gilt für kindgerechte Medika-
mente . In diesem Bereich stellen wir zudem klar, dass
Arzneimittel, die nur für Kinder und Jugendliche erstattet
werden können, von der Nutzenbewertung befreit wer-
den .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Damit schaffen wir verlässliche Anreize für die Entwick-
lung von Antibiotika und Kinderarzneimitteln .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mit dem Ende der Exklusivverträge bei Zytostatika
tragen wir dem Umstand Rechnung, dass gerade in der
Krebstherapie Ärzte und Apotheker zusammenarbeiten
müssen . Hier muss die Sicherheit der Krebspatienten an
erster Stelle stehen . Ebenso stärken wir mit dem Gesetz
die Transparenz . Dies gilt bei Lieferengpässen, die nun
einer Meldepflicht unterliegen, aber auch bei der Listung
der Erstattungsbeträge .

Transparenz steht auch hinter dem Arztinformations-
system . Künftig verfügen unsere Ärzte über eine zen-
trale Informationsquelle rund um alle Arzneimittel . Es
geht weder darum, Werbung für neue Medikamente zu
machen, noch darum, Ärzte zu billigeren Verordnungen
zu drängen . Alleiniges Ziel ist es, den Ärzten eine stets
aktuelle Übersicht über Präparate und das geltende Recht
an die Hand zu geben . Ich sage ganz klar: Die Therapie-
freiheit steht für uns nicht zur Debatte .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Etwas ist mir persönlich besonders wichtig, nämlich
die Abschaffung von Ausschreibungen bei Impfstoffen.
Gemeinsam mit dem Kollegen Irlstorfer kämpfe ich
schon seit Jahren für eine bessere Impfquote . Durch die
Ausschreibungen waren oft nur noch die Impfstoffe der
erfolgreichen Bieter in Deutschland erhältlich . Dadurch
kam es immer wieder zu Engpässen, wenn der Hersteller

nicht liefern konnte . Künftig stehen in der Versorgung
alle zugelassenen Impfstoffe zur Verfügung. Wer eine
Schutzimpfung will, muss keine Engpässe mehr fürch-
ten . Das ist wirklich eine gute Nachricht .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, vor vielen Jahren sag-
te man noch: Deutschland ist die Apotheke der Welt . –
Apotheke, nicht Versender . Heute werden auf der ganzen
Welt neue, innovative Medikamente entwickelt . Mit dem
vorliegenden Gesetzeswerk bringen wir diese Fortschrit-
te zu den Patienten und stärken gleichzeitig die Entwick-
lung und Produktion von Arzneimitteln in unserem Land .

Auch wenn wir im Parlament bisweilen Kompro-
misse finden müssen, bin ich davon überzeugt, dass das
AMVSG ein gutes und ausgewogenes Gesamtpaket ist,
eines, das die Arzneimittelversorgung in unserem Land
sachgerecht und sinnvoll weiterentwickelt . Deshalb bitte
ich Sie um Zustimmung zu diesem Gesetz .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822114700

Vielen Dank, Herr Kollege Meier . – Jetzt hat das Wort

Martina Stamm-Fibich von der SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Martina Stamm-Fibich (SPD):
Rede ID: ID1822114800

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Verehrte Besucher und Besucherinnen! Fast
zwei Jahre – wir haben es gehört – haben Vertreter der
Pharmaindustrie und der Bundesregierung im Pharma-
dialog verhandelt . Diese Form der Gespräche war unter
demokratischen Gesichtspunkten eher ungewöhnlich . So
waren weder die Krankenkassen noch die zuständigen
Berichterstatter der Fraktionen beteiligt . Auf den Punkt
gebracht: Wir Abgeordnete waren nicht Teil des Dialogs,
mussten aber jetzt über das Gesetz beraten . Absprachen,
die im Pharmadialog getroffen wurden, sind jedoch für
uns Abgeordnete nicht bindend . Frau Kollegin Schulz-
Asche, Gesetze werden eben hier gemacht . Das ist, glau-
be ich, auch gut so .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben mit dem Arzneimittelversorgungsstär-
kungsgesetz als Ergebnis des Pharmadialogs einen ver-
nünftigen Kompromiss erarbeitet und einen eigenen
Fokus auf Transparenz und Qualität in der Versorgung
gelegt. Folgende Änderungen finden wir als SPD-Frakti-
on besonders begrüßenswert:

Seit Einführung des AMNOG im Jahre 2011 sind alle
neuen, innovativen Epilepsie-Medikamente an der frü-
hen Nutzenbewertung gescheitert . Der Epilepsie Bun-
des-Elternverband hat sich deshalb Mitte des Jahres 2015
mit einer Petition an den Deutschen Bundestag gewandt .

Reiner Meier






(A) (C)



(B) (D)


Mit dieser Petition wurde eine Reform des AMNOG ge-
fordert, damit die Versorgung aller therapieresistenten
Menschen mit der Krankheit Epilepsie mit neuen Medi-
kamenten sichergestellt wird. Die Petition befindet sich
immer noch in der Prüfung . Wir haben aber mit diesem
Gesetz jetzt eine Lösung zum Wohle dieser Patientinnen
und Patienten gefunden; denn künftig können Hersteller,
deren Medikament keinen Zusatznutzen hat, auch nach
der Marktrücknahme mit den Krankenkassen über einen
Erstattungsbetrag verhandeln .

Wir gehen hier aktuell von rund 2 500 Betroffenen
aus, die ihr Medikament aus dem europäischen Ausland
erhalten, weil es auf dem deutschen Markt nicht mehr
verfügbar ist . Epileptiker sind ein Beispiel für betrof-
fene Patientinnen und Patienten; denn bei Krankheiten
wie Epilepsie sprechen wir über Medikamente, die sehr
individuell ansprechen . Zudem müssen diese Patienten
häufig eine Vielzahl von Medikamenten einnehmen, und
dabei kommt es oft zu Wechselwirkungen .

Je größer die Bandbreite der auf dem Markt exis-
tierenden Arzneimittel ist, desto größer ist folglich die
Wahrscheinlichkeit, dass Patienten das für sie individu-
ell richtige Medikament finden und damit anfallsfrei und
selbstbestimmt leben können . Mit dem Arzneimittelver-
sorgungsstärkungsgesetz haben wir jetzt die Chance ge-
nutzt und diese Rahmenbedingungen so geändert, dass
Menschen mit chronischen Erkrankungen besser ver-
sorgt werden können .

Auch im Bereich der Kinder- und Jugendgesundheit
konnten wir viele Verbesserungen erzielen . Seit rund
20 Jahren verweisen Experten auf das Problem der un-
zureichenden Arzneimittelversorgung für Kinder und
Jugendliche . So sind etwa immer noch 20 Prozent der
Arzneimittelverordnungen im ambulanten und beinahe
70 Prozent der Verordnungen im stationären Bereich
außerhalb oder ohne eine formale Zulassung . Die Arz-
neimittelsicherheit für Kinder und Jugendliche muss ge-
stärkt werden . Deshalb begrüßen wir ausdrücklich die im
Gesetz verankerte Übertragung von Evidenz bei Kinder-
arzneimitteln .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Auch die Neuerung im Bereich Festbetrag begrüßen
wir; denn die bestehenden Festbetragsregelungen führen
dazu, dass nicht ausreichend Arzneimittel mit neuen al-
ters- und kindgerechten Darreichungsformen, also Säften
und Lösungen, zur Verfügung stehen . Um dem entgegen-
zuwirken, haben wir eine gesonderte Berücksichtigung
altersgerechter Darreichungsformen für Kinder bei der
Bildung von Festbetragsgruppen beschlossen .

Der Markt für Kinderarzneimittel ist deutlich kleiner
und damit weniger profitabel als der Markt für Erwach-
senenmedikamente . Die Marktkräfte allein reichen hier
leider nicht aus, um die Entwicklung von Medikamenten
für Kinder voranzutreiben . Deswegen haben wir als Ge-
setzgeber eine Hilfestellung geschaffen. Von Anfang an
haben wir hier Verbesserungen gefordert .

Wir fordern gemeinsam mit den Kollegen von der
Union endlich die Abschaffung der Impfstoffausschrei-
bungen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Tino Sorge [CDU/CSU]: Da sind wir uns doch mal einig!)


Impfungen sind eine gesamtgesellschaftliche Aufga-
be und der beste Schutz vor schwerwiegenden Infekti-
onserkrankungen . Über das Ziel einer hohen Durchimp-
fungsrate besteht gesellschaftlicher und überparteilicher
Konsens . Aber noch immer sind die Impfquoten in
Deutschland viel zu niedrig . Gerade bei der Grippe sind
wir weit davon entfernt, das EU-Ziel von mindestens
75 Prozent geimpfter Senioren zu erreichen .

Die Ärzteschaft fordert bereits seit 2014 die Abschaf-
fung der Ausschreibung von Impfstoffen. Zuletzt kam es
beim Grippeimpfstoff wirklich vermehrt zu Liefereng-
pässen; aber auch bei verschiedenen Standardkinderimp-
fungen gab es Engpässe . Das verunsichert die Patienten .
Wir schaffen nun die Ausschreibungen ab und fördern
damit die Versorgungssicherheit und langfristig sicher
auch höhere Impfquoten .

Last, but not least haben wir auch die Honorare der
Apotheker für Rezeptur- und BtM-Gebühren um rund
100 Millionen Euro erhöht .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Gesundheits-
ausgaben sind auch im Jahr 2015 gestiegen . Insgesamt
haben sich die Ausgaben im Vergleich zum Vorjahr um
15 Milliarden Euro erhöht . Laut Statistischem Bundes-
amt ist im Jahr 2015 mehr als jeder neunte Euro für Ge-
sundheit ausgegeben worden . Das ist erfreulich; denn die
Gesundheit scheint einen hohen Stellenwert zu genießen .
Immer mehr Menschen nehmen ihre Gesundheit ernst .
Sie achten auf Ernährung, integrieren Sport in ihren All-
tag und interessieren sich für die medizinische Vorsorge .
Das ist richtig und wichtig; denn jeder Euro, der der Ge-
sundheit der Bürger nutzt, ist gut angelegt .


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Deshalb werden wir auch alle älter! Das ist gut!)


Aber perspektivisch sollten wir darüber nachdenken,
ob wir innerhalb der EU weiter das einzige Land sein
wollen, in dem alle neu zugelassenen Arzneimittel zu-
nächst zum Wunschpreis der jeweiligen Hersteller in den
Markt eingeführt werden können . Um für Patientinnen
und Patienten langfristig den Zugang zu einer modernen
Arzneimitteltherapie und zu echten Innovationen erhal-
ten zu können und gleichzeitig die Finanzierbarkeit si-
cherstellen zu können, müssen wir weiter an einem aus-
gewogenen Ausgleich der Interessen arbeiten .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822114900

Vielen Dank, Martina Stamm-Fibich . – Schönen

Nachmittag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das war
jetzt der zweite Wechsel zu mir. Ich hoffe, ich sehe Sie

Martina Stamm-Fibich






(A) (C)



(B) (D)


heute Nacht um eins auch – da bin ich wieder dran –; ich
würde mich sehr freuen . Vielleicht brauchen wir da die
Gesundheitsexperten sowieso .


(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir kommen dann extra wegen dir noch mal vorbei!)


Ich sehe, dass die Abdeckung an den Plätzen immer
noch nicht wieder angebracht worden ist . Das kommt
auch noch . Zwei Kolleginnen sitzen sozusagen im Frei-
en .

Letzter Redner in dieser Debatte: Thomas Stritzl für
die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Thomas Stritzl (CDU):
Rede ID: ID1822115000

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich darf den Zuschauern sagen: Das Dach ist
dicht .

Lassen Sie mich ein paar Anmerkungen machen; fast
alles ist schon erwähnt worden . – Die Initiative des Bun-
desgesundheitsministers und dieser Koalition, den Ge-
sprächsfaden zur Pharmabranche nach den Erfahrungen
einer ganzen Legislaturperiode mit dem AMNOG qua-
lifiziert wieder aufzunehmen, war gut und folgerichtig.


(Beifall des Abg . Erich Irlstorfer [CDU/ CSU])


Diesen Faden fortzuspinnen, erscheint mir genauso an-
gezeigt, wie es mir ratsam erscheint, in dieser Frage eine
geeignete Gesprächsebene mit dem Hohen Haus selbst
zu finden.

Es ist angesprochen worden, Frau Kollegin, dass das
Gesetz heute eine andere Fassung als bei der Einbrin-
gung hat .


(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit Montag eigentlich schon!)


Dass das so ist, finde ich auch richtig; denn sonst würde
man ja sagen: Parlamentarische Beratungen haben gar
keinen Wert . – Die Punkte sind auch ein bisschen schwie-
riger, als sie manchmal zu sein scheinen .

So haben wir jetzt – Sie haben darauf hingewiesen –
keine Preisvertraulichkeit mehr . Die forschende Industrie
sieht darin einerseits einen Wettbewerbsnachteil auf in-
ternationaler Ebene; auf der anderen Seite sieht sie den
Weg zur Eindämmung des versorgungsgefährdenden Pa-
rallelhandels verbaut . Andere feiern das, wie gehört, als
Gewinn für mehr Transparenz . Bei der Einbringung des
Gesetzes im November 2016 haben die Kolleginnen und
Kollegen von der Linken gar eine zutiefst antieuropäi-
sche Einstellung des Ministers vermutet .


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Mit was?)


– Natürlich zu Unrecht . – Ich darf mit Genehmigung der
Frau Präsidentin einmal kurz zitieren .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822115100

Ja .


Thomas Stritzl (CDU):
Rede ID: ID1822115200

Ein für die Fachöffentlichkeit zugängliches Ver-
zeichnis mit Listenpreisen und entsprechenden Ra-
batten existiert – bis auf die deutschen Erstattungs-
beträge – bisher leider nicht .

Dieses Zitat stammt aus einer Publikation des Wissen-
schaftlichen Instituts der AOK .

Wie Sie aus der Anhörung, die Sie sicherlich verfolgt
haben, mitbekommen haben, hat Frau Dr . Vogler als Ein-
zelsachverständige ausgeführt, dass immer mehr euro-
päische Staaten dazu übergegangen seien, vertrauliche
Rabatte zu vereinbaren, um der Bevölkerung Zugang zu
hochpreisigen Medikamenten zu gewähren . Das sei ein
Trend, den wir in den letzten Jahren gesehen hätten . In
einer Erhebung, die 2011 von ihrem Behördennetzwerk
gemacht worden sei, hätten damals 25 von 31 Ländern
gesagt, dass sie vertrauliche Rabatte bei bestimmten Pro-
dukten haben .

Vertraulichkeit ist also die europäische Realität und
nicht die europäische Ausnahme . Das ist auch der Grund,
warum die Industrie eine Wettbewerbsverzerrung vermu-
tet . Man kann es anders sehen, aber bitte nicht behaupten,
dass es antieuropäisch sei, wenn das, was in Europa ge-
macht wird, von anderen verlangt wird .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Lassen Sie mich noch zu einem anderen Punkt etwas
sagen . Man muss sich natürlich überlegen, ob wir für so
viel Transparenz sind . Ich habe gerade dem Herrn Pro-
fessor zugehört, der von Geheimpreisen gesprochen hat .
Wenn wir das so apodiktisch meinen – das können wir
ja meinen und darüber reden; ich finde es gut, dass wir
darüber diskutieren –, dann ist doch die Frage: Wieso hat
der Patient keine Kenntnis über die Rabattpreise, wenn
er, wie ich vorhin gehört habe, schon in der Apotheke
wissen müsste, was das Medikament kostet, weil das für
den Therapieerfolg ursächlich sei? Warum weiß die Kas-
se A nicht, was Kasse B bei einem gewissen Wirkstoff für
einen Rabattvertrag vereinbart hat? Da haben wir doch
die Vertraulichkeit . Wir sollten bitte schön nicht auf der
einen Seite die Vertraulichkeit heiligsprechen und auf
der anderen Seite einen solchen Ansatz verdammen . Ich
stelle das nur dar, damit man sieht, dass man auch in der
Sache sehr vernünftig über diese Punkte streiten kann .
Aber sie eignen sich sicherlich nicht, Frau Kollegin, zur
versuchten Stigmatisierung .


(Beifall bei der CDU/CSU – Rudolf Henke [CDU/CSU]: Sehr wahr!)


Ein anderer Punkt ist die Frage des Ausschreibungs-
verzichts bei Impfstoffen. Da rennen Sie bei uns offene
Türen ein . Wir waren immer dafür; der Kollege Henke
hat vorhin darauf hingewiesen . Ich sage es noch einmal:
Heiko Schmelzle, der früher bei uns für dieses Thema
zuständig war und sich auch ganz wesentlich dafür ein-
gesetzt hat – heute ist er wohlbestallter Bürgermeister –,

Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)


hätte sich, glaube ich, ganz besonders über den Durch-
bruch gefreut .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich glaube, in der Gesamtsicht ist es richtig, dass wir den
Menschen die Möglichkeit geben, sich besser und mit
verbesserten Impfstoffen impfen zu lassen, dass wir die
Impfquote bei Grippe – Sie haben es angesprochen, Frau
Kollegin – von 35 Prozent auf 75 Prozent, wie die WHO
empfiehlt, anheben sollten. Dies ist ein Weg, das zu tun,
weil auch die produktionsspezifischen Eigenschaften bei
Impfstoffen diesen Weg als angeraten erscheinen lassen.
Ich halte ihn für richtig . Wir sollten ihn also auch ge-
meinsam gehen .

Ein letzter Punkt, der angesprochen worden ist, ist die
Streichung der Umsatzschwelle . Auch hier lassen Sie
mich sagen: Ich glaube nicht, dass sich das zur Stigma-
tisierung eignet . Wir haben sehr bewusst und auch ganz
offen miteinander über diesen Punkt geredet. Natürlich
ist es so, dass das Preismoratorium die mittelständische
Industrie, aber auch die Pharmaindustrie ganz massiv
betrifft. Das ist eine Situation, die man nicht unbegrenzt
fortschreiben kann . Umso wichtiger ist es, glaube ich,
dass man Signale setzt, wo man sich noch entsprechende
Verbesserungen wünscht .


(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Natürlich hat das erste Jahr ab Zugang zum Markt Be-
deutung für die forschende Industrie, für neue Arznei-
mittel . Da kann man sich nicht so schlank hinstellen und
sagen: Alles Mondpreise, alles zulasten der Versicherten!


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Doch, kann man!)


– Nein, kann man nicht, gnädige Frau .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822115300

Und man kann das jetzt auch nicht weiter ausführen,

weil Sie deutlich über der Zeit sind .


Thomas Stritzl (CDU):
Rede ID: ID1822115400

Einen letzten Satz . – Sagen Sie mir bitte, was aus

Sicht der Linken Heilung kosten darf. Der Wirkstoff ge-
gen Hepatitis C gibt Hunderttausenden Menschen auf der
Welt eine Chance auf Heilung statt auf Chronifizierung.


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Millionen wird er verweigert, weil er zu teuer ist!)


Das ist an Geld doch gar nicht zu bemessen . Und wenn
wir die Forschungsschwerpunkte auf Heilung und nicht
auf Chronifizierung lenken, dann haben wir im Sinne der
Versicherten, der Patientinnen und Patienten ein wirklich
gutes Werk getan . Auch das spiegelt sich in diesem Ge-
setz wider .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822115500

Danke, Herr Kollege Stritzl . – Damit schieße ich die

Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Stärkung
der Arzneimittelversorgung in der GKV . Der Ausschuss
für Gesundheit empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/11449, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf den Drucksachen 18/10208 und
18/10608 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bit-
te diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss-
fassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen . – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent-
wurf ist damit in zweiter Beratung angenommen . Zuge-
stimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegengestimmt
haben die Grünen, enthalten hat sich die Linke .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Jetzt kommt Bewegung ins
Parlament .


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Das tun wir gerne! – Tino Sorge [CDU/CSU]: Das ist gut für den Kreislauf!)


Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, sich jetzt zu erheben . – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Dann ist der Gesetzentwurf mit den
gleichen Mehrheiten angenommen . Zugestimmt haben
CDU/CSU und SPD, dagegen waren die Grünen, enthal-
ten hat sich die Linke .

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungs-
antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-
che 18/11457 . Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
trag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Entschließungsantrag ist abgelehnt . Dagegengestimmt ha-
ben CDU/CSU und SPD, dafürgestimmt hat Bündnis 90/
Die Grünen und enthalten haben sich die Linken .

Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 sowie Zusatzpunkt 9
auf:

10 Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Gesundheit

(14 . Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne-

ten Pia Zimmermann, Harald Weinberg, Sabine
Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Gute Arbeit  in  der  Pflege  –  Personalbemes-
sung in der Altenpflege einführen

Drucksachen 18/9122, 18/11347

ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche,
Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Eine Lobby für die Pflege – Arbeitsbedingun-
gen  und Mitspracherechte  von Pflegekräften 
verbessern

Drucksache 18/11414
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)


Thomas Stritzl






(A) (C)



(B) (D)


Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre und
sehe keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache. Der erste Redner ist Erwin
Rüddel für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Erwin Rüddel (CDU):
Rede ID: ID1822115600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Wir haben in dieser Legislaturperiode na-
hezu Historisches vollbracht mit dem, was wir in diesen
fast vier Jahren durch unsere umfänglichen Pflegerefor-
men auf den Weg gebracht haben . Das kommt auch den
Pflegemitarbeiterinnen und -mitarbeitern zugute. Ich
möchte hier einmal sagen: Ich ziehe den Hut vor denen,
die jeden Tag ihre Leistung in der Altenpflege und in der
Krankenpflege erbringen. Das ist bemerkenswert.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN – Mechthild Rawert [SPD]: Das beste Geschenk wäre eine generalistische Ausbildung! – Gegenruf des Abg . Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das glaube ich nicht!)


Das ist fachlich hochqualifiziert, mit viel Empathie und
mit viel Herzensbildung . Dafür darf man auch einmal an
dieser Stelle Danke sagen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben in dieser Legislaturperiode viel für die
Pflege vollbracht. Wir haben bereits mit dem Pflege-
stärkungsgesetz I in der stationären Pflege zusätzliche
Betreuungs- und Aktivierungsangebote geschaffen und
diese auf alle Pflegebedürftigen ausgedehnt. Wir haben
eine neue Bemessungsgrundlage für das Betreuungsver-
hältnis geschaffen, sodass über 45 000 zusätzliche Be-
treuungskräfte in den stationären Einrichtungen zur Ver-
fügung stehen . Das ist eine Riesenentlastung . Das bringt
mehr Hände für die Pflege. Darauf können wir stolz sein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das verbessert den Pflegealltag für die Pflegekräfte, aber
auch für die Pflegebedürftigen.

Ein ganz wesentlicher Beitrag, der außerdem geleistet
wurde: Wir haben geregelt, dass bei Vergütungsverhand-
lungen zwischen Pflegekassen und Pflegeeinrichtungen
das Zahlen von Tariflöhnen nicht als unwirtschaftlich
eingestuft werden darf .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das war ja auch das Schlimme, was Sie in der letzten Legislaturperiode erst eingeführt haben!)


– Wir mussten es auf jeden Fall gesetzlich regeln .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das war mehr als überfällig! Das haben Sie nämlich ausgehebelt!)


– Deshalb sage ich ja: Wir haben in dieser Legislatur-
periode mannigfaltige Dinge vollbracht, auch, dass mehr
Lohn in der Pflege gezahlt wird. – Das, was wir mit dem
PSG I für die tarifgebundenen Unternehmen gelöst ha-
ben, haben wir mit dem PSG III auch für die nicht tarif-
gebundenen gelöst . Es wird so sein, dass in den nächsten
Monaten bzw . in wenigen Jahren das Zahlen von Tarif-
lohn in der Pflege zum Standard wird. Dafür haben wir
gesorgt .


(Mechthild Rawert [SPD]: Na ja!)


Mit dem Zweiten Pflegestärkungsgesetz haben wir
der Selbstverwaltung den Auftrag erteilt, bis 2020 ein
wissenschaftlich abgesichertes Verfahren zur Personal-
bemessung zu entwickeln . Damit soll künftig festgestellt
werden, wie viele Pflegekräfte die Einrichtungen für eine
gute Pflege brauchen.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wann kommt das dann zum Tragen?)


– 2020 . Diese Jahreszahl ist mir schon bewusst . Aber
wenn man es wissenschaftlich fundiert machen will,
braucht man diese Zeit für ein ordentliches Ergebnis .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, und in der Zwischenzeit machen die alle so weiter wie jetzt!)


Wir haben 2015 mit dem Strukturmodell flächende-
ckend eine vereinfachte Pflegedokumentation im ambu-
lanten wie im stationären Bereich eingeführt . Bürokratie
senkt Motivation und verbraucht Zeit, die eigentlich für
die Pflegetätigkeit dringend gebraucht wird. Mit dem Bü-
rokratieabbau ermöglichen wir den Pflegekräften wieder
mehr Zeit am Bett . Wir haben klargestellt, dass der mit
der Entlastung einhergehende Zeitgewinn für die Pflege-
kräfte nicht durch Personalkürzungen konterkariert wer-
den darf .

Wir haben in dieser Legislaturperiode eine Vielzahl
von Maßnahmen zur Verbesserung der beruflichen Situa-
tion in der Pflege auf den Weg gebracht. Wir haben gute
Rahmenbedingungen geschaffen. Wir haben die Umset-
zung der Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive Al-
tenpflege auf den Weg gebracht. Den Mindestlohn möch-
te ich hier erwähnen, ebenso die Aufwertung der Pflege
durch eine wissenschaftlich fundierte Weiterentwicklung
der Qualitätsinstrumente, insbesondere dadurch, dass wir
in Zukunft die Ergebnisqualität stärker betonen . Wir ha-
ben auch die Förderung der Vermittlung von Pflegekräf-
ten aus dem Ausland gestärkt .

Bereits nach geltendem Recht können in den Landes-
rahmenverträgen Verfahren zur Ermittlung des Personal-
bedarfs oder zur Bemessung von Pflegezeiten vereinbart
werden . Bislang werden in den Ländern allerdings nur
Richtwerte vereinbart . Im Zusammenhang mit der Ein-
führung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes sind
diese Rahmenverträge nun entsprechend anzupassen und

Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)


auf die Pflegegrade hin neu auszurichten. Dies betrifft
auch die Vorgaben zur Personalausstattung in Pflegeein-
richtungen .

Meine Damen und Herren, wie Sie sehen, nimmt diese
Koalition die personellen Herausforderungen im Pflege-
bereich ernst und sorgt mit umfangreichen Maßnahmen
dafür, den Pflegeberuf zu stärken, die Rahmenbedingun-
gen zu verbessern und mehr qualifizierte Fachkräfte für
die Altenpflege zu gewinnen. Es braucht aber nun einmal
etwas Zeit, bis diese Maßnahmen die entsprechende Wir-
kung entfalten .

Wir alle, die wir hier im Plenum sind, wissen, dass in
Sachen Pflegepersonal auch über diese Legislaturperiode
hinaus Handlungsbedarf besteht, zum Beispiel, wenn es
darum geht, die Ausbildung der Pflegehelfer zu stärken
und ihre Kompetenzen zu erweitern . Wir werden uns
weiter darauf konzentrieren, die Arbeitsbedingungen in
der Pflege zu verbessern. Das haben die Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter in der Pflege verdient.

Wir müssen die Rahmenbedingungen so gestalten,
dass derjenige, der heute in der Pflege arbeitet oder eine
Ausbildung in der Pflege macht, mit Freude bis zur Rente
in diesem Beruf arbeitet . Das ist unser Ziel . Daran arbei-
ten wir in dieser Koalition .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822115700

Danke, Herr Rüddel . Darf ich Sie noch auf ein visuel-

les Moment hinweisen? Wenn Sie reden und da ein Licht
aufleuchtet, bei dem „Präsident“ steht, dann denken Sie
sich „Präsidentin“, und Sie wissen, dass Ihre Redezeit
vorbei ist .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ach was?)


Herr Rüddel, nächstes Mal halten wir uns daran . – Danke
schön .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: An rote Lichter halten wir uns nie!)


Nächste Rednerin: Pia Zimmermann für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Pia Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822115800

Herzlichen Dank . – Liebe Frau Präsidentin! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Vor wenigen Tagen konnten
wir der Presse entnehmen, dass nach einer repräsenta-
tiven Umfrage des Zentrums für Qualität in der Pflege
mehr als 40 Prozent der Bürgerinnen und Bürger das
Thema Pflege so wichtig finden, dass sie ihre Wahlent-
scheidung davon abhängig machen wollen . Meine Da-
men und Herren von der Koalition, darum würde ich mir
an Ihrer Stelle schon Sorgen machen .


(Erich Irlstorfer [CDU/CSU]: Das Gegenteil ist der Fall!)


Sie haben es trotz vieler Gesetze versäumt, die Situati-
on für die Menschen mit Pflegebedarf, für die Menschen,

die pflegen, vor allen Dingen aber auch für die Beschäf-
tigten in der Pflege grundsätzlich zu verbessern;


(Heike Baehrens [SPD]: Nein! Das stimmt nicht!)


denn die Befragung ergab auch, dass 71 Prozent von der
Politik Verbesserungen für die Arbeitsbedingungen in
der Pflege wünschen und erwarten. Fast zwei Drittel der
Befragten fühlten sich schlecht oder sehr schlecht über
die Pflegereform informiert, darunter sogar diejenigen,
die selber Pflegebedarf haben oder selber pflegen.

Das wird besonders dadurch deutlich, dass Sie eine
der wichtigsten Berufsgruppen in der Pflege konsequent
vernachlässigt haben: die Altenpflegerin und den Alten-
pfleger. Dabei müssten die Anerkennung und Wertschät-
zung von Altenpflegerinnen und Altenpflegern sowie
auch von Pflegehelferinnen und Pflegehelfern endlich
spürbar und sichtbar werden .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Denn sie sind da, wenn sich niemand von Ihnen mehr
dafür interessiert, was Ihre Gesetze ganz konkret am
Pflegebett oder bei der Betreuung bedeuten. In keinem
der sogenannten Pflegestärkungsgesetze haben Sie sich
wirklich nachhaltig für die Belange der Altenpflegekräfte
eingesetzt. Dabei sind die Anliegen der Pflegenden längst
bekannt und stoßen auch in unserer Bevölkerung auf gro-
ße Zustimmung .

Es gibt eine gesellschaftlich breit getragene Forderung
nach einer gesetzlichen Personalbemessung . Die Regie-
rung hat in den Pflegestärkungsgesetzen beschlossen:
Eine gesetzliche Personalbemessung ist bis 2020 wis-
senschaftlich zu prüfen . – Aber eine Umsetzung der Per-
sonalbemessung nach 2020 ist in keinem der Pflegestär-
kungsgesetze vorgesehen. Die teilhabeorientierte Pflege
soll jetzt schon stattfinden. Wir wissen jedoch ganz ge-
nau: Bereits jetzt fehlt Pflegepersonal, und teilhabeorien-
tierte Pflege bedeutet noch viel mehr Personal. Ich frage
mich tatsächlich: Wie wollen Sie das denn umsetzen?

Natürlich benötigen wir eine wissenschaftlich fun-
dierte Personalbemessung . Da gehen wir mit, das unter-
stützen wir .


(Beifall bei der LINKEN)


Aber wissenschaftliche Untersuchungen über die Not-
wendigkeit und die Wirkung gesetzlicher Personalbe-
messung gibt es doch längst . Eins ist ganz klar – das sa-
gen die Ergebnisse dieser Untersuchung sehr deutlich –:
Je mehr Pflegepersonal vorhanden ist und je besser dieses
Pflegepersonal ausgebildet ist, umso besser ist am Ende
die Pflege, umso besser sind die Arbeitsbedingungen.
Das kann man messen . Darum hören Sie endlich auf, sich
dem politisch zu verweigern .


(Beifall bei der LINKEN – Mechthild Rawert [SPD]: Tun wir ja gar nicht!)


Ich habe einige Beispiele als Belege für die Zustände
in der Altenpflege mitgebracht: Viel zu oft ist nur eine
einzige Pflegefachkraft für 60 bis 100 zu Pflegende in der
Nacht alleine verantwortlich . Wenn eine Kollegin krank

Erwin Rüddel






(A) (C)



(B) (D)


wird, gibt es selten Ersatz . Die Arbeit machen dann ein-
fach diejenigen, die noch da sind, oder die Kolleginnen
werden aus dem Feierabend zurückgeholt .

Wenn die Fachkraftquote von 50 Prozent in einem
Pflegeheim nicht eingehalten werden kann, werden Pfle-
gehelferinnen entlassen, um den Proporz wiederherzu-
stellen, weil es zu teuer wäre, Pflegefachkräfte einzustel-
len. Die Personalschlüssel in den Pflegeheimen werden
laut aktuellen Recherchen regelmäßig unterschritten . Da
frage ich mich: Wo bleibt eigentlich das Geld?

Meine Damen und Herren, Sie müssen sich gefallen
lassen, dass ich das alles sage; denn das alles ist erlaubt .
Sie sind in der Regierungsverantwortung und lassen das
zu . Wir haben keine bundesweit einheitliche gesetzliche
Personalbemessung in der Altenpflege. Es reicht aus,
dass eine examinierte Pflegefachkraft unterschreibt, egal
ob sie 2, 20 oder 100 Menschen mit Pflegebedarf betreut.
In der Altenpflege gibt es kein Pflegeförderprogramm
wie in der Krankenpflege. Das muss sich ändern, und
zwar sofort . Dafür steht die Linke .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Mechthild Rawert [SPD]: Gehen Sie selbst in die Alteneinrichtungen?)


Wir legen Ihnen mit unserem Antrag Eckpunkte vor,
aus denen hervorgeht, wie man die Altenpflege sofort
verbessern kann . Wir wollen jetzt mehr Fachkräfte in der
Altenpflege. Wir wollen aus dem unrentablen und unsin-
nigen Pflegevorsorgefonds einen Personalfonds machen,
damit die Finanzierung angeschoben werden kann . Wir
wollen, dass die Pflegesatzverhandlungen transparent
gemacht werden und nicht hinter verschlossenen Türen
stattfinden, damit man endlich weiß: Was sind denn die
Hemmnisse, die einem guten Pflegesatz entgegenstehen?
Der Pflegesatz sollte natürlich auch einheitlich sein.

Das Thema Pflege ist den Menschen wichtig, weil es
alle betreffen kann. Die meisten wissen das auch. Sie
wissen, wie dramatisch die Situation im Moment in der
Pflege ist. Mein Dank, meine Damen und Herren, liebe
Kolleginnen und Kollegen, und mein Respekt gelten al-
len Pflegekräften in unserem Land, verbunden mit unse-
rem Versprechen: Die Linke wird sich auch weiterhin für
Pflegegerechtigkeit in unserem Land einsetzen, und das
nicht nur sechs Monate vor der Wahl, sondern immer, die
ganze Legislatur hindurch .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der LINKEN – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Sozial auch nach der Wahl! – Mechthild Rawert [SPD]: Kein Respekt vor anderswählenden Pflegekräften!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822115900

Vielen Dank, Pia Zimmermann . – Nächste Rednerin:

Mechthild Rawert für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Mechthild Rawert (SPD):
Rede ID: ID1822116000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann

es mir nicht verkneifen, zwei Anmerkungen zu meiner
Vorrednerin bzw . zu meinem Vorredner zu machen:


(Erich Irlstorfer [CDU/CSU]: Das ist jetzt aber sehr überraschend!)


Pflege ist sehr viel mehr als Altenpflege. Dieses Verständ-
nis ist dringend notwendig, damit wir ein professionelles
Pflegeverständnis und eine professionelle Pflegebildung
umsetzen und durchsetzen. Altenpflege alleine ist ein
Sektor, der uns nicht die entsprechende Lebensqualität
garantiert, wenn wir einmal – wir sind durchschnittlich
ja auch schon ein bisschen älter – vielleicht auf Pflege
angewiesen sein werden .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Na, na, na!)


Auch ich kenne die Untersuchung des ZQP . Ja, es ist
richtig – das ist tatsächlich gesagt worden, und ich finde
es gut, dass es gesagt worden ist –: Pflegepolitik gehört
nicht nur in die Mitte der Gesellschaft. Pflegepolitik ist
Bestandteil eines großen politischen Entscheidungsnetz-
werkes; denn Pflege hat nicht nur gesundheitspolitische
und bildungspolitische Elemente, sondern auch mikro-
technische Auswirkungen und sozialpolitische Auswir-
kungen und, und, und . Darauf weist der Bericht zu Recht
hin .

Aber die SPD muss sich nicht verstecken .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein!)


Wir haben bzw . Martin Schulz hat längst angekündigt,


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Angekündigt! Seit 150 Jahren kündigt ihr an! – Erich Irlstorfer [CDU/CSU]: Wie war der Name? – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


dass Pflege zu einem Kernthema des Wahlkampfes wer-
den wird . Und ich sage Ihnen: Wir gehen gut gerüstet in
die Auseinandersetzung .


(Beifall bei der SPD)


Grundlage dieser Debatte sind zwei Anträge . Der
Antrag der Linken stammt vom Juli 2016, ist also alt,
der Antrag der Grünen ist umso frischer, er stammt von
gestern . Beide Anträge beschreiben einerseits reale He-
rausforderungen, vor denen die Pflege noch steht, ande-
rerseits wird so getan, als gäbe es die Pflegestärkungsge-
setze nicht, als gäbe es das, was wir hier in der Großen
Koalition die große Pflegereform nennen, nicht. Da kann
ich nur sagen: Dieses Vergessen ist schade!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Denn wir haben viel erreicht. Der neue Pflegebedürftig-
keitsbegriff und das neue Begutachtungsassessment sind
in der Mitte der Gesellschaft angekommen und werden
von denen, die es betrifft, auch sehr gelobt.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ach was!)


Wir wollen, dass die Pflegegrade die Grundlage sind,
und – das ist auch richtig ausgeführt worden – wir wollen
die entsprechenden personellen Zumessungen . Das pas-

Pia Zimmermann






(A) (C)



(B) (D)


siert auch . Sowohl die Einrichtungen in der stationären
Langzeitpflege als auch die der ambulanten Dienste sind
darüber genauso hocherfreut wie letztendlich die pflege-
empfangenden Menschen selbst; denn es funktioniert .
Das sagen mir alle Gesprächspartner bei den Besuchen .

Zum Thema Personalbemessung . Wer uns vorwirft,
nichts zu tun, zeigt damit nur, dass er noch nicht einmal
die Zeitung von dieser Woche gelesen hat . Die Expertin-
nen- und Expertenkommission „Pflegepersonal im Kran-
kenhaus“ hat die Personaluntergrenzen, die in bestimm-
ten Bereichen nicht unterschritten werden dürfen, genau
definiert. Das ist doch genau das, was wir wollen. Auch
die Pflege im Krankenhaus gehört zum Bereich Pflege.
Meine Bitte lautet: Lesen Sie das nach . Sie können dabei
auch Wesentliches über die entsprechenden Indikatoren
lesen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Harald Weinberg [DIE LINKE]: Noch sehr nebulös!)


Weiterhin geht es mir um Folgendes: Sie haben zu
Recht gesagt, dass die Pflegeberufe aufgewertet werden
müssen, dass wir eine bessere Bezahlung brauchen . Es
stimmt, dass die Pflegequalität mit einer besseren Aus-
bildung beginnt. Dazu findet man im Antrag der Linken
kein Wort,


(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei uns schon!)


im Antrag der Grünen


(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mehrere Worte!)


findet man das falsche Rezept und bei unserem Koaliti-
onspartner totale Uneinigkeit; dort stellt man sich ja so-
gar gegen den eigenen Gesundheitsminister Gröhe . Fakt
ist doch: Wir brauchen eine zukunftsfähige Ausbildung
im Bereich Pflege; wir brauchen die Generalistik; wir
brauchen das Pflegeberufereformgesetz;


(Beifall bei der SPD)


und wir brauchen diese Qualifizierung für alle Bereiche
der Pflege – nicht mehr segmentiert nach Alter, nicht mehr
segmentiert nach Pflegeorten. Nein, was macht denn der
jüngere oder der ältere Mensch, wenn er aufgrund von
Pflegebedürftigkeit seine Häuslichkeit verlässt, wenn er
ins Krankenhaus muss, gegebenenfalls auch noch in die
Rehabilitation, möglicherweise sogar in eine stationäre
Einrichtung? Der jüngere und der ältere Mensch brau-
chen die gleiche hochqualifizierte Pflege. Die Grundlage
für diese Pflege schaffen wir mit dem Pflegeberufere-
formgesetz . Wir brauchen also eine Ausbildung für das
gesamte Berufsfeld der Pflege, und wir brauchen darauf
ausgerichtete Fort- und Weiterbildungsangebote .

Wir haben auch viele Verbesserungen für das Perso-
nal erreicht: bessere Personalschlüssel, bessere tarifli-
che Anerkennung . Als Gewerkschafterin sage ich aber:
Selbstverständlich ist noch viel zu tun . Ich fordere uns
alle auf, auch die in der Pflege und den Gesundheitsbe-
rufen Tätigen,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ach so!)


uns hier verstärkt zu organisieren . Wir stehen ja auch für
die Pflegekammern. Es geht um ein gutes Mitsprache-
recht beim Thema „Qualität in der Pflege“. Dieses The-
ma betrifft ja nicht nur die Gewerkschaften, sondern auch
die Unternehmen .

Wie gesagt, wir haben viel erreicht, aber vieles bleibt
auch noch zu tun . Seien Sie gewiss, wir Sozialdemokra-
tinnen und Sozialdemokraten wollen Qualität in der Pfle-
ge. Wir wollen nämlich den Schutz der pflegebedürftigen
Menschen gewährleisten . Seien Sie kooperativ . Ich bitte
um das Pflegeberufereformgesetz.

Danke schön .


(Beifall bei der SPD – Erich Irlstorfer [CDU/ CSU]: Das Leben ist kein Wunschkonzert!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822116100

Vielen Dank, Mechthild Rawert . – Nächste Rednerin:

Elisabeth Scharfenberg für Bündnis 90/Die Grünen . –
Brauchen Sie einen Stuhl? – Nein, gut .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie braucht keinen Stuhl! Sie ist eine starke Frau!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Wie ich gerade eindrücklich bewiesen
habe, ist Pflege keine Frage des Alters. Das kann jeden
von uns jeden Tag, in jedem Alter und manchmal auch
zeitweise treffen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deswegen sollten wir sehr ernsthaft an diese Debatte he-
rangehen . – Ich möchte bei so einer Debatte ganz einfach
auch sagen: Sehr geehrte Pflegekräfte in der gesamten
Republik!

Pflegekräfte arbeiten am Limit, und das schon ganz,
ganz lange, und das ist uns auch schon ganz lange be-
kannt. Zum Glück tut sich da etwas: Die Pflege fängt
endlich an, sich zu wehren. Letztes Jahr haben die Pfle-
gekräfte an der Charité gestreikt, nicht für mehr Geld,
nein, sie haben für mehr Kolleginnen und Kollegen ge-
streikt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Im Saarland ist sogar ein flächendeckender Streik ge-
plant .

Umso erstaunlicher ist es, dass die Bundesregierung
bisher kaum etwas gegen den Fachkräftemangel in der
Pflege unternommen hat. Ja, es wird gleich gerufen: „Wir
haben doch ganz viel getan“, und ja, Sie haben eine Men-
ge Pflegereformen in Angriff genommen, so viele wie
nie zuvor in einer Wahlperiode . Aber ich frage Sie: Wie

Mechthild Rawert






(A) (C)



(B) (D)


sollen sie umgesetzt werden, wenn an allen Ecken und
Enden Personal fehlt?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Mechthild Rawert [SPD]: Ich kann Ihnen Einrichtungen zeigen, wo das klappt!)


Wir haben durch das PSG II eine halbe Million An-
spruchsberechtigte mehr. Wir haben einen neuen Pflege-
begriff, der die Selbstständigkeit der Pflegebedürftigen
unterstützen und fördern soll . All das geht nicht ohne
mehr Personal . Es geht auch nicht, ohne dass das Perso-
nal mehr Zeit hat .

Das sind doch genau die beiden Punkte, die in der
Pflege so viel Druck machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es sind die fehlenden Kolleginnen und Kollegen, und es
ist der Kampf gegen die Zeit. Die Pflegekräfte machen
Pflege mit der Stoppuhr. Das muss endlich gestoppt wer-
den . Da muss endlich gehandelt werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Mechthild Rawert [SPD]: Lesen bildet!)


Und was hat die Koalition getan? In der Altenpflege
wollen Sie ein Personalbemessungsinstrument bis 2020
entwickeln und erproben . Im Krankenhaus sollen jetzt die
Deutsche Krankenhausgesellschaft und der GKV-Spit-
zenverband Personaluntergrenzen in pflegesensitiven
Bereichen vereinbaren. Die durch den Pflegezuschlag
und das Pflegestellen-Förderprogramm zusätzlich ge-
schaffenen Stellen sollen erhalten bleiben.

Also noch einmal: Was machen Sie? Sie lassen Zeit
verstreichen, sehr viel Zeit . Sie entwickeln Instrumente,
ohne dass von Einführung die Rede ist . Sie beauftragen
eindeutig interessengeleitete Akteure mit der Personalfra-
ge . Sie halten das Stellenniveau, statt es zu erhöhen .

Angesichts des fortbestehenden Fachkräftemangels
und angesichts des Drucks, unter dem Pflegekräfte täg-
lich leiden, ist das schon fast zynisch .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Pflegekräfte brauchen bundesweit verbindliche Perso-
nalbemessungsinstrumente und eine verbindliche Finan-
zierung des ermittelten Personals. Pflegekräfte brauchen
gute Arbeitsbedingungen . Dazu gehören verlässliche und
planbare Arbeitszeiten . Das ständige Holen aus dem Frei
ist zur Normalität geworden . Ruhe- und Erholungszeiten
enden schlagartig, wenn am Wochenende oder im Urlaub
das Handy klingelt und Pflegekräfte damit in den Dienst
geholt werden. Das schafft Frust und macht die Pflege-
kräfte am Ende des Tages auch einfach krank .

Wenn wir uns darum nicht kümmern, dann können wir
noch so viele Personalbemessungsinstrumente einführen
und werden dennoch keine Pflegekräfte finden.


(Mechthild Rawert [SPD]: Wir entwickeln und erproben!)


Pflegekräfte brauchen eine angemessene Bezahlung.
Tariflohn für alle sollte die Normalität sein. Das ist

grundsätzlich erst einmal Sache der Tarifpartner . Das ist
auch gut so . Aber der Gesetzgeber kann Hilfestellungen
geben, was ja nun auch passiert ist. Tarifliche Vergütun-
gen dürfen bei den Entgeltverhandlungen im stationären
Bereich nicht als unwirtschaftlich abgelehnt werden . Das
ist gut, sollte aber natürlich auch für die häusliche Kran-
kenpflege ermöglicht werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Hier hat Schwarz-Rot bislang nicht gehandelt .

Ein Tarifvertrag Soziales könnte für faire Gehälter in
der Pflege sorgen.


(Mechthild Rawert [SPD]: Stand im Wahlprogramm 2013 der SPD!)


Ein Tarifvertrag Soziales könnte durch die Politik für all-
gemeinverbindlich erklärt werden .

Pflegekräfte brauchen mehr Kompetenzen und echte
Aufstiegs- und Karrierechancen . Darum wollen wir, liebe
Mechthild Rawert, eine integrativ-gestufte Ausbildung –


(Mechthild Rawert [SPD]: Das ist ja das falsche Rezept!)


eine Ausbildung, die modular gestaltet ist, sodass ein
Wechsel zwischen den Berufsfeldern und der Aufstieg
von der Pflegehelferin bis hin zur Pflegeprofessorin mög-
lich sind. Wenn eine Pflegekraft die notwendige Qualifi-
kation erworben hat, dann soll sie bestimmte Tätigkeiten
auch selbstständig ausüben dürfen. Pflege ist eine eigen-
ständige Profession und nicht nur eine Entlastungstätig-
keit für Ärzte .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Erich Irlstorfer [CDU/CSU] – Mechthild Rawert [SPD]: Deshalb Generalistik!)


Pflegekräfte brauchen mehr Mitspracherechte. Dort,
wo politische Entscheidungen getroffen werden, sind
Pflegekräfte aber kaum beteiligt. Ein Beispiel: In dem
Gremium, das Empfehlungen zur sektorübergreifenden
Versorgung abgeben soll, ist keine Beteiligung der pro-
fessionellen Pflege vorgesehen. Aber Pflegekräfte sind
der Dreh- und Angelpunkt in einer Versorgung, an der
Hausärzte, Fachärzte, andere Gesundheitsberufe, Kran-
kenhäuser usw. beteiligt sind. Pflegekräfte machen eine
sektorübergreifende Versorgung doch überhaupt erst
möglich .

Von den Landespflegeausschüssen ganz zu schwei-
gen! Dort kommt die Pflege nämlich überhaupt nicht vor.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822116200

Darf ich an die Redezeit erinnern?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ja. – Es wird wieder einmal über die Pflege geredet
und nicht mit der Pflege. Das geht gar nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Elisabeth Scharfenberg






(A) (C)



(B) (D)


Darum sage ich zum Schluss noch einmal ganz deut-
lich, um es auf den Punkt zu bringen, Herr Kauder: Wir
brauchen endlich eine Lobby für die Pflege.

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Mechthild Rawert [SPD]: Die SPD!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822116300

Vielen Dank, Elisabeth Scharfenberg . – Nächster

Redner ist der Kollege Erich Irlstorfer für die CDU/
CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Erich Irlstorfer (CSU):
Rede ID: ID1822116400

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen

und Kollegen! Die Anträge der Fraktionen der Grünen
und der Linken befassen sich mit einem sehr wichtigen
und ernstzunehmenden Thema: mit der Personalbemes-
sung in Pflegeeinrichtungen und den Mitspracherechten
von Pflegekräften. Wir wissen, dass das wichtig ist.

Ich möchte, bevor ich mit meinen Ausführungen be-
ginne, verehrte Frau Rawert, sagen: Ich bin froh, dass Sie
viele Dinge gesagt haben, die durchaus richtig sind . Sie
sagen, dass Pflege ein Zukunftsthema ist. Das ist richtig.
Aber ich bin etwas verwundert und frage mich, was die
Zukunft unseres Landes mit der Person Schulz zu tun hat .
Das überrascht mich .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das möchte ich an dieser Stelle sagen .

Ich möchte darauf hinweisen, dass ich bei den Be-
gründungen der Anträge und bei den Problemlösungs-
vorschlägen der Linken und auch der Grünen gewisse
Zweifel habe, wie das Ganze funktionieren soll .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Rezepte funktionieren gar nicht!)


Kollegin Scharfenberg hat gesagt, dass unsere Kranken-
häuser, unsere Altenheime und unsere Senioreneinrich-
tungen nur deshalb so gut und so ordentlich funktio-
nieren, weil wir engagierte Menschen haben, die in der
Pflege


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Verheizt werden!)


arbeiten . Das wissen wir . Wenn ich mich mit den Be-
diensteten in den Krankenhäusern unterhalte, geht es
nicht nur um eine ordentliche Bezahlung, wobei das eine
Grundvoraussetzung sein muss; das haben wir in dieser
Legislaturperiode noch einmal zementiert und verfestigt .
Es geht einfach darum, dass wir auf unseren Stationen
ordentlich aufgestellt sind .

Man kann natürlich in der Theorie darüber sprechen .
Man kann das Ganze natürlich immer wieder gesetzlich
einfordern; das ist alles vollkommen klar .


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Wir meinen die Praxis!)


Aber ich glaube, es ist notwendig, dass wir bei der Pra-
xis – hören Sie lieber zu – ansetzen, statt fiktive Zahlen
in den Raum zu werfen . Es fehlt auch nicht an Geld, son-
dern es fehlt an der Motivation . Es geht darum, dass wir
die Menschen dazu bringen, diesen Beruf zu ergreifen .


(Mechthild Rawert [SPD]: Die Menschen sind nicht schuld, wenn die Bedingungen schlecht sind!)


Es ist unsere politische Aufgabe, hier zu motivieren . Das
werden wir nicht mit Ihrer destruktiven Haltung, die Sie
hier immer wieder zeigen, schaffen.


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Wann waren Sie das letzte Mal im Krankenhaus? – Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Oder im Altenheim?)


Zur Pflege in den Einrichtungen erzählen Sie – vor allem
Sie, Frau Zimmermann – Woche für Woche hier irgend-
etwas, was so nicht stimmt . In Deutschland wird hervor-
ragende Pflege geleistet. Das ist die Situation.


(Beifall bei der CDU/CSU – Thomas Lutze [DIE LINKE]: Unsinn!)


Ich kann Ihnen nur eines sagen: Ich habe viele, viele
dieser Einrichtungen besucht . Ein Hauptthema ist, dass
wir zu wenig Menschen auf den Stationen haben . Ein
anderes Hauptthema ist das ganze Dokumentationswe-
sen . Wir brauchen Digitalisierung auf den Stationen und
Digitalisierung am Bett . Das ist notwendig und wichtig .

Ich muss Ihnen sagen: Ich habe in den letzten an-
derthalb Jahren all diese Dinge, über die wir hier in der
Theorie abgestimmt haben, im privaten Bereich erleben
dürfen und müssen . Ich kann Ihnen nur sagen, dass das,
was hier in den letzten Jahren im Rahmen der Pflege-
stärkungsgesetze entschieden worden ist, vor Ort greift .
Der Dreiklang – wir haben hier eine neue Melodie auf-
gesetzt –, dass wir uns um die zu Pflegenden kümmern,
dass wir auch die Angehörigen mitnehmen und natürlich
auch die Beschäftigten, ist erfolgreich . Den Erfolg dieses
Dreiklangs können Sie nicht abstreiten; denn er kommt
draußen an . Das ist die Wahrheit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn wir hier über die Ausbildungszahlen sprechen,
kann ich nur das Statistische Bundesamt zitieren . Wenn
wir die Situation in 2005 und in 2015 betrachten, se-
hen wir Folgendes: Wir hatten in der Altenpflege 2005
45 000 Auszubildende; jetzt haben wir 66 285 . In der
Krankenpflege hatten wir damals 57 257 Ausbildungs-
verträge; jetzt haben wir über 64 000 . Das sind Zahlen,
das sind Fakten, das sind Realitäten . Deshalb liegen wir
richtig . Trotzdem machen wir weiter und sagen: Wir wol-
len und brauchen ein ordentliches Ausbildungssystem .
Wir sind auch hier komplett beieinander und sagen: Wir
wollen eine generalistische Ausbildung in den Bereichen,
in denen man generalistisch ausbilden kann .


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Ja, wie Anatomie! Dann hört’s auf!)


Elisabeth Scharfenberg






(A) (C)



(B) (D)


Warum denn nicht? Aber wir möchten auch, dass die
Spezialisierung in den einzelnen Berufen bestehen bleibt,
weil sie ein Qualitätsmerkmal ist .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig! – Mechthild Rawert [SPD]: Aber das zählt überhaupt nicht! – Gegenruf des Abg . Volker Kauder [CDU/CSU]: Doch!)


Deshalb werden wir auch weiterhin in diese Richtung
verhandeln . Ich glaube, wir sind auf einem guten und or-
dentlichen Weg, das hoffentlich auch hinzubekommen.
Ich würde mich freuen, Frau Rawert, wenn auch Sie in
dieser Richtung mitmachen würden .


(Mechthild Rawert [SPD]: Na ja, manchmal gehen wir aber auch in verschiedene Richtungen!)


In diesem Sinne: Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822116500

Vielen Dank, Erich Irlstorfer . Das war auf die Sekunde

genau .


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Der Erich weiß, wie man es macht!)


Nächste Rednerin: Heike Baehrens für die SPD-Frak-
tion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Heike Baehrens (SPD):
Rede ID: ID1822116600

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass wir
heute wieder einmal über ein Thema debattieren können,
das uns Sozialdemokraten besonders am Herzen liegt,


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Nicht nur Ihnen! Auch uns!)


nämlich über eine würdevolle Pflege im Alter oder bei
Krankheit . Ich bin sehr froh darüber, dass wir einiges von
dem, was dafür notwendig ist, in dieser Legislaturperiode
tatsächlich miteinander auf den Weg bringen konnten .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Erich Irlstorfer [CDU/CSU])


Insofern hinken Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der
Linken, mit Ihrer zentralen Forderung der Realität etwas
hinterher . Denn ein wissenschaftlich fundiertes Verfah-
ren zur Personalbemessung in Pflegeeinrichtungen zu
entwickeln und zu erproben, ist längst beschlossen und
in Auftrag gegeben .


(Beifall der Abg . Bärbel Bas [SPD] – Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Trotzdem fehlt das Personal schon jetzt! Davor kann man die Augen nicht verschließen!)


Gerade für die Pflegeheime ist es dringend notwendig,
die Pflegeschlüssel neu zu bestimmen. Denn in den meis-
ten Bundesländern wird noch heute mit den gleichen Per-
sonalrichtwerten wie vor 25 Jahren gearbeitet, und das,

obwohl sich die Bewohnerstruktur in den Pflegeheimen
inzwischen völlig verändert hat . Wesentlich mehr Men-
schen mit fortgeschrittener demenzieller Erkrankung,
ein höherer Bedarf an medizinischer Behandlungspfle-
ge, kürzere Verweildauern und intensivere Begleitung
in der letzten Lebensphase, das kennzeichnet die heute
beschriebenen Anforderungen . Sie können mit den alten
Personalschlüsseln nicht ausreichend bewältigt werden .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Erich Irlstorfer [CDU/CSU])


Darum ist es so wichtig, tatsächlich tragfähige Grundla-
gen für die Personalbemessung zu schaffen.

Aber auch unabhängig davon sind die Verhandlungs-
partner der Selbstverwaltung, also die Einrichtungen und
die Kostenträger, aufgefordert und in der Pflicht, bereits
vorhandene Erkenntnisse umzusetzen . Denn sie können
in Pflegesatzverhandlungen selbstverständlich nicht nur
die auskömmliche Finanzierung, sondern eben auch gute
Personalschlüssel vereinbaren . Das wurde im vergange-
nen Jahr im Zuge der Umstellung auf den neuen Pfle-
gebedürftigkeitsbegriff vielerorts tatsächlich gemacht.
Dafür haben wir als Große Koalition mit den Pflegestär-
kungsgesetzen I und II die Grundlage geschaffen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Mechthild Rawert [SPD]: Mehr Personal!)


Woran wir aber schon heute denken müssen: Mehr
Personal kostet auch mehr Geld .


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Ja, richtig!)


Im jetzigen System zur Finanzierung der Pflegeversi-
cherung führt das dazu, dass die Eigenanteile der Pflege-
bedürftigen steigen . Diese Eigenanteile sind aber schon
heute außerordentlich hoch und überfordern viele Betrof-
fene . Darum werden wir als SPD sehr genau beobachten,
wie sich die vielen Neuerungen der Pflegereformen aus-
wirken. Wenn es so sein sollte, dass die finanzielle Belas-
tung der Pflegeheimbewohnerinnen und -bewohner noch
weiter steigt, dann werden wir in der nächsten Legisla-
turperiode die entsprechenden Konsequenzen daraus zie-
hen . Es kann jedenfalls nicht sein, dass die steigenden
Personalkosten allein von den Pflegebedürftigen bezahlt
werden müssen . Nein, da benötigen wir andere Ideen und
Finanzierungskonzepte .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg . Erich Irlstorfer [CDU/CSU])


Wir werden beim Personal definitiv nicht sparen
können . Nein, wir werden vielmehr ins Personal und in
bessere Rahmenbedingungen für die Pflege investieren
müssen . Denn wir Sozialdemokratinnen und Sozial-
demokraten wollen nicht länger hinnehmen, dass Pfle-
gekräfte immer mehr Aufgaben in immer weniger Zeit
verrichten müssen, dass engagierte Pflegekräfte aus dem
Beruf aussteigen, weil sie sich überfordert fühlen, dass
Pflegekräfte eine zunehmende Entfremdung von ihrer
Arbeit empfinden, weil sie ihren Arbeitsalltag mit ihrem
Verständnis von einer würdevollen Pflege nicht in Ein-
klang bringen können .


(Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Und warum ist das so? Weil zu wenig Personal da ist!)


Erich Irlstorfer






(A) (C)



(B) (D)


Wir wollen es nicht länger hinnehmen, Frau
Zimmermann, dass die Ökonomisierung und die zu-
nehmende Arbeitsverdichtung den Pflegekräften keinen
Raum mehr für den eigentlichen Kern der Pflege lassen,
nämlich für Zuwendung, für Anteilnahme und für den
Blick auf den pflegebedürftigen Menschen mit seinem
individuellen Bedarf und seinen sozialen Bezügen . Das
ist es, was sich die Pflegekräfte wünschen und was diesen
Beruf wieder attraktiver machen würde; denn wir brau-
chen – das wurde heute schon angesprochen – nicht nur
eine bessere Personalbemessung, sondern auch die Pfle-
gekräfte, die die zusätzlichen Stellen mit Leben füllen .
Sollen sich mehr Menschen für diesen verantwortungs-
vollen Beruf begeistern lassen, braucht es eben neben
verbesserten Arbeitsbedingungen vor allem eine höhere
Wertschätzung und mehr Anerkennung .

Daher zum Abschluss mein Appell an die Kolleginnen
und Kollegen der Unionsfraktion: Blockieren Sie nicht
länger die dringend notwendige Pflegeberufereform.

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD – Maria Michalk [CDU/ CSU]: Wir arbeiten dran! – Erich Irlstorfer [CDU/CSU]: Der Ball liegt bei Ihnen!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822116700

Vielen Dank, Heike Baehrens . – Die letzte Rednerin in

dieser Debatte: Ute Bertram für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ute Bertram (CDU):
Rede ID: ID1822116800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Beide Anträge, der Antrag der Fraktion Die Linke und
auch der auf die Schnelle nachgeschobene Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, machen die Personal-
ausstattung in den Pflegeeinrichtungen zu einem Thema,
das angeblich dringendsten Handlungsbedarf aufweist .


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Was heißt hier „angeblich“?)


Es ist keine Frage: Die Ausstattung der Pflegeeinrich-
tungen in Deutschland mit qualifiziertem und motivier-
tem Personal und einem geeigneten Personalschlüssel
ist eine noch fertigzustellende Baustelle . Deshalb haben
CDU, CSU und SPD im Koalitionsvertrag 2013 auch
vereinbart, sich – Zitat – „im Rahmen der rechtlichen
Möglichkeiten für Personalmindeststandards im Pfle-
gebereich“ einzusetzen . Diese Vereinbarung haben wir
auch eingelöst. Wir haben die Pflegestärkungsgesetze I,
II und III verabschiedet und damit die Türen aufgesto-
ßen, damit die Lage in unseren Pflegeeinrichtungen ver-
bessert werden kann .

Wir alle wissen: Jede Einrichtung und jede Organi-
sation kann nur so gut sein wie das Personal, das darin
arbeitet . Wer also Qualität will, muss dafür sorgen, dass
qualifizierte und motivierte Mitarbeiterinnen und Mitar-
beiter vorhanden sind. Dies alles trifft auch auf die Pflege
zu . Dementsprechend hat der Bundestag die einschlägi-
gen Vorschriften im SGB XI ausgestaltet .

Gerade mit dem Pflegestärkungsgesetz II vom Dezem-
ber 2015 hat sich die Koalition der Personalbemessung
in unseren Pflegeeinrichtungen angenommen, und mit
dem neuen § 113c SGB XI hat sie die bundesgesetzliche
Grundlage geschaffen, damit die sogenannten Vertrags-
parteien an die Arbeit gehen und den ihnen auferlegten
Auftrag erledigen können .

Bei diesen Vertragsparteien handelt es sich um den
Spitzenverband Bund der Pflegekassen, die Bundesar-
beitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozial-
hilfe, also der Länder, die kommunalen Spitzenverbände
und die Vereinigungen der Träger der Pflegeeinrichtun-
gen . Zu beteiligen sind außerdem der MDK, die PKV, die
Verbände der Pflegeberufe und der maßgeblichen Orga-
nisationen pflegebedürftiger und behinderter Menschen.
Schließlich sind die Entwicklung und Erprobung eines
einheitlichen Personalbemessungsverfahrens im Einver-
nehmen mit dem BMG und dem BMFSFJ sicherzustel-
len .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mit dieser Aufzählung will ich Sie nicht langweilen,
sondern unterstreichen, dass die Ermittlung einer fun-
dierten Personalbemessung eine Aufgabe ist, die zwin-
gend viele Akteure erfordert .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der gesetzliche Auftrag lautet, „ein wissenschaftlich
fundiertes Verfahren zur einheitlichen Bemessung des
Personalbedarfs“ nach qualitativen und quantitativen
Maßstäben zu entwickeln und zu erproben . Dazu hat der
Gesetzgeber eine Frist bis zum 30 . Juni 2020 gesetzt . Der
Koalition ging es dabei auch um den Grundsatz „Gründ-
lichkeit vor Schnelligkeit“ .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau, das finden die Betroffenen bestimmt auch!)


Ein wissenschaftlich fundiertes Verfahren, um den
Personalbedarf in den Pflegeeinrichtungen nach einheit-
lichen Grundsätzen qualitativ und quantitativ zu bestim-
men, hat uns bisher nicht vorgelegen . Damit wird einer-
seits der notwendige Druck auf die Akteure ausgeübt,
sich an die Arbeit zu begeben, und andererseits auch die
Zeit gegeben, zu einem seriösen Ergebnis zu kommen .
Hierbei sind der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff und die
neuen Pflegegrade ebenso zu berücksichtigen wie bereits
vorliegende Untersuchungen und Erkenntnisse unter an-
derem zu Anforderungs- und Qualifikationsprofilen in
der Pflege.

Die Regelung bezieht sich sowohl auf stationäre als
auch auf ambulante Pflegeeinrichtungen. Dabei sind ins-
besondere die historisch gewachsenen und teilweise sehr
unterschiedlichen Personalrichtwerte auf Landesebene in
stationären Pflegeeinrichtungen und die Entwicklungen
in der ambulanten Pflege zu berücksichtigen.

Bei dieser Sachlage ist es doch angezeigt, unsere
wohlüberlegten Entscheidungen vom Dezember 2015
wirken zu lassen . Jedenfalls gibt es für meine Fraktion
keinen Grund, nun alles zugunsten einer hektischen Be-

Heike Baehrens






(A) (C)



(B) (D)


triebsamkeit über den Haufen zu schmeißen und einen
Zeitdruck aufzubauen, aus dem auf jeden Fall nichts Ge-
scheites erwachsen kann . Auch im Gesundheitsbereich
haben wir doch alle genug Erfahrungen gesammelt, dass
zu kurz bemessene Fristen uns als Gesetzgeber immer
wieder gezwungen haben, längere Leine zu geben .


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Das ist wahr!)


Ein Qualitätsmerkmal für eine gute Gesetzgebung war
das noch nie . Deshalb spricht jetzt auch alles dafür, dass
wir im Wissen um die gegenwärtigen und künftigen He-
rausforderungen in der Pflege Kurs halten und unsere be-
schlossenen Maßnahmen wirken lassen, anstatt mitten im
Lauf die Richtung und die Geschwindigkeit zu wechseln .

Letztlich kann die Personalproblemlösung nur gelin-
gen, wenn die Akteure mit Gewissenhaftigkeit und Ver-
lässlichkeit rechnen können . Eigentlich wissen das auch
die Antragsteller . Deshalb wird es Sie nicht verwundern,
dass wir den Antrag der Linken ablehnen werden . Wir
werden dann noch Gelegenheit haben, über den Antrag
der Grünen im Ausschuss zu beraten, um dann zu ent-
scheiden .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822116900

Vielen Dank, Ute Bertram . – Damit schließe ich die

Aussprache .

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Gesundheit zum Antrag der Fraktion Die Linke
mit dem Titel „Gute Arbeit in der Pflege – Personalbe-
messung in der Altenpflege einführen“. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/11347, den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/9122 abzulehnen . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenom-
men . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD . Die Lin-
ke war dagegen, und enthalten hat sich Bündnis 90/Die
Grünen .

Zusatzpunkt 9 . Interfraktionell wird Überweisung der
Vorlage auf Drucksache 18/11414 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . – Sie
sind damit einverstanden . Dann ist die Überweisung so
beschlossen .

Jetzt kommen wir – ich lasse mir mit dem Vorlesen
Zeit, damit der Minister dann auch Gehör findet – zu ei-
nem neuen Tagesordnungspunkt, genauer gesagt zu den
Tagesordnungspunkten 11 a und 11 b:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpas-
sung des Datenschutzrechts an die Verordnung

(EU) 2016/679 und zur Umsetzung der Richtli-

nie (EU) 2016/680 (Datenschutz-Anpassungs-
und -Umsetzungsgesetz EU – DSAnpUG-EU)

Drucksache 18/11325
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)


Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord-
nung
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
Ausschuss Digitale Agenda

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan
Korte, Frank Tempel, Dr . André Hahn, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Datenschutzrechte der Bürgerinnen und Bür-
ger stärken

Drucksache 18/11401
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss Digitale Agenda

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist das auch so beschlossen .

Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die an der De-
batte teilnehmen wollen, Platz zu nehmen, weil ich die
Aussprache gerne eröffnen würde.

Ich erteile Dr . Thomas de Maizière für die Bundesre-
gierung das Wort .

Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Titel des heute zu beratenden Gesetzes ist lang und
kompliziert . Auch der Text wirkt auf den ersten Blick
kompliziert . Der Inhalt aber ist es im Wesentlichen nicht .
Vielleicht wird auch nicht jedem sofort die Bedeutung
des Gesetzes klar, wenn man den Titel hört .

Datenschutz war früher oft etwas für Kenner und Spe-
zialisten . Abstrakt waren alle dafür . Streit gab es dann bei
der konkreten Anwendung .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wohl wahr!)


Jetzt geht es um viel mehr Daten als früher . Jetzt geht es
nicht mehr um ein Spezialrecht für wenige Daten; jetzt
geht es um die Grundlage unseres gesellschaftlichen Zu-
sammenlebens und unsere wirtschaftliche Entwicklung .

Wir setzen mit diesem Gesetz europäisches Recht um .
Auch das klingt rechtstechnisch . Im Mai vergangenen
Jahres sind zwei EU-Rechtsakte in Kraft getreten: die
europäische Datenschutz-Grundverordnung und die Da-
tenschutzrichtlinie für die Zusammenarbeit von Polizei
und Justiz .

Die Datenschutz-Grundverordnung wurde vier Jah-
re lang mit viel Mühe, mit langem Atem und mit sehr
unterschiedlichen Interessen zwischen allen möglichen
Beteiligten verhandelt . 28 unterschiedliche Datenschutz-
rechtsregeln in 28 Mitgliedstaaten mit all den Nachteilen,
die das für Wirtschaft und Verbraucher bei grenzüber-
schreitenden Sachverhalten hatte: All das wird jetzt be-
endet . Es werden in Europa einheitliche Regeln gelten,
grenzüberschreitend einheitliche Datenschutzstandards

Ute Bertram






(A) (C)



(B) (D)


und eine einheitliche Datenschutzaufsicht für Unterneh-
men – davon profitieren Bürgerinnen und Bürger genau-
so wie die Wirtschaft .

Es gilt: ein Markt – ein Recht . Das gilt auch für Diens-
te, die von außerhalb Europas in Europa angeboten wer-
den, etwa für die vielen sozialen Netzwerke, die Sie alle
kennen und jetzt möglicherweise gerade nutzen . Dienste,
die von außerhalb angeboten werden und in Europa, also
in Deutschland, in Irland, in Italien – wo auch immer –,
abgerufen werden, unterfallen alle nach dem Marktort-
prinzip einem Recht, und zwar unserem europäischen
Recht . Dass sich in EU-Mitgliedstaaten Unternehmen
ansiedeln, die bewusst auf Oasen mit niedrigen Daten-
schutzstandards setzen, wird es künftig nicht mehr geben .
Das ist gut, das ist richtig, und das war längst überfällig .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


– Ich bin über diesen Beifall erstaunt .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Manchmal wundert man sich noch!)


Die Datenschutz-Grundverordnung funktioniert aber
nicht ohne nationale Gesetzgebung . Eine Verordnung
ist unmittelbar geltendes Recht . Wir debattieren gerade
noch mit der Kommission darüber: Was darf man zitie-
ren und aufschreiben? Aber auf jeden Fall enthält die
Datenschutz-Grundverordnung Handlungs- und Gestal-
tungsaufträge für den nationalen Gesetzgeber . Nehmen
Sie etwa den Auftrag zur Festlegung der deutschen Ver-
tretung im Europäischen Datenschutzausschuss, der In-
stanz, die künftig maßgeblich über die Auslegung dieser
Datenschutz-Grundverordnung entscheidet . Das kön-
nen, ehrlich gesagt, nicht 16 Datenschutzbeauftragte aus
Deutschland sein . Da muss man sich schon etwas kohä-
renter aufstellen . Das schlagen wir hiermit vor .

Wir nehmen diese und weitere Gestaltungsaufträge
verantwortungsbewusst wahr . Deutschland schöpft dabei
den Rahmen moderat aus . Deutschland überschreitet kei-
ne gemeinschaftlichen Grenzen . Herr Abgeordneter von
Notz, weil Sie sicherlich gleich darauf eingehen werden:
Deutschland unterschreitet auch nicht das nationale Da-
tenschutzniveau – an keiner einzigen Stelle .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir sind im Übrigen allen Gesetzgebern zeitlich weit
voraus, sowohl im Verhältnis zu anderen Mitgliedstaa-
ten als auch im föderalen Gefüge . Alle Bundesländer
müssen nämlich ihre Gesetze daraufhin überprüfen, ob
sie dem ab Mai geltenden Recht standhalten . Wir wollen
deshalb frühzeitig Rechtssicherheit schaffen und geben
allen Beteiligten genug Zeit, sich auf die neue Rechtslage
vorzubereiten .

Im Mai tritt das europäische Recht in Kraft . Ohne das
neue Recht bleiben wesentliche datenschutzrechtliche
Kontroll- und Sanktionsmechanismen unvollkommen,
oder es findet ohne Deutschland statt. Beides ist schlecht.
Auf der anderen Seite bitte ich um eine zügige Verabschie-
dung, weil ohne das neue Gesetz notwendige Rechtsgrund-

lagen für die Datenverarbeitung durch öffentliche Stellen
fehlen würden; denn das heute zu beratende Gesetz ist das
Fundament für mehrere Hundert Fachgesetze, für die Da-
tenverarbeitung öffentlicher Stellen im Geschäftsbereich
der Bundesregierung und darüber hinaus .

Das führt mich zum zweiten Pfeiler dieses Gesetzes,
zur Umsetzung der europäischen Datenschutzrichtlinie
Polizei und Justiz in nationales Recht . Mit dieser Um-
setzung schaffen wir essenzielle datenschutzrechtliche
Grundlagen für die Polizei- und Justizgesetze des Lan-
des . Mit diesem Dachgesetz haben wir dann eine klare,
einheitliche Datenschutzregelung für die Bundespolizei,
für das Bundeskriminalamt und für den Generalbun-
desanwalt . Hätten wir sie nicht und würden wir sie in
dieser Legislaturperiode nicht hinbekommen, dann hän-
gen diese Datenschutzregeln entweder in der Luft, oder
wir müssten sie sehr kompliziert in die Fachgesetze hi-
neinoperieren, was jedenfalls nicht anwenderfreundlich
ist . Deswegen werbe ich sehr dafür, dass wir auch diese
Richtlinie bis Mai nächsten Jahres umsetzen, nicht nur
zur Vermeidung von Vertragsverletzungsverfahren .

Ich halte das auch für wichtig, um Deutschland mit
einer modernen und zeitgemäßen Datenpolitik auszustat-
ten . Wir leben nicht mehr in den 70er-Jahren . Deswegen
dürfen wir beim Datenschutz auch nicht mehr die Streit-
punkte der 70er-Jahre anführen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Marian Wendt [CDU/CSU]: Sehr richtig! – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Das Verständnis eines Datenschutzes im Sinne mög-
lichst großer Datensparsamkeit hat sich auch durch die
technische Entwicklung überholt .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Daher weht der Wind!)


Datensparsamkeit ist kein Wert an sich . Datenschutz
schützt nämlich nicht die Daten und schon gar nicht die
Daten an und für sich, sondern Datenschutz schützt die
Menschen vor einem Missbrauch von Daten . Das ist der
eigentliche Zweck des Datenschutzes .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider nicht bei Ihnen!)


Getrennte Datentöpfe sind noch kein Datenschutz . Die
Verknüpfung von Daten ist noch kein Verstoß gegen den
Datenschutz . Im Gegenteil: Die kluge Verknüpfung von
Daten kann Leben retten, hilft der Forschung, lenkt den
Verkehr, schützt die Umwelt und hilft bei der Verbrechens-
bekämpfung . Nicht die Verknüpfung von Daten ist das Da-
tenschutzproblem, sondern der Missbrauch zulasten von
Persönlichkeitsrechten; das wollen wir verhindern .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn nicht in Europa die Datenschätze gehoben, ana-
lysiert, zu wertvollen Informationen veredelt und klug
genutzt werden, dann werden es andere tun . Die anderen
werden es aber nicht auf dem Datenschutzniveau der Eu-
ropäischen Union machen . Sie werden es nicht so ma-
chen wie wir, die wir den Datenschutz achten als wichti-
gen Grundsatz des menschlichen Zusammenlebens .

Bundesminister Dr. Thomas de Maizière






(A) (C)



(B) (D)


Deswegen dient die Verabschiedung dieses Gesetzes
mit den Elementen Gestaltungsauftrag aufgrund der Da-
tenschutz-Grundverordnung und Umsetzung der Richtli-
nie nicht nur der Umsetzung irgendwelchen EU-Rechts,
sondern sie liegt im Interesse sowohl des Persönlich-
keitsschutzes als auch der wirtschaftlichen Entwicklung
unseres Landes . Deswegen bitte ich um zügige Beratung
und Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs noch in der
laufenden Legislaturperiode .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822117000

Vielen Dank, Minister de Maizière . – Nächste Redne-

rin: Petra Pau für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822117100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Bundesinnenminister, in einem gebe ich Ihnen
recht: Der Inhalt des Gesetzes ist nicht kompliziert . Das,
was darin vorgesehen ist, ist gut zu verstehen . Aller-
dings – das setze ich gleich an den Anfang – haben wir
offensichtlich einen grundlegenden Dissens in der Beur-
teilung des Inhalts und der Wirkung der vorgeschlagenen
Regeln . Deshalb möchte ich am Beginn der Debatte uns,
aber insbesondere auch die jüngeren Zuhörerinnen und
Zuhörer an etwas erinnern:

1983 hatte das Bundesverfassungsgericht ein legendä-
res Urteil gesprochen . Allgemein wird es Volkszählungs-
urteil genannt . Damit wurde das Recht auf informationel-
le Selbstbestimmung, mithin der Datenschutz, auf einen
Verfassungsrang gehoben . Wenn wir also heute über Da-
tenschutz reden, dann nicht über belanglose Nebensäch-
lichkeiten, sondern immer über verbriefte Grundrechte
und unabdingbare Grundlagen der Demokratie .

Heute geht es um die Anpassung des deutschen Daten-
schutzes an aktuelle Vorgaben der Europäischen Union .
Also heißt die zentrale Frage: Schafft der vorliegende
Gesetzentwurf mehr Datenschutz, mehr Bürgerrechts-
schutz und auch mehr Transparenz oder nicht? Die Frak-
tion Die Linke beantwortet diese Fragen mit Nein und
lehnt folglich als sozialistische Bürgerrechtspartei diesen
Gesetzentwurf ab .


(Beifall bei der LINKEN)


Mit unserer Ablehnung sind wir übrigens mitnichten
allein, wie zahlreiche Stellungnahmen und Gutachten zei-
gen, darunter auch eine ausführliche Kritik der Bundesbe-
auftragten für den Datenschutz und die Informationsfrei-
heit, unserer ehemaligen Kollegin Andrea Voßhoff.

Besonders zugespitzt hat es die Initiative Digital-
courage formuliert . Ich zitiere:

Am Donnerstag dieser Woche

– also heute –

sollen im Bundestag gleich zwei schlechte Gesetze
beraten werden: Das Datenschutzanpassungsgesetz
… läutet den Totalausverkauf des Datenschutzes
ein …

Das „Videoüberwachungsverbesserungsgesetz“ …
macht es für Bürgerinnen und Bürger unmöglich,
sich noch unbeobachtet im öffentlichen Raum zu
bewegen .


(Marian Wendt [CDU/CSU]: Das ist doch Blödsinn!)


Ende des Zitats . – Es geht also um viel .


(Marian Wendt [CDU/CSU]: Die Sicherheit der Bürger!)


Als konstruktive Opposition hat die Linke einen ei-
genen Antrag zum vorliegenden Regierungsentwurf ge-
stellt . Im Kern geht es uns um fünf grundlegende Ver-
besserungen .

Erstens . Datenschutzrechte der Bürgerinnen und Bür-
ger sind zu stärken . Das beginnt beim Auskunftsrecht in
Bezug auf erhobene Daten und betrifft ebenso die Mög-
lichkeit, persönliche Daten löschen zu lassen .

Zweitens . Die Kompetenzen des bzw . der Bundesbe-
auftragten für den Datenschutz und die Informationsfrei-
heit sind zu stärken, inklusive Sanktionsmöglichkeiten
bei Datenmissbrauch .

Drittens . Eine unabhängige datenschutzrechtliche
Kontrolle gegenüber Nachrichten- und Geheimdiensten
ist zu schaffen.

Viertens . Die Zahl der Daten und deren Zweckent-
fremdung bei sogenannten Scoringverfahren, zum Bei-
spiel wenn es um die Kreditwürdigkeit von Personen
geht, sollen minimiert werden .

Fünftens . Wir brauchen in Zeiten der fortschreitenden
Digitalisierung ein gesondertes und neues Datenschutz-
recht für Beschäftigte . Das steht übrigens auch schon seit
Ende der 1980er-Jahre aus . Wir sollten uns dem Ganzen
einmal zuwenden .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


All das gibt der vorliegende Entwurf nicht her . Statt-
dessen senkt er bislang geltende Standards . Er bleibt par-
tiell hinter EU-Recht zurück . Deshalb lehnen wir diesen
Entwurf ab . Aber wir haben noch die Chance, unsere fünf
Verbesserungsvorschläge vielleicht hineinzunehmen .


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822117200

Vielen Dank, Petra Pau . – Nächster Redner: Gerold

Reichenbach für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Gerold Reichenbach (SPD):
Rede ID: ID1822117300

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Wenn wir über Datenschutz reden, dann reden
wir eigentlich nicht über den Schutz von Daten per se .

Bundesminister Dr. Thomas de Maizière






(A) (C)



(B) (D)


Vielmehr ist Datenschutz Schutz von Persönlichkeits-
rechten . Deswegen sind viele der oftmals auch von Wirt-
schaftsseite in die Debatte eingebrachten Gegensätze
keine . Natürlich kann ich viele Daten nutzen, aber ich
muss nicht viele Daten über Personen haben . Um zum
Beispiel Gesundheitsforschung zu betreiben, muss ich
nicht wissen, wer die Person ist, sondern ich muss die
Genealogie kennen . Um Fahrzeuge vernünftig lenken zu
können, muss ich nicht wissen, wer darin sitzt, was er zu
Hause für eine Einrichtung hat und zu welchen Zeiten er
sein Garagentor öffnet. Ich brauche die Verkehrsdaten.

Weil immer mehr Daten anfallen – der Herr Minister
hat es angesprochen –, haben wir auf europäischer Ebene
nach langen Verhandlungen im Mai 2016 die sogenann-
te Datenschutz-Grundverordnung erlassen . Nach einer
Übergangsfrist von zwei Jahren wird sie ab Mai 2018
unmittelbar gelten . Es geht jetzt darum, unser nationales
Recht in diese unmittelbar geltende Grundverordnung
einzupassen . Diese Datenschutz-Grundverordnung ist
ein Erfolg für das Ziel eines einheitlichen Marktes und
eines einheitlichen Rechtsraums in der Europäischen
Union, gerade was die Zukunft und die Entwicklung un-
serer digitalen Gesellschaft betrifft.

Für datenverarbeitende Unternehmen stellt es einen
enormen Vorteil dar – das wurde angesprochen –, wenn
in ganz Europa das gleiche Datenschutzrecht gilt . Für
die europäischen Bürgerinnen und Bürger wird ein hoher
Standard des Schutzes ihrer persönlichen Daten erreicht,
der in ganz Europa nicht mehr unterschritten und damit
auch nicht ausgehebelt werden kann .

Zentrales Element der Verordnung ist das Marktort-
prinzip . Dieses Prinzip besagt, dass das nicht nur für die
in der EU niedergelassenen Unternehmen gilt; vielmehr
können sich auch Unternehmen, die irgendwo sitzen,
nicht mehr mit dem dort geltenden Recht herausreden,
solange und sobald sie Daten europäischer Bürger er-
heben, verarbeiten und sammeln . Auch dann gilt euro-
päisches Recht . Das bedeutet für die Unternehmen in
Europa gleiche Wettbewerbsbedingungen und für die
Verbraucher und Bürger nun endlich die Möglichkeit,
ihre Rechte über nationale Grenzen hinweg auch effektiv
durchzusetzen .


(Beifall bei der SPD)


Mit dem Satz eines Freundes der datenverarbeitenden
Industrie „Das Beste am deutschen Datenschutz ist, dass
er nicht durchgesetzt werden kann“ ist nach Inkrafttreten
der Verordnung dann endlich Schluss .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dieses Thema wird übrigens mit zunehmender Digita-
lisierung unseren Alltag immer weiter prägen . Bei neuen
technischen Entwicklungen – sie sind genannt worden –
wie den sogenannten intelligenten Autos, Smart Cars,
wie dem Smart Home – die Wohnung, die alles über dich
weiß, weil sie dich den Tag über rundum bedient –, bei
Smart-Health-Produkten bzw . Datenerhebungsproduk-
ten, die direkt am Körper sind, wird es in Zukunft für
die Bürger eine immer größere Rolle spielen, wie mit
den Daten, die direkt von ihnen erhoben werden, um-
gegangen wird und wer sie nutzt . Hier geht es um die

Verwendung hochsensibler Daten: über den Standort, die
Bewegung, die Gesundheit bis hin zu intimen Details der
privaten Lebensführung .

Der nun vorliegende Gesetzentwurf zur Anpassung
des deutschen Rechts wurde Anfang Februar nach
schwierigen Ressortabstimmungen im Bundeskabinett
beschlossen und ist hier heute eingebracht worden . Ich
sage auch offen: Im ersten Entwurf des BMI wurde das
Ziel der Einhaltung eines hohen und einheitlichen euro-
päischen Datenschutzniveaus, das die Verordnung vor-
gibt, nach Auffassung der SPD nicht überall erreicht. Er
enthielt nicht nur Abweichungen von den europäischen
Vorgaben, sondern es gab an einigen Stellen auch den
Versuch, das Datenschutzniveau durch die Hintertür et-
was gängiger zu machen, um es einmal ganz vorsichtig
zu formulieren .

Das geschah wohl auch als falsch verstandenes Ent-
gegenkommen gegenüber der datenverarbeitenden Wirt-
schaft, „falsch verstanden“ deswegen, weil gilt: Es ist
auch der Wirtschaft nicht damit gedient, wenn wir natio-
nale Regelungen zu ihren Gunsten treffen, die später vom
EuGH wieder einkassiert werden und für sie nur Rechts-
unsicherheit produzieren . Es ist ihr schon gar nicht damit
gedient, wenn Deutschland als eines der ersten Länder,
die das nationale Recht an die Verordnung anpassen,
durch eine überziehende Interpretation, vermeintliche
Öffnungsklauseln und nationale Sonderregelungen den
Basar neu eröffnet mit dem Ergebnis, dass die anderen
europäischen Länder es uns gleichtun und dadurch der
für die Wirtschaft große Vorteil eines einheitlichen eu-
ropäischen Rechtsrahmens und gleicher Wettbewerbsbe-
dingungen sogleich wieder zerschossen wird .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Bei der Ressortabstimmung hat insbesondere Heiko
Maas mit seinem Ministerium für Verbraucherschutz,
glaube ich, sehr beharrlich darauf hingearbeitet, dass
der jetzt vorliegende Entwurf einen Großteil der Mängel
nicht mehr enthält . Zwischen dem aktuellen Entwurf und
dem ursprünglichen liegen also sowohl strukturell als
auch inhaltlich durchaus einige Welten .

Wir Sozialdemokraten haben schon während der Ver-
handlungen in der Europäischen Union stets betont, dass
aus unserer Sicht das hohe nationale Datenschutzniveau
durch die Grundverordnung nicht abgesenkt oder ver-
wässert werden darf . Das ist auch gelungen . Aus Sicht
der SPD-Fraktion steht fest: Das erreichte Schutzniveau
der Grundverordnung gilt für uns als Marke, und wir
werden allen Versuchen, dies durch eine Überziehung
von Öffnungsklauseln wieder zu schwächen, eine klare
Absage erteilen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dort, wo es um nationale Spezifika geht, etwa im Be-
reich des Schutzes der Verbraucher, beim Scoring und
im Beschäftigtendatenschutz, werden wir die bisherigen
Regelungen im Kern erhalten . Beim Beschäftigtendaten-
schutz haben wir die in der Datenschutz-Grundverord-
nung ausdrücklich gegebene Möglichkeit spezifischer
Regelungen genutzt, um das nationale Niveau im Kern
zu erhalten . Aber ich sage auch: Weil Digitalisierung

Gerold Reichenbach






(A) (C)



(B) (D)


auch in der Arbeitswelt rapide voranschreitet, bestehen
wir Sozialdemokraten nach wie vor auf einem eigenen
Beschäftigtendatenschutzgesetz; denn nur so können wir
diesen rasanten Entwicklungen Rechnung tragen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir sind nach wie vor der Auffassung, dass es auch
im Bereich des Scoring eines eigenen Gesetzes bedarf,
das die notwendigen Schutzmechanismen nicht wie in
der Vergangenheit an der falschen Stelle, nämlich beim
Datenschutz, sondern im Bereich des Verbraucherschut-
zes und des Zivilrechts regelt . Wenn wir das in dieser
Legislaturperiode, auch aus Zeitgründen, mit unserem
Koalitionspartner nicht mehr hinbekommen, dann wird
das für uns Sozialdemokraten auf der Tagesordnung blei-
ben, und wir werden eigenständige Gesetze im Bereich
des Datenschutzes und des Scoring in der nächsten Le-
gislaturperiode erneut angehen .

Im Fokus der weiteren Beratung, Herr Minister, ste-
hen für die SPD-Fraktion die Rechte der Betroffenen.
Wir wollen nicht, dass am Ende durch nationale Aus-
nahmeregelungen für die datenverarbeitende Wirtschaft
deutsche Bürger und Verbraucher in Europa weniger
Rechte haben als etwa die Bürger in Österreich oder in
anderen europäischen Ländern .

Ich nenne ein Beispiel: unverhältnismäßiger Auf-
wand . Die Zahl der Daten, die von Personen gespeichert
sind, soll Auskunftsrechte und -pflichten aushebeln. Was
heißt denn das dann praktisch, wenn sich ein Unterneh-
men auf einen solchen unverhältnismäßigen Aufwand
aufgrund der hohen Zahl der Betroffenen berufen könn-
te, um den in der Verordnung festgelegten Informations-
und Löschungspflichten gegenüber dem Bürger nicht
nachkommen zu müssen? Der kleine Laden müsste dann
Auskunft erteilen, weil er nur wenige – in Anführungs-
zeichen – Kunden hat, aber die großen Datenkraken oder
der Massenverarbeiter müssten es nicht . Das kann doch
nicht gewollt sein . Das kleine Unternehmen mit Online-
shop müsste einem Bürger mitteilen, dass es seine per-
sönliche Daten für einen anderen Zweck weiterverarbei-
tet hat als für den, für den einmal die Zustimmung erteilt
worden ist; die Amazons, Facebooks und Googles dieser
Welt müssten es aber nicht . Das können wir, glaube ich,
nicht wollen .


(Beifall bei der SPD)


Eine solche Regelung würde übrigens darüber hinaus
geradezu das Risiko heraufbeschwören, dass Unterneh-
men den Aufwand künstlich erhöhen, das Ganze verkom-
plizieren, um ihre Informations- und Löschungspflichten
zu umgehen . Auch das kann von uns allen nicht gewollt
sein .

Es wäre zudem eine absurde Idee, dass ein Unterneh-
men, das entgegen dem Gesetz persönliche Daten gesam-
melt oder verarbeitet hat, zwar entsprechend der EU-Ver-
ordnung sanktioniert würde, aber diese Daten nicht
löschen müsste, wenn es nur genügend viele sind, sodass
es einen unverhältnismäßigen Aufwand bedeuten würde .
Das widerspräche jedem Rechtsverständnis und jedem

Gerechtigkeitsgefühl . Deswegen glaube ich, dass wir an
der Stelle noch einmal sehr genau hinschauen müssen .

Das gilt auch für die Frage „allgemein anerkannter
Geschäftszweck“ . Heißt das, dass in Zukunft die Daten,
die etwa Rabatterwägungen zugrunde gelegt werden,
nicht mehr nachgefragt werden dürfen, weil „Rabatt“ ein
allgemeiner Geschäftszweck ist? Heißt das, dass ich bei
Unternehmen, die meine persönlichen Daten sammeln
und auswerten, um individuelles Pricing – so heißt das –
zu machen, nicht mehr nachfragen darf: „Welche Daten
hast du von mir? Auf welcher Grundlage basiert dieses
individuelle Pricing?“? Das könnte am Ende vielleicht
dazu führen, dass mir in Onlineshops aufgrund meines
Kaufverhaltens regelmäßig nur überhöhte Preise ange-
boten werden . Darf ich das dann nicht mehr nachfra-
gen, weil das nicht ein Geschäftsgeheimnis, sondern ein
anerkanntes Geschäftsmodell ist? Es geht nicht darum,
Geschäftsgeheimnisse abfragen zu dürfen . Auch an der
Stelle müssen wir, glaube ich, noch einmal nachfragen .

Ich glaube, trotz guter Vorarbeit wird es im parla-
mentarischen Verfahren und im Beratungsprozess noch
eine ganze Reihe von Punkten geben, mit denen wir uns
beschäftigen müssen . Auch die Interessen der Bundes-
länder und die Stellungnahme des Bundesrates, die am
Freitag erfolgen wird, werden berücksichtigt werden
müssen, auch bei der Frage der Vertretung der Landes-
datenschutzbeauftragten im Europäischen Datenschutz-
ausschuss .

So wird wohl auch für dieses Gesetz das alte
Struck’sche Gesetz gelten: Kein Gesetz wird den Bun-
destag so verlassen, wie es hereingekommen ist . – Aber
eine gute Beratungsgrundlage ist dieses Gesetz allemal .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822117400

Vielen Dank, Gerold Reichenbach . – Nächster Red-

ner: Dr . Konstantin von Notz, Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr de
Maizière, Herr Reichenbach, wenn man Ihnen zuhört, ist
man gar nicht mehr sicher, ob Sie dasselbe Gesetz vorge-
legt haben . – Doch? Dann bin ich ja beruhigt .


(Marian Wendt [CDU/CSU]: Das Gesetz hat der Minister vorgelegt!)


Die unzähligen Datenschutzskandale, die Datenlecks,
die ungezügelte Datensammelei, Snowden und jetzt ganz
aktuell Vault 7 zeigen ja, wie dringend und wie drängend
der Datenschutz ist .


(Marian Wendt [CDU/CSU]: Was hat das mit der Datenschutz-Grundverordnung zu tun?)


Sie haben völlig recht, Herr de Maizière: Die 70er-Jah-
re sind vorbei, aber, ich glaube, anders, als Sie meinen .
Datenschutz ist heutzutage sehr viel wichtiger geworden

Gerold Reichenbach






(A) (C)



(B) (D)


und ein ganz zentraler Punkt der Politik, meine Damen
und Herren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gerold Reichenbach [SPD]: Das hat jetzt mit der Datenschutz-Grundverordnung so viel zu tun wie Kaninchenzucht mit Aquarienhaltung!)


Es gibt ja Gerüchte, wonach es in der jetzigen Führung
des Bundesinnenministeriums zwei lebendige Feindbil-
der gibt: den Datenschutz und die EU-Kommission . Der
heutige TOP vereinigt beide miteinander . Die unmittel-
bar geltende Verordnung zwingt alle Mitgliedstaaten der
EU und damit eben auch Deutschland in eine ernsthafte
Datenschutzreform . Dass das der Bundesregierung so
nicht schmecken würde, war klar . Denn Datenschutz gilt
Ihnen – das war ja deutlich herauszuhören – viel zu oft
als Hemmnis für die Privatwirtschaft und im Sicherheits-
bereich als Risiko . Und deswegen sage ich: Das Innenmi-
nisterium hat meiner Ansicht nach viel Kraft aufgewandt
und verschwendet, die Reform insgesamt zu verzögern
und aufzuhalten . Der Ausgang der Geschichte ist heute
klar: Die Bundesregierung hat in dieser Frage verloren,
und das ist auch gut so, meine Damen und Herren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt legen Sie hier einen Entwurf vor, der wenig
unversucht lässt, Ziele und Vorgaben der EU-Daten-
schutz-Grundverordnung sowie der EU-Richtlinie zur
Polizei und Justiz zu hintertreiben . Ganz typisch für Sie
sind auch die am Ende des langen Artikelgesetzes ver-
steckten Änderungen des BND-Gesetzes, etwa um die
Datenschutzaufsicht dieser Problembehörde weiter zu
erschweren . Das ist inakzeptabel .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Petra Pau [DIE LINKE])


Die EU-Reform ist insgesamt gesehen nämlich ein
Erfolg . Wir haben endlich ein Instrument gegen Da-
tenmissbrauch durch Facebook, Google und Co, einen
Schutz, den Sie von der Union in zwölf Regierungsjah-
ren in unverantwortlicher Weise verweigert haben . Das
Marktortprinzip der Verordnung ist ein Meilenstein, auch
die hohen Sanktionen und Sonderregelungen wie die zur
Datenportabilität sind innovativ und gut .

Bedauerlich ist es, dass die Bundesregierung mit ei-
nem Anpassungsgesetz reagiert, das inzwischen annä-
hernd 70 Gegenanträge der Bundesländer hervorrufen
musste, Forderungen, die überwiegend auf den Inhalt
der EU-Datenschutzverordnung verweisen und deren
Geltung einfordern . So traurig scheint es leider um die
EU-Vertragstreue dieser Bundesregierung bestellt zu
sein . Wirklich unsäglich sind die Beschneidungen der In-
formationsrechte der Bürgerinnen und Bürger . Sie stellen
Auskunftsansprüche und Informationspflichten unter den
kommerziellen Vorbehalt der Unternehmen . Das werden
wir keinesfalls mitmachen, meine Damen und Herren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Petra Pau [DIE LINKE])


Abschließend: Auch wir machen uns nichts vor . Die
Geschwindigkeit und die Tiefe des Digitalisierungspro-

zesses sind eine enorme Herausforderung . Nicht alle
selbstgesteckten Ziele der EU-Reform sind erreicht wor-
den . Die Verordnung selbst ist hochabstrakt und – Sie
haben es angesprochen, Herr Minister – wegen ihres
Kompromisscharakters vielfach auslegungsbedürftig .
Das schafft eben auch ein gewisses Maß an Rechtsun-
sicherheit. Auch Dutzende Öffnungsklauseln stellen das
wünschenswerte Ziel einer EU-weiten Harmonisierung
wieder infrage . Aber die zentrale Aufgabe der Verord-
nung liegt vor allen Dingen in Folgendem: Big Data,
künstliche Intelligenz, Cloud Computing, das Internet
der Dinge, dies alles verlangt konkrete Regelungen, und
dem widerspricht eben auch nicht das wichtige Ziel der
Technikneutralität . Die EU-Kommission hat dies ver-
standen und einen Entwurf der E-Privacy-Verordnung
vorgelegt . Das gilt leider bisher nicht für Sie .

Die Bundeskanzlerin hat in falscher Wirtschafts-
freundlichkeit ganz ähnlich wie Sie eben, Herr de
Maizière, öffentlich mehrfach gesagt, den Datenschutz
schleifen zu wollen . Den Preis sollen die Bürgerinnen
und Bürger zahlen – durch weniger Schutz und weni-
ger Transparenz . Das machen wir als Bürgerrechtspartei
nicht mit . Wir können von Ihnen nur eine ordentliche
Umsetzung der guten Vorlage verlangen . Fangen Sie
endlich damit an!

Ganz herzlichen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Petra Pau [DIE LINKE])



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822117500

Vielen Dank, Konstantin von Notz . – Nächster Red-

ner: Stephan Mayer für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Burkhard Lischka [SPD])



Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1822117600

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-

ginnen! Sehr geehrte Kollegen! Ich glaube, man kann mit
Fug und Recht behaupten, dass die Datenschutz-Grund-
verordnung das mit Abstand wichtigste Dossier der Eu-
ropäischen Union in der laufenden Legislaturperiode der
Kommission ist .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Ab Mai 2018 findet sie unmittelbare Anwendung. Man
könnte daher durchaus die Frage stellen: Warum bedarf
es dann noch eines nationalen Anpassungs- und Umset-
zungsgesetzes? Es bedarf deshalb eines Anpassungs- und
Umsetzungsgesetzes, weil diese Verordnung viele Öff-
nungsklauseln beinhaltet .

Ich möchte ausdrücklich betonen: Der große Vorteil
der Datenschutz-Grundverordnung ist aus meiner Sicht,
dass es gelungen ist, eine Harmonisierung des europäi-
schen Datenschutzrechts in 28 Ländern – in absehbarer
Zeit vielleicht in 27 Ländern – zu erreichen, einem Raum
mit 500 Millionen Bürgern . Es ist ein Wert an sich, dass

Dr. Konstantin von Notz






(A) (C)



(B) (D)


in diesem gemeinsamen Raum ab Mai nächsten Jahres
ein einheitliches europäisches Datenschutzrecht gilt .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Gerold Reichenbach [SPD]: Das darf man nicht durch Spielchen kaputtmachen!)


Herr Kollege von Notz, Sie haben Geschichtsklitte-
rung betrieben mit der Behauptung, die Bundesregierung
wäre erfolglos gewesen, weil sie es nicht geschafft hätte,
diese Datenschutz-Grundverordnung zu verhindern . Das
Gegenteil ist der Fall, Herr Kollege von Notz .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So war es!)


Diese Datenschutz-Grundverordnung entspricht in vie-
lerlei Hinsicht dem geltenden Bundesdatenschutzgesetz .
Wir haben es gemeinsam geschafft – hier nehme ich den
Deutschen Bundestag durchaus mit ins Boot –, mit der
Bundesregierung, indem wir auf europäischer Ebene da-
für geworben haben, das europäische Datenschutzrecht
auf das deutsche Niveau zu heben .

Herr Kollege Reichenbach, wir waren vor zwei Wo-
chen gemeinsam in Irland . Ohne Kritik an einem kleinen
schönen Mitgliedsland der Europäischen Union betrei-
ben zu wollen: Das Bewusstsein in Irland für die Not-
wendigkeit von Datenschutz und auch die Ausgestaltung
des irischen Datenschutzrechts sind, vorsichtig formu-
liert, noch verbesserungsbedürftig .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Deshalb ist es ein Wert an sich, dass wir jetzt eine Har-
monisierung erreichen, und zwar nicht auf niedrigem Ni-
veau, sondern in vielerlei Hinsicht auf dem hohen Niveau
unseres deutschen Datenschutzrechts .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich bin auch sehr froh, dass das Bundesinnenministerium
nur in sehr reduzierter Weise von den Öffnungsklauseln
Gebrauch gemacht hat; denn ein übermäßiger Gebrauch
der Öffnungsklauseln würde diese Harmonisierung im
Datenschutzrecht konterkarieren .

Zur Klarstellung: Der Gesetzentwurf, den wir heu-
te in erster Lesung beraten, hat 85 Paragrafen . 60 die-
ser 85 Paragrafen sind zwingende Vorgaben der Da-
tenschutz-Grundverordnung . Daran können wir nichts
ändern . Die verbleibenden 25 Paragrafen beziehen sich
auf Sachverhalte, die wir nach der Datenschutz-Grund-
verordnung zwingend regeln müssen . Also, mit Verlaub,
Herr Kollege von Notz und meine lieben Kollegen von
den Linken: Dieses Gesetz eignet sich beileibe nicht für
eine Skandalisierung .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir
als CDU/CSU-Fraktion sind der Auffassung, dass den
berechtigten Informations- und Auskunftsrechten der Be-
völkerung bzw . der Verbraucher entsprechend Rechnung
getragen werden muss, auch was die Löschungspflichten
anbelangt . Um auch hier ein klares Statement abzugeben,
weil immer versucht wird, den Eindruck zu erwecken,

wir würden den großen Datenkraken – Herr Kollege von
Notz hat sie so genannt – Facebook, Google, Amazon
und Co das Wort reden und deren Wünschen Rechnung
tragen: Das Gegenteil ist der Fall . Es geht bei all den
Änderungen, die wir vornehmen wollen, nicht darum,
Facebook, Google und Co zu privilegieren, sondern es
geht darum, insbesondere im Lichte des risikobasierten
Ansatzes vor allem darauf zu achten, dass kleinere Un-
ternehmen, Handwerksbetriebe und Einzelhändler nicht
übermäßig durch Vorgaben der Datenschutz-Grundver-
ordnung belastet werden .

Herr Kollege Reichenbach, Sie haben die Formulie-
rung „unverhältnismäßiger Aufwand“ erwähnt . Es geht
auch bei dieser Ausnahme der Informations- und Aus-
kunftspflichten nicht darum, Facebook und Google zu
privilegieren . Es geht ausdrücklich nicht darum, die zu
privilegieren, die in digitaler Form Datenspeicherung be-
treiben . Wenn es darum geht, „Privilegien“ auszureichen,
dann bei analoger Speicherung von Daten, insbesondere
bei Handwerksbetrieben, kleineren Dienstleistungsun-
ternehmen und Einzelhändlern . Darum geht es uns ganz
konkret .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen,
wir werden diesen Gesetzentwurf zügig behandeln . Wir
werden Ihrem Wunsch Folge leisten, sehr geehrter Herr
Bundesinnenminister. Ich sage aber auch ganz offen: Wir
werden ihn sehr gründlich und seriös beraten; denn es ist
ein wichtiges Gesetz . Ich sage Ihnen auch zu: Wir wer-
den dieses Gesetz noch in der laufenden Legislaturperio-
de verabschieden .

Wir dürfen nicht zulassen, dass bewährte Geschäfts-
modelle unterminiert werden oder sogar unmöglich
gemacht werden . Aber – das möchte ich abschließend
sagen – wir werden auch darauf achten, dass deutschen
Interessen in diesem Umsetzungsgesetz entsprechend
Rechnung getragen wird, insbesondere auch, was die
Vertretung Deutschlands im Europäischen Datenschutz-
ausschuss anbelangt . Ich glaube, die Vorlage ist sehr sa-
lomonisch und sehr vernünftig formuliert .

In diesem Sinne freue ich mich auf intensive Ausein-
andersetzungen bezüglich dieses Gesetzentwurfes,


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die werden Sie haben!)


aber auch auf zügige Auseinandersetzungen; denn es ist
geboten, diesen Gesetzentwurf in der laufenden Legis-
laturperiode abschließend zu beraten und zu verabschie-
den .

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822117700

Vielen Dank, Stephan Mayer . – Letzter Redner in der

Debatte: Marian Wendt für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Stephan Mayer (Altötting)







(A) (C)



(B) (D)



Marian Wendt (CDU):
Rede ID: ID1822117800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Mu-

sik der 80er-Jahre wird sicherlich nie aus der Mode sein .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822117900

Das stimmt .


(Heiterkeit)



Marian Wendt (CDU):
Rede ID: ID1822118000

Da haben wir mal eine gemeinsame Position .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darüber ist Einigkeit hergestellt!)


– Richtig . – Das Datenschutzverständnis der 80er-Jahre –
da besteht vielleicht auch noch Einigkeit – ist allerdings
vollkommen aus der Mode und hat keinen Charme mehr .
Davon kommen wir zum Glück langsam weg .

Mit einem einheitlichen Datenschutzrecht geht Eu-
ropa einen großen Schritt auf dem Weg zum gemeinsa-
men digitalen Binnenmarkt, einem Markt mit insgesamt
510 Millionen Einwohnern, mit einheitlichen Regeln und
Standards . Das große Gewicht, das all diese Menschen
für gute europäische Regeln in die Waagschale werfen,
wird auch globale Auswirkungen haben; denn das Inter-
net ist nicht auf Europa begrenzt, sondern global . Des-
wegen können wir Vorreiter für einen weltweiten Daten-
schutzstandard sein .

Unternehmen müssen nun nicht mehr 28 kleine Märk-
te mit eigenen, gewachsenen Strukturen des Daten-
schutzrechtes beliefern, sondern können sich auf Stan-
dards einstellen, die gemeinschaftlich und einheitlich
sind . Dadurch wird das Leben einfacher – für alle Bürge-
rinnen und Bürger, aber auch für die Unternehmen . Das
ist Wirtschaftsförderung pur . Ich denke, wir sollten an
dieser Stelle die Europäische Union auch einmal loben
und zeigen, wofür sie gut ist, statt immer nur Kritik in
Richtung Brüssel zu schicken .

Wir dürfen aber nicht vergessen, dass es beim Daten-
schutz in erster Linie darum gehen muss, die Verarbeitung
von Daten zu regulieren und so die Bürger zu schützen .
Die Erfassung von Daten zu regulieren und zu steuern, ist
in der heutigen Zeit aus meiner Sicht kaum mehr mög-
lich . Vom Datenschutzverständnis der 80er-Jahre – Da-
tensparsamkeit, Datenerfassung – müssen wir wegkom-
men . Vielmehr müssen wir uns darauf konzentrieren, die
Nutzung und Verwendung der Daten der Bürgerinnen
und Bürger zu steuern und zu kontrollieren . Das ist zeit-
gemäß und entspricht dem 21 . Jahrhundert .

Meine Damen und Herren, Datenschutz ist ein kon-
troverses Thema . Wenn wir auf die Angsthasen hörten,
dann wäre in Deutschland am Ende gar nichts mehr er-
laubt, dann gäbe es keine deutschen oder europäischen
IT-Unternehmen, und Daten der Bürgerinnen und Bür-
ger würden am Ende gar nicht geschützt, da Dienste und
Dienstleistungen außerhalb Europas angeboten würden,
in Staaten, in denen es keine Datenschutzstandards,
kein Datenschutzrecht gibt . Das schadete den Bürgern,
wie beschrieben, gleich doppelt – und zusätzlich da-
durch, dass wirtschaftliches Wachstum in Europa und in

Deutschland gehemmt würde . Wir wollen Arbeitsplätze
in Zukunftsbranchen schaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mit dem neuen europäischen Datenschutzrecht und
der entsprechenden Umsetzung haben wir einen Kom-
promiss gefunden, der es einerseits den Menschen er-
möglicht, die digitalen Dienstleistungen in Anspruch zu
nehmen, die sie wünschen, und gleichzeitig einzuschät-
zen, wie viel sie von sich preisgeben müssen, was mit
ihren Daten passiert. Andererseits verpflichten wir die
Unternehmen, verantwortungsbewusst mit den Daten der
Kunden umzugehen und kein Schindluder damit zu trei-
ben . Mir und der CDU/CSU-Fraktion kommt es darauf
an, dass wir diese Ausgewogenheit erhalten .

Ein einheitliches Datenschutzrecht in Europa betrifft
auch die Nutzung von Daten durch unsere Verwaltung,
durch den Staat . Das ist ein zentraler Punkt . Ohne das
neue Bundesdatenschutzgesetz würden unseren Behör-
den Rechtsgrundlagen für die Datenverarbeitung in der
Zukunft fehlen, vor allem in der alltäglichen Arbeit . Al-
lein dies ist aus meiner Sicht schon Veranlassung genug,
zügig über das neue Bundesdatenschutzgesetz zu beraten
und es zu beschließen .

Das Gesetz, das hier im Entwurf vorliegt, bildet die
Grundlage für umfangreiche Änderungen auch an wei-
teren Spezialgesetzen . Wir wollen dies in dieser Wahlpe-
riode abschließen . Spätestens im nächsten Jahr wird uns
die Datenschutz-Grundverordnung der EU noch entspre-
chenden Druck auferlegen .

Ich freue mich auf die weiterhin intensive Beratung in
den nächsten Wochen und danke für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822118100

Vielen Dank, Kollege Wendt . – Damit schließe ich die

Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/11325 und 18/11401 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen . – Sie sind einverstanden . Dann sind die Überwei-
sungen so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Sven-
Christian Kindler, Kerstin Andreae, Anja Hajduk,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Öffentliches  Vermögen  erhalten,  ehrlich  bi-
lanzieren, richtig investieren

Drucksache 18/11188
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung






(A) (C)



(B) (D)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre so
manches, aber das scheint mir kein Widerspruch zu sein .
Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort an
Sven-Christian Kindler für Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Seitdem Angela Merkel Bundeskanzlerin ist,
also seit 2005 – davon hat sie übrigens acht Jahre zu-
sammen mit der SPD regiert –, ist Deutschland bei den
öffentlichen Investitionen im Vergleich zum Bruttoin-
landsprodukt unter den letzten drei Staaten in der Eu-
ropäischen Union, also tief im Keller . Das sind Zahlen
von Eurostat . 2015 waren nur Zypern und Irland noch
schlechter .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)


Im Fußball wäre bei zwölf Jahren auf einem Abstiegs-
platz, bei zwölf Jahren im Keller schon längst ein Trai-
nerwechsel vollzogen worden. Ich finde, 2017 ist es Zeit,
dies auch in Deutschland zu tun;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


denn das ist maximal das Niveau vom Hamburger SV .
Aber Scherz beiseite!


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Wir haben ein massives Problem in Deutschland, weil
zu wenig investiert wird . Richtig ist: Länder und Kom-
munen können zum Teil kein Geld ausgeben, weil ihnen
die Planungskapazitäten fehlen . Warum ist das der Fall?
Weil die Bundesregierung, weil CDU/CSU und SPD eine
Investitionspolitik nach Kassenlage machen: hier mal ein
Sonderprogramm, da mal ein bisschen was . Das ist ein
Zickzackkurs, der aber keine Langfristigkeit, keine Ver-
lässlichkeit, keine Planbarkeit bietet . Das verunsichert
Kommunen und auch Länder, neue Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter, neue Planerinnen und Planer einzustellen . Es
liegt in Ihrer Verantwortung, dass die Investitionspolitik
in Deutschland so schlecht läuft . Deswegen fordern wir
Sie auf: Hören Sie auf mit dieser Zickzackinvestitions-
politik!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben heute einen umfassenden Vorschlag dazu
eingebracht . Die Idee ist ganz einfach: Wir wollen die
Schuldenbremse ergänzen. Sie soll nicht nur die offen-
sichtliche Verschuldung begrenzen, sondern auch die
Verschuldung, die durch den Verlust von öffentlichem
Vermögen entsteht, beenden . Mindestens das, was ab-
geschrieben wird, der Wertverlust, muss im Haushalt
reinvestiert werden . Diese Regel ist so einfach, so ein-
leuchtend und so sinnvoll, dass auch die Große Koalition
zustimmen könnte .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Damit das überhaupt möglich ist, brauchen wir eine Än-
derung im Bundeshaushalt, nämlich eine ordentliche
Bilanzierung . Wir müssen ja genau wissen: Wie viel
Vermögen hat der Bund ganz genau, nicht nur ungefähr?
Was müsste jährlich bilanziell abgeschrieben werden? –
Wir fordern mit unserem Antrag heute eine Vermögens-
bilanzierung; denn die geltende Kameralistik kann das so
nicht abbilden .

Dass wir dies dringend brauchen, haben wir in den letz-
ten Jahren gesehen . Hätten wir da schon eine ordentli-
che Bilanzierung durchgeführt, hätte Wolfgang Schäuble
das Investitionsdefizit im Haushalt nie leugnen können.
Er hat lange geleugnet, dass wir überhaupt ein Problem
im Hinblick auf Investitionen haben . Wenn er jährlich
schwarz auf weiß gesehen hätte, dass unser öffentliches
Vermögen im Haushalt schrumpft, hätte er das nicht
leugnen können . Deswegen wird es höchste Zeit für eine
ehrliche Bilanzierung im Haushalt, liebe Kolleginnen
und Kollegen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Last, but not least wollen wir mit unserem Antrag er-
reichen, dass Investitionen nachhaltig und sinnvoll finan-
ziert werden . Die Bundesregierung setzte in den letzten
Jahren vermehrt auf öffentlich-private Partnerschaften,
und das, obwohl wir wissen, dass der Bundesrechnungs-
hof und vermehrt auch die Landesrechnungshöfe nach-
weisen, dass solche Projekte in der Regel teurer sind, als
wenn wir sie konventionell finanzieren. Warum macht
die Bundesregierung das? Sie macht es, weil ÖPP-Pro-
jekte nicht in die Schuldenbremse eingerechnet werden .
Dadurch wird ein krasser Fehlanreiz gesetzt . Wir wollen,
dass ÖPP-Projekte in die deutsche Schuldenbremse ein-
gerechnet werden; denn das sind teure Kredite, die auch
als solche behandelt werden müssen . Es muss endlich
Schluss sein mit der teuren Schattenverschuldung durch
ÖPP-Projekte .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben Ihnen
heute einen umfassenden Vorschlag vorgelegt, wie man
das Investitionsdefizit langfristig beheben und eine lang-
fristige Investitionsplanung angehen kann . Ich bitte Sie:
Geben Sie sich einen Ruck! Lassen Sie uns das weitere
Vorgehen gemeinsam im Ausschuss und im Plenum bera-
ten! Schließen Sie sich unserer Initiative an!

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822118200

Vielen Dank, Sven-Christian Kindler . – Jetzt spricht

für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatsse-
kretär Jens Spahn .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Matthias Ilgen [SPD])


J
Jens Spahn (CDU):
Rede ID: ID1822118300


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zumindest zur Überschrift des Antrags der Grünen kann

Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)


man sagen: Stimmt! Deswegen möchte ich kurz auf die
Punkte in der Überschrift eingehen .

Es geht zum einen darum, Vermögen zu erhalten .
Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, Herr Kollege
Kindler: Wir investieren schon mehr als in der Vergan-
genheit, wir investieren mehr denn je . Wir investieren in
die Bildung und konnten hier eine Steigerung der Mittel
von 75 Prozent erreichen, eine Steigerung, die es nie zu-
vor in der Geschichte der Bundesrepublik gegeben hat .
Wir investieren in den Straßenbau, die Schiene und die
Wasserwege, und zwar mehr als in den vergangenen Jah-
ren und von Jahr zu Jahr mehr . Wir investieren mit einem
4-Milliarden-Euro-Programm in den Breitbandausbau .
Wir helfen den Kommunen, zu investieren, und geben
dafür beginnend 2015 3,5 Milliarden Euro und jetzt noch
einmal 3,5 Milliarden Euro aus, sodass wir die Kommu-
nen mit insgesamt 7 Milliarden Euro unterstützen .

Wir haben die Kommunen in den letzten Jahren ent-
lastet wie noch keine Bundesregierung und die sie tra-
genden Koalitionen zuvor in der Geschichte der Bundes-
republik, was Investitionsspielräume freisetzt . Aber wir
müssen gemeinsam feststellen – das ist der entscheiden-
de Punkt, aber dazu schreiben Sie in Ihrem Antrag leider
wenig –: Wir bekommen das Geld im Moment gar nicht
verbaut . Die schöne Überschrift „Vermögen erhalten“,
immer nur zu sagen, wir sollten mehr Geld zur Verfü-
gung stellen, um zu investieren, bringt nichts, wenn das
Geld nur als Soll im Haushalt steht, aber am Ende nicht
abfließt, weil die Projekte nicht baureif sind.

Sie erwähnen die Planungskapazitäten, ja; aber den
entscheidenden Punkt, nämlich warum es so lange dau-
ert, bis in Deutschland eine Straße gebaut werden kann,
ein Gewerbegebiet ausgebaut werden kann, irgendetwas
nach vorne gebracht werden kann, stellen Sie nicht .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aber darüber müssen wir in Deutschland reden . Wir müs-
sen auch mit der Europäischen Union reden, was die Pla-
nungsverfahren angeht . Handelt nur derjenige moralisch
wertvoll, der für Nistplätze von Fledermäusen kämpft?
Oder ist es auch ein moralischer Wert, für Arbeitsplätze
von Menschen zu kämpfen? Und wie wägen wir das ver-
nünftig gegeneinander ab?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Matthias Ilgen [SPD] – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aus welcher Grotte kommen Sie denn gerade, Herr Spahn?)


– Ich kann Ihnen sagen, aus welcher Grotte ich komme:
Das ist eine ziemlich schöne Region, das Münsterland .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das weiß ich doch!)


Und wissen Sie, was wir im Münsterland erleben? Mit
Änderungen im Planungsrecht sorgt Ihr Umweltminis-
ter Remmel dafür, und zwar mit System, dass bei uns in
Nordrhein-Westfalen kleinere und größere Kommunen
keine neuen Wohnbaugebiete und keine neuen Gewerbe-
gebiete ausweisen können .


(Bernhard Kaster [CDU/CSU]: So ist es!)


Das Land hatte null Komma null Prozent Wachstum im
Jahr 2015. Nordrhein-Westfalen hat es geschafft, inner-
halb von zehn Jahren 70 000 Hektar mehr Wald und
70 000 Hektar mehr Grünfläche auszuweisen, aber bei
den Gewerbegebieten minus 4 000 Hektar . Da stimmen
die Relationen doch offensichtlich nicht!


(Zuruf der Abg . Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Das müssen Sie sich schon gefallen lassen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Matthias Ilgen [SPD])


Wenn Sie Vermögen erhalten wollen, kann ich nur
empfehlen: Arbeiten Sie mit uns an der Beschleunigung
und der Vereinfachung der Planungsverfahren!


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen Verlässlichkeit und kein Zickzack!)


Das alles bringt nämlich nur etwas, wenn man das Geld
auch ausgeben kann .

Zur Frage der Bilanzierung kann ich Ihnen sagen:
Wir sind auf dem besten Weg, uns ehrlicher zu machen;
das haben wir in der Vergangenheit an vielen Stellen
auch schon verfolgt . Wir sind übrigens nach Artikel 114
Grundgesetz dazu verpflichtet, regelmäßig eine Vermö-
gensrechnung vorzulegen . Die Vorgabe ist sehr klar .

Ich gebe aber zu, dass es viele Bereiche gibt, in de-
nen man das Vermögen noch besser darstellen könnte,
in denen wir das besser zusammenführen müssen . Wir
brauchen eine Übersicht über die Schulden und Ver-
bindlichkeiten . Natürlich müssen auf der anderen Seite
auch Rückstellungen und Rücklagen aufgeführt werden .
Hier sind auch die Bundesbeteiligungen als Vermögen
abzubilden . Die Frage, welches Immobilienvermögen
wir haben, ist mittlerweile weitgehend geklärt . Seit der
Auslagerung in die BImA, die Bundesanstalt für Immo-
bilienaufgaben, wird das Immobilienvermögen in weiten
Teilen bilanziell dargestellt . Es wäre gut, wenn Sie mit-
helfen würden, damit wir auch mit der Infrastrukturge-
sellschaft endlich vorankommen; denn dann können wir
auch das Vermögen im Bereich der öffentlichen Infra-
struktur darstellen und bilanzieren, insbesondere bei den
Straßen . Das wäre ein weiterer wichtiger Schritt .

Es ist aber zu fragen – diese Frage kenne ich auch aus
dem Kreistag und dem Gemeinderat, in dem ich lange
mitgearbeitet habe –, ob die Doppik um der Doppik wil-
len, mit all dem Aufwand, der damit verbunden ist, am
Ende wirklich der Weisheit letzter Schluss ist .


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht nicht um Doppik! – Gegenruf des Abg . Eckhardt Rehberg [CDU/ CSU]: Natürlich! – Gegenruf des Abg . SvenChristian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt nicht!)


Es wird wahnsinnig viel Aufwand betrieben, um das zu-
sammenzuführen, ohne dass am Ende ein größerer Er-

Parl. Staatssekretär Jens Spahn






(A) (C)



(B) (D)


kenntnisgewinn steht, zumindest mit Blick auf die Ent-
scheidungen, die wir treffen.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben den Antrag gar nicht gelesen, oder?)


Ja, an den richtigen Stellen muss besser bilanziert wer-
den . Ja, an den richtigen Stellen müssen das Vermögen
und die Verbindlichkeiten klar aufgeführt werden . Aber
Doppik um der Doppik willen ist, glaube ich, nicht der
richtige Ansatz . Insofern sollten wir darüber reden .


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es steht nicht im Antrag drin! Lesen Sie noch einmal nach, Herr Kollege Spahn!)


Ich will noch einen Punkt ansprechen . Ein Satz in Ih-
rem Antrag ist sehr richtig:

Die aktuelle Nullverschuldung wird getragen von
guten Steuereinnahmen, niedriger Arbeitslosigkeit
und den historisch niedrigen Zinsen .


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat nichts mit der Bundesregierung zu tun! Das stimmt!)


Natürlich helfen diese drei Faktoren . Die spannende Fra-
ge ist nur: „Tun wir genug, damit das so bleibt?“, weil
diese Faktoren alleine das Wachstum in den nächsten
zwei oder drei Jahren nicht tragen werden . Über Anträge
zu dieser Frage würde ich viel lieber hier im Deutschen
Bundestag beraten als über die Frage, wie wir alles schö-
ner bilanzieren . Wir müssen vielmehr die Frage in den
Mittelpunkt rücken, auch in solchen Anträgen, wie wir
dafür sorgen können, dass wir wirtschaftlich stark blei-
ben, wie wir auch mit Blick auf den Bundeshaushalt für
eine gute Situation sorgen können .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da machen wir ja mehr als Sie!)


Bei uns im Münsterland sagt man: Das Schwein wird
vom Wiegen nicht fett . Allein das Messen hilft nichts . Es
geht darum: Wie füttern wir zu, damit mehr Vermögen
und mehr Wirtschaftswachstum entstehen?


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und das ohne Massentierhaltung, Herr Spahn!)


Dabei geht es etwa darum, die Steuern für diejenigen,
die investieren, zu senken, weil die meisten Investitio-
nen im privaten und nicht im öffentlichen Bereich vor-
genommen werden . Es geht darum, Planungsverfahren
schneller zu machen, damit wir das Geld, das für den In-
frastrukturbereich vorgesehen ist, verbaut bekommen . Es
geht darum, uns in Sachen Digitalisierung vorzubereiten
und zu investieren, damit die Wertschöpfung in Sindel-
fingen und Wolfsburg erfolgt und nicht zum Beispiel im
Silicon Valley . Es geht darum, uns darauf vorzubereiten,
dass in den vor uns liegenden 30er-Jahren die Generation
der Babyboomer in Rente geht . Auch dafür müssen wir
Vorsorge treffen. – Wenn Sie sich damit in Zukunft etwas
mehr beschäftigen als mit der Frage, wie wir das alles

noch detaillierter bilanzieren können, ist der Schwer-
punkt richtig gesetzt .


(Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie nicht immer dagegen geklagt, wenn die vorsorgen wollten für die Rente? Was sind das denn für unsinnige Pirouetten? Hat da ein Staatssekretär geredet? Da würden Sie ja andere Staatssekretäre für grillen!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822118400

Vielen Dank, Herr Staatssekretär . – Nächste Rednerin:

Heidrun Bluhm für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Heidrun Bluhm (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822118500

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Vermögen erhalten, ehrlich bilanzieren, richtig inves-
tieren – das ist aus der Fibel des ehrbaren Kaufmanns
abgeschrieben und könnte hier im Haus eigentlich einen
breiten Konsens finden, wenn das Adjektiv „öffentlich“
nicht wäre. Öffentliches Vermögen erhalten, durch richti-
ges Investieren stärken, gleichzeitig aber Schuldenbrem-
se und ÖPP – mit kleinen Korrekturen – gut finden,


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt so nicht!)


das geht nicht zusammen, liebe Bündnisgrüne . Ihr An-
trag hört sich gut an, das ist er aber nicht . Es ist gerade
der Vorteil der Kameralistik, dass sich der Staat nicht wie
ein privater Kaufmann verhalten muss .


(Beifall bei der LINKEN)


Fragen Sie mal viele Bürgermeisterinnen und Bürger-
meister, die das von ihnen verwaltete Vermögen in den
vergangenen Jahren bilanzieren mussten . Viele Kommu-
nen waren danach pleite . Würde Ihr Antrag angenom-
men, würde er dazu beitragen, dass der Staatshaushalt
börsenreif gemacht wird . Deshalb lehnen wir Linke ihn
ab .

Trotzdem kommt die Debatte über diesen Themen-
komplex genau zur richtigen Zeit; denn die Analyse in
Ihrem Antrag ist größtenteils richtig, Herr Kindler: Der
Bund versteckt Schulden . Der Bund investiert zu wenig
in Infrastruktur . Vermögenswerte werden verzehrt . ÖPP
ist ein Umgehungstatbestand der Schuldenbremse, priva-
tisiert Gewinne und verstaatlicht Verluste und Risiken .


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Genau! – Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das transparent zu machen, ist doch vernünftig!)


Aber, Herr Spahn, genau das wollen Sie doch auch .
Tun Sie doch hier nicht so, als wenn die in dem Antrag
formulierte Analyse nicht richtig wäre . Am 31 . März
2017 sollen wir doch über mehrere Grundgesetzände-
rungen abstimmen, mit denen die Bund-Länder-Finanz-
beziehungen nach 2019 neu gestaltet werden sollen . In
diesem Zusammenhang wollen Sie hinsichtlich öffentli-

Parl. Staatssekretär Jens Spahn






(A) (C)



(B) (D)


chem Vermögen, Schuldenbremse und ÖPP neue Festle-
gungen treffen.

Stimmt der Bundestag den geplanten Grundgesetzän-
derungen zu, dann setzt er damit einen massiven Priva-
tisierungsschub in Gang; das führt sogar die Frankfurter
Rundschau unter dem Titel „Die Autobahn als Profitma-
schine“ aus . Denn trotz anderslautender Bekundungen
werden mit der Grundgesetzänderung Privatisierungen
beim Bau und Betrieb von Autobahnen und Schulen er-
möglicht, zwar nicht in Form, wie ursprünglich vom Fi-
nanzminister vorgeschlagen, einer materiellen Privatisie-
rung, aber über den Umweg der Beteiligung Privater am
Eigenkapital von Tochtergesellschaften der öffentlichen
Hand .


(Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: So ist es!)


Das soll grundgesetzlich ermöglicht werden und wird
auch passieren, wenn wir im Bundestag nicht noch die
Notbremse ziehen .

Der mitregierenden SPD sei gesagt, dass sie mit einer
Zustimmung zu diesem Gesetzespaket ihrem Kanzler-
kandidaten ein gewaltiges Kuckucksei ins Nest – oder
ins Kanzleramt – legen würde; denn damit wird die Ver-
fügungsgewalt über öffentliches Eigentum zentralisiert
und über Umwege die Möglichkeit eröffnet, öffentliches
Eigentum auf privates überzuleiten .


(Zuruf von der SPD: Sonst sind Sie doch immer für Zentralisierung!)


Der Bundesrechnungshof hat dies als „funktionale Pri-
vatisierung“ bezeichnet und eindringlich vor den Folgen
gewarnt .

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Fratz-
scher-Kommission des Deutschen Instituts für Wirt-
schaftsforschung hat maßgeblich die Vorschläge für das
Wirtschaftsministerium erarbeitet,


(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Nein! Herr Gabriel war das!)


die mit dieser Grundgesetzänderung in Gesetzesform
gegossen werden sollen . In der Kommission mitgewirkt
haben unter anderem die Deutsche Bank und die Alli-
anz AG .


(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Also ganz schlimm! Furchtbar!)


Letztere hat ihre Renditeerwartung aus den ÖPP-Betrei-
bermodellen mit 5 bis 8 Prozent beziffert, und das, ob-
wohl öffentliche Kredite zurzeit für null zu haben sind.


(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das ist Eigenkapital!)


Aber der Bund selbst hat ja – Herr Spahn hat es gesagt –
keine ausreichenden eigenen Planungskapazitäten mehr,
um die notwendigen Investitionen überhaupt abzuwi-
ckeln . Auch das muss sich ändern .


(Beifall bei der LINKEN)


Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, zunächst
können Bund, Länder und Kommunen sich unter Umge-

hung der Schuldenbremse an ÖPP-Projekten beteiligen .
Aber dann müssen sie bei Einhaltung der Schuldenbrem-
se jahrzehntelang für die überteuerten ÖPP-Projekte
zahlen . Das ist heute schon die bittere Erfahrung vieler
Kommunen . Was nützt es den Menschen also, ein über
ÖPP schön saniertes Schulgebäude stehen zu haben,
wenn Hausmeister und Reinigungskräfte entlassen wer-
den müssen, weil die Kommunen kein Geld mehr für de-
ren Bezahlung haben, nachdem die fälligen Raten und
Zinsen für die ÖPP-Schulprojekte abgeführt sind? So
konkret stellen sich die Fragen, wenn es heute um den
Erhalt öffentlichen Vermögens, ehrliche Bilanzierung
und richtiges Investieren geht .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Erhalt und Ausbau
von öffentlichem Vermögen müssen natürlich Schwer-
punkt solider Haushaltspolitik sein . Das geht aber anders,
liebe Grünen,


(Beifall bei der LINKEN)


nämlich durch ehrliche Bestandsaufnahme, Bestimmung
des Nutzungszwecks, solide Finanzplanung, orientiert
am Bedarf, sowie transparente und zweckorientierte
Investitionsplanung in den jeweiligen Haushaltsjahren .
Nur so bleibt das Bundesvermögen ökologisch und öko-
nomisch in Topform, bedarfsorientiert und zukunftsfä-
hig . Ein börsennotiertes Bundesvermögen kann kein Ziel
unserer Haushaltspolitik sein .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822118600

Vielen Dank, Heidrun Bluhm . – Nächster Redner:

Dennis Rohde für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Dennis Rohde (SPD):
Rede ID: ID1822118700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In

dem uns vorliegenden Antrag wird behauptet, dass das
Vorliegen eines ausgeglichenen Haushaltes in den letz-
ten Jahren keine haushälterische Leistung sei . Natürlich
haben wir gute Rahmenbedingungen . Wir haben gute
Steuereinnahmen, wir haben eine niedrige Arbeitslosig-
keit, wir haben niedrige Zinsen . Aber ein ausgeglichener
Haushalt an sich ist keine Selbstverständlichkeit .


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ausgeglichener Haushalt trotz dieser Bundesregierung!)


Wenn wir uns die teilweise milliardenschweren Ände-
rungswünsche von Teilen der Opposition in den letzten
Jahren angucken, dann wissen wir: Wir hätten auch eine
Neuverschuldung von 20, 30 oder 40 Milliarden Euro ha-
ben können .


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war mehr Glück als Verstand!)


Heidrun Bluhm






(A) (C)



(B) (D)


Dass dies nicht der Fall ist, ist Ergebnis einer guten und
nachhaltigen Politik, die wir hier betrieben haben .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was für ein Pappkamerad!)


Natürlich müssen wir den Blick auch in die Zukunft
richten . Wir wissen, dass ausgeglichene Haushalte keine
Selbstverständlichkeit sind .


(Heidrun Bluhm [DIE LINKE]: Aber auch kein Selbstzweck!)


Wir wissen, dass sich die momentan guten Rahmenbe-
dingungen in der Zukunft verschlechtern können . Wir
wissen auch, dass neue Herausforderungen auf uns zu-
kommen . Zum Beispiel werden wir im Rahmen der
Bund-Länder-Finanzvereinbarungen stärker als bisher
dafür verantwortlich sein, dass wir gleichwertige Lebens-
verhältnisse in unserem Land vorfinden. Wir werden die
Aufgabe haben, die Unterschiede zwischen armen und
reichen Regionen nicht zu groß werden zu lassen . Das
werden dann Investitionen in den gesellschaftlichen Zu-
sammenhalt unseres Landes sein . Sie lassen sich schlecht
bis gar nicht bilanzieren . Aber sie sind unglaublich wich-
tig für unsere Gesellschaft . Das sind Dinge, die auf uns
zukommen werden, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der SPD)


Wir wissen natürlich, dass wir in Bezug auf Investitio-
nen noch besser sein können . Wir haben Herausforderun-
gen, die es anzugehen gilt . Aber man muss noch einmal
betonen – der Staatssekretär hat es schon gesagt –: Wir
haben in dieser Legislaturperiode Milliarden an Investi-
tionen getätigt . Wir haben in den Breitbandausbau inves-
tiert . Wir haben in Kinder und Familien investiert . Wir
haben in die Bildung in diesem Land investiert . Wir wer-
den jetzt noch einmal 3,5 Milliarden Euro für Schulen in
die Hand nehmen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben Länder und Kommunen entlastet und ihnen
damit ihrerseits die Möglichkeit gegeben, wieder zu in-
vestieren . Das alles waren richtige und wichtige Maß-
nahmen . Das waren einige Maßnahmen von vielen . Doch
uns als SPD ist klar, dass es noch viel zu tun gibt . Es ist
kein Geheimnis: Wir hätten die Überschüsse im Bundes-
haushalt gerne investiert .


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Habt ihr aber nicht! Hat die SPD nicht gemacht! – Dr . Wolfgang StrengmannKuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hätte, hätte, Fahrradkette!)


Wir hätten sie gerne in Infrastruktur und Bildung inves-
tiert . Wir gestehen ja ein, dass wir uns an der Stelle nicht
durchgesetzt haben . Aber wir hielten und halten das nach

wie vor für richtig, weil es den Kapitalstock des Bundes
nachhaltig erhalten hätte bzw . dazu beigetragen hätte .


(Beifall bei der SPD – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht durchgesetzt! Ist so!)


Zusammenfassend: Wir wissen um die Situation, in
der wir uns befinden. Es gibt a) Risiken für den Bundes-
haushalt, und wir stehen b) vor Herausforderungen, zu
investieren . Es ist unsere Aufgabe als Parlamentarierin-
nen und Parlamentarier, den Ausgleich zwischen diesen
beiden Polen zu finden. Es ist unsere Aufgabe, Schwer-
punkte dabei zu setzen . Es ist unsere Aufgabe, festzule-
gen, wo der Investitionsbedarf am größten ist, weil wir
im Endeffekt jeden Euro nur einmal ausgeben können.
Es ist auch unsere Aufgabe, zu sagen, wie wir das Ganze
refinanzieren wollen.

Aber ich möchte deutlich machen, dass es unsere Auf-
gabe ist, für das Hier und Jetzt zu entscheiden, für die
Bundeshaushalte in dieser Legislaturperiode, also 2014,
2015, 2016 und 2017 . Ich möchte auch deutlich machen:
Es ist Aufgabe eines jeden gewählten Bundestages, mit
seinen Abgeordneten seine eigenen Schwerpunkte zu
setzen. Ich finde, wir sollten künftige Abgeordnete, wir
sollten künftige Bundestage nicht in ein noch engeres
Korsett zwängen . Wir sollten nicht weitere Regelungen
auf den Weg bringen. Ich finde, jeder Bundestag sollte
seine Prioritäten selbst setzen können .


(Beifall bei der SPD)


Wir sollten aufpassen, dass wir künftigen Bundesta-
gen keine Schattenhaushalte hinterlassen. Ich finde zum
Beispiel, dass es unsere Aufgabe im Hier und Jetzt ist,
dafür Sorge zu tragen, dass die geplante Bundesfernstra-
ßengesellschaft nicht kreditfähig wird . Das ist eine kon-
krete Aufgabe, vor der wir im Hier und Jetzt stehen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der LINKEN: Da sind wir gespannt!)


Ich möchte noch auf etwas Weiteres in dem Antrag,
der uns vorliegt, eingehen . Sie fordern die Erweiterung
der Kameralistik hin zu einer Bilanzierung des Bundes-
vermögens . Ich habe die Umstellung von Kameralistik
auf Doppik in der Kommunalpolitik miterlebt. Ich finde,
man kann schon allein darüber streiten – der Staatsse-
kretär hat es gerade zu Recht angesprochen –, ob damit
eigentlich das Ziel erreicht wurde, das man sich einmal
gesetzt hat, nämlich Kommunalhaushalte transparenter
und steuerbarer zu machen .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich finde, wenn man sich das anschaut, kann man zumin-
dest Zweifel daran haben .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wenn ich erlebe, dass neue Ratsmitglieder erst ein-
mal mehrtägige Schulungen besuchen müssen, um einen

Dennis Rohde






(A) (C)



(B) (D)


kommunalen Haushalt mit einem Volumen von 10 oder
15 Millionen Euro überhaupt lesen zu können,


(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Nicht nur Ratsmitglieder, sondern auch Kämmerer!)


wenn ich erlebe, dass Bürgerinnen und Bürger mit dem
doppischen Haushalt als solchem nichts mehr anfangen
können, dann, finde ich, sollte man das zumindest kri-
tisch betrachten. Ich finde, wir sollten auch vorsichtig
sein, wenn wir über die Einführung von so etwas für den
Bund diskutieren .

Nun fordern Sie – das möchte ich zu Recht anmer-
ken – nicht die Einführung der Doppik, sondern eine Bi-
lanzierung des Bundesvermögens. Ich finde, man sollte
auch sagen, was dazugehört . Man kann ja darüber dis-
kutieren, aber zur Ehrlichkeit gehört auch, zu sagen, was
alles dazugehört . Dazu gehört nämlich, sämtliches Bun-
desvermögen zu erfassen, zu betrachten und zu bewerten .
Dabei geht es wirklich um sämtliche Vermögensgegen-
stände des Bundes .


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Genau!)


Sie müssen sich jeden Kilometer Straße anschauen . Sie
müssen sich jedes Gebäude anschauen . Sie müssen sich
jeden Mobiliargegenstand anschauen .

Ich will Ihnen einmal sagen: Meine Gemeinde hat
106 Quadratkilometer . Es hat Jahre gedauert und viel
Personal gebunden, um hier eine Eröffnungsbilanz zu er-
stellen . Man muss auch fragen, wie das Ganze in einem
Land, das 357 000 Quadratkilometer groß ist, vonstat-
tengehen soll . Entweder – das ist die Wahrheit – stellt
man massiv Personal ein und vergrößert die Ministerien
deutlich, oder man macht ein millionen- bis milliarden-
schweres Förderprogramm für Wirtschaftsberatungsun-
ternehmen . Beides kann nicht in unserem Interesse sein .


(Beifall bei der SPD)


Es ist auch fragwürdig, ob das Ganze zu einer guten
Politik beiträgt, ob es einen Nutzen hat. Ich finde, wir
können das Geld wahrlich besser anlegen . Deswegen
werden wir den Antrag heute ablehnen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822118800

Zum Abschluss dieser Aussprache hat der Kollege

Alois Rainer für die CDU/CSU das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Alois Rainer (CSU):
Rede ID: ID1822118900

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Der Bund hat seine Vermögensrechnung seit
einigen Jahren in moderaten Schritten stückweise ver-
bessert . Das wurde auch vom Bundesrechnungshof in
seinen Jahresbemerkungen regelmäßig anerkennend
erwähnt . Die Verwaltungsvorschriften für die Buchfüh-

rung und die Rechnungslegung über das Vermögen und
die Schulden des Bundes sind für den Kernbereich im
Bund einschlägig festgelegt . Des Weiteren dürfte die
geforderte Einführung eines kaufmännischen Buchfüh-
rungssystems – oder zum Teil eines kaufmännischen
Buchführungssystems – mit erheblichen Mehrkosten
und vor allem mit einem erheblichen Mehr an Bürokratie
verbunden sein . Auch können der Nutzen durch diesen
bürokratischen Mehraufwand sowie die Mehrkosten für
finanzpolitische Entscheidungen eher bezweifelt wer-
den, schon deshalb, weil Erfahrungen gerade auch im
kommunalen Bereich zeigten, dass die Einführung eines
kaufmännischen Rechnungswesens sehr häufig nicht zu
einer Veränderung der Entscheidungsmechanismen bei-
getragen hat .

Meine Damen und Herren, in Ihrem Antrag steht un-
ter anderem, in unserem Land werde zu wenig investiert .
Insbesondere sprechen Sie im Hinblick auf die Moderni-
sierung der Infrastruktur von „zukunftsvergessen“ . Lie-
be Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, auch Sie
waren ja in den letzten Monaten und Jahren dabei . Ich
nenne als Beispiele nur den Bundesverkehrswegeplan,
die verschiedenen Bundeshaushalte, die Änderungen des
Finanzausgleichsgesetzes, das kommunale Investitions-
paket und den Kommunalinvestitionsförderungsfonds .
Ich kann Ihnen nur bestätigen, dass diese Bundesregie-
rung so viel investiert wie schon lange nicht mehr .

Wenn es Ihnen um die klassische Verkehrsinfrastruk-
tur geht, lassen Sie mich sagen, dass wir die Mittel für die
Verkehrsinfrastruktur um circa 25 Prozent erhöht haben .
Das ist ein ordentlicher Schluck aus der Pulle . In diesem
Zusammenhang möchte ich auch erwähnen, dass diese
Bundesregierung die Länder und Kommunen in den letz-
ten vier Jahren finanziell so sehr unterstützt hat wie keine
andere Bundesregierung zuvor .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn man ehrlich miteinander umgeht, dann darf man
auch sagen: Derzeit ist es faktisch so, dass es planungs-
rechtlich oder auch im Vollzug nur schwerlich möglich
ist, die Mittel, die wir zur Verfügung stellen, vollständig
abzurufen . Der Bund stellt in vielen Bereich mehr Geld
zur Verfügung, als überhaupt abgerufen werden kann . Da
stellt sich doch meines Erachtens eher die Frage, ob wir
im Planungs- und Planfeststellungsbereich etwas ändern
sollten .

Unabhängig davon macht sich die Nachhaltigkeit un-
serer Haushalts- und Finanzpolitik nicht nur durch die
schwarze Null, sondern auch dadurch bemerkbar, dass
wir investieren . Wir investieren nicht nur in Güter, wie
vorhin angesprochen, sondern auch in die Menschen in
dieser Republik . Das ist allerdings nicht so einfach mess-
bar wie die Investition in eine Straße . Das, meine Damen
und Herren, ist meines Erachtens generationengerechte
Politik . Sie wollen nachhaltige Haushaltspolitik . Wir ma-
chen sie, und wir werden sie auch weiterhin machen .


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider nicht! – Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)


Dennis Rohde






(A) (C)



(B) (D)


Lieber Kollege Sven-Christian Kindler, lassen Sie
mich, da Sie vorhin von der Champions League gespro-
chen haben,


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind im Tabellenkeller!)


sagen: Deutschland spielt in der Champions League ge-
samtstaatlich ganz oben mit . Reduzieren Sie Ihren Blick
nicht auf einige wenige Investitionen .


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ja, die gesamtstaatlichen Investitionen!)


Wir stehen im Europa der jetzt 28, bald vielleicht 27 Staa-
ten ganz oben, und das kann sich sehen lassen . Es gibt
zwar kein Finale der Staaten in der Champions League,
aber faktisch sind wir ganz oben .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn man die Tabelle umdreht! – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eher Schlusslicht!)


Wer hätte das noch vor zehn Jahren gedacht?

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822119000

Damit schließe ich die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage
auf Drucksache 18/11188 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . – Widerspruch
erhebt sich dagegen nicht . Dann ist die Überweisung so
beschlossen .

Ich rufe hiermit den Tagesordnungspunkt 13 auf:

Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Einführung eines Anspruchs auf
Hinterbliebenengeld

Drucksache 18/11397
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Auch dage-
gen erhebt sich keinerlei Widerspruch . Dann ist das so
beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem
Redner dem Parlamentarischen Staatssekretär Christian
Lange für die Bundesregierung das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


C
Christian Lange (SPD):
Rede ID: ID1822119100


Vielen Dank . – Herr Präsident! Meine lieben Kolle-
ginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass wir, wie im
Koalitionsvertrag vereinbart, ein weiteres wichtiges Vor-
haben dieser Legislaturperiode beraten können, nämlich
den bereits erwähnten Entwurf eines Gesetzes zur Ein-
führung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld .

Terroranschläge, wie zuletzt im Herzen unserer
Hauptstadt, absichtlich herbeigeführte Flugzeugabstürze,
wie jüngst beim Germanwings-Flugzeug über Südfrank-
reich, oder alltägliche Unglücksfälle, bei denen Men-
schen durch das Verschulden Dritter zu Tode kommen:
Stets geht der Verlust geliebter Menschen einher mit
Ohnmacht und Wut und vor allem mit dem grenzenlosen
seelischen Leid derer, die trauernd und alleine zurück-
bleiben .

Regelmäßig steht dann auch die Frage nach einer Ent-
schädigung für die Hinterbliebenen im Raum . Im inter-
nationalen Vergleich zeigt sich das deutsche Schadenser-
satzrecht in diesem Punkt bisher eher zurückhaltend . Es
kennt nämlich bis heute keinen gesetzlichen Anspruch,
nach dem Hinterbliebene für das mit dem Tod eines na-
hen Angehörigen verbundene Leid entschädigt werden .

Die Gerichte gewähren Hinterbliebenen derzeit nur
ganz ausnahmsweise einen eigenen Anspruch auf Zah-
lung von Schmerzensgeld, nämlich dann, wenn sie durch
den Tod eines Angehörigen deutlich in ihrem gesund-
heitlichen Befinden beeinträchtigt sind. Den meisten von
Ihnen hier ist in diesem Kontext sicherlich der Begriff
„Schockschaden“ geläufig.

Der historische Gesetzgeber fand es seinerzeit anstö-
ßig, einen immateriellen Schaden in Geld aufzuwiegen .
Über die moralischen Beweggründe für diese Entschei-
dung kann man trefflich streiten. Der Ansatz hat aber zu-
nehmend Kritik erfahren . Der Deutsche Juristentag hat
etwa schon in den 60er-Jahren eine gesetzliche Regelung
für einen Entschädigungsanspruch beim Tod eines Ange-
hörigen gefordert . In den letzten Jahren ist diese Frage
jedoch immer kontroverser diskutiert worden . Insoweit
könnte der Gesetzentwurf, den wir heute beraten, durch-
aus als Paradigmenwechsel im deutschen Schadenser-
satzrecht bezeichnet werden .

Das seelische Leid und die Trauer von Hinterblie-
benen wollen wir künftig im Sinne einer Anerkennung
entschädigen . Medizinisch fassbare gesundheitliche
Beeinträchtigungen sind dazu nicht mehr erforderlich .
Selbstverständlich – dessen sind wir uns bewusst – kann
kein Geld der Welt die Trauer der Betroffenen relativie-
ren oder gar kompensieren . Wir wollen aber ein wich-
tiges Zeichen in Richtung der Hinterbliebenen senden:
Die Rechtsordnung verschließt sich eurem seelischen
Leid nicht länger . Mit der Einführung eines Anspruchs
auf Hinterbliebenengeld machen wir nämlich deutlich:
Die Gesellschaft steht solidarisch hinter denjenigen, die
zurückbleiben, und gewährt ihnen Anerkennung .

Mit diesem Gesetzentwurf beenden wir auch beste-
hende Ungerechtigkeiten; denn bei Ehrverletzungen und
selbst bei entgangenen Urlaubsfreuden haben die Betrof-

Alois Rainer






(A) (C)



(B) (D)


fenen bereits einen Anspruch auf Ersatz ihres immateri-
ellen Schadens . Hinterbliebenen, die unter dem Verlust
ihrer Lieben sicherlich ungleich mehr leiden, bleibt dies
bislang verwehrt, und genau dies ändern wir nunmehr .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Letztendlich entfällt mit der Einführung eines An-
spruchs auf Hinterbliebenengeld auch ein – darin dürf-
ten wir uns hier im Hause sicherlich einig sein – nicht
wünschenswertes Alleinstellungsmerkmal des deutschen
Rechts . Viele Staaten in der Europäischen Union und
weltweit kennen bereits seit langem – wenn auch mit
unterschiedlicher Begründung und Ausprägung – einen
Entschädigungsanspruch für Hinterbliebene . Deutsch-
land zieht hiermit nach .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin davon über-
zeugt, dass wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf eine
ausgewogene Lösung gefunden haben, und das war nicht
ganz leicht .

Lassen Sie mich deshalb abschließend noch einige
Details des Entwurfes skizzieren .

Der Anspruch wird im Hinblick auf die Anspruchs-
berechtigten als „Hinterbliebenengeld“ bezeichnet . An-
spruchsberechtigt sind diejenigen Hinterbliebenen, die in
einem besonderen Näheverhältnis zum Getöteten stehen .
Für Ehegatten und eingetragene Lebenspartner, Eltern
und Kinder wird dies vermutet .

Der Gesetzentwurf gibt mit der Anerkennung als
Zweck des Anspruchs zugleich den entscheidenden Fak-
tor für seine Bemessung vor . Es geht um eine im Einzel-
fall angemessene Entschädigung . Deswegen führen wir
auch keine Pauschale ein . Denn dies wäre einerseits nicht
geeignet, Einzelfallgerechtigkeit herzustellen, anderer-
seits ist es gerade nicht angemessen, in Gestalt einer Pau-
schale eine Art „Sterbegeld“ zu zahlen . Die Bestimmung
der Anspruchshöhe soll also den Gerichten überlassen
bleiben . Dass die Rechtsprechung dazu imstande ist, be-
legen die deutsche Rechtspraxis und die Erfahrungen aus
anderen Staaten .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, dass die-
ser Gesetzentwurf vielen von Ihnen ein Herzensanliegen
ist. Deshalb hoffe ich auf Unterstützung unseres Gesetz-
entwurfes und um angemessene Beratung .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822119200

Nächster Redner ist der Kollege Harald Petzold für die

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Harald Petzold (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822119300

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher! Das letz-
te Mal haben wir am 1 . Dezember des vergangenen Jah-
res über Hinterbliebenengeld gesprochen . Damals hatte

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen einen sehr guten
Antrag vorgelegt,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


in dem die Regierung aufgefordert wurde, einen Gesetz-
entwurf vorzulegen, der die Einführung eines Hinterblie-
benengeldes regelt . Ich will zumindest zu Beginn meiner
Rede – ich liege doch nicht falsch, Herr Präsident, dass
wir den Gesetzentwurf von CDU/CSU und SPD und
nicht den der Bundesregierung beraten? –


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822119400

Herr Kollege Petzold, Sie liegen richtig .


Harald Petzold (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822119500

– genau – klarstellen, dass es der Bundesregierung

bis jetzt nicht gelungen ist, einen eigenen Gesetzentwurf
vorzulegen – obwohl der Kollege Fechner uns vollmun-
dig zugesichert hat, dass das Bundesjustizministerium
jetzt ein entsprechendes Gesetzgebungsverfahren gestar-
tet hat . Der Schmerzensgeldanspruch im Bürgerlichen
Gesetzbuch sowie in weiteren Gesetzen sowie die Ge-
fährdungshaftung würden kommen. Die Aufforderung an
die Bundesregierung, tätig zu werden, sei schlicht nicht
mehr nötig .

Geschehen war nämlich bis dahin nichts . Und ge-
schehen ist seitens der Bundesregierung auch bis heute
nichts . Das wollen wir einmal festhalten .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist was Neues!)


Ich gehe aber einmal davon aus, dass unsere Kritik da-
mals sowie Ihre Beurteilung, der Antrag der Grünen sei,
zumindest inhaltlich, gut, Sie dazu bewogen haben, noch
einmal in sich zu gehen und uns heute diesen Gesetzent-
wurf und damit etwas, mit dem man tatsächlich etwas
anfangen kann, vorzulegen . Die Wahlperiode ist fast zu
Ende, und jetzt scheint es Ihnen zumindest aufgefallen
zu sein, dass der Koalitionsvertrag an dieser Stelle noch
nicht umgesetzt worden ist .

Ich kann ansonsten meine Stellungnahme zu dem
Gesetzentwurf insoweit kurz machen, als ich feststelle,
dass meine Fraktion dieses Vorhaben grundsätzlich un-
terstützt . Verehrte Kolleginnen und Kollegen von den
Koalitionsfraktionen, Sie können sich den Tag, an dem
ich Sie gelobt habe, im Kalender anstreichen . Ich tue es
aber, weil zumindest Ihr Versprechen umgesetzt wurde
und ich damit meine Kritik, dass Sie nur ein Ankündi-
gungsabgeordneter sind, Herr Kollege Fechner, zurück-
nehmen und in aller Höflichkeit diesbezüglich zumindest
um Entschuldigung bitten kann .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ansonsten bitte ich Sie, im parlamentarischen Ver-
fahren zumindest die Punkte, die vonseiten der Opfer-
verbände – zum Beispiel vom Weißen Ring, aber auch
vom Deutschen Anwaltverein – gekommen waren, noch
einmal auf sich wirken zu lassen . Der Weiße Ring hat
uns beispielsweise darum gebeten, auch ein Trauergeld
für Angehörige von schwerstverletzten Opfern einzufüh-
ren, weil deren eigene Schmerzensgeldansprüche bisher

Parl. Staatssekretär Christian Lange






(A) (C)



(B) (D)


nur immaterielle Schäden eines Verletzten umfassen,
nicht aber das darüber hinausgehende Leid einer oder
eines Angehörigen, der den Verletzten oder die Verletz-
te möglicherweise lebenslang pflegt und dadurch täglich
mit dessen oder deren Leid konfrontiert ist . Ich denke,
das ist ein Anliegen, dem wir uns nicht zu verschließen
brauchen .

Der Deutsche Anwaltverein hat kritisiert – er bittet
uns dahin gehend um Korrektur –, dass im Gesetzentwurf
vorgesehen ist, nur die sogenannte deliktische Haftung
zu regeln . Er bittet darum, dass auch eine vertragliche
Haftung vorgesehen wird . Ich will das anhand eines Bei-
spiels erklären . Es gibt den tragischen Fall – davon ha-
ben Sie möglicherweise schon gehört –: Eine Kitagruppe
geht auf Wanderung . Eines der Kinder geht leider verlo-
ren, und es kommt zu einem sehr tragischen Todesfall .
In diesem Fall haben die Eltern auch nach Ihrem Gesetz-
entwurf keinen Anspruch auf Hinterbliebenengeld, weil
kein tätliches Delikt vorliegt und die Kita möglicherwei-
se nachweisen kann, dass sie fachgerechtes Personal ein-
gesetzt hat . Für die Hinterbliebenen muss sich aber aus
dem vertraglichen Verhältnis, das sie mit dem Kitaträger
und der Kita hat, ein solcher Anspruch ergeben . Das soll-
ten wir auf jeden Fall prüfen .

Darüber hinaus will ich den Antrag der Grünen in Er-
innerung rufen . Die Grünen haben damals – Sie haben
darauf zumindest inhaltlich positiv reagiert – die Forde-
rung aufgemacht, dass die Geschädigten im Fall eines
Forderungsausfalls, wenn also vom Schädiger nichts zu
holen ist, ebenfalls einen Anspruch, zum Beispiel nach
dem Opferentschädigungsgesetz, haben könnten . Auch
das müssten wir nachträglich regeln . Das ist in Ihrem
Gesetzentwurf bisher nicht vorgesehen .

Schließlich werden wir als Linke in der öffentlichen
Anhörung zum Gesetz die Frage thematisieren, was ein
„besonderes persönliches Näheverhältnis“ bedeutet, das
Ansprüche nach dem Gesetzentwurf definieren soll. Hier
hat der Bundesrat darum gebeten, dass wir den Perso-
nenkreis eindeutig benennen. Ich finde aber Ihren Ansatz
gar nicht so schlecht, diesen Kreis auch auf Geschwister
und auf nahe Freunde auszuweiten . Ich denke, das soll-
ten wir in der öffentlichen Anhörung thematisieren und
nachfragen, wie das in der Fachwelt gesehen wird, und
hier eventuell nachbessern .

Sie sehen: Nichts ist so gut, dass es nicht noch besser
werden könnte . In diesem Sinne haben Sie, wie gesagt,
die grundsätzliche Zustimmung meiner Fraktion zum
Gesetzesvorhaben der Koalitionsfraktionen; das will ich
ausdrücklich betonen .

Sie machen nichts anderes als das, was auch wir im-
mer machen, wenn wir feststellen: Die Bundesregierung
pennt, und sie schläft den Schlaf der Selbstgerechten . –
Sie haben nun selber einen Gesetzentwurf vorgelegt .


(Dr . Eva Högl [SPD]: Das ist doch schön!)


Nichts anderes machen wir auch. Ich finde, dieses Vor-
gehen ist legitim und sollte von der Mitte des Parlaments
viel öfter genutzt werden . Insofern haben Sie, wie gesagt,
unsere Zustimmung zu dem Verfahren . Ich bin sehr ge-
spannt auf die weiteren parlamentarischen Diskussionen .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . Johannes Fechner [SPD]: Da gibt es auch Applaus von uns!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822119600

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr . Hendrik

Hoppenstedt .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU):
Rede ID: ID1822119700

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Der eine oder andere hat mögli-
cherweise bezweifelt, ob wir die erste Lesung zu diesem
Gesetzesvorhaben noch in dieser Wahlperiode erleben
werden . Wir erleben sie heute . Ich gebe zu: Auch ich war
nicht immer ganz sicher . Aber es ist umso schöner, dass
das heute der Fall ist .

Es gibt für das Bundesministerium Lob und Tadel zu-
gleich . Ein Stück weit muss ich erst einmal den Herrn
Staatssekretär und seine Leute in Schutz nehmen . Es ist
nicht so, dass sie nicht geliefert oder nichts getan hätten .
Vielmehr wird der Gesetzentwurf der Bundesregierung
morgen im Bundesrat beraten, während wir heute den der
Koalitionsfraktionen debattieren .


(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Enttäuschen Sie mich nicht, Herr Kollege!)


Es ist nicht so, Herr Kollege Petzold, dass die Bundesre-
gierung nichts getan hätte .

Es gibt dafür Lob, weil ich finde, dass das, was ma-
teriell-rechtlich im Gesetzentwurf vorgelegt wird, wirk-
lich hervorragend ist. Mir fiel, ehrlich gesagt, nichts ein,
was man verbessern könnte . Ich bin daher ganz unsicher,
Frau Kollegin Keul, ob das Struck’sche Gesetz dieses
Mal überhaupt Anwendung finden kann. Aber vielleicht
hat die Opposition noch die eine oder andere Idee, was
möglich ist .

Tadel gibt es in der Tat dafür, dass es insgesamt drei-
einhalb Jahre gedauert hat, bis die erste Lesung zu die-
sem Gesetzesvorhaben durchgeführt werden kann . Das
liegt, meine Damen und Herren, hoffentlich nicht daran,
dass es die Union war, die dieses Vorhaben in den Koa-
litionsvertrag hineinverhandelt hat . Wir jedenfalls hätten
uns gewünscht, dass das Ganze deutlich schneller gegan-
gen wäre, weil dann natürlich mehr Menschen, die tra-
gischerweise einen nahen Angehörigen verloren haben,
von diesem Gesetzeswerk hätten profitieren können.

Meine Damen und Herren, was haben wir im Koaliti-
onsvertrag vereinbart?

Menschen, die einen nahen Angehörigen durch Ver-
schulden eines Dritten verloren haben, räumen wir
als Zeichen der Anerkennung ihres seelischen Leids
einen eigenständigen Schmerzensgeldanspruch ein,
der sich in das deutsche System des Schadensersatz-
rechts einfügt .

Harald Petzold (Havelland)







(A) (C)



(B) (D)


Ich betone diese Vereinbarung im Koalitionsvertrag des-
wegen so deutlich, weil viele gesagt haben, dass sich die
Koalition diesem Thema erst durch den Absturz der Ger-
manwings-Maschine gewidmet hätte . Das ist schlicht-
weg nicht der Fall .

Warum haben wir das in den Koalitionsvertrag ge-
schrieben? Es gibt zwei Gründe dafür . Zum einen ist nicht
nachvollziehbar, dass der tiefe seelische Schmerz, unter
dem man möglicherweise ein Leben lang leidet, wenn
man das eigene Kind durch einen Unfall, den ein Drit-
ter verschuldet hat, getötet wird, von der Rechtsordnung
nicht anerkannt wird, vor allen Dingen dann, wenn man
bedenkt, dass für ganz andere Sachen, wie zum Beispiel
entgangene Urlaubsfreuden, der Kfz-Nutzungsausfall
oder Ehrverletzungen, Entschädigungen gezahlt werden .
Andere europäische Rechtsordnungen sehen deswegen
ein Angehörigenschmerzensgeld schon lange vor .

Zum anderen gibt es einen Wertungswiderspruch .
Ein Schädiger steht hierzulande im Fall der Tötung ei-
nes Dritten wirtschaftlich besser da als bei einer Körper-
verletzung . Die Kollegin Keul hat das bei ihrem Antrag
in der letzten Sitzung, als wir hier darüber diskutiert
haben, ganz plastisch dargestellt, indem sie gesagt hat:
Wenn ich auf einer Landstraße eine Person anfahre und
verletze, dann ist es wirtschaftlich günstiger, den Rück-
wärtsgang einzulegen, um dem armen Opfer den Garaus
zu machen . – Das ist in der Tat richtig . Man sieht daran
allerdings auch, dass die Grünen nur wieder an das Geld
denken .


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)


In der Tat werden nach § 844 BGB, wenn eine Tötung
erfolgt, nur die Beerdigungskosten oder gegebenenfalls
der Unterhalt ersetzt, falls überhaupt ein Unterhaltsbe-
rechtigter da ist, während in der Fallkonstellation, dass
der Verletzte am Leben bleibt, ein Anspruch auf alle Ver-
mögens- und Nichtvermögensschäden existiert .

Deswegen, meine Damen und Herren, führen wir ei-
nen Anspruch auf Hinterbliebenengeld ein . Dem § 844
BGB, der schon bislang die Ersatzansprüche Dritter bei
der Tötung regelt, wird ein neuer Absatz 3 angefügt:

Der Ersatzpflichtige hat dem Hinterbliebenen, der
zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem
besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für
das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid
eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten .

Der Kreis der Anspruchsberechtigten ist bewusst eng ge-
fasst, lässt aber auch eine gewisse Flexibilität zu . Das be-
sondere Näheverhältnis – Herr Staatssekretär Lange hat
es schon erwähnt – wird bei Ehegatten, Lebenspartnern,
Elternteil oder Kindern vermutet . Bei anderen Verbin-
dungen greift der Anspruch nur dann, wenn das Verhält-
nis dem entspricht, welches typischerweise zwischen den
Ehegatten, Lebenspartnern, Kindern oder Eltern besteht .

Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld soll auch in
Fällen der Gefährdungshaftung bestehen . Das ist tatsäch-
lich eine Konsequenz des Germanwings-Absturzes, weil
wir gesagt haben: Es kann in der Sache nicht sein, dass
Hinterbliebene beispielsweise einer Fluggesellschaft ein

Verschulden nachweisen müssen, was bei solchen Unglü-
cken üblicherweise ziemlich kompliziert werden kann .

Zu der Frage der Anspruchshöhe . Was können Ange-
hörige erwarten? Dazu wird vielfach gesagt: Man kann
einem Menschenleben kein exaktes Preisschild anhän-
gen . Das ist zumindest missverständlich; denn erstens
wird der Verlust eines nahestehenden Menschen durch
kein Geld der Welt ausgeglichen werden können . Zwei-
tens ist es aber auch gar nicht das Ziel, dass wir ein Men-
schenleben materiell bewerten möchten . Ziel des Hinter-
bliebenengeldes ist nämlich der symbolische Ausgleich
des Trauerschmerzes von nahestehenden Angehörigen .
Die Zahlung des Hinterbliebenengeldes wird seelisches
Leid nicht wirklich ausgleichen können . Mit der Schaf-
fung des Anspruches wird aber gezeigt, dass die Rechts-
ordnung den empfundenen Schmerz anerkennt .

Wir stellen aus gutem Grund die Höhe des Anspruchs
in richterliches Ermessen, weil jeder Fall anders gela-
gert ist . Wir äußern uns aber in der Gesetzesbegründung
durchaus zu Orientierungspunkten . Es wäre nämlich
falsch, Erwartungen zu wecken, dass künftig in Deutsch-
land Entschädigungssummen in Dimensionen gezahlt
werden, wie man sie aus den Vereinigten Staaten von
Amerika kennt. Wir hatten hierzu – das sei offen ange-
sprochen – mit dem Koalitionspartner durchaus Diskus-
sionsbedarf, weil die SPD andere Vorstellungen dazu
hatte . Dort hat man sich 30 000 bis 60 000 Euro pro An-
gehörigen vorgestellt . Wir haben gesagt: Es macht mehr
Sinn, sich an der Schockschadensumme zu orientieren,
die bei ungefähr 10 000 Euro liegt . Andere Fraktionen
haben möglicherweise ganz andere Forderungen, sodass
man darüber sicherlich diskutieren kann . Aber wir jeden-
falls halten das, was jetzt in dem Gesetzentwurf steht,
für richtig; denn im Koalitionsvertrag haben wir auch
vereinbart, dass sich der Anspruch in das Schadener-
satzrecht einfügt . Damit ist nicht nur die systematische
Stellung im Gesetz gemeint, sondern auch die Größen-
ordnung der Schadenersatzzahlungen .

Im Gesetzentwurf gehen wir von circa 24 000 Haf-
tungsfällen pro Jahr aus . Da beim Hinterbliebenengeld
geringere Summen als für Schockschäden zugesprochen
werden, ergibt sich auf der Grundlage der Schockscha-
densummen rechnerisch eine Gesamtschadensumme von
maximal 240 Millionen Euro pro Jahr .

Wenn man jetzt 30 000 bis 60 000 Euro pro Angehöri-
gen zugrunde legen würde, würde die Gesamtschadens-
umme zwischen 480 Millionen und circa 1,4 Milliarden
Euro liegen . Das würde dazu führen, dass das deutsche
Schadenersatzrecht aus der Balance gebracht werden
würde, weil natürlich dann auch für andere Schadenfäl-
le wesentlich höhere Schadensummen gezahlt werden
müssten . Hinzu kommt, dass natürlich dann die Versiche-
rungsunternehmen die entsprechenden Schäden auf die
Versichertengemeinschaft über erhöhte Prämien umle-
gen müssten . Deswegen tun wir gut daran, dass wir uns,
was die Höhe betrifft, genauso wie es im Gesetzentwurf
geregelt ist, an der Schockschadenrechtsprechung orien-
tieren .

Einen letzten Punkt möchte ich ansprechen, nämlich
die Berücksichtigung des Hinterbliebenengeldes beim

Dr. Hendrik Hoppenstedt






(A) (C)



(B) (D)


Zugewinnausgleich . Dazu steht im Gesetzentwurf noch
nichts . Darüber müssen wir uns im Ausschuss unterhal-
ten, insbesondere auch deswegen, weil das morgen im
Bundesrat Thema sein wird . Von der typischerweise
sehr individuell empfundenen Trauer des Anspruchsbe-
rechtigten, etwa beim Unfalltod seiner Eltern, wird der
Ehegatte regelmäßig nicht so mitbetroffen sein, dass eine
nachträgliche Beteiligung über einen Zugewinnausgleich
zwingend gerechtfertigt wäre . Deshalb soll das Hinter-
bliebenengeld beim Zugewinnausgleich dem Anfangs-
vermögen hinzugerechnet werden, sodass es im Ergebnis
tatsächlich nur dem Angehörigen zugutekommt .

Unter dem Strich ist das ein wirklich gelungenes Ge-
setzesvorhaben . Ich freue mich auf die Ausschussbera-
tungen und darauf, dass wir dann hoffentlich dieses Ge-
setz im Bundesgesetzbuch haben werden .

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822119800

Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Keul, Bünd-

nis 90/Die Grünen .


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822119900

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Fast möchte man ausrufen: Halleluja . Das für
2015 versprochene Weihnachtsgeschenk kommt jetzt zu
Ostern 2017 . Aber am Ende hat es vielleicht doch gehol-
fen, dass wir Grüne aus der Opposition heraus zwei Jahre
lang beim Thema Angehörigenschmerzensgeld Druck
gemacht haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Wir hätten es auch so hinbekommen! – Rüdiger Veit [SPD]: Sankt Martin sei Dank!)


Immer wieder haben Sie unseren Antrag vertagt, am
Ende haben Sie ihn sogar abgelehnt . Dabei unterscheidet
sich Ihr jetziger Vorschlag gar nicht so wesentlich von
unserem . Der Trauerschaden und die seelischen Schmer-
zen, die eine Person infolge des Todes eines nahen An-
gehörigen erleidet, sollen auch bei uns in Deutschland
künftig zu einem Ersatzanspruch führen . Bislang gilt:
Schmerzen für ein verlorenes Bein sind bezifferbar, aber
nicht die Schmerzen für ein verlorenes Kind .

Das gilt selbst bei Vorsatztaten und führt in der Tat
dazu, dass es für einen Täter finanziell attraktiver ist,
wenn das Opfer stirbt, als wenn es schwerverletzt über-
lebt . Meine zugegebenermaßen etwas zugespitzte For-
mulierung aus der ersten Rede brauche ich jetzt nicht
zu wiederholen; das hat der Kollege Hoppenstedt mir
dankenswerterweise abgenommen . Aber das Beispiel
scheint geholfen zu haben, Sie zu motivieren, einen Ge-
setzentwurf vorzulegen .

Viele andere europäische Länder haben längst so eine
Regelung und gewähren ein Angehörigenschmerzens-

geld, dort aber zum Teil mit festen Entschädigungssum-
men . Wir Grüne hatten in unserem Antrag vorgeschla-
gen, die Entschädigungssummen in das Ermessen des
Gerichts zu geben, wie das sonst auch bei Schmerzens-
geldansprüchen üblich ist . Diesem Vorschlag sind Sie
gefolgt, und das begrüßen wir .


(Dr . Hendrik Hoppenstedt [CDU/CSU]: Wir haben das schon durch eigene Überlegung geschafft!)


– Ein bisschen Hilfe kann nie schaden . – Ebenso sind
wir uns einig, dass der Trauerschaden auf Todesfälle be-
schränkt sein soll und nicht etwa auf schwere Verletzun-
gen zu erstrecken ist .

Auf der anderen Seite muss sich der Anspruch aber
auch auf die Gefährdungshaftung beziehen und darf sich
nicht auf reines Verschulden beschränken; denn es wäre
letztlich nicht nachvollziehbar, Opfer von Unglücksfäl-
len aus Flugzeugabstürzen oder Eisenbahnunfällen von
der Regelung auszunehmen . Auch hier sind Sie unseren
Vorschlägen gefolgt .

Anders als wir haben Sie sich allerdings als Rechts-
grundlage für den § 844 BGB entschieden, also für eine
Vorschrift aus dem Deliktsrecht . Das ist aus meiner Sicht
nicht so glücklich; denn so sind zwar die Ansprüche aus
unerlaubter Handlung oder Gefährdungshaftung umfasst,
nicht aber die Ansprüche aus vertraglicher Haftung .


(Beifall der Abg . Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Deswegen kann es in Einzelfällen zu Schutzlücken
kommen; – Kollege Petzold hat es gerade gesagt . Auch
der DAV hat das in seiner Stellungnahme kritisiert .
Wenn etwa ein Mensch aufgrund einer Verletzung von
vertraglich vereinbarten Betreuungspflichten ums Leben
kommt, zum Beispiel in einem Pflegeheim oder in einer
Kindertagesstätte, würde der § 844 nicht greifen . Die Be-
treuungspflicht obliegt in diesen Fällen dem Träger der
Einrichtung, und dieser haftet nicht, wenn er geltend ma-
chen kann, dass er sein Personal sorgfältig ausgewählt,
angeleitet und überwacht hat; denn so ist das eben in der
deliktischen Haftung . Der Träger kann sich exkulpieren,
anders als bei der vertraglichen Haftung .

Deswegen hatten wir uns in unserem Antrag für einen
anderen Ansatz entschieden . Wir wollten den Schmer-
zensgeldanspruch in § 253 BGB regeln . Das sind die
allgemeinen Vorschriften zu Art und Umfang von Scha-
denersatzansprüchen . Auf diese Vorschrift verweist auch
das Deliktsrecht, wenn es um den Ersatz eines immateri-
ellen Schadens geht . Auf diesem Wege wären dann ohne
Weiteres alle Anspruchsarten, auch die aus vertraglicher
Haftung, umfasst . Vielleicht können wir Sie im Verfah-
ren doch noch davon überzeugen, dass auch diese positi-
ve Gesetzesvorlage noch verbessert werden kann .

Für die Opfer von Straftaten hatten wir auch noch ei-
nen Vorschlag gemacht, den Sie nicht übernommen ha-
ben . Wir wollen, dass das Opferentschädigungsgesetz
reformiert wird und künftig auch Hinterbliebene nach
diesem Gesetz Ansprüche geltend machen können, wenn
der Straftäter selbst mittellos ist .

Dr. Hendrik Hoppenstedt






(A) (C)



(B) (D)


Bei dieser Gelegenheit will ich auch noch einmal an
die Streichung von § 1 Absatz 11 Opferentschädigungs-
gesetz erinnern, die wir hier anlässlich des Attentats vom
Breitscheidplatz diskutiert haben . Für die Hinterblie-
benen sollte es keinen Unterschied machen, ob die Tat
mittels eines Pkw oder einer anderen Waffe begangen
worden ist . Einzelfalllösungen und Härtefallfonds kön-
nen Rechtssicherheit in solchen Fällen dauerhaft nicht
ersetzen .

Trotz dieser Defizite begrüßen wir Ihren Gesetzent-
wurf, weil er erstmals einen Schmerzensgeldanspruch für
die Trauer von Angehörigen einführt, und darauf haben
wir lange genug gewartet .

Vielen Dank .


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822120000

Der Kollege Dr . Johannes Fechner spricht jetzt für die

SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Johannes Fechner (SPD):
Rede ID: ID1822120100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr

geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen!
Wir freuen uns auch sehr, dass wir nach intensiven und
gründlichen – ich sage nicht „langen“, sondern „gründ-
lichen“ – Vorberatungen heute diesen Gesetzentwurf
vorlegen können und damit das Verfahren starten, damit
Hinterbliebene endlich eine eigene Anspruchsgrundlage
für eine Entschädigung bekommen . Damit stehen wir
hinter den Hinterbliebenen und stellen eines klar: Das
seelische Leid von Menschen, die einen nahestehenden
Menschen durch einen Unfall oder eine Straftat verloren
haben, wird künftig nicht mehr ohne Anerkennung blei-
ben, liebe Kolleginnen und Kollegen . Das war auch mir
eine Herzensangelegenheit .


(Beifall bei der SPD)


Ich darf mich beim Bundesjustizministerium herzlich
für die sehr gute Zu- und Zusammenarbeit bedanken .
Herzlichen Dank! Das war wirklich sehr gut .

Meine Damen und Herren, der Tod eines naheste-
henden Menschen ist der schlimmste Verlust, den man
sich vorstellen kann . Wir werden das Leid der Hinter-
bliebenen sicher nicht durch eine Geldleistung aufheben
können . Aber zumindest ein Stück weit können wir das
Leid der Hinterbliebenen mit einer eigenen Anspruchs-
grundlage lindern . Es ist nach heutiger Rechtsprechung
und auch nach heutiger Rechtslage für Hinterbliebene
einfach viel zu kompliziert und zu schwierig, einen sol-
chen Entschädigungsanspruch durchzusetzen; denn nach
der heutigen Rechtslage haben die Angehörigen nur dann
einen Anspruch, wenn sie nachweisen, dass sie über das
Maß der normalen Trauer hinaus in ihrer seelischen Ver-
fassung verletzt sind . Das nachzuweisen, ist nahezu ein
Ding der Unmöglichkeit . Deswegen müssen wir die Än-
derung, wie wir sie heute hier vorschlagen, durchführen .

Ich halte es für richtig und sinnvoll, dass wir uns nicht
am traditionellen Familienbild orientieren, sondern die
Formulierung so fassen, dass anspruchsberechtigt etwa
auch Patchwork-Familien sein können oder auch ein un-
verheirateter Hinterbliebener, der einem Verstorbenen
sehr nahe gestanden hat .

Was die Höhe der Entschädigung angeht, so haben
wir darüber in der Tat intensiv diskutiert . Wir waren uns
einig, dass wir keine Summe in das Gesetz hineinschrei-
ben sollten . Aber wir hätten eine Orientierung für sinn-
voll gehalten . Die Bundesrechtsanwaltskammer hat vor
wenigen Tagen in einem Schreiben deutlich gefragt, wa-
rum wir keinen Entschädigungsrahmen in der Gesetzes-
begründung vorgegeben haben, und es wird – ich zitie-
re – „eine extrem voneinander abweichende richterliche
Rechtsprechung“ erwartet . Angesichts dessen glaube ich,
lagen wir mit unserem Vorschlag nicht so falsch, einen
Rahmen, einen Korridor in der Gesetzesbegründung zu
nennen . Immerhin haben wir in der Gesetzesbegründung
den klaren Hinweis auf die bisherige deutsche und eu-
ropäische Rechtsprechung . Wir verweisen auf Urteile,
die etwa bis zu 25 000 Euro zugesprochen haben, was
als Mindestbetrag gelten sollte . Aus meiner Sicht kann
sich die Rechtsprechung durchaus dahin gehend entwi-
ckeln, dass den Hinterbliebenen höhere Beträge zuge-
sprochen werden; denn ich finde, eines ist doch ganz
wichtig: Wenn wir eine eigene Anspruchsgrundlage für
die Hinterbliebenen schaffen, dann sollten die Ansprüche
auch nicht mit kleineren Summen abgegolten werden,
sondern dann muss es eine wirklich angemessene Ent-
schädigungszahlung für die Hinterbliebenen geben, liebe
Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der SPD)


Nicht zuletzt die Germanwings-Katastrophe hat uns
gezeigt, dass Hinterbliebene eine klare Rechtsgrundlage
haben müssen . Gerade in der schweren Zeit der Trauer
sollten wir den Hinterbliebenen schwierige und kompli-
zierte Verhandlungen mit den Schädigern oder deren Ver-
sicherung ersparen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, es
darf nicht sein, dass Hinterbliebene in der schweren Zeit
ihrer Trauer solch schwierigeren Verhandlungen aus-
gesetzt sind, nur weil eine klare Rechtsgrundlage fehlt .
Künftig wird das nicht mehr vorkommen . Mit der neuen
Regelung wird das Risiko minimiert, dass Hinterbliebe-
ne wegen der unklaren Rechtslage nicht zu ihrem Recht
kommen .

Natürlich können wir nicht verhindern, dass Ansprü-
che gegen den Täter oder den Unfallverursacher ins Lee-
re laufen, wenn der Täter oder der Unfallverursacher kein
Vermögen hat – wie etwa der Täter bei dem schreckli-
chen Anschlag hier auf dem Berliner Breitscheidplatz .
Ich möchte deshalb ausdrücklich loben, dass die Bun-
desregierung gestern einen Beauftragten für die Anliegen
der Opfer des Terroranschlags auf den Breitscheidplatz
und deren Hinterbliebene bestimmt hat,


(Beifall bei der SPD)


um die Entschädigung für die Opfer dieses Anschlags und
deren Angehörige zu gewährleisten . Ich glaube, mit Kurt
Beck wurde eine ebenso vertrauenswürdige wie kompe-
tente Person zum Beauftragten der Bundesregierung für

Katja Keul






(A) (C)



(B) (D)


diese Entschädigungen benannt . Ich bin mir sicher: Er
wird sich für die Belange der Hinterbliebenen engagiert
einsetzen und den Hinterbliebenen ein vertrauenswürdi-
ger Ansprechpartner in dieser schwierigen Rechtsgestal-
tung sein .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich sehr,
dass wir heute mit diesem wichtigen Gesetz das parla-
mentarische Verfahren starten können . Wir sollten noch
in dieser Legislaturperiode für die Hinterbliebenen die
Grundlage schaffen.

Für den Leistungsdruck, dem uns die Opposition aus-
gesetzt hat, möchte ich mich ausdrücklich bedanken . Das
war sehr konstruktiv .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ NEN)


– Ja, ernsthaft . Ich glaube, es gibt wenige Themen, die
sich für Parteipolitik weniger eignen würden als dieses
Gesetz . Lassen Sie es uns zügig beraten und dann noch
in dieser Legislaturperiode einvernehmlich beschließen!

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822120200

Am Ende dieser ersten Beratung des Gesetzentwurfs

spricht jetzt der Kollege Alexander Hoffmann für die
CDU/CSU .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Rüdiger Veit [SPD])



Alexander Hoffmann (CSU):
Rede ID: ID1822120300

Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen

und Kollegen! Statistiken weisen manchmal schwer-
wiegende Zahlen aus . Statistiken für unser Land zeigen,
dass wir im Jahr circa 3 000 fremdverursachte Todesfälle
im Straßenverkehr haben sowie circa 1 500 Todesfälle
aufgrund ärztlicher Behandlungsfehler . Circa 500 Men-
schen fallen in unserem Land in jedem Jahr Mord bzw .
Totschlag zum Opfer . Dazu kommen circa 1 000 haf-
tungsauslösende Todesfälle aufgrund anderer Ursachen .

Diese Statistiken bedeuten auch: Hinter jedem dieser
Fälle stehen circa vier Hinterbliebene . Wenn wir dann
über Schmerzensgeld für Angehörige reden, dann reden
wir – das lässt sich schnell hochrechnen – über circa
24 000 Haftungsfälle im Jahr .

Spannend ist die Antwort, die der Rechtsstaat auf all
diese Fragen gibt . Es gibt zwei Stränge, den strafrechtli-
chen und den zivilrechtlichen .

Auf der strafrechtlichen Seite ist das, was der Rechts-
staat in unserem Land dazu zu sagen hat, schon sehr
komplett . Es kommt zur Strafe . Es kommt zur Geldstra-
fe . Es geht um Schuld, Sühne, auch um Vergeltung . Der
Strafanspruch, den der Staat verwirklicht, zeigt, dass der
Staat letztendlich das Rechtsgut schützen will . Der Staat
will auch eine Botschaft für Hinterbliebene übermitteln,

nämlich: Der Hinterbliebene ist nicht allein; der Staat
steht ihm bei .

Wenn man auf die zivilrechtliche Seite blickt, dann
muss man feststellen, dass das ein ganzes Stück weni-
ger komplett ist . Natürlich gibt es Ersatz für materielle
Schäden . Aber Schmerzensgeld für Angehörige gibt es
eigentlich nur – der Kollege Fechner hat es angedeutet –
im Fall der Schockschäden . Nicht jedes Leid, nicht jeder
Schmerz, nicht jede Trauer eines Menschen in dem Mo-
ment, in dem er die Information bekommt, dass ein naher
Angehöriger ums Leben gekommen ist, ist ein Schock
in diesem Sinne; es muss eine traumatische Auswirkung
von einigem Gewicht sein . Mehr gibt es auf der zivil-
rechtlichen Seite für die Hinterbliebenen bislang dem
Grunde nach nicht .

Deswegen bin ich sehr dankbar, dass der bayerische Jus-
tizminister Winfried Bausback das sehr früh in Worte
gefasst hat . Er hat das so beschrieben: Stellen Sie sich
vor, Eltern verlieren ihr Kind, während es mit dem Fahr-
rad auf dem Schulweg unterwegs ist, und der Rechtsstaat
gibt als Antwort nur: Wir geben Ersatz für das Fahrrad,
aber kein Schmerzensgeld für den Verlust des Kindes .
Das war ein wesentlicher und wichtiger Beweggrund
für die CSU, dieses Vorhaben in den Koalitionsvertrag
hinein zuverhandeln .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nachdem im Bundesjustizministerium bedauerlicher-
weise lange wenig geschah, kam Anfang 2015 aus Bay-
ern ein Gesetzentwurf . Vor diesem Hintergrund sage ich:
Es ist heute ein guter Tag, weil wir den Entwurf, der uns
heute vorliegt, endlich ins gesetzgeberische Verfahren
einbringen können . Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich
glaube, ich spreche für uns alle, wenn ich sage: Wir sind
uns sehr wohl darüber im Klaren, dass Geld den Schmerz,
das Leid nicht aufwiegen kann . Aber Geld kann zumin-
dest ein Stück Genugtuung geben . Ein Geldbetrag setzt
am Schluss auch ein Zeichen, nämlich: Der Staat lässt
Hinterbliebene nicht allein .

Ich möchte an dieser Stelle noch auf einen zweiten
Punkt zu sprechen kommen, der mir durchaus wichtig
erscheint und der mir kürzlich in den Sinn gekommen ist,
als ich einen Beitrag über die Aufarbeitung der German-
wings-Katastrophe gelesen habe . Ich persönlich glaube,
ein Rechtsstaat ist dafür verantwortlich, welche juristi-
schen Diskussionen bei der Aufarbeitung juristischer
Fragen im Land geführt werden, und er ist auch dafür
verantwortlich, dass diese Diskussionen nachvollziehbar
sind . In diesem Beitrag ging es darum, dass Hinterbliebe-
ne dieses Absturzes bis heute Diskussionen mit der Flug-
linie und auch mit Versicherungen führen . Dabei geht es
um Fragen wie diese: Wie lange haben die Passagiere
gelebt? Was haben sie noch wahrgenommen? Haben sie
gemerkt, dass es jetzt unwiederbringlich dem Ende ent-
gegengeht? Was hat das für sie medizinisch, gesundheit-
lich bedeutet, oder sind sie gleich verstorben? Insofern
glaube ich, dass der Staat in dem Moment seiner Ver-
antwortung gerecht wird, wo er sagt: Diese Diskussion
ist für niemanden mehr nachvollziehbar . Deshalb ist das
heute ein so wichtiger Schritt .

Dr. Johannes Fechner






(A) (C)



(B) (D)


Ich begrüße es außerordentlich, dass wir hier nicht
mit Pauschalsätzen um uns werfen . Natürlich wäre es
ein Leichtes gewesen, gleich eine Größenordnung fest-
zusetzen und zu sagen: Ab dieser Größenordnung muss
ab jetzt Schadensersatz zugesprochen werden . Das ist
gut so, weil wir bislang immer die Höhe des Schadens-
ersatzes in das Ermessen des Gerichts gestellt haben .
Die Rechtsprechung zeigt, dass die Entscheidung dort in
guten Händen ist . Um noch einmal die Statistik zu be-
mühen: Der durchschnittliche Wert in Fällen dieser Art
betrug in den letzten Jahren ungefähr 10 000 Euro . Damit
stimmt das, was der Kollege Hoppenstedt vorhin gesagt
hat: Das ist natürlich deutlich weniger als in den USA .
Allerdings will ich auch sagen, dass wir nüchtern kon-
statieren müssen: Am Ende macht es unter Umständen
keinen Unterschied, ob es 10 000 oder 50 000 Euro sind,
weil es den tatsächlichen Ausgleich nicht geben wird .

Das führt mich aber noch zu einem anderen Punkt, der
mir ganz wichtig ist: Wir haben mittlerweile im Versi-
cherungsrecht und in der Rechtsprechung ein sehr aus-
gewogenes und austaxiertes System, was die Bewertung
der Schadenshöhen angeht; das wissen Sie . Da gibt es
Tabellen, was der Verlust ganzer Gliedmaßen im Versi-
cherungsrecht wert ist . Das mag an mancher Stelle skur-
ril erscheinen, aber es ist ein Gefüge, das in einem gesun-
den Verhältnis zueinander steht . Letztendlich sollten wir
nicht vergessen, dass diese Sachverhalte auch in der Ver-
sicherungswirtschaft abgebildet werden müssen . Wenn
wir uns jetzt dafür entscheiden, einen höheren Wert fest-
zulegen, worüber man ja unter Umständen reden kann,
wird das am Ende des Tages dazu führen, dass wir auch
in allen anderen Bereichen nachlegen müssen . Das wird
wieder dazu führen, dass die Schadenshöhen und auch
die Haftungsrisiken steigen, was am Schluss mit einem
Steigen der Versicherungsrisiken einhergeht und eines
Tages wieder bei den Prämien ankommen wird . Deswe-
gen finde ich es gut, dass wir bei diesem Entwurf mit sehr
viel Augenmaß vorgehen . Ich freue mich auf die weiteren
Beratungen im Verfahren .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822120400

Damit schließe ich die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetz-
entwurfs auf der Drucksache 18/11397 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . –
Dagegen gibt es weder anderweitige Vorschläge noch
Widerspruch . Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 14:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr . Rosemarie Hein, Sabine Zimmermann

(Zwickau), Sigrid Hupach, weiterer Abgeordne-

ter und der Fraktion DIE LINKE

Berufsbildungsgesetz novellieren – Ausbil-
dung verbessern

Drucksache 18/10281

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Arbeit und Soziales

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Widerspruch
dagegen erhebt sich keiner . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin der Kollegin Dr . Rosemarie Hein für die Fraktion
Die Linke das Wort . Ich bitte die anderen Kolleginnen
und Kollegen, Ihre Plätze einzunehmen .


Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822120500

Vielen Dank, Herr Präsident! – Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Leider gehen jetzt die meisten jungen Leute
auf den Tribünen. Das ist schade. Ich hatte gehofft, dass
Sie diese Debatte noch miterleben können; denn um sie
geht es eigentlich .

Seit einigen Jahren geben sich Delegationen aus vie-
len anderen Ländern bei uns die Klinke in die Hand, um
sich über das duale Ausbildungssystem in Deutschland
zu informieren . Die Bundesregierung hält es deshalb für
einen Exportschlager . Auch in Deutschland gibt es viel
Zustimmung zur dualen Ausbildung . Gerade darum be-
darf es einer soliden Rechtsgrundlage – das ist das Be-
rufsbildungsgesetz –, und dafür ist der Bund zuständig .
Laut Koalitionsvereinbarung sollte in dieser Wahlperiode
geprüft werden, ob es einen Veränderungsbedarf gibt .

Vor einem Jahr wurde ein Evaluationsbericht vorge-
legt, und die Bundesregierung hat im Sommer des ver-
gangenen Jahres erklärt, dass sie keinen Novellierungs-
bedarf sieht. Wir sehen ihn schon und finden uns dabei
in guter Gesellschaft mit den Gewerkschaften und vor
allem mit der DGB-Jugend, die Anwältin der betroffenen
Auszubildenden ist .


(Beifall bei der LINKEN)


Darum haben wir Ihnen heute einen Antrag vorgelegt, in
dem wir wichtige Veränderungsbedarfe darlegen . Weil
ich nicht viel Redezeit habe, will ich nur auf wenige
Punkte eingehen. Die meisten Vorschläge betreffen die
rechtlichen und sozialen Rahmenbedingungen für Aus-
zubildende .

Erstens . Wir wollen eine Mindestausbildungsvergü-
tung im Gesetz festschreiben . Das Bundesinstitut für
Berufsbildung hat kürzlich die durchschnittlichen tarif-
lichen Ausbildungsvergütungen für das Jahr 2016 ver-
öffentlicht. Das sind im Monat 854 Euro brutto. Doch
der Teufel steckt im Detail . Und deshalb ist es nicht nur
so, dass wir im Westen immer höhere Ausbildungsver-
gütungen haben als im Osten, sondern wir haben auch
ganz niedrige Ausbildungsvergütungen . Zum Beispiel im
Fleischerhandwerk im Osten sind es 310 Euro . Das sind
nur die tariflich festgelegten Vergütungen. Es gibt auch
Ausbildungsvergütungen in Betrieben, die keine Tarif-
bindung haben, dort sieht es noch düsterer aus .

Zweitens . Ein ganzer Strauß Vorschläge zielt auf die
Verbesserung der Ausbildungsqualität . Dazu hatten wir
schon einmal einen Antrag im Bundestag . Wenn zum

Alexander Hoffmann






(A) (C)



(B) (D)


Beispiel Ausbildungspläne nicht existieren, Ausbilder
gar nicht oder nur sehr selten zu den Auszubildenden
kommen, Überstunden geleistet werden müssen oder
nach der Berufsschule am gleichen Tag wieder gearbeitet
werden soll, dann spricht das für Mängel in der Ausbil-
dungsqualität, die behoben werden müssen .

Drittens . Ohne gute Berufsschulen gibt es kein duales
Ausbildungssystem . Darum müssen die Berufsschulen
dringend aufgewertet werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Das betrifft die Ausstattung der Schulen ebenso wie die
Versorgung mit gut ausgebildeten Lehrkräften . Es ist
auch nur angemessen, wenn die erreichten Lernergeb-
nisse an den Berufsschulen auf den Kammerzeugnissen
regelmäßig vermerkt werden . Sie sind ja Bestandteil der
dualen Ausbildung . Aber zurzeit passiert das nur auf
freiwilliger Basis . Dabei haben wir sehr wohl im Blick,
dass Berufsschulen in der Landesverantwortung liegen,
aber die duale Ausbildung kann nicht an Zuständigkeits-
schranken – um einen Begriff von Tankred Schipanski zu
nehmen – zwischen Ländern und Bund scheitern .

Viertens . Ich möchte noch erwähnen, dass die Rah-
menbedingungen für die Arbeit der Prüferinnen und
Prüfer deutlich verbessert werden müssen . Hier wird im
Evaluationsbericht sogar ein deutlicher Veränderungs-
bedarf festgestellt, aber die Bundesregierung fühlt sich
trotzdem dafür nicht zuständig . Wir halten das für falsch .
Prüferinnen und Prüfer arbeiten ehrenamtlich. Ich finde,
sie brauchen für diese Aufgabe rechtlich abgesicherte
Konditionen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Darum müssen die entsprechenden rechtlichen Rahmen-
bedingungen genauso ins Berufsbildungsgesetz wie jene,
die für andere Bereiche der Ausbildung gelten .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir finden: Wer die
duale Ausbildung aufwerten will, der muss das Berufs-
bildungsgesetz besser machen . Wir wollen das . Machen
Sie doch einfach mit .


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn Sie nämlich nicht mitmachen, dann können Sie
sich eigentlich auch die vielen Krokodilstränen über die
angeblich nicht vorhandene Attraktivität der dualen Aus-
bildung künftig schenken .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN – Rainer Spiering [SPD]: Das wäre gar nicht schlecht!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822120600

Nächster Redner ist der Kollege Dr . Thomas Feist für

die CDU/CSU .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Thomas Feist (CDU):
Rede ID: ID1822120700

Vielen Dank, Herr Präsident . – Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Ich möchte einmal drei Facetten

des Antrags der Linken zur Novellierung des Berufsbil-
dungsgesetzes betrachten, Frau Hein .

Erstens: die Notwendigkeit dieses Antrages . Sie
schreiben ganz am Anfang von der angespannten Situati-
on am Ausbildungsmarkt, nur leider hat das mit der Re-
alität nichts zu tun . Denn sowohl das Bundesinstitut für
Berufsbildung als auch die Arbeitsagentur sagen etwas
völlig anderes, nämlich dass die Lage entspannter ist .

Ein zweiter Aspekt hinsichtlich der Notwendigkeit .
Wir haben mit diesem Berufsbildungsgesetz in Deutsch-
land eine Jugendarbeitslosigkeit von knapp über 5 Pro-
zent . Im europäischen Durchschnitt sind es 23 Prozent .
Jetzt ein gutes Gesetz auf Grundlage Ihrer Angaben zu
verschlimmbessern, halte ich für nicht notwendig .


(Beifall des Abg . Uwe Schummer [CDU/ CSU] – Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Verbessern, nicht verschlimmbessern! Das machen Sie schon alleine!)


– Verschlimmbessern . Ich bleibe dabei .

Zweitens: die Frage der Form, die Art und Weise, wie
Ihr Antrag gestaltet ist . Nun ist es so, dass Sie den Be-
rufsbildungsbericht nehmen und darauf aufbauend Ihre
Argumentationsketten entwickeln . Dann kommt noch
das Hohelied über Gewerkschaftspapiere . Das sei Ihnen
vergeben; das ist ja auch in Ordnung .


(Lachen bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie gütig!)


Am Schluss ist es allerdings so, dass Sie die Evaluation,
die von demselben Ministerium vorgenommen wird, das
auch für den Berufsbildungsbericht zuständig ist, als fehl
am Platze einschätzen . Da muss man sich doch schon
mal überlegen, ob die Quellen, die man nutzt, seriös sind
oder nicht – beides in einem Antrag zu behaupten, das
geht nicht .


(Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Nur bei Ihnen nicht!)


– Nein, das geht generell nicht . Man muss schon ein biss-
chen stringent vorgehen .

In Ihrem Antrag „Berufsbildungsgesetz novellieren“
haben Sie eigentlich alles zusammengefasst, was irgend-
wie mit Berufsbildung zu tun hat . Das ist auch Ihr gutes
Recht; das können Sie gerne machen . Nur sind darin eini-
ge gravierende Fehler enthalten . Sie reden zum Beispiel
über die Berufseinstiegsbegleiter und behaupten, das
entsprechende Programm sei nicht nachhaltig . Ich muss
ganz ehrlich sagen: Für junge Leute, die besonderen För-
derbedarf haben, ist das eine tolle und nachhaltige Sache .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das ist so festgelegt; es ist eine gesetzliche Leistung, die
im Sozialgesetzbuch verankert ist . Deswegen ist das auch
kein „Programm“ . Ebenso ist die Assistierte Ausbildung
im Sozialgesetzbuch niedergelegt; sie ist – anders, als Sie

Dr. Rosemarie Hein






(A) (C)



(B) (D)


es im Antrag umschreiben – kein „Programm“ . Was Sie
schreiben, ist leider völlig falsch .


(Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Das ist befristet! Vielleicht erinnern Sie sich daran!)


Drittens . Ich komme zu ein paar Punkten, die den
Inhalt betreffen. Nun kann man sagen, einige Forderun-
gen in Ihrem Antrag sind ganz vernünftig, zumindest im
Sinne der Auszubildenden . Sie haben die Mindestausbil-
dungsvergütung angesprochen . Nun gibt es ja das Instru-
ment der Bundesausbildungsbeihilfe . Das heißt, wenn
jemand nicht bei seinen Eltern wohnt und wenig Lehr-
lingsgeld bekommt, kann dieses aufgestockt werden, da-
mit er sich eine eigene Wohnung leisten kann . Auch das
sind gesetzlich festgeschriebene Leistungen . Ein interes-
santer Schachzug wäre gewesen – eigentlich habe ich da
auf Ihren Vorschlag gewartet –, wenn Sie gesagt hätten:
Wir haben das BAföG beim BMBF, und wir sollten das
für die Azubis auch beim BMBF regeln . – Das wäre doch
etwas Sinnvolles . Denn bis jetzt ist es so, dass Sie For-
derungen stellen, die zwar erfüllt werden könnten, aber
eben nicht von diesem Ministerium .

Ein zweiter inhaltlicher Aspekt ist die Lernmittelfrei-
heit . Das ist eine ganz tolle Sache für junge Leute . Ich
bin auch dafür . Nur, warum sollen wir denn hier im Bund
etwas beschließen, was die Länder dann umsetzen müs-
sen? Hier ergibt sich keine Stringenz .


(Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Dann müssen Sie besser lesen!)


Einige Dinge mehr sind im Antrag enthalten . Im Üb-
rigen finden sich da auch Karteileichen wie die Ausbil-
dungsplatzabgabe . Nun, Frau Hein, es ist so: Zum ersten
Mal wurde vor 41 Jahren, 1976, über die Novellierung
des Berufsbildungsgesetzes gesprochen . Da saßen Sie
von der Linken noch nicht hier, da saß auch die Frak-
tion der Grünen noch nicht hier . Damals stand das auch
schon in einer Vorlage, und schon damals ist es abgelehnt
worden .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil Sie nicht dazulernen! – Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Und Sie haben nicht gemerkt, dass wir von einer Umlage reden!)


Unsere Meinung ist folgende: Wir werden das gute
Gesetz, das wir haben, nicht durch Aufblähen bürokra-
tischer und schlechter handhabbar machen und dadurch
für die Unternehmen, die ausbildungswillig sind, ver-
schlimmbessern . Deswegen werden wir Ihren Antrag
ablehnen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Welche Überraschung!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822120800

Nächste Rednerin ist die Kollegin Beate Walter-

Rosenheimer, Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Liebe Gäste! Es ist bezeichnend . – Es

ist bezeichnend, dass wir heute über den Antrag einer
Oppositionsfraktion diskutieren . Es ist bezeichnend, dass
wir wieder einmal nicht über einen Antrag der Regie-
rungskoalition sprechen . Und es ist erst recht bezeich-
nend, dass wir heute ganz sicher nicht über einen Gesetz-
entwurf der Bundesregierung diskutieren . Beides gibt es
nämlich nicht .

Ministerin Wanka und die Große Koalition bleiben
sich damit treu: Über berufliche Bildung wird viel gere-
det, aber es wird wenig dafür getan .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie dösen immer noch im berufsbildungspolitischen
Winterschlaf .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt schon Frühjahrsmüdigkeit!)


Und während man sich fragt, ob Sie eigentlich jemals da-
raus erwachen werden, versuchen die Oppositionsfrak-
tionen, die berufliche Bildung in Deutschland voranzu-
bringen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist die Realität nach fast vier Jahren CDU-geführter
Bildungspolitik .

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, lassen
Sie uns das Kind doch beim Namen nennen: Diese Koa-
lition hat abgewirtschaftet!


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Bei den Umfrageergebnissen würde ich das auch sagen!)


Liebe Frau Hein, Sie haben absolut recht: Die beruf-
liche Bildung muss im Jahr 2017 die Anforderungen des
21 . Jahrhunderts aufnehmen und daran angepasst wer-
den . Und ja: Wenn eine Ausbildung auch in Zukunft noch
attraktiv sein soll, müssen wir jetzt für bessere Ausbil-
dungsbedingungen sorgen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Eine Reform des Berufsbildungsgesetzes ist da ein
erster Schritt . Heute zeigt sich aber einmal mehr: Ihre
Koalition war und ist zu echten Reformen nicht in der
Lage. Anstatt der beruflichen Bildung einen zeitgemäßen
gesetzlichen Rahmen zu geben, ducken Sie sich lieber
weg und verweisen auf die große Allianz für Aus- und
Weiterbildung . Ich verrate Ihnen da sicher kein Geheim-
nis: Diese Kaffeerunde hat überhaupt keine Entschei-
dungskompetenz . Das wissen Sie so gut wie ich .


(Uwe Schummer [CDU/CSU]: Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände keine Kompetenz?)


– Nein . Die Kolleginnen der Linken weisen zu Recht da-
rauf hin, dass die Allianz eben keine gesetzlich definier-
ten Standards für mehr Ausbildungsqualität setzen kann .
Das kann sie nicht . Nein! Denn genau das ist die Aufga-
be des Gesetzgebers . Und genau das ist die Aufgabe, der
sich Union und SPD verweigern .

Die Reform des Berufsbildungsgesetzes ist leider
nicht die einzige Baustelle, die nach dreieinhalb Jahren
übrig bleibt . Letztes Jahr im Herbst hat der damalige

Dr. Thomas Feist






(A) (C)



(B) (D)


Bundeswirtschaftsminister Gabriel großspurig einen Be-
rufsschulpakt verkündet. Die beruflichen Schulen sollten
für das digitale Zeitalter fit gemacht werden. Im Haushalt
suchen wir die versprochenen Milliarden aber bis heute
vergeblich .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Exakt!)


Wir Grüne haben schon damals schwarz auf weiß
500 Millionen Euro pro Jahr für die beruflichen Schulen
gefordert . Unseren Antrag hat die Koalition damals abge-
lehnt . Das, meine lieben Kollegen und Kolleginnen, zeigt
doch: Sie betreiben reine Symbolpolitik .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE])


Die beruflichen Schulen in Deutschland brauchen aber
bare Münze, keine leeren Worte . Geben Sie ihnen doch
endlich die Unterstützung, die sie für die Integration von
Geflüchteten und für einen modernen Unterricht brau-
chen .

Dann die nächste Baustelle: Behäbig und zögerlich
doktern Sie nun an einer kleinen Möglichkeit herum, wie
Sie das Kooperationsverbot in der Bildung, das es laut
einigen Unionskollegen angeblich ja gar nicht gibt, öff-
nen können . Gut, das ist ein erster Schritt . Aber seien Sie
doch ehrlich! Machen Sie es wie die SPD, und gestehen
Sie ein, dass Sie sich jahrelang auf dem Holzweg befun-
den haben!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Lassen Sie uns diesen Unsinn gemeinsam beenden, damit
unser Land endlich eine echte Bildungsrepublik wird .

Ihre Bilanz ist, wie ich finde, wirklich kein Grund,
sich gegenseitig auf die Schultern zu klopfen .

Enden will ich heute aber trotzdem mit einem tröstli-
chen Gedanken: Spätestens am 24 . September wird auch
diese Bundesregierung aus dem Winterschlaf erwachen .


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Hoffentlich kommen Sie über die 5-Prozent-Hürde!)


Eines, lieber Kollege, ist auch heute noch sicher: Der
nächste Frühling kommt selbst nach dem härtesten aller
Winter .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU: Och! – Fensterrede!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822120900

Für die SPD spricht jetzt der Kollege Rainer Spiering .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rainer Spiering (SPD):
Rede ID: ID1822121000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie-

be Zuschauer auf den Rängen! Kurz zu den Vorschlägen
der Linken: Frau Hein, Sie haben einige Aspekte genannt

und Überlegungen angestellt, denen man sehr wohl zu-
stimmen kann .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Viele!)


Was ich ausgesprochen gut finde, ist, dass in diesem
Hause, zumindest von den Grünen und von den Linken,
erstmalig die Berufsschule in den Fokus genommen
wird . Das freut mich .


(Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Haben wir schon länger, Herr Spiering!)


Andere haben da vielleicht noch Nachholbedarf .

Ihr Vorschlag, Frau Hein, enthält neben anderen
Punkten einen Punkt, der schlicht und ergreifend nicht
umsetzbar ist . In Ihrem Antrag fordern Sie die grund-
gesetzliche Verankerung des Rechtsanspruchs auf einen
Ausbildungsplatz . Es kann doch keiner so naiv sein, zu
glauben, dass wir per Grundgesetz einen solchen An-
spruch erfüllen können . Genau das macht Ihren Antrag
absolut nicht zustimmungsfähig .


(Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Die freie Berufswahl steht im Grundgesetz!)


– Frau Hein, lassen Sie uns jetzt nicht darüber debattie-
ren, was man braucht, um das Grundgesetz zu ändern .
Der vorliegende Antrag ist, was diesen Punkt betrifft,
schlicht und ergreifend obsolet .

Zweiter Punkt. Über die solidarische Umlagefinan-
zierung hat man in diesem Land schon häufig und lange
nachgedacht . Man kann darüber auch intensiv nachden-
ken, aber ich weise darauf hin: Wir haben mittlerweile
sehr viele kleine Betriebe . Ich rede jetzt nicht von den
Mittelständlern, sondern von den Einmann- oder Ein-
fraubetrieben. Man kann diese in die Umlagefinanzie-
rung integrieren, aber es würde für viele dann unendlich
schwierig werden, den Auflagen gerecht zu werden. Des-
wegen würde ich mit solch einer Forderung sehr vorsich-
tig umgehen .

Der dritte Punkt ist die Lernmittelfreiheit . Das haben
wir in Niedersachsen ausprobiert, und es lohnt sich, sich
mit diesem Thema auseinanderzusetzen . Wenn man be-
denkt, wo wir damit gelandet sind, würde ich sagen: Vor-
sicht an der Bahnsteigkante! – Man kann schnell etwas
verlangen, aber eine entsprechende Umsetzung kann am
Ende des Tages ausgesprochen schwierig werden . Des-
halb sollte man sich vorher mit dem Thema auseinander-
setzen und bei denen nachfragen, die das schon einmal
ausprobiert haben .

Das sind drei Vorschläge von Ihnen, denen man, wie
ich sagen würde, überhaupt nicht folgen kann .

Was ich gut finde, ist, dass wir das Thema auf die
Tagesordnung gesetzt haben . Thomas Feist, in diesem
Punkt sind wir völlig unterschiedlicher Meinung: Das
Bildungssystem in Deutschland hat eine Unwucht, und
das können wir nicht gesundbeten . Auf der einen Seite
gibt es die Nachfrage nach hochqualifizierten Facharbei-
tern, der wir nicht ausreichend nachkommen können, auf
der anderen Seite – und das tut mir sehr weh – gibt es

Beate Walter-Rosenheimer






(A) (C)



(B) (D)


2 Millionen junge Menschen, die keinen Ausbildungs-
platz bekommen haben und keinen bekommen werden .


(Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sehr richtig!)


Ich glaube, darüber kann man nicht einfach so lax hin-
weggehen .


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Thomas Feist schüttelt mit dem Kopf: Werfen Sie
einfach einen Blick in den Bericht des BIBB . Es gibt
2 Millionen Menschen, die keine Perspektive haben, die
Existenzängste haben und die von der Gesellschaft ab-
gehängt werden. Ich finde, das kann sich ein System wie
das deutsche schlicht und ergreifend nicht leisten .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Da würde ich auch gerne alle ideologischen Überlegun-
gen und Wettbewerbsfragen außen vor lassen . Das ist
eine Aufgabe, der wir uns stellen müssen, und vor allen
Dingen auch stellen können, wie ich glaube . Die Frage
ist nur, wie wir das tun .

Nächste Anmerkung – und das tut mir als Berufs-
schullehrer so leid –: Das Wirtschafts- und Sozialsystem
in Deutschland ist mit keinem Bildungssystem so eng
verknüpft wie mit dem Berufsbildungssystem, aber es
gibt keine Wertschätzung vonseiten der Öffentlichkeit.
Ich finde, hier müssen wir etwas tun. Genau daran müs-
sen wir arbeiten: an der Wertschätzung für das berufsbil-
dende System .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg . Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE])


Ich möchte kurz darstellen, was wir anbieten . Ich habe
hier mehrfach vier Forderungen vorgetragen – ich werde
sie gleich um eine fünfte ergänzen –: knappe, einfache
und sinnvolle Veränderungen am Berufsbildungsgesetz –
vor allen Dingen unter dem Aspekt der Qualitätssteige-
rung –,


(Beifall des Abg . Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Freistellung von über 18-Jährigen für den Berufsschu-
lunterricht – ich habe hier lang und breit erklärt, wa-
rum, wieso, weshalb –, Freistellung von Mitgliedern in
Prüfungsausschüssen, Finanzierung von Freistellungs-
ansprüchen von Prüfern und verbindlicher Durchstieg
von zweijähriger in die dreieinhalbjährige Ausbildung .
Ich kann mich im Übrigen auch mit der Mindestausbil-
dungsvergütung sehr anfreunden . Wir haben beim Min-
destlohn da sehr gute Erfahrungen gemacht .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das sind einfache und unspektakuläre Schritte .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer regiert eigentlich?)


– Dazu möchte ich eine Ansage machen:


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, mach doch mal!)


Auch die Grünen würden sich, wenn sie Teil in einer Ko-
alition wären, an die Koalitionsabsprachen halten . Das
gehört sich so in einem Parlament .


(Beifall der Abg . Dagmar Ziegler [SPD] – Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Die würden ja auch mit der CDU regieren!)


Wir haben das hier offen diskutiert, und ich mache an
dieser Stelle jetzt die Position der SPD deutlich: Wir
brauchen nicht die großen Schritte, wir brauchen die ein-
fachen Schritte .

Ich sage auch gleich etwas zu dem großen Wurf, der
so gerne mal in den Raum gestellt wird . Kollege Mutlu,
wer glaubt, sensible und fragile Systeme wie das Berufs-
bildungssystem in einem großen Wurf verändern zu kön-
nen, der irrt . Beteiligt sind IHK, HWK, Zentralverband
des Deutschen Handwerks, BDI, BDA, Gewerkschafts-
verbände, Kommunen, Länder und die Bundesrepublik
Deutschland, und von den Kirchen habe ich noch gar
nicht angefangen zu reden . Wer glaubt, in dieses System
mit einem großen Schlag einbrechen zu können, kann nur
scheitern . Wer an das Berufsbildungsgesetz herangeht,
der muss das sehr sorgfältig machen


(Beifall des Abg . Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD])


und sich über den Stand der Dinge informieren . Ich glau-
be, das haben wir ungenügend getan .

Wo sieht meine Fraktion einen Anknüpfungspunkt,
um wirklich etwas tun zu können? Das zentrale Element
im System der Berufsbildung ist momentan die Berufs-
schule . Wer sich intensiv mit der Frage auseinandersetzt,
weiß, dass Innovation für kleine und mittelständische
Betriebe heute nur noch über die Berufsschule transpor-
tiert werden kann . Das machen übrigens viele Berufs-
schulen sehr gut vor . Wenn wir fördern wollen, dann ist
das Berufsschulsystem das System, das wir schlechthin
fördern müssen .

An dieser Stelle muss ich auch Kritik an meiner Mi-
nisterin hinsichtlich des Wissenschaftsbereichs äußern:
Wir haben nach wie vor keine nachhaltige Forschung
zur Berufsbildung; wir haben keine Förderung der di-
gitalen Strukturen in den berufsbildenden Schulen; wir
haben keine Förderung der Berufsschullehrerausbildung;
wir haben keine Zusicherung des Staates für junge Men-
schen, dass sie einer sicheren Zukunft entgegenblicken
können . – Die Berufsschule kann das leisten . Die Berufs-
schule kann den Einstieg leisten, um junge Menschen zu
qualifizieren. Hamburg macht es exemplarisch vor, wie
man junge Menschen in Berufsschulen holt und aus den
Berufsschulen heraus in den ersten Ausbildungsmarkt
bringt . Ja, das geht .

Damit komme ich zu der nächsten zentralen Aussage,
Thomas Feist: Man kann sich immer gut hinstellen und
sagen, dass das eine Forderung an die Länder ist; aber
viele Länder sind schlicht und ergreifend völlig über-
fordert . Wir wissen, dass Kommunen im Grenzbereich
der Leistungsfähigkeit sind . Träger der berufsbildenden
Schulen sind die Kommunen, Landkreise oder kreisfrei-
en Städte . Wenn ich mir die Finanzen unserer kreisfreien
Städte angucke, dann weiß ich, dass die nicht gut sind .

Rainer Spiering






(A) (C)



(B) (D)


Wir müssen endlich einmal begreifen: Auch wenn Bil-
dung an sich keine gesamtstaatliche Aufgabe ist, ist die
Berufsbildung das allemal .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wenn wir der Berufsschule helfen wollen, dann ist das
eine gesamtstaatliche Aufgabe, der sich diese Republik
stellen muss .

Wenn wir das Hohelied der dualen Berufsausbildung
singen und sie im Ausland so präsentieren, dann müssen
wir auch willens sein, den Preis dafür zu zahlen . Und ich
sage: Der Preis wird nicht niedrig sein . Dann sind wir
in der Lage, unsere Berufsschulen so auszustatten, dass
sie auch Menschen, die unter schwierigen Bedingungen
starten, an die Hand nehmen können, damit sie in dem
System Berufsschule, das integrativ ist – ich habe das
hier häufig vorgetragen –, vorankommen.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822121100

Herr Kollege Spiering, Sie denken an die Redezeit?


Rainer Spiering (SPD):
Rede ID: ID1822121200

Sie haben vollkommen recht, Herr Präsident . Ich war

gerade so in Aufwallung .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Kolleginnen und Kollegen, das Berufsbildungsgesetz
wird uns weiter verfolgen, und wir werden es ändern . Wir
werden es unter dem Aspekt der Berufsschule ändern .

Herzlichen Dank fürs Zuhören .


(Beifall bei der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822121300

Zum Abschluss dieser Antragsberatung hat die Kolle-

gin Uda Heller das Wort für die CDU/CSU .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Uda Heller (CDU):
Rede ID: ID1822121400

Vielen Dank, Herr Präsident . – Meine lieben Kolle-

ginnen und Kollegen! Es ist richtig, Gesetze nach Jahren
auf den Prüfstand zu stellen und auf ihre Praxistauglich-
keit und Aktualität hin zu durchleuchten .

Wenn ich mir die Wunschliste im vorliegenden Antrag
der Linksfraktion anschaue, frage ich mich, ob Sie den
Evaluierungsbericht des BMBFs richtig gelesen haben
oder ob wir zwei unterschiedliche Fassungen haben .


(Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Vor allen Dingen habe ich auch die Fragen gelesen!)


Erstens . Viele Ihrer Forderungen fallen nicht in die
Zuständigkeit des Berufsbildungsgesetzes .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: So ist es!)


Darauf hat bereits Herr Kollege Dr . Feist hingewiesen .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Völlig zu Recht! – Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Der macht auch Fehler!)


Zweitens . Einige Ihrer Wünsche sind unzeitgemäß;
denn sie berücksichtigen nicht die aktuelle Situation auf
dem deutschen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt .


(Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Warten wir einmal morgen die Berichterstattung ab!)


Drittens ignorieren Sie, dass einige der in Ihrem An-
trag genannten Punkte bereits im Berufsbildungsgesetz
verankert sind, im Evaluierungsbericht erläutert und
mit Anpassungsvorschlägen versehen wurden und dass
auch Handlungsempfehlungen des Hauptausschusses des
Bundesinstituts für Berufsbildung vorliegen .

Hier nun ein paar Beispiele:

Nicht in die Zuständigkeit des Berufsbildungsgeset-
zes fällt die Forderung nach der verbindlichen Auswei-
sung der Berufsschulnote auf dem Kammerzeugnis . Der
Evaluierungsbericht erklärt eindeutig, weshalb nicht das
BBiG, sondern die Länder für die Ausweisung der Be-
rufsschulnote zuständig sind .

Auch die bezahlte Freistellung von ehrenamtlichen
Prüfern ist nicht im BBiG geregelt . Hier greift das Ar-
beitsrecht .


(Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Deshalb wollen wir das ja im BBiG regeln!)


Ich stimme der Auffassung zu, dass die technische
und personelle Ausstattung in den Berufsschulen ver-
bessert werden muss . Aber das ist, wie auch Sie, Frau
Hein, schon gesagt haben, Ländersache . Hier kommt
dem Bund nur eine begleitende Funktion zu . Darf ich Sie
daran erinnern, dass der Bund mittlerweile viel mehr von
dem schultert, was eigentlich Ländersache ist?


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ihre Forderung, einen Rechtsanspruch auf Ausbildung
gesetzlich zu verankern, betrifft – das haben Sie zumin-
dest erkannt – nicht das BBiG, sondern das Grundgesetz .
Hier frage ich mich allerdings, ob Sie die aktuelle Situ-
ation auf dem deutschen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt
kennen .


(Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Ja!)


Sie blenden ja vollkommen aus, dass die Schulabgän-
gerzahlen seit Jahren rückläufig sind und sich momentan
eben auch mehr Schulabgänger für ein Studium entschei-
den .


(Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: 80 000 erfolglose Bewerber!)


Der Wettbewerb um eine Ausbildung hat sich längst in
einen Wettbewerb um Auszubildende gewandelt . Bessere
Bedingungen für Ausbildungsplatzsuchende als derzeit
hatten wir noch nie .

Vielleicht brauchen wir in der derzeitigen Situation
eine gesetzliche Ausbildungspflicht. – Sie sehen: Auch
ich habe Wünsche, die sich nicht erfüllen lassen .

Rainer Spiering






(A) (C)



(B) (D)


Sehr geehrte Damen und Herren, die Fraktion Die
Linke beklagt in ihrem Antrag, dass immer weniger Un-
ternehmen Ausbildungsbereitschaft zeigen, fordert aber
im nächsten Atemzug eine solidarische Umlagefinanzie-
rung, die alle Betriebe in die Pflicht nehmen soll.


(Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: So wie es die Bauwirtschaft macht!)


Auch das ist eine uralte Forderung, und der Ansatz wird
auch bei ständiger Wiederholung nicht besser .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Sagen Sie das einmal der Bauwirtschaft! Die macht das seit vielen Jahren!)


Durch unverhältnismäßige Bürokratie oder stetig
wachsende Anforderungen an ehrenamtliche Prüfer und
Ausbilder schrecken zukünftig kleine Ausbildungsbetrie-
be noch mehr davor zurück, auszubilden . Auch das sollte
uns bewusst sein .

Die Attraktivität der dualen Ausbildung muss wieder
steigen; das wissen wir alle . Dazu werden aber die Über-
regulierungen im Gesetz und zu eng gefasste Definitio-
nen keinen Beitrag leisten .

Nie zuvor wurde in den Bildungs- und Forschungsbe-
reich mehr Geld investiert als in dieser Legislaturperiode .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Es bleibt mir jetzt nur noch, zusammenzufassen: Das
Berufsbildungsgesetz hat sich als wirksamer und flexi-
bler Rechtsrahmen bewährt . Daran ist nicht zu rütteln .
Mit einem zeitlichen Aufwand von zwei Jahren wurde es
intensiv unter die Lupe genommen . Der Evaluierungs-
bericht des BMBF hat notwendige Anpassungen vorge-
schlagen . Ein grundlegender Novellierungsbedarf wurde
nicht festgestellt . Das spiegelt nicht nur die Meinung der
CDU/CSU-Fraktion wider, sondern vor allem auch die
der Fachexperten, die täglich in der dualen Berufsaus-
bildung tätig sind und mit dem Berufsbildungsgesetz ar-
beiten .

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit zu der späten
Stunde .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822121500

Vielen Dank, Frau Kollegin Heller . – Damit schließe

ich die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage
auf Drucksache 18/10281 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . – Damit sind
alle einverstanden, wie ich hier sehen kann . Dann ist die
Überweisung so beschlossen .

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 15 auf:

Beratung des Antrags der Bundesregierung

Fortsetzung  der  Beteiligung  bewaffneter 
deutscher Streitkräfte an der EU-geführten

Ausbildungs- und Beratungsmission EUTM
Somalia

Drucksache 18/11273
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO

Ich freue mich, dass ich im Zusammenhang mit die-
sem Tagesordnungspunkt eine Reihe von Soldatinnen
und Soldaten der Fregatte „Mecklenburg-Vorpommern“
heute hier auf der Zuschauertribüne begrüßen kann .


(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie leisten einen oft gefährlichen, aber stets erfolgrei-
chen Einsatz für den Frieden . Dafür möchte ich Ihnen
herzlich danken . Wir freuen uns, dass Sie wieder gesund
hierher zurückgekommen sind .


(Beifall)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Widerspruch
dagegen erhebt sich keiner . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner Herrn Staatsminister Michael Roth für die Bundesre-
gierung das Wort .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Michael Roth (SPD):
Rede ID: ID1822121600

Guten Abend, lieber Herr Präsident! Meine lieben

Kolleginnen und Kollegen! In diesen Tagen erreichen
uns wieder Nachrichten einer humanitären Katastrophe
am Horn von Afrika, vor allem in Somalia, dem Land,
über das wir hier heute beraten wollen .

Über 6 Millionen Menschen – das entspricht etwa der
Hälfte der somalischen Bevölkerung – sind derzeit auf
humanitäre Hilfe angewiesen . Mehr als 1 Million Soma-
lis, darunter sehr viele Kinder, sind akut von Hunger be-
droht . Ende Februar hat das Auswärtige Amt daher wei-
tere 16,5 Millionen Euro bereitgestellt, um die drohende
Hungersnot am Horn von Afrika zu bekämpfen .

Zudem erreichen uns immer wieder Berichte von
grausamen Anschlägen, vor allem in der Hauptstadt Mo-
gadischu, die viel zu viele unschuldige Opfer unter der
Zivilbevölkerung fordern . Es ist einfach nur schrecklich,
was Menschen dort erleiden müssen .

Die Lage, die ich Ihnen schildere, ist von viel Schat-
ten, aber eben auch Licht geprägt . So gibt es durchaus
auch ermutigende Zeichen: Anfang Februar ist in So-
malia ein neuer Präsident gewählt worden – von einem
Parlament, das erstmals in der Geschichte Somalias alle
Regionen und die dort lebenden Volksstämme und Clans
weitestgehend repräsentiert . Ein langer und schwieriger
Wahlprozess ist damit erfolgreich abgeschlossen worden .

Uda Heller






(A) (C)



(B) (D)


Niemals zuvor war eine somalische Regierung derart
umfassend demokratisch legitimiert .

Noch immer ist Somalia aber auch eines der Schluss-
lichter weltweit, was staatliche Funktions- und Hand-
lungsfähigkeit betrifft. Dennoch hat Somalia heute die
besten Zukunftsaussichten seit mehr als 25 Jahren, also
seit dem Staatszerfall 1991 . Das dauerhafte beharrliche
Engagement der internationalen Gemeinschaft und die
unerschütterliche Zuversicht der Somalis selbst, ihr Land
wieder aufzubauen, tragen inzwischen erste Früchte .
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen auch
realistisch bleiben . Die Entwicklung Somalias ist und
bleibt wie so oft ein Marathon, der Ausdauer und einen
langen Atem verlangt . Das Land wird auch weiterhin auf
unsere Unterstützung, auf die Unterstützung der interna-
tionalen Gemeinschaft angewiesen sein .

Deutschland hat zur positiven Entwicklung einen
wichtigen Beitrag geleistet – national wie im europäi-
schen Rahmen . Wir werden dies auch weiterhin tun .


(Beifall des Abg . Niels Annen [SPD] – Zurufe von der LINKEN)


Insbesondere unser ziviles Engagement möchte ich her-
vorheben: von der humanitären Hilfe über politische
und gesellschaftliche Stabilisierung bis hin zur Entwick-
lungszusammenarbeit . Wir unterstützen den Aufbau ei-
nes föderalen Systems in Somalia, in dem sich möglichst
alle Somalis wiederfinden. Diesen Prozess begleiten
wir nicht nur auf der zentralen Staatsebene, über Ver-
fassungs- und Organisationsberatung in der Hauptstadt
Mogadischu, sondern auch in den Regionen beim Aufbau
von Gliedstaaten .

In Zukunft werden wir dieses Engagement abermals
verstärken . Wir wollen die erfolgreichen Programme, mit
denen die meist jungen Kämpfer der al-Schabab-Miliz
demobilisiert, entwaffnet und vor allem auch wieder in
die Gesellschaft eingegliedert werden sollen, ausweiten .
Dabei wollen wir erstmals auch weibliche Kämpferinnen
erreichen . Darüber hinaus wollen wir auch den allgemei-
nen Staatsaufbau weiter unterstützen . Eine funktionie-
rende Finanzverwaltung, der nachhaltige Kampf gegen
die grassierende Korruption und eine gesicherte Versor-
gung der Bevölkerung mit Lebensmitteln, mit Wasser,
mit den Grundnahrungsmitteln sowie medizinische Ver-
sorgung sind wichtige Pfeiler der weiteren Entwicklung
Somalias . Hier engagieren wir uns im Verbund mit unse-
ren internationalen Partnern .


(Beifall bei der SPD)


Bis hierhin – davon gehe ich fest aus – gibt es Konsens
im Hohen Hause . Aber jetzt kommen wir zu dem nach
wie vor kontroversen Aspekt . Wichtigste Voraussetzung
für unseren vielfältigen Einsatz, den ich Ihnen eben in
aller Kürze zu schildern versucht habe, bleibt ein Min-
destmaß an Sicherheit . Deshalb gilt es, wieder tragfähige
Sicherheitsstrukturen aufzubauen . EUTM Somalia leis-
tet hier durch Ausbildung und Beratung der somalischen
Streitkräfte einen wichtigen Beitrag, um das Land dauer-
haft zu stabilisieren und zu befrieden .

Unser deutsches Engagement ist eben umfassend und
setzt auf zahlreiche zivile, aber eben auch militärische

Elemente . Deutsche Soldatinnen und Soldaten sind im
Rahmen von EUTM Somalia und im Anti-Piraterie-Ein-
satz EUNAVFOR/Operation Atalanta eingesetzt . Und
Deutschland beteiligt sich an den internationalen zivilen
Einsätzen, beispielsweise beim Polizeiaufbau im Rah-
men der politischen VN-Mission UNSOM und beim
Aufbau einer Küstenwache durch die GSVP-Mission,
also eine EU-Mission, EUCAP Somalia .

Die EU unterstützt die Friedensmission AMISOM der
Afrikanischen Union, die derzeit noch eine ganz zentrale
Säule für die Sicherheit des Landes und den Kampf ge-
gen die Terrormiliz al-Schabab bildet . Doch nicht mehr
lange: Der Abzug von AMISOM und die Übergabe der
Verantwortung an die somalischen Sicherheitskräfte sind
bereits angekündigt . Bis Ende 2020 soll dies abgeschlos-
sen sein. Dadurch steigt zwangsläufig auch der Erfolgs-
druck auf die EU-Mission .

EUTM Somalia hat in den vergangenen sieben Jahren
über 5 500 Soldaten ausgebildet . Diese beachtliche Zahl
wurde unter schwierigsten Bedingungen erreicht . Das
General Dhagabadan Training Center, die Ausbildungs-
stätte von EUTM Somalia und AMISOM, muss aufwen-
dig gesichert werden . Die Sicherheitslage in Mogadischu
erlaubt den Ausbildern von EUTM nur einen Aufenthalt
im Trainingscamp von wenigen Stunden pro Tag . Aber
genau hier, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir
geduldig bleiben . Die Arbeit von EUTM Somalia bleibt
wichtig .

Wenn wir das Erreichte bewahren und darauf aufbau-
en wollen, müssen wir die Defizite der Vergangenheit
aber auch ganz kritisch ansprechen . Genau dies hat die
Bundesregierung getan; denn wir wollen und wir müs-
sen besser werden . Gemeinsam mit anderen EU-Partnern
haben wir uns in Brüssel erfolgreich dafür eingesetzt, die
Mission neu auszurichten . So wollen wir den schwieri-
gen Verhältnissen besser Rechnung tragen und die Wirk-
samkeit der Mission weiter erhöhen . Erst auf dieser deut-
lich verbesserten Grundlage haben wir beschlossen, das
EU-Mandat von EUTM Somalia zu verlängern bzw . Sie
um Ihre Unterstützung zu bitten . Mein Kollege aus dem
Verteidigungsministerium wird Ihnen sicherlich noch die
Punkte nennen, die sich in dem Mandat aus unserer Sicht
deutlich verbessert haben .

Somalia braucht weiterhin internationale Unterstüt-
zung. Mit der Entscheidung, die Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Beratungs-
und Ausbildungsmission EUTM Somalia fortzuführen,
würde der Deutsche Bundestag dazu einen wichtigen
Beitrag leisten . Deshalb bitte ich Sie im Namen der Bun-
desregierung um Ihre Unterstützung dieses schwierigen,
aber auch wichtigen Mandats .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822121700

Nächster Redner ist der Kollege Dr . Alexander Neu,

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)


Staatsminister Michael Roth






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822121800

Sehr geehrte Damen und Herren! Somalia ist ein seit

langem gescheiterter Staat – genau genommen seit 1991 .
Das westliche Staatsverständnis in Somalia ist nicht oder,
besser gesagt, nicht mehr ausgeprägt; wie übrigens in
vielen Ländern Asiens und Afrikas das Staatsverständnis
nicht mehr ausgeprägt ist, zum Beispiel in Libyen oder
Syrien . In diesen Ländern wie auch in Somalia, worum
es hier ja speziell geht, dominieren die traditionellen
Clanstrukturen . Das heißt, die Clans verfolgen ihre ego-
istischen Interessen auf Kosten eines funktionierenden
Gesamtstaates und somit auf Kosten der einfachen Men-
schen . Die neueste Föderalisierung Somalias soll gewis-
sermaßen eine Kompromissformel zwischen einerseits
den Clanstrukturen und andererseits dem Erfordernis
eines funktionierenden Gesamtstaates darstellen . Ob das
funktionieren wird, Kollege Roth, bleibt abzuwarten . Ich
bin da angesichts des Erfordernisses, dass die Clans mit-
spielen, noch skeptisch .

Heute reden wir über EUTM Somalia . Im Prinzip gibt
es ja zwei Militäreinsätze in Somalia, einmal die Opera-
tion Atalanta und zum anderen EUTM Somalia . Heute
reden wir, wie gesagt, über EUTM Somalia . Die Mis-
sion hat Anfang 2010 begonnen, und die Bundeswehr
ist – mit einer kurzen Unterbrechung – seit März 2010
dabei . Das Ziel, so die Formulierung, ist der Aufbau von
Sicherheitsstrukturen, also von funktionierendem Militär
und funktionierender Polizei, zur Gewährleistung des
Gewaltmonopols .

Die Wiederherstellung der staatlichen Ordnung ist
wichtig; das ist überhaupt keine Frage . Dazu gehört auch
eine Sicherheitssektorreform; auch das ist keine Frage .
Die Sicherheitssektorreform, vor allem in Somalia, leidet
aber zum einen unter Stümperhaftigkeit und zum anderen
unter nationalen Egoismen .

Kommen wir zum nationalen Egoismus: Es gibt neben
der Europäischen Union noch viele andere Akteure, die
dort bei der Ausbildung der sogenannten somalischen Ar-
mee mitmischen . Das heißt, es gibt diverse Ausbildungs-
konzepte, die mit der somalischen Armee abgesprochen
werden . Somit gibt es keine einheitlichen Standards .


(Florian Hahn [CDU/CSU]: Wären Sie sonst dafür?)


Warum gibt es keine Vereinheitlichung der Ausbildungs-
standards? Weil die Staaten mithilfe ihrer Ausbildungs-
konzepte dort ihre eigenen Interessen verfolgen . Es geht
mal wieder nicht in erster Linie um Somalia, sondern um
Interessenverfolgung .

Ein anderes Beispiel für die Stümperhaftigkeit: Es
kommt immer wieder vor, dass somalische Soldaten oder
auch Polizisten ihren Sold nicht erhalten . Das führt zu
Korruption oder gar zu Desertation . Bei der von Ihnen
genannten Zahl von, ich glaube, 5 500 ausgebildeten
Soldaten haben Sie vergessen, zu erzählen, wie viele
von denen desertiert oder übergelaufen sind . Das wäre
eine wichtige Information gewesen . Hinzu kommt der
US-Drohnenterror über Somalia, der nach wie vor zivile
Opfer mit sich bringt und damit auch den Terrorismus
fördert .

Das alles untergräbt letztendlich einen effektiven
Staatsaufbau . Wir, die Linke, fordern: Hungerbekämp-
fung statt Bundeswehr in Somalia;


(Beifall bei der LINKEN)


denn wichtiger als die Sicherheitssektorreform ist die
Hunger- und Armutsbekämpfung .

Es wurde angesprochen: Derzeit droht angesichts der
schweren Dürre in Somalia und der umliegenden Region
eine massive Hungersnot . Der neue UN-Generalsekretär
Guterres hat am 7 . März 2017, also vor wenigen Tagen,
mit Blick auf Somalia getwittert: „Menschen sterben .
Die Welt muss jetzt handeln, um das zu stoppen .“ Meine
Frage ist: Was tut die Bundesregierung eigentlich gegen
diese Hungerkatastrophe, abgesehen von der Anwesen-
heit der Bundeswehr in Somalia?


(Michael Roth, Staatsminister: Habe ich doch gesagt! – Zuruf von der SPD: Zuhören!)


– Darauf komme ich gleich . – Haben Sie den Hilferuf
von Guterres gehört? Sie sprachen von 16,5 Millionen
Euro . Ich glaube, 16,5 Millionen Euro sind wirklich
nichts im Vergleich zu dem, was erforderlich wäre . Es ist
schändlich, mit 16,5 Millionen Euro hier im Bundestag
aufzutreten und so zu tun, als sei man ein großer Helfer
mit zivilen Mitteln .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich hätte gerne von Ihnen gehört, welche zivilen Hil-
feleistungen Sie jetzt dort einzubringen wirklich planen .
Oder möchte die Bundesregierung ihrer internationalen
Verantwortung doch wieder nur mit militärischen Mitteln
nachkommen?

Die Linke erwartet Antworten seitens der Bundesre-
gierung genau auf diese Frage,


(Dr . Rolf Mützenich [SPD]: Hat er doch erzählt!)


und auch die Menschen in unserem Land erwarten Ant-
worten auf diese Frage . Wie lange gedenkt die Bundesre-
gierung eigentlich noch mit militärischen Aktivitäten in
Somalia und anderswo die Übernahme von internationa-
ler Verantwortung vorzutäuschen?


(Dr . Rolf Mützenich [SPD]: Die Rede war schon vorgeschrieben! – Franz Thönnes [SPD]: Sehr unflexibel, der Kollege! – Gegenruf des Abg . Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Niemals!)


Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822121900

Für die Bundesregierung spricht jetzt der Parlamenta-

rische Staatssekretär Dr . Ralf Brauksiepe .


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


D
Dr. Ralf Brauksiepe (CDU):
Rede ID: ID1822122000


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für
kaum ein Land ist der Begriff „Failed State“ leider so
zutreffend wie für Somalia – und das seit Jahrzehnten.
Seit rund einem Vierteljahrhundert wird das Land, dem
die wirtschaftliche Basis fehlt, von Krieg und Konflik-
ten, von Hungersnöten und von der tödlichen Bedro-
hung durch islamistische Terrormilizen heimgesucht, die
in diesem Land ihre Spuren hinterlassen haben, einem
Land, das in einer Region am Horn von Afrika liegt, die
groß, komplex und insgesamt krisenträchtig ist . Es ist
eine bedeutende strategische Frage, aber natürlich auch
eine ganz wichtige humanitäre Aufgabe, diese Region zu
stabilisieren .

Wer behauptet, wir seien dort nur mit dem Militär ak-
tiv und leisteten dort keine Entwicklungshilfe und keine
humanitäre Hilfe, der stellt dummdreist falsche Tatsa-
chen in den Raum . Das sind bestenfalls alternative Fak-
ten, die nichts mit der Realität zu tun haben .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Viel zu wenig!)


Ohne den Aufbau wirksamer staatlicher Strukturen in
Somalia wird sich die Lage nicht verbessern können –
weder in dem Land selbst noch in den angrenzenden Re-
gionen . So schwierig die Lage war und ist: Es sind auch
Erfolge zu verzeichnen . Davon war schon die Rede .

Seit mehreren Jahren engagieren wir uns auch im
Rahmen von EUTM Somalia . Diese Mission begann
in Uganda, weil die Sicherheitslage das Engagement in
Somalia nicht zugelassen hatte . Seit 2014 sind wir mit
dieser Trainingsmission in Somalia, und wir sind zuver-
sichtlich, dass wir dort die Lage weiter verbessern kön-
nen .

Kollege Roth hat es hier angesprochen: In diesem gan-
zen Prozess, der auch immer wieder mit Rückschlägen
behaftet war, gibt es neue Hoffnung dadurch, dass am
8 . Februar ein neuer Präsident in einer Weise gewählt
worden ist, die einen friedlichen Übergang auf ihn er-
möglicht hat . Er übt Macht aus, soweit somalische Stel-
len Macht ausüben können . Es war aber ein friedlicher
Übergang .

Ich hatte die Gelegenheit, am Rande der Münchner
Sicherheitskonferenz mit Michael Keating, dem Vertre-
ter des UN-Generalsekretärs dort, über dieses Thema zu
sprechen . Sie behaupten ja gerne, das sei eine Konferenz
von Militaristen und ganz schlimmen Menschen . Das
Gegenteil ist der Fall . Wir sprechen dort mit Menschen,
die jeden Tag vor Ort sind und sich couragiert und enga-
giert für den Frieden und die Stabilität in der Region ein-
setzen. Und es gibt neue Hoffnung, dass jetzt auch dort
ein friedlicher Übergang gelingt, wenn er denn von der
internationalen Gemeinschaft unterstützt wird .

Wir stehen eben vor der schwierigen Aufgabe, ein
von Hungersnot, Dürren und Terroranschlägen bedroh-
tes Land aus seiner Fragilität herauszuführen . Das ist ein
denkbar schwieriger Weg – aber ein Weg, bei dem die
somalische Bevölkerung unsere Unterstützung braucht .
Es ist, glaube ich, richtig, gelegentlich einmal zu fra-

gen: Wie wäre es denn eigentlich, wenn wir nicht dort
wären? Gäbe es dann keine Instabilität? Gäbe es dann
keine Dürre? Gäbe es dann keine Hungersnot? Nein, lie-
be Kolleginnen und Kollegen, wir sind zwar bei weitem
nicht in der Lage, alle humanitären Probleme in Somalia
zu lösen, aber wir leisten einen wichtigen Beitrag dazu .
Dafür können wir dankbar sein . Und wir können auf un-
sere Soldatinnen und Soldaten, die diesen Einsatz leisten,
stolz sein .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Weil wir, wie Kollege Roth zu Recht gesagt hat, die
Probleme überhaupt nicht übersehen, hat die Europäi-
sche Union auch eine strategische Überprüfung durch-
geführt . Sie hat reagiert, indem sie die Ausbildungs- und
Beratungsmission, die wir dort durchführen, teilweise
neu ausgerichtet hat . Dieses neu ausgerichtete Konzept
geht nun weg von der Ausbildung einzelner Rekruten
bzw . Soldaten hin zu einer clanübergreifenden gemeinsa-
men Ausbildung ganzer Kompanien . Es wäre ja töricht,
sich die Clanstrukturen nur wegzuwünschen . Sie sind da,
und wir müssen mit ihnen umgehen .

Es gibt im Übrigen – das sei nur der guten Ordnung
halber erwähnt – dort auch keine Statistikbehörde, wie
wir das hier in Deutschland oder in Europa gewohnt sind,
die auflistet, wer nach einer erfolgreichen Ausbildung
eben nicht den Dienst leistet, den wir eigentlich von ihm
erwartet haben . Ja, solche Fälle gibt es . Aber man kann
sie nicht quantifizieren. Das hat mit den Clanstrukturen
zu tun . Darauf müssen wir Rücksicht nehmen, und das
tun wir . Deshalb gibt es eine Neuausrichtung, eine Neu-
konzeption in der Ausbildung . Es war gerade auch uns
als Bundesrepublik Deutschland wichtig, dass die Euro-
päische Union mit dieser Neuausrichtung sowohl auf die
positiven als auch auf die negativen Erfahrungen reagiert
hat . Daran werden wir uns beteiligen .

Unsere militärische Beteiligung beträgt – bei einer
Obergrenze von 20 – derzeit insgesamt neun Soldaten .
Sie soll in dieser Höhe, aber eben mit einer Neuausrich-
tung in der Konzeption fortgesetzt werden, um den be-
sonderen Strukturen vor Ort gerecht zu werden und um
in der angespannten Sicherheitslage dort richtig reagie-
ren zu können .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin ganz sicher:
Mit der Fortsetzung der Unterstützung senden wir wichti-
ge und richtige Signale aus – Signale an die Europäische
Union, von deren Verantwortung für Sicherheits- und
Verteidigungspolitik wir überzeugt sind, und Signale an
das Land Somalia, das weiterhin unserer Unterstützung
bei seinem Weg aus der Instabilität bedarf . Deswegen
bitte ich Sie um Ihre Unterstützung für dieses Mandat .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822122100

Nächster Redner ist der Kollege Omid Nouripour für

das Bündnis 90/Die Grünen .






(A) (C)



(B) (D)



Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822122200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der

Staatsminister hat ja gerade völlig zu Recht die drama-
tische Lage in Somalia benannt . Da geht es nicht nur um
Hunger, da geht es auch um Anschläge; auch das ist ge-
rade erwähnt worden . Nichtsdestotrotz ist es so, dass wir
immer, wenn wir hier über Somalia sprechen, auch über
Hoffnungsschimmer sprechen. Und das ist auch richtig
so . Denn es gibt graduelle Verbesserungen . Vor allem ist
Somalia heute sicher nicht mehr das gleiche Land, das
in den düsteren Jahren flächendeckend vom Bürgerkrieg
überzogen war .

Wir haben es jetzt bei den Wahlen gesehen: Sie waren
himmelschreiend korrupt . Nichtsdestotrotz ist am Ende
ein erstaunlich positives Ergebnis – zumindest im Ver-
gleich zu dem, was man eigentlich erwartet hatte – he-
rausgekommen . Ich möchte an dieser Stelle dem neuen
Präsidenten Mohamed Abdullahi Farmajo herzlich zu
seiner Ernennung gratulieren – auch wenn es keine Wahl
war, sondern eher ein Selektionsprozess . Das Ergeb-
nis war überraschend gut . Es zeigt, dass viele Somalis
trotz aller Widerstände und trotz aller Schwierigkeiten
weiterhin an ihr Land glauben. Sie geben die Hoffnung
nicht auf . Sie investieren, und sie engagieren sich . Diese
Menschen sind es, die wir mit allen Kräften unterstützen
müssen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb kann ich nur sagen: Wir begrüßen ausdrück-
lich, dass Deutschland jetzt wieder Entwicklungshilfe
leistet . Das ist gut . Wir begrüßen auch ausdrücklich, dass
Deutschland zur Polizeiausbildung zumindest beiträgt .
Auch das ist gut . Wir müssen an der Seite der Menschen
stehen, die das Land aufbauen wollen . Das Problem ist
nur, dass wir in den letzten Jahren immer wieder auch
auf der falschen Seite gestanden haben, nämlich auf der
Seite der Menschen, die Somalia für den eigenen Vorteil
ausplünderten .

Die nun glücklicherweise abgewählte Regierung hat
für Bestechung öffentliches Land verkauft und die Ge-
hälter vieler Beamten ausgesetzt . Sie hat widerspenstige
Delegierte im Selektionsprozess bestochen, bedroht und
ausgeschlossen . Es ist noch keine zwei Jahre her – da
war die vorherige Regierung noch im Amt –, dass Staats-
minister Roth von dieser Stelle im März 2015 folgende
Worte sprach:

Unser gemeinsames Ziel bleibt, dass 2016

– das war letztes Jahr –

endlich freie Wahlen in einem ausreichend stabili-
sierten Land stattfinden.


(Florian Hahn [CDU/CSU]: Es ist doch jetzt frei gewählt worden!)


Meine Damen und Herren, wenn das der Indikator für
Weitsicht und Realismus in der Somalia-Politik der Bun-
desregierung ist, dann wird mir angst und bange .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Auswirkungen dieser gigantischen Korruptions-
maschinerie werden noch lange zu spüren sein, auch in
der Armee . Damit bin ich beim Kernproblem, nämlich
dass die Menschen in der Armee keinen Sold bekommen .
Das bemängeln wir seit Jahren . Es ist sehr klar: Wenn
Menschen, die an Waffen ausgebildet werden, keinen
Sold bekommen, werden sie sich andere Arbeitgeber su-
chen . Diese Arbeitgeber sind genau diejenigen, die die
Gewalt im Land noch weiter antreiben . Wir liefern diesen
Milizen damit gut ausgebildetes Personal . Das ist nicht
verantwortlich .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Einen etwas anderen Sachverhalt schildert eine so-
malische NGO mit dem schönen Namen „Marqaati“, die
eine tolle Arbeit macht . „Marqaati“ bedeutet „Zeugin“ .
Diese NGO beobachtet die Korruption im Land . Sie
berichtet davon, dass Soldaten der Armee uniformiert
bewaffneten Straßenraub begehen. Meine Damen und
Herren, wenn wir in den Augen der Menschen in Soma-
lia mit diesen Praktiken assoziiert werden, dann schaden
wir nicht nur dem Ansehen unseres Landes, sondern wir
verlieren auch Glaubwürdigkeit und Handlungsfähigkeit
in diesem Land .

Das bestätigt übrigens auch der interne Bericht, den
es zu EUTM Somalia gibt und aus dem ich heute nicht
zitieren darf . Das Ergebnis dieses Berichtes ist relativ
deutlich . Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt der Be-
richt vom Zentrum für Internationale Friedenseinsätze .
Er ist ein Totalverriss dieses Einsatzes .

Es ist geradezu rührend, wie die Bundesregierung
versucht, darum herumzureden . Sie schreiben in der Be-
gründung für das Mandat, die Mission – Zitat – „habe
ihre Aufgaben nicht wirksam genug umsetzen können“ .
Das ist richtig . Dann kommen die Vorschläge für Ver-
besserungen – diese haben wir gerade gehört –: Es soll
integrierte Bataillone aus verschiedenen Stämmen und
Regionen geben . Das ist gut . Nach sieben Jahren sollen
endlich die Daten der Rekruten biometrisch erfasst wer-
den . Auch das ist gut . Aber das Hauptproblem, das gigan-
tische Problem für den Staatsaufbau und für den Aufbau
des Sicherheitssektors, ist das Ausbleiben der Bezahlun-
gen . Die Menschen zu bezahlen, ist weiterhin nicht mög-
lich . Solange das aber der Fall ist, bleibt all das, was dort
passiert, im besten Falle Flickschusterei .

Ja, wir brauchen einen Aufbau der somalischen Si-
cherheitskräfte . Das ist zweifelsfrei richtig . Aber um das
zu erreichen, muss man die Probleme adressieren, statt
darum herumzureden . Es ist richtig, dass die neue Re-
gierung Unterstützung braucht . Es ist richtig, dass dazu
auch gehört, dass die Streitkräfte aufgebaut werden müs-
sen . Das wird aber nur mit einer anderen Somalia-Po-
litik funktionieren, nicht jedoch mit diesem verkorksten
Mandat .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822122300

Zum Abschluss dieser Aussprache hat der Kollege

Florian Hahn für die CDU/CSU das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)



Florian Hahn (CSU):
Rede ID: ID1822122400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das

Horn von Afrika ist in der letzten Zeit angesichts der
Vielzahl neuer Krisenherde auf der Welt ein bisschen aus
dem Fokus geraten . Deshalb ist es gut, dass wir uns heute
mit Somalia beschäftigen, mit dem Land, das als Parade-
beispiel eines Failed State gilt .

Sie haben erwähnt: Die Korruption ist nach wie vor
außerordentlich hoch . – Transparency International kürte
Somalia sogar zum korruptesten Staat der Welt . Außer-
dem steht das Land erneut vor einer riesigen Hungerka-
tastrophe . Das wäre die dritte Hungersnot innerhalb von
25 Jahren .

Durch die extreme Dürre am Horn von Afrika und die
anhaltende Gewalt in der Region sind über 22 Millionen
Menschen bedroht. Somalia trifft es ganz besonders hart.
Laut UN werden bald mehr als 6 Millionen Somalier auf
internationale Hilfe angewiesen sein . Das ist etwa die
Hälfte der Bevölkerung . Mittlerweile hat die Regierung
des nordostafrikanischen Staates in einigen Landesteilen
den Ausnahmezustand verhängt . Das alles sind furchtba-
re Zahlen . Die humanitäre Situation ist derart dramatisch,
dass es an dieser Stelle auch nichts zu beschönigen gibt .

Guterres, der gestern oder vorgestern dort war, sagte:
Die Kombination aus Konflikten, Dürren, Klimawandel,
Cholera und Korruption sind ein Albtraum. – Betroffen
sind auch Nachbarstaaten wie Nigeria, der Jemen und
Südsudan .

Trotzdem möchte ich sagen, dass das Land, zumin-
dest politisch gesehen, einen hoffnungsvollen Weg ein-
geschlagen hat bzw. dass es hier einen Hoffnungsschim-
mer gibt . Anfang Februar wurde – auch das wurde schon
gesagt – ein neuer Präsident gewählt . Er genießt einen
exzellenten Ruf und gilt als Kämpfer gegen Korruption .
Bereits als Ministerpräsident 2010 hat er sich bemüht,
die Korruption in seinem Land einzudämmen . Unter
seiner Herrschaft erhielten die Soldaten beispielsweise
regelmäßig ihre Gehälter . Natürlich müssen nun erst ein-
mal Taten folgen . Aber ich möchte schon jetzt mit aller
gebotenen Vorsicht sagen: Es tut sich etwas in diesem
Land. Die Bevölkerung Somalias setzt große Hoffnun-
gen in den neuen Präsidenten .

Meine Damen und Herren, unter diesen Gesichts-
punkten die Ausbildungsmission abzubrechen, wie es die
Grünen und die Linken fordern, wäre ein fatales Zeichen .
Gerade jetzt, wo zum ersten Mal so etwas wie eine Auf-
bruchsstimmung in dem fragilen Land herrscht, einfach
zu gehen und Somalia wieder sich selbst zu überlassen,
wäre verantwortungslos . Die extreme Dürre stellt ohne-
hin die erste große Herausforderung für den neu gewähl-
ten Präsidenten dar .

Das Erreichen unseres langjährigen Ziels, die somali-
sche Regierung zu befähigen, schrittweise selbst für Si-
cherheit und Ordnung zu sorgen, und die Unterstützung
somalischer Behörden bei der Errichtung nachhaltiger
und langfristig selbsttragender Staatsstrukturen sind jetzt
so wichtig wie nie .

Lassen Sie mich deshalb auf die Kritik der Linken an
dem Einsatz eingehen . Letztes Jahr beispielsweise woll-

te Frau Dağdelen die Mission abbrechen und das Geld
lieber in Kitaplätze in Deutschland stecken . Das heißt
im Klartext: hier Kitas bauen, statt in Somalia Kinder-
soldaten zu verhindern . Das ist die Entscheidung, vor
die Sie uns stellen wollen . Aber da gehen wir nicht mit .
Wir entscheiden uns für die Verantwortung – sowohl für
unsere Kinder in Deutschland als auch für die Krisenre-
gionen auf der Welt . Wir investieren auf Rekordniveau
in den Kitaausbau hier in unserem Land und beschließen
trotzdem die Mission EUTM Somalia zum Aufbau der
Sicherheitsarchitektur in Somalia .

Lieber Herr Neu, ich habe mit Interesse festgestellt,
dass Sie eigentlich nichts dagegen haben, dass man in
solchen Ländern wie Somalia auch für Sicherheit sorgt .
Der Grund, den Sie genannt haben, warum Sie an dieser
Stelle nicht mitgehen können, war die nicht einheitliche
Ausbildung, also die unterschiedlichen Akteure, die es da
gibt . Wenn ich es richtig verstanden habe: Gäbe es nicht
unterschiedliche Akteure, sondern wäre die Ausbildung
aus einer Hand und würden die Soldaten regelmäßig be-
zahlt werden, dann wären Sie dafür .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Das ist fehlinterpretiert!)


Ich finde, das ist neu und ganz interessant.


(Dr . Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er heißt ja auch so!)


Herr Nouripour, Sie haben heute wie auch in der letz-
ten Debatte gesagt, der Hauptgrund, warum Ihre Partei
einer Mandatsverlängerung nicht zustimmt, ist, dass die
Soldaten ihre Gehälter nicht bekommen und sich früher
oder später gegen den Staat wenden werden .


(Dr . Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Problem!)


Das stellt sich doch aktuell etwas anders dar . Zumindest
ein Vertrauensvorschuss für den neuen Präsidenten, der
als Ministerpräsident vor sieben Jahren sehr wohl alle
Gehälter gezahlt hat, wäre angemessen . Außerdem zahlt
die EU Stipendien für die ausgebildeten Soldaten . Hier
können wir selbst etwas tun, damit unser Training auch
nachhaltig der richtigen Seite zugutekommt .

Grundsätzlich gilt: Man kann einem zerrütteten Staat
nur helfen, wenn man einen langen Atem beweist . Die-
sen langen Atem sollten wir auch in Somalia haben, auch
wenn dieser Einsatz aktuell nur neun Soldatinnen und
Soldaten umfasst .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822122500

Damit schließe ich die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/11273 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Damit sind alle ein-
verstanden? – Jedenfalls erhebt sich kein Widerspruch .
Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 12 auf:






(A) (C)



(B) (D)


Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe
Kekeritz, Katharina Dröge, Anja Hajduk, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Globale Investitionen im Sinne einer nachhal-
tigen Entwicklung gestalten

Drucksache 18/11410
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Widerspruch
dagegen erhebt sich keiner . Dann ist das somit beschlos-
sen .

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem
Redner dem Kollegen Uwe Kekeritz das Wort für Bünd-
nis 90/Die Grünen .


Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822122600

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Gott

sei Dank, jetzt wird alles besser . Wir haben eine neue Su-
perwaffe entdeckt: Das sind die Investitionen. Mit diesen
werden wir die Entwicklung in den Entwicklungsländern
wirklich positiv vorantreiben . Die Argumentation dahin-
ter ist auch so was von plausibel: Investitionen bedeuten
Arbeitsplätze, bessere Bildung, höhere Gehälter, soziale
Absicherung, Wohlstandsgewinn und damit eine erhöhte
Nachfrage . Das ist doch alles plausibel . – Es stellt sich
aber nur die Frage, warum die Entwicklungspolitik das
nicht schon seit 60 Jahren mitbekommen hat, wenn das
alles so einfach ist .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Na gut, ab sofort wird alles besser . Heute gibt es den
Juncker-Plan, es gibt den Müller’schen Marshallplan mit
einem Finanzierungsvolumen von 0 Euro, bisher zumin-
dest, und – damit die Sache auch wirklich gut wird –
greift jetzt Finanzminister Schäuble ein . Er schlägt einen
„Compact with Africa“ vor . Allerdings haben alle drei
Pläne eines gemeinsam: Sie sind weder neu, noch un-
terscheiden sie sich . Es gab schon immer Förderungen
für Investitionen, es gab schon immer hervorragende Be-
ratung, Absicherung von Exporten, und in zig Ländern
dieser Welt gibt es Wirtschaftssonderzonen, in denen die
Unternehmen keine Steuern zahlen . Also, warum gab es
denn bisher noch keine ausreichenden Investitionen?

Man hört, das Investitionsrisiko für die Unternehmer
sei nun einmal viel zu groß . Das ist eine merkwürdige
Argumentation, haben wir doch circa 100 bilaterale
Handelsverträge abgeschlossen, die alle ein Schiedsge-
richtssystem implementiert haben . Die Sicherheit für die
Investitionen ist gegeben . Warum wird also nicht inves-
tiert?

Um eines klarzumachen: Wir Grüne sind selbstver-
ständlich für private und öffentliche Investitionen, und
zwar reichlich . Niemand spricht sich gegen diese Inves-
titionen aus . Allerdings müssen wir sie nachhaltig gestal-
ten . Dafür sind bestimmte Kriterien unbedingt notwen-
dig . Ich will Ihnen eine kleine Auswahl geben .

Erstens. Investitionen müssen profitabel sein.

Zweitens . Das Geschäftsrisiko muss bei Unternehmen
bleiben, nicht beim Steuerzahler .

Drittens . Investitionen müssen Wertschöpfungsketten
im Entwicklungsland aufbauen . Die LDCs müssen dabei
besonders berücksichtigt werden .

Viertens . Das Gemeinwohl muss bei der Investition
berücksichtigt werden, und die Investition muss inklusiv
sein .

Fünftens . KMUs müssen im Fokus der Förderung ste-
hen .

Sechstens . Geförderte Investitionen müssen den Kri-
terien der Nachhaltigkeitsagenda und der Pariser Erklä-
rung entsprechen .

Siebtens . Soziale Rechte, die ILO-Normen, aber auch
die ökologischen Anforderungen müssen erfüllt sein .

Achtens . Planungen bei Investitionsprojekten ab ei-
ner bestimmten Größe müssen rechtzeitig veröffentlicht
werden, damit die Zivilgesellschaft informiert wird . Es
müssen Folgeabschätzungen durchgeführt werden .

Neuntens . PPPs dürfen nur dann durchgeführt werden,
wenn die Kosten mittel- und langfristig geringer sind, als
wenn die öffentliche Hand das Projekt alleine realisieren
würde .

Zehntens . Eine schleichende Staatsverschuldung
durch PPPs muss ausgeschlossen sein .

Elftens – das ist das Wichtigste –: Das Prinzip, Verlus-
te zu sozialisieren und Gewinne zu privatisieren, darf es
zukünftig nicht mehr geben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nicht nur diese Prinzipien müssen eingehalten wer-
den . Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, warum bis-
her tatsächlich so wenig investiert worden ist . Das hat
Gründe . Bei allen drei Plänen wird nicht danach gefragt,
warum es solche Investitionen bisher nicht in ausreichen-
dem Maße gegeben hat . Das scheint auch nicht so richtig
zu interessieren . Aber ich kann Ihnen ein paar Gründe
nennen .

Das Interesse am Aufbau von Wertschöpfungsketten
in Entwicklungsländern gab es nicht, und das gibt es
auch heute noch nicht . Als Beleg dafür kann man aktu-
elle Handelsverträge heranziehen . Keiner ist daran in-
teressiert, die Handelsverträge so zu gestalten, dass die
Kriterien, die ich gerade genannt habe, erfüllt sind . Es ist
die westliche Agrarpolitik, die nach wie vor die Produk-
tion in den Entwicklungsländern verhindert . Auch unsere
Steuerpolitik beweist, dass wir an einer selbstständigen
Entwicklung in den Entwicklungsländern wenig Interes-
se haben .

Vizepräsident Johannes Singhammer






(A) (C)



(B) (D)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822122700

Herr Kollege Kekeritz, denken Sie bitte an die Rede-

zeit .


Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822122800

Ich bin am Ende, Herr Präsident . – Für uns muss, bitte

schön, klar sein: Ohne Veränderungen in diesem Bereich
werden auch die neuen Initiativen scheitern . Je länger das
dauert, desto schwerer werden die Entwicklungsländer
getroffen, aber auch der Rückschlag auf die westlichen
Länder wird umso größer sein .

Danke schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Thomas Lutze [DIE LINKE])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1822122900

Ich darf jetzt den Kollegen Johannes Selle als nächs-

ten Redner für die CDU/CSU ankündigen .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Selle (CDU):
Rede ID: ID1822123000

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Welt-
gemeinschaft steht vor großen Herausforderungen . 2050
werden voraussichtlich 9,7 Milliarden Menschen auf
der Erde leben, davon 7 Milliarden in unterentwickelten
Verhältnissen . Die Frage nach Sicherstellung der Versor-
gung, die Frage nach dem Schutz der Menschenwürde,
nach sozialem Schutz und die Frage nach dem Erhalt
der natürlichen Grundlagen sind von einer nicht mehr zu
übersehenden Dringlichkeit geworden .


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1822123100
Wir sind die erste
Generation, die die Technik, die Innovationskraft und das
Wissen hat, um eine Welt ohne Hunger zu schaffen, eine
Welt in Frieden ohne Aids und ohne Tuberkulose .


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat schon Karl Marx gesagt!)


Aber wir sind auch die erste Generation, die durch ein
„Weiter so!“ den Planeten an den Rand der Apokalypse
führen kann .

Für uns in Europa ist inzwischen auch der Migrations-
druck heftig zu spüren . Man schätzt, dass über 200 Mil-
lionen Menschen in Afrika bereit sind, die Heimat zu
verlassen. Das geflügelte Wort: „Überall ist es besser, als
hier zu krepieren“ macht in verschiedenen Variationen
die Runde .

Gott sei Dank hat ein weltweites Umdenken begon-
nen . Das Jahr 2015 hat eine neue Dynamik in die inter-
nationale Politik gebracht und kann als Meilenstein gar
nicht hoch genug eingeschätzt werden . Es gab die Finan-
zierungskonferenz in Addis Abeba, den UN-Gipfel in
New York mit der Agenda 2030 und die Klimakonferenz
in Paris . Ein großer Sprung gelang; denn globale Partner-
schaft wird mit dringlichen Klimathemen, mit sozialen
Fragen, mit nachhaltiger Finanzierung und Stärkung pri-
vater Investitionen verknüpft . Die Agenda 2030 kommt
vielleicht gerade noch rechtzeitig, um wirtschaftlichen

Fortschritt, soziale Gerechtigkeit und ökologische Gren-
zen gut miteinander zu verbinden .

Es sind Rahmenwerke entstanden, die auf Umset-
zung warten . Deutschland hat sich in New York ver-
pflichtet, aktiv in der Gruppe der acht Vorreiter bei der
Agenda 2030 mitzuarbeiten . Deutschland unterstützt die
EU-Investitionsoffensive External Investment Plan. Wir
gehen voran mit dem Marshallplan für Afrika und mit
dem vom Finanzministerium vorgeschlagenen „Compact
with Africa“ für den G-20-Gipfel . Deutschland stellt sich
wahrlich der Verantwortung, und das erkennt die Welt
auch an .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie schreiben es ja selbst in Ihrem Antrag und geben
zu, dass das Bundeskabinett – einschließlich der Bundes-
kanzlerin – da kohärent arbeitet . Das erleben wir in Form
des größten Zuwachses beim BMZ-Haushalt . Wir als Re-
gierung und als Koalition halten am Ziel der ODA-Quote
von 0,7 Prozent fest . Das kann noch nicht einmal die Op-
position kritisieren .

Das wichtigste Ziel bleibt die Bekämpfung von Armut .
Die Armut wird am besten bekämpft durch gute Arbeits-
plätze . Gute Arbeitsplätze brauchen Investitionen . Gute
Arbeitsplätze brauchen die private Wirtschaft . Ich will
ausdrücklich hervorheben, dass der Antrag der Grünen
das nicht infrage stellt . Dieser Antrag passt eigentlich ge-
nau in die Aufbruchstimmung . Man merkt ihm an, dass
Fehler der Vergangenheit nicht wiederholt werden sollen .
Man merkt ihm an, dass er den Partnerschaftsgedanken
unterstreicht . Transparenz und Kontrolle sollen Fairness
und Nachhaltigkeit sicherstellen .

Ich finde auch den Bezug passend, die nationalen Ent-
wicklungspläne zu berücksichtigen, die allerdings oft-
mals nicht in der Qualität vorhanden sein dürften, wie es
im Antrag vorausgesetzt wird . Diese herzustellen helfen,
wird zu den Aufgaben gehören, auf die wir uns einstellen
können; denn es soll ja gezielt, systematisch und nach-
haltig gefördert werden .

Ich kann auch gut verstehen, dass keine Privatisierung
der öffentlichen Daseinsvorsorge stattfinden soll. Das
sollte weitestgehend beachtet werden . Aber so katego-
risch schließen wir das für uns selbst nicht aus; schließ-
lich werden defizitär geführte öffentliche Krankenhäuser
der Daseinsvorsorge privatisiert, um die Kommunen von
Kosten zu entlasten .


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja! Und die Bürger zu belasten!)


Ebenfalls sind Standards für internationale Steuerpo-
litik sehr wünschenswert . Sie sollten angestrebt werden,
aber keine notwendige Voraussetzung sein . Wir erleben
das auch unter den entwickelten Ländern, die fehlende
Standards zwar beklagen, aber das nicht hinbekommen .
Im Kontext mit dem Brexit wird da bereits wieder ge-
droht .

Auch die Investitionsplattformen finde ich sinnvoll.
Diese sollten nicht nur auf mögliche Finanzierungen ver-
weisen, sondern auch auf mit den jeweiligen nationalen






(A) (C)



(B) (D)


Entwicklungsplänen abgestimmte Erfordernisse und da-
mit auf Investitionschancen .

Unsere Zustimmung findet der Vorschlag, zunehmend
Investitionen in Lokalwährungen möglich zu machen –
ein Schwerpunkt, den die KfW in der Anhörung benannt
hat . Die KfW hat gerade einen afrikanischen Fonds mit-
gegründet, der regionale Wertschöpfungsketten und die
Steigerung der Nahrungsmittelproduktion in lokaler
Währung unterstützen soll .

Der Antrag ist voll von Regulierungen und Kont-
rollen . Da wir uns auch gezielt an kleine Unternehmen
wenden – das ist ja Inhalt des Antrags –, will ich darauf
hinweisen, dass das auch für solche Unternehmen passen
muss . Ich denke da an eine Fischzucht und eine Korb-
flechterei, mit denen ich es jüngst zu tun hatte. Ich möch-
te nicht, dass bei allen einzuhaltenden Vorschriften der
Unternehmer und Investor sein eigenes Ziel nicht mehr
sieht und seinen Weg nicht verfolgen kann .

Auch bei dem rigorosen Verzicht auf Förderung, wenn
fossile Energie im Spiel ist, muss differenziert werden.
Wirkungsgradsteigerung und Verlustreduzierung wären
bei bestehenden Anlagen nicht mehr möglich; es würde
eher klimaschädlich wirken .

Im Ausschuss haben wir mehrfach das Thema „Da-
tenschutz bei Investitionen“ behandelt . Auch da geht der
Antrag wieder vollständig undifferenziert vor. Diesbe-
züglich muss Sicherheit gewährleistet sein, damit uns bei
unseren Vorhaben die Investoren nicht ausgehen .

Die kategorische Ablehnung von Schiedsgerichten
verkennt, dass diese gerade in Entwicklungsländern mit
schwierigen Rahmenbedingungen und nicht ausgepräg-
tem Rechtsstaat notwendig sind, um das Interesse eines
Investors aufrechtzuerhalten .

Der Antrag adressiert wichtige Themen . Wer ihn al-
lerdings unvermittelt liest und die sinnvollen Vorschläge
aufnimmt, hat den Eindruck: Die Bundesregierung hat
geschlafen .


(Beifall des Abg . Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Vieles von dem, was gefordert wird, ist Standard und lang
geübte Praxis . Ich würde hier eine sorgfältigere Abgren-
zung empfehlen . Grund dafür gibt es genug . Deutschland
ist nämlich nicht nur Vorreiter, sondern für viele Länder
auch Vorbild .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das alles werden wir hoffentlich konstruktiv im Aus-
schuss im Detail besprechen .

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822123200

Vielen Dank . – Thomas Lutze von der Linken hat als

nächster Redner das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Thomas Lutze (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822123300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich danke den Kollegen der Grünen dafür, dass sie mit
ihrem Antrag das wichtige Thema „Entwicklungszusam-
menarbeit und globale Investitionen“ auf die Tagesord-
nung des Bundestages gesetzt haben . Schade, dass dieses
wichtige Thema zu so fortgeschrittener Zeit behandelt
wird . Aber wenigstens geht es nicht, wie so vieles heute,
zu Protokoll .

Die Grünen nennen alle wichtigen Initiativen auf
nationaler und europäischer Ebene . Als Linksfraktion
begrüßen wir, dass Sie die Deutsche Investitions- und
Entwicklungsgesellschaft, immerhin Teil der KfW-Ban-
kengruppe, auch einigermaßen kritisch sehen . Die Linke
ist grundsätzlich der Meinung, dass private Investitionen,
wenn überhaupt, nur bedingt und durch weitere Maßnah-
men begleitet als Instrument der sogenannten globalen
Entwicklungshilfe taugen . Die in den letzten Jahren im-
mer stärkere Fokussierung der Bundesregierung, aber
auch der Europäischen Union und von Akteuren wie den
G 20 auf private Investitionen als Schlüssel für die Ent-
wicklungspolitik sehen wir äußerst kritisch .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Private Investitionen sind nicht automatisch ein Segen
für die sogenannten Entwicklungsländer . Die Staatskas-
sen vieler Staaten sind aufgrund der massiven Steuer-
flucht der Unternehmen trotz zahlreicher privater Inves-
titionen, die es heute schon gibt, in der Regel leer . Bevor
ich mich weiter mit den Vor- und Nachteilen von Priva-
tinvestitionen in der Entwicklungszusammenarbeit be-
schäftige, möchte ich eine grundsätzliche Frage stellen:
Weshalb sind wir überhaupt so sehr auf private Gelder
angewiesen? Würden die Industriestaaten endlich ihre
Verpflichtung einhalten und 0,7 Prozent ihres Bruttoin-
landsproduktes für die Entwicklungszusammenarbeit zur
Verfügung stellen, wären ausreichende Mittel zur Förde-
rung von nachhaltiger Entwicklung vorhanden .


(Beifall bei der LINKEN – Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch nur naiv, was Sie da erzählen! Das ist doch völlig außerhalb dessen, was real ist!)


Die Regierungsfraktionen wollen zukünftig 2 Prozent
des Bruttoinlandsproduktes für militärische Rüstung aus-
geben . Sie haben an dieser Stelle aber immer wieder zu
wenig öffentliche Gelder. Ist das wirklich Ihr Ernst? Den-
ken Sie wenigstens einmal darüber nach, ob diese Debat-
te da nicht einen klitzekleinen Widerspruch in sich hat .


(Beifall bei der LINKEN)


Grundbedingung für eine nachhaltige Entwicklung ist
der Aufbau funktionierender Volkswirtschaften in den
sogenannten Entwicklungsländern. Wenn Sie öffentliche
Gelder für die Entwicklungszusammenarbeit verwen-
den, bestimmen Sie in der Regel auch die Rahmenbedin-
gungen für diese Zusammenarbeit . Bei privaten Unter-
nehmen, die lediglich Absatzmärkte suchen, was in der
Natur der Sache liegt, ist so etwas, wenn überhaupt, nur
eingeschränkt möglich . Und wenn Sie es mit den Zielen
Ihrer Entwicklungshilfe wirklich ernst meinen, dann hö-

Johannes Selle






(A) (C)



(B) (D)


ren Sie endlich auf, diese Ziele mit den für den Süden
unfairen Handelsabkommen zu konterkarieren .


(Beifall bei der LINKEN)


Setzen Sie sich wirksam gegen Steuerflucht und für
internationale Steuergerechtigkeit ein . Neben der not-
wendigen Hilfe und den sinnvollen Förderprogrammen
muss auch immer mitgedacht werden, dass die Ursachen
von Hunger, Armut und Unterentwicklung in der Re-
gel hier bei uns im reichen Norden liegen . Ein Beispiel:
Wenn wir zum Beispiel im Deutschen Bundestag darü-
ber entschieden haben, dass an der Tankstelle dem Sprit
5 oder 10 Prozent Pflanzenöl beigefügt werden sollen,
dann klingt das so, als ob das ganz gut fürs Ökoimage
wäre . Doch wenn dieses Öl zum Beispiel aus Palmöl her-
gestellt wird und riesige Plantagen und Monokulturen in
Afrika, in Asien oder in Südamerika die einheimischen
Bauern plattmachen, dann sollten wir selbst uns einmal
darüber Gedanken machen, wer hier eigentlich wen ent-
wickeln sollte .


(Beifall bei der LINKEN)


Im Großen und Ganzen können wir dem Antrag der
Grünen zustimmen . Bei einigen Detailfragen, wie zum
Beispiel dem Unternehmensstrafrecht, sehen wir aller-
dings noch Gesprächsbedarf .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822123400

Vielen Dank . – Als letzter Redner in der Debatte hat

Dr . Sascha Raabe für die SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Sascha Raabe (SPD):
Rede ID: ID1822123500

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! In der Tat ist es so, dass in Afrika oft nicht
die Länder mit den wenigsten Investoren die ärmsten
sind, sondern durchaus die Länder besonders arm sind,
die die meisten ausländischen Investoren haben, sowie
die Länder, die besonders viele Rohstoffe haben. Da, wo
Rohstoffe sind, sind viele ausländische Investoren. Da
braucht man nicht zu werben, man braucht nicht einmal
Fördermittel der KfW, von internationalen Entwick-
lungsbanken oder von der Weltbank, sondern ausländi-
sche Investoren gehen dorthin, wo Öl, Kohle, Seltene
Erden, Gold oder Diamanten vorkommen . Wir erleben,
dass in diesen Ländern die Gewinne oft nicht bei den
Menschen ankommen, dass die Einnahmen aus solchen
Minen zweckentfremdet werden, dass damit oft Bürger-
kriege und Kindersoldaten finanziert werden. Deswegen
ist der Rohstoffreichtum in Afrika oft mehr Fluch als
Segen . Deswegen ist die Zielrichtung des Antrages der
Grünen das, was wir als Sozialdemokraten auch immer
sagen: Wir wollen, dass die Gewinne der Globalisierung
endlich den Menschen zugutekommen und nicht nur aus-
ländischen Investoren und Großkonzernen, meine sehr
verehrten Damen und Herren .


(Beifall bei der SPD)


Wenn wir Globalisierung gerecht gestalten und dafür
sorgen wollen, dass es den Menschen vor Ort dient, wenn
dort Investitionen getätigt werden, dann brauchen wir
auch verbindliche Regeln . Die SPD-Fraktion hat schon
im Mai 2015, Herr Kekeritz, beschlossen:

In allen Handels-, Investitions- und Wirtschafts-
partnerschaftsabkommen und im Allgemeinen Prä-
ferenzsystem der EU sind deshalb Regeln für die
verbindliche Einhaltung und Umsetzung menschen-
rechtlicher, ökologischer und sozialer Standards
wie der ILO-Kernarbeitsnormen mit konkreten Be-
schwerde-, Überprüfungs- und Sanktionsmechanis-
men zu vereinbaren .

Der letzte Punkt ist besonders wichtig, weil es oft in der
Prosa von solchen Abkommen steht . Wenn aber dagegen
verstoßen wird, greifen keine wirksamen Sanktionen .
Deswegen haben wir Sozialdemokraten immer sehr da-
für gekämpft .

Wir sind auch der Auffassung, dass zum Beispiel die
Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit Afrika nach-
gebessert werden müssen, in denen diese verbindlichen
Regeln nicht enthalten sind, bei denen es keine Sankti-
onsmöglichkeiten gibt, wenn in Ländern, die zwar offi-
ziell die international vereinbarten Arbeitnehmerrechte
bei den Vereinten Nationen unterschrieben haben, aber
Kinderarbeit und sklavenähnliche Arbeit an der Tages-
ordnung sind . Sonst werden wir diese Wirtschaftspart-
nerschaftsabkommen ablehnen . Wir wollen fairen statt
freien Handel, meine sehr verehrten Damen und Herren .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich wünsche mir nicht nur, sondern wir fordern auch
von der Europäischen Union und der Kommission, dass
sie mit dem, was wir bei den Wirtschaftspartnerschafts-
abkommen mit Afrika fordern, auch dort Ernst machen,
wo sie diese Möglichkeiten schon haben, zum Beispiel
beim Allgemeinen Präferenzsystem . Wir haben die Ini-
tiative „Everything But Arms“, das heißt, die ärmsten
Entwicklungsländer dürfen ihre Waren zollfrei in die Eu-
ropäische Union exportieren, wenn sie Menschenrechte
und Arbeitnehmerrechte einhalten . Aber leider sehen wir
in den letzten Jahren, dass es viele Länder gibt, für die
diese Zollfreiheit gilt, die zum Beispiel Textilien liefern,
aber die Arbeitnehmerrechte trotzdem mit Füßen treten .

Ich finde es Mut machend, dass es mittlerweile ein
Umdenken bei manchen Investoren gibt, auch in der
Textilindustrie und auch bei der deutschen . Das zeigt das
Beispiel Bangladesch . Die bangladeschische Regierung
hat vor ein paar Wochen Gewerkschafter verhaftet . Ar-
beitnehmer haben für höhere Löhne demonstriert und
wurden massenhaft entlassen . Es gibt ein Schreiben – das
finde ich sehr bemerkenswert – von den deutschen Ge-
werkschaften, den deutschen NGOs, der Kampagne für
Saubere Kleidung gemeinsam mit dem Textilhandels-
verband und den Textilunternehmen, in dem ausdrück-
lich steht: Wenn die bangladeschische Regierung die
Arbeitnehmerrechte nicht einhält, dann fordern wir die
Europäische Kommission auf, von ihren Möglichkeiten
Gebrauch zu machen, Zölle anzuheben, damit die Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer endlich Rechte haben,

Thomas Lutze






(A) (C)



(B) (D)


damit die Näherinnen und Näher, die Frauen, die oft stun-
denlang unter elenden Bedingungen in Fabriken arbeiten,
ihre Kinder ernähren können . – Das ist der richtige Weg .
Deswegen müssen wir weiter darauf drängen, dass wir
mit solchen verbindlichen Regeln dafür sorgen, dass die
Menschen, die mit ihrer Hände Arbeit die Gewinne für
die Investoren erwirtschaften, am Ende gut davon leben
können, meine sehr verehrten Damen und Herren .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Genauso verbindlich müssen wir das auch machen .
Ich habe gerade das Beispiel genannt, wenn Investoren
nach Afrika gehen, um Seltene Erden, Gold oder andere
Rohstoffe auszubeuten.

Wir haben viele Jahre dafür gekämpft, dass wir eine
verbindliche Regelung im Bereich der sogenannten Kon-
fliktrohstoffe erreichen. Hier möchte ich ein Beispiel da-
für nennen, dass die Wirtschaft, dass Investoren am Ende
mit uns in einem Boot sitzen können . In meinem Wahl-
kreis, in Hanau, ist die edelmetallverarbeitende Industrie
mit Heraeus und Umicore recht groß vertreten . Schon
seit Jahren bin ich deswegen jedes Jahr mit ihnen in Ge-
sprächen, in denen es um ihre Problemstellungen geht .
Vor sechs oder sieben Jahren kamen dann zum ersten
Mal Forderungen von mir und anderen Entwicklungs-
politikern auf: Wir wollen, dass zum Beispiel Gold aus
Konfliktregionen wie dem Kongo zertifiziert sein muss,
dass nur Gold nach Europa darf, mit dessen Ertrag keine
Kindersoldaten finanziert werden und für dessen Gewin-
nung keine Kinder als Sklaven in Minen arbeiten .

Am Anfang war es das typische Konfliktfeld: Da sa-
ßen die Fachvereinigung Edelmetalle und auch Firmen
aus meinem Wahlkreis, die gesagt haben: Wir wollen hier
keine verbindlichen Regeln; das sorgt für Bürokratie, das
behindert unsere Wirtschaft . – Auf der anderen Seite saß
der Entwicklungspolitiker Raabe, der gesagt hat: Nein,
ihr müsst an die Menschen dort, an die Kindersoldaten
denken; das muss sein . – Dann haben die immer gesagt:
Aber, Herr Raabe, wir nehmen doch schon auf freiwilli-
ger Basis so viele gute Zertifizierungen vor. – Dann habe
ich gesagt: Wenn das so ist, dann müsst ihr doch keine
Angst davor haben, dass das, was ihr freiwillig macht, in
verbindlicher Gesetzesform kommt .

Das Schöne war, dass am Ende, als wir in der Euro-
päischen Union auch mit unserem Wirtschaftsminister
dafür gekämpft haben, dass es wirklich eine verbindli-
che Regelung gibt, die deutsche edelmetallverarbeitende
Industrie Seite an Seite mit uns war und gesagt hat: Ja,
wir wollen faire Wettbewerbsbedingungen, das heißt, wir
wollen, dass sich auch Firmen in anderen Ländern daran
halten . – Als einige südeuropäische Länder auf den letz-
ten Metern einen Freiwert von 100 Kilo reingedrückt ha-
ben, haben die edelmetallverarbeitenden Firmen hier in
Deutschland mit mir gemeinsam einen Brief an das Wirt-
schaftsministerium geschrieben und gesagt: Wir wollen,
dass da keine Schlupflöcher, keine Ausnahmen sind; wir
wollen, dass Gold nur aus sauberen Quellen kommt .

Daran sieht man: Die Akzeptanz der Verbraucher, die
wissen wollen, wo die Sachen herkommen, ist für Inves-

toren – ob jetzt in dem Bereich oder im Bereich der Tex-
tilindustrie – wichtig .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822123600

Herr Raabe, ich möchte Sie bitten, zum Schluss zu

kommen .


Dr. Sascha Raabe (SPD):
Rede ID: ID1822123700

Ja, mache ich . – Keiner möchte einen Ehering ha-

ben, an dem Blut aus solchen Konfliktminen klebt. Es
ist wichtig, dass wir uns im Sinne der Menschen vor
Ort, aber auch in unserem eigenen Interesse – damit wir
mit gutem Gewissen konsumieren können – für Inves-
titionsabkommen und Handelsabkommen einsetzen, die
die Einhaltung von Menschenrechten und Arbeitnehmer-
rechten garantieren . Dafür werden sich die Sozialdemo-
kraten weiter einsetzen . Schön, wenn ihr von den Grünen
es genauso seht!

Danke .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822123800

Damit schließe ich die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/11410 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu be-
reichsspezifischen  Regelungen  der  Gesichts-
verhüllung

Drucksache 18/11180
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt werden zu
Protokoll gegeben . – Ich sehe, Sie sind damit einverstan-
den .1)

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur-
fes auf Drucksache 18/11180 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es ander-
weitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall . Dann ist die
Überweisung so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Finanzausschusses (7 . Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Halina
Wawzyniak, Sigrid Hupach, Christine Buchholz,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

1) Anlage 2

Dr. Sascha Raabe






(A) (C)



(B) (D)


Einrichtung einer Kommission beim Bundes-
ministerium der Finanzen zur Evaluierung
der Staatsleistungen seit 1803

Drucksachen 18/4842, 18/11428

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .1)

Dann kommen wir zur Abstimmung . Der Finanz-
ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/11428, den Antrag der Fraktion Die Lin-
ke auf Drucksache 18/4842 abzulehnen . Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung
mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen angenommen worden .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/52/EU
im Städtebaurecht und zur Stärkung des neu-
en Zusammenlebens in der Stadt

Drucksachen 18/10942, 18/11181, 18/11225
Nr. 7

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi-
cherheit (16 . Ausschuss)


Drucksache 18/11439

Hierzu liegen ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Debatte. Als erste Rednerin hat die
Bundesministerin Dr . Barbara Hendricks das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Ulrich Petzold [CDU/CSU])


Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Novellierung des Bauplanungsrechts ist in den ver-
gangenen Monaten sehr intensiv diskutiert worden . Ich
will mich bei Ihnen allen sehr herzlich dafür bedanken,
insbesondere auch bei meinem Kollegen Florian Pronold,
der in einem sehr transparenten Verfahren mit Ihnen allen
zusammengearbeitet hat .


(Beifall bei der SPD)


Ich freue mich, dass es gelungen ist, eine breite Zu-
stimmung zu erreichen und heute das parlamentarische
Verfahren abschließen zu können . Das ist auch ein star-
kes Signal an den Bundesrat . Um dies zu veranschauli-
chen, möchte ich drei wesentliche Elemente ansprechen:

1) Anlage 3

Zum einen können wir die Frist einhalten, in der wir
die geänderte europäische Richtlinie über die Umwelt-
verträglichkeitsprüfung, die UVP-Richtlinie, umsetzen
müssen . Das gelingt uns längst nicht immer, aber hier ge-
lingt es uns . Wenn Bebauungspläne aufgestellt werden,
sind die Umweltbelange zu prüfen . Hierzu machen wir
nun präzisere Vorgaben. Wir schaffen auch mehr Trans-
parenz . Informationen über die Bebauungspläne müssen
künftig immer ins Internet eingestellt werden .

Noch wichtiger ist zweitens zweifellos die neue Bau-
gebietskategorie „Urbane Gebiete“ . Wir setzen damit
eine Stadtentwicklung in Gang, die auf weniger Flächen-
verbrauch ausgerichtet ist . Das urbane Gebiet soll es er-
möglichen, mehr Wohnraum zu schaffen, gerade in den
besonders nachgefragten Innenstädten, und greift damit
die Vorstellungen der „Leipzig-Charta zur nachhaltigen
europäischen Stadt“ auf .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen eine
Stadt der kurzen Wege ermöglichen . Deshalb sehen wir
eine höhere bauliche Dichte vor, also mehr Wohnungen
auf gleicher Fläche, und eine flexiblere Nutzungsmi-
schung . Der Handwerksbetrieb oder andere Gewerbe-
betriebe sollen trotz des Wohnungsbaus nicht aus den
Innenstädten verdrängt werden . Deshalb wollen wir in
Bezug auf Gewerbelärm mehr Flexibilität ermöglichen
und in der hierfür geltenden immissionsschutzrechtlichen
Verwaltungsvorschrift, der TA Lärm, die Richtwerte für
das urbane Gebiet gegenüber dem Mischgebiet um 3 De-
zibel erhöhen . Ja, diese Werte belasten die Nachbarschaft
etwas mehr . Wir halten das gleichwohl für moderat, vor
allem vor dem Hintergrund, dass die Kommunen zusätz-
lichen Lärmschutz bei der Aufstellung des Bebauungs-
plans vorsehen können .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, an die Länder ge-
richtet möchte ich betonen, dass es um Möglichkeiten für
Kommunen geht, mit denen diese verantwortlich umge-
hen können und das auch tun werden . Bund und Länder
sollten den Kommunen diesen zusätzlichen Spielraum
nicht verweigern .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich bin sicher, dass wir den Kommunen eine solche Ent-
scheidung zutrauen können .

Schließlich will ich ein drittes Element ansprechen,
das insbesondere in den Ferienregionen der nord- und
ostdeutschen Küstenländer wichtig ist . Ein Urteil des
Oberverwaltungsgerichts Greifswald hatte die Frage auf-
geworfen, ob Ferienwohnungen in klassischen Wohnge-
bieten zulässig sind . Dies hat vor allem in touristischen
Regionen Kommunen und private Ferienwohnungsbe-
treiber verunsichert . Hier wollen wir durch eine Klar-
stellung die nötige Rechtssicherheit herstellen und den
Kommunen mehr planerische Möglichkeiten geben .

Zum Abschluss möchte ich insbesondere den Mitglie-
dern des Umwelt- und Bauausschusses für die konstruk-
tive Arbeit danken . Uns ist es in den parlamentarischen
Beratungen gelungen, noch weitere Verbesserungen vor-
zunehmen . Insbesondere freue ich mich, dass wir den
Milieuschutz von zehn Jahren auf zwölf Jahre verlängert
haben – eine sehr gute Nachricht für die Mieter – und

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


dass wir in § 13b des Entwurfs eine zeitlich enge Begren-
zung eingeführt haben, die Vorratsbeschlüsse der Kom-
munen ausschließt .

Ich möchte Sie alle bitten, dem Gesetzentwurf zu-
zustimmen . Die Kommunen und die Menschen vor Ort
warten auf dieses Gesetz .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822123900

Vielen Dank . – Da die Kollegin Caren Lay im Stau

steckte und daher ein bisschen später kommt, sind Sie
hoffentlich damit einverstanden, wenn die Kollegin
als letzte Rednerin spricht . Dann würde ich jetzt in der
Reihenfolge weitermachen und Frau Dött für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort geben . Danach erhält die Frakti-
on Bündnis 90/Die Grünen das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Marie-Luise Dött (CDU):
Rede ID: ID1822124000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Deutschlands Städte sind attraktiv .
Von ihnen gehen Wachstumsimpulse aus, sie sind Inno-
vationszentren und für viele Menschen auch gesuchte
Lebens- und Arbeitsorte . Die Städte wachsen . Wohnen,
Wirtschaft, Freizeit und der wachsende Verkehr konkur-
rieren um die Fläche . Mit diesem Gesetz geben wir da-
rauf die richtigen Antworten, damit die Städte auch in
Zukunft lebenswerte Heimat für die Menschen sein kön-
nen . Wenn wir uns die Städte in Deutschland anschauen,
stellen wir fest, dass die quirligen und kompakten Vier-
tel besonders beliebt und gefragt sind. Dort finden Wirt-
schaft, Wohnen und Wohlfühlen nebeneinander statt, und
diese Nutzungsmischung überzeugt die Menschen .

Die Baugebietskategorien in der Baunutzungsverord-
nung sind noch immer dem alten Leitbild der räumlichen
Trennung der Funktionen verhaftet . Das ist überholt .
Städte der Zukunft müssen anders aussehen . Beispiels-
weise würden die beliebten Gründerzeitviertel heute
nicht mehr genehmigungsfähig sein, wenn nicht auf kom-
plizierte und aufwändige Ausnahmeregelungen zurück-
gegriffen werden könnte. Hier setzen wir an und schaffen
die neue Baugebietskategorie „Urbane Gebiete“ .

Das urbane Gebiet wird die gewollte funktionale
Durchmischung in unseren Städten stärken . Wir ermögli-
chen eine höhere Bebauungsdichte und damit mehr Stadt
in der Stadt . Aber wenn die Nutzungsmischung vielfälti-
ger wird, kann es auch mal etwas lauter werden . Die Stadt
der kurzen Wege wird nur dann funktionieren, wenn auch
die Geräuschpegel für urbane Gebiete entsprechend ge-
staltet werden. Ich hoffe deshalb, dass der Bundesrat uns
hier folgt und der Änderung der Technischen Anleitung
Lärm zustimmt .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich weiß, dass Ministerin Hendricks hier noch einige
Überzeugungsarbeit zu leisten hat, aber wir helfen, wo
wir können .

Meine Damen und Herren, die zentrale Herausforde-
rung in den Städten und auch in den verschiedenen länd-
lichen Regionen ist der bezahlbare Wohnraum . Wir sind
uns einig, dass das Defizit an Wohnraum nur durch zu-
sätzliche Investitionen in den Wohnungsbau zu beheben
ist . Sie kennen das von uns: bauen, bauen, bauen .

Das Problem ist, dass die Wohnungsbauzahlen der
letzten Jahre nie die prognostizierten Bedarfszahlen er-
reicht haben . Wir brauchen also neue Impulse . Dazu ge-
hört insbesondere die Mobilisierung von Bauland . So be-
grüßen wir ausdrücklich, dass der Gesetzentwurf auch die
Ausweitung des vereinfachten Bebauungsplanverfahrens
auf Ortsrandlagen vorsieht . Damit geben wir den Kom-
munen ein Instrument an die Hand, mit dem sie sehr zü-
gig und deutlich weniger bürokratisch auf den aktuellen
Baulandbedarf reagieren können . Ich gebe als Umwelt-
politikerin zu, dass die zusätzliche Baulandbereitstellung
den Weg zur Erreichung unseres 30-Hektar-Ziels nicht
leichter macht . Deshalb haben wir die Fläche begrenzt
und die Planung zeitlich befristet . Für uns hat die Inne-
nentwicklung weiterhin Priorität, und ich gehe außerdem
davon aus, dass die Kommunen mit diesem Instrument
sehr verantwortungsbewusst umgehen werden .

Meine Damen und Herren, zum Gesetz haben wir im
parlamentarischen Verfahren weitere wichtige Änderun-
gen beschlossen . Ich will sie gar nicht alle erwähnen,
aber besonders wichtig ist mir, dass es gelungen ist, die
Belange von Familien mit mehreren Kindern in die Pla-
nungsleitlinien zu integrieren .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Damit setzen wir einen weiteren Baustein für aktive Fa-
milienpolitik .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822124100

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Christian

Kühn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .

Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Auch ich möchte mich am Anfang der Debatte
bei den Berichterstattern für die Berichterstattergesprä-
che und für das kollegiale Miteinander in den Beratun-
gen zur BauGB-Novelle bedanken, ganz explizit auch
bei Staatssekretär Florian Pronold . Ich glaube, es war ein
gutes Verfahren . Leider wurden wir von der Opposition
nur einmal in dieser Legislaturperiode an einem wichti-
gen Gesetz beteiligt. Ich finde, die Große Koalition hätte
öfter den Mut haben können, auf uns von der Opposition
zuzugehen, dann wären Ihre Gesetze im Schnitt auch ein
bisschen besser gewesen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mit der Novelle schreiben wir das urbane Gebiet in
das Baugesetzbuch . Das war eine der Ideen, die in der
Charta von Leipzig festgehalten wurden . Nach zehn Jah-
ren ist das eigentlich längst überfällig, aber wir Grünen

Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks






(A) (C)



(B) (D)


finden die Idee gut, und wir sind froh, dass diese grüne
Idee endlich im Baugesetzbuch verankert wird . Dabei
geht es um die Logik einer anderen Stadtentwicklung,
um die Logik „innen vor außen“, um die Stadt der kurzen
Wege . Eine funktionale, eine soziale und eine ästhetische
Mischung in der Stadt wird hier festgeschrieben . Das ist
gut . Deswegen stimmen wir der Einführung der Bauge-
bietskategorie „Urbanes Gebiet“ zu .

Diese Baugesetzbuchnovelle hat aber einen ganz gro-
ßen Haken . Diese Baugesetzbuchnovelle ist nämlich
mit einer Erhöhung des Lärms in diesen Gebieten um
3 dB verbunden . 3 dB, das heißt doppelter Lärm . Frau
Hendricks, Sie haben das „moderat“ genannt . Das ist
nicht „moderat“, sondern das ist gesundheitsschädlicher
Lärm, und davor müssen wir die Menschen in unseren
Städten schützen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


3 dB mehr Lärm sind unzumutbar . Das ist gesund-
heitspolitisch falsch, das ist umweltpolitisch falsch, und
das ist stadtentwicklungspolitisch falsch. Ich hoffe, dass
der Bundesrat dieses Vorhaben stoppen wird . Das sehen
nicht nur wir Grünen so, sondern das sagen auch das Um-
weltbundesamt und der Sachverständigenrat für Umwelt-
fragen . Ich glaube, Sie sollten an dieser Stelle einmal auf
Ihre eigenen Expertinnen hören .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir Grünen sagen nicht, wir wollen gar nichts für den
Lärmschutz tun; ganz und gar nicht . Wir wollen das Ham-
burger Fenster, den Hamburger Weg . Wir wollen mehr
technischen Lärmschutz ermöglichen . Ich glaube, das ist
eine Lösung, mit der die Kommunen abwägen und punk-
tuell, bei wirklichen Lärmschutzproblemen eingreifen
können . 3 dB mehr Lärm in allen Gebieten zu erlauben,
halten wir für falsch . Wie gesagt, das ist gesundheitspoli-
tisch und lärmschutzpolitisch der völlig falsche Weg .

Der zweite Haken an diesem Gesetz ist der § 13b, den
die CSU jetzt in dieses Baugesetzbuch hineinschreiben
will . Das ist nichts anderes als ein Flächenfraßparagraf;
denn damit wird die Außenentwicklung privilegiert . Die
ganze Idee der Baugesetzbuchnovelle ist ja, die Inne-
nentwicklung zu privilegieren . Die CSU bringt mit dem
§ 13b aber sozusagen den Flächenverbrauch im Außen-
bereich ein. Ich finde, das passt hinten und vorne nicht
zusammen . Dass Sie, Frau Hendricks, da mitmachen,
zeigt mal wieder, dass es Ihnen nicht gelingt, Umwelt-
schutz und Baupolitik miteinander zu verbinden . Das ist
die Bilanz Ihrer Regierungszeit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU)


Ziel dieser Novelle ist eigentlich die Privilegierung
der Innenentwicklung; dem folgt die ganze Logik . Dass
dieses Ziel nicht erreicht wurde, ist wirklich schade . Dass
die CSU auf ihrer Forderung besteht, kann ich überhaupt
nicht verstehen . Das zeigt doch nur, dass Sie als CSU
die Dorfkerne und die Innenentwicklung in den Städten
längst aufgegeben haben, dass Sie sich sozusagen eher

um die Investoren kümmern als um eine gute dörfliche,
regionale und städtische Entwicklung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822124200

Herr Kühn, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kolle-

gen Pronold zu?

Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Ich lasse gerne eine Zwischenfrage des Kollegen
Pronold zu .


Florian Pronold (SPD):
Rede ID: ID1822124300

Lieber Kollege Kühn, mein Melden zu einer Zwi-

schenfrage ist leider zu spät bemerkt worden . Sie bezieht
sich auf den Punkt, den Sie zuvor angesprochen haben,
auf die wirklich wichtige Frage: Wie bekommen wir ei-
nen Konsens zwischen mehr Lärmbelastung und Innen-
verdichtung hin? Wenn ich Sie richtig verstehe, ist das
Hamburger Fenster dazu gedacht, mehr Lärmschutz für
die Leute zu schaffen. Das Hamburger Fenster bedeutet
jedoch, dass ich eine Lärmbelastung von bis zu 70 Dezi-
bel im Außenbereich haben kann und nicht 63 Dezibel,
wie die Koalition sie vorschlägt . Durch die Verlagerung
des Messpunktes, wie Sie das wollen, können bis zu
70 Dezibel im Außenbereich, vor dem Fenster, vorherr-
schen . Ist das die angebliche Lärmreduzierung, die Sie
den Leuten versprechen?

Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Erst einmal ist das ja ein Vorschlag, den das Bundes-
land Hamburg eingebracht hat, und der Erste Bürger-
meister dieses Bundeslandes ist kein Grüner, sondern ein
Sozialdemokrat . Das Bundesland Hamburg ist gleichzei-
tig Land und Stadt . Es hat genau die Probleme, über die
wir hier beim urbanen Gebiet reden, täglich vor der Tür:
Wie kommen wir an Flächen heran? Wie können punktu-
elle Lösungen aussehen?

Bei der HafenCity ist genau dieses Problem aufge-
treten . Daraufhin hat das Land Hamburg überlegt: Wie
könnte eine technische Lösung ohne Veränderung des
Messpunktes aussehen? Denn sie wäre im Augenblick
auch gesetzlich gar nicht möglich . So hat das Bundes-
land Hamburg ein geschlossenes Fenster entwickelt, das
aber eigentlich geöffnet ist. Der Messpunkt ist weiterhin
vor dem Fenster, die technische Einheit aber dahinter,
der Lärmschutz wird heruntergerechnet, um im Innenpe-
gelbereich zu bleiben . Damit muss der Messpunkt nicht
verändert werden . Das ist sozusagen die Gretchenfrage .
Auf der einen Seite ist das eine baupolitische Einschät-
zung und auf der anderen Seite eine immissionspolitische
Einschätzung . Das ist kein Bruch mit dem Immissions-
schutz, sondern eine punktuelle Erleichterung .

Der Vorschlag Hamburgs geht noch weiter . Es geht
nicht darum, dass das im ganzen Gebiet so sein muss .
Im Außenbereich jeder Wohneinheit muss es einen Zu-
gang geben, sozusagen einen geschützten Außenbereich .

Christian Kühn (Tübingen)







(A) (C)



(B) (D)


Das bedeutet, dass, wenn wir beispielsweise in einem
urbanen Gebiet an den Parkplatz eines Supermarktes
heranrücken – dort gibt es mehr Lärm –, eine Seite mit
dem Hamburger Fenster oder anderen technischen Lärm-
schutzeinheiten ausgerüstet ist, aber der Innenbereich des
urbanen Gebiets weiterhin geschützt ist .

Was Sie wollen, ist Folgendes: Die 3 dB sollen vorge-
schrieben werden . Dann können die Kommunen abwä-
gen, ob sie daruntergehen . Damit machen Sie aber einen
Bruch im Immissionsschutz auf . Denn Sie lassen in ei-
nem Gebiet diese 3 dB mehr an gesundheitsschädlichem
Lärm zu . Das wird dazu führen, dass in anderen Gebiets-
kategorien der Lärmschutz auch geschliffen wird und
dann auch Gerichte einen höheren Lärmpegel erlauben .

Deswegen liegen Sie im Umweltministerium falsch .
Ich sage Ihnen auch, warum Ihre Immissionsschützer im
Umweltministerium das hineingeschrieben haben . Das
hat einen Grund . Sie wollen nämlich, dass das scheitert .
Ich glaube, dass das Umweltministerium letztlich etwas
auf den Weg gebracht hat, bei dem man jetzt die Idee hat,
dass die Bundesländer da scheitern müssen .

Ich sage Ihnen: In dem Verfahren zwischen dem Bun-
desrat und der Bundesregierung wird es jetzt auch zu
einer anderen Lösung kommen . Am Ende wird es nach
meiner Einschätzung der technische Lärmschutz sein –
und nicht Ihre Vorstellung von 3 dB .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1822124400

Wenn Sie erlauben, mache ich eine Zwischenbemer-

kung .

Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Gerne .


Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1822124500

Was Sie vorschlagen, ist ein echter Bruch . Damit ge-

ben Sie nämlich das Verursacherprinzip auf . Das ist der
echte Bruch, den Sie dabei veranstalten . Und das ist mit
mir als Umweltpolitikerin nicht zu machen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Nur eine Aussage dazu: Sie als Umweltpolitikerin
schreiben in eine Gebietskategorie einen Lärmpegel hi-
nein, den sowohl der Sachverständigenrat für Umwelt-
fragen als auch das Umweltbundesamt für gesundheits-
schädlich halten . Das ist als Umweltpolitiker auch nicht
hinnehmbar, glaube ich .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meines Erachtens haben sowohl die 3 dB als auch der
§ 13b mit guter Stadtentwicklungspolitik wenig zu tun .
Deswegen müssen wir uns als Grüne, obwohl wir das ur-
bane Gebiet sehr schätzen und es für eine sehr gute Idee,
eine wirkliche Weiterentwicklung und einen Meilenstein

im Baugesetzbuch halten, bei dieser Baugesetzbuchno-
velle leider enthalten .

Wir Grüne stehen für lebenswerte Städte mit kurzen
Wegen, mit einer Nutzungsmischung, mit einer Vielfalt
und mit einer kleinräumigen Teilung von Gewerbe, Ar-
beiten und Leben untereinander in der Stadt . Wir stehen
aber nicht für eine Stadt, in der der Flächenfraß im Au-
ßenbereich organisiert wird und in dem die Menschen
mit Lärm und gesundheitlichen Problemen zu kämpfen
haben .

Danke schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822124600

Als nächster Redner hat Michael Groß für die

SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Michael Groß (SPD):
Rede ID: ID1822124700

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Chris Kühn, ich glau-
be, dass unsere Gesetze auch ohne die Opposition gut
waren und gut sind .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Na, die Mitpreisbremse! – Caren Lay [DIE LINKE]: Die Mietpreisbremse war so schön!)


– Doch, doch . Ich glaube, dass wir das bisher auch ohne
Sie ganz gut hinbekommen haben .

Ich muss deutlich sagen – da will ich mich auch noch
einmal dem Dank anschließen –, dass wir hier einen sehr
guten Prozess gehabt haben . Es gab einen sehr guten Di-
alog und war sehr transparent . Deswegen wollte ich auch
heute in Ergänzung zur Ministerin noch einmal reden
und mich herzlich bei Ihnen, bei Herrn Pronold und bei
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des BMUB, die
ich dort hinten sehe, für diesen Prozess bedanken . Herz-
lichen Dank dafür! Das Ergebnis kann sich auch sehen
lassen, glaube ich .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Die Menschen ziehen in Städte, weil sie viele Dinge
miteinander vereinbaren wollen . Kurze Wege sind schon
angesprochen worden . Es geht um Gewerbe, um kurze
Wege zur Arbeit, aber auch um Leben, Freizeit und Kul-
tur in der Stadtmitte .

Sie wissen selber, dass die Städte sich in den letzten
Jahren anders entwickelt haben . Es hat eine Entwicklung
in den Außenbereichen stattgefunden . In den Innenstäd-
ten hat man sich darüber beklagt, dass das Leben dort
nicht mehr stattfindet. Insbesondere findet dort kein Le-
ben mehr statt, nachdem Geschäfte schließen .

Wir wollen die Leipzig-Charta umsetzen . Die Minis-
terin hat die Vorteile dargestellt . Meines Erachtens wird
es mit diesem Gesetzentwurf gut gelingen, das urbane
Gebiet zu ermöglichen und den Kommunen, den Städten

Christian Kühn (Tübingen)







(A) (C)



(B) (D)


und Gemeinden, die Möglichkeit zu geben, mit lokalen
Bebauungsplänen deutlich zu machen, wie sie sich eine
Stadtentwicklung vorstellen. Das betrifft natürlich auch
die Lärmfrage .

Herr Kühn, Sie wissen, dass dort nicht steht, dass die
Städte 3 dB mehr erlauben müssen . Vielmehr steht da,
dass sie es können .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ja! Aber die Investoren werden das fordern!)


Bisher war es auch möglich, dass die Städte passiven
Lärmschutz vorgesehen haben . Wir haben jetzt Rechtssi-
cherheit geschaffen, damit die Städte in die Lage versetzt
werden, diesen passiven Lärmschutz umzusetzen . Ich
glaube, es ist der richtige Weg, vor Ort entscheiden zu
können, wie die Menschen vor Lärm geschützt werden
können .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die Investoren werden die 3 dB wollen, und sie werden dem technischen Lärmschutz nicht zustimmen wollen!)


Wir haben als SPD-Fraktion dann einem Bereich zu-
gestimmt, bei dem durchaus ein Problem besteht – ich
will noch einmal darauf hinweisen; Herr Kühn hat es an-
gesprochen –, nämlich der beschleunigten Bebauung im
Außenbereich . Das ist uns sehr schwer gefallen, weil wir
natürlich auch genau die Probleme sehen, die Sie ange-
sprochen haben, Frau Dött . Das ist eine Außenentwick-
lung, die wir eigentlich nicht wollen . Denn das bedeutet,
dass der Flächenverbrauch massiv ansteigen wird, wenn
die Kommunen dieses Instrument in Anspruch nehmen
werden . Wir hatten uns eigentlich vorgestellt, dass wir
dies noch auf Gebiete beschränken, in denen Wohnraum
knapp ist . Das ist leider nicht gelungen .

Dafür sind Sie uns bei einem anderen Punkt entge-
gengekommen: beim Milieuschutz . Wir sind sehr dank-
bar, dass wir den Kompromiss gefunden haben, dass der
Kündigungsschutz zwei Jahre länger greift . Ich glaube,
das ist ein gutes Signal für die Mieterinnen und Mieter in
diesen Milieuschutzgebieten . Da haben wir viel erreicht .

Herzlichen Dank . Glück auf!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Milieuschutz ist gut!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822124800

Als nächste Rednerin hat Dr . Anja Weisgerber für die

CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Anja Weisgerber (CSU):
Rede ID: ID1822124900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und

Kollegen! Erst heute Mittag haben wir hier im Hohen
Haus wieder darüber diskutiert, wie die Mieten in unse-
ren Städten bezahlbar bleiben können . Ein entscheidender
Baustein zur Lösung ist – wir haben es heute in der Debat-

te schon gehört –: bauen, bauen, bauen . Mit dem vorlie-
genden Gesetzentwurf schaffen wir eine gute Grundlage,
um dem Wohnraummangel entgegenzutreten . Neben der
Stärkung der Innenentwicklung durch das urbane Gebiet –
dies ist uns ganz besonders wichtig – erweitern wir auch
das beschleunigte Bebauungsplanverfahren auf Ortsrand-
lagen . Denn allein durch Innenentwicklung werden wir es
nicht schaffen, den Bedarf von bis zu 400 000 neuen Woh-
nungen pro Jahr zu decken . Das haben auch die Experten
in der Anhörung verdeutlicht .

Deshalb geben wir den Kommunen dort – und nur
dort –, wo die Innenentwicklung an ihre Grenzen stößt,
ein Planungsinstrumentarium zur Wohnbaulandmobili-
sierung an die Hand . Die Innenentwicklung hat weiter-
hin Priorität . § 13b Baugesetzbuch war sicherlich – wir
haben es der Debatte gerade schon entnommen – einer
der umstrittensten Punkte in den Verhandlungen . Doch
wir haben letztendlich einen Kompromiss gefunden
und das Instrument zusätzlich zu den Beschränkungen,
die bereits vorgesehen waren, auch noch zeitlich einge-
schränkt . Um einer möglichen Vorratsbeschlussfassung
entgegenzuwirken, muss der Aufstellungsbeschluss im
Bebauungsplanverfahren bis zum 31 . Dezember 2019
gefasst sein und das Verfahren komplett bis spätestens
31 . Dezember 2021 mit dem Satzungsbeschluss abge-
schlossen sein . Damit ist das beschleunigte Verfahren
eine kurzfristige Antwort, um eine besondere Herausfor-
derung bei der Wohnraumversorgung zu bewältigen und
den akuten Bedarf zu decken .

Uns ist bewusst, dass jede Neuerschließung von Bau-
land die Frage des Flächenverbrauchs aufwirft . Ich sage
auch als Umweltpolitikerin ganz klar: Es ist und bleibt
unser politisches Ziel, den Flächenverbrauch weiter zu
reduzieren . Es ist doch aber auch unsere politische Auf-
gabe, langfristige Ziele mit den unabweisbaren akuten
Bedürfnissen der Menschen, der Bevölkerung in Aus-
gleich zu bringen . Gerade wenn das Instrument nicht
nur in großen Städten greift, sondern auch in ländlichen
Räumen, führt dies zu einer Entlastung der überhitzten
Metropolen und Innenstädte. Der Sickerungseffekt kann
vielen Haushalten, insbesondere jungen Familien, dabei
helfen, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Das ist doch
unser gemeinsames Ziel .

Viele Kollegen behaupten immer wieder, dass die
Umweltbelange im beschleunigten Verfahren vollkom-
men unter den Tisch fallen . Da muss man aber bei der
Wahrheit bleiben . Das stimmt so nicht . In jedem Fall hat
die Kommune die Belange von Umwelt und Naturschutz
in ihre Abwägungsentscheidungen mit einzubeziehen .
Auch Öffentlichkeit und Bürger werden beteiligt, aber
eben in einem vereinfachten Verfahren, in einer verein-
fachten Form . Die Interessen der Umwelt und der Be-
völkerung fallen also nicht vollkommen unter den Tisch .

Abschließend möchte ich noch betonen, dass wir mit
dem Instrument lediglich den kommunalen Handlungs-
spielraum vergrößern . Entsprechend dem Subsidiari-
tätsprinzip, das mir immer sehr wichtig ist, vertraue ich
jedoch darauf, dass unsere Kommunen auch mit Blick
auf den Flächenverbrauch verantwortungsbewusst mit
diesem Instrument umgehen . Ich möchte Ihnen an dieser
Stelle etwas Persönliches sagen: Ich war viele Jahre Ge-

Michael Groß






(A) (C)



(B) (D)


meinderätin und bin immer noch im Kreistag tätig . Auf-
grund meiner Erfahrung aus dem Gemeinderat weiß ich,
dass Gemeinderäte verantwortungsvoll handeln . Es kann
doch nicht sein, dass wir den Kommunen unterstellen, sie
würden ohne jegliches Verantwortungsbewusstsein Bau-
gebiete ausweisen . Das stimmt so nicht, meine Damen
und Herren .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja, es gibt auch andere!)


Weiterhin begrüße ich, dass wir im Gesetzgebungs-
verfahren eine Lösung für das Dauerwohnen in Erho-
lungsgebieten gefunden haben und hier Rechtssicherheit
schaffen. Schön ist auch, dass die Wohnbedürfnisse der
Bevölkerung, insbesondere von Familien mit mehreren
Kindern, in die Grundsätze der Bauleitplanung aufge-
nommen werden .

In dem vorliegenden Gesetzentwurf regeln wir darü-
ber hinaus einen Aspekt, der mich persönlich, auch als
ehemalige Europaabgeordnete, schon lange begleitet:
Wir stellen die sogenannten Einheimischenmodelle auf
rechtssicheren Boden, indem wir hervorheben, dass diese
dem Erwerb von angemessenem Wohnraum durch ein-
kommensschwächere Personen der örtlichen Bevölke-
rung dienen . Das ist ein weiteres gutes Signal an unsere
Kommunen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was lange währt,
wird endlich gut; das fasst die Verhandlungen zur vorlie-
genden Baurechtsnovelle sehr treffend zusammen. Daher
möchte auch ich mich bei allen Beteiligten, insbesondere
beim BMUB, aber auch bei der Opposition für die gute,
wenn auch nicht immer einfache Zusammenarbeit in den
letzten Monaten bedanken . Doch die langen und intensi-
ven Diskussionen haben sich ausgezahlt . Am Ende haben
wir ein gutes Ergebnis erzielt .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822125000

Als letzte Rednerin spricht Caren Lay für die Fraktion

Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822125100

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Auch ich möchte mit den positiven Aspekten des
vorliegenden Gesetzentwurfes beginnen und die Punkte
erwähnen, bei denen sich zeigt, dass es sich gelohnt hat,
die Opposition einzubeziehen . Auch dafür will ich mich
natürlich herzlich bedanken .

Mir geht es um die Verbesserung des Kündigungs-
schutzes von Mieterinnen und Mietern in Gebieten mit
Erhaltungssatzung, also in Gebieten mit angespannten
Wohnungsmärkten. Ich finde es sehr gut, dass hier ein
Punkt aufgegriffen wurde, den der von uns benannte
Sachverständige vom Deutschen Mieterbund in der An-
hörung betont hat, nämlich dass wir den Kündigungs-

schutz von Mieterinnen und Mietern verbessern sollten .
Bislang ist es ja so: Nachdem eine Wohnung von einer
Miet- in eine Eigentumswohnung umgewandelt wurde,
gilt der Kündigungsschutz drei bis maximal zehn Jahre .
Diese Frist wird jetzt verlängert; zukünftig gilt er fünf
bis zwölf Jahre . Das ist zwar nicht ganz die Regelung,
die der Bundesrat vorgeschlagen hat – er hat einen Kün-
digungsschutz für die Dauer von 7 bis 14 Jahren vor-
geschlagen –, aber immerhin ein Schritt in die richtige
Richtung. Ich finde es gut, dass dieser Aspekt aufgegrif-
fen wurde .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg . Ulli Nissen [SPD])


Ich persönlich finde, ehrlich gesagt, dass man in Ge-
bieten mit Milieuschutzsatzung gar nicht umwandeln
sollte, auch dann nicht, wenn die Wohnung dem Mieter
zum Kauf angeboten wird; denn das ist häufig vorge-
schoben . Aber darüber können wir ja möglicherweise in
rot-rot-grünen Koalitionsverhandlungen sprechen .


(Beifall des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE] – Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist mit der Union bestimmt nicht zu machen .

Meine Damen und Herren, die Milieuschutzsatzung
kann den Kapitalismus bestimmt nicht abschaffen, ihn
aber immerhin aufhalten. Deswegen finden wir es gut,
dass in § 172 des Baugesetzbuches etwas geändert wur-
de . Genauso begrüßen wir die Weiterfassung der Um-
weltverträglichkeitsprüfung .

Wir finden es auch richtig – das ist, glaube ich, noch
gar nicht angesprochen worden –, die Rechtssicherheit
im Hinblick auf Ferienwohnungen an der Küste, zumin-
dest dort, wo sie gefährdet war, zu stärken . Dies ermög-
licht einkommensschwachen Familien den Urlaub und
päppelt auch das Einkommen vieler Küstenbewohner
auf . Gleichzeitig kennen wir das Problem des massiven
Missbrauchs von Ferienwohnungen in Großstädten, wo
Mieterinnen und Mieter verdrängt werden . Dieses Pro-
blem gibt es zum Teil natürlich auch in beliebten Küs-
tenorten . Wir kennen auch die Furcht vor sogenannten
Rollladensiedlungen, also leeren Ortschaften, in denen
nichts mehr passiert. Deswegen finden wir es gut, dass
die Kommunen eine Handhabe bekommen und gestärkt
werden, wenn es darum geht, hier zu regulieren . Ich muss
an dieser Stelle aber auch sagen, dass ich allen Ländern
wirklich empfehle, eine Zweckentfremdungsverbotsver-
ordnung zu erlassen, um den Missbrauch von Ferienwoh-
nungen zu verhindern .


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, auch wir Linke wollen na-
türlich lebendige, durchmischte Städte. Wir finden des-
wegen die Einführung eines urbanen Gebietes richtig .
Ich habe schon bei der ersten Lesung gesagt: Die derzeit
so beliebten Gründerzeitviertel würden heute gar nicht
mehr genehmigt werden . Aber genau das wollen wir ja
häufig: kurze Wege, eine Mischung aus Wohnen und Ar-

Dr. Anja Weisgerber






(A) (C)



(B) (D)


beiten sowie Unterhaltung . Deswegen ist es gut, dass es
das urbane Gebiet gibt .

Beim Lärmschutz sind wir uns nicht wirklich einig ge-
worden; das hat schon mehrfach eine Rolle gespielt . Ich
finde – das habe ich hier auch gesagt –, darüber können
wir reden . Wer in die Stadt zieht bzw . wer in ein Gebiet
zieht, das in der Nähe vorhandener Unterhaltungsange-
bote liegt, kann natürlich nicht erwarten, dass es dort so
leise ist wie auf dem Dorf; das habe ich ganz klar gesagt .

Ich habe hier auch schon einmal die Position vertre-
ten, dass wir in den Städten – das kann man an Berlin
sehr gut sehen – natürlich auch einen Bestandsschutz für
die bestehenden Clubs brauchen .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich finde es, ehrlich gesagt, amüsant, wenn Leute, die als
Studenten dorthin gezogen sind, weil es dort so schön
munter und lebendig war, zehn Jahre später finden, dass
es dort zu laut ist, und versuchen, gegen die bestehenden
Clubs zu klagen . So geht es natürlich nicht .

Trotzdem hätten wir es vorgezogen, man wäre dem
Vorschlag des Bundesrates nachgekommen und hätte die
Lärmmessung in den Innenraum verlagert . Ja, das wäre
ein Paradigmenwechsel, aber ich finde, einer, der nötig
ist, und ich habe es, ehrlich gesagt, nicht verstanden, wa-
rum es anders gemacht werden soll . Entscheidend ist im
Endeffekt, wie laut oder leise es innen ist.

Ich schlage vor, dass wir hier in den Haushaltsver-
handlungen über einen Lärmschutzfonds reden, mit dem
wir lärmschützende Maßnahmen für die Mieterinnen und
Mieter unterstützen, zum Beispiel den Einbau von Ham-
burger Fenstern . Aber auch die Gewerbebetriebe und die
Clubs müssen abgedichtet werden können, ohne dass sie
um ihre Existenz fürchten müssen .

Ich komme zu meinem letzten Argument: Wir kön-
nen diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen, weil auch
wir den § 13b wirklich für falsch halten . Dadurch wird
der Sinn des Gesetzes, nämlich die Stärkung der Innen-
entwicklung, wirklich komplett karikiert . Sie befördern
stattdessen mit mehr Eigenheimsiedlungen die Flächen-
zersiedelung in den Dörfern . Meine Befürchtung ist, dass
man in den Außenbereichen der Großstädte – Stichwort
Gropiusstadt – Sozialwohnungen baut, weil man die Ar-
men nicht in der Innenstadt haben will .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822125200

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen . Sie

haben ihre Redezeit deutlich überschritten .


Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822125300

Das finde ich einfach falsch. Deswegen werden wir

die Streichung des § 13b beantragen . Wenn das nicht an-
genommen werden sollte, müssen wir uns enthalten .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822125400

Ich schließe die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Umset-
zung der Richtlinie 2014/52/EU im Städtebaurecht zur
Stärkung des neuen Zusammenlebens in der Stadt .

Zu der Abstimmung liegen mir mehrere persönliche
Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor .1)

Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit empfiehlt unter Buchstabe a sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11439,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
chen 18/10942 und 18/11181 in der Ausschussfassung
anzunehmen .

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat beantragt,
über den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung ge-
trennt abzustimmen, und zwar zum einen über Artikel 1
Nummer 16 – Einfügung von § 13b in das Baugesetz-
buch – und zum anderen über den Gesetzentwurf im Üb-
rigen .

Wir kommen zunächst zur Abstimmung über Artikel 1
Nummer 16 in der Ausschussfassung .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Der Änderungsantrag?)


– Wir stimmen jetzt als Erstes über Artikel 1 Nummer 16
in der Ausschussfassung und danach über den Gesetzent-
wurf im Übrigen ab .


(Caren Lay [DIE LINKE]: Und unser Antrag? – Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Der Änderungsantrag!)


– Dazu kommen wir später . Jetzt stimmen wir erst über
Artikel 1 Nummer 16 in der Ausschussfassung ab . Ich
glaube, das hat jetzt jeder nachvollziehen können . – Wer
stimmt dem Artikel 1 Nummer 16 in der Ausschuss-
fassung zu? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich je-
mand? – Damit ist der Artikel 1 Nummer 16 in der
Ausschussfassung mit den Stimmen der Koalition bei
Gegenstimmen des Kollegen Göppel von der CDU/CSU
und der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Lin-
ke angenommen worden .

Wir kommen nun zu den übrigen Teilen des Gesetz-
entwurfes in der Ausschussfassung .

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/11453 vor, über den wir jetzt
abstimmen .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Merci beaucoup!)


– Ja, wir gehen nicht durcheinander vor . – Wer stimmt
für den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke? – Wer
stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist der
Änderungsantrag der Fraktion Die Linke mit den Stim-
men der Koalition gegen die Stimmen der Opposition
abgelehnt worden .

Ich bitte nun diejenigen, die den übrigen Teilen des
Gesetzentwurfes in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? –

1) Anlage 4

Caren Lay






(A) (C)



(B) (D)


Wer enthält sich? – Damit sind die übrigen Teile des
Gesetzentwurfes mit den Stimmen der Koalition und
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen worden . Alle Teile des
Gesetzentwurfes sind damit in zweiter Lesung angenom-
men worden .

Wir kommen damit jetzt auch zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der
Gesetzentwurf in dritter Lesung mit den Stimmen der
Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen
worden .


(Caren Lay [DIE LINKE]: Und einer Gegenstimme!)


Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfeh-
lung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit auf Drucksache 18/11439 fort . Unter
Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen . Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese Beschlussemp-
fehlung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion
Die Linke bei Gegenstimmen durch die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen angenommen worden .

Ich komme jetzt zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/11454 . Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Stimmt jemand dagegen? – Enthält sich
jemand? – Damit ist dieser Entschließungsantrag mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Oppositi-
on abgelehnt worden .

Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, kommen wir
jetzt zum nächsten Tagesordnungspunkt, zum Tagesord-
nungspunkt 16:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian
Kühn (Tübingen), Sven-Christian Kindler,
Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Nicht um jeden Preis – Großprojekte im Zeit-
und Kostenrahmen realisieren

Drucksache 18/8402
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit (f)

Finanzausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen, und
ich kann die Debatte eröffnen.

Bevor ich dem ersten Redner das Wort gebe, bitte ich
aber noch einmal die Kollegen, wirklich die Zeit einzu-
halten . Wir sind jetzt bei einem Ende um 2 .10 Uhr . Es ist
einfach unkollegial, wenn man angesichts unserer Zeitla-
ge – das kann man ja schon so sagen – dann auch noch
die Redezeit überzieht . Deshalb bitte ich alle, die Zeit

einzuhalten . Das ist eben leider nicht der Fall gewesen .
Deshalb noch einmal ein Appell an Sie .

Als erster Redner in der Aussprache hat Christian
Kühn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .

Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-
legen! Also mir als Baupolitiker ist es eigentlich pein-
lich . Deutschland war einmal bekannt für herausragende
bzw . gute Architektur . Das betraf Walter Gropius, Mies
van der Rohe und andere . Heute sind diese Zeiten leider
längst vorbei . Wir sind in der Welt eher für Planungsde-
saster als für gut realisierte Architektur bekannt .

40 Prozent der Projekte, die über einem Kostenrah-
men von 10 Millionen Euro liegen, sprengen diesen Rah-
men sowie auch den Zeitrahmen . Ich glaube, dies ist der
Zeitpunkt, wo wir wirklich darüber nachdenken müssen,
ob wir in Deutschland nicht einfach anders planen und
mit Großprojekten anders umgehen sollten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Eröffnungskonzert in der Elbphilharmonie war
wahrscheinlich eines der teuersten der Geschichte . Es
wurden dafür vom Steuerzahler 600 Millionen Euro
mehr als vorgesehen hingelegt . In meinem Bundesland
Baden-Württemberg bauen wir einen Bahnknoten aus,
der 1995 einmal 2,5 Milliarden Euro hätte kosten sollen .
Heute liegen die Kosten irgendwo zwischen 7 Milliarden
Euro und 10 Milliarden Euro . Es gibt also eine Vervierfa-
chung der ursprünglich veranschlagten Kosten . Der BER
kostet mittlerweile 2,9 Milliarden Euro mehr . Das ist eine
Verdoppelung der veranschlagten Baukosten . Den Steu-
erzahler kostet das – wegen der Nichteröffnung – jeden
Tag 1,3 Millionen Euro .

Ich finde, es ist jetzt endlich an der Zeit, dass wir uns
als Politik ehrlich machen und nicht mehr zulassen, dass
solche Projekte gegen die Wand gefahren werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dafür gibt es drei ganz einfache Regeln, die wir in unse-
rem Antrag letztlich mit vielen Maßnahmen unterlegen .
Erstens geht es dabei um die Ehrlichkeit bei den Zahlen,
zweitens um den Grundsatz: Erst planen und dann bauen .
Und drittens sollten staatliche Aufgaben durch staatliche
Stellen erledigt werden .

Erstens. Jedes Großprojekt des Bundes sollte, finden
wir, in Zukunft eine realistische Kostendarstellung erhal-
ten, also die Risiken der Zukunft eingepreist haben, etwa
Inflation und anderes. Ich glaube, wir brauchen endlich
Kostenwahrheit . Es ist doch peinlich, wenn wir ein Pro-
jekt beschließen und nach zehn Jahren schließlich erklä-
ren müssen, warum es doppelt so teuer geworden ist . Das
ist nicht gut für die Politik, weder für ihr Ansehen noch
für den Staat als Bauherrn .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens . Gut geplant ist halb gebaut . Wir sollten da-
rauf achten, dass in Deutschland kein Bauprojekt mehr
angefangen wird, bei dem die Planungen noch nicht be-

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


endet sind . Als Bund können wir das bei unseren eige-
nen Projekten tun . Da sollten wir Vorbild sein . Also: Erst
planen und dann bauen . Ferner müssen wir gutes Planen
fördern . Wir müssen die Bauverwaltungen mit mehr Per-
sonal ausstatten, damit das Controlling auf den Baustel-
len effektiv funktionieren kann.

Drittens . Wir sollten davon Abstand nehmen, staatli-
che Aufgaben durch sogenannte öffentlich-private Part-
nerschaften realisieren zu lassen . ÖPP ist intransparent .
Es ist in der Finanzierung vergleichsweise teuer . Es führt
am Ende dazu, dass wir als Parlamentarier keine richtige
Kontrolle mehr über diese Projekte haben . Diese brau-
chen wir aber dringend . Deswegen sagen wir ganz klar:
Finger weg von ÖPP, gerade bei Großprojekten!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns diese
drei Regeln beherzigen . Lassen Sie uns darauf achten,
dass bei Großprojekten Kostenexplosionen nicht zum
Dauerzustand werden . Lassen Sie uns Großprojekte end-
lich richtig in den Blick nehmen und kontrollieren . Ich
finde, die Bundesregierung muss beispielsweise beim
Hauptstadtflughafen als Anteilseigner energischer auftre-
ten und Druck machen, damit die Kosten nicht weiter aus
dem Ruder laufen .

Lassen Sie uns Planungsdesaster in Zukunft vermei-
den . Denn es schadet der Politik; es schadet dem Wirt-
schaftsstandort Deutschland; es schadet auch dem Ar-
chitekturstandort Deutschland . Das können wir uns nicht
leisten .

Danke schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822125500

Als nächster Redner hat Christian Haase für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Christian Haase (CDU):
Rede ID: ID1822125600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Gewissenhaft wie ich bin, versuche ich, alle Anträge der
Grünen ernst zu nehmen .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist gut!)


In diesem Fall hieße das – etwas polemisch gesagt –: Wir
sollten in Deutschland am besten gar nicht mehr bauen .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das heißt, Sie wollen weiter das Geld zum Fenster rausschmeißen!)


Die Argumentation liest sich folgendermaßen:


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Politik der CDU: sinnlos Milliarden verschwenden!)


Großprojekte sind viel zu teuer . Also: Lasst uns viel Geld
ausgeben, um die Bauverwaltung aufzublähen . Diese
kann dann lang und ausgiebig prüfen, um am Ende fest-
zustellen, dass gar nicht gebaut wird . – So stellen sich die
Grünen offenbar Investitionen in die Zukunftsfähigkeit
unseres Landes vor .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die CDU stellt sich die Investitionen so vor: Geld verbrennen sinnlos!)


Dabei ist es völlig richtig, dass bei den im Antrag ge-
nannten Großprojekten viel falsch gelaufen ist .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ja, daraus hätten wir lernen können!)


Dafür werden zutreffende Gründe genannt: mangelnde
Kompetenz, politische Änderungswünsche und fehlende
Öffentlichkeitsarbeit. Aber der Handlungsbedarf ist doch
längst erkannt . Die Bundesregierung hat im letzten Jahr
einen Reformbericht vorgelegt, der viele richtige Punkte
benennt . Wie Sie angesichts von neun Handlungsfeldern
und 34 Maßnahmenempfehlungen im Bericht – Herr
Hofreiter, ich hoffe, Sie kennen diese Dinge – und der
Ankündigung eines jährlichen Sachstandsberichtes Bun-
desbau darauf kommen, dass es – ich zitiere aus Ihrem
Antrag – „keine weitergehende Initiative“ gibt, ist mir
wirklich ein Rätsel .

Einen der vielversprechenden Lösungsansätze schlie-
ßen Sie von vornherein kategorisch aus . Im Antrag wird
der vollständige Verzicht auf öffentlich-private Partner-
schaften gefordert – mit der fadenscheinigen Begrün-
dung, es gebe keine unabhängigen Untersuchungen zu
diesem Thema . Herr Kühn, das ist doch Ideologie pur .
Klar: Es gibt bei ÖPP-Projekten Risiken, aber diese Part-
nerschaften sind doch kein Teufelswerk . Mit klaren Re-
geln und weihwasserdichten Verträgen kann man das in
den Griff bekommen.

Natürlich muss man bei der Auswahl der privaten
Partner auf Qualität und Seriosität achten . Aber anstatt
ÖPP-Projekte zu untersuchen und zu verbessern, wollen
Sie sie einfach abschaffen. Das ist mal wieder grüne Ver-
botspolitik in Reinkultur .


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh! – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist einfach: Der Staat soll öffentliche Aufgaben machen! – Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gegen Geldverschwendung zu sein, ist bei Ihnen Verbotspolitik! Sie haben recht: Wir sind für das Verbot von Geldverschwendung! Mein Gott!)


ÖPP ist ein guter Ansatz, um Gemeinwohlorientierung
und effiziente Leistungserbringung zusammenzubringen.
Spezialisierte Unternehmen haben langjährige Erfahrun-
gen im Bau von Großprojekten, anders als viele öffentli-
che Bauverwaltungen, die solche Projekte vielleicht alle
zehn Jahre einmal stemmen müssen . Selbst die Bundes-

Christian Kühn (Tübingen)







(A) (C)



(B) (D)


bauverwaltung stellt pro Jahr nur etwa 20 Hochbaupro-
jekte fertig .

Herr Kühn, woher sollen denn Ihrer Meinung nach die
Spezialisten, die Sie fordern, kommen? Der Arbeitsmarkt
ist leergefegt . Das kann niemals von dem einen auf den
anderen Tag geschehen, so wie Sie sich das vorstellen,
weil diese guten Leute in den Unternehmen arbeiten .
Deshalb ist es viel, viel besser, wir arbeiten mit diesen
privaten Unternehmen zusammen, als sie zu verteufeln .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, wie machen wir Großpro-
jekte denn nun zum Erfolg? Ein Hauptgrund für die vie-
len Negativbeispiele ist sicherlich die Komplexität, ver-
bunden mit dem hohen Kostendruck . Nur Insidern sagen
Begriffe wie „RBBau“, „RZBau“ und „ZBau“ etwas.
Das sind die kleinteiligen Regelungen zur Umsetzung
öffentlicher Bauvorhaben. Natürlich: Wir brauchen Re-
geln . Aber eine Entrümpelung dieser Vorschriften wäre
ein guter Schritt zum Bürokratieabbau . Das wäre ein
sicherlich guter Beitrag der Politik, die Komplexität zu
senken und die Effizienz zu steigern.


(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was machen Sie denn in dieser Legislaturperiode?)


Kommen wir zu den Kosten . Anbieter sind regelrecht
gezwungen, zu günstige Angebote zu machen, wenn sie
überhaupt eine Chance bei den Ausschreibungen haben
wollen . Dabei sind die Planungs- und Ausführungspha-
sen bei Großprojekten viel zu lang, um belastbare Aussa-
gen über Baukosten und Bauzeiträume zu treffen. Nach-
her darf es natürlich nicht verwundern, wenn die Kosten
explodieren . Man muss sich am Anfang ehrlich machen,
auf höhere Qualität setzen und von Anfang an die Prei-
sentwicklung und andere Risiken einplanen .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das sagen wir ja!)


Das ist auch nötig, um die Bürgerinnen und Bürger mit-
zunehmen . Wir dürfen nicht den Eindruck erzeugen, dass
ihre Steuergelder verschwendet werden . Aber genau das
passiert, wenn die Summen Stück für Stück im Nachhi-
nein nach oben korrigiert werden müssen . Wenn man von
Anfang an ehrlich plant, wächst auch die Akzeptanz für
Großprojekte .

Es ist ja nicht so, dass Großprojekte grundsätzlich
zum Scheitern verurteilt sind . Das Berliner Stadtschloss
zeigt, dass man mit der richtigen Herangehensweise auch
bei einem großen Projekt Erfolg haben kann .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Angefangen bei der frühzeitigen Bürgerbeteiligung über
eine strukturierte und realistische Planung bis hin zu ei-
ner soliden Finanzierung einzelner Bauabschnitte wurde
hier vieles richtig gemacht . Das Berliner Stadtschloss ist
ein Best-Practice-Beispiel, wie man Großprojekte an-
packt .

Meine Damen und Herren, Einsicht ist der erste
Schritt zur Besserung . Im Gegensatz zu den Grünen bin

ich daher sehr zuversichtlich, dass wir unsere Effizienz
bei Großprojekten in Zukunft steigern werden . Viele die-
ser Projekte bringen unser Land kulturell, technologisch
und wirtschaftlich voran . Darauf können und sollten wir
nicht verzichten .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822125700

Sabine Leidig hat als nächste Rednerin für Die Linke

das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822125800

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Gäste! Der Antrag der Grünen enthält nichts, von
dem wir nicht sagen würden: Das ist gut . – Allerdings
gehen Sie gutwillig davon aus, dass die Bundesregierung
die Großprojekte eigentlich im Kosten- und Zeitrahmen
realisieren will, aber nicht die richtigen Instrumente zur
Verfügung hat oder nicht genügend kompetent ist . Ich
teile, ehrlich gesagt, diese optimistische Grundhaltung
nicht .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So sind wir halt! Optimisten! – Gegenruf des Abg . Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Das hilft nur wenig!)


Im letzten Jahr sind zwei echte Megaprojekte in Be-
trieb gegangen: der Gotthardtunnel in der Schweiz und
der neue, stark ausgebaute Panamakanal . Bei beiden
Großprojekten wurde der Kosten- und Zeitrahmen weit-
gehend eingehalten . Also: Was im Nachbarland Schweiz
oder gar in dem mittelamerikanischen Kleinstaat Panama
möglich ist,


(Michael Groß [SPD]: Das ist in der Emscher auch möglich! – Michael Thews [SPD]: In der Emscher auch! 4-Milliarden-Projekt! Wird eingehalten!)


sollte doch auch hier machbar sein, zumal es in der
Schweiz übrigens teilweise die gleichen Baukonzer-
ne sind, die den Plan dort einhalten und hierzulande
die Großprojekte aus dem Ruder laufen lassen . Viel-
leicht steckt ein bisschen System dahinter, wenn es bei
Großprojekten schiefläuft.

Auch hierzulande sind in bestimmten Zeiten, in den
1980er-Jahren, Dutzende Autobahnen, Flughäfen, Bahn-
neubaustrecken und mit Kassel-Wilhelmshöhe auch ein
großer Bahnhof neu und im Zeit- und Kostenrahmen ge-
baut worden .

Heutzutage sieht aus meiner Sicht das systematische
Problem folgendermaßen aus: Man schaltet bestehen-
de Gesetze und Kontrollmechanismen aus und lässt auf
diese Weise denen, die von den Bauzeitverlängerungen
und von den Kostensteigerungen profitieren – die gibt es
auch; es ist ja nur die öffentliche Hand, es sind die Steu-
erzahlerinnen und Steuerzahler, die drauflegen –, freien
Raum . Kostensteigerungen sowie fehlende Transparenz

Christian Haase






(A) (C)



(B) (D)


und Kontrolle bei Großprojekten werden im Grunde re-
gierungsseitig ermöglicht .

Dazu gehört – das ist vielleicht sogar der wichtigste
Punkt –, dass Gutachten und Empfehlungen des Bundes-
rechnungshofes und der Landesrechnungshöfe von Ver-
tretern der Bundesregierung nicht nur ignoriert, sondern
auch diskreditiert werden . Das taucht in Ihrem Antrag
leider gar nicht auf . Dabei sind die Rechnungshöfe im
Grundgesetz und in den Verfassungen der Länder veran-
kerte Kontrollinstitutionen . Sie funktionieren eigentlich
sehr gut, bzw . sie würden funktionieren, wenn man auf
sie hören und ihre Rechte und Kompetenzen stärken statt
schwächen würde .

In Ihrem Antrag, liebe Grüne, heißt es, es gebe kei-
ne unabhängigen Untersuchungen zu den Kosten von
ÖPP-Projekten . Sie fordern den Verzicht auf ÖPP . Das
finden wir super. Da sind wir ganz beieinander. Aber der
zitierte Satz ist nicht richtig . Es gibt diese unabhängigen
Untersuchungen, und diese belegen das Gegenteil des-
sen, was zum Beispiel Herr Dobrindt und seine Freunde
behaupten . Sie belegen: ÖPP verteuert Projekte massiv .
Viele davon werden mit ÖPP in den Sand gesetzt . Es wa-
ren die Rechnungshöfe des Bundes und der Länder, die
die Belege dafür erbracht haben . Große Publikationen
sind dazu erschienen .

Nehmen wir Stuttgart 21 . Dazu stehen ein bisschen
schmallippig in Ihrem Antrag drei Zeilen . Es wird von
6,5 Milliarden Euro überhöhten Kosten gesprochen . Das
ist ein bisschen erstaunlich . Wir wissen aus dem Gutach-
ten von Vieregg-Rössler, dass die Kosten bei 10 Milli-
arden Euro liegen werden. Mit Veröffentlichung des
Gutachtens des Bundesrechnungshofes sehen wir das be-
stätigt . Was machen die Bundesregierung und die Deut-
sche Bahn? Sie behaupten entweder, den Bericht nicht
zu kennen, oder, dass er von falschen Voraussetzungen
ausgehen würde . Dabei wissen eigentlich alle, dass der
Bundesrechnungshof recht hat .

Zum Schluss . Sie schreiben in Ihrem Antrag – das
wurde gerade schon moniert –, dass die Bundesregierung
zwar eine Analyse veröffentlicht habe, aber keine Initia-
tive habe, um die Kosten von Großprojekten zu senken .
Tatsächlich hat Herr Dobrindt einen 100 Seiten starken
Endbericht vorgelegt . Darin wird unter anderem empfoh-
len, außergerichtliche Streitbeilegungsverfahren einzu-
führen . Das heißt, private Schiedsgerichte sollen etabliert
werden, um zwischen der öffentlichen Hand und den pri-
vaten Akteuren auszugleichen, jenseits der vorhandenen
Institutionen .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822125900

Frau Leidig, ich muss auch Sie bitten, zum Schluss

zu kommen . Auch Sie haben Ihre Redezeit schon wieder
spürbar überschritten .


Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822126000

Das wäre die gleiche Richtung, in die Sie auch mit

TTIP und CETA ziehen wollen . Das lehnen wir ab . Ich
kann nur hoffen, dass wir gemeinsam verhindern kön-
nen, dass eine solche Verschleierungstaktik auf Kosten
der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler eingeführt wird .

Danke .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822126100

Der Parlamentarische Staatssekretär Florian Pronold

hat als nächster Redner das Wort für die Bundesregie-
rung .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Fl
Florian Pronold (SPD):
Rede ID: ID1822126200


Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Christian
Kühn, manchmal ist dein Gedächtnis doch ein bisschen
schlecht ausgeprägt . Wir hatten vor, glaube ich, einem
Dreivierteljahr eine gute Sitzung im Ausschuss für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, in der alle,
auch die Grünen, den Bericht, den Barbara Hendricks
vorgelegt hat, gelobt haben . In diesem Bericht haben
wir 300 Hochbauprojekte der letzten 15 Jahre analysiert
und sind zu dem Ergebnis gekommen, das auch du zitiert
hast, nämlich dass 60 Prozent im Zeit- und Kostenrah-
men liegen, aber viel zu viele, nämlich 40 Prozent, nicht .

Dann haben wir eine Ursachenanalyse gemacht und
einen Maßnahmenkatalog mit 38 Einzelmaßnahmen vor-
gestellt, die jetzt in der Umsetzung sind und Stück für
Stück abgearbeitet werden . Es ist schön, dass du große
Teile deines Antrags aus diesem Bericht abgeschrieben
hast – dafür bin ich dir dankbar –, aber das mit der Be-
hauptung zu verbinden, wir würden an der Stelle nichts
tun, ist verkehrt . Es ist Barbara Hendricks gewesen, die
genau diese Punkte aufgegriffen und einen klaren Kurs-
wechsel für die Zukunft eingeleitet hat . Das ist die Wahr-
heit .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Na ja!)


Liebe Frau Leidig, die Streitschlichtungsverfahren,
die auch der Kollege Dobrindt für seinen Bereich vor-
geschlagen hat, gibt es bei uns im Hochbau schon lange .
Das hat überhaupt nichts mit Schiedsgerichten zu tun .
Ich will Ihnen einfach einmal sagen, was da tatsächlich
passiert .


(Zuruf der Abg . Sabine Leidig [DIE LINKE])


Ich bin zurzeit Bauherr beim Berliner Schloss, wo
alles Gott sei Dank im Zeit- und Kostenrahmen ist . Ich
kann Ihnen sagen, dass es mit Einzelnen, die dort auf
dem Bau tätig sind, Streit gibt, weil sie behaupten, sie
hätten alles erfüllt, wir als Bauherr aber sagen: Das ist
mangelhaft . – Dann sagen diese Firmen: Wenn wir strei-
ten, stellen wir erst einmal den Bau ein . Dann könnt ihr
schauen, wo ihr bleibt . – Wenn das so passieren würde –
das ist oft genug passiert –, dann geraten alle anderen Ge-
werke, die darauf aufbauen, auch in Verzögerung . Dann

Sabine Leidig






(A) (C)



(B) (D)


entsteht ein Dominoeffekt, und zum Schluss führt das zu
Baukostensteigerungen .

Deswegen machen wir nichts anderes, als dass wir
partnerschaftlich damit umgehen und sagen: Lasst uns
die Sachen festhalten . Lasst uns da einen Prozess durch-
führen, der den Bau nicht verzögert, und im Anschluss
daran diese streitigen Dinge entscheiden . Nichts anderes
machen wir da . Das hat sich bisher bewährt .

Wir haben festgestellt, dass es sehr unterschiedliche
Ursachen dafür gibt, dass Projekte aus dem Zeit- und
Kostenrahmen laufen . Ich sage einmal – genauso wie es
im Antrag der Grünen steht und wie es alle in diesem
Haus teilen –: Wir verwalten Steuergelder . Die Steuer-
zahlerinnen und Steuerzahler haben einen Anspruch da-
rauf, dass wir mit dem uns anvertrauten Geld gut um-
gehen . Deswegen ist uns jede Zeitverzögerung und jede
Kostensteigerung ein Dorn im Fleisch, und das wollen
wir alle nicht .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Jetzt muss man sich aber einmal anschauen, wo die
Ursachen liegen . Die Ursachen sind vielfältig . Dieselbe
Bundesbauverwaltung, die beim Pergamon-Museum tat-
sächlich Probleme hat, hat drei Museen auf der Muse-
umsinsel im vorgesehenen Zeit- und Kostenrahmen fer-
tiggestellt . Da kann man doch nicht einfach sagen: Die
öffentliche Verwaltung ist nicht in der Lage, im Zeit- und
Kostenrahmen zu bauen . – Da muss man sich doch an-
schauen, wo die Gründe dafür liegen . Die Gründe sind
vielfältig . Wir haben zum Beispiel ein Vergaberecht, das
oft von Firmen auch dazu benutzt wird, Verzögerungen
zu produzieren. Ich finde, da müsste man einen Hebel
ansetzen . Da sind wir auch dran . Das kommt in unserem
Bericht vor, und die Grünen haben es gut abgeschrieben .
Es ist ja schön, wenn wir uns da einig sind . Wir müssen
bloß die EU-Kommission davon überzeugen, dass wir
das europarechtsfest hinkriegen . Natürlich hat einer, der
bei einer Ausschreibung ungerechtfertigterweise unter-
liegt, einen Schadensersatzanspruch . Aber es geht nicht
an, dass er die Möglichkeit hat, den ganzen Bau zu blo-
ckieren . Das wollen wir für die Zukunft ändern, und wir
sind bereits auf dem Weg .

Wir stellen übrigens auch fest, wenn wir als Bundes-
tag bauen – das ist einer der Punkte, die ihr auch von
uns abgeschrieben habt –, dass man vorher wissen muss,
was man haben will . Wenn man in der Bauphase anfängt,
Änderungen bei der Nutzung vorzunehmen, dann wird es
teuer . Das haben alle, die hier sitzen, bei vielen Projek-
ten getan . Deswegen sollten wir uns an die eigene Nase
fassen und so, wie wir das beim Schloss auch machen,
sagen: Nein, während der Bauphase wird nichts mehr
geändert, sondern wir wollen die Planung vorher haben,
und zwar so exakt, dass man das Projekt entsprechend
ausschreiben kann .

Ferner muss man sagen, dass über 20 Jahre lang eine
Ideologie geherrscht hat, unter der behauptet worden ist,
der Staat sei zu fett, und man hat eingespart . Wir erle-
ben jetzt – nicht nur bei der Bundesverwaltung, sondern
auch bei den Kommunen –, dass es viel zu wenig Leute
gibt, die überhaupt noch die Bauabläufe auf Bauherren-

seite kontrollieren können . Darum haben wir im Zuge der
letzten Haushaltsberatungen beim BBR 80 neue Stellen
geschaffen, damit dieses Defizit ausgeglichen wird und
der Bund als Bauherr überhaupt in der Lage ist, die Din-
ge, die er in der Hand hat, selber zu kontrollieren, wenn
er sie schon selber nicht machen kann .

Das sind die Voraussetzungen, die wir jetzt schaffen,
damit das zukünftig so nicht mehr auftritt . Viele Dinge,
die gemacht werden – es sind ja einige da, die auch in der
Bau- und Raumkommission des Deutschen Bundestages
sitzen und unsere Bundestagsbauten mit begleiten –, hän-
gen nicht vom Bund ab, sondern wir sind sehr oft auf
Baufirmen, Planungsfirmen und andere angewiesen, die
schlecht erfüllen . Da kommt es dann zu Zeitverzögerun-
gen und zu Kostensteigerungen, die wir zum Schluss,
wenn wir Glück haben, über eine gute Versicherung viel-
leicht wieder ausgleichen; manchmal ist das aber nicht
der Fall . Das ist doch ein Ärgernis . Das, was wir ma-
chen können, ist in dem Bericht von Barbara Hendricks
in 38 Themenfeldern aufgeführt . Es war, glaube ich, der
erste Bericht, der diesem Haus vorgelegt worden ist, in
dem man schonungslos alle Ursachen aufgezeigt hat, die
dazu führen, dass es zu Zeitverzögerungen und Baukos-
tensteigerungen kommt .

Einer der Gründe ist auch, dass man von Anfang an
eine falsche Darstellung macht . Das Haushaltsrecht, das
wir uns gemeinsam gegeben haben, erlaubt es im Regel-
fall nicht, dass man die zu erwartenden Kosten und die
Baukostensteigerungen schon bei der ersten Beschluss-
fassung mit ausweist . Wenn ein Projekt 10 oder 15 Jahre
dauert, dann wird es vielleicht 10 oder 20 Millionen Euro
teurer, ohne dass irgendetwas Überraschendes passiert,
einfach weil es eine Inflationsrate gibt. Aber es schaut
nachher so aus, als wären wir zu blöd, das in dem vor-
gesehenen Kostenrahmen fertigzustellen. Ich finde, zur
Transparenz gehört auch, dass man von Anfang an solche
Risiken und solche Preisentwicklungen offen darstellt.
Das wäre auch ein Gewinn für Transparenz und Bürger-
akzeptanz an dieser Stelle .


(Beifall bei der SPD)


Liebe Grüne, ihr habt schön abgeschrieben . Aber man
muss jemanden, der überzeugt ist, die Dinge zu ändern,
nicht dazu anstiften . Darum herzlichen Dank für die Ge-
legenheit, dass wir unsere gute Arbeit hier noch einmal
darstellen durften .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Gern, Herr Staatssekretär!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822126300

Als letzter Redner in der Aussprache hat Florian

Oßner für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Florian Oßner (CSU):
Rede ID: ID1822126400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Als ich den Antrag der Grünen zum ersten
Mal in der Hand hatte, musste ich zweimal das Datum
kontrollieren . Aber nein, es handelt sich nicht um einen

Parl. Staatssekretär Florian Pronold






(A) (C)



(B) (D)


Aprilscherz . Die Partei, die sich bislang eher als Verhin-
derer und nicht als Befürworter von Infrastruktur- und
Großprojekten hervorgetan hat, fordert tatsächlich ein
Programm zur Einhaltung der Zeit- und Kostenrahmen
bei Großprojekten ein . Unglaublich!

Viele Großprojekte werden bekannterweise durch
ständiges Störfeuer und Klagen von grünen Verbänden
vor Ort unnötig in die Länge gezogen oder gar verhin-
dert .


(Lachen der Abg . Sabine Leidig [DIE LINKE])


Damit steigen natürlich zwangsläufig auch die Kosten.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Vor allem beim BER!)


Denn was wird günstiger, wenn man es bewusst in die
Länge zieht? Sehr geehrte Kollegen der Grünen, am
meisten wäre uns und den Großprojekten in Deutschland
geholfen, falls Sie das ewige Nörgeln, Aufwiegeln der
Bevölkerung und ständige Neinsagen vor Ort endlich be-
enden würden .


(Beifall bei der CDU/CSU – Sören Bartol [SPD]: So wie Seehofer bei den Stromtrassen, nicht? – Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind doch bei der CSU, oder? Haben Sie schon mal mit Herrn Seehofer über die Stromtrassen gesprochen?)


Insofern ist der Antrag der Grünen schon mal eine gute
Sache und geht in die richtige Richtung .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Partei vertreten Sie hier denn? Die Nix-Partei, oder wie?)


Allerdings scheinen Sie übersehen zu haben, dass der
damalige Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadt-
entwicklung, Peter Ramsauer, bereits im Jahr 2013 die
Reformkommission Bau von Großprojekten ins Leben
gerufen hat . Diese hat bereits im Juni 2015 ihren Ab-
schlussbericht mit Handlungsempfehlungen für Politik,
Wirtschaft und Verwaltung vorgelegt, also weit vor Ihrer
Antragstellung . Es schadet sicherlich nicht, wenn man
sich informiert, bevor man einen Antrag stellt,


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Macht das Vorlesen Ihnen Spaß?)


liebe Kollegen von den Grünen und Herr Hofreiter . Aber:
Besser ist die späte Einsicht als keine Einsicht .

Auf der Grundlage der Kommissionsempfehlungen
wurde daraufhin der „Aktionsplan Großprojekte“ erar-
beitet, der Ende 2015 im Bundeskabinett verabschiedet
wurde . Lassen Sie mich bitte kurz auf folgende einzelne
Punkte eingehen:


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Muss aber nicht sein!)


Es soll sichergestellt werden, dass mit dem Bau erst
dann begonnen wird, wenn für das genehmigte Bauvor-
haben die Ausführungsplanung mit detaillierten Angaben
zu Kosten, zu Risiken und zum Zeitplan sowie eine inte-

grierte Bauablaufplanung im Team vorliegen . Also: Erst
planen, dann bauen . Ich denke, da sind wir uns einig .

Bei der Vergabe sollen stärker als bisher qualitative
Wertungskriterien wie zum Beispiel der technische Wert,
die Betriebs- und Folgekosten und die Qualität der Auf-
tragsdurchführung einbezogen werden . Also: Vergabe an
den Wirtschaftlichsten, nicht den Billigsten .

Um entstehende Konflikte möglichst nicht eskalieren
zu lassen, sondern frühzeitig zu lösen und damit kost-
spielige Gerichtsverfahren zu vermeiden, sollen geeigne-
te Streitbeilegungsmechanismen stärker genutzt werden,
also die außergerichtliche Streitbeilegung .

Die Bereitstellung von Haushaltsmitteln für öffentli-
che Großprojekte setzt den Nachweis einer angemesse-
nen Wirtschaftlichkeitsuntersuchung einschließlich einer
Begründung für die Auswahl des Beschaffungsmodells
voraus .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir kennen den Text!)


Das BMVI, das Bundesministerium für Verkehr und
digitale Infrastruktur, treibt die digitale Revolution im
Baubereich zügig voran . Hier gilt der ganz besondere
Dank unserem Bundesminister . Alexander Dobrindt hat
maßgeblich dazu beigetragen, dass in den Bereich der
Entwicklung innovativer Bauplanung in Deutschland
erheblich Bewegung gekommen ist . Ein herzliches Dan-
keschön dafür!


(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie viele Projekte sind mit BIM schon umgesetzt?)


Es gilt die Maxime: Erst digital, dann real bauen . Der
Stufenplan Digitales Planen und Bauen des BMVI hat
hierfür bereits den Weg geebnet . Building Information
Modeling – kurz gesagt: BIM – wird bis 2020 Standard
bei neuen Verkehrsinfrastrukturprojekten des Bundes
sein . In der ersten Vorbereitungsphase wurden vier geeig-
nete Pilotprojekte beauftragt und begleitet . Dabei wurden
Strukturen, Prozessabläufe und Interaktionen analysiert
und ausgewertet . Die Schnittstellen spielen dabei eine
ganz besondere Rolle . Dadurch wurden noch nicht aus-
genutzte Potenziale identifiziert. Das 5D-Modell wurde
geschaffen. Über das sehr bekannte 3D-Modell hinaus-
gehend, werden nun also noch die Funktionen Kosten
und Zeit implementiert . In Bayern, so zum Beispiel beim
Bau der Bundesstraße B 15 neu, haben wir damit schon
erste sehr gute Erfahrungen gesammelt . Deutschland ins-
gesamt wird mit dem System zukunftsfest gemacht .

Wie man sehen kann, sind wir bereits auf dem bes-
ten Wege, Großprojekte zukünftig besser und effizienter
zu planen und umzusetzen . Alle hierzu erforderlichen
Schritte sind bereits eingeleitet, sodass für den Antrag
der Grünen definitiv kein Bedarf mehr besteht und er da-
mit unnötig wird .

Darum sage ich: Ein herzliches „Vergelts Gott!“ fürs
Zuhören .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Florian Oßner






(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822126500

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich

die Debatte .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/8402 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
auch so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 sowie den Zu-
satzpunkt 10 auf:

20 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Share Economy – Wachstumschancen der kol-
laborativen Wirtschaft nutzen und Herausfor-
derungen annehmen

Drucksache 18/11399

ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dieter
Janecek, Kerstin Andreae, Dr . Thomas Gambke,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Share Economy – Ökologische Chancen nut-
zen und Teilen statt Besitzen unterstützen

Drucksache 18/11411
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
Ausschuss Digitale Agenda

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden . Dann ist das jetzt
auch so geschehen .1)

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksa-
che 18/11399 . Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser
Antrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stim-
men der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden .

Zusatzpunkt 10 . Interfraktionell wird Überweisung
der Vorlage auf Drucksache 18/11411 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall . Dann
ist das auch so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Änderung des Güterkraftverkehrsge-
setzes, des Fahrpersonalgesetzes, des Gesetzes
zur Regelung der Arbeitszeit von selbständi-
gen Kraftfahrern, des Straßenverkehrsgeset-

1) Anlage 5

zes und des Gesetzes über die Errichtung eines
Kraftfahrt-Bundesamtes

Drucksache 18/10882

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur

(15 . Ausschuss)


Drucksache 18/11431

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .2)

Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/11431, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/10882 in der Ausschussfassung anzu-
nehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition
angenommen worden .

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der
Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition bei Ent-
haltung der Opposition angenommen worden .

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/11431 empfiehlt der Ausschuss, eine
Entschließung anzunehmen . Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit den
Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenom-
men worden .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit (16 . Ausschuss) zu
der Verordnung der Bundesregierung

Verordnung zur Neuordnung der Klär-
schlammverwertung

Drucksachen 18/10884, 18/11025 Nr. 2,
18/11443

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat
Michael Thews von der SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)


2) Anlage 6






(A) (C)



(B) (D)



Michael Thews (SPD):
Rede ID: ID1822126600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

gen! Klärschlamm kann eine ziemlich zähe Masse sein,
und zäh und langwierig war auch die Neuordnung der
Klärschlammverordnung . Seit fast zehn Jahren wird an
der Novelle gearbeitet . Deswegen ein besonderes Lob
an Barbara Hendricks und das BMUB, dass es gelungen
ist, diesen Gesetzentwurf jetzt vorzulegen . Ich weiß, dass
viele Gespräche und Vermittlungen notwendig waren .


(Beifall bei der SPD)


Im Mittelpunkt der jahrelangen Diskussion stand die
Frage über den Nutzen und den Schaden der Ausbrin-
gung von Klärschlamm als Dünger auf landwirtschaftli-
che Nutzflächen sowie die Notwendigkeit der Phosphor-
rückgewinnung . Klärschlämme enthalten auf der einen
Seite wertvolle Pflanzennährstoffe. Deshalb werden sie
als Dünger eingesetzt . Aber sie enthalten auch anorga-
nische Schadstoffe wie Blei oder Quecksilber sowie or-
ganische Schadstoffe wie Dioxine, PCB, PFT, aber eben
auch Arzneimittelrückstände und sogar Krankheitserre-
ger . Letzten Endes muss uns klar sein: Alles, was unser
Abwasser belastet, landet in den Kläranlagen und letzt-
endlich auch im Klärschlamm .

Bereits bei der Agrar- und Umweltministerkonferenz
im Jahr 2001 forderten einzelne Bundesländer das Verbot
der Ausbringung auf landwirtschaftliche Flächen . 2007
wurde daher ein Entwurf für eine neue Klärschlammver-
ordnung vorgelegt, der eine Einschränkung der landwirt-
schaftlichen Nutzung und vor allem strengere Grenzwer-
te für anorganische und organische Schadstoffe vorsah.
Also bereits 2007 war allen Beteiligten klar, dass ein
Weiter-so in der Klärschlammverwertung nicht möglich
ist . Trotzdem kam keine Einigung zustande . Dabei spra-
chen die Erkenntnisse aus dem Umweltbundesamt eine
deutliche Sprache . In mehreren Studien und Berichten
seit 2011 kam man zu dem Ergebnis, dass Schadstoffe
in den Nahrungskreislauf gelangen können, und zu der
Schlussfolgerung, dass Monoverbrennung von Klär-
schlämmen bei gleichzeitiger Rückgewinnung von Phos-
phor die geeignetste Entsorgungsmethode ist .

Immer wieder tauchen auch heute Probleme bei der
Ausbringung von Klärschlämmen auf den Böden auf . So
führen neue Arzneimittelrückstände und auch das aktu-
elle Thema Mikroplastik – kleinste Kunststoffteilchen,
die auf dem Weg der landwirtschaftlichen Nutzung von
Klärschlämmen in die Gewässer und die Meere gelan-
gen, wo sie bereits zu einem globalen Umweltproblem
geworden sind – dazu, dass wir neue Wege gehen müs-
sen . Ich meine, hier muss gehandelt werden . Dies können
wir nicht weiter zulassen .


(Beifall bei der SPD)


Der Ausstieg aus der landwirtschaftlichen Nutzung
ist wegen der möglichen Gefährdung von Umwelt und
Menschen notwendig . Hier stimme ich hundertprozentig
dem Umweltbundesamt zu, genauso wie der Einschät-
zung, dass bei einem Ausstieg aus der landwirtschaftli-
chen Nutzung eine Phosphorrückgewinnung wegen der
Bedeutung von Phosphor als Pflanzennährstoff notwen-
dig ist .

Der vorliegende Entwurf zur Neuordnung der Klär-
schlammverordnung hat daher zwei Schwerpunkte . Zum
ersten Mal werden die Betreiber von Abwasserbehand-
lungsanlagen als Klärschlammerzeuger und die Betrei-
ber von Klärschlammverbrennungsanlagen oder -mitver-
brennungsanlagen grundsätzlich dazu verpflichtet, den in
Klärschlamm bzw . in Klärschlammaschen enthaltenen
Phosphor nach einer gestaffelten Übergangsfrist von
12 bzw . 15 Jahren nach Inkrafttreten der Verordnung
zurückzugewinnen . Warum so lange Übergangsfristen,
wenn doch die Diskussion schon so lange andauert? Das
hat einen relativ einfachen Grund . Es müssen ganz neue
Kapazitäten im Bereich der Klärschlammverbrennung
und natürlich auch bei Verfahren zur Phosphorrückge-
winnung aufgebaut werden . Dazu ist der komplette Neu-
bau von entsprechenden Anlagen notwendig . Von der
Planung über die Genehmigungsphase bis zur baulichen
Fertigstellung benötigen wir natürlich Zeit . Aus diesem
Grund sind die entsprechenden Übergangszeiten fest-
geschrieben worden . Ich bin überzeugt, dass in diesem
Zeitrahmen der Umstieg gelingen kann . Den Startschuss
setzen wir heute mit dieser Verordnung .

Der zweite Schwerpunkt ist der Phosphor selbst .
Phosphor ist ein wichtiger Rohstoff für die Landwirt-
schaft . Die Europäische Kommission hat mit Datum vom
26. Mai 2014 Phosphor als kritischen Rohstoff einge-
stuft . Noch gibt es keine akuten Engpässe; aber viele Ab-
baustätten von Phosphor liegen in Krisenregionen, und
der Bedarf steigt ständig . Im Sinne eines nachhaltigen
Ressourcenschutzes und der Verringerung der Importab-
hängigkeit müssen wir Phosphor aus dem Klärschlamm
wiedergewinnen und als Sekundärstoff einsetzen. Dies
ist praktizierte Kreislaufwirtschaft .

Bei den Verfahren werden bewusst keine technischen
Vorgaben gemacht, um zukünftige Innovationen zu er-
möglichen . Es ist zu erwähnen, dass es bereits lange Zeit
Forschung in diesem Bereich gibt und eine Reihe von
technischen Verfahren in Pilotanlagen getestet wurden .
Wir fangen nicht bei null an, sondern haben schon jetzt
die Möglichkeit, bekannte Verfahren umzusetzen .

Noch ein Wort zu den Kosten . Klärschlammentsor-
gung kostet Geld; der Bau neuer Anlagen ist auch nicht
umsonst . Aber glaubt irgendjemand, dass die Einhaltung
strengerer Grenzwerte und die Erfüllung der Anforde-
rung, Medikamentenrückstände und Mikroplastik aus
dem Umweltkreislauf zu beseitigen, umsonst zu haben
sind? Die zukünftigen Kosten hängen an vielen Fakto-
ren, wie zum Beispiel an den Preisen für Energie oder für
Phosphor auf dem Weltmarkt . All jene, die behaupten,
sie könnten heute schon eine generelle Verteuerung vor-
aussagen, haben wohl eher in die Glaskugel geschaut; sie
wissen es schlicht nicht .

Angesichts der Belastungen für den Boden haben be-
reits viele Abwasserverbände und Betreiber von Kläran-
lagen längst die Konsequenzen gezogen und sind aus der
landwirtschaftlichen Klärschlammverwertung ausgestie-
gen . Nur noch ein Drittel des Klärschlamms wird in der
Landwirtschaft verwertet .

Sehr geehrte Damen und Herren, mit der heute vor-
gelegten Verordnung werden wir die Klärschlamm-






(A) (C)



(B) (D)


verwertung verbessern. Wir setzen die fünfstufige
Abfallhierarchie fort, beginnen den Einstieg in die
Phosphorrückgewinnung und schränken die negativen
Auswirkungen auf Umwelt, Boden, Gewässer und den
Nahrungskreislauf ein . Nach einer über zehnjährigen
Vorarbeit sind wir nun auf dem richtigen Weg .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822126700

Vorbildlich! – Als nächster Redner hat Ralph Lenkert

für die Fraktion Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822126800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen

und Kollegen! Klärschlamm ist unappetitlich, aber er
fällt nun einmal beim Reinigen unserer Abwässer an . Im
Klärschlamm gibt es nützliche Bestandteile wie Phos-
phor, bedenkliche wie Polyamide, also Kunststoffe, und
giftige wie Schwermetalle .

Für mich als Techniker hat dieser Verordnungsentwurf
der Koalition doch ein paar lobenswerte Ziele: Strenge-
re Normen gelten beim Ausbringen von Klärschlamm in
der Landwirtschaft . Das schützt unser Essen vor Schwer-
metallen und Kunststoffen. Auch die Differenzierung der
Methoden zur Behandlung von Klärschlamm nach sei-
ner Zusammensetzung und nach anfallender Menge hilft
kleinen und mittleren Abwasserbetrieben . Dass Klär-
schlamm überwiegend verbrannt werden soll, begrüßt
die Linke .

Wie Sie es nicht anders erwarten, hat diese Verord-
nung für uns aber leider auch einige bedenkliche und
schädliche Bestandteile .


(Sören Bartol [SPD]: Wäre auch komisch, wenn ihr mal alles gut fändet! – Gegenruf des Abg . Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Wir denken dialektisch!)


Es ist bedenklich, wenn Sie fordern, dass die Abwasser-
reiniger den Mangelrohstoff Phosphor für die Landwirt-
schaft – ich zitiere aus dem Verordnungsentwurf – „in
pflanzenverfügbarer Form“ bereitstellen müssen. Wer
trägt dafür die Kosten? Der Ausbau der Monoverbren-
nung von Klärschlamm ist technisch langwierig und
teuer . In einer Machbarkeitsstudie für die Stadtentwäs-
serung Göppingen wird festgestellt, dass die Rückgewin-
nung von Phosphor aus Klärschlammmonoaschen nur
theoretisch die effektivste Methode ist. Dem Vorteil einer
Rückgewinnung von Phosphor stehen die hohen Kosten
und neue Risiken für die Umwelt entgegen . Zur Rück-
gewinnung des Phosphors aus der Asche werden große
Mengen giftiger Schwefelsäure benötigt . Die Folgen bei
Havarien wären schlimm .

Sie von der Koalition ignorieren außerdem, dass der
Phosphoranteil im Abwasser kontinuierlich sinkt . 2013
trat das völlige Verbot von Phosphaten in Waschmitteln
in Kraft, am 1 . Januar 2017 das Verbot von Phosphaten

in Geschirrspülmitteln . Es ist schwachsinnig, wenn man
neue Verfahren gesetzlich einführt, und dies mit der theo-
retischen Betrachtung alter Zahlen begründet, die aus der
Zeit vor den Phosphatverboten stammen . Trotzdem setzt
diese Verordnung auf den Bau von Monoverbrennungs-
anlagen . Das ist teuer und ökologisch zweifelhaft .


(Beifall bei der LINKEN)


Der Hammer sind jedoch Ihre Vorstellungen zur Fi-
nanzierung der Phosphorrückgewinnung . In der Begrün-
dung des Verordnungsentwurfes heißt es zum Erfüllungs-
aufwand – ich zitiere –:

Eine Belastung der kommunalen Haushalte er-
folgt … nicht, da die für Abwasserentsorgung und
Abfallentsorgung anfallenden Kosten über die Er-
hebung von Gebühren an die Bürger weitergereicht
werden .

Im Klartext: Bürgerinnen und Bürger müssen als Gebüh-
renschuldner für Investitionen in teure Monoverbren-
nung und Phosphorrückgewinnung zahlen . Das lehnt die
Linke ab .


(Beifall bei der LINKEN – Karsten Möring [CDU/CSU]: Wer soll zahlen?)


Unklar ist aber dann der Text hinsichtlich der Belas-
tung der Bürgerinnen und Bürger durch diese Verord-
nung . Ich zitiere erneut:

Für Bürgerinnen und Bürger entsteht kein Erfül-
lungsaufwand .

Was meinen Sie denn nun, liebe Koalition? Entsteht ein
Aufwand oder nicht? Oder sind Bürgerinnen und Bürger
für Sie keine Gebührenzahlerinnen und Gebührenzahler?
Da sollten Sie offen und ehrlich sein. Sie lasten es den
Bürgerinnen und Bürgern an . Die sollen sicherstellen,
dass Phosphat für die Landwirtschaft bereitgestellt wer-
den kann . Das ist der falsche Finanzierungsweg .


(Beifall bei der LINKEN)


Im günstigsten Fall kostet die einmalige Umstellung
auf Monoverbrennungsanlagen 400 Millionen Euro .
Hinzu kommen bisher nicht kalkulierte höhere Verbren-
nungskosten für die Klärschlämme . Wieso sollen Gebüh-
renzahlerinnen und Gebührenzahler – ich kann es nur
wiederholen – die Phosphorrückgewinnung für Dünge-
mittelhersteller bezahlen? Eine technisch unausgereifte,
ökologisch zweifelhafte Phosphorrückgewinnung mit
nicht kalkulierten Kosten bringt nur neue Profite für die
Anlagenhersteller .

Leider muss die Linke wegen dieser giftigen Bestand-
teile die ansonsten sinnvolle Verordnung ablehnen . Sozi-
al und ökologisch handeln, dafür steht die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822126900

Eine Kurzintervention, aber bitte wirklich kurz .


Michael Thews (SPD):
Rede ID: ID1822127000

Ich darf mich ganz kurz fassen . – Herr Lenkert, Sie

wissen schon, dass gerade der Phosphor – den haben Sie

Michael Thews






(A) (C)



(B) (D)


als den Bestandteil erwähnt, der dann für die Landwirt-
schaft bereitgestellt wird – bei dem ganzen Verfahren
Geld einbringt, weil er am Ende verkauft wird . Insofern
ist das keine Ausgabe . Das ist eine falsche Darstellung .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822127100

Herr Lenkert, Sie haben das Wort zur Erwiderung .


Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822127200

Herr Kollege, der Verkauf von Phosphor bringt in

etwa 60 Euro . Die Kosten für die Gewinnung derselben
Menge Phosphor liegen bei 400 Euro . Ich kann nicht er-
kennen, wie man da Gewinne machen kann . Es tut mir
echt leid .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822127300

Als nächster Redner spricht Karsten Möring für die

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Karsten Möring (CDU):
Rede ID: ID1822127400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lieber Herr Lenkert, es ist wie so oft bei den Linken: Es
zahlt immer der liebe Gott oder irgendein edler Spender .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Nein, der Gebührenzahler!)


Verraten Sie mir einmal den Unterschied zwischen dem
Gebührenzahler, der für das Abwasser zahlt, und dem
Steuerzahler, der dafür zahlt, wenn es die Kommune
bezahlt . Ich sehe da keinen nennenswerten Unterschied .
Insofern brauchen wir uns darüber nicht zu streiten . Wir
haben schon x-mal festgestellt, dass Umweltschutz,
Recycling und alles, was damit zusammenhängt, Geld
kosten . Dieses Geld bringt immer der Endverbraucher,
der Steuerzahler, der Stromkunde auf . Das ist so, und das
können Sie nicht wegreden . – Das als Vorbemerkung .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer von Ihnen hat
schon einmal ein Vespasiani benutzt – das könnten Sie in
Rom getan haben –


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt machen wir eine Fragestunde! Das finde ich gut!)


oder ein Vespasienne? Das könnten Sie in Paris getan
haben .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Vespa! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Vespa meinen Sie?)


– Nein, meine ich nicht . Wenn es angesichts des Themas,
um das es geht, nicht vielleicht ein bisschen befremdlich
wäre, müsste man sagen: Diese Benennung ist zu Ehren
einer Person gefunden worden, die vor rund 2 000 Jahren
etwas gemacht hat, was wir heute auch machen, in diesem
Fall der römische Kaiser Vespasian . Vespasian war der-

jenige, der die öffentlichen Toiletten in Rom nutzte, um
Urin zu sammeln und diesen Urin den Gerbern zur Verfü-
gung zu stellen, damit sie ihre Gerbprozesse durchführen
konnten. Er war auch der Erfinder, der dieses Verfahren
zusätzlich besteuert hat, was ihm Krach mit seinem Sohn
bescherte, der sich über den Geruch der öffentlichen To-
iletten beschwerte . Als sein Vater ihm einen Geldschein
oder eine Geldmünze, die er dafür eingenommen hatte,
unter die Nase hielt, hat er den berühmten Spruch ge-
prägt: Pecunia non olet! Geld stinkt nicht!


(Beifall bei der CDU/CSU)


Hat der Kollege das gewusst?


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], auf Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] bezogen: Er hat das gewusst! Er hat das große Latinum!)


– Das verbindet uns . Ich habe es auch . Aber kehren wir
zum Kern des Themas zurück .


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, wieder zum Klärschlamm!)


Was machen wir, um die Recyclingquote zu ver-
bessern? Es muss jetzt heißen: Recycling stinkt nicht,
sondern ist notwendig . Mit der Verordnung sorgen wir
letztendlich dafür, dass sich die Recyclingquote erhöht .
Aber – die Problematik ist schon angerissen worden –
womit haben wir es zu tun? Wir haben es damit zu tun,
dass wir im Koalitionsvertrag festgelegt haben, dass wir
das Ausbringen von Klärschlamm reduzieren wollen,
weil das eine Schadstoffbelastung mit sich bringt und
der Aufwand groß ist, die Schadstoffe herauszufiltern.
Zudem wird sowieso schon ein großer Teil nicht mehr
ausgebracht, sondern verbrannt, und damit ist alles, was
an nützlichen Stoffen im Klärschlamm enthalten ist, weg.


(Beifall bei der CDU/CSU)


– Danke für die Gelegenheit zur Trinkpause .

Wie machen wir das? Wir machen das, indem wir die
Rückgewinnung von Phosphor vorschreiben . Warum ist
Phosphor für uns von so großer Bedeutung? 1 Gramm
Phosphor ist notwendig zur Erzeugung von 100 Gramm
Biomasse . Als wir in einer Zeit lebten, als Phosphor noch
in Waschmitteln enthalten war und dadurch in unsere Ge-
wässer gelangte und wir das Problem der Überdüngung
hatten, hatten wir zusätzlich das Problem, dass der Abbau
der so erzeugten Biomasse wiederum 150 Gramm Sauer-
stoff verbrauchte, was dazu führte, dass viele Gewässer
umkippten . Diese Zeiten sind vorbei .

Jetzt haben wir ein zweites Problem, nämlich dass wir
uns bei der Versorgung mit Phosphor, das wir dringend
für den Pflanzenwuchs brauchen, dessen Vorkommen
aber endlich ist und das leider in Gegenden der Welt vor-
kommt, in denen die politischen Verhältnisse nicht sehr
menschenwürdig und auch nicht sehr stabil sind, mehr
auf unsere eigenen Vorkommen besinnen müssen, und
die finden wir eben im Kreislaufprozess im Zusammen-
hang mit Klärschlamm . Es geht also darum, möglichst
viel Phosphor rückzugewinnen . Das ist unser Hauptziel .
Trotzdem haben wir in der Verordnung eine gestaffelte
Übergangszeit festgelegt; Kollege Thews hat schon be-

Michael Thews






(A) (C)



(B) (D)


gründet, warum das notwendig ist . Wir haben aber An-
lagen in der Größenordnung „50 000 Einwohner und
kleiner“ von dieser Regelung ausgenommen, weil – Herr
Lenkert, hören Sie gut zu! – wir uns natürlich über die
Belastung der Gebührenzahler Gedanken machen . Es
ist ganz einfach so, dass bei den großen Anlagen durch
Skaleneffekte die Rückgewinnung von Phosphor preis-
werter ist als bei kleinen Anlagen . Deshalb haben wir in
der Abwägung verschiedener Ziele diesen Kompromiss
gefunden, und ich meine, es ist ein guter Kompromiss .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wer zahlt das Ganze? Es zahlt – die Berechnungen
in der Begründung der Vorlage, was die Größenordnung
angeht, sind möglicherweise richtig; genau wissen wir es
auch noch nicht, weil wir die großtechnischen Anlagen
für die Rückgewinnung noch nicht entwickelt haben –
letztlich der Gebührenzahler oder der Steuerzahler . Da-
rüber gibt es noch Streit . Sie wissen, dass die Gegenar-
gumente des VKU, der kommunalen Vertreter, genau auf
diesen Punkt zielten . Sie befürchten, dass sie auf einem
Teil der Kosten sitzenbleiben . Das ist eine Frage, der si-
cherlich noch geklärt werden muss, genau wie die Fra-
ge, mit welchen Anlagen wir das Ganze erreichen kön-
nen . Wir haben die Möglichkeit der Monoverbrennung,
um den Phosphor aus der Asche zurückzugewinnen . Es
gibt Verfahren, mit denen wir Magnesiumammonium-
phosphat direkt gewinnen können; die Ausbeute ist zwar
nicht besonders groß, aber es wäre direkt als Dünger ver-
wendbar .

Wie die Vermarktung später aussieht, wissen wir auch
noch nicht . Der Kostenunterschied wurde eben angespro-
chen; das ist richtig . Also entweder steigt der Phosphor-
preis wegen der Knappheit irgendwann so stark, dass
die rückgewonnenen Mengen an Phosphor damit kon-
kurrieren können, oder wir werden die Beschaffung von
Phosphor auf irgendeine Weise subventionieren müssen .
Da es sich um einen begrenzten Stoff handelt, den wir
zwingend brauchen, ist das auch gerechtfertigt . Das ist
ein weiterer Grund dafür, weshalb wir lange Übergangs-
zeiten brauchen: Wir brauchen Zeit, um die nötigen Ent-
wicklungen voranzubringen und wichtige Abschätzun-
gen vornehmen zu können .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir könnten davon
sprechen, dass wir hier eine Klärschlammschlacht schla-
gen .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir tun das auch . Aber anders als bei anderen
Schlammschlachten gehe ich davon aus, dass diese
Schlammschlacht keine Verletzungen verursacht, hof-
fentlich auch keine Verschmutzungen, sondern dass es
eine Klärschlammschlacht ist, bei der es letztlich nur
Gewinner gibt . Es gewinnt die Umwelt, es gewinnt die
Landwirtschaft, und über beides gewinnen unsere Bürge-
rinnen und Bürger .

Angesichts der späten Stunde schenke ich dem Ple-
num die letzten zwei Minuten meiner Redezeit .

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit zu dieser
späten Stunde .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822127500

Vielen Dank . – Ich gebe zu: Ich habe nicht erwartet,

dass die Debatte insgesamt so interessant werden würde .


(Heiterkeit)


Also, liebe Kollegen, es lohnt sich auch, spät ins Plenum
zu kommen .

Peter Meiwald hat als letzter Redner in der Ausspra-
che das Wort .


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Peter, das ist jetzt schwer zu toppen! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Letzte Chance, sich beliebt zu machen!)



Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822127600

Herzlichen Dank . – Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-

nen und Kollegen! Es ist in der Tat gut, dass die zumeist
kommunalen Betreiber der Kläranlagen mit diesem aus
einem langen Prozess hervorgetretenen Konstrukt nun
endlich Planungssicherheit für die dringend anstehenden
Investitionen bekommen . Das ist positiv; das kann man
nur so sagen .

Auch dass die Phosphorfrage angegangen wird, ist
grundsätzlich positiv . Das ist in der Tat ein langfristiges
Thema . Im Moment bzw . solange es noch keine Knapp-
heit gibt, ist der Preis für das Produkt noch nicht hoch .
Das ist offensichtlich. Grundsätzlich ist es trotzdem rich-
tig, sich über die zukünftige Phosphorversorgung Gedan-
ken zu machen . Ob sich die Monoverbrennung am Ende
sinnvollerweise wirklich durchsetzt oder die eben ange-
sprochene MAP-Technologie oder eine andere Techno-
logie, das sollte sich im Laufe der weiteren Entwicklung
zeigen . Ich glaube, da muss man erst einmal noch tech-
nologieoffen denken.

Die Klärschlammausbringung insgesamt zu beenden,
ist auch aus anderen Gründen sinnvoll . Die Belastung
des Klärschlamms konnten wir an vielen Stellen redu-
zieren – durch Grenzwerte und Kontrollen konnten wir
einiges machen –; aber sowohl Medikamentenrückstän-
de als auch Schwermetallrückstände sind leider nach wie
vor an vielen Stellen im Klärschlamm enthalten, wenn
auch nicht überall .

Eine Geschichte ist relativ neu . Dieses Thema ist
bei vielen, glaube ich, noch gar nicht richtig angekom-
men . Es geht um eine aktuelle Untersuchung, die das
Alfred-Wegener-Institut im Auftrag des OOWV, des
Oldenburgisch-Ostfriesischen Wasserverbandes, und
des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirt-
schaft, Küsten- und Naturschutz durchgeführt hat . Man
hat geguckt, was an Mikroplastik im Klärschlamm ent-
halten ist . Dabei hat sich herausgestellt, dass allein der
Klärschlamm der 46 Klärwerke des OOWV ungefähr
93 Milliarden Mikroplastikpartikel pro Jahr enthält . Bei

Karsten Möring






(A) (C)



(B) (D)


10 000 Tonnen bedeutet das, dass wir in einer Tonne
Klärschlamm durchschnittlich 930 000 Mikroplastikpar-
tikel haben, und da sind die Fasern noch nicht mitgerech-
net, weil die noch gar nicht erfasst werden konnten .

Das heißt, wir haben über die weiter gehende Schwer-
metallbelastung und die Medikamentenbelastung hinaus
ein Thema, das wir nicht aus dem Blick verlieren dür-
fen . Wir wissen noch zu wenig darüber . Wir wissen zwar,
dass wir über unsere Kläranlagen einen ganzen Teil an
Mikroplastik aus unseren Abwässern herausfiltern kön-
nen . Wenn wir das aber über den Klärschlamm hinterher
wieder der Natur zuführen, haben wir nichts gewonnen .
Insofern hilft es der Umwelt nicht – das ist auch unse-
re Kritik an diesem Verordnungsentwurf –, wenn wir an
diesem Punkt stehen bleiben und uns auf die Anlagen-
größe beziehen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Alfred-Wegener-Institut hat bei der Untersuchung
festgestellt, dass es eben nicht von der Größe der Anlage
abhängig ist, wie viel Mikroplastik am Ende im Klär-
schlamm ist . Deswegen halten wir es für sinnvoll, mit
einer durchaus längeren Übergangsfrist – darum geht es
ja gar nicht – auch die kleinen Anlagen langfristig einzu-
beziehen . Das fehlt in diesem Entwurf . Deswegen kön-
nen wir ihm in dieser Form nicht zustimmen .

Wir haben hier den Bedarf, unsere Umwelt zu schüt-
zen . Wir haben an vielen Stellen mit Mikroplastik zu
kämpfen; das wissen wir alle . Aber wenn wir wissen,
dass solche Mengen Mikroplastik im Klärschlamm ent-
halten sind, sollten wir das unserer Umwelt und den
Äckern nicht zumuten . Deswegen müssen wir hier eine
Bremse einbauen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Gerade ist die Frage der Monoverbrennung aufgewor-
fen worden. Da haben wir durch Skaleneffekte bei den
größeren Anlagen einfach bessere Möglichkeiten . Ich
glaube, es gibt auch die Möglichkeit, die Verbrennung
des Klärschlamms mehrerer Kläranlagen durch Zweck-
verbände und Ähnliches zusammenzuführen . Insofern
sollte das für uns kein Hinderungsgrund sein, langfristig
auch den Klärschlamm aus den kleinen Anlagen zu ver-
brennen .

Wir haben aktuell ja keinen Nährstoffmangel. Wenn
man sich die Gülleproblematik und andere Dinge an-
schaut, muss man feststellen, dass wir im Moment kei-
nen Bedarf an Klärschlamm haben . Wir müssen nicht
sagen: Die Landwirtschaft braucht die Klärschlämme
unbedingt . – Ich habe bis vor wenigen Wochen auch noch
anders argumentiert und gesagt: Es ist wichtig, dass wir
die humosen Bestandteile des Klärschlamms nicht sinn-
los verbrennen . – Nach den vorliegenden Erkenntnissen
zur Mikroplastikbelastung bleibt uns aus meiner Sicht
aber keine andere Wahl, als letztlich – mittelfristig – alle
Klärschlämme zu verbrennen .

Ich danke Ihnen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822127700

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich

die Aussprache .

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
zu der Verordnung der Bundesregierung zur Neuordnung
der Klärschlammverwertung. Der Ausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11443,
der Verordnung auf Drucksache 18/10884 zuzustim-
men . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Das ist nicht
der Fall . Dann ist diese Beschlussempfehlung mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Oppositi-
on angenommen worden .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Bevorrechtigung des Carsharing

(Carsharinggesetz – CsgG)


Drucksache 18/11285
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Wenn die Kolleginnen und Kollegen zügig ihre Plätze
einnehmen, kann ich die Debatte eröffnen. – Als erster
Redner in der Debatte hat Steffen Bilger für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Steffen Bilger (CDU):
Rede ID: ID1822127800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Automobilität heißt heute nicht mehr nur, mit dem ei-
genen Pkw unterwegs zu sein . Ein Auto ist für viele
Menschen nach wie vor wichtig, aber sie benötigen dafür
nicht immer zwangsläufig ein eigenes. Unterschiedliche
Verkehrsmittel werden vermehrt flexibel genutzt und
kombiniert . Das gilt in ganz besonderem Maße für jünge-
re Menschen . Für diese veränderte Nachfrage sind in den
letzten Jahren viele neue Angebote entstanden . In den
Metropolen und größeren Städten kann man es jeden Tag
besonders gut beobachten: Carsharing boomt und ist in-
zwischen aus unseren Städten nicht mehr wegzudenken .

Carsharing bietet ein riesiges Potenzial und viele Vor-
teile für eine intelligente und nachhaltige Mobilität . Das
wollen wir fördern .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ein Gesetz, das dieser veränderten Wirklichkeit der Men-
schen Rechnung trägt und Hemmnisse für Carsharing
abbaut, ist daher ein wichtiger Schritt . Der vorliegende
Gesetzentwurf stellt dafür die notwendigen Weichen .

Seit Anfang der 2000er-Jahre ist die Anzahl der Carsha-
ring-Fahrzeuge und -Nutzer massiv gestiegen . Seit dem
Jahr 2011 erleben wir sogar einen richtigen Boom . Hat-

Peter Meiwald






(A) (C)



(B) (D)


ten wir im Jahr 2011 noch circa 300 000 fahrberechtigte
Nutzer, so waren es im Jahr 2016 bereits knapp 1,3 Mil-
lionen . Auch die Zahlen zu Fahrzeugen und Stationen
belegen dieses rasante Wachstum . Kräftig wachsen nicht
nur die stationsabhängigen Carsharing-Dienste . Insbe-
sondere die sogenannten Free-Floating-Angebote, also
stationsunabhängige Carsharing-Systeme, wie wir sie
besonders in den großen Städten wie Berlin, Hamburg,
München oder Stuttgart finden, erfreuen sich in jüngster
Zeit immer größerer Beliebtheit .

Die Gründe für dieses Wachstum sind komplex und
vielschichtig . Neue Nachfrage- und Nutzungsstrukturen,
veränderte urbane Wohnformen und eine steigende An-
zahl von Bewohnern in größeren Städten, um nur einige
wichtige Punkte zu nennen, tragen zum großen Erfolg
des Carsharings bei. Hieraus eröffnen sich enorme Chan-
cen, flexible und nachhaltige Verkehrskonzepte zu för-
dern, die Elektromobilität weiter voranzubringen, Um-
weltbelastungen in vielerlei Hinsicht zu reduzieren und
die Lebensqualität in den Städten deutlich zu erhöhen .


(Sören Bartol [SPD]: Zwölf Jahre hat es jetzt gedauert!)


Doch wir müssen auch erkennen, dass diese Entwick-
lung vermehrt an ihre Grenzen stößt . Carsharing benötigt
entsprechende Flächen für Parkraum, die gerade in der
Stadt knapp sind . Wir als Politiker haben die Aufgabe,
diesen veränderten Realitäten Rechnung zu tragen und
die notwendigen Rahmenbedingungen dafür zu schaf-
fen, dass Carsharing attraktiv bleibt und weiter wachsen
kann .

Der vorliegende Gesetzentwurf kommt diesem Ziel
in hervorragender Weise nach . Gut Ding braucht Wei-
le . Gerade kam schon der Zwischenruf: Zwölf Jahre hat
es gedauert . – Es ist kein Geheimnis, dass auch wir uns
gewünscht hätten, die nun vorliegende Regelung hätte
früher zur Abstimmung gestanden . Auch die ursprüng-
lich angedachte Kopplung mit dem Elektromobilitäts-
gesetz war wegen der vielen rechtlichen Parallelen und
der gemeinsamen Grundlage der nachhaltigen Mobilität
ein guter Gedanke . Es hat etwas länger gedauert . Aber
mit diesem Gesetz wird es gelingen, Carsharing auf der
Überholspur zu halten und Hemmnissen frühzeitig zu be-
gegnen .

Ländern und Kommunen räumt das Gesetz die Mög-
lichkeit ein, Sonderparkplätze oder kostenfreies Parken
für Carsharingfahrzeuge im öffentlichen Verkehrsraum
einzurichten . Hierfür gab es bislang keine Ermächti-
gungsgrundlagen . Dies wird mit dem Gesetz nun in aller
Klarheit im deutschen Recht verankert. Zudem schaffen
wir die notwendigen Regelungen für eine Kennzeich-
nung der Fahrzeuge . Kommunen haben in Zukunft die
Möglichkeit, Carsharing in ihrer Stadt oder Gemeinde
besser zu unterstützen, und zwar ganz unabhängig da-
von, ob es sich um stationsgebundenes Carsharing oder
Freefloating handelt. So schaffen wir die Voraussetzun-
gen dafür, dass Carsharing weiter adäquat wachsen kann .

Der vorliegende Gesetzentwurf trägt auch Aspekten
der Stadtentwicklung Rechnung . Parksuchverkehre für
Carsharingfahrzeuge werden durch die Regelungen deut-
lich vermindert . Zudem entsteht durch die Ausweitung

von Carsharing auch insgesamt ein Entlastungseffekt für
den öffentlichen Raum, da weniger Parkplätze und Stell-
flächen benötigt werden und die sich neu eröffnenden
Räume anderweitig genutzt werden können .

Zusätzlich werden wir auch die Elektromobilität und
alternative Antriebe mit dem Gesetz weiter voranbrin-
gen . Das Angebot von Fahrzeugen mit alternativen An-
trieben wird ein wesentliches Kriterium bei der Auswahl
geeigneter Anbieter für die Zuweisung von Sonderstell-
flächen sein. Somit enthält der Gesetzentwurf einen zu-
sätzlichen Hebel für eine nachhaltige Mobilität und die
Verbesserung der Luftqualität in den Städten, den ich
sehr begrüße . Nicht zuletzt deshalb gehört Carsharing zu
den Maßnahmen, die in unseren großen Städten bewir-
ken sollen, dass Fahrverbote aufgrund von Schadstoff-
grenzwertüberschreitungen vermieden werden können .

Ich bin davon überzeugt, dass wir mit diesem Gesetz
die richtigen Weichen für eine weitere Verbreitung des
Carsharing stellen, das aus Klima-, Umwelt- und städte-
baulicher Sicht viele positive Wirkungen entfalten wird .
Ich bitte Sie daher um Unterstützung für dieses Vorha-
ben .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822127900

Vielen Dank . – Nächster Redner für die Fraktion Die

Linke ist der Kollege Herbert Behrens .


(Beifall bei der LINKEN)



Herbert Behrens (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822128000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es wurde eben schon gesagt: Von null auf 100 in zwölf
Jahren, das ist selbst für Verkehrspolitiker eine beein-
druckende Hausnummer . Aber es geht ja auch darum,
die wichtige Frage, die 2005 gestellt worden ist, zu ent-
scheiden: Darf es im öffentlichen Raum privilegierte
Parkflächen für Carsharingfahrzeuge geben? Jetzt, im
Jahr 2017, wird die Frage mit Ja beantwortet . Besser spät
als nie, könnte man sagen .


(Sören Bartol [SPD]: Stimmt!)


Das ist auch nicht ganz falsch .

Aber, ich denke, man kann daran auch sehen, wie die
Große Koalition Verkehrspolitik macht . Wann wird eine
schnellere Gangart eingelegt? Das ist jetzt der Fall . Wenn
wir uns ansehen, wie sich der Carsharingmarkt zusam-
mensetzt, erkennen wir, warum . Erst jetzt, wo große Un-
ternehmen wie BMW oder Daimler auf dem Markt sind,
wird man aktiv . Früher waren es überwiegend ehrenamt-
lich organisierte Vereine, die ihren Mitgliedern Autos zur
Verfügung stellen konnten . Die Vereinsmitglieder woll-
ten auf ein privates Auto verzichten . Sie wollten ein Auto
nur für wenige Fahrten nutzen . Dieses konnten sie sich
mit anderen teilen . Dahinter steckte und steckt die Idee
einer anderen Verkehrspolitik: weg vom motorisierten
Individualverkehr, hin zum gemeinschaftlich genutzten

Steffen Bilger






(A) (C)



(B) (D)


Verkehrsmittel . Ich meine, das ist eine kluge Verkehrspo-
litik, die unbedingt unterstützt werden muss .


(Beifall bei der LINKEN)


Inzwischen haben sich auch die Vereine verändert .
Sie haben sich zusammengeschlossen und sind teilwei-
se bundesweit am Start . Sie treten mit den großen Auto-
firmen in die Konkurrenz um Kundinnen und Kunden.
Doch eines hat sich nicht geändert: Bei den kleinen An-
bietern werden die Autos weiterhin auf festen Stellplät-
zen stationiert. Die Freefloater stehen an allen möglichen
Stellen, häufig dort, wo es nicht erlaubt ist, zum Beispiel
in den Halteverboten und auf Fahrradwegen . Manchmal
wird so argumentiert, dass sie ja auch total schnell wieder
weg sind, weil sie über das Smartphone geordert werden
können . So hat es mir zumindest jemand berichtet, der
das einmal mit seinem Smartphone gemessen hat .

Dass in Zukunft zwischen den unterschiedlichen
Carsharinganbietern eine Konkurrenz um die Sonder-
parkplätze eintritt, ist nicht ausgeschlossen . Die Städte
werden noch viel Fantasie und Kreativität aufbringen
müssen, um zu verhindern, dass es zu einer Verdrängung
von Vereinsfahrzeugen kommt . Darum ist es wichtig,
dass nach vier Jahren geprüft wird, ob Sinn und Zweck
des Gesetzes erreicht wurden, ob es die Folgen hat, die
es haben sollte .

Die Linke sieht das stationsbasierte Carsharing als
eine Chance für weniger Autos in Städten . Das belegen
auch die Zahlen . Der Sprecher des Bundesverbandes
CarSharing, bcs, Herr Nehrke, sagt in der Berliner Zei-
tung: 78 Prozent der Nutzer von stationsgebundenen Au-
tos haben kein eigenes Auto, bei den Nutzern von Free-
floatern sind es nur 43 Prozent.

Da wird auch der Unterschied, über den wir hier re-
den, deutlich: Es sind zwei unterschiedliche Systeme,
die mit einem Gesetz reguliert werden sollen . Das kann
durchaus zu Problemen führen . Stationsbasierte Autos
werden dann genutzt, wenn der öffentliche Personennah-
verkehr oder das Fahrrad nicht ausreicht und diese Lücke
gefüllt werden muss; das Angebot, das gemacht wird, ist
also sehr gezielt. Stationsunabhängige Freefloater wer-
den häufig genutzt, um sich ein Taxi zu sparen oder nicht
in den Bus steigen zu müssen .

Die Bundesregierung verbindet trotzdem große Ziele
mit diesem Gesetz . Geworben wird mit dem Klimaschutz
und mit der Verminderung des motorisierten Individual-
verkehrs, weil Menschen auf ihr privates Auto verzich-
ten . Carsharing könnte mit einer Marktdurchdringung
mit neuen umweltschonenden Antriebstechnologien wie
E-Mobilität verbunden werden . Ich weiß nicht, ob die-
ses Gesetz das wirklich leisten wird . Doch beide Syste-
me des Carsharings sind aus unserer Sicht eine sinnvolle
Ergänzung des Mobilitätsangebotes . Darum stehen wir
auch dazu . Wir werden bei der weiteren Beratung des
Gesetzentwurfes auf das Kleingedruckte achten müssen .
Das werden wir auch tun; denn eine sozial-ökologische
Verkehrswende ist für die Linksfraktion die Grundlage
für eine menschen- und klimaverträgliche Mobilitätspo-
litik .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822128100

Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kol-

lege Arno Klare das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Arno Klare (SPD):
Rede ID: ID1822128200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Solche Debat-
ten – das hat Ihre Vorgängerin auf dem Präsidentenstuhl
gesagt – sind manchmal lehrreich . Wir haben heute schon
verschiedene Sprichwörter und etwas von Vespasian ge-
hört . Man kann es auch mit einem deutschen Sprichwort
ausdrücken: Was lange währt, wird endlich gut . – Es ist
wirklich gut geworden .

Als ich vor drei Jahren in den Deutschen Bundes-
tag kam, hat mir Sören Bartol gesagt: Es gibt da so ein
Carsharinggesetz . Das ist keine große Sache, aber es
dauert schon zehn Jahre . – Jetzt sind drei weitere Jahre
hinzugekommen . Er hat mir persönlich dann mit auf den
Weg gegeben: Bring das endlich zu Ende . – Das habe
ich natürlich nicht allein geschafft. Herr Bilger und viele
andere waren dabei . Jetzt ist dieser Gesetzentwurf aber
Gott sei Dank auf der Zielgeraden .

Wir müssen uns eines klarmachen: Es gibt in den
Köpfen der Menschen so etwas wie eine Verkehrswende .
20 Prozent der Führerscheininhaber können sich laut ei-
ner Umfrage vorstellen, auf das eigene Auto zu verzich-
ten; 20 Prozent, das ist ein Fünftel . Es gibt eine Studie
für die Stadt Hamburg, die zu dem Ergebnis kommt, dass
eine relativ geringe Zahl von Carsharingfahrzeugen die
Hälfte der privaten Kfz ersetzen könnte, ohne dass es
Mobilitätsverluste gäbe, einfach deshalb, weil das Auto
geshared, also von vielen benutzt wird . Für New York
gibt es im Übrigen eine Studie, die zu einem ähnlichen
Ergebnis kommt .

Im wahrsten Sinne des Wortes – wirklich im wahrsten
Sinne des Wortes – ist Carsharing die Chance für urbane
Räume, wieder Luft zum Atmen zu haben .


(Beifall bei der SPD)


Insofern ist dieser Gesetzentwurf aufgrund der ökologi-
schen Dimension, die darin enthalten ist, in der Tat sehr
wichtig, auch wenn die Einschätzung von Sören Bartol,
dass er keine ganz große Sache ist, im Prinzip richtig war .
Aber er ist ein Mosaikstein in der Verkehrswende .

Ich stelle fest, dass auch die OEMs – weil die Kanz-
lerin in ihrer Anhörung im Untersuchungsausschuss ge-
fragt hat, was OEMs sind, und dieser Begriff dann erläu-
tert werden musste, erkläre ich ihn auch hier –, also die
Automobilhersteller, umdenken .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Das war keine Anhörung! Das war eine Vernehmung!)


Denn die Unternehmen sagen nicht mehr: „Wir sind Au-
tomobilhersteller“, sondern sie sagen: „Wir sind Anbie-

Herbert Behrens






(A) (C)



(B) (D)


ter von Mobilitätsdienstleistungen der Zukunft .“ Dazu
gehört – integriert – auch das Carsharing, und zwar in
der Form des Freefloating. Das heißt, die Zukunft wird
nicht von dem Auto, das ich besitze, bestimmt, sondern
von Mobilität, die multimodal und intermodal sein wird .
Carsharing ist ein Element davon . Das gilt übrigens auch
für die ländlichen Räume, Stichwort „Dorfauto“ . Das
gibt es heute schon .

Wir haben uns – wenn ich „wir“ sage, dann meine ich
die SPD-Fraktion und vor allen Dingen die Verkehrspo-
litiker in der SPD-Fraktion – eine Regelung im Straßen-
verkehrsrecht gewünscht . In dem Diskussionsprozess
haben wir dann aber lernen müssen – auch ich habe das
lernen müssen –, dass wir das nicht bundeseinheitlich im
Straßenverkehrsrecht regeln können – der Bund ist nun
einmal nicht für Landstraßen und Stadtstraßen zustän-
dig –, sondern dass wir das sozusagen gestuft machen
müssen .


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt Studien, die etwas anderes sagen!)


– Ja, ich kenne diese Studien auch, ich habe sie alle ge-
lesen. – Wir haben uns dieser Rechtsauffassung aber ir-
gendwann einmal gebeugt und gesagt: Wir machen das
so .

Ich stelle fest, dass die ganze Szene des Carsharings –
auch der Carsharingverband – mit dem jetzt vorliegenden
Gesetzentwurf hochzufrieden ist . Gleichwohl müssen
wir in der Debatte drei Punkte eventuell noch einmal in
den Blick nehmen . Das ist ja immer so, wenn wir anfan-
gen, über etwas zu debattieren .

Einen Punkt hat Herr Bilger gerade schon erwähnt:
Der Parkdruck in den Innenstädten wird deutlich ver-
ringert . Das steht als expliziter Begründungszusammen-
hang bisher aber nicht im Gesetzentwurf . Das sollten wir
eventuell noch als wichtigen Punkt aufnehmen .

Zweiter Punkt . Wir müssen uns vielleicht auch noch
einmal Gedanken darüber machen – das ergibt sich aus
der Rückmeldung der Verbände und vor allen Dingen des
Städte- und Gemeindebundes sowie der kommunalen
Spitzenverbände –, ob wir beim Vergabeverfahren mit
diesem riesengroßen „Besteck“ aufwarten müssen oder
ob es nicht vielleicht auch kleiner geht .

Das Gleiche gilt – das ist der dritte Punkt, den ich
noch anmerken möchte – in Bezug auf die Verlängerung
des fünf Jahre laufenden Vertrages . Wir müssen uns fra-
gen, ob es nicht eine Möglichkeit gibt – zum Beispiel im
Interessenbekundungsverfahren –, sich davon zu lösen .
In kleineren und mittleren Städten wird es nämlich wahr-
scheinlich gar nicht wahnsinnig viele Bewerber geben,
sondern man wird einen finden müssen, und man wird
vielleicht froh sein, wenn man dann einen gefunden hat .
Insofern müssen wir darüber noch einmal nachdenken .

Ich hoffe, dass wir konstruktive Debatten darüber füh-
ren werden . Mit allen bisherigen Äußerungen – auch de-
nen von Herbert Behrens und vom Kollegen Bilger – war
ich sehr zufrieden, weil das, was wir hier gehört haben,
sehr konstruktiv war . Ich bin mir ziemlich sicher, dass
wir nachher hier im Deutschen Bundestag ein Carsha-

ringgesetz verabschieden werden, das nach zwölf Jahren
endlich diese Möglichkeiten einräumt .

Danke .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Wir sind immer konstruktiv!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822128300

Vielen Dank . – Jetzt spricht Matthias Gastel für Bünd-

nis 90/Die Grünen .


Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822128400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Mobilität verändert sich . Mobilität ist heute nicht mehr
automatisch Automobilität, und Automobilität bedeutet
heute nicht mehr automatisch, Eigentum am Auto haben .

Die Mobilität ändert sich auch durch steigende Anteile
des öffentlichen Nahverkehrs und durch eine Zunahme
des Radverkehrs sowie dadurch, dass zunehmend ver-
schiedene Verkehrsmittel miteinander kombiniert wer-
den, dass zum Beispiel mit dem Fahrrad zum Bahnhof
gefahren oder mit der Bahn möglichst nah ans Ziel her-
angefahren wird, um dann mit dem Carsharingauto end-
gültig ans Ziel zu fahren .

Seit zehn Jahren wird diskutiert, dass ein Carsharing-
gesetz notwendig ist, um die erforderliche Rechtssicher-
heit beim Parken zu schaffen. Acht Jahre davon haben
Große Koalitionen regiert . Initiativen vom Bundesrat und
auch von uns Grünen wurden in dieser Zeit abgeschmet-
tert . Jetzt liegt endlich ein Gesetzentwurf vor . Endlich
haben wir etwas, woran wir uns abarbeiten können . End-
lich liegt etwas vor, bei dem wir noch versuchen können,
es besser zu machen, als es jetzt eingebracht wurde . Dazu
möchte ich vier kritische Aspekte anmerken .

Erstens . Der Bundesregierung fehlt ein Mobilitätskon-
zept mit Carsharing als einer von mehreren Säulen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Menschen kombinieren zunehmend verschiedene
Verkehrsmittel . Sie nutzen die Verkehrsmittel also rati-
onaler als früher . Sie wählen für den jeweiligen Weg das
jeweils passende Verkehrsmittel und kombinieren diese .
Die Bundesregierung denkt die Verkehrsmittel aber noch
viel zu stark separat jeweils für sich .

Die Bundesregierung übersieht, dass Carsharing auch
eine Chance für das Thema Elektromobilität ist . Wer über
Carsharingautos Elektromobilität auf der Straße erlebt,
wird fasziniert sein und dann, wenn es um die Anschaf-
fung eines Autos geht, vielleicht eher an ein Elektroauto
denken und auch dafür werben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens . Der Gesetzentwurf ist zu bürokratisch und
zu kompliziert . Die Länder müssen für die Rechtssicher-
heit der Kommunen und der Anbieter sorgen . Es liegen
mehrere Rechtsgutachten vor, die belegen, dass es auch

Arno Klare






(A) (C)



(B) (D)


anders gehen kann, nämlich über das Straßenverkehrs-
recht und damit über das Bundesrecht .


(Sören Bartol [SPD]: Das machen wir jetzt nicht mehr! Das ist jetzt vorbei!)


Drittens . Der Gesetzentwurf enthält keine Umweltvor-
gaben für die Carsharingflotten. Wir brauchen zunächst
einmal ganz generell klare und realistische Angaben für
die CO2-Emissionen und die Stickoxidemissionen des
Automobils . Dann können wir auch entsprechende Vor-
gaben für den Bereich des Carsharings machen – so wie
es ursprünglich im Referentenentwurf für dieses Gesetz
vorgesehen war .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Viertens . Das private Carsharing ist von diesem Ge-
setzentwurf nicht erfasst . Auch der Bundesrat hat das
moniert. Wir hoffen, dass sich hier noch eine Lösung
findet. Das ist in der Tat nicht ganz einfach. Wir hoffen,
dass sich im weiteren Verfahren noch eine Lösung dafür
finden lässt.

Unser Fazit: Es ist gut, dass endlich ein Gesetzentwurf
für die Stärkung des Carsharings vorliegt; denn Carsha-
ring braucht Rechtssicherheit, um seine Potenziale noch
besser als bisher ausschöpfen zu können . Ich erinnere
daran, dass ein Carsharingauto mindestens sechs Privat-
fahrzeuge ersetzen kann .

Ich habe unsere Kritik an dem Gesetzentwurf vorge-
bracht . Das Gesetz ist allerdings nicht so schlecht, dass
es nicht auch noch gut werden könnte . Deswegen setzen
wir auf das weitere Verfahren . Wir werden uns hier kri-
tisch und konstruktiv in der Hoffnung einbringen, dass
am Ende noch etwas wirklich Gutes daraus wird .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822128500

Vielen Dank . – Jetzt hat Carsten Müller, CDU/

CSU-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Carsten Müller (CDU):
Rede ID: ID1822128600

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Eigentlich ist Carsharing ein Thema, von dem
ich dachte, dass wir es alle hier im Haus fraktionsüber-
greifend sehr positiv begleiten . Deswegen war ich ein
bisschen verwundert, Kollege Gastel, als Sie hier so ein
wenig, finde ich, unbotmäßig laut aufs Dach gehauen ha-
ben . Denn wenn Sie die Große Koalition dafür kritisie-
ren, dass es ein bisschen gedauert hat, dann heißt das ja
nur, dass wir uns sorgfältig um das Thema gekümmert
haben . Sie haben leider verschwiegen, dass Sie, als die
Grünen in der Bundesregierung waren, gar nicht auf die
Idee gekommen sind, ein Carsharinggesetz auf den Weg
zu bringen .


(Sören Bartol [SPD]: Das stimmt nicht! Das ist nicht wahr!)


– Wie auch immer, meine Damen und Herren, jedenfalls
hat es nicht zum Erfolg geführt .


(Sören Bartol [SPD]: Das war die Neuwahl, die dazwischenkam! Das tut mir jetzt leid!)


– Das mag Ihnen leidtun, Herr Bartol, aber damit können
Sie leben und ich auch .

Meine Damen und Herren, Carsharing ist ein wichti-
ger Baustein der Mobilitätspolitik .


(Kirsten Lühmann [SPD]: Man sollte schon bei der Wahrheit bleiben!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822128700

So, aber jetzt hat Herr Müller das Wort .


(Kirsten Lühmann [SPD]: Auch wenn er nicht die Wahrheit sagt?)


– Er darf sagen, was er will .


Carsten Müller (CDU):
Rede ID: ID1822128800

Es ist deswegen ein wichtiger Baustein, weil es ers-

tens klima- und umweltfreundlich ist und weil damit
zweitens richtigerweise der Ansatz verfolgt wird, um-
welt- bzw . klimafreundliches Verhalten zu privilegieren,
anstatt zu verbieten . Es bevorzugt kluges, intelligentes
Verkehrsverhalten, und es schafft Anreize, anstatt Hür-
den aufzubauen . Das ist so ein bisschen das Gegenteil
von dem, was einige Mitglieder des Hauses sich wün-
schen, nämlich Steuererhöhungen, Fahrverbote, Verteu-
felung der Dieseltechnologie und Bevormundung .

Bei dem zweiten Ansatz, den wir ausdrücklich nicht
für richtig halten, würde vollkommen ausgeblendet, dass
sich damit nicht hinzunehmende soziale Konsequenzen
für die Bürgerinnen und Bürger ergäben und das Hand-
werk und der Mittelstand zu leiden hätten .

Meine Damen und Herren, fest steht: Um Klimaziele
zu erreichen, müssen die Treibhausemissionen bis zum
Jahr 2050 im Vergleich zu 1990 um bis zu 95 Prozent
reduziert werden . Der Verkehrsbereich hat hierzu einen
ganz erheblichen Beitrag zu leisten . Insofern ist das ein
wichtiges Gesetz . Des Weiteren müssen wir alle Anstren-
gungen unternehmen, intelligente Verkehrsverlagerun-
gen zu unterstützen . Kollege Klare hat richtigerweise
gesagt: Integrative Mobilitätskonzepte sind hier die Ant-
wort der Wahl . Carsharing kann hierbei ein besonders
wichtiges Puzzlestück sein .

Der Vorredner hat eben allerdings richtigerweise
gesagt, dass es eine Reihe von Studien gibt, die nach-
weisen, dass bis zu 6 Privatfahrzeuge durch ein Carsha-
ringfahrzeug ersetzt werden können, teilweise geht man
sogar von bis zu 20 aus . Relativ unbestritten ist jedoch,
dass die CO2-Emissionen durch umfangreiches Carsha-
ring um rund 6 Millionen Tonnen pro Jahr verringert
werden können . Das sind immerhin 4 Prozent der ver-
kehrsbedingten CO2-Emissionen, die wir haben . Der oft
diskutierte Schwefeldioxidausstoß würde um 5 Prozent
zurückgeführt werden . Bei den Stickoxiden würden wir
sogar eine Reduktion um mehr als 6 Prozent erreichen
können .

Matthias Gastel






(A) (C)



(B) (D)


Ganz wichtig – deswegen ist das ein Thema, das die
Leute bewegt – ist eben auch der Gesichtspunkt, dass wir
die Städte vom Verkehr entlasten, Parkdruck lindern und
auch Anreize für neue Geschäftsmodelle setzen . Auch
das liegt uns als Union außerordentlich stark am Herzen .

Meine Damen und Herren, ich finde, wir sollten Fol-
gendes ebenfalls betonen: Carsharing bietet eine gute
Möglichkeit bzw . einen guten Ansatzpunkt, um auch
Elektromobilität dort, wo es sehr viel Sinn macht, zu
unterstützen und zu fördern . Es geht – das will ich ab-
schließend gerne noch ansprechen – nicht nur um Elek-
tromobilität, sondern auch um sonstige alternative An-
triebskonzepte. Deswegen finde ich es wichtig, in diesem
Zusammenhang auch das Thema der steuerlichen Privi-
legierung von Erdgasantrieben und von Flüssiggasantrie-
ben zu erwähnen . Da sind wir im Moment in der Bera-
tung . Gerade das Thema Carsharing eignet sich dafür,
weil die Ladeinfrastruktur vorhanden ist und auch die
Art des Nachladens und des Nachbetankens aus meiner
Sicht gerade beim Carsharing sinnvoll kombiniert wer-
den kann .

Wir wollen das Thema der steuerlichen Privilegierung
in der nächsten Zeit hier in diesem Hause beraten . Wir
als Union wollen uns insbesondere für das Thema Ga-
santrieb insgesamt einsetzen . In der Kombination mit
Carsharingangeboten haben wir hier gute Chancen, der
Umwelt Gutes zu tun .

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822128900

Gestatten Sie eine Frage der Kollegin Lühmann? – Sie

sind fertig .


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)


Damit sind wir am Ende der Aussprache . – Wenn der
Herr Kollege keine Frage zulässt, lässt er keine zu . Er
darf das selbst entscheiden .


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD – Kirsten Lühmann [SPD]: Ich möchte eine Kurzintervention machen!)


– Ich verstehe jetzt gar nichts .


(Kirsten Lühmann [SPD]: Eine Kurzintervention!)


– Eine Kurzintervention wird nicht vom Platz aus bean-
tragt . Dafür hätte schon die Geschäftsführerin kommen
müssen . Jetzt ist aber die Zeit abgelaufen .


(Heiterkeit im ganzen Hause – Sören Bartol [SPD], an die CDU/CSU gewandt: Da habt ihr Glück gehabt!)


Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/11285 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
hierzu weitere Vorschläge? – Ich sehe, das ist nicht der
Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än-

derung des Strafgesetzbuchs, des Jugendge-
richtsgesetzes, der Strafprozessordnung und
weiterer Gesetze

Drucksache 18/11272
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit

Die Reden werden zu Protokoll gegeben . – Ich sehe,
Sie sind damit einverstanden .1)

Interfraktionell wurde vereinbart, den Gesetzentwurf
auf Drucksache 18/11272 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse zu überweisen . – Auch hierzu
sehe ich keine anderen Vorschläge . Dann ist das so be-
schlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Sicherheitsüberprüfungsgeset-
zes

Drucksachen 18/11281, 18/11407
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss

Auch hier werden die Reden zu Protokoll gegeben . –
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden .2)

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf den Drucksachen 18/11281 und 18/11407 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen . Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Ich
sehe, das ist nicht der Fall . Dann ist die Überweisung so
beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-
gie (9 . Ausschuss)


– zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des
Europäischen Parlaments und des Ra-
tes über die Durchsetzung der Richtli-
nie 2006/123/EG über Dienstleistungen
im Binnenmarkt, zur Festlegung eines
Notifizierungsverfahrens  für  dienstleis-
tungsbezogene Genehmigungsregelungen
und Anforderungen sowie zur Änderung
der Richtlinie 2006/123/EG und der Ver-
ordnung (EU) Nr. 1024/2012 über die
Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe
des Binnenmarkt-Informationssystems
KOM(2016) 821 endg.; Ratsdok. 5278/17

– zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des
Europäischen Parlaments und des Rates

1) Anlage 7
2) Anlage 8

Carsten Müller (Braunschweig)







(A) (C)



(B) (D)


über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung
vor Erlass neuer Berufsreglementierungen
KOM(2016) 822 endg.; Ratsdok. 5281/17

– zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des
Europäischen Parlaments und des Ra-
tes über den rechtlichen und operativen
Rahmen für die durch die Verordnung ...
[ESC Regulation] eingeführte Elektro-
nische Europäische Dienstleistungskarte
KOM(2016) 823 endg.; Ratsdok. 5283/17

– zu dem Vorschlag für eine Verordnung des
Europäischen Parlaments und des Rates
zur Einführung einer Elektronischen Eu-
ropäischen Dienstleistungskarte und ent-
sprechender Verwaltungserleichterungen
KOM(2016) 824 endg.; Ratsdok. 5284/17

hier: Stellungnahme gemäß Protokoll Nr. 2

(Grundsätze der Subsidiaritätsund Verhältnismäßigkeitsprüfung)


Drucksachen 18/11229 A.8 bis A.11, 18/11442

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Auch dazu
höre ich keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Wir müssen die Reihenfolge der Redner etwas umstel-
len, da noch nicht alle eingetroffen sind. Die Kollegin
Lena Strothmann von der CDU/CSU-Fraktion darf die
Debatte eröffnen. – Bitte schön.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Lena Strothmann (CDU):
Rede ID: ID1822129000

Danke schön . – Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Die Europäische Kommission hat im Zuge ih-
rer Binnenmarktstrategie am 10 . Januar dieses Jahres
ihr Dienstleistungspaket vorgelegt . Ziel dieser Bin-
nenmarktstrategie ist unter anderem, das Potenzial des
europäischen Binnenmarktes freizusetzen, die Wettbe-
werbsfähigkeit zu steigern und Hemmnisse im Dienst-
leistungsverkehr abzubauen .

Eine vorbereitende Maßnahme war zum Beispiel die
Transparenzinitiative der Europäischen Kommission, die
zwei Jahre lang die reglementierten Berufe auf den Prüf-
stand gestellt hat .

In ihren länderspezifischen Empfehlungen aus dem
Jahr 2011 hat die Kommission die reglementierten Be-
rufe und den deutschen Meister erstmals als Binnen-
marktschranke bezeichnet und die Aufweichung der
Berufsreglementierungen gefordert . 5 600 reglementier-
te Berufe, das ist eindeutig zu viel, so die Aussage der
zuständigen EU-Kommissarin Bienkowska . Aus ihrer
Sicht gibt es noch immer zu viele Hürden bei der gren-
züberschreitenden Dienstleistungserbringung . Ursache
ist laut Kommission vor allen Dingen die Gesetzgebung
der Mitgliedstaaten .

Circa 50 Millionen Menschen – 22 Prozent aller Er-
werbstätigen in Europa – arbeiten in reglementierten
Berufen . Deutschland hat lediglich 149 reglementierte

Berufe, davon 41 im Handwerk . Im europäischen Durch-
schnitt sind es mit circa 200 deutlich mehr .

Das Dienstleistungspaket soll jetzt eine höhere Durch-
lässigkeit und mehr Wettbewerb schaffen. Diese Maß-
nahmen schießen jedoch eindeutig über das Ziel hinaus .

Inhalt des Dienstleistungspakets sind vier Einzelmaß-
nahmen, von denen drei als Richtlinie rechtlich verbind-
lich sein sollen: die elektronische Dienstleistungskarte,
das Notifizierungsverfahren und die Verhältnismäßig-
keitsprüfung von Berufsreglementierungen . Zudem gibt
es noch eine Verordnung zur Dienstleistungskarte und
eine Empfehlung zur Berufsreglementierung .

Die Hoffnung, dass das gesamte Dienstleistungspa-
ket empfehlenden Charakter haben wird, hat sich leider
zerschlagen . Die aktuellen Vorschläge zielen darauf ab,
unsere vergleichsweise hohen Anforderungen und Quali-
tätsstandards für Berufszugänge aufzuweichen .

Das Dienstleistungspaket ist ein weiterer Schritt in
Richtung Deregulierung . Das, meine Damen und Herren,
ist nicht gut für Deutschland .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Betroffen sind vor allem Unternehmensdienstleis-
tungen und freie Berufe wie Architekten, Ingenieure,
Wirtschaftsprüfer und Steuerberater sowie der gesamte
Bausektor . Aber auch das Handwerk mit den Ein- und
Ausbaugewerken und den Gebäudereinigern ist betrof-
fen, und damit auch der deutsche Meister . Er steht bei
uns noch immer für Qualität und Ausbildung . Hier legt
die Kommission die Axt an den deutschen Meister . Auch
das dürfen wir nicht zulassen .

Das Handeln der Kommission ist nicht nachvollzieh-
bar . Auf der einen Seite bewertet sie unser duales Aus-
bildungssystem als Best Practice gegen die hohe Jugend-
arbeitslosigkeit vor allen Dingen in Südeuropa . Auf der
anderen Seite stuft die Kommission den Meisterbrief als
Hemmnis für den Berufszugang im Binnenmarkt ein .
Auch wenn die Kommission dabei immer wieder betont,
den deutschen Meister nicht abschaffen zu wollen, lau-
fen die jetzt vorgelegten Richtlinienvorschläge darauf
hinaus .

Meine Damen und Herren, mit ihren Richtlinienvor-
schlägen wie dem geplanten Notifizierungsverfahren
verletzt die Kommission die Grundsätze der Verhältnis-
mäßigkeit sowie der Subsidiarität nach dem Vertrag von
Lissabon . Auch im Blick auf die Berufsreglementierung
überschreitet sie ihre Kompetenzen .

Für die Reglementierung der freien sowie der Hand-
werksberufe sind die Mitgliedstaaten zuständig . Auch
hier verletzt der Kommissionsvorschlag die Grundsätze
der Verhältnismäßigkeit und der Subsidiarität, sodass wir
eine Subsidiaritätsrüge gegen das Dienstleistungspaket
erheben . Dies tun ebenfalls der Bundesrat und auch das
französische Parlament . Der Deutsche Bundestag hat von
dem Instrument der Subsidiaritätsrüge seit dem Vertrag
von Lissabon nur selten Gebrauch gemacht . Deshalb ist
es, meine Damen und Herren, an der Zeit, dass wir als
nationales Parlament unser Kontrollrecht nutzen und die
Verstöße gegen die Subsidiarität rügen .

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


Trotz der knappen Frist haben wir es geschafft, eine
gemeinsame Rüge mit dem Koalitionspartner auf den
Weg zu bringen . An dieser Stelle möchte ich ein herzli-
ches Dankeschön an den Koalitionspartner für die gute
Zusammenarbeit und die schnelle und unkomplizierte
Abstimmung richten .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Vor allem die osteuropäischen Staaten, aber auch die
Skandinavier und die Briten – trotz Brexit – unterstützen
die Vorschläge .

Für mich als Handwerksmeisterin und Sprecherin un-
serer Fraktion für das Handwerk sind zwei Punkte beson-
ders kritisch: einmal die Überprüfung der Verhältnismä-
ßigkeit der Berufsreglementierungen und zum anderen
die Elektronische Europäische Dienstleistungskarte .
Deshalb will ich auf beide gesondert eingehen .

Die Europäische Kommission kritisiert unverhältnis-
mäßige und veraltete Reglementierungen als Hemmnis
zum Berufszugang . Sie schlägt daher Verhältnismäßig-
keitsprüfungen bei der Verabschiedung neuer Reglemen-
tierungen oder Änderungen vor . Hierzu werden elf neue
Prüfkriterien vorgeschlagen, durch weitere zehn ergänzt,
die die Entscheidungskompetenzen der nationalen Ge-
setzgeber einschränken . Die Annahme, dass Deregulie-
rung und Liberalisierung zu mehr Wachstum führen, ist
durchaus fraglich . Auch rechtlich gibt es da Zweifel .

Der EuGH hat bisher stets anerkannt, dass Berufs-
reglementierungen Sache der Nationalstaaten sind . Zu-
dem gibt es bereits vier Verhältnismäßigkeitskriterien
des europäischen Gesetzgebers im Rahmen der Aner-
kennungsrichtlinie . Auch die Mobilität im Binnenmarkt
ist durch die Richtlinie zur Anerkennung von Berufs-
qualifizierungen gewährleistet und funktioniert vor allen
Dingen . Die Prüfkriterien der Richtlinie schränken die
Entscheidungsautonomie nationaler Gesetzgeber weiter
ein . Außerdem müssen neue, unabhängige Stellen für
die Verhältnismäßigkeitsprüfung von Berufsreglemen-
tierungen eingerichtet werden . Das widerspricht dem
Verhältnismäßigkeitsprinzip und schafft neue, unnötige
Bürokratie .

Die Dienstleistungskarte soll grenzüberschreitende
Arbeiten erleichtern . Praktisch soll die Karte von Dienst-
leistern in ihrem Herkunftsland beantragt werden, um in
einem anderen Mitgliedstaat Leistungen zu erbringen .
Das Zielland muss die Dienstleistungskarte akzeptieren
und kann keine weiteren Anforderungen stellen . In der
Praxis sind die geplanten Prüffristen von zwei Wochen
viel zu kurz, sodass faktisch Genehmigungen ohne Prü-
fung erteilt werden . Auch hier sollen die Mitgliedstaaten
entsprechende Behörden einrichten . So werden Doppel-
strukturen geschaffen, da es bereits den einheitlichen An-
sprechpartner in den Mitgliedstaaten gibt .

Das Herkunftslandprinzip, das wir bei der Dienstleis-
tungsrichtlinie noch verhindert haben, wird hier durch
die Hintertür eingeführt . Das lehnen wir strikt ab . Auch
für Dienstleister aus anderen EU-Staaten müssen weiter
unsere Anforderungen gelten . Der Vorschlag schießt weit
über das Ziel hinaus und schränkt die Kompetenzen der

nationalen Parlamente ein . Es ist ein unverhältnismäßi-
ger Eingriff in die Verwaltung und das öffentliche Wirt-
schaftsrecht der Mitgliedstaaten . Es kann nicht Ziel sein,
neue, kostenintensive bürokratische Verwaltungsstruktu-
ren in den Mitgliedstaaten zu schaffen. Die Schwierig-
keiten im grenzüberschreitenden Dienstleistungsbereich
liegen an anderer Stelle, zum Beispiel in mangelnden
Sprachkenntnissen und unterschiedlichen technischen
Ausstattungen .

Mit der Subsidiaritätsrüge senden wir ein wichtiges
Signal nach Brüssel . Außerdem wehren wir uns dagegen,
dass jetzt schnell im informellen Trilog solche einschnei-
denden Entscheidungen getroffen werden. In unserem
Entschließungsantrag zur Binnenmarktstrategie im Juni
letzten Jahres haben wir uns bereits klar gegen solche
Eingriffe positioniert.

Europa steht vor großen Herausforderungen und ringt
um Wege aus der Krise . Einmischungen in die Subsidia-
rität und der Ausbau unnötiger und unverhältnismäßiger
Bürokratie in den Mitgliedstaaten bringen die Bürger
immer mehr gegen die EU auf . Maßnahmen wie das
Dienstleistungspaket treiben sie in die Arme der Europa-
gegner . Ich weiß nicht, wie ich das meinen Handwerkern
zu Hause erklären kann . Ich bitte daher um Ihre Unter-
stützung .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822129100

Vielen Dank . – Als nächstes hat Annalena Baerbock

für Bündnis 90/Die Grünen das Wort .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wir haben ja jetzt zu später Stunde noch
heftige Kost .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Seid ihr ja schuld!)


– Ja, zu Recht; das wollte ich gerade sagen . Es ist doch
sehr wichtig, dass wir das hier diskutieren – Sie wollten
das ja einfach so abstimmen lassen –; denn das Thema
ist sehr komplex . Das Thema ist, weil es hochjuristisch
ist, sicherlich keines, das die Herzen der Menschen er-
wärmen wird . Eher das Gegenteil ist der Fall . Wenn man
falsch argumentiert, droht die Gefahr, dass es wieder zur
Stimmungsmache gegen Europa taugt . Deswegen ist es
sehr wichtig, dass wir uns differenziert mit der Kritik
auseinandersetzen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Man muss hier zwischen materieller Kritik, dem, was
man inhaltlich in den Richtlinien falsch findet, und der
Subsidiaritätsfrage trennen . Frau Strothmann, das haben
Sie hier aus meiner Sicht leider alles durcheinanderge-
bracht; denn die Frage der Subsidiarität lautet: Hat die
EU hier eine Kompetenz? Darf die EU hier rechtlich ak-
tiv werden? Wir reden nicht darüber, wie viele Wochen
man jetzt eine Prüffrist hat. Das kommt später im Verfah-

Lena Strothmann






(A) (C)



(B) (D)


ren . Jetzt ist die Frage: Hat die EU hier Gesetzgebungs-
kompetenz? Das ist ein großer Unterschied . Gerade in
Zeiten, in denen es in Europa so stürmisch zugeht, sollte
man als Gesetzgeber diesen Unterschied immer berück-
sichtigen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte noch einmal daran erinnern: Die Dienst-
leistungsfreiheit ist eine der vier Grundfreiheiten inner-
halb der EU . Dienstleistungen machen heute zwei Drittel
der Wirtschaftsleistungen der EU aus. Sie schaffen laut
EU-Kommission etwa 90 Prozent der neuen Arbeitsplät-
ze in unserem Binnenmarkt . Das heißt, es ist jetzt nicht
irgend so ein Pipifax, über den wir hier reden . Es ist eine
feste Säule unserer Europäischen Union . Zugleich – da
bin ich auch bei der materiellen Kritik – erinnere ich
mich sehr gut an die harten Diskussionen zur Dienstleis-
tungsrichtlinie 2004 bis 2006 . Ich war da nämlich zufälli-
gerweise Mitarbeiterin im Europäischen Parlament, und
ich habe ganz persönlich hart dafür gekämpft, dass das
Herkunftslandprinzip aus der damaligen Dienstleistungs-
richtlinie herauskam . Dafür haben einige gekämpft, Sie
als Konservative bekanntermaßen leider nicht .

Nichtsdestotrotz: Diese Dienstleistungsrichtlinie wur-
de auch gegen die Stimmen von uns Grünen hier ange-
nommen . Sie haben damals nicht infrage gestellt, dass
die Europäische Kommission hier eine Kompetenz hat .
Deswegen verwundert es mich schon, dass Sie jetzt
plötzlich sagen, die europäische Ebene darf hier nicht
aktiv werden;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


denn die drei Richtlinienvorschläge, um die es hier geht,
sind Verbesserungen der bestehenden Dienstleistungs-
richtlinie . Ja, ich sehe in den drei Richtlinien massive
Probleme, die Sie zum Teil auch angesprochen haben .

Es geht nicht, dass wir bei der Berufsreglementierung
überhaupt keine Verhältnismäßigkeitsprüfung mehr ha-
ben . Es kann nicht sein, dass der EuGH plötzlich umgan-
gen wird . Es kann auch nicht sein, dass die Systematik
des Vertragsverletzungsverfahrens nach Artikel 258 des
EU-Vertrages plötzlich aufgekündigt wird . Das geht alles
nicht .

Auch ich habe große Sorge, wie es die IG BAU for-
muliert, dass das Herkunftsprinzip durch die Hintertür
eingeführt wird . Aber noch einmal: Bei der Subsidiari-
tätsrüge geht es um die Frage: Darf die Kommission hier
tätig werden? Aus meiner Sicht darf sie das, rechtlich ge-
sehen, erst einmal prinzipiell . Wir haben das in Artikel 56
des Lissabon-Vertrages, Dienstleistungsfreiheit, geregelt .
Die EU-Kommission ist die Hüterin der Verträge, und als
Hüterin der Verträge muss sie handeln, wenn etwas nicht
korrekt läuft . Das macht sie eben mit diesen Vorschlägen .

Sie haben die Notifizierung angesprochen. Dieser
Richtlinienvorschlag ist sicherlich der kritischste . Wir
haben ihn uns ganz genau angeguckt . Wir sehen, dass die
Rechtsgrundlage, die hier gewählt wurde – ich komme
zum Schluss, Artikel 53 und Artikel 114, es nicht trifft.
Aber das ist immer noch kein Grund für eine Subsidiari-
tätsrüge, sondern das wäre ein Verstoß gegen den Grund-
satz der begrenzten Einzelermächtigung .

Lange Rede, kurzer Sinn: Materiell können diese
Richtlinien nicht so bleiben, wie sie derzeit sind . Das
müssen wir im Gesetzgebungsverfahren ändern, aber das
dürfen wir nicht über das Instrument der Subsidiaritätsrü-
ge machen, gerade in stürmischen Zeiten nicht; denn das
hat Verhetzungspotenzial, was wirklich gefährlich wäre .

Ich möchte noch einmal an das erinnern, was Sie ge-
rade gesagt haben . Sie haben gesagt: Wir haben das noch
nie gemacht . Jetzt wird es einmal Zeit, dass wir Deut-
schen auch dieses Instrument nutzen . – Das ist nun kom-
plett die falsche Argumentation .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Das hat sie nicht!)


Deswegen bitte ich Sie: Lassen Sie uns das materiell
prüfen, aber nicht mit falschen rechtlichen Instrumenten
hantieren .

Herzlichen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822129200

Vielen Dank . – Jetzt hat die Kollegin Sabine

Poschmann für die SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Sabine Poschmann (SPD):
Rede ID: ID1822129300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich möchte jetzt einmal deutlich machen, ge-
rade nach Ihrer Rede: Wir haben hier in diesem Parla-
ment bereits zwei Stellungnahmen abgegeben, mehrheit-
lich . Wir haben ganz klar gemacht, dass wir das Ziel der
EU-Kommission, den Binnenmarkt zu vertiefen, grund-
sätzlich begrüßen . Da waren wir alle einer Meinung; ich
glaube, das ist auch weiter so .

Gleichzeitig wollen wir uns aber hiermit kritisch zu
einzelnen Aspekten der Binnenmarktstrategie äußern .
Das Dienstleistungspaket besteht aus vier Einzelmaß-
nahmen . Dazu gehören die Dienstleistungskarte, die
Stärkung des Notifizierungsverfahrens und ein Analy-
seraster zur Verhältnismäßigkeitsprüfung . Außerdem
gibt die Kommission eine rechtlich nicht verbindliche
Reformempfehlung für Berufsregulierung vor . Zu allen
Vorschlägen hatten wir uns bereits in unseren vorherigen
Stellungnahmen kritisch positioniert .


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aber darum geht es gar nicht!)


Da ist der Koalitionsantrag für eine Subsidiaritätsrüge
jetzt nur folgerichtig .

Bei den Richtlinienvorschlägen zum Notifizierungs-
verfahren und zur Verhältnismäßigkeitsprüfung sehen
wir das Subsidiaritätsprinzip der EU-Verträge verletzt .
Sie schränken den Handlungsspielraum des nationalen
Gesetzgebers – darum geht es uns jetzt – unverhältnismä-
ßig ein und sind nicht von den EU-Verträgen abgedeckt .

Das Notifizierungsverfahren betrifft neue oder auch
zu ändernde Regelungen, die in den Anwendungsbereich
der Dienstleistungsrichtlinie fallen . Es geht also in erster

Annalena Baerbock






(A) (C)



(B) (D)


Linie um Berufszulassungs- und Berufsausübungsregeln,
von denen insbesondere die Baubranche, aber auch Un-
ternehmensdienstleistungen und der Fremdenverkehr be-
troffen sind. Regeln in diesem Bereich werden nicht nur
vom Bundestag und den Länderparlamenten beschlos-
sen, sondern auch von den Kammern im Rahmen ihrer
Selbstverwaltungsbefugnisse .

Eine Notifizierungspflicht gibt es bereits heute, und
so richtig überzeugend kann die EU-Kommission nicht
begründen, warum das geltende Verfahren reformiert
werden muss . Umso kritischer sehen wir die mit dem
vorgeschlagenen Verfahren verbundene Einschränkung .
So soll es während des laufenden nationalen Gesetzge-
bungsverfahrens eine dreimonatige Stillhaltefrist geben,
in der die Kommission sowie die anderen Mitgliedstaa-
ten die Regeln prüfen und noch einmal kommentieren
können . Gibt es Bedenken, kann es zu einer Vorwarnung
kommen, und das Gesetzgebungsverfahren kann für wei-
tere drei Monate ausgesetzt werden . Schließlich kann die
Kommission das Gesetz sogar komplett stoppen . Dem
Mitgliedstaat selbst bleibt dann nur der Gang zum Euro-
päischen Gerichtshof, um gegen diese Entscheidung zu
klagen .

Das ist meiner Ansicht nach eine Umkehrung des
bisher geltenden Prinzips, wonach die Kommission vor
den Europäischen Gerichtshof ziehen musste, wenn sie
nationale Regelungen für EU-rechtswidrig hielt . Ein sol-
ches Verfahren geht weit über die Kompetenz der EU hi-
naus, Regelungen für die gegenseitige Anerkennung von
Zeugnissen und anderen Nachweisen zu schaffen. Zum
anderen widerspricht dieses Verfahren unserem Demo-
kratieprinzip: Jede parlamentarische Tätigkeit mit Bezug
zu Dienstleistungen stünde dann unter Genehmigungs-
vorbehalt der EU-Kommission . Unabhängig davon wür-
de es die nationalen Gesetzgebungsprozesse und somit
auch notwendige Reformen natürlich verlangsamen . Ge-
rade weil wir alle bemüht sind, Bürokratie, die nicht sein
muss, zurückzudrängen, ist die Frage, warum wir sie hier
doppelt aufbauen .

Hinsichtlich der vorgeschlagenen detaillierten Ver-
hältnismäßigkeitsprüfung haben wir ebenfalls erhebli-
che Bedenken. Wir sind bereits heute dazu verpflichtet,
Berufsregulierungen auf ihre Verhältnismäßigkeit zu
prüfen . Die Kriterien dafür wurden vom EuGH ent-
wickelt und sind in der Berufsanerkennungsrichtlinie
festgeschrieben . Auch bei diesem Vorschlag ist meines
Erachtens nicht ersichtlich, weshalb nun eine Richtlinie
gebraucht wird . Laut dieser soll sich die Verhältnismä-
ßigkeit von neuen oder geänderten Berufsregulierungen
an EU-einheitlichen Maßstäben orientieren . Das dafür
vorgesehene Analyseraster enthält 21 detaillierte Prüf-
kriterien . Zudem sollen empirische Begründungen der
Notwendigkeit sowie ökonomische Wirkungsanalysen
vorgelegt werden . Auch das würde diesen Prozess sehr
verlängern . Ich denke, eine Umsetzung dieses Vorschlags
wird nicht zu einer verbesserten Verhältnismäßigkeits-
prüfung in den Mitgliedstaaten führen, sondern eher zu
einer schematischen Abarbeitung der Prüfkriterien Es ist
sogar zu befürchten, dass die tatsächlich nötige inhalt-
liche Auseinandersetzung mit der Verhältnismäßigkeit
dabei auf der Strecke bleibt .

Mit unserer Kritik sind wir übrigens nicht alleine .
Gerade kam ja der Vorwurf, dass wir die Verhältnismä-
ßigkeit im Grunde gar nicht so ins richtige Licht rücken
würden .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir auch nicht! Die Bundesregierung sieht das wie wir!)


Nein, beide Kammern des französischen Parlaments so-
wie der Bundesrat teilen unsere Subsidiaritätsbedenken .
Das Dienstleistungspaket beinhaltet darüber hinaus die
Dienstleistungskarte . Frau Strothmann hat es gerade an-
gesprochen . Wir halten eine Subsidiaritätsrüge zu diesem
Vorschlag nicht für notwendig. Deshalb differenzieren
wir schon sehr . Wir werden das inhaltlich diskutieren
müssen und uns damit auch noch weiter kritisch ausei-
nandersetzen . Denn wir sehen hier die Gefahr, dass das
Herkunftslandprinzip durch die Hintertür eingeführt
wird, was wir entschieden – alle zusammen, glaube ich –
ablehnen .

Sehr geehrte Damen und Herren, bei aller Kritik, die
ich hier vorbringe, möchte ich zum Schluss noch einmal
betonen, dass wir Erleichterungen für den europäischen
Dienstleistungsmarkt grundsätzlich begrüßen . Und ich
möchte auch ganz klar sagen, dass es uns nicht darum
geht, ausländische Konkurrenz aus unserem Land fern-
zuhalten . Wir sind wie die EU-Kommission an einem
freien Dienstleistungsmarkt interessiert, aber wir sollten
dabei nicht übers Ziel hinausschießen . Die EU-Kommis-
sion sollte, wie sie es auch von ihren Mitgliedsländern
verlangt, die Verhältnismäßigkeit wahren .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822129400

Vielen Dank . – Zum Abschluss der Debatte hat jetzt

der Kollege Dr . André Hahn die Gelegenheit, hier kurz
für die Fraktion Die Linke zu reden .


Dr. André Hahn (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822129500

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Meine Fraktion wird der vorliegenden Entschlie-
ßung zustimmen . Gründe dafür sind von den Vorrednern,
die ebenfalls dieses Votum abgeben wollen, ausreichend
genannt worden . Die muss ich an dieser Stelle nicht wie-
derholen und spare Ihnen und mir die Redezeit . Das Vo-
tum der Fraktion habe ich bekannt gegeben .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der LINKEN, der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822129600

Das Besondere ist, dass Sie den Applaus fast des ge-

samten Hauses haben. Das kommt ja nicht so häufig vor.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Damit sind wir am Schluss der Aussprache angelangt .

Sabine Poschmann






(A) (C)



(B) (D)


Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/11442, in Kenntnis der
auf Drucksache 18/11229 unter den Buchstaben A .8 bis
A .11 genannten Unterrichtungen eine Entschließung
gemäß Protokoll Nummer 2 zum Vertrag von Lissabon
in Verbindung mit § 11 des Integrationsverantwortungs-
gesetzes anzunehmen . Es handelt sich um eine Subsi-
diaritätsrüge . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Um-
setzung der Richtlinie (EU) 2016/1148 des Eu-
ropäischen Parlaments und des Rates vom 6.
Juli 2016 über Maßnahmen zur Gewährleis-
tung eines hohen gemeinsamen Sicherheitsni-
veaus von Netz- und Informationssystemen in
der Union
Drucksache 18/11242
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss

Die Reden hierzu sollen zu Protokoll gegeben wer-
den . – Ich sehe, Sie sind einverstanden .1)

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/11242 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . – Auch da
sehe ich von Ihrer Seite keine anderen Vorschläge . Dann
ist die Überweisung so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förde-
rung des elektronischen Identitätsnachweises
Drucksache 18/11279
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss Digitale Agenda

Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . – Sie sind damit einverstanden .2)

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/11279 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . – Auch da
sehe ich von Ihrer Seite keine anderen Vorschläge . Dann
ist so beschlossen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 a und 30 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-

regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-

1) Anlage 9
2) Anlage 10

zes zur Verbesserung der Fahndung bei be-
sonderen Gefahrenlagen und zum Schutz von
Beamtinnen und Beamten der Bundespolizei
durch den Einsatz von mobiler Videotechnik

Drucksachen 18/10939, 18/11282

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4 . Ausschuss)


Drucksache 18/11438

b) Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Bundesdaten-
schutzgesetzes – Erhöhung der Sicherheit in
öffentlich  zugänglichen  großflächigen  An-
lagen  und  im  öffentlichen  Personenverkehr 
durch optisch-elektronische Einrichtungen

(Videoüberwachungsverbesserungsgesetz)


Drucksachen 18/10941, 18/11183, 18/11225
Nr. 8

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4 . Ausschuss)


Drucksache 18/11435

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Günter Baumann für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Günter Baumann (CDU):
Rede ID: ID1822129700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Lassen Sie mich mit zwei Beispielen begin-
nen . Ein Bundespolizist geht im Hautbahnhof Hannover
Streife . Er hat die Aufgabe, auf die Sicherheit zu achten .
Er ist ausgebildet und darauf geschult, auf Gefahren zu
achten, wo Gefahren entstehen können . Bei der Perso-
nenkontrolle eines 16-jährigen Mädchens wird er mit
einem Messer am Hals schwer verletzt . Ein zweites Bei-
spiel: eine Demonstration in Berlin . Junge Polizistinnen
und Polizisten geraten zwischen die Fronten von Chao-
tengruppen und werden mit Pflastersteinen beworfen und
schwer verletzt .

Das sind nur zwei Beispiele, liebe Kolleginnen und
Kollegen, die symbolisch zeigen, dass in unserem Land
leider Gewalt zunimmt, vor allem – das ist das Schlim-
me – Gewalt gegen Polizisten . Das müssen wir akzep-
tieren .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist der Unterschied!)


– Kollege von Notz, das ist einfach so, auch wenn Sie
den Kopf schütteln .

Bei normalen Streifengängen, bei Einsätzen bei Fuß-
ballspielen oder bei Demonstrationen gibt es eine an-
steigende Anzahl von Angriffen gegen die Polizei. Wir
hatten im Jahr 2015 fast 15 000 Fälle von leichter Kör-
perverletzung gegen Polizisten . Wir hatten über 4 000

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


Fälle von schwerer gefährlicher Körperverletzung . Das
war in beiden Fällen ein Anstieg gegenüber dem Vorjahr .
Das heißt, die Politik ist gefordert, zu handeln .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir müssen alle Möglichkeiten, die die Politik hat, nut-
zen, um darauf einzuwirken, dass Hemmschwellen wie-
der absinken und Polizeibeamte ihrer Arbeit sicherer
nachgehen können .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch der Abbau von
Polizeikräften in den meisten Bundesländern und die
Stagnation der Bundespolizei in den letzten Jahren waren
natürlich keine Beispiele, die Sicherheit in unserem Land
zu erhöhen . Wir haben Entwicklungen einfach falsch
eingeschätzt . Ich denke, man kann mit Recht sagen, wir
haben in der letzten Zeit als Koalition darauf reagiert .
Wir haben ein enormes Stellenzuwachsprogramm bei der
Bundespolizei . Wir haben mehr Geld für den Haushalt
in die Hand genommen . Auch die meisten Bundesländer
stocken ihre Polizei wieder auf . Das heißt, wir sind wie-
der auf einem guten Weg .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: zwölf Jahre lang gespart! So ist es halt!)


– Ich habe gesagt, wir sind jetzt wieder auf einem guten
Weg und haben vorher einige Fehler gemacht, Herr von
Notz . Das habe ich hier eingestanden .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also noch einmal zwölf Jahre!)


Wir müssen aber auch eines sagen, liebe Kolleginnen
und Kollegen: In unserer Gesellschaft haben leider der
Respekt und die Achtung des Gegenübers, eines Nach-
barn, eines Fremden oder einer Sicherheitskraft abge-
nommen, was von einem moralischen Verfall unserer
Grundwerte in unserem Land zeugt . Wir müssen über-
legen, an welchen Stellen wir stärker einwirken müssen;
dies geht in den Familien, in den Schulen . Unsere Medi-
en sind auch nicht immer der beste Weg .

Wir haben als Koalition heute einen weiteren Baustein
vorgelegt, einen Baustein, bei dem wir mehr Schutz für
unsere Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte gewähr-
leisten können . Ein Beispiel für mehr Sicherheit: Ein
einjähriger Feldversuch hat in mehreren Bundesländern
gezeigt, dass Bodycams ein Baustein für mehr Sicherheit
sein können . Wir haben am Montag in der Anhörung von
Fachexperten gehört, dass Polizisten, die vor Ort Ver-
suche gemacht haben, gefragt worden sind . 92 Prozent
von ihnen sagen ganz klar: Es ist sinnvoll, mit Kameras
ausgestattet zu sein . 67 Prozent geben an, dass ihr Ge-
genüber nicht mehr so aggressiv ist . 76 Prozent sagen,
es ist auch zum Nutzen ihrer Eigensicherung . Bodycams
können sowohl präventiv, das heißt als Abschreckung für
einen möglichen Gegner dienen, aber auch repressiv, das
heißt für eine Aufklärung von Straftaten von erheblichem
Nutzen sein . Die Kameras bewirken ein deeskalierendes
Verhalten des Gegenübers . Ich denke, wenn solche Mittel
zur Verfügung stehen, sind wir verpflichtet, diese auch
einzusetzen .

Es gibt auch vereinzelte Fälle, in denen nach Veran-
staltungen gesagt wird, dass es zu Übergriffen von Poli-
zisten gekommen ist . Auch hier kann man mit Aufzeich-
nungen der Bodycams leichter feststellen, was passiert
ist, und es konkret aufklären .

Auch die Datenverwertbarkeit wurde am Montag von
den Experten eindeutig bestätigt . Sie ist sichergestellt,
und wir können die Kameras nutzen .

Ich denke, wir sollten neben anderen Mitteln – weitere
Verbesserung der Personalausstattung, weiterer Einsatz
von Geld für Technik – auch die Mittel, die wir hier an
der Hand haben, nutzen . Ich denke, es ist ein Schritt, der
in die richtige Richtung geht . Damit werden wir nicht al-
les lösen, aber es kann ein Baustein sein .

Ich denke, dass wir alle die Meinung vertreten – auch
die Opposition –, dass wir für den Schutz unserer Poli-
zisten relativ viel tun müssen, sodass wir heute alle ge-
meinsam dem Gesetz zustimmen können . Ich freue mich
darauf .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822129800

Vielen Dank . – Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt

der Kollege Frank Tempel .


(Beifall bei der LINKEN)



Frank Tempel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822129900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ein ehemaliger Kollege, ein Polizeibeamter,
hat mich vor wenigen Stunden gefragt, was es denn im
Bundestag zu Mitternacht Wichtiges zu besprechen gibt .
Meine Antwort: Ich habe sage und schreibe vier Minuten
Zeit, um zu zwei Gesetzen zu sprechen,


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Skandalös! – Gegenruf von der CDU/CSU: Wahlergebnis!)


die nach öffentlicher Verlautbarung mehr Sicherheit brin-
gen sollen .

Das Fazit der nächtlichen Debatte ist auch schon
klar – Herr Wendt, da werden Sie mir recht geben –: Wer
dem Gesetz nicht zustimmt, ist gegen mehr Sicherheit,
zumindest nach Auffassung der Regierungskoalition.


(Marian Wendt [CDU/CSU]: Kann man so sehen!)


Für die Fraktion Die Linke bleibt aber das entschei-
dende Kriterium: Bringen Ihre Vorschläge im Rahmen
der Verhältnismäßigkeit tatsächlich mehr Sicherheit?


(Marian Wendt [CDU/CSU]: Natürlich! Sonst hätten wir sie nicht gemacht!)


Dann würden wir auch zustimmen . Prüfen wir mal!

In der Problemstellung zum Videoüberwachungsver-
besserungsgesetz – schöner Name! – beschreiben Sie:

Günter Baumann






(A) (C)



(B) (D)


Terroristen und Straftäter nehmen für Anschläge
auch hochfrequentierte öffentlich zugängliche An-
lagen in ihren Fokus, um größtmöglichen Schaden
anzurichten …

So weit ist es richtig .

Als Ziel Ihres Gesetzes bezeichnen Sie dann, „solche
potentiellen Schäden frühestmöglich zu verhindern .“
Weiter unterstreichen Sie deutlich, Sie wollten „die Si-
cherheit der Bevölkerung präventiv … erhöhen .“


(Günter Baumann [CDU/CSU]: Ja, richtig! – Marian Wendt [CDU/CSU]: Jawohl! Gut erkannt!)


So steht es in Ihrem Gesetzentwurf, und danach müssen
wir ihn bewerten .

Erreichen wollen Sie das Ziel durch eine Verbesse-
rung der Videoüberwachung .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Lachhaft! – Günter Baumann [CDU/CSU]: Als ein Baustein!)


Es gibt bereits solche Videokameras, und es gibt auch
immer wieder Beispiele dafür, dass sie bei der Aufklä-
rung von Straftaten geholfen haben – eben weil sie den
Täter nicht von der Tat abgehalten haben, weil die Prä-
vention in diesem Bereich versagt hat .


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Die Aufklärung von Straftaten ist auch ein rechtsstaatlich wichtiges Thema!)


Terroristen wollen sogar häufig öffentliche Bilder ha-
ben, um ihre Taten verbreiten zu können .

Sie behaupten, Kameras wären ein präventives Mittel,
um Anschläge zu verhindern, und das ist entweder in-
kompetent oder bewusst gelogen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bei der Gefahrenabwehr machen sinnvoll postierte Ka-
meras nur Sinn, wenn entsprechendes Personal die Ge-
fahren live zur Kenntnis nimmt und entsprechende Maß-
nahmen einleiten kann . In der Regel gibt es aber genau
dieses Personal nicht . Somit ist das im Gesetzentwurf ge-
nannte Ziel der verbesserten Prävention von Anschlägen
mit Ihren Vorschlägen nicht zu erreichen . Der Gesetzent-
wurf ist daher als untauglich abzulehnen .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Zur Prävention sind die Kameras nicht geeignet .


(Günter Baumann [CDU/CSU]: Das sagt ein Polizist!)


Ich möchte auf einen zweiten Aspekt Ihres Gesetzent-
wurfs zu sprechen kommen . Ich habe ja gesagt: Wer Nein
sagt, der braucht nach Ihrer Auffassung gar nicht prüfen,
ob die Gesetze etwas taugen, sondern ist per se dage-
gen . – Das Gleiche gilt für die Bodycams . Wir haben ja
in der ersten Lesung deutlich Gesprächsbereitschaft beim
Thema Bodycams signalisiert . Weil das Gesetz im Grun-
de genommen etwas stümperhaft war, haben wir Ihnen

ein paar Hinweise gegeben, woran man da arbeiten muss,
um es tauglich zu machen .

Zum Beispiel ist leider nach wie vor die Gerichtsver-
wertbarkeit der Aufnahmen nicht gewährleistet . Die Fra-
ge der Manipulationssicherheit der Aufnahmen ist nach
wie vor nicht geregelt . Der Beamte kann nach Ihrem
Entwurf weiterhin selbst entscheiden, welchen Teil einer
Situation er aufnimmt . Auch das ist gewissermaßen eine
Art und Weise der Manipulation; denn der Verdacht wird
immer im Raum stehen, dass mit diesen Teilaufnahmen
tatsächliche Abläufe verzerrt werden könnten .

Sie, liebe Kollegen von der Regierungskoalition,
möchten gern im Wahlkampf die Schlagzeile sehen, für
mehr Sicherheit von Polizeibeamten gesorgt zu haben .
Das ist aber genau das – –


(Zurufe von der CDU/CSU)


– Es ist wie im Innenausschuss: Immer dazwischenbrab-
beln, aber nie etwas Gescheites dazugeben . Machen Sie
doch die Gesetze besser . Dann brauchen wir Sie nicht
ständig darüber zu belehren, was Sie machen müssen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU)


Alle diese Punkte sind in der ersten Lesung einge-
bracht worden . Wir haben eine Anhörung dazu gemacht .
Nicht einen einzigen Punkt haben Sie nachgebessert .


(Zuruf von der CDU/CSU: Weil die Sachverständigen es unterstützt haben!)


Ihre Art und Weise, Gesetze zur inneren Sicherheit zu
machen, ist genauso, als wenn Sie jemandem erzählen,
dass Sie ihm schönes Haus bauen wollen, es aber dann,
wenn er hineingeht, zusammenfällt, weil Sie gepfuscht
haben . So geht es nicht .


(Zurufe von der CDU/CSU)


Wenn es Ihnen mit der Sicherheit von Polizeibeamten
und Bürgern ernst ist, dann machen Sie Ihre Hausauf-
gaben gründlich und lassen Sie uns gemeinsam beraten,
wie man die Sache mit den Bodykameras besser regeln
kann – sie können unter Umständen ja ein Mittel für mehr
Sicherheit sein –, und über Personalstärken, Schutzaus-
rüstung und vor allen Dingen auch ein besseres Deeska-
lationstraining für Polizeibeamte reden .

Bei so vielen fachlichen Defiziten müssen wir auch
Ihren zweiten Gesetzentwurf leider ablehnen, weil er ein-
fach stümperhaft ist .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Reden wir mal über Straftäter!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822130000

Vielen Dank . – Als Nächster hat Sebastian Hartmann,

SPD-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Marian Wendt [CDU/CSU])


Frank Tempel






(A) (C)



(B) (D)



Sebastian Hartmann (SPD):
Rede ID: ID1822130100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Große Koalition redet nicht nur, sie han-
delt auch, liebe Vertreter der Opposition . Wir haben die
Chancen der Digitalisierung und der Technik ernst ge-
nommen und aufgenommen .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Unzureichend! – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Phrasendreschmaschine ist angeworfen!)


Wir werden an zwei Stellen handeln, wo wir auch die
technischen Möglichkeiten haben, um die Sicherheits-
lage in einem der sichersten Länder der Welt, nämlich
Deutschland, weiter zu verbessern . Das ist unsere ge-
meinsame Aufgabe .

Ich nehme den Ball der Opposition auch auf . Sie wür-
den ja gerne mitmachen . Sie haben Ihre Vorschläge ein-
gebracht . Wir haben das auch eingehend geprüft, aber ein
gutes Gesetz kann man mit solchen Vorschlägen nicht
noch besser machen . Dann muss man das beschließen,
was wir vorgelegt haben .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Denn es nicht so, als hätten wir das im luftleeren Raum
beschlossen . Wir haben hier einen Vorschlag eingebracht .
Es ist ein maßvoller Vorschlag, mit dem wir punktuell
an zwei Stellen das bestehende gute Gesetze verbessern
werden .

Der eine Punkt betrifft, wie schon angesprochen, die
Bodycams . Das Ziel ist doch klar: Wenn sich Menschen
für Sicherheitsbehörden entscheiden, wenn sie sich da-
für entscheiden, als Polizistin oder als Polizist dafür zu
sorgen, dass dies ein sicheres Land bleibt, dann ist es
unsere Verantwortung als Gesetzgeber, dafür zu sorgen,
dass diese Menschen im Dienst geschützt werden . Wenn
wir eine Verrohung der Sitten feststellen und dass die Ge-
walt gegen Polizeibeamte ansteigt, müssen wir uns als
Gesetzgeber doch fragen, was wir dagegen tun können,
dass diese Polizistinnen und Polizisten nicht ausreichend
geschützt sind . Unsere Antwort darauf ist auf der einen
Seite eine Sammlung von Gesetzen, mit denen wir noch
einmal klarmachen, wie die Ordnung hier herzustellen
ist, und auf der anderen Seite die Erlaubnis, Bodycams
eben auch punktuell einzusetzen .

In der Anhörung haben wir Folgendes gehört: Die
einen sagen, dass 2 500 Kameras überhaupt nicht aus-
reichen, wenn man über 40 000 Polizisten redet . Die an-
deren sprechen über die disziplinarrechtlichen Probleme,
die sich ergeben . Wir sagen: Lassen Sie uns uns doch auf
den Weg machen . Lassen Sie uns doch prüfen, ob wir es
dadurch nicht weiter verbessern können . Wenn wir auf
dem Weg dorthin feststellen, dass manche der Bedenken,
die hier mal so eben in den Raum gestellt worden sind,
zutreffen, dann können wir es immer noch verbessern.

Der zweite Punkt ist die Videoüberwachung von öf-
fentlich zugänglichen Plätzen . Als wir darüber hier rede-
ten, haben wir festgestellt – auch unter dem Eindruck von
aktuellen Taten –, dass die Überwachung eines Bereichs
von öffentlich zugänglichen Plätzen von privaten Akteu-

ren betrieben wird . Diese privaten Akteure brauchen auf
dem Weg zur Verbesserung der öffentlichen Sicherheit
auch klare Maßgaben, wie sie dafür sorgen können – zum
Beispiel durch Videoüberwachung –, dass Kundinnen
und Kunden von Einkaufszentren besser geschützt wer-
den .

Ich gebe uns aber eine Empfehlung: Lassen Sie es
nicht zu einer Übertreibung, zu einem Überbietungswett-
bewerb kommen . Genau genommen haben wir eine Zahl
von etwa 3 100 Kameras identifiziert, die möglicherwei-
se infolge dieses Gesetzes dann rechtssicher aufgestellt
sind . Wir regeln sowohl das Extrem, dass ein Privater
sagt: „Ich weiß gar nicht, wie ich das machen soll, also
lasse ich es lieber ganz bleiben“, obwohl er den Bedarf
sieht, als auch das gegenteilige Übermaß, indem wir klar
sagen: Genau hier wollen wir für die Schutzgüter Leben
und körperliche Unversehrtheit handeln . – Das haben wir
getan .

Die Anhörung hat ergeben, dass wir mit dem Gesetz
auf einem guten Weg sind . Die Expertinnen und Exper-
ten haben doch einerseits gesagt: Es ist mit dem Bundes-
datenschutzgesetz und unserem hohen Schutzniveau für
Daten gut vereinbar, dass wir hier, um einen guten Zweck
zu erreichen, alle erforderlichen Maßnahmen anstreben .
Damit kann man das guten Gewissens beschließen .

Andererseits wollen wir keine anlasslose Vorratsda-
tenspeicherung betreiben . Das ist ja auch behauptet wor-
den . So ist es nicht .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Gesetz haben Sie ja schon verabschiedet! – Zuruf von der CDU/CSU: Zum Glück!)


– Nein, so ist es eben nicht . – Wir haben den Zweck
genau festgelegt . So wollen wir dafür sorgen, dass wir
dann, wenn es zu einem Terroranschlag oder einer Be-
drohungssituation in unserem Land kommt, einen Zugriff
auf bestimmte Daten haben . Einsicht nehmen könnten
wir dann vielleicht in Daten aus einem öffentlich über-
wachten Raum, aber nicht in die aus einem Einkaufszen-
trum . Dadurch hätten wir in Zukunft dann verbesserte
Chancen, für den Schutz der Bürgerinnen und Bürger
unseres Landes zu sorgen . Das sind wir ihnen schuldig,
und wir haben aufgrund der aktuellen Lage erkannt, dass
wir hier handeln müssen . Deswegen lade ich Sie ein, dem
Gesetzentwurf zuzustimmen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es gab natürlich einiges an Hin und Her . Auf der einen
Seite wurde behauptet – die Opposition muss sich wirk-
lich überlegen, was sie will –: Wir bauen einen riesen
Datenhaufen auf, den sich nie irgendjemand angucken
kann, also bringt das alles nichts . – Auf der anderen Seite
wurde behauptet: Durch Kameras wird ein Placeboeffekt
von öffentlicher Sicherheit erzeugt, und es kommt zu
Verhaltenseffekten.


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Lesen Sie mal die Rechtsprechung, Herr Kollege! Das ist kein Widerspruch!)







(A) (C)



(B) (D)


Wir haben hier auf der Basis der aktuellen Erfahrung und
im Einklang mit dem geltenden Recht gesagt: Wir geben
den Privaten eine Auslegungsregel an die Hand, damit
sie mithilfe von Videotechnik ihren Bereich schützen
können. Es ist nicht so, dass damit eine öffentliche Auf-
gabe privatisiert wird . Wir geben vielmehr den Privaten
lediglich eine Auslegungsregel mit an die Hand, damit
sie wissen, wie das funktioniert .

Die Erkenntnisse der Anhörungen nehmen wir mit auf
den Weg . Die Datenschützer waren sich einig . Wir haben
auch die Hinweise der Polizeibediensteten, die sich sehr
eingebracht haben, und ebenso die Hinweise des Verban-
des Deutscher Verkehrsunternehmen ernst genommen .
Darum sagen wir: Wir sind auf einem guten Weg . Man
kann das Gesetz guten Gewissens beschließen . Wir sor-
gen dafür, dass Deutschland nicht nur eines der sichersten
Länder der Welt ist, sondern auch bleibt . Wir verbessern
dafür einige Gesetze und laden die Opposition herzlich
zur Zustimmung ein .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822130200

Vielen Dank . – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht

jetzt Dr . Konstantin von Notz .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Guten Morgen, meine Damen und
Herren!


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Guten Morgen! – Zuruf von der CDU/ CSU: Sternstunde des Parlamentarismus!)


Die beiden Gesetze, die wir heute diskutieren, werden
von der Bundesregierung und auch von den Fraktionen in
den Kontext der derzeitigen terroristischen Gefährdungs-
lage gestellt . Die drei inhaltlich völlig unterschiedlichen
Maßnahmen, die hier in zwei Gesetzentwürfe gepackt
wurden, sollen die öffentliche Sicherheit verbessern; so
hieß es ja auch in den Reden . Dabei geht es erstens um
die Erleichterung des Einsatzes von Überwachungska-
meras, zweitens um die automatische Kennzeichenerfas-
sung und drittens um die Einführung von Bodycams bei
der Polizeiarbeit .


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Alle drei Maßnahmen sind sinnvoll und verhältnismäßig!)


Nach der Anhörung in dieser Woche gibt es aber über-
haupt keinen Zweifel: Keine einzige dieser Maßnahmen
hätte auch nur eines der schrecklichen Vorkommnisse,
die wir letztes Jahr erlebt haben, verhindern können,
weder den Anschlag auf den Breitscheidplatz, noch Ans-
bach, noch den Amoklauf von München .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Immer wieder die alte Leier!)


Denn die Videoüberwachung – Kollege Tempel hat es
gesagt – hat eben keine Präventivwirkung, insbesondere
nicht auf salafistische Terroristen wie Anis Amri.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Frank Tempel [DIE LINKE])


Vielmehr zelebrieren es diese sogar noch, wenn ihre Ta-
ten auf Video aufgenommen werden . Deswegen helfen
Ihre Gesetze bei diesen Problemen überhaupt nicht wei-
ter .

Videoüberwachung kann natürlich – das sage ich ganz
deutlich für meine Fraktion – an neuralgischen Punkten
im öffentlichen Raum helfen, Straftaten aufzuklären,


(Marian Wendt [CDU/CSU]: Ach!)


wie das jüngst bei dem Angriff auf den Obdachlosen in
Berlin der Fall war .


(Zurufe von der CDU/CSU)


Aber die Terrorismusbekämpfung und Mittel zur Straf-
verfolgung auf Dritte, auf Private zu übertragen, das
führt auf die schiefe Bahn;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


denn beides sind originäre Aufgaben des Staates, meine
Damen und Herren, und dürfen nicht outgesourct wer-
den . Dass Ihnen nicht einmal die Tatsache zu denken
gibt, dass der Deutsche Richterbund Ihre Pläne für ver-
fassungswidrig hält, spricht auch eine deutliche Sprache .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Frank Tempel [DIE LINKE] – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was, selbst die?)


Ähnlich liegen die Dinge bei der automatischen Kenn-
zeichenerfassung. Sehenden Auges schaffen Sie hier ein
Gesetz der anlasslosen und verdachtsunabhängigen Mas-
senüberwachung und Schleierfahndung,


(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Wird sofort gelöscht! – Günter Baumann [CDU/CSU]: Gerade das machen wir nicht!)


welches verfassungsrechtlich nicht weniger heikel ist als
das andere . Die Zulässigkeitsvoraussetzung haben Sie
so wachsweich formuliert, dass es sich um einen Frei-
fahrtschein handelt, und ich sage Ihnen: Das wird wieder
nicht, wie bei den beiden Landesgesetzen, Bestand vor
dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ganz zu schweigen, Herr Kollege Wendt, von der wahn-
sinnigen Arbeitsbelastung für die Bundespolizei, die
damit einhergeht – wegen der Bearbeitung von Fehl-
treffern. Ich wünsche frohe Verrichtung. Wenig Nutzen,
viele Probleme – willkommen in der GroKo! Ein solches
Gesetz machen wir nicht mit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


All dies macht es für Ihre dritte Regelung umso trau-
riger; denn die Bodycams für Polizeibeamte sind tatsäch-
lich eine gute Idee . Auch wenn sie mit Blick auf terro-

Sebastian Hartmann






(A) (C)



(B) (D)


ristische Bedrohungslagen keinen Effekt haben, wären
sie, isoliert gesehen, durchaus zustimmungswürdig und
-fähig .


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Dann stimmen Sie doch zu!)


In der Tat sind die gewalttätigen Übergriffe auf Polizei-
beamtinnen und Polizeibeamte – das wurde schon an-
gesprochen – ein sehr ernstes Problem . In bestimmten
Situationen können Bodycams tatsächlich deeskalierend
wirken .


(Günter Baumann [CDU/CSU]: Aha!)


Sie vermischen dieses Gesetz aber nicht nur mit der
automatischen Kennzeichenerfassung – das ist ja wirk-
lich ein Irrsinn –, sondern Sie bleiben auch völlig unklar
hinsichtlich der Frage, wie die Auswertung des Datenma-
terials genau erfolgen soll, welche Standards die Technik
zu erfüllen hat und wie die Einhaltung der Rechte der
Betroffenen gewährleistet wird, übrigens auch die der
Beamtinnen und Beamten . Sie wären es den Bürgerinnen
und Bürgern und den Polizeibeamtinnen und -beamten
schuldig gewesen, diesen Gesetzentwurf nachzubessern,
statt hier heute Nacht einen solchen Schnellschuss durch-
zupeitschen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822130300

Sie müssen jetzt zum Schluss kommen, Herr von Notz .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin . – Sie
wollen hier eben kein ordentliches Gesetz machen . Sie
wollen das hier heute Nacht abhaken . So erklärt sich
auch dieser Debattenplatz; der Kollege Tempel hat es
angesprochen . Wir haben hier vier Minuten, um drei so
wesentliche Maßnahmen zu besprechen . Das zeugt von
Lieblosigkeit gegenüber diesem Thema . So sieht der
Stellenwert aus, den Sie den Bürgerrechten, der Sicher-
heit der Bürgerinnen und Bürger und der Sicherheit der
Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten beimessen .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822130400

Jetzt ist aber Schluss .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Hier nachts solche Gesetzentwürfe durchzuwinken,
geht nicht an, meine Damen und Herren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822130500

Danke schön . – Jetzt ist der Kollege Marian Wendt

von der CDU/CSU-Fraktion dran .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Marian Wendt (CDU):
Rede ID: ID1822130600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! Heute ist wieder
ein guter Tag für die innere Sicherheit in unserem Land,
wie bereits in der letzten Sitzungswoche . Wir haben auch
heute zahlreiche gute Gesetzentwürfe für die Sicherheit
in unserem Vaterland beschlossen bzw . werden sie noch
beschließen . Das Gesetz zur Änderung des Sicherheits-
überprüfungsgesetzes, das sogenannte E-ID-Gesetz, das
Videoüberwachungsverbesserungsgesetz und das Body-
camgesetz sind, glaube ich, sehr gute Maßnahmen, um
die Sicherheit im Land noch weiter zu verbessern und die
Lage stabil zu halten .

Die Entwicklungen des letzten Jahres, die Anschlags-
versuche und die durchgeführten Anschläge unter an-
derem in Berlin, Bonn, Würzburg und München haben
gezeigt, dass wir insbesondere im Bereich Videoüber-
wachung noch einiges tun müssen . Was tun wir? Wir
fordern nicht die Privaten auf, überall Kameras zu in-
stallieren . In § 6b des Bundesdatenschutzgesetzes sagen
wir klar, wo wir uns den Einbau von Kameras besonders
wünschen, ohne dass wir eine Verpflichtung zum Einbau
hineinschreiben .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist der nächste logische Schritt, Herr Kollege!)


– Das ist nicht wahr . Sie unterstellen uns da etwas, was
wir überhaupt nicht vorhaben .

Ich denke, dass es im Interesse des Rechtsstaates und
auch im Sinne der Opposition ist, dass wir Dinge, die
gleich sind, in Deutschland auch gleich regeln . Wenn
wir dafür sorgen, weil wir es für richtig erachten, dass
in öffentlich zugänglichen Räumen wie Einkaufszentren,
Parkplätzen und Sportstätten einheitliche Regelungen für
die Datenerhebung und vor allen Dingen die Datenver-
wendung im Nachhinein bei entsprechenden Taten gel-
ten, wenn die Polizei das Material braucht, dann ist das,
glaube ich, vor allen Dingen im Sinne der Bürgerinnen
und Bürger in diesem Land .

Weiterhin ist es, glaube ich, richtig, dass wir versu-
chen, einheitliche Maßstäbe im ÖPNV-Bereich festzu-
legen . Es gibt Länder, in denen Bus- und Bahnunter-
nehmen Kameras installieren . Dort wird aufgezeichnet;
aber es gibt keine einheitliche Regelung, ob das Material
24 Stunden gespeichert wird, eine Woche oder zwei Mo-
nate . Die Speicherdauer wollen wir gerne harmonisieren .
Wir müssen darüber nachdenken, ob wir dafür in Zu-
kunft eine einheitliche deutschlandweite Lösung finden.
24 Stunden sind, glaube ich, keine angemessene Frist,
insbesondere, wenn wir Straftaten auch im Nachhinein
aufklären und bewerten wollen .

Wir wollen durch das Gesetz die öffentlich-private
Partnerschaft solidarisch ausgestalten . Wir wollen, wie
gesagt, dass auch private Plätze sinnvoller überwacht
werden können – können, wie gesagt . Außerdem wollen
wir die Anwender und Nutzer in eine rechtsklare Position
bringen . Das sollte auch Ihnen, lieber Kollege von Notz,
ein wichtiger Anknüpfungspunkt sein .

Dr. Konstantin von Notz






(A) (C)



(B) (D)


Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Kennzeichener-
fassung . Ich selber wohne an einer Transitstraße, wie ich
das nennen würde, nämlich der B 87 . Von mir in Sachsen
aus ist man in anderthalb Stunden in Polen . Da wünschen
sich natürlich viele Bürgerinnen und Bürger, dass es un-
terwegs zum Beispiel Kennzeichenlesegeräte und auch
mobile Polizeikontrollen gibt, um gegebenenfalls bei
Diebstahl die Fahrzeuge entsprechend kontrollieren zu
können bzw. mögliche Treffer anzeigen zu können.


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber ich dachte, die Bösen kommen aus Sachsen-Anhalt!)


Deswegen ist es richtig, dass wir diesen Weg gehen und
auch dafür sorgen, dass die Bundespolizei dieses Mittel
zur besseren Grenzüberwachung an die Hand bekommt .

Der letzte Punkt ist für mich und auch für meine Kol-
legen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion ein
sehr entscheidender, nämlich der Schutz unserer Beam-
tinnen und Beamten im Einsatz . Es geht um das Thema
„Videoüberwachung durch Bodycams“ . Da haben der
letztjährige Feldversuch, aber auch die Maßnahmen, die
bereits in den Bundesländern stattfinden, gute Wirkungen
gezeigt . Es gibt gute Belege dafür, dass es sich dabei um
ein sehr sinnvolles Einsatzmittel handelt .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Deswegen unterstützen wir das auch; denn es hilft so-
wohl den Bundespolizisten als auch den Bürgerinnen
und Bürgern, weil Situationen besser dargestellt werden
können .

Wir haben ja enge Regelungen getroffen. Ich denke
an die 30-Sekunden-Vorlaufzeit und die Löschung dieses
Materials, wenn es nicht zu einem Einsatz kommt . Es ist
wichtig – das sage ich gerade auch an die Adresse der
Fraktion der Grünen –, unseren Beamtinnen und Beam-
ten auch ein bisschen Vertrauen entgegenzubringen, dass
sie genau wissen, wann ein Einsatz beginnt,


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


wann sie den Knopf drücken und damit die Szene filmen
und wann nicht .

Vor allen Dingen geht es im nächsten Gedankengang
auch darum – da sind wir, etwas weiter gefasst, natürlich
wieder bei dem Punkt „digitale Verwaltung“ –, wie wir
diese Daten auswerten . Denn Sie können sich ja vorstel-
len, dass 2 500 Beamte, die Videomaterial aufzeichnen,
auch ein entsprechendes Volumen herstellen . Wie man
dieses Volumen verarbeitet, sinnvoll speichert


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind ja im digitalen Zeitalter! Da wird das doch möglich sein!)


und auch in einen möglichen Datenverarbeitungsakt ein-
führt, wird uns in den nächsten Wochen und Monaten
noch beschäftigen .

Ich freue mich, dass wir heute diese beiden wichti-
gen Gesetze beschließen . Das ist gut für die Sicherheit
im Land .

Ich danke Ihnen und wünsche eine gute Nacht .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg . Sebastian Hartmann [SPD])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822130700

Vielen Dank . – Die Aussprache ist damit beendet .

Wir kommen unter Tagesordnungspunkt 30a zur
Abstimmung über den von der Bundesregierung einge-
brachten Gesetzentwurf zur Verbesserung der Fahndung
bei besonderen Gefahrenlagen und zum Schutz von Be-
amtinnen und Beamten der Bundespolizei durch den
Einsatz von mobiler Videotechnik . Der Innenausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/11438, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksachen 18/10939 und 18/11282 anzunehmen .
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Be-
ratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Opposition angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist in dritter Beratung angenommen .

Tagesordnungspunkt 30b . Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes – Erhöhung
der Sicherheit in öffentlich zugänglichen großflächigen
Anlagen und im öffentlichen Personenverkehr durch op-
tisch-elektronische Einrichtungen . Der Innenausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/11435, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksachen 18/10941 und 18/11183 anzunehmen .
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen . – Das sind die Koalitions-
fraktionen . Wer stimmt dagegen? – Das ist die Oppositi-
on . Wer enthält sich? – Niemand . Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen
zu erheben . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem glei-
chen Stimmenverhältnis angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 sowie Zusatz-
punkt 11 auf:

31 Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes
zur Änderung des BDBOS-Gesetzes

Drucksache 18/11139
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO

Marian Wendt






(A) (C)



(B) (D)


ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Irene
Mihalic, Matthias Gastel, Anja Hajduk, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Lückenlose BOS-Digitalfunkabdeckung in
Bahnhöfen der Deutschen Bahn AG sicher-
stellen

Drucksache 18/11409
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur

Beim BDBOS-Gesetz geht es um die Errichtung einer
Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Or-
ganisationen mit Sicherheitsaufgaben .

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, Sie sind einverstanden .1)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/11139 und 18/11409 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen . – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden . Dann ist
das so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher
Richtlinien der Europäischen Union zur Ar-
beitsmigration

Drucksachen 18/11136, 18/11182

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4 . Ausschuss)


Drucksache 18/11441

Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben
werden, sofern Sie damit einverstanden sind . – Ich sehe,
das ist der Fall . 2)

Wir kommen zur Abstimmung . Der Innenausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/11441, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksachen 18/11136 und 18/11182 anzunehmen .
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Be-
ratung gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke ange-
nommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis ange-
nommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen

1) Anlage 11
2) Anlage 12

schädliche Steuerpraktiken im Zusammen-
hang mit Rechteüberlassungen

Drucksache 18/11233
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Haushaltsausschuss

Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . – Ich sehe, Sie sind einverstanden .3)

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 18/11233 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . – Auch hiermit
sind Sie einverstanden .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 34 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes
zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergeset-
zes

Drucksache 18/11234
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Sie
sind einverstanden . 4)

Wir kommen zur Abstimmung . Interfraktionell
wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksa-
che 18/11234 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen . – Ich sehe keine weiteren
Vorschläge . Dann ist das so beschlossen .

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 35:

Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Re-
gelung des Rechts auf Kenntnis der Abstam-
mung bei heterologer Verwendung von Samen

Drucksache 18/11291
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . – Ich sehe, Sie sind einverstanden .5)

Interfraktionell wurde vereinbart, den Gesetzentwurf
auf Drucksache 18/11291 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse zu überweisen . – Sie sind ein-
verstanden, wie ich sehe .

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 36:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Änderung raumordnungsrechtlicher
Vorschriften

3) Anlage 13
4) Anlage 14
5) Anlage 15

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


Drucksache 18/10883

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur

(15 . Ausschuss)


Drucksache 18/11432

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, Sie sind einverstanden .1)

Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11432,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/10883 in der Ausschussfassung anzunehmen .
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der
Opposition angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist in dritter Lesung mit dem gleichen Stimmen-
verhältnis angenommen .

Tagesordnungspunkt 37:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten
Gesetzes  zur  Änderung  des  Binnenschiff-
fahrtsaufgabengesetzes

Drucksache 18/10818

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur

(15 . Ausschuss)


Drucksache 18/11200

Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden .2)

Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11200,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/10818 in der Ausschussfassung anzunehmen .
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Lesung gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf zustimmen wollen, bitte ich, sich zu erheben . – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent-
wurf ist damit mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie
in der dritten Lesung angenommen .

1) Anlage 16
2) Anlage 17

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 38 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än-
derung der materiellen Zulässigkeitsvoraus-
setzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen
und zur Stärkung des Selbstbestimmungs-
rechts von Betreuten

Drucksache 18/11240
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Gesundheit

Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . – Sie sind damit einverstanden .3)

Interfraktionell wurde vereinbart, den Gesetzentwurf
auf Drucksache 18/11240 an den Ausschuss für Recht
und Verbraucherschutz zu überweisen . – Niemand hat
dazu einen anderen Vorschlag . Dann ist das so beschlos-
sen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 39 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Reform des Bauvertragsrechts und
zur Änderung der kaufrechtlichen Mängel-
haftung

Drucksache 18/8486

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6 . Ausschuss)


Drucksache 18/11437

Die Reden werden zu Protokoll gegeben . – Sie sind
damit einverstanden .4)

Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/11437, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/8486 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol-
len, um das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Alle, die zustimmen wollen,
bitte ich, aufzustehen . – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Der Gesetzentwurf ist in dritter Lesung mit
dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 40 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes
zur Änderung des Strafgesetzbuches – Straf-
barkeit von Sportwettbetrug und der Manipu-
lation von berufssportlichen Wettbewerben

Drucksache 18/8831

3) Anlage 18
4) Anlage 19

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6 . Ausschuss)


Drucksache 18/11445

Die Reden werden nicht zu Protokoll gegeben . Viel-
mehr sind nach einer interfraktionellen Vereinbarung für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich sehe kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr . Johannes Fechner von der SPD-Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Johannes Fechner (SPD):
Rede ID: ID1822130800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe zwei Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen!


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der SPD: Es sind drei!)


– Drei? Oh, entschuldigen Sie bitte; Sie habe ich über-
sehen . – Im Ernst: Der Sport hat eine erhebliche gesell-
schaftliche Bedeutung . Wir müssen deshalb alles tun –
ein erster Ansatz war das Anti-Doping-Gesetz –, um die
Glaubwürdigkeit des Sports zu schützen . Sportwettbe-
trug und die Manipulation von berufssportlichen Wettbe-
werben beeinträchtigen nicht nur die Glaubwürdigkeit,
sondern schädigen auch das Vermögen anderer und ins-
besondere das Vertrauen in den Sport . Das gefährdet den
Sport in seiner gesellschaftlichen und wirtschaftlichen
Relevanz .

Der Wettskandal rund um den ehemaligen Schieds-
richter Robert Hoyzer im Jahr 2005 hat die Glaubwür-
digkeit nicht nur des Fußballsports nachhaltig erschüt-
tert . Betrug und Manipulation nehmen dabei deutlich
zu . Zuletzt brachte im Januar dieses Jahres eine wissen-
schaftliche Studie drei Bundesligaschiedsrichter mit auf-
fälligen Wettsetzungen in Verbindung . Die brisante Stu-
die der Universität Bielefeld und zweier Universitäten in
den USA kommt zu dem Ergebnis, dass bei den Spielen
dieser drei Schiedsrichter auffällig hohe Wettbeträge ge-
setzt werden, und zwar auf sogenannte Über/Unter-Wet-
ten, bei denen es darum geht, ob mehr oder weniger als
2,5 Tore fallen, und das in einer statistischen Häufung,
die nach Ansicht der Wissenschaftler auch bei Wettbe-
trug zu erwarten wäre . Es fällt schwer, hier noch an einen
Zufall zu glauben . Solchen Manipulationen müssen wir
daher auch mit den Mitteln des Strafrechtes entgegentre-
ten . Es ist deshalb richtig, dass wir diesen Gesetzentwurf
hier heute beraten .

Es gibt eine Lücke im Strafrecht . Nach der heutigen
Rechtslage ist bei einem Betrug nur dann eine Strafbar-
keit gegeben, wenn auch ein Erfolg eintritt . Genau das
ändern wir mit diesem Gesetzentwurf . Wir gestalten
den Sportwettbetrug als abstraktes Gefährdungsdelikt .
Es muss also nicht zu einem entsprechenden Erfolg und
Vermögensschaden kommen .

Darüber hinaus schaffen wir einen Qualifikationstat-
bestand des besonders schweren Falles, wenn sich die Tat
auf einen Vorteil großen Ausmaßes bezieht oder der Täter

gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt . In
diesen Fällen wird zudem eine Befugnis zur Telekommu-
nikationsüberwachung eingeräumt . Ich glaube, auch das
wird dazu beitragen, das Vertrauen in den Sport wieder-
herzustellen .


(Beifall bei der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da ist doch die FIFA vor!)


Die Umsätze, die allein in Deutschland mit Sport-
wetten erzielt werden, liegen im Milliardenbereich . Die
Anreize zur Manipulation werden dadurch immer größer .
Mit dem heutigen Gesetzentwurf setzen wir deshalb ein
Signal für den sauberen Sport, für einen Sport ohne Be-
trug und ohne Bestechung .

In diesem Sinne stimmen wir diesem Gesetzentwurf
zu .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822130900

Vielen Dank, Johannes Fechner . – Schönen guten

Abend bzw . guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kol-
legen .


(Günter Baumann [CDU/CSU]: Guten Morgen!)


Nächster Redner: Dr . André Hahn für Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. André Hahn (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822131000

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Die erste Lesung zu diesem Gesetzentwurf fand
am 7 . Juli 2016 statt . Die Reden wurden zu Protokoll
gegeben, da der Tagesordnungspunkt erst zu nächtlicher
Stunde aufgerufen worden wäre . Am 28 . September 2016
lud der federführende Ausschuss namhafte Experten zu
einer öffentlichen Anhörung zum Gesetzentwurf ein.
Solche Anhörungen haben das Ziel, die Abgeordneten
mittels externen Sachverstands zu beraten und zu unter-
stützen, damit sie sachgerechte Entscheidungen treffen
und eventuell auch noch Änderungen am Gesetzentwurf
vornehmen können .

Mit großem Interesse habe ich die schriftlichen Stel-
lungnahmen der Experten gelesen und ihre Antworten
auf meine Fragen in der Anhörung verfolgt . Dabei wurde
deutlich, dass es eine ganze Reihe von rechtlich fragwür-
digen Regelungen in diesem Gesetzentwurf gibt und die
Koalition gut daran täte, das Papier noch einmal gründ-
lich zu überarbeiten .

Warum erzähle ich das?


(Günter Baumann [CDU/CSU]: Das ist die Frage!)


Ich erzähle das, Herr Kollege Baumann, weil es bis zu
dieser Woche, ein halbes Jahr später, noch immer kein
Protokoll von dieser Anhörung im Rechtsausschuss gibt .
Das erschwert nicht nur den Abgeordneten die Arbeit un-

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


nötig, sondern das ist in meinen Augen auch eine Miss-
achtung der Arbeit der Sachverständigen .


(Beifall bei der LINKEN)


Vielleicht ist das fehlende Anhörungsprotokoll ja ein
Grund dafür, dass wir einen so halbherzigen Änderungs-
antrag der Koalition vorliegen haben, der die zentralen
Fragen und Kritikpunkte nicht aufgreift . Nach monate-
langem Stillstand soll die Beschlussfassung nun aber im
Schweinsgalopp durchgezogen werden .

Erst gestern fanden die abschließenden Beratungen in
den Ausschüssen statt – jetzt muss man „vorgestern“ sa-
gen –, ohne dass es dort tiefgehende Debatten gegeben
hätte . Die Opposition durfte noch zwei, drei Kritikpunkte
anbringen, die von der GroKo wie immer ignoriert wur-
den, und heute soll der Gesetzentwurf im Plenum durch-
gewunken werden –


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die GroKo!)


wieder zu nächtlicher Stunde und damit de facto ohne
Öffentlichkeit. Das ist nicht nur parlamentarisch schlech-
ter Stil, sondern das wird auch dem wichtigen Anliegen
dieses Gesetzentwurfs nicht gerecht .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich halte dieses Prozedere, das man jetzt anscheinend
häufiger praktizieren will, für meine Fraktion und auch
für mich persönlich für wirklich inakzeptabel .

Nun aber zu einigen inhaltlichen Aspekten:

Nach dem Anti-Doping-Gesetz wird nun auch ein
Gesetz gegen Wettbetrug und Manipulation im Sport
verabschiedet, indem neue Tatbestände ins Strafrecht
eingefügt werden . Schutzgut soll damit zum einen die In-
tegrität des Sports – wir haben es eben gehört – und zum
anderen das Vermögen sein . Begründet wird dies mit
der herausragenden gesellschaftlichen und wirtschaftli-
chen Bedeutung des Sports, der unter anderem auch aus
diesen Gründen einen strafrechtlichen Schutz benötige .
Bisher sei aus Sicht der Koalition eine strafrechtliche
Verfolgung nur unzureichend möglich . Das ist eben auch
vorgetragen worden . Nun greift man zu einer neuen Re-
gelung, die auch nicht wirklich überzeugen kann .

Gänzlich neu im Gesetzentwurf – das will ich durch-
aus sagen – ist der geplante Tatbestand zur Manipula-
tion berufssportlicher Wettbewerbe, ein Handeln, das
bisher noch nie strafrechtlich geregelt worden ist . Da-
nach macht sich strafbar, wer einen Vorteil fordert, sich
versprechen lässt oder annimmt oder als Gegenleistung
dafür den Verlauf oder das Ergebnis einer Sportveran-
staltung wettbewerbswidrig beeinflusst. Das ist der Fall,
wenn zum Beispiel der Trainer einer Fußballmannschaft
dieser aufträgt, ein Spiel bewusst zu verlieren, wenn ein
Torwart gegen Entgelt absichtlich Tore zulässt oder wenn
ein Schiedsrichter bewusst spielentscheidende Fehlent-
scheidungen trifft. Hier soll insbesondere die Integrität
des Sportes geschützt werden .

Grundsätzlich – das will ich klar sagen – spricht sich
selbstverständlich auch die Linke für einen besseren
Schutz gegen Sportwettbetrug aus .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich darf darauf verweisen, dass wir schon in unserem An-
trag zum Anti-Doping-Gesetz – Drucksache 18/2308 –
gefordert hatten, dass der Staat zum Schutz des Sportes
und seiner Werte und nicht zuletzt sportlicher Wettbe-
werbe selbst ein solches Regelwerk schaffen muss.

Angesichts der teilweise exorbitanten Summen, die
auf legale oder auch illegale Weise durch den Sport um-
gesetzt werden, sowie der schweren Schäden, die durch
Betrug verursacht werden können, besteht durchaus drin-
gender Handlungsbedarf . Der Sport allein kann dieses
Problem nicht lösen . Deshalb brauchen wir neben den
sportlichen auch staatliche Sanktionsmechanismen, die
sich gegenseitig ergänzen .

Ich habe aber Fragen: Reichen die derzeit geltenden
strafrechtlichen Bestimmungen wirklich nicht aus, um
Schuldige zu belangen? Warum soll Manipulation nur
bei berufssportlichen Wettbewerben als Straftatbestand
angewandt werden? Was geschieht zum Beispiel, wenn
beim Fußballspielen im Amateurbereich Spiele gekauft
werden, die am Ende aber über den Aufstieg in den Pro-
fibereich entscheiden? In wie vielen und welchen Sport-
arten gibt es überhaupt echte Profis? Und ist es nicht
so, dass selbst die Spitzenathleten in vielen Sportarten
nicht von der Ausübung ihrer Sportart leben können und
zusätzliche Unterstützung benötigen? Soll dort dann
straffrei manipuliert werden können?

Diese und andere Fragen sind nicht wirklich hinrei-
chend beantwortet . Es bestehen viele Lücken und Grau-
bereiche, beispielsweise hinsichtlich der Abgrenzung
zwischen Amateur- und Berufssport . Deshalb lautet mein
Resümee: Nicht alles, was in bester Absicht vorgelegt
wird und auf den ersten Blick gut aussieht, ist letztlich
wirklich geeignet . Deshalb können wir als Linke dem
Gesetzentwurf nicht zustimmen, sondern werden uns der
Stimme enthalten .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822131100

Vielen Dank, Dr . André Hahn . – Der nächste Redner

ist Alexander Hoffmann für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Alexander Hoffmann (CSU):
Rede ID: ID1822131200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kollegin-

nen und Kollegen! Lieber Kollege Hahn, ich darf gleich
am Anfang etwas berichtigen . Es ist nicht richtig, dass
das Protokoll der Anhörung bis zu diesem Moment nicht
vorliegt . Es wurde heute Mittag kurz nach zwölf ver-
schickt .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Heute Mittag!)


Dr. André Hahn






(A) (C)



(B) (D)


– Ja gut, wir wollen bei der Wahrheit bleiben . Jetzt haben
wir 0 .37 Uhr . Das heißt, es wäre ein bisschen Zeit gewe-
sen, um das eine oder andere noch nachzulesen, wenn es
für Sie so interessant gewesen wäre .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822131300

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder

-bemerkung?


Alexander Hoffmann (CSU):
Rede ID: ID1822131400

Aber wahnsinnig gerne .


(Zuruf von der CDU/CSU: Der Tag ist noch jung!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822131500

Ja, das glaube ich Ihnen .


Dr. André Hahn (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822131600

Ich bedanke mich, dass ich kurz eine Frage stellen

kann . – Können Sie mir sagen, wie ein Abgeordneter,
ohne dass er dieses Protokoll – es lag zum Zeitpunkt der
Beschlussfassung im Ausschuss nicht vor; es liegt mir
auch jetzt nicht vor – lesen konnte, in den Ausschuss-
sitzungen auf die wirklich gravierenden rechtlichen Ein-
wände der Sachverständigen eingehen und eventuell da-
raus Änderungsanträge ableiten konnte?


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Anhörungen sind bei der Union nur Placebos!)



Alexander Hoffmann (CSU):
Rede ID: ID1822131700

Die Frage ist unglaublich spannend, lieber Kollege

Hahn . Die habe ich mir nämlich vorhin auch gestellt,
weil Sie meiner Erinnerung nach just bei der Ausschuss-
sitzung, in der dieses Gesetz besprochen worden ist, gar
nicht anwesend waren . Darum habe ich überhaupt nicht
verstanden, warum Sie die Beratungen im Rechtsaus-
schuss beklagt haben .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestern Abend gab
es eine Sternstunde des internationalen Sports . Der FC
Barcelona besiegte Paris Saint-Germain mit 6:1, nach-
dem es für Barcelona nach dem mit 0:4 verlorenen Hin-
spiel sehr schlecht aussah . Vor allem die Tore in der 88 .,
91 . und 95 . Minute erzeugten das, was viele Medien heu-
te als Fußballwunder bezeichnet haben .

Meine Damen und Herren, was ist es, was die Men-
schen am Sport so begeistert? Ich glaube, es sind drei
Dinge . Das sind einmal die Hochleistungen, erzeugt
durch Technik, Schnelligkeit und Kraft . Dann ist es der
Siegeswille, der immer zu spüren ist . Und es gibt noch
eine dritte Komponente, die, glaube ich, heute sehr wich-
tig ist, nämlich die Unvorhersehbarkeit des Ausgangs .
Niemand besucht ein Fußball- oder Tennismatch, wenn
er weiß, wie das Ergebnis am Ende aussieht, egal wie gut
die Sportler auf dem Platz sind .

Diese Begeisterung hat in den letzten Jahrzehnten ei-
nen echten internationalen Wirtschaftssektor geschaffen.
Es geht um Geld . Da, wo es um Geld geht, wetten Men-
schen, um etwas von diesem Geld abzubekommen . Dann

gibt es auch diejenigen, die auf illegale Art und Weise
an das Geld kommen wollen . Dann muss der Rechtsstaat
überlegen: Müssen wir einschreiten? Müssen wir die
Bürger, müssen wir Rechtsgüter schützen?

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage: Rei-
chen die §§ 263 und 299 StGB aus? Diese Frage kann
man stellen . Mit Blick auf § 299 StGB kann man im-
merhin sagen: Der internationale Sportbereich ist doch
ein Wirtschaftssektor . Ist das nicht so etwas wie ein ge-
schäftlicher Verkehr? Er greift aber deswegen nicht, weil
es eben nicht um den Bezug von Waren und Dienstleis-
tungen geht . § 263 StGB kam hin und wieder zur Anwen-
dung, nämlich über die Beihilferegelungen für Sportler
und auch für Schiedsrichter, aber immer nur dann, wenn
es einen Wettbezug gibt .

Hinzu kommt noch eine dritte Komponente . Lie-
be Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, das ist ein
Dreiklang, so will ich es einmal beschreiben . Die Be-
geisterung für Sport ist der Grund für die wirtschaftli-
che Existenz dieses Sektors . Diese Begeisterung wird
hervorgerufen durch Hochleistung, Siegeswillen und
den ungewissen Ausgang . Wer Spiele verschiebt, der
führt Leistungen und den Siegeswillen ad absurdum . Er
zerstört eben auch die Begeisterung an dem ungewissen
Ausgang . Damit wird genau die Grundlage dieses inter-
nationalen Wirtschaftssektors vernichtet . Deshalb ist es
richtig, dass wir die Verletzung der Integrität des Sportes
in einem separaten Straftatbestand abbilden . Wir etablie-
ren zwei neue Straftatbestände: § 265c StGB – Sport-
wettbetrug – für Manipulationsabreden mit Bezug auf
Sportwetten, und § 265d StGB, Manipulationsabreden
ohne Sportwettbezug .

Wichtig ist mir am Ende eins: Ich glaube, eine Abbil-
dung beispielsweise durch eine Veränderung von § 299
StGB alleine wäre nicht sachgerecht gewesen . Natürlich
kann man sagen: § 299 StGB ist doch so etwas Ähnli-
ches . Er schützt die Integrität des geschäftlichen Ver-
kehrs . Aber ich will Ihnen ein Gegenbeispiel nennen .
Nehmen wir den Abschluss von Energielieferverträgen .
Wer da manipuliert, der schadet natürlich dem Ansehen
der Branche . Manche Menschen werden sich von dem
einen Unternehmen abwenden und sich dem anderen
zuwenden . Aber sie werden sich nicht von der ganzen
Branche abwenden, weil Energie erforderlich ist und sie
Energie beziehen müssen .

Beim Sport ist das anders . Schauen Sie sich die Bei-
spiele an, die wir haben, etwa die Dopingskandale im
Radsport, die mittlerweile dazu geführt haben, dass in
vielen Ländern die Berichterstattung der Tour de Fran-
ce gestoppt wurde . Wir müssen damit rechnen, dass sich
Menschen bei Betrug oder Manipulationen im Sport
von ganzen Sportbereichen abwenden . Deswegen ist es
wichtig, dass wir Betrug und Manipulationen in anderen
Straftatbeständen abbilden . Das tun wir mit dem vorlie-
genden Gesetz . Ich werbe um Ihre Zustimmung .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Alexander Hoffmann






(A) (C)



(B) (D)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822131800

Vielen Dank, Alexander Hoffmann. – Die nächste

Rednerin: Renate Künast für Bündnis 90/Die Grünen .


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822131900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich finde, dass der Gesetzentwurf, den wir jetzt beraten,
wieder einmal ein Musterbeispiel für den verfehlten Ein-
satz des Strafrechts durch die Große Koalition ist .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ja, Sport hat eine herausragende gesellschaftliche Rol-
le, und zwar sowohl der Profibereich als auch der Bereich
der Amateure; der letzte Bereich mittlerweile vielleicht
sogar mehr . Ja, Fairness und Integrität sind Grundvor-
aussetzungen, machen etwas aus und können gesell-
schaftlichen Einfluss haben. Aber Fairness und Integrität
sind einschließlich des Verbots von Spielmanipulationen
und des Verbots der Herausgabe von Insiderkenntnissen
in den Regelkatalogen der Vereine und Verbände schon
enthalten. Ich finde, dahin gehören sie, nicht in ein Straf-
gesetzbuch .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen keinen zusätzlichen speziellen Straftat-
bestand . Mit dem, was bereits vorhanden ist, nämlich mit
den §§ 263 und 299 StGB, Betrug sowie Bestechlichkeit
und Bestechung im geschäftlichen Verkehr, können wir
gegen Sportwettbetrug vorgehen . Deshalb kommen wir
zu dem Ergebnis: Dieses Gesetz ist unnötig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Damit stehen wir nicht alleine, sondern sowohl der Deut-
sche Anwaltverein als auch der Deutsche Richterbund
haben in den Anhörungen von einem solchen Gesetz, von
einer solchen Regelung abgeraten .

Die Integrität des Sports – das haben wir schon beim
Doping diskutiert – und das rein wirtschaftliche Interes-
se der Sportwettenanbieter sind keine Rechtsgüter, die
für meine Begriffe eine solche Rechtsqualität aufweisen,
dass sie durch das Strafgesetzbuch geschützt werden
müssen . Dann werden Sie demnächst auch Musikwett-
bewerbe, vielleicht den Eurovision Song Contest, Frau
Präsidentin, den Architektenwettbewerb und andere
Wettbewerbe strafrechtlich schützen müssen. Ich finde,
dass solche Begriffe wie Integrität gar nicht in das Straf-
gesetzbuch gehören .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nun lasse ich einmal Details beiseite, die in diesem
Gesetzentwurf noch enthalten sind . Was ist eigentlich
Berufssport? Soll sich die Staatsanwaltschaft jetzt alle
Spiele ansehen und dann, wenn eine Rote Karte fälsch-
licherweise gezogen wurde, am nächsten Morgen einen
Prüfvorgang anlegen? Das ist nicht Ihr Ernst, oder? Ich
finde, dass dieses Gesetz mehr Unklarheiten schafft als
Klarheiten .

Wir sind der festen Überzeugung, dass hier etwas mit
den Mitteln des Strafgesetzbuchs geregelt wird, was der
Sport selbsttätig regeln kann und müsste . Warum sind
wir hier am Gängelband vom DFB und anderen, um de-

ren Hausaufgaben zu erledigen, damit Herr Grindel dann
sagt: „Wir tun ja viel“?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir tun viel in einem Bereich, der wirtschaftlich nicht
gerade darbt . Es gibt Jungs, die so viel Geld haben, dass
sie sich fragen, wohin damit . Manche bringen es in die
Karibik . Die haben so viel Geld, dass sie das Personal
bezahlen könnten, das notwendig ist, um für andere
Strukturen zu sorgen . So wie es in einem berühmten Lied
heißt: „Es kann die Befreiung der Arbeiter nur das Werk
der Arbeiter sein“, heißt es hier: Es kann die Integrität
des Sportes nur das Werk des Sportes sein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir könnten klare Vergaberegeln für Sportgroßver-
anstaltungen auflegen. In korruptionsbelasteten Staaten
gibt es keine Sportgroßveranstaltungen mehr . Ich höre,
dass 18 Vereine einen Wettanbieter als Sponsor haben .
Was ist das denn? Da lebt man als Sponsor davon, dass
einer auf Halbzeitergebnisse wettet oder darauf, dass die
Rote Karte falsch ist . Meine Damen und Herren, das mei-
nen Sie doch nicht ernst .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vielleicht könnten die Liga und der DFB einmal Serio-
sitätskriterien in Bezug auf den Werbepartner festlegen .
Sie sollten nicht mit Sportwettenanbietern zusammenar-
beiten, die sich in ausländischen Niedrigsteuergebieten
bewegen .

Ich kann Ihnen nur mit Fragen kontern: Warum grün-
det der Sport nicht endlich selbst eine unabhängige An-
ti-Korruptions-Agentur? Warum hat die Bundesregie-
rung 2013 die angekündigte nationale Plattform gegen
Spielmanipulationen nicht durch- und umgesetzt bzw .
gar nicht eingerichtet? Warum soll eigentlich die All-
gemeinheit finanziell und personell das regeln, was der
Sport mit seinen Geldern tun kann? Warum sollen ei-
gentlich wir mit den engen personellen Kapazitäten und
angesichts eines Generalbundesanwalts, der den Ländern
sagt: „Schickt mir mehr erfahrene Staatsanwälte“, etwas
regeln, was der Sport selber regeln kann und muss?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822132000

Vielen Dank, Renate Künast . – Der nächste Redner:

Matthias Schmidt für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Matthias Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822132100

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Die Wahrheit
liegt auf dem Platz .“ Otto Rehhagel meinte mit seiner
Fußballwahrheit jeden Fußballplatz vom Bolzplatz bis
zur Bundesliga . Auf dem Bolzplatz lernten viele von uns
und lernen auch heute noch viele Jungs und viele Mäd-
chen die Werte des Sports: Fairness, Respekt, Leistungs-






(A) (C)



(B) (D)


bereitschaft, Disziplin, Teamplay, Hinfallen und Aufste-
hen und im weitesten Sinne auch die Demokratie .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Ich habe immer versucht, Elfmeter herauszuschinden!)


– André, das hätte ich nicht von dir gedacht .

Um die Wahrheit auf dem Platz feststellen zu können,
brauchen wir Regeln, Spielregeln, die transparent sind
für alle und ohne Ausnahme gelten . Es gibt aber Ein-
zelfälle im Sport, da gelten diese Regeln nicht . Da wird
betrogen und manipuliert, und der autonome Sport, Frau
Künast, ist nicht in der Lage und war nicht in der Lage,
das alleine zu regeln . Darum braucht es einen Gesetzent-
wurf der Bundesregierung, und das ist gut so .

Ich möchte an dieser Stelle neben der rechtlichen Not-
wendigkeit aus der Perspektive des Sports auf die Be-
deutung des Gesetzentwurfs eingehen, insbesondere mit
Blick auf einen wirksamen Schutz vor Manipulation und
Wettbetrug . Ob auf dem Bolzplatz oder in großen Stadi-
en: Winkt ein Gewinn, versuchen manche, die Regeln zu
umgehen. Das Streben nach persönlichem Profit verleitet
kriminelle Geister zu Betrug und Manipulation, erst recht
dann, wenn, wie das bisher der Fall war, kaum rechtliche
Konsequenzen zu befürchten sind .

Darunter leiden alle, die sich dem Sport verbunden
fühlen, zuallererst seien hier die Fans genannt . Nicht
nur ihr Team, sondern gleich die ganze Sportart nimmt
Schaden und gerät ins Zwielicht . Es fällt auch auf die
unbescholtenen Sportlerinnen und Sportler zurück, und
wo Spielmanipulation und Sportwettbetrug nicht ausrei-
chend geahndet werden, ist auch die Debatte um Doping
nicht weit .

Auch die Glaubwürdigkeit der Schiedsrichter leidet .
Die Missetat eines Einzelnen – wir haben das alle noch
im Kopf – fällt auch allen anderen auf die Füße . Aber
auch jene, die auf ehrliche Weise mit Sportwetten Geld
verdienen, werden in Mitleidenschaft gezogen . Ja, auch
der dahinterstehende Wirtschaftszweig muss hier mitbe-
rücksichtigt werden .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Nicht zuletzt leiden auch die Sportvereine, ob große oder
kleine, unter Sportwettbetrug und Manipulation, wenn
Verdächtigungen und Misstrauen aufkeimen .

Sport fungiert als zentraler Träger der Werte, die ich
eingangs nannte . Deswegen tragen wir hier im Deut-
schen Bundestag eine große Verantwortung für den Sport
und für unsere Gesellschaft . Die strafrechtliche Verfol-
gung derlei Geschäfte ist bislang nur unzureichend mög-
lich . Darum schließt der vorliegende Gesetzentwurf eine
Lücke und bestraft Wettbetrug wenigstens .

Nichtsdestotrotz sollten wir uns auch die Frage nach
möglichen Präventionsmaßnahmen stellen: Wie können
wir frühzeitig gegen Betrug und Manipulation im Sport
vorgehen? Wir dürfen die Strukturen, die kriminelles
Verhalten begünstigen, nicht aus den Augen verlieren .
Zusätzlich muss aber Aufklärungsarbeit geleistet wer-
den . Die Menschen müssen davon überzeugt werden,
dass sich Betrug nicht lohnt, auch abseits von gesetzli-
chen Vorgaben . Spielsüchtigen Menschen muss geholfen

werden, da ihre Lage sie scheinbar zu Betrug und Mani-
pulation zwingt . Ich bin zusätzlich der Meinung, dass wir
auch international zum Handeln aufgefordert sind, nicht
zuletzt wegen der nicht enden wollenden niederschmet-
ternden Erkenntnisse im Zuge mehrerer FIFA-Skandale .

Wir können heute deutlich machen, dass uns der Sport
und die Werte, die er vermitteln sollte, nicht egal sind .
Der Gesetzentwurf schließt eine Lücke und hilft auch,
durch Abschreckung kriminellen Machenschaften eine
klare Absage zu erteilen .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit oder, um es mit
Trapattoni zu sagen: Ich habe fertig .


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822132200

Vielen Dank, Matthias Schmidt . – Der letzte Red-

ner in dieser Debatte: Ingo Wellenreuther für die CDU/
CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ingo Wellenreuther (CDU):
Rede ID: ID1822132300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich freue

mich, Sie alle um diese Uhrzeit hier zu sehen . – In den
Koalitionsverhandlungen haben wir beschlossen, ein
deutliches Signal für einen sauberen, manipulationsfrei-
en Sport zu setzen . Nach dem Anti-Doping-Gesetz im
letzten Jahr verabschieden wir heute ein Gesetz gegen
den Sportwettbetrug und gegen die Manipulation berufs-
sportlicher Wettbewerbe und stellen dies unter Strafe .
Wir sind dies den ehrlichen Sportlerinnen und Sport-
lern schuldig, aber auch den Anbietern von Sportwetten,
Wettteilnehmern, Sportvereinen, Veranstaltern, Sponso-
ren und auch der Öffentlichkeit ganz allgemein.

Aber auch der organisierte Sport, insbesondere der
Deutsche Fußballbund, begrüßt die Einführung der neu-
en Straftatbestände . Es geht hier um Manipulationsabre-
den im Sport . Diese werden in Zukunft als Sportwettbe-
trug in § 265c StGB unter Strafe gestellt, wenn sie einen
Bezug zu Sportwetten haben, und in § 265d StGB, wenn
sie berufssportliche Wettbewerbe betreffen, ohne einen
Bezug zu Sportwetten zu haben . Letzteres ist der Union
zu verdanken, weil wir es nicht nur den Verbänden über-
lassen wollten, interne Strafen auszusprechen; denn eine
strafrechtliche Verurteilung wird den Taten eher gerecht .
Auch die Abschreckungswirkung ist durch einen Straf-
tatbestand eine andere .

Wir waren auch aus rechtspolitischer Sicht aufgeru-
fen, die Integrität des Sports sowie die Vermögensinter-
essen vieler Beteiligter zu schützen . Der Verlauf und das
Ergebnis sportlicher Wettbewerbe dürfen weiterhin nicht
voraussehbar sein . Gerade dies macht ja den Sport für
viele Menschen so attraktiv und reizvoll . Die bisherigen
Straftatbestände waren nicht ausreichend . Kriminelles
Verhalten von Sportlern konnte oft nur als Beihilfe ge-
ahndet werden, und die Manipulation berufssportlicher
Wettbewerbe war gar nicht strafbar . Darüber hinaus gab
es Beweisschwierigkeiten, oder die Strafbarkeit scheiter-
te am konkreten Nachweis eines Vermögensschadens .

Matthias Schmidt (Berlin)







(A) (C)



(B) (D)


Kern des abstrakten Gefährdungsdelikts beim Sport-
wettbetrug ist die Unrechtsvereinbarung, mit welcher die
Vorteilsannahme als Gegenleistung für die Beeinflussung
des Wettkampfs mit dem Vermögensvorteil einer Sport-
wette verknüpft wird . Täter sind Spieler oder Trainer .
Dazu zählen in Zukunft dank unseres Einsatzes auch
Athletiktrainer, Technik- oder Torwarttrainer, wenn sie
auf Geschehnisse Einfluss nehmen können.

Dank des Einsatzes der Union ist der Sportwettbetrug
auch in den Katalog der Geldwäschevortaten aufgenom-
men worden . Bei der Manipulation berufssportlicher
Wettbewerbe reicht es aus, wenn Ergebnisse manipu-
liert werden, auch ohne dass eine Sportwette damit in
Zusammenhang steht . Dazu gehören Absprachen über
den Spielausgang, etwa zur Verhinderung des eigenen
Abstiegs . Das konnte man ja – das ist schon lange her –
1971 beim damaligen Bundesliga-Skandal beobachten .

Für beide Straftatbestände ist es durch die Änderung
von § 100a StPO auch gelungen, den Behörden die Be-
fugnisse zur Überwachung der Telekommunikation ein-
zuräumen . Besser wäre es meines Erachtens gewesen,
wenn in besonders schweren Fällen der Strafrahmen aus-
geweitet worden wäre . Vor dem Hintergrund der Millio-
nenbeträge, die gewettet werden, wäre ein höherer Straf-
rahmen schuldangemessener gewesen und hätte auch
eine bessere abschreckende Wirkung erzielt .

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ich sehr zu-
frieden bin, dass wir in dieser Wahlperiode, nachdem
wir im letzten Jahr zunächst das Anti-Doping-Gesetz
verabschiedet haben, nunmehr mit diesem Gesetz im
Kampf gegen Spielmanipulationen mit und ohne Bezug
zu Sportwetten ein deutliches Signal für einen sauberen,
ehrlichen und fairen Sport setzen können. Ich hoffe auf
eine präventive Wirkung des Gesetzes, damit es zu sol-
chen Taten erst gar nicht mehr kommt, meine Damen und
Herren .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822132400

Vielen Dank, Herr Kollege Wellenreuther . – Wir

kommen zur Abstimmung über den von der Bundesre-
gierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des
Strafgesetzbuches – Strafbarkeit von Sportwettbetrug
und der Manipulation von berufssportlichen Wettbewer-
ben . Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/11445, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/8831 in der Ausschussfassung anzu-
nehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen .
Zugestimmt haben die CDU/CSU und die SPD . Dagegen
waren Bündnis 90/Die Grünen . Enthalten hat sich die
Linke .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –

Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist angenommen . Zugestimmt haben die CDU/
CSU und die SPD . Dagegengestimmt hat Bündnis 90/
Die Grünen . Enthalten hat sich die Linke .

Ich begrüße die Gäste auf der Tribüne, die so zahl-
reich, warum auch immer, jetzt erschienen sind,


(Beifall)


und rufe die Tagesordnungspunkte 41 a und 41 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Stärkung der nichtfinanziellen Berichter-
stattung der Unternehmen in ihren Lage- und

(CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz)


Drucksachen 18/9982, 18/10344, 18/10444
Nr. 1.6

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6 . Ausschuss)


Drucksache 18/11450

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Recht und Verbrau-
cherschutz (6 . Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Renate Künast, Katja Keul, Uwe
Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der Frakti-
on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zukunftsfähige Unternehmensverantwor-
tung – Nachhaltigkeitsberichte wirksam und
aussagekräftig ausgestalten – Umsetzung der
CSR-Richtlinie

Drucksachen 18/10030, 18/11450

Nach interfraktioneller Vereinbarung sind 25 Minuten
für die Aussprache vorgesehen . – Ich höre keinen Wider-
spruch . Sie wollen also nicht länger debattieren . Dann ist
das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache, und das Wort hat Metin
Hakverdi .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Metin Hakverdi (SPD):
Rede ID: ID1822132500

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-

gen! Heute ist ein guter Tag für die Europäische Union .


(Zuruf des Abg . Frank Tempel [DIE LINKE])


Heute ist ein guter Tag für die Entwicklung der Unter-
nehmenskultur in unserem Land, aber auch in Europa .
Mit der Umsetzung der CSR-Richtlinie stellen wir wich-
tige Weichen für die Unternehmensführung, für die Zu-
kunft von Unternehmen und ihrer Berichterstattung in
Deutschland und ganz Europa: Einführung der Berichts-
pflichten in den Bereichen Umwelt, Arbeitnehmer und
Sozialbelange, in den Bereichen der Achtung der Men-
schenrechte und der Bekämpfung von Korruption bis in
die internationale Lieferkette hinein .

Ingo Wellenreuther






(A) (C)



(B) (D)


Das bedeutet, dass Unternehmen zukünftig nicht nur
das Ziel verfolgen dürfen und sollen, mit guten und wett-
bewerbsfähigen Produkten und Dienstleistungen Geld zu
verdienen; nein, sie sollen auch ihrer gesellschaftlichen
Verantwortung nachkommen, diese nicht nur beachten,
sondern in ihren Berichten darüber auch öffentlich Re-
chenschaft ablegen. Wir glauben fest daran, dass Profit
und Verantwortung kein Widerspruch sein muss .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Corporate Social Responsibility, das ist schwer zu
übersetzen . Ich versuche es mal mit „gesellschaftliche
unternehmerische Verantwortung“ oder „soziale unter-
nehmerische Verantwortung“ . Es ist eine Verantwortung,
an die die Unternehmen in jedem Jahr bei ihrer Be-
richtserstellung erinnert werden . Es geht aber um mehr .
Es geht um Verbraucherinnen und Verbraucher, die die
Produkte und Dienstleistungen immer mehr danach be-
werten, inwieweit Unternehmen ihrer gesellschaftlichen
Verantwortung auch tatsächlich nachkommen . Deshalb
legen größere Unternehmen auch jetzt schon, ohne die
gesetzliche Pflicht, CSR-Berichte vor. Im Übrigen spielt
die nichtfinanzielle Information in den Berichten zum
Umgang mit Menschenrechten, Umweltbelangen und so-
zialen Belangen auch auf dem Kapitalmarkt eine immer
größere Rolle .

Ein Satz am Ende zu den Vorschlägen der Grünen . Wir
hätten uns auch mehr gewünscht . Sicherlich hätten wir
uns einen größeren Anwendungsbereich gewünscht . Si-
cherlich hätten wir uns die Debatte über die Verbraucher-
belange an prominenterer Stelle gewünscht . Aber dies ist
ein erster guter Schritt . Wir wünschen uns, dass wir in
Zukunft, nach der Evaluierung auf europäischer Ebene
und nach den Berichten über die Erfahrungen auf nati-
onaler Ebene, auf dieser Schiene weiterfahren, um den
Konflikt zwischen Gewinn und sozialer Verantwortung
in Zukunft nicht größer werden zu lassen .

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit, in An-
betracht der Uhrzeit besonders bei den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern der Bundestagsverwaltung . Einen schö-
nen Abend!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822132600

Vielen Dank, Kollege Hakverdi . – Nächste Rednerin:

Birgit Menz für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Birgit Menz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822132700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen

und Kollegen! Liebe Gäste! Die Wirtschaft soll dem Ge-
meinwohl dienen . Doch tut sie das, wenn immer weniger
Konzerne immer größere Profite einstreichen und gleich-
zeitig immer mehr Menschen schlechte Arbeitsbedingun-
gen haben? Wenn deutsche Unternehmen bei der Herstel-
lung ihrer Produkte die Schädigung der Gesundheit von
Arbeiterinnen und Arbeitern, die Zerstörung der Umwelt

und die Missachtung von Sozialstandards in Kauf neh-
men, dient das nicht dem Gemeinwohl .

Nennen wir die Dinge beim Namen: Das Beklei-
dungsunternehmen KiK oder der Spielzeughersteller
Schleich lassen in Bangladesch oder China produzieren,
um fairen Löhnen, guten Sozialstandards und strengen
Umweltschutzregeln aus dem Weg zu gehen . Zweck ist
ausschließlich die Profitmaximierung. Die damit verbun-
denen Umwelt- und sozialen Kosten aber tragen gerade
die armen Menschen, die am stärksten unter den Folgen
des sozialen und ökologischen Raubbaus leiden und we-
niger in der Lage sind, ihre Interessen durchzusetzen . Für
die Linke möchte ich klarstellen: Wer Menschenrechts-
verletzungen und Umweltzerstörung verursacht, soll sich
dafür verantworten müssen .


(Beifall bei der LINKEN)


Das Verursacherprinzip muss in unserem Wirtschafts-
system wieder durchgesetzt werden . Einige deutsche
Unternehmen zeigen, dass man Produkte unter fairen
Bedingungen herstellen und zu fairen Preisen auf den
Markt bringen kann . Auch wenn Waren aus den Ländern
des Südens bezogen werden, kann jedes Unternehmen
sicherstellen, dass die Lieferbeziehungen fair sind . Das
setzt aber voraus, dass man für seine gesamte Lieferkette
Verantwortung übernimmt . Leider sind die meisten Un-
ternehmen dazu nicht freiwillig bereit . Sie werden erst
dann wirklich handeln, wenn sie rechtlich dazu verpflich-
tet werden .

Mit der Umsetzung der europäischen CSR-Richtli-
nie sollen Unternehmen über ihr nichtfinanzielles Wirt-
schaften Bericht erstatten. Sie sollen öffentlich über die
Achtung von Menschenrechten, Umweltschutzstandards,
Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerrechten sowie
über Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung informie-
ren . Verbraucherinnen und Verbraucher können sich so
Klarheit verschaffen, ob Unternehmen ihrer Verantwor-
tung gerecht werden . Damit werden die Unternehmen
gestärkt, die sich tatsächlich der Gemeinwohlökonomie
verpflichtet fühlen.

Diese Idee ist gut und richtig, aber die Bundesregie-
rung setzt sie nicht konsequent genug durch . Statt klarer
Berichtspflichten können sich fast alle Unternehmen vor
Auskünften drücken . Nur 3 Prozent der großen Unter-
nehmen in Deutschland werden nach dem Vorschlag der
Bundesregierung einen Bericht vorlegen müssen . Der
Gesetzentwurf sieht sogar vor, dass Unternehmen Anga-
ben über nachteilige Entwicklungen weglassen können .
Und: Die Berichte müssen nicht einmal durch unabhän-
gige Gutachter geprüft werden . Lebensmittelkonzerne
wie Aldi und Lidl, die derzeit wieder wegen massiver
Verletzung von Arbeiterrechten auf den Plantagen in der
Kritik stehen, müssen nicht ein Wort über ihr unverant-
wortliches Handeln sagen . Das ist nicht hinnehmbar .

Die Linke fordert, dass alle deutschen Unternehmen,
die im globalen Handel tätig sind, ab sofort verpflichtet
werden, die Einhaltung von Menschenrechten, Umwelt-
schutzstandards, Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmer-

Metin Hakverdi






(A) (C)



(B) (D)


rechten und Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung
durchgängig zu garantieren .


(Beifall bei der LINKEN)


Was wir brauchen, ist eine Pflicht zur Gemeinwohlöko-
nomie, und zwar für alle Unternehmen . Wenigstens das
sind wir den Menschen schuldig, die in anderen Ländern
unseren Wohlstand produzieren .

Danke .


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822132800

Vielen Dank, Birgit Menz . – Der nächste Redner:

Dr . Heribert Hirte für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Heribert Hirte (CDU):
Rede ID: ID1822132900

Frau Präsidentin, schönen guten Morgen!


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822133000

Guten Morgen!


Dr. Heribert Hirte (CDU):
Rede ID: ID1822133100

Den Kolleginnen und Kollegen ebenfalls einen guten

Morgen! Das Faszinierende ist, zu sehen, dass wir selbst
zu dieser morgendlichen oder nächtlichen Stunde noch
viele Zuschauer haben . Der Einwand, dass wir hier nicht
vor Publikum diskutieren, wie wir ihn gerade eben von
den Linken


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


und auch von den Grünen gehört haben, ist überhaupt
nicht wahr .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben dafür gesorgt!)


Wir diskutieren hier freudig weiter . Ich habe Zeit bis
morgen früh .


(Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Morgen ist Samstag!)


Ich bin Kölner . Ich kann das nur bestätigen: Wir können
weitermachen . Vielleicht ist auch die Präsidentin dann ir-
gendwann zu Hause . Aber gerne auch zur Sache .

Liebe Freunde, liebe Kolleginnen und Kollegen, wo-
rum geht es bei Corporate Social Responsibility? Kollege
Hakverdi hat es eben schon gesagt: Den Wert eines Un-
ternehmens machen nicht nur die Waren aus, die im Re-
gal stehen, sondern auch das, was sozusagen drumherum
ist oder auf das man drumherum einwirkt, nämlich die
Belastungen auf die Umwelt . Deshalb ist es richtig und
wichtig, dass wir diese Werte einerseits und die Belas-
tungen andererseits in die Bewertung des Unternehmens,
wie das in der Bilanz gemacht wird, einbeziehen . Kolle-
ge Hakverdi hat das eben erläutert .

Das ist der Konzeptansatz der europäischen Richtli-
nie, mit der auf europäischer Ebene jetzt versucht wird,
dies zu vereinheitlichen, und die wir heute hier umsetzen

wollen . Das Umsetzungsgesetz sieht dabei eine Erwei-
terung der allgemeinen Berichtspflichten im Lagebericht
durch die Einführung einer sogenannten nichtfinanziel-
len Berichterstattung für kapitalmarktorientierte Unter-
nehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern vor . Die Unter-
nehmen können dabei grundsätzlich wählen, ob sie diese
Berichtspflichten innerhalb des Lageberichts oder geson-
dert auf der Homepage erfüllen . Wenn sie diese Bericht-
erstattung vornehmen, muss diese – das haben wir noch
ein kleines bisschen klarer formuliert – in Anlehnung an
andere Regelungen spätestens innerhalb von vier Mona-
ten nach dem Abschlussstichtag erfolgen . Wir haben aber
andererseits im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens
klargestellt, dass es nicht notwendig ist, diesen Bericht
zu erstellen, wenn ein irgendwo liegendes Mutterunter-
nehmen einen vergleichbaren Bericht erstellt hat . Es ist
nicht erforderlich, dass es ein Mutterunternehmen mit
Sitz im EWR ist .

Inhaltlich muss berichtet werden über Umweltbelan-
ge, Arbeitnehmerbelange, Sozialbelange, die Achtung
der Menschenrechte und die Bekämpfung von Korrupti-
on. Im Gesetzestext finden sich dafür jeweils Beispiele.
Dabei ist insbesondere über die wesentlichen Risiken,
die mit den Geschäftsbeziehungen und der Gesellschaft
verbunden sind, ihren Produkten und Dienstleistungen
und die sehr wahrscheinlich schwerwiegenden negativen
Auswirkungen zu berichten . Wir haben dabei sicherge-
stellt, dass nur berichtet werden muss, soweit die Anga-
ben von Bedeutung sind und die Berichterstattung über
diese Risiken verhältnismäßig ist .

Bei allem Verständnis nach weiteren zusätzlichen
Informationen – das haben die Grünen in ihrem Antrag
zusätzlich gefordert, und die Linken haben es auch ge-
sagt; ich habe immer ein unbegrenztes Informationsinte-
resse – müssen wir die Frage stellen, ob der Aufwand für
die Beschaffung und die Kontrolle dieser Informationen
verhältnismäßig und angemessen ist . Deshalb ist es rich-
tig, dass wir bei der Umsetzung dieser Richtlinie nicht
festlegen, dass die Angaben durch einen externen Prü-
fer überprüft werden müssen, sondern es dabei belassen,
dass der Aufsichtsrat den entsprechenden Bericht auf die
Richtigkeit, die Stimmigkeit überprüft . Natürlich kann
der Aufsichtsrat einen externen Prüfer beauftragen . An-
dererseits gilt, wenn er die Prüfung selbst vornimmt, dass
er natürlich mehr tun muss, als nur festzustellen, dass der
Bericht vorgelegt worden ist . Er muss ihn zumindest
selbst auf Plausibilität überprüfen .

Was die inhaltliche Seite angeht, sehe ich den Kolle-
gen Kelber an . Wir haben natürlich darüber gestritten – er
ist noch wach, ich sehe es; ich hoffe, ich habe ihn nicht
geweckt –, ob wir die Angaben zum Daten- und Verbrau-
cherschutz in die Berichtspflicht aufnehmen sollten. Ich
bin nach wie vor der Meinung – Sie haben sich unserer
Meinung angeschlossen; angeschlossen nicht, wir mer-
ken, der Dialog funktioniert –, dass es an dieser Stelle
systemfremd wäre, dies einzubauen . Ich bin nicht gegen
Verbraucherschutz, aber er gehört nicht in das Bilanz-
recht .

Bei der Frage, ob ein Rahmenwerk heranzuziehen ist,
haben wir noch einen weiteren Punkt klargestellt . Man
muss offenlegen, welches Rahmenwerk man herangezo-

Birgit Menz






(A) (C)



(B) (D)


gen hat oder ob man keines herangezogen hat . Wir haben
nicht vorgesehen, dass ein bestimmtes Rahmenwerk he-
rangezogen werden muss; denn das ist aus verfassungs-
rechtlichen Gründen bedenklich .

Ein letzter Punkt . Wir setzen das Gesetz rückwirkend
zu Beginn dieses Geschäftsjahres in Kraft, weil wir es
nicht geschafft haben, es rechtzeitig vor der Jahreswende
zu verabschieden . Das liegt mit Sicherheit daran, dass wir
als Unionsfraktion gesagt haben – Herr Kelber, ich stel-
le das gerne klar –, Gesetze, die die Wirtschaft belasten,
wollen wir nicht vorziehen, wenn andere Gesetze, die
Begünstigungen für die Wirtschaft vorsehen, verzögert
werden . Das war das Insolvenzanfechtungsgesetz . Wir
bekommen es rückwirkend umgesetzt . Das ist rechtlich
kein Problem, auch aus verfassungsrechtlichen Gründen
nicht . Deshalb glaube ich, wir haben einen guten Kom-
promiss, und dafür bitte ich um Ihre Zustimmung .

Vielen Dank und gute Nacht .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822133200

Noch nicht . Vielen herzlichen Dank . Sie hören jetzt

sicher noch den drei nächsten Rednern zu .


(Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Aber natürlich!)


– Vielen Dank, Herr Dr . Hirte . – Nächste Rednerin:
Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen .


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822133300

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und zahlreiche Zu-

schauerinnen und Zuschauer! Ich finde – das sage ich
an die Koalition gerichtet –, Sie haben eine Chance ver-
passt . Sie haben erstens die Chance verpasst, deutschen
Unternehmen zu helfen, verstärkt auf den Weg der Nach-
haltigkeit zu gehen . Es geht doch nicht um Anfeindung
oder Bürokratie . Gucken Sie sich einmal die großen
Unternehmen an, die international tätig sind . Sie wissen
doch, woher ihre Produkte kommen, wie, unter welchen
Bedingungen und Kriterien, sie hergestellt worden sind,
und haben zur Zusammenstellung dieser Informationen
die entsprechende Technik .

Herr Professor Hirte, Sie sagen, Sie hätten auch ein
unbändiges und unstillbares Informationsbedürfnis, aber
das alles würde nicht in diesen Bericht hineingehören .
Sie schreiben es nicht hinein . Aber das ist für die Kunden
am Ende uninteressant; denn im digitalen Zeitalter tau-
schen wir die Daten aus . Wir wissen, wer in Bangladesch
zu welchen Bedingungen produziert .


(Zuruf des Abg . Dr . Heribert Hirte [CDU/ CSU])


– Nein. – Man findet das am Ende alles heraus. Dann
müssten Sie doch eigentlich an der Stelle denken, dass
man es lieber systematisch aufschreiben lassen sollte;
denn es ist dann wenigstens ein Wettbewerbsvorteil für
die Unternehmen,


(Zuruf des Abg . Dr . Heribert Hirte [CDU/ CSU])


und sie bauen es tatsächlich in ihr Management ein .

Zweitens haben Sie es bei dem, was Sie dann irgend-
wie aufgrund der europäischen Richtlinie regeln muss-
ten – sonst hätten Sie es ja gar nicht angepackt –, ver-
passt, eine Regelung zu schaffen, die zu aussagekräftigen
und vergleichbaren Ergebnissen führt . Sie haben blinde
Flecken in diesem Gesetz . Ich verstehe gar nicht, warum
man die Unternehmen nicht dazu verpflichten sollte –
man kann das im Rahmen der Richtlinie –, dass sie über
die Risiken für Mensch und Umwelt berichten, die sich
aus ihrer unternehmerischen Tätigkeit ergeben . Dann
würden sie auch berichten, wie sie diese minimieren wol-
len – das interessiert uns doch .

Aber am Ende ist es so: Bei Ihnen gilt die Berichts-
pflicht nur, wenn dadurch Gewinneinbußen für Unterneh-
men drohen; das soll das Unternehmen selber beurteilen .
Für wie blöd halten Sie uns, wenn Sie meinen, wir glaub-
ten, dass ein Unternehmen schreibt: Wir verhalten uns
beim Färbeprozess so, dass wir das ganze Färbewasser
in den nächsten Fluss gießen; das wird uns wirtschaftlich
schaden, und deshalb müssen wir darüber berichten . – So
macht die Geschichte meines Erachtens überhaupt kei-
nen Sinn . Die Unternehmen können jetzt faktisch selber
festlegen, über was sie berichten und über was sie lieber
nicht berichten . Meine Damen und Herren, ich sage es
noch mal: Die NGOs, die Gewerkschaften merken es am
Ende doch – warum dann nicht systematisch machen?
Warum nutzen Sie nicht die Chancen, die in der europäi-
schen Richtlinie liegen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was haben Sie bei anderen konkreten Punkten ge-
macht? Zum Anwendungsbereich – wer ist berichtspflich-
tig? – wurde schon gesagt: nur kapitalmarktorientierte
Kapitalgesellschaften mit mehr als 500 Mitarbeitern . In
der Antwort auf eine Frage des Kollegen Gerhard Schick
kam damals heraus:

Nach einer vorläufigen Schätzung des Bundesanzei-
gers … dürften … ca . 300 Unternehmen berichts-
pflichtig sein.

Wer ist draußen? So unbedeutende Unternehmen wie
zum Beispiel die Deutsche Bank . Sonst ist die Deutsche
Bank überall dabei, nur hier soll sie nicht über Nachhal-
tigkeit usw . berichten . Aldi ist nicht dabei, obwohl sie
große, internationale Auftraggeber in vielen Bereichen
sind, auch in Entwicklungsländern, mit langen Produk-
tions- und Lieferketten . Warum sollen sie eigentlich nicht
berichten, meine Damen und Herren? dm, Ferrero und
viele andere müssen auch nicht berichten . Daran sieht
man doch, wie eng Ihre Umsetzung der CSR-Richtlinie
ist, meine Damen und Herren . Wir meinen, es muss nicht
nur um börsennotierte Unternehmen gehen, sondern auch
um Unternehmen gehen, die wegen ihrer Größe von öf-
fentlichem Interesse sind .

Sie sind gerade auf die Standardisierung eingegan-
gen . Sie machen nicht einmal die Vorgabe, dass man den
Bericht anhand standardisierter Rahmenwerke erstellen
muss, also zum Beispiel anhand der Standards der Global

Dr. Heribert Hirte






(A) (C)



(B) (D)


Reporting Initiative, des Deutschen Nachhaltigkeitsko-
dex oder der Leitsätze der OECD .


(Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Das geht verfassungsrechtlich nicht!)


In der Anhörung gab es vernichtende Kritik . Alle haben
gesagt, das mache keinen Sinn, weil die Berichte nichts
aussagten, wenn man sie nicht vergleichen könne .


(Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Da war kein Verfassungsrechtler dabei!)


Jetzt sagen Sie: Okay, das ändern wir . – Man soll dann
angeben, warum man ein bestimmtes Rahmenwerk nicht
benutzt . Toll! Dann würde ich als Unternehmen einfach
schreiben: Das passt bei uns nicht .

Ihre Umsetzung der Richtlinie, meine Damen und
Herren, führt am Ende zu Berichten, die am Ende nicht
aussagekräftig, nicht vergleichbar sind . Damit nutzt sie
aber auch nichts – nicht den Unternehmen und nicht den
Kunden . Warum Sie am Ende noch sagen, die Verbrau-
cher gehörten nicht hinein, verstehe ich gar nicht; denn
für sie, meine Damen und Herren, produziert man doch
am Ende .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822133400

Können Sie an die Redezeit denken?


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822133500

Ja . – Ich bin der festen Überzeugung: Transparenz ist

das gute Recht der Verbraucherinnen und Verbraucher –
zu wissen, wie produziert wurde, was die Umweltaus-
wirkungen sind . Sie selber haben ja gesagt, Sie wollten
nachhaltigen Konsum. Weil Sie das alles nicht schaffen,
haben Sie am Ende nicht nur Schlechtes für die Verbrau-
cher getan, sondern Sie nutzen auch nicht die Chancen,
die für die deutschen Unternehmen darin lägen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822133600

Vielen Dank, Renate Künast . – Nächster Redner:

Dr . Hans-Joachim Schabedoth für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hans-Joachim Schabedoth (SPD):
Rede ID: ID1822133700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Nachtschwärmer! Das Netz geschäftlicher Bezie-
hungen wurde in den letzten Jahrzehnten immer weiter
gesponnen und wurde dadurch immer enger . Die Kom-
munikationsmöglichkeiten haben sich erweitert . Für die
meisten Unternehmen war und ist die Globalisierung
eine Riesenchance . Mehr Umsatz und die Maximierung
der Gewinne gingen aber oft zulasten der Umwelt, der
Belegschaften und sogar der Menschenrechte .

Viele Verbraucher machten das mit . Warum sich Ge-
danken machen, wenn man vielleicht selber nicht viel
Geld im Portemonnaie hat?

Doch für immer günstigere Kleidung schuften Men-
schen Zigtausende Kilometer von unseren Wohlstands-
zonen und Einkaufsmeilen entfernt oft bis zum Umfallen,
oft zu Hungerlöhnen und teils unter lebensgefährlichen
Bedingungen . Das mag nur ein Aspekt sein, der die Pro-
blematik verdeutlicht .

Auf beiden Seiten der Ladentheke ist jedoch inzwi-
schen etwas in Bewegung geraten . Das sollten wir nicht
ignorieren . Verbraucher achten immer mehr darauf, was
sie kaufen, wo es herkommt und wie es dort aus welchen
Materialien oder Rohstoffen produziert wurde.

Viele Firmen haben für sich schon erkannt – ohne grü-
ne Nachhilfe –, dass ein niedriger Preis nicht mehr der
Weg zum höchsten Profit ist. Transparente Lieferketten
und faire Produktion haben an Bedeutung gewonnen .
Das dürfen wir doch nicht ignorieren . Das begründet
schon lange ein neues Geschäftsmodell, mit dem sich
auch in der Zukunft gutes Geld verdienen lässt . Das gilt
nicht nur für Schokolade, Kleidung oder Handys, die zu
großen Teilen im Ausland hergestellt werden, sondern
auch für lokal produzierte Waren .

Mit der Umsetzung der EU-CSR-Richtlinie soll die-
ser bereits von vielen Unternehmen eingeschlagene Weg
ausgebaut werden. Sie verpflichtet vor allem die Big
Player dazu, in einem nichtfinanziellen Bericht Rechen-
schaft abzulegen . Das bezieht sich auf die Arbeitsbedin-
gungen, Lieferketten, ökologisches und soziales Engage-
ment und das Vorgehen gegen Korruption .

Doch nicht alle haben das Potenzial der transparenten
Berichterstattung erkannt . Manche verkennen den Nut-
zen solcher Offenlegungen. Deshalb muss es jetzt die
Verpflichtung geben.

Manche sagen: Das reicht nicht . Der Anwendungsbe-
reich ist zu klein, die Sanktionen nicht hart genug oder
die Berichtspflichten nicht ausführlich genug. – Ihnen
halte ich entgegen: Manchmal ist es besser, eine Kerze
anzuzünden, als immer über die Dunkelheit zu jammern .


(Beifall bei der SPD)


Ich bin sicher: Das, was wir heute verabschieden, wird
zu einer Art Schneeballeffekt führen. Je mehr Unterneh-
men verpflichtet werden, desto mehr werden nachzie-
hen, wenn sie nicht ihre Wettbewerbsfähigkeit einbüßen
wollen. Nichtfinanzielle Aspekte werden die Bewertung
einer Firma und Investitionsentscheidungen dann sicher-
lich ebenso beeinflussen wie die klassischen finanziellen
Eckdaten . Das erfolgreiche Geschäftsmodell von morgen
ist der Nachweis einer fairen, sozialen und ökologischen
Produktion . Mit der Umsetzung der Richtlinie wollen wir
das unterstützen . Ich bin sicher: Wir haben damit einen
Stein ins Wasser geworfen, der Kreise ziehen wird .


(Beifall bei der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822133800

Vielen Dank, Herr Dr . Schabedoth . – Der letzte Red-

ner in dieser Debatte ist Dr . Volker Ullrich .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Renate Künast






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Volker Ullrich (CSU):
Rede ID: ID1822133900

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Bilanz und Anhang einer Kapitalgesellschaft
dienen dem Zweck der steuerlichen Gewinnermittlung
und der Verteilung des Gewinns auf die Anteilseigner .
Darüber hinaus sollen Gläubiger und solche, die Interes-
se an der finanziellen Solidität der Gesellschaft haben,
über deren Geschäftsvorfälle informiert werden . Aber
für Gesellschaften, die eine Vielzahl von Beziehungen
haben, globalisiert sind, eine Lieferkette in viele Staa-
ten dieser Erde haben, reicht allein der finanzielle Re-
chenschaftsbericht nicht aus, sondern Anteilseigner,
Verbraucher, aber auch interessierte Menschen, die Öf-
fentlichkeit, haben ein Interesse daran: Wie produzieren
diese Unternehmen? Wie beschaffen sie ihre Ware? Wel-
chen Stellenwert haben sie in einer globalisierten Wirt-
schaft? – Diese Fragen sind nicht trivial .

Unternehmen haben selbst eine Verantwortung für
Produktionsbedingungen, für Arbeitsplätze, für Men-
schenrechte, auch für die ökologischen Verhältnisse
dort, woher sie ihre Waren beziehen . Es gibt einen An-
spruch darauf, dass diese Daten geliefert und transparent
gemacht werden, auch im Interesse der Unternehmen
selbst. Viele Unternehmen nehmen diese Verpflichtung
bereits wahr; denn Sie wissen, dass ihre Aufgabe mehr
ist, als nur Gewinne zu erzielen . Sie wollen auch ihrer
gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden . Aber
die gesellschaftliche Verantwortung muss stärker doku-
mentiert werden . Deswegen ist es richtig, dass die Euro-
päische Union mit dieser Richtlinie diesen Weg gegan-
gen ist .

Wenn man sich die Zahlen ansieht, dann stellt man
fest, dass gerade viele große deutsche Unternehmen mit
ihren Umsatzzahlen eine regelrechte Marktmacht haben .
Allein der größte deutsche Konzern hat einen größeren
Umsatz als das Bruttoinlandsprodukt von 50 afrikani-
schen Staaten. Das zeigt, dass in einer verflochtenen, glo-
balisierten Welt die Fragen: „Woher beziehen Unterneh-
men ihre Waren? Werden Menschenrechte eingehalten?
Wird der Kampf gegen Korruption wahrgenommen?“
wichtige Fragen sind . Wenn Unternehmen das zukünftig
dokumentieren werden, dann können Verbraucher deut-
lich erkennen, wie die Unternehmen mit diesen Fragen
umgehen . Deswegen ist es richtig, dass in den Rechen-
schaftsberichten der Gesellschaften diese Fragen zukünf-
tig verstärkt thematisiert werden .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Dr . Hans-Joachim Schabedoth [SPD])


Natürlich kann man sich die Frage stellen: Warum be-
trifft das nur rund 300 Unternehmen, warum nicht 500
oder 1 000 Unternehmen?


(Frank Tempel [DIE LINKE]: 2 000!)


Ich will eines deutlich machen: Zunächst einmal handelt
es sich bei den 300 Unternehmen um börsennotierte Ge-
sellschaften . Es geht um viele Milliarden Euro Umsatz
und um viele Millionen Arbeitsplätze . Wir bilden damit
einen guten Teil unserer Wirtschaft ab . Zudem darf man
bei den Berichtspflichten eine Sache nicht vergessen: Bei
der Abwägung zwischen Aufwand und Ertrag bei der Er-

füllung von bürokratischen Vorschriften geht es immer
um ein gesundes Verhältnis . So wie wir auf der einen
Seite von Unternehmen verlangen, dass sie ihre Be-
richtspflichten wahrnehmen und die Vorgänge dokumen-
tieren, so wollen wir auf der anderen Seite kleinere und
mittelständische Unternehmen nicht mit einer solchen
Berichtspflicht überfordern. Ich vertraue darauf, dass ge-
rade mittelständische Unternehmen, die dieser Berichts-
pflicht nicht nachkommen müssen, sich trotzdem an die
Vorgaben halten . Größere Unternehmen, gerade solche,
die börsennotiert sind, sollten die Berichtspflicht wahr-
nehmen . Wir haben insgesamt für ein gesundes Augen-
maß gesorgt, wenn es darum geht, wie die Vorschriften
umgesetzt werden sollen .

Wir können Verantwortung nicht allein durch mehr
bürokratische Regelungen erreichen . Wir können Verant-
wortung aber dokumentieren, indem eines klargemacht
wird: Unternehmen, gerade solche, die im globalen Wett-
bewerb stehen, stehen nicht außerhalb der Welt, sondern
sie stehen mit ihrer Verantwortung in der Welt . Dass
sie diese Verantwortung stärker dokumentieren, das be-
schließen wir heute . Ich bitte deswegen um Zustimmung
zum Gesetzentwurf .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Dr . Hans-Joachim Schabedoth [SPD])



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822134000

Vielen Dank, Volker Ullrich . – Damit schließe ich die

Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Stär-
kung der nichtfinanziellen Berichterstattung der Unter-
nehmen in ihren Lage- und Konzernlageberichten . Der
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt
unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/11450, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksachen 18/9982 und 18/10344 in der
Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen gibt es keine . Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung angenommen . Zugestimmt haben
CDU/CSU und SPD, dagegen waren Bündnis 90/Die
Grünen und die Linke .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erhe-
ben . – Wer stimmt dagegen? – Keine Enthaltungen .
Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben
CDU/CSU und SPD, dagegen waren Bündnis 90/Die
Grünen und die Linke .

Tagesordnung 41 b . Wir setzen die Abstimmung zu
der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht
und Verbraucherschutz auf Drucksache 18/11450 fort .
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10030
mit dem Titel „Zukunftsfähige Unternehmensverantwor-






(A) (C)



(B) (D)


tung – Nachhaltigkeitsberichte wirksam und aussagekräf-
tig ausgestalten – Umsetzung der CSR-Richtlinie“ . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Keine . Die Beschlussemp-
fehlung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU
und SPD, dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und
die Linke .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 42 a und 42 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zu dem Übereinkommen vom 19. Februar
2013 über ein Einheitliches Patentgericht

Drucksache 18/11137

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6 . Ausschuss)


Drucksache 18/11451

b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Anpassung patentrechtlicher Vorschriften
auf Grund der europäischen Patentreform

Drucksachen 18/8827, 18/9238, 18/9596 Nr. 1.6

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6 . Ausschuss)


Drucksache 18/11451

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Sie
sind einverstanden .1)

Tagesordnungspunkt 42 a . Wir kommen zur Abstim-
mung über den von der Bundesregierung eingebrachten
Gesetzentwurf zu dem Übereinkommen vom 19 . Febru-
ar 2013 über ein Einheitliches Patentgericht . Der Aus-
schuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/11451, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/11137 anzunehmen . Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, jetzt um
das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
einstimmig angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . – Ich
habe gesehen, Sie haben sich alle erhoben . Dann gibt es
keine Gegenstimmen und keine Enthaltungen . Damit ist
der Gesetzentwurf mit den Stimmen aller Fraktionen im
Haus einstimmig angenommen .

Tagesordnungspunkt 42 b . Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Anpassung patentrechtlicher Vorschriften aufgrund der
europäischen Patentreform . Der Ausschuss für Recht
und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe b sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11451, den

1) Anlage 20

Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksa-
chen 18/8827 und 18/9238 anzunehmen . Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, jetzt um
das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit Zustimmung von allen Fraktionen angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erhe-
ben . – Wer stimmt dagegen? – Niemand stimmt dagegen,
niemand enthält sich . Der Gesetzentwurf ist einstimmig
von allen Fraktionen im Haus angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 43 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Erleichterung der Bewältigung von Kon-
zerninsolvenzen

Drucksache 18/407

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6 . Ausschuss)


Drucksache 18/11436

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Sie
sind einverstanden .2)

Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/11436, den Ge-
setzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/407
in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte dieje-
nigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
zustimmen wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist
in zweiter Beratung angenommen . Zugestimmt haben
CDU/CSU und SPD, dagegen war niemand, enthalten
haben sich die Linke und Bündnis 90/Die Grünen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU
und SPD . Dagegen hat niemand gestimmt . Enthalten ha-
ben sich die Linke und Bündnis 90/Die Grünen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 44 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur
Änderung des Strafgesetzbuches – Umsetzung
des Rahmenbeschlusses 2008/841/JI des Rates
vom 24. Oktober 2008 zur Bekämpfung der
organisierten Kriminalität

Drucksache 18/11275
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss

2) Anlage 21

Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)


Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, dass Sie damit einverstanden sind .1)

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/11275 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Haben Sie
andere Vorschläge? – Nein . Dann ist die Überweisung so
beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 46 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung (19 . Ausschuss)

zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD

Trilaterale Partnerschaften in der ASEAN-Re-
gion stärken – Deutsches Know-how nutzen

Drucksachen 18/10651, 18/11226

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Sie
sind einverstanden .2)

Dann kommen wir zur Abstimmung . Der Ausschuss
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/11226, den Antrag der Fraktionen CDU/CSU und
SPD auf Drucksache 18/10651 anzunehmen . Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist
angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD und
Bündnis 90/Die Grünen . Enthalten hat sich die Linke .
Dagegen war demnach niemand mehr .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 47 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-
kommen vom 19. Mai 2016 zwischen der Bun-
desrepublik Deutschland und dem Obersten
Hauptquartier der Alliierten Mächte Europa
zur Änderung des Abkommens vom 13. März
1967 zwischen der Bundesrepublik Deutsch-
land und dem Obersten Hauptquartier der
Alliierten Mächte Europa über die besonde-
ren Bedingungen für die Einrichtung und den
Betrieb internationaler militärischer Haupt-
quartiere in der Bundesrepublik Deutschland

Drucksache 18/11280
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Haushaltsausschuss

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Sie
sind einverstanden .3)

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/11280 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . – Auch
dazu haben Sie keine anderweitigen Vorschläge . Dann ist
die Überweisung so beschlossen .

1) Anlage 22
2) Anlage 23
3) Anlage 24

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 48 a und 48 b auf:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ein-
führung eines familiengerichtlichen Geneh-
migungsvorbehaltes für freiheitsentziehende
Maßnahmen bei Kindern

Drucksache 18/11278

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit

b) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Corinna Rüffer, Katja Keul, Katja Dörner, wei-
teren Abgeordneten und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Änderung des Bürgerlichen
Gesetzbuchs zur Einführung eines gerichtli-
chen Genehmigungserfordernisses bei frei-
heitsbeschränkenden Maßnahmen gegenüber
Kindern

Drucksache 18/9804

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . –
Auch damit sind Sie einverstanden .4)

Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwür-
fe auf den Drucksachen 18/11278 und 18/9804 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen . Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der
Fall . Dann sind die Überweisungen so beschlossen .

Auf meinem Sprechzettel steht jetzt: Die Tagesord-
nung ist erschöpft . – Wir auch!


(Heiterkeit und Beifall)


Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf heute, Freitag, den 10 . März 2017, 9 Uhr, ein .

Die Sitzung ist geschlossen . Ich bedanke mich bei Ih-
nen für die breite Präsenz und wünsche Ihnen einen wun-
derschönen Abend . Außerdem bedanke ich mich herzlich
bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Haus, bei
den Damen und Herren, die Protokoll geführt haben, bei
den Assistenten hier im Saal, beim Parlamentarischen
Staatssekretär und bei meinen beiden hier oben . Und jetzt
schlafen Sie gut! Schöne Träume!