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    Plenarprotokoll 18/221 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 221. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9. März 2017 Inhalt: Begrüßung der neuen Abgeordneten Angelika Krüger-Leißner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22061 A Wahl des Abgeordneten Christoph Strässer als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland zur Parlamentarischen Versammlung des Europarates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22061 B Wahl der Herren Dr. Reinhard Hauke und Dr. Johann Hinrich Claussen als ordentliche Mitglieder sowie von Herrn Dr. Karl Jüsten und Frau Dr. Petra Bahr als stellvertretende Mitglieder des Stiftungsrats der „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ . . . . . . . 22061 B Wahl von Herrn Burkhard Kleinert als or- dentliches Mitglied des Stiftungsrat der „Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Dikta- tur“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22061 C Wahl des Abgeordneten Dr. Mathias Edwin Höschel als Schriftführer . . . . . . . . . . . . . . . 22061 C Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22061 D Absetzung der Tagesordnungspunkte 45 und 49 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22063 B Zur Entwicklung des deutsch-türkischen Ver- hältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22063 C Tagesordnungspunkt 3: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am 9. März 2017 und zum Vorbereitungstreffen  der 27 Staats- und Regierungschefs für den Jubiläumsgipfel in Rom am 25. März 2017 Dr . Angela Merkel, Bundeskanzlerin . . . . . . . 22064 A Dr . Dietmar Bartsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . 22069 B Thomas Oppermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 22071 B Jan van Aken (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22072 D Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22074 C Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 22078 A Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22080 C Norbert Spinrath (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22081 D Dr . Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22082 C Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22085 A Dr . Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU) . 22085 C Andrej Hunko (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 22086 B Christian Petry (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22087 A Gunther Krichbaum (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 22088 C Michelle Müntefering (SPD) . . . . . . . . . . . . . 22090 A Thomas Dörflinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 22091 A Michael Brand (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 22092 B Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 22094 A Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22097 C Tagesordnungspunkt 4: a) Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Herbert Behrens, Karin Binder, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kündigungsschutz für Miete- rinnen und Mieter verbessern Drucksache 18/11049 . . . . . . . . . . . . . . . . 22094 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017II b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucher- schutz zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Halina Wawzyniak, Frank Tempel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Mietpreisbremse wirkungsvoll ausgestalten Drucksachen 18/9123, 18/10089 . . . . . . . . 22094 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Renate Künast, Hans-Christian Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zusam- menhalt stärken – Mietrecht reformieren Drucksache 18/10810 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22094 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Renate Künast, Luise Amtsberg . weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten Woh- nungsmärkten bei umfassenden Moder- nisierungen Drucksachen 18/8856, 18/11440 . . . . . . . . 22094 D – Zweite und dritte Beratung des von den Ab- geordneten Renate Künast, Christian Kühn (Tübingen), Luise Amtsberg . weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten Woh- nungsmärkten durch die Streichung der Rügepflicht und die Schaffung eines  Auskunftsrechts Drucksache 18/8857, 18/11440 . . . . . . . . . 22094 D Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 22095 A Dr . Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) . . . . . . . . 22100 A Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 22103 C Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22104 C Klaus Mindrup (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22106 A Kai Wegner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 22107 B Nicole Gohlke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 22110 B Dr . Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 22111 A Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22112 B Michael Frieser (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 22113 D Ulli Nissen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22115 C Michael Groß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22116 D Namentliche Abstimmungen . . 22118 A, 22118 B, 22118 C Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . 22121 C, 22123 D, 22126 D Tagesordnungspunkt 5: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbe- schränkungen Drucksachen 18/10207, 18/10650, 18/10924 Nr . 1 .3, 18/11446 . . . . . . . . . . . . 22118 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie – zu dem Antrag der Abgeordneten Michael Schlecht, Klaus Ernst, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Parlaments- statt Ministererlaubnis im Kartell- recht – zu dem Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, Kerstin Andreae, Katja Keul, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Bußgeldumgehung bei Kartell- strafen verhindern – Gesetzeslücke schließen Drucksachen 18/10240, 18/4817, 18/11446 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22119 A Brigitte Zypries, Bundesministerin BMWi . . . 22119 A Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 22120 A Dr . Matthias Heider (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 22129 B Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22131 C Marcus Held (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22132 D Thomas Lutze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 22134 A Hansjörg Durz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 22134 D Martin Dörmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22136 B Axel Knoerig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22137 B Tagesordnungspunkt 56: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines … Ge- setzes zur Änderung des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsa- chen Drucksache 18/11140 . . . . . . . . . . . . . . . . 22138 D Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 III b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Bundesfern- straßengesetzes Drucksache 18/11236 . . . . . . . . . . . . . . . . 22138 D c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Protokoll vom 29. Juni 2016 über die Vorrechte und Immunitäten des Einheitlichen Patentgerichts Drucksache 18/11238 (neu) . . . . . . . . . . . . 22139 A d) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Neuordnung des Rechts zum Schutz vor der schädlichen Wirkung io- nisierender Strahlung Drucksache 18/11241 . . . . . . . . . . . . . . . . 22139 A e) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erstellung gesamtwirt- schaftlicher Vorausschätzungen der Bundesregierung (Vorausschätzungsge- setz – EgVG) Drucksache 18/11257 . . . . . . . . . . . . . . . . 22139 A f) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2016/424 des Europäischen Parla- ments und des Rates vom 9. März 2016 über Seilbahnen und zur Aufhebung der Richtlinie 2000/9/EG (Seilbahndurch- führungsgesetz – SeilbDG) Drucksache 18/11258 . . . . . . . . . . . . . . . . 22139 B g) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Fünf- zehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes Drucksache 18/11276 . . . . . . . . . . . . . . . . 22139 B h) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zum Verbot des Betriebs lauter Güterwagen (Schienenlärmschutzgesetz – SchlärmschG) Drucksache 18/11287 . . . . . . . . . . . . . . . . 22139 B i) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Neuordnung der Eisenbahnun- falluntersuchung Drucksache 18/11288 . . . . . . . . . . . . . . . . 22139 C j) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über das Verfahren für die elektroni- sche Abgabe von Meldungen für Schiffe  im Seeverkehr über das Zentrale Mel- deportal des Bundes und zur Änderung des IGV-Durchführungsgesetzes Drucksache 18/11292 . . . . . . . . . . . . . . . . 22139 C k) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Neustrukturierung des Bundes- kriminalamtgesetzes Drucksache 18/11326 . . . . . . . . . . . . . . . . 22139 C Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu den Entwürfen für eine Durch- führungsverordnung und zwei Durchfüh- rungsbeschlüsse der Europäischen Kom- mission über das Inverkehrbringen von Saatgut zum Anbau der gentechnisch ver- änderten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 (Dokumente SANTE/10702/2016 CIS Rev. 3, SANTE/10704/2016 CIS Rev. 3, SANTE/10703/2016 CIS Rev. 3) hier: Stellungnahme gegenüber der Bun- desregierung gemäß Artikel 23 Ab- satz 3 des Grundgesetzes Keine Zulassung der gentechnisch verän- derten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 für den Anbau in der EU Drucksache 18/11415 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22139 D Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (zur Geschäftsordnung) . . 22140 A Elvira Drobinski-Weiß (SPD) (zur Geschäfts- ordnung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22141 A Tagesordnungspunkt 57: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 19. Februar 2016 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Finnland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhin- derung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen Drucksachen 18/11138, 18/11421 . . . . . . . 22142 A b)–f) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersich- ten 411, 412, 413, 414 und 415 zu Petitio- nen Drucksachen 18/11191, 18/11192, 18/11193, 18/11194, 18/11195 . . . . . . . . . 22142 B Tagesordnungspunkt 6: Wahlvorschläge der Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wahl der Mitglieder des Kura- toriums der Stiftung „Fonds zur Finanzie- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017IV rung der kerntechnischen Entsorgung“ ge- mäß § 4 des Entsorgungsfondsgesetzes Drucksache 18/11406 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22142 C Tagesordnungspunkt 7: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausge- staltung des Strafverfahrens Drucksache 18/11277 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22142 D Christian Lange, Parl . Staatssekretär BMJV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22142 D Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22144 A Dr . Patrick Sensburg (CDU/CSU) . . . . . . . . . 22145 A Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22146 D Bettina Bähr-Losse (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 22148 A Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 22149 A Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Ulle Schauws, Katja Dörner, Beate Müller-Gemmeke, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Für eine wirksame Frauen- und Gleichstellungspolitik in Deutschland Drucksache 18/11413 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22150 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Ulle Schauws, Özcan Mutlu, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wissenschaftsfreiheit fördern, Geschlechterforschung stärken, Gleichstel- lung in der Wissenschaft herstellen Drucksache 18/11412 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22150 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Bildung, Forschung und Tech- nikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Ab- geordneten Nicole Gohlke, Cornelia Möhring, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Geschlechtergerech- tigkeit in der Wissenschaft durchsetzen Drucksachen 18/9667, 18/11447 . . . . . . . . . . . 22150 C Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22150 C Gudrun Zollner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 22152 A Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 22153 D Sönke Rix (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22155 A Dr . Claudia Lücking-Michel (CDU/CSU) . . . 22156 C Marianne Schieder (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 22157 D Tagesordnungspunkt 9: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Arzneimittelver- sorgung in der GKV (GKV-Arzneimittel- versorgungsstärkungs-gesetz – AMVSG) Drucksachen 18/10208, 18/10608, 18/10696 Nr . 1 .5, 18/11449 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22159 B Michael Hennrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 22159 C Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 22160 D Dr . Karl Lauterbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 22161 D Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22162 D Reiner Meier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22163 D Martina Stamm-Fibich (SPD) . . . . . . . . . . . . . 22164 D Thomas Stritzl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 22166 A Tagesordnungspunkt 10: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Pia Zimmermann, Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gute Arbeit  in der Pflege – Perso- nalbemessung in der Altenpflege einführen Drucksachen 18/9122, 18/11347 . . . . . . . . . . . 22167 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Eine Lobby  für  die  Pflege  – Arbeitsbedin- gungen  und  Mitspracherechte  von  Pflege- kräften verbessern Drucksache 18/11414 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22167 D Erwin Rüddel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22168 A Pia Zimmermann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 22169 B Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 22170 C Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22171 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 V Erich Irlstorfer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 22173 A Heike Baehrens (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22174 B Ute Bertram (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 22175 B Tagesordnungspunkt 11: a) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Daten- schutzrechts an die Verordnung (EU) 2016/679 und zur Umsetzung der Richt- linie (EU) 2016/680 (Datenschutz-An- passungs- und -Umsetzungsgesetz EU – DSAnpUG-EU) Drucksache 18/11325 . . . . . . . . . . . . . . . . 22176 B b) Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Frank Tempel, Dr . André Hahn, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Datenschutzrechte der Bürgerinnen und Bürger stärken Drucksache 18/11401 . . . . . . . . . . . . . . . . 22176 C Dr . Thomas de Maizière, Bundesminister BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22176 C Petra Pau (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . 22178 A Gerold Reichenbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 22178 D Dr . Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22180 D Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . 22181 D Marian Wendt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22183 A Tagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Sven-Christian Kindler, Kerstin Andreae, Anja Hajduk, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Öffentliches Vermö- gen erhalten, ehrlich bilanzieren, richtig investieren Drucksache 18/11188 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22183 D Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22184 A Jens Spahn, Parl . Staatssekretär BMF . . . . . . . 22184 D Heidrun Bluhm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22186 C Dennis Rohde (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22187 D Alois Rainer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 22189 B Tagesordnungspunkt 13: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines An- spruchs auf Hinterbliebenengeld Drucksache 18/11397 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22190 B Christian Lange, Parl . Staatssekretär BMJV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22190 C Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) . . . 22191 B Dr . Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU) . . . . . . 22192 C Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22194 A Dr . Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 22195 A Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 22196 B Tagesordnungspunkt 14: Antrag der Abgeordneten Dr . Rosemarie Hein, Sabine Zimmermann (Zwickau), Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion DIE LINKE: Berufsbildungsgesetz no- vellieren – Ausbildung verbessern Drucksache 18/10281 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22197 B Dr . Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . . 22197 C Dr . Thomas Feist (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 22198 B Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22199 B Rainer Spiering (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22200 B Uda Heller (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 22202 B Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung  bewaffneter  deutscher  Streit- kräfte an der EU-geführten Ausbildungs- und Beratungsmission EUTM Somalia Drucksache 18/11273 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22203 C Michael Roth, Staatsminister AA . . . . . . . . . . 22203 D Dr . Alexander S . Neu (DIE LINKE) . . . . . . . . 22205 A Dr . Ralf Brauksiepe, Parl . Staatssekretär BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22206 A Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22207 A Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22208 A Tagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Katharina Dröge, Anja Hajduk, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Globale Investitionen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung gestalten Drucksache 18/11410 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22209 A Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22209 A Johannes Selle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 22210 A Thomas Lutze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 22211 C Dr . Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 22212 B Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017VI Tagesordnungspunkt 17: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu be- reichsspezifischen Regelungen der Gesichts- verhüllung Drucksache 18/11180 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22213 D Tagesordnungspunkt 18: Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz- ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Sigrid Hupach, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Einrichtung einer Kommission beim Bundesministerium der Finanzen zur Evaluierung der Staatsleis- tungen seit 1803 Drucksachen 18/4842, 18/11428 . . . . . . . . . . . 22214 A Tagesordnungspunkt 19: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/52/EU im Städtebaurecht und zur Stärkung des neuen Zusammenlebens in der Stadt Drucksachen 18/10942, 18/11181, 18/11225 Nr . 7, 18/11439 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22214 A Dr . Barbara Hendricks, Bundesministerin BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22214 B Marie-Luise Dött (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 22215 A Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22215 D Florian Pronold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 22216 C Dr . Barbara Hendricks (SPD) . . . . . . . . . . . 22217 A Michael Groß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22217 C Dr . Anja Weisgerber (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 22218 B Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 22219 B Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Christian Kühn (Tü- bingen), Sven-Christian Kindler, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nicht um jeden Preis – Großprojekte im Zeit- und Kostenrahmen realisieren Drucksache 18/8402 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22221 B Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22221 C Christian Haase (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 22222 B Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 22223 C Florian Pronold, Parl . Staatssekretär BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22224 C Florian Oßner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22225 D Tagesordnungspunkt 20: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Share Economy – Wachstumschancen der kollaborativen Wirtschaft nutzen und Herausforderungen annehmen Drucksache 18/11399 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22227 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 10: Antrag der Abgeordneten Dieter Janecek, Kerstin Andreae, Dr . Thomas Gambke, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Share Economy – Ökologische Chancen nutzen und Teilen statt Besitzen unterstützen Drucksache 18/11411 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22227 A Tagesordnungspunkt 21: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Güterkraftver- kehrsgesetzes, des Fahrpersonalgesetzes, des Gesetzes zur Regelung der Arbeitszeit von selbständigen Kraftfahrern, des Stra- ßenverkehrsgesetzes und des Gesetzes über die Errichtung eines Kraftfahrt-Bundesam- tes Drucksachen 18/10882, 18/11431 . . . . . . . . . . 22227 C Tagesordnungspunkt 22: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bun- desregierung: Verordnung zur Neuordnung der Klärschlammverwertung Drucksachen 18/10884, 18/11025 Nr . 2, 18/11443 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22227 D Michael Thews (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22228 A Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 22229 A Michael Thews (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22229 D Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 22230 A Karsten Möring (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 22230 A Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22231 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 VII Tagesordnungspunkt 23: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bevorrechtigung des Carsharing (Carsharinggesetz – CsgG) Drucksache 18/11285 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22232 C Steffen Bilger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22232 D Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22233 D Arno Klare (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22234 C Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22235 C Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22236 B Tagesordnungspunkt 24: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs, des Ju- gendgerichtsgesetzes, der Strafprozessord- nung und weiterer Gesetze Drucksache 18/11272 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22237 C Tagesordnungspunkt 25: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Geset- zes zur Änderung des Sicherheitsüberprü- fungsgesetzes Drucksachen 18/11281, 18/11407 . . . . . . . . . . 22237 C Tagesordnungspunkt 26: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Energie: – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Durchsetzung der Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt, zur Festlegung eines Noti- fizierungsverfahrens für dienstleistungs- bezogene Genehmigungsregelungen und Anforderungen sowie zur Änderung der Richtlinie 2006/123/EG und der Verord- nung (EU) Nr. 1024/2012 über die Ver- waltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt-Informationssystems KOM(2016) 821 endg .; Ratsdok . 5278/17 – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsreglementierun- gen KOM(2016) 822 endg .; Ratsdok . 5281/17 – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Ra- tes über den rechtlichen und operativen Rahmen für die durch die Verordnung ... [ESC Regulation] eingeführte Elektroni- sche Europäische Dienstleistungskarte KOM(2016) 823 endg .; Ratsdok . 5283/17 – zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung einer Elektroni- schen Europäischen Dienstleistungskar- te und entsprechender Verwaltungser- leichterungen KOM(2016) 824 endg .; Ratsdok . 5284/17 hier: Stellungnahme gemäß Protokoll Nr. 2 zum Vertrag von Lissabon (Grundsätze der Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprüfung) Drucksachen 18/11229 A .8 bis A .11, 18/11442 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22238 A Lena Strothmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 22238 B Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22239 D Sabine Poschmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 22240 C Dr . André Hahn (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22241 D Tagesordnungspunkt 27: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/1148 des Europäischen Parlaments und des Ra- tes vom 6. Juli 2016 über Maßnahmen zur Gewährleistung eines hohen gemeinsamen Sicherheitsniveaus von Netz- und Informa- tionssystemen in der Union Drucksache 18/11242 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22242 A Tagesordnungspunkt 28: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung des elektronischen Identitäts- nachweises Drucksache 18/11279 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22242 B Tagesordnungspunkt 30: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Fahndung bei besonderen Gefahrenla- gen und zum Schutz von Beamtinnen und Beamten der Bundespolizei durch den Einsatz von mobiler Videotechnik Drucksachen 18/10939, 18/11282, 18/11438 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22242 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017VIII b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bun- desdatenschutzgesetzes – Erhöhung der  Sicherheit  in  öffentlich  zugängli- chen großflächigen Anlagen und  im öf- fentlichen Personenverkehr durch op- tisch-elektronische Einrichtungen (Videoüberwachungsverbesserungsge- setz) Drucksachen 18/10941, 18/11183, 18/11225 Nr . 8; 18/11435 . . . . . . . . . . . . . 22242 C Günter Baumann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 22242 D Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 22243 D Sebastian Hartmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 22245 A Dr . Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22246 A Marian Wendt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22247 C Tagesordnungspunkt 31: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset- zes zur Änderung des BDBOS-Gesetzes Drucksache 18/11139 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22248 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Irene Mihalic, Matthias Gastel, Anja Hajduk, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Lückenlose BOS-Digitalfunkab- deckung in Bahnhöfen der Deutschen Bahn AG sicherstellen Drucksache 18/11409 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22249 A Tagesordnungspunkt 32: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthaltsrecht- licher Richtlinien der Europäischen Union zur Arbeitsmigration Drucksachen 18/11136, 18/11182, 18/11441 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22249 B Tagesordnungspunkt 33: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammen- hang mit Rechteüberlassungen Drucksache 18/11233 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22249 C Tagesordnungspunkt 34: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Ge- setzes zur Änderung des Kraftfahrzeug- steuergesetzes Drucksache 18/11234 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22249 C Tagesordnungspunkt 35: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Ab- stammung bei heterologer Verwendung von Samen Drucksache 18/11291 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22249 D Tagesordnungspunkt 36: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung raumordnungs- rechtlicher Vorschriften Drucksachen 18/10883, 18/11432 . . . . . . . . . . 22250 A Tagesordnungspunkt 37: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Binnen- schifffahrtsaufgabengesetzes Drucksachen 18/10818, 18/11200 . . . . . . . . . . 22250 B Tagesordnungspunkt 38: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvo- raussetzungen von ärztlichen Zwangsmaß- nahmen und zur Stärkung des Selbstbe- stimmungsrechts von Betreuten Drucksache 18/11240 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22250 C Tagesordnungspunkt 39: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Bauvertragsrechts und zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung Drucksachen 18/8486, 18/11437 . . . . . . . . . . . 22250 C Tagesordnungspunkt 40: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetz- buches – Strafbarkeit von Sportwettbetrug Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 IX und der Manipulation von berufssportli- chen Wettbewerben Drucksachen 18/8831, 18/11445 . . . . . . . . . . . 22250 D Dr . Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 22251 A Dr . André Hahn (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22251 D Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 22252 D Dr . André Hahn (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 22253 A Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22254 A Matthias Schmidt (Berlin) (SPD) . . . . . . . . . . 22254 D Ingo Wellenreuther (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 22255 C Tagesordnungspunkt 41: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Stärkung der nichtfinanziellen  Berichterstattung  der  Unternehmen in ihren Lage- und Kon- zernlageberichten (CSR-Richtlinie-Um- setzungsgesetz) Drucksachen 18/9982, 18/10344, 18/10444 Nr . 1 .6, 18/11450 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22256 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucher- schutz zu dem Antrag der Abgeordneten Renate Künast, Katja Keul, Uwe Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zukunfts- fähige Unternehmensverantwortung – Nachhaltigkeitsberichte wirksam und aussagekräftig ausgestalten – Umset- zung der CSR-Richtlinie Drucksachen 18/10030, 18/11450 . . . . . . . 22256 D Metin Hakverdi (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22256 D Birgit Menz (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 22257 B Dr . Heribert Hirte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 22258 A Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22259 B Dr . Hans-Joachim Schabedoth (SPD) . . . . . . . 22260 B Dr . Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 22261 A Tagesordnungspunkt 42: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 19. Februar 2013 über ein Einheit- liches Patentgericht Drucksachen 18/11137, 18/11451 . . . . . . . 22262 A b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung patent- rechtlicher Vorschriften auf Grund der europäischen Patentreform Drucksachen 18/8827, 18/9238, 18/9596 Nr . 1 .6, 18/11451 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22262 A Tagesordnungspunkt 43: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung der Bewälti- gung von Konzerninsolvenzen Drucksachen 18/407, 18/11436 . . . . . . . . . . . . 22262 C Tagesordnungspunkt 44: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Um- setzung des Rahmenbeschlusses 2008/841/ JI des Rates vom 24. Oktober 2008 zur Be- kämpfung der organisierten Kriminalität Drucksache 18/11275 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22262 D Tagesordnungspunkt 46: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Frak- tionen der CDU/CSU und SPD: Trilatera- le Partnerschaften in der ASEAN-Region stärken – Deutsches Know-how nutzen Drucksachen 18/10651, 18/11226 . . . . . . . . . . 22263 A Tagesordnungspunkt 47: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 19. Mai 2016 zwi- schen der Bundesrepublik Deutschland und dem Obersten Hauptquartier der Alliierten Mächte Europa zur Änderung des Abkom- mens vom 13. März 1967 zwischen der Bun- desrepublik Deutschland und dem Obers- ten Hauptquartier der Alliierten Mächte Europa über die besonderen Bedingungen für die Einrichtung und den Betrieb inter- nationaler militärischer Hauptquartiere in der Bundesrepublik Deutschland Drucksache 18/11280 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22263 B Tagesordnungspunkt 48: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Einführung eines familienge- richtlichen Genehmigungsvorbehaltes für freiheitsentziehende Maßnahmen bei Kindern Drucksache 18/11278 . . . . . . . . . . . . . . . . 22263 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017X b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Corinna Rüffer, Katja Keul, Katja Dörner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung des Bürgerlichen Gesetzbuchs zur Einführung eines gerichtlichen Geneh- migungserfordernisses bei freiheitsbe- schränkenden Maßnahmen gegenüber Kindern Drucksache 18/9804 . . . . . . . . . . . . . . . . . 22263 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22263 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 22265 A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu bereichsspezifi- schen Regelungen der Gesichtsverhüllung (Tagesordnungspunkt 17) . . . . . . . . . . . . . . . . 22265 D Dr. Tim Ostermann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 22265 D Dr. Lars Castellucci (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 22266 C Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 22267 B Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22268 A Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern . . . . . . . . . . . . . 22268 D Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Halina Wawzyniak, Sigrid Hupach, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Einrichtung ei- ner Kommission beim Bundesministerium der Finanzen zur Evaluierung der Staatsleistungen seit 1803 (Tagesordnungspunkt 18) . . . . . . . . . . . . . . . . 22269 C Margaret Horb (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 22269 C Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 22270 C Andreas Schwarz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 22271 A Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 22271 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22272 C Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/52/EU im Städtebaurecht und zur Stärkung des neuen Zusammenlebens in der Stadt (Tagesordnungspunkt 19) . . . . . . . . . . . . . . . . 22273 C Josef Göppel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 22273 C Hans-Werner Kammer (CDU/CSU) . . . . . . . . 22273 D Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Share Economy – Wachstums- chancen der kollaborativen Wirtschaft nut- zen und Herausforderungen annehmen – des Antrags der Abgeordneten Dieter Janecek, Kerstin Andreae, Dr . Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Share Economy – Ökologische Chancen nutzen und Teilen statt Besitzen unterstüt- zen (Tagesordnungspunkt 20 und Zusatztagesord- nungspunkt 10) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22274 A Hansjörg Durz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 22274 B Axel Knoerig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 22275 C Matthias Ilgen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22276 A Dr. Hans-Joachim Schabedoth (SPD) . . . . . . . 22276 C Klaus Ernst (DIE LINKE): . . . . . . . . . . . . . . . 22277 B Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22278 B Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes, des Fahrperso- nalgesetzes, des Gesetzes zur Regelung der Arbeitszeit von selbständigen Kraftfahrern, des Straßenverkehrsgesetzes und des Gesetzes über die Errichtung eines Kraftfahrt-Bundes- amtes (Tagesordnungspunkt 21) . . . . . . . . . . . . . . . . 22279 B Karl Holmeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 22279 C Oliver Wittke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 22280 B Udo Schiefner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22281 A Thomas Lutze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 22282 A Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22282 D Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 XI Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugendgerichtsgesetzes, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetze (Tagesordnungspunkt 24) . . . . . . . . . . . . . . . . 22283 D Dr. Silke Launert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 22283 D Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) . . . . . . . . . 22284 D Dr. Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . . . 22285 D Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22286 B Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22287 B Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22288 B Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 25) . . . . . . . . . . . . . . . . 22289 A Clemens Binninger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 22289 A Susanne Mittag (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22289 D Dr. André Hahn (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22290 D Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22291 D Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22292 C Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/1148 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6 . Juli 2016 über Maßnahmen zur Gewährleistung eines hohen gemeinsamen Sicherheitsniveaus von Netz- und Informationssystemen in der Union (Tagesordnungspunkt 27) . . . . . . . . . . . . . . . . 22293 C Clemens Binninger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 22293 D Gerold Reichenbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 22294 C Martina Renner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22295 C Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22296 A Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22297 B Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung des elektronischen Identitätsnachweises (Tagesordnungspunkt 28) . . . . . . . . . . . . . . . . 22297 D Heinrich Zertik (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 22297 D Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD) . . . . . . . . 22299 B Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 22300 C Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22301 B Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22302 C Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des BDBOS-Gesetzes – des Antrags der Abgeordneten Irene Mihalic, Matthias Gastel, Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Lückenlose BOS-Digitalfunkabdeckung in Bahnhöfen der Deutschen Bahn AG sicherstellen (Tagesordnungspunkt 31 und Zusatztagesord- nungspunkt 11) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22303 A Marian Wendt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22303 B Gerold Reichenbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 22303 D Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 22305 A Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22305 D Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22306 D Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung auf- enthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäi- schen Union zur Arbeitsmigration (Tagesordnungspunkt 32) . . . . . . . . . . . . . . . . 22307 C Andrea Lindholz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 22307 C Nina Warken (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 22308 B Sebastian Hartmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 22309 B Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 22310 B Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22310 D Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017XII Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rech- teüberlassungen (Tagesordnungspunkt 33) . . . . . . . . . . . . . . . . 22311 C Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU) . . . . . . . 22311 C Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . 22312 B Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22313 D Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22314 C Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22315 C Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Ände- rung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (Tagesordnungspunkt 34) . . . . . . . . . . . . . . . . 22316 B Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 22316 C Andreas Schwarz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 22317 C Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 22318 A Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22318 C Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22319 C Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung bei he- terologer Verwendung von Samen (Tagesordnungspunkt 35) . . . . . . . . . . . . . . . . 22320 C Hubert Hüppe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22320 D Dr. Georg Kippels (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 22321 D Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 22322 C Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 22323 C Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22324 A Anlage16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung raum- ordnungsrechtlicher Vorschriften (Tagesordnungspunkt 36) . . . . . . . . . . . . . . . . 22324 D Alexander Funk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 22324 D Annette Sawade (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22326 A Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 22326 C Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22327 A Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes (Tagesordnungspunkt 37) . . . . . . . . . . . . . . . . 22327 D Hans-Werner Kammer (CDU/CSU) . . . . . . . . 22328 A Matthias Lietz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22328 B Gustav Herzog (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22329 A Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22329 C Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22330 B Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stär- kung des Selbstbestimmungsrechts von Be- treuten (Tagesordnungspunkt 38) . . . . . . . . . . . . . . . . 22330 D Dr. Silke Launert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 22331 A Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU) . . . . 22331 D Dr. Matthias Bartke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 22333 A Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22334 B Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22335 A Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22335 C Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Bau- vertragsrechts und zur Änderung der kauf- rechtlichen Mängelhaftung (Tagesordnungspunkt 39) . . . . . . . . . . . . . . . . 22336 B Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU) . . . . . . 22336 B Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 22338 B Dr. Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . . . 22339 A Sabine Poschmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 22339 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 XIII Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 22340 A Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22340 C Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Über- einkommen vom 19 . Februar 2013 über ein Einheitliches Patentgericht – des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpas- sung patentrechtlicher Vorschriften auf Grund der europäischen Patentreform (Tagesordnungspunkt 42 a und b) . . . . . . . . . . 22341 C Sebastian Steineke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 22341 C Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 22342 B Christian Flisek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22342 D Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) . . . 22343 C Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22344 A Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen (Tagesordnungspunkt 43) . . . . . . . . . . . . . . . . 22345 A Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 22345 A Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 22348 A Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) . . . . . . . . . . . . 22348 C Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22349 B Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . 22350 A Anlage 22 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Umsetzung des Rah- menbeschlusses 2008/841/JI des Rates vom 24 . Oktober 2008 zur Bekämpfung der organi- sierten Kriminalität (Tagesordnungspunkt 44) . . . . . . . . . . . . . . . . 22351 A Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) . . . . . . . . . 22351 A Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 22352 C Bettina Bähr-Losse (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 22353 B Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 22354 A Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22354 C Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22355 B Anlage 23 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusam- menarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Trilatera- le Partnerschaften in der ASEAN-Region stär- ken – Deutsches Know-how nutzen (Tagesordnungspunkt 46) . . . . . . . . . . . . . . . . 22356 A Jürgen Klimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 22356 A Stefan Rebmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22357 B Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22357 D Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22358 C Anlage 24 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 19 . Mai 2016 zwischen der Bundesrepu- blik Deutschland und dem Obersten Haupt- quartier der Alliierten Mächte Europa zur Än- derung des Abkommens vom 13 . März 1967 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Obersten Hauptquartier der Alliierten Mächte Europa über die besonderen Bedin- gungen für die Einrichtung und den Betrieb internationaler militärischer Hauptquartiere in der Bundesrepublik Deutschland (Tagesordnungspunkt 47) . . . . . . . . . . . . . . . . 22359 C Julia Obermeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 22359 C Matthias Ilgen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22360 B Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 22361 A Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22361 C Markus Grübel, Parl. Staatssekretär BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22362 B Anlage 25 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Einfüh- rung eines familiengerichtlichen Genehmi- gungsvorbehaltes für freiheitsentziehende Maßnahmen bei Kindern – des von den Abgeordneten Corinna Rüffer, Katja Keul, Katja Dörner, weiteren Abge- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017XIV ordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bürger- lichen Gesetzbuchs zur Einführung eines gerichtlichen Genehmigungserfordernisses bei freiheitsbeschränkenden Maßnahmen gegenüber Kindern (Tagesordnungspunkt 48 a und b) . . . . . . . . . . 22362 D Dr. Silke Launert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 22363 A Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) . . 22363 D Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22364 D Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22365 C Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV . . . 22366 B Anlage 26 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Astrid Grotelüschen (CDU/CSU) zu der na- mentlichen Abstimmung über den von den Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Renate Künast, Luise Amtsberg, weiteren Ab- geordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten Wohnungsmärkten bei umfas- senden Modernisierungen (Zusatztagesordnungspunkt 4) . . . . . . . . . . . . 22366 D (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22061 221. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9. März 2017 Beginn: 9 .00 Uhr
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    4) Anlage 25 Vizepräsidentin Claudia Roth (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22265 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Albsteiger, Katrin CDU/CSU 09 .03 .2017 Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 09 .03 .2017 Beermann, Maik CDU/CSU 09 .03 .2017 Binder, Karin DIE LINKE 09 .03 .2017 Böhmer, Dr . Maria CDU/CSU 09 .03 .2017 Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 09 .03 .2017 Dröge, Katharina * BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 09 .03 .2017 Ehrmann, Siegmund SPD 09 .03 .2017 Fischer (Hamburg), Dirk CDU/CSU 09 .03 .2017 Gabriel, Sigmar SPD 09 .03 .2017 Hasselfeldt, Gerda CDU/CSU 09 .03 .2017 Katzmarek, Gabriele SPD 09 .03 .2017 Kühn-Mengel, Helga SPD 09 .03 .2017 Kunert, Katrin DIE LINKE 09 .03 .2017 Lerchenfeld, Philipp Graf CDU/CSU 09 .03 .2017 Leutert, Michael DIE LINKE 09 .03 .2017 Leyen, Dr . Ursula von der CDU/CSU 09 .03 .2017 Marks, Caren SPD 09 .03 .2017 Mosblech, Volker CDU/CSU 09 .03 .2017 Nahles, Andrea SPD 09 .03 .2017 Röspel, René SPD 09 .03 .2017 Rüffer, Corinna BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 09 .03 .2017 Rüthrich, Susann * SPD 09 .03 .2017 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Sarrazin, Manuel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 09 .03 .2017 Schlecht, Michael DIE LINKE 09 .03 .2017 Schmidt, Dr . Frithjof BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 09 .03 .2017 Schulte, Ursula SPD 09 .03 .2017 Strebl, Matthäus CDU/CSU 09 .03 .2017 Veit, Rüdiger SPD 09 .03 .2017 Vogt, Ute SPD 09 .03 .2017 Wagenknecht, Dr . Sahra DIE LINKE 09 .03 .2017 Wawzyniak, Halina DIE LINKE 09 .03 .2017 Weber, Gabi SPD 09 .03 .2017 Wöllert, Birgit DIE LINKE 09 .03 .2017 Zdebel, Hubertus DIE LINKE 09 .03 .2017 *aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zu bereichsspe- zifischen Regelungen der Gesichtsverhüllung  (Ta- gesordnungspunkt 17) Dr. Tim Ostermann (CDU/CSU): Wir alle haben den großen Zuzug von Menschen nach Deutschland in den letzten Jahren erlebt und erleben ihn auch derzeit noch . Unter ihnen sind viele von Krieg, Flucht und Verfolgung betroffene Menschen, aber auch nicht wenige, die allein aus wirtschaftlichen Gründen zu uns kommen . Nach ih- rer Ankunft ist dann nicht immer sofort klar, wer über- haupt hier bleiben darf und wer nicht, und es ist nicht klar, wie lange die Menschen bleiben werden . Eines ist für mich jedoch glasklar: Alle Menschen, die sich in Deutschland aufhalten, müssen sich an unsere Gesetze, an unsere Regeln halten . Dabei ist es mir be- wusst, dass nicht alle Menschen, die herkommen, sofort alle unsere kulturellen, größtenteils ungeschriebenen Re- geln kennen und unmittelbar befolgen können . Es gibt Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722266 (A) (C) (B) (D) jedoch einige Regeln, die für unsere Gesellschaft zentral und wichtig sind . Hier genügt es nicht, einfach darauf zu hoffen, dass mit der Zeit ein gewisser Integrationseffekt entsteht und die Menschen sich den Regeln anpassen . Stattdessen müssen wir diesen zentralen Regeln auch per Gesetz Geltungskraft verleihen Das Gebot, Gesicht zu zeigen, gehört für mich zu die- sen zentralen Regeln unseres Landes . Das Verhüllen oder Verschleiern des Gesichts verstößt gegen unsere Grund- werte einer offenen Gesellschaft. Besonders die Burka und die Nikab sind für mich ein unmissverständliches Zeichen dafür, dass sich jemand den Werten unserer Ge- sellschaft entzieht . Nun gehört es zu unserer freien, liberalen Gesell- schaft auch, dass wir die Freiheit des Einzelnen achten . Der Staat sollte und darf den Menschen nur bis zu einem gewissen grundrechtlichen Schutzbereich vorschreiben, wie sie sich zu verhalten haben . In bestimmten Situatio- nen ist der Schutzbereich allerdings eingeschränkt . Dies gilt dann, wenn Personen ein öffentliches Amt ausüben, eine sonstige Tätigkeit für unseren Staat verrichten oder wenn sie sich gegenüber staatlichen Stellen identifizieren müssen . Gerade in diesen Bereichen verstößt es gegen unsere gesellschaftlichen Regeln, sich zu verhüllen, und ich meine, dass wir hier eine gesetzliche Regelung brau- chen, die dieses verbietet . Deshalb ist es gut, dass die Bundesregierung diesen Gesetzentwurf vorgelegt hat . Wir werden uns den Gesetzentwurf im parlamenta- rischen Verfahren noch im Detail anschauen, aber im Grunde legt das Gesetz vor allem zwei Regeln fest, die sehr zu begrüßen sind . Erstens: Bei Ausübung des Diens- tes oder bei einer Tätigkeit mit unmittelbarem Dienstbe- zug darf das Gesicht nicht verhüllt werden . Dies dient der Gewährleistung einer funktionsfähigen Verwaltung und der Erhaltung des Selbstverständnisses unseres demokra- tischen Rechtsstaates . Nur wenn das Gesicht unverhüllt bleibt, ist eine ver- trauensvolle Kommunikation zwischen staatlichen Funk- tionsträgern und Bürgerinnen und Bürgern möglich . Da- bei ist es essenziell, den Beamten und Beamtinnen auch ins Gesicht schauen zu können . Denn Kommunikation kann nur stattfinden, wenn man seinem Gesprächspartner auch ins Gesicht schauen sowie seine Gestik und Mimik sehen kann . Die Sprache allein macht eben nur einen Teil aus . Hinzu kommt, dass die Beamten zur Neutralität ge- genüber den Bürgerinnen und Bürgern verpflichtet sind. Deswegen sollen mit diesem Gesetzentwurf das Bundes- beamtengesetz, das Beamtenstatusgesetz und das Solda- tengesetz geändert werden . Die zweite Regel lautet, dass eine ausweispflichtige Person ihr Gesicht bei einem Lichtbildabgleich in vol- lem Umfang zeigen muss . Dazu wird eine Änderung des Personalausweisgesetzes, des Aufenthaltsgesetzes und des EU-Freizügigkeitsgesetzes nötig . Ebenfalls wird die Bundeswahlordnung geändert, nach der ein fehlender Abgleich des Gesichtes mit dem Ausweispapier zu einer Zurückweisung durch den Wahlvorstand führt . Ich meine, dass dieser Gesetzentwurf eine wichtige Regel unseres Zusammenlebens aufgreift und mit Geset- zeskraft ausstattet . Ich freue mich auf die nun anstehen- den Beratungen im parlamentarischen Verfahren . Dr. Lars Castellucci (SPD): Der vorliegende Ge- setzentwurf regelt vermeintlich eine ganze Reihe von Sachverhalten . Ich darf aus dem Text zitieren: „Durch eine Änderung des Bundesbeamtengesetzes, des Beamtenstatusgesetzes und des Soldatengesetzes wird es Beamtinnen und Beamten sowie Soldatinnen und Soldaten untersagt, bei Ausübung ihres Dienstes oder bei Tätigkeiten mit unmittelbarem Dienstbezug das Gesicht durch Kleidung o . ä . zu verhüllen … Eine Änderung des Bundeswahlgesetzes sieht ein entsprechendes Verbot auch für die Mitglieder der Wahlausschüsse und Wahl- vorstände … vor . Zur Durchsetzung von Identifizierungspflichten wird eine Änderung des Personalausweisgesetzes dahinge- hend vorgenommen, dass die ausweispflichtige Person einen Abgleich mit dem Lichtbild ermöglicht, indem sie ihr Gesicht in dem dem Lichtbild entsprechenden Um- fang zeigt . An die Änderung im Personalausweisgesetz anknüpfend werden Änderungen im Aufenthaltsgesetz und im Freizügigkeitsgesetz/EU vorgenommen, die ebenfalls einen Abgleich mit dem Lichtbild des Identi- fikationspapiers bzw. mit dem des Ankunftsnachweises ermöglichen .“ Und schließlich: „Eine Änderung der Bundeswahlord- nung sieht vor, dass eine Wählerin oder ein Wähler dann vom Wahlvorstand zurückgewiesen werden kann, wenn sie oder er sich nicht ausweist oder die Feststellung ihrer oder seiner Identität durch den Wahlvorstand unmöglich macht und die zur Feststellung ihrer oder seiner Identität erforderliche Mitwirkungshandlung zum Abgleich mit dem Ausweispapier verweigert .“ So weit die verschiedenen Regelungen, die wir in die- sem Gesetz erlassen wollen . Ich habe mich bei der Lektüre des Textes gefragt, wel- che Probleme wir mit dem Gesetz lösen wollen . Denn Recht ist ja ein Entscheidungssystem für soziale Sach- verhalte und Konflikte, die nach materiellen Regeln in einem vorgeschriebenen Verfahren gelöst werden . Die Leistung des Rechts besteht also darin, dass es das Kon- fliktpotenzial „entfesselter” subjektiver Freiheiten durch Gleichheit verbürgende Normen zähmt . Also an dieser Stelle nochmals die Frage: Welche Pro- bleme sollen mit dem Gesetz gelöst werden? Ich selbst kann mich an keinen Fall erinnern, in dem eine Soldatin oder Beamtin mir verschleiert gegenüber- getreten wäre, vielleicht mit Ausnahme des Karnevals . Ich habe aus der Zeitung von dem Fall in Neukölln er- fahren, bei dem eine Referendarin ein Kopftuch tragen wollte und gegen dieses Verbot geklagt hat . Nachdem sie recht bekommen hatte, hat sie die Stelle dann aber doch nicht antreten wollen, soweit ich das mitbekommen habe . Insofern kann ich die Intention des Entwurfs verste- hen, hier Regelungen zu schaffen, die die Neutralität des Staates und seiner Bediensteten klarstellen . Allerdings scheint mir die Fallzahl relativ gering zu sein . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22267 (A) (C) (B) (D) Weiterhin ist mir kein Fall bekannt, bei dem die Wahlvorstände bei Bundestagswahlen verschleiert ihren Dienst verrichtet hätten . Allerdings haben wir in Deutsch- land nach meinen Recherchen rund 60 .000 Stimmbezir- ke, sodass mehrere Hunderttausend Bürgerinnen und Bürger auch in diesem Jahr dankenswerterweise wieder an der Durchführung der Bundestagswahlen mitwirken . Insofern kann eine Klarstellung wohl auch nicht wirklich schaden . Ich finde, ein Problem mit dem Gesetzestext zeigt sich in der Äußerung des Bundesrates und der Erwiderung der Bundesregierung: Der Bundesrat hat an einigen Stellen den Vorschlag gemacht, eine präzisere Formulierung zu wählen . Im Kern geht es mehrfach um den Zusatz „sowie zu ermöglichen, ihr Gesicht mit dem Lichtbild … abzu- gleichen“ . Das sieht die Bundesregierung nicht so, da dies schon im Passgesetz etc . enthalten sei . Und so geht es mir an ganz vielen Stellen des Geset- zestextes: Eigentlich sollte das doch klar sein . Es kann doch niemand auf die Idee kommen, vollverschleiert in die Wahlkabine laufen zu wollen, ohne dass eine kurze Überprüfung stattfindet, ob es sich tatsächlich um den oder die Wahlberechtigte handelt . Alles andere wäre doch absurd . In der Summe stelle ich fest, dass die hier angestreb- ten Änderungen in weiten Teilen selbstverständlich sein müssen . Wenn es dazu noch dieser Klarstellungen be- darf, dann kann man dem auch zustimmen . Ich möchte auf den Anfang meiner Rede zurückkom- men und die Frage, welche Funktion Recht hat . Recht hat nur eine begrenzte Reichweite; zum Beispiel hat das Recht nur einen begrenzten Zugriff auf den privaten Be- reich. Viele Dinge, die wir nicht gut finden müssen, sind rechtlich nicht zu beanstanden . Ich selbst habe auch Probleme mit vollverschleierten Frauen. Ich – ganz persönlich – empfinde das als einen Ausdruck eines Frauenbildes, das ich nicht gut finde. Diese Konflikte werden wir aber nicht durch Gebote und Verbote lösen . Das ist eine gesellschaftliche Aufgabe, die uns alle einschließt und von allen auch eine gewisse Of- fenheit für den Anderen benötigt – eine Tugend, die mir in den letzten Monaten zum Teil etwas in Vergessenheit geraten zu sein scheint . Ulla Jelpke (DIE LINKE): Hinter dem sperrigen Titel „Entwurf eines Gesetzes zu bereichsspezifischen Rege- lungen der Gesichtsverhüllung“ verbirgt sich der Ver- such, ein Problem zu regeln, das gar nicht besteht . Es soll Beamtinnen und Beamten verboten werden, während ihres Dienstes ihr Gesicht zu verhüllen . Auch wenn jeder konkrete Bezug sorgsam vermieden wird, ist doch klar, dass sich der Gesetzentwurf auf muslimische Frauen be- zieht, die eine Vollverschleierung tragen, zum Beispiel einen Nikab oder eine Burka, die oft nicht einmal mehr die Augen freilässt . Mir persönlich ist es unverständlich, warum sich jemand – auch im Namen einer Religion – so eine Kleidung antut . Und wenn eine solche Vollver- schleierung auf den Druck zumeist männlicher Fami- lienmitglieder zurückzuführen ist, dann lehne ich das entschieden ab . Doch um Rechte der Frauen geht es im vorliegenden Gesetzentwurf überhaupt nicht . Vielmehr sorgt sich die Bundesregierung um die „Funktionsfähigkeit der Ver- waltung“ . Sie glauben doch nicht im Ernst, dass diese von der Frage abhängt, ob Beamtinnen oder Beamte eine Gesichtsverhüllung tragen oder nicht? Wenn es Ihnen um eine effektive Verwaltung ginge, dann würden Sie den öffentlichen Dienst nicht kaputtsparen und die Beamten mit sinnlosen bürokratischen Schikanen auf Trab halten . Eine Gesichtsverhüllung stehe einer „vertrauens- vollen Kommunikation der staatlichen Funktionsträger mit den Bürgerinnen und Bürgern“ entgegen, meint die Bundesregierung . Ein Großteil dieser Kommunikation erfolgt heute telefonisch, per Post oder per E-Mail . Ob die Beamtin am anderen Ende der Leitung Nikab oder Minirock trägt, ob sie Christin, Atheistin oder Muslima ist, kann ich da nicht erkennen, und es ist genauso wenig von Interesse für meine Belange . Für eine „vertrauens- volle Kommunikation“ mit einer Behörde ist das gänz- lich egal . Die einzigen mir bekannten Angehörigen des öffent- lichen Dienstes, die ihr Gesicht verhüllen, sind Mitglie- der von Polizeisonderkommandos . Deren Auftreten etwa am Rande von Demonstrationen erscheint mir in der Tat nicht als besonders vertrauensbildende Maßnahme . Ansonsten ist mir kein einziger Fall bekannt, wo eine Beamtin tatsächlich vollverschleiert zum Dienst erschie- nen ist . Auch die Bundesregierung konnte bislang kein praktisches Beispiel für den Nutzen eines solchen Geset- zes beibringen . Somit handelt es sich um ein reines Vor- ratsgesetz, wenn nicht gar um ein rechtlich unzulässiges Einzelfallgesetz . Es bestand bislang keine Notwendig- keit für solch ein Gesetz und ich sehe auch in der Zukunft keine Notwendigkeit dafür . Nur eine winzige Minderheit der in Deutschland le- benden Muslimas trägt einen Nikab oder gar eine Burka . Doch dieses an sich sinnlose Sondergesetz, das faktisch nur gegen Angehörige einer Religionsgemeinschaft ge- richtet ist, wird auch von anderen Muslimen, die für sich persönlich eine Vollverschleierung ablehnen, als Element einer wachsenden Islamfeindschaft verstanden . Mit diesem Gesetzentwurf werden der rechte Rand, die Pegida-Stammtische und das AfD-Klientel bedient . In Sachsen-Anhalt gelang es der AfD bereits, mit ei- nem entsprechenden Antrag die CDU-SPD-Grünen-Re- gierung vor sich her zu treiben . Im Innenausschuss des Landtages einigten sich Koalition und AfD auf einen Antrag, um Gesichtsschleier im öffentlichen Raum – so wörtlich – „zu begrenzen“. Ich bezweifle, dass in ganz Sachsen-Anhalt mehr als eine Handvoll vollverschleier- ter Frauen lebt, und ich bin sicher, dass keine einzige da- von Beamtin ist . Aus so einem Antrag spricht die blanke Hysterie; bedient wird damit zugleich dumpfe Fremden- feindlichkeit . Dass auch die Grünen darauf aufspringen, ist bezeich- nend . Aber was soll man von einer Partei halten, die ihren Restpazifismus bereitwillig opferte, um die Bundeswehr zur Befreiung der afghanischen Frauen von der Burka an den Hindukusch zu schicken? Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722268 (A) (C) (B) (D) Fassen wir also zusammen: Der vorliegende Gesetz- entwurf hat kaum praktische Relevanz; er ist völlig über- flüssig. Doch er ist Wasser auf die Mühlen der Rechts- populisten, und er trägt in völlig unnötiger Weise dazu bei, das allgemeine Klima gegenüber Muslimen weiter zu vergiften . Daher lehnt die Linke dieses Gesetz ab . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist nicht gut gebrüllt; es ist eher Much Ado About Not- hing, was Sie dort zur Gesichtsverhüllung von SEK-Be- amtinnen und Feldjägerinnen veranstalten . Sie sollen fortan Karnevalsmasken nur noch tragen dürfen, wenn es aus gesundheitlichen Gründen erforderlich ist, wohl weil die Karnevalszeit ja leider Gottes nicht selten mit der einen oder anderen Grippewelle zusammenfällt . Das ist sicherlich gesundheitspolitisch lobenswert – wenn auch schlussendlich nicht überzeugend –, hat aber eben wenig mit dem Kampf zur Befreiung der unterdrückten Frau und schon gar nichts mit sinnvoller Terrorbekämp- fung zu tun . Aber genug der Polemik . Wenn dem so ist, dass man auf Grundlage des geltenden Rechts Richterinnen nicht verbieten kann, das Gesicht während der Verhandlung zu verhüllen, nun gut, dann kann man das meinetwegen re- geln . Klare Regeln sind im Rechtsstaat tendenziell richti- ger als juristische Verschwommenheit . Aber müssen wir über diese nichtexistenten Fälle tatsächlich eine mona- telange Debatte führen und dem bayerischen Minister- präsidenten eine bundespolitische Lichtung zum Röhren geben? Das ist doch Irrsinn . Es ist gut, dass die Reden zu diesem Thema heute zu Protokoll gehen; denn ehrlich gesagt kann man sich das alles nicht weiter anhören . Frauen in Burka sind sicherlich kein Anblick, den ich vermissen würde, wenn es ihn nicht mehr gäbe . Dennoch würde ich im Zweifel jeder Frau erst einmal das Recht zubilligen, sich so zu kleiden, wie sie es will . Belege da- für, dass sich Frauen hierzulande gegen ihren Willen in solche Verkleidungen sperren lassen, gibt es nicht . Aber auch wenn: Wie wollen Sie, liebe grauhaarige Verfech- ter der Emanzipation aus der CSU, diese Frauen denn aus ihrer wandelnden Textilhaft befreien, wenn Sie ih- nen faktisch den Zugang zum öffentlichen Raum noch erschweren? Es ist gut, dass die Koalition diesen Forde- rungen nicht nachgegeben hat und Säkularität nicht eben- so falsch versteht wie die parlamentarische Mehrheit in Frankreich, die aus der laizistischen Trennung von Staat und Kirche in dieser Sache ein Instrument der republi- kanischen Unterdrückung selbstgewählter Lebensstile gemacht hat. So schafft man nicht mehr Freiheit, sondern weniger . Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Recht- sprechung zum Kopftuch die positive Religionsfreiheit gestärkt . Der Staat hat demnach nicht zu beurteilen, wel- che Bekleidungsvorschriften jemand aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen für sich als verpflichtend ansieht oder nicht . Pauschale Verbote kann es nach die- sem Urteil nicht mehr geben . Entsprechende Regelungen müssen zudem diskriminierungsfrei erfolgen, also für alle Religionen und Weltanschauungen gleichermaßen gelten . An diesen Leitprinzipien hat sich auch die De- batte um das Verbot von Burka und Nikab zu orientieren . Das Grundgesetz gibt hier zu Recht hohe Hürden vor . Partielle Verbote der Vollverschleierung müssen gut be- gründete Ziele haben . Wir Grünen haben – anders als manch anderer in die- sem Hohen Hause – zur Vorstellung der Kirchen von Geschlechterrollen und zur Sexuallehre kein Blatt vor den Mund genommen . Genauso werden wir auch gegen frauenfeindliche Haltungen im Islam streiten . Burka und Nikab können Ausdruck eines patriarchalischen, frauen- feindlichen Gesellschaftsbilds sein, das wir ablehnen und sind es oft auch . Auch die große Mehrheit der Muslimas und Muslime in Deutschland sieht die derartig weit ge- hende Verhüllung nicht als religiöses Gebot . Aber diese Entscheidung treffen die individuellen Grundrechtsträge- rinnen, also die Frauen selbst, und niemand anders für sie . Wer diesen Frauen dieses Recht von vornherein ab- spricht, befördert im Ergebnis antimuslimische Ressenti- ments und lenkt von den tatsächlich sicherheitspolitisch entscheidenden Maßnahmen ab: von dem Bedarf einer besseren Ausstattung der Polizei, von deutlich verbes- serten Präventionskonzepten . Wer wirklich etwas für die Selbstbestimmung von Frauen tun will, sollte Bera- tungsstellen finanziell fördern, Frauen über ihre Rechte aufklären und ihnen Schutz gewähren, wenn sie in ihrer Freiheit und Selbstbestimmung bedrängt oder bedroht werden – in bundesweit besser finanzierten Frauenhäu- sern zum Beispiel . Summa summarum: Nicht alles, was man falsch fin- det, kann man verbieten . Ich wünsche mir dennoch, dass trotz aller bereichsspezifischer Verbote der Gesichtsver- hüllung die karnevalesken Traditionen aufrechterhalten werden und dass man den Rekruten in den Bundeswehr- kasernen in ihrer Freizeit die kleine Freude des Alltags nicht verwehrt, mit übergezogenen Kopfkissenbezügen Kissenschlachten zu veranstalten . In diesem Sinne ein nachhallendes Alaaf! Und bis gleich! Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister des Innern: Wer sein Gesicht offen zeigt, begeg- net seinen Mitmenschen in Offenheit. Diese Offenheit ist aus meiner Sicht eine Grundfeste unserer gemeinsamen Werteordnung . Ein vollverschleiertes Auftreten in der Öffentlich- keit kommt hingegen einer Ablehnung unserer Werte gleich . Die Vollverschleierung beeinträchtigt daher den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die zwischen- menschlichen Beziehungen . Dem entgegenzuwirken hält im Übrigen auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte für legitim . Denn wenn das Gesicht im Verborgenen bleibt, sind die Möglichkeiten des Kennen- lernens stark eingeschränkt . Das behindert Kommunika- tion, die eben nicht allein aus Worten besteht . Gerade für Menschen, die neu in unser Land kommen und von denen wir zu Recht die Integration verlangen, ist die Vollverschleierung ein Hemmnis . Im Verbergen des Gesichts manifestiert sich geradezu die Ablehnung der aufnehmenden Gesellschaft . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22269 (A) (C) (B) (D) Zu unserer Gesellschaft gehört auch die Gleichbe- rechtigung von Mann und Frau . In meinen Augen ist die Burka ein unerträgliches Symbol der Unterdrückung von Frauen . Eine derart manifestierte Diskriminierung kön- nen wir – auch zum Schutz von jungen Frauen und Mäd- chen – nicht hinnehmen . Ich halte es daher für geboten, dass jeder in der Öffentlichkeit sein Gesicht zeigt. Was für die zwischenmenschlichen Beziehungen all- gemein gilt, muss für das Verhältnis des Staates zu seinen Bürgern erst recht gelten: Vertrauen in das Amt des Be- amten kann nicht entstehen, wenn im Dienst das Gesicht komplett verhüllt ist. Eine offene Kommunikation mit den Bürgern wäre unmöglich und die Integrität des Staa- tes beeinträchtigt . Auch für die vertrauensvolle Zusam- menarbeit der Staatsdiener untereinander ist die offene Kommunikation essenziell . Der Gesetzgeber kann und muss daher zum Schutz der staatlichen Integrität vorausschauend handeln . Wir müs- sen nicht abwarten, bis der Streit um die Vollverschlei- erung im Dienst vor einem Gericht ausgetragen wird . Rechtsstreitigkeiten um religiös motivierte Bekleidung haben in den letzten Jahren zugenommen . Ein frühzeiti- ges Handeln des Gesetzgebers ist daher geboten . Wir senden mit dem Gesetzentwurf daher auch ein klares Signal: Unser Zusammenleben beruht auf Offen- heit. Wer die offene Gesellschaft ablehnt, kann unseren demokratischen Rechtstaat nicht repräsentieren . Klar ist auch: Nicht alles, was wir ablehnen, können wir verbieten . Grundsätzlich steht es jedem frei, sich so zu kleiden, wie es ihr oder ihm gefällt . Dies gilt umso mehr, wenn die Bekleidung unter den Schutz der Religi- onsfreiheit fällt . Dieses Spannungsfeld löst der vorgelegte Gesetzent- wurf umsichtig auf. Denn die Regelungen betreffen nicht jede Gesichtsverhüllung in der Öffentlichkeit. Der Ge- setzentwurf ist vielmehr das Ergebnis einer sorgfältigen Abwägung der betroffenen Rechtskreise. Er beschränkt sich auf die Bereiche, in denen es für die Funktionsfä- higkeit des Staates unabdingbar ist, dass ein Gesicht er- kennbar ist . Dies trifft für Beamte in Bund und Ländern, für Sol- daten sowie für Richter bei Ausübung ihres Dienstes und bei Tätigkeiten mit unmittelbarem Dienstbezug zu . Ent- sprechendes gilt auch für Mitglieder der Wahlausschüsse und Wahlvorstände . Zudem soll dort, wo gesetzliche Identifizierungs- pflichten bestehen, das Zeigen des Gesichts im Bedarfs- fall auch durchgesetzt werden können . Immer dann, wenn Identitätspapiere vorgelegt werden, muss der Abgleich des Lichtbilds mit dem Gesicht der Person möglich sein . Darüber hinaus gibt es weitere Bereiche, in denen ein Verbot der Vollverschleierung aus meiner Sicht ge- boten wäre . Dazu zählen zum Beispiel der Unterricht an Schulen oder die Betreuung in Kindergärten . Hier sind die Länder in der Pflicht, entsprechende Regelungen zu treffen. Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzent- wurf beinhaltet also kein pauschales Verbot dessen, was mir und vielen von uns nicht gefällt . Aber er sendet das starke Signal, dass das Auftreten der staatlichen Reprä- sentanten mit unverhülltem Gesicht für den demokrati- schen Rechtsstaat unabdingbar ist . Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Sigrid Hupach, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Einrichtung einer Kom- mission beim Bundesministerium der Finanzen zur Evaluierung der Staatsleistungen seit 1803 (Tages- ordnungspunkt 18) Margaret Horb (CDU/CSU): Die Fraktion Die Linke ist überraschend traditionsbewusst . So traditionsbewusst sogar, dass sie das Thema Staatsleistungen regelmäßig vor Wahlen auf ihre Agenda setzt . Im Jahr 2012 woll- ten Sie die Staatsleistungen noch ganz abschaffen. Ihre Intention hat sich seitdem nicht geändert und ist immer noch genauso durchschaubar . Sie wollen die Ablösung der Staatsleistungen quasi zum Nulltarif, auch wenn Sie in Ihrem jetzigen Antrag die Einsetzung einer Kommis- sion beim BMF zur Evaluierung der Staatsleistungen seit 1803 vorschieben . Dabei bauen Sie Ihre Argumentation auf der Annahme auf, dass sich die Staatsleistungen über die Jahre verrin- gert hätten . Es seien ja schon sehr lange Zahlungen an die Kirchen geleistet worden . Dabei verstehen Sie jedoch die Situation komplett falsch . Staatsleistungen sind der dauernde Ersatz für den Ausfall wirtschaftlicher Erträge . Die Länder erstatten die Einnahmen, die die Kirchen aus dem enteigneten Besitz erwirtschaftet hätten . Staatsleis- tungen sind somit keine Subventionen und schon gar kei- ne „Ewigkeitsrente“, wie es in Ihrem Antrag heißt . Wer das nicht begriffen hat, der lässt wichtige historische Ge- gebenheiten außer Acht . Man sollte annehmen, dass wir das bereits ausgiebig und verständlich hier im Bundestag klargestellt haben . Klar ist auch, dass wir gemäß Artikel 140 des Grund- gesetzes in Verbindung mit Artikel 138 Absatz 1 der Wei- marer Reichsverfassung einen Verfassungsauftrag haben . Der Bund soll hiernach Rahmenbedingungen schaffen. Der Auftrag lautet aber nicht, den Ländern und Kirchen komplizierte Detailvorgaben überzustülpen . Der Antrag der Linken überschreitet daher die Linie der Zuständig- keit . Besonders kritisch sehe ich die Größe der vorgeschla- genen Evaluierungskommission: „(Kirchen-) Historike- rinnen und (Kirchen-) Historiker, Kirchen- und/oder Ver- fassungsrechtlerinnen und -rechtler, Ökonominnen und Ökonomen sowie Vertreterinnen und Vertreter der Bun- desländer sowie der beiden großen Kirchen“ . Zusätzlich müssten Vertreter der Städte und Kommunen, der Kir- chengemeinden, des Heiligen Stuhls und gegebenenfalls weitere dazukommen . Wenn man alle Beteiligten an ei- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722270 (A) (C) (B) (D) nen Tisch holen sollte, werden das ja mindestens hundert Personen . Und Sie gehen davon aus, dass die zahllosen historisch gewachsenen Besonderheiten der Staatsleis- tungen in jedem einzelnen Bundesland, in jeder Kommu- ne, in jeder Kirchengemeinde in diesem „kleinen“ Kreis effizient und schnell bearbeitet werden können. Das klingt nicht nach einer realistischen Herangehensweise . Was von einem solchen Gremium zu erwarten ist, zeigt ein Blick in die Geschichte . Es gab nämlich in meiner Heimat bereits einen Arbeitskreis, der die Staatsleistun- gen bemessen und prüfen sollte . Im Jahr 1820 wurde von König Wilhelm I . von Württemberg eine „gemeinschaft- liche Kommission“ einberufen, die das Ziel verfolgte, die gerade mal 17 Jahre zuvor erfolgten Enteignungen der evangelischen Kirche abzulösen . Sage und schreibe 98 Jahre später war sie immer noch zu keinem Ergebnis gekommen und wurde mit dem Ende der Monarchie auf- gelöst . Diese Kommission erinnert mich doch stark an den jetzt vorgebrachten Antrag . Liebe Kollegen von der Fraktion Die Linke, auch Ihre Expertenrunde würde frü- hestens am Sankt-Nimmerleins-Tag zu einem Ergebnis kommen – wenn überhaupt . Wie gut die Länder und Kirchen sich einigen können, beweisen zahlreiche Beispiele . Nicht nur Hamburg und Bremen haben Antworten gefunden . Auch in Hessen und Brandenburg wurden Ablösungen vorbildlich durchge- führt . In Baden-Württemberg laufen ebenfalls Gespräche zur Ablösung der Staatsleistungen . Eine Kommission, die sich aus dem fernen Berlin einmischen würde, wäre nur kontraproduktiv . Wie stellen Sie sich das überhaupt in der Praxis vor? Wie sollte eine so heterogene Expertenrunde in Berlin eine Evaluierung beispielsweise für den Kölner Dom, die Heiliggeistkirche in Heidelberg oder die evangelische Kirche in Merchingen-Ravenstein vornehmen? Das kön- nen die Kirchen mit den Ländern besser . Liebe Kollegen der Fraktion Die Linke, ich wieder- hole meinen Vorschlag an Sie vom 15 . April 2016: Ins- tallieren Sie doch eine Kommission zur Evaluierung der Staatsleistungen in Thüringen; denn dort sind Sie seit Jahren in der Regierungsverantwortung . Interessanter- weise hört man aus Erfurt nichts, aber auch gar nichts . Auch hier im Bundestag ist es diesbezüglich still – kein Berichterstattergespräch, keine öffentliche Anhörung, ja, nicht einmal eine Debatte in den beratenden Ausschüssen haben Sie angestoßen . Und das, obwohl wir vonseiten der Regierungskoalitionen sowohl in der vergangenen als auch in der aktuellen Wahlperiode Gesprächsbereitschaft signalisiert und auch konkrete Angebote gemacht haben . Ich habe den Verdacht, dass Sie das Thema regelmäßig vor den Wahlen aus der Schublade holen, einzig und al- lein, um mit populistischen Äußerungen unsere Kirchen zu diskreditieren . Sie, liebe Frau Wawzyniak, sagten es ja selbst in Ihrer Rede vom 15 . April 2016, dass Die Linke mit der Frage, „ob überhaupt noch Staatsleistungen zu zahlen sind“, in den Wahlkampf ziehen sollte . Aber die- ses „linke“ Manöver ist mit uns nicht zu machen! Die Kirchen in unserem Land leisten eine wertvolle und unbezahlbare Arbeit für unser aller Gemeinwohl . Dieser Einsatz für unsere Gesellschaft ist von unschätz- barem Wert, und es ist mir eine Herzensangelegenheit, meine Rede mit dem ausdrücklichen Dank an alle Haupt- und Ehrenamtlichen in unseren Kirchen zu beenden . Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sieht keinen Handlungs- bedarf hinsichtlich der Einsetzung einer Evaluierungs- kommission . Wir werden daher den Antrag ablehnen . Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Staatsleistungen ha- ben ihre Grundlage darin, dass kirchliche Güter im Rah- men der Säkularisierung, namentlich im Reichsdeputa- tionshauptschluss im Jahre 1803, umfangreich enteignet wurden. Diese Güter befinden sich zumeist noch heute in staatlichem Eigentum . Damals übernahmen die Lan- desherren zugleich die Verpflichtung, die Besoldung und Versorgung der Pfarrer – sofern erforderlich – sicherzu- stellen . Es handelt sich also um eine Art von Pachtersatz- leistungen . Diese Staatsleistungen sind durch Artikel 140 des Grundgesetzes mit dem dadurch geltenden Arti- kel 138 Absatz 1 der Weimarer Reichsverfassung verfas- sungsrechtlich verbürgt . Diese Entschädigungszahlungen werden noch heute an die beiden großen Amtskirchen in fast allen Bundesländern – mit Ausnahme von Hamburg und Bremen – erbracht . Sie betragen rund 480 Millionen Euro jährlich . Wir diskutieren heute den Antrag der Fraktion Die Linke, welcher die Einrichtung einer Expertenkommis- sion beim Bundesministerium der Finanzen fordert . Sinn und Zweck dieser Kommission soll sein, den Umfang der enteigneten Kircheneigentümer und der bisher ge- leisteten Entschädigungszahlungen zu evaluieren und zu prüfen . Die Fraktion Die Linke zielt darauf ab, die Ablösesumme der Staatsleistungen zu ermitteln und die Zahlungen der Staatsleistungen somit zu beenden . Mit diesem Vorhaben sind sie zu Recht bereits im Jahr 2012 mit einem ähnlichen Gesetzentwurf gescheitert . Lassen Sie mich kurz erläutern, warum seitens des Bundes kein Anlass besteht, die Initiative zu einer Ab- lösung der Staatsleistungen zu ergreifen . Erstens ist festzustellen, dass der Bund selbst nicht Schuldner der Staatsleistungen ist . Wenn wir die Länder als Träger der Staatsleistungen betrachten, ist ferner zu unterstreichen, dass es diesen freisteht, einvernehmlich mit den Kirchen die Staatsleistungen zu verändern und neue Rechtsgrund- lagen zu schaffen. Eine individuelle Lösung zwischen den Bundesländern und Kirchen zu finden, ist im Rah- men der Länderhoheit die einfachere und sachgerechtere Vorgehensweise . Die Länder haben bislang jedoch nicht erkennen lassen, mit Gesprächen über die Ablösung der Staatskirchenleistungen beginnen zu wollen . Um die Staatsleistungen an die Kirchen abzulösen, ist eine expli- zite Initiative allerdings Grundvoraussetzung . Aus die- sem Grund besteht aktuell erst recht nicht für den Bund die Notwendigkeit, diesbezüglich tätig zu werden . Ich darf noch darauf verweisen, dass auch der Ko- alitionsvertrag keine Maßnahmen in diesem Bereich vorsieht . Das System der Kirchensteuer und des Staats- kirchenrechts hat sich bewährt . Eine Kommission, wie die Fraktion Die Linke sie in ihrem Antrag fordert, ist bürokratisch und verkennt die Gestaltungsautonomie auf Länderebene . Der Antrag der Fraktion Die Linke ist so- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22271 (A) (C) (B) (D) mit abzulehnen . Weder für die Einsetzung einer solchen Kommission noch für den Erlass eines Grundsätzegeset- zes zur Ablösung der Staatsleistungen des Bundes be- steht akuter Handlungsbedarf . Andreas Schwarz (SPD): Wir reden heute über ein altes Thema und über einen diskussionswürdigen An- trag . Bis ins Jahr 1803 müssen wir zurückblicken, um verstehen zu können, worum es hier eigentlich geht . Der Reichsdeputationshauptschluss vom 25 . Februar 1803 hat sicherlich nicht erwartet, dass sich fast auf den Tag genau 214 Jahre später ein gesamtdeutsches Parlament mit dessen Auswirkungen beschäftigen wird . Worum geht es im Einzelnen? Im Jahr 1803 wurden im Rahmen der staatlichen Säkularisierung die Kirchen teilweise ent- eignet . Von Klöstern bis zu ganzen Ländereien . Seither fließen Entschädigungszahlungen des Staates an die Kir- chen, nicht ohne Grund, so zum Beispiel um die Seelsor- ge trotzdem in der ländlichen Region aufrechtzuerhalten . Im Jahr 1919 wurden viele Kirchenrechtsregelungen in die Verfassung der Weimarer Republik aus dem Kaiser- reich übernommen . Aber eben auch, dass die Regelungen zur Kirchenfinanzierung neu verhandelt und neu geord- net werden müssten, und zwar in Artikel 138 Absatz 1 der Weimarer Reichsverfassung . Dieser Auftrag wurde mit Artikel 140 im Jahr 1949 auch ins Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland übernommen . Seither, und das ist doch einigermaßen erstaunlich, ist nichts gesche- hen . Ich möchte nicht verhehlen, dass auch ich glaube, dass wir hier tätig werden müssen . Mit „wir“ meine ich aber nicht zwangsläufig den Bund als Initiator dieser Ini- tiative, sondern am Ende einer notwendigen Kette . Bei der Berechtigung, die diese Debatte sicherlich hat, sind aber auch ein paar sensible Besonderheiten dieses Themas zu beachten . Die Kirchen in unserem Land tra- gen eine nicht hoch genug einzuschätzende Verantwor- tung für das Gemeinwohl in Deutschland . Nicht zuletzt in der Flüchtlingsfrage sind die Kirchen in unserem Land unverzichtbarer Partner einer humanen und menschen- würdigen Flüchtlingspolitik . Die kirchliche Seelsorge gibt den Menschen in unserem Land in einer immer schneller werdenden Welt Halt und Konstanz . Das gilt insbesondere für eine alternde Gesellschaft im ländlichen Raum . Hier ist die Kirche Hort des Zusammenkommens und auch des Gehörtwerdens . Ohne die sozialen und ka- ritativen Leistungen der Kirchen sähe der gesellschaft- liche Zusammenhalt in unserem Land ganz anders aus . Diesen Umstand sollten und dürfen wir bei jeder Debatte über die Finanzierung von Kirchen und Religionsge- meinschaften in unserem Land nie vergessen . Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, wie be- reits in der ersten Debatte zu Ihrem Antrag möchte ich heute auch noch mal betonen, dass wir gar nicht alles völlig abwegig finden, was Sie an Forderungen auffüh- ren . Sie fordern im Wesentlichen vier Punkte . Drei von diesen Punkten können wir etwas abgewinnen . Einem jedoch nicht . Da dieser jedoch der zentrale Punkt des An- trages ist, werden wir den gesamten Antrag leider nicht mittragen können . Ja, Sie fordern nicht zu Unrecht, dass es Zeit wird, den Umfang der Säkularisierungsverluste aus dem Jahr 1803 zu ermitteln . Dann spielt natürlich eine Rolle, wie hoch die Entschädigungszahlen seit dem Jahr 1919 sind. Ich glaube übrigens, dass die Differenz aus beiden Zahlen Sie eher überraschen würde als mich . Und jetzt stoßen wir aber auf das aus meiner Sicht entscheidende Problem . Und ich möchte das auch heu- te nochmals ausführen . In Ihrem Antrag fordern Sie die Einsetzung einer Kommission im Bundesfinanzminis- terium, bestehend aus – ich zitiere – Expertinnen und Experten wie Kirchenhistorikerinnen und Kirchenhisto- rikern, Kirchen- und/oder Verfassungsrechtlerinnen und -rechtlern, Ökonominnen und Ökonomen sowie Vertrete- rinnen und Vertretern der Bundesländer sowie der beiden großen Amtskirchen . Wenn Du nicht mehr weiter weißt, dann gründe einen Arbeitskreis . Ich glaube eine derartig aufgeblähte Kommission wird uns weitere 214 Jahre in der Debatte kosten, bis diese sich auch nur ansatzweise auf ein konkretes Ergebnis einigen könnte . Und, da wie- derhole ich mich nur ungern, wenn sie schon in solch großem Rahmen über Staatsleistungen und deren Zu- kunft diskutieren wollen, dann frage ich mich: wo sind die anderen Religionsgemeinschaften, die von Staatsver- trägen profitieren? Ob es nun die jüdischen Gemeinden in Sachsen-Anhalt oder die in Hamburg lebenden Musli- me und Aleviten sind . Sollen diese nicht an der Debatte beteiligt werden? Nein, ich glaube Sie zäumen das Pferd von hinten auf . Ja, wenn der Verfassungsauftrag erfüllt werden soll, muss der Bund irgendwann gesetzgeberisch tätig wer- den . In welcher Form auch immer . Aber zuvor muss es Gespräche auf viel kleinerer Ebene geben . Die Staats- verträge sind zwischen Bundesländern und Kirchen ge- schlossen und können nur zwischen diesen einvernehm- lich geregelt werden . Einige Bundesländer zahlen sehr viel, andere weniger . Teilweise erfolgen bis auf kom- munale Ebene gar keine Zahlungen mehr . Das bedeutet: Gespräche zwischen Landeskirchen und den jeweiligen Bundesländern und Kommunen sind nötig . Und sowohl Kirchen als auch Länder sind doch dazu bereit . Hier gibt es klare Signale der Gesprächsbereitschaft . Diese sollten aufgenommen werden, und dann freue ich mich auf die Initiative aus den Ländern, die dann etwa Bodo Ramelow anführen kann . Ich traue ihm da vielleicht mehr zu als seine Bundestagsfraktion . Erst danach kann und sollte der Bund tätig werden . Wie unfassbar Komplex diese Gespräche sind, kann ich als ehemaliger Bürgermeister gern mal im Einzelnen berichten, etwa Fragen rund um Unterhalts- und Kirchenbaulastfragen . Aus den genannten Gründen und nicht zuletzt, weil wir uns in einer Koalition befinden, können wir diesem Antrag nicht zustimmen . Christine Buchholz (DIE LINKE): In zwei Jahren wird ein Verfassungsauftrag, die Staatsleistungen an Religionsgemeinschaften betreffend, 100 Jahre alt. Der Artikel 140 unserer Verfassung hat den Artikel 138 der Weimarer Reichsverfassung aus dem Jahr 1919 zum Be- standteil des Grundgesetzes gemacht . Er lautet: „Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst . Die Grundsät- ze hierfür stellt das Reich auf .“ Die Staatsleistungen im Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722272 (A) (C) (B) (D) engen Sinne – altrechtliche Staatsleistungen genannt – liegen gegenwärtig im gesamten Bundesgebiet bei rund 460 Millionen Euro jährlich . Gut Ding will Weile haben, aber 98 Jahre sind eine beachtlich lange Zeit, und deshalb ist aus unserer Sicht die Erfüllung des damals gegebenen Auftrages mehr als überfällig . In der vergangenen Legislaturperiode hatte meine Fraktion einen Gesetzentwurf zur Ablösung der Staats- leistungen vorgelegt, der abgelehnt wurde . Das passiert uns hin und wieder mit unseren Vorschlägen, trotzdem blieb im Ergebnis dieser Ablehnung ein weiterhin nicht eingelöster Verfassungsauftrag . Mit unserem Antrag zur Einrichtung einer Kommission beim Bundesministerium der Finanzen zur Evaluierung der Staatsleistungen seit 1803 haben wir die Hürden für Ihrer aller Zustimmung niedriger gelegt . Wir sehen uns bestätigt, da es in allen Fraktion Stimmen gibt, nach denen die Ablösung der Staatsleistungen endlich in Angriff genommen werden muss . Und auch die beiden großen Kirchen sind bereit, darüber zu verhandeln . Wir sind davon ausgegangen, dass niemand etwas da- gegen vorbringen kann, eine Kommission, bestehend aus Kirchenhistorikerinnen, Kirchen- und Verfassungsrecht- lerinnen, Ökonominnen, Vertreterinnen der Länder und beider großer Amtskirchen einzusetzen, die sich des zu erfüllenden Auftrags annimmt und einen Vorschlag un- terbreitet, wie er konsensual erfüllt werden kann . Die CDU/CSU hat die mögliche Ablösesumme als ein Problem ausgemacht . Und ja, das ist eine Frage, die diskutiert werden muss . Durch Aussitzen kommt man an dem Punkt aber nicht weiter . Und weil es in der Ver- gangenheit immer wieder zu Verwirrungen und falschen Behauptungen geführt hat: Wir reden hier nicht von Sub- ventionen für Religionsgesellschaften zur Unterstützung ihrer Tätigkeit in Bereichen wie Sozialarbeit, Kinder- gärten, Schule, Jugendhilfe, Denkmalpflege. Die Leis- tungen der Kirchen sind hoch zu achten und tragen viel zum Zusammenhalt und friedlichen Zusammenleben in unserer Gesellschaft bei, vor allem auch wenn es um die Unterstützung und Hilfe für sozial benachteiligte Men- schen geht . Lothar Binding von der SPD hat in der ersten Lesung darauf verwiesen, dass dabei nicht die Handlungsfähig- keit der Kirchen auf dem Spiel steht, sondern dass die Summe der Staatsleistungen gerade mal 2 Prozent des Etats für die kirchliche Arbeit ausmacht . Das Ablösungsgebot hat einen guten Grund, ist es doch eine rechtliche Voraussetzung für einen säkularen und bekenntnisneutralen Staat und somit wichtig für die Entflechtung der finanziellen Beziehungen zwischen Staat und Kirche . Man kann mit Fug und Recht sagen, gerade in Zeiten einer weitaus größeren religiösen Viel- falt, als wir sie vor 100 Jahren hierzulande hatten, ver- stößt eine Bevorzugung bestimmter Kirchen gegenüber anderen Bekenntnisgemeinschaften und nichtreligiösen gesellschaftlichen Gruppen gegen das Prinzip der Tren- nung von Staat und Kirche . Und auch im Hinblick auf das Gleichbehandlungsgebot gegenüber allen Religions- gemeinschaften lässt sich auf Ewigkeit und Dauer die Bevorzugung nur zweier von ihnen nicht rechtfertigen . Aber es bleibt die Frage zu klären, inwieweit die Zah- lungen im engeren Sinne heute noch angemessen und zeitgemäß sind . Wir sagen, das sind sie nicht . Wir wol- len aber, dass darüber, ob dies so stimmt oder nicht, eine Expertinnen-kommission befindet. Die Voraussetzungen dafür sind gut, wie gesagt, beide große Kirchen haben mehrfach die Bereitschaft signalisiert, über die Ablösung der Staatsleistungen zu verhandeln . Dem sollte der Deut- sche Bundestag nicht nachstehen . Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ein Jubiläum steht vor der Tür . Es fällt unter die Katego- rie unerledigte Geschäfte . 2019 feiern wir 100 Jahre Verfassungsauftrag zur Ab- lösung der Staatsleistungen an die Kirchen . Weder der Reichstag der Weimarer Republik noch der Bundestag haben bislang ernsthaft Anstrengungen unternommen, dem Auftrag der Verfassung an den Gesetzgeber nach- zukommen . Das ist verfassungspolitisch ein unguter Zu- stand . Wir Grüne wollen den seit 1919 nicht umgesetzten Verfassungsauftrag – zur Ablösung der historischen Staatsleistungen an die großen christlichen Kirchen – endlich entschlossen umsetzen . Die Kirchen erhalten vom Staat bis heute Leistungen als Entschädigung für Enteignungen in der Zeit der Sä- kularisierung . Der grundgesetzliche Auftrag zur Ablö- sung dieser Staatsleistungen ist bislang nicht umgesetzt . Bündnis 90/Die Grünen fordern, dass durch die Bundes- regierung unverzüglich eine Expertenkommission einge- setzt wird, die eine Gesamtübersicht über die Staatsleis- tungen im Sinne des Artikels 138 Absatz 1 der Weimarer Reichsverfassung vom 11 . August 1919 anfertigt und Vorschläge für eine entsprechende Ablösungsgesetzge- bung unterbreitet . Gegenstand der heutigen Beratung sind also die fi- nanziellen Beziehungen zwischen Staat und Kirchen, genauer: zwischen den Ländern und den christlichen Bistümern und Landeskirchen, die durch staatliches Handeln während der Reformationszeit und des Reichs- deputationshauptschlusses enteignet worden waren . Um den finanziellen Unterhalt der verloren gegangenen Be- sitztümer fortzuführen, werden die sogenannten Staats- leistungen bezahlt . Die Linksfraktion ist bisher nicht durch gesteigertes Interesse an religionspolitischen The- men aufgefallen . Aber da sie dieses Thema ja nicht ohne Hintergedanken aufruft, zwei Bemerkungen zum Antrag: Man kann skandalisieren, dass jährlich über 500 Mil- lionen Euro den ohnehin reichen Kirchen „geschenkt“ werden . Man muss aber auch anerkennen, dass Institutio- nen, die enteignet wurden, ein Recht auf Entschädigung besitzen . Man kann skandalisieren, dass seit 1949 laut Huma- nistischer Union über 17 Milliarden Euro aus der Staats- kasse an die Kirchen bezahlt worden sind . Man muss aber auch anerkennen, dass es sich bei den Staatsleistungen nach Auskunft der allermeisten Verfassungsrechtlerinnen und Verfassungsrechtler eben nicht um eine einmalige Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22273 (A) (C) (B) (D) Entschädigung handelt, sondern um Unterhaltsleistun- gen, die den durch die enteigneten Güter entgangenen Gewinn entschädigen . Es ist wie im Familienrecht: Ein Vater kann den Unterhalt für sein Kind (oder auch für seine armen Eltern) ja nicht einfach unter Verweis darauf einstellen, jetzt hätte er aber genug gezahlt . Damit ist hinsichtlich der Vorgaben, die der Antrag für die einzusetzende Kommission macht, für uns klar: Un- ter der Hand will uns die Linksfraktion hier eine Vorfest- legung abringen . Das aber werden wir nicht mittragen . Hier geht es um Verfassungsrecht, und da muss man sich auch dann an die verfassungsrechtlichen Festlegungen halten, wenn sie einem nicht so gefallen . Die Staatsleistungen sind hinsichtlich ihrer histori- schen Herleitung wie ihres Umfangs und Charakters eine schwierige und komplizierte Materie . Deswegen ist es sinnvoll und richtig, dass die Bundesregierung eine Kommission einsetzen soll, die genau das evaluiert und die dann auch am besten berufen ist, Vorschläge zu ma- chen, wie ein Grundsätzegesetz, das allein der Bund zu erlassen ermächtigt ist, aussehen könnte . Es soll aber noch erwähnt werden, dass ein solches Grundsätzegesetz es den Ländern ermöglichen würde, eine gesetzliche Ablösung voranzutreiben . Es gibt näm- lich noch die Alternative der vertraglichen Ablösung . Soweit ersichtlich, haben zahlreiche Bundesländer von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Kirchenbaulasten im Vertragswege abzulösen oder die auf mannigfaltiger Rechtsgrundlage gezahlten Staatsleistungen zu pauscha- lieren . Darauf ist in der Debatte schon verschiedentlich hingewiesen worden . Dieser Weg ist durch das Vorgehen des Bundes den Ländern weder verbaut, noch können sie dazu verpflichtet werden, nach Erlass eines Grundsätze- gesetzes ihrerseits gesetzlich vorzugehen . Die Länderau- tonomie ist also in jedem Fall gewahrt . Der Ablösungsauftrag richtet sich an den Staat, nicht an die Kirchen . Darauf hinzuweisen ist keine Petitesse, denn die Kirchen werden immer wieder für die Staats- leistungen kritisiert, bis hin zu der Forderung, auf sie zu verzichten . Abgesehen davon, dass es Sache der Ver- tragsparteien ist, ihre vertraglichen Rechte wahrzuneh- men oder auch nicht, ist es ein Versäumnis allein des Staates, der die Ablösungsverpflichtung des Artikel 138 Weimarer Reichsverfassung nicht umgesetzt hat . Die Kirchen haben immer wieder deutlich gemacht, dass sie gegen eine Ablösung keine Einwände erheben würden – vorausgesetzt, sie stünden finanziell anschließend nicht schlechter da als bisher . Diese Bedingung aber ist in der verfassungsrechtlichen Literatur zu den Staatsleistungen ohnehin breit anerkannt . Insofern ist die Einsetzung einer Expertenkommission die konsequente Fortführung der Diskussion um dieses randständige, aber wichtige The- ma und liegt auch im Interesse der Kirchen – allerdings ohne die einschränkenden Bedingungen, die die Linke formuliert . Die Umsetzung des Verfassungsauftrages würde mehr Transparenz schaffen und die Chance zur Befriedung ei- ner Debatte bringen, die teilweise erbittert geführt wird und das gesellschaftliche Klima vergiftet . Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstimmung über den von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/52/EU im Städte- baurecht und zur Stärkung des neuen Zusammen- lebens in der Stadt (Tagesordnungspunkt 19) Josef Göppel (CDU/CSU): Der neue § 13b im BauGB ermöglicht die Ausweisung neuer Wohnbauge- biete am Außenrand eines jeden Ortsteils in Deutschland . Bei 11 162 Gemeinden mit durchschnittlich 30 Ortstei- len ergibt das 335 000 Baumöglichkeiten . Wenn nur die Hälfte der Gemeinden davon Gebrauch machen, wird der tägliche Flächenverbrauch von 60 auf 120 Hektar pro Tag verdoppelt . Das ist ein massiver Verstoß gegen den Koalitionsvertrag, in dem Union und SPD die Reduzie- rung auf 30 Hektar pro Tag beschlossen haben . Die Gemeinden können solche Flächen zwei Jahre lang ohne Umweltprüfung und Naturausgleich in be- schleunigten Verfahren ausweisen . Damit sind auch Was- serschutzgebiete, Frischluftschneisen und Freiräume für Erholung gefährdet . Landwirtschaftliche Flächen neh- men weiter ab . Besonders empörend finde ich, dass ein Bürgermeister den Vorrang der Innenentwicklung mit einer einfachen Erklärung „Es geht nicht“ abfertigen kann . Der § 13b for- dert keine vorherige Aufnahme von Leerständen im Orts- zentrum und keinen Nachweis konkreter Verhandlungen mit Eigentümern . Schließlich fehlt dieser Gesetzesänderung jede Ziel- genauigkeit . Zusätzliche Baumöglichkeiten machen Sinn in Gemeinden mit angespanntem Mietmarkt . Generelle Baulandausweisungen im ganzen Land führen aber nicht zu mehr Wohnungen, sondern zu mehr Planungsruinen . Insgesamt handelt es sich hier um verantwortungslo- sen Umgang mit Natur und Heimat, dem ich nicht zu- stimmen kann . Hans-Werner Kammer (CDU/CSU): Dem heute zur Abstimmung vorliegenden Gesetzentwurf stimme ich lediglich mit Einschränkung zu . Meine Position in der Sache erkläre ich wie folgt: Die Koalition stellt sich mit dem Gesetzentwurf aktu- ellen Herausforderungen der Stadtentwicklung und des Wohnungsbaus . Die Baugebietskategorie „Urbane Ge- biete“ unterstützt die Entwicklung lebendiger Stadtvier- tel . Zu begrüßen ist auch die befristete Ausweitung der beschleunigten Bebauungsplanverfahren auf Ortsrandla- gen, um den Wohnungsbau zu erleichtern . Ein weiterer wichtiger Bestandteil des Vorhabens ist die rechtliche Klarstellung zur Zulässigkeit von Ferien- wohnungen durch den neuen § 13a BauNVO . Das Ge- setz verfolgt dabei den richtigen Ansatz, indem es den Kommunen viel Entscheidungsfreiheit einräumt . Damit trägt es dem Umstand Rechnung, dass Kommunen unter- schiedliche Bedürfnisse hinsichtlich der Genehmigungs- fähigkeit von Ferienwohnungen haben . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722274 (A) (C) (B) (D) Gleichwohl greift der Entwurf insoweit zu kurz, als er die Möglichkeiten der Kommunen, Ferienwohnungen in reinen Wohngebieten zuzulassen, unnötigerweise ein- schränkt . In reinen Wohngebieten sind Ferienwohnungen nur dann ausnahmsweise zulässig, wenn der Bebauungs- plan kleine Beherbergungsbetriebe erlaubt und die frag- liche Immobilie überwiegend zum Dauerwohnen genutzt wird . Viele Vermieter unterhalten jedoch in ihrem Haus mehrere Ferienwohnungen . Die Neuregelung kann in vielen touristisch geprägten Kommunen zu unbeabsich- tigten Härten führen und negative Auswirkungen auf das touristische Angebot haben . Eine erneute Welle von Ge- richtsverfahren, die sich speziell mit diesem Problemfeld befassen, ist daher möglich . Sinnvoll wäre gewesen, auch für reine Wohngebiete auf die Entscheidungskompetenz der Kommunen zu vertrauen . Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Share Economy – Wachstumschancen der kollaborativen Wirtschaft nutzen und Heraus- forderungen annehmen. – des Antrags der Abgeordneten Dieter Janecek, Kerstin Andreae, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Share Economy – Ökologische Chancen nutzen und Teilen statt Besitzen unter- stützen (Tagesordnungspunkt 20 und Zusatztagesord- nungspunkt 10) Hansjörg Durz (CDU/CSU): Der Gedanke der ge- meinsamen Nutzung sowie des Teilens von Gütern ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheit selbst . Neu und geradezu revolutionär ist aber, dass sich damit äußerst er- folgreich Geschäftsmodelle betreiben lassen . Getrieben durch die rasante technologische Entwicklung im Zuge der Digitalisierung haben sich in wenigen Jahren inno- vative Geschäftsmodelle entwickelt, die alle nach dem- selben Prinzip funktionieren: Egal ob die Kunstplattform Etsy, der Büroraumvermittler WeWork oder die populä- ren Unterkunfts- bzw . Transportvermittler Airbnb und Uber, sie alle eint, dass sie als Internetplattformen Pro- dukte und Dienstleistungen für einen bestimmten Zeit- raum zur Nutzung vermitteln und zeitweilige Geschäfts- beziehungen ermöglichen . Wichtigste Branchen sind die Personenbeförderung, das Crowdfunding, Dienstleistun- gen für Haushalte, Unterkunftsvermittlung und die Ver- mittlung freiberuflicher und technischer Dienstleistun- gen . Und sie alle eint, dass es sich bei den Unternehmen allesamt um relativ junge Firmen handelt . Eine dritte Gemeinsamkeit ist: Sie alle scheinen einen Nerv bei Anlegern und Kapitalgebern zu treffen. Bereits 2015 wurde in den Wirtschaftsbereich der Share Eco- nomy mehr investiert als in den gesamten Social-Me- dia-Sektor, obwohl dieser Giganten wie Facebook und Twitter hervorgebracht hat . Es existieren bereits 17 Fir- men der Share Economy, die mit mehr als einer Milliar- de Dollar bewertet werden . Wie sehr die Geldgeber an das Geschäftsmodell glauben, zeigt sich auch daran, wie schnell es die Unternehmen in den Milliardenclub schaf- fen: Die Hälfte der Firmen erreichte bereits in weniger als fünf Jahren nach Gründung dieses schwindelerregen- de Niveau . In Deutschland ist die Share Economy großen Tei- len der Öffentlichkeit weniger aufgrund des damit ver- bundenen ökonomischen Marktpotenzials als vielmehr aufgrund der kontroversen Debatte um den Fahrdienst- vermittler Uber – Stichwort mangelnder Versicherungs- schutz – und die Unterkunftsplattform Airbnb – Stich- wort Wohnraumnutzungskonkurrenz – bekannt . Beide Aspekte, Potenzial wie Herausforderung, sind wichtig und haben ihre Berechtigung . Sie zeigen die Ambivalenz, die für die Branche Share Economy cha- rakteristisch ist: auf der einen Seite neue Unternehmen mit innovativen Geschäftsideen und entsprechenden Be- schäftigungsmöglichkeiten, auf der anderen Seite neue Herausforderungen, etwa in Bezug auf sozialpolitische Fragestellungen oder Fragen des Verbraucherschutzes bzw . einerseits der geringere Ressourcenverbrauch durch die bessere Auslastung und höhere Effizienz, das größere Angebot und das Mehr an Transparenz sowie die flexi- blere Verfügbarkeit und andererseits sozialpolitische Fra- gestellungen, vor allem im Verbraucher- und Arbeitneh- merschutz . Das Erfolgsmodell der sozialen Marktwirtschaft als ordnungspolitischer Rahmen in Deutschland ist grund- sätzlich dazu geeignet, auch die Share Economy zu er- fassen. Das heißt, offener Marktzugang für neue Akteure ja, aber nur unter der Voraussetzung, dass sich der Wett- bewerb mit herkömmlichen Anbietern auf Augenhöhe – sprich nach denselben Spielregeln, etwa im Arbeitneh- mer- und Verbraucherschutz – vollzieht . Das bedeutet jedoch gerade nicht, dass geltende Spiel- regeln zwingend aufrechtzuerhalten sind und damit ze- mentiert werden . Es ist gerade das Kernanliegen des An- trags der Koalitionsfaktionen, die Bundesregierung dazu aufzufordern, die bestehende Rechtsordnung vor dem Hintergrund innovativer Geschäftsmodelle zu durch- leuchten: Die Monopolkommission hat es zutreffend als asymmetrische Regulierung benannt, wenn konventio- nelle Dienste, die einer strikten Regulierung unterliegen, auf neue Wettbewerber der Share Economy treffen, die demgegenüber weniger oder gar nicht reguliert werden . Hier kann es sich in manchen Fällen empfehlen, die be- stehende Regulierung zu reduzieren oder abzubauen . In anderen Fällen ist es jedoch gegebenenfalls sinnvoller, die bestehende Regulierung auch auf neue Akteure zu übertragen . Der Anspruch lautet daher: gleiche Spielre- geln für alle, um ein einheitliches „level playing field“ zu erreichen . Hier liegt noch einiges an Arbeit vor uns . Die EU-Kommission hat im letzten Sommer wichti- ge Impulse zur Frage formuliert, welche Leitlinien für die Share Economy von Bedeutung sind . Hierzu hat sie Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22275 (A) (C) (B) (D) im Rahmen einer Mitteilung an die Mitgliedstaaten ers- te Vorschläge für Leitlinien unterbreitet, an der sich die Share Economy orientieren kann . Konkret fordert die EU-Kommission die Mitgliedstaaten auf, Vorgaben zu Haftungsregelungen, Verbraucher- und Nutzerschutz, Definition von Selbstständigen und Arbeitnehmern und Besteuerung zu erarbeiten . Dieser Aufforderung schließen sich die Koalitions- fraktionen an . Wir fordern die Bundesregierung auf, bis zum Ende der Legislaturperiode entlang dieser Punkte Handlungsbedarf und Rechtssetzungsbedarf zu identifi- zieren und damit einen Ordnungsrahmen für einen fai- ren und funktionsfähigen Wettbewerb zu erarbeiten . Hier bietet sich unserer Ansicht nach auch die große Chance, sich von überholter Regulierung zu verabschieden und damit die Wirtschaft von überflüssigen Auflagen zu ent- lasten . Wir fordern die Bundesregierung auf, Schwellenwer- te und Abgrenzungskriterien zu ermitteln, um professi- onelle von gelegentlichen Tätigkeiten zu unterscheiden . Diese Unterscheidung ist wichtig, damit Privatpersonen etwa anhand einer maximal zulässigen Zahl an Über- nachtungen in Privatunterkünften klar erkennen kön- nen, unter welchen Rechtsrahmen sie fallen und dadurch Rechtssicherheit erlangen . Wir fordern die Bundesregierung auf, insbesondere bestehende Fragen zu Datenschutz und Haftung im Zu- sammenhang mit Share Economy zu klären . Wir fordern die Bundesregierung auf, in ihrem En- gagement für den Breitbandausbau nicht nachzulassen . Dieser wird die grundlegende Voraussetzung für die weitere Verbreitung der Share Economy in Deutschland bleiben . Wir sind hier auf einem guten Weg, die entspre- chende Infrastruktur für die Digitalisierung technolo- gieoffen zu errichten und eine konvergente gigabitfähige Infrastruktur zu schaffen. Dabei wird insbesondere der Ausbau des Glasfasernetzes, auch für neue Technologi- en wie 5G, eine wichtige Rolle spielen, gerade um auch im ländlichen Raum den Menschen die Nutzung der di- gitalen Möglichkeiten zu ermöglichen . Als Deutscher Bundestag werden wir die Bundesregierung hier weiter unterstützen . Aus rein wirtschaftlicher Perspektive betrachtet ist der Trend der Share Economy an Europa bislang mehr oder weniger vorbeigegangen . 12 der 17 „Milliar- den-Start-ups“ stammen aus den Vereinigten Staaten, nur ein einziges Unternehmen hat in Großbritannien und da- mit auf europäischem Boden seinen Sitz . Dieser Zustand ist bedauerlich . Aber wir dürfen bei aller Euphorie und Begeisterung von Investoren über neue Geschäftsmodel- le nicht vergessen, dass Wirtschaft Spielregeln zu folgen hat . Regulierung ist kein Selbstzweck, sondern folgt in der Regel einem berechtigten Anliegen . Für uns als Union ist die Existenz neuer Marktakteure und Geschäftsmodelle grundsätzlich positiv konnotiert . Marktzugangsanforderungen sind daher nur dort akzep- tabel und gerechtfertigt, wo sie erforderlich und verhält- nismäßig sind . Dies gilt erst recht für komplette Verbote . Daher würde ich mir wünschen, wenn wir die sich uns bietende Chance nutzen, einen Ordnungsrahmen zu schaffen, der ausgewogen und am Allgemeinwohl ori- entiert für eine nachhaltige Entwicklung der Share Eco- nomy sorgt . Es bietet sich uns jetzt die Gelegenheit, die entsprechenden Strukturen im Sinne unserer Wirtschaft und vor allem der Menschen in unserem Land zu schaf- fen . Gehen wir es an . Axel Knoerig (CDU/CSU): Teilen und Tauschen – das sind die ältesten Grundlagen des Handels . Mit dem Begriff „Share Economy“ bezeichnen wir heute das gemeinsame Nutzen von Waren, Dienstleistun- gen oder Informationen . Das kann sowohl kostenlos als auch gegen Bezahlung erfolgen . In der digitalen Wirtschaft sind viele innovative Ge- schäftsmodelle entstanden: Die Plattform Wimdu bietet Unterkünfte an . Die Website MyHammer vermittelt Handwerker . Und namhafte Autohersteller bieten Car-Sharing an, etwa BMW mit DriveNow und Mercedes mit car2go . Diese neuen Konzepte fordern etablierte Anbieter wie das Taxi- oder Hotelgewerbe heraus . Hier müssen wir gleiche Bedingungen für alle Markt- teilnehmer schaffen. Es handelt sich um einen Milliar- denmarkt . Share Economy bietet aber auch viele Vorteile, wie unser Antrag zeigt: Erstens . Über Online-Plattformen kommen Geschäfts- beziehungen leicht zustande . Angebot und Nachfrage lassen sich gut aufeinander abstimmen . Zweitens . Es entstehen neue Arbeitsbeziehungen . Für uns als Union halte ich hier fest: Beschäftigte der Share Economy müssen genauso abgesichert sein wie Kollegen in anderen Branchen . Und auch für sie muss der Mindest- lohn gelten . Zugleich ist eine gewisse Flexibilität nötig . Drittens. Verbraucher profitieren von einer größeren Vielfalt bei Produkten und Dienstleistungen . Viertens . Das Prinzip des Teilens verspricht auch Nachhaltigkeit, wie zum Beispiel einen niedrigeren Res- sourcenverbrauch. Diese Effekte müssen wir nutzen. Die genauen Wirkungen und Möglichkeiten der Share Economy müssen noch geklärt werden . Das Bundesmi- nisterium für Bildung und Forschung hat hierzu schon mehrere Projekte initiiert . Das ist ein guter Auftakt . Wei- tere Projekte müssen folgen . Auch die anderen Ressorts investieren in die Share Economy . So wird heute ebenso das Carsharing-Gesetz des Bundesverkehrsministeriums beraten . In unserem Antrag gehen wir auf die Regelungsdefi- zite aller Branchen ein . Wir stellen daher in 18 Punkten einen Prüfauftrag an die Ministerien . Einige Forderungen habe ich bereits genannt, weitere möchte ich hervorheben: Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722276 (A) (C) (B) (D) Die Bundesregierung soll Schwellenwerte für die ein- zelnen Branchen vorschlagen, zum Beispiel in Bezug auf die Anbieter von Unterkünften: Ab welchem Grenzwert sind sie gelegentlich tätige Privatpersonen oder gewerb- liche Anbieter? Zu klären ist auch, wie Start-ups und unser Mittel- stand in der Share Economy noch gezielter unterstützt werden können – zum Beispiel durch Beratungsangebote und Forschungsförderung . Daran schließt eine weitere Forderung an: Wir erwar- ten einen Bericht zu den neuen Marktperspektiven für unsere Unternehmen . Deutsche und europäische Portale müssen mit den amerikanischen Plattformen mithalten können . Es gilt, die Chancen der Share Economy zu nut- zen . Zugleich müssen wir Rechtssicherheit für Unterneh- men, Beschäftigte und Verbraucher schaffen. Matthias Ilgen (SPD): Fakt ist: Share Economy ist ein Motor für mehr Arbeitsplätze . Das liegt unter ande- rem daran, dass die Beliebtheit von Share Economy bei den Bürgerinnen und Bürgern in den letzten Jahren stark gestiegen ist . Mit der Zahl der Anbieter wächst auch das Wachstumspotenzial jährlich . Eine Bevölkerungsbefra- gung hat ergeben, dass zukünftig noch mehr Menschen Share-Economy-Angebote nutzen wollen . Auch bei älte- ren Bürgern, die bisher seltener solche Angebote wahr- genommen haben, steigt das Interesse stark an . Fest steht für mich aber auch: Die Share-Economy-Anbieter empfinden die unklare Gesetzeslage in Deutschland als problematisch . Daher stehen wir Parlamentarier vor der Herausforderung, die Rechtsunsicherheit für alle Betei- ligten soweit wie möglich zu reduzieren . Hierbei müs- sen wir darauf achten, dass wir keine nationalen oder am Ende sogar lokalen Sonderregelungen schaffen. Dadurch, dass die Anwendbarkeit von Steuerrecht und Verbraucherschutz teilweise unklar ist, laufen wir Ge- fahr, einen unfairen Wettbewerb zu schaffen. Die Mono- polkommission hat es zutreffend als asymmetrische Re- gulierung charakterisiert, wenn konventionelle Dienste, die einer strikten Regulierung unterliegen, auf neue Wett- bewerber der Share Economy treffen, die demgegenüber weniger oder gar nicht reguliert werden . Hierbei kann es sich in manchen Fällen empfehlen, bestehende Regulie- rung zu reduzieren oder vielleicht sogar ganz abzubauen, auch wenn das manch einer von Ihnen sicherlich nicht hören möchte . Ein Thema liegt mir in dieser Debatte als Koordinator für Existenzgründung besonders am Herzen: die junge digitale Start-up-Szene . Gemeinsam mit meiner Frakti- on setze ich mich dafür ein, dass die Rahmenbedingun- gen für junge innovative Unternehmen und ihr Zugang zu Wagniskapital weiter verbessert werden . Nur so ist es uns möglich, innovative Plattformen für Share Eco- nomy in Deutschland und Europa zu schaffen. Ich hal- te eine Unterstützung in Form von Beratungsangeboten für kleine und mittlere Unternehmen sowie Start-ups im Share-Economy-Bereich für äußerst wichtig . Sie ermög- lichen unseren jungen digitalen Unternehmen, im glo- balen Wettbewerb zu bestehen, und helfen, dass unsere Start-ups und KMUs nicht allein zu Lieferanten von in- ternationalen Plattformen werden . Abschließend möchte ich noch auf zwei Punkte ver- weisen, die wir bei der Debatte um Share Economy nicht aus den Augen verlieren dürfen . Zum einen, dass die Kriterien zur Definition von Selbstständigen und Ar- beitnehmern in der Share Economy nicht auf der Stre- cke bleiben dürfen . Dazu gehört, dass die bewährten ar- beitsrechtlichen Standards – wie Abhängigkeit, Art der Arbeit oder Vergütung – nicht umgangen werden dürfen . Außerdem muss die soziale Absicherung der Leistungs- erbringer – wie Clickworker und Scheinselbstständige – gewährleistet sein . Zum anderen – und damit möchte ich schließen – brauchen wir als eine der wichtigsten Grund- voraussetzungen für die Verbreitung der Share Economy den flächendeckenden Breitbandausbau in Deutschland mit deutlich höheren Übertragungsgeschwindigkeiten im Gigabitbereich . Dr. Hans-Joachim Schabedoth (SPD): So lange ist es noch nicht her, da hat man noch zum Handy in der Grö- ße eines Briketts gegriffen, um schnurlos und fernab ei- nes Telefonanschlusses zu telefonieren . Heute kann man sich eine Welt ohne auf schlanke Smartphones schauende Menschen fast nicht mehr vorstellen . Bis vor kurzem war es größter Wunsch, ein eigenes Auto zu besitzen . Heute wollen viele Menschen das Auto gar nicht mehr besitzen, sie wollen sie nutzen und mit anderen teilen, die das Auto auch nur nutzen wollen . Nutzen oder besitzen? Diese Frage stellt sich auch für andere Güter . Weitere Beispiele sind wie schon immer die Bücher und mehr und mehr Werkzeuge wie Bormaschine, Trennschleifer usw . Und es gibt auch den Wunsch nach Unterstützung bei Repara- turen und im Haushalt, sogar ein Austausch gegen eigene Dienstleistungen . Wie wird geteilt? Nebst analoger Share-Läden, die vor allem in Großstädten zu finden sind, prägen Online- plattformen und ihre Apps die Teilwirtschaft – die Share Economy . Besonders beliebt, gerade in Großstädten, das Car Sharing . Die Wagen von Car2Go und DriveNow ge- hören in Berlin fest zum Stadtbild . Und im Reisebereich ist Airbnb aus dem Business nicht mehr wegzudenken . Immer mehr Menschen beziehen auch haushaltsnahe Dienstleistungen über Internetplattformen wie Book a Tiger oder Helpling . Dass es sich bei diesen Entwicklun- gen um einen komplexen Vorgang handelt, zeigen nicht zuletzt die vielen verschiedenen Dinge, die man auf di- verse Arten teilen kann . Analog dazu gibt es zig verschiedene Handlungsan- sätze und Papiere, die aktuell zu den Themen Plattfor- mökonomie und Teilwirtschaft kursieren . Jeder Ansatz ist für sich genommen gut und richtig . Doch anstatt in der Dunkelheit und mit der Hand Schmetterlinge fangen zu wollen, sollte man es mal bei Tageslicht mit einem Netz versuchen . Viele grundsätzliche Fragen sind bislang nicht abschließend beantwortet worden, zum Beispiel: Wie kann Share Economy einheitlich definiert werden? Wie gestalten sich die Arbeitsbedingungen? Wie viele Menschen sind davon betroffen? Wer haftet? Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22277 (A) (C) (B) (D) Bevor man mit dem Regulierungshammer draufhaut und womöglich den Nagel durch die Wand treibt, müssen die- se erstmal beantwortet werden . Was wir jetzt brauchen, ist erst einmal eine solide Datengrundlage . Denn wir wollen Rahmenbedingungen auf den Weg bringen, die weder die Plattformen zu sehr in ihrer Bewegungsfreiheit einschränken noch die Verbraucherrechte der Nutzer aus- hebeln . Das kann auch helfen, die laufenden, teils sehr emotionalen Debatten über die verschiedenen regulato- rischen Aspekte der Share Economy besser einzuordnen . Viele Diskutanten haben dabei noch die schwarz-weiß Brille auf . Plattformen sind die Spielwiese prekärer Be- schäftigung; jedwede regulatorische Eingriffe schränken die Wettbewerbsfähigkeit ein; Plattformen sind der Altar, auf dem die Handels- und die Dienstleistungsbranche, wie das Abendland sie bisher kannte, dem digitalen Wan- del und dem Wunsch nach Fortschrittlichkeit geopfert werden . Nun mal die SIM-Karte im Handy lassen! Von Entwe- der-oder ist hier nicht die Rede, es gilt ganz klar ein „So- wohl als auch“-Ansatz . Wirtschaftliche Chancen nutzen, beschäftigungsrelevante Risiken eindämmen! Bedenken und Fragen dazu haben wir in unserem Antrag aufgegrif- fen . Und schon jetzt können wir Veränderungen in der Branche beobachten . Ein Vorwurf, mit dem sich viele Plattformen konfrontiert sehen, lautet: Ihr Profit basiere auf einer modernen Tagelöhnerei . Dieser Vorwurf lässt sich nicht völlig entkräften, doch manche Firmen haben bereits einen Kurswechsel eingeleitet . Weg von der Ver- mittlung von Freiberuflern, hin zu sozialversicherungs- pflichtiger Beschäftigung und Bezahlung nach Tarif. Sie haben erkannt, dass sich Prozesssicherheit, Qualität und das Vertrauen der Kunden auf diese Weise schlicht besser gewährleisten lassen . In Zukunft wird die kollaborative Wirtschaft weiter wachsen . Mehr Menschen werden in diesem Bereich ihr Geld verdienen . Wir sollten diesen Prozess aufmerksam begleiten und dafür sorgen, dass gute Arbeit in diesem Wirtschaftsfeld der Zukunft möglich ist, auch ohne die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen einzuschrän- ken . Wie in vielen anderen Bereichen wird auch hier die anfängliche Aufregung der Routine weichen . Vielleicht wird ein eigenes Auto irgendwann wirklich ebenso exo- tisch wie das Briketthandy von damals . Klaus Ernst (DIE LINKE): Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU und SPD, Sie fordern uns in Ih- rem Antrag unter anderem auf, Ihre Maßnahmen der Di- gitalen Agenda und Ihr Engagement zur Gestaltung der Arbeit im digitalen Zeitalter zu begrüßen . Wollen wir uns einmal anschauen, was da von Ihrer Seite bisher vorge- legt wurde . Ein wesentlicher Bestandteil der Digitalen Agenda ist der flächendeckende Breitbandausbau. Die Notwendig- keit eines solchen Ausbaus ist unstrittig . Auf der Seite des BMWi liest man: „Deutschland will eine Vorrei- terrolle bei der Durchdringung und Nutzung digitaler Dienste einnehmen . … Deshalb braucht Deutschland flächendeckend Hochgeschwindigkeitsnetze.“ Auch hier könnte die Linke vollumfänglich zustimmen . Nur ist ihre Forderung alles andere als neu . Schon 2009 hatte Kanzlerin Merkel Highspeedan- schlüsse für 75 Prozent der Haushalte bis 2014 verspro- chen, mit mindestens 50 Mbit/s . Das ist drei Jahre her . Passiert ist seither nicht viel . Der Blick auf den Breitbandatlas des BMVI zeigt: Be- reits ab einer Bandbreite über 6 Mbit pro Sekunde herr- schen gravierende Versorgungslücken im Bundesgebiet . Um sich einmal klarzumachen, was 6 Mbit/s bedeuten, möchte ich ein einfaches Anschauungsbeispiel nennen . Nehmen wir an, Sie machen mit Ihrem Handy ein Bild und wollen dieses Ihrer Bekannten schicken . Sagen wir, das Bild hat die übliche Datengröße von 6 MB . Ihre Be- kannte wohnt nun vielleicht im Landkreis Bayreuth . Oder im südwestlichen Schwarzwald . Oder auf dem Land in Sachsen . Bei einem Internetanschluss von 6 Mbit pro Sekunde – was einem Datendurchsatz von 0,75 MB pro Sekunde entspricht – nimmt das Bild eine Downloadzeit von 8 Sekunden in Anspruch . Sie können jetzt gerne ein- mal bis acht zählen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie lange das ist . Von einer internationalen Vorreiterrolle sind wir Lichtjahre entfernt . Fakt ist: Die Bundesrepublik hat beim Breitbandausbau im internationalen Vergleich den Anschluss verloren . Wir rangieren im internationalen Ländervergleich auf den hintersten Plätzen, noch weit abgeschlagen hinter Rumänien, Tschechien und Irland . Während andere Staaten wie Australien und Südkorea bereits mit einer Breitbandversorgung von 100 Mbit pla- nen, will die Bundesregierung bis zum Jahr 2018 eine flä- chendeckende Grundversorgung mit mindestens 50 Me- gabit pro Sekunde fördern . Zu begrüßen wäre gewesen, hätte die Bundesregie- rung 2009 ihr Wort gehalten und den Breitbandausbau bis 2014 umgesetzt gehabt . So bleibt diese Maßnahme eine längst überfällige Maßnahme, die von der Bundes- regierung seit Jahren verschleppt wurde . Nun zum Bereich der zukünftigen Gestaltung von Arbeit und zu dem Dialogprozess „Arbeiten 4 .0“ . Als Ergebnis des Arbeitszeitdialoges mit Arbeitgebern und Gewerkschaften hat Ministerin Nahles angekündigt, den Achtstundentag in einem Feldversuch aufweichen zu wollen . Künftig sollen Gewerkschaften und ausgewählte Arbeitgeber die Möglichkeit bekommen, bei der Arbeits- zeit über die gesetzlichen Regeln hinauszugehen, sofern sie dies in einem Tarifvertrag vereinbart haben . Nahles will dabei herausfinden, ob Flexibilität und Schutz vor Überlastung zusammengehen . Die Idee, Menschen durch flexible und längere Arbeitszeiten vor Überlastung schüt- zen zu wollen, ist absurd . Denn in der Realität richten sich flexible Arbeitszeiten vor allem nach den Interes- sen der Arbeitgeber . Um Beschäftigte vor Überlastung zu schützen, müsste man vielmehr eine Verkürzung der realen Wochenhöchstarbeitszeit anstreben . Wie schon bei der Leiharbeit sollen jetzt gesetzliche Regelungen durch Tarifverträge verschlechtert werden können . Die Bundesregierung kehrt den Sinn von Tarif- verträgen um und bedient damit Interessen der Arbeitge- ber . Das ist ein Missbrauch der Tarifbindung . Um Beschäftigte effektiv zu schützen, brauchen wir eine Ausweitung der Mitbestimmungsrechte der Be- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722278 (A) (C) (B) (D) triebsräte auf das Arbeitsvolumen und mehr individu- elle Rechte für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer . Um Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zu schützen, braucht es auch ein Recht auf Nichterreichbarkeit wäh- rend der Freizeit: eine Anti-Stress-Verordnung . Es ist oberstes Gebot einer sozialen Politik, sich schützend vor die Beschäftigten zu stellen und dem Trend, dass Arbeit zunehmend krank macht, entgegenzuwirken . Nun geht es in dem Antrag in erster Linie um die soge- nannte Share Economy . Sie stellen völlig zu Recht fest: „Der ursprüngliche Gedanke der Share Economy bezog sich zunächst meist auf das unentgeltliche Teilen und Tauschen von Gütern unter sozialen und ökologischen Gesichtspunkten .“ Dieser ursprüngliche Gedanke lebt in bestimmten Nischen fort und hat seine Existenzbe- rechtigung und gehört auch aus unserer Sicht gefördert . Dazu haben die Grünen in ihrem Antrag durchaus ein paar richtige Positionen, weshalb wir dem Antrag auch zustimmen werden . Doch um was es bei Ihnen im Kern im Antrag geht, hat mit der ursprünglichen Share Economy fast nichts mehr zu tun . Insofern tue ich mich auch schwer, dies überhaupt mit dem Begriff „Share Economy“ oder „kol- laborative Wirtschaft“ fassen zu wollen . Oftmals geht es bei diesen vermeintlich innovativen Geschäftsmodellen in erster Linie um die Unterlaufung bestehender Stan- dards und Regelungen, insbesondere auch von Verbrau- cher und Arbeitnehmerschutzrechten . Insofern ist in den meisten Fällen für mich nicht erkennbar, warum darüber nachgedacht wird, hier Regelungen unter dem tatsächli- chen oder vermeintlichen Druck neuer Geschäftsmodelle aufweichen zu wollen . Da schütten Sie das Kind mit dem Bade aus . Davor kann ich nur warnen . Es muss vielmehr gesichert sein, dass die bestehen- den Regeln und Schutzstandards umfassend, effektiv und überprüfbar angewendet werden können . Doch so weit sind wir ja noch nicht; erst einmal wollen Sie viel prüfen, berichten und vorschlagen lassen . Insofern sage ich in Richtung der Regierung: Prüfen Sie ehrlich! Diffe- renzieren Sie, wo es um primär ökologische und soziale Gesichtspunkte geht und wo um knallharte Geschäftsin- teressen bzw . wo Geschäftsmodelle primär durch die Un- terlaufung von Standards funktionieren! Und schlagen Sie hier differenzierte, aber wirksame Lösungen vor! Wir sind gespannt, aber skeptisch, ob die Prüf- und Berichtsaufträge hier mit der richtigen Intention abge- schickt werden . Insofern können wir diesem Antrag nicht zustimmen . Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Eine Sache gleich vorweg, weil das in der öffentlichen Debat- te oftmals nicht und im Antrag der Koalitionsfraktionen leider gar nicht deutlich wird: Share Economy ist mehr als Uber und Airbnb . Es ist richtig und wichtig, dass die Themen solidarische Wirtschaft und gemeinschaftliche Konsumformen heute Eingang in die Tagesordnung des Deutschen Bundestags gefunden haben . Wir brauchen dringend neue Ideen, wie wir gleichzeitig unseren Wohl- stand erhalten und Ressourcen einsparen können, und innovative Geschäftsmodelle, die Teilen statt Besitzen ermöglichen . Immer mehr Menschen nutzen die bereits existierenden Angebote, registrieren sich für Carsharing, anstatt sich ein Privatfahrzeug zuzulegen, und erkennen, dass für ihre persönliche Lebensqualität die Verfügbar- keit von Dingen entscheidend und Eigentum kein Selbst- zweck ist . Die Akteure der Share Economy sind vielfältig, aktiv und kreativ . Mit dieser Debatte hier im Deutschen Bundestag haben wir die Chance, dies entsprechend zu würdigen und Modellen des gemeinwohlorientierten Tei- lens auch politisch Angebote zu machen . Innovation in diesem so zentralen Bereich für die ökologisch-soziale Modernisierung unserer Wirtschaft ist unbedingt unter- stützenswert . Leider hat die Große Koalition diese Chance heute ver- passt . Aus Ihrem Antrag geht doch ziemlich deutlich her- vor, dass der Begriff Share Economy in Ihrer Vorstellung eher so etwas wie ein Platzhalter für Uber und Airbnb ist . Die Vielfalt der Szene und die zahlreichen, innovativen Social Entrepreneurs und grünen Gründungen klammern Sie in Ihrem Antrag vollständig aus . Stattdessen konzen- trieren Sie sich auf die etablierten, großen Plattformen, vor allem im Bereich der Vermittlung von Dienstleistun- gen . Und es genügt Ihnen, in diesem Zusammenhang die altbekannten Problemstellungen zu beschreiben, ohne – und das ist zugegebenermaßen auch nicht ganz einfach; da werden wir auch noch viele Gespräche und die eine oder andere ausführliche Diskussion führen müssen – ab- schließende Antworten zu finden. Aber selbst dort, sehr geehrte Damen und Herren der Großen Koalition, wo Sie von Chancen sprechen, verkennen Sie das Offensichtli- che und ignorieren das Selbstverständnis der Mehrheit der Szene . Sie tun gerade so, als wäre Share Economy nicht mehr als ein trendiges Label für einen Marktsektor unter vielen, den Sie dann in guter schwarz-roter Traditi- on nach Ihren klassischen Kriterien für wirtschaftlichen Erfolg bemessen und dem Sie vor allem vor dem Hin- tergrund möglicher Wachstumschancen zunehmende Be- deutung zumessen . Dabei geht gerade der Ansatz, die Chancen der Sha- re Economy unter dem Titel Wachstumschancen zu dis- kutieren, völlig am Kern der Szene und ihrer Leitidee vorbei und zeigt leider wieder einmal, wie wenig sich Ihre Fraktionen unter dem Thema nachhaltiges Wirt- schaften vorstellen können und wie schwer sie sich da- mit tun, moderne Antworten auf die Digitalisierung zu finden. Wir haben in diesem Plenum bereits mehrmals darüber gesprochen, zuletzt auch in der Debatte zum Jah- reswirtschaftsbericht in Gegenüberstellung zum grünen Jahreswohlstandsbericht: Es ist allein schon nicht mehr zeitgemäß, im Bereich der klassischen Ökonomie wirt- schaftlichen Erfolg ausschließlich mit Blick auf quan- titatives Wachstum und Innovation in erster Linie über die Zahl von Neugründungen zu messen . Dass Sie das aber gerade bei der Share Economy tun, die ja nicht zu- fällig in einem engen Zusammenhang mit konsum- und wachstumskritischen sozialen Bewegungen steht, muss als komplette Themaverfehlung gewertet werden . Dabei ist das eigentliche Potenzial der Share Economy und der daraus resultierende politische Handlungsbedarf doch schon durch den Begriff ersichtlich: Es muss da- rum gehen, Teilen statt Besitzen zu unterstützen und die Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22279 (A) (C) (B) (D) damit einhergehenden ökologischen Chancen zu nutzen . Die Chancen der Share Economy liegen in ressourcen- schonenden Lebensentwürfen, nachhaltiger Mobilität, neuen Einstellungen zu Konsumgütern, einer gestärkten Rolle der Zivilgesellschaft in der Ökonomie, und – und das kann man gar nicht deutlich genug betonen – sie kann einen wichtigen Beitrag zur ökologisch-sozialen Moder- nisierung unseres Wirtschaftssystems leisten . Sie ist kein Wirtschaftszweig wie jeder andere, der momentan auf- grund guter Entwicklungschancen Ihre Aufmerksamkeit verdient, sondern sie ist und kann unter den entsprechen- den politischen Rahmenbedingungen eine bedeutende soziale Innovation sein, die sich quer durch die verschie- denen Branchen zieht und dort zu Ressourceneinsparun- gen und Effizienzgewinnen führt. Verstehen Sie mich nicht falsch: Die Vorschläge, die Sie mit Ihrem Antrag vorlegen, sind ja alle so nicht ver- kehrt . Niemand hat etwas dagegen, unseren Informati- onsstand zur Share Economy zu verbessern, Rechtsunsi- cherheiten zu benennen, die Bedingungen für KMU und Start-ups zu verbessern oder den Breitbandausbau vor- anzutreiben . Nur haben die meisten Ihrer Forderungen mit Share Economy erst einmal nur bedingt etwas zu tun . Und wenn Sie den Begriff dann doch aufgreifen, dann machen Sie keinerlei Vorschläge, wie Sie konkret und explizit Modelle des allgemeinwohlorientierten Teilens unterstützen wollen . Die Tatsache, dass Sie Ihren eige- nen Antrag offensichtlich weder im Plenum noch in den Ausschüssen debattieren möchten, spricht da auch für sich. Wir werden uns deshalb, was Ihren Antrag betrifft, sehr geehrte Damen und Herren der Großen Koalition, enthalten . Wenn es Ihnen tatsächlich darum geht, die Potenziale der Share Economy zum Tragen zu bringen, dann sor- gen Sie für Folgendes: Die Ideen und Konzepte gemein- schaftlicher Konsumformen müssen endlich Einzug in die klassische Wirtschaftspolitik finden, fest verankert in einer politischen Strategie „Solidarische Wirtschaft“ mit Zuständigkeit einer Staatssekretärin oder eines Staats- sekretärs im Bundeswirtschaftsministerium . Modelle des gemeinwohlorientierten Teilens müssen politisch gestärkt werden, wobei gerade nicht profitorientierte Gründungen eine besondere Berücksichtigung erfahren müssen und durch gezielte Maßnahmen wie Bürokra- tieabbau, eine Ausweitung der elektronischen Verwal- tungsdienstleistungen und die Überarbeitung veralteter Regularien mehr Freiräume erhalten . Meine Fraktion hat Ihnen dazu ja bereits Vorschläge vorgelegt . Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung des Güterkraftverkehrsgesetzes, des Fahr- personalgesetzes, des Gesetzes zur Regelung der Arbeitszeit von selbständigen Kraftfahrern, des Straßenverkehrsgesetzes und des Gesetzes über die Einrichtung eines Kraftfahrt-Bundesamtes (Tagesordnungspunkt 21) Karl Holmeier (CDU/CSU): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf passen wir das Güterkraftverkehrsgesetz an mehreren Stellen redaktionell an und nehmen ver- schiedene Klarstellungen vor . Gleiches gilt für das Fahr- personalgesetz, das Gesetz zur Regelung der Arbeitszeit von selbständigen Kraftfahrern, das Straßenverkehrs- gesetz und das Gesetz über die Errichtung eines Kraft- fahrt-Bundesamtes . Im GüKG besteht darüber hinaus bei der nationa- len Erlaubnis die Besonderheit, dass diese im Falle der Wiedererteilung unbefristet erteilt wird . Dies stellt eine Diskrepanz zum europäischen Recht dar und bereitet Schwierigkeiten im Verwaltungsvollzug . Darüber hinaus ist es erforderlich, eine Ermächtigungsgrundlage für die Speicherung bestimmter Verstöße des Unternehmers und des Verkehrsleiters zu schaffen. Hiermit wird eine aus dem europäischen Recht stammende Vorgabe umgesetzt . Transport und Logistik bilden das Rückgrat unse- rer Industrie, unserer Wirtschaft und unseres täglichen Lebens . Der jährliche Umsatz der Logistikbranche hat sich in den letzten 20 Jahren fast verdoppelt, auf etwa 250 Milliarden Euro . Transport und Logistik haben damit als Wirtschaftsfaktor und Arbeitsplatz enorme Relevanz für die deutsche Volkswirtschaft . Nahezu 3 Millionen Beschäftigte in Deutschland zeigen täglich ihre Flexibilität, Kreativität und Schaffenskraft in der Logistikbranche . Rund 10 Prozent der sozialversiche- rungspflichtig Beschäftigten in Deutschland arbeiten in der Logistikbranche . Jeder Sechste von ihnen fährt auf unseren Straßen und ist wesentlicher Stützpfeiler unse- res wirtschaftlichen Erfolges . Die Branche ist dabei auf faire Arbeits- und Wettbewerbsbedingungen angewiesen . Gerade durch den zunehmenden Wettbewerb osteuropä- ischer Fuhrunternehmen geraten die Sozialstandards im Straßengüterverkehr hierzulande verstärkt unter Druck und bringen sozial verantwortlich handelnde Unterneh- men in Bedrängnis . Dem gilt es politisch entgegenzuwir- ken, um fairen Wettbewerb und gute Arbeitsbedingungen zu ermöglichen . Mehr als 40 Prozent aller mautpflichtigen Verkehre in Deutschland werden inzwischen durch gebietsfremde Transportunternehmen, insbesondere aus den östlichen EU-Mitgliedstaaten, geleistet . Seit der fünften Erweite- rung der Europäischen Union 2004 hat sich das Lohn- und Sozialkostengefälle im Straßengüterverkehr verstärkt . Es bestehen starke Anreize, große Fuhrparkflotten aus Deutschland in die neuen EU-Länder zu verlegen . Die Dienstleistungsfreiheit im Verkehr wird dabei oft ausge- nutzt, um Betriebsstandorte lediglich formell zu verle- gen. Ausgeflaggte Fuhrparkkapazitäten bleiben faktisch in Deutschland und auf den Hauptmärkten . Fahrzeuge und Fahrerinnen und Fahrer sind zu Arbeitsbedingungen ihres Entsendelands tätig . Mittelständische Transportun- ternehmen, die bei Lohn-, Sozialkosten und Arbeitsbe- dingungen den westeuropäischen Standards entsprechen, werden aus dem Markt gedrängt . Viele Fahrerinnen und Fahrer kehren erst nach Wochen oder Monaten an ihren Betriebsstandort zurück . Ruhezeiten und private Freizeit werden im Führerhaus, an Raststätten, Umschlags- oder Hafenanlagen verbracht . Selbst minimale Sozialstan- dards werden ihnen dabei vorenthalten . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722280 (A) (C) (B) (D) Hier muss dringend gehandelt werden . Das tun wir . Es gilt, einen fairen Wettbewerb im grenzüberschreitenden Straßengüterverkehr zu ermöglichen sowie Lohn- und Sozialdumping zu unterbinden. Dem Umflaggen von Fuhrparkflotten und der Gründung von Briefkastenfir- men muss zum Wohle des deutschen Arbeitsmarktes ent- gegengewirkt werden . Die Bundesregierung muss die wettbewerbsverzerren- den und unfairen Arbeitsbedingungen bekämpfen . Dies alles haben wir zum Wohle des deutschen Transportlo- gistikgewerbes ausführlich in unserem Entschließungs- antrag aufgeführt und gefordert . Im Fall des Verbringens der wöchentlichen Ruhezeit im oder um das Führerhaus haben wir mit unserem Än- derungsantrag eine wichtige Klarstellung gemacht: Die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit darf nicht im Fah- rerhaus verbracht werden . Eine Zuwiderhandlung führt zu einer Sanktion . In einem gemeinsamen europäischen Binnenmarkt muss mittelfristig eine europäische Regelung geschaf- fen werden . Solange diese nicht vorliegt, müssen wir als nationaler Gesetzgeber handeln . Mit unserer Rege- lung wollen wir vor allem die ohnehin sehr belasteten Fahrer – wie uns im Rahmen der Expertenanhörung ein- drucksvoll verdeutlicht worden ist – vor menschenun- würdigen Verhältnissen schützen und somit gleichzeitig die Attraktivität des Kraftfahrerberufs verbessern . Das ist gleichzeitig auch ein wesentlicher Beitrag zur Erhöhung der Verkehrssicherheit auf unseren Straßen und stellt fai- re Wettbewerbsbedingungen sicher . Wir wollen schließlich auch der zum Teil prekären Si- tuation auf deutschen Rastplätzen an den Grenzen zu den Nachbarländern Rechnung tragen . Im Grenzbereich zu den Mitgliedstaaten der EU, die bereits durch nationale Regelungen Sanktionen in Bezug auf Verstöße gegen die Regelungen zur regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeit eingeführt haben, kommt es auf den Rastplätzen zuneh- mend zu Ausweichentwicklungen, die zu unmenschli- chen Zuständen auf den Rastanlagen führen . Unser Gesetzentwurf ist ein erster Schritt . Eine euro- päische Regelung ist dringend notwendig, und so werden wir die Thematik in der kommenden Wahlperiode erneut auf die Tagesordnung bringen, in enger Zusammenarbeit mit dem deutschen Transportlogistikgewerbe und zu sei- nem Wohle . Oliver Wittke (CDU/CSU): Mit unserem heutigen Beschluss nehmen wir Änderungen am Güterkraftver- kehrsgesetz, am Fahrpersonalgesetz, am Gesetz zur Re- gelung der Arbeitszeit von selbständigen Kraftfahrern, am Straßenverkehrsgesetz und am Gesetz über die Er- richtung eines Kraftfahrt-Bundesamtes vor . Eine ganz wesentliche Änderung ist dabei die Aufnahme eines Bußgeldtatbestands in das Fahrpersonalgesetz, der eine Bußgeldbewehrung vorsieht, wenn die regelmäßige wö- chentliche Ruhezeit in der Fahrerkabine verbracht wird . Wir sorgen damit für eine dringend benötigte Klarstel- lung des heute schon im EU-Recht geltenden Verbots, geben der Bundesregierung das notwendige Werkzeug zur Ahndung an die Hand und schieben dem Nomaden- tum von Lkw-Fahrern an deutschen Autobahnraststätten einen Riegel vor . Damit schützen wir die Kraftfahrer vor den teils menschenunwürdigen Verhältnissen, die wir heute noch an Autobahnraststätten und Parkplätzen vor- finden. Wir verbinden diesen Schritt auch mit der Hoffnung, der Diskussion auf europäischer Ebene durch unseren Schritt neue Dynamik zu verleihen . Nachdem Belgien, Frankreich und jetzt auch Deutschland eigene natio- nale Regelungen getroffen haben, steigt der Druck auf die Länder, die sich derzeit noch einer klar formulierten europaweiten Regelung verweigern . In diesem Zusam- menhang begrüße ich auch den von Minister Dobrindt im Januar in Paris unterzeichneten Aktionsplan Deutsch- lands und acht weiterer westeuropäischer Länder . Wir werden in unserem Kampf gegen das Sozialdumping im Straßengüterverkehr nicht nachlassen und weiterhin für die Rechte der Lkw-Fahrer und faire Wettbewerbsbedin- gungen für unsere Unternehmen kämpfen . Vor diesem Hintergrund haben CDU/CSU und SPD auch einen Entschließungsantrag eingebracht, der sich mit diesen und weiteren Herausforderungen beschäftigt . In den kommenden Jahren müssen wir Antworten auf die drängenden Fragen finden, wie wir fairen Wettbewerb und die Beachtung europäischer und nationaler Sozial- vorschriften sicherstellen . Dafür bedarf es der Weiterent- wicklung des Rechtsrahmens in Europa und Deutschland . Wichtig ist uns auch die Stärkung der Attraktivität des Berufs des Kraftfahrers . Die heute zu beschließende neue Regelung zu den Lenk- und Ruhezeiten leistet zwar ei- nen Beitrag hierzu, aber weitere Schritte müssen folgen . Dazu gehören familienfreundliche Arbeitszeiten oder auch bessere Bedingungen an den Laderampen . Wir müssen die Meldepflichten und -systeme und die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch zwi- schen Behörden verbessern, die Kontrollen intensivieren und Verstöße konsequenter sanktionieren . Wir dürfen nicht weiter zulassen, dass sich insbesondere osteuropä- ische Wettbewerber mit niedrigeren Sozial-, Lohn- und Sicherheitsstandards einen Vorteil vor unseren inländi- schen Unternehmen verschaffen. Viele der relevanten Regelungsbereiche liegen in der Zuständigkeit der Europäischen Union . Daher fordern wir die Bundesregierung auf, sich auf Europäischer Ebe- ne für eine entsprechende Weiterentwicklung des Rechts- rahmens einzusetzen . Dazu gehört nicht nur die bereits erwähnte Regelung zur Verbringung der Lenk- und Ru- hezeiten, sondern auch der Einsatz für eine stärkere Beto- nung der sozialen Aspekte in der erwarteten Straßenver- kehrsinitiative der Europäischen Kommission . Wichtig ist uns zudem, dass die Bundesregierung zü- gig zu einem Abschluss des Vertragsverletzungsverfah- rens zur Anwendung des Mindestlohns im Transportge- werbe kommt . Hier brauchen wir endlich eine Lösung, die fairen Wettbewerb zwischen in- und ausländischen Unternehmen sicherstellt . Spätestens im Frühjahr 2018, wenn die Bundesregie- rung an den Verkehrsausschuss berichtet, werden wir das Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22281 (A) (C) (B) (D) Thema erneut auf der Tagesordnung haben . Die Trans- port- und Logistikbranche mit ihren fast 3 Millionen Beschäftigten kann sich darauf verlassen, dass wir die Entwicklungen weiterhin aktiv begleiten und notwen- dige Anpassungen energisch einfordern und umsetzen werden . Udo Schiefner (SPD): Katastrophal und men- schenunwürdig geht es auf deutschen Autobahnrastplät- zen gerade an den Wochenenden und vor allem in Grenz- nähe zu Frankreich, Belgien und den Niederlanden zu . Bei unseren westlichen Nachbarn wird das Verbringen der regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeit mit Bußgeld bestraft . Die Lkw stehen deshalb alle auf unserer Rhein- seite. Auf Rastplätzen für normalerweise 90 befinden sich regelmäßig über 200 Fahrzeuge . Deren Fahrer haben nicht das Geld, um kostenpflichtige Toiletten oder Du- schen zu benutzen . Sie sind monatelang unterwegs, nicht nur wochenlang . Sechs oder neun Monate sind keine Sel- tenheit . Die Fahrer kommen nicht mehr nach Hause; sie haben keine sozialen Kontakte mehr, keine Bindung zu ihrer Familie . Das sind unwürdige Zustände . Mit diesen deutlichen Worten wurden uns die Zustän- de auf unseren Autobahnraststätten am Montag dieser Woche geschildert. In der öffentlichen Anhörung zu dem Gesetzespaket, das heute zur Abstimmung steht, wurde ausgiebig und eindrücklich aus der Praxis auf der Straße geschildert . Wir alle kennen die Bilder und Geschich- ten über die Bedingungen im Straßengüterverkehr in- zwischen aus zahlreichen Fernsehberichten . Einige von uns konnten das Elend auch persönlich in Augenschein nehmen . Ich war zuletzt Weihnachten bei Fahrern auf Autobahnrastplätzen, die das Fest der Familie fern ih- rer Heimat verbringen mussten . In dem Zusammenhang will ich all den deutschen Fahrern danken, die sich in Kraftfahrerkreisen organisieren und zum Beispiel Weih- nachtsaktionen für ihre Kollegen, vor allem aus Osteuro- pa, durchführen . Die eindrücklichen Schilderungen in der Anhörung haben alle Anwesenden im Verkehrsausschuss spürbar berührt . Sollten noch Zweifel daran bestanden haben, dass wir gegen das moderne Nomadentum dringend han- deln müssen: Seit Montag hat diese Zweifel sicher keiner mehr . Uns wurde vor Augen geführt, dass wir über Güter- kraftverkehr und Fahrpersonal nicht sprechen können, ohne über faire Arbeits- und Wettbewerbsbedingungen zu sprechen . Auf deutschen Autobahnen sollte beides selbstverständlich sein . Doch wir sehen, wie erschre- ckend anders die Realität aussieht . Das Leid der Fahrer ist dabei die eine Seite der Me- daille . Leiden tut auch das Gewerbe . Große Teile des deutschen Transportlogistikgewerbes sind akuten Wett- bewerbsverzerrungen ausgesetzt . Ehrliche Logistik- und Transportunternehmen, die ihre Mitarbeiter fair bezah- len, soziale Standards einhalten und Umläufe so planen, dass die Fahrer regelmäßig am Wochenende zu Hause sein können, verlieren zunehmend Aufträge . Ihre Exis- tenz ist bedroht . Die Spediteure und ihre Fahrerinnen und Fahrer, die Menschen am Steuer der Lkw, fahren am Li- mit . Sie leiden darunter, dass auf deutschen Autobahnen zu viele schwarze Schafe zu unscharfe Regeln ausnutzen und geltendes Recht missachten . Diese schwarzen Scha- fe stammen keineswegs nur aus Osteuropa . Auch für ei- nige in Westeuropa ansässige große Unternehmen gehört das zu ihrem Geschäftsmodell . Wir müssen politisch handeln . Das wissen wir seit Jahren . Endlich tun wir es . Am Montag wurde auch deut- lich benannt, wie wir handeln können: Ein Instrument, etwas zu ändern, wäre es, die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit vernünftig und menschenwürdig zu regulieren . Genau das Instrument, über das wir heute hier diskutie- ren, ist meiner Meinung nach eines der Schlüsselelemen- te, schrieb uns Udo Skoppeck, aktiver Fernfahrer und Aktivist für Fernfahrerrechte, ins Lastenheft . Wir haben die Forderung aufgenommen und im Verkehrsausschuss eine kleine, aber entscheidende Änderung zum Fahrper- sonalgesetz beschlossen . Um Missverständnissen vorzubeugen, will ich noch einmal benennen, was wir verbieten . Es geht um die re- gelmäßige wöchentliche Ruhezeit im Lkw . Mit Artikel 8 Nummer 8 der EU-Verordnung 561/2006 ist die Voraus- setzung gegeben, um zu unterbinden, dass die regelmä- ßige wöchentliche Ruhezeit im Fahrzeug verbracht wird . Die EU-Verordnung sagt: In zwei jeweils aufeinander- folgenden Wochen hat der Fahrer mindestens zwei regel- mäßige wöchentliche Ruhezeiten oder eine regelmäßige wöchentliche Ruhezeit und eine reduzierte Wochenru- hezeit von mindestens 24 Stunden einzuhalten . Wichtig sind hier die zu unterscheidenden Begriffe „regelmä- ßige“ und „reduzierte“ wöchentliche Ruhezeit . Weiter heißt es nämlich, dass nicht am Standort eingelegte täg- liche Ruhezeiten und reduzierte wöchentliche Ruhezei- ten im Fahrzeug verbracht werden können . Regelmäßige wöchentliche Ruhezeiten im Fahrzeug werden in dieser Ausnahme explizit nicht benannt . Dem EU-Recht fol- gend können und müssen wir das Verbringen der regel- mäßigen wöchentlichen Ruhezeit im Fahrzeug verbieten und ahnden . Keine Frage: Die Klarstellung zum Verbot des Ver- bringens der wöchentlichen Ruhezeit im Lkw, die wir nun beschließen, ist nur ein Mosaikstein . Eigentlich wäre eine europäische Regelung notwendig, die keinerlei In- terpretationsspielraum bietet . Eigentlich müssen wir noch viele weitere Aspekte angehen, wollen wir fairen Wettbewerb und faire Arbeitsbedingungen im Transport- und Logistikgewerbe garantieren . In unserem Entschließungsantrag haben wir dazu Punkte benannt . Der Bundesregierung haben wir damit wichtige Aufgaben gestellt . Ich erwarte, dass wir im Frühjahr 2018 erste Ergebnisse präsentiert bekommen . Schon jetzt aber kommt, wenn uns der Bundesrat zu- stimmt, der kleine Mosaikstein, der, wie ich sicher bin, große Wirkung haben wird . In der Diskussion um das Fahrpersonalgesetz wurde im Vorfeld häufig angezwei- felt, dass das Verbot des Verbringens der regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeit durchsetzbar sei . Dazu haben wir Montag wichtige Hinweise erhalten: Niederlande, Belgien und Frankreich zeigen bereits, dass das Verbot Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722282 (A) (C) (B) (D) kontrollierbar ist . Die Problematik der Kontrollen liegt bislang einzig darin, dass das „Schwert nicht schneidet“ . Mit dem heutigen Beschluss schärfen wir in jedem Fall das Schwert . Damit es schneidet, sind die Kontroll- behörden in der Pflicht und haben alle Möglichkeiten – wie ihre Kolleginnen und Kollegen in unseren westlichen Nachbarstaaten –, das Verbot durchzusetzen . Ich erwarte effektive Schwerpunktkontrollen, die deutlich abschre- ckenden Charakter haben müssen . Dazu sind integrative Kontrollen unter Einbindung von Polizeien, BAG, Zoll und auch Ämtern für Arbeitsschutz notwendig . Zudem müssen wir die Möglichkeiten der Digitalisierung noch besser nutzen . Mit dem digitalen Tachografen wird schon bald vieles einfacher . Ein obligatorischer digitaler Frachtbrief ist darüber hinaus dringend geboten . Das for- dern wir in unserem Entschließungsantrag . Ich will enden mit einem Zitat aus der Anhörung, das sich mir eingebrannt hat: „Ich weiß nicht, warum die Bevölkerung und die gesamte Politik – ich spreche jetzt die ganze Runde an – glauben, dass wir Kraftfahrer das stoisch mitmachen, nur weil es sich so eingebürgert hat .“ Vollkommen richtig; Nicht das Gewohnheitsrecht, son- dern das gesetzte Recht muss gelten . Zur Frage der Ru- hezeit im Lkw gibt es eine EU-Verordnung und nun auch eine entsprechende Klarstellung im Fahrpersonalgesetz, und diesen Regelungen verschaffen wir Geltung. Thomas Lutze (DIE LINKE): Die Erteilung natio- naler güterkraftverkehrsrechtlicher Zulassungen erfolgt bislang für bis zu zehn Jahre . Bei einer Verlängerung ist diese bisher aber unbefristet zu erteilen . Dass dies nun, in Übereinstimmung mit dem EU-Recht, dahin gehend geändert werden soll, auch diese nur für zehn Jahre zu erteilen, ist sinnvoll . Verstöße von Güterkraftverkehrsunternehmen werden bislang nicht in der Verkehrsunternehmensdatei beim BAG geführt, sondern an zwei anderen Stellen gespei- chert, um Dopplungen zu vermeiden . Die EU hat nun vorgeschrieben, dass klar definierte, schwerste Verstöße in diese Datei aufzunehmen sind . Dies anzupassen war notwendig . Im Entschließungsantrag der Koalition werden eine Reihe sinnvoller Dinge gefordert, die über den Ände- rungsantrag hinausgehen . Dem können wir bis auf eine Ausnahme zustimmen . Dass es sich hierbei jedoch aus- gerechnet um die wöchentlichen Ruhezeiten handelt, ist äußerst bedauerlich . Im Antrag wird sich dafür ausge- sprochen, entgegen dem mit dem Änderungsantrag ein- geführten klaren Verbot, die Regelungen auf EU-Ebene dahin gehend zu regeln, dass wöchentliche Ruhezeiten im Fahrerhaus verbracht werden können . Die Ruhezei- ten im Fahrerhaus sollen zwar verkürzt werden, dennoch reicht diese Regelung nicht aus . Verdi hat in der Anhörung des Verkehrsausschusses zu Recht darauf hingewiesen, dass der Änderungsantrag der Koalition nicht ausreichend ist . Die Formulierung, dass „nicht geeignete Schlafmöglichkeiten“ sanktioniert werden sollen, ist alles andere als rechtssicher . Der Bun- desrat hat einen Vorschlag gemacht, der dies eindeutig in einem neuen Paragrafen definiert hätte. Dem hätte man folgen sollen . Zur Verbringung der wöchentlichen Ruhezeiten hatten wir ein Berichterstattergespräch, bei dem Frau Staatsse- kretärin Bär auf Zeit spielen wollte, während sich alle vier Fraktionen dafür aussprachen, den untragbaren Zuständen insbesondere in Grenznähe zu Belgien und Frankreich einen Riegel vorzuschieben . Wir begrüßen daher, dass diesbezüglich nun zumindest überhaupt et- was geschieht . Da sowohl die Unternehmen als auch die Fahrer bestraft werden können, bleibt unklar, inwieweit die Haftungsfrage geregelt ist: Wer muss bei Vergehen etwas zahlen? Es wäre durchaus möglich gewesen, le- diglich die Unternehmen haften zu lassen . Bei Verstößen könnte das Fahrzeug dann so lange festgehalten werden, bis das Unternehmen die Buße hinterlegt hat . So sind jetzt jedoch Streitigkeiten über das Verursachen der Ver- fehlungen vorprogrammiert . Besser wäre es gewesen, den Weg des Bundesrates zu gehen, der dies explizit als Verbot regeln will und Sanktionen zudem nur für Unter- nehmen, nicht auch für Fahrer, einführen möchte . In etwa zwei Monaten ist ein Urteil des EuGH zur Frage der Reichweite des EU-Rechts zu erwarten . Auch nach der Anhörung ist mir nicht klar, warum man das Ur- teil nicht einfach abwartet und dann schaut, was national zu regeln ist . Der Entschließungsantrag beschreibt in seinem Fest- stellungsteil zutreffend die schwierige Situation des na- tionalen Güterkraftverkehrs . Es sei an dieser Stelle der Hinweis erlaubt, dass man bei Kroatien keinen Gebrauch von der Möglichkeit gemacht hat, die dortigen Unterneh- men weiter von der Kabotage auszuschließen . Dies wird mit dem Gesetzentwurf nachvollzogen, ist aber bereits seit Sommer 2015 wirksam . Hier hat man sich also wei- tere Konkurrenz sozusagen ins Haus geholt . Den Prüfauftrag hinsichtlich der verkürzten wöchent- lichen Ruhezeiten, die eben doch in der Fahrerkabine verbracht werden dürfen, also die Umläufe von zwei auf drei Wochen im EU-Recht zu verankern, sehen wir kritisch . Deswegen enthalten wir uns bei diesem Antrag, auch wenn wir allen weiteren Forderungen zustimmen können . Die Durchsetzung des Mindestlohns ist uns natürlich ebenfalls ein großes Anliegen . Deswegen begrüßen wir die Anpassung der Meldepflichten. Der Prüfauftrag an dieser Stelle ist allerdings zu schwach . Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Auf der Seite des Bundesverkehrsministeriums habe ich folgende Definition zum Begriff „Logistik“ ent- deckt: „Unter dem Begriff ‚Güterverkehr und Logistik‘ werden alle Maßnahmen verstanden, die notwendig sind, um Güter in der richtigen Menge, im richtigen Zustand, zum richtigen Zeitpunkt, mit den richtigen Informationen und zu minimalen Kosten am richtigen Ort bedarfsge- recht zur Verfügung zu stellen“ . Ende des Zitats . Von vernünftigen Arbeitsverhältnissen und fairer Ent- lohnung der Beschäftigten ist nicht die Rede; stattdessen werden die minimalen Kosten besonders hervorgehoben . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22283 (A) (C) (B) (D) Die „Billigstrategie“ im Bereich des Straßengüterver- kehrs hat dabei in eine fatale Abwärtsspirale geführt und Sozialdumping erst ermöglicht . Die Folge sind katastrophale soziale Verhältnisse: Fernfahrer, die teilweise länger als ein halbes Jahr ihre Familien in den Heimatländern nicht gesehen haben und praktisch ein Leben im Lkw verbringen, bzw . Beschäf- tigte, die kaum mehr als 500 Euro im Monat erhalten und von ihren Unternehmen disponiert werden, wie die Ware, die sie quer durch Europa transportieren . Und um das hier auch noch einmal klarzustellen: Dies ist keine Problemlage, die allein durch osteuropäische Transportunternehmen zu verantworten ist . Vielmehr ist es oft so, dass deutsche bzw . westeuropäische Unterneh- men praktisch ihre Logistikabteilung über Briefkasten- firmen in Osteuropa im Sinne der erwähnten „Billigstra- tegie“ ausgelagert haben. Im Straßengüterverkehr finden wir daher Arbeitsverhältnisse vor, von denen wir früher geglaubt haben, dass diese Zeit der Ausnutzung und des sozialen Elends längst überwunden sei . Ihre Gesetzesinitiative zur Änderung des Fahrperso- nalgesetzes verbessert die Lage der Fernfahrer nur unzu- reichend . Sie hätten der Position des Bundesrats folgen sollen . Das wäre eine echte Verbesserung gewesen . Der Bundesrat hat richtigerweise gefordert, dass der Unter- nehmer dafür zu sorgen hat, dass das Fahrpersonal die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit nicht mehr im Fahr- zeug verbringt . Die Ruhezeit sollte in festen Unterkünf- ten mit Sanitäreinrichtungen und ausreichenden Versor- gungsmöglichkeiten verbracht werden . Die Ruhezeit sollte nach dem Willen der Mehrheit der Länder wei- terhin am Wohnort des Fahrers bzw . Unternehmenssitz verbracht werden und nur in Ausnahmefällen unterwegs . Ihr Vorschlag bringt leider keine Rechtssicherheit . Was ist bitte unter der weit gefassten Formulierung ei- ner „geeigneten Schlafmöglichkeit“ zu verstehen? Da- bei hätte auch ein Blick in Richtung unserer westeuro- päischen Nachbarn Frankreich und Belgien genügt, um Anregungen zu bekommen . Klare Verbote in Verbindung mit wirksamen Kontrollen und spürbaren Bußgeldern für die Transportunternehmen zeigen dort seit Jahren Wir- kung . Dagegen sieht Ihr Vorschlag sogar vor, die Fahrer mit zur Kasse zu bitten – ein völlig falscher Ansatz, da der Fahrer am wenigsten Einfluss auf die Disposition der Fahrten hat . Die Anhörung im Verkehrsausschuss zu Beginn die- ser Woche hat es noch einmal ganz deutlich gezeigt: Die besten Gesetze und Verordnungen laufen ins Leere, wenn wir uns nicht um ihren wirksamen Vollzug kümmern . Regelmäßig berichten Fernfahrer, dass sie relativ selten von der Polizei oder dem Bundesamt für Güterverkehr kontrolliert werden . Wenn ein Fahrer in vier Jahren nur einmal in eine umfassende Kontrolle geraten ist, dann zeigt das schlaglichtartig, welche Defizite wir im Vollzug derzeit haben . Seltene Kontrollen in Verbindung mit milden Strafen und Bußgeldern sind für Transportunternehmer geradezu eine Einladung, gelegentliche Gesetzes- und Regelver- stöße in ihre Kostenkalkulation einzubeziehen: Es dürfte oft billiger sein, als sich an die Regeln zu halten . Wir brauchen also mehr Kontrollen . Der Bund ist hier mit dem Bundesamt für Güterverkehr direkt zuständig und könnte den Ländern ein gutes Vorbild sein, indem er das Kontrollpersonal massiv aufstockt . Staatssekretär Barthle wies in der Anhörung lapidar darauf hin, dass sich durch die Änderung des Fahrper- sonalgesetzes für den Bund kein erhöhter Erfüllungsauf- wand ergeben würde . Das klingt nach Aussitzen, nicht nach Anpacken . Wenn wir dem Sozialdumping auf unseren Straßen den Kampf ansagen, dann brauchen wir dringend klare Zuständigkeiten und schlagkräftige Strukturen. Ineffizi- ente Kontrollen müssen der Vergangenheit angehören . Sicherlich lässt sich einiges durch die zügige Einführung des digitalen Tachografen sowie des digitalen Fracht- briefs vereinfachen . Wir müssen aber gleichzeitig darü- ber diskutieren, ob wir beim BAG künftig einen Großteil der Kompetenzen zur Kontrolle des Straßengüterver- kehrs bündeln . Ich hatte es in meiner letzten Rede zu diesem Gesetz- entwurf schon gesagt: Wir stehen bei der Bekämpfung des Sozialdumpings im Straßengüterverkehr erst ganz am Anfang . So gesehen ist Ihr Gesetzentwurf ein erster kleiner Schritt – aber auch nicht mehr . Das ist kein großer Wurf, sondern nur der kleinste gemeinsame Nenner der sogenannten Großen Koalition . Auf mehr können Sie sich kurz vor Ende der Legislatur- periode offenbar nicht mehr einigen. Schade! Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugendgerichtsgesetzes, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetze (Tagesordnungspunkt 24) Dr. Silke Launert (CDU/CSU): Strafe muss spür- bar sein . Anders ist manchen Menschen leider oft nicht beizubringen, dass sie sich an gewisse Regeln zu halten haben: dass sie fremde Sachen nicht wegnehmen dürfen, dass es falsch ist, ohne Ticket mit dem Bus zu fahren oder dass sie ihren Unterhaltspflichten nachzukommen haben. Die Aufgabe des Richters im Strafverfahren ist es da- her, die richtige Strafe zu finden, die, aus der der Täter auch wirklich lernt und später nicht zum Wiederholungs- täter wird . Dafür stehen dem Richter im deutschen Straf- recht aktuell zwei Mittel zur Verfügung: die Geldstrafe und die Freiheitsstrafe . Als ehemalige Staatsanwältin kann ich bestätigen, dass wir mit diesen beiden Mitteln bedauerlicherweise oft nur bedingt etwas bewirken können . So werden gera- de bei kleinerer bis mittlerer Kriminalität Freiheitsstrafen oft zur Bewährung ausgesetzt und von den Tätern dann wie ein Freispruch empfunden . Geldstrafen werden nicht selten von nahen Angehörigen beglichen, die es gut mei- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722284 (A) (C) (B) (D) nen . Oder die bisweilen auch hohen Tagessätze schmer- zen deshalb nicht, weil der Täter schlicht vermögend ist . Der Anspruch des Strafrechts und unseres Rechts- staates ist es aber, auch diesen Tätern beizukommen . Vor dem Gesetz sind schließlich alle Menschen gleich, und so sollte ein Strafurteil auch für jeden Straftäter eine spürba- re Konsequenz haben . Um das zu erreichen, wollen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf den Katalog der Strafen um das Fahrverbot erweitern . Wir wollen, dass das Fahrverbot nicht nur dann verhängt werden kann, wenn die Straftat einen Straßenverkehrsbezug aufweist, sondern grundsätzlich bei allen Straftaten . Dabei soll der Charakter des Fahrverbots als Nebenstrafe beibehalten werden . Wir versprechen uns davon, den einen oder an- deren Täter damit stärker beeindrucken zu können als mit einer anderen Strafe . Warum? Weil Autos und Autofah- ren in unserer Gesellschaft einen Stellenwert haben wie sonst kaum anderswo auf der Welt . Ein Auto bedeutet Freiheit und Mobilität und für manch einen ist es hierzu- lande auch ein geliebtes Statussymbol . Sicher treffen wir hier einen empfindlichen Nerv. Das zeigt uns jedenfalls die aktuelle Erregung der Öffentlich- keit, und das zeigen uns auch die zahlreichen Gerichts- verfahren, in denen regelrecht leidenschaftlich darum ge- rungen wird, den Führerschein nicht abgeben zu müssen . Und genau das ist von uns gewollt; denn nur so kön- nen wir abschrecken und nur so können wir Wiederho- lungstaten vermeiden . Aus denselben Gründen wollen wir auch im Jugend- strafrecht die Sanktionsmöglichkeiten öffnen und um das Fahrverbot bei allen Straftaten erweitern . Dies halten wir erzieherisch für richtig, wenn mit einer anderen Strafe einem jungen Straftäter das Unrecht seines Verhaltens nicht deutlich genug vor Augen zu führen ist . Um den vielen Kritikern aus Jugendverbänden den Wind aus den Segeln zu nehmen, will ich an dieser Stelle an den sogenannten Warnschussarrest erinnern, der zum Ende der letzten Wahlperiode ins Jugendgerichtsgesetz eingeführt wurde . Da war der Aufschrei zunächst auch groß, und keiner wollte ihn haben . Inzwischen hat er den Praxistest jedoch mit Bravour bestanden und es wird von den Jugendgerichten vielfach auf ihn zurückgegriffen. Für nicht weniger sinnvoll als das Fahrverbot als Stra- fe erachte ich die in diesem Gesetzentwurf geplanten Neuregelungen zur Blutentnahme, die uns im Wesentli- chen dorthin zurückführen, wo wir schon einmal waren . Es geht insbesondere um die Fälle, in denen Polizei- beamte vermeintlich alkoholisierte Autofahrer aus dem Verkehr ziehen . Um in diesen Fällen später das Fahren unter Alkoholeinfluss nachweisen zu können, braucht es eine Blutentnahme . Diese muss wiederum von einem Richter angeordnet werden, denn sie steht unter dem so- genannten Richtervorbehalt . Vor 2007 haben Polizisten diese Eingriffe trotz des Richtervorbehalts regelmäßig selbst angeordnet . Be- gründet wurde das mit der besonderen Eilbedürftigkeit, da der Alkohol vom Körper recht schnell abgebaut wird und sich in einem späteren Gerichtsverfahren dann Nach- weisprobleme ergeben können . Vor zehn Jahren hat das Bundesverfassungsgericht schließlich klargestellt, dass der Richtervorbehalt leer- liefe, wenn man diese Praxis weiterverfolge . Damit hat er den Richtervorbehalt gestärkt . Weitere Urteile haben jedoch Folgefragen aufgeworfen und dadurch zu allerlei uneinheitlicher Rechtsprechung von Oberlandesgerich- ten geführt . Mit den geplanten Neuregelungen, werden wir nun wieder Klarheit schaffen: Wir wollen gesetzlich festschreiben, dass es in solchen Fällen wie denen von Trunkenheit am Steuer keine rich- terliche Anordnung braucht . Stattdessen soll es reichen, wenn die Staatsanwaltschaft oder die Polizei die Blutent- nahme anordnet . Dies ist nur recht und billig; schließlich wird der Täter dadurch weder schutzlos gestellt, noch ist der Richtervorbehalt aus verfassungsrechtlichen Grün- den zwingend geboten . Diese Änderung steht letztlich im Zeichen der Sicherstellung einer effektiven Strafverfol- gung und wird die ohnehin schon stark belastete Justiz entlasten – gerade bei einem Massendelikt wie dem der Trunkenheitsfahrt . Es ist eine mehr als gute Regelung also . Neben der Einführung des Fahrverbots als Strafe und der Änderung der Anordnungskompetenz bei der Blut- entnahme enthält der vorliegende Entwurf außerdem noch weitere Neuregelungen, die wichtige Anliegen sind und die ich nicht unterschlagen will . Dazu gehören insbesondere die verschärfte Strafbarkeit organisierter Formen von Schwarzarbeit oder auch die Erleichterung der Strafzurückstellung bei betäubungsmittelabhängigen Mehrfachtätern . Alles in allem also ein runder Gesetzentwurf . Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Mit dem Gesetz- entwurf zur Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugend- gerichtsgesetzes und der Strafprozessordnung wurde ein Bündel einzelner Reformvorhaben vorgelegt, welches Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz der Strafver- folgung enthalten soll . Dabei möchte ich mich auf zwei Punkte beschränken . Zum einen auf das Fahrverbot als Nebenstrafe und zum anderen auf die Abschaffung des Richtervorbehalts in § 81a Absatz 2 StPO . Nach derzeitiger Rechtslage wird ein Fahrverbot als Nebenstrafe ausschließlich für Straftaten vorgesehen, die bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen wurden . Sie ist damit eine Reaktion auf schuldhaft begangene Verkehrsverstö- ße, die als „Denkzettelmaßnahme“ den Täter vor einem Rückfall warnen und ihm das Gefühl geben soll, was es bedeutet, vorübergehend ohne Führerschein zu sein . Es wird vorgesehen, den Katalog der strafrechtlichen Sanktionen um die Möglichkeit der Verhängung eines Fahrverbots durch Einführung eines deliktsunabhängi- gen Fahrverbots als Nebenstrafe zu ergänzen . Damit soll eine zusätzliche Möglichkeit geschaffen werden, um in geeigneter Weise auf Straftäter einzuwirken . Es sollen Straftäter erreicht werden, bei denen die herkömmlichen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22285 (A) (C) (B) (D) Sanktionen der Geld- und der Freiheitsstrafe wirkungs- los sind . Weiterhin wird die Höchstdauer des Fahrverbots von drei Monaten auf sechs Monate erhöht . Im Jugend- strafrecht soll es aufgrund des im Vordergrund stehenden Erziehungsgedankens und jugendkriminologischer Er- wägungen bei einer Höchstdauer von maximal drei Mo- naten verbleiben . Um taktische Anfechtungen allein we- gen des aus Sicht des Verurteilten zu frühen Beginns des Fahrverbots zu vermeiden, wird das Fahrverbot erst ei- nen Monat nach Rechtskraft des Urteils wirksam . Zudem ist mit § 44 Absatz 4 StGB-E eine Regelung zur Nachei- nandervollstreckung mehrerer Fahrverbote vorgesehen . Die Union verschließt sich diesem Vorhaben grund- sätzlich nicht . Jedoch ist zu bedenken, dass die Bedeu- tung des Führens eines Kraftfahrzeugs für den Einzelnen heute sehr unterschiedlich sein kann . Ein Berufskraftfahrer oder ein Pendler, der zum Errei- chen seines Arbeitsplatzes auf sein Kraftfahrzeug ange- wiesen ist, wird durch ein Fahrverbot wesentlich stärker belastet als jemand, der auf den öffentlichen Nahverkehr ausweichen kann und damit leichter auf das Autofahren verzichten kann . Dies gilt zum Beispiel für Menschen, die ihren Wohnsitz in ländlicheren Gebieten haben und denen anders als in Großstädten kein vergleichbarer öf- fentlicher Personennahverkehr zur Verfügung steht . Klar ist, dass auch Freiheitsstrafen und Geldstrafen unterschiedlich wirken . Isoliert verhängte Geldstrafen und zu vollstreckende Freiheitsstrafen können insbe- sondere in spezialpräventiver Hinsicht unter Umständen ihren Zweck nicht erreichen oder unerwünschte Neben- folgen haben . So beeindrucken Geldstrafen wirtschaft- lich gutsituierte Täter nicht immer in hinreichender Wei- se, und dort, wo die Zahlung von Dritten übernommen wird, stößt diese Sanktion ins Leere . Verurteilungen zu vollstreckbaren Freiheitsstrafen haben neben den hohen Vollstreckungskosten nicht selten auch zur Folge, dass Straftäter ihren Arbeitsplatz und ihre Wohnung verlieren und dass ihre sozialen Beziehungen erheblich gestört oder aufgelöst werden . Dies erschwert die Wiederein- gliederung der Täter nach der Entlassung und erhöht die Gefahr neuer Straffälligkeit. Die Freiheitsstrafe ist ge- nerell sehr belastend, und die unterschiedliche Wirkung der Geldstrafe wird durch die Bemessung der Tagessätze jedenfalls teilweise ausgeglichen . Bei dem Fahrverbot scheint es angesichts der verschiedenen Lebensumstände und Vorlieben der Betroffenen kaum möglich, für eine annähernde Wirkungsgleichheit der Strafe zu sorgen . Noch verstärkt werden dürfte dieser Umstand dadurch, dass die Befolgung des Fahrverbots nur schwer kontrol- lierbar ist . Sinnvolle Anwendungsfälle lassen sich aber zum Beispiel bei Gewalttaten junger Menschen denken . Es spricht einiges dafür, dass sich ein solcher Täter einen neuen Rechtsbruch sehr genau überlegen wird, wenn er sein Auto oder Motorrad bereits für maximal drei Monate nicht benutzen darf . Der zweite Punkt ist das Thema „Abschaffung des Richtervorbehalts bei der Blutprobenentnahme“ . Von Fahrzeugführern, die unter Alkohol- oder Drogeneinfluss stehen, gehen erhebliche Gefahren für die Sicherheit des Straßenverkehrs und andere Verkehrsteilnehmer aus . Sie sind eine der Hauptursachen für Verkehrsunfälle mit schweren, oft tödlichen Folgen. Eine jederzeit effektive Verfolgung der Täter ist daher von besonderer Bedeu- tung . Das bisher geltende Recht enthält in § 81a Absatz 2 StPO einen Richtervorbehalt für alle körperlichen Unter- suchungen . Ausnahmen sind nur für den Fall vorgesehen, dass der Untersuchungserfolg bei einer Verzögerung ge- fährdet würde . Dann steht die Anordnungsbefugnis der Staatsanwaltschaft und ihren Ermittlungspersonen zu . Zur Beschleunigung der Beweissicherung im Straf- und Bußgeldverfahren insbesondere bei dem Verdacht auf ein Trunkenheitsdelikt und damit zur Verbesserung des Schutzes der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs vor ungeeigneten Fahrzeugführern soll der Richtervorbe- halt zukünftig für die Fälle der Entnahme einer Blutprobe gestrichen werden . Der Richtervorbehalt ist nicht erforderlich, da es sich bei einem vergleichsweise milden Eingriff um ein Massenphänomen in der Strafjustiz handelt . Außerdem gehört der Richtervorbehalt – anders als bei der Woh- nungsdurchsuchung – nicht zum rechtsstaatlichen Min- deststandard, und er kann aufgrund der Gegebenheiten in der Anwendungspraxis seiner Funktion als vorbeugende Kontrolle kaum gerecht werden . Denn der Richter hat keine echte Überprüfungsmöglichkeit . Er muss fast im- mer telefonisch und unter Zeitdruck eine Entscheidung treffen, auf Grundlage dessen, was ihm der Polizeibeam- te zum Sachverhalt berichtet . Ein rechtstaatlicher „Mehr- wert“ für den Beschuldigten ist selten ersichtlich . Zudem bleibt auf Antrag des Betroffenen nachträglich die Mög- lichkeit, die Rechtmäßigkeit der Anordnung entspre- chend § 98 Absatz 2 Satz 2 StPO überprüfen zu lassen . Wir sollten über diese Punkte noch intensiv debat- tieren, um Antworten zu finden und die Defizite im gel- tenden Straf- und Strafprozessrecht auszugleichen . Dies könnte ein Schritt sein, das Strafverfahren unter Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze noch effektiver und praxis- tauglicher zu gestalten . Dr. Johannes Fechner (SPD): Mit dem vorliegen- den Gesetz schaffen wir zahlreiche Verbesserungen und Verfahrensvereinfachungen im Strafprozessrecht und wir schließen Strafbarkeitslücken im Strafgesetzbuch . Wichtigste Regelung ist die Abschaffung des Richter- vorbehaltes bei der Blutentnahme zur Feststellung des Blutalkohols bei Verkehrskontrollen . Nach geltendem Recht muss ein Richter diese anordnen . In der Praxis hat sich aber nun gezeigt, dass wir einerseits sehr gut ge- schultes Personal bei der Polizei haben, das verantwor- tungsvoll mit dieser durchzuführenden Messmethode umgeht . Zudem hat sich gezeigt, dass die Rückfrage bei einem Richter oft nur pro forma erfolgte und erfolgen kann . Der Richter kann sich den Sachverhalt am Telefon schildern lassen, muss praktisch aber immer den Anga- ben des Polizisten vor Ort vertrauen . Die Erfahrung und alle Berichte zeigen, dass die Polizei verantwortungsvoll vorgeht . Den Richtervorbehalt braucht es deshalb nicht mehr . Vor allem war der Richtervorbehalt mit einem er- heblichen Arbeitsaufwand für die Polizei verbunden, da jede Blutalkoholentnahme in Absprache oder auf Anord- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722286 (A) (C) (B) (D) nung eines Gerichtes erfolgen muss . Mit der Abschaf- fung des Richtervorbehaltes erleichtern wir deshalb der Polizei ganz erheblich ihrer Arbeit, und wir verhindern, dass sich der Alkohol im Blut schon rapide abgebaut hat, bis die Entnahme endlich möglich ist . Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung nehmen lei- der auch bei uns zu . Dabei lassen sich die gut organisier- ten Tätergruppen einiges einfallen, um die tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse zu verschleiern . Diese neuen Methoden sind vom heutigen Straftatbestand des Vorent- haltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt nicht erfasst, sodass wir diese Lücke schließen müssen . Es ist deshalb gut, dass zukünftig mit der Einführung eines neuen be- sonders schweren Falls derjenige Arbeitgeber härter be- straft werden kann, der Beiträge zur Sozialversicherung vorenthält und sich zur Verschleierung der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse unrichtige, nachgemachte oder verfälschte Belege von einem Dritten verschafft. Schließlich fügen wir als neue Nebenstrafe die Ver- hängung eines Fahrverbotes ein . Gerichte haben damit die Möglichkeit, in bestimmten Konstellationen, in de- nen eine Geldstrafe möglicherweise nicht die spürbarste Sanktion ist, durch die Verhängung eines Fahrverbotes auf den Täter einzuwirken . Dies kann insbesondere dann sinnvoll sein, wenn kurze Freiheitsstrafen oder Geldstra- fen bei vermögenden Tätern keine entsprechende zielge- naue Wirkung erwarten lassen . Leider nimmt der illegale Wildtierhandel zu, was eine massive Bedrohung für den Artenschutz ist . Es ist deshalb richtig und gut, dass wir im Bundesnaturschutzgesetz regeln, dass das leichtferti- ge Töten und Zerstören von streng geschützten wildle- benden Tieren oder geschützten seltenen Pflanzenarten zukünftig strafbar ist . Durch dieses Gesetz schaffen wir eine ganze Reihe von strafprozessualen Verbesserungen, und wir schließen mehrere strafrechtliche Lücken . Es ist deshalb ein gutes Gesetz, weshalb wir diesem zustimmen sollten . Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Da ist sie wieder: die Ausweitung des Fahrverbots auf alle Strafen unabhängig der Verkehrsbezogenheit der Delikte . Der Gedanke ist ja nicht neu, wurde immer wieder einmal hochgeholt und dann wieder versenkt, – zu Recht, wie ich meine . Gerade diese Ausweitung halte ich im Hinblick auf den Sinn und Zweck des Strafrechts und der erwünsch- ten Wirkung auf den Täter für problematisch, weil eine neue Ausbildungsstelle, ein neuer Arbeitsplatz, die Ein- bindung in soziale Netzwerke integrativ und reduzierend auf die Wahrscheinlichkeit der Begehung einer erneuten Straftat wirken können . All dies kann aber mit einer der- artigen Sanktion gefährdet werden . Auch wird diese neue Strafe nicht auf alle Angeklagten anwendbar sein, sondern nur auf diejenigen mit Führer- schein . Das Ziel, eine umfängliche dritte Sanktionsform zu schaffen, kann also nicht erreicht werden. Vielmehr sind hier schwer zu begründende Ungleichbehandlungen denkbar, so zum Beispiel, wenn bei Mittätern der eine ein Fahrverbot erhalten soll und der andere mangels Führer- schein eine kurze Freiheitsstrafe verbüßen soll . Es sollten Sanktionsformen gewählt werden, die mit der Tat im Zusammenhang stehen, da diese für den Täter auch nachvollziehbar sind . Dies wäre hier gerade nicht der Fall . Ferner fehlt es an einem objektiven Verrechnungs- maßstab des Fahrverbots gegenüber der Geldstrafe beim führerscheinlosen Täter . Anders als beim Freiheitsentzug und der Geldstrafe fehlt es beim Fahrverbot an einer Ein- heit mit allgemeiner Gültigkeit, da die Folgen des Fahr- verbots je nach Täter unterschiedliche wirtschaftliche und soziale Auswirkungen haben können . Da sich im Gesetzentwurf keine detaillierten Angaben finden lassen, in welchen Fällen das Fahrverbot verhängt werden soll, ist neben den beschriebenen Problemen überdies die Gewährleistung des Bestimmtheitsgebots problematisch . Daneben wird statistisch nur der allergeringste Teil der Fahrer ohne Fahrerlaubnis überhaupt entdeckt . Das Risiko besteht, dass die Verurteilten dennoch weiterfah- ren und als Konsequenz lernen, dass die Verurteilung wirkungslos bleibt und ein Verstoß nicht weiter schadet . Das würde die Zielsetzung des Strafrechts ad absurdum führen . Als Gegenargument in den Medien wird vorgebracht, dass das Fahrverbot insbesondere gegen Väter, die den vorgeschriebenen Unterhalt an die alleinerziehende Mut- ter nicht zahlen, eingesetzt werden soll. Häufig wäre eine Geldstrafe hier nicht erfolgreich . Nach einer Bertelsmann Studie würden 2,3 Millionen Kinder in einem Ein-El- tern-Haushalt aufwachsen . Die Hälfte würde dabei gar keinen Unterhalt und 25 Prozent nur unregelmäßig wel- chen erhalten . Dies sei für die Mütter eine schwere Be- lastung . Zwar stimmt es, dass hier ein großes Problem für die Mütter besteht, jedoch bleibt die Forderung nach einem Fahrverbot für solche Fälle rein populistisch . Denn in den allermeisten Fällen scheitert es nicht an dem Unwil- len der Väter, sondern vielmehr an ihrer aktuellen Zah- lungsunfähigkeit . Hier springen dann vorerst die Ämter ein, die später versuchen, das Geld zurückzubekommen . Sofern es sich tatsächlich um Zahlungsunwillige handelt, wäre wiederum eine konsequentere Zwangsvollstre- ckung das deutlich bessere Mittel . Denn damit kommt auch das Geld auf das Konto, im Gegensatz zu einem Fahrverbot . Daneben ist der Vorschlag auch absurd, weil er zivilrechtliche und strafrechtliche Probleme ver- mischt; reiner Populismus also . Sinnvoller für eine wirksame Strafe wäre unter Um- ständen eine Änderung des § 40 Absatz 2 StGB, welcher regelt, was bei der Berechnung der Tagessätze berück- sichtigt wird . Hier müssten tatsächlich ermittelte Vermö- genswerte und weitere Verbindlichkeiten ausreichende Berücksichtigung finden. Die Ergänzungen der Regelbeispiele zur Schwarzar- beit und illegalen Beschäftigung sind problematisch . Ins- besondere die geplante Nummer 3 will eine Strafbarkeit für den Fall regeln, dass jemand „fortgesetzt Beiträge vorenthält und sich zur Verschleierung der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse unrichtige, nachgemachte Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22287 (A) (C) (B) (D) oder verfälschte Belege von einem Dritten verschafft, der diese gewerbsmäßig anbietet“ . Dabei ist allerdings in der Nummer 2 bereits das Verwenden solcher Belege geregelt . Hier soll dagegen noch einmal speziell das Ver- schaffen solcher unter Strafe gestellt werden. Damit han- delt es sich also um eine Vorverlagerung der Strafbarkeit, die ich generell kritisch sehe . Auch die Abschaffung des Richtervorbehalts bei Blut- probeentnahmen bei Straßenverkehrsdelikten ist nicht ohne, da diese einen Eingriff in die körperliche Unver- sehrtheit darstellen . Nur durch einen Richtervorbehalt kann die strukturelle Ungleichheit im Verfahren ausge- glichen werden. Untersuchungen, die bedeutsame Defi- zite in der Erreichbarkeit von Richtern in der Nachtzeit feststellen konnten und folglich die Beweissicherung gefährdet hätten, sind zudem nicht bekannt . Sollten hier dennoch Lücken auftreten, müssten diese beseitigt wer- den, um, wie ich es heute Mittag bereits sagte, der Ge- rechtigkeit endlich zum Durchbruch zu verhelfen . Das grundlegende Ziel, Drogenabhängige schneller einer Therapie zuzuführen, ist zu begrüßen . Dies ent- spricht auch den Wünschen aus der Praxis . Vielleicht sollte man sogar so weit gehen, nur zwei Drittel zu voll- strecken und den Rest bei Vorliegen der Voraussetzungen einer Zurückstellung nach 35 Betäubungsmittelgesetz mit entsprechender Auflage zur Bewährung auszusetzen. So könnten auch die hier Betroffenen schneller einer Therapie zugeführt werden . Denn in der Haft können nur schwer die erforderlichen Therapien angeboten werden . Schon wenn es sich um Freiheitsstrafen von mehreren Monaten handelt, kann dies den Therapieerfolg ernsthaft gefährden . Zur Stärkung der Bewährungshilfe und Straffälligen- arbeit lässt sich konstatieren, dass die Vereinfachungen und Klarstellungen mit Rücksicht auf das informationel- le Selbstbestimmungsrecht im Interesse einer effizienten Gefahrenabwehr liegen . Daneben können Daten zu den persönlichen Verhältnissen des Verurteilten die Qualität der Behandlungsuntersuchung zu Beginn der Inhaftie- rung und die Entlassungsvorbereitung an deren Ende verbessern . Die neuen Tatbestände auch zur leichtfertigen Tötung und Zerstörung von streng geschützten wildlebenden Tier- und Pflanzenarten sind grundsätzlich sinnvoll und unterstützenswert . Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zu Beginn dieser Legislatur gab es gro- ße Ankündigungen aus dem Bundesjustizministerium, die Strafprozessordnung grundlegend zu überarbeiten . Dazu wurde eine Kommission einberufen mit vielen Vertretern aus Wissenschaft und Praxis, die umfassende Empfehlungen für eine Reform vorgelegt haben . Fast 200 Seiten umfasst der Abschlussbericht der Experten . Auf Grundlage dieses Berichts erarbeitete das Justizmi- nisterium zwei Gesetzentwürfe, die wir in dieser Woche debattieren . Beide Vorlagen verdienen die Bezeichnung „Reform“ nicht . Von den umfassenden Vorschlägen der Kommission wurde zu wenig aufgegriffen. Der Gesetz- entwurf zu diesem Tagesordnungspunkt 24 beschert uns eher kleinere Änderungen im Strafprozessrecht . Aber auch kleinere Änderungsvorschläge sind nicht davor gefeit, unsinnig und falsch zu sein . Und so verhält es sich mit dem Vorschlag, das Fahrverbot als Nebenstra- fe für alle Straftaten zu ermöglichen . Bisher konnte dies nur verhängt werden, wenn zwischen der Tat und dem Führen eines Kfz ein Zusammenhang besteht oder die Tat unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeug- führers begangen wurde . Die Erweiterung ist nicht nur Unsinn, sondern führt gleich in mehrfacher Hinsicht zu Ungleichbehandlungen, was in meinen Augen sogar ver- fassungsrechtlich bedenklich ist . Anders als die Geldstrafe, deren Höhe sich an dem Einkommen des Verurteilten orientiert, kann das Fahr- verbot nicht individuell schuldangemessen ausgestaltet werden . Das heißt, einen Verurteilten, der in einer grö- ßeren Stadt lebt, in der viele Möglichkeiten bestehen, öf- fentliche Verkehrsmittel zu nutzen, trifft ein Fahrverbot weniger hart als zum Beispiel einen Lehrling oder ein Elternteil auf dem Lande, der auf das Auto angewiesen ist, um damit zur Arbeitsstelle, zum Einkauf zu gelangen oder die Kinder zur Schule zu bringen . Auch den, der den Führerschein zwingend zur Ausführung seiner Arbeit be- nötigt, zum Beispiel einen Kurierfahrer, trifft die Strafe ungleich hart . Hier kann das Fahrverbot existenzbedro- hend sein . Hingegen sind für Wohlhabende Fahrverbote leichter zu verschmerzen, können Sie sich doch problem- los per Taxi chauffieren lassen. Die Bundesregierung behauptet, dass das Fahrverbot als Ergänzung zu anderen Sanktionen sinnvoll sei, ins- besondere wo Geldstrafen keinen nachhaltigen Eindruck hinterlassen, eine Freiheitsstrafe zu einschneidend sei oder eine eigentlich angezeigte Freiheitsstrafe dadurch abgewendet werden könne . Was aber ist mit demjenigen, der gar keinen Führerschein hat? Er wird keine Freiheits- strafe abwenden können und ist somit benachteiligt . Die- selbe Strafe kann also faktisch zu Ungleichbehandlungen führen . Es ist auch schwer vermittelbar, warum bei einer Tat, die nicht im Zusammenhang mit dem Führen eines Kfz steht, das Führen eines Fahrzeugs verboten wird . Das macht bei Rasern oder anderen Straßenverkehrsdelikten Sinn – aber eben nicht bei sämtlichen Straftaten . Die im vorliegenden Gesetzentwurf vorgeschlagene Ausweitung eines Fahrverbots als Nebenstrafe auf alle Straftaten im Jugendstrafrecht lehnen wir ebenfalls ab . Nach § 2 Absatz 1 Satz 2 Jugendgerichtsgesetz orientiert sich das Jugendstrafrecht vorrangig am Erziehungsge- danken . Die Bundesrechtsanwaltskammer weist in ih- rer Stellungnahme zu diesem Gesetzentwurf zu Recht darauf hin, dass bei der Verhängung eines Fahrverbots als Nebenstrafe in Fällen, in denen die Tat in keinem Zusammenhang mit der Teilnahme am Straßenverkehr und Nutzung eines Kraftfahrzeugs steht, keinerlei Erzie- hungsfunktion der Sanktion erkennbar sei . Diese Kritik, die ebenfalls aus der Wissenschaft und von Fachverbän- den geäußert wurde, teilen wir . Ein weiterer Teil dieses Gesetzentwurfs betrifft die Aufhebung des Richtervorbehalts bei der Anordnung Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722288 (A) (C) (B) (D) einer Blutentnahme im Bereich der Straßenverkehrsde- likte . Als einfachgesetzlicher Richtervorbehalt unterliegt § 81a Absatz 2 Strafprozessordnung grundsätzlich der Disposition des Gesetzgebers, da im Normbereich von Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG zum Schutz der körper- lichen Unversehrtheit im Rahmen von Verhältnismäßig- keit und Wesensgehaltgarantie Eingriffe aufgrund eines Gesetzes zulässig sind und kein grundgesetzlicher Rich- tervorbehalt besteht . Die Einschaltung eines Richters als „neutraler Wäch- ter“ soll die Kontrolle über die Anordnungsvorausset- zungen und die Wahrung des Verhältnismäßigkeits- grundsatzes garantieren . Die StPO-Kommission des Bundesjustizministeriums hielt die Einschaltung eines Richters in diesem Bereich für verzichtbar – angesichts der geringen Eingriffstiefe und der weitgehenden Unge- fährlichkeit der Blutentnahme, die ja in jedem Fall von einem Arzt vorzunehmen ist . Zudem muss der Richter schon heute meist am Telefon aus der Ferne entscheiden und sich dabei auf die von der Polizei vorgetragene Sach- lage verlassen, ohne die Ermittlungsakten selbst einse- hen zu können . Insofern spricht auch aus unserer Sicht vieles für die Aufhebung des Richtervorbehaltes, zumal Verkehrsdelikte unter Alkoholeinfluss ein Massenphäno- men mit erheblichem Gefährdungspotenzial sind . Hinzu kommt, dass momentan keine einheitliche Praxis besteht, in welchen Fallkonstellationen die Polizei Blutproben schon wegen Gefahr im Verzug anordnen darf und wann dies dem Richter vorbehalten bleibt bzw . wann zumin- dest die Staatsanwaltschaft zu befassen ist . Der Gesetzentwurf sieht nun vor, dass die Anord- nungsbefugnis durch die Staatsanwaltschaft oder ihre Ermittlungspersonen erfolgen kann . Das bedeutet wohl auch, dass trotz Sachleitungsbefugnis der Staatsanwalt- schaft die Polizei als verlängerter Arm der Staatsanwalt- schaft ohne vorherige Weisung durch sie tätig werden kann, davon geht jedenfalls die Stellungnahme des Bun- desrates aus . Was aber fehlt, ist eine ausdrückliche Dokumenta- tionspflicht der Polizei, sofern sie die Anordnung vor- nimmt . Nur durch eine detaillierte Dokumentation der je- weiligen Gründe für die Anordnung einer Blutentnahme ist im Zweifel eine umfassende nachträgliche Überprü- fung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme möglich . Allerding darf die Aufhebung des Richtervorbehalts im Bereich der Straßenverkehrsdelikte nicht Einfallstor sein für weitere Verzichte auf dieses wichtige rechts- staatliche Kontrollinstrument . Praktische Erwägungen wie etwa, dass die Entscheidungen ja ohnehin meist nur aus der Ferne getroffen werden, dürfen nicht allein als Argument für die Aufhebung einer richterlichen Kontrol- le ausreichen . Christian Lange, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Wir befassen uns heute in erster Lesung mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugendgerichtsgesetzes, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetze . Mit der Ausweitung des Fahrverbots setzen wir eine Vorgabe des Koalitionsvertrags um . Ein Fahrverbot stellt ein spürbares und empfindliches Übel dar. Um den Gerichten diese Strafmöglichkeit auch jenseits von ver- kehrsbezogenen Delikten zur Verfügung zu stellen, soll das Fahrverbot – unter Beibehaltung seines Rechtscha- rakters als Nebenstrafe – für alle Straftaten zugelassen werden . Seine Verhängung ist insbesondere dann sinn- voll, wenn eine Geldstrafe allein beim Verurteilten kei- nen hinreichenden Eindruck hinterlässt oder dadurch Verurteilungen zu spezialpräventiv eher kontraprodukti- ven kurzen Freiheitsstrafen vermieden werden können . Zudem soll die Höchstdauer des Fahrverbots im Strafge- setzbuch von derzeit drei auf sechs Monate angehoben und das Fahrverbot erst einen Monat nach Rechtskraft wirksam werden . Damit wollen wir den Gerichten einen erweiterten Bemessungsspielraum eröffnen und der Ein- legung taktischer Rechtsmittel entgegenwirken . Zwar wurden gegen die Ausweitung des Fahrverbots von Teilen der Wissenschaft und der Verbände Einwände erhoben . Diese könnten aber fast durchgehend auch ge- gen das Fahrverbot in seiner jetzigen Form erhoben wer- den . Wie schon beim bisherigen Fahrverbot werden zum Beispiel die Gerichte auch beim ausgeweiteten Fahrver- bot zu berücksichtigen haben, welche Auswirkungen das Fahrverbot für den konkret betroffenen Täter hätte, wie stark ihn das Verbot also treffen würde. Die Beibehaltung des Fahrverbots als Strafe, die nur neben einer Geld- oder Freiheitsstrafe verhängt werden kann, wird es den Ge- richten erleichtern, sachwidrige Ungleichbehandlungen zu vermeiden und zielgenauer als bisher zu einer ange- messenen Sanktionierung des Täters zu gelangen . Die besonders kritischen Argumente vieler Fachleu- te im Jugendstrafrecht haben wir ebenfalls nicht einfach übergangen; siehe etwa die Begrenzung der Höchstdau- er des Fahrverbots im Jugendstrafrecht auf drei Monate . Letztlich muss immer der Jugendrichter im Einzelfall entscheiden, ob ein Fahrverbot konkret wirklich das Ziel fördert, eine erneute Straffälligkeit zu vermeiden, oder ob es womöglich sogar eher zusätzliche Probleme erwar- ten lässt . Auch die übrigen Inhalte dieses Gesetzentwurfs tra- gen nach meiner Überzeugung zu einer effizienteren Strafverfolgung bei . Im Bereich der Schwarzarbeit und illegalen Beschäf- tigung werden mit der Schaffung von zwei neuen Regel- beispielen für besonders schwere Fälle solche Verhal- tensweisen mit einer höheren Strafandrohung bedroht, die sich durch den hohen Organisationsgrad der Täter deutlich vom Grundtatbestand des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt abheben . Im Strafverfahrensrecht wollen wir für bestimmte Straßenverkehrsdelikte eine Ausnahme von der vorrangi- gen richterlichen Anordnungskompetenz für die Entnah- me von Blutproben schaffen, um der Polizei ein schnel- leres Handeln zu ermöglichen und die Aufklärung von Verkehrsstraftaten insgesamt zu fördern . Außerdem enthält der Entwurf im Bereich des Straf- vollstreckungsrechts Regelungsvorschläge, die eine Strafzurückstellung bei betäubungsmittelabhängigen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22289 (A) (C) (B) (D) Mehrfachtätern erleichtern . Im Bereich der Bewährungs- hilfe wird die Zulässigkeit der Übermittlung von Daten durch den Bewährungshelfer gesetzlich klargestellt . Der Gesetzentwurf sieht schließlich Änderungen im Bundesnaturschutzgesetz vor . Diese gehen einerseits auf die sogenannte EU-Richtlinie Umweltstrafrecht zurück . Andererseits ist im Bereich der Wilderei und der illega- len Entnahme von gefährdeten Tieren sowie des illegalen Wildtierhandels eine nachhaltigere strafrechtliche Ab- schreckung erforderlich, die durch eine Anhebung der Strafandrohung erreicht werden soll . Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung zu diesem Vorha- ben . Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Än- derung des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes (Ta- gesordnungspunkt 25) Clemens Binninger (CDU/CSU): Dass wir das Si- cherheitsüberprüfungsgesetz dringend gründlich überar- beiten müssen, dürfte spätestens seit November vergan- genen Jahres klar sein . Damals wurde bekannt, dass sich ein Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz im Internet unter falschem Namen islamistisch geäußert und auch Dienstgeheimnisse verraten hatte . Es ist der Behörde damals gelungen, den Islamist in den eigenen Reihen zu identifizieren. Was zeigt uns dieser Vorfall? Das Gesetz in seiner jetzigen Form ist nicht mehr zeitgemäß; es wird der herrschenden Bedrohung durch den internationalen Terrorismus, aber auch durch andere extremistische Bestrebungen nicht gerecht . Die Regelun- gen greifen zu kurz und werden den Anforderungen im Sicherheitsbereich nicht mehr gerecht . Wir müssen die Effektivität und die Qualität des personellen und des ma- teriellen Geheimschutzes verbessern . Angesichts des Vorfalls im Bundesamt für Verfas- sungsschutz ist es richtig, den Blick auf das Verhalten der Bewerber und Mitarbeiter der Nachrichtendienste im Internet zu richten . Soziale Netzwerke und Internetauf- tritte werden bei der Selbstdarstellung gegenüber und in der Kommunikation mit anderen immer wichtiger . Künf- tig müssen die Bewerber und Mitarbeiter der Nachrich- tendienste daher angeben, ob und welche eigenen Inter- netseiten sie betreiben und darlegen, in welchen sozialen Netzwerken sie Mitglied sind . Aus den Reihen der Opposition erreichen mich in diesem Zusammenhang immer wieder datenschutzrecht- liche Bedenken . Man muss aber in der Debatte ehrlich sein: Die öffentlich zugängliche Internetpräsenz einer Person – es geht also ausschließlich um öffentlich ver- fügbare Daten – in die Überprüfung miteinzubeziehen, ist angesichts der jüngsten Erfahrungen nur konsequent und absolut richtig . Anderes zu behaupten, wäre weder seriös noch zeitgemäß . Zu einem modernen Sicherheitsüberprüfungsgesetz, das den Herausforderungen der heutigen Zeit gerecht wird, gehört auch, dass die Lebensumstände der poten- ziellen Geheimnisträger mit beachtet werden . Es ist nicht mehr unüblich, für eine bestimmte Zeit im Ausland zu leben . Das bedeutet aber, dass es für die Nachrichten- dienste wichtig ist, bei der Sicherheitsüberprüfung auch mit den jeweiligen ausländischen Stellen zusammenar- beiten zu dürfen . Das werden wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf – unter strengen Voraussetzungen und mit der ausdrücklichen Zustimmung des Betroffenen – er- möglichen . Wenn wir den empfindlichen Sicherheitsbereich vor extremistischen Bestrebungen schützen wollen, ist es außerdem notwendig, den materiellen Geheimschutz aufzuwerten . Bisher sind die Bestimmungen zum Schutz von Verschlusssachen nur untergesetzlich geregelt . Das reicht meiner Meinung nach nicht . Eine gesetzliche Ver- ankerung im Sicherheitsüberprüfungsgesetz macht die gemeinsame Verantwortung für das Wohl und den Schutz unseres Landes deutlich . Das Sicherheitsüberprüfungsgesetz jetzt zu überarbei- ten, ist richtig und zeitlich notwendig . Man muss aber weiterdenken . Es ist doch so: Der Sicherheitsbereich endet nicht am Zugang zu Verschlusssachen oder dem Sabotageschutz . Deshalb haben wir auch erst im letzten Jahr beschlossen, dass sich alle Soldaten künftig schon zum Zeitpunkt ihrer Einstellung bei der Bundeswehr ei- ner einfachen Sicherheitsüberprüfung unterziehen müs- sen und nicht erst, wenn sie Berührung mit Verschlusssa- chen haben oder aus Gründen des Sabotageschutzes . An diesem Beispiel wird deutlich: Wir verhindern so, dass amtsbekannte, gewaltbereite Extremisten die Möglich- keit einer militärischen Ausbildung bei der Bundeswehr für ihre eigenen Zwecke nutzen . Wir werden daher in der Koalition darüber sprechen, ob und wie der zu überprü- fende Personenkreis gegebenenfalls erweitert werden muss . Nur so können wir den sich ständig wandelnden Anforderungen im Sicherheitsbereich entgegentreten . Susanne Mittag (SPD): Das Sicherheitsüberprü- fungsgesetz ist mittlerweile 22 Jahre alt und steht nun zur Überarbeitung an . Das ist auch nötig . Ein wenig an- gestaubt wirkt das derzeitige Gesetz schon, nicht nur, weil wir heute – einen Tag nach dem Internationalen Frauentag – in diesem Gesetz eine geschlechtsneutrale Personenbezeichnung durchführen, nein es werden vor allem wichtige technische Neuerungen nachvollzogen, die bisher unbeachtet geblieben sind . Aber um mal zum Ausgangspunkt des Gesetzes zu gehen: Warum brauchen wir eigentlich ein Sicherheits- überprüfungsgesetz? Ganz einfach: Es gibt Aufgaben und Tätigkeiten in unserem Staat, aber auch in privat- wirtschaftlichen Unternehmen, bei denen wir schon ge- nau wissen sollten, ob der oder diejenige, der sie erledigt, auch zuverlässig und auf dem Boden der freiheitlich-de- mokratischen Grundordnung steht . Das gilt für Extre- misten aller Ausprägung – also seien es Reichsbürger, Rechts- oder Linksextreme oder Islamisten oder ganz einfach Straftäter . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722290 (A) (C) (B) (D) Ich möchte keinen Polizisten, keinen Mitarbeiter von Nachrichtendiensten, keine sonstigen Mitarbeiter mit sensiblen Aufgaben betraut sehen, an dem Zweifel bei der Zuverlässigkeit bestehen . Aber nicht nur extremis- tische Einstellungen werden bei der Sicherheitsüberprü- fung betrachtet, sondern eben auch die Lebenssituation des Einzelnen . Jemand der stark überschuldet ist, könnte anfälliger sein für Anwerbeversuche anderer Nachrich- tendienste! Gerade bei hochsensiblen Informationen, die den Bestand oder die Sicherheit unseres Staates gefähr- den, muss der Staat wissen, wem er solche Informatio- nen und Aufgaben anvertrauen kann . Es werden daher aber eben nicht nur die Antragsteller, sondern auch die Lebenspartner in den Blick genommen . Das ist sicher- lich ein Eingriff, der je nach Schutzbedürfigkeit der Ver- schlusssachen abgestuft erfolgt . Die Überprüfung unter- liegt aber der Freiwilligkeit des Bewerbers . Jemand, der mit streng geheimen Verschlusssachen umgeht, muss an- ders durchleuchtet werden als jemand der nur mit „VS – Nur für den Dienstgebrauch“ in Kontakt kommt . Dazu dient das Sicherheitsüberprüfungsgesetz . Was soll geändert werden? Als Erstes machen wir natürlich einen Schritt in Rich- tung der Digitalisierung . Vor 20 Jahren war das noch kein Thema, heute schon . Endlich kann man im Jahre 2017 seine Zustimmung zur Sicherheitsüberprüfung auch elektronisch erklären, und es bedarf nicht mehr einer eigenhändigen Unterschrift . Es werden also in Zukunft Schriftformäquivalente, wie sie im E-Government-Ge- setz geregelt sind, genutzt werden . Darüber hinaus regeln wir materiellen Geheimschutz auch gesetzlich . Bisher hatten diesen nur die Allgemei- ne Verwaltungsvorschrift des Bundesministeriums des Innern zum materiellen Geheimschutz von Verschlusssa- chen, die sogenannten VSA, also eine untergesetzliche Regelung . Das hat zwar auch funktioniert, aber gesetz- lich geregelt ist es sicherer . Darüber hinaus stärken wir erneut das Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik – kurz BSI – als zuständige Behörde für den materiellen Geheimschutz in der Bundesverwaltung . Das BSI hat nun die Aufga- be und die Befugnisse für ein durchgängig hohes Niveau des materiellen Geheimschutzes im Geltungsbereich der VSA zu sichern . Dazu gehören Beratung, Zulassung und Überprüfung von organisatorischen und technischen Si- cherheitsmaßnahmen . Der Umgang mit sicherheitssensiblen Informationen bedarf klarer technisch aktueller Regeln . Mit dem neu- en Sicherheitsüberprüfungsgesetz schreiben wir den Grundsatz der „Kenntnis, nur wenn nötig“ gesetzlich fest . Dieser Grundsatz beschränkt die Weitergabe von eingestuften Informationen auf den zur Aufgabenerfül- lung notwendigen Teil . Das ist die eine Seite der Medail- le . Die andere Seite der gleichen Medaille ist aber auch, dass eine Verschlusssache zur Kenntnis bekommt, wenn sie für seine oder ihre Aufgabe benötigt wird . Das ist das sogenannte Need-to-share-Prinzip, das hier zum Tragen kommt . Gerade bei unserer Arbeit im NSA-Untersuchungs- ausschuss mussten wir immer wieder feststellen, dass dieses Prinzip eben nicht in allen Bereichen durchgän- gig geklappt hat . Man hat eher das Gefühl gehabt, dass „Kenntnis, nur wenn nötig“ den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern so in Fleisch und Blut übergegangen ist, dass eben auch wichtige Informationen nicht weitergege- ben wurden . Aber es kam eben auch vor, dass, wenn je- mandem etwas aufgefallen ist, nicht nachgefragt wurde . Die Begründung war dann immer: Das musste ich nicht für meine Aufgabe wissen. Ich hoffe, nein, ich erwarte, dass sich das verbessert . Insgesamt soll die gesamte Sicherheitsüberprüfung transparenter gestaltet werden . In Zukunft sollen alle be- troffenen Personen über das Ergebnis ihrer Sicherheits- überprüfung informiert werden . Das gilt für abgelehnte wie für zugelassene Personen . Ein jede und ein jeder muss wissen, welche Hinderungsgründe für eine Ableh- nung in einem sicherheitssensiblen Bereich bestehen . Das muss heute Standard sein . Allerdings gibt es auch dort eine Ausnahme . Bewer- berinnen und Bewerber von Nachrichtendiensten des Bundes wird das Ergebnis nicht mitgeteilt . Denn auslän- dische Nachrichtendienste versuchen immer wieder mit fingierten Bewerbungen, den Kenntnisstand der Nach- richtendienste bzw . die Einstellungspraktiken auszu- kundschaften. Bei aller Offenheit, so leicht sollten wir es den ausländischen Diensten nicht machen . Deshalb kann ich diese Ausnahme auch gut mittragen . Aber das wissen die Bewerber auch . Bei solch einer Sicherheitsüberprüfung fallen natur- gemäß auch persönliche Daten an . Wir regeln nun in diesem Gesetz, dass, spätestens ein Jahr nachdem eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit nicht oder nicht mehr ausgeübt wird, die personenbezogenen Daten gelöscht werden müssen . Davon kann allerdings abgewichen wer- den, wenn die betroffene Person einer längeren Speiche- rung zustimmt, da sie anstrebt, in Zukunft erneut eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit auszuüben. Ich denke, wir haben hier einen sehr ausgewogenen Gesetzentwurf, den wir nun ins parlamentarische Verfahren geben . Für interessant halte ich die Anmerkungen der Bun- desrates zu diesem Entwurf: Es versteht sich von selbst, dass Bewerberinnen und Bewerber für so sensible Tä- tigkeiten ihre öffentlich zugänglichen Accounts sozialer Netzwerke und ihre eigenen Internetseiten angeben . Wir sollten uns dabei aber wirklich nicht nur auf die eigenen Seiten beschränken, sondern sollten auch die Möglich- keit nutzen, öffentlich zugängliche Seite einzusehen, die eben nicht von den Betroffenen verwaltet werden. In Zei- ten von mit Hassnachrichten explodierenden Komment- arzeilen von Onlinezeitungen und anderen Internetseiten erscheint es nur sinnvoll, eben auch diese für die Bewer- tung heranzuziehen . Es kann ja sein, dass jemand auf seinem Facebook-Profil nur Katzenbilder teilt. Das heißt aber nicht, dass dieser sich auf anderen Seiten nicht ras- sistisch oder extremistisch äußert . Das muss bei der Si- cherheitsüberprüfung berücksichtigt werden . Ich denke, das werden wir hier im Saal alle nachvollziehen können . Dr. André Hahn (DIE LINKE): Die letzte grundle- gende Reform des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes liegt Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22291 (A) (C) (B) (D) inzwischen fast ein Vierteljahrhundert zurück . Ange- sichts der seitdem eingetretenen Veränderungen durch wachsende Terrorgefahren und erhebliche technische Fortentwicklungen erscheint es nachvollziehbar, das entsprechende Gesetz einer intensiven Überprüfung zu unterziehen . Die Bundesregierung hat dazu nun einen Entwurf vorgelegt, den wir heute in erster Lesung behan- deln . Ich will eingangs für meine Fraktion Die Linke eines ganz klar festhalten: Auch aus unserer Sicht gibt es gute Gründe, in bestimmten hochsensiblen Bereichen genau hinzuschauen, wen man mit extrem sicherheitsrelevanten Aufgaben betraut . Exemplarisch nenne ich hier nur Flug- häfen, Atomkraftwerke und andere besonders kritische Infrastruktureinrichtungen . Und natürlich bestreitet auch niemand die Notwendigkeit von Vorsorgemaßnahmen gegen potenzielle Terroranschläge . Für manche dieser Bereiche, wie beispielsweise die AKWs, existieren eige- ne gesetzliche Grundlagen, für alle anderen greifen die Bestimmungen des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes . Mit dem nun vorliegenden Gesetzentwurf sollen die Regelungen zum materiellen Geheimschutz aus einer all- gemeinen Verwaltungsvorschrift in das Sicherheitsüber- prüfungsgesetz überführt werden . Das erscheint durch- aus sinnvoll; denn aus unserer Sicht ist eine gesetzliche Regelung einfachen und jederzeit änderbaren Verwal- tungsvorschriften in aller Regel vorzuziehen . Der uns vorgelegte Gesetzentwurf bringt jedoch in der Praxis kaum wirkliche Verbesserungen . Die Kriterien für die Einstufung als „Sicherheitsrisiko“ bleiben nach wie vor unscharf, wenig nachvollziehbar, und sie sollen vor allem auch künftig nicht anfechtbar sein . Einer solchen Fassung können und werden wir als Linke nicht zustim- men . Aus Platzgründen kann ich hier nur einige wenige Problemfelder ansprechen . Nach wie vor gibt es keine klare Definition, wer nach welchen Kriterien entscheidet, ob sich jemand einer Si- cherheitsüberprüfung unterziehen muss, und, falls ja, für welche Stufe dies erfolgt . Das Vorliegen eines Sicher- heitsrisikos wird durch die Novelle wesentlich weiter gefasst als bislang . Demnach sollen nun schon „mögli- che Anbahnungs- und Werbungsversuche“ ausländischer Nachrichtendienste als kriminell verdächtigter Vereini- gungen oder extremistischer Organisationen ausreichen, um als ein solches Sicherheitsrisiko angesehen zu wer- den . Vor derartigen Anbahnungsversuchen ist aber letzt- lich niemand wirklich gefeit, der zum Umgang mit Ver- schlusssachen ermächtigt ist . Zudem fehlen eindeutige Kriterien, wem die Ertei- lung der Sicherheitsüberprüfung aus welchen Gründen verweigert werden kann . Gleichzeitig nimmt der Gesetz- entwurf Erweiterungen bei der Überprüfung selbst vor . Dies führt zu einer immer stärkeren Durchleuchtung und Abfrage der Lebensumstände sowie des Umfeldes der zu überprüfenden Personen . Für die Betroffenen sind die Entscheidungen oft we- der nachvollziehbar noch anfechtbar . Es ist dringend ge- boten, ablehnende Bescheide über die Erteilung einer Si- cherheitsüberprüfung in Zukunft gerichtlich überprüfen lassen zu können . An der Frage, ob eine Sicherheitsüber- prüfung erteilt wird oder nicht, können im Zweifel ganze berufliche und auch familiäre Existenzen hängen, wenn jemand deshalb seinen Job verliert oder gar nicht erst be- kommt . Ohne einen klaren Kriterienkatalog und die ver- waltungsgerichtliche Überprüfbarkeit sind der Willkür Tür und Tor geöffnet. Auch deshalb plädieren wir dafür, dass die Betroffenen zu ihrer Anhörung von einem An- walt oder einer Person ihres Vertrauens begleitet werden können . Davon ist im vorliegenden Gesetzentwurf aller- dings leider keine Rede . Auch zukünftig sollen nicht näher definierte soge- nannte „amtliche Stellen des Bundes“ über die Einstu- fung von Verschlusssachen befinden. Jedes Ministerium, jedes Amt soll weiterhin völlig frei entscheiden können, was geheim ist und was nicht . Eine bundesweit einheit- liche Einstufungspraxis ist daher auch in Zukunft nicht zu erwarten . Wohin das führt, haben wir nicht zuletzt in parlamen- tarischen Untersuchungsausschüssen leidvoll erfahren müssen . In den letzten drei Jahren der großen Koaliti- on ist ein Trend zur immer restriktiveren Einstufung von Dokumenten festzustellen . Das behindert wirksame Kontrolle der Opposition . Teilweise werden sogar Fak- ten als geheim eingestuft, die bereits presseöffentlich waren . Zum anderen wird ein und dieselbe abgefragte Information in Bezug auf den BND als verschlusswür- dig angesehen, wohingegen die Antwort auf den gleichen Sachverhalt beim Verfassungsschutz offen erfolgt oder umgekehrt . Und schließlich: Aus unserer Sicht gibt es keinen Grund, warum unbedingt Geheimdienste, insbesondere das Bundesamt für Verfassungsschutz, die Sicherheits- überprüfungen durchführen müssen . Wir meinen, dass es in aller Regel ausreichen sollte, Abfragen bei der Poli- zei und den zuständigen Staatsanwaltschaften durchzu- führen . Durch eine solche Bindung an klassische Exe- kutivbehörden wäre zudem die verwaltungsgerichtliche Überprüfbarkeit der Ergebnisse auch deutlich einfacher umzusetzen . In der vorliegenden Form kann die Linke den Gesetz- entwurf nur ablehnen, sofern es im Ergebnis der Aus- schussberatungen nicht noch zu deutlichen Korrekturen kommt . Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der vorliegende Gesetzentwurf regelt Fragen des personellen und des materiellen Geheimschutzes . Wichtige Fragen bleiben dabei aber unbeantwortet, und manche Antwort, die gegeben wird, ist – bei näherer Betrachtung – gar kei- ne . Dafür findet der Antrag vermeintliche Lösungen für Probleme, die zwar in der Praxis bestehen mögen, ihre Ursache aber gerade nicht in der bestehenden gesetzli- chen Regelung haben . Das gilt in besonderem Maße für den Fall „Roque M .“, den die Presse den Maulwurf beim Verfassungsschutz nannte . Es geht um einen Mitarbeiter beim Verfassungsschutz, der für die Überwachung von mutmaßlichen islamistischen Attentätern zuständig war, Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722292 (A) (C) (B) (D) aber im Netz offen seine Sympathie für den IS erklärt haben soll . Darauf reagiert nun der vorliegende Gesetzentwurf und ordnet an, dass zukünftig „Einsicht in den öffentlich sichtbaren Teil der Profilseiten in sozialen Netzwerken und in öffentlich sichtbare eigene Internetseiten“ genom- men werden kann . Dabei können bereits nach geltender Rechtslage Daten aus allgemein zugänglichen Quellen einschließlich des Internets im Rahmen einer Bewerbung beim Bundesamt für Verfassungsschutz erhoben wer- den, wenn die Daten Feststellungen über die Eignung, Befähigung und Leistung des Bewerbers ermöglichen . Insbesondere hinsichtlich der Sicherheitsüberprüfungen beim BfV ist der Gesetzentwurf daher in erster Linie ein Placebo . Der Gesetzentwurf zielt aber auch darauf ab, die Wahrung der schutzwürdigen Interessen der Bewerber einzuschränken, wenn zukünftig höchstpersönliche Äu- ßerungen pauschal und ohne jeden Bezug zur Tätigkeit abgefragt werden sollen . Sinnvoll wäre vielleicht gewe- sen, sich einmal bereichsspezifisch zu fragen, welche Sachverhalte für die Überprüfung zum Zweck der jewei- ligen Tätigkeit überhaupt relevant sind . Denn nur ein im Einzelfall begründeter Überprüfungsbedarf verhindert Wertungswidersprüche, wenn das private Profil oder die eigene Homepage ohne nennenswerte Reichweite im Einzelfall beispielsweise viel weniger relevant sind als die Beiträge, die jemand für eine einschlägige Zeitschrift oder einen einschlägigen Blog schreibt . Im Sinne der Rechtssicherheit ist aber auch für die nötige Rechtsklarheit zu sorgen. Was ist der „öffentlich sichtbare Teil“ einer Profilseite in einem sozialen Netz- werk? Ist es der für wirklich jeden, also auch Nichtnutzer des Netzwerks, einsehbare Teil, oder ist es der für alle Nutzer des Netzwerkes unabhängig vom Zugriffsrecht bzw . Friend-Status einsehbare Teil? Diese Fragen sind wichtig, auch um einen gerechten Ausgleich zwischen dem öffentlichen Sicherheitsinteres- se und der Wahrung der Rechte und Interessen der Be- troffenen zu schaffen. Diese Ausgewogenheit kommt im vorliegenden Entwurf aber zu kurz . Das gilt auch für den materiellen Geheimschutz . Auch hier fehlt dem Gesetzentwurf die nötige Ausgewogenheit . Es genügt eben nicht, zu definieren, was als Verschluss- sache besonders geheim zu halten ist . In der Demokratie hat auch das Interesse, Sachverhalte öffentlich zu disku- tieren, besonderes Gewicht . Notwendig wäre mindes- tens ein einheitliches Verfahren, in dem die Einstufung als geheimhaltungsbedürftig verwaltungsseitig schnell und einfach überprüft werden kann . Die Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen hat dazu bereits in der letzten Wahl- periode einen eigenen Antrag mit dem Titel eingebracht: „Demokratie durch Transparenz stärken – Deklassifizie- rung von Verschlusssachen gesetzlich regeln“, Bundes- tagsdrucksache 17/6128 . Die gleichen Fragen haben uns aber auch beim Archivgesetz beschäftigt . Diese Fragen haben für die parlamentarische Kontrolle der Regierung und die Demokratie große Bedeutung, und gerade in si- cherheitspolitisch schwierigen Zeiten ist es wichtig, die demokratischen Institutionen zu stärken. Ich hoffe daher sehr, dass das parlamentarische Verfahren jetzt genutzt wird, die offenen Fragen zu klären und diesen Gesetzent- wurf so weiterzuentwickeln, dass er tatsächlich die De- mokratie und die Sicherheit gleichermaßen stärkt . Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister des Innern: Personen, die eine sicherheits- empfindliche Tätigkeit ausüben, werden sicherheitsüber- prüft. Dies betrifft sowohl den öffentlichen Bereich, also die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesbehör- den, als auch den Bereich der Wirtschaft . Seit nunmehr knapp 23 Jahren regelt das Sicherheitsüberprüfungsge- setz die Voraussetzungen und das Verfahren hierzu . Das Gesetz hat sich in dieser Zeit bewährt, aber es ist in die Jahre gekommen . In den vergangenen 23 Jahren hat sich unsere Gesellschaft stark verändert: Das Internet ist mittlerweile allgegenwärtig, immer mehr Menschen verbringen einen Teil ihres Lebens im Ausland und auch die Sicherheitsbedrohungen sind andere geworden . Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf trägt die Bundesregie- rung diesen veränderten Rahmenbedingungen Rechnung . Er ergänzt zunächst die Maßnahmen, die bei einer Sicherheitsüberprüfung durchzuführen sind, um aktuel- le Bedürfnisse: Soziale Netzwerke und Internetauftritte nehmen einen immer größeren Stellenwert ein und wer- den zunehmend als Selbstdarstellungs- und Kommunika- tionsplattformen genutzt . Vor diesem Hintergrund können wir gerade bei Sicher- heitsüberprüfungen vor Informationen im Internet nicht die Augen verschließen, sondern müssen diese als Er- kenntnisquelle nutzen . Sind die Informationen für jeden sichtbar ins Internet eingestellt – und damit öffentlich –, können sie daher nach dem Gesetzentwurf in einem ge- wissen Umfang insbesondere bei den für die Mitarbeiter und Bewerber der Nachrichtendienste durchzuführenden Sicherheitsüberprüfungen berücksichtigt werden . Der Bundesrat hat hierzu in seiner Stellungnahme zum Ge- setzentwurf eine Ausdehnung des Umfangs der Recher- chen, vor allem aber auch des davon betroffenen Perso- nenkreises gefordert . Darüber wird im weiteren parlamentarischen Ver- fahren zu reden sein . Die Bundesregierung verschließt sich dieser Diskussion nicht, und ich hoffe, dass wir hier gemeinsam eine Lösung finden, die der Bedeutung von sicherheitsrelevanten Informationen im Internet gerecht wird . Doch nicht nur das Internet verbindet uns mit der Welt . Es ist mittlerweile weit verbreitet, dass Menschen Teile ihres Lebens im Ausland verbringen . Das Studiensemester in den USA, der nächste Karrie- reschritt durch ein berufliches Angebot in Polen oder die Entsendung an die deutsche Botschaft in Brasilien, sol- che Stationen sind in Lebensläufen längst keine Selten- heit mehr . Diese Auslandsaufenthalte machen bei Sicher- heitsüberprüfungen grundsätzlich eine Zusammenarbeit mit ausländischen Stellen notwendig, die in dem vorlie- genden Gesetzentwurf erstmals explizit geregelt wird . Bildet der Aufenthalt im Ausland den Lebensmittel- punkt, muss auch die dort verbrachte Zeit sicherheits- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22293 (A) (C) (B) (D) mäßig bewertet werden . Sonst entstehen Lücken in der Überprüfung, die nicht kalkulierbare Sicherheitsrisiken mit sich bringen können . Bei der Kooperation mit ausländischen Stellen werden auch immer die schutzwürdigen Interessen der betroffe- nen Personen berücksichtigt. Der Gesetzentwurf defi- niert klar diejenigen Daten, die zum Zwecke einer An- frage an ausländische Stellen übermittelt werden dürfen, und begrenzt sie somit zugleich . Zudem ist eine Anfrage im Ausland immer von der Zustimmung der betroffenen Person abhängig . Sie hat damit die Letztentscheidung über die Datenübermittlung . Durch Berücksichtigung dieses Zweiklangs von öffentlichem Interesse an der An- frage und den schutzwürdigen Interessen der betroffenen Person erzielt der Entwurf eine praxistaugliche Lösung für die Herausforderung der Globalisierung . Doch es gehen nicht nur Deutsche ins Ausland, son- dern es kommen auch Ausländer nach Deutschland . Der Gesetzentwurf schafft daher die Möglichkeit, im Rahmen von Sicherheitsüberprüfungen in bestimmten Fällen künftig auch auf Daten aus dem Ausländerzen- tralregister zuzugreifen . Mit dieser Anpassung wird eine wichtige Erkenntnisquelle erschlossen, die bereits in fünf Sicherheitsüberprüfungsgesetzen der Länder, im Luftsi- cherheitsgesetz und im Atomgesetz zur Verfügung steht . Die Maßnahme trägt damit auch dazu bei, ein vergleich- bares Niveau der verschiedenen Überprüfungsarten zu gewährleisten . Der veränderten Sicherheitslage trägt der Gesetzent- wurf mit der Erweiterung der möglichen Ablehnungs- gründe bei Sicherheitsüberprüfungen Rechnung . Die bis- herige Fokussierung auf ausländische Nachrichtendienste bei Anbahnungs- und Werbungsversuchen in Bezug auf Personen, die eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit aus- üben, ist überholt . Es ist vielmehr davon auszugehen, dass auch kriminelle, extremistische oder gar terroristi- sche Vereinigungen an Informationen über den Wissens- stand der Sicherheitsbehörden interessiert sind und ver- suchen werden, sich Zugang zu diesen Informationen zu verschaffen. Entsprechend müssen diese Gruppierungen im Sicherheitsüberprüfungsgesetz berücksichtigt wer- den. Besteht für eine Person in sicherheitsempfindlicher Tätigkeit eine besondere Gefährdung, beispielsweise weil sie für solche Gruppierungen erpressbar ist, darf sie nicht länger in diesem Aufgabenbereich eingesetzt wer- den. Besonders sensible Informationen, die im öffentli- chen Interesse geheim gehalten werden, sind aber nicht nur dadurch bedroht, dass Innentäter diese weitergeben könnten; auch Versuche von Unbefugten, ohne Hilfe von innen an diese Informationen zu gelangen, sind keine Seltenheit . Hier hilft das Instrument der Sicherheitsüberprüfung wenig . Wichtig sind an dieser Stelle vielmehr die orga- nisatorischen und technischen Vorkehrungen zum Schutz von Verschlusssachen, also ein funktionierender mate- rieller Geheimschutz . Dessen Grundsätze werden mit dem vorliegenden Entwurf erstmals auf Gesetzesebene verankert, und die bislang nur untergesetzlichen Bestim- mungen werden damit aufgewertet . Da es nicht ausreicht, nur zum Zeitpunkt der Durchführung der Sicherheits- überprüfung ein hohes Sicherheitsniveau zu erreichen, sondern dieses hohe Niveau über den gesamten Zeitraum der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit konstant aufrecht- zuerhalten ist, werden nunmehr regelmäßige Wiederho- lungsüberprüfungen für alle Arten der Sicherheitsüber- prüfung eingeführt . Der Entwurf sieht vor, bereits fünf Jahre nach erfolgreichem Abschluss der Erstüberprüfung die Maßnahmen der einfachen Sicherheitsüberprüfungen erneut durchzuführen; nach zehn Jahren steht dann die große Wiederholungsüberprüfung mit erneuter Durch- führung aller Maßnahmen an . Lassen Sie mich zusammenfassend sagen: Der vor- liegende Entwurf schafft ein modernes Sicherheitsüber- prüfungsgesetz, das den Herausforderungen unserer Zeit gerecht wird, das Gesamtgefüge der Sicherheitsgesetze sinnvoll ergänzt und die Sicherheit in unserem Land da- mit nachhaltig stärkt . Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden Zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/1148 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 2016 über Maßnahmen zur Gewährleistung eines hohen ge- meinsamen Sicherheitsniveaus von Netz- und In- formationssystemen in der Union (Tagesordnungs- punkt 27) Clemens Binninger (CDU/CSU): Die IT-Sicher- heitslage in der Bundesrepublik ist in den vergangenen Wochen, Monaten und Jahren zu Recht häufig themati- siert worden. Wir alle erinnern uns an den Cyberangriff auf die Telekom im vergangenen Jahr. Der Angriff, der bei knapp 1 Million Routern zu Störungen geführt hat, hat deutlich gezeigt, dass viele Systeme angreifbar sind und dass diese Systeme auch angegriffen werden. Wir erleben auch, dass die Zahl der Cyberangriffe insgesamt stark zunimmt . Die Sicherheit der digitalen Infrastruk- tur ist in der heutigen Gesellschaft daher von höchster Relevanz. Viele Bereiche des privaten und beruflichen Lebens der Bürgerinnen und Bürger und auch der Wirt- schaft wären ohne eine funktionierende und sichere IT so nicht mehr denkbar . Daher ist es dringend notwendig, eu- ropaweit ein hohes Sicherheitsniveau zum Schutze aller EU-Bürger zu gewährleisten . Auch bei uns in Deutsch- land wurde die Bedeutung der Bedrohung im Cyberraum in der Vergangenheit lange unterschätzt . In den letzten Jahren haben wir auf nationaler Ebene bereits einiges erreicht: der Umbau des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik, BSI, die Einrich- tung des Nationalen Cyber-Abwehrzentrums, der Natio- nale Cyber-Sicherheitsrat und zuletzt die Umsetzung des IT-Sicherheitsgesetzes . Neben diesen wichtigen nationa- len Maßnahmen benötigen wir jetzt vor allem auf europä- ischer Ebene eine verbesserte Zusammenarbeit . Deshalb war es auch wichtig, dass das Europäische Parlament mit der NIS-Richtlinie gemeinsame Regeln zum Schutz vor diesen neuen Gefahren beschlossen hat . Bereits mit dem Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722294 (A) (C) (B) (D) IT-Sicherheitsgesetz haben wir in Deutschland die meis- ten Vorgaben dieser Richtlinie erfüllt und sind mit gutem Beispiel vorangegangen . Mit dem IT-Sicherheitsgesetz haben wir bereits eine gesetzliche Meldepflicht für Betreiber kritischer Infra- strukturen geschaffen. Diese Meldepflicht wird jetzt mit dem vorliegenden Gesetzentwurf auch auf digitale Dienste wie Onlinemarktplätze und Suchmaschinen aus- geweitet und erfüllt damit die Vorgaben der EU-Richtli- nie. Gerade diese Meldepflicht ist zur Erstellung eines Lagebilds unabdingbar . Nur dadurch können wir nach- vollziehen, wie umfangreich die Angriffe sind und wel- che neue Schadsoftware im Umlauf ist . Durch den vorliegenden Gesetzentwurf werden die Befugnisse des BSI zur Überprüfung der technischen und organisatorischen Sicherheitsanforderungen erwei- tert und die rechtlichen Grundlagen für den Einsatz von Mobilen Incident Response Teams, MIRTs, geschaffen, die andere Stellen bei Bedarf, bei der Abwehr von Cy- berangriffen mit besonders hoher technischer Qualität, vor Ort unterstützen können . Zusätzlich wird es dem BSI ermöglicht, die Einhaltung der Vorgaben bei Betreibern von kritischer Infrastruktur vor Ort zu kontrollieren . Da- mit stärken wir das BSI weiter bei der Bündelung der Kompetenzen im Cybersicherheitsbereich und verbes- sern den Schutz von Staat, Wirtschaft und der Bevölke- rung vor Angriffen. Diese Erweiterung der Befugnisse des BSI ist nach den Angriffen der letzten Jahre auch dringend notwen- dig . Dabei ist aber auch zu betonen: Die Befugniserwei- terung des BSI darf den Datenschutz nicht untergraben . Um dies zu gewährleisten, werden daher auch weiterhin keine sensiblen Daten erfasst . Alle personenbezogenen Daten, die für die Wiederherstellung der Sicherheit bei Betreibern kritischer Infrastruktur wichtig sind, werden deshalb sofort gelöscht, wenn sie nicht mehr benötigt werden. Zudem verpflichten wir das BSI mit dem vor- liegenden Entwurf, bei grenzüberschreitenden Vorfällen die Behörden des jeweiligen EU-Staates zu informie- ren . Diese internationale Kooperation ist für ein hohes Schutzniveau in der gesamten Union mitentscheidend und wird deshalb auch zu Recht in der EU-Richtlinie ge- fordert . Neben den bereits erwähnten Maßnahmen zeigt auch die Einrichtung der Zentralen Stelle für Informations- technik im Sicherheitsbereich, ZITiS, im Bundesinnen- ministerium, welche Bedeutung der Cybersicherheit von den Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung zuge- messen wird . Bei der Diskussion über Cyberangriffe muss man aber auch immer erwähnen – und das ist durch die Angriffe in der Vergangenheit auch mehr als deutlich geworden –: Eine absolute Sicherheit vor solchen Angriffen gibt es nicht . Mit dem IT-Sicherheitsgesetz haben wir es aber geschafft, einheitliche Mindeststandards in der Bundes- republik zu schaffen. Die Umsetzung der Richtlinie ist für die europäische Zusammenarbeit im Bereich Cybersicherheit ein wich- tiges Signal und zeigt, dass wir unserer Vorreiterrolle in Europa nun auch endlich im Bereich der Cybersicherheit gerecht werden . Gerold Reichenbach (SPD): Die Digitalisierung durchdringt unser Leben immer weiter in nahezu allen Bereichen, ein Ende ist nicht absehbar . Das bereits heute bestehende Ausmaß an Vernetzung unserer Alltags- und Arbeitswelt, der Industrie und der Wirtschaft, dem Ge- sundheitswesen und vielem mehr macht uns in hohem Maße anfällig für Angriffe im und aus dem Cyberraum. Sicherheitslücken und Cyberangriffe können dramati- sche Folgen haben. Der Angriff auf Internetrouter Ende vergangenen Jahres, bei dem auch großflächig Router der Telekom ausfielen und circa 1 Million Kunden be- troffen waren, oder auch der Hackerangriff, der das Krankenhaus Neuss Anfang 2016 lahmgelegt hat, lassen erahnen, was für ein Gefahrenpotenzial im Bereich unsi- cherer IT-Produkte schlummert und wie sehr ihr Ausfall das öffentliche Gemeinwesen schädigen kann. Um sol- che Situationen geht es bei der Umsetzung der Richtlinie zur Gewährleistung eines hohen gemeinsamen Sicher- heitsniveaus von Netz- und Informationssystemen in der Europäischen Union, über die wir hier in erster Lesung beraten . Wir begrüßen daher diese vom Europäischen Parla- ment vorgelegte Richtlinie . Sie bildet die Grundlage für einen einheitlichen europäischen Rechtsrahmen, einen EU-weiten Ausbau nationaler Kapazitäten für die Cy- bersicherheit und eine stärkere Zusammenarbeit der Mit- gliedstaaten in diesem Bereich . Dies ist wichtig, denn IT-Sicherheit ist längst keine nationale Frage mehr . Es werden außerdem Mindestanforderungen und Melde- pflichten nicht nur für die Betreiber wesentlicher Diens- te, also für Betreiber kritischer Infrastrukturen, sondern auch für die Betreiber bestimmter digitaler Dienste ge- schaffen. Deutschland ist mit dem IT-Sicherheitsgesetz von 2015 bereits gut aufgestellt . Vorausschauend haben wir hier bereits mit Blick auf die NIS-Richtlinie viele Regelungen, die die Richtlinie nun vorgibt, umgesetzt, sodass die jetzt nötigen Änderungen gering gehalten wer- den können . Die Anforderungen der Richtlinie, die über das beste- hende IT-Sicherheitsgesetz hinausgehen, sind sinnvoll . Die Meldepflichten und stärkeren materiellen Vorgaben für Unternehmen, die nun beispielsweise Konzepte zur Bewältigung von Sicherheitsvorfällen vorlegen müssen, erachten wir als dringend erforderlich . Aktuelle Cyber- angriffe im Telekommunikationsbereich haben gezeigt, dass die Meldewege von der Bundesnetzagentur zum BSI bei Vorfällen in Telekommunikationsnetzen nicht mehr gerecht werden . Insbesondere der Telekom-Vorfall hat gezeigt, dass Meldewege optimiert werden müssen . Wir begrüßen daher auch die mit dem Umsetzungsgesetz eingeführte Doppelmeldepflicht von Sicherheitsvorfällen beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstech- nik und bei der Bundesnetzagentur . Durch die parallele Meldung wird es dem BSI ermöglicht, seine Ressourcen und Kompetenzen zeitnah und besser einzusetzen . Zur Erhöhung des Niveaus der Cybersicherheit wird das BSI insbesondere durch die Nachweis- und Meldepflichten der Betreiber kritischer Infrastrukturen weiter gestärkt . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22295 (A) (C) (B) (D) Fortan müssen zudem nicht nur Ausfälle, sondern auch erhebliche Störungen gemeldet werden . Wir wollen uns den vorliegenden Gesetzentwurf noch näher anschauen mit Blick auf die Frage, wo sich aus den jüngsten Sicherheitsvorfällen noch weiterer Bedarf zur gesetzlichen Reaktion ergibt . Besonderes Augenmerk liegt dabei darauf, wie Sicherheitslücken in IT-Endgerä- ten, wie beispielsweise jene im genannten Router-Vor- fall, vermieden werden können, aber auch, welche Mög- lichkeiten Netzbetreiber benötigen, um künftig Angriffe schneller abwehren oder sogar verhindern zu können . Denn je mehr beispielsweise die klassische Telefonie auf Voice-over-IP übergeht – und in wenigen Jahren wird Telefonie flächendeckend über Voice-over-IP laufen –, desto mehr ist auch die Möglichkeit der Absetzung ei- nes Notrufs von einer funktionierenden Internetverbin- dung abhängig . So werden zum Beispiel Router Teil einer sicherheitsrelevanten Infrastruktur . Aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion besteht darum auch im Bereich der Produkthaftung und der Einführung eines verlässli- chen Gütesiegels Handlungsbedarf . Da zunehmend alles mit allem vernetzt ist – Stichwort Internet der Dinge/ Internet of Things, IoT –, stellt sich immer drängender die Frage, wie die IT-Sicherheit der vernetzten Dinge sichergestellt werden kann und wer in der Haftung ist . Denn nicht nur offensichtlich internetfähige Geräte wie Computer, Smartphones und Tablets sind heutzutage vernetzt und eine potenzielle Gefahrenquelle, auch All- tagsgegenstände wie Wecker, Zahnbürsten, Babyphones, Kaffeemaschinen und Kühlschränke sind heute mit einer IP-Adres se ausgestattet und damit internetfähig . Das In- ternet der Dinge hat in einem sehr kurzen Zeitraum eine enorme Größe erreicht. Selten finden bei diesen Geräten Softwareupdates statt – oft weil die Hersteller keine si- cheren Produkte auf den Markt bringen, oft weil die Nut- zerinnen und Nutzer keine Softwareupdates durchführen oder diese auch nicht mehr zur Verfügung stehen . So ent- stehen weltweit bei Millionen Geräten Sicherheitslücken . Diese Geräte können leichter gehackt und für den Aufbau von Bot-Netzen und DDoS-Angriffe genutzt werden, die zu weiteren Ausfällen von Diensten und von ganzen Inf- rastrukturteilen führen können . So werden Massenwaren, die von jeder Privatperson gekauft werden können, zum Bestandteil einer kritischen Infrastruktur . Sicherheits- mängel bei privat erworbenen und genutzten Geräten werden so zu einem Sicherheitsrisiko für ganze Teile der Bevölkerung, wenn diese Geräte gehackt als Teil ei- nes Bot-Netzes beispielsweise für den Angriff auf einen Wasserversorger genutzt werden können . Ein Gütesiegel, basierend auf BSI-Mindeststandards halten wir daher für einen wichtigen ersten Schritt, um die Angreifbarkeit von IT-Produkten einzudämmen . Selbstverständlich macht das Internet nicht an natio- nalen Grenzen Halt . Insofern gilt es, europäische und in- ternationale Lösungen und Standards für diesen Bereich zu finden und durchzusetzen. Deutschland sollte hier mit gutem Beispiel vorangehen und eine Vorreiterrolle ein- nehmen . Denn ein hohes Maß an IT-Sicherheit bedeutet nicht nur eine Erhöhung der öffentlichen Sicherheit, son- dern auch einen Standortvorteil für Wirtschaft und Un- ternehmen . Wir sollten Regelungen für die Erhöhung der Sicherheit von IT-Produkten durch die Einführung eines Gütesiegels im weiteren gesetzgeberischen Verfahren da- her prüfen . Martina Renner (DIE LINKE): Die Bundesregierung hat sich vorgenommen, die Richtlinie zur Verbesserung der Netz- und Informationssicherheit, NIS-Richtlinie, in nationales Recht zu überführen . Wesentliche Regelun- gen der sogenannten NIS-Richtlinie allerdings wurden bereits mit dem im Sommer 2016 in Kraft getretenen deutschen IT-Sicherheitsgesetz umgesetzt . Dies betraf beispielsweise die sogenannten wesentlichen Dienste, sprich: Betreiber kritischer Infrastrukturen aus den Be- reichen Energie, Informationstechnik und Telekommu- nikation, Transport und Verkehr, Gesundheit, Wasser, Ernährung sowie Finanz- und Versicherungswesen . Sei- nerzeit nicht adressiert wurden die von der europäischen Richtlinie bereits erfassten „digitalen Dienste“ . Das sind Onlinemarktplätze, Suchmaschinen und Cloud-Compu- ting-Dienste . Diese Regelungslücke soll nun geschlossen werden . So weit, so scheinbar unspektakulär . Doch wer- den bei näherem Hinsehen drei grundlegende Mängel im Regierungsentwurf deutlich . Erstens . Rechtssicherheit für die Anbieter von „digi- talen Diensten“ wird nicht erreicht . Der Regierungsent- wurf zum Umsetzungsgesetz bleibt sowohl in der Defi- nition als auch in der Konkretion der Anforderungen für digitale Diensteanbieter völlig unbestimmt . Insbesondere bleibt unbeantwortet, wie diese von den bereits im Rah- men des IT-Sicherheitsgesetzes regulierten Anbietern von Telemediendiensten abzugrenzen sind . Im Zweifel müssten sich die Anbieter an beide Regelungen halten . Geschaffen wird so eine Doppelregulierung und ein un- durchsichtiges Dickicht an Sicherheitspflichten. Beides läuft der Gewährleistung der Netz- und Informationssi- cherheit und damit dem Zweck der Richtlinie zuwider . Weder Verbrauchern noch Anbietern ist damit gedient . Dringend notwendig ist es daher, eine inhaltliche Syste- matisierung der IT-Sicherheitspflichten für alle Anbieter und Dienste vorzunehmen . Zweitens . Das Bundesamt für Sicherheit in der Infor- mationstechnik, BSI, wird mit dem Umsetzungsgesetz weiter zu einer operativen Behörde ausgebaut . Erstmals erhält es operative Befugnisse zur Cyberabwehr, um mit eigenen Kräften – wie es im Entwurf des Gesetzestextes heißt – bei der „Wiederherstellung der Sicherheit oder Funktionsfähigkeit informationstechnischer Systeme“ mitwirken zu können . Zum Ausdruck kommt die Aus- weitung des Aufgabenbereichs auch in einem erneuten Stellenaufwuchs . Wurden dem BSI mit Verabschiedung des IT-Sicherheitsgesetzes bereits 220 Stellen zusätzlich zugewiesen, so kommen nun noch einmal 181,5 Stellen hinzu . Zugleich wird die Behörde allerdings nicht institutio- nell gestärkt, sondern bleibt dem Bundesinnenministeri- um unterstellt . Die Unabhängigkeit des BSI ist nicht ge- währleistet . Der Präsident des BSI hat gerade erst erklärt, bei Ermittlungen zu Cyberattacken müssten am Ende Indizien interpretiert werden . Dies bedarf natürlich einer Unabhängigkeit der Untersuchungsbehörde . Zudem wird das schwammige Verhältnis des BSI zu den polizeilichen Sicherheitsbehörden und den Geheimdiensten von der Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722296 (A) (C) (B) (D) Bundesregierung ausdrücklich gewollt . Dessen intensive Zusammenarbeit mit BND, BfV und MAD national via Cyber-Abwehrzentrum oder international in der Koope- ration mit der NSA soll nicht durchbrochen werden . Das Vertrauensproblem der für die Cyberabwehr zuständigen Bundesbehörde wird auf diese Weise nicht gelöst . Ge- rade die Sensibilität der beim BSI gesammelten Infor- mationen über Sicherheitslücken und -strukturen sowie der Umgang mit persönlichen Daten aus Unternehmen und von Privatpersonen erfordert zwingend, sie als un- abhängige Bundesbehörde mit unzweideutigem Sicher- heitsauftrag aufzustellen . Drittens . Die Bundesregierung verzichtet erneut da- rauf, Regelungen zur Produktsicherheit und Produkthaf- tung für IT-Produkte und IT-Dienste einzuführen . Das war bereits bei Verabschiedung des IT-Sicherheitsgeset- zes der Fall und ist es jetzt erneut . Ausgangspunkt von Sicherheitsproblemen aber sind in den allermeisten Fäl- len Sicherheitslücken in der eingesetzten Software . Zum Kern des Problems in der IT-Sicherheit vorzudringen, heißt daher, Haftungsverschärfungen für IT-Sicherheits- mängel im IT-Sicherheitsrecht aufzunehmen . Aus diesen Gründen werden wir dem Umsetzungsge- setz nicht zustimmen und uns enthalten . Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das Smartphone wird zum verwanzten, ja fast allgegenwärtigen Begleiter, das Smart TV zum Schlüs- selloch Per-Remote-Control ins Büro oder Wohnzimmer . Der aktuelle CIA-Leak fügt sich ein in die Reihe digitaler Sicherheitsvorfälle auf ganz unterschiedlichen Feldern: von den Snowden-Enthüllungen über die Stuxnet-At- tacke bis zu ausgefallenen Telekom-Routern, gehack- ten Mittelständlern und Krankenhäusern oder auch den jüngst stundenlang blockierten Servern im Deutschen Bundestag . All dies sollte auch den letzten tatsächlich oder auch nur vorgeblich Ahnungslos-Gutgläubigen in verantwortlicher Position zeigen: Was fehleranfällig ist, wird auch zu Fehlern führen, was potenziell hackfähig ist, das wird auch mit hoher Wahrscheinlichkeit gehackt werden, und zwar rund um die Uhr, weltweit . In einer immer digitalisierteren Welt birgt die Frage nach der Sicherheit unserer digitalen Infrastruktur und Kommunikation multiple systemische Risiken in so gut wie jedem Gesellschaftsbereich . Eigentlich sollte dies im Jahr 2017 eine Binsenerkenntnis sein, ist es jedoch angesichts einer Bundesregierung nicht, die immer nur in Sonntagsreden die Wichtigkeit und Dringlichkeit des Themas betont, wenn es aber im eigenen Verantwor- tungsbereich konkret wird, wieder einmal nur unbeteiligt mit den Schultern zuckt, sie es wieder und wieder sagt – selbst um Mitternacht in einer übervollen Tagesordnung nur zu Protokoll . Allein dieser Debattenplatz widerspricht den großen Worten, die an anderer Stelle auf Podien und in Interviews so gern in den Mund genommen werden . Denn auch wenn es sich bei den CIA-Operationen offen- bar um gezielte Maßnahmen handelt, beruhen sie doch auf Sicherheitslücken in verbreiteten Betriebssystemen, die auf einem grauen Markt gehandelt und zum Schaden der Allgemeinheit offengehalten und ausgenutzt werden, statt umgehend gemeldet und geschlossen zu werden . Hier mischen neben Kriminellen offensichtlich auch Geheimdienste mit, die sie wiederum mit Steuergeldern bei ihren Exploit-Ankäufen auch noch subventionieren . Zudem zeigt der CIA-Leak nach den Snwoden-Enthül- lungen abermals auf, dass selbst diese hochgerüsteten Akteure ihre eigenen Daten und Informationen nicht zu sichern in der Lage sind . Bezeichnend ist, dass die Bundesregierung es noch in ihrer letzten Cybersicherheitsstrategie fertig brachte, die Erkenntnisse der Aufklärungsarbeit seit Snowden nicht auch nur mit einem Wort zu erwähnen . Es ist und bleibt der Kardinalfehler dieser Großen Koalition, die- ses Thema weitgehend dem Bundesinnenminister und den Sicherheitsbehörden zu überlassen . Solange dies so ist, werden noch so richtige Ansätze auf dem Papier und noch so löbliche Anstrengungen der zuständigen Stellen an dieser immanenten sicherheitspolitischen Ambivalenz scheitern . Wie will denn der Staat für Vertrauen in Sachen digi- taler Sicherheit sorgen, wenn sich beispielsweise ein be- troffener Betreiber einer kritischen Infrastruktur gar nicht sicher sein kann, dass ebendiese staatlichen Stellen nach seiner Meldung einzig und allein an der umgehenden Lösung seines Sicherheitsproblems interessiert sind und nicht an dessen Offenhaltung zu ganz anderen Zwecken? So verwundert es kaum, dass die Zahlen der gemelde- ten Anlagen und Betreiber in den vom IT-Sicherheits- gesetz bereits berücksichtigten Branchen ebenso hinter den großspurigen Ankündigungen zurückbleiben wie die wenigen erfassten Störfälle im Vergleich zum realis- tisch zu erwartenden Umfang der Problematik . Es fehlt der Bundesregierung in diesem so sensiblen und immer komplexeren Feld bereits am notwendigen Überblick des Marktes – von umfassenden Lösungsansätzen und dem politischen Willen zu ihrer Umsetzung ganz zu schwei- gen . Hier scheinen sich die Befürchtungen zu bestätigen, wonach Unternehmen aufgrund des Kosten- und Kont- rolldrucks umfassende Meldungen scheuen und damit die Erfassung des eigentlichen Umfeldes völlig unzu- reichend erfolgt . Umso unverständlicher ist es, dass bei den bisher nach dem deutschen IT-Sicherheitsgesetz ge- meldeten Störfällen dem Parlament trotz wiederholter Nachfragen pauschal nähere Informationen verweigert werden . Und just hier setzt nun auch die Europäische Union mit der NIS-Richtlinie in vielen Punkten strengere Nach- weis- und Meldepflichten vor. Doch solange bei der Er- hebung, Verarbeitung und Weitergabe von Daten zu die- sen hochsensiblen Vorgängen weiterhin die Abgrenzung gegenüber Sicherheitsbehörden und Geheimdiensten so unklar geregelt bleibt wie in diesem Gesetzentwurf, wird sich an der Zögerlichkeit der Betreiber wenig än- dern . Umso atemloser werden nun kurzlebige Strategien, Abwehrzentren und zuletzt gar Cyberwehrpläne präsen- tiert . Diesem Aktionismus ist auch geschuldet, dass das erst 2015 verabschiedete IT-Sicherheitsgesetz bereits nach einem Jahr in vielen Punkten von der NIS-Richtli- nie überholt wurde . Anstatt die Vorlage aus Brüssel ab- zuwarten, wollte das Innenministerium partout vor der Europäischen Kommission punkten und darf nun das Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22297 (A) (C) (B) (D) eigene Gesetz überarbeiten, das aufgrund der fehlenden Verordnungsbasis in den unterschiedlichen Bereichen der kritischen Infrastrukturen noch nicht einmal umge- setzt war . Aber auch im zweiten Versuch versäumt nun die Bundesregierung überfällige Korrekturen, sei es bei der Rechtsunsicherheit im Bereich der digitalen Dienste, sei es beim so wichtigen Haftungsansatz, sei es bei der pauschalen Ausnahme in eigener Sache, nämlich diese Sicherheitsvorgaben auch auf die öffentliche Verwaltung anzuwenden . Demgegenüber gälte es, dieser Problematik umfas- send, entschlossen und gut koordiniert zu begegnen . Die Zuständigkeiten der Cybersicherheitsfragen müssen dringend zusammengeführt werden . Neben der notwen- digen Ausstattung bedarf es vor allem der entsprechen- den Unabhängigkeit, um als vertrauenswürdiger Akteur auch ernst und angenommen zu werden . Umso mehr stellt sich diese Frage, als das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik nun abermals ausgebaut wird und immer noch im Schatten des Bundesinnenministeri- ums agieren muss . Darüber hinaus gilt es auf allen Ebenen die IT-Resi- lienz strukturell zu stärken, angefangen bei der Sicher- heit einzelner IT-Produkte sowie tragender Softwarele- mente des Internets bis hin zum präventiven Umgang mit der inhärenten Verletzlichkeit dieser Systeme . Hier stellen sich wegweisende Fragen, die in viel größerem Kontext – international wie zivilgesellschaftlich – unter Einbeziehung zahlreicher Akteure auf eine ganze andere Basis gestellt gehören . Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister des Innern: Cybervandalismus ist eine ernste Bedrohung für unsere Gesellschaft . Lassen Sie mich nur eine Zahl herausgreifen: 70 Prozent der größeren Unter- nehmen in Deutschland waren bereits von einem Cyber- angriff betroffen. Die Zeit der digitalen Sorglosigkeit ist vorbei . Unsere Anstrengung richtet sich darauf, Deutsch- land zu einem der sichersten digitalen Standorte weltweit zu machen . Wir haben für Deutschland im letzten Jahr daher das IT-Sicherheitsgesetz auf den Weg gebracht . Dies war ein bedeutender Meilenstein der nationalen Digitalisierungspolitik . Wir haben damit bereits einen Rechtsrahmen, bei dem Staat und Wirtschaft für mehr Cybersicherheit zusammenarbeiten . Auf europäischer Ebene soll durch die sogenannte NIS-Richtlinie mehr Cybersicherheit in der gesamten EU erreicht werden . Das deutsche IT-Sicherheitsgesetz war die Blaupause für die Verhandlungen in der EU, die die Bundesregierung so in wesentlichen Punkten mitgestalten konnte . Der vorgelegte Gesetzentwurf setzt die Vorgaben die- ser EU-Richtlinie nun um . Ziel der Richtlinie ist es, in al- len Mitgliedstaaten Kapazitäten der Cybersicherheit auf- zubauen und wie in Deutschland Betreiber von kritischen Bereichen stärker in die Pflicht zu nehmen. Aufgrund des IT-Sicherheitsgesetzes und der ständig fortgeschriebenen Maßnahmen besteht bei uns nur sehr geringer Umset- zungsbedarf. Dies betrifft erstens den Schutz kritischer Infrastrukturen nach dem Gesetz über das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, BSIG, sowie Spe- zialgesetze für bestimmte Branchen . Soweit noch nicht erfolgt, müssen diese spezialgesetzlichen Regelungen auf das nach dem Gesetz über das Bundesamt für Sicher- heit in der Informationstechnik, BSIG, geltende Niveau angehoben werden . Die NIS-Richtlinie verpflichtet uns zu einer umfassen- deren Vorabkontrolle der Betreiber kritischer Infrastruk- turen . Die Aufsicht durch das BSI muss so angepasst werden, dass dies möglich ist . Der kooperative Ansatz des IT-Sicherheitsgesetzes, der auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Betreibern setzt, soll aber Prä- misse für das Handeln des BSI bleiben . Zweitens muss das BSIG um Regelungen zu Sicher- heitsanforderungen und Meldepflichten für Anbieter der sogenannten digitalen Dienste ergänzt werden: On- linemarktplätze, Suchmaschinen und Cloud-Compu- ting-Dienste . Die NIS-Richtlinie führt für diese Dienste wegen ihrer übergeordneten Bedeutung für das Internet europaweit einheitliche Vorgaben ein . Der Gesetzent- wurf orientiert sich daher weitestgehend am Wortlaut der Richtlinie . Schließlich verpflichtet die NIS-Richtlinie die Mit- gliedstaaten auch, wirksame Maßnahmen für ein Incident Response, das heißt zur Bewältigung konkreter Vorfälle, zu treffen. Es soll deshalb auch eine Rechtsgrundlage für den Aufbau mobiler Einsatzkräfte, Mobile Incident Response Teams, beim BSI geschaffen werden. Wie in der vom Kabinett im November verabschiedeten „Cy- ber-Sicherheitsstrategie für Deutschland 2016“ vorgese- hen, sollen diese Teams künftig die Verwaltung, kritische Infrastrukturen und vergleichbare Einrichtungen unter- stützen können, wenn daran ein öffentliches Interesse besteht . Deutschland hat bei der Cybersicherheit in Europa eine Vorreiterrolle inne . Trotzdem – und auch gerade deshalb – können wir Cybersicherheit nur gewährleis- ten, wenn wir weiterhin erfolgreich mit unseren Partnern zusammenarbeiten und uns aktiv in die Gestaltung der Rahmenbedingungen in Europa einbringen . Hierzu gilt es jetzt, die Vorgaben der NIS-Richtlinie rechtzeitig und zeitnah umzusetzen. Hiermit schaffen wir die Vorausset- zungen dafür, dass das IT-Sicherheitsgesetz EU-weit als Vorbild dienen kann, und werden wir unserer Vorreiter- rolle in Europa gerecht . Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung des elektronischen Identitätsnachweises (Tages- ordnungspunkt 28) Heinrich Zertik (CDU/CSU): In erster Lesung spre- chen wir heute über das Gesetz zur Förderung des elekt- ronischen Identitätsnachweises . Der elektronische Iden- titätsnachweis im handlichen Format ersetzte den alten Personalausweis, weil er den Zugang in die digitale Welt sicher und verlässlich für alle Nutzerinnen und Nutzer Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722298 (A) (C) (B) (D) öffnet. Seit 2010 wird der elektronische Identitätsnach- weis ausgegeben . Im Regierungsprogramm „Digitale Verwaltung 2020“ hatten wir festgelegt, dass die Nutzung des elektroni- schen Ausweises vereinfacht und die Anwendung erwei- tert wird . Leider bleibt die Nutzung der Onlineausweis- funktion, die die Inhaber wahlweise einschalten konnten, hinter den Erwartungen zurück . Obwohl sich die Nutze- rinnen und Nutzer mit dieser Funktion gegenüber ihren Kommunikationspartnern sicher identifizieren könnten, scheint die Hemmschwelle, diese Funktion zu aktivieren, groß zu sein . 61 Millionen Dokumente wurden bisher ausgegeben . Davon nutzt nur circa ein Drittel der Aus- weisinhaber die elektronischen Funktionen umfänglich . Das Gesetz soll dazu beitragen, dass sich das ändert . Ich kann verstehen, dass es eine grundsätzliche Skep- sis gegenüber der Einführung dieser Identitätskarte gibt . Erstaunlicherweise besteht diese Skepsis gegenüber vielen anderen Onlinedienstleistungen nicht . Viele In- ternetnutzerinnen und -nutzer geben bereitwillig ihre E-Mail-Adresse preis und scheuen sich nicht, persön- liche Angaben wie Geburtsdatum, Adresse, Kreditkar- tennummer usw . anzugeben . Datenklau, das sogenannte Phishing, ist die Folge . Geschädigte Nutzerinnen und Nutzer können davon berichten . Ich erinnere nur an den gigantischen Datenklau in 2014, als 18 Millionen Daten samt Zugangswörtern innerhalb weniger Tage abgefischt wurden . Dann ist es natürlich ein Leichtes für Kriminelle im Netz, Schadsoftware zu installieren und sich in Bank- konten oder E-Mail-Verkehr einzuhacken . Tausende von Schadprogrammen, so das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, werden täglich neu im Internet in Umlauf gebracht . Sie sind nicht zu kontrollieren . Was bietet der elektronische Identitätsnachweis nun für Vorteile, und was will der Gesetzgeber bezwecken? Erstens ist mit der Onlineausweisfunktion, kurz eID, eine verlässliche und sichere Identifizierung möglich. Deshalb wird diese Funktion zukünftig standardmä- ßig eingeschaltet sein . Damit soll das physische Pos- tIdent-Verfahren, bei dem der Ausweisinhaber eine zertifizierte Stelle wie zum Beispiel die Deutsche Post aufsuchen muss, durch ein digitales Verfahren ersetzt werden . So kann mit dem Smartphone und der entspre- chenden Ausweisapp der Identitätsnachweis erbracht werden . Vom heimischen PC aus können sich die Nut- zerinnen und Nutzer über ein Kartenlesegerät mit dem elektronischen Identitätsnachweis identifizieren, ohne vorher mit ihren alten Ausweisen Behörden oder Insti- tutionen aufsuchen und vor Ort ihre Identität nachweisen zu müssen . Das spart viel Zeit, und umständliche büro- kratische Abläufe können vereinfacht werden . Ob der elektronische Nachweis dann genutzt wird, bleibt nach wie vor eine freiwillige Entscheidung des Inhabers . Zweitens . Auch in der Wirtschaft wurde der elek- tronische Nachweis nur sehr zögerlich eingesetzt . Un- ternehmen haben bisher oftmals auf das elektronische Verfahren verzichtet, weil sie es als zu aufwendig und umständlich angesehen haben, die notwendige Berech- tigung für den Umgang mit dem elektronischen Identi- tätsnachweis zu erlangen . Da viele Nutzerinnen und Nut- zer die elektronische Funktion gar nicht aktiviert haben, hatten auch Unternehmen und Firmen die Anwendungs- möglichkeiten gar nicht erst angeboten . Für Firmen und Unternehmen schafft der Gesetz- geber deshalb jetzt die hohen Hürden ab und bietet ein vereinfachtes Verfahren an, um sich zertifizieren zu lassen . Damit steigt die Attraktivität für Behörden und Unternehmen, ihre Angebote und Dienstleistungen für Kundinnen und Kunden elektronisch anzubieten . Die Be- rechtigungszertifikate werden zukünftig nicht mehr nur für einen Geschäftsvorgang ausgestellt, sondern auf den Namen der Behörde oder des Unternehmens . Das bedeu- tet deutlich weniger Bürokratie und spart ebenfalls Zeit ein . Dadurch können sich auch Kundinnen und Kunden darauf verlassen, dass das Unternehmen, mit dem sie Ge- schäfte machen, auf Herz und Nieren geprüft ist . Daten- schutzbehörden werden regelmäßig überprüfen, dass mit den Benutzerdaten kein Missbrauch getrieben wird . Auch Behörden sollen aufgefordert werden, ihre Dienstleistungen auch elektronisch anzubieten . Vorreiter ist hier als einziges Bundesland Sachsen . Hier können Bürgerinnen und Bürger bereits auf elektronischem Weg BAföG-Anträge stellen und ihr Auto abmelden . Drittens . Es geht auch um Sicherheit für digitale Dienstleistungen . Leider beschäftigen Passfälschungen in erheblichem Maße Polizei und Sicherheitsbehörden, weil es geschickten Fälschern immer wieder gelingt, mit gefälschten Dokumenten neue Identitäten zu produzie- ren . Sozialbetrug ist eine Folge, die die Steuerzahler zu tragen haben . Das ist ärgerlich und ungerecht . Mit dem elektronischen Identitätsnachweis und dem elektroni- schen Aufenthaltstitel für Drittstaatsangehörige geben wir den Behörden ein fälschungssicheres Dokument an die Hand, welches betrügerische Machenschaften weit- gehend unterbindet und die Vernetzung der Behörden in allen EU-Ländern möglich macht . Auch das ist ein Bau- stein in unserer Sicherheitsarchitektur, die wir in der die- ser Legislaturperiode konsequent ausgebaut haben . Der Staat kommt damit auch seiner Fürsorgepflicht nach, die Daten seiner Bürgerinnen und Bürger zu schüt- zen . Die elektronische Identitätskarte gilt aufgrund ihres Aufbaus derzeit als ein äußerst sicheres Ausweisdoku- ment weltweit . Mehrere Staaten nutzen bereits diesen elektronischen Identitätsnachweis . Viertens knüpfen wir damit an das moderne digitale Zeitalter an und ermöglichen den elektronischen Handel zwischen Produzent und Konsument europaweit, ohne dass auch im internationalen Handel aufwendige Identi- tätsnachweise erbracht werden müssen . „Die eIDAS-Verordnung ist der erste konkrete Schritt in Richtung digitaler Binnenmarkt“, erläuterte Antonello Giacomelli, italienischer Staatssekretär für Kommunika- tion . Er signierte das Gesetz im Rahmen der italienischen Ratspräsidentschaft digital . Damit ist der Weg frei für den digitalen Binnenmarkt Europa – mit über 400 Mil- lionen Nutzern . Im Bereich der elektronischen Identifizierung setzt die EU-Verordnung auf eine gegenseitige Anerkennung der verschiedenen nationalen eID-Systeme, damit nicht Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22299 (A) (C) (B) (D) jedes der 27 Mitgliedsländer das gleiche System neu ein- führen muss . Seit 1 . Juli 2016 können auch Behörden aus den ande- ren EU Mitgliedstaaten auf Daten elektronisch zugreifen . Sogenannte Vertrauensdienste werden als „Zwischen- instanz“ beauftragt, damit es nicht zu Datenmissbrauch kommt . Bei den Vertrauensdiensten wurden neue, ver- einfachte Werkzeuge definiert und die Voraussetzungen für ein europaweit vereinheitlichtes Sicherheitsniveau geschaffen. Zukünftig können elektronische Transakti- onen EU-weit effizient und rechtsverbindlich durchge- führt werden . Öffentlich einsehbare Vertrauenslisten und das EU-Vertrauenssiegel stellen sicher, dass der Dienstleister rechtskonforme Vertrauensdienste anbietet . Das ist ein Meilenstein auf dem Weg zu Wirtschaftswachstum und globalem Handel, von dem Wirtschaft und Bürger profi- tieren werden . Schon der 1993 in Kraft getretene „analoge“ Euro- päische Binnenmarkt hatte große Wachstumsimpulse ausgelöst und für mehr Beschäftigung gesorgt . Allein in Deutschland stieg durch das wirtschaftliche Zusam- menwachsen Europas das Bruttoinlandsprodukt im Zeit- raum 1992 bis 2012 um durchschnittlich 37 Milliarden Euro pro Jahr . Mit Einführung des digitalen Systems werden Handel und Austausch im Netz im wahrsten Sin- ne grenzenlos . Knapp 60 Prozent der deutschen Ausfuh- ren gehen in EU-Länder . Deshalb hat Deutschland ein ureigenes Interesse an einer Weiterentwicklung des Bin- nenmarkts und baut mit am digitalen Weg . Ich werbe ausdrücklich für dieses Gesetz; denn es bringt wesentliche Verbesserungen für die Bürgerinnen und Bürger im europäischen Raum. Es schafft ein hohes Maß an Sicherheit für Nutzerinnen und Nutzer im digi- talen Handel, und es ist hoffentlich auch ein Instrument, mit dem der Datenmissbrauch eingedämmt werden kann . Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD): Im Jahre 2010 wurden ein Personalausweis und ein elektronischer Auf- enthaltstitel eingeführt, die über eine Funktion zum elek- tronischen Identitätsnachweis, genannt eID-Funktion, verfügen . Mithilfe dieser Funktion besteht nunmehr die Möglichkeit, sich gegenüber Behörden und Unterneh- men im Internet zuverlässig und vertrauenswürdig aus- zuweisen . Erreicht wird dies über eine 2-Faktor-Authen- tisierung . Beide Seiten, also die Ausweisinhaberinnen und Ausweisinhaber einerseits und die Behörden und Unternehmen andererseits, identifizieren einander: Der Staat stellt hier also eine sichere und verlässliche Infra- struktur zur gegenseitigen Identifizierung im Internet zur Verfügung . So ist beispielsweise die Beantragung eines Führungszeugnisses mit der eID-Funktion erheblich ein- facher geworden . Das hört sich zunächst alles sehr vorteilig an, bedenkt man insbesondere, dass mit der Nutzung dieser Funkti- on der eine oder andere Behördengang und damit auch in der Regel ein nicht unerheblicher Zeitaufwand ein- gespart wird . Dennoch müssen wir feststellen, dass die Bürgerinnen und Bürger bis jetzt die eID-Funktion ihres Personalausweises wenig bis gar nicht nutzen . Genau ge- nommen ist sie ein Ladenhüter . Die Gründe dafür mögen vielfältig sein . Sicherlich bestehen bei den Bürgerinnen und Bürgern mitunter Bedenken ob des faktischen und des rechtlichen Datenschutzes . Diese Bedenken sind ernst zu nehmen und zu respektieren . Schon der Koalitionsvertrag stellt zutreffend fest, dass die Voraussetzung für die Akzeptanz elektronischer Behördendienste Datenschutz und Sicherheit der Kom- munikation sind, wenn es um entspreche Angebote zwi- schen Bürger und Staat geht . Gerade deshalb wird im Koalitionsvertrag die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung als unerlässlich gesehen . Wir bekennen uns nach wie vor zu diesem Ansatz und wollen fortwährend dafür sorgen, dass ein Mehr an di- gitalen Verwaltungsdienstleistungen und Nutzung dieser Möglichkeiten nicht zu einem Weniger an Datenschutz und letztlich persönlicher Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger führt . Andererseits stehen wir als Gesetzgeber vor der Auf- gabe, der Digitalisierung speziell in der Verwaltung Rechnung zu tragen und sie fit für die Zukunft zu ma- chen, aber auch im Sinne einer verantwortlichen Wirt- schaftspolitik Unternehmen die Möglichkeit zu geben, die Vorteile der eID-Funktion in ihre Geschäftsabläufe zu implementieren und diese somit zu optimieren – nicht zuletzt auch im Interesse der Verbraucherinnen und Ver- braucher . Im Strudel dieses vermeintlichen Dualismus aus För- derung der eID-Funktion und Sicherstellung des Daten- schutzes und der Datensicherheit bewegt sich dieser Ge- setzentwurf . Die eingangs angesprochene sehr geringe Nutzung der eID-Funktion durch die Bürgerinnen und Bürger geht letztlich auch auf den Umstand zurück, dass sie in vie- len Personalausweisen und Aufenthaltstiteln gar nicht erst bei Aushändigung eingeschaltet ist . Die bisherige Rechtslage sieht vor, dass eine Bürgerin oder ein Bür- ger bei der Beantragung eines solchen Dokuments aktiv gefragt wird, ob sie oder er diese Funktion einschalten lassen und damit grundsätzlich nutzbar machen möchte . Viele entscheiden sich dagegen . Somit ist ihnen die Mög- lichkeit, diese Funktion zu nutzen, direkt zu Beginn ge- nommen . Hier möchten wir ansetzen und diesen Verfah- rensablauf durch rechtliche Änderungen modifizieren. Fortan soll die eID-Funktion zunächst standardmäßig eingeschaltet sein . Die Bürgerinnen und Bürger sollen bei Beantragung ihres Ausweisdokumentes ausführlich und präzise über die Rahmenbedingungen und die Vor- teile der eID-Funktion aufgeklärt werden. Wir erhoffen uns davon, dass dadurch Vorurteile und die mitunter ab- lehnende Haltung gegenüber der eID-Funktion abgebaut werden und ihre Nutzung insgesamt gefördert wird . Allerdings ist der freie Wille der Bürgerinnen und Bürger auch hier maßgeblich . So können sie letztlich selbst entscheiden, ob sie ausführlich informiert werden möchten, beispielsweise per Informationsbroschüre oder per E-Mail, oder eben auch nicht . Wenn sie eine einge- schaltete eID-Funktion nicht wünschen, haben sie auch fortan die Möglichkeit, diese deaktivieren zu lassen . Die- se sogenannte Opt-out Lösung haben wir als Sozialde- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722300 (A) (C) (B) (D) mokraten durchgesetzt . Über die genaue Ausgestaltung dieser Möglichkeit wird in den Ausschussberatungen noch zu befinden sein. Dass diese Möglichkeit bestehen wird, ist allerdings ein unumstößlicher Bestandteil die- ses Gesetzentwurfs . Den Bürgerinnen und Bürgern soll nichts gegen ihren Willen aufgezwängt werden . Ein anderer Aspekt dieses Gesetzentwurfs betrifft die Frage, wie man die Implementierung der eID-Funktion für Unternehmen attraktiver gestalten kann . Denn auch hier schlummern Potenziale: So könnten in Zukunft On- linedienstleistungen von Unternehmen, wie beispiels- weise die Anbahnung eines Versicherungsvertrages, auf ein datenschutzsichereres Fundament gestellt werden, wenn beide Seiten zur Identifizierung die eID-Funktion nutzen. Eine weitere Verbreitung dieser Identifizierungs- möglichkeiten bei den Unternehmen ist somit auch aus Sicht der Verbraucherinnen und Verbraucher begrüßens- wert, die diese Dienstleistungen zwar jetzt schon in An- spruch nehmen, bei allerdings deutlich geringerem Da- tenschutzniveau . Wiederum ist es derzeit für die Unternehmen nicht hinreichend attraktiv, die eID-Funktion zu implemen- tieren, da sie insgesamt so wenig genutzt wird . Dieses Missstands will sich der Gesetzentwurf annehmen . Aber auch an dieser Stelle sei deutlich betont: Dieser richtige und wichtige Grundgedanke wird nicht zulasten der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger gehen . Un- ternehmen, die diese eID-Funktion in ihre Geschäfts- abläufe integrieren möchten, müssen auch in Zukunft hohe Standards für ihre Dienste einhalten, damit sie die entsprechende Berechtigung dafür bekommen . Denn die eID-Funktion ist und bleibt eine staatliche, hoheitliche Einrichtung und ist kein Wirtschaftsgut . Unterm Strich: Wir gehen mit diesem Gesetzentwurf einen Schritt in die richtige Richtung . Die eID-Funktion muss stärker gefördert werden, damit ihre Vorteile zu- künftig von deutlich mehr Bürgerinnen und Bürgern ge- nutzt werden, ganz gleich, ob bei der Inanspruchnahme von Verwaltungs- oder Unternehmensdienstleistungen . Allerdings werden wir es nicht zulassen, dass diese För- derung der eID-Funktion zulasten des Datenschutzes und der Datensicherheit der Bürgerinnen und Bürger geht und ihnen durch den Gesetzentwurf Nichtgewolltes auf- genötigt wird . Daher glaube ich, dass wir in den Ausschussberatun- gen noch an der einen oder anderen Schraube werden drehen müssen . Kritisch sehen wir nämlich nach wie vor die Ausgestaltung der Erteilung von Berechtigungszer- tifikaten für Dienstanbieter, und auch der automatisier- te Lichtbildabruf unter anderem für Nachrichtendienste braucht einen klar gezeichneten und umgrenzten gesetz- lichen Tatbestand . Gleichzeitig bin ich aber auch sehr zuversichtlich, dass wir am Ende zu einem sinnvollen und ausgewoge- nen Ergebnis kommen werden, und ich ergänze: ein Er- gebnis, das unsere Verwaltungseinheiten in den Kommu- nen nicht belastet, sondern entlastet und damit Prozesse beschleunigt . Ulla Jelpke (DIE LINKE): Die Bundesregierung überschreibt ihren Gesetzentwurf mit „Förderung des elektronischen Identitätsnachweises“ . Das ist ein reiner Euphemismus . Tatsächlich birgt der Gesetzentwurf eine Verschlechterung der Datensicherheit für die Bürgerin- nen und Bürger . Es geht um den sogenannten ePass bzw . den elektroni- schen Identitätsnachweis im neuen Personalausweis . Der enthält seit 2010 einen Chip, mit dem sich die Inhaber, zum Teil unterstützt durch eine PIN, gegenüber Behör- den, aber auch der Privatwirtschaft ausweisen können . Das funktioniert dann ähnlich, als wenn man am Laden- tisch seinen Ausweis zeigt . Über die Vor- und Nachteile dieses Chips wurde schon viel geschrieben; das Fazit, das die Linke schon vor Jahren gezogen hat, bleibt be- stehen: Sicher ist er nicht und notwendig schon gar nicht . Unsere Skepsis wird von der großen Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger geteilt . Von den 51 Millionen Deutschen, die in den letzten Jahren diesen neuen Per- sonalausweis bekommen haben, entschieden sich zwei Drittel dafür, die Onlinefunktion von vornherein zu de- aktivieren . Für diese Option kann man sich nämlich der- zeit noch bei Aushändigung des Ausweises entscheiden . Und von dem anderen Drittel haben auch nur 5 Prozent das notwendige Kartenlesegerät für den Heimcomputer . Der Bundesregierung ist diese Boykotthaltung ein Dorn im Auge . Aber was macht sie jetzt? Anstatt sich Mühe zu geben, die Bürgerinnen und Bürger zu überzeu- gen, greift sie einfach zum Zwangsmittel . Der Ausweis soll ab sofort immer mit bereits eingeschalteter Online- funktion ausgehändigt werden; die Bürger haben nicht mehr die Wahl, ganz nach dem Motto: Wenn die Bürger die falschen Antworten geben, hören wir einfach auf, sie zu fragen . Willkommen zurück im Obrigkeitsstaat! Das eigentliche Motiv hinter diesem Manöver kann man leicht aus der Gesetzesbegründung herauslesen: Es geht um die Durchsetzung einer neuen Technologie im Interesse der Wirtschaft . Der Handel, heißt es da, war- te darauf, dass eine größere Anzahl potenzieller Nutzer die Investition in die neue Technologie rechtfertigt . Und diese größere Anzahl wird dem Handel jetzt per Gesetz zugeführt . Deswegen ist der Preis für einen Personal- ausweis von 8 Euro auf über 28 Euro angestiegen . Die Bürgerinnen und Bürger müssen für eine Technologie bezahlen, die sie nicht wollen und die sie auch gar nicht brauchen . Und noch schlimmer: Es ist eine Technologie, der sie zu Recht nicht trauen . Der Chaos Computer Club weist darauf hin, es sei „nur eine Frage der Zeit“, bis der Chip geknackt, das Lesegerät ferngesteuert oder die PIN ge- stohlen wird . Kriminelle können sich dann über das In- ternet mit falschen Identitäten ausweisen . Die Bundes- regierung behauptet natürlich, jeglichem Missbrauch werde „sicher“ vorgebeugt . Aber wenn eines im IT-Be- reich sicher ist, dann dieses: Es gibt keine Sicherheit, schon gar nicht langfristig. Im Auffinden und Schließen von Sicherheitslücken befinden sich Cyberkriminelle und IT-Industrie seit Jahren in einem unendlichen Wett- lauf . Da nutzt es nichts, wenn die Bundesregierung den Nutzern empfiehlt, ihr Betriebssystem regelmäßig zu Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22301 (A) (C) (B) (D) aktualisieren: Bis die Sicherheitslücke entdeckt ist, kann es schon zu spät sein . Und wenn man bedenkt, dass der Ausweis zehn Jahre lang gültig sein soll, kann man nur sagen: Das ist eine Einladung zum Knacken . Von der Praxis der Geheimdienste, sich in Privatcomputer einzu- schleichen, ganz zu schweigen . Völlig zu Recht hat die Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder am 24 . Januar dieses Jahres gewarnt, dass „das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger übergangen und Datenschutz sichernde Standards unterlaufen“ werden . Ich will noch einen Punkt des Gesetzentwurfs anspre- chen, der ebenso eine Verschlechterung des Datenschut- zes vorsieht: den erweiterten und rascheren Zugriff der Sicherheitsbehörden auf die bei den Personalausweis- behörden gespeicherten Passbilder . Bislang ist dies der Polizei vorbehalten, die den automatisierten Abruf nur durchführen darf, wenn Gefahr im Verzug ist . In Zukunft wird dies praktisch völlig voraussetzungslos erlaubt, und zwar auch den Geheimdiensten . Die haben also dann freien Zugriff auf sämtliche Passbilder. Die Begründung dafür ist abenteuerlich: Das Anwerben von V-Leuten durch die Geheimdienste könne gefährdet sein, heißt es da, wenn die V-Mann-Führer persönlich bei den Ange- stellten der Behörden ein Passbild abholen müssten, weil es ja sein könnte, dass die Angestellten den V-Mann ken- nen und damit die Geheimhaltung platzt . Hier wird eine datenschutzfeindliche Maßnahme mit einem demokratiefeindlichen Zweck begründet . Die Lin- ke lehnt es ab, dass den Geheimdiensten ständig mehr Befugnisse eingeräumt werden, und die V-Mann-Praxis hat sich sowieso schon längst als absolut schädlich he- rausgestellt . Ich erinnere nur daran, dass die V-Männer des Verfassungsschutzes jahrelang die Naziterroristen vom NSU unterstützt haben . Die Datenschutzbeauftragten lehnen daher auch die- se Änderung ab, und da schließt sich die Linke voll und ganz an . Wir wollen nicht, dass der Datenschutz auf den Altären von Geheimdiensten und Privatwirtschaft geop- fert wird . Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Stellen Sie sich vor, sie sind eine mit dem Politbe- trieb nicht näher vertraute Bürgerin und werden gefragt, was Sie von den Maßnahmen der Merkel-Regierungen zum E-Government halten . Wie muss die Antwort lau- ten? Richtig: nichts! Denn Sie können beim besten Wil- len überhaupt keine einzige bekannte Maßnahme nennen . Auf Nachfrage Ihrerseits wird man Ihnen womöglich die E-Government-Ruinen der letzten Jahre wieder in Erin- nerung rufen, darunter De-Mail, ELENA, elektronische Gesundheitskarte oder der neue elektronische Personal- ausweis . Richtig, der Personalausweis, werden viele sa- gen, da war doch was; der war irgendwie ziemlich teuer, aber warum denn noch genau? Wir erläutern es gerne: Es wurde nie wirklich kom- muniziert, worin der Mehrwert dieses elektronischen Ausweises liegt, was er kann . Das hatte eine gewisse Schlüssigkeit, weil der Ausweis auch nie wirklich son- derlich viel Vorweisbares konnte und kann . Die Vorstel- lung jedenfalls, dass der nPA zum zentralen Onlineiden- titätstool der Bürger im geschäftlichen Leben als auch im Umgang mit Behörden wird, ist deshalb absurd, weil es schlicht bis heute an den dazugehörigen Angeboten fehlt . Man hat eben auch die Wirtschaft nicht ins Boot holen können, ganz zu schweigen von den Verwaltungen, die bei der Digitalisierung nach wie vor überwiegend eisern mauern und sich der Entwicklung insgesamt zu verwei- gern versuchen . Es kann also keine Akzeptanz der eID-Funktion auf dem neuen Personalausweis geben, denn in wohl kaum einem anderen Bereich hat diese sogenannte Große Ko- alition ihre nachhaltige Untätigkeit durch markige Re- den und Symbolpolitik so umfänglich kaschiert wie im E-Government . Die Digitale Agenda ist ein Stückwerk geblieben; von Open Data über Cybersicherheit bis hin zu Behördenangeboten online sind wir praktisch nicht vorangekommen . Natürlich handelt es sich um ein kom- plexes Feld . Aber die Probleme Ihrer Koalition sind eben auch hausgemacht: mangelnde Koordination der Digitalisierung ihrer eigenen Regierung, mangelhafte Beachtung von Akzeptanz- und Vertrauensfaktoren wie Rechtsstaatlichkeit, IT-Sicherheit und Datenschutz, aber auch die Kniepigkeit des Bundesfinanzministers. Vor diesem Hintergrund mutet es umso wunderlicher an, was Sie mit dem vorliegenden Gesetzentwurf versu- chen: ein disparates Artikelgesetz rund um Pass, Perso- nalausweis und elektronische Aufenthaltstitel . Getrieben vom Scheitern des nPA versuchen Sie es nun mit der Brechstange, einfach indem Sie den rechtsstaatlich-da- tenschutzrechtlichen Rahmen aufweichen . Die Onlineausweisfunktion des elektronischen Per- sonalausweises soll „leichter anwendbar“ werden . Dazu sieht ihr Gesetzentwurf (Drucksache 18/11279) vor, dass die sogenannte eID-Funktion zum elektronischen Identi- tätsnachweis künftig bei jedem Ausweis automatisch und dauerhaft eingeschaltet wird . Dies soll die eID-Funktion schneller verbreiten und dadurch einen Anreiz für Be- hörden und Unternehmen schaffen, mehr Anwendungen bereitzustellen . Dieses Vorgehen ist von beispielloser Frechheit und grenzt an magisches Denken . Das BMI merkt, dass die Bürgerinnen und Bürger in freier Entscheidung zu zwei Dritteln der rund 51 Millionen ausgegebenen Ausweise/ eAT die eID-Funktion deaktivieren lassen haben, und schafft diese freie Entscheidung ab. Zur Strafe für die Ausübung ihrer Freiheiten wird den Pass- und Personal- ausweishaltern schlicht das Recht entzogen, überhaupt noch frei entscheiden zu können, ob die eID-Funktion eingeschaltet wird . Und diese Zwangsbeglückung soll dann den Erfolg eines Modells sicherstellen, bei dem von vornherein doch klar ist, dass nur bei hinreichenden An- geboten zur Nutzung der eID seitens der Wirtschaft und der Verwaltung überhaupt Transaktionen zustande kom- men, ganz zu schweigen vom notwendigen Vertrauen al- ler Seiten in den Einsatz der Technik . Auch Unternehmen und Behörden implementierten die eID bislang nur zögerlich in ihre Geschäftsabläufe . Das hat sicherlich viele Gründe, ganz sicherlich aber Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722302 (A) (C) (B) (D) wird sich daran nicht einfach dadurch etwas ändern, dass Sie die Funktion per Default freischalten . Denn sie muss von den Nutzern auch angewendet, also akzeptiert wer- den . Daher soll dem Gesetzentwurf zufolge nun aber auch noch das Verfahren vereinfacht werden, mit dem Unter- nehmen und Behörden berechtigt werden, die eID-Daten auszulesen . Kurz gesagt, Sie senken die datenschutz- rechtlichen Anforderungen an den Nachweis der Erfor- derlichkeit bei den Unternehmen, die mit der eID arbei- ten wollen . Die Mehrarbeit der Überprüfung sollen die Datenschutzbehörden tragen . Selbstverständlich führen Sie nicht aus, mit welchen Mitteln . Abgesehen davon, dass wir zum Gegenstand der Sachverständigenanhörung die Auffassung der Datenschutzbehörden zu dieser Form der Zwangsbeglückung machen werden, wird auch diese Aufweichung der rechtsstaatlichen Standards Ihnen nicht die Akzeptanz bringen . Denn sie hintertreiben damit zu- gleich die Vertrauenswürdigkeit der gesamten Idee der eID, die wesentlich auf dem dahinterliegenden Daten- schutzkonzept basiert . Dass Sie aber keine Akzeptanz für die eID finden, hat zahlreiche andere Gründe, die Sie in Ihrem Entwurf überhaupt nicht erwähnen oder angehen, darunter die fehlenden Angebote der Behörden selbst, die fehlenden Apps für mobile Anwendungen bzw . das durchaus in der Praxis funktionierende, wenn auch unsichere Identifizie- ren per SMS, das von Anbeginn ungelöste Problem der Kartenlesegeräte, die von der Bundesregierung nicht ge- fordert wurden, und, und, und . Es gehört deshalb zu der großen Ironie dieses Gesetz- entwurfs, dass Sie das Kopieren des Passes bzw . des Per- sonalausweises erstmalig per Gesetz zulassen, nachdem über Jahrzehnte und völlig zu Recht – zusätzliche Sicher- heitsrisiken für Betroffene – aus Datenschutzgründen Unternehmen belehrt wurden, genau dieses nicht zu tun . Der Hammer aber, ein klassischer BMI-Move, wie er im Lehrbuche steht, ist die im Gesetz sorgfältig auf den hinteren Seiten versteckte Einführung des voraus- setzungslosen automatisierten Pass- bzw . Personalaus- weisfotoabgleichs durch alle bundesdeutschen Geheim- dienste. Dieses ist nichts anderes als der offene Einstieg in eine bundesweite biometrische Bilddatenbank aller Bundesbürger . Die Aufrüstung der Geheimdienste unter der Großen Koalition spottet jeder Beschreibung . Und das, obwohl Skandale uns immer wieder zeigen, dass uns der notwen- dige rechtsstaatliche Zugriff auf die Dienste bis heute fehlt . Deutlicher kann man Demokratie- und Rechts- staatgleichgültigkeit nicht zum Ausdruck bringen . Mit Sicherheit hat dieses Vorhaben übrigens sicherlich nichts zu tun . Es dürfte vielmehr große Teile der Bevölkerung massiv beunruhigen . Wir fordern den Bundestag und insbesondere die SPD auf, dieses Gesetzesvorhaben noch zu stoppen . Der Sach- verständigenanhörung am 24 . April sehen wir mit Inte- resse entgegen . Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister des Innern: Wir alle erledigen heute einen Großteil unserer Geschäfte über das Internet . Wir be- stellen Bücher oder Kleidung bei Onlinehändlern . Wir schließen online eine Versicherung ab oder eröffnen ein neues Bankkonto . Bei allen diesen Vorgängen müssen wir uns identifi- zieren . Dies geschieht meist über eine Kombination von Benutzernamen und Passwort . Viele Menschen besitzen so eine Menge Benutzernamen und Passwörter . Den Überblick zu behalten, ist fast unmöglich . Und: Das Sys- tem „Benutzername/ Passwort“ macht es Identitätsdie- ben und Betrügern leicht . Benutzername und Passwort können gestohlen und anschließend betrügerisch einge- setzt werden . Diese Nachteile vermeidet die Onlineausweisfunktion des Personalausweises . So wie man den Personalausweis bis heute beim Bankschalter oder in der Behörde vorlegt, um sich zu identifizieren, kann man ihn seit 2010 auch bei Geschäften im Internet einsetzen . Ziel des Gesetzentwurfes ist es, die Nutzung des elektronischen Personalausweises weiterzuentwickeln . Personalausweise und elektronische Aufenthaltstitel mit geprüften Identitätsdaten sollen künftig durchgängig mit einer einsatzbereiten Onlineausweisfunktion ausgegeben werden . Der zweite wichtige Punkt betrifft das Verfahren zur Erteilung von Berechtigungen und Berechtigungszertifi- katen: Anbieter von Onlinedienstleistungen – also etwa Banken, Versicherungen, aber auch Behörden im E-Gov- ernment – benötigen nach geltendem Recht eine spezielle Berechtigung für jeden Service, um die Onlineausweis- funktion anbieten zu dürfen . Hierfür müssen sie gegenwärtig für jeden neuen Ser- vice immer wieder erneut ein aufwendiges Genehmi- gungsverfahren durchlaufen . Der Regierungsentwurf sieht hier wesentliche Erleichterungen vor . Drittens erweitert der Regierungsentwurf die Anwen- dungsmöglichkeiten des elektronischen Personalauswei- ses . Dies betrifft zunächst das sogenannte „Vor-Ort-Aus- lesen“ . Bürgerinnen und Bürger können ihren Ausweis in Zukunft am Bank-, Post- oder Behördenschalter dazu nutzen, ihre üblichen Personendaten – also etwa Namen und Adresse – auf elektronischem Wege, aber eben „vor Ort“ in ein elektronisches Formular zu übertragen . Das geht schnell und verhindert Schreibfehler . Außerdem können in Zukunft sogenannte Identifi- zierungsdiensteanbieter die Identifizierung mittels On- lineausweisfunktion übernehmen . Unternehmen und Behörden benötigen so künftig kei- ne eigene Informationstechnologie mehr, um diese Funk- tion anzubieten . Sie können für diesen sicheren Service einen spezialisierten Dienstleister beauftragen . Schließlich enthält der Regierungsentwurf noch zwei weitere Regelungen . Zum einen erhalten Sicherheitsbe- hörden künftig die Möglichkeit, die Pass- und Ausweis- register zum automatisierten Abruf von Passbildern zu Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22303 (A) (C) (B) (D) nutzen . So können Personen, von denen Sicherheitsrisi- ken ausgehen, schneller überprüft werden . Der automa- tisierte Abruf von Passbildern erleichtert die Arbeit der Sicherheitsbehörden und erhöht die Sicherheit der Bür- gerinnen und Bürger . Zum anderen enthält der Entwurf einen neuen Pass- versagungsgrund . Er soll Auslandsreisen verhindern, die mit dem Ziel vorgenommen werden, eine sogenannte Ferienbeschneidung von Mädchen vornehmen zu lassen . Solche „Ferienbeschneidungen“ sind als Verstümmelung weiblicher Genitalien nach § 226a StGB strafbar und müssen auch präventiv bekämpft werden . Hierzu dient der neue Passversagungsgrund . Ich bitte Sie, den Gesetzentwurf zu unterstützen . Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des BDBOSGesetzes – des Antrags der Abgeordneten Irene Mihalic, Matthias Gastel, Anja Hajduk, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Lückenlose BOS-Digitalfunkabde- ckung in Bahnhöfen der Deutschen Bahn AG sicherstellen (Tagesordnungspunkt 31 und Zusatztagesord- nungspunkt 11) Marian Wendt (CDU/CSU): Kommunikationstech- nologie unterliegt einem ständigen Wandel . Staatliche Kommunikationsinfrastrukturen sind unmittelbar betrof- fen . Sind sie veraltet, unzuverlässig oder nicht leistungs- fähig genug; so kann der Staat seinen Aufgaben nicht nachkommen . Sind sie obendrein unsicher; so geht von ihr eine Gefahr für die Menschen aus, einerseits weil die Gefahrenabwehr, eine der zentralen Aufgaben des Staa- tes, nicht zuverlässig gewährleistet werden kann, ande- rerseits weil sie Angriffen auf sie selbst nicht standhalten können . Die Bundesrepublik Deutschland hat also die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass ihre Kommunikationsinfrastruktur, namentlich vor allem die Netze des Bundes, aber auch alle anderen Kommunikationsinfrastrukturteile der Be- hörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben, si- cher sind, funktionieren und einem modernen Stand der Technik entsprechen . Ein entscheidender Faktor bei der Sicherstellung mo- derner und sicherer Kommunikationsinfrastrukturen ist es, die öffentliche Verwaltung in die Lage zu versetzen, möglichst flexibel auf die zukünftigen Herausforderun- gen zu reagieren und die Anforderungen stets anpassen zu können . Die bisherige Schwerfälligkeit, gegeben durch die verstreute Zuständigkeit und behäbige Appa- rate, muss überwunden werden . Eine Bündelung der Zu- ständigkeit in möglichst wenigen verantwortlichen Posi- tionen ist der richtige Weg . In Bezug auf die Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsauf- gaben bedeutet dies, dass die Aufgaben dieser Behörde schneller und flexibler an den Bedarf angepasst werden müssen, wenn es nötig wird . Die öffentliche Sicherheit wird durch den Digitalfunk für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsauf- gaben wesentlich gestärkt . Ein modernes Kommunika- tionssystem für Sicherheitskräfte ist unerlässlich . Der Wechsel von den analogen Vorläufersystemen hat lange genug gedauert . Daher ist es richtig und wichtig, jetzt den nächsten Schritt zu gehen und das neue, moderne System noch fitter für die Zukunft zu machen. Doch es geht auch um mehr . Die Erfahrung rund um den Aufbau und den Betrieb von Digitalfunknetzen und anderen Kommuni- kationsnetzen soll nun auch, wenn es nötig ist, in ande- ren staatlichen Bereichen genutzt werden . Die stellt eine effiziente Nutzung der erworbenen Kenntnisse und des Materials in diesem Bereich dar . Es vermeidet eine Dop- pelbeschaffung. Um einen Ausblick auf die kommenden Herausforde- rungen zu geben, möchte ich auf einen besonders wich- tigen Punkt hinweisen . Die Einführung eines überall und stets verfügbaren Breitbandnetzes für die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben ist der nächste und höchst wichtige Schritt . Genau wie in der Industrie, in der Fertigung und in vielen anderen, auch privaten Be- reichen ermöglicht der technologische Fortschritt immer bessere und effizientere Wege. Die Nutzung dieser Tech- nologien ist auch im Bereich der öffentlichen Sicherheit nicht nur denkbar, sondern geboten . Dass der Staat eine zumindest in Teilen autarke und im Katastrophenfall von Dritten unabhängige Infrastruk- tur betreibt und nutzen kann, die verlässlich und sicher ist, muss das Ziel der Bemühungen um eine neue Sicher- heitspolitik sein, für die ich mich in Zukunft persönlich einsetzen will . Der geplante Schritt, den Betrieb der Netze des Bun- des in die Hand der Bundesanstalt für die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben zu legen, ist der richtige Weg zu diesem Ziel . Auch wirtschaftlich gesehen ist es eine vernünftige Maßnahme . Bei einer Fremdver- gabe des Betriebes der Netze des Bundes, im Gegensatz zu einem Betrieb durch die BDBOS, entstünden unge- fähr 70 Millionen Euro mehr Kosten als in der gewählten Variante . Dem Gebot der Wirtschaftlichkeit entspricht unser Vorgehen also auch . Es ist geboten, weil es nicht zu rechtfertigen ist, wenn ein Staat einen möglichen Gewinn an Sicherheit bei be- wältigbaren Kosten nicht ergreift . Die Tatsache, dass es hier im Hause bisher keinen Streit über eine Notwendig- keit der Novellierung des BDBOS-Gesetzes gegeben hat, zeigt mir überdies, dass es einen breiten Konsens über die Modernisierung und Straffung staatlicher sicherheits- relevanter Kommunikation gibt . Auch der Bundesrat hat am 10 . Februar 2017 beschlossen, keine Einwände zu er- heben . Dies stimmt mich überaus positiv . Gerold Reichenbach (SPD): Vor knapp zehn Jahren wurde in Deutschland das weltweit größte Digitalfunk- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722304 (A) (C) (B) (D) netz für Behörden und Organisationen mit Sicherheits- aufgaben, die sogenannten BOS, aufgebaut . Dies war keineswegs banal . Schließlich verfügte Deutschland im Gegensatz zu den meisten anderen europäischen Staaten bereits im Analogfunk über ein Integriertes Funknetz für die BOS . Nach einem längeren Bund-Länder-Ab- stimmungsprozess fiel dann der Startschuss mit dem am 1 . September 2006 in Kraft tretenden „Gesetz über die Errichtung einer Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsauf- gaben“, dem sogenannten BDBOS-Gesetz . Am 2 . April 2007 wurde die BDBOS gegründet . Es war damals ein wichtiger Schritt, um ein Herzstück unseres polizeilichen und nicht polizeilichen Sicherheitssystems, nämlich die Kommunikation und den Datenaustausch, zu moderni- sieren . Der Digitalfunk ersetzte den bis dahin technisch veralteten, von der Polizei in Bund und Ländern, den Feuerwehren, den Rettungskräften sowie von den Kata- strophenschutz- und Zivilschutzbehörden in Bund und Ländern genutzten Analogfunk . Mitte 2009 haben wir mit dem ersten „Gesetz zur Änderung des BDBOS-Gesetzes“ die Voraussetzun- gen geschaffen, das in Deutschland bereits bestehende integrierte BOS-Funknetz von der analogen in die mo- derne digitale Funktechnik zu überführen . Damit wurde gewährleistet, dass die von Bund und Ländern für ihre jeweiligen Bedarfsträger dezentral beschafften digitalen Funkgeräte bestimmte Mindestanforderungen erfüllen und so störungsfrei mit den sonstigen Komponenten des BOS-Digitalfunknetzes sowie mit allen anderen Funkge- räten in diesem Netz zusammenarbeiten . Das BOS-Digitalfunknetz in Deutschland ist weltweit das Größte seiner Art und verfügt im Vergleich zum Ana- logfunk über einige Vorteile: Er ist abhörsicher, hoch- verfügbar, und hat eine verbesserte Sprachqualität . Der BOS-Digitalfunk wird heute bereits von über 700 000 re- gistrierten Teilnehmern genutzt und hat sich nicht nur im Alltag, sondern auch bei Großeinsatzlagen bewährt . Die- ses Ergebnis konnte durch die gute und enge Zusammen- arbeit zwischen dem Bund, den Ländern und der BDBOS erreicht werden . Mit dem nun heute vorliegenden zweiten und auch zu begrüßenden „Gesetz zur Änderung des BDBOS-Ge- setzes“ wollen wir sicherstellen, dass der öffentlichen Verwaltung die notwendige Flexibilität für die Zukunfts- herausforderungen und Zukunftsanforderungen gegeben werden, die durch den Wandel in staatlichen Kommuni- kationsstrukturen verursacht werden . Wir nehmen in das bestehende BDBOS-Gesetz eine Öffnungsklausel auf, mit der das Aufgabenspektrum der BDBOS jederzeit erweitert werden kann, um auf Ent- wicklungen im Bereich staatlicher Kommunikations- strukturen flexibel zu reagieren. Der Zweck der BDBOS liegt aber auch nach einer möglichen Übertragung wei- terer Aufgaben nach wie vor im Aufbau und Betrieb des Digitalfunks . Zunächst ist vorgesehen, den Eigenbetrieb der Netze des Bundes, NdB, als eine gesonderte Aufgabe an die BDBOS zu übergeben . Gerade mit der steigenden Gefahr durch Cyberattacken und dem schnellen techno- logischen Fortschritt sollen die Netze des Bundes mithal- ten können . Bund und Länder sitzen beim BDBOS nach wie vor in einem Boot . So wollen wir mit dem Änderungsgesetz die Möglichkeit des weiteren Zusammenwirkens von Bund und Ländern bei Planung, Errichtung und Betrieb der für ihre Aufgabenerfüllung benötigten informationstechni- schen Systeme einführen . Ebenso stellen wir klar, dass der beim BDBOS be- stehende Verwaltungsrat allein für die in § 2 Absatz 1 Satz 1 BDBOSG geregelten Belange des Aufbaus, Be- treibens und der Weiterentwicklung des Digitalfunks der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben sowie der Sicherstellung ihrer Funktionsfähigkeit zu- ständig ist . Dabei soll dem Verwaltungsrat insoweit die Entscheidung über die grundsätzlichen Angelegenheiten, soweit die zuvor genannten Belange nach § 2 Absatz 1 Satz 1 BDBOSG betroffen sind oder die Übertragung von Aufgaben nach § 2 Absatz 1 Satz 2 BDBOSG-E im Raum steht, obliegen . Außerdem soll der vom Verwal- tungsrat aufzustellende Jahresabschluss auf die in § 2 Absatz 1 Satz 1 BDBOSG geregelten Aufgaben fixiert werden . Wir legen fest, dass der jährlich zum 31 . Oktober für das folgende Geschäftsjahr zu erstellende Wirtschafts- plan Investitionen und Aufwendungen für die in § 2 Absatz 1 Satz 1 und 2 BDBOSG fixierten Aufgaben ge- sondert auszuweisen hat und die Aufhebung der in § 18 BDBOSG geregelten Übergangsvorschriften und der in § 19 BDBOSG vorgesehenen Änderungen des Bundes- besoldungsgesetzes . Natürlich sehen wir an einigen Stellen noch Umset- zungs- und Nachverdichtungsprobleme, insbesondere auch in der sogenannten In-House-Versorgung . Hier sind die Länder oder auch die Betreiber der jeweiligen Ein- richtungen weiter in der Pflicht. Der Antrag der Fraktion Bündnis90/Die Grünen greift damit auch nur einen Aspekt der notwendigen weiteren In-House-Verdichtung heraus, der der Sicherstellung ei- ner lückenlosen BOS-Digitalfunkabdeckung in Bahnhö- fen der Deutschen Bahn AG . Auch ohne den Antrag der Grünen ist auch heute schon die Deutsche Bahn AG genauso wie zum Beispiel Flughafenbetreiber in der Pflicht, technisch alles in die Wege zu leiten, damit Polizei und Rettungskräfte im Falle einer Krisensituation über den Digitalfunk vor Ort kommunizieren können . Übrigens nicht nur für den von den Grünen angeführten Fall eines Terroranschlages . Im Gegenteil, sie ist auch und gerade für die alltäglichen Einsätze der Polizei, der Feuerwehren und Rettungs- dienste notwendig . Wir wissen, dass es keine bundesweit einheitliche Rechtsverpflichtung der Betreiber zur Objektfunkver- sorgung gibt . Die Verantwortung für Anlagen der Eisen- bahninfrastruktur tragen die Eisenbahninfrastrukturun- ternehmen . Sie sind für die Gewährleistung des sicheren Betriebs ihrer Anlagen uneingeschränkt verantwortlich, wozu unter anderem auch Rettungskonzepte mit deren notwendigen Kommunikationsmöglichkeiten für die BOS gehören . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22305 (A) (C) (B) (D) Es ist doch schon seit Jahren mit Bundesmitteln aus der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung mög- lich – auch für die Deutsche Bahn AG und ihre Eisen- bahninfrastrukturunternehmen –, die Ausrüstung mit BOS-Funk zu finanzieren, dabei ist es sogar egal, ob analog oder digital . Dafür muss im jeweiligen Einzelfall ein funktionierendes Rettungskonzept vorliegen und eine Aus- bzw . Umrüstung mit BOS-Digitalfunk erforderlich sein . Der Deutschen Bahn AG obliegt es jetzt schon in ihrer eigenen unternehmerischen Verantwortung, dies an ihren Bahnhöfen zu ändern; daraus wollen wir sie auch nicht entlassen . Für den Gesetzentwurf bitte ich um Ihre Zustimmung . Den Antrag von Bündnis90/Die Grünen halten wir durch die bestehende Rechtslage für erledigt . Frank Tempel (DIE LINKE): Im vorliegenden Ge- setzentwurf will die Bundesregierung die Möglichkeit schaffen, der Bundesanstalt für den Digitalfunk der Be- hörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben, BDBOS, neue Aufgaben jenseits des bisherigen Betrie- bes des TETRA-basierten Digitalfunk BOS zukommen zu lassen . Angedacht ist die Übertragung des Eigenbe- triebes der Netze des Bundes, NdB . Das Netz des Bundes als zukünftige Netzinfrastruktur der Bundesverwaltung ist unzweifelhaft Teil der kriti- schen Infrastruktur und auf das Engste mit den Kernauf- gaben des Staates verbunden . Solch kritische Infrastruk- turen in Betrieb privater Firmen bilden ein potenzielles Sicherheitsrisiko . Die bisherigen zwei Netze, das BVN/ IVBV – Bundesverwaltungsnetz/Informationsverbund der Bundesverwaltung – und das IVBB – Informations- verbund Berlin-Bonn – wurden von zwei Privatfirmen, Verizon und T-Systems, betrieben . Darüber erfolgten die Regierungskommunikation sowie die Kommuni- kation der Bundesverwaltung . Via BVN/IVBV wird ebenfalls ein Teil der Datenverkehre des Deutschen Bun- destages abgewickelt . Mit den Snowden-Leaks wurde bekannt, dass Verizon zu jenen Firmen zählt, mit denen der US-amerikanische Geheimdienst NSA strategische Partnerschaften zur Datenüberwachung unterhält . Der Vertrag mit Verizon über den Betrieb des Bundesverwal- tungsnetzes wurde daraufhin später zu Recht gekündigt . Die Änderung des BDBOS-Gesetzes schafft die Mög- lichkeit, dass die Netze des Bundes, NdB, in Eigenbetrieb durch die Bundesbehörde geführt werden können . Das ist grundsätzlich zu begrüßen . Zudem sollen bis 2019 die einzelnen Fernkommunikationsnetze des Bundes zu- sammengefasst und migriert werden . Gegenüber einem Fremdbetrieb soll der Kostenvorteil des NdB in Eigenbe- trieb zudem laut dem Gesetzentwurf rund 160 Millionen pro Jahr betragen . Andererseits bleibt die Fraktion Die Linke skeptisch . Die Geschichte der Einführung des digitalen BOS-Netzes als auch des Netzes des Bundes war und ist ein Trauer- spiel . Schon zur Fußballweltmeisterschaft 2006 sollte in den Austragungsorten der digitale BOS-Funk verfügbar sein . Im Jahr 2007 gab es einen Neustart des gesamten Projektes . Seitdem ist die Bundesanstalt für den Digital- funk der Behörden und Organisationen mit Sicherheits- aufgaben für den Aufbau des Digitalnetzes zuständig . Immer größere Kosten, ein Ausbaurückstand von zwei Jahren und Berichte über ein Organisationschaos bei der BDBOS begleiteten deren Arbeit . Beim Aufbau des digi- talen Polizeifunks waren erhebliche Unregelmäßigkeiten zu beobachten . Der Bundesrechnungshof listete im Jah- re 2010 unglaubliche Zustände beim BDBOS auf . Mit- arbeiter wurden ohne Arbeitsvertrag angestellt, externe Dienstleister schrieben sich selbst die Arbeitsaufgaben zu, und die Rechnungslegung war über weite Strecken nicht nachvollziehbar . Die ursprünglich geplanten Kos- ten von 5,1 Milliarden Euro, die inzwischen auf 7,2 Mil- liarden Euro angestiegen sind, werden wohl noch um ei- nige Milliarden anschwellen . Grund dafür ist die immer noch nicht erreichte vollständige Abdeckung des Netzes . Insbesondere in Tälern, dichten Wäldern und innerhalb von Gebäuden ist der Empfang schwierig bis unmöglich . Deshalb muss die Stationsdichte nachträglich erhöht werden . Der heute vorliegende Antrag von Bündnis 90/ Die Grünen geht in diese Richtung und wird natürlich von den Linken unterstützt . Weiterhin ist die Übertragung digitaler Daten beim Polizeifunk so unterdimensioniert, dass jedes normale Handy einen weit höheren Funktionsumfang aufweist . Die Übertragung von Fahndungsfotos oder Fingerabdrü- cken ist faktisch unmöglich . Es steht also ein milliarden- schwerer Ausbau bei den Bandbreiten an . Nach Jahren der Kritik von Katastrophenschützern und auch unserer Fraktion haben die Bundesregierung und die Länder endlich die Notwendigkeit erkannt, das digitale BOS-Netz gegen längere Stromausfälle zu här- ten . Bereits nach zwei Stunden ist heute das Netz tot und sind Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienste und THW der Kommunikation beraubt. Der Puffer soll nun auf 72 Stunden ausgebaut werden . Wann dies abschließend der Fall ist, steht aber in den Sternen . Auch das Projekt „Netze des Bundes“ ist dem Zeitplan um Jahre hinterher . Neben Diskussionen um die Sicherheit des Netzes wegen bekannter Trassenverläufe im ehemaligen Leerrohrnetz der amerikanischen Armee gibt es auch erhebliche Kritik des Bundesrechnungshofes an Fehlausgaben in Milliar- denhöhe . Sie verstehen sicherlich, dass wir trotz des nachvoll- ziehbaren Ansatzes in ihrem Gesetz große Befürchtun- gen gegenüber Ihren Plänen hegen . Es ist schon viel zu viel Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler einge- setzt worden, und die Nutzbarkeit von digitalem BOS und des Netzes des Bundes ist trotzdem nicht auf dem versprochenen Stand . Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vie- le haben sicher nie davon gehört, aber: Die Umstellung des Analogfunks von Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben auf BOS-Digitalfunk ist eines der größten technischen Modernisierungsprojekte in Deutschland . Die ursprünglichen Planungen sahen die Inbetriebnahme eines Rumpfnetzes in Berlin zur Fuß- ball-WM 2006 vor . Die Gesamtumstellung sollte dann bereits im Jahr 2012 abgeschlossen sein . Nach der Um- stellung soll der neue BOS-Digitalfunk den Behörden mit Sicherheitsaufgaben in Bund und Ländern, wie der Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722306 (A) (C) (B) (D) Polizei, den Feuerwehren, dem THW oder den Sanitäts- und Rettungsdiensten, ein zuverlässiges und modernes Funknetz bieten . Der Ausschreibungs- und Planungspro- zess war allerdings so miserabel, dass dieses Ziel weit verfehlt wurde und die Umstellung bis heute nicht voll- ständig abgeschlossen ist . Die eigens 2007 gegründete Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Si- cherheitsaufgaben, also der BDBOS hat die bestehenden Probleme offensichtlich nicht im Griff, und der BOS-Di- gitalfunk entwickelt sich mehr und mehr zu dem Berliner Flughafen des Bundesinnenministeriums . Der vorlie- gende Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht nun die Übertragungen von weiteren Aufgaben an die BDBOS vor, die bisher nur den Ausbau und den Betrieb des BOS- Funks zu verantworten hat . Mir erscheint das Vorhaben so, als würde man jetzt dem neuen Berliner Flughafen auch noch den Betrieb von Tegel anvertrauen . Dabei haben die Verantwortli- chen aus der Misere offensichtlich nicht viel gelernt, wenn man den vorliegenden Gesetzentwurf betrachtet . Dieser soll es ermöglichen, dass weitere Aufgaben an die BDBOS übertragen werden, ohne dass diese genau spezifiziert sind. Dabei ist der Gedanke, weitere Auf- gaben im Bereich der staatlichen Kommunikation an einer Stelle zu bündeln und dadurch beispielweise die Resilienz gegen Hackerangriffe zu stärken, sicherlich sinnvoll . Aber setzt dies nicht eine genaue Planung vo- raus? Ich frage mich: Wo möchte die Bundesregierung mit diesem Gesetzentwurf hin? Offensichtlich weiß man das selbst nicht so genau . Die Übertragung des Betriebs der sogenannten Netze des Bundes als mögliche Option bleibt mir an dieser Stelle zu unkonkret, insbesondere im Hinblick darauf, dass es sich allein hier um ein Projekt mit einem Erfüllungsaufwand von 100 Millionen Euro handelt und dass ein jährlicher Erfüllungsaufwand von rund 92 Millionen Euro veranschlagt ist, nach bisheri- gen Zahlen der Bundesregierung . Weitere Kosten, für die möglichen neuen Aufgaben, kann die Bundesregierung nicht einmal benennen . Vielleicht wäre es auch im Hinblick auf die gegenwer- tige sicherheitspolitische Lage angebracht, sich erstmal auf die bestehenden Probleme im BOS-Digitalfunk zu konzentrieren und der Behörde nicht pauschal so weit- reichende Aufgaben zu übertragen . Die terroristische Anschlagsgefahr prägt die politische Debatte derzeit wie kaum ein anderes Thema . Es werden im Eiltempo neue Gesetze verabschiedet und Markplatzreden über die Aus- stattung der Sicherheitsbehörden und insbesondere der Polizei gehalten . Den Polizistinnen und Polizisten, die täglich ihren Dienst ausüben, helfen diese Gesetze und warmen Worte wenig, wenn wir immer wieder erleben, dass diese unter grundlegenden Ausstattungsdefiziten leiden. Hier ist die Bundesregierung in der Pflicht, nachzubessern und eben auch für einen funktionierenden und zuverlässigen Be- hördenfunk zu sorgen . Ohne einen störungsfreien Funkverkehr ist keine zu- verlässige Kommunikation sichergestellt, und diese ist Grundlage eines erfolgreichen Einsatzes . Die Bewälti- gung einer komplexen Lage, wie zum Beispiel bei einem Amoklauf oder einem Terroranschlag, ist nur durch eine absolut zuverlässige Kommunikation zwischen den ver- schiedenen Polizeieinheiten, aber auch anderen Behör- den mit Sicherheitsaufgaben, wie der Feuerwehr oder den Rettungsdiensten, möglich . Aber auch im alltäglichen Dienst stellen die bestehenden Probleme im Digitalfunk ein erhebliches Risiko für die Beamtinnen und Beamten dar . Wie soll beispielsweise Verstärkung gerufen werden, wenn man sich gerade in einem „Funkloch“ befindet? Mit einem zuverlässigen BOS-Digitalfunk würde die Bundesregierung einen wertvollen Beitrag für die Sicher- heit und körperliche Unversehrtheit der Polizistinnen und Polizisten leisten und nicht mit einer Strafverschärfung, wie kürzlich beschlossen . Die Probleme im Aufbau des BOS-Digitalfunks sind Jahre nach der Einführung immer noch vielseitig . In der Fläche besteht teilweise immer noch ein Mangel an Basisstationen, die eine zuverlässige Netzabdeckung garantieren . Aus diesem Grund greifen Einsatzkräfte immer wieder auf private Mobiltelefo- ne zurück, um Meldungen abzugeben oder zusätzliche Kräfte anzufordern . Der Mangel in der Fläche sorgt auch immer wieder für eine schlechte Funkverbindung inner- halb von Gebäuden . Des Weiteren ist die Umstellung in den Behörden mit Sicherheitsaufgaben selbst noch nicht vollständig abgeschlossen, wie eine Kleine Anfrage von uns ergeben hat . Hier gilt es dringend nachzubessern . Die größte Herausforderung liegt aber in der Objekt- funkversorgung von großen Gebäuden, wie verschiedene Zwischenfälle und Berichte in den letzten Jahren gezeigt haben . Dieses Problem greift unser Antrag „Lückenlose BOS-Digitalfunkabdeckung in Bahnhöfen der Deutschen Bahn AG sicherstellen“ auf . Bahnhöfe sind besonders sensible Orte, die täglich von vielen Menschen frequen- tiert werden . Daraus ergeben sich bereits im alltäglichen Geschehen besondere Herausforderungen, insbesondere im Hinblick auf terroristische Ereignisse . Wir fordern die Bundesregierung auf, diese Missstän- de endlich zu beheben und gemeinsam mit der Deutschen Bahn AG für eine flächendeckende und zuverlässige Ob- jektfunkversorgung in den Bahnhöfen und den Tunnelan- lagen zu sorgen . Ich möchte eindringlich um eine Unter- stützung unseres Antrages werben, der einen erheblichen Sicherheitsgewinn für die Bevölkerung und die Beamtin- nen und Beamten im Dienst bedeutet . Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister des Innern: Die Digitalisierung führt zu grundlegenden Veränderungen in unserem Land . Neben der Wirtschaft und Gesellschaft ist gerade auch der Staat von diesen Veränderungen betroffen. Die Bundesverwal- tung ist heute in ihrer Handlungsfähigkeit entscheidend auf eine moderne, sichere und zuverlässige IT-gestützte Kommunikation angewiesen . Dabei spielen Netzinfra- strukturen eine besondere Rolle . Sie stellen die übergrei- fende Sprach- und Datenkommunikation sicher, vernet- zen bundesweit Rechnernetze und bilden somit eine Art „zentrales Nervensystem“ für die moderne Verwaltung . Die kurzen Entwicklungszyklen auf dem IT-Markt führen allerdings dazu, dass alte Technologien den ste- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22307 (A) (C) (B) (D) tig wachsenden Anforderungen kaum noch Rechnung tragen . Daneben ist die Bedrohungslage der Netze durch hochentwickelte Schadprogramme wie zum Beispiel Trojaner gestiegen . Die Regierungsnetze werden täglich gezielt angegriffen. Auch hat die Vielfalt der Netze inner- halb der Bundesverwaltung zu einer hohen Komplexität geführt, welche die Beherrschbarkeit und damit die Si- cherheit der Regierungskommunikation gefährden kann . Die aktuellen Netzinfrastrukturen der Bundesverwal- tung sind historisch gewachsen und weisen eine Vielzahl von parallelen Flächennetzen und Spezialnetzen auf . Dazu kommt, dass unsere heutigen Netze kein einheit- liches Sicherheitsniveau und keine redundanten Netz- werkstrukturen für eine größtmögliche Verfügbarkeit besitzen: Punktuelle Modernisierungen und Erweiterungen der bestehenden Regierungsnetze können den Anforderun- gen einer vernetzten, modernen Verwaltung nicht dauer- haft gerecht werden . Deshalb wird derzeit mit dem Projekt „Netze des Bundes“ eine einheitliche Netzinfrastruktur mit erhöh- tem Sicherheitsniveau auf den Weg gebracht . Hierdurch werden die notwendige Größenvorteile, Krisensicherheit sowie Leistungssteigerung gewährleistet . Durch redun- dante Anbindungen wird die Verfügbarkeit der Netze er- heblich gesteigert . Es ist vorgesehen, der Bundesanstalt für den Digital- funk der Behörden und Organisationen mit Sicherheits- aufgaben, kurz: BDBOS, den Betrieb der Netze des Bun- des als gesonderte Aufgabe zu übertragen . Hierzu bedarf es der vorliegenden Gesetzesänderung, die eine solche Aufgabenübertragung an die BDBOS er- möglicht . Gegenwärtig bestehen die zentralen Aufgaben der BDBOS im Aufbau, Betrieb und der Weiterentwicklung des bundesweit einheitlichen digitalen Sprech- und Da- tenfunksystems für die Einsatzkräfte der Polizei, der Feuerwehr, der Rettungskräfte sowie der Katastrophen- und Zivilschutzbehörden in Bund und Ländern . Die Bundesanstalt ist besonders geeignet den Betrieb der Netze des Bundes zu übernehmen, da sie bereits für den Betrieb des designierten Backbones für die Netze des Bundes, dem „Kerntransportnetz Bund“, verantwortlich ist und aufgrund ihrer gefestigten Strukturen in der Lage ist, frühzeitig am Projekt Netze des Bundes mitzuwirken . Der Bund sichert sich mit der Übertragung der Aufgabe an eine Bundesanstalt im Vergleich zum Betrieb durch einen externen Dienstleister uneingeschränkte Einfluss- möglichkeiten . Dies ist gerade auch bei besonderen si- cherheitsrelevanten Lagen von Bedeutung . Auch die Einfluss- und Kontrollrechte des Parlaments bleiben so gewahrt . Wir haben ein gemeinsames Interesse daran, die Leis- tungsfähigkeit und Sicherheit der für das Funktionieren der Bundesverwaltung wichtigen behördlichen Netzinf- rastrukturen weiterhin zu gewährleisten und auf zukünf- tige Herausforderungen vorzubereiten . Deshalb bitte ich Sie um die Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf . Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Um- setzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union zur Arbeitsmigration (Tages- ordnungspunkt 32) Andrea Lindholz (CDU/CSU): Häufig ist der Vor- wurf zu hören, Deutschland und Europa schotteten sich ab . Migranten seien in Europa nicht mehr willkommen . Der vorliegende Gesetzentwurf zeigt, dass die europä- ische Migrationspolitik in eine ganz andere Richtung geht . Mit den drei EU-Richtlinien, die wir heute in deut- sches Aufenthaltsrecht umsetzen, erleichtern wir Nicht- europäern, die auf legalem Weg nach Europa gekommen sind, die Arbeitsmigration innerhalb der EU . Natürlich brauchen wir in Europa qualifizierte und motivierte Zuwanderer . Allerdings muss diese Zuwan- derung in jedem Fall klaren Regeln folgen, die jederzeit in allen EU-Mitgliedstaaten eingehalten und konsequent umgesetzt werden müssen . An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass die ganz große Mehrheit der Migranten in Europa unsere geltenden Zuwanderungsgesetze einhält . Die Phasen der hohen unkontrollierten und illegalen Migration, wie wir sie zuletzt erlebt haben, sind die Ausnahme und müssen die Ausnahme bleiben. Andernfalls erodiert die öffentli- che Akzeptanz für die Freizügigkeit in Europa noch wei- ter . Der Fortbestand des grenzfreien Schengen-Raums ist heute durch das dysfunktionale Asylsystem der EU akut bedroht . Die EU-Staaten müssen deutlich machen, dass es kla- re Regeln gibt, wer unter welchen Bedingungen und auf welchem Wege zu uns kommen darf . Dafür braucht die EU ein klares, verbindliches und glaubwürdiges Zuwan- derungsregime . Diejenigen Migranten, die unser gelten- des Recht einhalten, sollen auch von den Vorzügen des vereinten Europas profitieren können, aber eben unter bestimmten und kontrollierten Voraussetzungen . Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf kommt die Bun- desregierung ihrer Pflicht nach, drei EU-Richtlinien in das deutsche Aufenthaltsrecht umzusetzen . Nichteuropä- er erhalten durch die Umsetzung der Rest-Richtlinie, der ICT-Richtlinie und der Saisonarbeitnehmer-Richtlinie mehr Möglichkeiten und Freiheiten in der EU . Diese Re- form wird vielen Migranten, die nicht aus der EU stam- men, das Leben und Arbeiten in Europa und Deutschland erleichtern . Zum Beispiel sollen Studenten und Forscher leichter zu Studien- oder Forschungszwecken in andere EU-Staat wechseln dürfen . Ebenso sollen mit dem Gesetzentwurf die Regeln für unternehmensintern transferierte Arbeit- nehmer vereinfacht werden . Auch für Praktikanten und Teilnehmer von europäischen Freiwilligendiensten, die aus Drittstaaten stammen, wird das Aufenthaltsrecht verbessert . Zudem werden die Vorschriften zu Ein- und Ausreise von Saisonarbeitnehmern vereinheitlicht und vereinfacht . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722308 (A) (C) (B) (D) In der Landwirtschaft, der Gastronomie und der Bauindustrie werden seit Jahren zusätzliche saisonale Ar- beitskräfte gebraucht . Es ist daher richtig, Drittstaatlern die Einreise für Kurzaufenthalte bis zu 90 Tagen oder längere Aufenthalte bis zu sechs Monaten zu ermögli- chen, um in Deutschland vorübergehend zu arbeiten . Sai- sonarbeiter müssen dafür einen gültigen Arbeitsvertrag und eine bezahlbare Unterkunft nachweisen . Zu begrü- ßen ist auch, dass in § 41 Aufenthaltsrecht eine Möglich- keit zum Widerruf der Arbeitserlaubnis verankert wurde, um unsere heimischen Arbeitnehmer vor Lohndumping zu schützen . Eine noch weiter gehende Verbesserung der Schutzstandards für Saisonarbeitnehmer vor Missbrauch und Ausbeutung wäre sicherlich zu begrüßen . Allerdings ist das vorliegende Gesetz dafür nicht der richtige An- satzpunkt . Wichtig ist auch, die Anreize für illegale Migration und das Überziehen der Aufenthaltsgestattung zu mini- mieren . In diesem Zusammenhang wird erneut deutlich, wie wichtig die zügige Einführung des geplanten zentra- len Einreise-Ausreise-Registers der EU ist . Dieses Re- gister ist für die europaweite Identifikation sogenannter Visa-Overstayer von großer Bedeutung . Natürlich ist Migration für unsere Volkwirtschaft, für die internationale Forschung und Lehre und die Unter- nehmen in Europa von großer Bedeutung . Zudem ha- ben die letzten Jahre in vielfacher Hinsicht gezeigt, wie wichtig eine verbindliche Ordnung und eine verlässliche staatliche Kontrolle bei der Einwanderung sind . Migration und Einwanderungskontrolle schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern müssen als zwei Seiten der gleichen Medaille begriffen werden. Wer Migration nicht kontrolliert, riskiert, dass irgendwann Mauern ge- baut werden . Um das zu vermeiden, braucht es voraus- schauende, verbindliche und allgemein nachvollziehbare Regeln . Auch ich würde es begrüßen, wenn Deutschland ein einfaches Einwanderungsgesetz erhalten würde, wie es manche fordern . Diese Forderungen ignorieren jedoch die Tatsache, dass wir als EU-Mitglied unser Aufenthalts- recht immer im europäischen Kontext denken und regeln müssen . Dadurch wird das Ausländerrecht in Deutsch- land automatisch komplizierter als zum Beispiel in Ka- nada . Allerdings verkomplizieren wir mit der heutigen Novellierung das deutsche Aufenthaltsrecht und unsere Einwanderungsregeln zusätzlich . Es muss eine Aufgabe aller EU-Staaten sein, für Einwanderungsregeln zu sor- gen, die weltweit nachvollzogen und respektiert werden . Unter dem Strich verfügt Deutschland bereits über ein sehr liberales Einwanderungsrecht . Mit der heutigen Umsetzung der drei Richtlinien zur Arbeitsmigration stellen wir das erneut unter Beweis . Dazu bitte ich Sie um Ihre Zustimmung . Nina Warken (CDU/CSU): Laut dem kürzlich ver- öffentlichten Migrationsbericht der Bundesregierung ist der deutsche Arbeitsmarkt so beliebt wie nie . Fast 1 Mil- lion Unionsbürger sind allein 2015 nach Deutschland ge- kommen, um bei uns zu arbeiten oder um ein Studium oder eine Ausbildung aufzunehmen . Auch die Zahlen der Hochqualifizierten aus Drittstaaten sind erneut gestiegen. 2015 kamen rund 29 000 Fachkräfte aus Drittstaaten, fast doppelt so viele wie noch vor sechs Jahren . Mit 7 Prozent Zuwachs wird Deutschland auch für Studierende und Wissenschaftler immer attraktiver . Nicht ohne Grund hat die OECD unser Zuwanderungsrecht für Fachkräfte als eines der liberalsten weltweit ausgezeichnet . Dennoch liegt Deutschland im internationalen Wett- bewerb um hochqualifizierte Fachkräfte, die unsere Wirt- schaft dringend braucht, noch nicht so weit vorne, wie es eigentlich sein könnte . Der Gesetzentwurf zur Umsetzung der drei EU-Richt- linien zur Arbeitsmigration von Drittstaaten, den wir heute beschließen wollen, schafft hierbei Abhilfe: Erstens sorgen wir mit der Umsetzung der sogenann- ten REST-Richtlinie dafür, dass Wissenschaftler und Studenten aus Drittstaaten deutlich einfacher bei uns for- schen und studieren können . Für sie reicht künftig ein gültiger Aufenthaltstitel in einem EU-Mitgliedsland aus, und es muss in Deutschland für einen vorübergehenden Aufenthalt nicht auch noch ein solcher beantragt werden . Wenn also zum Beispiel der argentinische Krebsforscher, der bereits ein Visum für Spanien hat, auch unkompliziert in Deutschland forschen kann oder der Informatikstudent aus Kamerun, der in Warschau studiert, für ein Semester auch zu uns kommen kann, sorgen wir nicht nur für mehr Mobilität und wissenschaftlichen Austausch, sondern wir stärken und fördern damit den Wirtschaftsstandort Deutschland . Zweitens wird es mit der Umsetzung der ICT-Richtli- nie für Arbeitnehmer aus Drittstaaten deutlich einfacher, an mehreren Standorten ihres Unternehmens in Europa zu arbeiten . Führungskräfte, Spezialisten und Trainees, also genau die Arbeitnehmer, die wir hierzulande drin- gend brauchen, benötigen für Aufenthalte bis zu drei Monaten keinen zusätzlichen deutschen Aufenthaltstitel mehr . Auch für längere Entsendungen wurde das Verfah- ren deutlich vereinfacht, sodass die klügsten Köpfe leich- ter zu uns kommen können . Drittens wird mit dem Gesetzentwurf die Saisonar- beitnehmerrichtlinie umgesetzt und werden damit die Voraussetzungen festgelegt, unter denen Drittstaatsange- hörige als Saisonarbeiter beschäftigt werden können . Ich möchte aufgrund der Kritik der Opposition nochmal ganz deutlich betonen, dass es sich hierbei um absolut faire und transparente Regeln handelt: Sowohl Kurzaufenthal- te bis zu 90 Tagen als auch längere Aufenthalte bis zu sechs Monaten sind möglich . Dafür müssen ein gültiger Arbeitsvertrag und eine bezahlbare Unterkunft nachge- wiesen werden . Gleichzeitig wurden die Rechte der Sai- sonarbeiter gestärkt, um eine Ausbeutung zu verhindern . Die Kritik der Opposition an diesen Regelungen für Saisonarbeiter verkennt völlig, dass die Mobilität, die dadurch entsteht, nicht nur unseren Unternehmen in der Landwirtschaft, der Gastronomie oder der Baubranche hilft . Sie ist auch im Sinne der Arbeitnehmer . Mobilität bedeutet, für kurze Zeit und auch in wiederkehrenden Abständen in verschiedenen Ländern arbeiten zu können, ohne dass man seinen dauerhaften Wohnsitz dorthin ver- legen muss . Das gehört zu einer modernen Gesellschaft Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22309 (A) (C) (B) (D) dazu, und glauben Sie mir – auch wenn sich das die Op- position vielleicht nur schwer vorstellen kann –, es gibt Menschen, die auch dann weiterhin in ihrem Heimatland leben wollen, wenn die wirtschaftliche Lage dort nicht so gut ist wie bei uns . Lassen wir uns nicht von haltloser Kritik in die Irre führen . Betrachten wir lieber die Fakten . Fakt ist: Mit diesem Gesetzentwurf wird nun ein EU-weit einheitli- cher Rechtsrahmen im Bereich der Arbeitsmigration in Deutschland umgesetzt . Auch der Bundesrat begrüßt das ausdrücklich in seiner Stellungnahme und sieht so gut wie keinen Änderungsbedarf . Die wenigen Änderungswün- sche wurden von der Bundesregierung sorgfältig geprüft, mit dem Ergebnis, dass diese bei genauerer Betrachtung entweder bereits in den Regelungen des Gesetzentwurfs enthalten sind oder aber nicht zielführend wären . So stellt die Bundesregierung beispielsweise völlig zu Recht klar, dass die Unterscheidung zwischen anerkann- ten Flüchtlingen und anderen Drittstaatsangehörigen bei der Umsetzung der REST-Richtlinie sehr wohl gerecht- fertigt ist . Die Verantwortung des aufnehmenden Mit- gliedslandes endet nicht mit dem Asylverfahren, sondern gilt auch im Hinblick auf die Integration . Diesen Grund- satz einer konsequenten Trennung zwischen Flucht und Migration müssen wir auch bei diesem Gesetzentwurf beibehalten, um keine falschen Anreize zu erzeugen . Der vorliegende Gesetzentwurf setzt nicht nur eu- ropäisches in nationales Recht um, sondern er stärkt den Forschungs- und Wissensstandort Deutschland, er schafft neue und erleichterte Einsatzmöglichkeiten für hochqualifizierte Arbeitskräfte und sorgt für einen fairen Rechtsrahmen für Saisonarbeiter . All das ist sowohl im Interesse unseres Landes als auch im Interesse der Men- schen, die bei uns leben und arbeiten wollen . Lassen Sie uns deshalb den Gesetzentwurf mit breiter Mehrheit be- schließen . Sebastian Hartmann (SPD): Deutschland ist schon seit langem ein Einwanderungsland, und Migration ist gelebte deutsche Realität . Sowohl nach Deutschland als auch in umgekehrte Richtung migrieren pro Jahr Milli- onen von Menschen . Migration prägt also die deutsche Gesellschaft nachhaltig, auch wenn sich die Erkenntnis von Deutschland als Migrations- und Einwanderungs- gesellschaft nur langsam durchgesetzt hat . Lassen Sie uns klarstellen: Während es beim vorliegenden Gesetz- entwurf heute um eine Eins-zu-eins-Umsetzung einer europäischen Richtlinie in deutsches Recht geht, steht dahinter doch immer der nachhaltige Anspruch einer Steuerung und Regulierung der Einwanderung insge- samt, den die SPD-Bundestagsfraktion mit unserer For- derung nach einem Einwanderungsgesetz auch hier noch einmal bekräftigt . Deutschland verzeichnet dabei sowohl aus Mitglied- staaten der EU als auch aus Drittstaaten seit Jahren ei- nen steigenden Zuzug . Mit seiner starken Wirtschaft, einer guten Kinderbetreuung, einer exzellenten Gesund- heitsversorgung und vor allem freien, individuellen Ent- faltungsmöglichkeiten ist Deutschland ein attraktives Zielland für hochqualifizierte Einwanderer. Und auch Deutschland profitiert dabei in hohem Maße von der Zu- wanderung . Schon heute kann der Bedarf an beruflich qualifizier- ten Fachkräften in bestimmten Wirtschaftszweigen ohne Zuwanderung aus Drittstaaten nicht mehr abgedeckt werden . Viele Stellen bleiben unbesetzt . Es fehlen gut 1 Million Pflegekräfte, Ärzte oder Ingenieure. Das be- hindert unternehmerisches Wachstum . Zudem bedroht der demografische Wandel unsere Sozialsicherungssys- teme . In den nächsten zehn Jahren würde Deutschland ohne Migration über 6 Millionen Erwerbstätige verlie- ren . Diese enorme Zahl kann auch nicht alleine durch Zu- wanderung aus der EU aufgefangen werden; denn andere EU-Länder stehen vor ähnlichen Herausforderungen . Dabei wanderten in den letzten zehn Jahren bereits knapp 3,8 Millionen Menschen von außerhalb Euro- pas nach Deutschland ein . Allerdings nehmen im Zuge der Globalisierung auch Emigrationsbewegungen aus Deutschland heraus zu; das positive Migrationssaldo ist also deutlich geringer und liegt bei etwa 200 000 Zu- zügen jährlich . Um gegen die bestehenden und künfti- gen Arbeitskräfte- und Qualifikationsdefizite in der EU vorzugehen, müssen wir also weitere Anreize schaffen. Dazu trägt der vorliegende Gesetzentwurf bei . Er greift eine ganze Reihe von Maßnahmen auf, die bestehende Regeln vereinfachen und Bürokratie abbau- en . Konkret werden die ICT-Richtlinie, die Saisonarbeit- nehmerrichtlinie und die REST-Richtlinie im deutschen Aufenthaltsrecht umgesetzt . Damit stellen wir Regeln für ausländische Arbeitnehmer auf, die innerhalb ihres internationalen Unternehmens zeitweise in Deutschland arbeiten möchten . Zweitens regeln wir den Aufenthalt von Nicht-EU-Ausländern in Deutschland als Saison- arbeitnehmer, und drittens werden die Bedingungen für ausländische Studenten und Wissenschaftler, die in Deutschland forschen oder Studien absolvieren möchten, sowie für Praktikanten und Au-pair-Kräfte definiert. Durch diesen Gesetzentwurf wird der Zugang zum und die Bedingungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt und an deutschen Hochschulen transparent und fair gestaltet . Zudem schaffen wir unnötige bürokratische Hindernis- se ab und entlasten damit die deutsche Verwaltung . So müssen Wissenschaftler aus Drittstaaten nicht mehr ei- nen eigenen Aufenthaltstitel beantragen, wenn sie bereits an einer anderen europäischen Hochschule forschen und dort einen Aufenthaltstitel haben . Der wissenschaftliche Austausch über Länder- und Hochschulgrenzen hinweg ist wichtig für Innovation in der Forschung . Er wird in der Zukunft deutlich einfacher . Auch wird es nun mög- lich, vom Aufenthaltszweck des Studiums zu einer Aus- bildung zu wechseln . Diese Flexibilität kann helfen, die unzähligen unbesetzten Ausbildungsplätze in Deutsch- land zu füllen, wenn ausländische Personen das deutsche Ausbildungssystem kennen- und schätzen gelernt haben . Die Migration aus EU-Staaten nach Deutschland ist nur schwer zu prognostizieren . Aber davon ist abhängig, wie hoch der Bedarf an Arbeitsmigration aus Drittstaa- ten ist. Um diese bedarfsorientiert und flexibel steuern zu können, setzt sich die SPD aus Überzeugung für ein Einwanderungsgesetz ein . Wir haben dazu einen Entwurf Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722310 (A) (C) (B) (D) vorgelegt, der nach einem transparenten Punktesystem verständliche Regeln aufstellt und damit Einwanderung in geordnete Bahnen lenkt . Wir werden bei diesem The- ma auch nicht locker lassen . Aber heute stimmen wir dem vorliegenden Gesetzentwurf zu, der eins zu eins die EU-Richtlinien in deutsches Recht umsetzt . Ähnlich verhält es sich mit Saisonarbeitnehmern und ihren Rechten im deutschen Arbeits- und Sozialsystem . Sie werden künftig mit einer erhaltenen Arbeitserlaubnis kein zusätzliches Visum beantragen müssen . Auch hier entbürokratisieren wir die Abläufe . Das hat jedoch nichts mit dem von der Opposition erhobenen Vorwurf zu tun, dass die sozialen Rechte von Saisonarbeitnehmern in dem Gesetzentwurf fehlen. Um das an dieser Stelle klar zu sagen: Als SPD-Bundestagsfraktion achten wir natür- lich besonders auf die sozialen Rechte von Saisonarbeit- nehmern und stehen für diese ein . Dafür ist jedoch das Sozialgesetzbuch der richtige Regelungsort und nicht das Aufenthaltsrecht . Heute geht es darum, aufenthaltsrecht- liche Vorgaben der EU in Bundesgesetzen umzusetzen . Gleiches gilt für die Absicherung sozialer Rechte auch auf europäischer Ebene . Abschließend sei noch einmal betont, dass Arbeits- migration ein Gewinn für den deutschen Arbeitsmarkt ist; denn wir profitieren vom sozialen Kapital ebenso wie von Erfahrungen und Qualifikationen von Drittstaats- angehörigen . Darüber hinaus entstehen neue Ideen im Austausch mit Ausländern . Verschiedene kulturelle Hin- tergründe in Arbeitsteams, internationale Universitäten und heterogen besetzte Forschungseinrichtungen regen zur Zusammenarbeit und gemeinsamer Veränderung an . In einer zunehmend globalisierten Welt wird es immer Ein- und Auswanderung geben . Für uns in der Politik gibt es den Auftrag, diese zu gestalten . Eine Einwanderungs- gesellschaft wandelt sich permanent . Das bedeutet, dass die Regelstrukturen für die Entwicklung dieser Gesell- schaft auch entsprechend angepasst werden müssen . Die vorliegenden Regeln tragen zu einem solchen System mit klaren und einfacheren Einwanderungsregeln bei . Ulla Jelpke (DIE LINKE): Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht die Umsetzung von aufent- haltsrechtlichen EU-Richtlinien im Zusammenhang mit Arbeitsmigration vor . Konkret geht es dabei um Saison arbeiterinnen und -arbeiter, Studierende sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Forschende sowie unternehmensinterne Transfers sogenannter Dritt- staatenangehöriger, also von Nicht-EU-Bürgern . Laut der EU-Richtlinie zur Saisonarbeit sollen Saisonarbeiter aus Drittstaaten anderen EU-Bürgern hinsichtlich Ar- beitsschutz, Bezahlung, Arbeitszeiten und Arbeitsschutz gleichgestellt werden . Teil der Richtlinie ist allerdings ein aus unserer Sicht hochproblematisches Mitteilungs- verfahren zur Kontrolle und Steuerung der Arbeitsmigra- tion . Konkret bedeutet dieses Mitteilungsverfahren, dass die Mitgliedsländer der Bundesagentur für Arbeit und dem BAMF im Gesetzentwurf nicht weiter spezifizierte Daten des Drittstaatenangehörigen mitzuteilen und diese darauf zu prüfen haben, ob es Einwände gegen eine Ein- reise gibt . Begründet wird dieses Verfahren in zweierlei Weise . Zum einen wird behauptet, man benötige dieses Ver- fahren, um Arbeitnehmer aus Drittstaaten vor Ausbeu- tung, zum Beispiel in Hinblick auf das Arbeitsentgelt, schützen . Das klingt erst einmal schön . Doch in der Praxis bedeutet diese scheinbare Fürsorge, dass Arbeitnehmern die Einreise kurzerhand ganz verweigert werden kann, wenn die Befürchtung besteht, dass sie nicht den entspre- chenden Lohn erhalten . „Schutz des Ausländers und Ver- hinderung von Ausbeutung“, wie es in der Richtlinie be- hauptet wird, sehe ich durch ein solches Verfahren kaum gegeben . Ganz im Gegenteil, es kann nicht angehen, dass sich diese Regelungen gegen die Arbeitnehmer richten . Stattdessen braucht es effektivere Kontrollen und Sank- tionen für Unternehmer, sobald die Befürchtung besteht, dass Arbeiter ausgebeutet werden könnten . Hier müssen klare Regelungen erfolgen . Der zweite Aspekt, mit dem das Mitteilungsverfahren begründet wird, ist nicht weniger kritikwürdig . So sollen sicherheitsrelevante Mitteilungen an das BAMF erfol- gen, um den potenziellen Arbeitnehmer durchleuchten zu lassen und etwa die Einreise verweigern zu können . Die Bundesregierung räumt ein, dass die Betroffenen zwar schon einen Aufenthalt in einem anderen Mit- gliedsland hätten, aber nur so könne man nachträgliche Veränderungen berücksichtigen . Wohlgemerkt, es geht nicht um Mitarbeiter in Atomkraftwerken oder anderen sicherheitsrelevanten Bereichen, sondern um Erntehelfer und ähnliche Berufsgruppen . Das ist reine Vorverurtei- lung, die übrigens auch zulasten einer ohnehin schon vollkommen überforderten Bundesbehörde, der BAMF, geht . Dem BAMF noch mehr Aufgaben aufzubürden, be- deutet, noch größere Einbußen bei Qualität und Dauer der Asylverfahren auf Kosten von Flüchtlingen hinzu- nehmen . Immer wieder redet die Bundesregierung von Integra- tion und Qualifikation von Geflüchteten. Der Bundesrat hat zu Recht vorgeschlagen, dass auch Geflüchteten, die studieren und über einen internationalen Schutzstatus verfügen, die Möglichkeit von Studienaufenthalten in Deutschland gewährt werden muss . Dieser Vorschlag, der die vielen Beschwernisse, denen studierende Flücht- linge ausgesetzt sind, wenigstens etwas erleichtern sollte, wurde von der Bundesregierung schlichtweg ignoriert . Auch das ist nichts anderes als Ungleichbehandlung und Diskriminierung . Ich fasse zusammen: Durch den Gesetzentwurf wer- den Arbeitsmigrantinnen und -migranten unter General- verdacht gestellt; es findet kein Schutz vor Ausbeutung statt, und Geflüchtete werden diskriminiert. Insofern können wir diesen Antrag nur ablehnen . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jede Rede zu fortgeschrittener nächtlicher Stunde weckt Erinnerungen an die Zeiten, in denen dieses Haus noch in meinem heiß geliebten Rheinland tagte . Hier in Berlin habe ich oft mit Sehnsucht und Verlangen an Vater Rhein gedacht . Doch genug des Schwelgens in Erinnerungen – es geht um ein wichtiges Thema . Ich kann nur wiederho- len, was ich vor drei Wochen hier gesagt habe: Es wäre schön, wenn die Bundesregierung bei der Umsetzung der Aufnahmerichtlinie, der Qualifikationsrichtlinie und Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22311 (A) (C) (B) (D) der Verfahrensrichtlinie ebenso emsig wäre wie bei der Umsetzung der Richtlinien zur Arbeitsmigration . Auf die Umsetzung des Beratungsanspruchs für Asylsuchende im Verfahren, auf die Einhaltung der Vorgaben zur Be- stimmung sicherer Herkunftsstaaten und auf so manch andere Verbesserung der Situation für Schutzsuchende in Deutschland warten wir jedoch seit geraumer Zeit ver- gebens . Dennoch begrüße ich nach wie vor, dass die Bundes- regierung bemüht ist, im Bereich der Arbeitsmigration die Vorgaben des europäischen Rechts umzusetzen . Ich bedauere allerdings, dass die Gelegenheit nicht genutzt wurde, um das Recht der Arbeitsmigration endlich deut- lich zu liberalisieren, zu systematisieren und zu entbü- rokratisieren. Das wäre angesichts des demografischen Wandels und des zunehmenden Fachkräftemangels in vielen Sektoren und Regionen notwendig . Zugegeben: Die SPD hat das erkannt, zumindest ihr Fraktionsvorsit- zender, der kürzlich ein Einwanderungsgesetz präsentiert hat, das er in Auftrag gegeben hatte . Ob dieser Vorschlag rechtssystematisch kohärent ist – damit würde ich mich gerne hier befassen . Liebe Genossen, wann bringt ihr diesen Entwurf denn endlich ein, damit wir ihn sinnvoll beraten können? Oder zieht ihr hier den Schwanz ein wie bei der Ehe für alle, die Sie immer wieder versprechen, aber es kommt nichts?! Und wo bleibt Ihr Vorschlag zur Umsetzung des Shanghaier Kugelfischabkommens, den wir schon seit Jahrzehnten sehnsuchtsvoll erwarten? Sie trauen sich wohl einfach nicht . Im Detail habe ich ja schon in meiner letzten Rede begrüßt, dass der Gesetzentwurf Verbesserungen beim Zugang zum Studium vorsieht und das Aufenthaltsrecht von Forscherinnen und Forschern neu regelt . Nach wie vor halte ich es aber – wie auch der Bundesrat – für bedauerlich, dass Personen, die in einem anderen Mit- gliedstaat internationalen Schutz genießen, von diesen Verbesserungen ausgeschlossen werden . Dafür gibt es einfach keinen nachvollziehbaren Grund . Integrations-, arbeitsmarkt- und forschungspolitisch ist das ein ver- heerendes Signal . Hier müssen wir mehr wagen . Erwä- gungsgrund 29 der sogenannten REST-Richtlinie sieht die Möglichkeit der Erteilung nationaler Aufenthaltstitel zu Studien- und Forschungszwecken ausdrücklich vor . Von dieser Möglichkeit macht der Gesetzentwurf nur unzureichend Gebrauch . Dem Bundesrat ist insofern zuzustimmen: Es ist einfach nicht nachvollziehbar, wa- rum Studieninteressierte oder Forschende, die gerade erst internationalen Schutz erhalten haben, gegenüber Menschen derselben Staatsangehörigkeit, die sich noch im Herkunftsstaat befinden, schlechter gestellt werden sollen . Angesichts der hohen Anforderungen an die Titel- erteilung – Sicherung des Lebensunterhalts bei Studie- renden, Kostenübernahme der Forschungseinrichtung bis zu sechs Monaten nach der Aufnahmevereinbarung bei Forschenden – ist Missbrauch nicht zu befürchten . Zudem war die Koalition offenbar taub für die For- derung der Arbeitsgeber, bei der Richtlinienumsetzung für mehr Praxistauglichkeit und weniger Bürokratie zu sorgen . Die Gestaltungsspielräume der ICT-Richtlinie hätten etwa weitaus großzügiger genutzt werden können . Auf das Mitteilungsverfahren bei innereuropäischer Mo- bilität hätte man beispielsweise auch verzichten können . Wir brauchen endlich – ich wiederhole es – den Mut zu einem Einwanderungsgesetz, das die Regelungen der Arbeitsmigration liberalisiert, systematisiert, entbüro- kratisiert und durch die Möglichkeit der angebotsorien- tierten, also vom Nachweis eines Arbeitsangebots unab- hängigen Einwanderung ergänzt . Nur so können wir den Herausforderungen des demografischen Wandels, des Fachkräftemangels und der zunehmenden internationa- len Mobilität von Fachkräften, Studierenden, Forsche- rinnen und Forschern und ihren Familienangehörigen gerecht werden . Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechte- überlassungen (Tagespunkt 33) Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): Bei der Be- kämpfung legaler Steuervermeidung gehen wir heute ei- nen weiteren – grundlegenden – Schritt voran . Mit der sogenannten Lizenzschranke wollen wir künftig verhin- dern, dass internationale Konzerne konzerninterne Li- zenzeinnahmen für Forschungsleistungen bzw . Patente in Niedrigsteuerländer verschieben, ohne dass dort tat- sächlich Forschungsleistungen erbracht werden . Einem der bekanntesten legalen Steuertricks wollen wir damit einen Riegel vorschieben . Viele internationale Konzer- ne nutzen solche Steuergestaltungen . Von den Filialen, in denen sie ihre Produkte verkaufen, nehmen sie hohe Patent- bzw . Lizenzgebühren . Damit schrumpft zum Beispiel der zu versteuernde Gewinn in Deutschland . Die Einnahmen fließen in ein Land, wo sie unter einem Deckmantel der „steuerlichen Förderung von Forschung und Entwicklung“ gar nicht oder nur gering besteuert werden. Tatsächlich findet in diesem Staat aber keine Forschungs- oder Entwicklungstätigkeit statt . Einige un- serer europäischen Nachbarn helfen bei diesen Gewinn- verschiebungen leider mit und besteuern Lizenzeinkünf- te nur marginal . Steuervermeidung ist ein großes Problem . Der Verlust an Steuersubstrat wird immer größer, weil gerade die in- ternationalen Unternehmen schnell wachsen . Gleichzei- tig – und das ist gravierend – werden unsere deutschen Unternehmen im Wettbewerb benachteiligt . Denn unser Steuerrecht funktioniert . Die deutschen Unternehmen zahlen hier ihre Steuern . Die Steuerquoten liegen zwi- schen 20 und über 30 Prozent . Bei Google oder Apple aber fällt auf, dass die Konzernsteuerquoten zwar bei 20 bzw . 24 Prozent liegen, die Gewinne in Europa aber nur mit 3 bzw . 1 Prozent belastet sind . Das heißt, die- se Unternehmen zahlen hier bei uns – obwohl sie hier vielfältig Geschäfte abwickeln – kaum Steuern . Staaten, die derartig unfairen Steuerwettbewerb fördern, können nicht erwarten, dass wir dieser für uns schädlichen Praxis weiter zusehen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722312 (A) (C) (B) (D) Rabatte auf Lizenzeinkünfte, Lizenzboxen, dürfen von Staaten daher zukünftig nur noch gewährt werden, wenn das Unternehmen dort auch wirklich forscht und entwickelt, also Wertschöpfung betreibt . Erfüllt ein Staat diese Anforderung für Zwecke des schädlichen Steuer- wettbewerbs nicht, greifen die Regelungen des Gesetz- entwurfs: Das Unternehmen darf sich die Lizenzaufwen- dungen nicht vom zu versteuernden Gewinn abziehen, wenn damit im Empfängerland Lizenzeinnahmen entste- hen, die aufgrund eines als schädlich eingestuften Prä- ferenzregimes nicht oder nur niedrig besteuert werden . Diese nationale Regelung kann allerdings das Problem leider nicht an der Wurzel packen . Denn schädlicher Steuerwettbewerb ist ein internationales Problem . Daher ergänzt die Regelung das internationale Programm ge- gen „die Aushöhlung von Steuerbemessungsgrundlagen und Gewinnverlagerung“ – Base Erosion and Profit Shif- ting, kurz BEPS –, das Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble bereits im Jahr 2012 auf Ebene der G 20 und der OECD mitinitiiert hat . Nach Aktionspunkt 5 des BEPS-Projekts darf ein Staat Unternehmen nur dann eine spezielle Lizenzbox- regelung gewähren, wenn das Unternehmen in dem Staat Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten durchgeführt und dafür effektiv Ausgaben getätigt hat, sogenannter Nexus-Ansatz . Bereits im Jahr 2016 bestehende Lizenz- boxen, die diesem Nexus-Ansatz nicht entsprechen, müs- sen spätestens bis zum 30. Juni 2021 abgeschafft werden. Diesen Programmpunkt müssen wir nicht umsetzen, da wir keine Lizenzbox in Deutschland anbieten . Allerdings schützen wir uns mit dem vorliegenden Gesetz schon vor dem Jahr 2021 vor Verlust von Steuersubstrat durch ausländische, nicht dem Nexus-Ansatz entsprechende Lizenzboxen . Auch wenn die Lizenzbox in den Staaten der OECD und G 20 ein Auslaufmodell sein sollte, bleibt die Li- zenzschranke auch nach 2021 von Bedeutung . Denn Staaten, die sich dem BEPS-Projekt nicht angeschlossen haben, könnten das Steuermodell auch nach 2021 noch anbieten . Umso wichtiger ist es, dass wir uns internatio- nal abstimmen und das Steuerrecht weiter harmonisieren . Wir wollen den internationalen Steuerwettbewerb dabei nicht abschaffen, sondern fairer gestalten. Gewinne sol- len dort besteuert werden, wo sie erwirtschaftet werden . Alles andere führt zu Wettbewerbsverzerrungen, die vor allem unseren Mittelstand treffen, der hier in Deutsch- land fair seine Steuern zahlt . Deutsches Steuersubstrat darf außerdem nicht geschmälert werden . Die Umsetzung des BEPS-Projekts darf aber auch nicht zu Wettbewerbsnachteilen für unsere Exportindus- trie führen . Vor allem Doppelbesteuerung, hier und zu- gleich am Exportstandort, muss vermieden werden . Das werden wir auch im kommenden Gesetzgebungsverfah- ren wieder berücksichtigen . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Die Beobach- tungen der letzten Jahre haben gezeigt, wie multinatio- nale Unternehmen die unzureichende Abstimmung der nationalen Steuersysteme und den schädlichen Steuer- wettbewerb zwischen den Staaten in ihrem Sinne nutzen und so ihre Steuerlast auf ein Minimum senken können . Üblicherweise setzt hier das bekannte Unternehmensba- shing ein, die Beschimpfung der Unternehmen wegen ih- rer Steuerhinterziehung . Aber jeder der sich in die Rolle des Finanzvorstandes versetzt, würde ähnlich handeln – dorthin gehen, wo die Steuern unanständig niedrig sind, wenn die anderen Verhältnisse in diesem Niedrigsteuer- staat, etwa gut ausgebildete Arbeitnehmer, innere Sicher- heit, kulturelles Angebot, Gesundheitsvorsorge etc ., ver- gleichbar sind . Wir sprechen also heute davon, wie sich Staaten durch Steuerkonkurrenz gegenseitig das Leben schwer machen, um Unternehmen anzulocken . Ich bin froh, dass wir uns an diesem ruinösen Wettbewerb nicht beteiligen, indem wir das Gleiche tun wie eine ganze Reihe ansonsten seriöser Staaten . Vor einiger Zeit wäre unser Finanzminister ja auch dieser Versuchung unterle- gen – er hatte öffentlich eine Patentbox für Deutschland überlegt . Dieser Gedanke ist glücklicherweise mit dem heutigen Gesetzentwurf überwunden . „Steuerlast auf ein Minimum zu senken“, funktioniert über folgenden Me- chanismus: Gewinne verschieben und damit die Bemes- sungsgrundlage kleinrechnen, wir sagen auch: erodieren . Die Bemessungsgrundlage ist ja das, wonach sich die Steuer bemisst, also Steuersatz, Tarif, mal Bemessungs- grundlage . Insofern versuchen die Unternehmen, im ei- genen Land einerseits die Bemessungsgrundlage zu ver- kürzen – ist sie null, ist der Steuersatz gleichgültig . Klar: 30 Prozent auf nix ist ziemlich wenig . Andererseits wird versucht, den Gewinn in Länder zu verschieben, in denen der Steuersatz niedrig ist . Auch klar: Ist der Steuersatz niedrig oder null, ist die Bemessungsgrundlage gleich- gültig . Null mal Egal-wie-viel ist auch ziemlich wenig Der im Auftrag der G-20-Staaten entwickelte An- ti-BEPS-Aktionsplan der OECD zeigt verschiedene fiskalische Maßnahmen dagegen auf. Sie verfolgen das Ziel, die Transparenz und den Informationsaustausch un- ter den Staaten zu verbessern, die Steuersysteme aufei- nander abzustimmen und gegen schädlichen Steuerwett- bewerb vorzugehen . Im Dezember haben wir Teile davon auf Grundlage der EU-Amtshilferichtlinie umgesetzt . Den automatischen Informationsaustausch zwischen den Staaten zu verbessern, war ein überaus wichtiger erster Schritt . Damit sorgen wir für mehr Transparenz bei der Verrechnungspreisdokumentation und einen automati- schen Austausch von Tax-Rulings und länderbezogenen Berichten, Country-by-Country Reporting . Was gefehlt hat, waren Maßnahmen gegen schädlichen Steuerwett- bewerb . Es liegt im Wesen eines ersten Schrittes, dass weitere folgen sollen . Der Bundesrat hat unter Führung der SPD-regierten Länder zur Umsetzung der EU-Amts- hilferichtlinie durch einen Entschließungsantrag deutlich gemacht, dass auch Handlungsbedarf gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Lizenz- und Pa- tentboxen besteht . Mit Lizenz- und Patentboxen, also zum Beispiel Tochterunternehmen, in denen die eigenen Patente liegen und die extrem niedrig besteuert werden, bieten sich Staaten als Präferenzregime an . Damit treten Staaten dann untereinander in Steuerwettbewerb . Auf der Grundlage dieses Entschließungsantrages gehen wir nun mit einem passenden Gesetzentwurf dagegen vor und unternehmen einen weiteren Schritt auf dem Weg zur Umsetzung des Anti-BEPS-Aktionsplanes – am Beispiel Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22313 (A) (C) (B) (D) der Gewinnverlagerung durch Lizenzzahlungen an eine ausländische Patentbox . Als Beispiel für „musterhaftes BEPS-Verhalten“ wird häufig die Steuergestaltungsstrategie von Google ge- nannt: Das Mutterunternehmen in den USA überträgt Lizenzen für die Nutzung der Suchmaschine an eine ei- gene Tochtergesellschaft auf den Bermudas . Für den eu- ropäischen Markt werden die Lizenzen an eine weitere Tochter in den Niederlanden weitergegeben und von der irischen Tochter gegen Gebühr genutzt . In den Nieder- landen erfahren Einnahmen für Lizenznutzung eine steu- erliche Begünstigung . Man spricht hier von einer soge- nannten Lizenzbox, also etwa eine GmbH bzw . Limited, die das Patent hält . Die Lizenzzahlungen mindern in den Quellenstaaten den steuerpflichtigen Gewinn und wer- den im Empfängerstaat im Rahmen der Lizenzbox nicht oder nur niedrig besteuert . Die Besteuerung erfolgt im Ergebnis nicht in dem Staat, in dem die wirtschaftliche Aktivität stattfand, sondern in dem Staat, der den höchs- ten Steuerrabatt gewährt . Dies ist ein Paradebeispiel für schädlichen Steuerwettbewerb, den sich die Staatenge- meinschaft nicht mehr bieten lassen darf, weil am Ende alle Staaten arm und einige Konzerne reich sind . Wir nennen das „Race to the Bottom“ . Unter anderem mit dieser Vorgehensweise befasst sich der fünfte Punkt des Anti-BEPS-Aktionsplans . Die teilnehmenden Staaten haben sich darauf geeinigt, dass solche Präferenzregime schädlich sind, und sich gegen sie ausgesprochen, es sei denn, die Präferenzregime fol- gen dem sogenannten Nexus-Ansatz . Nexus bedeutet Zusammenknüpfen, abgeleitet von nectere oder binden, verknüpfen . Dieser Ansatz knüpft die steuerliche Be- günstigung an eine eigene aktive Forschungstätigkeit im jeweiligen Staat . Es ist aber nicht sicher, dass auch alle Staaten ihre Lizenz- oder Patentboxen auf den Nexus-An- satz eingrenzen, und Staaten außerhalb der OECD haben sich erst gar nicht dazu bekannt . Es besteht auch deshalb weiterhin Steuerwettbewerb . In vielen Doppelbesteuerungsabkommen ist ein Null- steuersatz auf Lizenzzahlungen zwischen Deutschland und dem jeweils anderen Staat vereinbart . Auf diese Wei- se könnten Unternehmen auch weiterhin durch Gewinn- verlagerung Steuervermeidung betreiben . Deshalb hat der vorliegende Gesetzentwurf das Ziel, im Falle eines schädlichen Steuerwettbewerbs die steuerliche Abzugs- fähigkeit für Lizenzzahlungen einzuschränken . Es wird eine sogenannte Lizenzschranke heruntergefahren . Die Voraussetzung dafür ist, dass die entsprechenden Einnah- men beim Empfänger aufgrund eines als schädlich einge- stuften Präferenzregimes, zum Beispiel einer Lizenzbox, nicht oder nur niedrig besteuert werden . Wie gehen wir dabei vor? Wir schaffen eine Gren- ze für schädliche Niedrigbesteuerung . Diese liegt bei 25 Prozent Ertragssteuerbelastung . Das Abzugsverbot ist dann abhängig von der Differenz zwischen der tatsächli- chen Besteuerung und der Sollbesteuerung von 25 Pro- zent . Das Ergebnis setzen wir dann wiederum ins Ver- hältnis zur Sollbesteuerung . Wer im anderen Staat zum Beispiel nur mit 5 Prozent Ertragsteuern belastet wird, erhält ein Abzugsverbot für 80 Prozent seiner Aufwen- dungen . Wir rechnen: 25 Prozent Sollbesteuerung minus 5 Prozent tatsächliche Steuer ergibt eine Differenz von 20 Prozent . Diese 20 Prozent setzen wir ins Verhältnis zu 25 Prozent Sollbesteuerung . Wir dividieren also 20 Pro- zent durch 25 Prozent . 25 Prozent sind ein Viertel, und die Division durch ein Viertel entspricht einer Multipli- kation mit vier, dem Kehrwert . 20 Prozent mal vier ergibt 80 Prozent . Wer den Zusammenhang lieber in einer For- mel nachvollziehen möchte: Abzugsverbot der Aufwen- dungen=(25 Prozent – tatsächliche Ertragsteuer Prozent)/ (25 Prozent) . Der Anwendungsbereich des Gesetzes erstreckt sich auf Tochterunternehmen und auf Betriebsstätten des je- weiligen Unternehmens . Erfasst werden also nur kon- zerninterne Lizenzzahlungen . Dabei achten wir ferner darauf, dass sich ein Unternehmen nicht mithilfe von zwischengeschalteten Gläubigern – gemeint sind kon- zernfremde Unternehmen, quasi Strohmänner – dem Ab- zugsverbot entziehen kann . All dies wird in einem neuen § 4j im EStG geregelt . Um Doppelbesteuerung zu ver- meiden, wird dieser Paragraf in den Ausnahmenkatalog für die Hinzurechnungsbesteuerung des AStG aufgenom- men . Wir sind dafür, dass Präferenzregime, die eine Vor- zugsbesteuerung erlauben, auf internationaler Ebene abgeschafft werden. Dabei sollten keine Ausnahmen gemacht werden . Die am Anti-BEPS-Projekt der OECD beteiligten Staaten haben sich aber leider auf eine solche Ausnahme verständigt . Eine steuerliche Begünstigung bei eigener Forschungstätigkeit im betreffenden Staat ist möglich . Dabei ist eine Niedrigbesteuerung von Lizenz- einnahmen ungeeignet, um Forschung und Entwicklung zu fördern . Die Begünstigung kommt viel zu spät – ex post –, und sie wirkt sich nur im Erfolgsfall aus . Eine direkte Forschungsförderung wäre viel effektiver. Diese Einigung bildet nun aber die Grundlage für die im Ge- setzentwurf enthaltene Rückausnahme von der Abzugs- beschränkung, wenn die Patentbox dem sogenannten Ne- xus-Ansatz – im Englischen Nexus Approach – entspricht, das heißt, wenn die Niedrigbesteuerung vom Umfang der eigenen Forschung und Entwicklung im Empfängerland abhängig gemacht wird . Die beschlossene Ausnahme für den Nexus-Ansatz sollte hier nur eine Übergangslösung auf dem Weg zu einer konsequenten Abschaffung von Präferenzregimen sein . In den anstehenden Gesetzesbe- ratungen werden wir außerdem die Begrenzung der Ab- zugsbeschränkung auf konzerninterne Lizenzzahlungen hinterfragen, denn eine schädliche Niedrigbesteuerung kann auch bei Lizenzzahlungen an Dritte vorliegen . Die- ser Gesetzentwurf ist ein Instrument, mit dessen Hilfe wir gegen eine Form des schädlichen Steuerwettbewerbs vorgehen können . Wir prüfen nun Möglichkeiten, wie dieses Instrument noch weitreichender und schärfer wir- ken kann . Immer wenn ein Steuerbürger zu wenig Steu- ern zahlt, bedeutet das: Andere Steuerbürger müssen zu viel bezahlen. Denn die öffentliche Infrastruktur wollen alle benutzen . Ich bin gespannt, wer in diesem Hase-Igel- Spiel den nächsten Zug macht . Richard Pitterle (DIE LINKE): Nehmen wir ein- mal an, es gäbe ein Möbelunternehmen mit schickem blau-gelben Logo und der tollen Idee, riesige Möbel- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722314 (A) (C) (B) (D) häuser an die Autobahnen in den Vorstädten zu bauen . Das Geschäft brummt, und das Unternehmen macht satte Gewinne . Darauf fallen hierzulande natürlich Steuern an . Und obwohl das Unternehmen von der gegebenen In- frastruktur hierzulande, der Autobahn etc . mächtig pro- fitiert, will es diese Steuern nicht zahlen, sondern den Gewinn am liebsten komplett für sich behalten . Um das zu erreichen, wird folgende Konstruktion gebastelt, die auch Lizenz- oder Patentbox genannt wird: Das Unter- nehmen gründet ein Tochterunternehmen in einer euro- päischen Steueroase wie Irland, Luxemburg oder den Niederlanden, wo auf den Gewinn, den wiederum das Tochterunternehmen macht, nur minimal Steuern anfal- len . Dann überträgt das große Möbelunternehmen die Rechte an seiner Möbelmarke auf das Tochterunterneh- men, und damit es die Marke weiter nutzen darf, wer- den Lizenzgebühren an das Tochterunternehmen gezahlt . Diese vom Möbelunternehmen zu zahlenden Lizenzge- bühren werden mit dem hierzulande erwirtschafteten Gewinn verrechnet, und siehe da: Das arme Möbelunter- nehmen macht kaum noch Plus und muss in Deutschland dementsprechend bedeutend weniger Steuern zahlen, während das Tochterunternehmen ordentlich Kasse zu Ministeuersätzen in der Steueroase macht . Diese dreiste Trickserei ist leider völlig normal bei international täti- gen Unternehmen . IKEA, Google oder Amazon machen von diesen Lizenzboxen seit Jahren Gebrauch und hei- zen den schädlichen internationalen Wettbewerb um die niedrigsten Steuersätze somit kräftig an . Jetzt endlich legt die Bundesregierung ein Gesetz vor, das diese Machenschaften bekämpfen soll . Wir von der Linken haben das schon lange gefordert und freuen uns, dass die Bundesregierung hier zumindest mal einen Schritt in die richtige Richtung zustande bringt . Kern des Gesetzes ist grob gesagt, dass die oben beschriebenen Lizenzaufwendungen hierzulande nicht mehr vollständig von der Steuer abgesetzt werden können, wenn der Emp- fänger sie mit weniger als 25 Prozent versteuern kann und wie im obigen Beispiel ein entsprechendes Nähever- hältnis zum zahlenden Unternehmen besteht . Inwiefern das Gesetz im Detail noch nachgebessert werden muss, wird sich in den kommenden Beratungen im Finanzaus- schuss zeigen . Eines ist jedoch jetzt schon klar: Die gro- ße Koalition hat ihrem Ruf als Koalition des Stillstands im Kampf gegen Steuerumgehung wieder alle Ehre ge- macht . Bereits in ihrem Koalitionsvertrag haben Union und SPD großspurig angekündigt, man wolle „sicherstel- len, dass der steuerliche Abzug von Lizenzaufwendungen mit einer angemessenen Besteuerung der Lizenzerträge im Empfängerland korrespondiert .“ Das war Ende 2013 . Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, was haben Sie in den letzten drei Jahren eigentlich ge- macht? Jedes Jahr muss die Gemeinschaft der Steuerzah- lerinnen und Steuerzahler auf Milliarden verzichten, weil Sie es nicht schaffen, entschlossen und zügig zu handeln. Und bevor Sie nun wieder mit der Ausrede kommen, dass Sie auf die Mitwirkung auf europäischer und internatio- naler Ebene angewiesen wären, werfen wir noch einmal einen kurzen Blick in Ihren Koalitionsvertrag . Da steht im selben Absatz, dass Sie „in Deutschland erforderli- chenfalls gesetzgeberisch voranschreiten“ würden . Vom Voranschreiten kann keine Rede mehr sein, im Gegenteil, Sie schleichen hinterher . Auf internationaler Ebene wurde inzwischen verein- bart, schädliche Lizenzboxregelungen bis Mitte 2021 ab- zuschaffen, danach ist das vorliegende Gesetz aller Vor- aussicht nach nahezu wirkungslos . Böse Zungen könnten also behaupten, die große Koalition hätte den Kampf gegen Lizenzboxen so lang wie möglich hinausgezögert, um die Megakonzerne so wenig wie möglich mit lästigen Steuerforderungen zu behelligen . Für die Linke ist dieses Schneckentempo bei der Bekämpfung solcher Gewinn- verlagerungskonstruktionen zur Steuerumgehung jeden- falls nicht hinnehmbar . Steuern müssen grundsätzlich da gezahlt werden, wo die Wertschöpfung stattfindet, und das muss auch gegen mächtige internationale Konzerne konsequent durchgesetzt werden . Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Die Bundesregierung bringt heute einen Gesetz- entwurf mit dem Kurztitel „Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken“ ein . Ich begrüße diese Initiative der Bundesregierung sehr . Denn Maßnahmen gegen „schäd- liche Steuerpraktiken“ – und das ist eine vornehme Be- schreibung der Tatsache, dass sich viele international tätige Unternehmen einer fairen Besteuerung entziehen – sind überfällig . Es ist im Übrigen erschütternd, dass die Bundesregierung und die Koalition dieses wichtige The- ma an den äußersten Rand im Plenum schieben . Nachts um 3 Uhr 20 eine solche Debatte anzusetzen, zeigt sehr deutlich, dass die Bundesregierung offensichtlich verhin- dern will, dass dieses wichtige Thema in der Öffentlich- keit diskutiert wird . Vielleicht auch deshalb, weil dieser Gesetzentwurf viel zu spät kommt und man die Kritik scheut . Denn die richtige Wirkung hätte dieses Gesetz vor zwei Jahren erzielt – um nämlich mehr Druck aus- zuüben zur Schaffung einer internationalen Vereinbarung gegen schädliche Steuerpraktiken . Schon vor zwei Jah- ren hatte England die sogenannte Lizenzbox eingeführt und war damit dem Beispiel von Luxemburg oder auch den Niederlanden gefolgt . Mit mehr Druck vonseiten Deutschlands hätte im Rahmen der OECD eine Regelung gefunden werden können, die zeitnah und wirksam die Steuerschlupflöcher auf der Basis von Lizenzzahlungen schließt . Und wir wissen doch seit mehreren Jahren, dass vor allem US-amerikanische IT-Konzerne mit diesem Werkzeug sich einer angemessenen Steuerzahlung in vielen europäischen Ländern entziehen . Lassen Sie mich das Thema etwas näher beleuchten . Es ist bekannt, dass der Steuerwettbewerb in den ver- gangenen Jahren eher zu- als abgenommen hat . Dieser „Wettbewerb“ wird nicht nur über Steuersätze ausgetra- gen, sondern auch über die Frage, welche Einkünfte in welcher Höher in die Steuerbemessungsgrundlage ein- fließen. In Europa sind unter dem Deckmantel der For- schungsförderung in vielen Staaten sogenannte Lizenz- boxen eingeführt worden . In einer Lizenzbox werden Einkünfte aus immateriellen Vermögensgegenständen, wie zum Beispiel Patenten, besonders niedrig besteuert . Mit Lizenzzahlungen in ein solches Sondersteuerregime können internationale Konzerne ihre Gewinne gezielt dort anfallen lassen, wo die Staaten Steuervergünstigun- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22315 (A) (C) (B) (D) gen anbieten, und so ihre Gesamtsteuerbelastung mini- mieren . Wenn also die Firma Fiat ihren Hauptsitz in die Niederlande und den Steuersitz nach England verlegt, dann sicher nicht deshalb, weil in den Niederlanden so perfekt italienisch gesprochen wird oder in England viele italienische Designer arbeiten . Oder Starbucks, das ein Tochterunternehmen in den Niederlanden grün- det – aber nicht, um Kaffee auszuschenken, sondern um als Auffangbecken für Lizenzzahlungen zu dienen. Dies geht nicht nur zulasten des deutschen bzw . nationalen Steueraufkommens, sondern schadet auch dem Wettbe- werb, weil Konzerne sich damit gegenüber nationalen Konkurrenten einen Kostenvorteil erschleichen . Es soll- te doch selbstverständlich sein, dass dem Staat, in dem die Wertschöpfung stattfindet, auch ein fairer Anteil des Steuersubstrats zusteht . Aus diesem Steueraufkommen finanziert der Staat schließlich nicht nur Infrastruktur und Bildung, sondern garantiert auch Rechtssicherheit . Allesamt wichtige Grundvoraussetzungen für erfolgrei- che Unternehmen . Staaten, die mit dem höchsten Steu- errabatt ausländische Unternehmen anlocken wollen, handeln unsolidarisch und untergraben sich gegenseitig die Finanzierungsbasis ihrer Gemeinwesen . Leider gibt es diesen schädlichen Steuerwettbewerb auch in Europa . Die internationalen Bemühungen im Rahmen des BEPS-Projektes haben nicht zu einer ausreichenden Ein- dämmung des Problems der Gewinnverschiebung ge- führt . Zwar hat man sich bei der OECD und in der G 20 darauf geeinigt, dass zukünftig nur noch Lizenzzahlun- gen zu begünstigen sind, die dem sogenannten modifi- zierten Nexus-Ansatz entsprechen . So soll eine begüns- tigte Besteuerung nur noch dann gewährt werden, wenn die zugrunde liegende Forschungs- und Entwicklungstä- tigkeit vom steuerpflichtigen Tochterunternehmen selbst ausgeführt wird . Allerdings gestatten die vereinbarten Übergangsfristen eine Beibehaltung der bisherigen Sys- teme bis zum Juni 2021 . Da die Lizenzzahlungen in Län- dern der Europäischen Union und des EWR nicht mit einer Quellensteuer belegt werden können, weil die Zins- und Lizenzrichtlinie dies verbietet, ist es notwendig, dass Deutschland zeitnah und konsequent nationale Abwehr- maßnahmen gegen die Gewinnverlagerung ergreift, um den Anreizsystemen anderer Staaten zu begegnen und kurzfristig das inländische Besteuerungssubstrat zu si- chern sowie langfristig jenen Staaten entgegenzuwirken, welche die Beschränkung auf den Nexus-Ansatz nicht einhalten . Die im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorge- sehene erstmalige Anwendung der Lizenzschranke ab dem Jahr 2018 kommt nach meiner Bewertung deutlich zu spät . Wir werden im weiteren parlamentarischen Ver- fahren die Möglichkeit einer rückwirkenden Anwendung ab dem 1 . Januar 2017 prüfen . Wir müssen in Europa stärkeren Druck ausüben und uns intensiv mit der Frage auseinandersetzen, wie das Steuerdumping schnell und effektiv beendet werden kann. Ich möchte zum Schluss betonen, dass Lizenzzah- lungen an fremde Dritte auch zukünftig weiter unein- geschränkt abzugsfähig gestellt werden sollen, um wirtschaftlich notwendige Geschäftsabläufe nicht zu behindern . Dies ist wichtig zu erwähnen, weil in der Öf- fentlichkeit fälschlicherweise der jetzt vorliegende Ge- setzentwurf mit Blick auf die nicht unerheblichen, aber gerechtfertigten und vom Gesetz gar nicht betroffenen Lizenzzahlungen zwischen unabhängigen Unternehmen diskreditiert wird . Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister der Finanzen: Vor gut einem halben Jahr habe ich Ihnen an dieser Stelle den Entwurf des Amtshil- ferichtlinien-Umsetzungsgesetzes vorgestellt . Mit jenem Gesetz, das zwischenzeitlich im Bundesgesetzblatt ver- öffentlicht ist, haben wir einen ersten großen Schritt zur Umsetzung der Maßnahmen aus dem BEPS-Projekt von OECD und G 20 gegen steuerlich motivierte Gewinnver- lagerungen getan . Schon damals hatte ich angekündigt, dass wir im Kontext des BEPS-Projekts klug analysieren müssen, wo noch konkreter Handlungsbedarf besteht . Und ich habe auch gesagt, dass wir, wenn wir einen sol- chen Handlungsbedarf festgestellt haben, dazu auch ge- setzgeberische Vorschläge machen werden . Einen weiteren Schritt hin zu mehr Steuergerechtig- keit haben wir dann jüngst mit dem Steuerumgehungs- bekämpfungsgesetz getan . Nach Bekanntwerden der sogenannten Panama-Papers haben wir kurzfristig ei- nen Gesetzentwurf erarbeitet, der im Februar hier in der ersten Lesung war . Mit dem Steuerumgehungsbekämp- fungsgesetz wollen wir die Grundlage dafür schaffen, dass Steuerpflichtige künftig nicht mehr mithilfe soge- nannter Briefkastenfirmen steuerliche Tatbestände ver- heimlichen können . Diesen eingeschlagenen Weg zu mehr Steuergerech- tigkeit setzen wir mit dem jetzt vorliegenden Gesetz ge- gen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen konsequent fort . Anlass für das Ge- setz ist, dass in der jüngeren Vergangenheit immer mehr Staaten sogenannte Patent- oder Lizenzboxregime ein- geführt haben . Diese werden von multinationalen Unter- nehmen in hohem Maße genutzt, um Gewinne in solche Staaten zu verlagern und dadurch Steuern zu vermeiden . Die Patent- oder Lizenzboxen mögen sich im Detail von Staat zu Staat unterscheiden . Eines haben diese Boxen jedoch stets gemeinsam: Einnahmen aus der Überlassung von Lizenzen, Patenten, Marken oder anderen Rechten werden entweder gar nicht oder sehr niedrig besteuert . OECD und G 20 haben im Rahmen des BEPS-Projekts die bestehenden Lizenzboxen analysiert . Dabei wurde festgestellt, dass keine einzige dieser Bo- xen den Kriterien des sogenannten Nexus-Ansatzes ent- spricht, der als Maßstab für eine zulässige Maßnahme im internationalen Steuerwettbewerb angesehen wird . Die steuerliche Folge der Nutzung einer Lizenzbox ist: Die Lizenzaufwendungen, die der Schuldner für die Nutzung des Rechts hat, können von diesem im einen Staat, zum Beispiel in Deutschland, als Betriebsausgaben abgezo- gen werden . Die korrespondierenden Einnahmen werden aber im anderen Staat – dem Lizenzboxstaat – entweder gar nicht oder nur niedrig besteuert . Konzerne, die schäd- liche Lizenzboxen nutzen, erzielen dadurch einen erheb- lichen Wettbewerbsvorteil gegenüber Unternehmen, die solche Boxen nicht nutzen . Diesen Zustand wollen wir nicht länger hinnehmen . Künftig sollen daher Zahlungen, Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722316 (A) (C) (B) (D) die ein Unternehmen in ein schädliches – weil nicht dem Nexus-Ansatz entsprechendes – Lizenzboxregime leis- tet, nur noch beschränkt als Betriebsausgaben abgezogen werden können . Der Nexus-Ansatz besagt vereinfacht, dass die Staaten Steuervergünstigungen durch Lizenz- boxen nur dann gewähren dürfen, wenn das zugrunde liegende Recht der Lizenzaufwendungen auch in diesem Staat geschaffen wurde. Ist dies der Fall, wird die Lizenz- box nach internationalem Verständnis nicht als schädlich eingestuft . Solche Lizenzboxen haben wir daher bewusst von unserer Regelung ausgeklammert . Unsere Regelung ergänzt und flankiert somit die internationalen Vereinba- rungen, die wir im BEPS-Projekt getroffen haben. Uns war wichtig, eine ausgewogene Regelung zu schaffen, die einerseits geeignet ist, als schädlich einzustufende Gestaltungen effektiv zu verhindern, andererseits aber möglichst zielgenau wirkt und keine unnötigen Belas- tungen für die ganz große Mehrheit der Steuerpflichtigen mit sich bringt, die solche Gestaltungen nicht nutzen . Von der Beschränkung der Abzugsfähigkeit werden da- her ausschließlich Zahlungen für Rechteüberlassungen erfasst, die in ein Lizenzboxregime fließen, das die fol- genden drei Kriterien kumulativ erfüllt: Erstens . Die Zahlung wird beim Empfänger abwei- chend von der Regelbesteuerung besteuert . Zweitens . Die Zahlung wird beim Empfänger niedrig besteuert, das heißt unter 25 Prozent . Drittens . Das Lizenzboxregime ist als schädlich ein- zustufen, weil es nicht dem auf OECD-Ebene vereinbar- ten Nexus-Ansatz entspricht . Sind alle diese Voraussetzungen sowie die weiteren Tatbestandsmerkmale erfüllt, gilt Folgendes: Je nied- riger die Belastung beim Gläubiger ist, desto niedriger soll künftig auch die steuerliche Abziehbarkeit der Auf- wendungen beim Schuldner sein . Dagegen bleiben Auf- wendungen für Rechteüberlassungen vollumfänglich abzugsfähig, wenn die ausländische Präferenzregelung dem Nexus-Ansatz entspricht . Das heißt auch: Unterneh- men, die keine Gestaltungen mit schädlichen Lizenzbo- xen durchführen, werden durch die Regelung keinerlei Mehrbelastung erfahren . Wir haben damit eine möglichst zielgenaue, ausgewo- gene und verhältnismäßige Regelung vorgelegt, die einer ungerechtfertigten Verlagerung von Besteuerungssubst- rat ins Ausland entgegenwirkt und eine faire Besteuerung sicherstellt . Ich würde mich freuen, wenn Sie auch diesen Ge- setzentwurf mit Wohlwollen beraten . Wir sind davon überzeugt, dass er ein guter Beitrag dazu ist, die Steuer- gerechtigkeit und damit auch die Akzeptanz von Steuer- zahlungen in diesem Land zu heben . Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (Ta- gesordnungspunkt 34) Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU): Mit der Ein- führung eines neuen Messverfahrens zur Ermittlung von Emissionswerten bei Autos schlagen wir ein neu- es Kapitel im Verkehrsrecht auf . Durch das sogenannte WLTP-Verfahren (Worldwide Harmonized Light-Du- ty-Vehicles Test Procedure) werden wir zukünftig reali- tätsnähere CO2-Emissionswerte im Zuge der Ermittlung von Abgasemissionen erhalten . Die Einführung dieser weltweit harmonisierten Testprozedur vollziehen wir durch die Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes, das wir heute debattie- ren . Das neue WLTP-Verfahren löst das bisher geltende NEFZ-Verfahren (Neuer Europäischer Fahrzyklus) ab . Im Gegensatz zum NEFZ-Verfahren, bei dem die Emissionswerte der Autos unter „Laborbedingungen“ er- mittelt werden, wird das WLTP-Verfahren unter realitäts- nahen Bedingungen die Emissionswerte messen . Wobei diese Realitätsnähe natürlich differenziert zu betrachten ist, da der tatsächlich CO2-Ausstoß auch immer vom per- sönlichen Fahrverhalten abhängt . Realitätsnähe heißt also: So wie ein Auto tatsächlich im Straßenverkehr genutzt wird, so wird auch der Emis- sionsausstoß gemessen: kein erhöhter Reifendruck, keine abgebauten Außenspiegel zur Reduzierung des Luftwi- derstandes, kein leerer Tank, keine ausgebaute Klimaan- lage . Ab dem 1 . September 2018 gilt: Für jedes zum Stra- ßenverkehr neu zugelassene Auto ist die Abgasmessung mit dem neuen WLTP-Verfahren verpflichtend. Alle an- deren Autos auf unseren Straßen, die vor diesem Stichtag zugelassen wurden, haben aber natürlich Bestandsschutz . Eine grundlegende Erneuerung, die mit dem neuen Messverfahren einhergeht, ist also auch das Zulassungs- verfahren . Werden Fahrzeuge bisher „autobezogen“ zu- gelassen, wird es in Zukunft zu einer „typenbezogenen“ Zulassung kommen . Demnach wird es nicht mehr nur eine Rolle spielen, ob man einen Golf, eine S-Klasse oder einen Corsa fährt, sondern welche konkreten Besonderheiten das Fahrzeug aufweist: mit oder ohne Klimaanlage? Schmale oder breite Reifen? Wie viele Airbags? Wie viel Hubraum? Innerhalb eines Autotyps wird es perspektivisch zu ei- ner Bildung von „Familien“ kommen . Denn, und das ist nicht neu, nicht jeder Golf ist gleich . In der Konsequenz heißt das: Nicht nur der Prüfzyklus wird kleinteiliger, auch die Zulassung von Fahrzeugen wird differenzierter. Nach der Veröffentlichung des Gesetzentwurfes waren die ersten – empörten – Reaktionen: Das neue Messverfahren führe zu einer versteckten Erhöhung der Kfz-Steuer . Schnell war man sich einig, dass dies Betrug am Wähler sei . Denn die Kfz-Steuer wird von der Ände- rung der Testprozedur beeinflusst, da die CO2-Emissio- nen eine wesentliche Komponente bei der Ermittlung der Höhe der Kfz-Steuer sind . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22317 (A) (C) (B) (D) Weil hier oft Fakten durcheinandergeraten, möchte ich folgende Punkte klarstellen . Erstens . Der vorliegende Gesetzentwurf regelt aus- schließlich die Einführung eines neuen Messverfahrens im Verkehrsrecht . Die konkrete technische Ausgestal- tung des Messverfahrens – die im Übrigen noch gar nicht endgültig feststeht; auch das könnte man kriti- sieren – wird hingegen über eine unmittelbar wirkende EU-Verordnung ins deutsche Recht implementiert . Diese Verordnung beschreibt dann genau, wie der Testzyklus auszusehen hat . Wir als Gesetzgeber haben darauf keinen Einfluss. Die Verordnung kommt aller Voraussicht nach im Mai 2017 . Ab dann gilt prinzipiell auch die Anwendung des WLTP-Verfahrens bei Neufahrzeugen . Um bei Käufern und Herstellern Planungs- und Rechtssicherheit zu schaffen und die Gleichmäßigkeit der Besteuerung sicherzustellen, ist der Stichtag zur An- wendung des neuen Messverfahrens zur Ermittlung der CO2-Werte für die Besteuerung aber erst der 1 . Septem- ber 2018 . Klarzustellen ist: Bestandsfahrzeuge bleiben unange- tastet . Zweitens . Anzunehmen ist, dass das neue Messver- fahren andere, realitätsnähere CO2-Werte zutage fördern wird, als es das NEFZ-Verfahren bisher tut . Das ist die klare Absicht dieser Verfahrensumstellung . Wissenschaftlichen Einschätzungen zufolge werden die Messergebnisse des WLTP-Verfahrens einen um 15 Prozent höher liegenden CO2-Ausstoß nachweisen . Im Vorhinein können jedoch weder Aussagen über er- wartete CO2-Werte gemacht, noch kann die dadurch zu erwartende Höhe der Kfz-Steuer prognostiziert werden . Denn für welches Fahrzeug sich die Käufer in Zukunft entscheiden, das wissen wir heute nicht . Was ich an dieser Stelle aber anmerken möchte: Als Neuwagenkäufer treffe ich eine ganz bewusste Entschei- dung für oder gegen ein CO2-armes Auto . Je nachdem, wie meine Entscheidung ausfällt, beeinflusst das natür- lich auch die Höhe der Kfz-Steuer . Wir setzen mit diesem Gesetz also auch einen ganz klaren Anreiz, sich für ein emissionsarmes Fahrzeug zu entscheiden . Drittens . Das vorliegende Gesetz bringt ausdrücklich keine Steuersatzerhöhung mit sich . Was sich ändert, ist ausschließlich die Bemessungsgrundlage der Kfz-Steuer, und auf die, so habe ich es ausgeführt, haben wir keinen Einfluss. Eine realitätsnähere Ermittlung des Emissionsaussto- ßes bei Autos auf EU-Ebene wird im Übrigen auch nicht erst seit dem VW-Abgasskandal forciert . Es gab auch im Vorfeld dieses Ereignisses immer wieder Diskussionen über eine Veränderung von Messzyklen . Abschließend möchte ich noch kurz auf den sehr in Verruf geratenen Diesel zu sprechen kommen . Mit Blick auf die massive Vertrauenskrise, ausgelöst durch VW, haben wir durch das neue Messverfahren auch die Chan- ce, Vertrauen zurückzugewinnen . Die Dieseltechnologie bleibt ein wichtiges Modul in der Motorenfamilien; denn am Ende zählt die Summe aller Emissionen, und dabei spielt natürlich auch der niedrigere Verbrauch pro km eine wichtige Rolle . Und genau hier liegt auch eine wirk- liche Chance, die hochinnovative deutsche Dieseltechno- logie wieder nach vorne zu bringen . Abschließend möchte ich festhalten: Erstens . Unser Ziel, mit der Kfz-Steuer eine Len- kungswirkung zu erreichen und kleinere und emissi- onsarme Fahrzeuge zu bevorteilen, wird mit dem neuen Messverfahren weiter verstärkt . Zweitens . Wie sich das Aufkommen der Kfz-Steuer tatsächlich entwickelt, haben Sie in der Hand, die Käufer neuer Fahrzeuge, je nachdem wofür Sie sich entscheiden . Sie haben die Freiheit und damit auch die Verantwortung . Drittens . Unser wirtschaftspolitisches Leitziel gilt wei- ter: Deutschland soll ein attraktiver Standort für moderne Fahrzeugtechnologien bleiben – für die Fahrer ebenso wie für die Autohersteller und ihre Technologiezulieferer . Dafür werden wir uns auch weiter einsetzen . Andreas Schwarz (SPD): Mit der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs etablieren wir ein neues Prüfver- fahren zur Ermittlung der Abgaswerte für Personenkraft- wagen und setzen damit eine Vorgabe der EU um . Dieses neue Verfahren WLTP, Worldwide Harmonized Light Duty Test Procedure, wird genauere bzw . realistischere Daten liefern als die alte Messmethode NEFZ, Neuer Europäischer Fahrzyklus, die von den realistischen Fahr- bedingungen im Alltag offenkundig stark abweicht. Wir begrüßen das, denn bislang lag der tatsächliche Kraft- stoffverbrauch eines Fahrzeugs teilweise deutlich höher als der vom Hersteller angegebene Normverbrauch . Hier musste endlich etwas unternommen werden . Das Bekanntwerden der Abgasmanipulation bei Volkswagen mag diesen Prozess beschleunigt haben, die Forderung nach realistischeren Messergebnissen wird aber bereits seit Jahren erhoben . Sowohl von der Autoin- dustrie als auch den Umweltschützern . Wir führen das WLTP-Verfahren schrittweise ein, damit sich die Autofahrerinnen und Autofahrer darauf vorbe- reiten können . Die Anwendung der neuen WLTP-Norm gilt hier in Deutschland für neu zugelassene Fahrzeuge erst ab dem 1 . September 2018 . Und da auch erst einmal nur für Modelle, die ab September 2017 etwa nach einem Modellwechsel eine neue Typgenehmigung benötigen . So weit, so gut . Wir nähern uns den Tretminen . Wie ist es denn um die Einnahmeseite bestellt? Was kommt auf die Bürgerinnen und Bürger zu? Viele Fach- leute gehen inzwischen davon aus, dass durch das neue Messverfahren der gemessene CO2-Ausstoß so sehr ansteigt, dass folglich auch für viele Fahrzeuge die Kfz-Steuer ansteigen wird . In unserem Berichterstatter- gespräch wurde auf meine Nachfrage hin, ob und wenn ja, in welcher Höhe es durch das neue Prüfverfahren zu Mehrbelastungen für die Autofahrerinnen und Autofah- rer kommen könnte, vom BMF erklärt, man könne zum jetzigen Zeitpunkt schlicht noch keine verlässlichen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722318 (A) (C) (B) (D) Aussagen darüber treffen, ob die Umstellung des Prüf- verfahrens generell zu höheren Belastungen führe . Es sei möglich, dass die Kfz-Steuer bei einigen Fahrzeugtypen steige, bei anderen wiederum sinke . Das überraschte et- was, denn der Referentenentwurf hatte dem Fiskus im Zeitraum von 2018 bis 2022 noch Mehrreinnahmen in Höhe von circa 1,1 Milliarden Euro prognostiziert . Das BMF meint also, das Steueraufkommen sei zum gegen- wärtigen Zeitpunkt nicht seriös zu beziffern. Ist diese Berechnung in dem vorliegenden Gesetzentwurf möglicherweise nicht mehr enthalten, weil sich damit das eigene Mantra „Mit uns keine Steuererhöhungen“ leicht in Luft auflöst? Jedenfalls darf man sich schon fragen, warum beispielsweise Einnahmeprognosen zur Maut erstellt werden konnten, für die Einführung des WLPT-Verfahrens aber nicht . Im bisherigen Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens habe ich mich maßgeblich da- für eingesetzt, dass ein Jahr nach Inkrafttreten überprüft wird, ob man eventuell gegensteuern muss . Nur so kön- nen wir mögliche Fehlentwicklungen korrigieren . Sabine Leidig (DIE LINKE): Mit der vorgelegten Änderung am Kfz-Steuer-Gesetz macht die Bundesre- gierung nicht mehr, als unbedingt notwendig . Es geht darum, dass die KfZ-Steuer künftig an die weltweit har- monisierte Testprozedur WLTP für Abgasmessung ange- passt wird . Dazu drei kritische Anmerkungen: Erstens . Es ist absurd, dass nach dem neuen Fahrzyk- lus die CO2-Emissionen höher liegen dürften als bisher . Das ist offenbar dem Einfluss der Bundesregierung zu „verdanken“, die wiederum unter massivem Einfluss der Automobilindustrie steht – und das dient nicht dem Woh- le der Allgemeinheit . Zweitens . Immerhin werden künftig nicht mehr die manipulierten Werte der „Prüfstände“ Grundlage der Kfz-Steuer-Bemessung sein, sondern Messmethoden, die dem wirklichen Schadstoffausstoß näher kommen – und der ist ja erheblich höher als angegeben . Als Stichtag für die neue CO2-Messung ist der 1 . September 2018 zwingend vorgegeben . Allerdings werden neue Fahrzeugtypen bereits ein Jahr vorher ent- sprechend gemessen . Für die könnte man also auch vor- her schon die neue Kfz-Steuer einführen . Das ist aber nicht gewollt . Aber warum nicht?! Drittens . Die Bundesregierung behauptet, es ergäben sich „keine haushalterischen Auswirkungen .“ Das ist al- lerdings wirklich falsch . Klar, die neue Kfz-Steuer kostet nichts . Aber dass seit Jahren und noch weiter auf die Be- steuerung nach tatsächlichem Verbrauch/CO2-Ausstoß verzichtet wird, das führte und führt weiterhin zu erheb- lichen Einnahmeausfällen . Im Auftrag der Linksfraktion im Bundestag hat das „Forum ökologisch-soziale Marktwirtschaft“ eine Studie erstellt und kommt zu folgenden Ergebnissen: Die auf dem Prüfstand im Labor gemessenen Typ- prüfwerte zum Ausstoß von Kohlenstoffdioxid, CO2 und Stickstoffoxiden, NOx von Pkw wichen in den vergange- nen Jahren immer gravierender von tatsächlich auf der Straße festgestellten Emissionen ab . Dies hat Auswir- kungen auf Verbraucherinnen und Verbraucher, Wettbe- werb, Politik, Umwelt, Klima und Gesundheit . Weniger beachtet sind die Auswirkungen auf die Kraftfahrzeugsteuer aufgrund der verfälschten Bemes- sungsgrundlage sowie zu Unrecht gewährter Steuer- befreiungen, die im Rahmen dieser Studie quantifiziert werden . Allein die Mindereinnahmen aufgrund nicht dem Realverbrauch auf der Straße entsprechender CO2-Anga- ben in den Herstellerbescheinigungen werden für den Zeitraum 2010 bis 2015 auf rund 3,3 Milliarden Euro geschätzt . Es ist davon auszugehen, dass dieser Betrag in den kommenden Jahren deutlich und beschleunigt zu- nehmen wird, falls keine Gegenmaßnahmen eingeleitet werden sollten . Die Mindereinnahmen durch Steuerbe- freiungen, die vermeintlich schadstoffarmen Fahrzeugen der Klasse Euro 6 aufgrund unzutreffender NOx-Werte zu Unrecht gewährt wurden, belaufen sich auf etwa 10 bis 18 Millionen Euro . Der systematische Betrug durch die Spitzen der Auto- mobilkonzerne, der von der Bundesregierung ermöglicht wurde, kommt die Allgemeinheit also in jeder Hinsicht teuer zu stehen . Es ist höchste Zeit, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen und für den Schaden zur Kasse zu bitten . Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn der Untersuchungsausschuss „Abgasskandal“ eines zutage gefördert hat, dann, dass die VW-Affäre nur die Spitze eines Eisbergs ist . Ein Eisberg, der tief in Politik und Au- tomobilwirtschaft reicht . Auch abgesehen von dem vor- sätzlichen Betrug durch den Einbau illegaler Abschaltein- richtungen, haben wir ein ganz grundsätzliches Problem mit dem aktuellen Testverfahren – dem Neuen Europä- ischen Fahrzyklus, NEFZ . Das aktuelle Testverfahren NEFZ misst falsch . Das Fahrverhalten und die äußeren Bedingungen im Labor – Beschleunigung, Schaltverhal- ten, die motorfreundliche Umgebungstemperatur – ent- sprechen nicht der Beanspruchung auf der Straße . Zudem bietet NEFZ den Automobilherstellern zahlreiche – le- gale und illegale – Schlupflöcher, um die Autos für den Test zu optimieren: rollwiderstandsoptimierte, schmalere Autoreifen; abgeklebte Autoteile für eine bessere Aero- dynamik; abgeschaltete Klimaanlagen und Navigations- systeme; moderne Software, die erkennt, wann sie sich auf dem Prüfstand befindet. Der Fantasie der Automo- bilhersteller wird derzeit leider kaum Grenzen gesetzt, um Kraftstoffverbrauch und CO2-Emissionen künstlich niedrig zu halten . Deswegen weichen die im Realbetrieb gemessenen CO2-Emissionen systematisch von den im NEFZ gemessenen Laborwerten ab . Und der Abstand wird immer größer . Das ergeben die Studien des Inter- national Council on Clean Transportation, ICCT . 2014 lag die Differenz zwischen den CO2-Emissionen im Realverkehr und den im NEFZ gemessenen Werten bei durchschnittlich 40 Prozent . 2001 lag dieser Wert noch bei rund 8 Prozent . Das ist ein Problem für die Verbraucherinnen und Verbraucher, denn sie werden durch unrealistische Ver- brauchswerte getäuscht und in ihrer Kaufentscheidung Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22319 (A) (C) (B) (D) beeinflusst. Das ist ein Problem für die Umwelt, denn durch die falschen Angaben werden die Gesundheits- und Umweltkosten des Pkw-Verkehrs verschleiert und die europäischen Grenzwerte für Pkw-CO2-Emissionen konterkariert . Das sollte aber auch den Finanzminister umtreiben . Seit dem 1 . Juli 2009 wird die Kfz-Steuer nämlich nach dem CO2-Ausstoß berechnet. Durch die Differenz zwi- schen Realität und Laborwert entgingen dem Fiskus laut Berechnungen des Forums Ökologisch-Soziale Markt- wirtschaft, FÖS, allein für den Zeitraum 2010 bis 2015 Steuereinnahmen in Höhe von 3,3 Milliarden Euro . Wir müssen uns auch die Frage stellen, inwiefern hier durch falsche Angaben seitens der Automobilhersteller syste- matisch Steuerhinterziehung betrieben wird und wurde . Im Zuge der Aufarbeitung des VW-Skandals ließ das Bundesverkehrsministerium die gesundheitsschädlichen Stickoxidemissionen von 53 Fahrzeugtypen prüfen . Im Abschlussbericht wurde festgestellt, dass nicht nur VW, sondern die gesamte Branche manipuliert hat . Im Zuge der Abgastests hat das Verkehrsministerium auch CO2-Emissionen auf Prüfstand und Straße ermitteln las- sen . Die CO2-Emissionen wurden in diesem Bericht aber nicht veröffentlicht mit dem Verweis, dass die Untersu- chungen noch nicht abgeschlossen sind und zu einem späteren Zeitpunkt in einem eigenen CO2-Prüfbericht veröffentlicht würden. Das war im April 2016, und wir warten immer noch auf die Ergebnisse . Es ist mir unverständlich, warum der Finanzminister hier nicht mehr Druck auf seinen Kollegen Verkehrs- minister ausübt . Warum Herr Schäuble Herrn Dobrindt nicht auffordert, die Ergebnisse der Nachmessungen zu veröffentlichen. Denn die wären doch eine gute Grundla- ge für das Finanzministerium, Berechnungen über mögli- che Nachforderungen anzustellen . Nachforderungen, die sich aus manipulierten CO2-Werten für die KfZ-Steuer ergeben . Sie können sich schon mal darauf einstellen, dass ich da im Finanzausschuss nachhaken werde . Angesichts der unrealistischen CO2-Werte des NEFZ ist es natürlich zu begrüßen, dass das alte Prüfverfah- ren durch die Einführung eines neuen ersetzt wird: die weltweit harmonisierte Testprozedur zur Ermittlung der Abgasemissionen, kurz WLTP . Das neue Testverfahren WLTP beruht auf realen Fahrstatistiken . Es macht auch strengere Vorgaben, beispielsweise in Bezug auf die in- dividuelle Ausstattung des Fahrzeuges oder die Testbe- dingungen . Allerdings gilt die realistischere Berechnung nach WLPT nur für neu zugelassene Fahrzeuge . Für die circa 40 Millionen Bestandsfahrzeuge ändert sich nichts . Außerdem ist leider auch das neue Verfahren WLPT nicht vor Manipulationen gefeit . Deshalb fordern wir Grüne: Die Tests müssen von wirklich unabhängigen Behörden kontrolliert werden . Und es muss auch harte Sanktionen geben für Tricksereien und falsche Angaben zu CO2-Werten . Und noch eine Lehre muss aus dem VW-Abgas-Skan- dal gezogen werden: Die Strategie der deutschen Au- tomobilindustrie, den Dieselmotor als klima- und um- weltfreundliche Brückentechnologie zu verkaufen, ist gescheitert . Autos, die nur unter Laborbedingungen Um- weltvorgaben einhalten können, haben keine Zukunft . Deshalb fordern wir Grünen einen schrittweisen Abbau der Dieselsubvention . Das Ziel sollte sein, dass die Ener- giesteuersätze für einen Liter Benzin und einen Liter Diesel in zehn Jahren steuerlich auf dem gleichen Niveau sind . Gleichzeitig wollen wir die Fahrer von Diesel-Pkw entlasten, indem wir die Kfz-Steuer konsequent nach dem CO2-Ausstoß von Kraftfahrzeugen ausrichten . Wir fordern, dass die Bundesregierung einen Aus- stiegsplan aus der Dieselsubvention vorlegt . Wir fordern, dass die Bundesregierung Konsequenzen aus dem Ab- gasskandal zieht, dass Herr Dobrindt endlich die realen CO2-Emissionen der geprüften Modelle öffentlich macht. Wir brauchen eine wirklich unabhängige Behörde, die Messungen überprüft . Es braucht Sanktionen für diejeni- gen, die manipulieren . Das brächte Transparenz für Ver- braucher und Klarheit für die Automobilindustrie . Denn nur mit echten Konsequenzen lässt sich der dringend not- wendige Wechsel hin zu effizienten und emissionsfreien Antrieben begleiten – das wäre ein echter Dienst für ei- nen zukunftsfähigen Industriestandort Deutschland . Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister der Finanzen: Bevor ich Ihnen den Inhalt des Entwurfes eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes vorstelle, ist es zum besse- ren Verständnis der sehr technischen Materie sinnvoll, einen kleinen Exkurs voranzustellen . Dies halte ich auch deshalb für wichtig, weil zu dem Gesetzentwurf einige fehlerhafte Informationen und irreführende Schlussfol- gerungen in der Presse und in der Öffentlichkeit herum- geistern, die ich heute hier ins rechte Licht rücken möch- te . Zur Vorgeschichte: Bereits im Jahre 2009 hat der Deutsche Bundestag in einer grundlegenden Entschei- dung den Regierungsentwurf der damaligen großen Ko- alition beschlossen, der die Umstellung der Bemessung der Kraftfahrzeugsteuer bei Personenkraftwagen, Pkw, auf eine vorrangig nach Kohlenstoffdioxidemissionen bemessene Steuer regelte . Nach dieser sogenannten CO2-Reform der Kraftfahrzeugsteuer ist grundsätzlich seit dem Stichtag 1 . Juli 2009 für Pkw-Erstzulassungen neben dem Hubraum vorrangig der von den Zulassungs- behörden festgestellte CO2-Wert für die Höhe der Kraft- fahrzeugsteuer maßgeblich . Diese Änderung der ökolo- gischen Komponente der Kraftfahrzeugsteuer diente und dient noch heute in besonderem Maße dem Ziel einer klimagerechten Zukunftspolitik . Mit dem Ziel vor Augen, bis 2020 den CO2-Ausstoß gegenüber 1990 um mindestens 40 Prozent zu senken, sind auch im Verkehrssektor weiterhin Emissionsmin- derungen notwendig . Neben der Steigerung des Anteils von Elektrofahrzeugen ist die CO2-basierte Kraftfahr- zeugsteuer mit ihrer daraus resultierenden Lenkungswir- kung eine zentrale Maßnahme, um den Straßenverkehr umweltverträglicher zu machen und einen adäquaten Beitrag zur Reduktion der CO2-Emissionen zu leisten . Der rechtliche Rahmen, nach dem die Zulassungsbehör- den den CO2-Wert feststellen, wird unmittelbar durch das Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722320 (A) (C) (B) (D) Unionsrecht vorgegeben, nämlich konkret durch die Ver- ordnung (EG) Nr . 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20 . Juni 2007 . Es handelt sich dabei um den sogenannten Neuen Europäischen Fahrzyklus, das sogenannte NEFZ-Messverfahren . Dieses stammt noch aus den 1990er-Jahren und führt als veralteter Prüf- zyklus zu realitätsfernen CO2-Werten . Bekanntlich lässt sich das Unionsrecht nicht von heute auf morgen ändern . Doch vorliegend ist noch für dieses Frühjahr mit dem In- krafttreten einer Änderungsverordnung der bereits ange- sprochenen Verordnung (EG) Nr . 715/2007 zu rechnen . Hintergrund hierfür ist die Entwicklung einer auf Ebe- ne der Vereinten Nationen weltweit harmonisierten Test- prozedur zur Ermittlung der Abgasemissionen leichter Kraftfahrzeuge, die „Worldwide harmonized light duty test procedure“ . Dieses sogenannte WLTP-Verfahren verfolgt das Ziel, künftig realitätsnähere Emissionswerte für CO2 im Rahmen der Typgenehmigung für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge zu erhalten . Die Art der Ermitt- lung der CO2-Emissionen nach WLTP wird sich erheb- lich von dem derzeit maßgeblichen NEFZ-Verfahren unterscheiden . Die verpflichtende WLTP-Einführung im Verkehrs- recht soll schrittweise und nur für Neufahrzeuge erfol- gen . Sie beginnt mit der Verabschiedung und dem In- krafttreten entsprechender Rechtsakte der Europäischen Union bis zum Frühjahr 2017 . Die nach WLTP ermittel- ten CO2-Werte sollen dann ab dem 1 . September 2017 bei der Genehmigung neuer Typen verbindlich werden . Ab dem 1 . September 2018 werden sie zur Bedingung für die Erstzulassung von Pkw . Die Automobilhersteller müssen demzufolge auch ihre auf dem Markt befindli- chen Fahrzeugmodelle nach WLTP nachprüfen lassen, wenn sie sie weiter produzieren werden . Es liegt nahe, dass einige Hersteller damit voraussichtlich kurz nach der Verkündung der EU-Vorschriften beginnen . Und damit komme ich nun unmittelbar zum Grund für das aktuell eingebrachte steuerrechtliche Gesetzes- vorhaben des 6 . Kraftfahrzeugsteueränderungsgesetzes . Was regeln wir nun eigentlich im nationalen Kraftfahr- zeugsteuergesetz? Das Kraftfahrzeugsteuergesetz bein- haltet eine gleitende dynamische Außenverweisung auf die maßgeblichen Vorschriften der Europäischen Union zur Ermittlung der CO2-Werte . Durch diese Verweisung würden sich die neuen CO2-Werte nach WLTP bereits mit dem Inkrafttreten der geänderten EU-Vorschriften ab Mitte 2017 auf die Kraftfahrzeugsteuer auswirken . Hier genau setzen wir an und schaffen frühzeitig Rechts- und Planungssicherheit, indem wir in Anlehnung an das Ver- kehrsrecht ebenfalls den 1 . September 2018 als einheitli- chen Stichtag zur Anwendung der nach WLTP ermittelten realitätsnäheren CO2-Werte für die Kraftfahrzeugsteuer in Deutschland bestimmen . Nur neue erstmals zugelasse- ne Pkw werden betroffen sein. Auswirkungen aufgrund neuer CO2-Werte nach WLTP auf die Steuererhöhe für davor zugelassene Pkw sind demzufolge ausgeschlos- sen. Leider wurde dies in der öffentlichen Wahrnehmung durch die eine oder andere unzutreffende Sachdarstel- lung verfälscht . Durch den einheitlichen Stichtag stel- len wir die Gleichmäßigkeit der Besteuerung von Pkw sicher . Würden wir im Kraftfahrzeugsteuergesetz kein verbindliches Datum für die Anwendung der CO2-Werte nach WLTP festlegen, wirkte sich unter anderem die op- tionale, frühzeitige oder spätere Umstellung auf WLTP vor dem 1 . September 2018 durch die Fahrzeugherstel- ler, die von unternehmerischen Erwägungen geprägt ist, auf die Besteuerung aus . In diesem Übergangszeitraum könnte die Gleichmäßigkeit der Besteuerung nicht si- chergestellt werden, da die von den Zulassungsbehörden übermittelten CO2-Werte bis zur verbindlichen Anwen- dung des WLTP nicht auf einem einheitlichen Verfahren beruhen . Der gleitende Einstieg in das ab 1 . September 2018 verbindliche Verfahren wäre für Verbraucher zu- dem intransparent . Wir erhöhen also nicht die Kraftfahrzeugsteuer, wie fälschlicherweise behauptet wurde, sondern wir sor- gen – unter Inkaufnahme von vorübergehenden Minde- reinnahmen – für Rechts-und Planungssicherheit und Steuergerechtigkeit . Nochmal: Bestandsfahrzeuge sind nicht betroffen. Und wir vermeiden Unsicherheit und Ungewissheit für die Bürgerinnen und Bürger, die sich in der Zeit vom Frühjahr 2017 bis zum 31 . August 2018 für die Anschaffung eines Neuwagens entscheiden. Wir schaffen Klarheit. Der einheitliche Stichtag 1. September 2018 wird für alle Pkw-Neuzulassungen gelten . Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung bei heterologer Verwendung von Samen (Tagesord- nungspunkt 35) Hubert Hüppe (CDU/CSU): Selbstverständlich wol- len alle Menschen wissen, wo sie herkommen . Das kann jeder von uns nachvollziehen . Von wem stamme ich ab? Wer sind meine Eltern? Wer sind meine Großeltern? Antworten auf diese Fragen sind für die Identität jedes Menschen wichtig . Inzwischen wissen wir, dass viele, die keine Antworten hierauf finden, unter ihrem Nicht- wissen leiden . Vielfach hört man von emotionalem Leid bei Menschen, die ihre Eltern früh verloren haben, die anonym zur Adoption freigegeben wurden oder die durch anonyme Samenspende entstanden sind . Eine Vereini- gung von Betroffenen, Spenderkinder e. V., formuliert, dass Anonymität ungünstige Dynamiken fördere . Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hat 2015 ent- schieden, dass durch heterologe Verwendung von Samen gezeugte Kinder einen Anspruch auf Auskunft über die Identität des anonymen Samenspenders haben . Zurück- verfolgen lässt sich eine Samenspende vor allem über die verschiedenen Entnahmeeinrichtungen, und die sind über ganz Deutschland verstreut . Ein zentrales Register gibt es bisher nicht – das ändern wir jetzt . Es ist deshalb begrüßenswert, dass das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung aufgegriffen wird; wo wir als Gesetzgeber Menschen zu Antworten über ihre biologischen Väter verhelfen können, sollten wir es tun . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22321 (A) (C) (B) (D) Im vorliegenden Entwurf sehen wir zwei Dinge vor . Im Gesetz zur Errichtung eines Samenspenderregis- ters und zur Regelung der Auskunftserteilung über den Spender nach heterologer Verwendung von Samen, Sa- menspenderregistergesetz, wird eine zentrale Informa- tionsstelle eingerichtet und die organisatorischen und verfahrenstechnischen Voraussetzungen für deren Füh- rung geschaffen. Darüber hinaus wird im Gesetzentwurf durch eine Änderung des BGB sichergestellt, dass ein Samenspender nicht als rechtlicher Vater eines durch künstliche Befruchtung in einer deutschen Einrichtung zur medizinischen Versorgung gezeugten Kindes festge- stellt werden kann . Beim Deutschen Institut für Medizinische Dokumen- tation und Information, DIMDI, werden die Daten des Samenspenders, der Mutter und die Geburtsdaten des Kindes zusammenlaufen und für 110 Jahre gespeichert werden . Personen können per Antrag Informationen an- fordern, wenn sie den Verdacht hegen oder wissen, dass sie durch heterologe Verwendung von Samen entstanden sind . Die Entnahmeeinrichtung erhebt die Daten des Spen- ders . Neben dem Namen meldet die Einrichtung den Geburtstag und -ort, die Staatsangehörigkeit und die An- schrift an das DIMDI . Vor jeder Spende muss der Spen- der aufgeklärt werden, dass eventuelle Kinder Zugang zu diesen Daten haben . Dem kann der Spender nicht wider- sprechen . Außerdem muss er erfahren, dass Samenspen- der nicht als rechtliche Väter festgestellt werden können . Diese Aufklärung ist zentral, damit potenzielle Spender sich über die Konsequenzen im Klaren sind . Möchten sie von ihren biologischen Kindern gefunden werden, möglicherweise viele Jahre später? Bei falschen Anga- ben droht ein Bußgeld . Die Entnahmeeinrichtung kenn- zeichnet die Daten des Spenders mit einer eindeutigen Spendennummer oder einer Spendenkennungssequenz . Der Spender kann freiwillig weitere Angaben machen, zum Beispiel könnte er den Grund für seine Samenspen- de angeben . Die Daten der Mutter sammelt die Einrichtung zur medizinischen Versorgung, in der die künstliche Be- fruchtung durchgeführt wird . Die Einrichtung meldet dem DIMDI außerdem den Zeitpunkt der Verwendung des Samens, den Beginn der Schwangerschaft und den errechneten Geburtstermin . Das tatsächliche Datum der Geburt und die Anzahl der geborenen Kinder werden unverzüglich gemeldet, die Meldepflicht liegt diesbezüg- lich bei der Empfängerin der Samenspende . Samen darf nur zur künstlichen Befruchtung einge- setzt werden, wenn die eindeutige Spendennummer oder die Spendenkennungssequenz vorliegt . Das schließt auch aus, dass deutsche Ärzte anonyme Samenspenden aus dem Ausland verwenden . Nur wenn die vorgeschriebe- nen Daten und eine eindeutige Identifikation per Spen- dennummer oder Spendenkennungssequenz vorhanden sind, kann ausländischer Samen benutzt werden . Zwar haben wir auf ausländische Entnahmeeinrichtungen keinen Einfluss, aber wir können die Verwendung von ausländischem Samen in deutschen Einrichtungen unter- binden, wenn keine Daten vorliegen . Damit wird, soweit realistisch möglich, das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung auch bei durch Verwendung von ausländi- schem Samen hervorgegangenen Kindern abgesichert . Die persönlichen Angaben des Spenders, der Mutter und des Kindes unterliegen natürlich dem Datenschutz . Nur das Deutsche Institut für Medizinische Dokumenta- tion und Information darf die Daten speichern und nur auf Antrag dem erfassten Kind des Spenders übermitteln bzw . vor dem sechzehnten Geburtstag des Kindes seinen Eltern . Was jetzt realistischerweise gesetzlich geregelt werden kann, regeln wir mit unserem Entwurf . Einige Formen der künstlichen Befruchtung, zum Beispiel außerhalb ei- ner Einrichtung der medizinischen Versorgung oder im Ausland, können nicht von einem deutschen Gesetz er- fasst werden . Private Samenspenden etwa sind nicht vom Gesetzentwurf betroffen. Wenn ein persönlicher Freund einem lesbischen Paar Samen spendet, wird er nicht vom Register erfasst – auf der anderen Seite ist er auch nicht von der Feststellung als rechtlicher Vater ausgeschlossen . Wir werden die parlamentarische Debatte mit einer Anhörung weiterführen . Wir werden prüfen, ob an eini- gen Stellen noch eine Feinjustierung nötig ist . Das grund- sätzliche Anliegen des Gesetzentwurfes, Spenderkindern die Wahrnehmung ihres Rechts auf Kenntnis der eige- nen Abstammung zu ermöglichen, haben wir im Koali- tionsvertrag vereinbart . Wir greifen damit das Anliegen Betroffener auf, ihren biologischen Vater zu finden. Die im Gesetzentwurf vorgestellten Regelungen stellen dafür eine praxistaugliche Grundlage dar . Sie sind im Vergleich zum Status quo ein großer Fortschritt . Dr. Georg Kippels (CDU/CSU): Wer bin ich, wo komme ich her? Diese Frage mag sich der ein oder an- dere schon einmal ernsthaft oder auch weniger ernsthaft gestellt haben . In den meisten Fällen handelt es sich mehr um eine philosophische Fragestellung und nur seltener um ein reales Informationsbedürfnis im Hinblick auf die eigene Persönlichkeit und Identität . Da der Mensch sich sehr intensiv über seine Außenweltbeziehung definiert, bekommt diese Frage aber eine ganz andere Bedeutung, wenn es um das Verhältnis zur eigenen Familie und dort insbesondere zu den Eltern, also Mutter und Vater, geht . Nun mag es gelegentlich vorkommen, dass dieses Ver- hältnis in bestimmten Lebensphasen, sehr häufig zum Beispiel in der Pubertät, gespannt ist und aus spontanen Reaktionen heraus die Verbindung, das heißt die Abstam- mung, gerne negiert würde . Abgesehen von diesen oberflächlichen Befunden ist die Frage der Abstammung für die Persönlichkeit und die Frage der Selbstreflexion von enormer Wichtigkeit, wenn nicht sogar in manchen Fällen existenziell und für die psychische und physische Verfassung ursächlich . So hat das BVerfG schon im Jahre 1988 festgestellt, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung umfasst . Auslöser des damaligen Falles war das Adoptionsrecht, das nach der damals geltenden Regelung ein sogenanntes Adopti- onsgeheimnis vorsah, das Ausforschungen der Adoptiv- familie verhindern sollte und nur bei Zustimmung von Kind und Annehmenden ausgeforscht werden durfte . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722322 (A) (C) (B) (D) Dem sah das BVerfG das Grundrecht auf Kenntnis der eigenen Abstammung gegenüber, das es aus dem allge- meinen Persönlichkeitsrecht ableitete . Damit war die Be- deutung der Abstammung für die Prägung der Individu- alität höchstrichterlich anerkannt und seither unstreitig . Diese Variante der rechtlich konstruierten Abstammung hat nur durch den medizinischen Fortschritt und die Möglichkeit der künstlichen heterologischen Inseminati- on eine neue Qualität gefunden, mit der sich der BGH im Jahre 2015 beschäftigen musste . Unter Beibehaltung der grundrechtlichen Bewertung bejahte das Gericht auch in diesem Fall ein entsprechendes Auskunftsrecht, wobei es aber in dogmatischer Hinsicht auf die seit Jahrzehnten immer wieder gerne bemühte und bewährte Krücke der Vorschrift des § 242 BGB und den Grundsatz von Treu und Glauben zurückgreifen musste . Diese mithin festgestellte Regelungslücke ist nun konsequent und vollständig mit dem im Kurztitel als Samenspenderregister bezeichneten Gesetz normiert worden . Es beinhaltet die notwendigen Regelungen zur Datenerfassung bei der Samenspende bzw . Abgabe und die Bedingungen, unter denen und mit welchem Inhalt Auskunft über den Spender erteilt werden kann . Damit ist dem grundrechtlichen Anspruch auf Abstammungser- kenntnis ausreichend Rechnung getragen worden . Dabei wurde auch darauf geachtet, dass der Prozess der Aus- kunftserteilung wie auch der Prozess der anschließenden Kontaktaufnahme, der durchaus ein hochemotionaler Vorgang ist, in geeigneter Form begleitet und beraten werden sollte . Irritierend, aber konsequent ist die Aufbewahrungs- frist von 110 Jahren, die sich an der Lebenserwartung orientiert und alle Möglichkeiten offenlässt, auch zu einem späteren Zeitpunkt des Entstehens des Informati- onsbedürfnisses dieses zu befriedigen . Die Erfahrung hat gelehrt, dass sowohl die Entstehung als auch die Bereit- schaft zur Einholung der Abstammungsinformation fast in jeder Lebensphase entstehen kann, egal ob noch jung oder schon älter . Entscheidend ist bei der Regelung, dass durch frühzeitige Löschung der Information kein psy- chologisch problematisches Vakuum entsteht . Eine wichtige Begleitregelung ist aber auch die Fra- ge der Anordnung der Abstammung in zivilrechtlicher Hinsicht, die nur für den Fall der ärztlich unterstützten künstlichen Befruchtung unter heterologer Verwendung von Samen nach dem Samenspenderregister erfolgt und eine Feststellung als zivilrechtlicher Vater mit entspre- chenden Folgen im Unterhalts-, Sorge- und Erbrecht ausschließt . Hier geht der Gesetzgeber im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs davon aus, dass nur im Rahmen der streng normierten Spende mit begleitender und unwiderruflicher Aufklärung über das Auskunftsrecht mit der erforderlichen Sicherheit ange- nommen werden kann, dass der Spender gerade keine Verantwortung als Vater übernehmen wollte . Dies sieht die Rechtsprechung bei privaten Spenden bzw . privater Befruchtung nicht zwingend als gegeben an, weil – um mit der etwas trockenen Sprache der Juris- ten zu sprechen – Spender und Empfängerin einen mehr oder weniger engen sozialen Kontakt miteinander haben . So der BGH noch im Jahre 2013 . Das Gesetz schließt daher eine wichtige Regelungslücke und führt mit den korrespondierenden Regeln des Zivilrechts hoffentlich zu einer Verbesserung der Spenderbereitschaft, um dem Kinderwunsch ungewollt kinderloser Paare Rechnung tragen zu können . Gleichzeitig wird aber dem dringen- den Bedürfnis nach Abstammungskenntnis und damit dem Wunsch nach Identitätsfindung Rechnung getragen. Die Frage „ Wer bin ich, wo komme ich her?“ bleibt zukünftig nicht mehr unbeantwortet . Ich bitte daher um Zustimmung zu diesem Gesetz . Mechthild Rawert (SPD): Die reproduktive Medi- zin, ihre technischen Möglichkeiten und damit verbun- dene ethische Fragen und gesellschaftliche Auswirkun- gen sind zentrale gesellschaftspolitische Themen . Es geht um die Freiheit, unterschiedliche Familienformen selbstbestimmt zu gestalten und zu verantworten, es geht um die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit und um die Erfüllung im Leben . Es geht schlicht darum, dass Kinder entstehen und geborgen aufwachsen können . Es geht also um etwas sehr Lebensnahes, was die allermeis- ten Menschen zutiefst berührt . Damit hole ich weit aus . Der Regelungsinhalt des vorliegenden Gesetzentwurfs zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung bei heterologer Verwendung von Samen ist im Vergleich dazu viel spezifischer und abgegrenzter, greift aber Rege- lungen auf, die der rechtlichen Klarstellung dienen . Jeder Mensch hat das aus dem Persönlichkeitsrecht folgende Recht auf Kenntnis seiner Abstammung . Wir regeln nun, dass dieses Recht auch für Menschen gilt, die durch Samenspende gezeugt wurden. Wir schaffen zum einen die rechtlichen Voraussetzungen für die Er- richtung und Führung eines bundesweiten Samenspen- derregisters beim Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information, DIMDI . In dieser zen- tralen Datenbank werden die Daten sehr lange – 110 Jah- re – aufbewahrt . Endlich werden auch Verfahren verein- heitlicht und vereinfacht . Wir regeln aber auch, dass der Samenspender weder durch das Kind noch durch dessen Eltern als rechtlicher Vater in Anspruch genommen wer- den kann . Zwischen Samenspendern und den durch die Samenspende gezeugten Personen entstehen also keine Erbschafts- bzw . Unterhaltsansprüche . Die biologischen Spender werden entlastet, bei Wunsch des Kindes auf Kenntnis der Abstammung Verantwortung übernehmen zu müssen . Diese Rechtssicherheit führt voraussichtlich auch zu einer größeren Spendebereitschaft . Ich bin davon überzeugt: Die mit dem Gesetz hergestellte Rechtssicher- heit hilft allen, den Frauen, den biologischen Spendern, den durch Samenspende gezeugten Kindern . Dank der nun hergestellten Rechtssicherheit wird die Möglichkeit einer Kontaktaufnahme, eines Kennenlernens erleichtert . Die Notwendigkeit dieser gesetzlichen Regelungen ergibt sich aus mehreren Gerichtsurteilen . Die Urteile des Bundesverfassungsgerichts vom 31 . Januar 1998, des Oberlandesgerichts Hamm vom 6 . Februar 2013 und zu- letzt des Bundesgerichtshofs vom 28 . Januar 2015 . Die- ses Urteil stellt klar, dass durch Samenspende gezeug- te Personen unabhängig von ihrem Alter ein Recht auf Kenntnis ihrer Abstammung haben . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22323 (A) (C) (B) (D) Wie gesagt: Dieses Gesetz ist klar umrissen, es ver- folgt nicht den Anspruch einer umfassenden Regelung der vielen Fragen zum Abstammungsrecht . Dennoch stellen sich mir auch bei diesem abgegrenzten Sach- verhalt Fragen und Forderungen, die Gegenstand einer Anhörung sein sollten . Der Gesetzentwurf nimmt aus- schließlich Bezug auf die ärztlich unterstützte künstliche Befruchtung, auf die „offizielle“ Samenspende. Gerade damit haben aber lesbische oder alleinstehende Frauen ein Problem, denn ihnen wird derzeit von vielen Ärztin- nen und Ärzten, von Ärztekammern genau diese Form der Samenspende verwehrt . Ich plädiere dafür, dass für lesbische Frauen bzw . Paare oder alleinstehende Frauen die gleichen Rechte gelten wie für heterosexuelle Men- schen, wenn es um die künstliche Befruchtung geht . Ich bin der Meinung, dass eine heterologe Insemination allen offenstehen sollte. In unserer bunten Lebenswirklichkeit finden derzeit zahlreiche „private“ heterologische Inse- minationen statt . Sollen diese gesondert geregelt wer- den? Oder ist es sinnvoller, die Anreize für eine private Insemination zu reduzieren, zum Beispiel indem wir ge- setzlicherseits den Kreis derer ausweiten, die berechtigt sind, eine künstliche Befruchtung vorzunehmen, indem Ärztinnen oder Ärzte zum Beispiel lesbische Paare nicht mehr abweisen dürfen? Wir leben in einer bunten Lebenswirklichkeit mit einer Vielfalt von Familienkonstellationen . Wir leben auch mit einem enormen wissenschaftlichen Fortschritt im Bereich der Reproduktionsmedizin – und daraus fol- genden zahlreichen Fragestellungen, die vielfach noch rechtlicher Regelungen bedürfen . In der politischen und gesellschaftlichen Debatte wird dabei auch das jewei- lige Familienbild berührt . Wir wissen längst, dass die sexuelle Identität der Eltern nicht entscheidend für das Kindeswohl ist . Die Vielfalt der sexuellen Identitäten der Eltern muss aber auch beim Abstammungsrecht immer mitbedacht werden, damit keine Person, die eine Familie gründen möchte, diskriminiert wird . Ich stelle mir auch die Frage, welche Regelungen wir hinsichtlich des Rechts auf Kenntnis der Abstammung finden, wenn der biologische Spender in einer ausländi- schen Samenbank aufgeführt ist . Darf es, kann es eine Ungleichbehandlung der Rechtsfolgen für die Beteiligten zu dem beim DIMDI existierenden Samenspenderregis- ter geben? Vielleicht ist diese Frage aber auch noch nicht im Zusammenhang dieses Gesetzes zu klären . Es besteht grundlegender Reformbedarf im Abstam- mungsrecht . Um diesen Reformbedarf zu prüfen und um Lösungen vorzuschlagen, hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz im Februar 2015 den interdisziplinären Arbeitskreis „Abstammung“ ein- gerichtet . Hier sitzen Sachverständige für die Bereiche Familienrecht, Verfassungsrecht, Ethik und Medizin bzw . Psychologie zusammen mit Vertreterinnen und Ver- tretern verschiedener Bundes- und Landesministerien . Im Sommer 2017 wird es den Abschlussbericht dieser Gruppe geben . Ich bin mir sicher: Zu den Ergebnissen des sehr breiten Themen- und Regelungsbereichs Ab- stammungsrecht wird es eine intensive gesellschaftliche und politische Debatte geben – und das ist auch gut so . Schließlich erleben wir den medizinisch-technischen und gesellschaftlichen Wandel mit seinen zahlreichen Fra- gestellungen und Herausforderungen . Wir wollen aber auch sicherstellen, dass eine Geburt ein Freudenereignis ist, wollen, dass Familie mit Sicherheit und Geborgenheit verbunden wird und nicht mit drohenden Rechtsstreitig- keiten oder unklarer Zugehörigkeit . Mein Fazit: Ich begrüße den vorliegenden Gesetzent- wurf der Bundesregierung mit seinen spezifischen Rege- lungen als einen guten Aufschlag . Wir werden wie bei allen Gesetzen dazu intensive parlamentarische Beratun- gen führen . Ich bin aber schon jetzt sehr gespannt auf die große gesellschaftliche und politische Debatte, die wir nach Veröffentlichung des Abschlussberichtes des AK „Abstammung“ zu führen haben . Ich lade Sie ein: Diskutieren Sie mit uns Parlamentarierinnen und Parla- mentariern dazu . Es geht um unser aller Zusammenhalt in Vielfalt . Kathrin Vogler (DIE LINKE): Der heute vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung greift ein Anliegen auf, mit dem sich die Betroffenen immer wieder aktiv an die Politik gewendet haben: Auch Menschen, die mit einer Samenspende gezeugt wurden, haben das Recht da- rauf, ihre Abstammung zu kennen . In Deutschland wer- den jährlich etwa 1 200 Kinder nach einer heterologen Insemination, also einer Befruchtung der Frau mit Spen- dersamen, geboren . Insgesamt leben über 100 000 so ge- zeugte Menschen in Deutschland . Ihnen wird dieses Ge- setz leider nicht mehr helfen können, ihren genetischen Vater zu finden, obwohl viele dieses Bedürfnis im Laufe ihres Lebens entwickeln . Bislang werden die Daten le- diglich bei den Entnahmeeinrichtungen festgehalten . Die Suche nach der Herkunft erfordert also das Abfragen einzelner Samenbanken, in der Hoffnung, die richtige zu finden und dort auch die richtigen Daten zu erhalten, die bisher auch nur 30 Jahre aufbewahrt werden müssen . Die Idee, diese derzeit völlig zersplitterten Daten zu- künftig zentral bei einer Bundesbehörde wie dem DIM- DI, dem Deutschen Institut für Medizinische Dokumen- tation und Information, zu sammeln und bereitzustellen, löst das Problem der zersplitterten Daten für die Zukunft . Gleichzeitig muss geregelt werden, dass sich aus einer Samenspende kein Verwandtschaftsverhältnis begründet . Dieses könnte nämlich zu ziemlich schwierig zu lösen- den rechtlichen Fragen führen – zum Beispiel im Bereich des Unterhalts- und Erbschaftsrechts . Der Verein „Spenderkinder“ hat zudem darauf gedrun- gen, dass sowohl der Spender als auch die sozialen Eltern vor der Samenspende ein verpflichtendes Beratungsan- gebot erhalten, um zu verstehen, dass die Kinder später das Bedürfnis haben könnten, ihren genetischen Vater kennenzulernen, und dass ein offener Umgang mit der Art der Zeugung für die familiäre Beziehung zwischen den sozialen Eltern und dem Kind positiv sein kann . Dem kommt der Gesetzentwurf zumindest teilweise nach . Leider hat die Bundesregierung die Anregung nicht aufgegriffen, eine Möglichkeit zu schaffen, den geneti- schen Vater in irgendeiner Weise in den Abstammungs- dokumenten der Kinder zu nennen und trotzdem recht- liche Ansprüche auszuschließen . Wir werden in der Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722324 (A) (C) (B) (D) weiteren Beratung des Gesetzes prüfen, ob es nicht doch Möglichkeiten gibt, diesen Wunsch der Betroffenen zu berücksichtigen . Auch weitere wichtige Vorschläge bleiben leider un- berücksichtigt . So vermisse ich zum Beispiel eine Be- grenzung der Zahl der Kinder, die mit den Samen eines einzelnen Spenders gezeugt werden dürfen . Dieses wäre angezeigt, um zu verhindern, dass unter Umständen sehr viele genetisch verwandte Spenderkinder gezeugt wer- den, die dann ein höheres Risiko haben, unwissentlich mit einem Halbgeschwister eine Familie zu gründen, wo- durch die Kinder aus solchen Familien höheren Risiken für Erbkrankheiten ausgesetzt wären . Ebenfalls nicht nachzuvollziehen ist, dass das Regis- ter nicht auch genutzt wird, um die Daten von Zeugungen in Form einer Embryonenspende zu erfassen . Auch wenn dieses Verfahren meiner Ansicht nach nicht vereinbar ist mit dem Embryonenschutzgesetz, wird es in Deutschland dennoch angewandt . Auch diese Kinder haben das Recht, ihre Abstammung zu kennen . So ist es wohl doch so, dass die unselige Tradition fortgesetzt wird, dass die Gesetz- gebung hinter den Anforderungen neuer Techniken in der Reproduktionsmedizin herhinkt. Deswegen hoffe ich, dass wir hier im Lauf der Beratung noch zu Verbesserun- gen kommen werden . Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Wissen eines Menschen, wo sie oder er herkommt, hat eine erhebliche Bedeutung für die eigene Persönlich- keit . Geprägt wird man von den Eltern, die einen groß- ziehen . Wenn sich aber herausstellt, dass der eigene Vater nicht auch der biologische Erzeuger ist, oder wenn von vorneherein klar ist, dass die genetischen Eltern andere sind, kann dies Menschen – zumindest vorübergehend – in eine schwere Krise stürzen . Zumindest kann es den Wunsch auslösen, diesen biologischen Elternteil auch kennenzulernen . Die Rechtsprechung hat diese Bedeutung schon län- ger erkannt . Das Oberlandesgericht Hamm hat bereits im Jahr 2013 in einem richtungsweisenden Urteil den An- spruch von durch Samenspende gezeugten Kindern auf Kenntnis des Spenders anerkannt . Die Bundesregierung hat sich allerdings viel Zeit gelassen, diesen Anspruch auch in Gesetzesform zu gießen . Und sie tut es mit die- sem Gesetzentwurf auch nur halbherzig . Punkt 1: Der Anspruch auf Kenntnis der eigenen Ab- stammung besteht verfassungsrechtlich für alle Kinder, die mittels Samenspende gezeugt wurden . Der Gesetzent- wurf der Bundesregierung schafft allerdings nur Abhilfe für die Kinder, die zukünftig gezeugt werden . Alle bereits lebenden Personen werden konsequent ausgeklammert . Für sie ist die geplante Gesetzesregelung also überhaupt keine Hilfe . Sie bleiben weiterhin darauf verwiesen, sich mühsam auf dem Rechtsweg gegenüber den beteiligten Samenbanken und reproduktionsmedizinischen Zentren eine Auskunft zu erstreiten . Punkt 2: Der Vorschlag der Bundesregierung ist ver- fassungsrechtlich fragwürdig, weil er zulasten der ge- zeugten Kinder geht . Die Koalition will nämlich auf der einen Seite jegliche Vaterschaftsfeststellung im Hinblick auf den Spender ausschließen. Sie schafft aber auf der anderen Seite keine Möglichkeit für andere Personen, von Beginn an in die Rechte und Pflichten eines zwei- ten Elternteils einzutreten . Selbst wenn diese dazu bereit wären, kann der spätere Vater bzw . die spätere Co-Mutter des gezeugten Kindes nicht schon vorab als Elternteil an- erkannt werden . Der Vorschlag der Koalition nimmt da- mit dem Kind einen Unterhaltsanspruch, ohne ihm einen gleichwertigen Anspruch als Ersatz zu geben . Und dies ist auch das zentrale Manko des Gesetzent- wurfes: Die Koalition drückt sich vor der eigentlich ent- scheidenden Frage, wie familienrechtliche Konstellatio- nen in diesen Fällen geregelt werden sollen . Sie scheut davor zurück, weil sie grundsätzlich nicht weiß, wie sie mit neuen oder atypischen Familienkonstellationen um- gehen soll . Und dieses Zögern geht wieder einmal zulas- ten der betroffenen Kinder. Wir Grünen sind da schon längst weiter, auch beim Thema Samenspende . Wir haben bereits vor einem Jahr einen Antrag vorgelegt, in dem wir das neue familien- rechtliche Instrument der sogenannten Elternschafts- vereinbarung fordern . Damit wird auch dem nicht bio- logischen Elternteil ermöglicht, schon vor der Geburt in sämtliche Rechte und Pflichten einzutreten. Das Kind er- hält damit von Anfang an zwei gleichberechtigte Eltern- teile . Wie sinnvoll und wichtig eine solche Regelung ist, hat sich in der Anhörung zu diesem Antrag gezeigt . Es wird also Zeit, dass auch die Koalition dies zur Kenntnis nimmt und ihren Gesetzentwurf entsprechend verbessert . Wir sind Ihnen dabei gern behilflich. Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung raumordnungsrechtlicher Vorschriften (Tagesord- nungspunkt 36) Alexander Funk (CDU/CSU): Die geplante Ände- rung des Raumordnungsgesetzes verfolgt im Wesentli- chen drei wichtige Ziele: Erstens. Da ist zum einen die verstärkte Öffentlich- keitsbeteiligung, mit der die Bürger nun bereits deutlich früher eingebunden werden sollen, als dies bisher der Fall war . Zweitens . Darüber hinaus geht es um die Umsetzung einer europäischen Richtlinie zur maritimen Raumpla- nung . Damit ist sichergestellt, dass künftig alle EU-Län- der maritime Raumordnungspläne schaffen, so wie Deutschland dies bereits 2009 etwa für die Schifffahrt, die Offshorewindenergie oder den Umweltschutz in der Nord- und Ostsee getan hat . Dies sollen alle anderen EU-Länder in Zukunft entsprechend handhaben, und sie sollen ihre Festlegungen dann grenzüberschreitend ab- stimmen . Drittens . Dritter Punkt ist das Thema Hochwasser- schutz . Hier soll der Bund künftig die Kompetenz erhal- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22325 (A) (C) (B) (D) ten, im Bedarfsfall länderübergreifende Pläne aufzustel- len . Der Hochwasserschutz liegt ja grundsätzlich in der Kompetenz der Länder . Wenn man sich einmal die Hoch- wassersituationen der letzten Jahre genauer anschaut, so muss man feststellen, dass eine Unterstützung der Länder durch einen länderübergreifenden Schutz erforderlich und angemessen ist . So wichtig die maritime Raumplanung und ihre grenz- überschreitende Abstimmung und so notwendig der län- derübergreifende Schutz gegen Hochwasser auch sind, so unstrittig sind diese Regelungsfelder auch . In diesem Hause gibt es wohl niemanden, der den jeweils vorge- sehenen Schutzzweck der Norm auch nur ansatzweise ernsthaft bestreiten würde . Möglicherweise sieht dies be- züglich der künftig besseren Beteiligung der Öffentlich- keit bei dem einen oder der anderen schon etwas anders aus . Vergegenwärtigen wir uns noch einmal, worum es konkret geht: Es geht um eine obligatorische Öffentlich- keitsbeteiligung – einschließlich der Prüfung von Projek- talternativen – bereits im Raumordnungsverfahren . Beim Raumordnungsverfahren handelt es sich um ein frühes Stadium eines Vorhabens, genauer: um planerische Festlegungen, und eben noch nicht um konkrete Vorha- ben, sprich: Genehmigungsverfahren, Planfeststellungs- verfahren . Diese greifen erst zu einem späteren Zeitpunkt Platz . Als Beispiel: Beim Autobahnbau, der Errichtung von Schienenstrecken oder auch bei dem Projekt Stutt- gart 21 ist die Raumordnung dem Planfeststellungsver- fahren vorgelagert . Und genau hier, in diesem Stadium, soll künftig die Öffentlichkeit eingebunden werden. Wa- rum? Weil wir maximale Transparenz insbesondere bei der Durchführung von Infrastrukturvorhaben, aber etwa auch bei Geothermie-Anlagen walten lassen möchten, und zwar von Anfang an . Es gilt: Wer neue Projekte ins Auge fassen, erfolgreich planen und vor allem erfolg- reich umsetzen will, der braucht eine Bevölkerung, die diese Projekte auch mitträgt! Minister Dobrindt hat in diesem Zusammenhang vom Begriff der größtmöglichen Transparenz gesprochen. Zu Recht! Es geht um eine umfassende, vollumfängliche und damit transparente, daneben aber vor allem auch frühzeitige Information der Öffentlichkeit. Alle relevan- ten Informationen müssen der Öffentlichkeit zugänglich sein . Transparenz hat ja bekanntermaßen zwei Funktio- nen: den offenen Zugang zu Informationen und gleich- zeitig auch die Rechenschaft . Nebenbei bemerkt: Mit der frühen Information der Öffentlichkeit haben wir ja inzwischen sehr gute Er- fahrungen gemacht . Ich spreche hier von der ersten Öf- fentlichkeitsbeteiligung beim Bundesverkehrswegeplan . Dazu gab es fast 40 000 Eingaben von Bürgerinnen und Bürgern, die sich zur Hälfte per Post, zur Hälfte online geäußert haben . Dementsprechend ist es richtig, die Öf- fentlichkeit auch bei Raumordnungsverfahren in Zukunft nicht mehr außen vor zu lassen, sondern direkt einzubin- den und zu beteiligen . Mit den letzten Änderungen am Gesetzentwurf zur Änderung des Raumordnungsgesetzes, die vor der ab- schließenden Beratung im Verkehrsausschuss erfolgt sind, sollten alle Seiten gut leben können: Neben der Korrektur eines Redaktionsversehens in § 7 ROG, die der Bundesrat vorgeschlagen hatte, und einigen Folge- änderungen in den §§ 9, 15 und 17, die natürlich absolu- ter Konsens sind, sollten auch die weiteren Änderungen nicht für Probleme sorgen: Der Änderungsantrag Artikel 1 Nummer 12 § 9 Absatz 2 Satz 4 (neu) ROG entspricht einem Vorschlag des Bundesrates und steht in Zusammenhang mit einer Präklusionsregelung im Entwurf des Gesetzes zur An- passung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben . Mit der Änderung soll eine entsprechende Präklusi- onsvorschrift sowie der Hinweis auf die Präklusion im Raumordnungsgesetz normiert werden . Die Präklusions- vorschrift bei Raumordnungsplänen ist relevant, um die Auswirkungen eines Urteils des Bundesverwaltungsge- richts vom 16 . April 2015 für die Verwaltung praktikab- ler zu gestalten . Ähnlich sieht es bei dem Änderungsantrag zu Artikel 1 Nummer 13a § 10 Absatz 2 ROG aus, der auch auf einen Vorschlag des Bundesrates zurückgeht . Diese Änderung steht ebenfalls in Zusammenhang mit einer Regelung über Rechtsbehelfsbelehrungen im Entwurf des Geset- zes zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben . Die Änderung soll eine entsprechende Vor- schrift im Raumordnungsgesetz normieren und somit zu einer klaren und eindeutigen Rechtslage führen . Schließlich gibt es noch den Änderungsantrag zu Arti- kel 1 Nummer 14b § 11 Absatz 2 ROG, ebenso auf Vor- schlag des Bundesrates . Der Gesetzentwurf der Bundes- regierung würde zu einer Aufhebung des geltenden § 12 Absatz 2 ROG führen . Dieser dient jedoch der Gewähr- leistung der Rechtssicherheit und soll daher beibehalten werden . Mit dem Gesetz zur Änderung raumordnungsrechtli- cher Vorschriften soll auch § 48 Absatz 2 Satz 2 (neu) Bundesberggesetz-E geändert werden . Konkret soll hier eine Raumordnungsklausel eingeführt werden . Das heißt, auch bei Vorhaben nach dem Bundesbergrecht sind künftig die Ziele der Raumordnung zu beachten . Daraus folgt, dass auch hier der Rechtsschutz auf die planerische Ebene vorverlagert wird . Nun könnte man zu der Ansicht gelangen, eine Raum- ordnungsklausel im Bundesberggesetz hätte Konsequen- zen für die Zulassung von Rohstoffgewinnungsvorhaben in Deutschland und könnte zu verzögernden Klagen in einem frühen Stadium der Vorhaben führen . Dement- sprechend sei die Raumordnungsklausel aus dem Ge- setzentwurf zu streichen . Aber das Gegenteil ist hier zu- treffend: Eine solche Streichung würde der Intention des Gesetzgebers und damit dem Regelungszweck diametral entgegenstehen . Wie eingangs ausgeführt, kommt es uns ja gerade darauf an, die Bevölkerung von Anfang an über geplante Vorhaben zu informieren und einzubinden . Und das muss selbstverständlich auch für untertägige Projekte gelten, wenn wir es mit der Transparenz ernst meinen . Daher bitte ich um Zustimmung zu unserem Änderungs- antrag sowie zum Gesetz . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722326 (A) (C) (B) (D) Annette Sawade (SPD): Unser gemeinsamer Raum, das ist unsere Umgebung, wo wir wohnen und leben . Die Änderung des mittlerweile neun Jahre alten Raumord- nungsgesetzes von 2008 befasst sich ganzheitlich mit der maritimen sowie der untertägigen Raumplanung, mit der Mitbestimmung von Bürgern bei Großprojekten und mit den Herausforderungen des Klimawandels für unseren gemeinsamen Raum . Vier Ziele liegen der Gesetzesänderung zugrunde: erstens die Umsetzung der EU-Richtlinie 2014/89/EU zur Schaffung eines Rahmens für die maritime Raum- planung, zweitens die frühzeitige Bürgerbeteiligung bei Großprojekten sowie Prüfung von Alternativen, drittens der Hochwasserschutz und viertens die bergrechtlichen Vorschriften, die die Raumordnung gewissermaßen drei- dimensional entwickeln . Nationalen und europäischen Herausforderungen des Klimawandels können wir nur gemeinsam begegnen . Das Thema Hochwasserschutz gewinnt in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung . Wer erinnert sich nicht an Gerd Schröder in Gummistiefeln an der Elbe? Matthias Platzeck an der Oder? Und die Starkstromregenfälle aus 2016 haben erneut gezeigt, dass Flüsse nun einmal nicht an der Landesgrenze enden . Gerade meinen Wahlkreis Schwäbisch Hall – Hohenlohe hatte es mit Braunsbach, aber auch anderen Orten ganz besonders hart getroffen. Deswegen ist es gut, dass die Länder endlich beim Hochwasserschutz zusammenarbeiten müssen und der Bund die Kompetenz bekommt, bei Bedarf einen länder- übergreifenden Raumordnungsplan für den Hochwasser- schutz aufzustellen . Lassen Sie mich über den Punkt sprechen, der mir auch als Vorsitzende des Unterausschusses Kommunales besonders wichtig ist: das Mitspracherecht der Bürgerin- nen und Bürger zu Belangen der Raumordnung . „Wer an den Dingen seiner Gemeinde nicht Anteil nimmt, ist kein stiller, sondern ein schlechter Bürger“, formulierte Perikles im fünften Jahrhundert . Wir möchten, dass un- sere Bürgerinnen und Bürger mitentscheiden können, wenn unser gemeinsamer Raum neu gestaltet wird oder geschützt werden muss . Die Großprojekte in Deutschland, die verspätet und mit höheren Kosten zum Teil immer noch nicht abge- schlossen sind, haben häufig den Protest der Bürgerinnen und Bürger hervorgerufen . Und dazu muss man leider oft sagen: zu Recht! Weil unter anderem Alternativen und die dazugehörige Transparenz fehlten . Die Gesetzesänderung möchte solche Geschehnisse in Zukunft vermeiden. Die Öffentlichkeitsbeteiligung wird sogar obligatorisch . Größtmögliche Transparenz und Al- ternativplanungen zum Großprojekt, die ernsthaft in Be- tracht kommen, sollen zur Sprache gebracht werden und Gehör finden. Unsere Bürgerinnen und Bürger sollen sich aktiv an der Raumordnung beteiligen können . Dazu gehört es na- türlich auch, dass die Vorhaben von Großprojekten digi- tal veröffentlicht und kommentiert werden können. Deshalb meine Bitte auch an die Bürgerinnen und Bürger: Informieren Sie sich, was um Sie herum pas- siert! Sprechen Sie aus, wie unsere gemeinsamen Räu- me gestaltet werden sollen! Nach drei Jahren der großen Koalition – das ist schneller als die Umsetzung so man- cher Großprojekte in Deutschland –, setzen wir nun die EU-Richtlinie und weitere Änderungen am Raumände- rungsgesetz um . Sabine Leidig (DIE LINKE): Wir begrüßen es, dass nun auch für den Hochwasserschutz länderübergreifen- de Raumordnungspläne aufgestellt werden können . Hier arbeiten die Länder ja oft aneinander vorbei, auch wenn diese das offenkundig anders sehen, wie aus ihrer Stel- lungnahme hervorgeht . Die Frage ist aber, ob es einen solchen Raumordnungsplan geben wird . Für Häfen und Flughäfen ist hier bislang überhaupt nichts passiert . Auf eine schriftliche Frage von Herbert Behrens hin antwor- tete das BMVI, dass dies nicht nötig sei, weil die ver- kehrliche Anbindung von Häfen und Flughäfen durch Hafenkonzept, Flughafenkonzept und Bundesverkehrs- wegeplan ausreichend berücksichtigt seien . Diese beiden Konzepte leisteten aber eben nicht das, was man eigent- lich bräuchte, nämlich eine wirkliche Standortpriorisie- rung . Hier wird eine Chance vertan . Was für uns gar nicht geht, ist, dass der bisherige Ab- satz 6 des § 17 ersatzlos gestrichen werden soll . Hierin ist bislang die Beteiligung des Deutschen Bundestages geregelt . Ich möchte mich aber nicht selbst entmachten und kann die Begründung nicht verstehen, nach der der Deutsche Bundestag bei Rechtsverordnungen, als solche werden die Raumordnungspläne des Bundes erlassen, nicht beteiligt wird . Im Grundsatz stimmt das schon, aber bei den Verordnungen nach dem BImSchG ist das anders . Und ein Plan, der die Anbindung der Häfen und Flughäfen regelt, den muss man im Verkehrsausschuss, der ja schließlich auch den Bundesverkehrswegeplan be- schlossen hat, schon gerne beraten . Ebenso der Umwelt- ausschuss den zum Hochwasserschutz . Falls es den denn jemals geben wird . Die Frage ist eben nur, warum man diese Bundesraumordnungspläne ins Gesetz schreibt, wenn das Ministerium dann meint, man braucht die so- wieso nicht . Wir begrüßen, dass eine Öffentlichkeitsbeteiligung nunmehr – zumindest im regulären, nicht im beschleu- nigten Verfahren – vorgeschrieben ist, auch wenn dies in den meisten Ländern bereits so gehandhabt wurde . Die Begründung, dass man damit Akzeptanz für Großpro- jekte schaffen will, teilen wir aber nicht. Denn es geht nicht nur um die Akzeptanz, also das Durchsetzen von Großprojekten, sondern eben auch darum, ob eine sol- che Maßnahme überhaupt nötig ist . Immerhin sollen nun „ernsthaft in Betracht kommende Alternativen“ geprüft werden, dies schließt explizit auch solche ein, die von Teilnehmern im Beteiligungsverfahren eingebracht wur- den . Aber die Anpassung an das neue URG, die der Bun- desrat vorschlug, ist abzulehnen, weil sie Beteiligungs- rechte einschränkt . Dass die Bundesregierung den Aufbau Ost für abge- schlossen hält, in der Begründung heißt es explizit, „dass sich 26 Jahre nach der Wiedervereinigung räumliche Disparitäten … nicht mehr feststellen lassen“, ist für uns ebenfalls nicht nachvollziehbar . Es wird suggeriert, dass Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22327 (A) (C) (B) (D) es die krassen Disparitäten zwischen Ost und West nicht mehr gibt, sondern es quasi überall strukturpolitische Schwächen und Stärken gebe . Das ist aber aus unserer Sicht eben nicht der Fall, weil sich bei allen Struktur- daten wie beispielsweise Arbeitslosigkeit, Bruttoinlands- produkt, kommunale Steuereinnahmen oder FuE-Ausga- ben immer die DDR abzeichnet, weil es eben im Osten großflächig eine größere negative Betroffenheit gibt. Selbst die schwächsten Westbundesländer sind immer noch „reicher“ als die stärksten Ostländer . Bedenken haben wir wegen der neuen Bestimmungen zu Vorranggebieten . Denn hierzu heißt es in der Begrün- dung, damit kann beispielsweise „eine Siedlungsent- wicklung den Freiraumschutz ausschließen, desgleichen ein Infrastrukturausbau die Erfordernisse des Biotopver- bundes oder der vorbeugende Hochwasserschutz die Be- lange des Naturschutzes“ . Genau das wollen wir nicht . Dass quantifizierte Vorgaben zur Verringerung der Flächeninanspruchnahme als neuer Grundsatz explizit verankert werden, findet unsere Zustimmung, weil da- mit die Umsetzung des 30-Hektar-Zieles der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie unterstützt wird . Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Heute geht es um die Zukunft der Meere . In Nord- und Ostsee haben wir viele unterschiedliche Interessen, die unter einen Hut gebracht werden müssen . Es ist zu begrü- ßen, dass wir dafür jetzt einen europäischen Rahmen ha- ben . Doch wie bei allen Richtlinien, die die Europäische Union auf den Weg bringt, kommt es auch hier auf die konkrete Umsetzung an . Und ich möchte ergänzen: Es kommt auch auf den Zeitpunkt der Umsetzung an . Hier hat die Bundesregierung ein weiteres Mal geschlampt und ist eine geraume Weile im Verzug . Setzen Sie da- her die Richtlinie um – aber bitte vernünftig . Wir geben Ihnen gerne Vorschläge für eine bessere Umsetzung mit auf den Weg . Ähnlich wie an Land gibt es auch auf dem Meer viele unterschiedliche Interessen . Wir müssen einerseits un- sere Meere so weit schützen wie möglich . Wir müssen unsere artenreichen Meere auch für die folgenden Gene- rationen bewahren . Die Meere sind eine entscheidende Lebensgrundlage . Gefährden wir den guten Zustand der Meere, bringt dies vielseitige negative Auswirkungen wie eine Verstärkung des Klimawandels, Artensterben oder eine Versauerung der Meere mit sich . Die Ozeane sind daher besonders schützenswert, und es muss deren Schutz zukünftig eine deutlich höhere Bedeutung beige- messen werden . Die maritime Raumplanung kann ein Instrument sein, Nutzungsinteressen aufzuzeigen, frühzeitig dem Schutz der Meere, Ressourcen und Lebewesen einen größeren Raum zu geben und die Interessen auszugleichen . Es ist sinnvoll, frühzeitig einen Überblick darüber zu erhalten, wo menschliche Nutzung stattfindet und wie Meeres- schutz nötig und möglich ist . Der Schutz der Meere ist vielseitig . Hier geht es vor allem um die Beibehaltung einer hohen Wasserqualität, damit die Meere im ökologi- schen Gleichgewicht bleiben . Es geht außerdem um den Schutz der im Wasser lebenden Tier- und Pflanzenarten. Vor allem der Schutz der Fischbestände wird in Zukunft aufgrund drohender Überfischung einiger Arten eine gro- ße Rolle spielen . Aber es wird auch darum gehen, Gebie- te zu schützen, um Lebewesen eine Rückzugsmöglich- keit zu bieten . Wenn wir uns in Nord- und Ostsee umsehen, welche vielseitigen Nutzungsinteressen bestehen, ist eine lang- fristige maritime Raumplanung sehr wichtig . Denn der Meeresschutz steht Nutzungsinteressen von Öl- und Gas- förderungen, der Schifffahrt, dem Tourismus, der Fische- rei oder Offshorewindanlagen häufig entgegen. Manch- mal können Interessen aber auch ausgeglichen werden . Bisher spricht sich Deutschland im Rahmen seiner maritimen Raumplanung als Bund mit den Küstenlän- dern im Rahmen des Integrierten Küstenzonenmanage- ments, IKZM, einigermaßen ausreichend ab . Allerdings finden manche Planungsansätze wie Öffentlichkeitsbe- teiligung darin noch nicht ausreichend Berücksichtigung . So ist das leider auch mit dem aktuellen Gesetzentwurf . Gut gemeint, aber noch lange nicht gut gemacht . So ist im Gesetzentwurf zwar die aus der EU-Richtlinie ver- langte Öffentlichkeitsbeteiligung enthalten. Aber hier muss die Bundesregierung dringend ihre Auffassung von Öffentlichkeitsbeteiligung anpassen. Sie darf nicht so aussehen, dass zwei Wochen in einem Amt ein Ordner mit Planungsunterlagen ausliegt, zu dem in einem sehr begrenzten Zeitraum die Bürger Stellung nehmen kön- nen – und am Ende weder Lob noch Kritik Berücksich- tigung finden. Eigentlich hätte Ihnen die Öffentlichkeits- beteiligung zum Bundesverkehrswegeplan eine Lehre sein sollen . Rund 40 000 Stellungnahmen – aber kaum Einfluss der Bürger auf das Vorhaben. Am Ende war es eine Farce und das Papier nicht wert, auf dem der Bericht zur Öffentlichkeitsbeteiligung veröffentlicht worden war. Eine solche Lachnummer darf sich nicht wiederholen . Dasselbe gilt für die sogenannte Alternativenprüfung . Diese soll auch für die maritime Raumplanung vorgese- hen sein . Aber wir zweifeln stark daran, dass diese auch wirklich ernst gemeint ist . Die Erfahrungen aus dem Bundesverkehrswegeplan 2030 zeigen: Das stand nur auf dem Papier . Eine objektive Prüfung oder gar Realisie- rung tatsächlich vernünftiger Alternativen fanden nicht statt . Diese Pseudoprüfung darf sich nicht wiederholen . Diese Lehrbeispiele aus der kürzlich beendeten Auf- stellung des Bundesverkehrswegeplans 2030 zeigen: Bitte wiederholen Sie diese Fehler nicht . Denn: Wo Öf- fentlichkeitsbeteiligung draufsteht, muss auch eine ech- te Beteiligung der Öffentlichkeit drin sein. Ein simples Gehörtwerden der Bürger reicht dazu nicht . Die Bürger müssen sich sicher sein, in einem Beteiligungsprozess auch Lösungsvorschläge einbringen zu können, die ernsthaft abgewogen werden . Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722328 (A) (C) (B) (D) Änderung des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes  (Tagesordungspunkt 37) Hans-Werner Kammer (CDU/CSU): Die Moderni- sierung und insbesondere die Digitalisierung der Binnen- schifffahrt kommen voran. Der verstärkte Einsatz von Binnenschifffahrtsinformationsdiensten und vor allem der Nutzung des automatisierten Schiffsidentifikations- systems AIS auch in der Binnenschifffahrt tragen enorm zu einer Steigerung der Verkehrssicherheit auf den deut- schen Wasserstraßen bei, etwa durch eine bessere Über- wachung von Risikotransporten . Andere Maßnahmen wie der zunehmende Automatikbetrieb von Schleusen dienen der Effizienzsteigerung. Ziel dieser Optimierung des Verkehrsträgers Wasserstraße ist es, seine Attraktivi- tät zu erhöhen und so eine umweltfreundliche Verlage- rung von Transporten auf das Wasser zu erreichen . Die- se Modernisierung macht jedoch zahlreiche rechtliche Änderungen notwendig, denn technischer Fortschritt im Informationszeitalter bedeutet immer eine massive Zu- nahme der anfallenden Daten und Informationen . Gerade der Staat, in diesem Fall die Wasserstraßen- und Schiff- fahrtsverwaltung, muss damit sehr verantwortungsvoll umgehen . Daher ist eine vernünftige Rechtsgrundlage zwingend erforderlich. Diese schafft die Große Koalition mit dem vorliegenden Gesetzentwurf . Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme die Ab- schaffung des Länderfachausschusses kritisiert. Aber dieses Gremium hat seit mehr als zwanzig Jahren nicht mehr getagt . Während der gesamten WSV-Reform war bislang keine Sitzung nötig . Der Ausschuss ist absolut verzichtbar, weil sich Bund und Länder auf vielen ande- ren Wegen über die Wasserstraßen austauschen . Das wird auch in Zukunft so sein, gerade bei der von den Ländern angeführten Debatte um die Zukunft der Nebenwasser- straßen . Alle Beteiligten wissen doch, dass es hier ohne Beteiligung der Länder gar nicht zu einer Lösung kom- men kann. Die Abschaffung des Länderfachausschusses ist daher konsequent und lange überfällig . Anderen Bedenken des Bundesrates tragen wir hinge- gen mit den vom Ausschuss eingebrachten Änderungen Rechnung . Zum einen mildern wir eine unverhältnismä- ßige Härte bei der Sanktionierung von Datenschutzver- stößen durch Transportbeteiligte ab . Zweitens erschwe- ren wir Führerscheintourismus nach einem Entzug der deutschen Fahrerlaubnis . Dieses Feintuning am Entwurf ist gelungen . Ich danke den Kolleginnen und Kollegen der Koalition sowie der Grünen für die konstruktive Zusammenarbeit bei diesem Gesetz . Was die Linken bei dem Gesetz um- treibt, verstehe ich hingegen nicht . Im Ausschuss lehnen Sie, Herr Behrens, dieses Gesetz ab . Zugleich wollten Sie aber auf die heutige Aussprache verzichten? Wer ein Ge- setzesvorhaben ablehnt, sollte auch von sich aus bereit sein, das zu begründen . So werden jedoch zwei Dinge offenkundig: Erstens ist die Kritik der Linken an diesem Gesetz unberechtigt . Zweitens fehlt ihnen der Respekt für die Arbeit dieses Parlaments . Matthias Lietz (CDU/CSU): Mit der heutigen Debat- te passen wir das Binnenschifffahrtsaufgabengesetz noch einmal an die bestehende Verwaltungssituation der Was- ser- und Schifffahrtsverwaltung (WSV) an. Und das ist gut so und richtig; denn der Frühjahrsputz ist dringend nötig . Es ist höchste Zeit, den Staub wegzuwischen . Zum einem muss das Binnenschifffahrtsaufgabenge- setz eine Rechtsgrundlage für die WSV bilden, um Daten zur Erfüllung konkret benannter Verwaltungsaufgaben zu nutzen . Zum anderen muss – auch gegen den Willen der Länder – aufgeräumt und entsorgt werden . Es kann nicht angehen, dass ein Länderfachausschuss, der seit der europäischen Handelsliberalisierung 1996 nicht mehr getagt hat und mittlerweile gegenstandslos geworden ist, beibehalten wird . Das entbehrt jeder Grundlage und wi- derspricht unseren Zielen der WSV-Reform, die straffere Strukturen schaffen soll. Die jetzige Anpassung des Binnenschifffahrtsaufga- bengesetzes setzt die Reform der WSV weiter richtig um . Durch den verstärkten Einsatz von Binnenschifffahrtsin- formationsdiensten (RIS) und der Nutzungspflicht des automatischen Schiffsidentifikationssystems (AIS) wer- den durch die WSV mehr Daten verarbeitet, die nun auch für entsprechende Logistik- und Verwaltungsabläufe in der voranschreitenden Digitalisierung genutzt werden sollen . Nur so kann das Personal der Verwaltung weitaus sinnvollere Aufgaben übernehmen, als etwa Binnen- schifffahrtsstatistiken noch mit Meldungen der Primär- erhebungen zu füllen . Dies geht in vielen Fällen auch automatisiert und verringert Zeitaufwand und Kosten . Dieser Schritt war lange fällig und zeichnet ein wirt- schaftliches Entlastungspotenzial von rund 170 000 Mel- dungen oder 360 000 Euro auf . Das ist Bürokratieabbau, wie wir es im Koalitionsvertrag vereinbart haben . Das entlastet die Verwaltung, und das spart Kosten . So beantworten wir eben auch die Fragen, die wir uns zur Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung ge- stellt haben: „Welche Aufgaben müssen durch die WSV selbst wahrgenommen werden und welche nicht?“ und „Wo können Aufgaben sogar völlig entfallen?“ . Beide Fragen gehen wir mit dem Binnenschifffahrtsaufgaben- gesetz an . Wir lösen damit auch das Versprechen ein, den Betrieb von Schifffahrtsanlagen wirtschaftlicher zu gestalten, weil es eben zukünftig automatisierte und fernbediente Schifffahrtsanlagen geben wird. Und das versteht sich von selbst . Der Gesetzentwurf schafft die Grundlage für ein zu- kunftsfähiges Verkehrs-, Unfall-, Schleusen- und Lie- gestellenmanagement . So werden Sicherheit, Interoper- abilität und Effizienz des Verkehrssystems Binnenschiff bzw . Wasserstraße noch einmal deutlich erhöht . Dabei sind wir uns der Sensibilität bestimmter Daten durchaus bewusst und sorgen dafür, dass logistikrelevante Daten nicht uferlos gesammelt oder weitergegeben werden . Wir tragen dem Rechnung, indem wir die gesteigerte Schutzbedürftigkeit der betroffenen Binnenschiffer nicht gefährden und die Privatsphäre der zahlreichen Partiku- liere schützen, bei denen das Schiff als Wohn- und Ar- beitsstätte gleichermaßen den Lebensmittelpunkt von Fa- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22329 (A) (C) (B) (D) milien bildet . Und diesen Schutz behalten wir nicht nur in der Datenübermittlung bei, sondern weiten ihn auch auf das Fahrerlaubnisregister aus . Ein Riegel wird somit dem Führerscheintourismus mit ausländischen Fahrerlaubnissen vorgeschoben . Denn der Gesetzentwurf sieht vor, die Löschungsregel des künftig zentralen Fahrerlaubnisregisters für Befähigungszeug- nisse zu präzisieren . Deutsche Fahrerlaubnisse werden nicht schon bei Entzug, sondern erst drei Jahre später aus dem zentralen Register gelöscht . Damit können Zuwider- handlungen bei Routinekontrollen aufgedeckt werden, und so erschweren wir die Nutzung von ausländischen Fahrerlaubnissen, die das Fahrverbot unerlaubterweise umgehen könnten . Und das schafft bereits heute Fakten. Wir bleiben für eine zukunftsfähige, digitalisierte Binnenschifffahrt am Ball, und wir werden für eine straffere Wasser- und Schifffahrtsverwaltung weiter den Staubwedel schwin- gen . Gustav Herzog (SPD): Die Digitalisierung hat auch vor der Binnenschifffahrt nicht Halt gemacht. Be- reits heute fallen auf unseren Bundeswasserstraßen in zunehmenden Mengen Telematikdaten an und machen eine gesetzliche Regelung für ihre Nutzung dringend notwendig . Im Gesetzgebungsverfahren wurden in der Abwägung einzelner Regulierungsbereiche aber auch ernstzunehmende Interessengegensätze insbesondere zur Nutzung der Daten deutlich . Inwieweit können sich personenbezogene Daten ableiten, und in welchem Maße dürfen die Daten zur polizeilichen Verfolgung von Straf- taten und Ordnungswidrigkeiten herangezogen werden? Diese Fragen wurden kontrovers diskutiert und heute beraten wir abschließend in zweiter bzw . dritter Lesung das Dritte Gesetz zur Änderung des Binnenschifffahrts- aufgabengesetzes . Binnenschifffahrtsinformationsdienste wie der RIS, River Information Service, oder die Einführung der Nut- zungspflicht des automatischen Schiffsidentifikations- systems AIS generieren mittlerweile erhebliche Daten- mengen . In erster Linie dienen sie zwar der Sicherheit und Erleichterung des Schiffsverkehrs, können aber auch zur Verbesserung der Interoperabilität und Effizienz des gesamten Verkehrssystems Wasserstraße herangezogen werden. Die zugrundeliegenden Daten können die Effi- zienz von Logistikketten verbessern und die Verwaltung des Schiffsverkehrs deutlich erleichtern. Daten fallen hierbei nicht nur auf den Schiffen und in den Häfen, bei Logistikpartnern und bei der Passa- ge von Schleusen an, sie fließen vor allem auch bei der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes, WSV, zusammen. Mit der Änderung des Binnenschiff- fahrtsaufgabengesetzes erlauben und regeln wir die Er- hebung, Verarbeitung und Nutzung dieser Daten durch die bundeseigene Verwaltung . Dabei gehen wir über die rein statistische Auswertung hinaus und schaffen unter anderem auch die Voraussetzungen für ein optimiertes Verkehrs-, Unfall-, Schleusen- und Liegeplatzmanage- ment. Die Effizienz unserer Infrastruktur wird dadurch erheblich aufgewertet . Ein wichtiger und ernsthaft diskutierter Punkt war das Ausmaß der Weitergabe dieser Daten, deren Auswertung und Verwendung durch Dritte in der Logistikkette, wie zum Beispiel an die Hafenbetreiber . Als Teil der Lösung haben wir die Datenweitergabe mit strikten Regeln, Spei- cherfristen und Löschpflichten sowie mit einem ange- messenen Sanktionierungsmechanismus bei Missbrauch versehen . Das dient insbesondere dem Schutz personen- bezogener Daten, die aus den Datenströmen abgeleitet werden können . Die SPD-Bundestagsfraktion stimmt dem Gesetzent- wurf der Bundesregierung mit Änderungen zu, wird aber insbesondere diesen Bereich zum Schutz persönlicher Daten intensiv begleiten und auch zukünftig aufmerksam beobachten . Herbert Behrens (DIE LINKE): Wie auf hoher See werden auch in der Binnenschifffahrt größere und schnel- lere Schiffe eingesetzt. Das stellt erhöhte Anforderungen an die Wasserstraßen . Niedrigwasser, Hochwasser oder Eisgang führen gerade für größere Schiffe zu erheblichen Einschränkungen der Schiffsauslastung und der Fahrten- planung . Um optimal mit diesen Einschränkungen umzu- gehen, setzen Binnenschiffer in Europa zunehmend Tele- matiksysteme, die in die sogenannte River Information Systems, RIS, europaweit harmonisiert wurden, ein . Zu- dem wird mit der nach dem vorliegenden Gesetzentwurf verpflichtenden Nutzung des Automatic Identification System, AIS, die Verkehrssicherheit verbessert . Über das AIS vermitteln Schiffe unter anderem Position, Kurs und Geschwindigkeit sowie weitere Daten an andere Schiffe und an die Schifffahrtsbehörden. Dies dient vor allem der Vermeidung von Kollisionen . So weit, so gut . Es ist nichts dagegen einzuwenden, dass mit der Änderung des Binnenschifffahrtsaufgaben- gesetztes eine Rechtsgrundlage für die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung zum Erheben, Verarbeiten und Nutzen von Daten zur Optimierung und Sicherung der Schifffahrt geschaffen wird. Doch ein Aspekt der Geset- zesänderung ist sehr kritisch zu sehen . Denn die Ände- rung schreibt auch eine „vermehrte Automatisierung von Schifffahrtsanlagen“ vor und schafft dafür einen weiteren rechtlichen Rahmen . Das Ziel dabei ist, und ich zitiere, „den Betrieb der Schifffahrtsanlagen wirtschaftlicher zu gestalten“ . Und „wirtschaftlicher“ heißt auch in diesem Fall: mit weniger Personal . Der Schleusenwärter vor Ort soll von einem Kollegen, der aus weiter Ferne bis zu zehn Schleusen gleichzeitig von einer Leitzentrale heraus be- dient, ersetzt werden . Da zeigt sich der neoliberale Geist der WSV-Reform in der Urfassung von Peter Ramsauer . Die Automatisierung der Schleusen ist bereits in vollem Gange . Die Schleusen der Mittelweser, die Mindener Schleusen und die Schleusen am Stichkanal Osnabrück werden künftig von einer Fernbedienzentrale in Minden aus bedient und überwacht . Die Schleusen Petershagen und Schlüsselburg wurden bereits im März 2004 an die Fernbedienzentrale angeschlossen . Seit 2005 werden die Schleusen Landesbergen und Drakenburg ferngesteu- ert . Die Anbindung der Schleuse Langwedel ist im Sep- tember 2010 erfolgt . 2015 hat Staatssekretär Ferlemann angekündigt, dass alle Schleusen an der Oberen Ha- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722330 (A) (C) (B) (D) vel-Wasserstraße automatisiert werden . Auch am Main, Donau und Main-Donau-Kanal sind 52 Schleusen längst automatisiert und werden aus einer Entfernung von bis zu 120 Kilometern gesteuert . Das Ganze findet nicht in einem luftleeren Raum statt. Die Kollegen der WSV sind schon Jahrzehnte dauerhaf- tem Personalabbau ausgesetzt . Seit 1993 wurde jede drit- te Stelle bei der WSV abgebaut . Ausscheidende Kollegin- nen und Kollegen wurden nicht ersetzt . Auszubildende wurden nach ihrem Abschluss nicht übernommen . Nur unter dem Druck der Belegschaften ist es im Jahr 2013 gelungen, den weiteren Personalabbau, der bereits an den Kern der Verwaltung ging, zu beenden, um die krassesten Folgen der Kahlschlagpläne abzuwehren . Die Schleusenautomatisierung führt zu langsameren Schleusungen, was auf häufiger befahrenen Wasserstra- ßen leicht zu Staus führen kann . Nach Angaben der WSV verlängert sich ein Schleusenvorgang sogar nach Ablauf- optimierung um drei bis vier Minuten gegenüber einer Schleusung mit Bediener . Der bis 2015 amtierende Leiter des WSA Eberswalde Heymann bestätigte dies gegen- über dem „Nordkurier“: „Es ist einfach so, dass ein Wär- ter die Boote sprichwörtlich besser stapeln kann .“ In dem Artikel vom 18 . August 2014 bemängelte Heymann den Personalabbau, der verhindert, dass Schleusen durchgän- gig mit Wärtern betrieben werden, und fügt hinzu: „Das ist letztlich von der Politik so gewollt .“ Auch was die Sicherheit angeht, führt die Schleusen- automatisierung zu Problemen . Wenn eine Schleusung schiefgeht, müssen die Leitzentralen erstmal Rettungs- kräfte, die nicht für den Umgang mit Schiffen ausgebil- det sind, zur Hilfe rufen . So blieb an der Schleuse Leh- men im Mai 2016 ein Sportboot mit dem Heck auf dem Betondrempel unterhalb des Oberwassertores hängen, während das Wasser abgesenkt wurde . Weil kein Schleu- senwärter vor Ort war, der den Unfall hätte verhindern können, mussten 40 Feuerwehrleute aus Lehmen, Bro- denbach und Kobern-Gondorf zur Rettung anrücken . Genau diese Schieflage wollen Sie, Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, zum neuen Standard machen . Die Digitalisierung darf nicht für die verfehlte Spar- politik von Union, SPD und Grünen auf Kosten der Beschäftigten und der Sicherheit auf den Wasserstra- ßen missbraucht werden . Deswegen können ich und die Fraktion Die Linke dem vorliegenden Änderungsentwurf sowie dem Änderungsantrag nicht zustimmen . Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit der vorgesehenen Gesetzesänderung soll eine Rechtsgrundlage für die Bundesverwaltung geschaffen werden, auch sogenannte AIS-Daten der Binnenschif- fe zu nutzen . Dies ist sinnvoll und begrüßen wir . Denn dadurch wird eine bessere Bewältigung des Verkehrs möglich, aber auch eine bessere Steuerung oder sogar Optimierung des Verkehrs auf Binnenwasserstraßen . Die Erfassung der automatisch gesendeten Daten auch durch die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung, WSV, ist längst nötig geworden in einer Zeit, in der zunehmend Informationen digitalisiert übermittelt werden . Dem Ge- setzentwurf werden wir daher zustimmen . Dazu sollen aber meiner Auffassung nach zukünftig auch Schiffsdokumente in der Binnenschifffahrt zählen. In der Seeschifffahrt hat teilweise der Prozess schon in Richtung digitalisierte Schiffs-, Besatzungs-, Fracht- oder Zollpapiere begonnen – Stichwort European Single Maritime Window . Dieser Prozess muss sich auch in der grenzüberschreitenden Binnenschifffahrt durchsetzen. Das würde die Nutzung des Binnenschiffs enorm verein- fachen und Verwaltungsprozesse beschleunigen . Bringen Sie also die WSV als Dienstleister für die Binnenschiff- fahrt auf Vordermann, und modernisieren Sie bei dieser Gelegenheit auch die Verwaltungsprozesse . Es wird ja viel gesprochen von Verwaltungsverein- fachung und -modernisierung . Wo bleibt in diesem Zu- sammenhang die im Koalitionsvertrag angekündigte Zusammenführung der Schifffahrtsgesetze zu einem Schifffahrtsgesetzbuch? Die vielen verstreuten Gesetze und Verordnungen, die oft zu deutlich ins Detail gehen, lassen die Beteiligten schnell verzweifeln . Ich empfehle daher: Nehmen Sie von der unvorteilhaften Regelungs- tiefe in Gesetzen und Verordnungen Abstand . Regeln Sie stattdessen die Details auf der Ebene der technischen Vor- schriften . Als Vorbild einer solchen Entwicklung nenne ich exemplarisch das Vorgehen bei der EU-Maschinen- richtlinie . Hier wurde das sehr gut und nachvollziehbar vollzogen . Führen Sie also schleunigst die bestehenden Regularien in einem Schifffahrtsgesetzbuch zusammen, und nehmen Sie tiefergehende Regelungen ausschließ- lich in Form von Richtlinien vor . Lassen Sie mich abschließend noch eine Frage stel- len: Wann wird die Bundesregierung an der Umsetzung der WSV-Reform eigentlich weiterarbeiten? Seit Beginn der Wahlperiode wurde auf Druck der SPD die Arbeit an einer sehr wichtigen Reform fast vollständig eingestellt . Man hat in Bonn eine zusätzliche Behörde geschaffen, die aber weder richtig in Gang kommt noch Erleichte- rungen für die Nutzer mit sich bringt . Das eigentliche Ziel, durch eine Reform als Verwaltung besser und lö- sungsorientierter arbeiten zu können – und dadurch dem miserablen Zustand der Schleusen entlang der Wasser- straßen ein Ende zu setzen, wurde nicht erreicht . Bei der Binnenschifffahrt ist die Reform nicht angekommen. Sie hat weiterhin mit maroden Schleusen zu kämpfen . Sie sollten die WSV eigentlich als Dienstleister für die Wasserstraßennutzer sehen. Stattdessen pflegen Sie die kaiserlich-wilhelminische Amtsschimmelstruktur weiter . Das ist schlecht für unser Land und gegen eine ökolo- gisch sinnvolle Verlagerung der Gütertransporte auf das Binnenschiff. Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22331 (A) (C) (B) (D) des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten (Ta- gesordnungspunkt 38) Dr. Silke Launert (CDU/CSU): Jedem Menschen steht es grundsätzlich selbst zu, über die eigene Gesund- heit „nach eigenem Gutdünken“ – wie der Bundesge- richtshof es formuliert hat – zu entscheiden . Das ist richtig so und deshalb auch verfassungsrecht- lich garantiert . Ärzte können daher Eingriffe, selbst wenn sie medi- zinisch angezeigt sind, grundsätzlich nicht vornehmen, ohne vorab eine Einwilligung der Patientin oder des Pa- tienten eingeholt zu haben . Fehlt die Einwilligung, kann sich der Arzt wegen einer Körperverletzung nach dem Strafgesetzbuch strafbar machen . Bei Menschen, die psychisch krank sind oder denen aus einem anderen Grund die Einsichtsfähigkeit fehlt, ist das anders . Wenn sie nicht erkennen, dass ihre Ge- sundheit auf dem Spiel steht und sie sich deshalb einem ärztlichen Eingriff verweigern, können sie einer medizi- nischen Zwangsbehandlung unterzogen werden . Da es sich hierbei um einen erheblichen Grundrechts- eingriff handelt, sind solche Zwangsmaßnahmen jedoch nach geltendem Recht nur in ganz engen Grenzen zuläs- sig . Insbesondere muss sich die Patientin oder der Patient aufgrund eines Gerichtsbeschlusses in einer freiheitsent- ziehenden Unterbringung befinden. Nur dann kann der Betreuer einer solchen Maßnahme zustimmen und sie dann durch das Gericht genehmigen lassen . So sieht es das Gesetz vor . Doch was ist in den Fällen, in denen nicht einsichts- fähige Patienten nicht freiheitsentziehend untergebracht sind? Und wenn diese Unterbringung auch gar nicht nö- tig ist, weil er oder sie weder in der Lage noch willens ist, sich durch Flucht zu entfernen? Wenn also beispielsweise eine psychisch schwer kran- ke und deshalb betreute Frau querschnittsgelähmt ist und man dann bei ihr ein Herzleiden feststellt; wenn dieses Leiden dringend eine OP erfordert, die Frau sich aber ve- hement weigert, sich der OP zu unterziehen, was dann? Nach aktueller Rechtslage können hier tatsäch- lich zwangsweise keine medizinischen Behandlungen durchgeführt werden . Im schlimmsten Fall drohen also schwerwiegende gesundheitliche Schäden, wenn nicht gar der Tod . In einem ähnlich gelagerten Fall hat das Bundesver- fassungsgericht im Juli des vergangenen Jahres klarge- stellt, dass der Staat auch in solchen Fällen einzugreifen hat. Er habe hier ebenso eine Schutzpflicht, die sich aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrt- heit ergibt . Mit anderen Worten: Wenn der Mensch nicht in der Lage ist, sich selbst zu schützen, dann obliegt es dem Staat, für ihn schützend einzugreifen . Die gesetzliche Lücke, die das Bundesverfassungsge- richt an dieser Stelle offenbart hat, wollen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nun schließen . Der Entwurf sieht daher vor, dass die Einwilligung ei- nes Betreuers in eine ärztliche Zwangsmaßnahme künftig von der freiheitsentziehenden Unterbringung entkoppelt wird . Die freiheitsentziehende Unterbringung soll nicht mehr zwingende Voraussetzung sein . Stattdessen wollen wir als Voraussetzung, dass die Maßnahme im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus, in dem die gebotene medizinische Versorgung des Betreuten einschließlich einer erforder- lichen Nachbehandlung sichergestellt ist, durchgeführt wird . Damit lassen sich die Behandlungen dann auch auf offenen Stationen durchführen, eben weil die freiheits- entziehende Unterbringung gerade nicht notwendig ist, und ambulante Zwangsbehandlungen bleiben weiterhin ausgeschlossen . Im Übrigen belassen wir es in diesem Entwurf bei den strengen materiellen und verfahrensrechtlichen Zu- lässigkeitsvoraussetzungen . Und das muss auch so sein, denn vor dem Hintergrund des schwerwiegenden Grund- rechtseingriffs darf die Zwangsmaßnahme auch nach der Neuregelung wirklich nur Ultima Ratio sein, also das letzte anzuwendende Mittel . Um dies zu untermauern, wollen wir außerdem eine neue Regelung einführen, mit der klargestellt wird, dass auch bei Zwangsmaßnahmen die Vorschrift des § 1901 a BGB zu beachten ist . Demnach wird ausdrücklich vorausgesetzt, dass Be- treuer und Betreuungsgerichte bei der Entscheidung „Zwangsmaßnahme oder nicht“ stets die in einer Patien- tenverfügung getroffenen Festlegungen berücksichtigen. Sollte eine Patientenverfügung nicht vorliegen oder die dort zum Ausdruck gebrachten Erklärungen nicht der ak- tuellen Behandlungssituation entsprechen, dann müssen die Behandlungswünsche und der mutmaßliche Wille des Betreuten zur Grundlage der Entscheidung gemacht wer- den . Darüber hinaus wollen wir als Regelverpflichtung für Betreuer einführen, dass diese in geeigneten Fällen die Betreuten auf die Möglichkeiten der Patientenverfügung hinweisen und sie gegebenenfalls bei der Errichtung un- terstützen . In meinem oben gebildeten Fall wäre der Betreuer also dann dazu aufgefordert, die Frau auf die Möglichkeit ei- ner Patientenverfügung hinzuweisen, wenn sie sich gera- de in einem Zustand der Einwilligungsfähigkeit befindet. Das Ziel dieser Regelungen und des Gesetzentwurfs insgesamt ist ganz klar, Zwangsbehandlungen möglichst zu vermeiden . Sie müssen das letzte Mittel bleiben . Glei- chermaßen wollen wir mit diesem Gesetz das Selbstbe- stimmungsrecht des Einzelnen stärken und die Verbrei- tung von Patientenverfügungen fördern . Ich denke, das sind wirklich wichtige Anliegen, und ich denke, wir können sie mit diesem Gesetzentwurf um- setzen . Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU): Am 1 . Ja- nuar 1992 trat das Betreuungsrecht in Kraft . Damals, vor Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722332 (A) (C) (B) (D) inzwischen 25 Jahren, wurde aus Vormundschaft Betreu- ung, aus Entmündigung eine unterstützte Entscheidung des Betroffenen. Das Gesetz brachte für alle Menschen, die ihre Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht mehr selbst regeln können und deshalb auf die Hilfe anderer angewiesen sind, entscheidende Verbesserungen mit sich: Es hat die Selbstbestimmung jedes Einzelnen ge- stärkt . Ein großer Schritt für unsere Gesellschaft . Trotzdem liegt auch heute noch ein gutes Wegstück vor uns . Das Betreuungsrecht hat sich in den vergangenen Jahren wei- terentwickelt, es wurde mehrfach umfassend reformiert und modernisiert, so wie im Jahre 2013 mit dem Gesetz zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme . Der uns heute vorliegende Gesetzentwurf der Bun- desregierung knüpft genau an diese Reform an . Mit der geplanten Änderung soll eine durch das Bundesverfas- sungsgericht im letzten Jahr festgestellte Regelungslücke geschlossen werden . Bitte stellen Sie sich folgende Situation vor: Ein Mensch, der beispielsweise infolge einer Altersdemenz unter rechtlicher Betreuung steht und nicht mehr fähig ist, über seine medizinische Behandlung selbst zu ent- scheiden, muss gegen seinen natürlichen Willen ärztlich behandelt werden . Ohne Behandlung würde ihm ein ernsthafter gesundheitlicher, lebensbedrohlicher Scha- den entstehen . Bislang, nach geltender Rechtslage, dürfte dieser Mensch aber nur dann gegen seinen Willen behan- delt werden, wenn er durch einen Gerichtsbeschluss in einer geschlossenen Einrichtung untergebracht ist . Es gibt aber auch Situationen, und darauf basiert die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, in denen eine solche freiheitsentziehende Unterbringung nicht angeordnet werden darf. Dies betrifft nach geltender Rechtslage Personen, die sich freiwillig in einer Klinik befinden oder sich krankheitsbedingt räumlich nicht entfernen können . Folglich können sie nicht ärztlich zwangsweise behandelt werden, selbst dann nicht, wenn sie lebensbedrohlich erkrankt sind . Das ist das Dilemma, das es zu beseitigen gilt . Deswegen begrüßen wir den Gesetzentwurf der Bun- desregierung, der nicht nur diese Schutzlücke schließt, sondern überdies das Selbstbestimmungsrecht der Be- treuten weiter stärkt . Der Entwurf sieht konkret vor, dass zukünftig eine zwangsweise medizinische Behandlung nur dann zuge- lassen werden kann, wenn sich der Betreute stationär in einem Krankenhaus aufhält . Der Entwurf spricht an dieser Stelle von einer „Entkopplung“ der ärztlichen Zwangsbehandlung von der freiheitsentziehenden Unter- bringung . Ich gebe zu, es ist eine komplizierte Thematik . In aller Kürze lässt sich der Kerninhalt der geplanten Regelung folgendermaßen verständlich zusammenfassen: Künf- tig sollen ärztliche Zwangsbehandlungen nicht nur auf geschlossenen Stationen eines Krankenhauses, sondern nun auch auf offenen Stationen in einem Krankenhaus möglich sein . Ganz wichtig zu erwähnen ist, dass der Gesetzentwurf keine Ausweitung auf ambulante ärztliche Zwangsbe- handlungen vorsieht . Das begrüße ich . Auch wenn ich die Argumentation vieler nachvollziehen kann, die sich für ambulante zwangsweise Behandlungen aussprechen, empfinde ich den Weg des stationären Aufenthalts im Krankenhaus als den richtigen . Denn wir dürfen hierbei Folgendes nicht außer Acht lassen: Wir bewegen uns bei dieser Thematik in einem grundgesetzlichen Spannungs- verhältnis . Zwangsbehandlungen greifen mit einer sehr hohen Intensität in die Grundrechte des Betreuten ein . Sie sollten also nur als letztes Mittel angeordnet werden dürfen, wenn die drohende Gefahr besteht, dass der Pati- ent einen erheblichen gesundheitlichen Schaden erleiden könnte . Ich verstehe den Einwand und die damit zusammen- hängenden Bedenken, dass Betroffene, die beispielswei- se in speziellen Pflegeheimen leben, aus ihrer gewohnten Umgebung „herausgerissen“ und in ein Krankenhaus verlegt werden müssen, um medizinische Hilfe zu be- kommen . Mit dem Ausschluss ambulanter Zwangsbe- handlungen stellen wir aber sicher, dass den Betroffenen einerseits die erforderliche medizinische Nachbehand- lung zukommt und andererseits, dass ihr Wohn- und Le- bensbereich nicht durch ärztliche Zwangsmaßnahmen beeinträchtigt wird . Zurückkommend auf den Anfang meiner Rede möch- te ich nochmals den Meilenstein erwähnen, den wir vor 25 Jahren erreicht haben . Damals hat der Gesetzgeber das Selbstbestimmungsrecht von betreuten Personen maßgeblich gestärkt . Der uns heute vorliegende Gesetz- entwurf rückt die Selbstbestimmung weiter in den Vor- dergrund . Patientenverfügungen, Behandlungswünsche, die jemand vor der Erkrankung mit seinem freien Willen geäußert hat, und auch der mutmaßliche Wille der Be- treuten sollen mehr Beachtung finden. Dies wird nun im Gesetz klargestellt . Im Sinne der Selbstbestimmung, und das ist besonders wichtig, will der Gesetzentwurf das Instrument der Pa- tientenverfügung weiter verfestigen und damit ärztliche Zwangsbehandlungen auf das unbedingt erforderliche Maß begrenzen . Das Aufgabenfeld des rechtlichen Be- treuers wird dadurch verpflichtend erweitert. Zukünftig müssen Betreuer Betroffene über die Patientenverfügung aufklären und diese auf Wunsch der Betreuten in geeig- neten Fällen schriftlich fixieren. Der Gesetzentwurf weitet damit außerdem den Aufga- benbereich der Beratungsleistung der Betreuungsvereine aus . Diese Aufgabenerweiterung unterstreicht die in den letzten Jahren wahrgenommene Tendenz eines gestie- genen Arbeitsaufkommens bei den Betreuungsvereinen . Auch vor diesem Hintergrund erscheint die Anhebung der Betreuervergütung, die derzeit als paralleles Gesetz- gebungsverfahren hier im Deutschen Bundestag disku- tiert wird, als wichtiger Bestandteil eines funktionieren- den und qualitativ hochwertigen Betreuungswesens . Der Gesetzentwurf bietet also meiner Meinung nach eine gute Grundlage für die weitere parlamentarische De- batte, in der wir insbesondere die Praktikabilität dieser Änderung prüfen werden . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22333 (A) (C) (B) (D) Dr. Matthias Bartke (SPD): Das Gesetz, über das wir heute erstmals beraten, ist das Resultat des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 26 . Juli 2016 . Der Fall, der hinter diesem Beschluss steht, macht uns nach- denklich . Wann ist ein Wille nicht mehr frei? Welche Rolle kann ein Wille noch spielen, wenn der Betroffene nicht mehr einsichtsfähig ist? Im Ausgangsverfahren ging es um eine 63-jährige Frau, die psychisch schwer erkrankt war – eine Mischung aus Schizophrenie, Manie und Depression . Eine Autoim- munkrankheit führte zusätzlich zu großflächigen Hautau- sschlägen und massiver Muskelschwäche . Im Zuge der Behandlungen wurde dann auch noch Brustkrebs festge- stellt . Die erkrankte Frau aber war gegen eine Operation wie auch gegen Bestrahlung . Ihre rechtliche Betreuerin beantragte deswegen ärztliche Zwangsmaßnahmen zur Behandlung des Brustkrebses . Es war klar: Ohne ärzt- liche Maßnahmen würde sich der Krebs ausbreiten und letztlich zum Tod der Patientin führen . Zwangsbehandlungen sind bei psychisch Kranken grundsätzlich möglich . Sie stehen aber zu Recht un- ter sehr engen Voraussetzungen . Dazu zählt, dass nur zwangsbehandelt werden darf, wer auch zwangsunter- gebracht ist . Diese Zwangsunterbringung hatten die Gerichte bei der 63-Jährigen aber abgelehnt . Die Frau war nämlich so krank und schwach, dass sie nicht mehr weglaufen konnte . Damit erübrigte sich die Zwangsun- terbringung und damit auch die Zwangsbehandlung . Der Fall ging durch die Instanzen und landete schließ- lich vor dem Bundesverfassungsgericht, das sich mit der Frage befasste: Muss man Bürger vor sich selbst schüt- zen? Im Juli letzten Jahres hat es die Antwort darauf ge- geben: Unter bestimmten Umständen: Ja . Die geltende Rechtslage bestimmt Folgendes: Hilfsbe- dürftige Menschen, die stationär in einer nicht geschlos- senen Einrichtung behandelt werden und sich nicht aus eigener Kraft fortbewegen können, dürfen notfalls auch gegen ihren natürlichen Willen nicht ärztlich behandelt werden . Das Bundesverfassungsgericht hat beschlossen: Diese Rechtslage verstößt gegen die Schutzpflicht aus Artikel 2 Absatz 2 GG . Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit . Das Recht zur Selbstbestimmung umfasst grundsätz- lich auch das Recht auf Krankheit . Der Patient kann Ent- scheidungen treffen, die anscheinend unvernünftig sind. Wenn ich eine lebenserhaltende Therapie ablehne und mich zum Sterben entschließe, ist das Ausdruck meiner Selbstbestimmung . Die Voraussetzung dafür ist aber mein freier Wille . Manche Betreute können keinen freien Wil- len mehr bilden . Wegen ihrer psychischen Erkrankung oder wegen einer seelischen oder geistigen Behinderung können sie die Notwendigkeit einer ärztlichen Behand- lung nicht erkennen, oder aber sie können nicht nach dieser Einsicht handeln . So kann eine schwere Demenz eine Person nicht verstehen lassen, dass eine Operation lebensrettend ist . Halluzinierte Befehle zur Selbsttötung können die Selbstbestimmungsfähigkeit aufheben . Eine schwere Depression kann dazu führen, dass der Erkrank- te keine Entscheidung mehr treffen oder zum Ausdruck bringen kann . Es liegt ein großer Unterschied zwischen einer frei- en Entscheidung und einer Entscheidung, der es an Ein- sichtsfähigkeit fehlt . Lehne ich eine Chemotherapie ab, weil ich die Qualen der Behandlung bei unsicheren Hei- lungschancen nicht in Kauf nehmen will und akzeptiere ich im Gegenzug meinen Tod, oder lehne ich die Chemo- therapie ab, weil mir die Behandlung qualvoll erscheint und ich nicht begreife, dass ich ohne sie auf jeden Fall an dem Krebs sterben werde? Doch auch wenn Patienten die Konsequenzen ihrer Weigerung nicht abschätzen können, so haben sie doch einen natürlichen Willen . Wegen des verfassungsrecht- lich verbürgten Selbstbestimmungsrechts ist auch dieser Wille grundsätzlich zu beachten. Ein Eingriff in dieses Recht muss auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen und verhältnismäßig sein . Ein Handeln gegen den natür- lichen Willen lässt sich nur rechtfertigen, wenn es ande- ren, gewichtigeren Rechtsgütern dient . Bereits in der letzten Legislatur hat der Bundestag ein Gesetz zur Regelung der ärztlichen Zwangsmaßnahmen beschlossen . Nach der bis dahin geltenden Rechtspre- chung des Bundesgerichtshofs wurde die gesetzliche Re- gelung im Paragrafen zur freiheitsentziehenden Unter- bringung gesehen . 2012 entschied der Bundesgerichtshof dann aber, dass diese Regelung nicht ausreichend war . Damit gab es keine Zwangsbefugnisse zur Durchsetzung notwendiger medizinischer Maßnahmen mehr. Betroffe- nen drohte ein schwerwiegender gesundheitlicher Scha- den oder sogar der Tod . Der Bundestag beschloss daher ein neues Gesetz, dass die bis dahin geltende Rechtslage möglichst nah abbildete . Dazu zählte, dass eine Zwangs- behandlung nur im Rahmen einer Unterbringung erfol- gen kann . Wie die Unterbringung bedurfte damit auch die Zwangsbehandlung der gerichtlichen Genehmigung und unterlag denselben strengen verfahrensrechtlichen An- forderungen . Die Regelung sollte ganz bewusst nur für untergebrachte Personen gelten, um den Grundrechtsein- griff möglichst zu minimieren. Auch die SPD-Fraktion hat daher diesem Gesetz zugestimmt . Tatsächlich führ- te diese Regelung nun aber zu der paradoxen Situation, dass Betroffene untergebracht werden müssen, damit sie zwangsbehandelt werden können . Das Bundesverfas- sungsgericht hat uns die Hausaufgabe mit auf den Weg gegeben, die festgestellte Schutzlücke unverzüglich zu schließen . Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht . Der Gesetzentwurf liegt nun vor . Die Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme wollen wir von der freiheitsentziehenden Unterbringung entkoppeln . Ärztliche Zwangsmaßnahmen werden statt- dessen an das Erfordernis eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus gebunden . Die materiellen Zu- lässigkeitsvoraussetzungen für die Einwilligung bleiben ansonsten erhalten . Das Gleiche gilt auch für die stren- gen verfahrensrechtlichen Anforderungen . So muss die ärztliche Zwangsmaßnahme zum Wohl des Betreuten notwendig sein, um einen drohenden erheblichen ge- sundheitlichen Schaden abzuwenden . Der Betreute muss einwilligungsunfähig sein . Ein in einer Patientenverfü- gung zum Ausdruck gebrachter oder mutmaßlicher Wille des Betreuten darf der Zwangsmaßnahme nicht entge- genstehen . Es muss – ohne Druck und mit der notwendi- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722334 (A) (C) (B) (D) gen Zeit – mindestens ein Überzeugungsversuch gemacht worden sein . Der drohende gesundheitliche Schaden darf durch keine andere weniger belastende Maßnahme abgewendet werden können . Außerdem muss der zu er- wartende Nutzen die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegen . Vor allem mit dem Verweis auf die Patientenverfü- gung bzw . den mutmaßlichen Willen wird klargestellt, dass der Wille des Betreuten unbedingt Beachtung finden muss . Liegt eine Patientenverfügung vor, muss dieser Geltung verschafft werden. Kommt keine Patientenver- fügung zum Zug, ist der Betreuer an den mutmaßlichen Willen des Betreuten gebunden . Dafür muss der Betreuer konkrete Anhaltspunkte finden: Ausschlaggebend sind frühere schriftliche oder mündliche Äußerungen, ethi- sche oder religiöse Überzeugungen und auch sonstige persönliche Wertvorstellungen . Bei der Suche nach dem mutmaßlichen Willen muss er auch nahe Angehörige und sonstige Vertrauenspersonen einbeziehen . Dieser Weg ist wichtig, um dem Willen des Betreuten gerecht zu werden . Er ist aber auch aufwendig und wird nie ganz sicherstellen können, wie der Betreute tatsäch- lich zu den ärztlichen Zwangsmaßnahmen steht . Aus die- sem Grund stärken wir mit dem vorliegenden Gesetz auch die Patientenverfügung. Betreuer sind damit verpflichtet, auf die Möglichkeit einer Patientenverfügung hinzuwei- sen und bei der Errichtung zu unterstützen . Das ist vor allem dann hilfreich, wenn der Betreute nach einer Phase der Einwilligungsunfähigkeit wieder einwilligungsfähig ist . Für den Fall einer erneuten Einwilligungsunfähigkeit kann der Betreute dann festlegen, welche Behandlungen vorzunehmen und welche zu unterlassen sind . Auch zukünftig dürfen ärztliche Zwangsmaßnahmen nur das letzte Mittel sein, das bei drohender erheblicher Selbstgefährdung in Betracht kommt . Wir gehen damit den schmalen Grat zwischen Selbstbestimmungsrecht und Schutz der Betroffenen. Ich denke, wir haben eine gute Lösung gefunden . Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Wie im Gesetzent- wurf der Bundesregierung zutreffend festgestellt wird, gibt der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 26 . Juli 2016 Anlass zur Änderung des Betreuungsrechts . Die Koppelung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme an eine freiheitsentziehende Unterbringung führt zu der Situation, dass es Fallkonstellationen gibt, in denen au- ßerhalb einer geschlossenen Unterbringung keine Mög- lichkeit besteht, einen Menschen gegen seinen Willen ärztlich zu behandeln, selbst wenn schwerste Gesund- heitsschäden drohen . Infolgedessen hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber aufgegeben, unter Berücksichtigung der Schutzpflicht des Staates, die sich aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes – „Jeder hat das Recht auf Le- ben und körperliche Unversehrtheit – eine Regelung zu treffen, um diese Schutzlücke zu schließen. Dazu ist es, wie der Gesetzentwurf anführt, in der Tat erforderlich, die Einwilligung in die ärztliche Zwangsbehandlung von der freiheitsentziehenden Unterbringung abzukoppeln, wobei immer zu beachten ist, dass staatliche Eingriffe in Grundrechte nur als Ultima Ratio und so gering wie möglich erfolgen dürfen . Ob dies hier der Fall ist, müs- sen die Beratungen zeigen . Nach den vorgeschlagenen Regelungen sind vor einer Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Behandlung gegen den Willen des Betreuten insgesamt sieben Vo- raussetzungen kumulativ zu erfüllen, bevor der Betreuer zu der Einwilligung die zusätzlich erforderliche Geneh- migung des Betreuungsgerichts einholen kann . Einerseits erspart die vorgeschlagene Regelung dem Betroffenen die zusätzlich belastende geschlossene Un- terbringung, andererseits besteht die Gefahr, dass die vorgeschlagene Neuregelung quasi die Tür zur Akzep- tanz von ambulanten Behandlungen gegen den Willen des Betroffenen werden kann. Solche Behandlungen wa- ren und sind aber nicht gewollt . Von daher ist dies äußerst kritisch zu betrachten . Sehr schön ist, dass in dem nun vorgeschlagenen § 1906 a BGB auch als Voraussetzung gefordert wird, dass „zuvor ernsthaft, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks versucht wurde, den Betreuten von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnah- me zu überzeugen“, während in der geltenden Regelung des 1906 BGB nur von dem Versuch der Überzeugung gesprochen wird . Auf dieses dringende Erfordernis hat die Linke bereits vor mehr als vier Jahren hingewiesen . Es soll – so ergibt es sich aus dem Gesetzestext bzw . aus der Begründung – kein Erfüllungsaufwand entstehen, weder für den Staat noch für die Bürger noch für die Wirt- schaft . Oder anders gesagt: Es bleibt bei den geltenden Kostenregelungen im Gesundheitswesen, wobei wir aus früheren Beratungen spätestens seit 2012 wissen, dass es Einrichtungen gibt, die offenbar auf Zwangsbehandlun- gen in Gänze verzichten können, eben weil sie mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Druck die Betroffenen von der Notwendigkeit der ärztlichen Hilfe überzeugen . Dies kostet Zeit; es kostet Nerven, und es kostet Geld . Kosten, die, wie wir alle wissen, aufgrund der Kostenre- gelungen des Gesundheitssystems nicht von der Kasse in dem erforderlichen Umfang erstattet werden . Hier muss in diesem Kontext auch nachgebessert wer- den. Insbesondere ist die Linke der Auffassung, dass es sich bei der notfalls einzuwilligenden Zwangsbehand- lung nicht um die Behandlung der Anlasserkrankung handeln darf . Denn Psychopharmaka heilen nicht; sie stellen ruhig . Die Nebenwirkungen von Psychopharmaka sind – das ist unbestritten – ganz erheblich . Aber insofern dürfte eine solche Behandlung schon an den genannten Voraussetzungen scheitern . Besser wäre es allerdings dies ausdrücklich ins Gesetz aufzunehmen . Keinesfalls darf suggeriert werden, dass diese Rege- lung, so sie denn verabschiedet werden sollte, Spielräu- me für ambulante Zwangsbehandlungen eröffnet. Aller- dings ist, wenn die Voraussetzung der Behandlung nach dem neuen § 1906a Absatz 1 Nummer 4 BGB ernst ge- nommen wird, eine Zwangsbehandlung so gut wie nicht mehr erforderlich . Man muss sich aber auch die Zeit für den Patienten nehmen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22335 (A) (C) (B) (D) Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Mit dem Gesetz zur Neuregelung der be- treuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme im Jahr 2013 scheint es – zumin- dest ersten veröffentlichten Zahlen zufolge – gelungen zu sein, Zwangsbehandlungen in der Psychiatrie zu re- duzieren . Das ist ein wichtiger Erfolg, der keinesfalls durch das Anliegen, Zwangsbehandlungen auf Personen auszuweiten, die deswegen nicht untergebracht werden können, weil sie sich der Behandlung räumlich nicht entziehen können oder wollen, gefährdet werden darf . Ziel muss sein, die vom Bundesverfassungsgericht fest- gestellte Schutzlücke zu schließen, ohne dabei die Vo- raussetzungen für Zwangsbehandlungen im Allgemeinen auszuweiten . Das gelingt der Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf nur teilweise . Wir begrüßen, dass der Ge- setzentwurf die Möglichkeit einer Zwangsbehandlung auf einen stationären Krankenhausaufenthalt beschränkt und eine ambulante Zwangsbehandlung ausgeschlossen bleibt . Menschen müssen sich zu Hause sicher fühlen können . Kritisch ist, dass mit der Gesetzesänderung Zwangs- behandlungen psychiatrischer Erkrankungen auf offenen psychiatrischen Stationen ermöglicht werden . Das kann sich nicht nur negativ auf das Klima in offenen Stationen auswirken, sondern birgt auch die Gefahr, dass psychisch erkrankte Menschen davon abgeschreckt werden, sich freiwillig in die stationäre Behandlung zu begeben . Eine ähnlich unerwünschte Ausweitung ergibt sich aus der neuen Rechtsgrundlage für eine Verbringung der betreu- ten Person in ein Krankenhaus, die vor allem auf Perso- nen abzielt, die wegen einer somatischen Erkrankung in einem Krankenhaus zwangsbehandelt werden sollen . Die Regelung ermöglicht jedoch gleichermaßen, ohne ein vorgeschaltetes Unterbringungsverfahren Personen für eine Zwangsbehandlung in ein psychiatrisches Kranken- haus zu bringen . Um der unterschiedlichen Natur somati- scher und psychischer Erkrankungen und Behandlungen gerecht zu werden, spricht einiges dafür, wie im Maßre- gelvollzugsrecht und dem Unterbringungsrecht der Län- der, auch im Betreuungsrecht zwischen psychiatrischer und somatischer Zwangsbehandlung zu unterscheiden . Um den geltenden Schutz vor unverhältnismäßigen Zwangsbehandlungen weiter zu stärken, plädieren wir dafür, den Erforderlichkeitsgrundsatz im neuen § 1906a BGB zu konkretisieren, zumindest jedoch den entspre- chenden Wortlaut der Regelung zur Unterbringung im § 1906 Absatz 1 BGB zu übernehmen . Auch die Vor- schläge des Betreuungsgerichtstags zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts finden wir sinnvoll, wie die Klarstellung in § 1906a Absatz 1 Nummer 3 BGB, dass die Zwangsbehandlung dem früher erklärten Willen der betreuten Person entsprechen muss . Um Zwangsbehandlungen weiter zu reduzieren, ist uns wichtig, psychiatrische Krankenhäuser zu verpflich- ten, Patientinnen und Patienten mit wiederkehrenden Krisen eine Behandlungsvereinbarung anzubieten . So können Betroffene, wenn sie es möchten, gemeinsam mit ihrem Arzt oder Psychotherapeuten verbindlich fest- legen, wie sie im Zustand der Einwilligungsunfähigkeit behandelt werden möchten . Als geeignetes Instrument zur Zwangsvermeidung hat sich auch die Qualifizierung von Verfahrenspflegerinnen und -pflegern herausgestellt, vgl . Werdenfelser Weg . Hier wünschen wir uns eine ge- setzliche Konkretisierung . Sinnvoll, aber nicht ausreichend ist die im Gesetz- entwurf vorgesehene Evaluation der Auswirkungen der gesetzlichen Änderungen auf die Anwendungspraxis . Notwendig ist ein dauerhaftes Monitoring über Anzahl, Dauer und Durchführung von Zwangsbehandlungen, um Missstände in der Praxis und gesetzliche Fehlentwick- lungen zu erkennen und zu korrigieren . Zwangsmaß- nahmen sind schwere Eingriffe in die Grundrechte von Menschen, die, solange sie stattfinden, streng kontrolliert werden müssen . Wir sollten dieses Gesetzgebungsverfahren als Chan- ce nutzen, um Zwang in der Psychiatrie weiter zu redu- zieren und hoffen hierbei auf die Aufgeschlossenheit der Koalitionsfraktionen für Nachbesserungen . Christian Lange, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister der Justiz und für Verbraucherschutz: Die Bun- desregierung hat dem Bundestag den Gesetzentwurf zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten vorgelegt, über den heute in erster Lesung beraten werden soll . Mit dem Entwurf wollen wir die vom Bundesverfas- sungsgericht am 26 . Juli 2016 festgestellte Schutzlücke im Betreuungsrecht unverzüglich schließen . Aktuell sieht das Betreuungsrecht vor, dass ärztliche Zwangsmaßnahmen zwar grundsätzlich möglich sind, wenn die Betroffenen aufgrund einer psychischen Krank- heit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln können . Weitere zwingende Voraussetzung ist aber eine freiheitsentzie- hende Unterbringung . Die Durchführung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme ist also nur dann möglich, wenn die betroffene Person freiheitsentziehend untergebracht ist. Ist eine solche Unterbringung jedoch nicht erforderlich, weil sich die betroffene Person gar nicht entfernen kann oder will, so führt das dazu, dass diese auch dann nicht gegen ihren natürlichen Willen behandelt werden kann, wenn ihr ein erheblicher gesundheitlicher Schaden droht . Denn in diesen Fällen ist es nicht erlaubt, die Betroffenen geschlossen unterzubringen, weil dies nicht erforderlich ist . Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass diese Rechtslage mit der Schutzpflicht des Staates für das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrt- heit hilfebedürftiger Personen unvereinbar ist (Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes) . Wie das Bundes- verfassungsgericht sind auch wir der Meinung, dass hil- febedürftige Menschen nicht alleingelassen werden dür- fen und es die Aufgabe des Staates ist, ihnen wie allen Menschen die erforderliche medizinische Versorgung zu ermöglichen . Ziel des Entwurfs ist es, diese Regelungslücke in angemessener Weise unter Beachtung des Ultima-Ra- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722336 (A) (C) (B) (D) tio-Gebots zu schließen . Denn Zwang darf trotz allem immer nur das letzte Mittel sein . Das erreichen wir, indem wir ärztliche Zwangsmaß- nahmen von der freiheitsentziehenden Unterbringung entkoppeln . Stattdessen soll eine ärztliche Zwangsmaß- nahme im Rahmen eines stationären Aufenthalts in ei- nem Krankenhaus möglich sein, „in dem die gebotene medizinische Versorgung des Betreuten einschließlich einer erforderlichen Nachbehandlung sichergestellt ist“ . Gleichzeitig wollen wir das Selbstbestimmungsrecht von Betroffenen stärken. Dazu sieht der Entwurf aus- drücklich vor, dass die Festlegungen in einer Patien- tenverfügung, die früher mit freiem Willen geäußerten Behandlungswünsche des Betroffenen bzw. sein mut- maßlicher Wille beachtet werden müssen . Damit wird noch deutlicher gemacht, dass der schon nach geltendem Recht zu beachtende Wille des Betreuten die maßgebli- che Grundlage für die Entscheidung über die ärztliche Zwangsmaßnahme überhaupt ist . Außerdem wollen wir die Verbreitung von Patienten- verfügungen und Behandlungsvereinbarungen fördern, indem wir den Betreuer verpflichten, den Betreuten in geeigneten Fällen auf die Möglichkeit einer Patienten- verfügung hinzuweisen und ihn auf seinen Wunsch bei deren Erstellung zu unterstützen . Wir müssen nämlich – und das ist uns ganz besonders wichtig – alles dafür tun, dass ärztliche Zwangsmaßnah- men nach Möglichkeit vermieden werden . Solche Maß- nahmen stellen einen schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Personen dar. Auch vor dem Hintergrund der UN-Behindertenrechtskonvention gilt es, das Selbstbestimmungsrecht zu stärken und Eingriffe auf das unbedingt erforderliche Maß zu reduzieren . Beiden Aspekten – der staatlichen Schutzpflicht auf der einen und der Stärkung des Selbstbestimmungsrechts auf der anderen Seite – wird mit dem Entwurf besser als bisher Rechnung getragen . Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie diesen Ge- setzentwurf möglichst rasch beraten und noch vor dem Ende dieser Wahlperiode verabschieden . Wir wollen den Menschen, um die es geht, möglichst schnell auf einer sicheren Rechtsgrundlage helfen . Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Bauvertragsrechts und zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung (Tagesordnungs- punkt 39) Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU): Mit dem Gesetz zur Reform des Bauvertragsrechts und zur Ände- rung kaufrechtlicher Vorschriften stellen wir die rechtli- chen Rahmenbedingungen für Bauverträge auf ein neues und stabiles Fundament und beseitigen die Haftungsfalle für Handwerker . Damit setzen wir zentrale Anliegen der Union aus dem Koalitionsvertrag um . Bevor ich zu den inhaltlichen Ausführungen komme, möchte ich mich beim Kollegen Kelber stellvertretend für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BMJV aus- drücklich für die sehr gute Zusammenarbeit bedanken . Änderungswünsche der Koalitionsfraktionen wurden en- gagiert aufgegriffen und äußerst konstruktiv und ergeb- nisorientiert mit beeindruckend viel juristischer Fantasie umgesetzt. Ich hoffe, dass Sie es ebenso sehen wie ich, dass sich die besten Argumente durchgesetzt haben und wir heute ein gutes Gesetz beschließen werden . Weil insbesondere das Bauvertragsrecht sehr umstrit- ten schien und Verzögerungen befürchtet wurden, sind zu Beginn des Gesetzgebungsverfahrens insbesondere von Handwerksseite Bedenken erhoben worden, die Ver- knüpfung der Änderungen im Mängelgewährleistungs- recht mit der Schaffung gesetzlicher Regelungen zum Bauvertragsrecht sei nicht sachgerecht und führe zu Ver- zögerungen . Deshalb möge man beide Teile des Gesetz- entwurfs abtrennen und den kaufvertraglichen Teil vorab beschließen . Allerdings besteht schon im Hinblick auf den Adressatenkreis ein sachlicher Zusammenhang zwi- schen den Regelungsmaterien, denn es sind jeweils Wer- kunternehmer beteiligt . Im Ergebnis war es dann umge- kehrt so, dass wir uns beim Bauvertragsrecht im Prinzip schnell einig waren . Zur Verzögerung kam es, weil der SPD-Fraktion der Gesetzentwurf des eigenen Ministers in der AGB-Frage nicht weit genug ging . Beginnen möchte ich mit der Reform des Bauver- tragsrechts. Damit schaffen wir für Bauvorhaben neue Rechtsgrundlagen und damit Rechtssicherheit und Trans- parenz sowohl für Bauherren wie für Bauunternehmen . Reformbedarf ergibt sich insbesondere daraus, dass das Werkvertragsrecht des BGB auf den kurzfristigen punktuellen Austausch von Leistung und Gegenleistung ausgelegt ist . Die Durchführung von komplexen, auf län- gere Zeit angelegten Bauvorhaben kann man damit nicht sachgerecht abbilden . Nach langjährigen Diskussionen und der Vorarbeit zweier Arbeitsgruppen in den beiden vergangenen Wahl- perioden wird das Bauvertragsrecht erstmals ausführlich im BGB geregelt . Für den Bauvertrag, den Verbraucher- bauvertrag sowie für den Architekten- und Ingenieurver- trag werden spezielle Regelungen in das Werkvertrags- recht des BGB eingefügt . Ein Kernpunkt der Reform ist die deutliche Erhöhung des Verbraucherschutzes bei Bauverträgen, die wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben . Angesichts niedriger Zinsen ist Bauen aktuell auch für Private sehr attraktiv . Der Bau eines Eigenheims ist häufig eine Entscheidung für das ganze Leben und bedeutet für Verbraucherinnen und Verbraucher regelmäßig die größte finanzielle Belas- tung, die sie in ihrem Leben schultern . Deshalb sind sie besonders schutzwürdig . Bauunternehmer müssen Verbraucherbauherren des- halb künftig vorab eine detaillierte Baubeschreibung zur Verfügung stellen, die Vertragsinhalt wird . Die angebote- nen Leistungen werden auf diese Weise transparent . So Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22337 (A) (C) (B) (D) können Verbraucher realistisch vergleichen und sich für das qualitativ beste Angebot entscheiden . Um wirksam zu sein, muss der Verbraucherbauvertrag in Textform geschlossen werden . Damit sie die Entscheidung gründ- lich überdenken können, bekommen Verbraucherinnen und Verbraucher ein 14-tägiges Widerrufsrecht . Durch die Begrenzung der Höhe von Abschlagszahlungen wird eine finanzielle Überforderung der Häuslebauer verhin- dert . Fast immer ergeben sich während der Bauausführung gegenüber den Planungen Änderungswünsche, egal ob es sich um ein privates Eigenheim oder ein Industriege- bäude handelt . Bislang wird oft darüber gestritten, ob die Änderungen erforderlich sind und wer diese zu bezahlen hat . Schließlich dauert es zu lange, bis gerichtlich darü- ber entschieden ist . Streitigkeiten während der Bauaus- führung führen häufig zu Baustillständen. Das hat negati- ve Folgen für Zeitplanung und Baukosten . Künftig wird die einvernehmliche und zügige Lö- sung von solchen Konflikten erleichtert. Es wird eine 30-tägige Frist für die Reaktion des Bestellers auf ein entsprechendes Nachtragsangebot des Unternehmers vorgesehen . Äußert er sich nicht, soll die Einigung als gescheitert gelten . Das ursprünglich im Entwurf vorgesehene zusätzli- che Einigungsverfahren mit Sachverständigenbeteili- gung vor der möglichen Inanspruchnahme einstweiligen Rechtschutzes haben wir im Sinne der angestrebten Be- schleunigung aus dem Gesetzentwurf gestrichen . Für den Fall, dass sich Besteller und Unternehmer nicht einigen, haben wir das grundsätzlich aus der VOB/B bekannte einseitige Anordnungsrecht des Bauherrn in das BGB-Bauvertragsrecht übernommen . Klarheit über die konkrete Anordnung wird dadurch erreicht, dass sie in Textform erfolgen muss . Natürlich ist klar, dass ein solches Anordnungsrecht einen tiefen Eingriff in die Ver- tragsfreiheit darstellt . Dieser ist aber gerechtfertigt; denn auch der Bauunternehmer bekommt ein scharfes Schwert an die Hand: Nach dem neuen Bauvertragsrecht führt eine solche Anordnung des Bestellers unmittelbar zu einer Preisan- passung zugunsten des Bauunternehmers . Dieser kann 80 Prozent der geforderten Mehrvergütung verlangen . Damit wird seine Liquidität sichergestellt und das Insol- venzrisiko verringert . Zur Vermeidung des Missbrauchs dieser 80-Pro- zent-Regelung wird zum Schutz des Bestellers eine Verz- insungspflicht des Bauunternehmers eingeführt. Eine schnelle Rechtsdurchsetzung wird dadurch er- reicht, dass Streitfälle aufgrund der Zuständigkeits- konzentration beim Landgericht durch mit der Materie besonders gut vertraute Richter schnell und effizient ge- richtlich entschieden werden können . Spezialkammern sind deshalb sinnvoll, weil es sich um ein komplexes und schwieriges Rechtsgebiet handelt, dessen Behandlung besondere Einarbeitung, Kenntnisse und Erfahrungen erfordert . Schon der 70 . Deutsche Ju- ristentag hatte sich 2014 dafür ausgesprochen, bei den Landgerichten Spezialkammern unter anderem für Bau- sachen einzurichten . Die Detailprivilegierung der Vorschriften der VOB/B zum Anordnungsrecht und zur Vergütungsanpassung wur- de aus dem Gesetzentwurf gestrichen . Diese Regelung hätte sonst dazu geführt, dass in der Praxis regelmäßig die AGB-rechtlich privilegierten VOB/B-Bestimmungen vereinbart und so die zugunsten des Unternehmers einzu- führende 80-Prozent-Abschlagszahlung auf Basis seines Angebots umgangen worden wären . Wir hätten damit un- ser eigenes gesetzliches Leitbild demontiert . Mit dem Erfordernis einer Schlussrechnung wird eine zusätzliche Fälligkeitsvoraussetzung eingeführt . Das hat folgenden Grund: Ein Bauvertrag ist typischerweise komplex und besteht regelmäßig aus vielen Einzelleis- tungen . Damit besteht generell ein Bedürfnis des Be- stellers, die geltend gemachte Rechnungssumme anhand einer Aufschlüsselung der erbrachten Einzelleistungen überprüfen zu können . Die Reform des Bauvertragsrechts wird insgesamt zu einem sachgerechten Interessenausgleich und zu mehr Rechtssicherheit führen . Das ist nicht nur gut für die Ver- braucherinnen und Verbraucher, sondern ist auch und ge- rade im Interesse der Bauwirtschaft und der Architekten . Zum zweiten Teil des Gesetzes: Wie im Koalitions- vertrag vereinbart, beenden wir zum 1 . Januar 2018 die Haftungsfalle für Handwerker . Sie werden im Kaufrecht erstmals einen gesetzlichen Anspruch gegen den Verkäu- fer auf Ersatz der Aus- und Einbaukosten erhalten, wenn er ihnen mangelhaftes Material geliefert hat . Handwerker sind gegenüber ihren Kunden aufgrund des geschlosse- nen Werkvertrags zum Ausbau des fehlerhaften und zum Einbau des mangelfreien Baumaterials verpflichtet. Bis- lang mussten sie die Kosten des Aus- und Wiedereinbaus selbst tragen . Das ändern wir mit der Neuregelung, und wir verbessern damit die Rechte der Handwerker signifi- kant und nachhaltig . Für die Kosten des zusätzlichen erforderlichen Aus- und Wiedereinbaus werden zunächst die Verkäufer haf- ten, die gegebenenfalls wiederum bei ihren Lieferanten Regress nehmen können, sodass letztlich derjenige die Kosten zu tragen hat, der dafür verantwortlich ist . Im Interesse des Handwerks haben wir den Anwen- dungsbereich des Nacherfüllungsanspruchs konkreti- siert, um den Einbaufällen vergleichbare Sachverhalte abzudecken . Wir haben dabei primär die Maler und La- ckierer vor Augen, die mangelhafte Farben oder Lacke nicht im Wortsinne eingebaut, sondern angebracht ha- ben und diese abschleifen und erneut anbringen müssen . Auch sie sollen die dafür erforderlichen Kosten vom Ver- käufer erstattet bekommen . Um Folgeprobleme zu vermeiden, die sich aufgrund unterschiedlicher Verträge in der Leistungskette ergäben, wird das streitanfällige sogenannte Selbstvornahmerecht des Verkäufers zugunsten eines reinen Aufwendungser- satzanspruchs gestrichen . Es gab Befürchtungen, dass die neuen gesetzlichen Regelungen über Allgemeine Geschäftsbedingungen ausgehebelt werden könnten . Selbst unser Koalitions- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722338 (A) (C) (B) (D) partner war zunächst der Meinung, der Gesetzentwurf des eigenen SPD-Justizministers sei insoweit nicht aus- reichend . Deshalb haben die Verhandlungen länger ge- dauert als ursprünglich geplant . Tatsächlich handelt es sich bei der AGB-Frage um eine rechtlich sehr komplexe Regelungsmaterie . Glückli- cherweise konnten wir diese Irritationen im Rahmen der Berichterstattergespräche ausräumen . In der AGB-Frage hat sich die CDU/CSU-Fraktion gegenüber der SPD durchgesetzt . Das heißt, es bleibt bei dem im ursprünglichen Gesetzentwurf vorgesehenen Klauselverbot . Wir haben uns auf eine Lösung verständigt, die Ver- braucher und kleine Handwerksbetriebe schützt, aber im unternehmerischen Geschäftsverkehr eine flexible Inhaltskontrolle durch die Gerichte erlaubt, sodass die besonderen Gegebenheiten von Geschäften im B2B-Be- reich berücksichtigt werden können . Mit der Indizwir- kung wird Einzelfallgerechtigkeit erreicht . Vielfältige Konstellationen erfordern nun einmal die Möglichkeit flexibler Entscheidungen durch die Gerichte. Nehmen wir einmal an, der Bundestag wäre dem Vor- schlag der SPD gefolgt und hätte die Verwendung die- ser einen Klausel generell verboten . Dann hätte dieses Klauselverbot unmittelbar für die gesamte Wirtschaft gegolten, auch für große international tätige Unterneh- men . Das wäre nicht sachgerecht . Die Regelung hätte zu einem Dammbruch geführt: Es wäre eine Debatte über die AGB-feste Ausgestaltung aller in § 308 und § 309 BGB geregelten Klauselverbote entbrannt, weil Kleinun- ternehmer mit dem Argument ihrer Schutzbedürftigkeit jeweils eine unmittelbare Geltung gefordert hätten . Dazu kommt, dass eine solche Regelung angesichts der Diskussion, ob das deutsche AGB-Recht im internati- onalen Vergleich nicht ohnehin viel zu restriktiv ist, Gift für den Rechts- und Wirtschaftsstandort Deutschland ge- wesen wäre . Nach eingehender Prüfung und Beratung ist der Aus- schuss für Recht und Verbraucherschutz daher zu dem Ergebnis gekommen, dass eine solche Regelung mit Blick auf die Rechtsprechung zur Indizwirkung der Klauselverbote für den unternehmerischen Bereich nicht erforderlich ist . Die Union hat sich für die Vertragsfreiheit eingesetzt, hält aber zugleich gegenüber den Handwerkern Wort und lässt sie bei den Aus- und Einbaukosten nicht im Stich . Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Der Gesetzentwurf zur Reform des Bauvertragsrechts und zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung steht am heutigen Tag nach langen Verhandlungen vor der Verabschiedung im Deutschen Bundestag . Mit den eingebrachten Än- derungen ist uns ein sinnvoller Interessenausgleich für alle Seiten gelungen . Durch die initiale Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs im kaufrechtlichen Män- gelgewährleistungsrecht ergaben sich erhebliche Unge- rechtigkeiten zulasten von kleinen Handwerksbetrieben . Mit diesem Gesetzentwurf wird die Kostentragungs- pflicht bei den Einbau- und Ausbaufällen im Rahmen der Nacherfüllung an die Hersteller der mangelhaften Bau- materialien weitergereicht . Es ist das Ziel erreicht, dass kleine Handwerksbetriebe vor existenzbedrohenden Haf- tungsfällen geschützt werden . Im Interesse des Handwerks konnten wir weitere Änderungen durchsetzen . Maler oder Lackierer, welche mangelhafte Farben oder Lacke verarbeiten, sehen sich ebenfalls der Pflicht zum Abschleifen und erneuten An- bringen der Farben oder Lacke ausgesetzt . Solche Sach- verhalte erscheinen mit den Einbau- und Ausbaufällen vergleichbar, sodass wir den Anwendungsbereich des Nacherfüllungsanspruchs konkretisieren . Das Klauselverbot bei der Nacherfüllung bleibt je- doch auf Allgemeine Geschäftsbedingungen beschränkt, die gegenüber einem Verbraucher verwendet werden . Im Ergebnis sind die kleinen Handwerksbetriebe weiterhin geschützt . In der Rechtsprechung wird einem Klausel- verbot gegenüber Verbrauchern eine Indizwirkung für den unternehmerischen Bereich zugeschrieben . Ein Aus- schluss oder die Einschränkung der Haftung des Bau- stoffhändlers für Nacherfüllungsaufwendungen durch AGB werden nach den allgemeinen Regeln der Inhalts- kontrolle unwirksam sein . Der zweite Teil dieser umfassenden Gesetzesände- rungen betrifft den Bauvertrag und den Verbraucher- bauvertrag, welche eine Regelung als eigenständige Vertragstypen im Bürgerlichen Gesetzbuch erfahren . Bei langwierigen Bauvorhaben ergeben sich oftmals Verän- derungen zum ursprünglich geschlossenen Vertrag, wel- che eine Anpassung des Vergütungsanspruchs erfordern . Bei Streitigkeiten über die Höhe der Vergütung für zu- sätzliche Leistungen wird ein Anspruch auf Abschlags- zahlung in Höhe von 80 Prozent der im Angebot fest- gesetzten Vergütung geschaffen. Die genaue Berechnung der Mehrvergütung bleibt weiterhin der Schlussrechnung vorbehalten. Mit der vorläufigen Pauschalierung möch- ten wir jedoch das Insolvenzrisiko von Bauunternehmen verringern, da diese selbst für Materialien in Vorleistung gehen müssen . Durch eine nachträgliche Änderung des Gesetzent- wurfs verpflichten wir die Unternehmen jedoch, keine überhöhten Forderungen bei der Mehrvergütung zu stel- len . Überzahlungen sind mit einer Verzinsung nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs von bis zu 9 Prozent zurückzugewähren . Einem möglichen Miss- brauch der Unternehmer wird damit entgegengetreten . Als weitere Änderung konnte die AGB-rechtliche Pri- vilegierung der VOB/B wieder aus dem Gesetzentwurf gestrichen werden . Es sind keine zwingenden Gründe er- sichtlich, dass die Inhaltskontrolle nach § 307 BGB bei der Berechnung der Vergütungsanpassung keine Anwen- dung finden soll. Einem Rosinenpicken der günstigsten Bedingungen verhandlungsstarker Besteller möchten wir keine gesetzliche Grundlage schaffen. Mit den exemplarisch aufgezeigten Änderungen in diesem umfassenden Gesetzesvorhaben möchte ich ver- deutlichen, dass uns sinnvolle Regelungen mit Blick auf alle Interessen gelungen sind . Es ist nun abzuwarten, ob sich die Verbesserungen auch in der Praxis niederschla- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22339 (A) (C) (B) (D) gen werden . Ich kann jedenfalls mit gutem Gewissen um Zustimmung zu diesem Gesetz bitten . Dr. Johannes Fechner (SPD): Mit dem heute vor- liegenden Gesetzentwurf zum neuen Bauvertragsrecht und den wichtigen Änderungen im Kaufrecht schließen wir ein Gesetzgebungsvorhaben ab, bei dem viele inten- siv mitgearbeitet hatten – zum Teil über Jahre . Zu danken gilt es deshalb allen Beteiligten . Hierzu gehören die Mit- glieder der Expertenkommission zum Bauvertragsrecht, die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Justizministeri- um und alle Verbände, die sich durchweg konstruktiv an der Erarbeitung dieses Gesetzentwurfes beteiligt haben . In Deutschland gibt es rund 600 000 Handwerksun- ternehmen, die über 500 Milliarden Euro Umsatz er- wirtschaften und in denen über 5 Millionen Personen beschäftigt sind . Für die SPD war deshalb klar, dass wir das Handwerk, unsere Wirtschaftsmacht von nebenan, unterstützen . Und das wollen wir nicht nur in Sonntags- reden tun, sondern mit diesem Gesetzentwurf erleichtern wir den Handwerkern in Deutschland das Geschäft . Zu- künftig kann ein Handwerker grundsätzlich von seinem Baustofflieferanten, der ihm mangelhaftes Material ge- liefert hat und das er bei seinem Kunden eingebaut hat, nicht nur neues Material, sondern auch die Ersetzung der Ein- und Ausbaukosten verlangen . Erfasst sind jetzt auch Fälle, bei denen mangelhaftes Material angebracht und nicht nur eingebaut wurde . Verwendet also etwa ein Ma- ler mangelhafte Farbe, kann er die Kosten der Neulackie- rung von seinem Lieferanten verlangen . Wichtig ist auch, dass in einem solchen Fall der Handwerker entscheiden kann, wer den Schaden repariert . Ihm und seinem Kun- den bleibt also die Situation erspart, dass der Baustofflie- ferant und damit ein dem Kunden völlig Unbekannter die Reparatur vornimmt . In einem Punkt hat sich die SPD nicht durchgesetzt . Dies war bekanntlich der Grund, warum wir für diesen Gesetzentwurf so lange gebraucht haben . Wir hätten gerne die Haftung des Baustofflieferanten für Ein- und Ausbaukosten bei Materialfehlern AGB-fest geregelt . Leider wollten dies unsere Kolleginnen und Kollegen von der Union aus Rücksicht auf die Interessen des Han- dels nicht . Es mag sein, dass es Argumente gibt für die Annahme, die Rechtsprechung werde solche AGB-Aus- schlüsse schon für unwirksam erklären . Aber wenn das genau unser Ziel ist, wenn wir also verhindern wollen, dass Handwerker in langwierigen, aufwendigen, teuren Prozessen für ihre ordentlich erbrachte Arbeit ihrem Geld hinterherlaufen müssen, dann hätten wir das auch gleich ins Gesetz so hineinschreiben können . Immerhin konnten wir eine verbindliche Evaluierung festschreiben, die ausdrücklich untersuchen wird, wie die Praxis das AGB-Klauselverbot handhabt . Einen großen Fortschritt gibt es im Bauvertragsrecht für Bauherren, aber auch für Bauunternehmen . Ausdrück- lich haben Bauherren nun auch nach Vertragsabschluss einen Rechtsanspruch auf Änderungen des Bauwerks . Eigentlich gilt ja der Grundsatz „pacta sunt servanda“, aber da man gerade eine Immobilie in der Regel ein Le- ben lang nutzt, muss es möglich sein, wenn während der Bauausführung ein neuer Wunsch entsteht, diesen auch umsetzen zu können . Hierfür haben wir klare Regeln geschaffen. Dem neuen Anordnungsrecht des Bauherrn steht der Anspruch des Bauunternehmers gegenüber, die- ses nur ausführen zu müssen, wenn eine angemessene Vergütung hierfür bezahlt wird und wenn der Bauunter- nehmer auch in der Lage ist, die angeordnete Änderung auszuführen . Durch klare Regelungen zur Ausübung des Anordnungsrechtes und zur Berechnung der angemesse- nen Mehrvergütung für den Bauunternehmer verhindern wir zudem Rechtsstreitigkeiten und damit einhergehende Bauverzögerungen . Handwerker, Bauherren und Bauunternehmen er- halten durch dieses Gesetz mehr Rechtssicherheit . Wir schaffen mehr Rechte für Verbraucher, Handwerker und Bauunternehmen . Stimmen wir also diesem intensiv be- ratenen und ausgewogenen Gesetz zu . Sabine Poschmann (SPD): Als Handwerksbeauf- tragte der SPD-Bundestagsfraktion begrüße ich, dass es uns mit dem vorliegenden Bauvertragsrecht und im Spe- ziellen mit den Regelungen zur kaufrechtlichen Mängel- gewährleistung gelungen ist, ein zentrales Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen . Mit der vorliegenden Regelung bleiben nun – wie zwischen Union und SPD vereinbart – „Unternehmer nicht pauschal auf den Folgekosten von Produktmängeln sitzen“ . Dennoch hätte sich meine Fraktion gewünscht, dass wir dieses Versprechen an die Handwerksunterneh- men ohne Hintertüren für den Handel umgesetzt hätten . Denn ohne die von uns geforderte AGB-feste Ausge- staltung des Gewährleistungsrechts bleibt es dem Han- del weiterhin möglich, die Übernahme der Einbau- und Ausbaukosten zu verweigern . Ein entsprechender Passus in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen genügt . Da ist es auch nur wenig tröstlich, dass die Handwerker ge- gen entsprechende Klauseln rechtlich vorgehen können . Denn die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Malermeister in einen langwierigen und kostspieligen Rechtsstreit mit einer Baumarktkette begibt, ist äußerst gering . Meine Fraktion hat frühzeitig auf diese Lücke im Ge- setzentwurf hingewiesen . Auch der Bundesrat hat in sei- ner Stellungnahme deutlich gemacht, dass man durch die Ausweitung des entsprechenden Klauselverbotes auf Ge- schäftsbeziehungen zwischen Unternehmern Rechtssi- cherheit für die Handwerksunternehmen hätte herstellen können . Ich bedauere sehr, dass sich unser Koalitions- partner dieser Auffassung nicht angeschlossen hat und unserem Vorschlag für eine AGB-feste Ausgestaltung nicht gefolgt ist . Umso wichtiger ist es, dass der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz die im Gesetzestext festgeschrie- bene Evaluierung der Regelungen konkretisiert hat . Wir legen Wert darauf, dass hierbei die Auswirkungen des Gesetzes auf die unternehmerische Praxis genau unter die Lupe genommen werden . Sollte es hier Fehlentwick- lungen geben, die das Handwerk benachteiligen, müssen wir nachbessern . Nur dann werden wir dem Versprechen an die vielen kleinen Handwerksunternehmen in unse- rem Land gerecht, dass sie nicht länger für unverschulde- te Folgekosten aufkommen müssen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722340 (A) (C) (B) (D) Karin Binder (DIE LINKE): Fast zehn Jahre haben die Bundesregierung und Koalition gebraucht, um end- lich eine Reform des Vertragsrechts vorzulegen und die Verbraucherinnen und Verbraucher besser zu schützen . Knapp ein Jahr brauchte der Bundestag, um nach der An- hörung den Gesetzentwurf endlich zu verabschieden . Da- mit hat sie über Jahre hinweg Menschen, die sich ihr ei- genes Zuhause finanzieren, im Regen stehen lassen. Bei anderen Gesetzesvorhaben, die ihr wichtig sind, ist die Koalition schneller . Das ist unverantwortlich . Der Schutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern ist beim Bau eines Eigenheims besonders wichtig . Die Realität ist, dass 97 Prozent der Bauverträge Mängel aufweisen . Die privaten Haus- und Wohnungsbesitzer sind aber Verbrau- cherinnen und Verbraucher, denen die Kompetenz fehlt, um das einschätzen zu können . Für die meisten ist der Bau die größte Investition ihres Lebens . 20 bis 30 Jahre geht ein Großteil ihres Einkommens in die Finanzierung der Wohnimmobilie . Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Bau- vertragsrecht hat Licht und Schatten . Er schlägt wichtige Verbesserungen vor, hat aber auch Mängel und benach- teiligt Verbraucherinnen und Verbraucher gegenüber den Bauunternehmen und Banken, die den Bau finanzieren. Zu begrüßen ist, dass Bauunternehmer gegenüber pri- vaten Bauherren zu einer Baubeschreibung verpflichtet werden und dass es verbindliche Vereinbarungen zur Bauzeit und ein zweiwöchiges Widerrufsrecht geben soll . Außerdem sollen Obergrenzen für die Abschlags- zahlungen eingeführt werden . Die Bauunternehmen werden auch verpflichtet, die Bauunterlagen herauszu- geben – was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte . Zudem soll auch dem Bauunternehmer künftig der Aufwand für den Austausch fehlerhafter Produkte von den Herstellern erstattet werden . Das erleichtert die gute Bauausführung. All das schafft mehr Klarheit für Verbraucherinnen und Verbraucher . Doch die generelle Benachteiligung privater Bauherren gegenüber den Un- ternehmen wird nicht ausgeglichen . Für Verbraucherinnen und Verbraucher bleiben erheb- liche Nachteile bestehen, wenn sie bauen oder sanieren wollen: So ist völlig unzureichend beschrieben, was eigentlich ein Verbrauchervertrag ist . Regelungen zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher sollen an einem bestehenden Gebäude nur bei erheblichen Um- baumaßnahmen greifen . Viele Bauleistungen sind damit überhaupt nicht erfasst . Übliche Einzelleistungen, wie der Rohbau eines Hauses oder der Einbau von Fenstern und Türen, werden nicht in das neue Gesetzeswerk ein- bezogen . Das wird dazu führen, dass Unternehmer die Bauvorhaben in zahlreiche Einzelverträge aufteilen, um sich vor gerechtfertigten Ansprüchen der Verbraucherin- nen und Verbraucher zu drücken . Eine solche erhebliche Verhinderung von Verbraucherschutz ist für die Linke nicht hinnehmbar . Außerdem ist es in der Baubranche üblich, Kasse zu machen, bevor gebaut wird . Es muss doch endlich unterbunden werden, dass Unternehmen von Verbrau- cherinnen und Verbrauchern hohe Abschlags- und Si- cherheitszahlungen verlangen, ohne dass eine Fertigstel- lungsgarantie gegeben wird . Wir sagen: Die Höhe der Sicherheitsleistung muss bei 20 Prozent gedeckelt wer- den. Häufig werden Verbraucherinnen und Verbraucher vertraglich genötigt, vor der Schlüsselübergabe 100 Pro- zent des Vergütungsanspruchs an die Werkunternehmer auszuzahlen . Das macht es aber erheblich schwerer, spä- ter berechtigte Mängelansprüche durchzusetzen . Wir sa- gen: Ein Bauvertragsrecht, das Verbraucherschutz ernst nimmt, muss sicherstellen, dass erst gezahlt wird, wenn die Leistung ordnungsgemäß erbracht wurde . Bauherren müssen zuerst die Möglichkeit haben, mit Expertinnen und Experten ihrer Wahl den Bau in Ruhe abzunehmen . Dringend erforderlich ist außerdem ein gesetzlich gere- geltes Kündigungsrecht der Verbraucherinnen und Ver- braucher bei Insolvenz des Bauunternehmens . Bei einer Insolvenz erhöhen sich die finanziellen und zeitlichen Risiken für die Eigenheimbauer erheblich . Leider zeigt sich auch bei dem Gesetzentwurf zum Bauvertragsrecht, dass es sich die Bundesregierung zur Aufgabe macht, Unternehmen vor Verbrauchern zu schützen, anstatt den Verbraucherschutz zu stärken . Den Gesetzentwurf lehnen wir daher ab . Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dieses Gesetz war jetzt zwar auch eine Weile in der Versenkung verschwunden, aber am Ende muss ich positiv vermer- ken, dass die Zeit offenbar sinnvoll genutzt worden ist. Es ist ja leider eher selten in dieser Legislatur, dass die Erkenntnisse aus Anhörungen tatsächlich noch berück- sichtigt und eingearbeitet werden . Hier ist es jedenfalls mal tatsächlich so gelaufen, und das verdient auch das Lob der Opposition . Zunächst zur kaufrechtlichen Män- gelhaftung: Handwerker, die vom Hersteller mit fehler- hafter Ware beliefert wurden, sollen künftig auch für die Kosten für den Ein- und Ausbau der Waren beim Kunden entschädigt werden . Zwei Probleme wurden im Verfah- ren erkannt und behoben . Auch Handwerker, die ihre Ware nicht direkt einbauen, sondern verarbeiten, wie beispielsweise die Maler ihre Farbe, sollen von der Neu- regelung erfasst werden . Das ist zu begrüßen . Außerdem sollte der Lieferant im Ursprungsentwurf ein Wahlrecht haben, ob er dem Handwerker den Schaden ersetzt oder die Arbeiten selbst vornimmt . Dabei wäre es für den ei- gentlichen Kunden zu der befremdlichen Lage gekom- men, dass er plötzlich ein anderes als das von ihm beauf- tragte Unternehmen in sein Haus lassen müsste . Dieses Wahlrecht ist nunmehr zu Recht gestrichen worden . Mit diesen Verbesserungen wurde den Interessen der Betei- ligten angemessen Rechnung getragen . Nicht ganz so schlank und eindeutig sind die Neurege- lungen zum Bauvertragsrecht geworden . Unstreitig sind da zunächst mal die Verbesserungen für die Verbraucher, also die klassischen „Häuslebauer“ . Hier werden endlich Pflichten zur Baubeschreibung und zu Vereinbarungen über eine verbindliche Bauzeit eingefügt, die für mehr Klarheit und Rechtssicherheit sorgen . Ob die Verbrau- cher allerdings mit ihrem neuen Widerrufsrecht bei Bau- verträgen glücklich werden, wage ich zu bezweifeln . Läuft alles nach Plan, wird der Verbraucher ordnungs- gemäß darüber belehrt, dass er fristgerecht widerrufen kann, aber die bis dahin angefallenen Kosten tragen muss . Ist der Verbraucher nicht ordnungsgemäß belehrt Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22341 (A) (C) (B) (D) worden, läuft die Widerrufsfrist nicht ab, und er kann noch ein ganzes Jahr lang widerrufen, wobei dann be- reits erheblich Summen verbaut sein können . In diesem Fall ist es unangemessen, wenn das Gesetz trotz fehler- hafter Belehrung eine verschuldensunabhängige einsei- tige Kostentragung festlegt . Ein solches Widerrufsrecht ist für den Verbraucher letztlich gefährlicher als gar kein Widerrufsrecht . Problematisch ist ebenfalls, dass die Ausnahme von der Pflicht zur Stellung einer Bauhandwerkersicherung nicht mehr für Verbraucher schlechthin, sondern nur noch für Verbraucherbauverträge im Sinne des § 650h BGB gilt . Das ist eine unnötige Schlechterstellung der Verbraucher gegenüber heute . Nicht nur für Verbraucher, sondern für alle Auftraggeber soll es künftig ein Anord- nungsrecht für Änderungen am Bau geben . Das Baurecht soll damit flexibler werden. Dem Änderungswunsch des Bestellers steht aber logischerweise ein Anspruch auf Vergütungsanpassung des Unternehmers gegenüber . Die Ermittlung der Höhe dieses Anspruchs ist leider extrem kompliziert . Zunächst soll der Unternehmer ein Angebot über die Mehrvergütung abgeben und sich darüber mit dem Bauherrn einigen . Wenn innerhalb von 30 Tagen keine Einigung erzielt wird, kann der Bauherr entweder seinen Änderungswunsch zurücknehmen, oder der Un- ternehmer kann 80 Prozent der Summe aus seinem An- gebotsvorschlag als Abschlagszahlung geltend machen . Dem Besteller bleibt als Alternative nur, die Höhe der Vergütungsanpassung durch eine einstweilige Verfügung vor Gericht klären zu lassen . Immerhin haben Sie das zusätzliche Sachverständigengutachten wieder gestri- chen, das noch vor einer gerichtlichen Verfügung hätte eingeholt werden sollen . Das ganze Verfahren ist ohne- hin schon so kompliziert, dass es für private Verbrau- cher eher nicht handhabbar sein dürfte . Da ist es mehr als gerecht, dass Sie die ursprüngliche Bevorzugung der öffentlichen Hand als Bauherr wieder gestrichen haben. Im Regierungsentwurf war noch vorgesehen, dass im Bereich der öffentlichen Aufträge der Rückgriff auf Ein- zelteile der VOB/B möglich sein sollte . So hätten sich verhandlungsstarke Unternehmer die besten Regelungen herauspicken können und zum Beispiel die Abschlags- zahlung von 80 Prozent umgehen können . Das wäre eine ungerechtfertigte Besserstellung gewesen . Ob das neue Anordnungsrecht trotz seiner kompli- zierten Regelung den Praxistest bestehen wird, bleibt abzuwarten . In einem so streitanfälligen Bereich wie dem Baurecht wird es mit Sicherheit nicht lange dauern, bis wir die erste Gerichtsentscheidung dazu evaluieren können . Damit die Gerichte dazu auch gute und schnelle Entscheidungen treffen können, ist die Einrichtung von Spezialkammern an den Zivilgerichten sicherlich hilf- reich . In ihrem Änderungsantrag haben Sie dies jetzt im Gerichtsverfassungsgesetz verbindlich vorgeschrieben – leider ohne Beteiligung derjenigen, die diese Vorgaben in der Praxis umzusetzen haben, den Ländern . Ihr Hinweis, es handele sich nicht um ein Zustimmungsgesetz, ist vor- sichtig ausgedrückt nicht gerade diplomatisch . Trotz der genannten Kritikpunkte sehe ich das berech- tigte Bedürfnis nach Neuregelungen im Bauvertragsrecht und bei der kaufrechtlichen Mängelhaftung . Daher stim- men wir dem Gesetz zu . Eine gründliche Evaluation halte ich allerdings für unumgänglich . Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkom- men vom 19. Februar 2013 über ein Einheitli- ches Patentgericht – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung patent- rechtlicher Vorschriften auf Grund der europä- ischen Patentreform (Tagesordnungspunkt 42 a und b) Sebastian Steineke (CDU/CSU):Knapp 40 Prozent der Patentanmelder innerhalb der Europäischen Union kommen aus Deutschland . Das ist eine beeindruckende Zahl . Daran sieht man nicht nur, wie innovativ deutsche Unternehmen arbeiten, sondern vor allem, wie wichtig ein effektiver Patentschutz für unsere heimische Wirt- schaft ist . Schon im letzten Sommer haben wir hier im Bundes- tag über die Patentreform debattiert . Dass wir die nun vorliegenden zwei Gesetzentwürfe der Bundesregierung heute als Paket beraten können, war lange Zeit nicht klar . Grund war der Brexit im vergangenen Jahr . Das Verei- nigte Königreich war das Zünglein an der Waage für die Einführung des einheitlichen europäischen Patentsys- tems; denn ohne die Ratifizierung des Übereinkommens über ein einheitliches Patentgericht von Großbritannien wären die beiden Verordnungen zur Schaffung eines ein- heitlichen Patentschutzes und der anzuwendenden Über- setzungsregelungen nicht anwendbar . Dies war auch der Grund, weshalb das parlamentarische Verfahren in die- sem Hause zunächst nicht weitergeführt wurde . Nach- dem die britische Seite angekündigt hatte, das Überein- kommen trotz des Brexit zu ratifizieren, konnten wir den Weg nun freimachen, und darüber bin ich sehr froh . Die Patentreform sieht in erster Linie ein europäisches Einheitspatent mit Wirkung für alle teilnehmenden Staa- ten vor . Bislang zeichnete sich das Patentrecht durch ei- nen parallelen Schutz für Erfindungen mit der sogenann- ten Doppelschutzfunktion aus . Es gab das nationale und das europäische Patent . Die Verletzung des europäischen Patents wurde nach nationalem Recht behandelt . Dies hatte zur Folge, dass der Patentanmelder gerichtlichen Rechtsschutz nur auf nationaler Ebene und mit Wirkung für das Territorium des jeweiligen Vertragsstaates in An- spruch nehmen konnte . Dies bedeutet, dass es bislang für europaweite Patente keinen einheitlichen Schutztitel gab . Diese Schutzlücke wird nun mit der Patentreform geschlossen . Mit dem Einheitspatent wird es nunmehr ei- nen europaweit einheitlichen Schutz geben . Im Zeitalter der Globalisierung und des europäischen Binnenmarktes ist dies eine absolute Notwendigkeit . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722342 (A) (C) (B) (D) Neben dem Schutz durch europäische Patente wer- den wir allerdings auch den nationalen Patentschutz kei- neswegs abschaffen. Deshalb wird mit dem Gesetz das bestehende Verbot der doppelten Inanspruchnahme von nationalen und europäischen Patenten neu gestaltet . An der Aufhebung des Doppelschutzverbotes gab es durch- aus Kritik . Dem trägt der Gesetzentwurf vor allem mit der zusätzlichen Einführung der Einredemöglichkeit bei doppelter Inanspruchnahme Rechnung . Durch diese prozesshindernde Einrede kann die beklagte Partei eine doppelte Inanspruchnahme vor einem nationalen Gericht und dem Einheitlichen Europäischen Patentgericht unter bestimmten Voraussetzungen vermeiden . Dies war für uns ein zentraler Punkt, um eine Aufhebung des Doppel- schutzverbotes in Betracht zu ziehen . Unser nationales System hat sich bewährt . Um eine nachhaltige Einschätzung über eine Weiterführung des bisherigen nationalen Patentschutzes abgeben zu kön- nen, ist es deshalb aus unserer Sicht auch sinnvoll, die weitere Entwicklung erstmal abzuwarten, bevor man über andere Modelle, die keinen Doppelschutz mehr vorsehen, nachdenkt . Zudem ist ein Verfahren vor dem Einheitlichen Europäischen Patentgericht deutlich teurer als vor dem Bundespatentgericht, so dass der Weg zur nationalen Gerichtsbarkeit nach wie vor eine deutliche finanzielle Entlastung der hiesigen Patentinhaber zur Folge hat . Auch mit der Kostenfrage beim Europäischen Patentgericht haben wir uns auseinandergesetzt . Kleine und mittelständische Unternehmen erhalten in Gerichts- verfahren eine deutliche Ermäßigung . Damit werden die Zugangsvoraussetzungen für das Rückgrat unserer Wirt- schaft zur Patentgerichtsbarkeit deutlich erleichtert . Die Zusammensetzung und der Aufbau der Gerichts- barkeit sind im Übereinkommen geregelt . Das Einheitli- che Patentgericht umfasst ein Gericht erster Instanz und ein Berufungsgericht . Eine erstinstanzliche Regional- kammer wird seinen Sitz in München haben . Sachlich zuständig wird das Patentgericht für Einheitspatente, für europäische Patente und für ergänzende Schutzzertifikate sein . Für die klassischen europäischen Patente wird es für eine Übergangszeit eine Opt-out-Möglichkeit geben, mit der ein Patentinhaber sich dagegen aussprechen kann, dass sein Patent der Gerichtsbarkeit des Europäischen Patentgerichts unterfällt . Dies gibt den derzeitigen Pa- tentinhabern in Deutschland eine zusätzliche Wahlmög- lichkeit . Ziel dieser Reform ist vor allem ein Mehr an Rechts- sicherheit, eine System- und Verfahrensvereinfachung sowie eine Kostenreduktion . Ich denke, dies haben wir mit den vorliegenden Entwürfen erreicht . Ich freue mich auch, dass die Entwürfe im Rechtsausschuss die Zustim- mung aller vier Fraktionen erhalten haben . Dies zeigt, dass wir hier auf dem richtigen Weg sind . Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Wir sprechen heute über einen Gesetzentwurf zu einer weiter gehenden Eu- ropäisierung des Patentwesens . Deutschland und die anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union profitieren von den Grundfreihei- ten . Der europäische Binnenmarkt ist durch den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr gekennzeichnet . Die Vorzüge eines Austausches von Gütern über Landesgren- zen hinweg erfordern spiegelbildlich den Schutz von Pa- tenten auf europäischer Ebene . Der Patentmarkt stellt sich gegenwärtig als fragmen- tiert dar, und es zeigen sich beträchtliche Unterschiede zwischen den nationalen Gerichtssystemen . Kleinere Unternehmen können ihre Patente nicht durchsetzen oder sich gegen unberechtigte Klagen wehren . Mit diesem Gesetzentwurf wird nun ein Einheitliches Patentgericht geschaffen. Zugleich wird mit der Einrich- tung des neuen Gerichts die Einführung des europäi- schen Patents mit einheitlicher Wirkung, das EU-Patent, ermöglicht . Das Gericht wird künftig für Klagen gegen die Erteilung des EU-Patents und auch für Klagen gegen die Verletzung des EU-Patents zuständig sein . Die ein- heitliche Wirkung des EU-Patents in den teilnehmenden Staaten wird mehr Rechtssicherheit schaffen. Für die In- anspruchnahme des Patentschutzes wird es insbesondere nicht mehr auf den Ort der Rechtsverletzung ankommen . Beim Europäischen Patentamt entfielen bisher 40 Pro- zent der Anmeldungen auf solche aus Deutschland . Aus diesem Grund wird der dezentralen Verteilung des Ein- heitlichen Patentgerichts eine grundlegende Bedeutung zukommen. Die Zentralkammer wird sich in Paris befin- den, aber eine Außenstelle ist in München geplant, und es treten noch vier Lokal- und Regionalkammern in Düssel- dorf, Mannheim, München und Hamburg hinzu . Dies ist für den Wirtschaftsstandort Deutschland wichtig . Patente und ihre Durchsetzung sind ein wichtiger ökonomischer Faktor . Patentschutz wirkt sich auf die Innovationskraft aus . Es ist noch kurz auf das positive Signal aus Großbri- tannien einzugehen . Bedingung für das Einheitliche Pa- tentgericht ist die Teilnahme der drei größten EU-Staaten: Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich . Mit der Ankündigung der Ratifizierung in London wird das Einheitliche Patentgericht möglich . Die Ankündi- gung ist aber auch als Signal zu verstehen, dass Groß- britannien sich weiterhin dem europäischen Binnenmarkt verpflichten möchte. Ich bitte Sie um Zustimmung zu diesen Gesetzentwür- fen . Christian Flisek (SPD): Seit den 1960er-Jahren wurde eine Reform des europäischen Patentsystems angestrebt . Das Einheitliche Patentgericht setzt einen Schlussstein für diese Reformbemühungen und schafft damit Rahmenbedingungen, in denen sich innovative Industrie im gesamten europäischen Binnenmarkt unter einem starken Schutz entwickeln kann . Der Patentschutz wird dadurch wesentlich erweitert und kann in allen teilnehmenden Mitgliedstaaten durchgesetzt werden . Anstelle vieler einzelner Blumen, die bisher an den ein- zelnen Patentamten gepflückt werden mussten, ist nun gleich der ganze Strauß aus einer Hand erhältlich . Das ist ein großer Fortschritt . Das Übereinkommen, das hier ratifiziert werden soll, wurde von der Bundesrepublik am 19 . Februar 2013 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22343 (A) (C) (B) (D) unterzeichnet . Nach dem Brexit-Votum am 23 . Juni 2016 war unklar, ob der ursprüngliche Zeitplan zur Ein- führung des Einheitlichen Patentgerichts eingehalten werden kann . Wichtige Elemente des einheitlichen Pa- tentgerichts wurden infrage gestellt, weil sie auf eine Be- teiligung Großbritanniens aufbauen . Wir sind froh, dass Großbritannien aus dem Projekt des einheitlichen Patent- gerichts schlussendlich nicht austeigen möchte, und sind froh, dass das Übereinkommen zum Einheitlichen Paten- gericht nun umgesetzt werden kann . Der Bundestag trägt mit der Ratifizierung des Übereinkommens das Seinige bei, um das Projekt nun zügig zum Abschluss zu bringen . Das einheitliche Patentgericht soll möglichst schnell auf- gebaut werden und die Arbeit aufnehmen . Es wurde beanstandet, dass die Kosten für eine Patent- anmeldung in diesem System zu hoch seien . Tatsächlich sind die Gebühren für das europäische Patent höher als die Gebühren für nationale Patentanmeldungen . Natür- lich sind die Kosten der Patentanmeldung ein wichtiger Faktor, an dem sich jedes Patentsystem messen lassen muss . Der Preis ist allerdings an der Gegenleistung zu messen – und im europäischen Patentsystem ist der Schutz wesentlich weitreichender als in den nationalen Systemen . Im Ergebnis ist es preiswerter, ein europäi- sches Patent zu erwerben als ein Dutzend nationaler Pa- tente . Das Europäische Patentgericht wird das deutsche Pa- tentgericht nicht verdrängen . Das deutsche Patentgericht leistet ausgezeichnete Arbeit und ist dank der Mitarbeit technischer Richter eines der modernsten und besten Pa- tentgerichte in Europa . Diese stärken sollen beibehalten und genutzt werden, und das deutsche Patentgericht wird weiterhin über deutsche Patente entscheiden . Zu einem funktionsfähigen europäischen Patentsystem gehört nicht nur das Europäische Patentgericht, sondern auch das Europäische Patentamt . Bei dem Europäischen Patentamt hat sich in den letzten Jahren eine Unruhe un- ter den Mitarbeitern breitgemacht . Ich sage das nicht nur aufgrund von Berichterstattungen in Zeitungen – obwohl hier auch umfassend der Führungsstil des Präsidenten kritisiert wurde . In persönlichen Gesprächen wurde mir von Mitarbeitervertreten, ehemaligen Beschäftigen im Patentamt, zur Lage der Arbeitsbedingungen im Euro- päischen Patentamt berichtet . Hier wurde berichtet, dass die Stimmung im Amt durch ein Übermaß von Melde- pflichten vergiftet sei, und Arbeitnehmer würden dazu aufgerufen, sich gegenseitig zu denunzieren . Die Ausein- andersetzungen eskalierten erstmals Anfang letzten Jah- res, als zwei Gewerkschaftsvertreter entlassen wurden . Besonders problematisch sind solche Entlassungen, weil die Rechtsschutzmöglichkeiten im EPA beschränkt sind . Das EPA hat einen Sonderstatus und unterliegt keiner nationalen oder europäischen Gerichtsbarkeit . Es ist da- mit eine Art Raumschiff, das von der restlichen Rechts- ordnung abgeschirmt nach eigenen Regeln funktioniert . Rechtlicher Schutz kann nur vor Beschwerdekammern erlangt werden . Mit der Unabhängigkeit dieser Be- schwerdekammern steht und fällt eine faire Behandlung der Arbeitnehmer . Die Unabhängigkeit der Beschwerde- kammern ist jedoch dann in Gefahr, wenn der Präsident für die Suspendierung unliebsamer Richter wirbt . Neben den beschränkten Rechtschutzmöglichkeiten verschärft das besonders intensive Abhängigkeitsverhältnis der Ar- beitnehmer am Patentamt die Lage . Das Abhängigkeits- verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber beim EPA ist besonders stark, weil die soziale Absicherung im Wesentlichen über ein System des EPA erfolgt . Bei je- dem Konflikt mit dem Präsidenten riskieren die Arbeit- nehmer damit wesentliche Grundlagen ihrer Existenz . Neben der Kritik der Arbeitnehmer im EPA tritt die Kritik der Patentanwälte . Patentanwälte, die regelmäßig am EPA Patente beantragen, stellen eine Verschlechte- rung der Qualität der Patente fest . Diese Verschlechte- rung führen sie ebenfalls auf die Personalführung im Amt zurück . Das europäische Patentamt hat seit seiner Gründung eine äußert erfolgreiche Entwicklung genommen . Die Strukturen des EPA sind – auch für Arbeitnehmer – funk- tionstüchtig, wenn die Führung sich nicht gegen, sondern an die Seite der Mitarbeiter stellt . Wir sind hier mit der Kritik nicht allein, die Kollegen aus dem niederländi- schen Parlament beschäftigen sich ebenfalls mit den Zu- ständen am EPA . Die Bundesrepublik Deutschland hat allerdings als Sitzstaat der größten Niederlassung des Pa- tentamtes eine besondere Verantwortung, diese Missstän- de zu beseitigen und damit für ein einwandfreies Funkti- onieren des europäischen Patentsystems zu sorgen . Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE):Wir re- den heute hier in zweiter Lesung über einen besseren Schutz von Erfindungen in Europa durch ein einheitli- ches Patentgericht . Ziel des dafür von der Bundesregie- rung vorgelegten Gesetzentwurfes ist es, die Rahmenbe- dingungen für die innovative Industrie im europäischen Binnenmarkt durch einen besseren Schutz von Erfindun- gen nachhaltig zu stärken . Die besondere wirtschaftli- che Bedeutung eines flächendeckenden einheitlichen Patentschutzes in Europa liege in der Kostengünstigkeit und darin, dass er „in einem Verfahren vor dem Einheit- lichen Patentgericht mit Wirkung für alle teilnehmenden EU-Mitgliedstaaten durchgesetzt werden kann“, so heißt es in der Begründung . Insbesondere die deutsche Indus- trie, auf die rund 40 Prozent der an Anmelder aus Euro- pa erteilten europäischen Patente entfallen, soll von dem verbesserten Schutz ihrer Erfindungen profitieren. Das Einheitliche Patentgericht soll bei Streitigkeiten über Patente, die vom Europäischen Patentamt erteilt wurden, mit europaweiter Wirkung entscheiden . Deren erste In- stanz soll ihren Sitz in Paris nehmen, mit Außenstellen in London und München . Die Berufungsinstanz soll in Luxemburg angesiedelt werden . In der Bundesrepublik Deutschland soll eine Abteilung der Zentralkammer in München und jeweils eine Lokalkammer in Düsseldorf, Hamburg, Mannheim und München eingerichtet werden . Die Linke unterstützt diesen besseren Schutz von Erfindungen in Europa und damit grundsätzlich diesen Gesetzentwurf . Im Zusammenhang mit der angestreb- ten Konsistenz und Kostenersparnis für die streitenden Parteien ist die vorgesehene Errichtung eines Einheitli- chen Patentgerichts zu begrüßen . Denn bisher muss bei Nichtigkeitsklagen und Verletzung vor den jeweiligen nationalen Gerichten geklagt werden, und die Wirkung Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722344 (A) (C) (B) (D) der gerichtlichen Entscheidung bleibt auf das jeweilige Staatsgebiet beschränkt . Trotzdem bleiben für uns Kri- tikpunkte offen. So bedauern wir es sehr, dass die Kos- tentragfähigkeit für kleine und mittlere Unternehmen, KMU, infrage steht . Während sich die Gerichtskosten im Rahmen bewegen, sind die Vertretungskosten sehr hoch und aufgrund von Ausnahme- und Ermessensregelungen unkalkulierbar . Damit gehen sie mit einem hohen Risiko einher . Wirksame Maßnahmen zur Förderung von KMU wären auf der Erteilungsseite eine Rabattierung der Amtsgebühren und auf der Durchsetzungsseite die Aus- weitung der Prozesskostenhilfe auf juristische Personen und die Schaffung einer geeigneten Prozesskostenversi- cherung . Doch davon ist bisher nichts im europäischen Patentpaket zu finden. Profiteure des Einheitspatent-Pa- kets sind diejenigen, die einen geografisch möglichst breiten Patentschutz benötigen und über die erforderli- che Finanzausstattung verfügen, um die hierfür und für die gerichtliche Durchsetzung ausgerufenen Kosten zu tragen . Trotzdem bleibt meine Fraktion insgesamt bei ihrer Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf und fordert, in der Umsetzung die von uns kritisierten Sachverhalte im Blick zu behalten und die gesetzlichen Regelungen zu korrigieren, sollten sich unsere Befürchtungen bewahr- heiten . Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Als wir das letzte Mal über das Europäische Einheitliche Patentgericht sprachen, am 23 . Juni 2016, stimmten die Briten gerade für ihren Ausstieg aus der Europäischen Union . Ein schwarzer Tag für Europa, der zunächst auch das Verfahren über das Einheitliche Patentgericht zum Stillstand brachte . Denn das neue Patentgericht soll ne- ben der Zentralkammer in Paris und einer Abteilung in München auch eine dritte Abteilung in London haben . Nun hat Großbritannien aber angekündigt, das Abkom- men über das Einheitliche Patentgericht, dessen Umset- zungsgesetz wir heute debattieren, doch ratifizieren zu wollen . Das ist gut so . Was sind die Vorteile des Einheitspatentes? Dazu muss man sich die Struktur der Patente in der EU vor Augen führen . Es gibt zunächst das nationale Patent, das bei uns nach deutschen Vorschriften erteilt wird . Daneben gibt es auch schon bisher die Möglichkeit eines Europäischen Patents, das aber faktisch nur ein Bündel aus nationalen Patenten ist . Rechtsschutz bei diesem Patent ist auch nur über die jeweiligen nationalen Staaten, die im „Bündel- patent“ erfasst sind, möglich . Was also fehlt, ist ein Patent, dessen Schutzwirkung einheitlich für die Vertragsstaaten des Europäischen Pa- tentabkommens gilt . Dieses Ziel soll jetzt mit diesem Gesetz realisiert werden . Für den Patentinhaber bedeutet dies, dass er das Einheitspatent anstelle oder neben dem nationalen Patent oder dem bisherigen Europäischen „Bündelpatent“ wählen kann . Bekommt er das Einheits- patent erteilt, so kann er sich im Streitfall an das Einheit- liche Patentgericht wenden und ein Urteil erlangen, dass es seiner Gegenseite in allen Mitgliedstaaten untersagt, sein Patent zu vertreiben oder herzustellen . Eine Vielzahl nationaler Verfahren, wie jetzt beim „Bündelpatent“ er- forderlich, wird vermieden . So positiv das alles klingt, das Einheitspatent hat einen Haken: Es ist teuer . Ein Verfahren vor dem Ein- heitlichen Patentgericht wird voraussichtlich ungefähr doppelt so viel kosten wie ein Verfahren vor den deut- schen Behörden . Allerdings bekommt man auch mehr für sein Geld, denn die rechtliche Wirkung des Schutzes gilt für alle Vertragsstaaten . Müsste der Patentinhaber Ver- fahren vor mehreren nationalen Gerichten durchführen, wie es derzeit beim Bündelpatent der Fall ist, kann es sogar noch teurer werden . Wir müssen aufpassen, dass keiner zurückbleibt und dass das Einheitspatent nicht zu einem Privileg der großen Konzerne verkommt . Die Kostenfrage können wir nicht im nationalen Alleingang regeln, deshalb muss die Bundesregierung sich jetzt auf EU-Ebene dafür einsetzen, dass Programme zur Un- terstützung von KMU, wie sie die Kommission bereits angekündigt hat, auch tatsächlich durchgesetzt werden . Wenn das nicht klappt, müssen wir über das zugrunde- liegende Übereinkommen nachverhandeln . Man könnte zum Beispiel die Prozesskostenhilfe auf KMU ausdeh- nen, wenn sie die Kosten des Verfahrens nicht bestreiten können . Denn Rechtsschutz muss jedem möglich sein, und Rechtsdurchsetzung darf nicht am Geld scheitern . Die Frage des angemessenen Rechtsschutzes ist auch der Punkt, der mich beim zweiten Gesetz beschäftigt, das wir heute debattieren . Mit dem Begleitgesetz passen wir das deutsche Recht an das neue europäische Patentrecht an . Das ist weitgehend sinnvoll und erforderlich, weshalb ich nur auf einen Punkt eingehen will: die Aufhebung des Doppelschutzverbotes . Bisher war es nicht möglich, dass ein nationales Pa- tent in Deutschland neben dem europäischen (Bündel-) Patent Wirkung entfaltet . Das soll sich mit dem Einheits- patent nun ändern . Beide Patente – das Einheitspatent und das deutsche Patent – sollen nach dem Gesetzent- wurf nebeneinander bestehen können . Das bedeutet, dass Patentinhaber bei Verletzung ihres Patentes zwischen zwei Rechtswegen den Weg aussuchen können, der ihnen mehr Schutz bietet . Entweder ziehen sie vor das Einheits- gericht und klagen wegen Verletzung des Einheitspaten- tes, oder sie wählen das deutsche Patentgericht wegen Verletzung des nationalen Patentes . Ob diese Wahlfrei- heit notwendig ist, ist schon zweifelhaft . Was aber in jedem Fall gewährleistet werden muss, ist ein ausrei- chender Schutz des Beklagten . Der Gesetzentwurf sieht dazu die „Einrede der doppelten Inanspruchnahme“ vor, die der Beklagte vor dem Patentgericht geltend machen kann, wenn ein Verfahren gegen ihn aus derselben Sache bereits beim Einheitlichen Patentgericht rechtshängig oder das Verfahren sogar schon abgeschlossen ist . Das Übereinkommen zum Einheitspatentgericht ent- hält aber keine Einrede der doppelten Inanspruchnahme für den umgekehrten Fall . In der Begründung des Ge- setzentwurfes heißt es: „Im Übrigen, insbesondere nach Abschluss des nationalen Verfahrens, ist auch das Ein- heitliche Patentgericht aufgerufen, eine Lösung für den Fall der doppelten Inanspruchnahme zu finden.“ Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22345 (A) (C) (B) (D) Letztlich werden Richter des neuen Einheitsgerichtes mangels konkreter Regelung höchstens den Einwand des Rechtsmissbrauchs gelten lassen können . Das ist aber al- les andere als Rechtssicherheit, die doch mit der Verein- heitlichung im Patentrecht angestrebt wurde . Wir müssen also auf europäischer Ebene nachbessern . Wenn wir das schon auf europäischer Ebene im Pa- tentrecht nachbessern, können wir auch gleich die weite- re offene Baustelle angehen – die Biopatente. Die Reform wurde nicht genutzt, um die Patenterteilung für Pflanzen und Tiere als Produkte „im Wesentlichen biologischer Verfahren“ endlich eindeutig auszuschließen . Eine un- verbindliche Mitteilung der Kommission reicht mir nicht aus . Es droht eine steigende Privatisierung genetischer Ressourcen zulasten von Züchtung, Landwirtschaft und der Verbraucherinnen und Verbraucher . Das müssen wir stoppen, um biologische Vielfalt zu erhalten und die Kontrolle und Monopole von Lebensmittelketten durch Biopatentinhaberinnen und -inhaber zu unterbinden . Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleich- terung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen (Tagesordnungspunkt 43) Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Erstens . Für mich schließt sich mit dieser heutigen Rede ein großer Kreis in meiner Arbeit hier im Deutschen Bundestag . Denn es war meine erste Rede in diesem Hohen Haus, die ich am 14 . Februar 2014 – vor über drei Jahren – anlässlich der Beratung im Rahmen der ersten Lesung des jetzt zum Abschluss kommenden Gesetzgebungsverfahrens gehalten hatte . Und damals hatte ich bei diesem Gesetz- entwurf darauf verwiesen, dass es im Insolvenzrecht noch andere wichtige Baustellen gebe, die eigentlich vordringlich abgearbeitet werden müssten – insbesonde- re die Reform des Insolvenzanfechtungsrechts . Wir wa- ren deshalb überzeugt, dass eine finale Behandlung des hiesigen Konzerninsolvenzgesetzes keinen Sinn mache, wenn nicht zuvor oder jedenfalls gleichzeitig auch das Insolvenzanfechtungsrecht – im Sinne übrigens unserer Koalitionsvereinbarung – reformiert würde . Diese zweite Baustelle erwies sich als deutlich kom- plexer als gedacht, insbesondere wegen der Wünsche des Fiskus . In der letzten Sitzungswoche aber haben wir dieses „große Loch“ schließen können, und wenn nichts Unvorhergesehenes passiert, wird der Gesetzentwurf am morgigen Freitag auch den Bundesrat passieren . Damit waren auch für das Konzerninsolvenzgesetz die Ampeln auf Grün gestellt . Das Gesetz, dessen Regierungsentwurf übrigens noch unter der früheren Bundesregierung erarbeitet wurde und dessen erste Vorarbeiten noch auf die letzte Große Koa- lition zurückgehen (!), bildet den Abschluss – sicher nur vorläufig – einer insolvenzrechtlichen Novellierungstrias aus erstens dem ESUG, also dem Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen, zwei- tens der Reform der Restschuldbefreiung und schließ- lich heute drittens der Regelung der Konzerninsolvenz . Alle Gesetze teilen das Ziel einer Erhaltung von Werten und Arbeitsplätzen durch „Sanierung vor Zerschlagung“ . Das ist ein richtiger Weg und konkrete soziale Marktwirt- schaft . Zweitens . Lassen Sie mich aber jetzt zunächst noch einmal das Kernanliegen des heute abschließend zu be- ratenden Gesetzentwurfs in Erinnerung rufen: Das Bild des Bürgers vom Unternehmen ist noch immer geprägt von der einzelnen Gesellschaft, meistens der GmbH oder der Aktiengesellschaft . Die wirtschaftliche Realität ist aber eine völlig andere . Unternehmensgruppen, teilweise bestehend aus mehreren Hundert einzelnen Gesellschaf- ten, bestimmen das Geschehen . Das gilt nicht nur für die bekannten multinationalen Konzerne, sondern auch für viele Mittelständler und sogar Handwerker . Schon lange hat unsere Rechtsordnung auf dieses Phä- nomen reagiert. So verlangen die Offenlegungsvorschrif- ten des Bilanzrechts eine zusammengefasste Darstellung aller Konzernunternehmen, um ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Fi- nanz- und Ertragslage des – so ist es gemeint – gesamten Konzerns zu vermitteln . Im Gesellschaftsrecht wird das Phänomen Konzern an zahlreichen Stellen aufgegriffen. Es begründet unter hier nicht weiter interessierenden Voraussetzungen Durch- griffsmöglichkeiten, Haftung, Zurechnung usw. Auf der Grenze zum Arbeitsrecht tragen schließlich der Konzern- betriebsrat und die konzernweite unternehmerische Mit- bestimmung dem Vorliegen einer Unternehmensgruppe Rechnung . Stiefmütterlich behandelt wird der Konzern aber bis- lang im Insolvenzrecht . Hier steht die einzelne natürliche oder juristische Person im Vordergrund, genauso wie im 19 . Jahrhundert, als mit der Konkursordnung die Vor- gängerin unserer heutigen Insolvenzordnung geschaffen wurde . Das ist wenig überzeugend; denn dadurch werden die sogenannten Synergievorteile, die bei der lebenden Großorganisation Konzern den Gesellschaftern, Gläubi- gern und damit auch den Arbeitnehmern zugutekommen, in der Abwicklung vergeudet . Das Insolvenzverfahren über die einer Unternehmens- gruppe angehörigen Unternehmen kann nämlich bislang an ganz unterschiedlichen Orten mit jeweils unterschied- lichen Insolvenzverwaltern stattfinden. Die Praxis – dazu zählen auch die Insolvenzgerichte – hat hier im Wege von Auslegung und Vereinbarung zwar durchaus praktikable Lösungen entwickelt, beispielsweise ein einheitliches In- solvenzverfahren in Köln . Für die notwendige Rechtssi- cherheit reicht dies aber nicht aus, zumal wir uns hier in einer Konkurrenz vor allem mit England befinden (des- sen „markttreibende Rolle“ in diesem Bereich übrigens im Falle eines Brexits durchaus andere EU-Staaten sich zu übernehmen anschicken) . Es ist relativ leicht möglich, den sogenannten Mittelpunkt der hauptsächlichen Inte- ressen eines Unternehmens nach England (oder einen anderen EU-Staat) zu verlegen und dann dort das ganze Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722346 (A) (C) (B) (D) Insolvenzverfahren über eine Unternehmensgruppe ein- heitlich abzuwickeln . Handeln ist daher geboten . Wo konkret liegt das Problem? Fünf Fragenkreise las- sen sich ausmachen: erstens die divergierende örtliche Zuständigkeit der Insolvenzgerichte, wie gerade gesagt; zweitens die Tatsache, dass dann noch unterschiedliche Insolvenzverwalter in den verschiedenen Verfahren tä- tig sind; drittens, dass wir es mit unterschiedlichen In- solvenzmassen zu tun haben; viertens die Frage, wie das eine Verfahren auf das andere Verfahren einwirkt; und fünftens und letztens, ob man einen Masterplan machen kann, mit dem man das gesamte Unternehmen einheitlich sanieren kann . Der Entwurf adressiert positiv drei der genannten Fra- gestellungen und einen weiteren explizit negativ . Diese „Selbstbeschränkung“ ist zunächst zu begrüßen; denn in den streitigen Fragen, in denen noch keine endgültige Klarheit besteht, sollte der Gesetzgeber nicht autoritativ eingreifen . Als Erstes ermöglicht er eine einheitliche örtliche Zu- ständigkeit für das Insolvenzverfahren der verschiedenen konzernangehörigen Unternehmen bzw . Gesellschaften . Der Gesetzentwurf stellt für diesen Ort im Grundsatz auf das sogenannte Prioritätsprinzip ab, also den Ort, an dem zuerst ein Insolvenzantrag gestellt wurde . Das er- scheint mir überzeugend, weil es nur für einen frühzeitig gestellten Eigenantrag gilt und Missbrauch in Form von Zuständigkeitserschleichungen auch noch durch andere Maßnahmen verhindert wird . Zum Zweiten stellt er klar, dass in solchen Fällen ein einheitlicher Insolvenzverwalter bestellt werden darf, dass also gerade nicht, wie bisher teilweise behauptet wurde, zwischen den einzelnen insolventen Gesellschaf- ten so starke Konflikte bestehen, dass immer – kosten- intensiv – unterschiedliche Verwalter bestellt werden müssen . Soweit das gleichwohl der Fall ist, sollen sie zur Zusammenarbeit verpflichtet werden. Zum Dritten will der Entwurf die Möglichkeit einer freiwilligen Koordination durch ein besonderes neues Koordinationsverfahren schaffen, also einen Masterplan. Zusammengefasst: Was das Gesellschaftsrecht zu- sammengeführt hat, das soll das Insolvenzrecht nicht scheiden . Das ist im Ansatz richtig und wichtig; denn die durch die Neuregelung klargestellte Möglichkeit, die In- solvenzverfahren verschiedener konzernangehöriger Un- ternehmen an einem Ort und in einer Hand abzuwickeln, spart Kosten . Das ist gut für die Gläubiger, die Arbeit- nehmer und damit für die Menschen in unserem Land . Was der Entwurf andererseits nicht vorschlägt: Weder werden die Insolvenzverfahren der einzelnen konzern- angehörigen Unternehmen als solche zusammengefasst, noch – und erst recht nicht – werden die Vermögensmas- sen der einzelnen Gesellschaften zusammengefasst . Das entspricht der Selbstständigkeit juristischer Personen auch im Konzern . Würde man anders vorgehen – es gibt durchaus Stimmen, die das fordern –, würde die Mög- lichkeit der Kreditvergabe an die einzelnen Gesellschaf- ten nachhaltig beeinträchtigt . Denn als Gläubiger braucht man Berechenbarkeit, und das heißt auch: Man muss vor- her wissen, mit wem man nachher in einem Boot sitzt, wenn die Mittel des Kreditnehmers nicht mehr reichen . Drittens . An diesem, wie gesagt, schon seit Beginn der Legislaturperiode vorliegenden guten Gesetzentwurf ha- ben wir in den vergangenen Monaten noch einige Punkte verbessert: Hinsichtlich des „Gruppen-Gerichtsstands“ haben wir in § 3a InsO (neu) deutlich gemacht, dass die Begrün- dung einer Zuständigkeit an einem anderen Ort als dem Sitz eines Konzernunternehmens nur dann in Betracht kommt, wenn dieses Unternehmen „nicht offensichtlich von untergeordneter Bedeutung“ ist – und dies dahin gehend konkretisiert, dass dies dann der Fall ist, wenn dieses Unternehmen mehr als 15 Prozent (statt ursprüng- lich 10 Prozent) der Mitarbeiter des Konzerns beschäf- tigt oder seine Bilanzsumme oder seine Umsätze mehr als 15 Prozent (statt ursprünglich 10 Prozent) der Kon- zernzahlen betrugen, wobei das genannte Beschäftigten- quorum in jedem Fall die Begründung einer abweichen- den Zuständigkeit ausschließt . Damit wird sichergestellt, dass das Insolvenzverfahren in jedem Fall nicht von dort wegverlegt werden kann, wo es eine – relativ gesehen – große Beschäftigtenzahl gibt . Auf Wunsch meiner Fraktion haben wir zudem in § 3e Absatz 2 InsO (neu) klargestellt, dass auch GmbH & Co KGs als Konzerne „gelten“, auch wenn sie es natürlich in unserem gesellschaftsrechtlichen Verständnis nicht sind . Aber auch hier ist es sinnvoll, sicherzustellen, dass die Insolvenz der Komplementärin einer Gesellschaft dort abgewickelt wird, wo auch das Insolvenzverfahren über die Gesellschaft selbst durchgeführt wird . Schließlich wollen wir anordnen, dass die Kosten für den „Verfahrenskoordinator“ (so „umgetauft“; im Regie- rungsentwurf noch „Koordinationsverwalter“) von den Kosten der Einzelverfahren abgezogen werden, sodass insgesamt keine höheren Verwalterkosten entstehen (Ar- tikel 3 des Gesetzentwurfs mit der Änderung von § 3 Ab- satz 2 der Insolvenzrechtlichen Vergütungsverordnung) . Denn natürlich soll der mit dem neuen Verfahren ange- strebte Gewinn für die Insolvenzmasse(n) nicht durch höhere Kosten des Insolvenzverfahrens konterkariert werden . Auf Wunsch der SPD-Fraktion haben wir schließlich eine Regelung in § 269c Absatz 1 InsO (neu) aufgenom- men, dass in jeden Gruppen-Gläubigerausschuss ein Ar- beitnehmervertreter berufen wird . Viertens . Die CDU/CSU-Fraktion hatte zudem gebe- ten, zu prüfen, ob ähnlich den insolvenzrechtlichen Zu- ständigkeiten nicht auch die finanzgerichtlichen Zustän- digkeiten konzentriert werden könnten . Geprüft wurde die zentrale Zuständigkeit eines Finanzgerichts für alle finanzgerichtlichen Verfahren, an denen gruppenangehö- rige Unternehmen beteiligt und die nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über die jeweiligen Unterneh- men anhängig geworden sind . Der Vorschlag wurde seitens des – insoweit federfüh- renden – BMF als ein nachvollziehbares und grundsätz- lich unterstützungswürdiges Anliegen angesehen, weil es dazu beitragen könne, die Klärung der mitunter komple- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22347 (A) (C) (B) (D) xen steuerrechtlichen Verhältnisse in der insolventen Un- ternehmensgruppe zu erleichtern . Denn dadurch könnten wie durch die §§ 3a ff. InsO (neu) insbesondere wider- sprüchliche Entscheidungen vermieden und damit die Rechts- und Planungssicherheit erhöht werden . Da allerdings aus Sicht des – insoweit federführen- den – BMF eine Zuständigkeitskonzentration bereits auf der Ebene der Finanzämter, die dem finanzgerichtlichen Verfahren vorgelagert wäre und sämtliche Steuerrechts- verhältnisse erfassen würde, nicht in Betracht kommt, und da von der vorgeschlagenen finanzgerichtlichen Zuständigkeitskonzentration Verfahren ausgenommen werden sollen, die vor Eröffnung des Insolvenzverfah- rens über die jeweils betroffenen Unternehmen anhängig geworden sind, ließe sich über die angedachte Regelung nur ein Bruchteil der vorgenannten Vorteile realisieren . Eine zügige und koordinierte Bereinigung der gesamten steuerrechtlichen Seite der Konzerninsolvenz ließe sich damit wohl nicht erreichen, zumal die vor Insolvenzer- öffnung bereits anhängig gewordenen finanzgericht- lichen Verfahren ab dem Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ohnehin unterbrochen sind, soweit sie nicht – was in der Praxis die Ausnahme ist – nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften aufgenommen werden (§ 155 Satz 1 FGO in Verbindung mit § 240 Satz 1 ZPO) . Hiernach mögliche Vorteile, die man sich von einer finanzgerichtlichen Zuständigkeits- konzentration versprechen könnte, würden sich zudem nicht in jedem Fall erzielen lassen . So sind die Finanz- gerichte nicht für alle unternehmensrechtlich wichtigen Steuerarten zuständig; beispielsweise entscheiden über Gewerbesteuerbescheide außerhalb der Stadtstaaten die Verwaltungs- und nicht die Finanzgerichte . Auch wäre einem finanzgerichtlichen Gruppen-Gerichtsstand die Entscheidungskompetenz für Streitigkeiten über die Aus- legung des Rechts eines anderen Bundeslandes entzogen . Schließlich sind den Möglichkeiten Grenzen gesetzt, sämtliche Verfahren in Analogie zu § 3c Absatz 1 InsO (neu) bei einem Senat zu konzentrieren . Eine solche Konzentration auf einen Senat könnte je- denfalls nicht solche Verfahren erfassen, die in die Zu- ständigkeit der gesetzlich vorgesehenen Spezialsenate gemäß § 5 Absatz 2 Satz 2 FGO fallen . Auch wäre frag- lich, ob die Richter eines Senats ausreichen würden, um sämtliche sich im Zusammenhang mit Konzerninsolven- zen stellenden steuerrechtlichen Fragen (etwa umsatz- steuerrechtliche einerseits und körperschaftsteuerrecht- liche andererseits) mit der dafür jeweils erforderlichen Fachkompetenz abzudecken . Ein von uns diskutierter möglicher Ausweg könnte darin bestehen, durch eine Öffnungsklausel zumindest eine Zuständigkeitskonzentration innerhalb der jeweili- gen Landesgrenzen zu ermöglichen . Aus Sicht von Un- ternehmensgruppen, deren Organisation über Landes- grenzen hinwegreicht, wäre es dann allerdings bei einer dezentralen Zuständigkeit der Finanzgerichte geblieben . Daher hätte diese Lösung ebenfalls keine verlässlichen Beiträge zur „Gesamtbereinigung“ der steuerrechtlichen Seite der Konzerninsolvenz leisten können . Ein denkba- rer Vorteil hätte allerdings darin bestehen können, dass sich auf Landesebene Gerichte mit spezieller Kompetenz und Erfahrung auf dem Gebiet des Insolvenzsteuerrechts entwickeln können . Andererseits ist in den Bundeslän- dern mit Ausnahme von Bayern und Nordrhein-West- falen jeweils ohnehin nur ein Finanzgericht zuständig, sodass der insoweit anzustrebende Zustand schon weit- gehend erreicht ist . Zudem werden in den meisten Fällen mit insolvenzrechtlichem Bezug umsatz- und körper- schaftsteuerrechtliche Fragen im Vordergrund stehen, die bereits jetzt die Zuständigkeit von regelmäßig eingerich- teten Spezialsenaten in umsatzsteuerlichen bzw . körper- schaftsteuerlichen Angelegenheiten begründen, sodass die Schaffung einer weiteren Spezialzuständigkeit einen Kompetenzgewinn eher nicht hätte erwarten lassen . Für Bayern (zwei Finanzgerichte) und Nordrhein-Westfalen (drei Finanzgerichte) hätte sich zudem die Frage gestellt, ob die erhofften Vorteile einer Konzentration den damit verbundenen Regelungsaufwand rechtfertigen . Vor diesem Hintergrund hätte sich die von uns in Be- tracht gezogene Zuständigkeitskonzentration nicht in der gewünschten Weise und auch nicht mit dem Grup- pen-Gerichtsstand vergleichbaren Wirkungen umsetzen lassen . Die erwogene Änderung der Finanzgerichtsord- nung würde einen Beitrag, der über das geltende Prozes- srecht und die dort bereits vorgesehenen Möglichkeiten hinausgeht, zur Erreichung der mit dem Entwurf zum Konzerninsolvenzrecht verfolgten Ziele kaum leisten . Um korrespondierende Entscheidungen bezüglich der im Zusammenhang mit Konzerninsolvenzen relevanten Spezialproblematik der Behandlung von steuerlichen Or- ganschaften (§ 2 Absatz 2 Nummer 2 UStG) zu fördern, bietet die Finanzgerichtsordnung zudem bereits heute das verfahrensrechtliche Instrumentarium der Beiladung (§ 174 Absatz 5 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 4 AO, §§ 60, 60a FGO) von Organträgern bzw . Organgesell- schaften und Finanzbehörden anderer Bundesländer zum gerichtlichen Verfahren . Fünftens . Und natürlich hätten wir uns auch noch die Regelung anderer offener Fragen vorstellen können. Eine davon bildet die Beteiligung von Arbeitnehmervertretern im (vorläufigen) Gläubigerausschuss, ein Problem, das schon im Rahmen der Reform durch das ESUG nicht gelöst worden war . Denn nach geltendem und insoweit hier jetzt auch nicht zu änderndem Recht sind hier kei- ne Vertreter zulässig, die nicht auch gleichzeitig selbst Arbeitnehmer bzw . Insolvenzgläubiger sind, was für Ge- werkschaftsvertreter gerade nicht gilt . In diesem Zusammenhang ist darüber hinaus allge- mein die Frage klärungsbedürftig, wie die Vertretung von Gläubigern im (vorläufigen) Gläubigerausschuss ausgestaltet werden sollte . Dabei wollten wir insbeson- dere auch sicherstellen, dass im (vorläufigen) Gläubi- gerausschuss keine Vertreter mehr sitzen, hinter denen keine Gläubigerinteressen mehr stehen . Mit diesem auch als „empty voting“ bezeichneten Vorgehen ist eine Übernahme und Umgestaltung von Gesellschaften in der Insolvenz durch Finanzhaie zulasten sanierungsfähiger Unternehmen und ihrer Arbeitnehmer möglich . Hier ist es daher besonders bedauerlich, dass die SPD-Fraktion keinen Handlungsbedarf gesehen hat . Gleichwohl: Wir haben ein gutes Gesetz gemacht, und dazu bitte ich um Ihre Zustimmung . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722348 (A) (C) (B) (D) Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Man könnte sa- gen: Was lange währt, wird endlich gut . Ich freue mich, dass wir heute ein Thema abschließen können, zu dem ich meine allererste Rede in diesem Hohem Hause ge- halten habe . Eine Zielsetzung dieses Gesetzentwurfs ist die Vermei- dung suboptimaler Verwertungsergebnisse, die Vermei- dung eines „Gegeneinanderarbeitens“ der verschiedenen Insolvenzverwalter mit unterschiedlichen Verwertungs- strategien, die Vermeidung unproduktiver Verfahrens- verzögerungen . Es wird deutlich: Der Gläubigerschutz steht im Mittelpunkt dieses Gesetzentwurfs und damit der Schutz von Unternehmen, von Handwerksbetrieben, aber vor allem auch von Arbeitnehmerinnen und Arbeit- nehmern . Bisher ließen sich zentrale negative Auswirkungen durch dezentrale Insolvenzbewältigung in Konzernen ei- gentlich nur dadurch einschränken, dass alle Beteiligten guten Willens waren, zusammenzuarbeiten . Das hat al- lenfalls für eine Abmilderung gereicht; aber ausschließen konnte man negative Konsequenzen eigentlich nie . Mit diesem Gesetzentwurf wollen wir die Vorausset- zungen dafür schaffen, dass auch Konzerninsolvenzen künftig rechtssicher und effektiv bewältigt werden kön- nen . Dies ist umso wichtiger, als es gerade im Rahmen von Konzerninsolvenzen oftmals um eine Vielzahl von Arbeitsplätzen geht und dort beträchtliche Vermögens- werte auf dem Spiel stehen . Dabei baut der Gesetzentwurf auf den Zielbestim- mungen des geltenden Insolvenzrechts, insbesondere auf § 1 Insolvenzordnung, und konkretisiert diese Ziel- bestimmungen praxistauglich und gut orientiert . Es soll die Realisierung solcher Insolvenzbewältigungsstrate- gien ermöglicht werden, die den Gesamterlös für alle Gläubiger im Vergleich zum unkoordinierten Nebenei- nanderherlaufen der verschiedenen Verfahren – so will ich es einmal nennen – verbessern, ohne dabei aber eine Schlechterstellung von Gläubigern einzelner Konzerntei- le zu verursachen . Dabei erliegt dieser Entwurf gerade nicht der Versu- chung – das ist ganz wichtig –, ein konsolidiertes Kon- zernverfahren einzuführen . Sie wissen, im Konzern- und im Gesellschaftsrecht gelten die Grundsätze der rechtlichen Trennung und der Selbstständigkeit . Diesen Grundsätzen würde eine Massekonsolidierung voll und ganz widersprechen . Auch unter dem Gesichtspunkt der Rechtsklarheit und der Rechtssicherheit im Geschäfts- verkehr wäre dies nicht zu vermitteln . Denn sonst müsste sich künftig ein Gläubiger – zum Beispiel im Vorfeld ei- ner Kreditvergabeentscheidung – zunächst einmal darü- ber klar werden, in was für einer wirtschaftlichen bzw . finanziellen Situation der Konzern insgesamt und seine Teile sind, bevor er dann mit der entsprechenden Schuld- nergesellschaft kontrahieren kann . Die flexiblen Koordinierungsmechanismen, die hier zum Einsatz kommen sollen – ich will es einmal das Handwerkszeug nennen –, wurden von meinen Vorred- nern schon dargestellt . Lassen Sie mich daher nur noch handverlesen auf Einzelheiten eingehen: Neben die allgemeine Gerichtsstandregelung, wie wir sie kennen, in § 3 Insolvenzordnung tritt nun die Mög- lichkeit eines Gruppengerichtsstands auf Antrag des Schuldners . Dabei ist wichtig, dass das nicht als eine ausschließliche Gerichtsstandregelung ausgestaltet ist, was eine flexible Handhabe ermöglicht. Denn es kann auch weiterhin Konstellationen geben, wo kein erhöhter Koordinierungsbedarf gegeben ist; da erscheint die alte Regelung durchaus praktikabel . In der ersten Beratung gab es nun eine Reihe ver- schiedener Punkte, die ich gerne überdacht haben wollte . Auch hier bin ich sehr zufrieden, dass gegenüber dem ersten Entwurf noch einiges erreicht werden konnte . Da- her bitte ich um Ihre Zustimmung . Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Mit der heutigen Debatte schließen wir endlich das Dauerthema Kon- zerninsolvenzrecht ab . Was noch in der letzten Legisla- tur begann, kommt endlich zu einem glücklichen, einem guten Ende . Der Gesetzentwurf schafft Regeln für eine effektivere Abwicklung von Insolvenzen konzernangehöriger Un- ternehmen . Nach geltendem Recht sind die konzernan- gehörigen Unternehmen jeweils eigene Rechtsträger mit eigenen Vermögensmassen, für die jeweils eigene Insol- venzverfahren durch die Insolvenzgerichte am Ort des Sitzes des jeweiligen Unternehmens bearbeitet werden, in denen gegebenenfalls jeweils verschiedene Insolvenz- verwalter bestellt werden . Diese dezentrale Bearbeitung kann zu Nachteilen führen, wenn die zu dem Konzern zu- sammengeschlossenen Unternehmen eine wirtschaftliche Einheit bilden, weil betriebs- und finanzwirtschaftliche Funktionen der insgesamt verfolgten unternehmerischen Tätigkeiten auf unterschiedliche Unternehmensträger verteilt sind . Durch die Dezentralisierung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis im Rahmen der Insolvenzverfahren wird die Erhaltung der wirtschaftlichen Einheit der Un- ternehmensgruppe erschwert und droht eine Verringerung der Befriedigungsinteressen der Gläubiger, insbesondere wenn die Insolvenzverwalter jeweils verschiedene, nicht aufeinander abgestimmte Verwertungsstrategien verfol- gen, und nicht zuletzt findet sich nun rechtssicher auch die GmbH & Co . KG wieder . Die damit verbundenen Reibungsverluste versucht der Gesetzentwurf durch Einführung geeigneter Koordinati- onsinstrumentarien zu minimieren; ganz vermeiden wer- den wir diese nie . Durch die vorgesehenen Instrumenta- rien sollen die Insolvenzverfahren, die über die einzelnen Konzerngesellschaften eröffnet werden, besser aufeinan- der abgestimmt werden . Die Änderungen schränken die Spielräume zur Be- stimmung des Gruppen-Gerichtsstands ein . Grundsätz- lich kann der Gruppen-Gerichtsstand bei jedem Gericht begründet werden, das für die Eröffnung des Verfahrens über gruppenangehörige Unternehmen zuständig ist, die nicht „von untergeordneter Bedeutung“ sind . Ob eine untergeordnete Bedeutung anzunehmen ist, richtet sich danach, ob die vorgesehenen Schwellenwerte für die Kri- terien Bilanzsumme, Umsatzerlöse und Arbeitnehmer- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22349 (A) (C) (B) (D) zahlen überschritten sind . Diese Schwellenwerte werden von 10 auf 15 Prozent angehoben . Gleichzeitig wird die Kumulation gelockert . Künftig reicht es aus, wenn zwei der drei Schwellen überschritten werden, wobei die Überschreitung der auf die Arbeitnehmerzahlen bezoge- nen Schwelle nunmehr zwingend ist . Werden die Schwellen von keinem gruppenangehöri- gen Schuldner erreicht, sieht Absatz 1 Satz 4 vor, dass der Gruppen-Gerichtsstand jedenfalls bei dem Gericht begründet werden kann, das für den gruppenangehörigen Schuldner mit den meisten Arbeitsplätzen zuständig ist . Uns Sozialdemokraten geht es in erster Linie um den Er- halt von den Arbeitsplätzen . Deswegen begrüße ich diese Änderung ausdrücklich . Mit diesem Gesetz wird sichergestellt, dass die Ar- beitnehmer im Gruppen-Gläubigerausschuss vertreten sind . Aus SPD-Sicht wäre eine ausdrückliche Regelung zur Vertretung der Arbeitnehmer bereits im vorläufigen Gläubigerausschuss durch Gewerkschaftsvertreter wün- schenswert gewesen . Da der Koalitionspartner trotz in- tensiver Beratungen dazu nicht bereit war, findet sich diese Regelung nicht mehr, glücklicherweise, weil für eine solche Regelung sowieso kein praktisches Bedürfnis mehr besteht . Die gerichtliche Praxis war schneller und klüger . Nicht nur Arbeitnehmervertretungen aus dem Un- ternehmen, sondern auch Mitglieder des Betriebsrats und der Gewerkschaften werden zwischenzeitlich selbstver- ständlich in den vorläufigen Gläubigerausschuss berufen. Eine weitere Änderung betrifft den Begriff „Koordi- nationsverwalter“, der durch „Verfahrenskoordinator“ ersetzt wird, um deutlich zu machen, dass sich dessen Aufgaben von denen eines Insolvenzverwalters grund- legend unterscheiden . Der Verfahrenskoordinator hat zum Vorteil aller Insolvenzmassen auf eine abgestimm- te Abwicklung der einzelnen Verfahren hinzuwirken . Er verwaltet nicht die Insolvenzmassen der gruppenangehö- rigen Schuldner . Insbesondere geht auf ihn nicht die Ver- waltungs- und Verfügungsbefugnis in Bezug auf diese Vermögensmassen über . Da die Tätigkeit des Verfahrenskoordinators in der Regel der Entlastung der einzelnen Insolvenzverwal- tungen dient und das Koordinationsverfahren zu keinen Mehrkosten führen soll, wird auch ein Abschlag in der Höhe der Vergütung des Verfahrenskoordinators einge- führt . Und das ist gut so . Richard Pitterle (DIE LINKE): Aufgaben- und Arbeitsteilung ist schon lange nicht mehr auf Betrie- be und einzelne Unternehmen beschränkt . Das Ideal- bild vom engagierten Einzelunternehmer, der Produkte oder Dienstleistungen eigenverantwortlich entwickelt und vermarktet, ist in allen Branchen ein Auslaufmo- dell . Wettbewerbsdruck und eine zunehmend komplexe Wirtschaftswelt zwingen Unternehmen dazu, sich Part- ner zu suchen, mit denen sie gemeinsam an Lösungen arbeiten . Bei der Verbindung von verschiedenen Unter- nehmen sind der Phantasie in der Praxis keine Grenzen gesetzt. Die Verflechtungen reichen von der einfachen Kapitalbeteiligung über die gemeinsame Nutzung von Ressourcen bis hin zu echten Beherrschungs- und Ge- winnabführungsverträgen, die die zusammenarbeitenden Unternehmen wie ein großes Unternehmen erscheinen lassen. Landläufig werden diese durch Verträge oder Ka- pitalbeteiligungen verbundenen Unternehmen als Kon- zern bezeichnet . Auch wenn verlässliche Statistiken insbesondere durch internationale Verflechtungen schwer zu erstellen sind, lässt sich diese Konzentration in allen Branchen be- obachten . In vielen Bereichen dominieren Konzerne den Markt bei Umsatz und Beschäftigten . Trotz dieser Bedeutung der Konzerne bereitet die rechtliche Behandlung von Konzernstrukturen dem deutschen Recht nach wie vor erhebliche Probleme . Das Gesellschaftsrecht geht grundsätzlich vom sogenannten Trennungsgebot aus: Jedes Unternehmen eines Konzerns ist rechtlich selbstständig . Auch im Steuerrecht gilt der Grundsatz der Individualbesteuerung der einzelnen Ge- sellschaften, auch wenn mit vielen Sonderregelungen versucht wird, den Konzern insgesamt zu erfassen . Nun sind es gerade in letzter Zeit international agie- rende Konzerne, die wiederholt die Öffentlichkeit und Steuerpolitik bewegt haben . Obwohl sie wie ein Unter- nehmen nach außen in Erscheinung treten, können sie die Aufteilung in verschiedene rechtlich selbstständige Unternehmen ausnutzen, um Gewinne kleinzurechnen, zu verschieben und so ihre Steuern auf ein Minimum zu reduzieren . Erst kürzlich haben wir mit dem Gesetz über Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verla- gerungen erstmalig Regelungen für „multinationale Un- ternehmensgruppen“ in die Abgabenordnung aufnehmen müssen . Im Insolvenzrecht, das heute Gegenstand der Beratun- gen ist, gilt – ich zitiere den geschätzten Kollegen Hirte aus seiner Kommentierung zur Insolvenzordnung –: „Eine Person, ein Vermögen, eine Insolvenz .“ Bisher gibt es in der Insolvenzordnung keine eigenständigen Regelungen, wie bei Konzernen zu verfahren ist, wenn einzelne Teile insolvent werden . Gerade bei stark ver- flochtenen Unternehmen führt jedoch die Insolvenz einer Gesellschaft häufig zu einem Dominoeffekt, der die an- deren Gesellschaften und damit den Konzern insgesamt in den Abgrund reißen kann . Die Insolvenzrichter und In- solvenzverwalter haben es bisher jedoch geschafft, auch Konzerninsolvenzen mit pragmatischen Lösungen zu bewältigen . Wenn derartige Regelungen nun in der Insol- venzordnung aufgenommen werden, ist das prinzipiell zu begrüßen . Das vorliegende Gesetz wählt einen minimalistischen Ansatz . Konzentration auf ein gemeinsames Insolvenz- gericht, ein paar Koordinierungsregeln und die Beschwö- rung guter Zusammenarbeit der Beteiligten: Fertig ist das „Konzerninsolvenzrecht“ . Allerdings halten viele der an- gehörten Sachverständigen die Regelungen für unprak- tikabel . Wir begrüßen, dass Sie unseren Forderungen gefolgt sind, der Anzahl der Beschäftigten für die Wahl des ge- meinsamen Gerichtsstandes Vorrang einzuräumen und auch die Arbeitnehmervertretung im gemeinsamen Gläu- bigerausschuss sicherzustellen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722350 (A) (C) (B) (D) Wir hätten uns aber insgesamt einen mutigeren Ansatz gewünscht, der, wie es auch in der betrieblichen Steuer- lehre gefordert wird, das Trennungsgebot zugunsten des Einheitsgebotes zumindest bei stark verflochtenen Unter- nehmen aufgibt . Wenn ein Konzern organisatorisch und betriebswirtschaftlich wie ein Unternehmen agiert, sollte er auch wie nur ein Unternehmen behandelt werden . Oder wie der Volksmund sagt: mitgefangen, mitgehangen . Das Konzept der sogenannten materiellen bzw . Mas- sekonsolidierung kommt in den USA bei größeren Kon- zerninsolvenzen regelmäßig erfolgreich zur Anwendung . Gerade aus Gläubigersicht erscheint ein derartiges Ver- fahren wünschenswert . Geschäftspartner vertrauen auf die Stärke des Konzerns, wenn sie Verträge mit den ein- zelnen Gesellschaften abschließen . Bei der Insolvenz ei- nes Teiles müssen sie dann aber erkennen, dass das Ta- felsilber unerreichbar fern bei der Mutter liegt und die verstoßene Tochter leider nur leere Schubladen vorwei- sen kann . Mit der Massekonsolidierung steht den Gläubi- gern dann auch das Tafelsilber der Mutter zur Verfügung . Und wenn der Konzern ohnehin wie ein Unternehmen agiert, lässt sich die Sanierung einzelner Teile in einem einheitlichen Verfahren für den ganzen Konzern effekti- ver sicherstellen . Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Man kann wohl sagen, dass dieses Gesetz seit der ersten Lesung am 14 . Februar 2014 die Dauer der Legislaturperiode voll ausgeschöpft hat . Ob es allein dadurch schon an Qualität gewonnen hat wie ein reifer Käse, ist allerdings zweifel- haft . Wenn ein Gesetz so lange auf sich warten lässt, könn- te man vermuten, dass sein Inhalt sehr fortschrittlich – geradezu revolutionär – und innovativ sein muss, dass sich die Gemüter der Koalitionsbeteiligten so sehr daran erhitzen und das Verfahren deshalb so lange stockt und nichts vor oder zurück geht . Mit viel Spannung wurde also der Änderungsantrag erwartet . Wer hineinschaut, wird aber eines Besseren be- lehrt . Ein wesentliches Anliegen des Gesetzes war es von Anfang an, die gerichtliche Zuständigkeit zu konzen- trieren, um Missbrauch durch Rosinenpickerei beim Gerichtsstand zu vermeiden . Neu ist jetzt, dass die Schwelle für ein gruppenangehöriges Unternehmen, das einen Gruppengerichtsstand begründen kann, von 10 auf 15 Prozent der zusammengefassten Bilanzsumme ange- hoben wurde . Das weicht den bisherigen Vorschlag also eher auf . Dafür haben Sie jetzt der Zahl der Arbeitsplätze ein höheres Gewicht beigemessen . Erreicht kein gruppenan- gehöriges Unternehmen den Schwellenwert, dann kann der Gerichtstand bei dem Gericht begründet werden, das für den gruppenangehörigen Schuldner mit den meisten Arbeitsplätzen zuständig ist . Das ist nachvollziehbar und gleicht die Erhöhung des Schwellenwertes wieder eini- germaßen aus . Neu ist außerdem die Umbenennung des Koordi- nationsverwalters in „Verfahrenskoordinator“ . Laut Gesetzesbegründung grenze dies die Tätigkeiten eines Koordinationsverwalters besser von denen eines Insol- venzverwalters ab . – Wow! Sie sehen: Es hat sich ge- lohnt, ganze drei Jahre hierauf zu warten . Meine damaligen Kritikpunkte sind daher heute noch immer dieselben wie damals: Die Rolle des Koordinati- onsverwalters wurde durch die Umbenennung nicht ge- stärkt . Er soll bei unterschiedlichen Insolvenzverfahren diese koordinieren und auf abgestimmte Abwicklung der einzelnen Verfahren hinwirken, ohne wirkliche Wei- sungsrechte oder sonstige Durchschlagskraft . Unter ei- nem reifen Käse stelle ich mir etwas anderes vor . Aber immerhin: Wenn er schon nicht wirklich bedeu- tungsvoll sein wird, soll er nicht noch unnötig Kosten zulasten der Insolvenzmasse verursachen . Das haben Sie erkannt und bei der Vergütungsregelung Vorsorge getrof- fen . Da der neue Verfahrenskoordinator die einzelnen In- solvenzverwalter entlasten soll, bekommen diese künftig einen Abzug von Ihrer Regelvergütung, damit insgesamt keine Mehrkosten entstehen. Das finde ich gut. Die Ausnahme sagt dann aber, dass der Abzug nicht erfolgt, wenn das Koordinationsverfahren für die Ver- walter Zusatzaufwand verursacht . Ich werde das Gefühl nicht los, dass diese Ausnahme in der Praxis zur Regel werden dürfte . Daher bleibe ich dabei: Ob Koordinationsverwalter oder Verfahrenskoordinator, diese Konstruktion über- zeugt mich nach wie vor nicht, und wir werden dem letzt- lich auch nicht unsere Zustimmung geben . Immerhin haben Sie am Ende noch eine Verbesserung der Arbeitnehmervertretung im Gruppen-Gläubigeraus- schuss vorgenommen, die positiv zu bewerten ist . Am Ende reicht das dann aus unserer Sicht noch für eine Ent- haltung . Zum Schluss möchte ich Ihren Blick aber doch noch einmal über die Grenzen dieses Gesetzes hinausrich- ten: Wie sagte der Kollege Hirte in der ersten Lesung so schön: „Was das Gesellschaftsrecht zusammengeführt hat, das soll das Insolvenzrecht nicht scheiden“ . Daran gemessen ist durchaus noch einiges zu tun . Denn der Grundwiderspruch zwischen Insolvenzrecht und Steuerrecht ist noch lange nicht gelöst . Steuerlich können Mütter und Töchter ihre Verluste munter und lustig miteinander verrechnen . Geht aber ei- ner Tochter die Luft aus, hat die Mutter plötzlich nichts mehr damit zu tun . Dass dies zu nicht hinnehmbaren Zuständen führt, haben wir gerade erst bei den Verhandlungen mit den Atomkonzernen über die Kosten der Atommüllendlage- rung gesehen . Da haben wir dann im Einzelfall jetzt den heiligen Trennungsgrundsatz einmal berechtigterweise durchbrochen und per Gesetz festgelegt, dass die Mütter auch bei der Insolvenz ihrer Atommüll-Töchter weiter haften . Was beim Atommüll richtig ist, kann auch im sons- tigen Leben nicht völlig falsch sein . Insolvenzrecht und Steuerrecht der Konzerne miteinander zu synchronisie- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22351 (A) (C) (B) (D) ren bleibt eine Herausforderung für weitere Legislatur- perioden . In Ihrem heutigen Gesetzentwurf ist zwar nicht alles Käse, aber für die wirklich wichtigen Fragen würde auch der weitere Reifungsprozess nichts mehr bringen . Brin- gen wir es also zu Ende . Anlage 22 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Umsetzung des Rahmen- beschlusses 2008/841/JI des Rates vom 24. Oktober 2008 zur Bekämpfung der organisierten Krimina- lität (Tagesordnungspunkt 44) Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Die Bekämpfung der organisierten Kriminalität prägt die rechtspolitische Agenda in Deutschland seit den späten 1980er-Jahren . Das Schadens- und Bedrohungspotenzial der organisier- ten Kriminalität ist unverändert hoch . Es handelt sich um ein komplexes und vielschichtiges Kriminalitätsphäno- men, welches sich gesellschaftlichen und wirtschaftli- chen Veränderungen schnell anpassen kann . Organisierte kriminelle Gruppierungen betätigen sich dabei in allen Kriminalitätsbereichen . Als typische Felder sind der Rauschgifthandel und -schmuggel, die Kriminalität im Zusammenhang mit dem Wirtschaftsleben oder Delikte der Eigentumskriminalität zu nennen . Darüber hinaus gewinnen die Deliktsfelder Cybercrime und Schleusen- kriminalität immer weiter an Bedeutung . Ursache hier- für ist die zunehmende Bedeutung des Internets und der digitalen Welt . Insbesondere im sogenannten Darknet werden kriminelle Marktplätze betrieben, in denen in- kriminierte Güter erworben werden können . Es werden unter anderem Drogen, Waffen, Falschgeld, gefälschte Ausweise oder gestohlene Kreditkartendaten angeboten . Ausschlaggebend für diese Entwicklung sind die Ano- nymität und ein vermeintlich geringes Entdeckungsrisi- ko, aber auch der Umstand, dass über die illegalen On- linemarktplätze weltweit eine Vielzahl von potenziellen Kunden unter Nutzung kryptierter Verbindungen erreicht werden können, und dies alles ohne spezielle Computer- kenntnisse . Derartige Kriminalität stellt nicht nur eine Bedrohung für den jeweils betroffenen Bürger oder des jeweils be- troffenen Rechtsguts der Allgemeinheit dar, sondern es besteht darüber hinaus die wachsende Gefahr der Unter- wanderung und Korrumpierung staatlicher und gesell- schaftlicher Institutionen . Folglich ist rechtspolitisches Ziel die Schaffung einer gesetzlichen Maßnahme, welche die organisierte Kriminalität besser bekämpfen kann – auch in den modernen Medien . Mit dem vorliegenden Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches überführen wir die europarechtlichen Vorgaben aus dem Rahmenbeschluss 2008/841/JI in das nationale Recht . In den Bereichen, in denen durch die europäischen Vorgaben Anpassungsbedarf bestand, wurden die notwendigen Veränderungen vorgenommen . Der Rahmenbeschluss ist im Wesentlichen bereits schon durch den bestehenden § 129 StGB umgesetzt . Allerdings ist der Begriff der Vereinigung nach § 129 StGB in der Ausformung, die er durch die Rechtsprechung des Bun- desgerichtshofs erfahren hat, enger als die Definition der Vereinigung in Artikel 1 des Rahmenbeschlusses . Des- wegen wird eine Angleichung der Definitionen als auch der Straftaten vorgenommen, die im Zusammenhang mit der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung began- gen werden . Hierdurch werden die gegenseitige Aner- kennung von Urteilen und gerichtlichen Entscheidungen sowie die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit er- leichtert . Die CDU/CSU-Fraktion ist Vorreiter, wenn es darum geht, gute europarechtliche Rechtsrahmen zu un- terstützen, zu fördern und dann auch in nationales Recht umzusetzen . Ich würde mir wünschen, dass alle Fraktio- nen im Bundestag ein vergleichbares Engagement für die Sicherheit der Menschen in die Debatte einbringen . Der Entwurf sieht insoweit vor, den Begriff der Ver- einigung in § 129 Absatz 2 StGB-E legal zu definieren als einen auf längere Dauer angelegten, von einer Fest- legung von Rollen der Mitglieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Ausprägung der Struktur un- abhängigen organisierten Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordne- ten gemeinsamen Interesses . Damit wird den Vorgaben des Rahmenbeschlusses Rechnung getragen und dieser vollständig umgesetzt. Der Begriff ist folglich durch ein personelles, zeitliches, organisatorisches sowie volunta- tives Element charakterisiert . Durch diese ausdrückliche gesetzliche Festlegung, wonach es weder einer förmli- chen Festlegung von Rollen für ihre Mitglieder noch der Kontinuität ihrer Mitgliedschaft noch einer bestimmten Ausprägung ihrer Struktur bedarf, unterscheidet sich die Vereinigung im Sinne des § 129 Absatz 1 Satz 1 i . V . m . Absatz 2 StGB-E von der Vereinigung in der Auslegung durch die derzeitige Rechtsprechung . Die Anforderungen an die Organisationsstrukturen und die Willensbildung werden dadurch verringert . Mit- hin bedarf es keiner derartig ausgeprägten „Gruppeniden- tität“ mehr, wie sie die Rechtsprechung derzeit fordert . Somit fallen hierarchische Zusammenschlüsse, in denen sich die Mitglieder einem autoritären Anführerwillen unterwerfen, nicht aus dem Tatbestand des § 129 StGB heraus. Gerade bei mafiösen Strukturen, die intensiv die Abschottung nach innen und außen betreiben, besteht ein Problem, den von der Rechtsprechung geforderten gemeinsamen Täterwillen zur Begehung konkreter Straf- taten nachzuweisen . Dies bedeutet jedoch nicht, dass die bloße lose Übereinkunft von mindestens zwei Personen genügt . Es ist ausreichend, wenn der Zusammenschluss ein Mindestmaß längerfristiger instrumenteller Voraus- planung und Koordinierung sowie eine irgendwie gearte- te regelhafte Willensbildung aufweist . Dies stimmt auch mit dem Rahmenbeschluss überein, welcher Zusammen- schlüsse aus dem Tatbestand ausscheidet, die sich zufäl- lig zur unmittelbaren Begehung einer Straftat bilden . Auch eine Abgrenzung zum Begriff der Bande wird hierbei gewährleistet, indem eine möglicherweise nur rudimentäre Organisationsstruktur und die Verfolgung Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722352 (A) (C) (B) (D) eines übergeordneten gemeinsamen Interesses zu fordern ist . Im Bereich politisch motivierter Kriminalität liegt dieses übergeordnete gemeinsame Interesse in der von den Mitgliedern der Vereinigung geteilten politischen Überzeugung und der Verfolgung politischer Ziele, de- nen die Begehung der einzelnen Straftaten dient . Zur Vermeidung einer zu weitgehenden Vorfeldstraf- barkeit sieht der Entwurf vor, als Bezugstaten nur Straf- taten einzubeziehen, die im Höchstmaß mindestens mit Freiheitsstrafe von zwei Jahren bedroht sind . Damit wird von der vom Rahmenbeschluss eröffneten Möglichkeit der Einschränkung nach der Schwere der in Aussicht genommenen Straftaten Gebrauch gemacht . Aus dem Schutzzweck der Norm, dem Verhältnismäßigkeitsgrund- satz und der Bedeutung von § 129 StGB als Katalogtat für bestimmte strafprozessuale Möglichkeiten folgt darü- ber hinaus, dass die von der Vereinigung geplanten oder begangenen Straftaten eine erhebliche Gefahr für die öf- fentliche Sicherheit bedeuten und unter diesem Gesichts- punkt von einigem Gewicht sein müssen . Der Entwurf greift die vom Rahmenbeschluss eröffnete Möglichkeit des einschränkenden Erfordernissen des in Aussicht ge- nommenen Handelns um eines unmittelbaren oder mit- telbaren finanziellen oder sonstigen materiellen Vorteils willen hingegen nicht auf . Vielmehr wird die Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses verlangt . Die Beschränkung auf die Verfolgung eines finanziellen oder sonstigen materiellen Vorteils hätte eine gewis- se Einschränkung der Möglichkeiten der Wohnraum- überwachung nach § 100 c Absatz 2 Nummer 1 Buch- stabe b der Strafprozessordung in Verbindung mit § 129 Absatz 5 Satz 3 StGB-E zur Folge gehabt . Weiterhin wird bei den Strafandrohungen des § 129 Absatz 1 StGB-E zwischen Gründung und der Mitglied- schaft einerseits und der Werbung und der Unterstützung andererseits differenziert. Die Erweiterung des Verei- nigungsbegriffs wirkt sich auch auf § 129 a StGB aus. Nach § 129 Absatz 1 Satz 2 StGB-E werden Personen, die für eine kriminelle Vereinigung um Mitglieder oder Unterstützer werben oder sie unterstützen, entsprechend dem Gewicht ihres Tatbeitrages mit geringerer Strafe be- droht werden als Personen, die eine kriminelle Vereini- gung gründen oder ihr als Mitglied angehören . In § 129 Absatz 1 Satz 1 StGB-E werden die Gründung einer kriminellen Vereinigung und die Mitgliedschaft in einer solchen wie bisher mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft . Es ist stets zu berücksichtigen, dass organisierte Kri- minalitäts-Verfahren häufig komplexe, personalintensive und zeitaufwändige Ermittlungen erfordern . Gerade vor dem Hintergrund einer zunehmenden Nutzung digitaler Kommunikationsmittel, der Verwendung von Anonymi- sierungsmechanismen, steigende Professionalisierung, des hohen Anteils transnational agierender Gruppierun- gen und letztlich der Mobilität der Angehörigen steigen die Herausforderungen der Strafverfolgungsbehörden . Der Bekämpfung der organisierten Kriminalität kommt damit eine unvermindert hohe Bedeutung zu . Im Jahr 2015 wurden im Zusammenhang mit den or- ganisierten Kriminalitäts-Verfahren in Deutschland mehr als 8 500 Tatverdächtige ermittelt . Bei rund einem Drittel der Tatverdächtigen handelt es sich um deutsche Tatver- dächtige . Dieser Gesetzesentwurf stellt folglich ein pro- bates Mittel dar, die Auslegung des § 129 StGB an dem wirklichkeitsnahen Bild hierarchisch strukturierter Orga- nisationen zu orientieren. Die Übergänge sind fließend. So kann sich beispielsweise eine Bandenstruktur in eine Vereinigung im Sinne von § 129 StGB wandeln . Das- selbe gilt umgekehrt namentlich bei Zweckänderungen . Kriminelle Vereinigungen können innerhalb einer grö- ßeren Organisation bestehen, die als solche § 129 StGB nicht unterfällt . Mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf wird der Rah- menbeschluss effektiv in das nationale Recht umgesetzt. Dabei wird ein guter Ausgleich zwischen den europäi- schen Verpflichtungen einerseits und nationalen Anfor- derungen des Strafrechts andererseits geschaffen. Dieser Gesetzesentwurf ist ein scharfes Schwert, um gegen die organisierte Kriminalität vorzugehen . Uns als Union ist die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger von über- ragender Bedeutung . Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Wir sprechen heute über den Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung eines Rahmenbeschluss des Rates der Europäischen Union . Er betrifft die Strafbarkeit der Bildung krimineller und ter- roristischer Vereinigungen . Das deutsche Strafrecht stellt die Bildung einer kri- minellen Vereinigung bereits unter Strafe . Bei terroris- tischen Vereinigungen im In- oder Ausland sieht das Gesetz zwingend eine Freiheitsstrafe von mindestens ei- nem Jahr vor . Wenngleich durch eine solche Vereinigung noch kein Individualrechtsgut betroffen ist, werden die öffentliche Sicherheit und die staatliche Ordnung bereits verletzt . Kriminelle Organisationsformen steigern die Gefahr für wichtige Rechtsgüter der Gemeinschaft . Ins- besondere den Bedrohungen durch den internationalen Terrorismus setzt das Strafrecht hier wirksame rechts- staatliche Maßnahmen entgegen . Dennoch besteht ein gesetzgeberischer Handlungsbe- darf . Der Rahmenbeschluss des Rates der Europäischen Union vom 24. Oktober 2008 beinhaltet eine Definition der kriminellen Vereinigung . Es ist mit Bedauern fest- zustellen, dass es der Rechtsprechung nicht gelungen ist, eine europarechtskonforme Auslegung des Vereini- gungsbegriffs zu finden. Der Wortlaut der Strafvorschrift stand dem nicht entgegen . Eine Neubestimmung des Be- griffs der Vereinigung wurde vielmehr dem Gesetzgeber überlassen . Mit diesem Gesetzentwurf kommen wir dieser Not- wendigkeit nach. Die Legaldefinition der kriminellen Vereinigung entspricht den Vorgaben aus dem Rahmen- beschluss des Rates . Das vielfach kritisierte Erfordernis einer Gruppenidentität wird aufgegeben . Bisher mussten die Mitglieder derart in Beziehung stehen, dass sie sich als einheitlicher Verband fühlen . Für die Strafbarkeit als kriminelle Vereinigung soll es künftig vielmehr auf die Organisationsstruktur, die Vorausplanung und Ko- ordinierung ankommen . Mit der Neuregelung werden hierarchische Zusammenschlüsse unter einem autoritä- ren Anführerwillen als kriminelle Vereinigung erfasst . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22353 (A) (C) (B) (D) Von solchen Gruppierungen gehen erhebliche Gefahren für wichtige Rechtsgüter der Gemeinschaft aus . Mit der Legaldefinition der kriminellen Vereinigung wird der Rechtsprechung eine verbindliche Auslegungsregel ge- geben . Der Gesetzentwurf leistet einen Beitrag zu mehr Rechtssicherheit . Zugleich bewirkt die Umsetzung euro- parechtlicher Vorgaben eine Angleichung der Strafvor- schriften . Die Bildung einer kriminellen Vereinigung ist in jedem Mitgliedsstaat der Europäischen Union strafbar und wird mit vergleichbaren Strafen geahndet . Der Gesetzentwurf enthält jedoch weitere Änderun- gen des Straftatbestands der Bildung einer kriminellen Vereinigung . Diese Änderungen werden vom Rahmen- beschluss des Rates nicht gefordert und erscheinen nicht zweckdienlich . Ich möchte auf zwei Punkte eingehen, die es kritisch zu würdigen gilt . Der Gesetzentwurf möchte zwischen der Gründung und Beteiligung auf der einen Seite und der Unterstüt- zung und Werbung auf der anderen Seite differenzieren. Für die Unterstützung oder die Werbung um Mitglieder oder Unterstützer einer kriminellen Vereinigung soll künftig ein abgesenkter Strafrahmen gelten . Die erhöhte Strafandrohung bei besonders schweren Bezugstaten soll bei der Unterstützung und Werbung sogar entfallen . Eine Differenzierung bei den angedrohten Strafen erscheint nicht notwendig . Die Unterstützung und Wer- bung für eine kriminelle Vereinigung stehen als gleichar- tige Alternativen auf einer Ebene . Das Rechtsgut der öffentliche Sicherheit und staatlichen Ordnung wird in allen Alternativen verletzt . Die Absenkung der Strafrahmen setzt zudem ein fal- sches Signal . Wir möchten die Täter mit diesem Gesetz nicht begünstigen . Ziel dieses Gesetzentwurfs ist eine effektivere Strafverfolgung von kriminellen Vereinigun- gen . Diesem Ziel wird auch bei der Einschränkung der Straftaten, auf welche die kriminelle Vereinigung gerich- tet ist, widersprochen . Als Bezugstaten sollen nach dem Gesetzentwurf nur noch Straftaten erfasst werden, die im Höchstmaß mindestens mit Freiheitsstrafe von zwei Jah- ren bedroht sind . Im Umkehrschluss sind Straftaten mit geringerer Strafdrohung wie die Bedrohung nicht erfasst . Kriminelle Vereinigungen, die ein Klima von systema- tischer Einschüchterung und Bedrohung schaffen, sind von der Strafbarkeit ausgeschlossen . Diese Strafbarkeits- lücke sollte in dieser Gestalt nicht hingenommen werden . Diese aufgeworfenen Punkte bedürfen im Ausschuss und in der Sachverständigenanhörung nochmals einer eingehenden Diskussion . Ich wünsche uns gute Beratun- gen . Bettina Bähr-Losse (SPD): Die EU-Kommission hat die Mitgliedstaaten dazu aufgefordert, den EU-Rah- menbeschluss zur Bekämpfung der organisierten Krimi- nalität vollständig umzusetzen . Der Rahmenbeschluss zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität ist zwar durch das geltende deutsche Recht im Wesentlichen, aber eben noch nicht vollständig umgesetzt, da der Begriff der Vereinigung in § 129 des Strafgesetzbuches, StGB, in der Auslegung durch die Rechtsprechung des Bun- desgerichtshofs enger ist als die Definition in Artikel 1 des Rahmenbeschlusses . Bisher unterfallen hierarchisch organisierte Gruppen mit bloßer Durchsetzung eines au- toritären Anführerwillens mangels „Gruppenidentität“ nicht dem Tatbestand . Die Vorgeschichte zu diesem Gesetz beginnt auf ei- nem Bauhof in der sächsischen Stadt Mittweida . Dort hatte sich ab dem Jahr 2005 regelmäßig eine Gruppe politisch rechtsorientierter Jugendlicher getroffen. An- fang 2006 kam innerhalb der Gruppe die Idee auf, eine Kameradschaft zu gründen . Im März 2006 wurde auf dem Bauhof eine Gründungsversammlung mit 30 bis 50 anwesenden Personen durchgeführt, in deren Rahmen man sich auf den Namen „Kameradschaft Sturm 34“ einigte . Der Vorschlag, eine förmliche Mitgliederliste anzulegen, wurde nicht umgesetzt, weil man eine solche Liste im Falle polizeilicher Ermittlungen für nachteilig hielt . Bei einer späteren Veranstaltung im Juni 2006 wur- de aber ein vierköpfiger Vorstand gewählt. Eine schriftli- che Satzung oder offizielle Entscheidungsregeln wurden nicht niedergelegt . Nach Gründung der „Kameradschaft Sturm 34“ kam es bei mehreren Gelegenheiten zu von Kameradschafts- mitgliedern initiierten Schlägereien, bei denen zahlreiche Personen – teilweise erheblich – verletzt wurden . Im Revisionsverfahren gegen das erstinstanzliche Ur- teil des LG Dresden, das die Voraussetzungen für eine kriminelle „Vereinigung“ nicht gegeben sah, setzte sich der 3 . Strafsenat des BGH mit der Frage auseinander, ob die „Kameradschaft Sturm 34“ als kriminelle Vereini- gung im Sinne des § 129 StGB einzustufen und die An- geklagten wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung hieran zu verurteilen seien . Der 3 . Strafsenat des BGH stufte die „Kameradschaft Sturm 34“ als kriminelle Vereinigung im Sinne des § 129 StGB ein . Entscheidender als diese Bewertung ist jedoch viel- mehr, dass der 3 . Strafsenat des BGH es aus grundsätz- lichen Erwägungen heraus abgelehnt hat, den Vereini- gungsbegriff „europarechtsfreundlich“ und damit weiter als bisher zu interpretieren und gleichzeitig nach einer Regelung durch den Gesetzgeber rief . Zur Lösung des Problems sieht der vorliegende Ent- wurf vor, in § 129 StGB eine Legaldefinition der Vereini- gung in Anlehnung an Artikel 1 des Rahmenbeschlusses aufzunehmen. Die Erweiterung des Vereinigungsbegriffs wird dazu führen, dass Erscheinungsformen aus dem Be- reich der organisierten Kriminalität zukünftig strafrecht- lich noch besser erfasst werden können . Im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens werden folgende Punkte Berücksichtigung finden müs- sen: Erstens. Mit der Aufnahme einer Legaldefinition in § 129 StGB ist zwangsläufig eine Ausweitung der Straf- barkeit im Vorfeld der eigentlichen Rechtsgutverletzung verbunden . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722354 (A) (C) (B) (D) Zweitens muss gewährleistet werden, dass die vorge- sehenen Änderungen nicht im Widerspruch zu wesentli- chen Grundgedanken des Gesamtgefüges des deutschen Strafrechts für die Behandlung mehrerer zusammenwir- kender Personen, wie Vereinigungen, Gruppen, Banden oder die Beteiligungsform der Mittäterschaft, stehen . Sollten diese Bedenken im Rahmen des weiteren Ge- setzgebungsverfahrens ausgeräumt werden, steht einer Umsetzung des Rahmenbeschlusses nichts mehr im Weg . Frank Tempel (DIE LINKE): Dieser im Bundes- tag eingebrachte Gesetzentwurf strebt eine Anpassung zu dem vom Europarat vereinbarten Rahmenbeschluss 2008/841/JI vom 24 . Oktober 2008 an . Mit dem Geset- zesentwurf wird der Begriff der kriminellen Vereinigung in § 129 StGB an die Definition in dem genannten Rah- menbeschluss angepasst . Dadurch wird der Tatbestand des § 129 StGB deutlich erweitert . Eine kriminelle Ver- einigung ist zukünftig „ein auf längere Dauer angeleg- ter von einer Festlegung von Rollen der Mitglieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Ausprägung der Struktur unabhängiger organisierter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines überge- ordneten gemeinsamen Interesses“ . Nach der bisherigen Rechtsprechung verlangt eine Vereinigung dagegen „ei- nen auf eine gewisse Dauer angelegten, freiwilligen or- ganisatorischen Zusammenschluss von mindestens drei Personen, die bei Unterordnung des Willens des Einzel- nen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame krimi- nelle Zwecke verfolgen und derart in Beziehung stehen, dass sie sich als einheitlicher Verband fühlen .“ Dieser Erweiterung soll einschränkend begegnet werden, indem die Begehung einer Straftat verlangt wird, die im Höchst- maß mit einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jah- ren bedroht ist . Ursprünglich war hier eine Strafbarkeit von mindestens fünf Jahren geplant . Da dann aber der für rechtsextreme Gruppen typische §130 StGB herausge- fallen wäre, wurde dies geändert . Diese Einschränkung wirkt sich jedoch nicht auf den § 129 a StGB aus . Die Regierungen der Mitgliedstaaten haben erhebli- chen Einfluss auf die Gesetzgebung innerhalb der EU. In Deutschland findet das über den Artikel 23 GG statt. Weil mit der neuen Definition die bisher vorausgesetzte „Gruppenidentität“ nicht mehr erforderlich ist, fallen da- nach auch hierarchisch organisierte Zusammenschlüsse, in denen die Mitglieder sich einem autoritären Anführer- willen unterwerfen, unter den Tatbestand . Neben dieser unter Umständen sinnvollen Erweiterung führt die neue Definition aber auch dazu, dass Gruppierungen mit ei- ner lockeren Netzstruktur unter den Tatbestand fallen . Die sowieso schon kritisierte vorverlagerte Strafbarkeit der Tatbestände wird also noch weiter vorverlagert und ausgeweitet . Trotz der Einschränkung für den §129 StGB kann eine solche Erweiterung wegen der grundlegenden Kritik an der in den Tatbeständen weit vorverlagerten Strafbarkeit nicht mitgetragen werden . Die Forderung nach einer Verschärfung des Straf- rechts ist keine angemessene Lösung des Problems . Eine Verschärfung des Strafrechts hilft den Opfern nicht, hat auf Täter keine abschreckende Wirkung und führt des- halb auch nicht zu mehr Sicherheit . Präventive Maßnah- men sind nachhaltiger und versprechen im Gegensatz zur Strafrechtsverschärfung, konkrete Erfolge zu zeigen . Wir brauchen mehr Prävention im Bereich der Gruppen, die für Radikalisierung anfällig sind . In der Kriminologie ist belegt, dass härtere Strafen Tä- ter bei der Begehung von Straftaten nicht abschrecken . Nur die hohe Entdeckungswahrscheinlichkeit einer Tat schreckt ab . Entdeckungswahrscheinlichkeiten steigen mit dem Einsatz von mehr Personal bei Polizei und Zoll, einer besserer Ausstattung für die Erledigung dieser spe- zifischen Aufgabe und gezielter Aus- und Weiterbildung der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten in diesem Be- reich . Eine Verschärfung der Gesetze kann nicht zur Redu- zierung der organisierten Kriminalität führen und bringt auch nicht mehr Sicherheit . Eine Änderung eines Geset- zes sollte in rechtlichem Sinne erforderlich, angemessen und verhältnismäßig sein . Da es hier nicht der Fall ist, wird die Bundestagsfraktion Die Linke diese vorgeschla- gene Änderung ablehnen . Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Es steht gleich im ersten Satz des vorliegenden Gesetzentwurfs: Der Rahmenbeschluss 2008/841/JI des Rates vom 24 . Oktober 2008 zur Bekämpfung der orga- nisierten Kriminalität ist durch das geltende Recht im Wesentlichen bereits umgesetzt. Lediglich die Definiti- on der Vereinigung in § 129 Strafgesetzbuch soll in An- lehnung an den Rahmenbeschluss etwas weiter gefasst werden, und es soll eine Legaldefinition dieses Begriffs aufgenommen werden . Darüber hinaus enthält der Gesetzentwurf den Vor- schlag, bei den Strafandrohungen des § 129 StGB zwi- schen der Gründung und Mitgliedschaft einerseits – bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe – und der Unterstützung bzw . Werbung um Unterstützer und Mitglieder anderer- seits – bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe – zu differenzie- ren . Konkret heißt dies, dass es nun abgestufte Strafdro- hungen für die Gründung einer kriminellen Vereinigung und die Mitgliedschaft in ihr einerseits und die Unterstüt- zung einer kriminellen Vereinigung und die Werbung für eine solche andererseits gelten . Dieser Vorschlag klingt ganz vernünftig . Der Bundesrat hat ebenfalls keine weiteren Einwände gegen dieses Umsetzungsgesetz . In seiner Stellungnah- me vom 10. Februar 2017 empfiehlt er lediglich zur bes- seren Verständlichkeit der Legaldefinition des Begriffs „Vereinigung“ in § 129 Absatz 2 StGB-E, die Regelung in zwei Sätze aufzuteilen . In einem ersten Satz sollen die grundlegenden Erfordernisse einer Vereinigung be- stimmt und im zweiten Satz dann die Umstände gelistet werden, die der Annahme einer Vereinigung nicht entge- genstehen . Dieser Vorschlag des Bundesrates führt in der Tat zu einer besseren Verständlichkeit und sollte daher aufgegriffen werden. Viel mehr gibt es zu den Änderun- gen in der Strafvorschrift nicht zu sagen . Deshalb ein paar Anmerkungen zur Geschichte des § 129 StGB, „Bildung einer kriminellen Vereinigung“; sie ist in der Tat eine bewegte . Immer wieder wurde ver- sucht, die Vorschrift politisch zu instrumentalisieren . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22355 (A) (C) (B) (D) Der Eindruck drängte sich zum Beispiel auf anlässlich von Strafverfahren gegen Teilnehmer einer Kundgebung gegen den Naziaufmarsch in Dresden im Februar 2010 . Schon im Vorfeld der Gegendemonstrationen hatte die sächsische Polizei verlangt, die Internetadresse für die bundesweiten Proteste gegen den Naziaufmarsch abzu- schalten . Außerdem ließ die sächsische Polizei und Justiz Aufrufplakate zur Gegendemonstration beschlagnahmen . Mit Sitzblockaden blockierten dann am 13 . Februar 2010 Zehntausende den Aufmarsch der Rechtsextremisten . Im Frühjahr wurde ein Ermittlungsverfahren ge- gen Unbekannt wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung eingeleitet. § 129 StGB eröffnet den Er- mittlungsbehörden eine Vielzahl von weitreichenden Ermittlungsbefugnissen, zum Beispiel Telekommuni- kationsüberwachung, Observationen oder Einsatz ver- deckter Ermittler . Der Verdacht der Beteiligung oder Unterstützung einer kriminellen Vereinigung reicht . Im folgenden Jahr wurden am Tag der gleichen Demons- tration gegen den Aufmarsch am 19 . Februar 2011 Mo- bilfunkverkehrsdaten ganzer Funkzellen abgefragt – das heißt, Millionen von Handy-Gesprächen, die Demons- tranten geführt hatten, wurden erfasst . Solche Vorgänge bei der Anwendung des § 129 StGB sind geeignet, ein Unbehagen zu schüren, der Straftatbestand werde als wohlfeile „Allzweckwaffe“ gegen unliebsames politi- sches Verhalten instrumentalisiert . Der BGH-Richter Thomas Fischer schrieb in seiner Kolumne in der Zeit, in Vorstellung und Definition der „Vereinigung“ schwinge noch viel von der „Geheim- gesellschaft“ mit, nebst ihren Implikationen der Staats- feindlichkeit und des Umsturzes; sie stammten sozusa- gen aus den Kindertagen des Staats . In der Tat reicht die Geschichte des § 129 StGB weit zurück bis ins Preußische Strafgesetzbuch und dann ins Reichsstrafgesetzbuch . Er war Mittel zur Verfolgung liberaler und demokratischer Tendenzen . Er kam zur Anwendung in Prozessen gegen bekannte Vertreter der Deutschen Arbeiterbewegung wie August Bebel und befeuerte die Verfolgung der Sozialdemokratie, später auch anderer Vereinigungen . Auch das 20 . Jahrhundert überdauerte die „kriminelle Vereinigung“ im Strafge- setzbuch . In der Weimarer Zeit fand sie Anwendung bei der Verfolgung der „Ringvereine“ in Berlin . Später wurde sie durch Änderungen den aktuellen, vor allem politisch-gesellschaftlichen Umständen angeglichen und erweitert um die § 129 a und b StGB . Einiges davon habe ich miterlebt . Sogar mitgestaltet habe ich Änderungen nach der Jahrtausendwende . Ob sich die jetzt vorgelegten Änderungen in der Praxis der Rechtsprechung merklich auswirken, bleibt abzuwarten . Zu mehr Klarheit kann die Legaldefinition vielleicht beitragen. Das Grundproblem der §§ 129 ff StGB, mitunter po- litisch instrumentalisiert zu werden, bleibt aber wohl be- stehen . Christian Lange, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister der Justiz und für Verbraucherschutz: Mit dem Gesetzentwurf, den wir heute hier behandeln, wollen wir die Strafvorschrift des § 129 Strafgesetzbuch, den Straf- tatbestand der Bildung krimineller Vereinigungen, an die Vorgaben des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäi- schen Union vom 24 . Oktober 2008 zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität anpassen . Das deutsche Strafrecht entspricht diesem Rahmenbe- schluss bereits heute in weitem Umfang . Jedoch ist der Begriff der Vereinigung nach § 129 Strafgesetzbuch zwar nicht vom Wortlaut her, wohl aber in der Ausformung, die er durch die Rechtsprechung des Bundesgerichts- hofs erfahren hat, enger, als dies der Rahmenbeschluss fordert . Deshalb besteht noch gesetzgeberischer Hand- lungsbedarf, damit Deutschland seiner Verpflichtung zur Umsetzung in vollem Umfang nachkommt . Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht vor, ins Strafgesetzbuch eine Legaldefinition des Vereini- gungsbegriffs aufzunehmen, die sich eng an den europä- ischen Vorgaben orientiert. Damit ist zwangsläufig eine Ausweitung der Strafbarkeit im Vorfeld der eigentlichen Rechtsgutsverletzung verbunden . Denn die Lockerung des Vereinigungsbegriffes führt dazu, dass die Anforde- rungen an die Organisationsstruktur abgesenkt werden . Aus dieser Organisationsstruktur wurden bisher aber die Gefährlichkeit entsprechender Vereinigungen und damit die Strafwürdigkeit der Betätigung bereits im Vorfeld des strafbaren Versuchs abgeleitet . Um dieser Ausweitung der Strafbarkeit zu begegnen, sollen zukünftig die Bezugstaten, auf deren Begehung eine kriminelle Vereinigung im Sinne des § 129 Straf- gesetzbuch gerichtet sein kann, beschränkt werden, und zwar auf Straftaten, bei denen die Höchststrafe eine Frei- heitsstrafe von zwei Jahren an aufwärts ist . Der Gesetzentwurf sieht außerdem vor, bei der Straf- androhung zwischen der Gründung einer kriminellen Vereinigung und der Mitgliedschaft in ihr einerseits so- wie der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung und der Werbung um Mitglieder oder Unterstützer für sie an- dererseits zu differenzieren. Der Gesetzentwurf folgt da- mit einer Wertung, die das Strafgesetzbuch schon heute beim Tatbestand der Bildung terroristischer Vereinigun- gen vornimmt . Die Erweiterung des Vereinigungsbegriffs wirkt sich auch auf den Straftatbestand der Bildung terroristischer Vereinigungen aus . Hier bedarf es keiner Einschränkung des Anwendungsbereichs, da eine terroristische Verei- nigung ohnehin nur eine Vereinigung sein kann, die auf die Begehung bestimmter besonders schwerer Straftaten gerichtet ist . Auch wenn die Änderungen an den §§ 129 ff. Straf- gesetzbuch überschaubar sind, so wird insbesondere die Erweiterung des Vereinigungsbegriffs dazu führen, dass Erscheinungsformen aus dem Bereich der organisierten Kriminalität zukünftig strafrechtlich noch besser erfasst werden können . Ich bitte Sie daher, diesen Gesetzent- wurf der Bundesregierung zu unterstützen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722356 (A) (C) (B) (D) Anlage 23 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu- sammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Trilate- rale Partnerschaften in der ASEAN-Region stär- ken – Deutsches Know-how nutzen (Tagesord- nungspunkt 46) Jürgen Klimke (CDU/CSU): Ich freue mich sehr, dass wir heute den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD „Trilaterale Partnerschaften in der ASEAN-Re- gion stärken“ verabschieden . Der Deutsche Bundestag setzt damit ein wichtiges Zeichen für die Notwendigkeit von internationaler wirtschaftlicher Zusammenarbeit und ebenso ein Gegengewicht zum immer stärker propagier- ten Protektionismus einzelner Akteure sowie zum militä- rischen Wettrüsten in der ASEAN-Region, das wir in der jüngeren Vergangenheit beobachten können . Die zehn ASEAN-Staaten mit ihren über 600 Millio- nen Einwohnern bieten große wirtschaftliche Entwick- lungspotenziale . Damit Deutschland auch in den kom- menden Jahren als entwicklungspolitischer Akteur in der Region präsent sein kann, ist es notwendig, dass wir un- ser Engagement auf ein breiteres Fundament stellen und die bereits wirtschaftlich stärker entwickelten Partner des ASEAN-Bündnisses in Dreieckskooperationen mit wirt- schaftlich schwächeren Staaten der Region einbeziehen . Unser Ziel ist es, das wirtschaftliche Gefälle zwischen den einzelnen Staaten abzusenken . An dieser Stelle möchte ich auf die von der Oppositi- on geäußerten Vorbehalte zu diesem Antrag eingehen . So wurde geäußert, der Antrag zeige keine Neuerungen auf, sei quasi ein Nullsummenspiel . Das sehe ich so nicht . Aus meiner Sicht ist das eine mutwillige Fehlinterpreta- tion des Antrages . Der Koalition geht es primär um den verstärkten Aus- bau vorhandener und bewährter Strukturen sowie um die Intensivierung von Synergieeffekten, die der Verbesse- rung der Lebensgrundlage der Menschen vor Ort dienen . Der Antrag ist zudem ein Statement, dass entwick- lungspolitische Kooperationen in Südostasien kein Aus- laufmodell sind, sondern in der Strategieplanung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit ihren festen Platz haben . Die ASEAN-Region ist im stetigen Wandel und weist große Entwicklungsunterschiede auf . Mit einer Delegati- on des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung konnte ich mir Anfang Februar dieses Jahres in Laos und Kambodscha wieder ein Bild von der Situation machen . Im Gespräch mit unseren Partnern in Laos wurde mir erneut versichert, dass Deutschland großes Ansehen in dem Land genieße und man auf den Ausbau der Entwick- lungszusammenarbeit setze . Laos ist seit 1997 Mitglied der südostasiatischen Staatengemeinschaft (ASEAN) und seit 2015 Mitglied der Wirtschaftsgemeinschaft ASEAN Economic Community (AEC) . Es gehört zu den am wenigsten entwickelten Staaten der Welt . Um unsere Entwicklungsbemühungen in Laos und den anderen ASEAN-Staaten in Zukunft noch breiter aufzustellen, bietet sich meiner Meinung nach der Aus- bau von trilateralen Entwicklungsprojekten an . Um beim Beispiel zu bleiben: neben Deutschland und Laos noch ein weiterer Partner aus der Region . Für dieses Entwicklungsmodell werben wir mit un- serem Antrag . Das BMZ hat mit Dreieckskooperationen bereits vielfältige Erfahrung gemacht . Bei den bisherigen Kooperationen handelte es sich fast ausschließlich um Vorhaben im Rahmen der technischen Zusammenarbeit . Ich plädiere an dieser Stelle auch dafür, die finanzielle Zusammenarbeit in diesem Bereich auszubauen . Deutschland hat aktuell mit Thailand, Malaysia und Indonesien trilaterale Kooperationen vereinbart, die je- weils einen weiteren regionalen Partner einbeziehen . Diese Maßnahmen fördern nicht nur lokale Entwicklun- gen, sondern tragen auch zum Harmonisierungs- und In- tegrationsprozess innerhalb der ASEAN-Region bei . Die Vorteile liegen auf der Hand; denn die Grundla- gen für den Ausbau dieses Entwicklungsmodells sind vorhanden . So verfügt beispielsweise Thailand über ent- wicklungspolitische Institutionen, die sich im Wesentli- chen auf die ärmeren Nachbarn ausrichten . Das Beispiel Thailand zeigt: Mit wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklung der vergangenen Jahr- zehnte wandelte sich Thailand zu einem Schwellenland – und damit einhergehend auch die Zusammenarbeit mit Deutschland . Aus der bilateralen Zusammenarbeit ent- standen verschiedene deutsch-thailändische Kooperatio- nen, um in den Nachbarländern Thailands Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit umzusetzen . Wünschenswert wäre es, wenn diese Erfolge zukünf- tig auch auf Regionen in der ASEAN-Region ausstrahlen könnten, die bisher noch nicht in trilateralen Projekten berücksichtigt sind . So sehe ich beispielsweise ähnli- che Entwicklungs-herausforderungen in der Grenzregi- on zwischen Thailand und Myanmar . Dieser Landstrich war lange Zeit stark vom Drogenanbau betroffen. Durch einen intensiven Strukturwandel konnten die Region in jüngerer Vergangenheit zu einem Teeanbaugebiet entwi- ckelt und einige nachhaltige Ansätze im Bereich Touris- mus etabliert werden . Aber: Die Reduzierung des Dro- genanbaus in den letzten Jahren konnte nicht verhindern, dass sich die Region in jüngerer Vergangenheit zu einem großen Handelsplatz für synthetische Drogen entwickelt hat, die von dort in ganz Südostasien verbreitet werden . Neue trilaterale Projekte in dieser Region könnten aus meiner Sicht ein Beitrag Deutschlands sein, lokal und bi- lateral erzielte Verbesserungen aufzugreifen und mithilfe eines breiteren Bündnisses fortzuführen . Der Blick auf die Zahlen verdeutlicht es: Trilatera- le Kooperationen auf dem Gebiet der ASEAN-Staaten sind durchaus ausbaufähig . Das vereinbarte Gesamt- auftragsvolumen dieser Projekte zwischen Deutschland und Thailand beträgt 8,3 Millionen Euro und läuft bis Dezember 2017 . Thailand ist damit der wichtigste Part- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22357 (A) (C) (B) (D) ner bei dieser Art Umsetzungsvorhaben . Zum Vergleich: Mit Malaysia ist ein Gesamtvolumen von rund 3 Milli- onen Euro vereinbart, mit Indonesien ein Volumen von 700 .000 Euro . Lassen Sie mich nochmals die Zielrichtung des Antrages zusammenfassen: Die vielfältigen Einsatz- möglichkeiten von trilateralen Kooperation in der ASEAN-Region sollen geprüft und die Effizienz zukünf- tiger Maßnahmen gesteigert werden . Bestehende Dreieckskooperationen sollen fortgesetzt werden, wenn dadurch Synergieeffekte zu erzielen sind. Dreieckskooperation sollen verstärkt als Instrument genutzt werden, um international anerkannte Standards in Projekten der Entwicklungszusammenarbeit einzuhal- ten . Neue Felder für trilaterale Kooperation sollen gefun- den werden, die insbesondere im Hinblick auf die Umset- zung der UN-Nachhaltigkeitsziele sinnvoll sind . Die Privatwirtschaft soll bei zukünftigen Dreiecks- kooperationen verstärkt miteinbezogen werden können . Es sollen gezielt nachhaltige Projekte initiiert werden, die in Sektoren liegen, die bisher noch nicht im Bereich der Dreieckskooperationen vertreten sind . Und das gewonnene Fachwissen aus Dreieckskoope- ration soll für Dritte nutzbar und zugänglich sein . Das heißt Evaluierung durch das DEval soll ein höherer Stel- lenwert zukommen . Mit dieser Zielsetzung untermauert der Antrag die Asi- enstrategie der Bundesregierung . Die deutsche Entwick- lungszusammenarbeit wird in den kommenden Jahren mit den Partnerländern, in multilateralen Organisationen wie der Weltbank, der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB), der Europäischen Union und eben im Rahmen der ASEAN-Staaten große Herausforderungen angehen müssen . Dazu zählt unter anderem den verstärkten Di- alog mit den globalen Entwicklungspartnern zu suchen, die soziale und ökologische Gestaltung der asiatischen Marktwirtschaften zu gestalten, den Schutz von Klima und Biodiversität zu sichern und die Bekämpfung von Konflikt- und Fluchtursachen zu verstetigen. In Thailand besagt das Sprichwort „Den Amboss zu einer Nadel schleifen“, was sich bei uns in „Steter Trop- fen höhlt den Stein“ übersetzen lässt . In diesem Sinne werbe ich für Ihre Zustimmung für den Antrag, da wir damit einen neuen Baustein für intensive und nachhaltige Beziehungen mit den ASEAN-Staaten implementieren werden . Stefan Rebmann (SPD): Trilaterale Partnerschaften haben sich als ein erfolgreiches Instrument der deutschen Entwicklungszusammenarbeit bewährt . Die Partner- schaft zwischen einem traditionellen Geberland, einem Schwellenland als weiterem Geberland und einem Ent- wicklungsland als Nehmerland kann neue Synergien zwischen globalem Norden und Süden herstellen und ist damit auch ein Beitrag zur Umsetzung der Sustainable Development Goals (SDG 17: Globale Partnerschaften für nachhaltige Entwicklung) . Die Stärkung trilatera- ler Partnerschaften ist somit wünschenswert, und die ASEAN-Region bietet sich dafür in besonderem Maße an . Die Association of Southeast Asian Nations, ASEAN, ist ein wichtiger wirtschaftlicher Partner in Asien . Rund 630 Millionen Menschen leben in den ASEAN-Mitglied- staaten . Mit rund 2,3 Billionen US-Dollar an erwirtschaf- tetem Bruttoinlandsprodukt, BIP, pro Jahr reichen die ASEAN-Mitgliedstaaten fast an die Wirtschaftsleistung Großbritanniens, der sechstgrößten Volkswirtschaft der Welt, heran . Prognosen gehen davon aus, dass sich das Wirtschaftswachstum der ASEAN bis 2030 auf 10 Billi- onen US-Dollar vergrößert . Aber nicht nur wirtschaftlich, sondern auch entwick- lungspolitisch stellt die ASEAN mit ihren Mitgliedstaa- ten eine wichtige Partnerin dar . Als Staatenbündnis hat sie sich den Menschenrechten sowie den Grundsätzen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verschrieben, ASEAN-Charta 2007 . Zweifelsfrei bedarf es hier noch weitreichender Reformen in vielen Mitgliedstaaten; je- doch stellt dies einen guten Ausgangspunkt für eine en- gere Zusammenarbeit dar . Die Herausforderungen sind groß: Unter dem Dach der ASEAN haben sich Staaten unterschiedlicher Kulturen, Religionen und Sprachen, unterschiedlicher Regierungs- formen und unterschiedlicher Entwicklungen zusam- mengeschlossen . Während beispielsweise Singapur im Index der menschlichen Entwicklung, HDI, auf Platz 11 liegt, liegt Kambodscha auf Platz 143 von 188 . Oder ein- facher gesagt: Während Singapur boomt, leben in Laos immer noch 23,3 Prozent der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze . Die ASEAN-Mitgliedstaaten haben ein großes Interesse, diese Entwicklungslücke zu schließen und haben ein eigenes Programm, „Narrowing the Development Gap“, initiiert . Der Ausbau von trila- teralen Kooperationen im südostasiatischen Raum kann ein weiterer Beitrag sein, finanzielle Mittel zu generie- ren, Know-how zu stärken und somit nachhaltige Ent- wicklung zu fördern . Ein besonderes Augenmerk sollte im Zuge der trila- teralen Partnerschaften auf die Themen Menschenrechte und Arbeitsbedingungen gelegt werden . Immer wieder kommt es beispielsweise zu Fällen von Zwangsarbeit auf thailändischen Fischfangkuttern oder zu Misshandlungen von Hausangestellten in Singapur . Daher ist bei Maßnah- men der trilateralen Partnerschaft zwingend darauf zu achten, dass menschenrechtliche, soziale und ökologi- sche Standards eingehalten und gefördert werden . Ist die- se Voraussetzung erfüllt, können trilaterale Partnerschaf- ten ein wirksames Instrument zur Förderung nachhaltiger Entwicklung sein und sollten aus den oben genannten Gründen im südostasiatischen Raum ausgebaut werden . Dieser Antrag ist ein erster wichtiger Schritt dazu . Niema Movassat (DIE LINKE): In der deutschen Entwicklungszusammenarbeit finden trilaterale Partner- schaften bis heute zu wenig Beachtung . Dabei birgt die gezielte Zusammenarbeit zwischen einem etablierten Ge- berland, einem Schwellen- und einem Entwicklungsland großes Potenzial . In den Industriestaaten ausgebildete Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722358 (A) (C) (B) (D) Topexperten mögen hochqualifizierte Studienabschlüsse vorweisen haben aber in der Geschichte der Entwick- lungszusammenarbeit in zahllosen Projekten bewiesen, dass ihre Konzepte den harten Praxistest im Alltag vieler Entwicklungsländer nicht bestehen . Mit Entwicklungs- und Schwellenländern gemeinsam geplante, finanzierte und implementierte Kooperations- projekte hingegen haben den Vorteil, sich meist bereits in der Realität bewährt zu haben . Deshalb sind sie unter Umständen nicht nur wirkungsvoller als herkömmliche Entwicklungspartnerschaften, sondern tragen auch in be- sonderem Maße zu mehr „Augenhöhe“ in der Entwick- lungspolitik bei, weil sie die eigenen Erfahrungen der Länder des Südens besonders berücksichtigen . Wie keinem zweiten Staat ist es Kuba gelungen, mit sehr geringen finanziellen Mitteln eine sehr gute staatli- che Bildungs- und Gesundheitsversorgung aufzubauen, zu der jede Kubanerin und jeder Kubaner auch kostenlos Zugang hat . Die Kindersterblichkeitsrate ist in Kuba niedriger, die Lebenserwartung höher als in den USA obwohl in den Vereinigten Staaten pro Kopf im Durchschnitt rund 46- mal so hohe Gesundheitskosten entstehen wie auf der Karibikinsel . Kubanische Ärzte helfen bereits heute in aller Welt und sind besonders in Entwicklungsländern sehr erfolgreich . Angesichts der großen gesundheitspoli- tischen Ziele der SDG-Agenda und der veränderten poli- tischen Gesamtlage sollte die Bundesregierung dringend auf Kuba zugehen und die Möglichkeiten einer Dreiecks- kooperation mit Ländern ohne funktionierendes Basisge- sundheitssystem eruieren . Ähnliches gilt für das kubanische Bildungssystem . Ideologische Scheuklappen verursachen leider auch heu- te noch vor allem bei Vertreterinnen und Vertretern der Unionsfraktionen antikommunistische Reflexe, wenn es um das sozialistische Kuba geht . Diese Geisteshaltung stammt aus dem letzten Jahrhundert und sollte dringend überwunden werden . Selbst die USA haben in den letzten Jahren einen zeitgemäßeren Umgang mit der Karibikin- sel gefunden . Wenn der vorliegende Antrag der Regierungskoalition eine Evaluierung der bisherigen Dreieckskooperationen mit deutscher Beteiligung fordert, ist das durchaus unter- stützenswert . Es ist ebenso richtig zu fordern, neue trila- terale Partnerschaften in strategisch wichtigen Bereichen aufzunehmen, wenn sich dadurch entwicklungspolitische Synergieeffekte erzielen lassen. Insgesamt ist der Antrag jedoch unausgegoren und zusammengestückelt . Der Abschnitt über Drogenanbau im Grenzgebiet zwischen Thailand, Laos und Myanmar etwa fügt sich nicht in den restlichen Text ein und lässt den Leser ratlos zurück, auch weil sich dieser Aspekt im Forderungsteil nirgends wiederfindet. An anderer Stelle ist der Antrag der Regierungskoalition schlicht falsch . So bezeichnet er Kambodscha, Laos, Myanmar und Viet- nam als neue ASEAN-Mitglieder, obwohl Vietnam 1995, Myanmar und Laos 1997 und Kambodscha 1999 beige- treten sind . Die ASEAN-Gruppe besteht heute aus Thailand, In- donesien, Malaysia, den Philippinen, Singapur, Brunei, Vietnam, Myanmar, Laos sowie Kambodscha und um- fasst rund 600 Millionen Einwohner . Auch wenn die Un- terschiede bei den Lebensbedingungen etwa zwischen Malaysia und Myanmar gewaltig sind, ist das Potenzial in der Region für trilaterale Partnerschaften zweifellos groß . Sie könnten zu einer Stärkung der regionalen Inte- gration beitragen, wie sie die Mitgliedsländer anstreben . Auf der anderen Seite ist die Region auch nicht völlig konfliktfrei. Bestehende Spannungen zwischen Kambod- scha, Thailand und Vietnam etwa klammert der vorlie- gende Antrag in seiner Analyse völlig aus . Wer tatsächlich trilaterale Partnerschaften zwischen den ASEAN forcieren will, sollte sich etwas näher mit der Ausgangslage beschäftigen, als die Antragsteller es in diesem Fall getan haben . Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Wenn wir heute einen Antrag zur Stärkung der ASEAN-Region abschließend beraten, so müssen wir diesen Antrag vor dem Hintergrund des Wechsels der Regierungsverantwortung in den USA und in Hinblick auf eine veränderte globale Weltlage bewerten. Offen- sichtlich wird Präsident Trump die enge Zusammenar- beit, die die Obama-Administration der ASEAN-Region angeboten hat, nicht in gleicher Weise fortsetzen . Umso mehr eröffnen sich für Europa und Deutschland Chancen einer engeren Zusammenarbeit mit der ASEAN-Region . Diese Zusammenarbeit kann und muss auf vielen Ebenen erfolgen . Wichtig ist, die Handelsbeziehungen auszubau- en und jetzt stringent die Verhandlung entsprechender Verträge zwischen der EU und ASEAN voranzutreiben . Mir ist es ein Anliegen, dies hier am Anfang zu betonen, wenngleich es nicht Gegenstand dieses Antrages ist . Der Antrag fordert, eine Ausweitung bestehender entwicklungspolitischer Dreieckskooperationen in der ASEAN-Region und deren vielfältige Einsatzmöglich- keiten zu prüfen . Die Regierung solle zudem das Deutsche Evaluierungsinstitut der Entwicklungszusammenarbeit (DEval) mit der Evaluierung von Dreieckskooperationen mit deutscher Beteiligung beauftragen und die Hand- lungsempfehlungen für weitere Projekte nutzen . Dieses sind wichtige Arbeitsfelder . Und ich hatte schon bei der ersten Lesung drei wichtige Aspekte betont, die ich auch hier nochmals anführen möchte: Rechtsstaatlichkeit, Bil- dung und klimaschonende Energieversorgung . Ich denke, dass es unverändert wichtig ist, diese drei Aspekte bzw . Themen intensiv zu verfolgen . Rechts- staatlichkeit, Gewaltenteilung, eine unabhängige Jus- tiz, Einhaltung der Menschenrechte: Fortschritt gerade hinsichtlich der Rechtstaatlichkeit ist der beste Anreiz für ausländische Investitionen, sogenannte FDI . Dabei könnten, im Zusammenhang zum Beispiel mit einer Verstärkung des akademischen Austausches zwischen den Ländern, Dreieckskooperationen eine wichtige Rol- le spielen . Auf der Regierungsebene der ASEAN-Staa- ten wird eine Zusammenarbeit bisher strikt abgelehnt, weil dies als Einmischung in die Belange eines anderen ASEAN-Staates empfunden wird . Aber ein Blick über Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22359 (A) (C) (B) (D) den eigenen Tellerrand würde die Zusammenarbeit för- dern, die heute aufgrund unterschiedlicher Strukturen nur schwer möglich ist . Wenn in gemeinsamen Projekten geforscht und in Thinktanks Vorschläge entwickelt werden, ist das kein Einmischen . Man wird sich dann damit auseinanderset- zen können, wie möglicherweise in ähnlichen Strukturen aktuelle Themen angegangen werden können . Als Bei- spiele seien die Korruptionsbekämpfung und der Aufbau einer unabhängigen Justiz oder aber auch die Förderung von erneuerbaren Energien genannt . Das Gleiche gilt für die Bildung . Hier können es ge- meinsame Initiativen, zum Beispiel im Bereich der beruf- lichen Bildung, sein . Es gibt einige hervorragende Vor- reiter wie das German-Malaysian Institute (GMI) . Von einer solchen Institution könnte – im Sinne von „Best Practice“ – die Idee einer sehr berufsnahen Ausbildung in einer Partnerschaft in Nachbarländer getragen werden . Und dann das weite Feld der Energieversorgung: Hier könnten tri- oder sogar multilaterale Zusammenarbeiten erhebliche Synergieeffekte freisetzen. Dies ist vorstell- bar sowohl in einer rein technischen Zusammenarbeit als auch in einer Konstellation, die Finanzierung, tech- nisches Know-how und Maschinenbau mit praktischer Umsetzung umfasst . Wichtig ist, dass konkrete Projekte umgesetzt werden und dabei verstärkt auch auf die loka- len Kräfte – „Regional Ownership“ ist das Stichwort – zu setzen . Diese freizusetzen wird und muss der Anspruch für unsere Unterstützung sein, nicht das Besserwissen in einigen Vorzeigeprojekten . Fazit: Der Antrag der Koalition „Trilaterale Partner- schaften in der ASEAN-Region stärken – Deutsches Know-how nutzen“ benennt sinnvolle Maßnahmen, wel- che die grüne Bundestagsfraktion unterstützt . Eine ver- besserte Abstimmung der Geberländer, die Evaluierung bestehender trilateraler deutscher Kooperationen durch das DEval, Prüfaufträge für die Ausweitung bestehender trilateraler Kooperationen und gegebenenfalls die Schaf- fung neuer Kooperationen in der ASEAN-Region, insbe- sondere mit Blick auf die Nachhaltigkeitsziele (genannt SDGs: Sustainable Development Goals) und das Pariser Klimaabkommen, die Forderung nach der Einhaltung in- ternationaler Standards (ILO-Kernarbeitsnormen unter anderem) und die Einbeziehung der lokalen Privatwirt- schaft sind alles Forderungen, die unsere Unterstützung finden. Der Antrag benennt viele gute Aspekte, wobei natür- lich erst die Umsetzung in konkrete Maßnahmen den Erfolg ausmachen wird . Diese Umsetzung werden wir Grünen weiterhin beobachten und auch einfordern . Die Chancen in der Zusammenarbeit mit den ASEAN-Län- dern sind gerade für Deutschland und vor allem für die mittelständische Industrie groß . Wir Grünen wollen die Nutzung dieser Chancen nach besten Kräften unterstüt- zen . Anlage 24 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 19. Mai 2016 zwischen der Bun- desrepublik Deutschland und dem Obersten Hauptquartier der Alliierten Mächte Europa zur Änderung des Abkommens vom 13. März 1967 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Obersten Hauptquartier der Alliierten Mäch- te Europa über die besonderen Bedingungen für die Einrichtung und den Betrieb internationaler militärischer Hauptquartiere in der Bundesrepu- blik Deutschland (Tagesordnungspunkt 47) Julia Obermeier (CDU/CSU): Vor wenigen Wochen stand auf der Münchner Sicherheitskonferenz die Bedeu- tung der NATO im Zentrum vieler Reden und Diskus- sionsrunden . So erörterten fünf NATO-Verteidigungsmi- nister – vom westlichsten bis hin zum östlichsten Teil des Bündnisgebietes – die Bedeutung der transatlantischen Verteidigungsallianz . Sie waren sich einig: Die NATO ist alles andere als obsolet . Vielmehr nehme ihre Bedeutung angesichts der aktuellen sicherheitspolitischen Heraus- forderungen weiter zu . Auch unsere Bundeskanzlerin Dr . Angela Merkel hob hervor, dass kein einzelner Staat der Welt die Herausfor- derungen unserer heutigen Zeit allein bewältigen könne . Dies bedürfe großer gemeinsamer Anstrengungen . Da- raus ergebe sich die Notwendigkeit, die multilateralen internationalen Strukturen wie beispielsweise die NATO zu stärken und effizienter zu gestalten. Vor diesem Hintergrund ist auch der vorliegende Ge- setzentwurf von großer Aktualität . Vor einigen Jahren, auf dem Gipfel in Lissabon 2010, hat der NATO-Rat sich darauf geeinigt, die NATO-Kommandostrukturen zu re- formieren . Dabei wurde der Beschluss gefasst, die Strukturen stark zu verschlanken und die Zahl der militärischen Hauptquartiere zu reduzieren . In der Folge wurde mit dem gemeinsamen Hauptquartier in Lissabon eines der operativen Kommandos der NATO geschlossen, und auch drei taktische Kommandos für Luftstreitkräfte, See- streitkräfte und Landstreitkräfte sowie zwei Gefechts- stände zur Führung von Luftstreitkräften wurden aufge- löst . Dies führte zu deutlichen Personaleinsparungen in der NATO-Kommandostruktur: von rund 13 000 Mann um etwa 4 000 auf weniger als 9 000 . Das heißt, die Zahl der Dienstposten wurde um ganze 33 Prozent reduziert . Dieser Reform fiel auch ein Standort in Deutschland zum Opfer: Das taktische Kommando der Landstreit- kräfte in Heidelberg mit 350 Dienstposten wurde 2013 geschlossen . Durch die Reform sollten jedoch nicht bloß die Kom- mandostrukturen neu und effektiver gestaltet, sondern auch der gemeinsame NATO-Militärhaushalt durch wei- tere Maßnahmen entlastet werden . Diesem Ziel dient auch der vorliegende Gesetzentwurf . Darin wird ein Ab- kommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722360 (A) (C) (B) (D) dem Obersten Hauptquartier der Alliierten Mächte Euro- pa umgesetzt, indem die Kosten für die Instandsetzung und Instandhaltung der Infrastruktur von Hauptquartie- ren der NATO-Kommandostruktur neu aufgeteilt wer- den . Zukünftig soll die NATO nicht mehr die gesamten Kosten alleine tragen . Diese werden nun mit den Staaten, in denen die NATO-Hauptquartiere liegen, geteilt . Diese Regelung betrifft drei NATO-Stützpunkte in Deutschland: das Hauptquartier mit dem Luftwaffenober- kommando der NATO in Ramstein, den multinational besetzten Gefechtsstand der NATO zur Führung von Luftstreitkräften in Uedem und das erste NATO-Fern- meldebataillon in Wesel . Für diese Standorte übernimmt die Bundesrepublik Deutschland zukünftig die Hälfte der Infrastrukturkosten . Durch diese Maßnahme entstehen dem Bund auf den ersten Blick Kosten in Höhe von 200 000 Euro . Auf den zweiten Blick zeigt sich jedoch: Deutschland spart durch die Reform jedes Jahr über 1,5 Millionen Euro . Diese Einsparungen entstehen, da alle Staaten mit Hauptquar- tieren der NATO-Kommandostruktur die Hälfte der In- frastrukturkosten übernehmen und hierdurch im Mili- tärhaushalt der NATO insgesamt fast 12 Millionen Euro eingespart werden . Da Deutschland als zweitgrößter NATO-Beitragszahler – nach den USA und vor Frank- reich – fast 15 Prozent des Etats trägt, profitieren wir fi- nanziell auch sehr stark durch die Neuregelung . Wir unterstützen den vorliegenden Gesetzentwurf . Er ist Teil der Reform, die die Strukturen der NATO schlan- ker, effektiver und erschwinglicher macht. Das ist wich- tig; denn wir brauchen ein starkes transatlantisches Ver- teidigungsbündnis . Matthias Ilgen (SPD): Der vorliegende Gesetzent- wurf spiegelt die Umsetzung von Teilen einer bereits im Jahre 2010 beschlossenen NATO-Reform wider . Die- se Reform wiederum mündete im letzten Jahr in einem Änderungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Obersten Hauptquartier der Alli- ierten Mächte in Europa . Der daraus resultierende Ge- setzentwurf sieht, kurz gesprochen, eine Umschichtung der durch NATO-Hauptquartiere in Deutschland entste- henden Kosten vor . Das klingt zunächst vielleicht etwas plastisch, be- trifft aber hierzulande beispielsweise das sogenannte „Headquarters Allied Air Command“, oder kurz: „HQ AIRCOM“, in Ramstein oder auch das „Headquarters Rapid Deployable German-Netherlands Corps“ in Müns- ter . Die bisherige Regelung, was die Unterhaltung der NA- TO-Hauptquartiere betrifft, entstammt dem Abkommen von 1967 und sieht dabei eine Übernahme der Kosten seitens der NATO zu 100 Prozent vor . Im Zuge der Re- form der NATO-Kommandostruktur aus dem Jahre 2010 wurde beschlossen, diesen Schlüssel dahingehend anzu- passen, dass sich künftig NATO und Gastgeberland diese Kosten hälftig teilen, also im Verhältnis 50 : 50, statt wie bisher der angesprochenen 100 : 0 . Das Zahlenspiel klingt komplizierter, als es ist: Durch diese hälftige Übernahme der Kosten für Liegenschafts- instandsetzung und Liegenschaftsinstandhaltung entste- hen im Kapitel 1408 des Bundeshaushaltes – das ist das Kapitel im Haushalt des Bundesministeriums der Vertei- digung, welches sich unter dem Schlagwort „Unterbrin- gung“ auch mit den Liegenschaften beschäftigt – Mehr- ausgaben in Höhe von 200 000 Euro . Auf der anderen Seite reduzieren sich die Ausgaben in Kapitel 1401 – dieses Kapitel betrifft unter anderem die sogenannten „Verpflichtungen im Rahmen der Mitgliedschaft zur NATO“ – um gut 1,7 Millionen Euro . Diese Zahl ergibt sich aus der Tatsache, dass die NATO derzeit 23,6 Millionen Euro für die Unterhaltung der Hauptquartiere ausgibt . An der in Zukunft eingespar- ten Hälfte dieser Summe, nämlich 11,8 Millionen Euro, ist Deutschland, durch seinen Anteil am NATO-Haushalt von 14,65 Prozent – ich hoffe, Sie sind noch bei mir –, mit eben diesen besagten 1,7 Millionen Euro beteiligt . Nach Adam Riese führt der vorliegende Gesetzentwurf also zu Minderausgaben von 1,5 Millionen Euro . Ja, man mag es kaum glauben, aber hier liegt ein Gesetz vor, wel- ches bei uns in Deutschland zu haushälterischen Einspa- rungen führt . Anderen Ländern, deren Anteil am NATO-Bud- get prozentual kleiner ist, die aber über entsprechende NATO-Hauptquartiere innerhalb ihrer Landesgrenzen verfügen, entstehen dadurch durchaus Mehrkosten . Der Punkt ist allerdings, dass die Verteilung der Gesamtkos- ten auf die Mitgliedsländer der NATO sich in Zukunft etwas gerechter darstellt . Mir ist bei all diesen Zahlenspielen schon klar, dass es trotz Einsparungen jetzt wieder aus bestimmten Rich- tungen des Hauses das übliche Getöse gibt: „NATO ab- schaffen!“ und „Kein Geld mehr für die NATO!“ – das sind hanebüchene Forderungen, die uns in diesem hohen Hause nur allzu vertraut sind . Fest steht aber: Die NATO ist für Deutschland seit über 60 Jahren ein Garant für unsere Sicherheit und für die westliche Sicherheitsarchitektur als Ganzes . Ob Sie das nun gerne hören oder nicht . Daran wird zukünftig weder ein Donald Trump etwas ändern noch die Kolle- ginnen und Kollegen von der Linkspartei . Gerade die seit einigen Jahren veränderte sicherheits- politische Lage innerhalb Europas macht die NATO auf absehbare Zeit unersetzlich . Umso wichtiger ist es dabei, diese Institution eben nicht „obsolete“ werden zu lassen, wie vor einigen Wochen noch der neu gewählte US-ame- rikanische Präsident wenig eloquent propagierte, oder die NATO gar institutionellen Staub ansetzen zu lassen, sondern sie auch weiterhin modern, dynamisch und fit zu halten, um eben auch in Zukunft ein Instrument an der Hand zu haben, mit Hilfe dessen Deutschland auf sicher- heitspolitische Herausforderungen angemessen reagieren kann . Deshalb ist es wichtig, die auf NATO-Ebene ange- schobenen Reformen auch hierzulande umzusetzen . Der Bundesrat hat diesem Entwurf in seiner Sitzung am 10 . Februar bereits ohne Einwendungen zugestimmt . Wir als SPD-Bundestagsfraktion schließen uns den Kol- https://de.wikipedia.org/wiki/Gefechtsstand https://de.wikipedia.org/wiki/Luftstreitkr%C3%A4fte http://www.1gnc.org/ http://www.1gnc.org/ Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22361 (A) (C) (B) (D) leginnen und Kollegen aus den Ländern an und stimmen diesem Entwurf ebenfalls zu . Inge Höger (DIE LINKE): Die NATO ist ein Re- likt des Kalten Krieges . Sie bezeichnet sich als Vertei- digungsbündnis und ist in Wirklichkeit doch meist ein Angriffsbündnis. Betrachtet man ihr Wirken in den Jahr- zehnten seit Ende des Kalten Krieges, dann ist sie bes- tenfalls überflüssig. Überall, wo die NATO konkret aktiv war, wie im Jugoslawienkrieg, in Afghanistan etc ., war ihr Handeln jedoch extrem destruktiv . Die NATO ist so- wohl verantwortlich für die Zerstörung ganzer Regionen und unzähliger Menschenleben als auch für Angriffe auf das Völkerrecht und die Destabilisierung vieler Länder . Das Gebot der Stunde ist die Auflösung der NATO, nicht eine Neuordnung der Finanzierung dieses Bünd- nisses . In dem vorliegenden Gesetzentwurf geht es vor- dergründig darum, dass zukünftig die Staaten, in denen es NATO-Kommandostrukturen gibt, die Hälfte der Un- terhalts- und Instandsetzungskosten für diese Kriegsin- frastruktur bezahlen . Damit müssen einerseits die Statio- nierungsländer mehr zahlen, und andererseits werden das zentrale NATO-Budget und der Anteil der Mitgliedslän- der daran entlastet . Angesichts der Milliardenausgaben für Kriege und Kriegsvorbereitungen geht es hier nur um die Umverteilung von 11,8 Millionen Euro jährlich . Zu berücksichtigen ist dabei, dass die Liegenschaften des Bundes der NATO unentgeltlich zur Nutzung überlassen werden und nur die Kosten der Instandsetzung und In- standhaltung nun anders verteilt werden . Die Linke befürchtet, dass diese Gesetzesänderung nur einer von vielen Schritten ist, mit denen die NATO mit einem immer größeren Budget ausgestattet und auch der deutsche Militäretat immer weiter aufgebläht wird . Bei diesem Gesetz geht es wohl „nur“ um die anteilige Fi- nanzierung der NATO-Kommandobehörde zur Führung von Luftstreitkräften in Ramstein und den NATO-Ge- fechtsstand zur Führung von Luftstreitkräften in Uedem . Zukünftig geht es wohl um weitere NATO-Strukturen wie etwa in Geilenkirchen und Kalkar . Darüber hinaus wird bereits diskutiert, dass Deutsch- land sich in noch größerem Umfang als bisher an den US-Stützpunkten und Kommandostrukturen hierzulande beteiligt . Da ginge es dann um ganz andere Beträge . Alle momentan vorbereiteten Entscheidungen im Bereich der Militärausgaben stehen unter der Vorgabe bzw . dem Ziel, zukünftig 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in Kriegsvorbereitungen zu investieren . Wenn dies tat- sächlich umgesetzt wird – und nicht nur Ursula von der Leyen hat dies zugesagt –, dann bedeutet dies, dass das wirtschaftsstarke Deutschland bis 2024 mehr Militäraus- gaben hat als Russland . Ein militärisch starkes Deutsch- land, mit starken Ansprüchen im Bereich der Macht- und Interessenpolitik – das war noch nie ein Vorbote für eine friedliche Entwicklung . Egal ob die neue Aufrüstungswelle mit dem Druck aus Washington oder mit der globalen Sicherheitslage begründet wird: Sie ist in jedem Fall eine falsche und ge- fährliche Entwicklung . Nötig sind Abrüstungsinitiativen und eine Rückkehr zu vertrauensbildenden Maßnahmen . In diesem Kontext lehnt die Linke jede Reform der NATO-Strukturen ab, die nicht zu Abrüstung führt . Wir fordern den Austritt Deutschlands aus der NATO und werden an der Mobilisierung der Proteste gegen den nächsten NATO-Gipfel im Mai in Brüssel mitwirken . Wir wollen die Stimmen für eine friedliche Zukunft stär- ken . Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir debattieren den Entwurf eines Gesetzes, das die zwischen dem obersten Hauptquartier der NATO und der Bundesrepublik Deutschland ausgehandelten Än- derungen des Vertrages ratifiziert, der 1967 zwischen diesen beiden Parteien geschlossen wurde . In der Sa- che geht es im Kern darum, dass die Instandsetzung und Instandhaltung von NATO-Hauptquartieren künftig jeweils zur Hälfte von der NATO und dem jeweiligen Aufnahmestaat getragen werden sollen . Bei der Über- lassung von Liegenschaften und bei Baumaßnahmen wird den Vertragsparteien die Möglichkeit eingeräumt, hinsichtlich der Kostenverteilung spezifische Regelun- gen und Vereinbarungen zu treffen. Das Abkommen geht auf den Beschluss der Staats- und Regierungschefs der NATO-Mitgliedstaaten zu einer neuen Kommandostruk- tur der NATO von 2010 zurück . Für die Bundesrepublik Deutschland entstehen hierdurch Mehrkosten in Höhe von 200 000 Euro . Laut Gesetzentwurf stehen diesen er- hebliche Einsparungen im NATO-Haushalt gegenüber, an denen Deutschland in der Höhe von 1,72 Millionen Euro teilhat . Die NATO setzt sich mit einer Vielzahl von Heraus- forderungen in unserer Welt auseinander . Durch das aggressive Vorgehen Russlands in der Ukraine hat die Bündnisverteidigung gerade für die östlichen Mitglied- staaten eine wichtige Rolle eingenommen . Zahlreiche Maßnahmen, die auf den Gipfeln in Wales und Warschau beschlossen wurden, sollen die Entschlossenheit des Bündnisses in Gänze und die Solidarität zwischen den Bündnispartnern unterstreichen . Das Ganze soll dem Zweiklang der Abschreckung und des Dialogs dienen . Das ist richtig, weil wir unseren östlichen Bündnispart- nern gegenüber solidarisch sein müssen . Wichtig ist mir, dabei nochmals deutlich zu unterstreichen, dass wir zwar durchaus die Notwendigkeit sehen, unsere östlichen Bündnispartner auch mit Beiträgen der Bundeswehr zu unterstützten, es jedoch unerlässlich ist, den Dialog mit gleicher Kraft, nein noch viel stärker zu verfolgen . Eine militärische Lösung wird es nicht geben, und es wäre nichts fataler, als wieder in die Logik des Kalten Krieges, der massiven Abschreckung und von Rüstungsspiralen zurückzuverfallen . Vor dem Hintergrund der für die NATO wieder ge- stiegenen Bedeutung der Bündnisverteidigung hat die Bundesregierung den Verteidigungsetat bereits erhöht . Die USA haben auch schon vor Präsident Trump gefor- dert, dass die Mitgliedstaaten das 2-Prozent-Ziel erfüllen sollen . Die Bundesregierung hatte in Wales zugesagt, das Erreichen dieses Ziels anzustreben . Inzwischen wol- len Frau Merkel und Frau von der Leyen es nicht nur versuchen, sondern tatsächlich im nächsten Jahrzehnt erreichen . Das käme einer massiven Aufstockung des Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722362 (A) (C) (B) (D) Verteidigungshaushaltes gleich . In diesem Jahr hätten die Ausgaben nach NATO-Kriterien bei 65 Milliarden Euro liegen müssen, also 26 Milliarden Euro über dem tatsächlichen Ansatz . Es ist nicht zielführend, die Beiträge der NATO-Staa- ten zum Bündnis am Erreichen des 2-Prozent-Zieles fest- zumachen . Die Berechnungen der Militärausgaben nach NATO-Kriterien enthalten auch Ausgaben wie Pensions- zahlungen, die zur tatsächlichen Verteidigungsfähigkeit nichts beitragen . Der Input alleine reicht als Messgrö- ße nicht aus . Viel wichtiger ist es, sich den Output an- zuschauen, also was die Streitkräfte leisten . Die NATO muss ihre Messgrößen über das 2-Prozent-Ziel hinaus weiterentwickeln, sodass nicht einfach nur Geldausge- ben, sondern die konkreten Beiträge der Staaten aner- kannt werden . Pauschale Rufe nach einer Erhöhung des deutschen Verteidigungshaushaltes sind nicht zielführend . Eine Er- höhung macht ganz besonders dann keinen Sinn, wenn nur des Ausgebens wegen gekauft wird und wenn die Beschaffungsstrukturen so problembehaftet sind wie die der Bundeswehr . Viel mehr Geld hilft nicht zwingend viel . Die europäischen Staaten könnten durch eine bes- sere Abstimmung untereinander mit dem gleichen Geld weitaus mehr zur NATO beitragen als bisher . Insofern ist die Zusage von Kanzlerin Merkel und Verteidigungsmi- nisterin von der Leyen – zumal sie nicht einmal sagen, wofür genau sie das viele Geld ausgeben wollen – falsch . Vor diesem Hintergrund gehen wir nun in die Bera- tungen des vorliegenden Gesetzentwurfes und werden die geänderte Kostenverteilung bei der Unterhaltung von NATO-Hauptquartieren wohlwollend prüfen . Markus Grübel, Parl. Staatssekretär bei der Bun- desministerin der Verteidigung: Mit dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 19 . Mai 2016 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Obersten Hauptquartier der Alliierten Mächte Eu- ropa (SHAPE1) zur Änderung des Abkommens vom 13 . März 1967 zwischen der Bundesrepublik Deutsch- land und SHAPE über die besonderen Bedingungen für die Einrichtung und den Betrieb internationaler militä- rischer Hauptquartiere in der Bundesrepublik Deutsch- land, dem sogenannten Ergänzungsabkommen zum Hauptquartier-Protokoll, das wir heute in erster Lesung beraten, soll die innerstaatliche Umsetzung des Ände- rungsabkommens erfolgen . Das Änderungsabkommen verfolgt das auf politischer Ebene beschlossene Ziel, die Kosten der Instandset- zung und Instandhaltung der Infrastruktur von militäri- schen Hauptquartieren der NATO-Kommandostruktur zwischen der NATO und der Bundesrepublik Deutsch- land als Aufnahmestaat aufzuteilen . Die gegenwärtige Fassung des Ergänzungsabkommens zum Hauptquar- tier-Protokoll von 1967 weist diese Infrastrukturkosten ausschließlich der NATO zu . Das Änderungsabkommen geht auf den Beschluss des NATO-Rates zurück, den NATO-Militärhaushalt entsprechend der von den Staats- und Regierungschefs der NATO-Mitgliedstaaten veranlassten und inzwischen durchgeführten Reorganisation der NATO-Kommando- struktur zu entlasten . Hierzu ist unter anderem vorgese- hen, dass Aufnahmestaaten NATO-Hauptquartiere der NATO-Kommandostruktur, die sich in ihrem Hoheitsge- biet befinden, künftig in verstärktem Maße im Rahmen des sogenannten Host Nation Support unterstützen . In Deutschland betrifft dies die NATO-Hauptquartiere in Uedem, Wesel und Ramstein . So sollen die Kosten für die Instandsetzung und Instandhaltung der Liegenschaf- ten von NATO-Hauptquartieren nicht mehr – wie bis- her – ausschließlich von der NATO getragen, sondern zwischen der NATO und dem jeweiligen Aufnahmestaat hälftig aufgeteilt werden . Die NATO will mit der neuen Kostenregelung Ein- sparungen im NATO-Haushalt erreichen . Diese sollen sich – bezogen auf den gegenwärtigen Haushalt – auf rund 11,8 Millionen Euro pro Jahr belaufen . Bei ei- nem deutschen Finanzierungsanteil von 14,654 Prozent wird Deutschland entsprechend seinem Anteil mit rund 1,72 Millionen Euro an diesen Einsparungen teilhaben . Diesen Einsparungen in Bezug auf den NATO-Haus- halt stehen gegenwärtig Mehrausgaben in Höhe von rund 0,2 Millionen Euro für die hälftige Übernahme der Kos- ten für die Liegenschaftsinstandsetzung und -instandhal- tung der NATO-Hauptquartiere in Deutschland gegen- über . Zudem erfordert die Umsetzung der Regelung zur geänderten Kostenaufteilung zusätzliche Personalres- sourcen zur Erbringung liegenschaftsbezogener Leistun- gen für die NATO-Hauptquartiere in Deutschland . Dies wird im Rahmen der Trendwende Personal berücksich- tigt und mit Kosten in Höhe von rund 0,6 Millionen Euro pro Jahr zu Buche schlagen . Die Mehrkosten liegen damit trotz der organisatori- schen und personellen Anpassungen immer noch deut- lich unter den jährlichen Einsparungen beim deutschen Anteil an den im NATO-Militärhaushalt veranschlag- ten, von der NATO zu tragenden Infrastrukturkosten für NATO-Hauptquartiere insgesamt . Mit der Änderung des Ergänzungsabkommens leistet Deutschland seinen solidarischen Beitrag zur Umsetzung des Beschlusses des NATO-Rates, den NATO-Militär- haushalt deutlich zu entlasten . Die Inkraftsetzung des Än- derungsabkommens ist darüber hinaus für Deutschland finanziell von Vorteil, da die Einsparungen am deutschen Anteil des NATO-Militärhaushaltes die Mehrausgaben für die Liegenschaftsinstandsetzung und -instandhaltung der drei NATO-Hauptquartiere in Deutschland überwie- gen . Anlage 25 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines familiengerichtlichen Genehmigungsvorbehal- tes für freiheitsentziehende Maßnahmen bei Kindern Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22363 (A) (C) (B) (D) –  des  von  den  Abgeordneten  Corinna  Rüffer,  Katja Keul, Katja Dörner, weiteren Abgeordne- ten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs zur Einführung eines gerichtlichen Genehmi- gungserfordernisses bei freiheitsbeschränken- den Maßnahmen gegenüber Kindern (Tagesordnungspunkt 48 a und b) Dr. Silke Launert (CDU/CSU): Wir beraten heute über ein sensibles Thema, über das keiner gerne spricht: Es geht um „freiheitsentziehende Maßnahmen bei Kin- dern“ in Heimen, Krankenhäusern und anderen Einrich- tungen . Leider gibt es Situationen, in denen sich aus Gründen des Kindeswohls die Frage nach dem Einsatz freiheitsentziehender Maßnahmen wie beispielsweise mechanische Vorrichtungen (Fixierung am Bett etc .) oder Medikamente stellt, weil sich das Kind sonst selbst oder andere gefährden würde . Leidet beispielsweise ein jun- ges Mädchen an einer lebensbedrohlichen Magersucht und wiegt nur noch 30 Kilogramm bei einer Größe von 179 Zentimetern, so muss wahrscheinlich eine Zwangs- ernährung erfolgen, um das Leben des Mädchens zu ret- ten . Ein Junge, der mit Selbstmordgedanken in eine kin- der- und jugendpsychiatrische Klinik eingeliefert wird, muss in der Nacht an seinem Bett fixiert werden, um zu verhindern, dass er sich selbst verletzen kann . Freiheitsbeschränkende Maßnahmen sind immer ein sehr schwerwiegender Eingriff in die Persönlichkeits- und Schutzrechte eines Menschen und dürfen dement- sprechend nur als allerletztes Mittel der Hilfe und des Schutzes eingesetzt werden . In den von mir benannten Beispielen handelt es sich um Situationen, in denen mit den entsprechenden Maßnahmen wohl das letztmögliche Mittel zum Schutz der Kinder ausgeschöpft wurde . Leider gibt es aber auch Fälle, in denen freiheitsent- ziehende Maßnahmen zu leichtfertig angewendet wer- den . In jüngerer Zeit sind einige Fälle von Einrichtungen bekannt geworden, in denen Kinder mit geistigen und seelischen Behinderungen regelmäßig freiheitsbeschrän- kenden Maßnahmen ausgesetzt wurden, obwohl mildere Maßnahmen möglich gewesen wären . Hier mangelt es vielleicht im Einzelfall am Wissen des Personals um die Bedeutung der freiheitsentziehenden Maßnahme, oder aber es ist nicht genügend Personal vorhanden, um eine Freiheitsentziehung zu vermeiden . In Gesprächen mit Experten wurde mir zudem be- richtet, dass freiheitsentziehende Maßnahmen von den betroffenen Kindern häufig als intensivere Beeinträch- tigung wahrgenommen werden als die eigentliche Un- terbringung . Das ist für mich nachvollziehbar: Während sich Kinder bei einer Unterbringung frei auf der Station bewegen können, spüren sie bei einer Fixierung durch Gurte oder beim Einschluss in einen Raum unmittelbar die fehlende Bewegungsmöglichkeit . Bislang unterliegen in Deutschland nur Unterbringun- gen von Minderjährigen, die mit einer Freiheitsentzie- hung verbunden sind, einer Genehmigung des Familien- gerichts . Für die unterbringungsähnlichen Maßnahmen sieht das Gesetz dagegen anders als das Betreuungsrecht für volljährig Betreute keine gerichtliche Genehmi- gungspflicht vor. Über diese Maßnahmen entscheiden al- lein die Eltern im Rahmen ihrer elterlichen Sorge . Das ist auch grundsätzlich richtig so . Das Verfassungsrecht legt den Vorrang der elterlichen Verantwortung fest, weil es davon ausgeht, dass die Eltern selbst am besten wissen, was gut für das eigene Kind ist . Allerdings sieht das Grundgesetz auch eine Wächter- funktion des Staates vor, die gerade in der vorliegenden Situation entscheidend ist. Die Eltern befinden sich ver- ständlicherweise in einer besonderen emotionalen Belas- tungssituation, wenn sie darüber entscheiden müssen, ob bei ihrem Kind freiheitsentziehende Maßnahmen ange- wendet werden dürfen . Nicht selten stehen sie in einem schwierigen Interessenkonflikt zwischen dem Schutz ih- res Kindes einerseits und dem Wunsch nach einer fach- gerechten Betreuung andererseits . In solchen Drucksitu- ationen werden teilweise weitreichende Einwilligungen erteilt und Empfehlungen von Ärzten und Pflegepersonal nicht immer hinterfragt . Anders als zu Hause geben die Eltern aber ihre Kontrollmöglichkeit an die Einrichtun- gen ab und müssen auf eine verhältnismäßige Anwen- dung durch das Personal vertrauen . Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir die Eltern deshalb bei dieser schwierigen Entscheidung unterstützen: Künftig sollen auch freiheitsentziehende Maßnahmen bei Kindern nur nach gerichtlicher Prüfung und Genehmigung des Familiengerichts zulässig sein . Dabei ist es der Union ein wichtiges Anliegen, dass wir das grundrechtlich geschützte Elternrecht vollumfäng- lich erhalten . Auch nach dem vorliegenden Gesetzent- wurf obliegt die Entscheidung, ob und in welcher Art und Weise eine freiheitsentziehende Maßnahme durchgeführt werden darf, daher ausschließlich den Eltern . Lehnen sie eine Maßnahme ab, darf diese daher auch künftig von dem Heim oder der Einrichtung nicht durchgeführt wer- den . Nur wenn die Eltern eine Maßnahme bejahen, soll diese zusätzlich durch das Familiengericht überprüft und genehmigt werden . Schließlich will ich noch darauf hinweisen, dass das Genehmigungserfordernis selbstverständlich nicht im el- terlichen Haushalt gilt . Ein Bedürfnis für die zusätzliche Überprüfung durch das Familiengericht besteht nur dann, wenn die Eltern ihre eigene Kontrollmöglichkeit abgege- ben haben, weil sich ihr Kind in einem Heim oder einer Einrichtung befindet. Zusammenfassend möchte ich sagen: Die Entschei- dung für oder gegen freiheitsentziehende Maßnahmen kann mitunter erhebliche Folgen für die Entwicklung des Kindes oder des Jugendlichen haben . Eltern sollten in dieser Situation, die in der Regel ohnehin schon äußerst belastend ist, nicht allein gelassen werden und sich allein auf die Einschätzung der Einrichtung verlassen müssen . Ich hoffe daher, dass wir im weiteren Verlauf des parlamentarischen Verfahrens zu einem guten Ergebnis kommen . Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Wir beraten heute in erster Lesung den Gesetzentwurf der Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722364 (A) (C) (B) (D) Bundesregierung zur Einführung eines familiengericht- lichen Genehmigungsvorbehaltes für freiheitsentziehen- de Maßnahmen bei Kindern . Mit dem Gesetzentwurf sollen bestimmte freiheitsentziehende Maßnahmen bei Minderjährigen unter den Vorbehalt der Genehmigung des Familiengerichts gestellt werden . Derzeit besteht eine solche Genehmigungspflicht nur für eine freiheits- entziehende Unterbringung in einem Heim, nicht aber für sonstige freiheitsentziehende Maßnahmen wie zum Beispiel eine Fixierung . Im Betreuungsrecht bedürfen solche Maßnahmen zum Schutz der betroffenen Erwach- senen einer gerichtlichen Genehmigung . Im Interesse des Kinderschutzes sollen daher künftig auch Maßnahmen, mit denen Kindern und Jugendlichen über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig auf nicht altersgerechte Wei- se die Freiheit entzogen werden soll – gemeint sind hier zum Beispiel Fixierungen, medikamentöse Sedierungen, Anbringen von Bettgittern –, nicht ohne gerichtliche Kontrolle zulässig sein . Das Familiengericht muss im- mer dann eingeschaltet werden, wenn sich das Kind in einem Krankenhaus, einem Heim oder einer ähnlichen Einrichtung befindet. Aus meiner Sicht ist der vorgelegte Entwurf ein wich- tiger Baustein für besseren Kinderschutz . Wir als CDU/ CSU-Bundestagsfraktion haben uns mit Nachdruck für eine gesetzliche Regelung eingesetzt, um damit auf teilweise unhaltbare Zustände in Heimen und Kranken- häusern reagieren zu können . Als ehemaliger Familien- richterin bin ich davon überzeugt, dass es allen Beteilig- ten – den Eltern, dem Heim- oder Krankenhauspersonal, aber allen voran den Kindern – hilft, wenn sich ein Rich- ter oder eine Richterin mit juristischer Fachkunde und mit professioneller Distanz prüft, ob etwas so Einschnei- dendes wie eine Freiheitsentziehung dem Kindeswohl entspricht . Sachverständige und Praktiker aus dem Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie berichten uns zum Teil von erschreckenden Verhältnissen in einzelnen Einrich- tungen . Kinder würden oftmals über längere Zeit mit mechanischen oder medikamentösen Mitteln „ruhig ge- stellt“, ohne dass es dafür einen unabweisbaren Bedarf gebe. Die betreffenden Eltern seien schlichtweg überfor- dert, im Sinne ihres Kindes sachgerechte Entscheidun- gen zu treffen. Sie befinden sich bei der Entscheidung über freiheitsentziehende Maßnahmen meist in einer besonderen Belastungssituation; sie sehen sich in einem Interessenskonflikt, weil sie einerseits die Grundrech- te ihres Kindes schützen wollen und andererseits errei- chen möchten, dass ihr Kind fachgerecht behandelt wird . In solchen Situationen werden oftmals weitreichende Vollmachten an Ärzte oder Betreuungspersonal erteilt, die in ihren Auswirkungen von den Eltern weder kon- trolliert noch hinterfragt werden können . Eltern stehen teilweise unter solchem Druck, dass sie Einwilligungen in freiheitsentziehende Maßnahmen auch erteilen, wenn sie vermieden werden könnten . Die Sachverständigen berichten zudem, dass Fixierungen von den Kindern oft- mals als einschneidender erlebt würden als zum Beispiel eine Unterbringung auf einer geschlossenen Station . Vor dem Hintergrund solcher Schilderungen müssen wir als Gesetzgeber dafür sorgen, dass Eingriffe in die Rechte des Kindes nur dann erfolgen, wenn sie geeignet, erforderlich und angemessen sind . Die Überprüfung ei- ner solchen Maßnahme durch eine unabhängige Instanz entlastet zudem die Eltern und hilft ihnen dabei, die Inte- ressen des Kindes jeweils am besten wahrzunehmen . Die Schaffung eines familiengerichtlichen Genehmigungs- vorbehaltes ist aus meiner Sicht das gebotene Mittel . Zugleich muss sich dieser Genehmigungsvorbehalt auf das notwenige Maß beschränken . Es muss zum Beispiel klar sein, dass nicht das Familiengericht einzuschalten ist, wenn ein Kind in der Kita in einen Hochstuhl ge- setzt wird . Auf solche Konstellationen hin, in denen ein Genehmigungsvorbehalt unangebracht wäre, werden wir den Gesetzentwurf in den parlamentarischen Beratungen genau prüfen . Wichtig ist uns außerdem, dass das Elternrecht ge- wahrt bleibt . In Artikel 6 Absatz 2 des Grundgesetzes ist festgeschrieben: Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ih- nen obliegende Pflicht. Dafür stehen wir als CDU und CSU ein – und das gilt auch bei diesem Gesetzentwurf . Der Entscheidungsvorrang der sorgeberechtigten Eltern bleibt in vollem Umfang gewahrt . Die Befugnis zur Ent- scheidung über den Einsatz freiheitsentziehender Maß- nahmen und die Art und Weise ihrer Anwendung liegen weiterhin bei den Eltern . Lehnen sie eine Maßnahme ab, darf sie nicht durchgeführt werden . Entscheiden sich die Eltern aber für eine freiheitsentziehende Maßnahme bei ihrem Kind, das sich in einem Krankenhaus, einem Heim oder einer anderen Einrichtung aufhält, muss das Fami- liengericht zustimmen, wenn die Maßnahme über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig in nicht altersgerech- ter Weise erfolgen soll . Das entspricht der staatlichen Wächterfunktion, die ebenfalls in Artikel 6 Absatz 2 des Grundgesetzes ihre Grundlage findet. Das Familienge- richt hat im Verhältnis zum Elternrecht keine ersetzende, sondern eine unterstützende Funktion . Der neue Geneh- migungstatbestand soll um notwendige verfahrensrecht- liche Anpassungen ergänzt werden; so soll der Min- derjährige einen Verfahrensbeistand erhalten, um seine Interessen im Verfahren zur Geltung zu bringen . Zudem soll die Höchstdauer der freiheitsentziehenden Maßnah- me von bisher zwölf auf sechs Monate verkürzt werden . Ein Wort noch zu dem Gesetzentwurf von Bünd- nis 90/Die Grünen, der heute ebenfalls in erster Lesung beraten wird: In der Zielrichtung sind wir uns mit Ihnen einig . Ich glaube allerdings, dass der Gesetzentwurf der Koalition das Problem wesentlich zielgenauer adressiert . Weil Sie keine Beschränkung auf nicht altersgerechte Maßnahmen vorsehen, müsste zum Beispiel die Kita bei jedem Kleinkind, das zum Mittagessen in den Hochstuhl gesetzt wird, zunächst das Familiengericht anrufen . Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Eine mit Freiheits- entziehung verbundene Unterbringung von Minderjähri- gen muss laut § 1631b Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) vom Familiengericht genehmigt werden . Sogenannte freiheitsbeschränkende oder unterbringungsähnliche Maßnahmen unterliegen hingegen keiner richterlichen Genehmigungspflicht. Für diese Maßnahmen ist eine Zu- stimmung der Sorgeberechtigten ausreichend . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 2017 22365 (A) (C) (B) (D) Unabhängig von der Frage, ob solche Methoden der Behandlung unabdingbar sind, ist eine neben das Eltern- recht tretende weitere Kontrollinstanz zunächst offen- sichtlich zu begrüßen, zumal die Wirkung von Fixierun- gen oder auch Sedierung bei Kindern gravierender sein kann als die Unterbringung an sich . Während bei erwachsenen Betreuten bei solchen Maßnahmen eine betreuungsgerichtliche Genehmigung einzuholen ist, ist eine solche Genehmigungspflicht nach § 1906 BGB auf das Kindschaftsrecht nicht analog an- wendbar . Legt man die entsprechenden Artikel der UN-Kinder- rechtskonvention und die UN-Behindertenrechtskonven- tion zugrunde, ist die Genehmigungspflicht bei freiheits- beschränkenden Maßnahmen von Minderjährigen nur der logische Schluss . Dies würde auch, wie es die Grünen in ihrem Gesetzentwurf betonen, die bisher unzureichende gesetzliche Regelung im Sinne einer Stärkung der Rechte von Kindern und Jugendlichen ergänzen . Das wäre ein wichtiges Signal; denn „Kinder haben besondere Bedürf- nisse hinsichtlich ihrer Förderung, ihres Schutzes, ihrer Mitbestimmung und ihrer Entwicklung . Kinder und Ju- gendliche mit Behinderungen oder psychischen Erkran- kungen haben darüber hinaus mit weiteren Barrieren zu kämpfen und erleben häufig gesellschaftliche Diskrimi- nierung . Sie sind eine besonders verletzliche Gruppe, die durch das Recht geschützt werden muss“ . Allerdings wird mit der vorgeschlagenen Regelung der Widerspruch zwischen Elternrecht einerseits und Recht des Kindes andererseits nicht aufgelöst, wie es auch in der Beschlussempfehlung des Bundesrates aufgezeigt wird . Allein den Blick auf das Genehmigungsverfahren zu lenken und damit zu suggerieren, die Situation sei ge- klärt, reicht eben nicht aus . Viel wichtiger wäre es, die entsprechenden Fachberei- che und die Jugendhilfe personell so auszustatten, dass es möglichst nicht zu genehmigungspflichtigen Maßnah- men kommt . Insbesondere die vorgelagerten Systeme der Jugendhilfe, welche unterstützen und helfen können, sind hierbei besonders zu beachten und entsprechend auszustatten . Es überrascht aber nicht wenig, dass es im Vorfeld zu diesem Gesetzentwurf, anders als sonst üblich, keine Fachdebatte mit der Jugendhilfe gab . Lediglich Ärzten wurde die Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Ge- setzentwurf gegeben, war heute in der taz zu lesen . Ich möchte insoweit nur Wolfgang Hammer und Friedhelm Peters zitieren, welche sich wie folgt geäußert haben: „Was hier als Kinderschutz gedacht ist, wird zum Einfallstor für Freiheitsentzug als pädagogischem Mittel, wo immer Eltern und Einrichtungen sich überfordert se- hen“ bzw . „Fixierungen mit Gurten auf einer Liege sind ein No-Go in der Jugendhilfe“ . Es bleibt dabei: Bei allen guten Absichten müssen der Schutz und die Rechte des Kindes stets im Vordergrund stehen . Und es ist Aufgabe der Jugendhilfe, dies zu ge- währleisten . Dafür braucht sie die entsprechende per- sonelle, fachliche und finanzielle Ausstattung. Zwangs- maßnahmen sind kein Mittel der Jugendhilfe, sondern Vertrauen und Zuwendung . Ich denke, in diesem hochsensiblen Bereich werden die Beratungen intensiv und tiefgründig unter Beteili- gung der Jugendhilfe verlaufen . Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gut, dass wir die bestehende gesetzliche Lücke beim Schutz von Kindern und Jugendlichen endlich schließen . Gut, dass wir uns an dieser Stelle einig sind und nach uns nun auch die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorgelegt hat . Der Bundesgerichtshof hat bereits 2013 den Gesetz- geber aufgefordert, zu prüfen, ob eine familiengerichtli- che Genehmigung bei freiheitsentziehenden Maßnahmen eingeführt werden sollte . Zwei Jahre später hat der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen in seinem Staatenbericht die Anwendung von Zwang und unfrei- williger Behandlung gegenüber Menschen mit Behinde- rungen in Deutschland gerügt – auch die Tatsache, dass nirgends dokumentiert wird, inwieweit Zwangsmaßnah- men angewendet werden . Wir haben für alle möglichen Dinge Statistiken, aber wir wissen nicht einmal, wo und wie oft Zwangsmaßnahmen stattfinden. Die gesetzli- che Neuregelung kommt also ziemlich spät und ist das Mindeste, was wir machen müssen, um Kinder besser zu schützen . Zimmereinschlüsse, das oftmals stundenlange Ver- weilen in Time-Out-Räumen, Fixierungen am Bett oder Spezialbetten, in denen Kinder gefangen sind – all diese Maßnahmen finden Anwendung in Einrichtungen der Be- hindertenhilfe, der Kinder- und Jugendhilfe oder in Kin- der- und Jugendpsychiatrien . Die Recherchen des Baye- rischen Rundfunks, die dann im vergangenen Jahr in dem erschütternden Beitrag Blackbox Heim veröffentlicht wur- den, haben diese Missstände sehr eindrücklich gezeigt . Anders als bei Erwachsenen, die unter Betreuung ste- hen, muss derzeit bei Kindern kein Gericht solche freiheit- beschränkenden Maßnahmen genehmigen . Das ist völlig inakzeptabel und wird schon lange von vielen Expertin- nen und Experten kritisiert . Kinder müssen mindestens den gleichen Schutz erwarten können wie Erwachsene! Das verlangen auch die UN-Behindertenrechtskonven- tion und die UN-Kinderrechtskonvention: Keinem Kind darf die Freiheit entzogen werden, und bei allen Maßnah- men muss das Wohl des Kindes Vorrang haben . Da derzeit die Zustimmung der Sorgeberechtigten ausreicht, um freiheitsbeschränkende Maßnahmen anzu- wenden, können Eltern unter immensen Druck geraten, wenn sie ihr Kind aus Mangel an ambulanten Hilfen in einer heilpädagogischen Einrichtung unterbringen müs- sen . Eine solche Entscheidung ist für Eltern ohnehin schon sehr schwerwiegend . Noch viel schmerzvoller wird sie, wenn die Einrichtung von den Eltern vorab eine pauschale Zustimmung zu freiheitsbeschränkenden Maßnahmen verlangt . Ohne Unterschrift kein Heim- platz; das kommt nicht selten vor . Eine solche Blanko- vollmacht reicht künftig nicht mehr aus . Mit der neuen gesetzlichen Regelung stärken wir also auch die Position der Eltern gegenüber den Einrichtungen . Deshalb bin ich Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 221 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 9 . März 201722366 (A) (C) (B) (D) Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de erleichtert, dass wir diese Schutzlücke nun im Sinne von Kindern und ihren Eltern schließen . Auch wenn wir grundsätzlich den Gesetzentwurf der Bundesregierung begrüßen, gibt es Kritik . Der Gesetz- entwurf sieht vor, dass im Genehmigungsverfahren frei- heitsbeschränkender Maßnahmen ein ärztliches Zeugnis ausreichend ist . Wie mehrere Fachverbände festgestellt haben, ist ein solches ärztliches Zeugnis anstelle eines Sachverständigengutachtens nicht ausreichend und birgt das Risiko, dass die gesetzliche Neuregelung ins Leere läuft . An dieser Stelle muss nachgebessert werden . Außerdem schlagen wir in unserem Gesetzentwurf vor, dass die Einrichtungen über die Anwendung von Zwangsmaßnahmen Bericht erstatten müssen . Neben den Familiengerichten können auch die Eltern einen solchen Bericht anfordern . Eine solche Dokumentation der kon- kreten Maßnahmen mit genauer Datums- und Zeitangabe sowie einer Erläuterung zur Funktion und Erforderlich- keit der Maßnahmen hat eine wichtige Kontrollfunktion . Die grundsätzliche Frage, die wir uns stellen müssen, ist jedoch: Wie lassen sich Zwangsmaßnahmen, die ja im- mer auch eine Form von Gewalt sind, die oft demütigend und erniedrigend sind, vermeiden? Es gibt ja zahlreiche alternative Ansätze und Methoden, die auf Deeskalation statt Gewalt setzen . Es ist extrem wichtig, das Mitarbei- terinnen und Mitarbeiter in Einrichtungen diese Ansätze kennen und anwenden können . Gewaltfreie Konzepte müssen in der Ausbildung vermittelt werden, und wäh- rend der Berufslaufbahn müssen regelmäßig entspre- chende Fortbildungen und Schulungen stattfinden. Außerdem müssen wir uns fragen, ob die bisherige Kontrolle von Einrichtungen durch Heimaufsichten aus- reichend ist und wie die Länder an dieser Stelle mög- licherweise unterstützt werden können . Auch für die Kontrolle ist gut geschultes und qualifiziertes Personal nötig – aber auch eine ausreichende finanzielle Ausstat- tung der zuständigen Behörden . Auf bundesrechtlicher Ebene sind wir beim Schutz von Kindern und Jugendlichen einen kleinen Schritt wei- ter . Aber die Diskussion darf an dieser Stelle auf keinen Fall enden . Christian Lange, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister der Justiz und für Verbraucherschutz: Wir bera- ten heute über den Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines familiengerichtlichen Genehmigungsvorbehalts für freiheitsentziehende Maßnahmen bei Kindern . Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht vor, freiheitsentziehende Maßnahmen bei Minderjährigen zu- künftig unter den Vorbehalt einer Genehmigung durch das Familiengericht zu stellen . Freiheitsentziehende Maß- nahmen sind Maßnahmen, die dem Betroffenen medika- mentös oder mechanisch – etwa durch Bettgitter, Gurte, Schutzanzüge oder sogenannte Time-Out-Räume – die Bewegungsfreiheit entziehen . Solche Maßnahmen wer- den in kinder- und jugendpsychiatrischen Kliniken sowie in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe und der Behindertenhilfe bisher ohne familiengerichtliche Ge- nehmigung eingesetzt, sofern die Eltern einwilligen . Bis- lang bedarf nur die Unterbringung eines Minderjährigen durch die Eltern, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, einer Genehmigung des Familiengerichts . Sollen an einem Minderjährigen dagegen weitere freiheitsentzie- hende Maßnahmen angewandt werden, genügt hierfür die Einwilligung der Eltern allein . Der Bundesgerichtshof hat in einer grundlegenden Ent- scheidung vom 7 . August 2013 klargestellt, dass die Rege- lung des Betreuungsrechts für Erwachsene, die eine solche Genehmigungspflicht vorsieht, mangels Regelungslücke auf Minderjährige nicht entsprechend angewandt werden kann . Er hat es dem Gesetzgeber überlassen, eine Rege- lung zu treffen, wenn er sie für erforderlich hält. Die Einführung der vorgesehenen Genehmigungs- pflicht ist nach Auffassung der Experten aus folgenden Gründen dringend erforderlich: Erstens werden freiheitsentziehende Maßnahmen von den Betroffenen häufig als besonders gravierend erlebt. Gerade Kinder, die häufig noch einen ausgeprägten Be- wegungsdrang haben, kommen besser damit klar, auf einer vielleicht weitläufigen geschlossenen Station unter- gebracht zu sein und sich wenigstens innerhalb derselben frei bewegen zu können, als zum Beispiel damit, fixiert zu sein . Und zweitens entlastet es auch die Eltern, wenn eine unabhängige Instanz die Verantwortung für derart einschneidende Eingriffe in das Freiheitsgrundrecht des Kindes bzw . Jugendlichen mitträgt . Denn gerade die Eltern befinden sich in einer besonderen Belastungssi- tuation, wenn sie bezüglich ihres Kindes vor die Frage gestellt sind, ob freiheitsentziehende Maßnahmen ange- wandt werden sollen . Die Einführung der Genehmigungspflicht ist in der Fachliteratur und von Verbänden schon seit längerer Zeit gefordert worden . Dementsprechend positiv wurde der Gesetzentwurf aufgenommen . Auch der Bundesrat hat den Gesetzentwurf begrüßt . Ich bitte Sie daher, den vorliegenden Gesetzentwurf zu unterstützen und damit den Kindesschutz weiter zu verbessern . Anlage 26 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Astrid Grotelüschen (CDU/ CSU) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Abgeordneten Christian Kühn (Tübin- gen), Renate Künast, Luise Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten Wohnungsmärkten bei umfassenden Modernisie- rungen (Drucksache 18/8856) (Zusatztagesord- nungspunkt 4) Astrid Grotelüschen (CDU/CSU): In der Ergebnis- liste zu der namentlichen Abstimmung ist meine Abstim- mung nicht enthalten . Mein Votum lautet: Nein . 221. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 3 Regierungserklärung zum Europäischen Rat TOP 4, ZP 3 u. 4 Kündigungsschutz für Mieter und Mietpreisbremse TOP 5 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen TOP 56, ZP 5 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 57 Abschließende Beratungen ohne Aussprache TOP 6 Wahl: Stiftung Fonds kerntechnische Entsorgung TOP 7 Effektivere und praxistauglichere Strafverfahren ZP 6 - 8 Frauen- und Gleichstellungspolitik TOP 9 Stärkung der Arzneimittelversorgung in der GKV TOP 10, ZP 9 Personalbemessung in der Altenpflege TOP 11 Datenschutzrecht TOP 8 Öffentliches Vermögen TOP 13 Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld TOP 14 Novellierung des Berufsbildungsgesetzes TOP 15 Bundeswehreinsatz EUTM Somalia TOP 12 Globale Investitionen TOP 17 Gesetz zu Regelungen der Gesichtsverhüllung TOP 18 Evaluierung der Staatsleistungen an Kirchen TOP 19 Umsetzung einer EU-Richtlinie im Städtebaurecht TOP 16 Zeit- und Kostenrahmen bei Großprojekten des Bundes TOP 20, ZP 10 Wachstumschancen der kollaborativen Wirtschaft TOP 21 Änderungen im Straßenverkehrsrecht TOP 22 Neuordnung der Klärschlammverwertung TOP 23 Carsharinggesetz TOP 24 Änderungen im Straf- und Strafprozessrecht TOP 25 Änderung des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes TOP 26 EU-Regelungen über Dienstleistungen TOP 27 EU-Richtlinie zu Netz- und Informationssystemen TOP 28 Förderung des elektronischen Identitätsnachweises TOP 30 Erhöhung der Sicherheit durch Videotechnologie TOP 31, ZP 11 Staatliche Kommunikationsinfrastruktur TOP 32 Umsetzung von EU-Richtlinien zur Arbeitsmigration TOP 33 Schädliche Steuerpraktiken bei Rechteüberlassungen TOP 34 Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes TOP 35 Recht auf Kenntnis der Abstammung bei Samenspende TOP 36 Änderung raumordnungsrechtlicher Vorschriften TOP 37 Änderung des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes TOP 38 Ärztliche Zwangsbehandlung bei Betreuten TOP 39 Reform des Bauvertragsrechts TOP 40 Strafbarkeit von Sportwettbetrug TOP 41 CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz TOP 42 Europäische Patentreform TOP 43 Bewältigung von Konzerninsolvenzen TOP 44 Bekämpfung der organisierten Kriminalität TOP 46 Trilaterale Partnerschaften in der ASEAN-Region TOP 47 Abkommen zu militärischen Hauptquartieren TOP 48 Freiheitsbeschränkende Maßnahmen gegenüber Kindern Anlagen Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10 Anlage 11 Anlage 12 Anlage 13 Anlage 14 Anlage 15 Anlage 16 Anlage 17 Anlage 18 Anlage 19 Anlage 20 Anlage 21 Anlage 22 Anlage 23 Anlage 24 Anlage 25 Anlage 26
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Thomas Lutze


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DIE LINKE.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)


    Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

    Kollegen! Sicherlich ist vieles von dem, was in der neun-
    ten Novelle drinsteht, ausdrücklich zu begrüßen . Meine
    Redezeit von drei Minuten würde auch nicht ausreichen,
    das alles aufzuzählen, geschweige denn, zu kommentie-
    ren . Das Problem ist jedoch nicht das Begrüßenswerte,
    sondern dass die meisten Sachen schlichtweg überfällig
    sind . Wir hätten vieles von dem, über das wir heute disku-
    tieren, möglicherweise schon vor zehn Jahren gebraucht,
    um auf bestimmte Marktumwälzungen zu reagieren, die
    scheinbar einfach so im luftleeren Raum geschehen sind .

    Ich nenne Ihnen ein Beispiel – der Kollege Janecek
    hat es auch schon erwähnt –: den Messengerdienst
    WhatsApp . Ihm kann man mittlerweile getrost eine Be-
    deutung zumessen, die die SMS möglicherweise vor 10
    oder 15 Jahren einmal hatte . Diese geschlossene Platt-
    form eines einzelnen Unternehmens ist gerade dabei,
    Standard für Millionen von Menschen zu werden, so wie
    es möglicherweise – wie haben es noch erlebt – die SMS
    einmal gewesen ist. Dass WhatsApp zu allem Überfluss
    auch noch von Facebook gekauft wurde, verschlimmert
    die Situation noch . Die marktbeherrschende Stellung
    wird möglicherweise auf Jahrzehnte festgeschrieben .

    Die Novelle zum GWB führt nun dazu, dass die Kar-
    tellwächter in einem solchen Fall ein Wörtchen mitzu-
    reden gehabt hätten . Aber Sie fassen das grundsätzliche
    Problem nicht an: Sobald ein digitaler Kommunikations-
    dienst eine gewisse Schwelle der Verbreitung bei Nut-
    zern überschritten hat, verbreitet er sich quasi automa-
    tisch weiter . Wenn zum Beispiel sieben, acht oder zehn
    Ihrer Freunde diese Kommunikationsplattform nutzen,
    dann entsteht für Sie dadurch ein Druck, selber auch
    dort mitzumachen, weil Sie ansonsten von dieser Art der
    Kommunikation ausgeschlossen werden .

    Da mag es zwar auch andere Angebote geben, die
    vielleicht komfortabler, technisch fortgeschrittener oder
    sicherer sind; ihre Marktchancen sind allerdings in aller
    Regel gleich null, weil es eben diese monopolistischen
    Plattformen gibt . Ein Beispiel, das man dazu anführen

    könnte: Jemand hat einen Telefonanschluss von Vo-
    dafone und könnte nicht so einfach mal mit jemandem
    telefonieren, der bei der Telekom ist . – Ich glaube, alle
    würden uns für ein bisschen verrückt halten, wenn wir
    eine solche gesetzliche Grundlage hätten . Aber in dem
    konkreten Fall dieser WhatsApp-Dienste oder des älteren
    SMS-Dienstes ist das heute leider Gottes Realität .

    Statt sich also allein auf die vorhandene Marktmacht
    bei möglichen Fusionen zu konzentrieren, hätte eine
    wirksame Reform an diesem Punkt ansetzen müssen .
    Nur wenn man den Betreiber einer marktbeherrschenden
    Kommunikationsplattform dazu zwingt, seinen Dienst
    auch für Mitbewerber zu öffnen, wie wir das im Bereich
    der Telekommunikation, also der Telefon- und Inter-
    netanbieter, bereits seit den 90er-Jahren haben, hat ein
    Konkurrent tatsächlich eine Chance, seine Produkte und
    seine Dienstleistungen anzubieten und sich zu beweisen .
    Das haben wir leider nicht, auch nicht mit Ihrer Novelle,
    und das kritisieren wir als Linksfraktion .


    (Beifall bei der LINKEN)


    Ein zweites Beispiel . Es zieht sich die Ratlosigkeit in
    der digitalen Frage wie ein roter Faden durch die No-
    velle . Dass ausgerechnet unter der Überschrift „Gesetz
    gegen Wettbewerbsbeschränkungen“ die Presseverlage
    geradezu zur Kartellbildung aufgefordert werden, ist aus
    Sicht der Linksfraktion ein schlechter Witz .


    (Martin Dörmann [SPD]: Das ist ja auch eine falsche Darstellung!)


    Natürlich stehen die Verlage im Zuge der Digitalisierung
    unter Druck . Aber keine der Maßnahmen der Bundesre-
    gierung ist dazu geeignet, die Branche wirklich langfris-
    tig zu unterstützen .


    (Martin Dörmann [SPD]: Das werde ich gleich erläutern!)


    Der vorliegende Entwurf führt zu einer weiteren Mono-
    polisierung; er führt zu Arbeitsplatzabbau und zu weni-
    ger Pressevielfalt, und das sehen wir als Linksfraktion
    sehr kritisch . Ich bin sehr gespannt auf Ihre Ausführun-
    gen; Sie werden sicherlich etwas dazu sagen . Vielleicht
    habe ich dann noch die eine oder andere Zwischenfrage
    zu dem Thema .

    Danke schön .


    (Beifall bei der LINKEN – Martin Dörmann [SPD]: Ich hoffe, ich kann Sie überzeugen! Ich stehe für jede Zwischenfrage zur Verfügung!)




Rede von Ulla Schmidt
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

Vielen Dank . – Nächster Redner für die CDU/

CSU-Fraktion ist der Kollege Hansjörg Durz .


(Beifall bei der CDU/CSU)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hansjörg Durz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)


    Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen

    und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Her-
    ren! Im Rahmen der Ordnungspolitik legt der Staat die
    grundsätzlichen Spielregeln des Wirtschaftsprozesses
    fest . Dazu gehört neben der Gewährleistung von Wettbe-

    Marcus Held






    (A) (C)



    (B) (D)


    werb auch dessen Regulierung, insbesondere durch das
    entsprechende Wettbewerbsrecht . Die Prinzipien dieser
    Ordnungspolitik Eucken’scher Prägung, wie wir sie heute
    noch denken, haben von ihrer Richtigkeit und damit auch
    an Aktualität nichts eingebüßt . Was die Vordenker jedoch
    nicht ahnen konnten, war das Ausmaß an Möglichkeiten
    und Herausforderungen, die mit den Informations- und
    Kommunikationstechnologien, wie sie sich uns heute
    bieten, verbunden sind . Wir können jeden Tag beobach-
    ten, dass die Entwicklung der Digitalwirtschaft von ei-
    ner in der Wirtschaftsgeschichte einzigartigen Dynamik
    geprägt ist . Der Vordenker der sozialen Marktwirtschaft,
    Walter Eucken, kam zu seiner Zeit zu dem Schluss, dass
    der technische Fortschritt das Element der Konkurrenz
    verstärkt, Marktmacht reduziert und damit den Konsu-
    menten dient. Aber trifft diese Annahme auch in Zeiten
    der Digitalisierung heute noch uneingeschränkt zu?

    Fragen wie diese, die auch von der Monopolkommis-
    sion in ihrem lesenswerten Sondergutachten aus dem
    Jahr 2015 detailliert beleuchtet wurden, waren der Aus-
    gangspunkt der GWB-Novelle . Wir müssen uns fragen:
    Ist der Ordnungsrahmen unseres Wirtschaftssystems den
    Herausforderungen der Digitalisierung gewachsen? Wir
    haben es in mehreren Reden bereits thematisiert . Hier
    spielt die Frage des Wettbewerbsrechts eine zentrale Rol-
    le .

    Der Wettbewerbsrechtsrahmen in Deutschland wie
    in der Europäischen Union hat sich in den vergangenen
    Jahrzehnten bewährt . Das bestehende Instrumentari-
    um ist auch grundsätzlich geeignet, heute und morgen
    Wettbewerbsverstößen zu begegnen . Dennoch ist es er-
    forderlich, auf Besonderheiten der digitalen Märkte zu
    reagieren. Die, wie ich finde, richtigen Antworten geben
    wir heute mit der Verabschiedung der neunten GWB-No-
    velle .

    Die Novelle ist ein gutes Beispiel dafür, wie der Ge-
    setzgeber durch die bewusste und vor allem auch behut-
    same Gestaltung des ordnungspolitischen Rahmens den
    mit der Digitalisierung verbundenen Strukturwandel
    fördert, gestaltet und damit auch zur Grundlage gesell-
    schaftlichen Wohlstands machen kann .

    An welchen Stellen passen wir das Kartellrecht nun an
    die Bedingungen der Digitalisierung an? Ich möchte drei
    Punkte herausgreifen .

    Erstens . Wir haben beobachtet, dass es in der Vergan-
    genheit zur Übernahme von jungen Unternehmen durch
    große Konzerne kam, ohne dass beispielsweise das Kar-
    tellamt die Fälle einer Überprüfung hätte unterziehen
    können . Meist geht es um innovative Geschäftsideen mit
    einem hohen wettbewerblichen Marktpotenzial, die je-
    doch bislang nicht zu nennenswerten Umsätzen geführt
    haben . Die Beispiele Facebook und WhatsApp sind zwar
    keine deutschen Beispiele, sind aber mehrfach erwähnt
    worden . An diesen Beispielen wird deutlich, dass wir das
    Problem am besten durch die Einführung eines neuen und
    zusätzlichen Aufgreifkriteriums für die Fusionskontrolle
    lösen. Wir schaffen neben den Umsatzschwellen durch
    die Einführung des Transaktionswertes ein zusätzliches
    Merkmal . Wenn der Transaktionswert 400 Millionen
    Euro übersteigt, kann das Bundeskartellamt Zusammen-

    schlüsse auch dann prüfen, wenn der Umsatz der Unter-
    nehmen unterhalb der relevanten Schwelle liegt . Damit
    stärken wir das Instrumentarium der Wettbewerbsbehör-
    de dafür, Konzentrationstendenzen gegebenenfalls früh-
    zeitig entgegenwirken zu können .

    Wir haben dabei eine ausgewogene Regelung gefun-
    den . Die Höhe wurde im parlamentarischen Verfahren
    ausgiebig diskutiert . Zuerst wurde befürchtet, dass die
    Gründerszene eventuelle Nachteile davontragen könnte .
    Aber dies ist nach meiner Überzeugung nicht der Fall .
    Wir haben den Transaktionswert mit 400 Millionen Euro
    großzügig bemessen und gleichzeitig eine erhebliche
    Inlandstätigkeit des zu erwerbenden Unternehmens in
    Deutschland festgeschrieben . Beide Kriterien sind dazu
    geeignet, jene Fälle zu erfassen, deren Zusammenschlüs-
    se auch eine gewisse Relevanz für den Markt abbilden .
    Dadurch wird gewährleistet, dass auch wirklich nur der
    Kauf von großen Start-ups unter die Kontrolle fallen
    wird . Das kommt auch der Start-up-Szene zugute, näm-
    lich dadurch, dass diese für die Zukunft vor übermächti-
    ger Konkurrenz geschützt wird .

    Zweitens . Auch bei der Erbringung unentgeltlicher
    Leistungen können Unternehmen eine starke Markt-
    stellung erreichen . Beispiele sind Hotelbuchungs-, Da-
    ting- oder Immobilienplattformen . In all diesen Fällen
    können wir beobachten, dass sich auch unentgeltliche
    Austauschbeziehungen, beispielsweise zwischen Nut-
    zer und Plattform, zu einem kartellrechtlich relevanten
    Markt entwickeln können . Und diese Märkte sollten der
    Missbrauchs- und Fusionskontrolle der Kartellbehörde
    grundsätzlich zugänglich sein . Genau das stellen wir nun
    auch im GWB klar, indem wir festschreiben, dass der
    Annahme eines Marktes nicht entgegensteht, dass eine
    Leistung unentgeltlich erbracht wird . Durch diese Ergän-
    zung ist klar: Auch im Falle einer unentgeltlichen Leis-
    tungsbeziehung kann ein Markt vorliegen und damit das
    Kartellrecht grundsätzlich Anwendung finden.

    Drittens . Im Zuge der Digitalisierung entwickeln sich
    zunehmend sogenannte mehrseitige Märkte, beispiels-
    weise E-Commerce-Plattformen, Betriebssysteme, Kre-
    ditkartensysteme oder auch App Stores . Sie alle eint die
    Existenz einer Plattform, die zwischen verschiedenen
    Nutzern vermittelt, im Falle der E-Commerce-Plattfor-
    men etwa zwischen Händler und Konsumenten oder im
    Falle von App Stores zwischen den Entwicklern und den
    Endgerätenutzern . Auf diesen Märkten beobachten wir
    das Phänomen der sogenannten Netzwerkeffekte. Diese
    treten nicht nur, aber besonders häufig bei digitalen Platt-
    formen zutage. Indirekte Netzwerkeffekte entstehen etwa
    auf Auktionsplattformen . Diese sind für Verkäufer umso
    attraktiver, je mehr Käufer die Plattform nutzen, und an-
    dersherum . Jede Nutzergruppe wird also indirekt von der
    Entscheidung aller anderen begünstigt, auf der Plattform
    aktiv zu sein. Gerade diese Effekte sind dazu geeignet,
    eine Monopolbildung zu befördern .

    Um dieser Realität besser gerecht werden zu können,
    fügen wir im GWB Kriterien zur Beurteilung von Markt-
    macht neu hinzu, um die Besonderheit von mehrseitigen
    Märkten besonders und besser erfassen zu können . Zu-
    künftig wird das Bundeskartellamt bei seiner Bewertung
    der Marktstellung eines Unternehmens genau diese Zu-

    Hansjörg Durz






    (A) (C)



    (B) (D)


    sammenhänge berücksichtigen und genau analysieren
    können. Die hier beschriebenen Netzwerkeffekte können
    also als Markteintrittsbarriere wirken und damit zu ei-
    ner Gefährdung des Wettbewerbs führen . Die Betonung
    liegt dabei auf „können“ . Eine endgültige Aussage wird
    auch weiterhin von einer Reihe anderer Faktoren abhän-
    gig sein . Um es deutlich zu sagen: Es wird deshalb auch
    in Zukunft auf die Prüfung des Einzelfalls ankommen .
    Damit sind keine Vorfestlegungen verbunden . Im Gegen-
    teil: Während das Vorliegen von indirekten Netzwerkef-
    fekten wirtschaftliche Konzentration fördern kann, kann
    von anderen Eigenschaften digitaler Märkte eine entge-
    gengesetzte Wirkung ausgehen . Wenn zum Beispiel ohne
    größeren Aufwand mehrere Plattformen parallel genutzt
    werden können, wird einer Monopolisierungstendenz
    durch die Möglichkeit der Digitalisierung durch die Kon-
    kurrenz genau entgegengewirkt .

    Meine sehr geehrten Damen und Herren, Digitali-
    sierung und Vernetzung durch das Internet können ei-
    nerseits die Wettbewerbsintensität auf Märkten deutlich
    erhöhen – hier ist Eucken aktueller denn je –; anderer-
    seits können zunehmende Größe und Marktbedeutung
    einzelner digitaler Plattformen das Risiko des Markt-
    missbrauchs in Bezug auf Wertschöpfungsketten för-
    dern, und sie können aufgrund von Netzwerkeffekten
    zu Monopolen tendieren . Walter Eucken kam vor dem
    Hintergrund der technologischen Entwicklung seiner
    Zeit zu dem Schluss, dass technologischer Fortschritt den
    Wettbewerb intensiviert . Die Möglichkeiten der Informa-
    tions- und Kommunikationstechnologie, wie sie sich uns
    heute zeigen, konnte er dabei nicht im Auge haben . Wir
    dagegen können die richtigen Maßnahmen ergreifen, um
    dem sich zeigenden Spannungsfeld besser, schneller und
    effektiver gerecht zu werden. Aus diesem Grund stärken
    wir mit der GWB-Novelle die Arbeit der Wettbewerbs-
    behörden .

    Gerade im digitalen Zeitalter benötigt fairer Wettbe-
    werb auch ein zeitgemäßes Wettbewerbs- und Kartell-
    recht zur effektiven Kontrolle und damit zur effektiven
    Sicherstellung von Wettbewerb . Die Grundlage dazu
    schaffen wir heute. Wir werden uns aber in Zukunft wie-
    der mit der Thematik beschäftigen müssen und das Wett-
    bewerbsrecht an die Entwicklungen der digitalen Märkte
    anpassen .

    Ich darf mich ganz herzlich für Ihre Aufmerksamkeit
    bedanken .


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)