Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Ihnenmitteilen, dass es eine interfraktionelle Vereinbarung gibt,die Unterrichtung der Bundesregierung zur Stellungnah-me des Bundesrates auf der Drucksache 18/11141 zudem bereits überwiesenen Entwurf eines Gesetzes zurNeuregelung des Rechts zur Sicherstellung der Ernäh-rung in einer Versorgungskrise an den federführendenAusschuss für Ernährung und Landwirtschaft sowie zurMitberatung an den Innenausschuss und den Ausschussfür Recht und Verbraucherschutz zu überweisen . – Ichvermute, dass Sie damit einverstanden sind . Jedenfallssieht es ganz danach aus . Dann ist das so beschlossen .Wir kommen jetzt zu unserem ersten Tagesordnungs-punkt, dem Tagesordnungspunkt 1:Befragung der BundesregierungDie Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-binettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes zurVerbesserung der Leistungen bei Renten wegen ver-minderter Erwerbsfähigkeit und zur Änderung ande-rer Gesetze.Dazu erhält nun die zuständige Bundesministerin fürArbeit und Soziales das Wort zu einer einleitenden Erläu-terung . – Bitte schön, Frau Nahles .Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-ziales:Vielen Dank, Herr Präsident . – Liebe Kolleginnen undKollegen! Jedes Jahr kommen 170 000 Menschen neu inErwerbsminderungsrente . Warum? Weil sie krank sind .Wir können dazu nur Folgendes sagen: Wir müssen – dasist die Kernaufgabe unseres Sozialstaates – die Solidari-tät der Versichertengemeinschaft wirklich wirken lassen .Denn diese 170 000 Menschen können ihren Lebensun-terhalt aus eigener Kraft nicht mehr wirklich verbessern .Diese Gruppe ist auch besonders armutsgefährdet . Fastjede bzw . fast jeder siebte Erwerbsgeminderte ist aufzusätzliche Leistungen der Grundsicherung im Alterund bei Erwerbsminderung angewiesen, während es nur3 Prozent der Altersrentner sind .Das Versprechen der gesetzlichen Rentenversiche-rung ist es aber, die Risiken des Lebens wie Alter, Er-werbsminderung und Tod des Ehepartners abzusichern,und zwar auskömmlich . Dafür zahlen die Menschen ein,und darauf müssen sie sich dann auch verlassen können .Mir ist bewusst, dass wir damit in der gesetzlichen Rentenoch ein Leistungsspektrum haben, das es in vielen an-deren Ländern entweder nie gab oder in solch einer gutenForm nicht mehr gibt . In der privaten Versicherungsweltmüssten Sie, um das Erwerbsminderungsrisiko abzusi-chern, sehr viel Geld in die Hand nehmen und zusätzli-che Prämien zahlen . Das ist extrem teuer . Insoweit ist dasnicht der Weg, den wir hier empfehlen können .Deshalb freue ich mich sehr darüber, dass wir es indieser Legislatur gleich zweimal geschafft haben, diegesetzlichen Rentenleistungen im Falle der Erwerbsmin-derung zu verbessern . Mit dem Rentenpaket 2014 wur-de die Zurechnungszeit von 60 auf 62 Jahre angehoben .Heute gehen wir noch einen entscheidenden Schritt wei-ter und heben sie von 62 auf 65 Jahre an . Wir haben imKabinett beschlossen, dass wir die Zurechnungszeit imFalle der Erwerbsminderung stufenweise um weitere dreiJahre anheben. Die Betroffenen werden also langfristigso gestellt, als hätten sie bis zum 65 . Lebensjahr durch-gearbeitet, was sie aufgrund ihrer Erwerbsminderung inWahrheit gar nicht können .Nachdem wir also schon mit dem Rentenpaket 2014spürbar die Renten erhöht haben, nämlich um durch-schnittlich 5 Prozent, erhöhen wir die Erwerbsminde-rungsrenten für die Zukunft noch einmal deutlich . Wirerwarten dadurch eine Steigerung der durchschnittlichgezahlten Erwerbsminderungsrenten um weitere rund7 Prozent – also nach Abschluss dieser stufenweisen An-passung bis 2024 . Genau das nenne ich Solidarität .Wir haben hier oft Menschen vor uns, die sich lange inkörperlich oder psychisch belastender Arbeit aufgeriebenhaben, bis es nicht mehr ging, oder die ein Unfall odereine schwere Krankheit aus der Erwerbstätigkeit gerissenhat . An den Verdienst des Lebensunterhalts aus eigenerKraft ist dann leider nicht mehr zu denken . Genau fürsolche Fälle muss die Gemeinschaft stark sein und auch
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eintreten . Das ist meine feste Überzeugung – und nichtnur meine .Mit dieser Verbesserung stehen wir in seltener Ein-tracht mit Sozialverbänden, Gewerkschaften und auchArbeitgebern; diese haben die Regelung als richtigenSchritt begrüßt . Das hätte ich mir bei manch anderemGesetz auch gewünscht . Aber es ist ja schön, dass wirdiese Eintracht bei diesem Thema in den Anhörungenzum Gesetzentwurf wirklich so hatten . Die Zustimmungwar ungewöhnlich breit .Eine Kette ist immer nur so stark wie ihr schwächstesGlied . Das ist mit unserer Gesellschaft nicht anders . Esist deshalb richtig und wichtig, auch erwerbsgeminder-ten Menschen unter die Arme zu greifen, um gemeinsamstark zu sein .Vielen Dank .
Wir bedanken uns auch . – Jetzt kommen die Nachfra-
gen . Wir beginnen mit der Kollegin Gabriele Schmidt .
Vielen Dank . – Frau Ministerin, Sie haben gleich zu
Beginn gesagt, dass pro Jahr 170 000 Menschen betrof-
fen sind . Ich würde gerne wissen, ob alle von den von Ih-
nen geschilderten Verbesserungen profitieren, und wenn
nicht, wie viele .
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-
ziales:
In Deutschland nehmen derzeit insgesamt 1,8 Mil-
lionen Menschen eine Erwerbsminderungsrente in An-
spruch . Ich will Ihnen nur einmal diese Dimension
nennen; es sind gar nicht so wenige, wie man vielleicht
denkt . Wir haben insgesamt 20 Millionen Rentnerin-
nen und Rentner und 1,8 Millionen Erwerbsgeminderte .
170 000 kamen in den letzten zehn Jahren pro Jahr hinzu;
das ist ein Durchschnittswert . Erwerbsminderung kann
ja durch Unfall oder Krankheit eintreten, was niemand
vorhersehen kann. Von der Neuregelung profitieren dann
alle; das ist klar . Alle diejenigen, die neu hinzukommen,
werden ab dem 1 . Januar 2018 – das wird dann bis 2024
stufenweise aufgebaut – davon profitieren.
Kollege Birkwald .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Frau Ministerin, vielen
Dank für Ihren Bericht . Sie haben ja eben gesagt, bereits
durch das Rentenpaket I sei die Erwerbsminderungsren-
te spürbar erhöht worden – das stimmt –, und zwar von
664 Euro auf 717 Euro; das sind 53 Euro mehr . Das ist
wohl wahr . Dennoch – das haben Sie im Prinzip selbst
dargelegt – liegt der durchschnittliche Zahlbetrag bei der
vollen Erwerbsminderungsrente immer noch 52 Euro un-
ter der Grundsicherungsschwelle bei Erwerbsminderung,
die derzeit bei 769 Euro liegt .
Sie haben jetzt dargestellt, dass Sie die Zurechnungs-
zeiten anheben . Das wird aber erst ab 2018 geschehen,
und dann geht es um einen Betrag von 4,50 Euro . Das
ist meiner Meinung nach viel zu wenig . Sie haben ja vor,
die Angleichung in sieben Schritten zu vollziehen, sodass
nur Neurentnerinnen und Neurentner ab dem Jahr 2024
50 Euro mehr haben werden . Ich sage: Das funktioniert
nicht . Deswegen ist ja auch der Anteil der Grundsiche-
rungsfälle bei Erwerbsminderung mit Rentenbezug von
14,7 auf 15,4 Prozent angestiegen, bei Männern sogar
von 16,9 auf 18 Prozent .
Meine Frage: Wäre es nicht viel sinnvoller, die Zu-
rechnungszeiten in einem Schritt und sofort auf 65 anzu-
heben, darüber hinaus die unsinnigen Abschläge von im
Schnitt 10,8 Prozent abzuschaffen – denn niemand wird
freiwillig krank – und dies auch für Bestandsrentnerin-
nen und Bestandsrentner zu tun?
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-
ziales:
Das sind zwar zwei Fragen, aber gut. Ich hoffe, ich
bekomme auch entsprechend Zeit für zwei Antworten .
Na ja, er hat nicht die doppelte Zeit in Anspruch ge-nommen . Aber den gleichen Zuschlag räume ich ein .Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-ziales:Okay . – Zur ersten Frage: Die Beträge, die Sie genannthaben, kann ich nicht ganz bestätigen . Nach unseren Er-kenntnissen ist der durchschnittliche Zahlbetrag für Ren-ten wegen voller Erwerbsminderung von über 700 Euroam Anfang des Jahrtausends sogar bis 2011 auf 634 Eurozurückgegangen . Danach stieg er wieder leicht an . Abererst durch die Verbesserungen im Rahmen des Renten-pakets 2014 wurde der Betrag im Jahr 2015 um durch-schnittlich fast 50 Euro auf 711 Euro angehoben .Mit dem, was wir jetzt vorlegen, können wir insge-samt noch einmal eine deutliche Steigerung erreichen .Sie erfolgt in mehreren Schritten, da haben Sie recht .Das erfolgt schrittweise, um die Beitragszahlerinnen undBeitragszahler auf der anderen Seite nicht völlig aus demAuge zu verlieren. Es hat außerdem fiskalische Gründe,dass wir das stufenweise machen . Nichtsdestotrotz han-delt es sich um eine deutliche Verbesserung . Das ist ausmeiner Sicht auch gerechtfertigt, weil man die Interessensowohl der Betroffenen als auch der Beitragszahlerinnenund Beitragszahler im Auge haben sollte .Was die Abschaffung der Abschläge angeht: Das leh-nen wir ab . Die Abschläge bei Erwerbsminderungsren-ten stellen sicher, dass Altersrenten und Erwerbsminde-rungsrenten hinsichtlich der längeren Rentenlaufzeitengrundsätzlich nicht unterschiedlich behandelt werden .Man kann nicht bei dem einen Abschläge vornehmen, beidem anderen nicht . Deswegen haben wir einen anderenWeg gewählt, um die Situation der Erwerbsgemindertenzu verbessern, nämlich die Verlängerung der Zurech-nungszeiten .Bundesministerin Andrea Nahles
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Die nächste Frage hat Frau Griese .
Frau Ministerin, wir haben heute im Ausschuss von
der neuen weiblichen Spitze der Deutschen Rentenver-
sicherung eine sicherlich sehr auffällige Zahl gehört,
nämlich dass weniger als die Hälfte derjenigen, die in Er-
werbsminderungsrente gehen, vorher eine Reha gemacht
haben . Deshalb möchte ich das gerne einmal in den Ge-
samtzusammenhang stellen, auch zu dem 2014er-Ren-
tenpaket, und Sie fragen: Wie zielgenau kann man Al-
tersarmut bekämpfen, und warum haben Sie sich gerade
diese Gruppe vorgenommen? Sicherlich ist es auch aus
der Erkenntnis der genannten Zahl heraus wichtig, dafür
zu sorgen, dass noch mehr Leute früher zu Rehaleistun-
gen kommen .
Die Frage ist also: Wirkt sich das, was Sie heute in
diesem Gesetzentwurf vorschlagen, genau bei der Grup-
pe aus, die am meisten von Altersarmut bedroht ist?
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-
ziales:
Im Durchschnitt sind insgesamt 3 Prozent der Alters-
rentner in der Grundsicherung . Bei den Erwerbsgemin-
derten sind es 15 Prozent . Und Sie haben eben gehört,
wie die Auszahlbeträge sind . Das ist ja nicht gerade viel,
um es einmal vorsichtig auszudrücken . Es handelt sich
also tatsächlich um eine Gruppe, die man auch aus der
Statistik heraus genau identifizieren kann: 15 Prozent der
Erwerbsgeminderten brauchen aufstockende Leistungen
durch die Grundsicherung; bei den Altersrentnern sind es
nur 3 Prozent .
Deswegen muss ich ganz ehrlich sagen: Es ist evident,
dass wir eine Gruppe, die wir klar als von Altersarmut
am meisten betroffene identifizieren können, mit diesem
Gesetz besserstellen .
Frau Müller-Gemmeke .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Sehr geehrte Frau Mi-
nisterin, die Zahl psychischer Erkrankungen nimmt be-
kanntlich zu . Sie sind mittlerweile mit über 40 Prozent
die häufigste Ursache, dass Menschen in die Erwerbs-
minderungsrente gehen müssen . Wir betrachten diese
Entwicklung als sehr problematisch und sehen da ganz
eindeutig Handlungsbedarf . Von daher ist meine Frage:
Wann bringen Sie endlich eine Verordnung auf den Weg,
die sich mit psychischen Belastungen beschäftigt, damit
die Betriebe endlich ein Werkzeug in die Hand bekom-
men, um psychische Belastungen frühzeitig identifizie-
ren und damit auch verhindern zu können? Zahlen, Studi-
en etc ., auch von den Krankenkassen, gibt es genügend .
Ich weiß auch, dass Schwarz-Gelb eine Untersuchung
bei der BAuA auf den Weg gebracht hat . Sie soll aber
erst 2018 fertig sein und vorliegen . Von daher noch ein-
mal die Frage: Wann werden Sie in dieser Sache endlich
tätig? – Dies ist ja dringend notwendig .
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-
ziales:
Ich stimme Ihnen voll und ganz zu, dass das ein be-
sorgniserregendes Phänomen ist . In den letzten zehn
Jahren gab es eine Verdopplung der Zahl ausgefallener
Arbeitstage aufgrund psychischer Erkrankung . Das ist
volkswirtschaftlich ein riesiges Problem und stellt auch
eine Belastung für die Sozialkassen dar, aber vor allem
auch für die Menschen selbst . Das ist also gar keine Fra-
ge .
Wir haben diesbezüglich bereits Änderungen in der
Arbeitsstättenverordnung vorgenommen – das ist ein
langwieriger Diskussionsprozess gewesen . Darin haben
wir zum ersten Mal in der Geschichte verankert, dass wir
psychische Belastungen in den Betrieben bei der Gefähr-
dungsbeurteilung verpflichtend mitberücksichtigen. Bis-
her war das fakultativ . Nur circa 11 Prozent derjenigen,
die eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt haben,
haben sich mit dem Thema „psychische Belastungen“
beschäftigt und es in die Beurteilung aufgenommen . Das
haben wir jetzt verpflichtend gemacht. Insoweit haben
wir durch die Arbeitsstättenverordnung, die vor einigen
Monaten in Kraft getreten ist, an dieser Stelle jetzt schon
etwas auf der Habenseite . Das ist die eine Sache .
Die zweite Sache ist, dass wir darüber hinaus dem-
nächst eine große Studie von der BAuA, der Bundes-
anstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, die noch
meine Vorgängerin, Frau Dr . von der Leyen, auf den Weg
gebracht hat, erhalten werden . Sie wird uns darin wis-
senschaftlich basierte Vorschläge machen, wie man Be-
lastungen tatsächlich vermeiden oder einschränken kann .
Dann werden Sie auch in dieser Sache wieder von mir
hören .
Antje Lezius .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Vielen Dank, FrauMinisterin, für die kurze Einführung . Es freut mich, zuhören, dass es bei den Anhörungen zu diesem Gesetzent-wurf eine breite Zustimmung gab .Sie sprachen davon, dass insgesamt circa170 000 Menschen jährlich neu betroffen sind und dassjeder siebte Erwerbsgeminderte auf zusätzliche Leistun-gen angewiesen ist . Meine Frage ist: Wird es auch hierbreite Zustimmung geben, und wie, denken Sie, werdendiese Verbesserungen finanziert?Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-ziales:Vielen Dank für die Frage . – Ich muss mich korrigie-ren: Ich habe eben gesagt, dass 3 Prozent der Altersrent-ner aufstocken . Es sind 2,5 Prozent, also noch etwas we-niger . Im Vergleich zeigt sich der Unterschied dann aber
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noch deutlicher: 15 Prozent der Erwerbsgeminderten und2,5 Prozent der normalen Altersrentner stocken auf .Wenn wir diese Verbesserungen jetzt vornehmen,dann bedeutet das, dass wir natürlich auch Geld in dieHand nehmen müssen . Bis zum Ende der mittelfristigenFinanzplanung im Jahre 2021 steigen die Mehrausgabenauf 140 Millionen Euro . Durch den sich im Zeitverlaufaufbauenden Rentenbestand mit verbesserten Leistungensteigen die Mehrausgaben langfristig, und zwar auf rund1,5 Milliarden Euro im Jahre 2030 . Das ist ungefähr dieSumme, um die es geht . Diese wird aber ausschließlichaus Beiträgen finanziert; darüber gab es auch nie eineDiskussion . Warum nicht? Weil das sachgemäß ist . DieErwerbsminderungsrente ist eine Kernaufgabe des ge-setzlichen Rentensystems in Deutschland und muss des-wegen auch aus Beiträgen aufgebracht werden .
Markus Kurth .
Frau Ministerin, natürlich geht der Gesetzentwurf
auch aus Sicht unserer Fraktion in die richtige Richtung .
Dass Sie das aber aus fiskalischen Gründen auf diese sie-
ben Schritte strecken, finde ich bedenklich.
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-
ziales:
Sieben Schritte sind es bei der Ost-West-Rentenan-
gleichung . So kommt man bei den ganzen Gesetzen hier
langsam durcheinander, Herr Kurth .
Dazu sage ich gleich auch noch einmal etwas .
Angesichts der hohen Ausgaben, zu denen andere Be-
standteile des Rentenpakets ab 2014 geführt haben,
finde ich das schon bedenklich, gerade wenn man vom
schwächsten Glied spricht .
In diesem Zusammenhang muss ich noch einmal bei
den Abschlägen nachhaken . Sie sagen, man könne nicht
von den einen Abschläge verlangen und von den anderen
nicht . Stimmen Sie mir zu, dass Abschläge bei Renten-
zugängen, die aus rein medizinischen Gründen erfolgen,
anders zu bewerten sind als Abschläge, die ein gesunder
Arbeitnehmer oder eine gesunde Arbeitnehmerin in Kauf
nehmen muss? Bei den einen geht es um einen bestimm-
ten Anreizeffekt, und die anderen können es sich eben
nicht aussuchen, ob sie in Rente gehen oder nicht . Von
daher ist es aus meiner Sicht systematisch gerechtfer-
tigt – stimmen Sie mir auch da zu? –, Zugänge von Er-
werbsminderungsrentnerinnen und -rentnern hier anders
zu behandeln als Regelaltersrentner .
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-
ziales:
Herr Kurth, dem Umstand, dass der Renteneintritt auf-
grund einer Erwerbsminderung nicht freiwillig erfolgt,
weil es, wie Sie ja beschrieben haben, gesundheitliche
Gründe dafür gibt, wird bei den Abschlägen auch Rech-
nung getragen . Die Abschläge bei Erwerbsminderungs-
renten sind in der Regel deutlich niedriger als bei vor-
zeitigen Altersrenten, sie betragen maximal 10,8 Prozent .
Das heißt, wir haben das im System bereits berücksich-
tigt . Ich kann also dieses Argument verstehen, aber das
ist auch schon mitbedacht .
Wir wählen hier aber grundsätzlich eine andere Logik:
Im Durchschnitt gehen Erwerbsgeminderte zurzeit mit
50 Jahren, also in sehr jungen Jahren, in die Erwerbsmin-
derungsrente . Wir unterstellen mit diesem Gesetzentwurf
jetzt, dass sie bis 65 Jahre gearbeitet haben,
und behandeln sie damit an dieser Stelle genauso wie
andere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer . Und dann
zu sagen: „Die einen müssen aber Abschläge hinnehmen
und die anderen nicht“, finde ich aus sich heraus nicht
akzeptabel; denn wir berücksichtigen den Umstand, den
Sie gerade genannt haben, durch niedrigere Abschläge
sehr wohl .
Peter Weiß .
Frau Bundesministerin, da Sie in Ihrer Antwort auf
die Frage des Kollegen Kurth keine Gelegenheit hatten,
die Stufen noch einmal darzulegen, ist meine Bitte, den
Ausbau der Zurechnungszeit, die in Stufen auf das Alter
von 65 Jahren verlängert wird, darzustellen . Es wäre gut,
zu erfahren: In welchen Jahren erhöhen wir in welchen
Stufen die Zurechnungszeit in welchem Zeitraum?
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-
ziales:
Die Anhebung der Zurechnungszeit beginnt für alle
Rentenneuzugänge ab dem Jahr 2018 . Das Ganze beginnt
also ab dem 1 . Januar 2018 . Die Anhebung erfolgt dabei
um jeweils drei Monate in den Jahren 2018 und 2019 .
Das heißt, sie fängt sofort an . Anschließend erfolgt je Ka-
lenderjahr eine Anhebung der Zurechnungszeit um sechs
Monate . Bei einem Rentenbeginn ab dem Jahr 2024 wird
das Ende der Zurechnungszeit auf die Vollendung des
65 . Lebensjahres angehoben sein . Das heißt: Wir haben
hier sechs Stufen, die aber noch einmal in Dreimonats-
schritte und Sechsmonatsschritte, also in kleinere Schrit-
te, unterteilt sind .
Kollege Rosemann .Bundesministerin Andrea Nahles
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Frau Ministerin, könnten Sie vielleicht noch einmal
ganz allgemein sagen, wie sich die Anhebung der Zu-
rechnungszeiten ganz grundsätzlich auswirkt und warum
gerade das das bevorzugte Mittel ist, um Erwerbsminde-
rungsrentnerinnen und -rentner besserzustellen und die
Armutsgefährdung in diesem Bereich zu reduzieren?
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-
ziales:
Ich meine, Herr Rosemann, Sie und fast alle bekom-
men von der gesetzlichen Rentenversicherung jedes Jahr
ein Schreiben, in dem das aktuelle Rentenkonto darge-
stellt wird . Wenn sie sich dieses Schreiben im Alter von
50 Jahren einmal anschauen – das ist der durchschnitt-
liche Zeitpunkt für den Eintritt in eine Erwerbsminde-
rungsrente –, dann werden sie dort relativ geringe Be-
träge sehen . Es ist nämlich schlicht und ergreifend nicht
ausreichend Zeit gewesen, um eine hohe Rente zu be-
kommen . Wir unterstellen immer einen Standardrent-
ner mit 45 Beitragsjahren . Wenn sie eben nur 30 Jahre
haben, ergibt das keine gute Rente . Viele Menschen in
Deutschland erschrecken, wenn sie dieses Schreiben von
der Rentenversicherung bekommen .
Deswegen ist es an sich absolut fair und logisch, zu
sagen: Wir unterstellen einfach, dass diese Menschen mit
ihrem üblichen Durchschnittsgehalt bis zum Alter von
65 Jahren gearbeitet haben – was sie nicht konnten, weil
sie krank geworden sind . Das halte ich für einen fairen
Umgang, weil wir auch von allen anderen erwarten, dass
sie bis zum Alter von mindestens 65 Jahren arbeiten . Das
ist selbst in der Endausbaustufe bei der Rente mit 63 Jah-
ren der Fall, wo wir die Altersgrenze langsam auf 65 Jah-
re aufwachsen lassen . Aus meiner Sicht ist das also der
fairste Vorschlag, den wir machen konnten .
Insgesamt bewegen wir damit innerhalb des beitrags-
finanzierten Rentensystems Milliarden zugunsten der
Erwerbsgeminderten . Das ist auch sachgerecht . Ehrlich
gesagt, ob am Ende aufgestockt wird oder ob es am Ende
die Beitragsgemeinschaft zahlt: Kosten tut es uns auf je-
den Fall .
Frau Ministerin .
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-
ziales:
Entweder haben die Menschen so geringe Renten,
dass sie aufstocken müssen, oder es muss an anderer
Stelle über Beiträge finanziert werden.
Frau Voßbeck-Kayser .
Frau Bundesministerin, es waren an der Erarbeitung
des vorliegenden Gesetzentwurfes verschiedene Verbän-
de beteiligt . Können Sie einmal ausführen, wie die Sozi-
alverbände, die Arbeitgeberverbände und die, die sonst
noch beteiligt waren, auf diesen Gesetzentwurf reagiert
haben?
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-
ziales:
Es gibt weitergehende Vorstellungen, das wundert
nicht . Einige davon haben wir heute schon gehört . Die
Sozialverbände haben gefordert, Abschlagsfreiheit zu
organisieren; das ist beispielsweise auch eine Forderung
des DGB . Das will ich nicht verhehlen . Ich muss Ihnen
aber auch sagen, dass ich mich aus grundsätzlichen und
von mir hier vorgetragenen Gründen dagegen entschie-
den habe .
Insgesamt haben aber alle ausnahmslos gesagt: Das
ist eine deutliche Verbesserung, und zwar genau für die
Gruppe, die es am dringendsten braucht . Insoweit war
unter dem Strich die Zustimmung zu dem Gesetz einhel-
lig .
Bernd Rützel .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Frau Ministerin, kön-
nen Sie etwas über die Höhe der Erwerbsminderungs-
renten nach Abschluss der stufenweisen Anpassung
aussagen, die Sie gerade skizziert haben? Sie haben
ja Durchschnittswerte genannt . Weiß man, wie die Er-
werbsminderungsrenten dann ausfallen werden?
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-
ziales:
Herr Rützel, es ist wirklich besser, man arbeitet hier
mit Prozentzahlen, weil man die Einzelfälle nicht immer
genau sehen kann . Das hängt mit dem eigenen Einkom-
men vor einer Erwerbsminderung und anderen Dingen
zusammen. Deswegen kann ich Ihnen verifiziert sagen:
Es wird zu einer 7-prozentigen Anhebung der Erwerbs-
minderungsrenten durch den Gesetzentwurf kommen,
den wir heute im Kabinett beschlossen haben .
Wie sich das auf den jeweiligen Auszahlungsbetrag
auswirkt, hängt von dem bisherigen Verdienstniveau und
den Rentenansprüchen insgesamt ab . Aber es handelt
sich um eine 7-prozentige Steigerung . Wie Sie wissen,
hatten wir im letzten Jahr eine sehr gute Rentenerhöhung .
Aber selbst das waren keine 7 Prozent .
Kollege Birkwald .
Vielen Dank . – Frau Ministerin, der vorhin von mirgenannte Rentenbetrag von 717 Euro bei voller Erwerbs-minderung war eine Information aus Ihrem Hause .Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-ziales:Ja, wir lernen auch dazu .
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Wenn Sie sagen, es seien nur 711 Euro, dann macht
das alles noch schlimmer . Deswegen, auch im Anschluss
an die Frage des Kollegen Markus Kurth: Es ist doch nun
einmal so, dass eine Erwerbsminderungsrente keine frei-
willige Angelegenheit ist . Dafür werden medizinische
Gutachten erstellt, und heute muss man schon, salopp
formuliert, mit dem Kopf unter dem Arm ankommen, um
überhaupt eine Erwerbsminderungsrente zu bekommen .
Ich stimme Ihnen zu: Die Zurechnungszeit auf 65 Jah-
re anzuheben, ist eine super Sache, aber bitte sofort!
4,50 Euro bei Beginn im Jahr 2018 bringen erst einmal
gar nichts . Das muss man dazusagen .
Ich bitte Sie auch, zu erläutern, was Sie dagegen tun,
dass diese Beträge wieder absinken, wenn das Rentenni-
veau weiter sinkt . Das ist nämlich künftig der Fall .
Haben Sie denn Belege dafür, dass, wenn es keine Ab-
schläge gäbe, es ein Ausweichen auf die Erwerbsminde-
rungsrente geben würde? Ich kann diese Belege bisher
nirgends finden. Sagen Sie deswegen bitte noch einmal,
warum Sie nicht die Abschläge sofort abschaffen und die
Rentenzurechnungszeit direkt auf 65 anheben .
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-
ziales:
Weil wir uns anders entschieden haben .
Das war doch einmal eine innerhalb des Zeitrahmens
passende Auskunft .
Die nächste Frage hat die Kollegin Müller-Gemmeke .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Frau Ministerin, kann
die Bundesregierung die Aussage der neuen Präsidentin
der Rentenversicherung, Gundula Roßbach, bestätigen,
dass es ab den Jahren 2022 bzw . 2023 aufgrund der Fi-
nanzierungsform der Renteneinheit schneller als erwartet
zu einem Beitragsanstieg kommt? Frau Roßbach hat das
heute noch einmal im Ausschuss für Arbeit und Soziales
verdeutlicht . Stimmen Sie dem zu?
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-
ziales:
Darf ich nachfragen: Bezieht sich das jetzt auf die Er-
werbsminderungsrente?
– Ost-West-Rentenangleichung .
Renteneinheit! Ich habe Renteneinheit gesagt .
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-
ziales:
Entschuldigung, ich wusste es jetzt nicht . – Das ist
eine Aussage, die ich nicht aus der Hüfte heraus bestäti-
gen kann; denn wir wissen nicht, wie sich die Lohnent-
wicklung in Ostdeutschland bis zu den Jahren 2022 bzw .
2023 entwickelt . Davon hängt allerdings ab, wie die Ge-
samtkosten der Ost-West-Rentenangleichung aussehen .
Deswegen kann ich die Aussage von Frau Roßbach, mit
Verlaub, als Vermutung, als Spekulation, als Pro gnose –
ich war ja nicht dabei – bezeichnen . Aber es ist keine
Tatsache in dem Sinne, dass man das jetzt schon ankün-
digen kann; denn das hängt entscheidend von der Lohn-
entwicklung in Ostdeutschland ab .
Markus Kurth .
Ich würde gerne noch einmal kurz daran anknüpfen .
Stimmen Sie mir denn zu, dass im Grundsatz gesamt-
gesellschaftliche Aufgaben, zu denen zweifellos die
Ost-West-Rentenangleichung gehört, aus Steuermitteln
finanziert werden sollten – auch aus Gründen der Gene-
rationengerechtigkeit –, und wie bewerten Sie, dass das
Bundesministerium der Finanzen an dieser Stelle offen-
sichtlich von Generationengerechtigkeit oder nachhaltig
zweckmäßiger Finanzierung nichts zu halten scheint?
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-
ziales:
Ja, das sollte man tun: Gesamtgesellschaftliche Auf-
gaben, für die es keine Beitragszahlungen gab, sollten
auch aus Steuern finanziert werden.
Die Debatte, die wir da geführt haben, ist hinreichend
öffentlich geworden – mit zweifelhaftem Futter für Ka-
barettisten . Aber am Ende ist tatsächlich ein Kompromiss
gefunden worden, und der besagt, dass wir bis zum End-
ausbau dieses Gesetzes immerhin 2 Milliarden Euro an
zusätzlichen Steuermitteln in die Finanzierung einbezie-
hen dürfen – des Ost-West-Rentenausgleichs beispiels-
weise; auf den spielen Sie hier ja sicherlich an . Wie viel
Prozent der Gesamtkosten das dann sind, kann ich Ihnen
nicht sagen, denn wir wissen ja nicht, wie sich die Löhne
in Ostdeutschland entwickeln . Aber: 2 Milliarden sind
2 Milliarden, und das ist ein guter Kompromiss .
– Das nebenbei .
Peter Weiß .
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Frau Bundesministerin, da der Kollege Birkwald bei
der Erwerbsminderungsrente so sehr an den Abschlägen
hängt: Können Sie bestätigen, dass in alten Zeiten, als
es diese 10,8 Prozent Abschläge auf die Erwerbsminde-
rungsrente noch nicht gab, die Zurechnungszeit nur bis
zum 55 . Lebensjahr ging und bis zum 60 . Lebensjahr
noch die Hälfte der Zeit angerechnet wurde, wir aber
jetzt, in dieser Koalition, die Zurechnungszeit zunächst
auf 63 Jahre erhöht haben
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Herr Staatssekretär, auch ich bin in hohem Maße andem Umgang der Menschen mit dem neuen PhänomenWolf interessiert . Ich frage Sie: Welche Erfahrungenwurden gemacht, wenn zum Schutze der Schafherdenoder auch anderer Tiere Esel eingesetzt werden? Trifft eszu, dass ein oder mehrere Esel in der Lage sind, Wölfefernzuhalten oder abzuwehren?Ri
Sehr geehrter Herr Kollege Ströbele, ich möchte erst
einmal darauf hinweisen, dass ich eine Staatssekretärin
bin und kein Staatssekretär .
– Nur der Richtigkeit halber .
Ja, man hat Erfahrungen mit Schutzhunden, aber auch
mit Eseln gemacht . Es ist gerade die Aufgabe der run-
den Tische und des Wolfsmanagements, die Erfahrungen
entsprechend weiterzugeben und Schlussfolgerungen
umzusetzen . Es gibt sehr positive Erfahrungen . Nichts-
destotrotz muss man natürlich dazusagen, dass es immer
wieder Fälle gibt, dass ein Wolf ein Schaf oder ein ande-
res Tier reißt .
Kollegin Stockhofe .
Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, die Weidetierhal-
ter haben an dem vierten runden Tisch mit Ihrem Kol-
legen Flasbarth teilgenommen, bei dem er zugesagt hat,
dass die Hundehaltungsordnung bezüglich der Herden-
schutzhunde eine Anpassung erfahren werde . So müsste
bei der Weidetierhaltung keine Hütte mehr vorgehalten
werden, weil es nicht sehr sinnvoll ist, wenn die Hunde
in den Hütten sitzen, statt auf die Schafe aufzupassen .
Wann können wir damit rechnen, dass da eine Änderung
kommt?
Ich hatte schon einmal im Ausschuss gefragt, bei wel-
cher Anzahl von Wölfen ein guter Erhaltungszustand
erreicht ist, sodass Maßnahmen ergriffen werden kön-
nen, damit wir die schrecklichen Bilder von abgenagten
Skeletten von Kälbern oder von Schafen und Ziegen, die
verletzt worden sind, nicht mehr ertragen müssen . Wann
ist diese Anzahl erreicht?
Ri
Der Erhaltungszustand ist noch nicht erreicht . Bezüg-
lich der Hütte für Herdenschutzhunde werde ich Ihnen
Bescheid geben . Das kann ich Ihnen jetzt so nicht sagen .
– Wir haben in Deutschland ungefähr 42 Wolfsrudel, und
die Situation ist so, dass der erforderliche Erhaltungszu-
stand noch nicht erreicht ist .
– Das kann ich Ihnen jetzt nicht sagen . Wir haben festge-
stellt, dass wir bisher noch nicht den Erhaltungszustand
haben, der erforderlich ist .
Vielleicht kann man die Zahl trotzdem noch nachlie-
fern .
Ri
Wir werden sie zu einem späteren Zeitpunkt nachrei-
chen .
Sehr schön . Dann ist das jedenfalls friedlich zu einem
vorläufigen Ende gebracht worden. – Jetzt hat der Kolle-
ge Otte die nächste Frage .
Herr Präsident, herzlichen Dank . – Frau Staatsse-
kretärin, im Zuständigkeitsbereich der Frau Umweltmi-
nisterin liegt die Verantwortung für das friedliche Mit-
einander von Wolf und Mensch . Wie rechtfertigen Sie
die Trennung bei offenen Landesgrenzen zwischen einer
polnisch-baltischen Population und einer Flachlandpo-
pulation, und welche Maßnahmen würden Sie ergreifen,
wenn der Erhaltungszustand nach Ihrer Meinung erreicht
ist?
Ri
Wenn der Erhaltungszustand erreicht ist und der Wolf
keine gefährdete Art mehr ist, dann muss man sich zu-
sammensetzen und geeignete Maßnahmen treffen, um
den Erhaltungszustand zu schützen . Weiterhin muss man
sich auf die Maßnahmen einigen, die man braucht, um
Einwände wie die, die Sie gerade vorgebracht haben,
aufzugreifen .
Was die deutsch-polnische Grenze und andere Gren-
zen betrifft: Sie können schwerlich einem Wolf gebieten,
einen Pass vorzuzeigen, wenn er die Grenze übertritt .
Wir könnten die Visumspflicht wieder einführen.
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Ri
Ich dachte, dass wir in Europa immer noch das Schen-
gen-Abkommen haben .
– Auch für Wölfe .
Das BfN hat auch in diesem Jahr einen ausführlichen
Bericht über die Wolfspopulationen vorgelegt . Den kann
ich Ihnen gerne zukommen lassen .
Frau Pahlmann .
Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Staatssekretärin,
wir haben ein Programm für Schafhalter aufgelegt, das
einen finanziellen Zuschuss für den Bau von Schaf-
schutzzäunen vorsieht . Wir haben aber auch schon mehr-
fach Fälle gehabt, bei denen es zu Rissen von Kälbern
und Fohlen gekommen ist . Aber ich will jetzt nicht auf
die Risse eingehen, sondern auf die Tatsache, dass durch
das Umkreisen des Wolfes von Rinder- oder Pferdewei-
den – gerade Pferde sind sehr sensibel und nehmen den
Wolf allein schon durch den Geruch wahr – diese Tie-
re in Panik geraten, dadurch ausbrechen und es zu sehr
schlimmen Unfällen kommen kann, da sie in größter Pa-
nik auch auf Kreisstraßen und Ähnliches laufen .
Meiner Meinung nach kann man die Verantwortung
dann nicht nur den Besitzern aufhalsen; denn es ist eine
völlig neue Situation, mit der sie umzugehen lernen müs-
sen .
Ri
Liebe Frau Kollegin, deswegen ist es so wichtig, dass
wir uns an den runden Tischen auch mit dem Wolfsma-
nagement sowie mit der Beratungsstelle eng austauschen,
die Empfehlungen weitergeben und diese umgesetzt wer-
den .
– Das muss ich abklären und prüfen lassen .
Herr Weiler .
Frau Kollegin, ich habe eine kurze Frage . Der Wolf
gehört ja, genau wie der Fuchs, zu den Arten der wilden
Kaniden . Wenn man einmal gesehen hat, wie ein Wolf,
der von hinten zu beißen beginnt, ein Schaf oder ein klei-
nes Kitz reißt, und wenn man deren Schreie dabei hört,
dann läuft es einem kalt den Rücken herunter . So ist es
mir passiert . Ich habe solche Bilder und Szenen gesehen,
und es ist nicht schön, wenn man das sieht .
Meine Frage lautet: Der Fuchs als wilder Kanide ist
sogar in Berlin heimisch . Ich wohne in der Alice-Be-
rend-Straße, dort gibt es mehrere Füchse, und für mich
ist es sehr weit hergeholt, dass man sagt, dass ein Wolf
nur dann zu den Menschen geht, wenn er angefüttert
wird . Der Wolf wird, genau wie der Fuchs, zu den Men-
schen gehen, wenn er Nahrungsmangel hat, und diesen
hat er irgendwann; dann kommt er in die Höfe . Es gibt
bereits Aufnahmen, die Sie sich auf YouTube anschauen
können, auch aus der Oldenburger Gegend, dass –
Herr Kollege .
– ja, Entschuldigung – Wölfe bis an die Bauernhöfe
herankommen .
Jetzt meine Frage: Gibt es eine Möglichkeit, dass die
Kollegin Hendricks eventuell ihre Meinung revidiert
oder zumindest versucht, sich Studien über die Fuchspo-
pulation in Verbindung mit der Wolfspopulation anzueig-
nen, sodass man da vielleicht doch zu einer vernünftigen
Meinung kommt?
Ri
Sehr geehrter Herr Kollege, der Fuchs ist keine ge-
fährdete Art . Insofern ist der Vergleich nicht zielführend,
sondern wir betrachten den Wolf, und wir ziehen unsere
Schlüsse aus Berichten, die der Ausschuss erhält und die
das BfN jährlich über das Monitoring erstellt, sowie aus
Dokumentationen und Beratungen . Das ist keine Mei-
nung, sondern wir haben uns auf die Studien und Berich-
te bezogen, die ich auch eingangs in der Antwort auf die
Frage von Herrn Grundmann genannt habe .
Bitte immer nur eine Zusatzfrage stellen, außer von
denen, die die Frage eingereicht haben . – Bitte schön .
Herr Präsident! Frau Staatssekretärin, bezieht sich die
Anzahl der Wolfsrudel, was den Erhaltungszustand an-
geht, auf die gesamte Bundesrepublik, oder wird dabei
auch berücksichtigt, dass es in bestimmten Gebieten der
Bundesrepublik eine erhebliche Dichte im Vorkommen
von Wölfen gibt?
Ri
Wir haben in Deutschland ungefähr 47 Rudel, 14 Paa-re und 4 Individuen . Das sind die, die wir in Deutschlandfestgestellt haben . Insofern ist es, da bestimmte Bundes-
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länder kaum mit Wölfen besiedelt sind und es Gebietegibt, in denen die Population bereits entsprechend aufge-wachsen ist, ein bundesweiter Überblick .
Wir kommen jetzt zur Frage 6 der Kollegin Julia
Verlinden:
Welche Elektrizitätsmengen haben die Kernkraftwerke
Brokdorf und Emsland seit dem 1 . Januar 2000 er-
zeugt, und welche Elektrizitätsmengen stehen den genannten
KKW laut Anlage 3 des Atomgesetzes noch zur Verfügung
?
Darin geht es nicht mehr um Wölfe, sondern um Elek-
trizitätsmengen von Atomkraftwerken . – Bitte schön,
Frau Staatssekretärin .
Ri
Liebe Frau Verlinden, das Kernkraftwerk Brokdorf hat
seit dem 1 . Januar 2000 bis zum Stichtag 31 . Dezember
2016 eine Elektrizitätsmenge von 187 422,04 Gigawatt-
stunden produziert und verfügte zum Stichtag 31 . De-
zember 2016 noch über eine Elektrizitätsmenge in Höhe
von 30 457,96 Gigawattstunden .
Das Kernkraftwerk Emsland hat seit dem 1 . Januar
2000 bis zum Stichtag 31 . Dezember 2016 eine Elektri-
zitätsmenge von 185 591,21 Gigawattstunden produziert
und verfügte zum Stichtag 31 . Dezember 2016 noch über
eine Elektrizitätsmenge in Höhe von 44 478,79 Giga-
wattstunden .
Bitte schön, Zusatzfrage .
Vielen Dank für die Information, Frau Parlamentari-
sche Staatssekretärin . Vielen Dank für die Daten . – Das
heißt mit anderen Worten, dass diese beiden Atomkraft-
werke bis zu dem von Ihnen genannten Stichtag, an dem
sie spätestens vom Netz gehen müssen, nicht mehr die
Strommenge produzieren können, die sie bisher pro Jahr
durchschnittlich erzeugt haben . Folglich werden die
Reststrommengen knapp sein . Das wiederum bedeutet,
dass jetzt die Frage im Raum steht, ob diese Betreiber
bereits angekündigt haben, Reststrommengen von ande-
ren Atomkraftwerken, beispielsweise Mülheim-Kärlich
oder Grafenrheinfeld, zu übertragen . Deswegen möchte
ich von Ihnen gern wissen: Wurden bereits Reststrom-
mengen von anderen Atomkraftwerken auf die beiden
Atomkraftwerke in Brokdorf und Lingen übertragen?
Wenn ja, wie viel? Falls noch nicht, wurde das bereits
angekündigt, und wissen Sie darüber Bescheid?
Ri
Frau Kollegin Verlinden, es ist mir nicht bekannt, dass
eine Übertragung stattgefunden hat oder eine Übertra-
gungsanfrage gestellt wurde .
Nächste Zusatzfrage .
Meine nächste Frage bezieht sich darauf, ob das aus
Ihrer Sicht, aus Sicht des Umweltschutz- und Klima-
schutzministeriums, nicht angebracht wäre, wo doch im
Augenblick sowieso eine Atomgesetznovelle in der De-
batte ist . Schließlich sieht auch die Netzausbaugebiets-
verordnung strenge Grenzen dafür vor, wie viele Wind-
energieanlagen im Norden Deutschlands noch errichtet
werden dürfen . Hinzu kommt, dass im Beschluss der
Umweltministerkonferenz gefordert wird, beim Bundes-
wirtschaftsministerium darauf zu drängen und mit ihm
dahin gehend zusammenzuarbeiten, dass Reststrommen-
gen in die Netzausbaugebiete nicht übertragen werden .
Es wird immer wieder das Argument vorgebracht, der
Netzausbau gehe zu langsam voran, die Stromnetze in
dieser Region seien überlastet . Eigentlich müssten Sie
doch dafür werben, dass diese Reststrommengen nicht in
Netzausbaugebiete übertragen werden können . Schließ-
lich kann man den Bürgern im Lande nicht vermitteln,
dass Windräder mit dem Argument nicht errichtet werden
dürfen, dadurch würde mehr Strom produziert, als die
vorhandene Netzkapazität transportieren könne, während
die Atomkraftwerksbetreiber ebendiesen Strom mögli-
cherweise übertragen können . Wäre das Ganze nicht ein
Anliegen für das BMUB?
Ri
Für uns ist eine Prognose schwierig, wie die Energie-
versorger das weiter handhaben; denn es gibt ja mehrere
Möglichkeiten, darüber zu disponieren; die Übertragung
des Stroms könnte die Wahrscheinlichkeit einer unerwar-
teten Netzüberlastung erhöhen . Sie haben ja eine Frage
bezüglich der Haltung des BMWi zum Netzausbau ge-
stellt . Diese Frage wird Ihnen nachher der Kollege Wiese
beantworten .
Frau Kotting-Uhl, bitte schön .
Frau Staatssekretärin, ich gehe davon aus, dass dieÜbertragung von Reststrommengen auch in den derzeitstattfindenden Gesprächen über einen öffentlich-recht-lichen Vertrag zwischen der Bundesregierung und denEnergieversorgern im Gefolge des KFK-Gesetzes eineRolle spielt . Denn das Bundesverfassungsgericht hatfestgestellt, dass die Konzerne beim Atomausstieg 2011unterschiedlich behandelt wurden, was die Verteilung derReststrommengen bzw . die Restlaufzeiten der Kernkraft-werke betrifft. Wie ist denn der derzeitige Stand? Müssenwir damit rechnen, dass es da zu Übertragungen kommt?Parl. Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter
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Ri
Die Bundesregierung prüft derzeit die vom Bundes-
verfassungsgericht eröffneten Möglichkeiten und wird
das Urteil bis zum 30 . Juni 2018 umsetzen .
Weitere Nachfragewünsche hierzu sehe ich jetzt nicht .
Damit ist dieser Geschäftsbereich für heute abge-
schlossen .
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für Bildung und Forschung auf . Der Kollege
Thomas Rachel steht freundlicherweise zur Beantwor-
tung der Fragen zur Verfügung .
Ich rufe Frage 8 des Kollegen Kai Gehring auf:
Wie ist der Zeitplan für Erstellung und Veröffentlichung
T
Herr Präsident! Herr Kollege Gehring, wie in § 35
Satz 3 BAföG vorgesehen ist, wird die Bundesregierung
im Jahr 2017, also im Laufe dieses Jahres, ihren 21 . Be-
richt nach § 35 BAföG vorlegen . Wie schon in der Be-
gründung des Regierungsentwurfs zum 25 . BAföG-Än-
derungsgesetz beschrieben, gibt es eine Verschiebung
des turnusgemäßen Vorlagetermins . Die Berichterstat-
tung wird erst erfolgen, wenn erste Auswirkungen des
Änderungsgesetzes messbar sind, die für eine Abwägung
aller relevanten Entwicklungen zur Bewertung neuer-
lichen Anpassungsbedarfs erforderlich sind . Das wird
logischerweise nicht vor Vorliegen der BAföG-Statistik
des Statistischen Bundesamtes möglich sein, mit deren
Veröffentlichung wir ungefähr Anfang August rechnen.
Wie auch in früheren BAföG-Berichten sollen zu-
dem auf Basis der dann aktuellen Herbstprojektion der
Bundesregierung die Einkommensentwicklung und die
Entwicklung der Verbraucherpreise bis zu dem auf das
Berichtsjahr folgenden Jahr, also bis 2018, in die Bericht-
erstattung einbezogen werden . Auf Basis dieser Daten
wird die Bundesregierung den Bericht noch in diesem
Jahr, wie vorgesehen, beschließen und dem Deutschen
Bundestag und dem Bundesrat vorlegen .
Kollege Gehring .
Vielen Dank . – Herr Staatssekretär, das ist eine sehr
überraschende Information, die Ihre Verzögerungstak-
tik bei der Erstellung des BAföG-Berichtes ganz klar
dokumentiert. Die Erstellung und Veröffentlichung des
BAföG-Berichtes sind gesetzlich alle zwei Jahre vor-
geschrieben . Das haben Sie für diese 25 . Novelle schon
außer Kraft gesetzt und verschoben . Es war der übliche
Modus, dass man den BAföG-Bericht in diesem Zwei-
jahresrhythmus im Januar oder spätestens im Februar
vorlegt. Jetzt wird es nach Ihrer Aussage offensichtlich
dreieinhalb Jahre dauern, bis der nächste BAföG-Bericht
erscheint .
Ist denn dann in dem Bericht, der so verzögert kom-
men wird, wenigstens sichergestellt, dass die Einkom-
mens- und Preisentwicklung für den gesamten Be-
richtszeitraum ab Herbst 2014 dargestellt wird? Das ist
unheimlich wichtig, da etliche, nämlich über 100 000,
junge Menschen aus dem BAföG-Bezug herausgefallen
sind . Also: Wird der gesamte Zeitraum seit dem letzten
Bericht erfasst oder nur zwei Jahre?
T
Herr Kollege Gehring, die Verschiebung des
BAföG-Berichts ist bereits in der Gesetzesbegründung
des damaligen BAföG-Änderungsgesetzes enthalten ge-
wesen . Sie ist also insofern nicht überraschend, sondern
sie ist zwangsläufig aus der Gesetzesbegründung ables-
bar . Sie macht auch in der Sache Sinn, da die Große Koa-
lition in dieser Legislaturperiode eine große BAföG-Re-
form durchgeführt hat, die eine erhebliche Zahl von
Verbesserungen für die Betroffenen herbeigeführt hat.
All dies wird sich in der Darstellung des BAföG-Berich-
tes insgesamt wiederfinden. Ich habe schon angedeutet,
dass auch eine entsprechende Projektion vorhanden sein
wird, die die Einkommensentwicklung und die Entwick-
lung der Verbraucherpreise berücksichtigt .
Zweite Nachfrage .
Herr Staatssekretär, meine Überraschung bestandnicht darin, dass Sie diesen BAföG-Bericht einmaligauf das Jahr 2017 verschieben, sondern darin, dass Sieihn nicht im Januar oder Februar fertigbekommen, weilSie erst im August die statistischen Basisdaten erhalten,sodass in dieser Legislatur offensichtlich nicht mehr miteinem BAföG-Bericht zu rechnen ist . Für mich stellt sichdie Frage, ob Sie mit schlechten Zahlen rechnen . Oderkönnen Sie zusichern, dass unmittelbar nach Verkündungder statistischen Basisdaten durch das Statistische Bun-desamt im August dann im September, noch vor der Bun-destagswahl, ein entsprechender BAföG-Bericht veröf-fentlicht wird? Das wäre sehr wichtig . Denn wir habenvon den Gewerkschaften und Studierendenverbändeneinen alternativen BAföG-Bericht vorgelegt bekommen,der genauso aufgebaut ist wie der BAföG-Bericht derBundesregierung, und dieser enthält eklatante Hinweisedarauf, wie viele Studierende in den letzten Jahren nichtin den BAföG-Bezug hineingekommen sind und wiedringend notwendig eine weitere Erhöhung noch vor derBundestagswahl wäre .
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(C)
(D)
T
Herr Kollege Gehring, die Überraschung bei Ihnen
überrascht mich; denn es ist ja ganz logisch, dass ein
BAföG-Bericht erst dann vorgelegt werden kann, wenn
die entsprechenden Daten vorliegen . Ich darf an der
Stelle wiederholen, dass wir auf die Daten des Statisti-
schen Bundesamtes zurückgreifen werden, die wir für
die BAföG-Statistik grundlegend benötigen . Wir erwar-
ten sie im Sommer . Danach wird an die Arbeit herange-
gangen, diese Daten mit der Projektion in Verbindung zu
bringen . Der BAföG-Bericht wird noch in diesem Jahr
vorgelegt werden .
Danke, Herr Staatssekretär .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung . Zur Beantwortung der Fragen steht der Par-
lamentarische Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel zur
Verfügung .
Die Frage 9 der Kollegin Heike Hänsel soll schriftlich
beantwortet werden .
Ich rufe die Frage 10 des Kollegen Uwe Kekeritz auf:
Wird sich die Bundesregierung an der Konferenz zur Glo-
2 . März 2017 beteiligen?
Bitte, Herr Staatssekretär .
Ha
Herr Kollege, die Bundesregierung hat bisher kei-
ne Einladung mit Details zu der Konferenz am 2 . März
2017 erhalten . Sobald diese vorliegt, wird die Bundesre-
gierung eine Entscheidung über ihre Teilnahme treffen.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Herr Staatssekretär, Sie werden verstehen, dass mich
das jetzt überhaupt nicht befriedigt . Es geht hier um eine
Initiative der Holländer; sie ist publik gemacht worden .
Es gibt viele Länder, die positiv auf diese Initiative re-
agiert haben; zuletzt ist Kanada beigetreten . Warum hält
es die Bundesregierung nicht für notwendig, sich proak-
tiv um eine Beteiligung zu kümmern?
Es geht ja darum, dass die Trump-Regierung in Zu-
kunft über 170 NGOs, die im Bereich der Familienpla-
nung und der sexuellen und reproduktiven Gesundheit
aktiv sind, also für Frauenrechte und Mädchenrechte
eintreten, nicht mehr unterstützen wird . Es sind ungefähr
600 Millionen Euro im Jahr, die für diesen enorm wichti-
gen entwicklungspolitischen Bereich fehlen werden . Und
die Bundesregierung stellt sich hin und sagt: Wir warten
auf eine Einladung . – Sie verstehen, dass das für mich
nicht befriedigend ist . Warum sind Sie nicht proaktiv?
Ha
In manchen Kreisen mag es so sein, dass man irgend-
wo hinläuft, egal ob man eine Einladung bekommt .
Hier geht es um viel Geld, um die Strukturen der künf-
tigen Entwicklungszusammenarbeit und anderes mehr .
Deutschland ist ja auf diesem Gebiet nicht untätig, son-
dern gehört hier zu den ganz großen Gebern . Das gehört
schon seit Jahren, ganz unabhängig von der jüngst lan-
cierten Initiative, zu den Schwerpunkten der deutschen
Entwicklungszusammenarbeit im Gesundheitsbereich .
Neben unseren bilateralen Vorhaben unterstützen wir
schon seit langem und mit Erfolg auch internationale
Partner .
Ich kann Ihnen auch gerne sagen, wie hoch unser An-
teil bis jetzt ist: Er liegt bei 383 Millionen Euro . Es war
nicht zuletzt die Bundeskanzlerin, die in Elmau darauf
gedrungen hat, dass diese Fragen weiter im Fokus blei-
ben . Vor diesem Hintergrund werden wir jetzt sehen, was
sich weiter entwickelt, und werden dann gegebenenfalls
auch mit unseren Partnern entscheiden, wie da weiter
vorgegangen wird .
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .
Es wird nicht besser dadurch . Es hat ja niemand die
Leistungen der Bundesregierung auf diesem Gebiet an-
gezweifelt . Es ging um die Frage, ob die 600 Millionen
Euro, die im internationalen Bezug in diesem wichtigen,
zentralen Bereich fehlen werden, kompensiert werden
können, ob sich die Bundesregierung da irgendwie pro-
aktiv einbringt und sagt: Das ist ein wichtiges Thema,
da folgen wir einer Initiative und warten nicht auf eine
formelle Einladung .
Die Frage, die ich jetzt an Sie stelle, ist: Rechnet ei-
gentlich die Bundesregierung mit weiteren Rückzügen
der Trump-Regierung aus diesem Bereich? Bereiten Sie
sich diesbezüglich irgendwie vor? Welche Reaktion ist
von der Bundesregierung zu erwarten?
Ha
Ich bin leider nicht in der Lage, die nächsten Entschei-dungen des amerikanischen Präsidenten vorauszusehen,sonst wäre ich sicher ein sehr begehrtes Medienobjekt .
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(D)
Was die Frage des weiteren Vorgehens betrifft, so wis-sen Sie, dass der Haushalt 2017 zunächst einmal verab-schiedet ist und sich die weiteren Fragestellungen nachunserem Haushaltsrecht für den Haushalt 2018 ergeben,und das in Abstimmung mit allen anderen Trägern, dieschon sehr aktiv und profund tätig sind . Und ich sagenoch einmal: Es war die deutsche Bundeskanzlerin, diehier Zeichen gesetzt hat, und das wird auch so bleiben .
Nein, nach unseren Regeln haben Sie zwei Nachfra-
gen . – Danke, Herr Staatssekretär .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amts . Zur Beantwortung steht die Staatsministerin Pro-
fessor Dr . Maria Böhmer zur Verfügung .
Ich rufe die Frage 11 des Kollegen Volker Beck auf:
In wie vielen Fällen wurden nach Kenntnis der Bundesre-
gierung deutschen Staatsangehörigen, die zugleich iranische,
irakische, jemenitische, libysche, somalische, sudanesische
oder syrische Staatsangehörige sind, seit Inkrafttreten des
Dekrets, mit dem der Präsident der Vereinigten Staaten von
Amerika gegenüber den vorbezeichneten Staatsangehörigen
ein Einreiseverbot angeordnet hat, der Reiseantritt verwehrt
bzw . die Einreise in die Vereinigten Staaten verweigert, und
in wie vielen Fällen handelte es sich dabei nach Kenntnis der
Bundesregierung um Personen, die bereits im Besitz eines gül-
tigen amerikanischen Visums, eines gültigen amerikanischen
Aufenthaltstitels oder neben den vorbezeichneten Staatsan-
gehörigkeiten der amerikanischen Staatsangehörigkeit waren
?
Bitte, Frau Staatsministerin .
D
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin . – Lieber Kollege
Beck, ich darf wie folgt antworten: Offiziellen Angaben
der US-Regierung, vom US Department of State, zufol-
ge waren aufgrund des Dekrets etwa 60 000 Einreisevisa
vorübergehend suspendiert worden, Medienberichte hin-
gegen sprachen von bis zu 100 000 . Nach Staatsangehö-
rigkeiten bzw . Aufenthaltstiteln aufgeschlüsselte Statisti-
ken liegen der Bundesregierung nicht vor .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Können Sie denn sagen, wie viele Staatsbürger der
Bundesrepublik Deutschland mit Doppelpass davon be-
troffen waren? Zumal hierunter einige Länder fielen, die
ihre Bürger bei der Einbürgerung in einen anderen Staat
nicht aus der Staatsbürgerschaft entlassen .
D
Herr Kollege Beck – –
– Nein, ich habe keine Zahlen dazu . Das sage ich Ihnen
in aller Ehrlichkeit . Ich lasse es gern noch einmal prüfen,
ob uns Zahlen zur Verfügung stehen an der Stelle .
– Gerne .
Die zweite Nachfrage .
Meine zweite Frage lautet: Welche Maßnahmen er-
greift denn die Bundesregierung zugunsten von syri-
schen und irakischen Flüchtlingen, die aufgrund des
Muslim Ban nicht weiter in die USA einreisen können,
sofern sie sich in unserem Hoheitsgebiet aufhalten? Im
Land Berlin gab es eine entsprechende Regelung zur er-
neuten Verlängerung des Aufenthalts von syrischen und
irakischen Flüchtlingen mit Verwandten in Berlin . Das
könnte man für diese Gruppe analog machen; denn man
muss ja aufpassen, dass die Menschen nicht irgendwo
zwischen Baum und Borke hängen .
D
Ich verstehe, dass wir jetzt nicht von Doppelstaatlern
sprechen, sondern über das Thema: Was machen wir mit
Flüchtlingen? Der Kollege, der im Innenministerium da-
für zuständig ist, sitzt neben mir . Ich kann Ihre Frage gut
nachvollziehen, aber ich glaube, viele, die bei uns sind,
sind im Grunde genommen an einem sicheren Ort .
Gut . – Weitere Nachfragen sind mir nicht signalisiert
worden, gleichwohl hat der Kollege Beck sicherlich noch
viele Fragen zu diesem Thema .
D
Verständlich .
Ja, völlig richtig .Ich rufe jetzt die Frage 12 der Kollegin Dağdelen auf:
chen Behörde für religiöse Angelegenheiten wegenangeblicher Verbindungen zum gescheiterten PutschversuchParl. Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel
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(C)
(D)
seit dem 15 . Juli 2016 bis heute in der Türkei suspendiert bzw .
die Bundesregierung Kenntnisse (auch nachrichtendienstli-che) darüber, wie viele DITIB-Imame nach dem gescheitertenPutsch in der Türkei im Sommer 2016 vor Ablauf des Visums,das ihnen vom Auswärtigen Amt entsprechend der Beschäf-tigungsverordnung ohne Zustimmung der Bundesagentur fürArbeit erteilt wird , indie Türkei zurückgekehrt sind?Bitte, Frau Staatsministerin .D
Frau Kollegin Dağdelen, ich antworte wie folgt: Auf
der Grundlage von Notstandsdekreten wurden seit dem
Putschversuch vom 15 . Juli 2016 mit Stand vom 2 . Fe-
bruar 2017 nach offiziellen türkischen Angaben insgesamt
1 924 Mitarbeiter der Diyanet entlassen, 3 636 wurden
demnach suspendiert . Zu Entlassungen oder Suspendie-
rungen über die erwähnten Notstandsdekrete hinaus lie-
gen der Bundesregierung keine Informationen vor .
Der Bundesregierung liegen keine Informationen zur
Gesamtzahl der DITIB-Imame vor, die vor Ablauf ihres
Visums oder im Inland erteilter Aufenthaltstitel in die
Türkei zurückgekehrt sind . Aufgrund der grundgesetz-
lich verankerten Trennung von Staat und Religion haben
religiöse Vereinigungen das Recht, ihre inneren Angele-
genheiten eigenständig zu regeln .
– Ich verstehe schon, was Sie sagen . – Zu ihren inneren
Angelegenheiten gehört auch die Entscheidung über die
Anstellung bzw . Entlassung von religiösem Personal .
Zunächst hat die Kollegin Dağdelen das Nachfrage-
recht, Kollege Beck . Sie stehen bei mir aber schon auf
der Rednerliste . – Bitte, Sie haben das Wort zur ersten
Nachfrage .
Volker, du kannst gleich an meine Frage anschlie-
ßen . – Vielen herzlichen Dank, Frau Böhmer . Sie mein-
ten, dass aufgrund der grundgesetzlichen Trennung von
Staat und Religion die Religionsgemeinschaften über
ihre inneren Angelegenheiten selbst entscheiden können .
Meine Frage an die Bundesregierung: Stuft die Bundes-
regierung die Türkisch-Islamische Union, die DITIB, als
eine unabhängige Religionsgemeinschaft ein?
D
Frau Kollegin, ich ahnte, dass Sie das fragen würden .
Ich hätte das nämlich an Ihrer Stelle auch gefragt, und ich
schätze, der Kollege Beck will das auch fragen . Völlig
klar: Nein . Außerdem ist es Sache der Länder .
Ihre zweite Nachfrage .
Gut . Dann haben wir ja geklärt, dass die DITIB keine
Religionsgemeinschaft ist .
D
Hatte ich auch nicht gesagt .
Gut . Dann sehen wir das auch so . Aber trotzdem ist es
ja so, dass die Beschäftigungserlaubnis entsprechend der
Beschäftigungsverordnung ohne Zustimmung der Bun-
desagentur für Arbeit erteilt wird . Es ist aber keine Re-
ligionsgemeinschaft . Auf welcher rechtlichen Grundlage
basiert die vom AA genehmigte privilegierte Beschäfti-
gungsmöglichkeit für diese Anstalt, die ja von Ankara
aus gesteuert wird, gelenkt wird, finanziert wird?
Noch eine Nebenfrage . Angesichts der heutigen Er-
kenntnisse und Nachrichtenlage, dass es in Deutschland
Razzien gegen Imame der DITIB auf Grundlage eines
Verfahrens der Generalbundesanwaltschaft gibt, würde
ich gern wissen, inwiefern das zutrifft, was in den tür-
kischen Medien steht, nämlich dass während des letzten
Besuchs von Merkel in Ankara beim türkischen Mi-
nisterpräsidenten und beim türkischen Staatspräsiden-
ten vereinbart worden sei, dass die Imame, die hier in
Deutschland andere bespitzelt haben, von der zentralen
Stelle in Ankara, von der Diyanet, zurückbeordert wer-
den und deshalb jetzt einige der von der GBA Beschul-
digten nicht mehr aufzufinden sind und das Land schon
längst verlassen haben .
D
Eine solche Vereinbarung ist mir nicht bekannt . Ich
kann sie mir auch nicht vorstellen .
Im ersten Teil haben Sie nach der Arbeitsaufnahme
und den entsprechenden Regelungen gefragt . Das würde
ich Ihnen gern nachreichen .
Dann hat der Kollege Beck das Wort zu einer Nach-
frage .
Ich würde eigentlich gern an das anknüpfen, aber da-rauf komme ich nachher beim Geschäftsbereich des Bun-desministeriums des Innern zurück .Ich möchte eine Nachfrage zu Ihrem Geschäftsbereichstellen . Die DITIB hat mit Presseerklärung vom 3 . Fe-bruar dieses Jahres erklärt, dass einige Religionsattachésnach Ankara zurückbeordert werden mussten, weil sieVizepräsidentin Petra Pauhttp://www.sueddeutsche.de/politik/nach-putschversuch-festnahmen-in-der-tuerkei-zehntausende-entlassungen-inhaftierte-ohne-rechte-1.3085149http://www.sueddeutsche.de/politik/nach-putschversuch-festnahmen-in-der-tuerkei-zehntausende-entlassungen-inhaftierte-ohne-rechte-1.3085149http://www.sueddeutsche.de/politik/nach-putschversuch-festnahmen-in-der-tuerkei-zehntausende-entlassungen-inhaftierte-ohne-rechte-1.3085149
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(C)
(D)
ihre Pflichten übererfüllt hätten und hier als Spione tätigwaren. Ich finde, damit entfällt eigentlich die Grundlagedafür, dass wir Religionsattachés mit einem konsulari-schen oder diplomatischen Status hier an unseren Bot-schaften akzeptieren .Der Verfassungsschutz hatte uns kürzlich im Innen-ausschuss dargelegt, dass diese Religionsattachés dieFachaufsicht über die DITIB-Vereine vor Ort führen .Da ist Köln völlig raus . Und in dem Rahmen hat die-se Spionage stattgefunden . Teilt die Bundesregierungmeine Auffassung, dass wir künftig solchen Religions-beauftragten an den Konsulaten und den Botschaften inDeutschland kein Aufenthaltsrecht zubilligen und keinendiplomatischen Status mehr erteilen können, und wennnicht, warum nicht?D
Herr Beck, ich bin, glaube ich, nicht minder beunru-
higt als Sie über all das, was jetzt Stück für Stück nach
draußen dringt .
– Nein, ich weiß, was Sie fragen . Sie stellen ja eine sehr
grundsätzliche Frage . Solange diese Situation nicht vor-
lag, haben weder Sie noch ich oder irgendjemand eine
solche Frage gestellt . Ich glaube, es muss jetzt klarge-
macht werden, dass das nicht sein darf . Es ist Bespitze-
lung . Es wird diesen Dingen nachgegangen . Ich glaube,
an der Stelle müssen wir nachhaken . Das andere nehme
ich sehr gern mit als Ihre Frage .
– Ja, ich habe das verstanden und gebe Ihnen die Infor-
mation gern weiter .
Zum weiteren Verlauf, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, eine Bitte .
– Zurzeit habe überwiegend ich das Wort, Kollege Beck .
Bevor wir fortfahren, bitte ich darum, darauf zu ach-
ten, dass durch ein optisches Signal deutlich angezeigt
wird, wenn die Fragezeit abgelaufen ist . Dann sollte es
möglich sein, die Frage mit einem Fragezeichen zu be-
schließen, sodass die Antwort gegeben werden kann .
Ich rufe die Frage 13 des Kollegen Kai Gehring auf:
Wie viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind
nach Kenntnis der Bundesregierung seit dem Putschversuch in
der Türkei Mitte Juli 2016 entlassen worden – zuletzt wurden
nach Medienberichten von Anfang
Februar 2017 4 000 Staatsbedienstete entlassen; 330 davon ar-
beiteten an Universitäten –, und welche Auswirkungen hat die
politisch angespannte Lage in der Türkei auf die deutsch-tür-
kischen Wissenschaftskooperationen?
Bitte, Frau Staatsministerin .
D
Nach Kenntnis der Bundesregierung wurden in der
Türkei seit dem gescheiterten Putschversuch vom 15 . Juli
2016 insgesamt etwa 8 600 akademische Hochschulmit-
arbeiterinnen und -mitarbeiter per Dekret der türkischen
Staatsführung entlassen . Diese Zahl beinhaltet auch die
durch Schließung von 15 privaten Universitäten Entlas-
senen . Hinzu kommen die an türkischen Hochschulen
entlassenen nichtakademischen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter, etwa aus der Verwaltung .
Einzelne bilaterale Forschungsprojekte haben sich
verzögert . Die Bundesregierung hält an der Kooperati-
on mit der Türkei im Bildungs- und Forschungsbereich
fest, auch damit Nachwuchswissenschaftlerinnen und
Nachwuchswissenschaftler in der Türkei weiterhin Zu-
gang zur europäischen Wissens- und Wertegemeinschaft
haben .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Vielen Dank, dass Sie die wahnsinnig erschreckenden
und dramatischen Zahlen hier referiert haben . Wir Grü-
ne im Bundestag haben gefordert, dass die internationale
Stärkung und der Schutz der Wissenschaftsfreiheit Ein-
gang finden in die neue Internationalisierungsstrategie
der Bundesregierung . Dieser Forderung haben Sie leider
nicht entsprochen . Sie haben als Bundesregierung in die-
ser neuen Internationalisierungsstrategie aber immerhin
deutlich gemacht, dass Bildung, Wissenschaft und For-
schung eine stabilisierende Wirkung haben können .
Erleben wir in der Türkei oder auch in anderen entwi-
ckelten Ländern aber derzeit nicht das krasse Gegenteil,
nämlich eine Destabilisierung des Bildungs-, Wissen-
schafts- und Forschungssystems, auch mit sehr nachtei-
ligen Auswirkungen auf die gesamte Entwicklung des
Landes, also eine allgemeine Destabilisierung? Und wie
will die Bundesregierung jetzt ganz konkret auf diese
neue massive Entlassungswelle im Wissenschafts- und
Forschungsbereich der Türkei reagieren?
D
Herr Kollege Gehring, ich glaube, das ist eine Ent-wicklung, die uns wirklich sehr erschreckt und in Atemhält, und zwar nicht nur aufgrund der letzten Entlas-sungswelle . Es gab ja mehrere Wellen hintereinander . Ichwar inzwischen mehrfach in der Türkei . Dabei habe icheine Botschaft mitgenommen, die ich für ganz wichtighalte – wie wichtig sie ist, hat auch der frühere Bundes-außenminister Steinmeier in seinem Bericht zur LageVolker Beck
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in der Türkei sehr deutlich gemacht –: Wir müssen dieZivilgesellschaft stärken . Zur Zivilgesellschaft gehört inmeinen Augen auch ganz maßgeblich der Wissenschafts-bereich . Deshalb ist es uns so wichtig, hier den Kontaktzu halten und weiter Unterstützung zu geben .
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .
Vielen Dank . – Welche massiven Folgen das für eine
kritische Zivilgesellschaft haben kann, wissen wir ja .
Gerade letzte Woche sprach ich mit einem Professor
einer deutschen Hochschule, der mir sagte, dass er mit
drei türkischen Hochschulen Kooperationsbeziehungen
pflegt. Nun sind alle seine Ansprechpartner weg, weil
sie entlassen worden sind . Er fragt sich, wie diese Wis-
senschaftskooperationen überhaupt fortgesetzt werden
können .
Die Frage ist, ob diese Problemanzeigen die Bun-
desregierung erreichen . Wenn diese Problemanzeigen
Sie erreichen, wie stärken Sie denn den in Deutschland
kooperierenden Wissenschaftlern den Rücken mit expli-
ziten Leitlinien für diese Wissenschaftskooperationen?
Wie wird die Bundesregierung das Anliegen der Koope-
rationspartner aufnehmen und wirksam unterstützen?
Man braucht sehr explizite Leitlinien für diese Zusam-
menarbeit, damit Wissenschaftsfreiheit und Wissen-
schaftskooperationen in Zukunft überhaupt funktionie-
ren können .
D
Ich will zunächst deutlich machen, dass es eine ganz
besondere Initiative gibt, die wir seitens des Auswärtigen
Amtes auf den Weg gebracht haben . Man sollte sie nicht
zu gering einschätzen; denn sie setzt ein klares Zeichen
für Wissenschaftler, die in Bedrängnis sind . Das ist die
Philipp Schwartz-Initiative; auch Sie kennen sie sehr gut .
Es ist zu bemerken, dass die Zahl der Wissenschaftler,
die aus der Türkei kommen und daran teilnehmen, gestie-
gen ist . Die Zahl mag klein sein, aber das Zeichen, das
damit verbunden ist, ist, wie ich finde, ein großes. Insge-
samt nehmen jetzt 69 Wissenschaftler daran teil, davon
allein 27 aus der Türkei, die für zwei Jahre in Deutsch-
land sein können . Das soll der Wissenschaft klar signali-
sieren: Wir sind an eurer Seite .
Sie wissen, dass wir bei der Türkisch-Deutschen Uni-
versität mit aller Kraft und in allen Gesprächen immer
wieder darauf drängen, diesen Ort der Zusammenarbeit
zu stärken . Das soll auch auf andere Kooperationen aus-
strahlen . Ich kann alle Universitäten und Wissenschafts-
einrichtungen nur ermutigen, in Kontakt zu bleiben, weil
das eine wichtige Aufgabe zwischen den Zivilgesell-
schaften ist .
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin
Dağdelen das Wort.
Ich habe eine Nachfrage . Ungefähr die Hälfte der in
der Frage von Herrn Gehring genannten 330 Wissen-
schaftlerinnen und Wissenschaftler, die an den Univer-
sitäten gearbeitet hatten, wurden entlassen und an den
Pranger gestellt, weil sie einen Aufruf für den Frieden
der Academics for Peace unterzeichnet hatten . Die Aca-
demics for Peace haben jetzt auch in Deutschland eine
Organisation gebildet, weil Deutschland immer mehr
zum Exil für die Verfolgten und Andersdenkenden aus
der Türkei wird .
Insofern würde ich gerne wissen: Hat die Bundesre-
gierung bisher Gespräche, Kontakte zu den Academics
for Peace in Deutschland gehabt? Inwieweit hat die Bun-
desregierung über das genannte Programm hinaus – ich
finde es ganz gut; aber das ist ein bisschen zu wenig –
Kenntnisse über die Anzahl der Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler, die wegen der Verfolgung aus der
Türkei nach Deutschland gekommen sind und hier an
den Universitäten arbeiten? Ich meine damit Personen,
die keinen Antrag auf Asyl gestellt haben, sondern hier
einen Aufenthaltstitel zum Zwecke der Forschung, eines
Doktorandenstudiums etc . bekommen haben . Inwiefern
gibt es Schutzmaßnahmen für diese Menschen, damit sie
von Erdogans Netzwerken hier nicht verfolgt, bedroht
oder eingeschüchtert werden, beispielsweise durch die
DITIB-Spitzeleien?
D
Ich verstehe . – Zahlen liegen mir keine vor . Aber ich
erlebe immer wieder, so wie auch Sie und viele andere
Kollegen, dass sich Personen an mich wenden – nicht nur
in meiner Eigenschaft als Staatsministerin – und mich
fragen: Was können wir tun und für wen? Ich glaube,
dass die Situation in der Türkei so ist, dass viele in die-
sem Land bleiben wollen, weil sie wissen, wie wichtig es
ist, dort zu bleiben . Das habe ich in meinen Gesprächen
vor Ort immer wieder erfahren .
Das andere ist aber: Wenn wirklich Gefahr droht –
wir wissen, um welche Fälle es sich handelt, Frau
Dağdelen –, dann ist für viele Deutschland sozusagen ein
sicherer Hafen, wo sie leben und eine Zukunftsperspek-
tive haben können . Ich glaube, das ist etwas, was wir in
Zukunft leider vermehrt erleben werden .
Der Kollege Volker Beck hat noch eine Nachfrage .
Ich wollte wissen, ob Sie Kenntnisse darüber haben,ob von diesen Entlassungen, die in der ursprünglichenFrage angesprochen worden sind, auch Menschen betrof-fen waren oder sind, die ihren Aufenthalt in Deutschlandhaben, zum Beispiel weil sie im Rahmen von Koopera-tionsprogrammen entsandt sind, Stipendien haben oderStaatsministerin Dr. Maria Böhmer
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dergleichen mehr, und wenn ja, wie viele betroffen sindund was Sie zu deren Schutz tun, sodass sie nicht zurück-beordert werden können .D
Letzteres hängt ja von dem jeweiligen Aufenthaltssta-
tus ab; das wissen wir beide .
Jeder, der politisch verfolgt wird, hat in Deutschland das
Recht auf Asyl, wenn keine andere Zufluchtsmöglichkeit
gegeben ist . Wenn es eine Möglichkeit für einen längeren
Aufenthalt gibt, dann ist das eine andere Sache . – Was die
Zahlen anbetrifft, bitte ich um Verständnis dafür, dass ich
sie nachreichen muss .
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin
Haßelmann das Wort .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Frau Staatsminis-
terin, anknüpfend an die Frage meines Kollegen Kai
Gehring interessiert mich, ob Sie Mittel für die Philipp
Schwartz-Initiative der Alexander-von-Humboldt-Stif-
tung für verfolgte Wissenschaftlerinnen und Wissen-
schaftler angesichts der beschriebenen dramatischen Si-
tuation dauerhaft verstetigen werden?
D
Es gibt dazu Überlegungen . Wir diskutieren sehr in-
tensiv darüber, weil wir auch sehen, dass es mehr und
mehr Bedarf dafür gibt . Sie erkennen das an der Bereit-
schaft des Auswärtigen Amtes, überhaupt eine solche Ini-
tiative zu starten . Mich hat auch sehr beeindruckt, wie
die Wissenschaftscommunity, in dem Fall die Alexan-
der-von-Humboldt-Stiftung, mit all ihren Kräften und
all ihren Verbindungen daran mitarbeitet . Ich persönlich
wäre sehr für eine Verlängerung .
Die Frage 14 des Kollegen Mutlu wird schriftlich be-
antwortet .
Ich rufe die Frage 15 der Kollegin Brantner auf . – Da
die Kollegin Brantner nicht da ist, verfahren wir mit den
Fragen 15 und 16, wie in der Geschäftsordnung vorge-
sehen .
Die Frage 17 der Kollegin Inge Höger soll schriftlich
beantwortet werden .
Wir kommen zur Frage 18 der Kollegin Beate Müller-
Gemmeke .
– Ich bitte darum, uns in Zukunft ein Zeichen zu geben,
wenn sich jemand entschuldigt hat . Wir können nicht ah-
nen, dass die Kollegin noch im Ausschuss ist .
Es wird verfahren, wie in unserer Geschäftsordnung vor-
gesehen .
Die Frage 19 des Kollegen Niema Movassat soll eben-
so wie die Frage 20 des Kollegen Andrej Hunko schrift-
lich beantwortet werden .
Damit sind wir am Ende Ihres Geschäftsbereiches . –
Herzlichen Dank, Frau Staatsministerin .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums des Innern . Zur Beantwortung steht der Par-
lamentarische Staatssekretär Dr . Günter Krings zur Ver-
fügung .
Die Frage 21 des Kollegen Hunko soll schriftlich be-
antwortet werden .
Ich rufe die Frage 22 des Kollegen Hans-Christian
Ströbele auf:
Welche Erkenntnisse zu den beiden libyschen Rufnummern
aus dem Mobilfunkgerät, das im Februar 2016 bei Anis Amri
tung, Nutzung und folgenden Konsequenzen, hat die Bun-
Partnerländern, insbesondere den USA, im Laufe der Zeit nach
dem Februar 2016 bis zum Februar 2017 je erhalten, und wel-
Bitte, Herr Staatssekretär .
D
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Lieber Kollege Ströbele, durch das Bundeskri-minalamt wurden im Rahmen der Sachbearbeitung imFebruar 2016 zwei libysche Kontaktrufnummern desAmri an Tunesien übermittelt . Die tunesischen Behördenwurden gebeten, zu prüfen, ob zu Anis Amri, den genutz-ten Aliaspersonalien sowie den genannten libyschen Te-lefonnummern Erkenntnisse vorliegen .Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens im Zusam-menhang mit dem Anschlagsgeschehen am 19 . Dezem-ber 2016 in Berlin hat das Bundeskriminalamt dann am2 . Januar 2017 dem FBI, also der US-amerikanischenBundespolizei, die Inhaltsdaten eines Mobiltelefonsübermittelt, das am Tatort gesichert wurde und dem Be-schuldigten Anis Amri zugeordnet wird .Das FBI wurde, wie im Rahmen des internationa-len polizeilichen Informationsaustausches üblich undgängige Praxis, um Erkenntnismitteilung zu den über-mittelten Inhaltsdaten gebeten . Im Rahmen dieser Er-Volker Beck
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(D)
kenntnisanfragen des Bundeskriminalamts wurden unteranderem mehrere libysche Telefonnummern mitgeteilt .Die Strafverfolgungsbehörden in den USA führen einSpiegelverfahren, da bei dem Anschlag vom 19 . De-zember 2016 – das wissen Sie – auch zwei Personen mitUS-Staatsangehörigkeit verletzt worden sind . In diesemKontext haben die US-Behörden ein Rechtshilfeersu-chen gestellt . In Beantwortung dieses Ersuchens wurdendem FBI unter anderem die oben genannten Inhaltsda-ten erneut übermittelt . Die vollständige Abarbeitung desRechtshilfeersuchens dauert an . Die weiteren Abklärun-gen zu den in Rede stehenden Rufnummern haben keinenTatzusammenhang ergeben .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Danke erst einmal . – Herr Staatssekretär, ich habe
eine Nachfrage . Sie reden immer von Informationen an
US-Stellen durch deutsche Stellen und Sicherheitsbehör-
den nach dem Anschlag . Gab es auch schon vorher, also
vor dem Anschlag, Informationen deutscher Stellen, also
des Bundesamtes für Verfassungsschutz oder des BKA,
an US-Stellen über den Inhalt dieser Telefonnummern in
Libyen, und wenn ja, wann und von wem?
D
Frau Präsidentin, ich hatte das gerade schon vorgetra-
gen . Aber ich lese den ersten Absatz noch einmal etwas
langsamer vor: Durch das Bundeskriminalamt wurden im
Rahmen der Sachbearbeitung im Februar 2016 zwei liby-
sche Kontaktrufnummern des Amri an Tunesien übermit-
telt . – Das war also die Übermittlung an Tunesien . Sie
haben jetzt gefragt, ob auch Informationen nach Amerika
geflossen sind. Das geschah erst nach dem Anschlag. Ich
habe keine anderen Erkenntnisse . An Tunesien erfolgte
die Übermittlung also schon vorher, an die Amerikaner
wurden diese Rufnummern aber erst nach dem Anschlag
übermittelt .
Ihre zweite Nachfrage .
Ich habe erhebliche Zweifel, ob das stimmt, was Sie
jetzt gesagt haben .
D
Das sind unsere Erkenntnisse .
Das müssen wir dann an anderer Stelle zu klären ver-
suchen .
D
Gut .
Anschlussfrage daran: Es gibt eine Meldung der Welt
vom 25 . Januar unter Bezugnahme auf den US-Sender
CNN, dass die US-Behörden dabei sind, ihre Informatio-
nen über das Camp, das am 19 . Januar 2017 bombardiert
worden ist, zu untersuchen, insbesondere darauf, ob vor
dem Anschlag Beziehungen zwischen Herrn Amri und
diesem Camp bestanden haben .
D
Was ist jetzt die konkrete Frage, Herr Ströbele?
Ob der Bundesregierung das bekannt ist und was das
für Ergebnisse erzielt hat . Was haben die US-Behörden
nach Ihrer Erkenntnis für Ergebnisse erzielt?
D
Uns liegen dazu keine Erkenntnisse vor, Herr Ströbele .
Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Beck das
Wort .
Ich würde gerne wissen, was die Bundesregierung
über Amris Aufenthalt in der Fussilet-33-Moschee am
Abend des Anschlags auf dem Breitscheidplatz in der
Zeit zwischen 18 .38 Uhr und 19 .07 Uhr weiß .
D
Frau Präsidentin! Dazu kann ich Ihnen jedenfalls ak-
tuell nichts sagen . Wir haben das im Ausschuss ausführ-
lich erörtert . Zu dem, was dort gesagt worden ist, kann
ich Ihnen keine weiteren Erkenntnisse, jedenfalls heute
nicht, beibringen . Ich kann im Haus gerne rückfragen, in-
wieweit wir Ihnen dazu noch Informationen geben kön-
nen . Aber jedenfalls aktuell kann ich Ihnen nichts weiter
dazu sagen .
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Künastdas Wort .Parl. Staatssekretär Dr. Günter Krings
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(D)
Herr Staatssekretär, noch eine Nachfrage zum Fall
Amri . Wir – auch der Rechtsausschuss – haben inzwi-
schen aus dem Justizbereich eine Aufstellung aller der
Bundesregierung mittlerweile bekannten Strafverfahren
gegen Anis Amri bekommen . Die Übersicht besagt fak-
tisch, dass acht Staatsanwaltschaften elf Ermittlungsver-
fahren gegen Amri durchgeführt haben . In dieser Über-
sicht fehlten noch Niedersachsen und Hessen . Können
Sie mir sagen, ob aus diesen beiden Bundesländern noch
mehr Ermittlungsverfahren dazukommen? Können Sie
ergänzen, was dann noch an Ergebnissen dazukäme?
Ich möchte diese Frage um den folgenden Punkt er-
weitern: Werden Sie, wird das Innenministerium anre-
gen, dass man mit solchen Fällen in Zukunft beim GTAZ
anders vorgeht, nämlich zum Beispiel vereinbart, die
Fälle zusammenzuführen und die Verfahren auch endlich
durchzuführen?
Bitte, Herr Staatssekretär .
D
Frau Präsidentin! Frau Künast, diese Daten wer-
den – nicht umsonst haben wir das im Rechtsausschuss
erörtert – von den Justizbehörden der Länder und auch
vom Bundesjustizministerium zusammengetragen . Ich
kann aktuell nicht sagen, ob etwas dazugekommen ist .
Ich weiß, dass dieser Arbeitsprozess entweder schon ab-
geschlossen oder noch in Arbeit ist . Insofern wäre diese
Frage zu gegebener Zeit an das Justizministerium zu stel-
len . Ich kann aktuell die Frage, was die anderen beiden
Bundesländer, die Sie genannt haben, anbelangt, nicht
beantworten .
Ich glaube, dass aus diesem Fall ganz erhebliche Er-
kenntnisse und Schlussfolgerungen im GTAZ gezogen
werden müssen, aber auch bei den einzelnen Behörden,
die daran beteiligt waren, gerade bei den Landesbehör-
den, und dass Verfahren stärker zusammen betrachtet
werden müssen . Auch muss, wenn es um mehrere Straf-
verfahren geht, eine Strategie entwickelt werden, wie
man eine Anklage mit einer möglichen Untersuchungs-
haft erreichen kann . Das halte ich für einen ganz wesent-
lichen Punkt, der zu diskutieren ist, nicht nur im GTAZ .
Aus meiner Sicht muss insgesamt die Schlussfolgerung
gezogen werden – das darf ich jedenfalls sagen –, dass
wir eine Zusammenschau solcher Verfahren brauchen,
um dann zu sehen, wie wir solche Gefährder etwa mit ei-
ner Untersuchungshaft aus dem Verkehr ziehen können .
Danke . – Wir kommen jetzt zur Frage 23 des Kollegen
Hans-Christian Ströbele:
Welche Angaben macht die Bundesregierung zum konkre-
ten Inhalt und zu den Erklärungen zu zwei verfälschten ITA-
ID-Karten , die Anis Amri am 30 . Juli 2016 bei
seiner Festnahme durch Beamte der Bundespolizei in Fried-
Erkenntnisse haben deutsche Behörden im Anschluss an das
Auffinden insbesondere zu Herkunft, Zustandekommen, Ort,
Zeit und Täter der Verfälschung sowie über die Nutzung dieser
Bitte, Herr Staatssekretär .
D
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Weil die Fakten soumfangreich sind, wird es vielleicht ein bisschen länger .Dafür bitte ich um Entschuldigung .Am 30 . Juli 2016 um 0 .11 Uhr wies sich Amri bei ei-ner Kontrolle durch Beamte der Bundespolizei im Rah-men einer Identitätsfeststellung mit einer italienischenID-Karte aus . Das war in diesem Fernbus . Bei der fahn-dungsmäßigen Überprüfung der Ausweisnummer wurdedurch eine Treffermeldung in der INPOL-Sachfahndungfestgestellt, dass bereits am 13 . Mai 2013 eine italieni-sche ID-Karte mit identischer Ausweisnummer, jedochanderen Personaldaten als Totalfälschung festgestelltwurde .Im Weiteren wurde bei der Durchsuchung des Amrieine weitere italienische ID-Karte gefunden . Beide Kar-ten wiesen identische Ausweisnummern und identischePersonaldaten aus . Ausgestellt waren sie auf Anis Amri,geboren am 22 . Dezember 1995 in Rom .Aufgrund des Antreffens des Amri am 30. Juli 2016in Friedrichshafen wurden durch die Bundespolizei-inspektion Konstanz am 30 . Juli 2016 mehrere Ermitt-lungsverfahren eingeleitet . Konkrete Vorwürfe waren:Urkundenfälschung, § 267 Absatz 1 StGB, Verschaffenvon falschen amtlichen Ausweisen, § 276 Absatz 1 StGB,unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln, § 29 Absatz 1Satz 1 Nummer 3 BtMG, Verdacht des unerlaubten Auf-enthaltes ohne Pass bzw . Passersatz, § 95 Absatz 1 Num-mer 1 Aufenthaltsgesetz, Verdacht des unerlaubten Auf-enthaltes ohne Aufenthaltstitel, § 95 Absatz 1 Nummer 2Aufenthaltsgesetz .Nach Abschluss der strafprozessualen Sofortmaßnah-men und Sachdarstellung bei der zuständigen Staatsan-waltschaft wurde der Gesamtvorgang zuständigkeitshal-ber dem Landespolizeirevier Friedrichshafen übergeben .Zudem wurden durch die Bundespolizei Erkenntnismit-teilungen an das Bundeskriminalamt und die Landeskri-minalämter Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalenund Berlin gesteuert . Auch das Bundesamt für Verfas-sungsschutz wurde über die Festnahme des Amri unter-richtet .Weitere Ermittlungen zur Herkunft der bei Amri auf-gefundenen totalgefälschten ID-Karten erfolgten durchdie Bundespolizei nicht . Dem Bundeskriminalamt, demBundesamt für Verfassungsschutz und dem Bundesnach-richtendienst liegen darüber hinaus keine Erkenntnisseim Sinne der Fragestellung vor .Aus dem Aufgriff des Amri erwuchs ein Ermittlungs-verfahren der Staatsanwaltschaft Ravensburg, über des-sen Inhalt grundsätzlich die Landesbehörden Auskunfterteilen müssen . Das Verfahren wurde am 7 . September
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(C)
(D)
2016 von der entsprechenden Landesbehörde dort gemäߧ 154f StPO eingestellt .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Herr Staatssekretär, das war eine ganz schöne Auf-
listung von Straftaten, die allein am 30 . Juli 2016 in
Friedrichshafen durch die Bundespolizei festgestellt
worden sind . Sie sagen, diese Verfahren wurden nach
§ 154f StPO, das heißt, mit Rücksicht auf andere, schwe-
rere Straftaten bzw . Strafverfahren aufgrund noch schwe-
rerer Delikte, eingestellt .
Wie beurteilt die Bundesregierung diese Einstellung
wenige Tage nach der Feststellung des Verdachts, dass
sich Herr Amri in diesem Maße strafbar gemacht hat?
Offenbar war ein guter Geist über ihm, der die Strafver-
folgungsbehörden davon abgehalten hat, ihres Amtes in
Deutschland zu walten .
Bitte, Herr Staatssekretär .
D
Frau Präsidentin! Lieber Herr Kollege, ich weiß nicht,
was Sie mit dem „guten Geist“ insinuieren wollen .
Ich kann nur sagen, dass das eine Entscheidung der
Landesbehörden war, die wir als Bundesregierung im
konkreten Fall nicht zu kommentieren haben . Die Ent-
scheidung ist nicht von einer Bundesbehörde getroffen
worden .
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .
H
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe gefragt, welche Erkenntnisse die Bundesbe-
hörden über die Herkunft dieser Daten gewonnen haben .
Welche Informationen haben Sie oder die Bundesbehör-
den denn in Italien eingeholt? Welche Erkenntnisse gibt
es darüber, wie Herr Amri an diese Karten gekommen ist
und wie Herr Amri diese Karten gefälscht hat? Wann und
wo hat er das gemacht?
Sind hierzu Ermittlungen angestellt worden? Das war
immerhin mehrere Monate vor dem Anschlag, und viel-
leicht gab es dort Erkenntnisse, die den Fall Amri in ei-
nem ganz anderen Licht hätten erscheinen lassen .
D
Auch hier muss ich Ihnen sagen, dass die Zuständig-
keit für die Ermittlungsverfahren und auch für die Beur-
teilung der Ergebnisse, die dort erzielt worden sind, bei
den Landesbehörden liegt . Diese Landesbehörden haben
die Aufgabe, diesen Sachverhalt auszuermitteln . – So ist
das bei der föderalen Zuständigkeitsverteilung .
Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Beck das
Wort .
He
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wann wurde Amri letztmalig vor dem Anschlag in
Deutschland durch anderweitige Maßnahmen im Hin-
blick auf seinen Aufenthaltsort erfasst?
Die letzte Sache, die mir bekannt ist, ist die Aufnah-
me in dieser Moschee . Daher die Frage: Gibt es durch
Zeugen oder andere technische Mittel – IMSI-Catcher,
TKÜ oder dergleichen – Erkenntnisse? Wurde er erfasst?
Wenn ja, durch welche Behörde und gegebenenfalls wel-
che Maßnahmen?
D
Wir haben eine Maßnahme genannt . Im Ausschuss
haben wir auch darüber gesprochen, dass beispielsweise
Möglichkeiten wie eine stille SMS genutzt worden sind .
Ich kann jetzt, weil ich die ganze Chronologie dafür noch
einmal durchschauen müsste, nicht sagen, wo das zum
letzten Mal passiert ist . Auch das müsste ich Ihnen nach-
reichen, da ich die Chronologie nicht präsent habe .
– Bitte?
Herr Kollege Beck freut sich auf den vielen Postein-
gang, wenn ich das richtig verstanden habe .
D
Ich spreche gerne mit Ihnen, und ich schreibe Ihnen
gerne, Herr Beck .
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär .Wir kommen zur Frage 24 des Kollegen Volker Beck:
tungen (zum Beispiel Botschaftsangehörige bzw . MitarbeiterParl. Staatssekretär Dr. Günter Krings
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 217 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 15 . Februar 201721726
(C)
(D)
anderer türkischer Einrichtungen – UETD, MIT etc . –; bittenach Ort und Funktion aufschlüsseln, zum Beispiel Religions-beauftragte, Botschaft) haben nach Kenntnis der Bundesre-gierung seit Bekanntwerden der Spionage der DITIB/Diyanet
verlassen (http://t .wn .de/Welt/Politik/2674080-Spionage-Af-faere-Spitzel-Imame-in-die-Tuerkei-abgezogen, https://www .welt .de/regionales/nrw/article161923742/In-vielen-Moschee-gemeinden-brodelt-es .html, www .ksta .de/politik/ditib-spiona-ge-tuerkischer-geheimdienst-bedraengt-verwandte-von-spit-zel-opfer-aus-nrw-25679548-seite2, www .ditib .de/detail1 .php?id=565&lang=de), und wann wurde diese Aktion zwi-schen der Bundesrepublik Deutschland und türkischen Stellen
erörtert?
Bitte, Herr Staatssekretär .D
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Meine Damen
und Herren! Lieber Herr Kollege, Ausreisen von
DITIB-Mitarbeitern oder Funktionären vergleichbarer
türkischer Einrichtungen werden nicht zentral erfasst .
Der Bundesregierung liegen daher keine Informationen
zur Gesamtzahl der DITIB-Mitarbeiter oder Funktionäre
vergleichbarer türkischer Einrichtungen vor, die seit Be-
kanntwerden der Spionagevorwürfe die Bundesrepublik
Deutschland verlassen haben .
Wir haben heute Morgen im Ausschuss schon darü-
ber gesprochen. Abhilfe schaffen würde in weiten Teilen
jedenfalls ein Entry-Exit-System, das wir in der Europä-
ischen Union einführen wollen . Ich würde mich freuen,
wenn wir die Grünen bei der Einführung dieses Systems
künftig an unserer Seite hätten; denn ansonsten können
wir gar keine umfassenden Informationen über Ein- und
Ausreisen haben und entsprechende Auskünfte geben .
Im Übrigen – das darf ich ergänzen – hat die Bundes-
regierung mit türkischen Stellen oder DITIB keine Ge-
spräche über etwaige Ausreisen geführt .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Die DITIB ist Mitglied der Islamkonferenz, die von
Ihrem Haus geleitet wird . In diesem Rahmen frage ich
Sie: Sind Sie bereit, mit der DITIB endlich einmal da-
rüber zu reden und zu fordern, dass sie Ihnen gegenüber
entsprechende Auskünfte macht? In Pressemitteilungen
teilt uns die DITIB mit, dass sowohl Religionsbeauftrag-
te der türkischen Botschaft – lustigerweise ist die DITIB
dafür zuständig – als auch Imame ausgereist sind, weil
sie ihre Kompetenzen im Rahmen der Spionage über-
schritten haben . Es ist doch ein Leichtes, den Vorsitzen-
den oder meinetwegen auch den armen Herrn Alboga,
der das alles ausbaden muss, nach Berlin einzubestellen
und zu fragen: Wie viele Menschen sind jetzt gegangen?
Daran möchte ich die Frage anschließen: Wie sollen nach
euren Vorstellungen die Ermittlungen trotzdem stattfin-
den?
D
Frau Präsidentin! Ich glaube, ich habe auch im Aus-
schuss eben darauf hingewiesen: Es gab Ende Januar ein
Gespräch von Mitarbeitern des BMI mit dem Vorstand
des Bundesverbandes DITIB . Dort hat man auf diese
Problematik insgesamt hingewiesen, auch sehr deutliche
Worte gefunden und von DITIB ein deutliches Zeichen
der Loslösung von der Türkei bis hin zur Satzungsände-
rung gefordert .
Dann gibt es diese Gespräche . Sie können also nicht
unterstellen, dass wir das nicht problematisieren und the-
matisieren . Dazu wäre es in der Tat auch sinnvoll – da
stimme ich Ihnen zu –, dass uns DITIB Auskunft darüber
gibt, wie sie mit diesen Imamen umgegangen ist, ob es
da Weisungen oder Ähnliches gab . Das würden wir na-
türlich auch gerne wissen .
Dabei muss man natürlich differenzieren: Sie wissen –
Sie kennen das Wiener Übereinkommen über diploma-
tische Beziehungen –, dass wir bei Religionsattachés,
wenn sie ordentlich akkreditiert sind, keine strafrechtli-
chen Maßnahmen ergreifen können . Da wäre die größt-
mögliche und maximale Sanktion sogar, sie zur Ausreise
aufzufordern . Etwas anderes gilt natürlich für die Imame .
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .
Sind Sie bereit, bezüglich der Mitarbeit der DITIB inder Islamkonferenz Konsequenzen zu ziehen,
wenn die DITIB nicht dafür sorgt, dass die Imame, diegegen Deutschland und gegen deutsche Bürger spio-niert haben, für Strafverfolgungsmaßnahmen und Ver-nehmungen in Deutschland zur Verfügung stehen? Wirhaben heute gehört, dass es mit allen Haftbefehlen nichtgeklappt hat und dass die Häuser bei den Durchsuchun-gen leer waren, weil die Verdächtigen ausgeflogen sind –vermutlich in Richtung Türkei mit dem Flugzeug .
Ich meine, die Bundesregierung erweckt den Ein-druck, als ob sie einfach kein Interesse an der Aufklärungdieses Falles und der Verfolgung hat,
sonst hätte es nicht sechs Wochen gedauert, bis über-haupt Ermittlungen aufgenommen worden sind, nach-dem in der Presse bekannt geworden ist, dass wir Opfereiner Auslandsspionage geworden sind .Vizepräsidentin Petra Pauhttp://t.wn.de/Welt/Politik/2674080-Spionage-Affaere-Spitzel-Imame-in-die-Tuerkei-abgezogenhttp://t.wn.de/Welt/Politik/2674080-Spionage-Affaere-Spitzel-Imame-in-die-Tuerkei-abgezogenhttps://www.welt.de/regionales/nrw/article161923742/In-vielen-Moscheegemeinden-brodelt-es.htmlhttps://www.welt.de/regionales/nrw/article161923742/In-vielen-Moscheegemeinden-brodelt-es.htmlhttps://www.welt.de/regionales/nrw/article161923742/In-vielen-Moscheegemeinden-brodelt-es.htmlhttp://www.ksta.de/politik/ditib-spionage-tuerkischer-geheimdienst-bedraengt-verwandte-von-spitzel-opfer-aus-nrw-25679548-seite2http://www.ksta.de/politik/ditib-spionage-tuerkischer-geheimdienst-bedraengt-verwandte-von-spitzel-opfer-aus-nrw-25679548-seite2http://www.ksta.de/politik/ditib-spionage-tuerkischer-geheimdienst-bedraengt-verwandte-von-spitzel-opfer-aus-nrw-25679548-seite2http://www.ditib.de/detail1.php?id=565&lang=dehttp://www.ditib.de/detail1.php?id=565&lang=de
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(D)
Sie haben das Wort, Herr Staatssekretär .
D
Frau Präsidentin! Herr Beck, natürlich – das habe ich
eben schon dargelegt – zieht die Bundesregierung Kon-
sequenzen . Wir haben sehr ernsthafte Gespräche geführt .
Ich glaube nicht, dass wir jetzt sagen sollten, wir reden
mit denen gar nicht mehr .
Wir wollen diesen Fall aufklären . Deshalb will ich
auch noch einmal zurückweisen, dass wir kein Interesse
daran haben . Der Generalbundesanwalt führt ein Ermitt-
lungsverfahren . Sie können jetzt nicht diesen Eindruck
erwecken . Das war bei Ihrer Zusammenstellung ein
wenig der Fall, wenn Sie sagen: Die Haftbefehle haben
nicht geklappt . – Sie haben deshalb nicht geklappt, weil
eine Richterin sie nicht erlassen hat .
Der Generalbundesanwalt wollte diese Menschen in
Haft nehmen, und die Richterin hat anders entschieden .
Wir leben in einem Rechtsstaat . Das unterscheidet uns
auch von den Ländern, über die wir gerade sprechen – in
Teilen jedenfalls –, und an der Stelle hat die Bundesre-
gierung gerade auch über die Strafverfolgungsbehörden
konsequent gehandelt .
Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Ströbele
das Wort .
Herr Staatssekretär, auch mir fällt auf, dass das ein
erneuter Fall von erheblicher Beißhemmung der Sicher-
heitsbehörden in Deutschland ist . Was hat die Bundesre-
gierung eigentlich in den vielfältigen Kontakten, die sie
auch auf Arbeitsebene der Sicherheitsbehörden mit den
türkischen Behörden hat, unternommen, um diesen Fall
bzw. diese Fälle – es sind offenbar eine ganze Reihe – an-
zusprechen und deutlich zu machen, dass die ganz offene
Spionagetätigkeit von Bürgern der Türkei – angeblich
Geistliche – hier in Deutschland nicht geht? Hat sie an-
gesprochen, warum das gemacht wird und dass das nicht
nur gestoppt werden muss, sondern sich auch darum be-
müht, dass eine Stellungnahme der türkischen Behörden
dazu herbeigeführt wird? Oder wird das in den Beziehun-
gen zu der Türkei überhaupt nicht problematisiert?
D
Frau Präsidentin! Lieber Herr Ströbele, ich habe
Ihnen gerade dargelegt, dass wir nicht nur das Ermitt-
lungsverfahren der Generalbundesanwaltschaft haben,
sondern dass auch zwischen dem BMI und DITIB Ge-
spräche stattgefunden haben . Ich gehe davon aus, dass
auch im Auswärtigen Amt über die entsprechenden Ka-
näle ebenfalls Gespräche geführt werden . Es muss sich
sozusagen an dem Zusammenhang zwischen DITIB und
dem türkischen Staat einiges ändern, wenn – das hat Herr
Beck gerade angesprochen – die Zusammenarbeit in der
Islamkonferenz fortgesetzt werden sollte . Auf Landes-
ebene wird sich die Frage stellen: Wie halten wir es mit
der Beteiligung von DITIB am Religionsunterricht? Das
geht alles nur, wenn sich strukturell grundsätzlich etwas
ändert. Da sind wir uns hoffentlich einig.
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin
Haßelmann das Wort .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Herr Staatssekretär
Krings, ich habe der Presse entnommen, dass die Vor-
würfe im Zusammenhang mit DITIB auch Gegenstand
des Gesprächs zwischen Yildirim und Merkel waren .
Können Sie mir das bestätigen, und wenn ja, was war der
Gegenstand der Beratungen?
D
Frau Kollegin, das kann ich so nicht bestätigen . Ich
kann nicht sagen, ob oder in welcher Weise das Thema
war . Jedenfalls war Ausreise oder Ähnliches kein The-
ma – das ist mir bestätigt worden –, wenn Sie das un-
terstellen wollen . Das war jedenfalls kein Thema dieses
Gespräches .
– Ich habe Informationen zu dem Punkt eingeholt, und
die Auskunft habe ich bekommen . Die Auskunft, die ich
bekommen habe, kann ich gerne weitergeben .
Danke, Herr Staatssekretär .Die Frage 25 der Abgeordneten Erika Steinbach, dieFrage 26 des Abgeordneten Niema Movassat, die Fra-gen 27 und 28 der Abgeordneten Ulla Jelpke und die Fra-gen 29 und 30 des Abgeordneten Dr . André Hahn sollenschriftlich beantwortet werden . Wir sind damit am Endedes Geschäftsbereichs des Bundesministeriums des In-nern .Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-teriums der Justiz und für Verbraucherschutz . Zur Beant-wortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatsse-kretär Christian Lange zur Verfügung .
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(D)
Die Frage 31 der Abgeordneten Erika Steinbach sollschriftlich beantwortet werden .Ich rufe die Frage 32 der Kollegin Tabea Rößner auf:Wie beurteilt die Bundesregierung die Rechtssicherheitund Zweckmäßigkeit des Leistungsschutzrechts für Pressever-leger vor dem aktuellen Hintergrund, dass – wie auch schonein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des DeutschenBundestages vom 30 . März 2015 feststellte – nun auch dasLandgericht Berlin in seiner mündlichen Verhandlung am7 . Februar 2017 in Sachen VG Media gegen Google Inc .Anhaltspunkte dafür sieht, dass das Gesetz europarechtswid-rig zustande gekommen sei, da es vor seinem Inkrafttretenin einem sogenannten Notifizierungsverfahren der Europäi-
und wie schätzt die Bundesregierung vor diesem Hintergrunddie von demselben Gutachten des Wissenschaftlichen Diens-tes des Deutschen Bundestages aufgeworfene Gefahr einerStaatshaftung ein?Bitte, Herr Staatssekretär .C
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Ihre Frage, Frau Kol-
legin, beantworte ich wie folgt: Die Bundesregierung hat
die Berichterstattung über die mündliche Verhandlung
vor dem Landgericht Berlin im Verfahren VG Media
gegen Google zur Kenntnis genommen . Zu anhängigen
Gerichtsverfahren nimmt die Bundesregierung keine
Stellung .
Vor diesem Hintergrund besteht auch kein Anlass, sich
erneut zu dem in der Frage erwähnten Gutachten des Wis-
senschaftlichen Dienstes oder zu Fragen der Staatshaf-
tung zu äußern . In diesem Zusammenhang verweist die
Bundesregierung auf die Antwort auf die schriftliche Fra-
ge 29, abgedruckt in der Bundestagsdrucksache 18/5737
auf Seite 32 f . Die Bundesregierung hatte dort darauf
hingewiesen, dass in dem Gutachten Argumente für und
Argumente gegen eine Notifizierungspflicht abgewogen
werden und dass laut dem Gutachten dem Europäischen
Gerichtshof insoweit die Auslegungshoheit zukomme .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Vielen Dank . – So ganz erschließt sich mir das nicht,
wenn der Wissenschaftliche Dienst ein Gutachten erstellt
hat, das ganz deutlich sagt, dass hier Anhaltspunkte für
eine europarechtswidrige Gesetzgebung vorgefunden
worden sind .
Ich habe aber eine Frage, die sich auf den Okto-
ber 2016 und die Antwort auf meine Kleine Anfrage be-
zieht . Und zwar hatten die Regierungsfraktionen im Koa-
litionsvertrag versprochen, dass es eine Evaluierung gibt .
In der Antwort auf meine Kleine Anfrage wurde gesagt,
dass man mit dieser Evaluierung inzwischen begonnen
habe . Ich hätte gern von Ihnen gewusst, wie der Stand
der Evaluierung ist .
C
Frau Kollegin, ich habe darüber hinaus keine weiteren
Ausführungen zu machen . Sie hat begonnen, sie ist in
Arbeit .
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage .
Dann wüsste ich sehr gerne, wann denn die Ergebnis-
se kommen und wann sie der Öffentlichkeit zugänglich
sind .
C
Wie immer: unverzüglich, ohne schuldhaftes Verzö-
gern .
Wir kommen dann zur Frage 33 der Kollegin Rößner:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der
auch vom Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des
Deutschen Bundestages gesehenen Gefahr einer Staatshaftung
aufgrund des Verstoßes gegen die Richtlinie 98/34/EG wegen
fehlender Notifizierung, und unterstützt die Bundesregierung
vor dem Hintergrund der anhängigen Rechtsverfahren und da-
raus folgenden Rechtsunsicherheiten die Pläne, ein EU-weit
geltendes Leistungsschutzrecht mit einer Schutzfrist von
europa .eu/digital-single-market/en/news/proposal-directive-
european-parliament-and-council-copyright-digital-single-
market)?
Bitte, Herr Staatssekretär .
C
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Die Frage beantwor-te ich wie folgt: Auf die Antwort zu Frage 32 verwei-se ich . Es besteht kein Anlass, derzeit zu Fragen einerStaatshaftung Stellung zu nehmen .Hinsichtlich ihrer Haltung zu den Plänen für eine Ein-führung des Leistungsschutzrechts für Presseverlegerauf EU-Ebene verweist die Bundesregierung auf ihreAntwort auf die bereits von Ihnen eben erwähnte KleineAnfrage von Ihnen, der Kollegin Künast, des Kollegenvon Notz und weiterer Abgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen vom 20 . Oktober 2016 . Die Bundesregie-rung hatte dort dargelegt, dass sie es für richtig hält, diegrundsätzliche Frage, wie für einen gerechten Interes-senausgleich bei der Wertschöpfung im Internet gesorgtwerden kann, auch und vor allem auf europäischer Ebenezu diskutieren . Sie hatte darauf hingewiesen, dass sie indiesem Zusammenhang derzeit die Regelungsvorschlägeder Europäischen Kommission prüfe . Diese Prüfungensind auch vor dem Hintergrund, dass die fachlichen Bera-tungen im Rat in Brüssel zum entsprechenden VorschlagVizepräsidentin Petra Pauhttp://www.berlin.de/gerichte/presse/pressemitteilungen-der-ordentlichen-gerichtsbarkeit/2017/pressemitteilung.558728.phphttp://www.berlin.de/gerichte/presse/pressemitteilungen-der-ordentlichen-gerichtsbarkeit/2017/pressemitteilung.558728.phphttps://ec.europa.eu/digital-single-market/en/news/proposal-directive-european-parliament-and-council-copyright-digital-single-markethttps://ec.europa.eu/digital-single-market/en/news/proposal-directive-european-parliament-and-council-copyright-digital-single-markethttps://ec.europa.eu/digital-single-market/en/news/proposal-directive-european-parliament-and-council-copyright-digital-single-markethttps://ec.europa.eu/digital-single-market/en/news/proposal-directive-european-parliament-and-council-copyright-digital-single-market
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(D)
der Europäischen Kommission erst beginnen, noch imGange .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Ich frage mich trotzdem: Wenn im Oktober 2016 die
Kleine Anfrage beantwortet wurde, gibt es jetzt – jetzt
haben wir schon Mitte/Ende Februar – doch bestimmt
mehr Erkenntnisse .
Es gab am 20 . Oktober den Abschluss der Konsul-
tationen der Stakeholder . Da hätte ich gerne von Ihnen
gewusst, was das Ergebnis ist und welche Schlüsse die
Bundesregierung aus diesen Konsultationen zieht .
Bitte, Herr Staatssekretär .
C
Frau Kollegin, die fachlichen Beratungen der Rats-
arbeitsgruppe beginnen heute – um das noch einmal zu
sagen und zu konkretisieren – in Brüssel .
Der Richtlinienvorschlag ist komplex und enthält eine
Vielzahl strittiger Dossiers . Deshalb ist im Augenblick
nicht abzusehen, ob bzw . wann das Vorhaben in Brüssel
abgeschlossen sein wird – wahrscheinlich nicht vor 2018 .
Ich will im Übrigen darauf hinweisen, dass neben den
Beratungen in der Ratsarbeitsgruppe parallel auch im
Europäischen Parlament Beratungen für eine Positionie-
rung zum Vorschlag laufen . Von daher bitte ich einfach
um Verständnis, dass wir im Augenblick nicht konkreter
werden können, zumal die fachlichen Beratungen heute
in Brüssel beginnen .
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .
Dann stelle ich noch einmal die Frage: Wann gibt es
die Ergebnisse der Evaluation, die Sie ja im Koalitions-
vertrag angekündigt haben?
C
Dann antworte ich Ihnen noch einmal im O-Ton, wenn
ich mich richtig erinnere: unverzüglich, ohne schuldhaf-
tes Verzögern . Wir sind am Arbeiten .
„Unverzüglich“ ist keine Antwort auf die Frage:
Wann?
Das ändert jetzt nichts daran, dass Sie Ihr Nach-
fragerecht ausgeschöpft haben . – Aber die Kollegin
Haßelmann und auch der Kollege Petzold können noch
eine Frage stellen .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Herr Staatssekretär,
Sie haben sicherlich an den Fragen meiner Kollegin –
und ich bitte Sie, die ernst zu nehmen – gemerkt, dass es
uns nicht darum geht, ob schuldhaft oder nichtschuldhaft
oder unverzüglich oder verzüglich . Die Frage war über-
sichtlich: Wann wird uns ein entsprechendes Dokument
oder ein entsprechender Entwurf erreichen?
C
Ich nehme jede Frage ernst und beantworte jede Frage
ernsthaft . Ich sage Ihnen: Es ist in Arbeit . Sobald die Ar-
beit abgeschlossen ist, werden Sie unterrichtet .
Kollege Petzold .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Ich versuche es noch
einmal anders . Mit welchen Positionen gehen Sie denn
in die Verhandlungen auf europäischer Ebene, von denen
Sie gerade gesprochen haben?
C
Ich verweise dazu auf die Seite 31 des entsprechenden
Dokuments in Kapitel 1, Artikel 11, Schutz von Presse-
veröffentlichungen im Hinblick auf die digitalen Nutzun-
gen . Das, was dort zu lesen ist, geht unseres Erachtens
sehr weit, was die Fragen der Verlegerschaft anbelangt .
Aber im Grundsatz wird dort die deutsche Haltung wie-
dergegeben .
Danke, Herr Staatssekretär . – Wir sind damit am EndeIhres Geschäftsbereiches .Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums der Finanzen . Die Frage 34 der Abgeordne-ten Sabine Zimmermann sowie die Fragen 35 und 36 derAbgeordneten Lisa Paus werden schriftlich beantwortet .Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-teriums für Wirtschaft und Energie . Zur Beantwortungder Fragen steht der Parlamentarische StaatssekretärDirk Wiese zur Verfügung .Die Frage 37 der Abgeordneten Heike Hänsel, dieFragen 38 und 39 des Abgeordneten Friedrich Ostendorffsowie die Frage 40 des Abgeordneten Oliver Krischerwerden schriftlich beantwortet .Ich rufe die Frage 41 der Kollegin Dr . Julia Verlindenauf:Parl. Staatssekretär Christian Lange
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Wie bewertet die Bundesregierung eine mögliche Über-tragung von Elektrizitätsmengen anderer KKW auf die KKWBrokdorf und Emsland vor dem Hintergrund, dass diese KKWsich laut Entwurf der Netzausbaugebietsverordnung in denNetzausbaugebieten befinden würden, in welchen der Ausbau
Bitte, Herr Staatssekretär .D
Vielen Dank . Das beantworte ich sehr gerne . – Die
im Netzausbaugebiet geltenden Regelungen zu den Aus-
schreibungen bei Wind an Land sind vom Verhalten der
Kernkraftwerksbetreiber unberührt . Bezüglich etwaiger
Elektrizitätsmengenübertragungen verweist die Bun-
desregierung auf die hierzu geltende Rechtslage, insbe-
sondere den gesetzlichen Rahmen für Übertragungen
gemäß § 7 Absatz 1b des Atomgesetzes sowie das Urteil
des Bundesverfassungsgerichts vom 6 . Dezember 2016,
wonach die konzerninterne Erzeugung der Elektrizitäts-
mengen nach Anlage 3 Spalte 2 des Atomgesetzes ein-
schließlich der bestehenden Übertragungsmöglichkeiten
verfassungsrechtlich zu berücksichtigen ist . Ein gegebe-
nenfalls notwendiger Redispatchbedarf wird – bei sonst
gleichen Bedingungen – durch zusätzliche Erzeugung
durch Kraftwerke im Norden Deutschlands erhöht .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Antwort, die
mich allerdings, wie Sie sich vorstellen können, über-
haupt nicht zufriedenstellt; denn ich sehe hier einen kla-
ren Widerspruch im Regierungshandeln . Auf der einen
Seite begründen Sie die Netzausbaugebiete und die da-
mit einhergehenden gedeckelten Ausbaumengen bei der
Windenergie damit, dass in den Netzen nicht genügend
Kapazitäten zur Verfügung stehen; deswegen müssten
die Netze weiter ausgebaut werden . Das ist Ihre Argu-
mentation in Bezug auf erneuerbare Energien und den
Ausbau in Norddeutschland . Auf der anderen Seite sa-
gen Sie nun, das habe doch gar nichts damit zu tun, wie
viel Strom überhaupt produziert werde . Wenn Sie zulas-
sen, dass die Atomkraftwerksbetreiber Reststrommen-
gen aus südlichen Atomkraftwerken auf die nördlichen
übertragen dürfen, dann wird viel mehr Strom vor Ort
produziert, insbesondere in den Regionen, wo ein großes
Windenergiepotenzial und damit auch ein ausreichendes
Investitionspotenzial bestehen; diese deckeln Sie nun .
Wie erklären Sie der Bevölkerung diesen eklatanten Wi-
derspruch in Ihrem Regierungshandeln?
Bitte, Herr Staatssekretär .
D
Sehr geehrte Frau Dr . Verlinden, ich beantworte Ihre
Nachfrage sehr gerne . Wie ich vorhin ausgeführt habe,
werden die Ausschreibungsregelungen für Windener-
gieanlagen an Land von dem Verhalten der Kernkraft-
werksbetreiber im Netzausbaugebiet nicht berührt; das
habe ich Ihnen in meiner Antwort deutlich gemacht . Wie
Sie bei der Antwort auf Ihre Frage zum Geschäftsbereich
des BMUB bereits festgestellt haben, liegen bisher auch
keine Kenntnisse über entsprechende Übertragungen vor .
Wie ich eingangs ausgeführt habe, sind die Ausschrei-
bungen vom Verhalten der Kernkraftwerksbetreiber im
Bereich des Netzausbaugebietes unberührt .
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .
Verstehe ich richtig, dass Sie die Reststrommengen-
übertragung von anderen Atomkraftwerken auf Atom-
kraftwerke, die sich innerhalb der Netzausbaugebiete
befinden – da, wo Sie die Windenergie deckeln –, nicht
regeln bzw . nicht ausschließen wollen, sondern im Fall
der Fälle den entsprechenden Antrag der Atomkraft-
werksbetreiber möglicherweise durchwinken?
Meine zweite Frage lautet, ob die Bundesregierung
plant – dazu hätte sie noch ausreichend Zeit –, die Brenn-
elementesteuer wieder einzuführen, wenn ein Gericht die
Klage der Betreiber so entscheidet, dass die Rechtmäßig-
keit dieses Instruments bestätigt wird .
D
Die Frage beantworte ich sehr gerne . Ich habe vor-
hin ausgeführt, dass wir bezüglich eventueller Elektri-
zitätsmengenübertragungen auf die geltende Rechtslage
verweisen und sich dieser Rechtsrahmen aus dem § 7
Absatz 1b des Atomgesetzes sowie aus dem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts vom 6 . Dezember 2016, das
Ihnen hinlänglich bekannt ist, ergibt . Darum verweise ich
an dieser Stelle auf die geltende Rechtslage . Zu laufen-
den Gerichtsverfahren nehmen wir nicht Stellung, son-
dern wir warten das Verfahren ab .
Wir kommen zur Frage 42 des Kollegen ChristianKühn:Wie will die Bundesregierung ihr eigenes Ziel eines kli-maneutralen Gebäudebestandes noch erreichen, wenn sie mitdem vorgelegten Entwurf zum Gebäudeenergiegesetz denNiedrigstenergiegebäudestandard für Gebäude der öffentli-chen Hand, die Vorbildfunktion haben sollen, lediglich aufdem Niveau des KfW-Effizienzhauses 55 definiert und darü-ber hinaus die verbindliche Nutzung von erneuerbaren Energi-en zur Wärmeerzeugung im Gebäudebestand nicht einführenwill?Bitte, Herr Staatssekretär .Vizepräsidentin Petra Pau
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D
Sehr gerne . – Das Gebäudeenergiegesetz soll den
Niedrigstenergiegebäudestandard für öffentliche Nicht-
wohngebäude einführen und damit eine Vorgabe der
EU-Gebäuderichtlinie 2010/31 umsetzen . Die Richtlinie
gibt vor, dass zur Wahrung der Vorbildfunktion öffentli-
che Nichtwohngebäude schon ab 2019 als Niedrigstener-
giegebäude auszuführen sind . Für den privaten Neubau
gilt diese Pflicht ab 2021. Der Niedrigstenergiegebäu-
destandard für diese Gebäude wird in einer zweiten No-
vellierungsstufe rechtzeitig vor 2021 definiert. Die ord-
nungsrechtlichen Energieeffizienzvorgaben haben das
Wirtschaftlichkeitsgebot einzuhalten .
Das im Entwurf des Gebäudeenergiegesetzes vorge-
sehene Anforderungsniveau für neue öffentliche Nicht-
wohngebäude entspricht dem Standard eines Effizienz-
hauses 55 . Dieses geplante Vorgehen für Neubauten im
Gebäudeenergiegesetz steht auch im Einklang mit der
Energieeffizienzstrategie Gebäude sowie dem Klima-
schutzplan . Damit ist der Entwurf des Gebäudeenergiege-
setzes konform zum Ziel der Bundesregierung, bis 2050
einen nahezu klimaneutralen Gebäudestand zu erreichen;
denn die Strategien der Bundesregierung sollen neben
ordnungsrechtlichen Mindestanforderungen – hierzu zu-
künftig durch das Gebäudeenergiegesetz – insbesondere
die Förderung von hocheffizienten Neubauten, Maßnah-
men im Gebäudebestand sowie den Einsatz erneuerbarer
Energien im Wärmemarkt einbeziehen .
Komplementiert werden diese Instrumente durch In-
formationsangebote und Energieberatung . Nur in der
Summe aller Maßnahmen und Instrumente kann die
Wärmewende aus Sicht der Bundesregierung gelingen .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Danke, Herr Staatssekretär, für die Antwort . – Es
gibt einen Brief, der mir vorliegt, der Kollegen Fuchs,
Nüßlein, Pfeiffer, Bareiß, Durz und Volkmar Vogel sowie
der Kolleginnen Dött und Gundelach von der Unions-
fraktion, auf dessen Grundlage der Gesetzentwurf, den
Sie gerade referiert haben, gestoppt worden ist . Ich wür-
de gerne wissen, wie das BMWi den Inhalt dieses Brie-
fes bewertet und wie die Position des BMWi zu den in
diesem Brief angesprochenen Punkten ist . Wenn er Ihnen
nicht bekannt ist, kann ich Ihnen den Brief nachher auch
gerne geben .
Bitte, Herr Staatssekretär .
D
Die Frage beantworte ich gerne . – Schreiben an Dritte
kommentiert das Bundeswirtschaftsministerium grund-
sätzlich nicht . Ich bitte Sie daher, sich in dieser Frage an
das Bundeskanzleramt zu wenden .
Damit haben Sie das Wort zu einer zweiten Nachfrage .
Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Die zweite Nachfrage ist: Wir haben im Gebäudebe-
stand im Augenblick eine sehr dramatische Situation,
was die erneuerbaren Energien anbetrifft. Wenn man sich
den Strombereich anschaut, dann sieht man, dass wir dort
deutlich über den Erwartungen liegen, die viele in der
SPD oder auch in der Union in der Vergangenheit hatten .
Aber im Gebäudebereich liegen wir hinsichtlich der er-
neuerbaren Wärme nach wie vor unter 10 Prozent .
Welche Maßnahmen gedenkt das Wirtschaftsministe-
rium zu ergreifen, um den Wirtschaftszweig der erneuer-
baren Energien auch bei der Wärme auszubauen und vor
allem die vielen Handwerksbetriebe und Unternehmen,
die im Bereich der erneuerbaren Wärme tätig sind – das
sind Pelletofenhersteller, Installationsbetriebe und ande-
re –, zu unterstützen, damit erneuerbare Wärme stärker
in den Gebäudebestand kommt? Planen Sie Anreizpro-
gramme oder auch ordnungsrechtliche Maßnahmen? Wie
sind dazu Ihre Vorstellungen im Bundeswirtschaftsmi-
nisterium?
D
Das führe ich sehr gerne aus . – Die Ziele der Bundes-
regierung, einen nahezu klimaneutralen Gebäudebestand
zu erreichen, sind langfristig bis 2050 ausgelegt . Trotz-
dem haben wir seit 2013 insbesondere mit dem Nationa-
len Aktionsplan Energieeffizienz zahlreiche Maßnahmen
und auch Instrumente umgesetzt, die gerade die Ener-
gieeffizienz im Wärmemarkt aus unserer Sicht erhöhen.
Gleichzeitig ist der Anteil der erneuerbaren Energien mit
13,3 Prozent auf Zielkurs bis 2020, und auch im Wärme-
markt sind wir aktuell mit über 11 Prozent Minderung
gegenüber 2008 auf einem guten Weg, bis 2020 das Ziel
von minus 20 Prozent zu erreichen, und das trotz starker
Neubauaktivitäten .
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin
Verlinden das Wort .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Herr Wiese, Sie sag-ten, mit 11 Prozent seien Sie auf einem guten Weg . WennSie bis 2020 20 Prozent schaffen wollen – es sind nurnoch drei Jahre –, dann empfehle ich Ihnen, noch einmalüberschlagsmäßig zu berechnen, wie viel Sie dann proJahr schaffen müssen.Meine Frage bezieht sich aber auf etwas anderes . Ichbin sehr irritiert, dass Sie auf die Forderung, die von sehrvielen Akteuren aus der Branche erhoben wurde – in Zu-kunft die Berechnungsmethode dahin gehend zu ändern,dass der CO2-Ausstoß eines Energieträgers stärker ge-wichtet wird –, bei der Erstellung des Gebäudeenergiege-setzes und der Anpassung der Vorgaben nicht eingegan-gen sind . Ich verstehe das nicht; denn die Novellierung
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 217 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 15 . Februar 201721732
(C)
(D)
wäre eine der großen Chancen gewesen, den CO2-Aus-stoß weiter zu senken, wenn Sie ihn in Ihrem Entwurfmehr zum Maßstab gemacht hätten .D
Zur ersten Frage: Sie haben richtig ausgeführt: Wir ha-
ben jetzt 2017 . Unsere Planung reicht bis 2020, bis dahin
sind es noch drei Jahre . Erst 2020 wird abgerechnet .
Zur zweiten Frage: Ich denke, dass die Energieeffizi-
enzstrategie Gebäude in einem Korridor hin zu einem na-
hezu klimaneutralen Gebäudebestand bis 2050 liegt und
darüber hinaus eine Minderung der CO2-Emissionen die-
ses Sektors um 66 bis 67 Prozent bis 2030 vorgesehen ist .
Auf dieser Basis werden wir die bestehenden Maßnah-
men und Instrumente regelmäßig bewerten und gegebe-
nenfalls nachsteuern . Ich glaube, damit sind wir auf dem
richtigen Weg, um die Vorgaben für den Gebäudebereich
bzw . den Wärmemarkt zu erreichen .
Danke, Herr Staatssekretär . – Wir sind damit am Ende
Ihres Geschäftsbereiches und kommen zum Geschäfts-
bereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales .
Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatsse-
kretärin Anette Kramme zur Verfügung .
Die Fragen 43 und 44 der Kollegin Katrin Werner und
die Frage 45 der Kollegin Sabine Zimmermann sollen
schriftlich beantwortet werden .
Ich rufe die Frage 46 des Kollegen Matthias W .
Birkwald auf:
Wie hoch wäre die zusätzliche monatliche Belastung mit
Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung eines durch-
schnittlich verdienenden Beschäftigten im Jahr 2030 mit
angenommenen Sicherungsniveau vor Steuern in Höhe von
53 Prozent, wenn – wie im Gesamtkonzept zur Alterssiche-
rung des BMAS – davon ausgegangen werden kann, dass der
terschied zum geltenden Recht?
Bitte, Frau Staatssekretärin .
A
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin . – Herr Birkwald,
ich gehe davon aus, dass Ihre Frage eher deklaratori-
schen Charakter hat . Es geht um eine zusätzliche mo-
natliche Beitragsbelastung von insgesamt 176 Euro . Die
Bruttostandardrente läge damit bei 2 159 Euro statt bei
1 844 Euro .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin . – Ich hatte nur
nach dem Beitrag für die Beschäftigten gefragt; Sie ha-
ben jetzt den Gesamtbeitrag genommen . Das heißt also,
mit circa 88 Euro könnte man ein Rentenniveau von
53 Prozent im Jahr 2030 finanzieren. Das ist also nicht
deklaratorisch . Ich danke Ihnen für die Antwort .
Meine Nachfrage lautet: Wenn es bei einem deutlich
höheren Durchschnittseinkommen mit dieser relativ
geringen Summe möglich ist, eine den Lebensstandard
sichernde Rente zu finanzieren, bedeutet das dann nicht
auch, dass man auf die Riester-Rente verzichten könnte?
Bitte, Frau Staatssekretärin .
A
Jenseits der Sicherung des Lebensstandards gewährt
die Riester-Rente vielen Menschen ein zusätzliches Ein-
kommen im Alter, und wir sind der festen Überzeugung,
dass dies insoweit eine positive Sache ist .
Es geht aber natürlich auch darum, dass die Ries-
ter-Rente ein mittlerweile langjährig gepflegtes Produkt
auf dem Markt ist und dabei auch Vertrauensgesichts-
punkte zu beachten sind . Ich denke, es wäre falsch, die
Menschen ständig in andere Richtungen zu lenken .
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Berücksichtigend,
dass Sie die Riester-Zulage sogar noch erhöhen wollen,
bedeutet das aber, dass im Jahr 2030 durchschnittlich
verdienende Menschen 166 Euro im Monat in die Ries-
ter-Rente einzahlen müssen, und dabei habe ich die steu-
erlichen Zulagen bereits abgezogen – 166 Euro für ein
Produkt, von dem wir alle wissen, dass nicht genügend
dabei herauskommt, vor allem keine Rentenerhöhung
von 315 Euro, um die es hier geht .
Dazu muss es eine Alternative geben . Mit dem Beitrag
zur gesetzlichen Rentenversicherung, den Sie genannt
haben, haben Sie doch eine gute Alternative genannt .
Denn wenn man dann auf die Riester-Rente verzichtete,
hätten die durchschnittlich verdienenden Beschäftigten
im Monat 78 Euro mehr in der Tasche, mit denen sie dann
beispielsweise eine nicht geförderte private Altersvorsor-
ge oder auch eine betriebliche Altersvorsorge erwerben
könnten . Wäre das im Sinne einer guten Alterssicherung
nicht der deutlich bessere Weg?
A
Herr Birkwald, zunächst ist es natürlich unseriös, beiBeitragsberechnungen lediglich vom Jahr 2030 auszuge-hen . Das ist auch der Grund, warum Ministerin Nahles inihrem Konzept, das ja öffentlich eingesehen werden kann,das öffentlich beleuchtet werden kann, das Jahr 2045 he-rangezogen hat . Die Beitragssatzsteigerungen, die sichdort für Arbeitgeber und Arbeitnehmer ergeben, sind na-türlich um ein Vielfaches höher . Das ist der erste Punkt,der an dieser Stelle zu erwähnen ist .Dr. Julia Verlinden
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Der zweite Punkt, der zu nennen ist: Wir werden nichtumhinkommen – wir sind schon dabei, entsprechendeSchritte zu unternehmen –, weitere Maßnahmen vorzu-nehmen. Das betrifft einerseits den Bereich der Erwerbs-minderungsrente . Sie wissen, dass dieses Konzept heuteim Kabinett verabschiedet worden ist und demnächstdem Bundestag zugänglich gemacht wird . Aber es gehtauch um die Lösung der Probleme derjenigen Menschen,die während ihres gesamten Arbeitslebens wenig ver-dient haben . Unser Haus hat ein Konzept vorgelegt, überdas in den nächsten Wochen und Monaten mit Sicherheitnoch diskutiert werden muss. Wir hoffen, dass wir in ir-gendeiner Form noch bessere Lösungen finden werden.
Das ist richtig festgestellt, Herr Birkwald: Es gibt für
Sie keine Nachfragemöglichkeit mehr .
Die Frage 47 der Abgeordneten Beate Müller-
Gemmeke soll schriftlich beantwortet werden .
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs .
Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin, für die Beant-
wortung der Fragen .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für Verkehr und digitale Infrastruktur . Zur Beant-
wortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatsse-
kretär Enak Ferlemann zur Verfügung .
Ich rufe Frage 48 des Kollegen Christian Kühn auf:
Seit wann ist der Bundesregierung die Verschiebung der
Eröffnung des Flughafens Berlin Brandenburg auf voraus-
sichtlich 2018 bekannt, und welche Auswirkungen hat die
spätere Eröffnung auf die Fertigstellung des zukünftigen Re-
gierungsterminals?
Bitte, Herr Staatssekretär .
E
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich will die Frage gerne beantworten: Es wird
auf die Antwort auf die schriftliche Frage 63 auf Bundes-
tagsdrucksache 18/11078 verwiesen . Für die Zuschauer
will ich die Antwort wiederholen – damals wurde eine
identische Frage gestellt; ich zitiere meinen Kollegen
Barthle –:
Die Geschäftsführung der Flughafen Berlin Bran-
denburg GmbH hat in der Gesellschafter-
versammlung der FBB am 23 . Januar 2017 Medi-
enberichte vom Wochenende bestätigt, dass eine
Eröffnung des BER im Jahr 2017 nicht möglich ist.
Auswirkungen auf die Fertigstellung des künftigen
Regierungsflughafens sind nicht erkennbar.
Herr Kühn, Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Meine Frage war: Seit wann ist diese Verschiebung
der Bundesregierung bekannt? Die Frage war also nicht,
wann die Flughafengesellschaft sie bestätigt hat oder ob
sie in Gesprächen und in Aufsichtsratssitzungen bekannt
geworden ist . Gefragt wurde ganz konkret, seit wann sie
der Bundesregierung bekannt ist .
E
Herr Kollege, ich beantworte die Frage wie folgt: Das
läuft über die Aufsichtsgremien, also über den Aufsichts-
rat . Erst dann, wenn etwas dort festgestellt wird, ist es der
Bundesregierung offiziell bekannt. Alles andere vorher
sind Spekulationen .
Herr Kühn, Sie haben das Wort zu einer zweiten
Nachfrage .
Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Ich stelle fest, dass Sie damals erstmals davon erfah-
ren haben .
Meine Frage speist sich aus einem Artikel im Tages-
spiegel vom 12 . Februar 2017 . Da stand geschrieben,
dass es eine Ausschreibung für den Sicherheitsdienst für
den 30 . Juni 2018 gibt . Heißt das, dass in der zweiten
Jahreshälfte 2018 mit einer Eröffnung des Flughafens zu
rechnen ist?
E
Einen festen Termin zu nennen, wäre meinerseits Spe-
kulation, da es noch keinen offiziellen Termin gibt.
Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Verlinden das
Wort .
Herr Staatssekretär, ich möchte gerne wissen, wie
der Deutschen Flugsicherung ihre Vorbereitungszeit von
13 Monaten – diese Zeit wird in einer Rückmeldung aus
Ihrem Hause angegeben – ermöglicht werden soll, wenn
die Bauarbeiten am Terminal noch nicht abgeschlossen
sind und deswegen kein verbindlicher Eröffnungstermin
genannt werden kann . Das hängt miteinander zusammen .
Das interessiert mich brennend .
Die andere Frage ist: Gibt es mittlerweile ein Bauun-
ternehmen für die Errichtung des Interimsterminals, und
falls nicht, wieso nicht?
E
Zur ersten Frage: Uns interessiert es ebenso brennendwie Sie . Eine Auskunft dazu kann ich Ihnen nicht geben,weil es noch keine offizielle Auskunft gibt.Parl. Staatssekretärin Anette Kramme
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Das gilt ebenso für die zweite Frage .
Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Gastel
das Wort .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Herr Staatssekretär,
meine Frage bezieht sich auf das Interimsterminal . Ich
möchte gerne wissen: Haben Sie Erkenntnisse, wann der
Baubeginn und wann das Bauende vorgesehen sind und
wie sich die Baukosten von den ursprünglich anvisierten
Baukosten zu den aus heutiger Sicht realistischen entwi-
ckeln?
E
Das ist eine sehr detaillierte Frage, auf die ich in die-
sem Zusammenhang nicht konkret antworten kann . Das
muss ich schriftlich nachreichen .
Dann gilt das als verabredet .
Die Frage 49 des Abgeordneten Oliver Krischer und
die Frage 50 des Abgeordneten Stephan Kühn
sollen schriftlich beantwortet werden .
Wir kommen zur Frage 51 des Kollegen Gastel:
Seit wann befindet sich der Bericht zur Evaluation der
Änderungen des Personenbeförderungsgesetzes vom 14 . De-
zember 2012, den die Bundesregierung dem Bundestag laut
§ 66 des Personenbeförderungsgesetzes bis zum 1 . Januar
2017 hätte vorlegen müssen, in der Ressortabstimmung, und
bis wann wird die Bundesregierung dem Parlament den im
Bitte, Herr Staatssekretär .
E
Folgende Antwort: Der Bericht wurde mit Schreiben
vom 8 . Februar 2017 von mir an den Präsidenten des
Deutschen Bundestages übersandt .
Ihre erste Nachfrage .
Herr Staatssekretär, das ist mir inzwischen bekannt .
E
Sehr gut!
Manchmal kann sich innerhalb weniger Tage relativ
viel ereignen . Wir haben den Bericht auch schon gelesen .
Deswegen kann ich Ihnen zwei inhaltliche Fragen zu die-
sem Bericht stellen .
Meine erste Frage bezieht sich auf die Lenk- und Ru-
hezeiten bei Fernbussen . Es gibt eine erhebliche Erhö-
hung, nämlich eine Verdoppelung, des Anteils von bean-
standeten Bussen bezüglich der Lenk- und Ruhezeiten .
Wir vermissen in Ihrem Bericht konkrete Maßnahmen,
die Sie vorschlagen . Das heißt, Sie stellen eine Fehlent-
wicklung fest, sagen aber nicht, wie Sie damit umzuge-
hen gedenken . Deswegen die Frage an Sie: Was sind die
Konsequenzen?
Bitte, Herr Staatssekretär .
E
Die Konsequenzen müssen die Länderbehörden tref-
fen, weil sie für die Überwachung zuständig sind .
Ihre zweite Nachfrage .
Meine zweite Frage bezieht sich auf das Thema Bar-
rierefreiheit . Das Personenbeförderungsgesetz besagt,
dass für öffentliche Nahverkehrsmittel bis zum 1. Januar
des Jahres 2022 die vollständige Barrierefreiheit gewähr-
leistet sein muss . Sie stellen jetzt fest, dass dieses Ziel
nicht erreichbar ist . Dieses Ziel – das ergänze ich jetzt
noch – ist kein neu vorgegebenes, sondern ein Ziel, das
schon seit Jahren bekannt ist. Offensichtlich sind diejeni-
gen, die es umsetzen müssen – Kommunen, Verkehrsver-
bünde, Verkehrsunternehmen –, nicht rechtzeitig zu Potte
gekommen . Jetzt stellt sich die Frage: Wie gehen Sie da-
mit um? Werden Sie beispielsweise die Finanzmittel für
die Kommunen, für die Aufgabenträger erhöhen, damit
die notwendigen Investitionen gestemmt werden können,
damit dieses Ziel noch erreicht werden kann? Geben Sie
ein neues Ziel vor, sprich: eine neue Jahreszahl, bis zu
der dieses Ziel erreichbar sein muss?
E
Die Sachstandsbeschreibung schildern Sie richtig . Esist meine Eigenart, dass ich die Punkte offen und ehrlichschildere, statt sie zu verschweigen . Wir halten die zeitge-rechte Umsetzung für nicht möglich . Die Frage, ob eineErhöhung der Mittel helfen würde, ist deshalb schwer zubeantworten, weil wir den Kommunen die Mittel nichtdirekt geben; vielmehr sind die Länder für die Verteilungder Mittel zuständig . Wir haben mit Unterstützung desParlaments die Regionalisierungsmittel erheblich er-höht . Insofern kann ich nicht erkennen, dass eine wei-tere Erhöhung der Mittel dazu dienen würde, dieses Zielzu erreichen . Die Frage ist, wie die kommunale Selbst-verwaltung in jedem Ort einzeln damit umgeht . UnsereKollegen in den regionalen Gebietskörperschaften müs-sen das regeln . Wir können nur appellieren, das Ziel, dasder gesamte Staat Deutschland erreichen will, möglichstzügig zu anzustreben und die entsprechenden Investiti-onen in die Busstationen vorzunehmen . Ob das gelingt,vermag die Bundesregierung so nicht zu beurteilen . WirParl. Staatssekretär Enak Ferlemann
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können nur motivieren, wir können nur Modellprojektefördern, Beispiel geben, aber wir können es sicherlichnicht durchsetzen .
Wir kommen damit zur Frage 52 des Kollegen Gastel:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der
Einrichtung des „kürzesten Linienfluges der Welt“ am Boden-
see im Hinblick auf die Notwendigkeit attraktiverer Bahnver-
kehre am Bodensee über die Elektrifizierung der Bahnstrecke
und wird die Bundesregierung den Ausbau der Bodenseegür-
Bitte, Herr Staatssekretär .
E
Die Bundesregierung sieht keinen Anlass, Konse-
quenzen aus der Einrichtung einer Linienflugverbindung
zu ziehen .
Davon unabhängig hat die Bundesregierung mit dem
Abschluss einer Finanzierungsvereinbarung zur Elektri-
fizierung der Bedarfsplanstrecke Ulm–Friedrichshafen–
Lindau, sogenannte Südbahn, im Jahr 2015 ihre Fähig-
keit demonstriert, den Verkehrsträger Schiene auch in der
Bodenseeregion zu stärken . Mit dem Bau der Maßnahme
wird voraussichtlich im Jahr 2018 begonnen .
Die Bodenseegürtelbahn ist eine Maßnahme des öf-
fentlichen Personennahverkehrs . Der ÖPNV liegt in der
Zuständigkeit der Länder . Der Bund unterstützt die Län-
der aber in finanzieller Hinsicht substanziell.
Der Bundesregierung liegen keine konkreten Erkennt-
nisse darüber vor, dass das Land Baden-Württemberg,
auf dessen Gebiet die Bodenseegürtelbahn größtenteils
verläuft, konkrete Pläne zur Elektrifizierung der Boden-
seegürtelbahn hat .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Die nutze ich gerne . – Herr Staatssekretär, es ist uns
natürlich bekannt, dass dieser Vertrag zur Elektrifizie-
rung der Strecke von Ulm über Friedrichshafen bis nach
Lindau unterschrieben wurde . Das ist auch gut so, das ist
auch richtig so . Das Land Baden-Württemberg ist aber
der Meinung, dass es darüber hinaus zusätzliche zwei-
gleisige Streckenabschnitte braucht, um eine höhere Zu-
verlässigkeit, Pünktlichkeit und Leistungsfähigkeit der
Strecke zu gewähren .
Dass das Land für diese Infrastruktur zuständig wäre,
ist eine neue Rechtsauffassung der Bundesregierung;
denn es handelt sich um einen Bundesschienenweg und
um keinen Schienenweg des Landes . An diesem Beispiel
wird doch einmal deutlich, wie grotesk Ihr Verständnis
davon ist, wofür Sie als Bund im Zusammenhang mit der
Bundesverkehrswegeplanung zuständig sind und wofür
Sie nicht zuständig sein wollen . Parallel zur Bodensee-
gürtelbahn verläuft die B 31, eine noch zweispurige Stra-
ße, die Sie auf vier Spuren ausbauen wollen; dafür halten
Sie sich für zuständig . Aber Sie sagen, für die parallel
verlaufende Bahnstrecke, die auch eine Bundesstrecke
ist, seien Sie nicht zuständig . Klären Sie doch mal bitte
diesen – aus meiner Sicht – Widerspruch auf .
E
Sehr geehrter Herr Kollege, ich bin sehr erstaunt, dass
Sie eine solche Frage stellen . Aufgrund Ihrer langen Mit-
gliedschaft im Verkehrsausschuss müssten Sie diesen
Sachverhalt eigentlich kennen .
Hintergrund ist: Die B 31 ist eine wichtige, im Fern-
verkehr sehr stark befahrene Straße . Deswegen ist der
Ausbau dort angezeigt . Dafür ist nach der Bundesver-
kehrswegeplanung auch der Bund zuständig . Anders ist
es bei der Schiene, je nachdem, wer die Entwicklung
treibt: Ist es der Güterverkehr oder der Fernverkehr, ist
der Bund zuständig; ist es der Nahverkehr, sind die Län-
der zuständig .
Die Länder erhalten Regionalisierungsmittel, von de-
nen etwa 20 Prozent für Investitionen in Infrastruktur be-
reitgestellt werden sollen . Da das Land Baden-Württem-
berg sehr hohe Leistungen des Bundes erhält, kann das
Land Baden-Württemberg in eigener Vollkommenheit
entscheiden, ob es ausbauen will oder nicht . Uns sind
Ausbaupläne des Landes nicht bekannt .
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .
Vielen Dank . – Herr Staatssekretär, diese Strecke,
diese Bahntrasse, ein Bundesschienenweg – ich sage das
noch mal ganz bewusst –, erweist sich gerade in jüngs-
ter Zeit als höchst unzuverlässig . Sie ist eines der Sor-
genkinder unter den Bahnstrecken in Baden-Württem-
berg, mit einem häufigen Ausfall von Zügen und hoher
Verspätungsanfälligkeit . Es ist eben so, dass sich diese
Strecke im Eigentum des Bundes befindet. Früher sind
dort Fernverkehrszüge gefahren . Die Deutsche Bahn
hat sich zurückgezogen . Jetzt soll plötzlich das Land
für die Bundesinfrastruktur zuständig sein, nur weil sich
die Deutsche Bahn, ein Bundesunternehmen, hier aus
dem Geschäft zurückgezogen hat und das Land jetzt mit
langlaufenden IRE-Verbindungen, also Regionalverbin-
dungen, eingesprungen ist; früher war also mehr Fern-
verkehr auf der Strecke, als es heute noch der Fall ist .
Ihre Argumentation, der Bund sei da nicht zuständig, ist
aus unserer Sicht nicht wirklich stichhaltig .
Ich bitte Sie, dazu Stellung zu nehmen, wie es ist, wenn
hier früher Fernverkehr stattgefunden hat und die Länder
einspringen mussten, weil sich die Deutsche Bahn aus
dem Fernverkehrsgeschäft zurückgezogen hat, auch vor
dem Hintergrund, dass die nach Ihrer Logik eigentlich
dafür vorgesehenen Mittel, nämlich die GVFG-Mittel,
Pa
Rede von: Unbekanntinfo_outline
//www.swr.de/landesschau-aktuell/bw/friedrichshafen/bodenseehuepfer/-/id=1542/did=18413578/nid=1542/1idligw/index.htmlhttp://www.swr.de/landesschau-aktuell/bw/friedrichshafen/bodenseehuepfer/-/id=1542/did=18413578/nid=1542/1idligw/index.htmlhttp://www.swr.de/landesschau-aktuell/bw/friedrichshafen/bodenseehuepfer/-/id=1542/did=18413578/nid=1542/1idligw/index.html
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seit 20 Jahren nicht erhöht wurden . Sie sagen also, dieLänder sollen die Mittel, die seit 20 Jahren nicht erhöhtwurden, für die Investitionen nutzen .E
Herr Kollege, ich habe meinen Ausführungen zu der
vorherigen Frage nichts hinzuzufügen .
Das war korrekt, und das müssen Sie so akzeptieren . Das
ist die Haltung der Bundesregierung, und die wird auch
durch die ganz große Mehrheit dieses Parlaments getra-
gen. Es tut mir leid: Ihre Auffassungen sind leider falsch.
Ich rufe Frage 53 des Kollegen Frank Junge auf:
Können bei der neuen Schiffssicherheitsverordnung für
Traditionsschiffe des BMVI gleichwertige Einrichtungen,
Hilfsmittel und Maßnahmen ausschließlich durch die Berufs-
genossenschaft Verkehrswirtschaft Post-Logistik Telekommu-
nikation festgelegt werden, und wie wird dabei sichergestellt,
dass Ausnahmen transparent, nachvollziehbar, vorhersagbar,
kontinuierlich und konsistent eingeräumt werden?
Bitte, Herr Staatssekretär .
E
Ich beantworte die Frage wie folgt: Die Erteilung eines
Sicherheitszeugnisses für Traditionsschiffe ist ein Ver-
waltungsakt, den die Verwaltung erlässt . Mit der Mög-
lichkeit, gleichwertige Einrichtungen, Hilfsmittel und
Maßnahmen zuzulassen, wird der Verwaltung Ermessen
eingeräumt, das auch nur die Verwaltung ausüben kann .
Die Verwaltung muss ihr Ermessen fehlerfrei ausüben .
Dies sowie ihre Bindung durch den Gleichheitsgrundsatz
aus Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz, der die gleichartige
Ausübung des Ermessens verlangt, sichern eine kontinu-
ierliche Entscheidungspraxis .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Herr Staatssekretär, vielen Dank für die Antwort . – Ich
möchte an der Stelle wie folgt nachfragen: Wie bewertet
das BMVI die vom Bundesrat und von den Verbänden
im Traditionsschifffahrtssektor geäußerten Bedenken,
dass die neuen Vorschriften zu erheblichen Kosten und
bürokratischem Aufwand im Betrieb auf den auf ehren-
amtlicher Basis betriebenen Traditionsschiffen führen
könnten? Wie bewertet es das BMVI, dass die Schiffe
dort in Gefahr geraten?
E
Unsere Sicherheitsrichtlinie dient dazu, gerade die
Traditionsschifffahrt abzusichern. Die Bedenken aus
den Bundesländern wie auch von der Branche teilen wir
nicht .
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .
In meiner zweiten Nachfrage geht es um die Diskre-
panz zwischen professionell geführten Schiffen und den
ehrenamtlich geführten Schiffen. Warum setzt das Minis-
terium die Anforderungen an die Ehrenamtlichen mit den
Anforderungen an Beschäftigte in der Berufsschifffahrt
gleich, Stichwort „Seediensttauglichkeitszeugnis“? Wie
wird darauf Rücksicht genommen, dass Traditionsschif-
fer eben nicht wochenlang getrennt von ihrem sozialen
Umfeld und zu allen Wetterbedingungen und ohne Kon-
takt auf See sind?
E
Wir stellen bei der Traditionsschifffahrt nicht auf die
allgemeine Schifffahrt ab, sondern bei der Traditions-
schifffahrt geht es darum, dass wir die zu befördernden
Passagiere sichern müssen; denn es werden ja Schulklas-
sen, Seniorengruppen oder Gäste von Geburtstagsfeiern
an Bord genommen und transportiert . Das Bundesver-
kehrsministerium hat die Aufgabe, die Sicherheit der
Passagiere sicherzustellen . Dem dient diese Verordnung,
nichts anderem . Wir müssen für eine Mindestsicherheit
all derjenigen sorgen, die sich in die Obhut der Traditi-
onsschiffer begeben. Das ist die Aufgabe des Staates, das
ist die Aufgabe des BMVI, und der kommen wir nach .
Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Malecha-Nissen
das Wort .
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, wie sieht die weitere
Zeitplanung des Ministeriums in Bezug auf das Inkraft-
treten der Sicherheitsverordnung für Traditionsschiffe
aus hinsichtlich der vielen Bedenken der Verbände, die
ja auch eingearbeitet werden müssen, und der daraus fol-
genden Notwendigkeit einer offenen und transparenten
Runde mit den Vertretern der Traditionsschifffahrt?
E
Sehr geehrte Frau Kollegin, die Bedenken und Anre-gungen sind in einer ersten Auslegung deutlich geschil-dert worden . Es hat eine zweite Auslegung gegeben, diezu wenigen Veränderungen geführt hat .Die Verordnung wird jetzt der EU-Kommission vor-gelegt . Die EU-Kommission wird entscheiden, ob sie deneuroparechtlichen Richtlinien entspricht . Wenn das derFall sein sollte, dann wird diese Richtlinie in Kraft ge-setzt . Man kann ungefähr davon ausgehen, dass Europaeinen Prüfungszeitraum von bis zu drei Monaten bean-spruchen wird, sodass wir hoffen, die Richtlinie noch vorMatthias Gastel
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Beginn der Sommersaison in diesem Jahr in Kraft setzenzu können .Zur Frage, ob die Traditionsschiffer selber genügendinformiert worden sind: Ja, wir gehen davon aus . Wir sindaber gerne bereit, weitere Beratungsrunden zu machen,um für Klarheit über die Auslegung der Richtlinie fürSicherheit zu sorgen. Die Betreiber der Bestandsschiffemüssen sich im Wesentlichen keine Sorgen machen .
Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Thönnes
das Wort .
Sehr geehrter Herr Parlamentarischer Staatssekretär,
warum überträgt das BMVI Sicherheitsregelungen aus
dem Bereich der Berufsschifffahrt auf den doch über-
wiegend ehrenamtlich betriebenen Bereich der Tra-
ditionsschiffer – und das auch noch auf der Basis von
sehr unterschiedlichem Datenmaterial über angebliche
Unfälle in größerer Zahl, obwohl die Traditionsschiffer
viel weniger Unfälle angeben –, anstatt abzuwarten, bis
ein parallel laufender Prozess über die Formulierung von
Sicherheitsregelungen auf EU-Ebene abgeschlossen ist,
um damit sozusagen eine völlig europarechtskonforme
und für alle gleiche Regelungsebene zu schaffen?
E
Zum Ersten wäre es sicherlich sehr sinnvoll, wenn Eu-
ropa eine einheitliche Regelung treffen würde. Nach un-
seren Erkenntnissen ist auf absehbare Zeit mit einer eu-
ropäischen Regelung nicht zu rechnen, da es sehr große
Unterschiede in den europäischen Mitgliedstaaten dazu
gibt, wie man mit der Traditionsschifffahrt umgeht.
Warum machen wir eine Regelung? Wir vergleichen
nicht die Berufsschifffahrt mit der Traditionsschifffahrt.
Vielmehr müssen wir dafür sorgen, dass sich die Passa-
giere, die an Bord sind, sicher fühlen können . Derzeit wird
mit einer Ausnahmeverordnung und einer Übergangsver-
ordnung gearbeitet, für die ich persönlich verantwortlich
bin . Ich habe allen in der Branche gesagt, dass ich nicht
länger bereit bin, persönlich für diese Vorgänge letztlich
auch haftbar gemacht werden zu können . Wir müssen zu
einer Regelung kommen . Diese Regelung bedeutet das
absolute Minimum – da ist nichts Zusätzliches drin –, um
für die Sicherheit der Passagiere zu sorgen .
Da kann man nur an die Branche wie auch an die Kol-
leginnen und Kollegen hier im Parlament appellieren,
wenigstens dieses Minimum umzusetzen . Denn darauf
hat jeder, der an Bord geht, einen Anspruch .
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass Tra-
ditionsschiffe unter anderem auch Schulklassen an Bord
nehmen . Stellen Sie sich vor, was passieren würde, wenn
dort ein Schiff verunfallt: Wer würde dann die Diskussi-
on führen? Genau dieselben, die jetzt sagen: „Die Auf-
lagen sind zu hart“, werden die sein, die fragen: Warum
hat das Ministerium denn keine Verordnung erlassen? –
Genau aus diesem Grunde werden wir uns von diesem
Vorhaben nicht abbringen lassen . Wir werden die Verord-
nung in Kraft setzen, wenn sie, von der EU-Kommission
genehmigt, wieder zurückkommt .
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Weber
das Wort .
Vielen Dank, Herr Staatssekretär . – Es gibt in diesem
Zusammenhang eine weitere Frage, und zwar: Dürfen
nach Einschätzung des Ministeriums Einnahmen erwirt-
schaftet werden, mit denen Kredite, die zur Erhaltung der
Schiffe und des Vereinsgeländes aufgenommen wurden,
bedient werden, oder fällt dies in Zukunft unter die neue
Verordnung und den dort nicht klar definierten Begriff
des Ausschlusses der erwerbswirtschaftlichen Nutzung?
Wer definiert in Zukunft diesen Begriff?
Bitte, Herr Staatssekretär .
E
Es ist relativ einfach: Gewinne, die aus der Schifffahrt
dadurch erwachsen, dass Passagiere mitgenommen wer-
den, die dafür natürlich auch Geld bezahlen, müssen wie-
der in das Schiff zurückfließen. Wir müssen sicherstellen,
dass das gewährleistet ist .
Wir haben bei der Neuregelung davon abgesehen, dass
unsere Kolleginnen und Kollegen das prüfen . Vielmehr
haben wir die Regelung getroffen, dass die Vereine eine
Erklärung eines Steuerberaters oder eines Wirtschafts-
prüfers beibringen – da sie sowieso eine Bilanz vorlegen
müssen, ist das kein Problem –, sodass alle drei Jahre
überprüfbar ist, ob die Gewinne aus dem Schiffsbetrieb
auch dem Schiffsbetrieb wieder zugutegekommen sind.
Denn die Traditionsschifffahrt genießt viele Vorteile, und
diese Vorteile darf man nur genießen, wenn man nicht
eine Gewinnausschüttung womöglich noch für Privat-
personen macht . Gewinne dürfen ausschließlich dafür
genutzt werden, sie wieder in die Schiffe oder in den Be-
trieb zu investieren . Und das werden wir sicherstellen .
Die Kollegin Schulte hat das Wort zur letzten Nach-
frage zu dieser Frage . – Ich mache darauf aufmerksam,
dass wir noch die Frage 54 des Kollegen Junge abarbei-
ten können, wenn wir jetzt versuchen, uns jeweils an die
Zeiten zu halten . – Bitte .
Se
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Plant das BMVI,den Fragenkatalog der Gemeinsamen Kommission fürHistorische Wasserfahrzeuge und der Arbeitsgemein-schaft Deutscher Museumshäfen, der Ende letzten Jah-res an das Ministerium geschickt wurde, zu beantworten,und, wenn ja, wann, und, wenn nein, warum nicht?Parl. Staatssekretär Enak Ferlemann
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Bitte .
E
Wie Sie uns kennen: Wir beantworten jede Frage . So
wird auch diese Frage beantwortet – so schnell wie mög-
lich .
Damit kommen wir zur Frage 54 des Kollegen Junge:
Welche Maßnahmen sieht das BMVI vor, um bei den Re-
gelungen für eine Konformität zu sorgen, damit die Schiffsbe-
treiber Investitionssicherheit haben?
E
Zur Frage 54, die auch zu diesem Themenkomplex ge-
stellt wird, gebe ich folgende Antwort: Die Schiffsbetrei-
ber haben Investitionssicherheit . Die bestehende Flotte
genießt Bestandsschutz hinsichtlich ihrer Historizität und
ihres Betreiberkonzepts . Hinsichtlich der sonstigen An-
forderungen wird auf die Antwort zu Frage 50 verwiesen .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Ich habe schon zwei gestellt .
E
Da können eigentlich keine mehr sein .
Trotz alledem hat der Abgeordnete das Recht . Wenn
er keine Fragen mehr hat, ist das in Ordnung . – Er hat
welche . Bitte .
Herr Staatssekretär, schönen Dank für die Antwort . –
Sie haben deutlich gemacht, dass Sicherheitsaspekte eine
große Rolle spielen . Da sind wir alle hier keiner anderen
Auffassung. Aber wir müssen nach unserem Verständnis
schon unterscheiden zwischen denen, die gewerblich
handeln und aufgrund der Kapazität viel mehr Passagiere
befördern, und den ehrenamtlich geführten Traditions-
schiffen. Vor diesem Hintergrund will ich noch einmal
explizit nachfragen, warum an dieser Stelle nicht unter-
schieden wird . Warum wird nicht erkannt, dass die Si-
cherheit dort auf einem ganz anderen Niveau stattfindet,
und warum wird dem Aspekt, dass Traditionsschiffe das
maritime Erbe unseres Landes dokumentieren, repräsen-
tieren und schützen, nicht Rechnung getragen? So läuft
man doch Gefahr, die Traditionsschifffahrt unter Bedin-
gungen zu stellen, die den Betrieb sogar gefährden kön-
nen .
E
Wir achten das ehrenamtliche Engagement all derje-
nigen, die sich im Bereich der Traditionsschifffahrt tum-
meln, außerordentlich . Dieses Engagement ist für die Be-
wahrung des maritimen Erbes Deutschlands unerlässlich .
Wir können auf diese Menschen nicht verzichten . Aber
wir müssen dafür sorgen, dass Gruppen, die an Bord
sind, ein Mindestmaß an Sicherheit haben; denn letztlich
begeben sich diese Gruppen in die Obhut der Schiffsbe-
treiber – in dem Fall meinetwegen eines Vereins für Tra-
ditionsschifffahrt –, um sicher auf dem Meer transportiert
zu werden .
Es ist auf hoher See nicht so wie an Land . Wenn zum
Beispiel ein Mitglied einer Gruppe älterer Menschen ei-
nen Herzinfarkt erleidet, kann man an Land schnell den
Notarzt anrufen, vielleicht auch die freiwillige Feuer-
wehr für den Rettungstransport . Dann kommen die Hilfs-
kräfte . Auf hoher See sind die Dinge etwas komplizierter .
Deswegen müssen Sie dafür sorgen, dass jemand an Bord
die notwendige Qualifikation hat oder zumindest weiß,
was man in einem solchen Fall als Erstes tut . Das muss
sichergestellt werden .
Wir haben keine Gleichsetzung mit der Fahrgast-
schifffahrt. Die Fahrgastschifffahrt unterliegt wesentlich
höheren Anforderungen als die Traditionsschifffahrt. Das
ist ja gerade der Unterschied . Aber ein Mindestmaß an
Sicherheit muss auch bei der Traditionsschifffahrt gel-
ten . Ich glaube, wenn man nach der hitzigen Diskussion
guckt, was wirklich übrig bleibt, wird man feststellen,
dass es kaum Probleme bei der Umsetzung geben wird .
Ich glaube nicht, dass die Traditionsschifffahrt in Gefahr
ist, in keinster Weise . Ich komme selber von der Küs-
te. Ich kenne die Traditionsschiffe wie wahrscheinlich
kaum ein anderer Parlamentarier . Ich sage Ihnen: Ange-
sichts der Zustände, in denen manche Schiffe sind, ist es
sinnvoll, dass wir das regeln . Ich glaube aber auch, dass
kein einziger Betrieb durch unsere Verordnung gefährdet
wird, wenn man einigermaßen vernünftig miteinander
umgeht, und davon gehe ich aus .
Haben Sie noch eine Nachfrage, die kurz und knapp
ist? Wir sind jetzt am Zeitlimit .
Wir sind natürlich in engem Kontakt mit den Ver-bänden, die in großer Sorge sind . Viele von ihnen habenschon Ende letzten Jahres Fragenkataloge an das BMVIgesandt, die sich auch mit den Folgen dieser neuen Si-cherheitsverordnung für die Vereine befassen . Die meis-ten haben noch keine Antwort erhalten . Plant das BMVI,all diese eingereichten Fragen – in Klammern: Sorgen –noch zu beantworten, und, wenn ja, wann?
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E
Diese Frage habe ich vorhin schon beantwortet: Wir
beantworten alle Fragen – so auch diese – möglichst
schnell . Aufgrund der Fülle von Fragen, die gekommen
sind, werden wir dafür einige Zeit brauchen .
Im Übrigen möchte ich dem Eindruck entgegentreten,
dass da jetzt zum ersten Mal völlig neue Fragen gestellt
worden wären . Wir diskutieren dieses Thema seit über
vier Jahren . Hunderte von Fragen wurden gestellt und
beantwortet . Es kann mir keiner sagen, dass noch Fragen
in einer Weise offen sind, dass er befürchten müsste, die
Traditionsschifffahrt sei in Gefahr.
Aber die Fragen der Verbände werden beantwortet . Sie
werden sogar in unser Ministerium eingeladen, um die
Fragen des täglichen Verwaltungshandelns noch einmal
miteinander zu besprechen, damit all das, was in Ihren
Fragen hier zum Ausdruck kommt, für alle Verbandsmit-
glieder möglichst klar und deutlich geregelt ist . Ob wir
mit den Verbänden, die zum Teil ganz andere Interessen
haben als wir als Ministerium, übereinkommen werden,
wage ich zu bezweifeln; aber für Aufklärung werden wir,
wie es fair ist und wie es sich gehört, sorgen, und zum
Erhalt der Traditionsschifffahrt werden wir beitragen.
Danke, Herr Staatssekretär . – Wir sind damit am Ende
der Fragestunde .
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE
Zur wachsenden Gefahr der Altersarmut bei
5,7 Millionen Betroffenen in Deutschland
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin
Sabine Zimmermann für die Fraktion Die Linke .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Die Bekämpfung von Altersarmut ist ein wichti-ges Thema für die Linke . Deshalb lassen Sie mich gleichzum Kern dieser Debatte kommen: Immer mehr Men-schen in Deutschland im Alter von 55 Jahren und ältersind von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht . IhreZahl stieg von 4,9 Millionen im Jahr 2010 auf 5,7 Milli-onen im Jahr 2015 an . Damit waren 2015 20,8 Prozentaller über 55-Jährigen von Armut und sozialer Ausgren-zung bedroht . Das wird die Linke nicht hinnehmen .
Das sind die Fakten . Das ist keine Realitätsverwei-gerung, wie der Parlamentarische Geschäftsführer derCDU/CSU-Fraktion, Herr Grosse-Brömer, jüngst in ei-nem Gastbeitrag in der Welt behauptet hat, verbunden mitdem Vorwurf, die Linke trage immer die gleiche Armuts-leier vor .
Herr Grosse-Brömer selbst präsentiert, wie nicht anderszu erwarten, neben politischen Giftpfeilen in seinenAussagen leider keine weiteren Fakten zur Thematik .Ich sage Ihnen eins: Wenn Sie das Thema Altersarmutnoch länger ignorieren, dann wird sich bald ein Chor von5,7 Millionen Betroffenen Gehör verschaffen. Spätestensdas wird Sie dann aus Ihrer Ignoranz wecken . All diesenMenschen zu sagen, sie existieren überhaupt nicht, findeich herablassend und unverschämt .
Das hat sich die Linke auch nicht ausgedacht . Das sinddie harten Daten von Eurostat, dem statistischen Amt derEuropäischen Union. Ich finde, es ist eine grundlegendeFrage des Anstandes in unserer Gesellschaft, dass die äl-tere Generation, die lange Jahre und Jahrzehnte schwergearbeitet hat, für ihre Lebensleistung Anerkennung er-fährt . Die Linke fordert: Im Alter muss man ein Leben inWürde führen können .
Um es Ihnen anschaulich zu machen: Armutsge-fährdung liegt laut Eurostat bei einem Einkommen bis1 033 Euro netto im Monat vor . Wir reden also vonMillionen Menschen in Deutschland, die nicht mehr als1 000 Euro im Monat zum Leben haben . Wer hier im Par-lament möchte behaupten, dass man damit ein sorgen-freies Leben führen kann? In München kann man davonkaum die Miete zahlen, und in Ballungszentren steigendie Mieten enorm . Strom, Wasser, Lebensmittel – alleswird teurer .Diese Woche kam die Meldung, dass 6 MillionenMenschen der Strom abgedreht wurde – doch nicht, weilsie gern im Kerzenschein sitzen oder sich mit kaltemWasser duschen wollen, nein, weil sie einfach kein Geldhaben, um die Stromrechnung zu bezahlen . Das darf sonicht weitergehen .
Viele Ältere kommen in meine Bürgersprechstundeund berichten mir, dass sie im Winter nur einen Raumbeheizen – den auch nur so wenig wie möglich –, sichlieber eine dicke Strickjacke oder einen dicken Pulloveranziehen, um die Heizkosten zu sparen . Merken Sieeigentlich gar nicht, wie die Armut in Deutschland zu-nimmt? 5,7 Millionen ältere Menschen sind von Armutbedroht, und Ihnen fällt nichts anderes ein, als die Zahlenschönzureden, die Realität zu verdrängen oder diese Zah-len in Zweifel zu ziehen . Ihr Zynismus in dieser Debatteist wirklich schwer zu ertragen . Sie sollten sich schämen .
In der zunehmenden Armut Älterer spiegelt sich aberauch die gesamte Problemlage im Bereich Arbeit undSoziales wider: hoher Anteil von Niedriglöhnen, hohe
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Erwerbslosigkeit von Älteren, immer mehr Armutsren-ten . Armut breitet sich zunehmend in Deutschland aus .Sie ist da, und man kann sie nicht in Gastbeiträgen weg-schreiben, wie es der Parlamentarische Geschäftsführerder CDU/CSU-Fraktion gerne macht .Wir brauchen eine armutsfeste soziale Absicherung beiErwerbslosigkeit, eine gesetzliche Rente, die zum Lebenreicht, und wir brauchen einen Mindestlohn, der wirklichseinen Namen verdient . Er muss rauf auf 12 Euro .
Wer sich weigert, die Fakten zur Kenntnis zu nehmen,dass die Armut in Deutschland zunimmt, kann auch Ar-mut nicht bekämpfen . Eine konsequente Bekämpfungder Armut geht nur mit der Linken .Danke schön .
Der Kollege Karl Schiewerling hat für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Der Grund für diese Aktu-elle Stunde sind die Ergebnisse einer Untersuchung vonEurostat; die Kollegin Zimmermann hat darauf hinge-wiesen, dass dies die Motivation war, diese AktuelleStunde durchzuführen . Man hat dort festgestellt, dassDeutschland schlechter dasteht als das Mittel in Euro-pa, was die Armutsrisikoquote angeht . Man könnte jetztden Eindruck haben, dass es den Menschen bei uns imDurchschnitt schlechter geht als in vielen anderen Län-dern in Europa .Ich will das an einem Beispiel deutlich machen . Ambesten steht Tschechien da . Tschechien hat die niedrigsteArmutsrisikoquote in ganz Europa . Allerdings liegt dieArmutsgrenze dort bei 625 Euro, während die Armuts-grenze in Deutschland bei 1 033 Euro liegt .Die Ergebnisse basieren auf ganz bestimmten statis-tischen Annahmen . Ich kann das an einem Beispiel sehrdeutlich machen . Wenn wir die Managergehälter bei VWbegrenzen würden, die
die Betriebsräte und die IG Metall bei VW gemeinsammit all den Verantwortlichen dort beschließen, würdesich die Armutsrisikoquote in Deutschland deutlich ver-ändern:
Die Menschen in Deutschland würden statistisch reicher .
Das ist die Statistik, auf die wir uns im Augenblick be-ziehen . Wir stellen uns die Frage: Welchen Aussagewerthat diese Statistik?Die Wahrheit ist, meine Damen und Herren: Ja, esstimmt, wir haben in Deutschland Menschen, die armsind und denen es nicht gut geht, darunter auch ältereMenschen . In Deutschland sind 3 Prozent aller Rentne-rinnen und Rentner auf Grundsicherung angewiesen .
Aber wir müssen auch andere Gruppen in den Blick neh-men . Was uns am meisten umtreibt, ist die Frage: Wasgeschieht eigentlich mit den Erwerbsminderungsrent-nern? Diese Koalition hat gehandelt und wird handeln,um die Erwerbsminderungsrenten anzuheben .
Was geschieht mit den Solo-Selbstständigen, die in derVergangenheit keine Rücklagen gebildet haben, die zu-nehmend von Altersarmut betroffen sind und in der Sta-tistik auftauchen? Was machen wir zum Beispiel mithochbetagten Frauen, die in ein Altenpflegeheim kom-men, deren Witwenrente und Pflegegeld aber nicht aus-reichen, sodass sie auf zusätzliche Sozialhilfe oder aufGrundsicherung im Alter angewiesen sind? Auch diesePersonengruppe wird in Deutschland größer . Um all die-se Gruppen kümmern wir uns .Die dritte Frage, die uns sehr massiv umtreibt, lautetnatürlich: Wie können wir, auf Dauer gesehen, Altersar-mut verhindern? Das geht nur über gute Tarifverträge,gute Bildung, Ausbildung, Weiterbildung und Qualifi-zierung . Das bezieht sich auf die Zukunft . Dabei kommtes ganz entscheidend darauf an, dass wir Menschen, diebisher kaum eine Chance haben, motivieren und in unse-ren Arbeitsmarkt integrieren, damit sie im Alter von ihrerRente leben können .Es ist und bleibt so: Die Rente, die man bekommt,entspricht dem, was man vorher verdient hat . Denn dasRentensystem ist keine Sozialfürsorge, sondern eine So-zialversicherung, in die man einzahlt und aus der manAnsprüche hat . Der Staat hat ein System der Grundsi-cherung geschaffen, damit trotz niedriger Rente niemandunter das Niveau der Grundsicherung fällt .Ich sage nicht, dass diese Situation für die Menschen,die davon betroffen sind, angenehm ist – ganz im Ge-genteil . Wir werden uns dieser Menschen annehmen . Dastreibt auch uns um, und die Fakten leugnen wir nicht .Übrigens: Auch unser Kollege Michael Grosse-Brömerhat das nicht geleugnet . Wogegen er sich aber, genau wieSabine Zimmermann
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wir, ausspricht, ist, den Eindruck zu vermitteln, als seidas ein Flächenbrand in Deutschland und ein Grundpro-blem der gesamten Gesellschaft von Kiel bis Konstanz .Die Wahrheit ist eine andere .
Diejenigen, die der Hilfe bedürfen, müssen Hilfe bekom-men . Dafür stehen wir . Wir müssen alles tun, um Armutim Alter zu vermeiden . Dafür kämpfen wir als CDU/CSU und in dieser Koalition .Herzlichen Dank .
Das Wort hat der Kollege Markus Kurth für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich habe mir schon fast gedacht, dass es wieder so läuft:Die eine Seite, die Fraktion Die Linke, nimmt alle ab55 Jahren, um zu möglichst hohen Zahlen von Alters-armut zu kommen . Der Kollege Karl Schiewerling sagt,nur 3 Prozent der über 65-Jährigen sind auf Grundsiche-rung angewiesen, und erweckt dadurch den Eindruck, alsob Altersarmut für 97 Prozent der über 65-Jährigen garkeine Rolle spielt. Ich finde, das eine verzerrt den Blickso sehr wie das andere .
Ich glaube auch nicht, dass uns diese Art von Zahlenhu-berei sonderlich weiterhilft .
Wir können aber festhalten: Dass 3 Prozent der über65-Jährigen Grundsicherung beziehen, stimmt . Das isteine relativ geringe Zahl .
Wenn wir die Zugänge der vergangenen Jahre nehmen,dies hochrechnen und zudem noch wissen, dass die ge-brochenen Erwerbsbiografien schon in der Vergangenheitgeschrieben worden sind, dann ist klar, dass diese Zahlentsprechend wächst . Ich halte nichts davon, mit dieserMomentaufnahme so zu tun, als ob auch in Zukunft allesin Butter sei .Die Armutsrisikoquote wird gerne als Armutsschwellebeschrieben . Die liegt bei über 15 Prozent .
Zwischen 3 und 15 Prozent liegt noch eine ganze Menge .Wir können getrost annehmen, dass viele Rentnerinnenund Rentner wegen 5 Euro, 20 Euro und viele sicherlichauch wegen 100 Euro nicht zum Sozialamt oder zumGrundsicherungsamt laufen . Das heißt, es gibt einen gro-ßen Teil verdeckter Armut . Die Politik muss sich das an-gucken und darauf ebenfalls Antworten finden.
Schauen wir uns einmal die Ursachen an . Ich glaube,diese Diskussion ist für alle Zuhörerinnen und Zuhörer,für die Bürger viel interessanter . Wenn ich die Rentnerim Grundsicherungsbezug betrachte und den Alterssiche-rungsbericht der Bundesregierung nehme, dann sehe ichzum Beispiel, dass eine fehlende Ausbildung einer derganz wesentlichen Gründe für den Grundsicherungsbe-zug ist . Das leuchtet auch unmittelbar ein .
So viel zu der Frage, dass man mit dem Rentenniveaunicht alles löst .Ich sehe aber auch: 70 Prozent der Leute im Grundsi-cherungsbezug haben weniger als 30 Versicherungsjahrein der Rentenversicherung . Das heißt, viele haben über-haupt gar nicht erst eingezahlt .
Eine Verbreiterung der Grundlage, ein Erstrecken desSystems beispielsweise auf Selbstständige, die gar nichtin der Rentenversicherung waren, also eine Absicherungvon Selbstständigen, täte not .
Das sind die politischen Antworten, denen wir uns mehrwidmen sollten, als nur zu klagen: Wir dulden das nicht .Oder: Wir nehmen das nicht hin .
Wer wollte denn schon Altersarmut gerne hinnehmen,Frau Zimmermann?Dann ist natürlich die Frage: Was machen wir? Siesind immer schnell bei der Hand – nachher wird es wahr-scheinlich Matthias W . Birkwald auch fordern –, dasRentenniveau zu erhöhen .
Es ist richtig, das Rentenniveau zu stabilisieren, weildie Rente auch eine Einkommensversicherung ist . Nur:Denjenigen Personen, die nie eingezahlt haben oder dieweniger Versicherungsjahre haben, werden Sie mit einerErhöhung des Rentenniveaus gar nicht helfen können .
Dafür brauchen wir andere Mittel, und wir haben andereNotwendigkeiten .An dieser Stelle sagen wir – das ist so einfach wie be-stechend –: Wer 30 Versicherungsjahre im PflichtsystemKarl Schiewerling
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hat – wir wollen, dass das zukünftig auch Selbstständigehaben –, soll sich mindestens auf 30 Entgeltpunkte, alsoauf momentan gut 900 Euro Rente, verlassen können,sozusagen als Prämierung der Zugehörigkeit zum Soli-darsystem . Das ist der entscheidende Punkt . Wir nennendas Garantierente .
Im Rahmen dieser Garantierente wollen wir zusätz-liche Vorsorge, beispielsweise in Form einer Betriebs-rente, anrechnungsfrei stellen . Das ist ein vernünftigerVorschlag . Dazu hat die Große Koalition sowieso nurein – wie soll ich sagen? – holpriges Ding gehabt, dasso ähnlich klang, nämlich solidarische Lebensleistungs-rente . Vor wenigen Monaten hat die Ministerin für Arbeitund Soziales dies auch noch beerdigt .Damit stelle ich fest, dass wir an der entscheidendenStellschraube zur Bekämpfung von Altersarmut denpraktikabelsten und auch den finanzierbarsten Vorschlaghaben . Er würde die Akzeptanz des Rentenversiche-rungssystems ganz wesentlich stärken .
Darüber hinaus gibt es viele weitere Punkte . Geradebei der Risikogruppe Frauen gibt es viele Ursachen, dieim Erwerbsleben begründet sind . Dazu wird meine Kol-legin Katja Dörner nachher noch sehr interessante Ge-danken unterbreiten .Ich glaube, in diese Richtung sollten wir entlang vonStrukturproblemen diskutieren, anstatt nur die Lage zubeklagen .Vielen Dank .
Das Wort hat die Kollegin Daniela Kolbe für die
SPD-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undliebe Kollegen! Altersarmut hat viele Gesichter . Einigefallen mir ganz konkret ein bzw . sind mir in Erinnerung:Ich erinnere mich zum Beispiel an das Gesicht derFrau, die mit ihrem GEZ-Bescheid bei mir im Wahl-kreisbüro gesessen und sich beklagt hat, dass sie denGEZ-Beitrag nicht bezahlen kann . Eine Prüfung der gan-zen Geschichte ergab, dass die Frau eigentlich Grund-sicherung im Alter hätte beantragen müssen . Ich habeihr das geraten, und die Reaktion war: Nein, das macheich nicht . Nach einem Leben voller Arbeit gehe ich nichtzum Amt . Das ist unter meiner Würde . – Ich konnte dassehr gut nachvollziehen .Mir ist auch das Gesicht des Mannes in Erinnerung,der wegen einer Mieterhöhung zu mir gekommen ist, dieihm richtig wehtat . Ja, steigende Mieten sind ein Pro-blem . Das dahinterliegende Problem bei ihm war aber: Erwar Selbstständiger und hatte bei seiner Alterssicherungauf seinen unternehmerischen Erfolg gesetzt . Er ist in dieInsolvenz gegangen und konnte dementsprechend nurwenige Rentenpunkte ansammeln . – Pech gehabt nacheinem Leben voller Arbeit!Daneben fällt mir der EU-Rentner ein, der bei mir saßund relativ direkt gefragt hat: Wann beachtet die Politikeigentlich mal wieder Leute wie mich? Ich wollte undwill arbeiten, ich kann es aber nicht mehr .Ich will mich gar nicht mit den Zahlen und auch nichtmit der Frage aufhalten, ob die Armutsgefährdungsquotejetzt der richtige Indikator ist und ob man sich nicht bes-ser relative anstatt der absoluten Zahlen angucken sollte .Fakt ist: Viel zu viele Menschen in Deutschland sind vonAltersarmut betroffen oder bedroht.Nach meiner Ansicht werden die Zahlen noch weitersteigen . Das wird womöglich zunehmend auch Men-schen betreffen, die ein ganzes Leben lang gearbeitet ha-ben oder arbeiten wollten . Das ist schreiend ungerecht,und deswegen sind wir zum Handeln aufgefordert .
Diese Bundesregierung hat auch einiges getan . Ge-rade heute hat das Kabinett zum zweiten Mal in dieserLegislaturperiode beschlossen, die Erwerbsminderungs-rente deutlich zu erhöhen; und das ist richtig so .
– Aufwachsend! Du weißt es genau, Matthias: Wir ge-hen hier Schritt für Schritt, und das wird eine massiveVerbesserung für die Menschen sein . Gerade weil sie sogeringe Auszahlbeträge bekommen, sind die Summensignifikant, und sie werden den Leuten wirklich helfen.Bei anderen Themen ringen wir noch um eine Eini-gung . Es kann aber sein, dass wir uns in der Koalitionnicht einigen können . Dann werden die Wählerinnen undWähler am 24 . September 2016 entscheiden können undmüssen, in welche Richtung es gehen soll .Beispiel Selbstständige . Diese Gruppe ist schon jetztbesonders von Altersarmut betroffen. Fast die Hälfte derehemaligen Selbstständigen hat im Alter weniger als1 000 Euro monatlich zur Verfügung . Von den jetzigenSolo-Selbstständigen haben 25 Prozent Stundenlöhne,die unterhalb des Mindestlohnes liegen . Etwa 3 Millio-nen Selbstständige haben keine verlässliche Altersvor-sorge .Wir sagen: Das kann nicht so bleiben . Wir wollen die-se Versorgungslücke schließen, und wir wollen, dass sieendlich in die Solidargemeinschaft der gesetzlichen Ren-tenversicherung einbezogen werden .
Das ist auch eine Forderung des Rentenkonzepts vonAndrea Nahles .Markus Kurth
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Nächster Punkt . Um die jetzt arbeitende Generationvor Altersarmut zu schützen, müssen wir an vielen Punk-ten gegensteuern . Vor allen Dingen in Ostdeutschlandlaufen wir hier sehenden Auges in ein Riesenproblem .Viele Menschen waren zu lange arbeitslos oder hatten zulange sehr niedrige Löhne .Ich bin stolz darauf, dass wir heute endlich beschlos-sen haben, die Rentenangleichung in Ost und West hin-zubekommen . Das ist ein riesiger Schritt in Richtung in-nerdeutsche Einheit . Die SPD sagt aber auch: Wir wollennicht nur die Angleichung der Rentensysteme, sondernwir brauchen auch die Angleichung der Löhne . Es mussin Deutschland gelten: „Gleicher Lohn für gleiche Ar-beit, egal ob in Ost oder West“, und dafür muss es dannauch gleiche Rentenanwartschaften geben .
Wir müssen weiter gegen prekäre Beschäftigung undLangzeitarbeitslosigkeit vorgehen . Wir müssen aber auchzur Kenntnis nehmen, dass die letzten Jahrzehnte auchim Bereich Rente noch länger nachwirken werden . Vie-le Menschen haben ihr Leben lang gearbeitet und warenaufgrund niedrigerer Löhne nicht in der Lage, ausrei-chend Rentenpunkte anzusammeln . Wir brauchen etwasfür diese langjährig Beschäftigten; denn es kann nichtsein, dass diese Menschen in der Grundsicherung landenwie die Menschen, die nie eingezahlt haben . Das wider-spricht jeder Leistungsgerechtigkeit .
Wir sagen deshalb: Wir brauchen eine Solidarrente .Andrea Nahles hat hier mit ihrem Rentenkonzept einenVorschlag gemacht . Lassen Sie ihn uns diskutieren! Dasist ein Schritt in die richtige Richtung, ein Schritt, umdieses Land gerechter zu machen und den Menschen zuhelfen, die ein Leben lang gearbeitet und es verdient ha-ben, im Alter vernünftig leben zu können .
Wir werden über dieses Thema weiter diskutieren,spätestens beim Armuts- und Reichtumsbericht . Michwürde aber noch viel mehr freuen, wenn wir über einengemeinsamen Gesetzentwurf der Koalition zum ThemaSolidarrente diskutieren würden . Insofern geht meinBlick in Richtung Koalitionspartner: Geben Sie sich ei-nen Ruck! Sehr viele Menschen in diesem Land würdenes Ihnen danken .
Als nächste Rednerin hat Jana Schimke für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habemir heute einmal die Mühe gemacht, in die Geschäfts-ordnung des Deutschen Bundestages zu schauen . In derGeschäftsordnung steht, dass eine Aktuelle Stunde im-mer dann einberufen wird, wenn es ein Thema von „all-gemeinem aktuellen Interesse“ gibt .
Jetzt ist es so: Uns liegen neue Zahlen der europäischenStatistikbehörde, von Eurostat, vor, die aber im Grundegenommen nichts Neues sind – im Gegenteil .
Die Linke bedient sich einmal mehr eines Repertoires anZahlen, so wie es ihr gerade passt .
Statistisch lässt sich alles verdrehen . Nichts anderes istdas, was wir heute hier erleben .
Meine Damen und Herren, die Zahlen von Eurostatzeigen, dass das Armutsrisiko in der Gruppe der 65-Jäh-rigen gesunken ist . In den Jahren 2011 bis 2014 lag dieQuote nach Ansicht von Eurostat noch bei 3 Prozent .2015 ist sie auf 2,4 Prozent gesunken .
Liebe Kollegen der Linken, Sie verwenden die Zah-len so, wie Sie sie brauchen . Zum Glück sind wir in derLage, uns Statistiken näher anzuschauen . Wir müssen ei-nen Blick hinter die Kulissen werfen und uns fragen: Waswar die Erhebungsgrundlage? Welche Gruppen wurdenherangezogen?
Jetzt aus einer anderen Berechnungsgrundlage, nämlichder Herabsetzung des Lebensalters auf 55 Jahre, eineneue Schlagzeile zu machen, ist nichts anderes als Angst-mache . Das ist Ihre Strategie . Das ist Wahlkampf .
Das ist am Ende auch Sozialpopulismus, meine Damenund Herren .
Ich will einmal ein bisschen Sachlichkeit in die De-batte bringen .
Daniela Kolbe
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Wir haben uns ja erst kürzlich den Alterssicherungsbe-richt der Bundesregierung zu Gemüte führen können . Indem steht nichts anderes, als dass es unserer heutigenRentnergeneration im Schnitt gut geht .
Das ist die Wahrheit . Das Durchschnittseinkommen al-leinstehender Rentner in Deutschland liegt bei etwa1 500 Euro; ältere Ehepaare haben im Durchschnitt sogarein Haushaltseinkommen von über 2 500 Euro zur Ver-fügung .
Ich will an dieser Stelle auch noch einmal sagen:Gerade erst, im vergangenen Jahr, hatten wir in ganzDeutschland die größte Rentenerhöhung seit der Wie-dervereinigung . Ich denke – das erfahre ich auch immerwieder in Gesprächen –, dass die Menschen für die Ent-scheidungen, die wir getroffen haben, dankbar sind.
Das kommt natürlich nicht von ungefähr . Das kommtdaher, dass wir mit einer guten Wirtschaftspolitik dafürsorgen, dass es der Wirtschaft gut geht, dass wir Rekord-beschäftigung in Deutschland haben, dass Tariflöhne undGehälter in Deutschland steigen .
Wir haben auch eine wachsende Zahl an Vollzeitbeschäf-tigungsverhältnissen – wohlgemerkt: unbefristet – zu ver-zeichnen . Seit dem Jahr 2006 gab es hier einen Anstiegvon 40 auf 47 Prozent, bezogen auf alle Beschäftigten .Das sind die Fakten . Darüber würde ich mich mit Ihnenim Rahmen einer Debatte sehr gerne auseinandersetzen .
Meine Damen und Herren, die Union hat die besserenKonzepte . Wir haben in dieser Legislatur mit der Flexi-rente einen Vorstoß in Sachen Rentenpolitik gemacht, dersagenhaft zukunftsweisend ist,
der eine Antwort für künftige Generationen und eine Ant-wort für ältere Beschäftigte gibt . Ich glaube, das ist dieRichtung, in die wir gehen sollten .
Wir haben jetzt noch ein paar Projekte vor uns, die,denke ich, sehr, sehr wichtig sind; diese Auffassung tei-len Sie sicherlich . Wir wollen die Betriebsrente weiterstärken . Wir werden die Rentenwerte in Ost und Westangleichen, und wir werden noch einmal – wir haben esbereits in dieser Legislatur getan – etwas für Erwerbsge-minderte tun .
Was tut die Linke stattdessen? Die Linke macht einePolitik, die teuer ist, auf Kosten künftiger Generationengeht und unsere Wirtschaft in den Ruin führen würde,wenn sie das Sagen in diesem Lande hätte .Ich bin der Auffassung, wenn es um Altersarmut geht,sollten wir bei den Ursachen ansetzen . Wir sollten unsnicht darauf konzentrieren, an Symptomen herumzudok-tern und irgendjemandem irgendwo mehr Geld zu geben,sondern uns mit den Ursachen befassen . Was sind die Ur-sachen von Altersarmut und damit verbundenen Situatio-nen, in die Menschen im Alter geraten?
Was hier zählt, ist, frühzeitig anzusetzen .Mit der Schaffung der Jugendberufsagenturen bei-spielsweise kümmern wir uns um junge Menschen in die-sem Land, um zu verhindern, dass sie in einen Erwerbs-verlauf schlittern, der am Ende in Altersarmut mündet .
Wir sind auch ausgesprochen bemüht darum, die Lang-zeitarbeitslosigkeit weiter zu senken . Das ist wahrlichnicht einfach – das gebe ich zu –; aber auch hier gibt esin Zeiten des Fachkräftemangels eine erhöhte Anstren-gung seitens der Bundesregierung . Natürlich kümmernwir uns auch um die Beschäftigten, indem wir das ThemaWeiterbildung angehen: Wie können wir Weiterbildungstärken und Anreize setzen, sowohl für Unternehmen alsauch für Beschäftigte?
Ich glaube, mit diesem Konzept sind wir für die Zu-kunft gut aufgestellt .
Darum sollten wir uns kümmern, statt Zahlenklaubereizu betreiben .Vielen Dank .
Matthias W . Birkwald hat für die Fraktion Die Linke
das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her-ren! Liebe Frau Schimke, was Sie hier erzählt haben, istein Lügenmärchen . Das muss man einmal deutlich sagen .
Jana Schimke
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Ich habe die Zahlen von Eurostat von 2007 bis 2015 da-bei; nach meiner Kenntnis hat die CDU/CSU in diesemZeitraum leider immer regiert . Sie zeigen, dass die Zahlder armen Alten um 10 Prozent gestiegen ist . Bei denMännern über 75 Jahre hat sie um 66 Prozent zugenom-men .
Sie haben also etwas Falsches erzählt, und das geht garnicht .
Die Bild-Zeitung ist nicht meine bevorzugte Lek-türe; ich sehe sie häufig bei den Unionskollegen. DieBild-Zeitung ist sehr CDU-freundlich . Sie malt die ge-sellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland garantiertnicht schwarz . Aber gestern war in der Bild-Zeitungunter der Überschrift „Armuts-Report Deutschland!“ zulesen, dass derzeit 15,7 Prozent der Menschen in Armutleben, 13 Millionen Menschen insgesamt . Ich gebe Ih-nen ein Beispiel, das darüber hinausgeht: „1,5 MillionenMenschen sind in Deutschland“ – in Deutschland! – „aufLebensmittelspenden angewiesen“ . Da wäre ein bisschenDemut angesagt .Ein Beispiel ist die Rentnerin Renate Faber, 73 Jah-re alt und vierfache Oma . Sie muss zur Tafel, weil siesich Obst, Brot und Gemüse nicht leisten kann . Käseund Fleisch sind für sie etwas so Wichtiges, dass sie das,wenn sie es einmal hat, hinten in den Kühlschrank packt .Sie sagt – Zitat –:‚Ich habe mein ganzes Leben als Verkäuferin gear-beitet . Ich habe Überstunden gemacht und neben-bei noch meine drei Kinder großgezogen‘ … 1997wurde sie beim Kaufhaus Hertie entlassen . Bis zurRente vor acht Jahren nahm sie regelmäßig befriste-te Aushilfsjobs an:– eine Frau, die arbeitet –‚Fest angestellt hat mich mit Mitte 50 niemandmehr . Ich nahm jedes Angebot an, weil ich … alsMensch … dazugehören wollte .‘Meine Damen und Herren, eine Politik, die wie dieIhre dazu führt, dass in jeder größeren Stadt immer mehrMenschen in Mülleimern und Flaschenpfandcontainernnach Leergut wühlen müssen, ist eine Politik der unwür-digen Zustände, und die muss dringend abgeschafft wer-den .
Wenn Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen vonUnion und SPD die FAZ lieber ist: Dieses Blatt versuchtauch, Armut wegzudefinieren, schreibt aber in seinergestrigen Ausgabe, dass 40 Prozent der Rentnerinnen undRentner nicht zur Mittelschicht gehören . Aber sie liegennicht darüber; sie liegen darunter . Das ist die Wahrheit .Deswegen kann ich es auch nicht mehr hören, wie Siehier wieder versuchen, Armut wegzudefinieren. Armutmuss bekämpft werden .
Sie sagen, nur 2,7 Prozent derer, die eine Alters-rente beziehen, bräuchten Grundsicherung . Das sind536 000 Menschen; das ist eine halbe Million Menschen .Auch diese halbe Million ist eine halbe Million armerAlter zu viel .
Hinzu kommt: Ihr Finanzminister, Herr Schäuble, stelltjedes Jahr 7 Prozent mehr ein, weil die Zahlen wachsen,wachsen und wachsen . Sie haben sich seit dem Jahr 2000verdoppelt und bei den Männern verdreifacht .Und noch etwas, Herr Kollege Schiewerling: Grund-sicherung ist nicht gleich Armut . In der Grundsicherungsind die Ärmsten der Armen . Die Armut ist in Europadefiniert – meine Kollegin Zimmermann hat es vorhingesagt –: Wer als alleinlebender Mensch weniger als1 033 Euro zur Verfügung hat, der ist von Armut bedroht .
Und da steigen die Zahlen immer mehr . Ich sage Ih-nen, Kollege Markus Kurth: Wenn es nur um diejenigengehen soll, die 65 und älter sind, dann haben wir heuteschon 2,8 Millionen ältere Menschen in Altersarmut . Dakann man doch nicht sagen, Altersarmut gebe es heutenicht .
Heute ist hier Ruhe, was das Finanzministerium an-geht . Sonst hätte ich Herrn Spahn auch noch einmal einWort dazu gesagt, wie er arme Kinder gegen arme Alteausspielt . Auch das darf nicht sein . Wir müssen sowohletwas gegen Kinderarmut wie auch gegen Altersarmuttun .
Was das Rentenniveau angeht, hat der KollegeRosemann in der Anhörung Professor Axel Börsch-Su-pan befragt, und der hat echt behauptet, eine zunehmendeAltersarmut mit dem sinkenden Rentenniveau zu begrün-den, sei falsch . Völliger Unsinn! Im Jahr 2002 brauchteman als Durchschnittsverdiener 23,7 Beitragsjahre füreine Rente in Höhe der Grundsicherung, also der Sozi-alhilfe . Im Jahr 2016 brauchte man schon 29,6 Beitrags-jahre und, wenn man nur drei Viertel des Durchschnittsverdient hat, fast 40 Jahre . Ich sage Ihnen, meine Damenund Herren: Das Rentenniveau anzuheben, schützt jene,die heute verdienen, vor Altersarmut in Zukunft . Deswe-gen sollten wir es anheben, und zwar auf 53 Prozent .
Ich komme zum Schluss . Wir brauchen den drittenEntgeltpunkt bei der Mütterrente . Wir brauchen eine bes-sere Rente nach Mindestentgeltpunkten . Wir brauchenMatthias W. Birkwald
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für Arbeitslose wieder Beiträge in der Rentenversiche-rung . Und wenn das alles nicht reicht, dann brauchen wireinen Zuschlag auf die Alterseinkommen wie in Öster-reich . Wir nennen diesen Zuschlag „solidarische Min-destrente“; denn das Ziel der Linken ist: Niemand soll imAlter von weniger als 1 050 Euro leben müssen .Herzlichen Dank .
Als nächster Redner spricht Ralf Kapschack für die
SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Verehrte Zuschauer! Deutschland ist ein reiches Land .Viele beneiden uns um unseren Wohlstand und die politi-sche Stabilität in der Mitte Europas .
Aber natürlich: Auch in unserem Land gibt es Armut . Esgibt Menschen, die nicht teilhaben können, weil sie dasGeld dafür nicht haben, die sich keine Eintrittskarte fürein Fußballspiel, fürs Kino oder ein Geschenk für die En-kel leisten können . Das ist keine Debatte über statistischeGrößen, sondern eine Debatte über die Lebenswirklich-keit von Menschen .
Armut, auch Altersarmut, über die wir heute reden,ist kein Naturgesetz; sie ist Folge von gesellschaftlichenEntwicklungen und politischen Entscheidungen . DieAbsicherung im Alter ist immer auch ein Spiegel desErwerbslebens . Wer lange gearbeitet hat, muss sich da-rauf verlassen können, im Alter nicht in Armut zu fal-len; das ist ein zentrales Versprechen des Sozialstaats .Zugegeben: Es kann nicht immer gehalten werden . GuteArbeit ist die entscheidende Stellschraube für eine guteAbsicherung im Alter . Gute, faire Löhne und stabile Be-schäftigungsverhältnisse, das müssen die zentralen An-satzpunkte sein .Die gesetzliche Rente ist oft nicht die einzige, abermeist die wichtigste Einkommensquelle im Alter . Des-halb ist es wichtig, hier Spielräume zu nutzen, um Alters-armut zu bekämpfen .
Es ist schon angesprochen worden: Jedes Jahr gehen170 000 Menschen im Alter von durchschnittlich 50 Jah-ren in die Erwerbsminderungsrente . Sie bekommen670 Euro im Monat . Erwerbsminderung ist deshalb einesder größten Armutsrisiken in unserem Land . Im Renten-paket 2014 sind erste deutliche Verbesserungen vorge-nommen worden . Heute hat das Kabinett auf Initiativevon Andrea Nahles zusätzliche Verbesserungen auf dieSchiene gesetzt .
Ja, es stimmt, die Abschläge bekommen wir nichtweg . Es stimmt auch, dass von den deutlichen Verbesse-rungen die Bestandsrentner noch nicht profitieren. Vielefinden das ungerecht. Deshalb denkt zumindest die SPDdarüber nach, was wir da in Zukunft machen können .Unser gesetzliches Rentensystem funktioniert relativeinfach: hohe Beiträge – hohe Rente, niedrige Beiträ-ge – niedrige Rente . Es sind vor allem Frauen, die langearbeiten und trotzdem aufgrund ihres niedrigen Lohnsnur wenig einzahlen konnten . Im Alter steht dann oft dieGrundsicherung . Das wollen wir verändern .
Wer jahrzehntelang gearbeitet hat, muss mehr haben alsdie Grundsicherung . Das ist eine Frage von Gerechtig-keit, Respekt und Wertschätzung .
Der Vorschlag einer Solidarrente liegt auf dem Tisch .Mal sehen, was wir mit der CDU/CSU bis zur Wahl nochhinbekommen .Das Problem der Altersarmut von Selbstständigen istschon angesprochen worden . Wir wollen, dass zukünf-tig Selbstständige in die gesetzliche Rentenversicherungeinbezogen werden, es sei denn, sie sind obligatorischanderswo versichert . Das wäre ein wichtiger Schritt hinzur Bekämpfung von Altersarmut und in Richtung Er-werbstätigenversicherung .
In der öffentlichen Debatte wird gerade intensiv überdas Rentenniveau gestritten; auch wir haben gerade einekurze Debatte darüber geführt . Allein ein hohes Durch-schnittsniveau der gesetzlichen Rente ist sicherlich keinAllheilmittel gegen Altersarmut . Aber es spielt eine nichtzu unterschätzende Rolle . Deshalb sollte das Niveau dergesetzlichen Rente stabilisiert werden . Es steht nicht nurdie Legitimation der gesetzlichen Rente auf dem Spiel,sondern auch viel Vertrauen, das Vertrauen, dass es in un-serem Land gerecht zugeht .
Zum Schluss noch ein Gedanke . Zur Gerechtigkeitgehört auch, dass diejenigen, die starke Schultern haben,mehr tragen als diejenigen, die schwache Schultern ha-ben . Wenn wir hier über Altersarmut reden, dann spre-chen wir an anderer Stelle über explodierende Manager-gehälter und extreme Vermögenssteigerungen bei denganz Reichen . Das ist keine Neiddebatte, wie manche dasleichtfertig abtun,
Matthias W. Birkwald
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sondern eine notwendige, zentrale Diskussion über denZusammenhalt in unserer Gesellschaft .
Auch die Wohlhabenden in diesem Land profitieren da-von, wenn es gerechter zugeht . Ich habe den Eindruck,dass manche das noch immer nicht verstanden haben .Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
Als nächste Rednerin spricht Katja Dörner für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Ich habe heute nicht in die Geschäfts-ordnung des Bundestages geschaut . Aber ich habe denTitel der heutigen Aktuellen Stunde gelesen . Ich bin sehrfroh, dass wir heute über Altersarmut debattieren . Alters-armut und die anstehenden Entwicklungen sind drängen-de Probleme, leider insbesondere für Frauen . Deshalb istes nach unserer Auffassung überfällig, dass die Bundes-regierung bei Strategien gegen Altersarmut insbesonderedie Frauen in den Blick nimmt .
DIW und die Hans-Böckler-Stiftung haben eine ak-tuelle Studie vorgelegt . Diese zeigt erneut: Die Renten-lücke zwischen Frauen und Männern ist enorm . Frauenbekommen noch immer durchschnittlich als Rente nur60 Prozent dessen, was die Männer bekommen . Das darfauf Dauer nicht so bleiben .
Es ist ein altbekanntes Problem: Die Ungerechtigkei-ten des Arbeitsmarktes, die für Frauen noch immer be-stehen, setzen sich in der Rente fort . Sie werden quasinahtlos fortgeschrieben . Deshalb ist für uns völlig klar,dass wir die Altersarmut von Frauen bei weitem nicht al-lein im Rentensystem werden angehen und lösen können .Das Rentensystem kann – das ist uns allen klar – die überJahrzehnte fehlenden Beiträge nicht ausgleichen . Des-halb müssen wir viel früher ansetzen . Frauen müssen ei-genständige Anwartschaften erwerben können . Sie brau-chen eine eigenständige Existenzsicherung . Da bleibt dieBundesregierung leider weitestgehend blank .
Frauen verdienen im Schnitt weiterhin deutlich weniger,weil sie häufiger Teilzeit arbeiten, weil sie seltener inFührungspositionen sind, weil sie öfter in schlecht be-zahlten Berufen tätig sind und auch weil es mittelbareund unmittelbare Lohndiskriminierung gibt . Wie gesagt,das ist alles altbekannt . Was macht die Bundesregierung?Wenig . Man kann auch sagen: gar nichts .Sie haben es beispielsweise immer noch nicht ge-schafft, das Rückkehrrecht auf Vollzeit zu verankern,obwohl es sogar im Koalitionsvertrag steht . Es ist aberzentral, dass Frauen aus der Teilzeitfalle herauskommen .
750 000 Frauen, die in Teilzeit arbeiten, wollen lieberVollzeit arbeiten .
Das sagt Frau Nahles selber . Was sagen Sie denn diesenFrauen? Sagen Sie ihnen, dass vier Jahre nicht ausrei-chen, hierfür eine Lösung zu finden? Ich kann das nichtnachvollziehen .
Wir haben beispielsweise mit der flexiblen Vollzeiteinen konkreten Vorschlag gemacht, der Arbeitszeitenbeweglicher macht und mehr Spielräume für Frauen undnatürlich auch für Männer schafft. So kann man das Ar-beitsvolumen von Frauen erhöhen, ohne die Vereinbar-keit von Familie und Beruf aus dem Blick zu verlieren .So können Frauen eigenständige Anwartschaften erwer-ben, und wir tun wirklich etwas gegen Altersarmut . Ichfinde, es ist wirklich Zeit, dass die Bundesregierung sichsolchen innovativen Vorschlägen endlich öffnet.
Wir haben ein wer weiß wie gehyptes Quotengesetzverabschiedet, das aber die Vorstände ausspart . Es zeigtsich: Die Vorstandsetagen sind nach wie vor fest in Män-nerhand . Wir werden morgen ein sogenanntes Entgelt-gleichheitsgesetz debattieren, das ein derartig zahnloserTiger ist, dass man sich angesichts der großen Verspre-chungen, die hier den Frauen gemacht worden sind, ausSicht der Bundesregierung eigentlich nur schämen kann .Ein bisschen mehr Transparenz für nicht einmal die Hälf-te aller Frauen – das hat mit Lohngleichheit überhauptnichts zu tun . Auch das wird sich in die Rente fortsetzen .
Reform der Minijobs? Fehlanzeige bei dieser Bundes-regierung . Dabei heißt es im Koalitionsvertrag sogar:Zudem wollen wir die Übergänge aus geringfügigerin reguläre sozialversicherungspflichtige Beschäfti-gung erleichtern .Was ist daraus geworden nach drei Jahren Legislaturperi-ode? Gar nichts ist daraus geworden . Stattdessen arbeiten5 Millionen Menschen ausschließlich in Minijobs, eineunverändert hohe Zahl .
Auch hier sind es eben vorrangig Frauen . Die gan-ze Problematik des Ehegattensplittings in Kombinationmit den Minijobs muss ich hier, glaube ich, nicht breitRalf Kapschack
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auswalzen . Es zeigt sich ganz klar: Die Bundesregierungduckt sich vor den wirklich heißen Eisen weg . Das gehteben hart zulasten der Frauen . Wenn auch seitens der Re-gierungsfraktionen die Altersarmut von Frauen beklagtwird, aber gleichzeitig bei Lohngleichheit, Minijobs oderEhegattensplitting nichts bewegt wird, kann man dasnicht wirklich ernst nehmen .
Die Bundesregierung schreibt in ihrem Alterssiche-rungsbericht 2016, dass das Versorgungsniveau ohne zu-sätzliche Altersvorsorge in den kommenden Jahren deut-lich zurückgehen wird und dass darin insbesondere fürGeringverdienende ein erhebliches Risiko besteht . Nunwissen wir aber auch: Mehr als 40 Prozent der Menschenmit einem sozialversicherungspflichtigen Einkommenvon unter 1 500 Euro im Monat – in diesem Bereich ar-beiten deutlich mehr Frauen als Männer; auch hier ganzklar eine Geschlechterperspektive – sorgen weder be-trieblich noch privat vor . Da sind die 5 Millionen Men-schen in den Minijobs noch nicht einmal eingerechnet .Deshalb ist ganz klar: Da sich nicht jeder Sparen leistenkann, müssen wir endlich wirksame, konkrete Maßnah-men gegen Altersarmut ergreifen . Das hat die Bundesre-gierung leider verpasst .Mein Kollege Markus Kurth hat es schon gesagt:Wir Grüne wollen eine Garantierente – das ist auch ausfrauenpolitischer Perspektive richtig und wichtig –, undwir wollen eine Bürgerversicherung bei der Rente, eineRente für alle . Damit werden Versicherungslücken ge-schlossen, die heute eine der wesentlichen Ursachen vonAltersarmut sind . Es reicht eben nicht, wenn man sichdie Entwicklungen anschaut, nur ganz kleine Räder zudrehen .Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
Peter Weiß hat für die CDU/CSU-Fraktion als nächs-
ter Redner das Wort .
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Man kann es wenden, wie man will: Natürlich gibt es beiuns in Deutschland Männer und Frauen, die sehr wenigEinkommen haben und deswegen jeden Tag den Euromehrmals umdrehen müssen . Aber das Problem dieserPersonen löse ich nicht mit der Initiative, die die Linkenhier in der Aktuellen Stunde angeboten haben .Die großen Zahlen von Herrn Birkwald kommen da-her, dass er die Eurostat-Methode anwendet und sagt:Wer nur 60 Prozent des Durchschnittseinkommens hat,der gilt als armutsgefährdet .
Dass er keine Lösung anzubieten hat, sehen Sie an fol-gender Überlegung: Wenn Sie die durchschnittlichenLöhne um 10 Prozent erhöhen und die Renten um10 Prozent erhöhen, dann haben wir immer noch genau-so viele Bezieher eines Einkommens von 60 Prozent desDurchschnittseinkommens, obwohl alle mehr haben . Da-ran zeigt sich: Mit solchen Prozentrechnereien werdenwir den Menschen, die wirklich armutsgefährdet sind,überhaupt nicht gerecht .
Gerecht wird man diesen Mitbürgern nur, wenn man ge-nau hinschaut .Im Altersvorsorgebericht wird festgestellt, dass wirbei denjenigen, die 35 Jahre oder länger in die gesetzli-che Rentenversicherung eingezahlt haben, eine Grundsi-cherungsquote von 1 Prozent haben . Das heißt, wer einLeben lang in die Rente eingezahlt hat, hat in der Regel –Gott sei Dank! – mehr als die Grundsicherung . Wer langeAusfallzeiten hatte oder nie eingezahlt hat, der kann na-türlich auch keine gute Rente erwarten . Ich erlebe immerwieder, dass Personen zu mir kommen, die wirklich zuwenig Rente haben . Diesen rate ich – ja ich dränge siedazu –, Grundsicherung zu beantragen .
Grundsicherung ist kein Almosen, sondern ein Anspruchim Sozialstaat Deutschland, damit niemand Hunger undNot leiden muss .
Schauen wir uns einmal an, welche Personen in denletzten Jahren Grundsicherung neu beantragt haben! Ver-ehrte Kolleginnen und Kollegen, 50 Prozent der Neu-beantragungen kommen von Personen, die null EuroAnspruch an die gesetzliche Rentenversicherung haben .Sprich: Wenn ich das Rentenniveau à la Birkwald anhe-be, haben die null und nichts mehr .
Das zeigt zum Thema Armutsbekämpfung: Jeder mussin seinem Leben verpflichtet werden, für das Alter vorzu-sorgen – dafür sprechen wir uns als Union nachdrücklichaus –, damit er am Schluss nicht mit nichts dasteht . – Dasist das Allererste .
Das Zweite ist die vom Kollegen Kapschack bereitserwähnte Erwerbsminderungsrente . Ja, wer schon injungen Jahren krank wird oder einen Unfall erleidet undnicht mehr arbeiten gehen kann, folglich auch nichtsmehr in die Rente einzahlen und nicht privat vorsorgenkann, der ist im Zweifel sein Leben lang relativ arm dran .Deshalb ist es bemerkenswert, dass diese Große Koaliti-on handelt und wir mit dem heutigen Kabinettsbeschlussbereits zum zweiten Mal hintereinander die Ansprüchebei der Erwerbsminderungsrente erhöhen . Eine bessereKatja Dörner
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Erwerbsminderungsrente ist der beste Schutz gegen Al-tersarmut .
Richtig ist, dass, weil sie viele Jahre wenig oder über-haupt nicht in die Rente eingezahlt haben, gerade vieleFrauen armutsgefährdet sind, Frau Dörner – wobei dieFrauen Gott sei Dank aufholen . Die Frauen, die heutein Rente gehen, sind im Durchschnitt schon wesentlichbesser dran als ihre Vorgängerinnen . Aber ich muss auchsagen: Zu Beginn dieser Legislaturperiode haben wir mitder heftig diskutierten und umstrittenen Verbesserungder Mütterrente den Frauen und Müttern, die diese Aus-fallzeiten haben, wirklich nachhaltig geholfen, ein Stückmehr Rente zu bekommen .
Nun ist es so, dass es für eine ausreichende Altersvor-sorge notwendig ist – das hat schon immer gegolten –,zusätzlich für das Alter vorzusorgen und nicht allein diegesetzliche Rente anzusparen . Das gilt für jeden . Übri-gens finde ich es erfreulich, dass uns der Altersvorsor-gebericht zeigt, dass über 80 Prozent unserer Mitbürge-rinnen und Mitbürger in Deutschland zusätzlich etwasfür die Altersvorsorge tun . Nur jener, der ohnehin schonwenig verdient und dessen Rentenansprüche gering sind,hat bisher – zu Recht – gesagt: Warum soll ich mich über-haupt bemühen, zusätzlich etwas zu tun, wenn ich weiß,dass am Ende aller Tage das, was ich angespart habe, mitder Grundsicherung verrechnet wird
und ich dann nicht mehr habe als derjenige, der über-haupt nichts getan hat?Insofern ist das Betriebsrentenstärkungsgesetz, daswir in der nächsten Sitzungswoche hier im DeutschenBundestag beraten werden, eine entscheidende, geradezurevolutionäre Veränderung im Sozialrecht in Deutsch-land . Denn wir schlagen vor: Egal was jemand für seineAltersversorgung zusätzlich getan hat, er erhält mindes-tens 100 Euro mehr, als die Grundsicherung ausmacht .
Wir drehen das Prinzip um . Außerdem führen wir fürdie Geringverdiener erstmals einen Geringverdienerzu-schlag ein .
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen .
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, wenn
man wirklich etwas gegen Altersarmut tun will, dann darf
man nicht mit der Gießkanne herumlaufen . Lassen Sie
Ihre Gießkanne im Garten oder auf dem Balkon! Zielge-
richtete Hilfe da, wo es notwendig ist, dafür sorgen wir .
Das hilft im Kampf gegen Altersarmut .
Vielen Dank .
Danke schön . – Markus Paschke hat als nächster Red-
ner für die SPD-Fraktion das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wirhaben heute schon ganz viel über Statistiken etc . gehört,und ich wollte eigentlich auch damit anfangen. Ich findees schon beängstigend, wenn Eurostat feststellt, dass je-der Fünfte hier in Deutschland von Armut gefährdet ist .Solche Statistiken bilden immer nur die Vergangenheitab . Wichtig ist, was wir daraus für die Zukunft lernen .Vergleiche ziehen sollte man nicht zu Ländern, die einwesentlich niedrigeres Niveau als wir haben, sondern zuLändern, deren Niveau gleich unserem oder sogar höherist .
Ich würde dafür die Niederlande mit einem gleichenoder Norwegen mit einem höheren Niveau heranziehen .Die Armutsrisikoquote dort liegt bei 10,9 Prozent bzw .11,6 Prozent . Das heißt doch für uns, dass es bei uns imMoment noch nicht optimal geregelt ist; andere Ländersind vielmehr ein Beispiel dafür, wie man es wesentlichbesser regeln kann .
Wir brauchen hier also bessere Lösungen .
In meinen Bürgersprechstunden habe ich die gleichenErfahrungen wie meine Kollegin Daniela Kolbe ge-macht. Die Betroffenen kommen und schildern ihre Si-tuation. Viele empfinden es als unwürdig, wenn sie zumSozialamt gehen und Alterssicherung beantragen sollen .Ich kann das auch nachvollziehen . Meine Großmutter hatgenauso reagiert, als mein Großvater gestorben ist undsie nur noch mit einer kleinen Witwenrente dastand . Siehat ihr Leben lang mitgearbeitet; aber sie hat nichts da-von gehabt: Mein Großvater war selbstständig, und siewar mithelfende Familienangehörige . Wenn wir Lösun-gen suchen, müssen wir schauen, dass wir die Menschenin den Mittelpunkt stellen und individuelle Angebote ma-chen .Es gibt zukünftig sehr viel mehr Menschen, die be-troffen sein werden. Das zeigt sich, wenn man sich diePeter Weiß
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Situation einmal anschaut: Der Niedriglohnsektor wirdimmer größer; er ist schon in der Vergangenheit deutlichgewachsen . Es gibt sehr viel größere Armutsrisiken fürSelbstständige, für Solo-Selbstständige im Handwerk, imDienstleistungsbereich und in vielen anderen Bereichen .Es sind überwiegend Frauen, die durch Kindererziehung,durch Pflegeleistungen etc. ihre Erwerbstätigkeit unter-brochen haben . All diejenigen werden zukünftig wahr-scheinlich eine Rente bekommen, die nicht mehr zumLeben reicht . Um diese Menschen müssen wir uns küm-mern .
– Zuhören hilft manchmal, liebe Kollegen .
Eine Vorstufe zur Rente sind Ausbildung und damitEintritt in die Arbeitswelt . Das heißt, wir müssen unsauch darum kümmern, dass wir sachgrundlose Befristun-gen endlich wieder abschaffen,
dass wir den Niedriglohnsektor eindämmen .Auch wenn die Linke immer gern auf die Agen-da 2010 verweist, will ich einmal einen Vorsitzenden derSPD zitieren . Willy Brandt hat einmal gesagt: Jede Zeiterfordert ihre eigenen Antworten .
Das, was im Jahr 2000 vielleicht gut war – zumindesthaben diejenigen, die es gemacht haben, es damals alssinnvoll und gut empfunden –, muss heute nicht richtigsein . Ich bin der Überzeugung, dass wir heute eine ganzandere Anforderung haben . Heute haben wir eine andereZeit . Es geht darum, dass wir alle Menschen an dem Er-folg, den wir in Deutschland haben, teilhaben lassen . Dasist doch entscheidend .
Das heißt, wir müssen uns sehr viel mehr um die küm-mern, die nicht zu den Gewinnern zählen,
sondern die auf gleichem Niveau verharren oder die so-gar Abstiegsängste haben . Das sind nicht wenige . Das istdie Aufgabe, der sich die Politik stellen muss . Wir müs-sen versuchen, die Zukunft besser zu gestalten und nichtnur der Vergangenheit hinterherzutrauern . Das hilft nicht .
Wir müssen aus der Vergangenheit lernen und es in Zu-kunft besser machen . Es gibt gute Beispiele dafür .Danke .
Als nächster Redner hat Dr . Carsten Linnemann für
die CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Herzlichen Dank . – Liebe Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Ich habe einmal nachge-schaut: Wir beschäftigen uns jeden Monat mit dem The-ma Rente: am 29 . September, am 21 . Oktober,
10 . November, 1 . Dezember, 19 . Januar .
Es ist richtig, dass wir uns in diesem Hohen Haus mitdiesem wichtigen Thema beschäftigen. Auffällig ist, dassSie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken,dieses Thema immer nutzen, um den Fokus ausschließ-lich auf das Thema Altersarmut zu richten .Ja, ich gebe Herrn Kapschack recht: Es ist keine statis-tisch nennenswerte Größe . Es gibt schwere Einzelschick-sale, auch im Bereich Grundsicherung im Alter .
Herr Birkwald, mich ärgert, dass Sie so tun, als ob dasThema Altersarmut ein flächendeckendes, breites undgroßes Problem in Deutschland ist . Das ist mitnichtender Fall .
Damit reden Sie dieses Land schlecht . Das ist nicht gut .
Die statistischen Zahlen sprechen Bände . Es sind 2 bis3 Prozent, die in Grundsicherung sind .
– Aber natürlich kann man nicht verhehlen – das mussman einmal sagen –: Es gibt Gruppen, die viel mehr vonArmut bedroht sind .
Keine Altersgruppe ist heute weniger bedroht als die derRentner .
Markus Paschke
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Das muss man so sagen .
Meine Kolleginnen und Kollegen haben richtig gesagt,was man gezielt machen muss, um diesen Menschen zuhelfen . Aber man darf nicht so tun, als ob wir das Renten-niveau in Gänze mit voller Wucht anheben müssten, umdamit die Probleme zu lösen . Das ist mitnichten der Fall .
Es ist sogar so, dass bei einem sinkenden Rentenniveaudie Renten in Deutschland steigen, und zwar auch in dennächsten Jahren .
Selbst im Zeitalter eines sinkenden Rentenniveaus ist esso, dass der Abstand von den Durchschnittsrenten zurGrundsicherung größer ist denn je, Herr Birkwald . Ichwill nicht alles wiederholen; das, was die Kolleginnenund Kollegen gesagt haben, ist richtig . Wenn wir etwasmachen, dann müssen wir gezielt etwas machen . Das,was heute beispielsweise bei den Erwerbsgemindertenpassiert, ist richtig . Das sind doch die Menschen, dienicht mehr arbeiten können . Das sind doch die Men-schen, die unsere Unterstützung brauchen .
Auch das Thema Solo-Selbstständige ist richtig . Glau-ben Sie, ich möchte, dass sich Menschen in Deutschlandselbstständig machen, sich ein Geschäftsmodell überle-gen, eine tolle Idee haben und sagen: „Das Geschäftsmo-dell kann ich nur dann umsetzen, wenn ich keine Renten-versicherungsbeiträge zahle“? Glauben Sie, ich will, dassman sich unter Marktpreisniveau anbietet,
und der Steuerzahler soll die Grundsicherung im Alterfür diejenigen übernehmen, die das Geschäftsmodell zu-lasten der Solidargemeinschaft aufgelegt haben? Genaudas will ich auch nicht .
Deswegen wollen wir eine Versicherungspflicht, kei-ne Pflichtversicherung, bei der der Selbstständige diePflicht hat, dass er vorsorgt. Gleichzeitig brauchen wireine Übergangsphase,
damit die Start-ups in den ersten zwei, drei Jahren Lufthaben, ihr Geschäftsmodell umzusetzen,
um dann in die Altersvorsorge zu gehen .Zum Schluss . Was mir auch heute in der Debatte auf-gefallen ist: Ich glaube, dass sich diese Große Koalitionnicht verstecken muss, wenn es um das Thema geht, waswir für Menschen gemacht haben, die Transferleistun-gen vom Staat bekommen . Ich glaube, das brauchen wirnicht .
Morgen reden wir über das Thema Managergehälter .Auch das ist eben schon angesprochen worden; HerrKapschack, auch Sie haben es angesprochen . Wissen Sie,was mich ärgert?
Dass wir nur noch über die da ganz oben sprechen . Die-jenigen, die staatliche Leistungen bekommen, haben wirnicht vernachlässigt . Aber die breite Mitte der Gesell-schaft, die sich den Wecker stellt, morgens aufsteht undarbeiten geht, die sich an Recht, Gesetz und Ordnunghält,
die für eine Schlagzeile in der Zeitung vielleicht zu lang-weilig ist – sie trägt diesen Staat . Wir müssen sie auchmal in den Mittelpunkt rücken, für sie müssen wir dasein .
Insofern ist es wichtig, dass wir, wenn wir über sozialeGerechtigkeit reden, nicht nur darüber reden, wie wir denSozialstaat ausdehnen können, sondern auch über dieje-nigen reden, die diesen Sozialstaat überhaupt erst mög-lich machen und mit ihren Steuern finanzieren, damit dieUmverteilung, die heute stattfindet, auch morgen nochstattfinden kann. Deshalb müssen wir den Fokus mehrauf die Mitte, auf die Menschen, die in Deutschland ar-beiten gehen, richten .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Als letzter Redner in der Aktuellen Stunde hat TobiasZech für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Dr. Carsten Linnemann
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jetzt binich der letzte Redner . Ich werde mir jetzt nicht anmaßen,eine Zusammenfassung zu machen . Aber wenn man mo-mentan die Debatte auch in den Medien verfolgt, dannerkennt man, dass es beim Thema Altersarmut sehr ge-zielt um die Frage geht, wie wir mit dem Rentensystem,dem Rentenniveau und Rentenerhöhungen umgehen .Das heißt aber, wir sprechen nur über die Symptome .Altersarmut ist in Deutschland Realität . Das ist auchnichts Neues . Altersarmut hat es in Deutschland schonimmer gegeben . Unsere Aufgabe ist es, dass wir denje-nigen helfen, die am meisten davon betroffen sind undunverschuldet in diese Situation geraten sind . Das ist un-strittig .
Unstrittig ist auch, was die Statistiken besagen .Matthias Birkwald, ich nehme jetzt mal eine andere Sta-tistik, ich nutze nicht die Daten von Eurostat . Ich nenneeine Prozentzahl: 3 Prozent der Rentnerinnen im Wes-ten sind in der Grundsicherung . Die Kollegin Kolbe hatschon etwas dazu gesagt, und ich erzähle Ihnen: Ich habeals Gemeinderat in meiner Heimatgemeinde vor zehnJahren mit Stolz gemeinsam mit dem AWO-Ortsverbandeinen Wohlfahrtsladen eingeweiht – volles Programm:Blasmusik, Pfarrer, Bürgermeister . Und wie erschrockenwar ich eine Woche später, als ich gesehen habe, wer dawirklich einkaufen geht! Das heißt, zu den 3 Prozent, diein der Grundsicherung sind, kommt noch eine Anzahl xvon Menschen, die niemals zum Amt gehen würden . Wirkönnen sie animieren, wie wir wollen – sie gehen nichtzum Amt und fallen aus jeder Statistik heraus . Natürlichmüssen wir uns um sie kümmern, und natürlich gehörensie in unseren Fokus .
Deshalb müssen wir, wenn wir über Altersarmut spre-chen, immer auch diejenigen im Auge haben,
die nicht unsere Hilfe in Anspruch nehmen; auch über siemüssen wir sprechen .
Das hat hier auch keiner meiner Vorredner bestritten .Aber wichtig ist: Wenn wir über diejenigen sprechen,die nicht zum Amt gehen, dann müssen wir schauen, wasdie Ursachen dafür sind . Diese Ursachen müssen wir mitBlick auf die Zukunft bekämpfen . Da müssen wir besserwerden .Jetzt sage ich Ihnen, dass diese Regierung, geführt vonder Union, seit 2005 die beste Politik aller Zeiten gegenAltersarmut gemacht hat,
weil wir nämlich die Arbeitslosigkeit fast halbiert haben .
Wenn Sie in den Armutsbericht schauen, dann lesen Sie,dass die Ursachen von Altersarmut nicht ein niedrigesRentenniveau oder unterschiedliche Beitragssätze sind .Vielmehr ist die Ursache, dass zu wenig eingezahlt wur-de . Es liegt also an einer schlechten Wirtschaftspolitik,an einer schlechten Arbeitspolitik und an einer zu hohenZahl von Arbeitslosen . Wenn man wirklich daran interes-siert ist, Altersarmut in der Zukunft zu verhindern, dannmuss man in Deutschland gute Jobs schaffen, eine guteWirtschaftspolitik betreiben .
Dafür stehen wir, die Union, und das kann man auch be-legen .Matthias Birkwald hat vorhin die Bild zitiert . Ich er-laube mir, auf eine Karte aus der Bild zu verweisen . Gu-cken Sie sich die Karte an, die gestern in der Bild-Zeitungabgedruckt war; da sehen Sie deutlich, wo das Armutsri-siko am niedrigsten ist, nämlich in Bayern, seit 60 Jahrenregiert von der CSU .
Und wo ist es am höchsten? Überall da, wo ihr regiert .
Wenn man den Menschen einen Rat geben möchte, dannlautet er: Wählen Sie die Union! Das ist die beste Versi-cherung gegen Altersarmut .
Meine Vorredner haben alle schon gesagt, was wirgemeinsam mit der SPD in dieser Großen Koalition imBereich Erwerbsminderungsrente gemacht haben . Wirhaben gemeinsam mit der SPD die Mütterrente einge-führt . Und natürlich werden wir, die CSU, auch nach dernächsten Wahl besonders für die Mütterrente kämpfen .
Dazu haben wir uns schon committed .Kollege Linnemann hat die Situation der Solo-Selbst-ständigen angesprochen . Wir wollen eine Versicherungs-vorsorgepflicht für Solo-Selbstständige. Es kann nichtsein, dass ich mein ganzes Leben lang arbeite und denMarktpreis zerstöre, weil ich mir die Sozialversiche-rungsabgaben spare . Das wollen wir nicht . Das ist nichtmarktgerecht . Das verhindert nicht nur Marktredlichkeit,sondern auch die richtige Vorsorge für das Alter .Meine Damen und Herren, lassen Sie mich die nächsten20 Sekunden noch eines sagen: Wenn wir über Altersvor-sorge sprechen – und auch das ist im Rentenversicherungs-bericht, im Altersarmutsbericht und überall das Gleiche –,dann stellen wir fest: Die gesetzliche Rentenversicherungist die wichtigste Säule . Aber wir müssen den Menschen in
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unserem Land auch sagen: Ihr braucht die anderen beidenSäulen . Deshalb sind wir in der Großen Koalition dabei,die bAV, die berufliche Altersvorsorge, zu stärken. Aberauch die private Vorsorge ist wichtig für die Menschen inunserem Land; denn das Nettoeinkommen in der Rentesoll nicht nur aus Leistungen aus der gesetzlichen Rentebestehen, sondern sich im besten Falle aus gesetzlicherRente plus betrieblicher Altersvorsorge plus privater Vor-sorge zusammensetzen . Unterstützen Sie unser Drei-Säu-len-Modell! Das ist das Beste, was Sie machen können .Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit sind wir am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 16 . Februar 2017,
9 Uhr, ein .
Die Sitzung ist geschlossen, und ich wünsche Ihnen
einen schönen Nachmittag und Abend . Gute Arbeit!