Protokoll:
18215

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 215

  • date_rangeDatum: 26. Januar 2017

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:02 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:18 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/215 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 215. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 26. Januar 2017 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Rainer Hajek, Jutta Eckenbach, Sieg­ mund Ehrmann und Barbara Woltmann . . . . 21459 A Wahl des Abgeordneten Matthias Gastel als Schriftführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21459 B Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21459 B Die Tagesordnungspunkte 10, 13 und 17 wer- den abgesetzt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21460 A Tagesordnungspunkt 3: a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister für Wirtschaft und Energie: Für inklusives Wachstum in Deutschland und Europa b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Jahreswirtschaftsbericht 2017 der Bun­ desregierung Drucksache 18/10990 . . . . . . . . . . . . . . . . 21460 B c) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Jahresgutachten 2016/2017 des Sachver­ ständigenrates zur Begutachtung der ge­ samtwirtschaftlichen Entwicklung Drucksache 18/10230 . . . . . . . . . . . . . . . . 21460 C d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Andreae, Oliver Krischer, Katharina Drö- ge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Jahres­ wohlstandsbericht einführen Drucksachen 18/7368, 18/7599 . . . . . . . . . 21460 D Sigmar Gabriel, Bundesminister BMWi . . . . . 21461 A Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 21465 C Dr . Michael Fuchs (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 21466 D Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21468 D Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . 21470 C Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 21472 B Andreas G . Lämmel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 21474 A Thomas Lutze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 21475 D Bernd Westphal (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21476 C Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21477 D Dr . Andreas Lenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 21478 D Gabriele Katzmarek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 21480 B Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU) . . . . . 21481 A Axel Knoerig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 21482 A Tagesordnungspunkt 4: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Finanzdienstleistungsauf­ sichtsrechts im Bereich der Maßnahmen bei Gefahren für die Stabilität des Finanzsys­ tems und zur Änderung der Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie (Finanz­ aufsichtsrechtergänzungsgesetz) Drucksache 18/10935 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21483 C Dr . Michael Meister, Parl . Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21483 D Dr . Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 21485 B Ulrich Kelber, Parl . Staatssekretär BMJV . . . 21486 C Dr . Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21487 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017II Antje Tillmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 21488 C Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21490 A Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 21490 D Matthias Hauer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 21492 A Sarah Ryglewski (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 21493 B Alexander Radwan (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 21494 C Dr . Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21495 A Tagesordnungspunkt 5: a) Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Re- nate Künast, Uwe Kekeritz, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Zukunftsfähige Unter­ nehmensverantwortung – Wirksame Sanktionen bei Rechtsverstößen von Unternehmen Drucksache 18/10038 . . . . . . . . . . . . . . . . 21496 B b) Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Katja Keul, Renate Künast, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Zukunftsfähige Unter­ nehmensverantwortung – Menschen­ rechtliche Sorgfaltspflichten im deut­ schen Recht verankern Drucksache 18/10255 . . . . . . . . . . . . . . . . 21496 B Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . 21496 C Dr . Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) . . . . . . . . 21497 C Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 21499 D Dr . Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 21501 C Jürgen Klimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 21503 A Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21504 D Stefan Rebmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21505 D Dr . Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 21506 D Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 21508 B Tagesordnungspunkt 33: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset­ zes zur weiteren Verbesserung des Hoch­ wasserschutzes und zur Vereinfachung von Verfahren des Hochwasserschutzes (Hochwasserschutzgesetz II) Drucksache 18/10879 . . . . . . . . . . . . . . . . 21509 C b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset­ zes zur Änderung raumordnungsrechtli­ cher Vorschriften Drucksache 18/10883 . . . . . . . . . . . . . . . . 21509 C c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge­ setzes zur Neuregelung des Rechts zur Sicherstellung der Ernährung in einer Versorgungskrise Drucksache 18/10943 . . . . . . . . . . . . . . . . 21509 D d) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Zehn­ ten Gesetzes zur Änderung des Weinge­ setzes Drucksache 18/10944 . . . . . . . . . . . . . . . . 21509 D e) Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Halina Wawzyniak, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LIN- KE: Entkriminalisierung des Fahrens ohne Fahrschein – Polizei und Justiz entlasten Drucksache 18/7374 . . . . . . . . . . . . . . . . . 21509 D f) Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Matthias W . Birkwald, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Verordnung gegen Stress in der Arbeitswelt erlassen Drucksache 18/10892 . . . . . . . . . . . . . . . . 21510 A g) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht über die Tätigkeit der Verkehrs­ infrastrukturfinanzierungsgesellschaft im Jahr 2015 Drucksache 18/9545 . . . . . . . . . . . . . . . . . 21510 A h) Antrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie: Anpas­ sungsvertrag ERP­Förderrücklage Einholung eines zustimmenden Be­ schlusses des Deutschen Bundestages ge­ mäß § 6 Absatz 3 des ERP­Verwaltungs­ gesetzes Drucksache 18/10825 . . . . . . . . . . . . . . . . 21510 A Zusatztagesordnungspunkt 1: Antrag der Abgeordneten Annalena Baerbock, Stephan Kühn (Dresden), Bärbel Höhn, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Klare CO2­Redukti­ onen im Flugverkehr schaffen Drucksache 18/9801 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21510 B Tagesordnungspunkt 34: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau verzichtbarer Anordnungen der Schriftform im Ver­ waltungsrecht des Bundes Drucksachen 18/10183, 18/11007 . . . . . . . 21510 C b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Energiestatistikgesetzes (EnStatG) Drucksachen 18/10350, 18/10999 . . . . . . . 21510 D Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 III c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vorschlag für ei­ nen Beschluss des Rates über die Unter­ zeichnung des Abkommens zwischen der Europäischen Union und der Regierung von Kanada über die Anwendung ihres Wettbewerbsrechts im Namen der Eu­ ropäischen Union und zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Abschluss des Abkommens zwischen der Europäischen Union und der Regierung von Kanada über die Anwendung ihres Wettbewerbsrechts Drucksachen 18/10808, 18/11002 . . . . . . . 21511 A d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu der Verord- nung der Bundesregierung: Verordnung zur Umsetzung der Richtlinie 2014/99/ EU und zur Änderung und Anpassung weiterer immissionsschutzrechtlicher Verordnungen Drucksachen 18/10756, 18/10924 Nr . 2 .1, 18/10998 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21511 C e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu der Verord- nung der Bundesregierung: Verordnung zur Änderung der Chemikalien­Klima­ schutzverordnung Drucksachen 18/10837, 18/10924 Nr . 2 .3, 18/10997 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21511 C f)–j) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 400, 401, 402, 403 und 404 zu Petitionen Drucksachen 18/10885, 18/10886, 18/10887, 18/10888, 18/10889 . . . . . . . . . 21511 D Tagesordnungspunkt 21: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs ei- nes Fünften Gesetzes zur Änderung des Sprengstoffgesetzes Drucksachen 18/10455, 18/10821, 18/10924 Nr . 1 .18, 18/11005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21512 B Tagesordnungspunkt 7: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung und Erweiterung der Beteiligung bewaffne­ ter deutscher Streitkräfte an der Mul­ tidimensionalen Integrierten Stabilisie­ rungsmission der Vereinten Nationen in Mali (MINUSMA) auf Grundlage der Resolutionen 2100 (2013), 2164 (2014), 2227 (2015) und 2295 (2016) des Sicher­ heitsrates der Vereinten Nationen vom 25. April 2013, 25. Juni 2014, 29. Juni 2015 und 29. Juni 2016 Drucksachen 18/10819, 18/10967 . . . . . . . 21512 C – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung: Drucksache 18/10988 . . . . . . . . . . . . . . . . 21512 C Petra Ernstberger (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 21512 D Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 21513 C Henning Otte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 21514 D Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21516 A Elisabeth Motschmann (CDU/CSU) . . . . . . . . 21517 A Dirk Vöpel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21518 A Dr . Reinhard Brandl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 21518 D Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 21519 C Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21523 C Tagesordnungspunkt 6: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Ausbildungsunterstüt­ zung der Sicherheitskräfte der Regie­ rung der Region Kurdistan­Irak und der irakischen Streitkräfte Drucksachen 18/10820, 18/10968 . . . . . . . 21520 A – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/10989 . . . . . . . . . . . . . . . . 21520 A Dr . Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21520 B Vizepräsidentin Dr . h . c . Edelgard Bulmahn . . . 21522 C Sigmar Gabriel, Bundesminister BMWi . . . . . 21522 D Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . . 21526 A Jürgen Hardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 21527 A Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21528 A Wilfried Lorenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 21529 A Julia Obermeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 21530 A Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . . 21530 D Julia Obermeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 21531 A Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 21531 B Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21533 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017IV Tagesordnungspunkt 8: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Ralph Lenkert, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bun­ deseinheitliche Netzentgelte für Strom Drucksachen 18/3050, 18/3749 . . . . . . . . . . . 21531 C Florian Post (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21531 D Roland Claus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 21532 C Thomas Bareiß (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 21536 A Roland Claus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 21537 B Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21538 C Thomas Jurk (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21539 C Dr . Andreas Lenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 21540 C Ulrich Freese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21541 B Tagesordnungspunkt 9: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu der Verord- nung der Bundesregierung: Zweite Ver­ ordnung zur Änderung der Sportanla­ genlärmschutzverordnung Drucksachen 18/10483, 18/10696 Nr . 2, 18/11006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21542 A b) Zweite und dritte Beratung des von den Ab- geordneten Peter Meiwald, Monika Lazar, Dr . Franziska Brantner, weiteren Abgeord- neten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Bundes­Immissionsschutzgesetzes Drucksachen 18/10859, 18/11006 . . . . . . . 21542 B c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Monika Lazar, Christian Kühn (Tübingen), weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Sport und All­ tag verbinden – Lärmschutzregeln für Sportanlagen den heutigen Anforderun­ gen anpassen Drucksachen 18/4329, 18/11006 . . . . . . . . 21542 B Dr . Barbara Hendricks, Bundesministerin BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21542 C Birgit Menz (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 21543 B Karsten Möring (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 21544 A Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21545 D Ulli Nissen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21546 D Johannes Steiniger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 21547 D Michaela Engelmeier (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 21549 A Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Ni- cole Maisch, Friedrich Ostendorff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: zu den Entwürfen für eine Durchführungsverordnung und zwei Durchführungsbeschlüsse der Europäi­ schen Kommission über das Inverkehrbrin­ gen von Saatgut zum Anbau der gentech­ nisch veränderten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 (Dokumente SANTE/10702/2016, SANTE/10704/2016, SANTE/10703/2016) hier: Stellungnahme gegenüber der Bun­ desregierung gemäß Artikel 23 Ab­ satz 3 des Grundgesetzes Keine Zulassung der gentechnisch verän­ derten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 für den Anbau in der EU Drucksache 18/10976 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21550 B Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21550 B Kees de Vries (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 21551 C Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . 21552 B Ute Vogt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21553 B Rita Stockhofe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 21554 B Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21554 D Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . . 21556 B Zur Geschäftsordnung Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21557 A Ute Vogt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21558 B Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . 21559 A Tagesordnungspunkt 11: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nach­ trags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2016 (Nachtragshaushalts­ gesetz 2016) Drucksachen 18/10500, 18/10807, 18/10924 Nr . 1 .16 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21560 A Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 21560 B Roland Claus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 21561 B Johannes Kahrs (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21562 A Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 V Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21563 C Alois Rainer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 21564 D Tagesordnungspunkt 12: Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Erfahrungen aus 14 Jahren „Krieg gegen den Terror“ – Eine Bilanz in Irak, Af­ ghanistan, Pakistan Drucksachen 18/7991, 18/10364 . . . . . . . . . . 21565 C Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 21565 C Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) . . . . . . . . . 21566 C Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 21566 D Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21568 B Niels Annen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21569 A Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 21570 C Niels Annen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21571 A Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) . . . . . . . . . 21571 C Peter Beyer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 21572 A Tagesordnungspunkt 15: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Ge­ setzes zur Novellierung von Finanzmarkt­ vorschriften auf Grund europäischer Rechtsakte (Zweites Finanzmarktnovellie­ rungsgesetz – 2. FiMaNoG) Drucksache 18/10936 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21573 C Dr . Michael Meister, Parl . Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21573 C Susanna Karawanskij (DIE LINKE) . . . . . . . . 21574 C Christian Petry (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21575 B Matthias Hauer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 21576 B Sarah Ryglewski (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 21577 B Tagesordnungspunkt 14: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Soziales zu dem An- trag der Abgeordneten Dr . Wolfgang Streng- mann-Kuhn, Christian Kühn (Tübingen), Corinna Rüffer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wohnungslosigkeit wirkungsvoll angehen – Bundesweite Statistik einführen Drucksachen 18/7547, 18/11000 . . . . . . . . . . . 21578 A Daniela Kolbe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21578 B Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21579 C Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU) . . . . . . 21580 B Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21581 A Dr . Martin Pätzold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 21582 B Zusatztagesordnungspunkt 3: Zweite und dritte Beratung des von den Frak- tionen der CDU/CSU und SPD eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (Sozialkassenverfahrensicherungsgesetz – SoKaSiG) Drucksache 18/10631, 18/11001 . . . . . . . . . . . 21583 B Bernd Rützel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21583 B Matthias W . Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . . 21584 B Karl Schiewerling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 21585 B Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21586 A Wilfried Oellers (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 21587 A Tagesordnungspunkt 16: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Kathrin Vogler, Sabine Zimmermann (Zwickau), Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Patientenberatung unabhängig und gemeinnützig ausgestalten Drucksachen 18/7042, 18/9979 . . . . . . . . . . . 21588 B Reiner Meier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 21588 B Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 21589 A Helga Kühn-Mengel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 21590 A Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21591 A Dr . Georg Kippels (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 21592 B Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21593 A Tagesordnungspunkt 19: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Handlungsfähigkeit der Selbstverwal­ tung der Spitzenorganisationen in der gesetzlichen Krankenversicherung so­ wie zur Stärkung der über sie geführten Aufsicht (GKV­Selbstverwaltungsstär­ kungsgesetz) Drucksachen 18/10605, 18/10817, 18/10924 Nr . 1 .17, 18/11009 . . . . . . . . . . . 21594 B Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017VI b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit – zu dem Antrag der Abgeordneten Ha- rald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W . Birkwald, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Patientenvertretung in der Gesundheitsversorgung stärken – zu dem Antrag der Abgeordne- ten Dr . Harald Terpe, Maria Klein- Schmeink, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der Frakti- on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mit Beitragsgeldern der gesetzlich Ver­ sicherten sorgsam umgehen – Mehr Transparenz und bessere Aufsicht über die Selbstverwaltung im Ge­ sundheitswesen Drucksachen 18/10630, 18/8394, 18/11009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21594 C Tagesordnungspunkt 18: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem An- trag der Abgeordneten Pia Zimmermann, Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gute Ausbildung – Gute Arbeit – Gute Pflege Drucksachen 18/7414, 18/11003 . . . . . . . . 21595 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem An- trag der Abgeordneten Elisabeth Scharfen- berg, Kordula Schulz-Asche, Maria Klein- Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Integrative Pflegeausbildung – Pflegebe­ ruf aufwerten, Fachkenntnisse erhalten Drucksachen 18/7880, 18/11004 . . . . . . . . 21595 A Erich Irlstorfer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 21595 A Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 21596 B Bettina Müller (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21597 B Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21598 D Erwin Rüddel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 21599 C Heike Baehrens (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 21600 B Petra Crone (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21601 C Tagesordnungspunkt 22: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Vorschlägen der Europä­ ischen Kommission vom 7. März 2016 für Beschlüsse des Rates zur Festlegung von Standpunkten der Union in den Stabili­ täts­ und Assoziationsräten EU – Republik Albanien sowie EU – Republik Serbien im Hinblick auf die Beteiligung der Republik Albanien sowie der Republik Serbien als Beobachter an den Arbeiten der Agentur der Europäischen Union für Grundrech­ te und die entsprechenden Modalitäten im Rahmen der Verordnung (EG) Nr. 168/2007 des Rates Drucksachen 18/9990, 18/10966 . . . . . . . . . . 21602 D Tagesordnungspunkt 20: Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Frank Tempel, Dr . André Hahn, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE: Anglei­ chung der Entschädigungsleistungen für NS­Opfer Drucksache 18/10969 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21603 A Tagesordnungspunkt 23: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Biodiversität schützen – Taxonomi­ sche Forschung ausbauen Drucksache 18/10971 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21603 B Tagesordnungspunkt 24: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Pharmazeutische Forschung gegen Infektionskrankheiten stärken – Nationale Wirkstoffoffensive starten Drucksache 18/10972 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21603 C Tagesordnungspunkt 25: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Fahrlehrerwesen und zur Änderung anderer straßenverkehrsrechtlicher Vor­ schriften Drucksache 18/10937 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21603 D Tagesordnungspunkt 26: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes, des Fahrpersonalgesetzes, des Gesetzes zur Regelung der Arbeitszeit von selbständigen Kraftfahrern, des Straßenverkehrsgesetzes und des Gesetzes über die Errichtung eines Kraftfahrt­Bundesamtes Drucksache 18/10882 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21604 A Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 VII Tagesordnungspunkt 27: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung der epidemiologischen Überwachung übertragbarer Krankheiten Drucksache 18/10938 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21604 B Zusatztagesordnungspunkt 4: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Wirtschafts­ partnerschaftsabkommen vom 15. Oktober 2008 zwischen den CARIFORUM­Staaten einerseits und der Europäischen Gemein­ schaft und ihren Mitgliedstaaten anderer­ seits Drucksachen 18/8297, 18/10950 . . . . . . . . . . 21604 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21604 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 21605 A Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentli- chen Abstimmung über die Beschlussemp- fehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräf- te zur Ausbildungsunterstützung der Sicher- heitskräfte der Regierung der Region Kurdis- tan-Irak und der irakischen Streitkräfte (Tagesordnungspunkt 6) . . . . . . . . . . . . . . . . . 21606 A Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21606 A Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU) . . . . . . 21606 C Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Novellie- rung von Finanzmarktvorschriften auf Grund europäischer Rechtsakte (Zweites Finanz- marktnovellierungsgesetz – 2 . FiMaNoG) (Tagesordnungspunkt 15) . . . . . . . . . . . . . . . . 21607 B Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21607 B Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Geset- zes zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (Sozialkassenverfahrensiche- rungsgesetz – SoKaSiG) (Zusatztagesordnungspunkt 3) . . . . . . . . . . . . 21608 B Veronika Bellmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 21608 B Klaus Brähmig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 21609 A Jens Koeppen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 21609 C Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Handlungsfähigkeit der Selbstverwal- tung der Spitzenorganisationen in der ge- setzlichen Krankenversicherung sowie zur Stärkung der über sie geführten Aufsicht (GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz) – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit: – zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE: Pati- entenvertretung in der Gesundheitsversor- gung stärken – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Harald Terpe, Maria Klein-Schmeink, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mit Beitragsgeldern der gesetz- lich Versicherten sorgsam umgehen – Mehr Transparenz und bessere Aufsicht über die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen (Tagesordnungspunkt 19 a und b) . . . . . . . . . . 21609 D Reiner Meier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 21610 A Dietrich Monstadt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 21610 C Bärbel Bas (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21611 C Harald Weinberg (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 21612 C Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21613 B Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Vorschlägen der Europäischen Kommission vom 7 . März 2016 für Beschlüsse des Rates zur Festlegung von Standpunkten der Union in den Stabilitäts- und Assoziationsräten EU-Republik Albanien sowie EU-Republik Serbien im Hinblick auf die Beteiligung der Republik Albanien sowie der Republik Serbien als Beobachter an den Arbeiten der Agentur der Europäischen Uni- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017VIII on für Grundrechte und die entsprechenden Modalitäten im Rahmen der Verordnung (EG) Nr . 168/2007 des Rates (Tagesordnungspunkt 22) . . . . . . . . . . . . . . . . 21614 A Thorsten Frei (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 21614 B Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU) . . . . . . . 21615 B Norbert Spinrath (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 21616 A Andrej Hunko (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 21616 D Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21617 B Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Frank Tempel, Dr . André Hahn, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion DIE LINKE: Angleichung der Entschädigungsleistungen für NS-Opfer (Tagesordnungspunkt 20) . . . . . . . . . . . . . . . . 21617 D Dr. André Berghegger (CDU/CSU) . . . . . . . . 21618 A Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 21618 D Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD) . . . . . . . . . . . . 21619 B Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 21620 C Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21621 C Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Biodiversität schützen – Taxonomische Forschung ausbauen (Tagesordnungspunkt 23) . . . . . . . . . . . . . . . . 21622 C Sybille Benning (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 21622 C Dr. Philipp Lengsfeld (CDU/CSU) . . . . . . . . . 21623 B René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21624 A Birgit Menz (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 21625 B Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21626 A Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Pharmazeutische Forschung gegen In- fektionskrankheiten stärken – Nationale Wirk- stoffoffensive starten (Tagesordnungspunkt 24) . . . . . . . . . . . . . . . . 21627 A Stephan Albani (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 21627 A Patricia Lips (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 21628 B René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21629 B Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 21630 B Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21631 A Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Fahrlehrer- wesen und zur Änderung anderer straßenver- kehrsrechtlicher Vorschriften (Tagesordnungspunkt 25) . . . . . . . . . . . . . . . . 21631 D Patrick Schnieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 21631 D Stefan Zierke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21633 D Thomas Lutze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 21634 C Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21635 B Dorothee Bär, Parl. Staatssekretärin BMVI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21636 A Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes, des Fahrperso- nalgesetzes, des Gesetzes zur Regelung der Arbeitszeit von selbständigen Kraftfahrern, des Straßenverkehrsgesetzes und des Gesetzes über die Errichtung eines Kraftfahrt-Bundes- amtes (Tagesordnungspunkt 26) . . . . . . . . . . . . . . . . 21636 C Oliver Wittke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 21636 C Udo Schiefner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21637 A Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 21638 B Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21639 A Dorothee Bär, Parl. Staatssekretärin BMVI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21639 D Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung der epidemiologischen Überwachung über- tragbarer Krankheiten (Tagesordnungspunkt 27) . . . . . . . . . . . . . . . . 21640 C Rudolf Henke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 21640 C Sabine Dittmar (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21641 C Birgit Wöllert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 21642 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 IX Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21643 B Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretä- rin BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21644 A Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Wirtschafts- partnerschaftsabkommen vom 15 . Oktober 2008 zwischen den CARIFORUM-Staaten einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits (Zusatztagesordnungspunkt 4) . . . . . . . . . . . . 21644 D Dr. Georg Kippels (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 21644 D Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 21645 C Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 21647 A Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21648 A (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21459 215. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 26. Januar 2017 Beginn: 9 .02 Uhr
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    4) Anlage 13 Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21605 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Barthle, Norbert CDU/CSU 26 .01 .2017 Binder, Karin DIE LINKE 26 .01 .2017 Bosbach, Wolfgang CDU/CSU 26 .01 .2017 Brinkhaus, Ralph CDU/CSU 26 .01 .2017 Bülow, Marco SPD 26 .01 .2017 Burkert, Martin SPD 26 .01 .2017 Dağdelen, Sevim DIE LINKE 26 .01 .2017 Dröge, Katharina * BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 26 .01 .2017 Eberl, Iris CDU/CSU 26 .01 .2017 Feiler, Uwe CDU/CSU 26 .01 .2017 Fischer (Karlsru- he-Land), Axel E . CDU/CSU 26 .01 .2017 Gambke, Dr . Thomas BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 26 .01 .2017 Gohlke, Nicole DIE LINKE 26 .01 .2017 Gröhe, Hermann CDU/CSU 26 .01 .2017 Groth, Annette DIE LINKE 26 .01 .2017 Gunkel, Wolfgang SPD 26 .01 .2017 Gysi, Dr . Gregor DIE LINKE 26 .01 .2017 Henn, Heidtrud SPD 26 .01 .2017 Hochbaum, Robert CDU/CSU 26 .01 .2017 Hübinger, Anette CDU/CSU 26 .01 .2017 Korte, Jan DIE LINKE 26 .01 .2017 Krellmann, Jutta DIE LINKE 26 .01 .2017 Kudla, Bettina CDU/CSU 26 .01 .2017 Launert, Dr . Silke CDU/CSU 26 .01 .2017 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Lerchenfeld, Philipp Graf CDU/CSU 26 .01 .2017 Maizière, Dr . Thomas de CDU/CSU 26 .01 .2017 Murmann, Dr . Philipp CDU/CSU 26 .01 .2017 Petzold (Havelland), Harald DIE LINKE 26 .01 .2017 Pfeiffer, Dr . Joachim CDU/CSU 26 .01 .2017 Pronold, Florian SPD 26 .01 .2017 Rüthrich, Susann * SPD 26 .01 .2017 Saathoff, Johann SPD 26 .01 .2017 Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 26 .01 .2017 Schäuble, Dr . Wolfgang CDU/CSU 26 .01 .2017 Schlecht, Michael DIE LINKE 26 .01 .2017 Schwartze, Stefan SPD 26 .01 .2017 Steineke, Sebastian CDU/CSU 26 .01 .2017 Storjohann, Gero CDU/CSU 26 .01 .2017 Strothmann, Lena CDU/CSU 26 .01 .2017 Timmermann-Fechter, Astrid CDU/CSU 26 .01 .2017 Tressel, Markus BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 26 .01 .2017 Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 26 .01 .2017 Wawzyniak, Halina DIE LINKE 26 .01 .2017 Zdebel, Hubertus DIE LINKE 26 .01 .2017 Zeulner, Emmi * CDU/CSU 26 .01 .2017 Zollner, Gudrun CDU/CSU 26 .01 .2017 *aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721606 (A) (C) (B) (D) Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentlichen Abstimmung über die Be­ schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräf­ te zur Ausbildungsunterstützung der Sicherheits­ kräfte der Regierung der Region Kurdistan­Irak und der irakischen Streitkräfte (Tagesordnungs­ punkt 6) Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Die Bedrohung durch ISIS im Irak und Syrien ist unvermindert gegeben . Sie ist dank internationaler Be- mühungen 2016 zwar regional zurückgedrängt worden, aber nach wie vor in vielen Regionen äußerst massiv . Die abscheulichen Gräueltaten von ISIS an der Bevölkerung in Irak und Syrien finden weiterhin statt. Das Ende der Schreckensherrschaft von ISIS ist ein unverändertes Ziel aller Akteure in der Region . Dies muss auch mit militäri- schen Mitteln geschehen . Der Schlüssel im Kampf gegen ISIS sind die kurdi- schen Streitkräfte . Irakisch-kurdische Kräfte müssen wei- terhin unterstützt werden, dem ISIS entgegenzutreten . Dies gilt umso mehr, als die Türkei als Partner im Kampf gegen den ISIS-Terrorismus auch immer wieder eigene, gegen die Kurden gerichtete Ziele verfolgt . Unabhängig von der Luftunterstützung der USA bleibt der Kampf am Boden eine zentrale Aufgabe, zu der bislang überwiegend irakisch-kurdische Streitkräfte bereit und in der Lage sind . Eine internationale Unterstützung ist dafür auch durch Ausbildung der Streitkräfte dringend notwendig . Die einschlägigen UN-Entschließungen und die Er- klärungen der Regierung des Irak geben einen völker- rechtlichen Rahmen für die Ausbildungsunterstützung . Ich respektiere die Rechtsauffassung der Experten mei- ner Fraktion, die den Einsatz der Bundeswehr als völ- kerrechtlich nicht ausreichend abgesichert bewerten und deshalb kritisch beurteilen . In die Gesamtbewertung müssen aber auch weitere Argumente einbezogen und abgewogen werden . Die Notwendigkeit der beantragten Ausbildungsunter- stützung der Sicherheitskräfte der Regierung der Region Kurdistan-Irak und der irakischen Sicherheitskräfte ist durch die Erfolge im letzten Jahr bestätigt worden . Das deutsche Engagement ist in seiner Bedeutung aufgrund der veränderten Position der Türkei gegenüber den Kur- den noch wichtiger geworden . Deutschland muss aus meiner Sicht in einer weltweit veränderten Situation entsprechend den in der UN vereinbarten Prinzipien und Vereinbarungen mehr Verantwortung übernehmen . Diese persönliche Bewertung hat zu meiner Entschei- dung geführt, anders als im vorigen Jahr, in dem ich bei dem entsprechenden Antrag der Bundesregierung mich der Stimme enthalten habe, dem vorliegenden Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaff- neter deutscher Streitkräfte zur Ausbildungsunterstützung der Sicherheitskräfte der Regierung der Region Kurdis- tan-Irak und der irakischen Streitkräfte zuzustimmen . Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU): Der inter- nationale Kampf gegen die Terrororganisation IS zeigt auch dank der Lieferung militärischer Ausrüstung an die Peschmerga und dem Einsatz deutscher Soldatinnen und Soldaten zur Ausbildungsunterstützung der Sicher- heitskräfte der Region Kurdistan-Irak und der irakischen Streitkräfte Erfolge . Es ist gelungen, Flüchtlinge zu schützen, den IS zurückzuschlagen und Territorium zu- rückzugewinnen . Damit die erreichten Erfolge abgesichert werden und ein Wiedererstarken des IS verhindert wird sowie um eine nachhaltige Stabilisierung des Irak zu ermöglichen, ist weiterhin internationales Engagement erforderlich . Die fortgesetzte Entsendung von bis zu 150 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr zur Ausbildungsunterstüt- zung soll längstens bis zum 31 . Januar 2018 in diesem Sinne weiterhin einen Beitrag leisten zum nachhaltigen Fähigkeitsaufbau der Sicherheitskräfte der Regierung der Region Kurdistan-Irak und der irakischen Streitkräfte . Ich halte die geplante Fortsetzung des Bundeswehr- einsatzes aufgrund humanitärer Verantwortung für die in der Region lebenden Menschen und Flüchtlinge, aber auch aus sicherheitspolitischen Gründen für sinnvoll und notwendig . Nachdem der irakische Außenminister alle Mitglied- staaten der Vereinten Nationen um Unterstützung im Kampf gegen die Terrororganisation IS auch im Wege militärischer Ausbildung gebeten hat, ist der Einsatz als sogenannte Intervention auf Einladung völkerrechtlich zulässig . Gemäß Artikel 87a Absatz 2 GG dürfen die Streitkräf- te außer zur Verteidigung nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt . Ein Fall, in dem das GG den Einsatz zulässt, ist Artikel 24 Absatz 2 GG, auf den die Bundesregierung ihren Antrag erneut stützt . Diese verfassungsrechtliche Begründung ist aber nicht überzeugend . Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsge- richts kann sich die Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 24 Absatz 2 GG zur Friedenswahrung an Ent- scheidungen einer internationalen Organisation binden . Das umfasst auch die Übernahme der mit der Zugehörig- keit zu einem kollektiven Sicherheitssystem typischer- weise verbundenen Aufgaben und damit auch für eine Verwendung der Bundeswehr zu Einsätzen, die „im Rah- men und nach den Regeln“ dieses Systems stattfinden. Unzweifelhaft liegt kein spezielles Mandat des VN-Si- cherheitsrates vor, das ausdrücklich die Entsendung von Soldaten zur Friedenssicherung vorsieht und das den Rahmen und die Regeln des Einsatzes bestimmt . Aus diesem Grund bezieht sich die Bundesregierung in ihrem Antrag auf die beiden Sicherheitsratsresolutio- nen 2170 (2014) vom 15 . August 2014 und 2249 (2015) vom 20 . November 2015 sowie auf die Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrates vom 19 . September 2014 . In der Resolution 2170 (2014) wird die Terrororgani- sation IS als Bedrohung für die internationale Sicherheit bezeichnet . Zudem werden darin die durch IS begange- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21607 (A) (C) (B) (D) nen Menschenrechtsverletzungen verurteilt sowie Sank- tionen gegen einzelne Mitglieder dieser Organisation be- schlossen . Ein Mandat für den Einsatz von Streitkräften enthält diese Resolution nicht . Gleiches gilt für die Reso- lution 2249 (2015) . Auch die Erklärung des Präsidenten des Sicherheits- rates vom 19 . September 2014 reicht meines Erachtens nicht aus, weil sie im Kern lediglich den Aufruf enthält, den Irak zu unterstützen, und es sich dabei zudem im Er- gebnis um eine politische Erklärung handelt . Schließlich sind Ad-hoc-Koalitionen kein „System gegenseitiger kollektiver Sicherheit“ im Sinne von Ar- tikel 24 Absatz 2 GG . Selbst wenn man anerkennt, dass sie kollektiv vorgehen, fehlt es ihnen an der erforderli- chen institutionellen und vertraglich begründeten Struk- tur . Daher halte ich Artikel 24 Absatz 2 GG nicht für die richtige Rechtsgrundlage . Nach meiner Überzeugung findet der Einsatz der Bun- deswehr aber eine verfassungsmäßig tragfähige Rechts- grundlage in Artikel 87a Absatz 2 1 . Alternative GG . Der Begriff der „Verteidigung“ umfasst nach überwiegender Auffassung nicht nur die reine Landesverteidigung, son- dern auch die sogenannte Drittstaaten-Nothilfe im Sinne von Artikel 51 der VN-Charta . Der Bundeswehreinsatz ist daher als solcher verfassungsgemäß . Weil ich den Einsatz der Bundeswehr in dieser Aus- bildungsmission unabhängig von der seitens der Bundes- regierung gewählten verfassungsrechtlichen Begründung für verfassungsgemäß und politisch geboten halte, stim- me ich der Fortsetzung des Bundeswehreinsatzes zu . Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des von der Bundesregierung ein­ gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften auf Grund europäischer Rechtsakte (Zweites Finanz­ marktnovellierungsgesetz – 2. FiMaNoG) (Tages­ ordnungspunkt 15) Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zunächst will ich auf die europäische Richtlinie Mi- FID II eingehen, um deren Umsetzung es mit vorliegen- dem Gesetzentwurf geht: Wir Grünen sind sehr zufrie- den, dass es nach jahrelangen Bemühungen von vielen Bürgerinnen und Bürgern, NGOs und uns gelungen ist, dass Nahrungsmittel- und Rohstoffspekulationen in der MiFID-II-Richtlinie durch strenge Positionslimits klare Grenzen gezogen wurden, die über die ursprünglichen Vorschläge von EU-Kommission und Europäischem Par- lament hinausgehen . Außerdem gelang es, Maßnahmen gegen den aus- ufernden Hochfrequenzhandel ohne realwirtschaftlichen Mehrwert auf den Weg zu bringen . Für Preissprünge im Handel ist ein „minimum tick size regime” eingeführt worden . Es handelt sich dabei um eine Mindestgröße, welche die Rendite des Hochfrequenzhandels deutlich verringert und ihn so unattraktiver macht . Ferner müs- sen alle benutzten Algorithmen getestet werden, und bei den Handelsplattformen wurden große Teile des intrans- parenten Over-the-counter-Handels durch neue, nach der MiFID regulierte OTF – Organized Trading Facilities – ersetzt . Trotzdem bleibt insbesondere auf dem Gebiet des Ver- braucherschutzes bereits in der Richtlinie manches zu wünschen übrig . Hinzu kommt: Manche in der Richtlinie verankerte Verbesserung ist von der Bundesregierung im Rahmen des Umsetzungsgesetzes durch die Hintertür zu- rückgenommen worden . Das Anlageverhalten von Verbrauchern in Deutsch- land ist gekennzeichnet von geringer Kosteneffizienz und geringer Rendite . Fast 80 Prozent des Geldvermö- gens privater Haushalte bestehen aus Bargeld, Einlagen oder Versicherungs- und Alterssicherungsansprüchen . Anlageprodukte passen nach Erhebungen des Projekts „Marktwächter Finanzen“ häufig nicht zum Bedarf der Anleger . Damit korrespondierend ist die Qualität der Anlage- beratung in Deutschland laut Stiftung Warentest auf kon- stant schlechtem Niveau . Nur drei Banken berieten im Rahmen des jüngsten Tests im vergangenen Jahr „gut“, dreizehn „befriedigend“, fünf „ausreichend“ und zwei „mangelhaft“ . Auch die Gründe für das schlechte Abschneiden hat Stiftung Warentest untersucht und festgestellt: „Grobe Beratungsfehler im Test sind vermutlich nur selten auf das Unvermögen der Berater zurückzuführen, sondern eher auf provisionsgetriebene Verkaufsvorgaben der In- stitute . Obwohl der Kundenstatus und die Risikoeinstu- fung des Kunden fast durchweg gut gelangen, führte das nicht automatisch zu passenden Produktvorschlägen .“ Und damit sind wir in media res des Zweiten Finanz- marktnovellierungsgesetzes: Das Wohl des Verbrauchers muss bei der Anlageberatung an oberster Stelle stehen . Es müssen Wettbewerbsnachteile für unabhängige Ho- norarberater abgebaut und die Kosten einer nichtunab- hängigen Provisionsberatung offengelegt werden, damit Verbraucher alle Informationen parat haben, um eine mündige Anlageentscheidung treffen zu können . Die Vergleichbarkeit von Beratungskosten noch vor Ver- tragsschluss ist dafür essenziell . Hier verschlechtert die Bundesregierung die Ver- braucherposition in eklatanter Weise, wenn sie die auf EU-Ebene bereits verschlossene Umgehungsmöglichkeit der Festpreisgeschäfte im Regierungsentwurf wieder er- öffnet . Bei Festpreisgeschäften tritt ein Institut gegenüber dem Verbraucher nicht als durch eine Provision vergüte- ter Kommissionär auf, sondern als „Zwischenhändler“ des Produktes, der seinen Gewinn durch die Differenz zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis erzielt . Der po- tenzielle Interessenkonflikt ist genauso offensichtlich wie bei Provisionsgeschäften, doch ist diese Gestaltung wegen der „auf Zuwendungen von Dritten“ eingeengten Formulierung des § 70 Absatz 1 Seite 1 WpHG-E nicht offenlegungspflichtig. Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721608 (A) (C) (B) (D) Auch scheinbare Petitessen wie eine nicht wettbe- werbsneutrale Bezeichnung der beiden Beratungsfor- men können die Etablierung unabhängiger Honorarbe- ratung erschweren . Daher sollte im Gesetzentwurf das Gegensatzpaar von unabhängiger Honorarberatung und nichtunabhängiger Provisionsberatung verankert wer- den . Für effizienten Verbraucherschutz ist es ferner wich- tig, dass die Kundeninformation über die Beratungsform sowie die Geeignetheitserklärung standardisiert werden . Hier muss das Bundesministerium der Finanzen von seinen Verordnungsermächtigungen Gebrauch machen und verbraucherfreundliche und wettbewerbsneutrale Standards setzen, auch damit der Kunde im Falle einer Schlecht- oder Falschberatung über eine Haftungsgrund- lage verfügt . Im Rahmen der bereits entworfenen Novellierung der Verordnung zur Konkretisierung der Verhaltensregeln und Organisationsanforderungen für Wertpapierdienst- leistungsunternehmen (WpDVerOV) ist bereits jetzt dringender Nachholbedarf gegeben . Die Verordnung soll regeln, wann eine Zuwendung, also auch eine Pro- vision, die Qualität der Dienstleistung für den Kunden verbessert und daher zulässig ist . Die darin aufgeführten Fallgruppen sind so butterweich, dass kein Institut in der Realität darum fürchten muss, dass Provisionsgeschäfte nicht de lege lata für den Kunden vorteilhaft wären . Das verkehrt die Untersuchungsergebnisse von Stiftung Wa- rentest in das Gegenteil . Der aufgeblähte Finanzvertrieb rechtfertigt sich aus Sicht der Institute durch die konstanten Einnahmen in einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld . Aus Sicht der Verbraucher führt er aber zu einer hohen Kostenquo- te und in seiner jetzigen provisionsgetriebenen Form zur konstanten Gefahr von Schlecht- und Falschberatung . Wir müssen daher jetzt das Berufsbild des unabhängi- gen Beraters stärken, indem wir Wettbewerbsnachteile abbauen, damit eine Alternative geschaffen wird sowohl für Verbraucher, die gut beraten anlegen wollen, als auch für die Arbeitnehmer, die im ständig schrumpfenden Fi- nanzvertrieb tätig sind . Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Sozialkassen­ verfahren im Baugewerbe (Sozialkassenverfah­ rensicherungsgesetz – SoKaSiG) (Zusatztagesord­ nungspunkt 3) Veronika Bellmann (CDU/CSU): Am heutigen Don- nerstag stimmen wir in zweiter und dritter Lesung über das Gesetz zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe ab . Ich muss leider nach reiflicher Überlegung und insbe- sondere nach den beiden aktuellsten Richtersprüchen die- ser Woche des Bundesarbeitsgerichts zur Nichtigkeit von AVE bezüglich Soka-Bau auch im Plenum bei meinem Abstimmverhalten – Ablehnung – in der Fraktion blei- ben . Einer offensichtlich nachträglichen Legalisierung rechtswidrigen Verhaltens kann ich nicht zustimmen . Die Entscheidung des Deutschen Bundestages, das Sozialkassenverfahrenssicherungsgesetz (SokaSiG) im Eilverfahren in unveränderter Fassung zu beschließen, kann ich nicht unterstützen . Es kann nicht Aufgabe des Gesetzgebers sein, für die Soka-Bau unliebsame Ent- scheidungen eines Bundesgerichts wieder aufzuheben und rückwirkend Ansprüche von erfolgreichen Klägern per Gesetz zu revidieren . Wenn dieses Modell Schule macht, kann bald jedes Gerichtsurteil per Gesetz aufge- hoben werden, sind die Gewaltenteilung und die Unab- hängigkeit der Justiz in Gefahr . Hintergrund der Problematik sind Urteile des Bun- desarbeitsgerichts vom 21 . September 2016 sowie vom 25 . Januar 2017 zur Unwirksamkeit von Allgemeinver- bindlichkeitserklärungen (AVE) von Tarifverträgen im Baugewerbe, die für viele Unternehmen des Bauneben- gewerbes eine Beitragspflicht an die Soka‑Bau nach sich ziehen . Einige Unternehmer und Verbände hatten gegen das Zustandekommen einiger AVEs geklagt und recht bekommen . Die Tarifvertragsparteien haben seinerzeit Vereinba- rungen zulasten Dritter getroffen, die durch das Minis- terium auf unterster Ebene durchgewunken wurden . Dies führt zu strafrechtlicher Verfolgung . Es ist äußerst frag- würdig, dass Tarifvertragsparteien neuerdings entschei- den, was in unserem Land strafbar ist . Die sich aus den Gerichtsurteilen ergebenden mögli- chen Rückforderungsansprüche von zu Unrecht geleis- teten Zahlungen sollen nun durch das Gesetz gekippt werden . Die Sozialkasse des Baugewerbes, welche nicht mit gesetzlichen Kassen wie der Rentenkasse verwech- selt werden darf, ist schon seit einiger Zeit durch frag- würdige Geschäftspraktiken in der Diskussion . Die Sta- tistik des Bundesarbeitsministeriums weist jährlich bis zu 40 000 Soka-Streitverfahren vor den Arbeitsgerichten Wiesbaden und Berlin auf . Unternehmer aus dem Baune- bengewerbe werden damit konfrontiert, für angeblich er- brachte Leistungen des Bauhauptgewerbes rückwirkend für vier Jahre etwa 20 Prozent der Lohnsumme für einen Mitarbeiter an die Soka-Bau abzuführen . Diese Rück- forderungen werden mit einem Zinssatz in Summe von 48 Prozent, was einem Prozent pro Monat entspricht, be- legt . Dass diese Praktiken in vielen Betrieben, vor allen kleinen oder Solounternehmen des Baunebengewerbes, zu Recht nicht nur Unmut hervorrufen, sondern existenz- bedrohend sind, verwundert nicht . Darum wäre jetzt die jetzt die geeignete Gelegenheit zu einer Neuregelung gewesen , keine vier Jahre rückwir- kend, keine 12 Prozent Zinsen auf den höchstmöglichen Betrag, keine Inanspruchnahme von Soloselbstständi- gen, die knapp über dem Existenzminimum leben und auch noch Beitrag bezahlen sollen, keine Inanspruchnah- men von Betrieben, die andere Tarifverträge haben, und eine klare Definition, was Bau ist. Mit dem vorliegenden Gesetz zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Bau- gewerbe hat der Deutsche Bundestag die Gelegenheit zu Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21609 (A) (C) (B) (D) einer sinnvollen, rechtlich einwandfreien Regelung nicht genutzt . Klaus Brähmig (CDU/CSU): Im Rahmen der Ab- stimmung am 26 . Januar 2017 werde ich den oben ge- nannten von den Fraktionen CDU/CSU und SPD ein- gebrachten Gesetzen nicht zustimmen . Lassen Sie mich kurz erklären, warum ich nicht zustimmen kann: Unternehmer aus den Baunebengewerken werden damit konfrontiert, für angeblich erbrachte Leistungen des Bauhauptgewerkes rückwirkend für vier Jahre etwa 20 Prozent der Lohnsumme für einen Mitarbeiter an die Soka-Bau abzuführen . Diese Rückforderungen werden mit einem Zinssatz in Summe von 48 Prozent, was einem Prozent pro Monat entspricht, belegt . Dass diese Prakti- ken in vielen Betrieben des Baunebengewerkes zu Recht Unmut hervorrufen, verwundert nicht . Nachdem das Bundesarbeitsgericht diese Praxis als unwirksam erklärt hat, soll jetzt im Eilverfahren der Richterspruch ausgehe- belt werden . Es handelt sich hier um ein Eilgesetz angeblich zur Sicherung der Sozialkassen des Baugewerbes . Eilgesetze haben ganz selbstverständlich schon den Mangel, dass sie in Eile entstehen und häufig nicht klug durchdacht sind . Wenn die Rechtsansprüche von 50 000 Streitver- fahren nicht Anlass genug sind, sich vertieft mit dem Thema zu beschäftigen, dann wird meine Vorstellung von Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit konterkariert . Eine Ausschussanhörung, die nur auf Drängen des Wirt- schaftsflügels der CDU/CSU‑Fraktion zustande kam, war aufgrund ihrer Zusammensetzung und zeitlichen Be- grenzung nicht geeignet, dem Thema auch nur annähernd gerecht zu werden . Zusätzlich ist es meiner Auffassung nach nicht die Aufgabe des Deutschen Bundestages, unliebsame Ent- scheidungen eines Bundesgerichts wieder aufzuheben und auf diese Weise rückwirkende Ansprüche von er- folgreichen Klägern zunichte zu machen . Ich stimme hier ausdrücklich meinem Kollegen Andreas Lämmel MdB zu, der sagt: ,,Wenn dieses Modell Schule macht, kann bald jedes Gerichtsurteil per Gesetz aufgehoben werden .“ Als Handwerksmeister lasse ich mich auch nicht täu- schen . Es geht hier um Macht und Geld und nicht um Arbeitnehmerrechte . Die linksliberale Süddeutsche Zeitung, die nicht als willenlose Vollstreckerin von Un- ternehmerinteressen bekannt ist, schreibt: ,,Die große Koalition hilft einer Institution, die in der Öffentlich- keit unbekannt, in der Fachöffentlichkeit indes gerade- zu berühmt ist . An den Arbeitsgerichten Wiesbaden und Berlin führt sie jedes Jahr mehr als 50 000 Verfahren . In Wiesbaden wenden alle 13 Kammern des Arbeitsgerichts die Hälfte ihrer Zeit für Soka-Bau-Verfahren auf, und die Meinungen gehen auseinander, wer an dieser Unmen- ge schuld ist: die Tarifparteien, weil sie bisher nur sehr ungenau festgelegt haben, was ein „Baubetrieb“ ist und was nicht? All die Handwerksmeister, die sich stets da- rauf verlassen haben, dass ihr Laden entweder nicht als Baubetrieb gilt, oder dass die Soka‑Bau ihn nicht findet, und die sich dann wundem, wenn sie eine Rechnung über 360 000 Euro bekommen? Die Soka-Bau selbst, der Anwälte eine unbarmherzige Inkassopolitik vorwerfen? Sie verlangt von ihren Schuldnern ein Prozent Zinsen – pro Monat . Und verfügt selbst über 3,7 Milliarden Euro liquide Mittel .“ Spätestens jetzt müsste bei kritischen Abgeordneten doch ein verstärktes Interesse vorhanden sein, dieses Thema tiefer zu durchleuchten und einer ge- rechten langfristigen Lösung zuzuführen . Die nachträgli- che Aushebelung eines Beschlusses auf höchstrichterli- cher Ebene durch den Bundestag ist mir zumindest nicht vermittelbar . Jens Koeppen (CDU/CSU): Ich habe heute gegen den Gesetzentwurf gestimmt, da er die rückwirkende Aufhebung bestehenden Rechts vorsieht . Es kann nicht und darf auch nicht Aufgabe des Gesetzgebers sein, Er- gebnisse von Gerichtsurteilen durch Gesetzesänderun- gen rückwirkend abzuändern . Die Gesetzesinitiative geht nicht nur einseitig zulas- ten des Baunebengewerbes, sondern die rückwirkende Schaffung von veränderten Rechtsgrundlagen erschüttert das Vertrauen in unseren Rechtstaat . Das Gesetz hilft zudem nicht, die notwendige Abgren- zung zwischen Bauhaupt- und Baunebengewerbe weiter voranzubringen . Die einseitige Gesetzesregelung zulas- ten der klagenden und auch der beklagten Handwerker des Baunebengewerbes hinterlässt einen bitteren Beige- schmack . Bei 40 000 anhängigen Verfahren werden wir in ganz Deutschland negative Arbeitsplatzeffekte zu ver- zeichnen haben . Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Handlungsfähigkeit der Selbstverwaltung der Spitzenorganisationen in der gesetzlichen Krankenversicherung sowie zur Stärkung der über sie geführten Aufsicht (GKV­Selbstver­ waltungsstärkungsgesetz) – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit: – zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeord­ neter und der Fraktion DIE LINKE: Pati­ entenvertretung in der Gesundheitsversor­ gung stärken – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Maria Klein­Schmeink, Kordula Schulz­Asche, weiterer Abgeord­ neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mit Beitragsgeldern der gesetz­ lich Versicherten sorgsam umgehen – Mehr Transparenz und bessere Aufsicht über die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721610 (A) (C) (B) (D) (Tagesordnungspunkt 19 a und b) Reiner Meier (CDU/CSU): Mark Twain hat einmal gesagt: „Die Nachricht von meinem Tod ist stark über- trieben .“ Dieser Satz ist heute Abend gleich im doppelten Sinne wahr: Zum einen ist die Selbstverwaltung – allen Unkenrufen zum Trotz – quicklebendig – und das, ob- wohl sie in ihren Strukturen teils auf die Lebenszeit Mark Twains zurückgeht . Zum anderen hat sich einmal mehr gezeigt, dass mancher Pressebericht vom Ende unseres Gesetzentwurfs vielleicht doch ein wenig verfrüht war . Mit dem Selbstverwaltungsstärkungsgesetz betonen wir tragende demokratische Grundsätze in der Selbstver- waltung: Transparenz und Verantwortung . Entsprechend haben wir die Informations- und Kontrollrechte der Ver- treterversammlungen und der Verwaltungsräte im Sinne der „checks and balances“ deutlich gestärkt . Das ist auch richtig so . Denn nach unserem Ver- ständnis ist es in erster Linie die Aufgabe der Selbst- verwaltung, im eigenen Haus für ordnungsgemäße und rechtstreue Abläufe zu sorgen . Zur Verantwortung gehört aber auch, dass man zu ge- troffenen Entscheidungen steht . Es wird deshalb klare und eindeutige Regelungen geben, wann es notwendig ist, namentlich abzustimmen . Die Entscheidungen wer- den damit transparent und jederzeit nachvollziehbar do- kumentiert . Subsidiär und nur für den Fall, dass diese interne Selbstkontrolle scheitert, stärken wir an den notwendi- gen Stellen die Aufsichtsinstrumente des Bundesministe- riums für Gesundheit . Dabei muss eines immer klar sein: Eine Selbstverwaltung, die ihren Namen verdient, muss Spielräume für ihre Entscheidungen haben . Wir haben uns deshalb in den parlamentarischen Beratungen eben- so gegen eine Fachaufsicht wie gegen allzu restriktive Vorgaben bei den Betriebsmittelreserven ausgesprochen . Auch haben wir die Tatbestandsvoraussetzungen für den „kleinen Staatskommissar“ klarer und konkreter ge- fasst . Damit bleibt der Selbstverwaltung auch in Zukunft ein substanzieller Spielraum, wie sie die Vorgaben des Gesetzgebers umsetzt . Der Maßstab bleibt auch weiter- hin allein die juristische Vertretbarkeit der Umsetzung . Wenn wir im Gesetz von Transparenz sprechen, dann muss sie erst recht auch im Verhältnis zum Parlament gel- ten . Ich freue mich deshalb ganz besonders, dass wir uns auf eine regelmäßige Berichtspflicht des Bundesminis- teriums an den Ausschuss für Gesundheit verständigen konnten . Damit erhält der Bundestag einen regelmäßigen Bericht über eingeleitete und laufende Aufsichtsverfah- ren in der Selbstverwaltung und kann daraus die gebote- nen Schlussfolgerungen ziehen . Es ist in den letzten Tagen viel davon gesprochen wor- den, dass man mit dem Gesetz die „Richtigen“ treffen müsse . Ich meine, unser Ziel sollte nicht sein, jemanden zu treffen oder zu bestrafen, sondern die Selbstverwal- tung als Ganzes zukunftsfest zu machen . Die Selbstverwaltung ist ein einzigartiges und bewähr- tes System, das umsichtig und mit großem Sachverstand zu einer hervorragenden Versorgung unserer Patientin- nen und Patienten beiträgt . Fehlverhalten – gleich von wem es ausgeht – untergräbt das Vertrauen in die Selbst- verwaltung als Ganzes und muss deshalb konsequent abgestellt und aufgearbeitet werden . Mit dem heutigen Gesetz wird die Selbstverwaltung transparenter, demo- kratischer und effektiver, und das ist eine gute Nachricht . Abschließend möchte ich es nicht versäumen, mich bei den Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss für die konstruktiven Beratungen zu bedanken und auch dafür, dass das Gesetz gestern den Ausschuss ohne Neinstim- men passiert hat . Ich hoffe, dass diese breite Einmütigkeit heute auch im Plenum spürbar ist, und darf Sie deshalb um Ihre Zu- stimmung bitten . Dietrich Monstadt (CDU/CSU): Die Stärke der Selbstverwaltung ist eine tragende Säule des deutschen Sozialsystems . Die Sicherstellung einer qualitativ hoch- wertigen, flächendeckenden und bedarfsgerechten medi- zinischen Versorgung der Bevölkerung ist in besonderem Maße auf das Engagement und die Verantwortung der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen zurückzuführen . An diesem erfolgreichen und bewährten System halten wir weiter fest . Dennoch haben Abläufe in der Vergan- genheit gezeigt, dass sich Partikularinteressen Einzelner gegenüber den Interessen des Gemeinwohls durchsetzen können . Vor dem Hintergrund der demnächst stattfindenden Gremienwahlen in Selbstverwaltungskörperschaften ist es wichtig, dass wir jetzt ein Gesetz auf den Weg bringen, das auf diese Sachverhalte reagiert . Mit dem GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz re- agieren wir aber nicht nur auf Fehlverhalten, sondern wir setzen die notwendigen Rahmenbedingungen und schaf- fen klare Regelungen für zukünftiges Handeln. Effizienz, mehr Kontrolle, stärkere Transparenz sowie schlüssige Vorgaben staatlicher Rechtsaufsicht sollen die Selbstver- waltung an den erkennbaren Schwachstellen weiterent- wickeln und stärken . Es liegt in der Natur der Sache, dass Gesetze generell abstrakt und nicht als Lex specialis verabschiedet wer- den . Deshalb regeln wir das aufsichtsrechtliche Handeln und die internen Strukturen der Selbstverwaltung nicht nur für einzelne Selbstverwaltungsbereiche, sondern vielmehr für den allgemeinen Bereich der Selbstverwal- tung, dies in einer uns möglichst einheitlichen Art und Weise, ohne dabei unverhältnismäßig in die internen Ge- staltungskompetenzen einzugreifen, wohl wissend, dass fast überall hervorragende Arbeit geleistet wurde und wird . Wir wollen die Funktionsfähigkeit der Selbstverwal- tung weiter stärken . Dafür bedarf es insbesondere stär- kerer Kontroll- und Informationsrechte der Mitglieder der Körperschaften sowie mehr Transparenz im Verwal- tungshandeln . Nur so können frühzeitig Fehlentwicklun- gen erkannt, gestoppt oder gar vermieden werden . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21611 (A) (C) (B) (D) Wir wollen stärkere Einsichts- und Prüfrechte des Verwaltungsrates und der Vertreterversammlungen . Wir wollen präzisere Vorgaben zu Informations-, Dokumen- tations‑ und Berichtspflichten über die Beratungen in den Ausschüssen . Wir wollen eine funktionsfähige Hand- lungsweise durch Wahlen oder auch Abwahlen der oder des Vorsitzenden umsetzen und sie umgesetzt wissen . Auch wenn immer behauptet wird, das Gesetz greife zu sehr in den Verantwortungsbereich und schränke da- mit die nötige Handlungsfreiheit der Organe der Selbst- verwaltung massiv ein: Das Gegenteil ist richtig . Die kontrollierenden Organe der Selbstverwaltung werden entscheidend, bezogen auf jedes einzelne Mitglied, ge- stärkt . Alle Entscheidungen werden transparent . Größere Transparenz stärkt wiederum auch das Han- deln der einzelnen Mitglieder . Nur wer ausreichend und sachgerecht informiert ist, kann die richtigen Entschei- dungen treffen . Dies stärkt letztlich die Selbstverwaltung und ihre internen Strukturen . Die Frage, ob in bestimmten Fällen eine namentliche Abstimmung erforderlich ist, wird durchaus strittig dis- kutiert . Die Vergangenheit hat uns aber gezeigt, dass in bestimmten Fällen die Entscheidungen auch nachvoll- ziehbar sein müssen . Aber auch hier greifen wir nicht ein . Wir vertrauen auf die Strukturen der Selbstverwaltung in diesen ganz besonderen Verantwortungssituationen . Das heißt, die Körperschaften bestimmen in ihrer Satzung selbst, wann eine namentliche Abstimmung vorzusehen ist . Damit setzen wir auch hier ein klares Zeichen für mehr Eigen- verantwortung und Selbstkontrolle, da diese Regelung ausschließlich interne Vorgänge der Selbstverwaltungs- körperschaften betrifft . Uns ist auch wichtig, mögliches Fehlverhalten früh- zeitig aufzudecken . Auch hier lassen wir die Zuständig- keit in den jeweiligen Körperschaften . Zukünftig wird die Innenrevision den Selbstverwal- tungsgremien der Körperschaften über ggf . festgestellte Handlungsverstöße berichten . Dies trägt zu mehr Trans- parenz und Kontrolle in der hausinternen Aufarbeitung bei . Auch werden dadurch die Strukturen innerhalb der Selbstverwaltung weiter gestärkt . Kompetente, sachge- rechte Entscheidungsabläufe und Entscheidungen sind immer noch der beste Weg, hier jegliches aufsichtsrecht- liches Tätigwerden zu vermeiden . Als Ultima Ratio besteht aber nunmehr die Mög- lichkeit, gegebenenfalls aufsichtsrechtlich einzugreifen . Damit vertrauen wir grundsätzlich auf die Selbstreini- gungskräfte der Selbstverwaltungsinstitutionen . Klar muss aber sein: Sofern diese nicht funktionieren sollten, werden wir als Politik auch zukünftig eingreifen . Sollten konkrete Anhaltspunkte für Fehlverhalten vor- liegen, kann darüber hinaus eine Person entsandt werden, die beratend den Institutionen zur Seite steht, um wei- tere, eingreifende Maßnahmen zu verhindern . Auch mit dieser Regelung stärken wir gleichzeitig jedes einzelne Mitglied der Selbstverwaltung . Darüber hinaus kann das Bundesministerium für Ge- sundheit weitere Maßnahmen im Rahmen seiner Rechts- aufsicht ergreifen . Denn wir stärken auch die Rechts- aufsichtsstrukturen . Durch konkrete Vorgaben werden Rechtsverletzungen zukünftig eindeutig und konsequent geahndet . Diese Regelung gilt insbesondere für Betriebs- mittel und Rücklagen sowie für die Pflicht zur Ausschüt- tung von Vermögen bzw . der Senkung der Umlage, wenn dies nicht zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben not- wendig ist . Wir sichern damit einen verantwortungsvol- len Umgang mit Beitragsgeldern . Zusammenfassend ist festzuhalten, dass mit dem Ge- setz sowohl die verwaltungsinterne Selbstkontrolle als auch die staatliche Aufsicht als externe Kontrolle ange- passt und weiterentwickelt werden . Befürchtungen, die Politik werde die Selbstverwal- tung eher schwächen als stärken, kann ich nicht teilen . Sogar von Entmündigung war hier teilweise die Rede . Im Gegenteil: Mit dem GKV-Selbstverwaltungsstär- kungsgesetz setzen wir ein klares Zeichen in Richtung einer stärkeren Selbstverwaltung und einer Aufsicht mit Augenmaß im Sinne der Rechtsprechung des Bundesver- fassungsgerichts . Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag für die Sta- bilität unseres Gesundheitswesens für die Zukunft . Ich werbe deshalb um Ihre Zustimmung . Bärbel Bas (SPD): Wir reden derzeit viel über die kommende Bundestagswahl . Doch bevor wir am 24. September den 19. Deutschen Bundestag wählen, fin- det noch eine andere Wahl statt . Zu Unrecht wird sie oft unterschätzt oder nicht richtig wahrgenommen . Gemessen an der Zahl der Wahlberechtigten ist es so- gar die wichtigste Wahl in Deutschland nach den Bun- destags- und Europawahlen . Es geht um die am 31 . Mai 2017 stattfindenden Sozialwahlen. Bei den Sozialwahlen werden für Renten-, Unfall-, Pflege‑ und Krankenversicherung die ehrenamtlichen Vertreterversammlungen bzw . Verwaltungsräte gewählt . Die sogenannte Selbstverwaltung . Diese vermeintlich „trockene“ Selbstverwaltung birgt ein gewaltiges Potenzial: Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte sowie Arbeitgeber finanzieren mit ihren Beiträgen die Solidargemeinschaft und damit die Leis- tungen für Rentnerinnen, Rentner und Kranke . Deshalb sitzen sie auch am Tisch der Entscheider . Die gelebte Mitbestimmung der Sozialpartner an der Sozialversicherung hat für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten eine sehr hohe Bedeutung und ist für den Erfolg der Sozialversicherung unverzichtbar . Weil die SPD auch in Zukunft für eine starke Selbst- verwaltung steht, haben wir dieses Selbstverwaltungs- stärkungsgesetz immer kritisch begleitet . Der Titel des Gesetzes klingt erst einmal gut . Die Stär- kung der Selbstverwaltung ist auch immer eine gute Idee . Was Sie uns, Herr Minister, allerdings als Referen- tenentwurf vorlegt hatten, war das genaue Gegenteil und Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721612 (A) (C) (B) (D) ein Angriff auf die gesamte Selbstverwaltung in diesem Land . Mit diesem Entwurf wäre es nicht bei einer Rechtsauf- sicht des Ministeriums geblieben, sondern auch zu einer Fachaufsicht geworden . Damit wären die Entscheidungs- kompetenzen der Spitzenorganisationen der GKV erheb- lich geschwächt geworden . Ich danke Ihnen heute, Herr Minister, dass Sie auf un- sere Kritik eingegangen sind . In guter Zusammenarbeit mit unserem Koalitionspart- ner konnten wir Sie davon überzeugen, Ihren ersten Vor- schlag bereits im Zuge der Erarbeitung eines Kabinetts- entwurfs zu entschärfen . Ich kann schon verstehen, warum Sie einen Gesetzent- wurf in dieser Schärfe formuliert haben . Sie haben damit auf die Verfehlungen der Kassenärztlichen Bundesverei- nigung reagiert . Diese hat mit einem Mix aus Korruption, Intrigen und Selbstbereicherung nicht nur ihren Auftrag zur Steuerung der ambulanten ärztlichen Versorgung in ganz Deutschland vergessen lassen, sondern auch das öffentliche Vertrauen in die Selbstverwaltung insgesamt erschüttert . Ganz klar: Die Verfehlungen innerhalb der KBV müs- sen restlos aufgeklärt werden . Es ist für die SPD völlig unstrittig, dass wir eine vollständige Transparenz und bessere Aufsicht über die Vorgänge in der KBV brau- chen . Allerdings darf man dabei nicht die gesamte Selbst- verwaltung beschädigen . Ich persönlich hätte mir daher auch eine sogenannte „Lex KBV“ vorstellen können . Nach intensiven Verhandlungen hat die SPD-Fraktion sich mit umfangreichen Änderungen beim Selbstverwal- tungsstärkungsgesetz durchgesetzt . Ich will hier nur exemplarisch die nennen, die in mei- nen Augen für eine starke und autonome Selbstverwal- tung am wichtigsten sind: Der Gesetzentwurf sah in § 81 Absatz 1 und § 217e sogenannte „Pflichtinhalte“ für die Satzungen der Kör- perschaften vor . Diese sind ersatzlos gestrichen worden . Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir diesen Ein- griff in die Satzungsautonomie der Selbstverwaltungs- institutionen nicht mittragen . Es ist ein wesentliches Element der Selbstverwaltung, über die Satzungsinhalte selbst bestimmen zu können und auch die Verantwortung dafür zu übernehmen . Wir haben Präzisierungen bei der sogenannten ent- sandten Person erreicht, die das Ministerium bei Gefah- ren für die ordnungsgemäße Verwaltung entsenden kann . Dieser „kleine Staatskommissar“ dient jetzt ausschließ- lich der Beratung und Unterstützung der jeweiligen In- stitution . Wir hatten massive Bedenken, dass sich bei der Entsendung eines weisungsbefugten Kontrolleurs eine relevante Haftungsfrage ergeben kann, wenn sich dessen Entscheidungen als falsch herausstellen . Uns war darum wichtig, dass die Entscheidungen weiterhin vom Vor- stand getroffen und auch verantwortet werden . Darüber hinaus haben wir die Regelungen über die Prüfung der Körperschaften durch externe Wirtschafts- prüfungsgesellschaften gestrichen . Es bleibt damit für die Selbstverwaltung bei der turnusmäßigen Prüfung durch das Bundesversicherungsamt . Wir haben im parlamentarischen Verfahren immer wieder Zweifel daran vernommen, ob eine effiziente Rechtsaufsicht nicht auch auf Grundlage der bestehen- den gesetzlichen Regelungen hätte ausgeübt werden kön- nen . Darum haben wir jetzt durch einen Änderungsantrag dafür gesorgt, dass das Bundesgesundheitsministerium zukünftig jährlich zum 1 . März – erstmals 2018 – dem Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages über laufende Aufsichtsverfahren berichtet . Diese Berichts- pflicht wird uns Abgeordneten in Zukunft eine bessere Kontrolle ermöglichen, ob das Bundesgesundheitsminis- terium seinen aufsichtsrechtlichen Pflichten gegenüber den Spitzenorganisationen ordnungsgemäß nachgekom- men ist . Wir haben lange und intensiv beraten und auch in die- ser Woche noch hart verhandelt . Das ist nicht nur unser Recht als Parlamentarierinnen und Parlamentarier, das ist sogar unsere Pflicht. Am Ende ist für uns als SPD-Bundestagsfraktion klar: Dieses Gesetz trifft jetzt die Richtigen – ohne das Prinzip der Selbstverwaltung zu beschädigen . Die SPD steht für eine starke Selbstverwaltung auch in der Zukunft . Harald Weinberg (DIE LINKE): Die Organisatio- nen der Selbstverwaltung kritisierten den ersten Gesetz- entwurf scharf . Sie sah in der Bezeichnung „Selbstver- waltungsstärkungsgesetz“ keine Stärkung, sondern eine Schwächung, die Beschneidung ihrer Selbstständigkeit . Nun sind ihm einige der dahin gehenden „Zähne“ gezo- gen worden . Eigentlich spricht auch einiges dafür, dass die Bun- desregierung mit ihrem bisherigen aufsichtsrechtlichen Instrumentarium einige Auswüchse der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), die ja Anlass für das Gesetz waren, hätte verhindern oder zumindest abmildern kön- nen, aber bewusst weggeschaut hat . Das wäre zugleich eine Begründung für den danach demonstrativen Hand- lungswillen von CDU/CSU und SPD . Aus unserer Sicht ist es durchaus sinnvoll, mehr Trans- parenz und auch mehr Kontrolle über die Selbstverwal- tung einzuführen . Für uns ist klar: Mehr Transparenz ist das A und O für das Vertrauen in die Selbstverwaltung . Die nun geschaffenen Eingriffsmöglichkeiten müssen ja auch nur genutzt werden, wenn es wirklich einen Anlass gibt . Sie können aber dadurch, dass sie grundsätzlich je- derzeit eingesetzt werden können, auch disziplinierende Effekte auf die Gremien haben, zu politisch tragfähigen Lösungen zu gelangen . Insofern sind viele der im Gesetzentwurf getroffenen Maßnahmen nicht falsch . Sie sollen ja auch nicht Verfeh- lungen der Vergangenheit bestrafen, sondern Verfehlun- gen in der Zukunft verhindern . Das Gesetz ist aber keine Lösung für das Grundpro- blem der Selbstverwaltung in einem sich immer stärker in Richtung Wettbewerb bewegenden Gesundheitssys- tem . Letztendlich versucht hier die Bundesregierung die Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21613 (A) (C) (B) (D) Folgen ihrer eigenen Politik einzudämmen: Wer Wettbe- werb einfordert – und das machen in unterschiedlichem Maße leider alle Fraktionen außer der Linken – darf sich nicht wundern, dass jede und jeder vorrangig den eigenen Nutzen sieht und das Gemeinwohl aus dem Auge ver- liert . Der eigentliche Zweck der Selbstverwaltung ist, die Versorgung der Patientinnen und Patienten zu verbessern und das Gemeinwohl zu stärken . Die Selbstverwaltung und unser Gesundheitssystem sind kein Selbstzweck . Sie sind da, um eine gute Versorgung der Patientinnen und Patienten zu organisieren . Diese Idee wird durch Wettbe- werb konterkariert . Deshalb trifft die Selbstverwaltung nicht wenige Ver- einbarungen, die dem Gemeinwohl nicht entsprechen . Die zweifelhaften Geschäfte der KBV sind nur die Spitze des Eisbergs . Und diese Spitze, der Fall Köhler, der an- dauernde Streit der Haus- und Fachärzteschaft und die Immobiliengeschäfte offenbarten eine offensichtliche Fehlfunktion der Selbstverwaltung, sodass die Bundesre- gierung hier einfach nicht mehr wegschauen konnte . Wir wollen aber grundsätzlich an das Problem he- ran . Es bedarf in einem wettbewerblich ausgerichteten System aus unserer Sicht zumindest einer Stärkung der Patientenvertretung als Korrektiv . Wenn man die Selbst- verwaltung in einem Gesetzentwurf anpackt, ohne die Patientinnen und Patienten oder die Patientenvertretung auch nur in einem Wort zu erwähnen, dann fehlt hier ein ganz wesentlicher Punkt . Wir wollen die Rechte der Patientenvertretung stärken . Das wird mit dem jetzigen Gesetzentwurf von CDU/CSU und SPD überhaupt nicht angegangen . Deshalb werden wir uns enthalten . Wir schlagen vor, dass die Patientenvertreterinnen und Patientenvertreter an entscheidender Stelle mitbe- stimmen können . Sie sollen im Gemeinsamen Bundes- ausschuss das Zünglein an der Waage sein, wenn sich Kassen, Ärzte- und Zahnärzteschaft sowie Krankenhäu- ser nicht einigen können . Die Patientenorganisationen erhalten im Gemeinsamen Bundesausschuss das Recht, zwei der drei unparteiischen Mitglieder zu benennen . Es muss weitgehend ausgeschlossen werden, dass auf die Entscheidungen der Patientenvertretung Einfluss genom- men wird . Durch geeignete Verfahren muss ihre Unab- hängigkeit von anderen Interessengruppen sichergestellt werden . Gerade unter den Bedingungen des Kassenwettbe- werbs bedarf es zudem einer bundeseinheitlichen und wirksamen Aufsicht über alle Krankenkassen . Und wir schlagen vor, dass der Medizinische Dienst der Krankenversicherung bei Begutachtungen, die Ent- scheidungen über die Leistungsgewährung vorausgehen, schrittweise als von den Kranken‑ und Pflegekassen per- sonell und organisatorisch unabhängige Organisation ausgestaltet wird . Diese Vorschläge gehen deutlich über den vorliegen- den Gesetzentwurf hinaus . Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Selbstverwaltung ist ein wesentlicher Eckpfeiler des alles in allem gut funktionierenden Gesundheitssystems in Deutschland . Sie stellt sicher, dass fachliches Wissen und praktische Erfahrungen derjenigen, die im Gesund- heitswesen tätig sind, unmittelbar in dessen Regulierung einfließen. Umso wichtiger ist es allerdings, dass die Selbstver- waltung transparent und an der Sache orientiert agiert . Selbstverwaltung muss jedes Verdachtsmoment der Selbstbedienung vermeiden . Das war leider in der Ver- gangenheit nicht immer so klar . Die Unregelmäßigkei- ten um das Geschäftsgebaren bei Immobiliengeschäf- ten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung haben der Legitimation der Selbstverwaltung einen Bärendienst erwiesen . Jahrelang hatte deren früherer Vorstand Gel- der in eine defizitäre Immobiliengesellschaft investiert, sich selbst und anderen überhöhte Versorgungsbezüge gewährt und Rücklagen in wertlosen Finanzanlagen ver- senkt . Dass diese Vorgänge öffentlich publik wurden, ebenso wie die jahrelange Untätigkeit Ihres Ministeriums als Aufsichtsbehörde, verdanken Sie nicht zuletzt auch der Beharrlichkeit unserer Fraktion . Es muss also zukünftig dafür Sorge getragen werden, dass die internen Kontrollmechanismen innerhalb der Spitzenverbände wie auch die aufsichtsrechtlichen Be- fugnisse des Bundesministeriums für Gesundheit gegen- über diesen Akteuren konsequent angewendet werden . Das ist keine Gefährdung des Prinzips der Selbstverwal- tung, wie oft zu hören war . Im Gegenteil: Es erhöht die Legitimation der Selbstverwaltung . Wir begrüßen, dass Sie den noch im Referentenent- wurf geplanten massiven Eingriff in die Richtlinienkom- petenz des Gemeinsamen Bundesausschusses wieder ge- strichen haben . Dass Sie die Geschäftsprüfungen bei den Spitzenverbänden nun nicht mehr an private Wirtschafts- prüfungsgesellschaften outsourcen, sondern beim Bun- desversicherungsamt belassen wollen, unterstützen wir ebenfalls . Allerdings erwarten wir auch, dass Sie diese Behörde zukünftig mit genügend Ressourcen ausstatten, damit sie diese Prüfungen auch sachgerecht wahrnehmen kann . Ob Ihr Gesetzentwurf allerdings einen stringenten Beitrag zur Stärkung der Selbstverwaltung darstellt, darf bezweifelt werden . Ein Beispiel: Nach Ihrem Vorschlag sollen Beteiligungen an Gesellschaften des Privatrechts zukünftig lediglich vom Lenkungsgremium der Körper- schaft selbst abgenickt werden . Das ist nach den Erfah- rungen mit der Übernahme einer faktisch insolventen Immobiliengesellschaft durch die Kassenärztliche Bun- desvereinigung nicht nachvollziehbar . Es muss für solche Entscheidungen mit teilweise erheblichen finanziellen Auswirkungen zukünftig auch eine aufsichtsrechtliche Kontrollmöglichkeit geben, um einer erneuten Rufschä- digung der Selbstverwaltung im Wiederholungsfalle weitgehend vorzubeugen . Es soll nach Ihrer Vorstellung ja keine Rahmenvorga- ben für Geldanlagen oder Darlehen geben, obwohl die KBV gerade durch solche Finanzgeschäfte erhebliche Beträge verloren hat . Man darf auch gespannt sein, in- wieweit gesetzlicher Korrekturbedarf infolge der Aus- einandersetzung um persönliche Haftung von Funkti- onsträgern vor Gericht entsteht . Unsere Forderung nach Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721614 (A) (C) (B) (D) einem besseren Schutz von Whistleblowern wurde nicht aufgegriffen . Aus den genannten Gründen wird sich meine Fraktion bei diesem Gesetzentwurf enthalten . Und machen wir uns nichts vor: Ein wie auch im- mer geartetes Selbstverwaltungsstärkungsgesetz wird wenig Veränderung bringen, wenn nicht auch in den In- stitutionen und im Ministerium selbst ein Kulturwandel stattfindet. Beide haben in der Vergangenheit ihre Kon‑ trollfunktionen und ihre Aufsichtsrechte zum Teil unter- lassen beziehungsweise – vorsichtig formuliert – sehr dezent wahrgenommen und tragen damit einen Teil der Verantwortung für das Ausmaß der Missstände . Ein Ge- setz ändert nichts, solange nicht die Bereitschaft besteht, Aufsichtsrechte im Ernstfall auch wahrzunehmen . Und genau das erwarten wir von Ihnen in Zukunft als Beitrag zur Stärkung der Selbstverwaltung . Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge­ brachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Vorschlä­ gen der Europäischen Kommission vom 7. März 2016 für Beschlüsse des Rates zur Festlegung von Standpunkten der Union in den Stabilitäts­ und Assoziationsräten EU – Republik Albanien sowie EU – Republik Serbien im Hinblick auf die Betei­ ligung der Republik Albanien sowie der Republik Serbien als Beobachter an den Arbeiten der Agen­ tur der Europäischen Union für Grundrechte und die entsprechenden Modalitäten im Rahmen der Verordnung (EG) Nr. 168/2007 des Rates (Tages­ ordnungspunkt 22) Thorsten Frei (CDU/CSU): Albanien als Beitritts- kandidat der Europäischen Union und auch Serbien, mit dem bereits Beitrittsverhandlungen geführt werden, ha- ben in der Vergangenheit viele Fortschritte im Bereich der Grundrechte gemacht . Die Grundrechte sind in bei- den Ländern gesetzlich kodifiziert und entsprechen ins- gesamt internationalen Standards . Systematische Men- schenrechtsverletzungen durch Regierung oder andere Staatsorgane sind nicht zu beobachten . Lediglich der Bereich der Organisierten Kriminalität bildet in Teilen eine Ausnahme, etwa mit Blick auf den noch immer exis- tenten Menschenhandel . Insbesondere in Albanien ist das Zusammenleben der Religionsgemeinschaften von Mus- limen sowie katholischen und orthodoxen Christen von beispielhafter Toleranz gekennzeichnet . Und trotzdem erfahren bestimmte Gruppen noch im- mer faktische Benachteiligungen im Alltag . Hier kommen vor allem tradierte Wert- und Gesellschaftsvorstellungen zum Tragen . Insbesondere Frauen und ihre Behandlung unterliegen den herkömmlichen traditionellen Mustern . Sie sind noch immer häufig Opfer häuslicher Gewalt. Leider gilt das auch für Kinder . Im ländlichen Raum gibt es diesbezügliche Probleme deutlich häufiger als in den Städten . Auch daran zeigt sich, dass die Zivilgesell- schaften im Vergleich zum Westen noch immer äußerst schwach sind . Zu begrüßen ist, dass die albanische Regierung eine nationale Strategie gegen häusliche Gewalt und für Gleichberechtigung ausgearbeitet hat . Und Serbien hat im vergangenen März einen Minderheiten-Aktionsplan verabschiedet, der Teil der Verpflichtungen zum Ab- schluss der Verhandlungen zum Kapitel 23 ist . Trotzdem muss man objektiv feststellen, dass es in beiden Ländern oft an der vollständigen Implementierung der Normen hakt . Ein wesentlicher Hemmschuh sind jedoch die Justiz- systeme, die in Serbien und vor allem auch Albanien eine Dauerbaustelle sind . Die größten Herausforderungen sind die Steigerung der richterlichen Unabhängigkeit und die Effizienz der Gerichte sowie der Verwaltung und der oft große Verfahrensrückstau . Ein Lichtblick ist sicher- lich die in Albanien im vergangenen Sommer beschlos- sene Justizreform, die wesentlich unter Beratung der von einem deutschen Richter geführten EURALIUS-Mission vorbereitet worden war, samt des Vetting-Prozesses zur Überprüfung der Richter . Aber auch hier gilt: Auf dem Papier ist die Reform sicherlich mustergültig . Ohne Im- plementierung ist sie allerdings nicht das Papier wert, auf dem sie geschrieben steht . Das zeigt sich auch an der In- stitution des Ombudsmanns zur Sicherung von Minder- heitenrechte, der sich in beiden Ländern gleichermaßen nur sehr schwer Gehör und gesellschaftliche Aufmerk- samkeit verschaffen kann, Ein weiteres Problem ist die trotz großer Medienviel- falt bestehende Praxis der politischen Einmischung in die Arbeit der öffentlichen Rundfunkanstalten und zur Ein- schüchterung von Journalisten . Ganz wesentlich ist die Intransparenz der öffentliche Medienförderung . Politiker auf dem Balkan verstehen die Medien traditionell nicht als „Vierte Gewalt“ im Staat, sondern als Kanal, um Bür- ger zu beeinflussen. Kritische Medienberichte werden als feindliche Handlung angesehen . Folglich werden nur Zeitungen finanziell gefördert, die eine der politischen Führung konforme Berichterstattung bieten . Das ist na- türlich ein Problem, da in der Region kaum eine Firma oder Privatperson Werbung schaltet . Folglich kommt auch der jüngste Fortschrittsbericht der EU-Kommission zum Schluss, dass weiterhin Dis- kriminierungen und Feindseligkeiten gegenüber benach- teiligten Gruppen, unter anderem aus Gründen der sexu- ellen Orientierung oder der Geschlechtsidentität, auf der Tagesordnung stehen . Außerdem sind weitere Maßnah- men notwendig, um die Gleichstellung von Frauen und Männern zu gewährleisten, auch durch die Bekämpfung von häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt, und um Chancengleichheit für Frauen herzustellen, insbeson- dere auf dem Arbeitsmarkt . Die Rechte der Kinder müs- sen gestärkt werden, unter anderem durch die Entwick- lung von Kinderschutzsystemen, und es bedarf vermehrt wirksamer Strategien zur Unterstützung von Menschen mit Behinderungen . Ebenso hat sich kaum etwas an der schwierigen Lage der Roma geändert . Es gibt also unverändert viel zu tun, um Albanien fit für die Beitrittsverhandlungen zu machen und damit Serbien Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21615 (A) (C) (B) (D) die einschlägigen Kapitel 23 und 24 erfolgreich abschlie- ßen kann . Folglich ist das Ansinnen der EU-Kommission richtig . Die Teilnahme als Beobachter in der EU-Grund- rechteagentur böte einen weiteren Kanal, um am Abbau der Defizite zu arbeiten und die beiden Länder näher an die Standards der Europäischen Union heranzuführen . Der Dialog mit den Mitgliedern in diesem Bereich könn- te neue Impulse für die Stärkung der Grundrechte bieten . Noch viel wichtiger erscheint mir aber die Tatsache, dass die Teilnahme an der Grundrechteagentur und den damit verbundenen Mechanismen selbst im Beobachter- status eine weitere Form der Heranführung und Bindung an die EU ist . Für die Länder des westlichen Balkan sind solche Schritte messbar und ein unmittelbar nachvoll- ziehbarer Erfolg der eigenen Bemühungen . Solche Erfol- ge lassen sich auch gegenüber der eigenen Bevölkerung im Sinne der eigenen politischen Strategie gut darstellen . Wir müssen ihnen solche Schritte immer wieder bieten und ermöglichen, auch wenn klar ist, dass wir nicht von den geltenden Kriterien abrücken werden oder Konzessi- onen machen dürfen . Das ist gerade in der heutigen Zeit dringend geboten . Wir schauen auf ein Jahr der Unsicherheit in Europa . Das gilt nicht nur wegen des Brexits, sondern auch we- gen des neuen US-Präsidenten Donald Trump, der kein Interesse an einem starken Europa hat . Gerade für den westlichen Balkan könnte ein abnehmendes amerikani- sches Engagement fatale Folgen haben . Schon heute sind die Aktivitäten Russlands, Chinas und mit Blick auf die muslimisch geprägten Länder auch aus dem arabischen Raum nicht zu übersehen . Die genannten Länder warten nur darauf, in ein mögliches Vakuum zu stoßen und die noch immer nicht gefestigten Länder der Region in die eigene Einflusssphäre zu ziehen. Zumal die nationalis- tischen Gruppierungen und Parteien unverändert stark sind und gerade die historischen Bindungen zu Russland unverändert hoch im Kurs stehen . Hier sehe ich die ernst- hafte Gefahr, dass das ein oder andere Land trotz aller Beteuerungen einen Kurswechsel vollziehen könnte . Verschiedene Ereignisse und Spekulationen darum zei- gen aus meiner Sicht, dass insbesondere Russland nicht zimperlich ist, wenn es um die Ausnutzung möglicher Chancen geht . Ich bin zwar überzeugt, dass die Nähe zu Russland keine Vorteile für die Menschen bringt und die Beitritts- kandidaten schon heute deutliche Entwicklungsschritte spüren können . Aber wir leben in „postfaktischen“ Zei- ten, in denen Populisten mit ihrer eigenen Wahrheit viel Gehör in der Bevölkerung finden. Für Europa aber wären eine solche Abkehr und die damit verbundenen Signa- le fatal . Deshalb müssen wir alle Kraft aufwenden, um den Ländern des westlichen Balkan zu helfen und ihnen greifbare Perspektiven bieten . Auch für uns werden sich Aufwand und Mühe lohnen . Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU): Ich nutze die Debatte zum vorliegenden Gesetzentwurf, um mich kurz generell mit den europäischen Agenturen zu befassen . Meiner Ansicht nach sollten wir dies hier im Deutschen Bundestag deutlich häufiger tun – nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass das Gesamtbudget aller Agenturen im Jahr 2014 rund 1,9 Milliarden Euro betrug und dort weit mehr als 6 000 Personen beschäftigt waren . Zudem ist die Bundesregierung im Verwaltungsrat einer jeden Agentur mit mindestens einem Repräsentanten vertreten . Wenn wir die Gewaltenteilung ernst nehmen, dann sollten wir uns auch mit deren Arbeit befassen . Die nächste Gele- genheit, sich mit dem System der dezentralen Agenturen zu befassen, bieten die Brexit-Verhandlungen . Denn mit ihnen geht die Notwendigkeit der Verlagerung zweier Institutionen – nämlich der Europäischen Arznei-Mittel- agentur sowie der Europäischen Bankenaufsicht – aus dem Vereinigten Königreich in einen anderen Mitglied- staat der EU einher . Agenturen sind heute fester Bestandteil der europäi- schen Exekutive geworden . Sie erfüllen wichtige admi- nistrative, operative und teilweise auch regulative Auf- gaben, insbesondere in Bereichen, die ein hohes Maß an Spezialwissen oder -fähigkeiten erfordern . Mangels eines einheitlichen Regelungsrahmens entstanden quer über Europa verteilt Agenturen mit sehr unterschiedli- chen Handlungsbefugnissen, internen Organisations- strukturen und Kontrollmechanismen . Diesen Wild- wuchs nahmen das Europäische Parlament, der Rat der EU und die Kommission zum Anlass, im Jahr 2012 eine gemeinsame Erklärung über die dezentralen Agenturen zu beschließen . Mit der Formulierung eines Fahrplans, einem einheitlichen Rahmenregelwerk und weiteren Ini- tiativen setzte die EU-Kommission diese gemeinsame Erklärung um . Als größter Nettozahler in der Europäi- schen Union hat die Bundesrepublik Deutschland ein besonderes Interesse daran, dass EU-Mittel sparsam und effizient eingesetzt werden. Daher ist es folgerichtig, die EU-Agenturen einer regelmäßigen Aufgabenkritik zu unterziehen . Auch hier gilt: Seine Daseinsberechtigung auf europäischer Ebene hat nur, was echten europäischen Mehrwert bringt . Gerade mit Blick auf die EU-Grundrechteagentur stellt sich diese Anforderung als besonders schwierig dar . Aus meiner Sicht nicht zu Unrecht wird von manchen Seiten die Kritik erhoben, mit der Grundrechteagentur würden Strukturen, beispielsweise des Europarates, aber auch der OSZE, gedoppelt . Hier kommt es darauf an, Sy- nergien zwischen den einzelnen Institutionen zu erken- nen und klug zu nutzen . Das Abkommen mit dem Eu- roparat aus dem Jahr 2008 ist hierfür ein gutes Beispiel . Auch bei den Programmplanungen sollten die einzelnen Akteure in regem Austausch stehen, um eine effiziente Arbeitsteilung gewährleisten zu können . Wir beraten heute den Gesetzentwurf der Bundesre- gierung über die Einbeziehung der Republiken Albanien und Serbien in die Arbeit der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte . Die CDU/CSU-Bundestagsfrak- tion unterstützt das Ansinnen beider Länder, sich durch die Mitarbeit bei ausgewählten Agenturen enger an die Europäische Union zu binden . Gleichzeitig ist es mir wichtig zu betonen, dass mit der Zustimmung zu diesem heute vorliegenden Gesetzentwurf keine Vorfestlegung im Hinblick auf einen möglichen späteren Beitritt beider Länder zur EU getroffen wird . Grundlage für die Verleihung des Beobachterstatus ist Artikel 28 der Verordnung (EG) 168/2007 zur Errichtung Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721616 (A) (C) (B) (D) der EU-Grundrechteagentur . Dieser sieht ausdrücklich die Möglichkeit vor, dass auch EU-Beitrittskandidaten- länder in die Arbeit eingebunden werden können . Die Grundrechteagentur soll Einrichtungen und Behörden der EU und ihrer Mitgliedstaaten in Grundrechtsfragen sowie bei der Umsetzung des Gemeinschaftsrechts un- terstützen . Sie stellt den europäischen Gesetzgebern bei der Festlegung von Maßnahmen Informationen und Ex- pertise zur Verfügung . Auch aus Sicht der Grundrechteagentur ist die Ein- beziehung Albaniens und Serbiens zu begrüßen, da die Arbeit der Agentur auf die Mitgliedstaaten der Europäi- schen Union sowie Beobachterländer beschränkt ist . Die Verleihung des Beobachterstatus sorgt folglich dafür, dass die Agentur ihre Arbeit auf die Republiken Albanien und Serbien ausweiten kann. Die notwendigen finanziellen Anpassungen im Haushaltsplan der Grundrechteagentur werden von den Bewerberländern entsprechend den Vor- gaben der zuvor genannten Verordnung getragen . Es bleibt festzuhalten, dass die Agentur der Europä- ischen Union für Grundrechte einen wichtigen Beitrag zur Wahrung und Verbreitung von Menschenrechten auf der Welt leistet . Sie kooperiert sehr erfolgreich mit den Vereinten Nationen und verfügt über ein dichtes Netz an Informationsstellen . Die Einbeziehung der Republik Albanien sowie der Republik Serbien ist nicht nur vor diesem Hintergrund zu unterstützen . Ich werbe daher für Ihre Zustimmung zum vorliegenden Gesetzentwurf . Norbert Spinrath (SPD): Heute beraten wir in zwei- ter und dritter Lesung einen Gesetzentwurf, dessen Ver- abschiedung es der Bundesregierung ermöglichen wird, der Einbeziehung Albaniens und Serbiens in die the- menspezifische Arbeit der EU‑Grundrechteagentur zu- zustimmen . Die Europäische Kommission hat einen ent- sprechenden Vorschlag im März letzten Jahres gemacht . Die SPD-Fraktion begrüßt diese Initiative ausdrücklich und wird daher dem Gesetzentwurf zustimmen . Es freut mich, dass alle Fraktionen diese Haltung teilen . Dafür gibt es gute Gründe . Wenn beide Länder als Beobachter an den Arbeiten der Grundrechteagentur mitwirken, ist das eine Chance . Denn die Analyse der Situation der Grundrechte in den beiden Beitrittskandi- datenländern kann deren Beachtung stärken und ihre Re- formagenda im Grundrechtsbereich stärken . Die Beteiligung an Agenturen der EU ist zwar prin- zipiell für Bewerberländer vorgesehen, aber durchaus kein Automatismus . Ich werte es als ausgesprochen gu- tes Zeichen, dass beide Länder eine Beteiligung an der Grundrechteagentur anstreben . Der mit der Erlangung des Beobachterstatus verbundene Schritt in Richtung Europäische Union ist sicher nicht der entscheidende . Er hat aber gleichwohl symbolische Bedeutung und fakti- sche Wirkung . Albanien trägt mit einer moderaten und manchmal moderierenden Außenpolitik zur Stabilität und Bere- chenbarkeit der Region bei . Dies gilt in Bezug auf den Konflikt zwischen Serbien und Kosovo wie auch auf die Situation in Mazedonien . Die Europäische Kommission hat dem Land stetige Fortschritte bei der Erfüllung poli- tischer Kriterien attestiert und Reformfortschritte gelobt . Vorbehaltlich glaubwürdiger und konkreter Fortschritte bei der Umsetzung der Justizreform empfahl die Kom- mission im November 2016 die Eröffnung von Beitritts- verhandlungen . Der noch immer schwache Rechtsstaat muss wei- ter gestärkt werden, wozu der Beobachterstatus bei der Grundrechteagentur einen Beitrag leisten kann . Serbien hat Fortschritte bei der wirtschaftlichen Entwicklung und über längere Zeit auch im Entspan- nungsprozess mit dem Kosovo gemacht . Einige Kapi- tel konnten bereits im Beitrittsprozess geöffnet werden . Schwächen zeigt das Land im Annäherungsprozess an die EU bei der Sicherung der Grundrechte im Rechts- staat, wie Pressefreiheit, Korruptionsbekämpfung und unabhängige Justiz . Deshalb begrüßen wir, dass Serbien einen Beobachterstatus bei der EU-Grundrechteagentur haben wird . Beide Länder müssen die notwendigen Reformen vo- rantreiben und tatsächlich umsetzen . Das ist ihre Verant- wortung . Doch wir verfolgen die Entwicklungen in der Region nicht nur mit Interesse; wir sollen sie auch un- terstützen . Die anderen Mitgliedstaaten haben dem Vor- schlag bereits zugestimmt, nun sollte dies auch Deutsch- land tun . Lassen Sie mich noch ein paar Worte zum Verfahren selbst verlieren . Wieso brauchen wir für diesen sicher wichtigen, aber keineswegs bahnbrechenden Kommis- sionsvorschlag ein bundesdeutsches Gesetz? Die Einbe- ziehung von Kandidatenstaaten ist doch schon seit der Errichtung der Grundrechteagentur im Jahre 2007 prinzi- piell als Möglichkeit vorgesehen . Dass jetzt für die konkrete Aktivierung dieser Mög- lichkeit ein Zustimmungsgesetz erforderlich ist, geht auf das Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerich- tes zurück . Die Besorgnis Karlsruhes hinsichtlich einer Machtausweitung der EU zulasten des Bundestages ist jedoch unbegründet . Trotzdem bleibt das Erfordernis ei- nes Gesetzes sinnvoll, alleine schon wegen der diszipli- nierenden Vorwirkung . Ich ermuntere die Republiken Albanien und Serbien ausdrücklich dazu, den Beobachterstatus insbesondere zur Implementierung weiterer Fortschritte auf dem Weg zur Rechtstaatlichkeit nach dem EU-Standard zu nutzen . Dies wäre ein wichtiger Schritt für den weiteren Beitritts- prozess und zur europäischen Integration . Andrej Hunko (DIE LINKE): Bei der Einrichtung der Grundrechteagentur im Jahr 2007 nannte die Men- schenrechtsorganisation Amnesty International diese ei- nen „zahnlosen Tiger“ . Der Grund: Sie bringe praktisch keinen Nutzen bei der Wahrung der Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger, ihr Mandat sei zu beschränkt, und es deute vieles darauf hin, dass die Struktur vor al- lem darauf ausgelegt ist, dass sich die Mitgliedstaaten in Sachen Grundrechte nicht reinreden lassen wollen . Dies hat sich seitdem weitgehend bestätigt . Dennoch hat die Agentur seit ihrer Gründung dreistellige Millionenbeträ- ge gekostet . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21617 (A) (C) (B) (D) Ich möchte noch einmal an die Bundestagsdebatte bei der Gründung der Agentur erinnern . Damals gab es erstaunlich wenige Meinungsverschiedenheiten, und er- staunlich viele haben unsere Kritik geteilt . Denn heute wie damals gilt, dass die eben genannten Millionenbe- träge in anderen Institutionen wesentlich besser aufge- hoben gewesen wären . Insbesondere der Europarat bietet ausgereiftere, erfahrenere und effektivere Institutionen zum Schutz der Grundrechte . Nicht umsonst gibt es die Europäische Menschenrechtskonvention und den Euro- päischen Gerichtshof für Menschenrechte, der sie durch- setzen soll . Die Parlamentarische Versammlung des Europarates mit ihren Monitoringverfahren wacht über die Einhaltung der Grundrechte in den Mitgliedstaaten . Doch eines haben sie alle gemeinsam: Sie sind chronisch unterfinanziert. Es ist vor allem deshalb ein riesiges Pro- blem, dass der EGMR einen Rückstau von Zehntausen- den Verfahren bearbeiten muss . Doch anstatt den Europarat endlich mit mehr Mitteln auszustatten, gingen die Regierungen der EU-Mitglied- staaten in die andere Richtung . Unter Zustimmung der Bundesregierung setzten sie auf eine teilweise Dopplung der vorhandenen Strukturen – möglicherweise war dies auch in einer potenziellen Schwächung des Europarates motiviert . Denn es wurde nicht allein die Grundrech- teagentur als unzureichende Parallelstruktur geschaf- fen; auch hat die EU den vertraglich vorgeschriebenen Beitritt zur Menschenrechtskonvention bis heute nicht vollzogen . Es sind diese Vorgänge, die mich doch sehr am wirklichen Willen der EU für den Grundrechteschutz zweifeln lassen . Es drängt sich der Eindruck auf, dass durch die Parallelstrukturen eine Definitionsmacht über Menschenrechtspolitik bei der EU verankert werden soll . In der Konsequenz bedeutet dies, dass der Europarat mit seinen Strukturen weiter geschwächt wird . Dies kritisie- ren wir aufs Schärfste . Nun existiert die Grundrechteagentur aber seit knapp zehn Jahren; sie ist eine Realität . Heute beraten wir die Frage, ob der deutsche Vertreter im Rat der EU zustim- men darf, dass Albanien und Serbien Beobachterstatus in der Grundrechteagentur bekommen . Dieser Schritt steht selbstverständlich im Kontext eines möglichen EU- Beitritts der beiden Länder . Auch wenn wir aufgrund der neoliberalen Verfasstheit der EU und ihrer militaristi- schen Tendenzen einen Beitritt kritisch sehen, so ist für uns immer klar gewesen: Wir stellen uns einem solchen Schritt nicht in den Weg, wenn er von der Bevölkerung der betroffenen Länder gewollt ist . Dazu stehen wir . Wir halten auch an der grundsätzlichen Kritik an der Unzulänglichkeit der Grundrechteagentur fest . Doch scheint mir, dass die Frage des Beobachterstatus Serbi- ens und Albaniens nicht der Ort ist, unsere Kritik an der Grundrechteagentur und der EU in abweichendem Ab- stimmungsverhalten zu äußern . Aus diesem Grund stim- men wir dem vorliegenden Gesetzentwurf zu . Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir begrüßen die Verleihung des Bobachterstatus an Al- banien und Serbien in der Grundrechteagentur der Eu- ropäischen Union . Die Republik Albanien ist seit dem 27 . Juni 2014 EU-Beitrittskandidat . Die Republik Serbi- en hat den Kandidatenstatus seit dem 1 . März 2012, und seit dem 21 . Januar 2014 werden Beitrittsverhandlungen mit dem Land geführt . Als Grüne unterstützen wir die europäische Perspek- tive für die Länder des westlichen Balkans . Grundvo- raussetzung dafür ist, wie bei allen bisherigen Beitritten, die Erfüllung der EU-Beitrittskriterien . Dabei legen wir großen Wert auf die Erfüllung der Kriterien im Bereich Rechtsstaatlichkeit, Justiz und Demokratie . Diese Berei- che werden in den Kapiteln 23 und 24 in den Beitrittsver- handlungen verhandelt . Anhand der EU-Fortschrittsberichte erhalten wir einen Überblick darüber, ob die Kandidatenländer Fortschritte oder Rückschritte in diesen Bereichen machen . Anhand zu erfüllender Beitrittskriterien können wir sehen, wel- che Bedingungen erfüllt werden müssen, um Verhand- lungskapitel zu öffnen . Die Fortschrittsberichte stellen für Serbien und Alba- nien weiterhin einen zu großen Einfluss der organisier- ten Kriminalität, Probleme bei der Unabhängigkeit der Justiz, Probleme mit grassierender Korruption und Ein- schränkungen bei der Presse- und Meinungsfreiheit fest . Deshalb ist es umso wichtiger, dass diese Länder bei ih- rer demokratischen Entwicklung und der Erfüllung der Beitrittskriterien unterstützt werden . Die Beteiligung an der Agentur für Grundrechte der EU als Beobachter wird den Grundrechtsschutz in beiden Ländern stärken . Neben der Veröffentlichung eines Jahresberichts zu Grundrechtsfragen und der Formulierung und Veröffent- lichung von Stellungnahmen für die EU-Organe und die Mitgliedstaaten ist es unter anderem Aufgabe der Agentur für Grundrechte, die Öffentlichkeit für Grundrechtsfra- gen zu sensibilisieren und aktiv über die eigene Tätigkeit zu informieren . Die Stärkung und Sensibilisierung von zivilgesellschaftlichen Akteuren für die Grundrechtsar- beit in den Ländern des westlichen Balkans hat für uns eine hohe Priorität, da diese die regierenden Eliten unter Druck setzen und rechtsstaatliche Reformen einfordern können . Auch Kroatien hat vor seinem Beitritt den Beobacht- erstatus in der Agentur für Grundrechte erhalten, dadurch konnten kroatische Zivilgesellschaftsorganisationen an der Grundrechteplattform der Agentur teilnehmen . Au- ßerdem wurde Kroatien bereits ein Jahr vor dem Beitritt 2013 in den Jahresbericht und die LGBT-Umfrage der Agentur aufgenommen . Wir befürworten, dass auch zukünftig in Albanien und Serbien über eine verstärkte Zusammenarbeit mit der EU in Grundrechtsfragen der Rechtsstaatsdialog gestärkt wird . Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Frank Tempel, Dr. André Hahn, weite­ rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Angleichung der Entschädigungsleistungen für NS­Opfer (Tagesordnungspunkt 20) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721618 (A) (C) (B) (D) Dr. André Berghegger (CDU/CSU): Die von deut- schen Staaten herbeigeführten Angriffskriege haben un- beschreibliches Leid über die Welt gebracht . Insbeson- dere das nationalsozialistische Regime hat zahlreichen unschuldigen Opfern alles genommen: das Leben, die Gesundheit, die Familie, den Besitz, die Heimat und vor allem die Menschenwürde . Die abscheulichen Taten sind mit Worten kaum zu beschreiben . Im Bewusstsein dieser Verantwortung hat sich Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges sehr um Aussöhnung mit den Opfern bemüht . Die Bun- desregierung hat der moralischen und finanziellen Wie- dergutmachung des vom NS-Regime verübten Unrechts von Anfang an eine besondere Priorität eingeräumt . Auch heute noch stellt sie sich dieser Aufgabe . Erlittenes Unrecht ist durch keinerlei Geldleistung wiedergutzumachen . Aber es ist selbstverständlich, dass begangenes Unrecht als solches klar benannt wird und die Geschädigten finanzielle Unterstützung erhalten. Sie sollen trotz der immensen psychischen und physischen Folgen ein würdiges Leben führen können . Insgesamt haben Bund und Länder auf dem Gebiet der Entschädigung für NS-Unrecht bis Ende 2015 rund 74,5 Milliarden Euro erbracht . Diese Summe ergibt sich aus mehreren Regelungen und Vereinbarungen, die im Laufe der Jahre getroffen worden sind . Es hat dabei auch immer wieder Anpassungen, Klarstellungen und Erhö- hungen gegeben . Dabei ist allerdings in zwei Bereiche zu unterteilen . So gibt es einerseits gesetzliche Ansprüche und anderer- seits außergesetzliche Leistungen . Im Oktober 1953 ist das Bundesentschädigungsge- setz in Kraft getreten . Dieses sieht einen Ausgleich für einen näher bestimmten Schaden vor, der durch NS-Un- rechtsmaßnahmen entstanden ist . Das Gesetz war mit einer Frist bis Ende 1969 vorgesehen . Mit Ablauf die- ses Datums konnten keine Anträge mehr auf die gesetz- lichen Entschädigungsansprüche gestellt werden . Diese Schlussfrist ist auch durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt worden . Für NS-Verfolgte im Sinne des § 1 Bundesentschädi- gungsgesetz, die keine gesetzlichen Ansprüche geltend machen konnten, sind in den Folgejahren außergesetz- liche Leistungen gewährt worden . Dazu sind eine Reihe außergesetzlicher Wiedergutmachungsregelungen für jü- dische und nicht jüdische NS-Verfolgte geschaffen wor- den . Die Mehrzahl der heute noch lebenden NS-Verfolg- ten erhält Leistungen aufgrund dieser außergesetzlichen Regelungen . Entsprechend bilden diese Leistungen heute den größten Teil der Wiedergutmachungsausgaben . Die gesetzlichen und außergesetzlichen Leistungen unterscheiden sich in ihrer Ausgestaltung . Während das Bundesentschädigungsgesetz einen gesetzlichen An- spruch auf Entschädigung für verfolgungsspezifische Schäden begründet, sehen die außergesetzlichen Härte- regelungen freiwillige Leistungen unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes des Artikels 3 Grundge- setz auf der Grundlage des Haushaltsgesetzes vor . Die gesetzlichen Ansprüche richten sich in der Höhe nach dem durch die Verfolgung verursachten Schaden . Die außergesetzlichen Leistungen hingegen sind zumeist als pauschale Beihilfen zum Lebensunterhalt mit geringeren Anforderungen für die Gewährung ausgestaltet und wer- den bei Vorliegen eines bestimmten Verfolgungsschick- sals gewährt . Eine Gleichbehandlung der im vorliegenden Antrag angesprochenen Opfergruppen muss also an den Opfer- gruppen ausgerichtet werden, die zwar NS-Verfolgte im Sinne des Bundesentschädigungsgesetz sind, aber we- gen der Schlussfrist keine gesetzlichen Entschädigungs- ansprüche geltend machen können . Es kann deshalb nur eine Gleichbehandlung im Rahmen dieser außergesetz- lichen Regelungen in Betracht kommen . Entsprechend verfährt die Bundesregierung . Mit dem Schicksal der im Antrag erwähnten „Zwangs- germanisierten“ hat sich der Deutsche Bundestag im Rahmen eines Petitionsverfahrens ausführlich befasst . Im Mai 2014 hat der Deutsche Bundestag der Beschluss- empfehlung des Petitionsausschusses zugestimmt, indivi- duelle Entschädigungsforderungen nicht zu unterstützen . Zugleich hat er angeregt, die „Zwangsgermanisierten“ durch Projekte der Erinnerungskultur zu würdigen . Diese Empfehlung hat die Bundesregierung aufgegrif- fen . Über verschiedene Förderprogramme der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ ist im Rah- men von Projekten das Thema „Zwangsgermanisierung“ behandelt worden . Die Projektarbeit durch die Stiftung ist derzeit bis 2018 gesichert . Insoweit besteht aus unse- rer Sicht kein Handlungsbedarf . Es ist unsere Pflicht, uns der historischen Verantwor- tung bewusst zu bleiben und das Gedenken an die Opfer wachzuhalten . Ein solches Terrorregime darf sich nicht wiederholen . In diesem Bewusstsein können wir als Deutsche die Zukunft gestalten . Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Die nationalsozialis- tische Diktatur in Deutschland fügte Millionen von Men- schen unendliches Leid zu . Menschen wurden aufgrund ihrer Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung ver- folgt . Politische Gegner wurden mit Gewalt bekämpft . Viele Opfer mussten diese Diktatur mit ihrem Leben bezahlen . Für andere Opfer hat diese Diktatur Wunden hinterlassen, die bis zum Lebensende nicht verheilen würden . Mit Gründung der Bundesrepublik Deutschland haben sich die jeweiligen Bundesregierungen für eine Entschä- digung und Rehabilitierung der Opfer des Nationalsozi- alismus eingesetzt . Als wesentlicher Schritt sei hier das Bundesentschädigungsgesetz genannt, welches im Okto- ber 1953 in Kraft trat . In der Folgezeit wurde ein einzel- fallgerechtes System aus gesetzlichen Ansprüchen nach dem Bundesentschädigungsgesetz und außergesetzlichen Leistungen nach den Härterichtlinien für Opfer von na- tionalsozialistischen Unrechtsmaßnahmen entwickelt . Für die gesetzlichen Ansprüche kommt es folgerichtig auf den konkreten Schaden an, der durch die Verfolgung erlitten wurde . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21619 (A) (C) (B) (D) Die Regierungskoalition hat in dieser Wahlperiode die Arbeit kontinuierlich fortgesetzt . Der Haushaltsaus- schuss des Deutschen Bundestages sprach im Mai 2015 den sowjetischen Kriegsgefangenen Entschädigungen in Höhe von 10 Millionen Euro zu . Den vermutlich noch 4 000 Überlebenden wird eine einmalige finanzielle An- erkennungsleistung von etwa 2 500 Euro zuteil . Allen Opfern des Nationalsozialismus ist jedoch ein Punkt gemeinsam: Das erlittene Unrecht wird in Geld niemals aufzuwiegen sein . Zu tief sitzen die Geschehnis- se aus dieser schwarzen Zeit deutscher Geschichte . Uns ist es daher ein großes Anliegen, dass die Op- fer nicht allein gelassen werden . Wir werden in diesem Hause auch am morgigen Tag, dem 27 . Januar, wieder der Opfer des Nationalsozialismus gedenken . Diese Ges- te sind wir den Opfern in Verantwortung der deutschen Geschichte schuldig . Ich möchte noch darauf eingehen, warum wir dennoch diesen Antrag ablehnen werden: Eine Gleichstellung von Leistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz und solchen aufgrund der Härterichtlinien für Opfer von na- tionalsozialistischen Unrechtsmaßnahmen würde eine Gleichbehandlung von ungleichen Sachverhalten bedeu- ten . Die gesetzlichen Ansprüche nach dem Bundesent- schädigungsgesetz richten sich in der Höhe nach dem konkreten Schaden . Die außergesetzlichen Leistungen werden hingegen als pauschale Beihilfen zum Lebensun- terhalt bei Vorliegen eines konkreten Verfolgungsschick- sals gewährt . Wir sollten vielmehr in die Zukunft investieren . Im Hinblick auf eine sinkende Sensibilität für das national- sozialistische Unrechtsregime durch gewisse politische Mitbewerber muss uns das entschiedene Eintreten gegen Hass und Hetze in unserer Gesellschaft wieder bewusst werden . Wir treten als aufrechte Demokraten für eine to- lerante Gesellschaft ein und sind uns unserer geschichtli- chen Verantwortung bewusst . Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD): Lassen Sie mich zu Beginn eines klarstellen: Das erlittene Unrecht und die unvorstellbaren Qualen unzähliger Menschen, die durch die NS-Verbrechen verursacht wurden, sind durch nichts wiedergutzumachen . Es ist für uns aber eine selbstverständliche moralische Verpflichtung, das erlittene Unrecht der NS‑Opfer da- durch anzuerkennen, dass wir nicht nur ständig an das begangene Unrecht erinnern und gedenken, sondern auch den betroffenen lebenden Menschen eine finanzielle An- erkennung zukommen lassen . Und hierfür ist auch be- reits eine Menge getan worden . So hat der Bundestag in den Jahren 1956 und 1957 das Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der national- sozialistischen Verfolgung (BEG) sowie das Allgemeine Kriegsfolgengesetz (AKG) verabschiedet, zu denen in den folgenden Jahrzehnten auch Härtefonds und Härtere- gelungen eingerichtet wurden . Und gerade bei den Fonds und Härteregelungen können Betroffene, anders als beim BEG und AKG, auch heute noch Anträge stellen . Seit der Verabschiedung des Bundesgesetzes zur Ent- schädigung für Opfer der nationalsozialistischen Ver- folgung hat sich einiges getan . Denn im Sinne des BEG galten nur diejenigen als Verfolgte, die aus „rassischen“ und religiösen und weltanschaulichen Gründen sowie aufgrund politischer Opposition verfolgt wurden . Bis zur letzten Antragsfrist im Jahr 1969 wurden nur diejenigen entschädigt, auf die diese strenge Definition zutraf. Alle anderen NS-Verfolgten, die sogenannten Opfer „sons- tigen Staatsunrechts“, erhielten höchstens Leistungen nach dem Allgemeinen Kriegsfolgengesetz . Heute sind die Fristen für die Antragstellung schon lange verstrichen . Es können also keine neuen Anträge, mit Ausnahme sogenannter Verschlimmerungsanträge, gestellt werden . Das ist beispielsweise eine Rentenneu- bemessung, wenn sich der Gesundheitszustand eines Be- troffenen verschlimmert . Da viele Antragsteller seinerzeit die Fristen für Entschädigungsansprüche gemäß BEG und AKG versäumt haben, hatte die Bundesregierung die Lücke geschlossen und Fonds im Sinne des § 171 BEG eingerichtet sowie die sogenannten AKG-Härterichtli- nien geschaffen, die nicht an die Einhaltung einer Frist gebunden sind . Das heißt, diese Personen können auch heute noch Anträge auf Geldleistungen stellen . Hierzu gibt es: Erstens . Härtefonds für rassisch Verfolgte nicht jüdi- schen Glaubens: Dieser Härtefonds wurde für NS-Ver- folgte eingerichtet, die aufgrund der Nürnberger Rassen- gesetze als Juden verfolgt wurden, obwohl sie nicht der jüdischen Glaubensgemeinschaft angehörten . Ich möchte betonen, dass dieser Fonds unter bestimmten Bedingun- gen auch für verfolgte Ehepartner, Kinder und Enkel von Juden offensteht . Er gilt zudem für Menschen, die we- gen ihrer Hilfeleistungen zugunsten jüdischer Verfolgter selbst zu NS-Verfolgten wurden . Zweitens . Härtefonds zugunsten Verfolgter nicht jü- discher Abstammung: Dieser Fonds wurde für nicht jü- dische NS-Verfolgte eingerichtet, die zwar Verfolgte im Sinne des BEG waren und aufgrund ihrer Verfolgung einen Gesundheitsschaden erlitten, aber aus ausschließ- lich formellen Gründen keinen Antrag nach BEG stellen konnten . Drittens . Härtefonds für jüdische Verfolgte: Jüdische Verfolgte stehen Härteleistungen nach dem Hardship Fund, dem Article 2 Fund mit der Jewish Claims Con- ference aus dem Jahr 1992 und dem Central and Eastern Europe Fund (CEEF) zu . Dieser Fonds wurde eingerich- tet, um vorliegende Härten für solche Verfolgte auszu- gleichen, die an der Einhaltung der Antragsfrist gehindert waren . Diese Fonds stehen vor allem NS-Verfolgten im Ausland offen, aber auch deutschen Opfern des NS-Re- gimes . Viertens . Als letzte wichtige Entschädigungsleistung möchte ich noch die AKG-Härterichtlinien erwähnen . Diese wurden erlassen, da die Bestimmungen des AKG nicht ausreichend waren und zahlreiche Opfer des Na- tionalsozialismus nicht entschädigt werden konnten . Hiernach können grundsätzlich alle durch den Natio- nalsozialismus geschädigten Personen, die aufgrund ih- rer körperlichen oder geistigen Verfassung oder wegen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721620 (A) (C) (B) (D) ihres gesellschaftlichen oder persönlichen Verhaltens vom NS-Regime als Einzelne oder als Angehörige von Gruppen angefeindet und verfolgt wurden, einen Antrag auf Entschädigungsleistungen stellen . Hierzu zählen un- ter anderem auch „Euthanasieopfer“, Zwangssterilisierte und Homosexuelle . Sie sehen also, wir unterscheiden zwischen gesetzli- chen Ansprüchen des BEG und den außergesetzlichen Leistungen zum Ausgleich besonderer Härten wie die eben bereits erwähnte Article-2-Vereinbarung . Während das BEG einen gesetzlichen Anspruch auf Entschädi- gung für verfolgungsspezifische Schäden begründet, sehen die außergesetzlichen Härteregelungen freiwillige Leistungen unter Beachtung des Gleichbehandlungsge- botes des Artikels 3 Grundgesetz auf der Grundlage des Haushaltsgesetzes vor . Insgesamt ist festzustellen, dass Bundestag und Bundesregierung bis zum heutigen Tag ihrer morali- schen Verpflichtung zur Entschädigung von Opfern des NS-Regimes nachkommen . So sind bis zum 31 . Dezem- ber 2015 Mittel in Höhe von 47,755 Milliarden Euro für BEG-Leistungsempfänger ausgezahlt worden . In Durchführung der AKG-Härterichtlinien wurden bis zum 31 . Dezember 2015 1,289 Milliarden Euro gezahlt . Hier- bei sind auch einmalige Leistungen aufgrund eines Er- lasses des BMF aus dem Jahre 1980 erfasst . Im Rahmen des Artikel-2-Abkommens sind im gleichen Zeitraum 6,369 Milliarden Euro gezahlt worden . Auch ist es im Einklang mit den AKG-Härterichtlini- en nachvollziehbar und folgerichtig, dass einmalige oder laufende Leistungen grundsätzlich nur Menschen erhal- ten, die selbst unmittelbar den NS-Unrechtsmaßnahmen ausgesetzt waren . Die AKG-Härterichtlinien stehen daher im Einklang mit den entsprechenden dem BEG nachfolgenden Regelungen für jüdische Opfer des Natio- nalsozialismus . Insofern ist die in den Entschädigungsge- setzen festgelegte Unterscheidung zwischen mittelbarer und unmittelbarer Betroffenheit zutreffend . Nun zu Ihrem Antrag, Kolleginnen und Kollegen der Linken . Ich bin schon ein wenig verwundert, aber auch verärgert, dass Sie uns erst am Mittwoch einen Antrag für die Plenardebatte am Donnerstag zu dem Thema „Anglei- chung der Entschädigungsleistungen für NS-Opfer“ ein- reichen, ohne auch nur im entferntesten im Vorfeld eine inhaltliche Diskussion zu diesem Thema zu suchen . Im Rahmen der von Ihnen erhobenen Forderung, die „Zwangsgermanisierten“ als neue Gruppe von NS-Op- fern im Sinne der Härtefallrichtlinien anzuerkennen, hat sich der Deutsche Bundestag bereits im Mai 2014 in der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ausführ- lich auseinandergesetzt und klargestellt, individuelle Entschädigungsforderungen nicht zu unterstützen . Wie Sie wissen müssen, hat er aber angeregt, die „Zwangs- germanisierten“ durch Projekte der Erinnerungskultur zu würdigen, welches die Stiftung „Erinnerung, Verantwor- tung und Zukunft“ (EVZ) auch durch viele Programme umfassend bis 2018 fördert . Zudem – und dies möchte ich abschließend noch er- wähnen – ist es mir völlig unerklärlich, warum Sie erst heute einen solchen Antrag stellen . Sie hätten Gelegen- heit gehabt, vor Verabschiedung des Haushalts 2017 zu erörtern, ob Mittel des Haushaltes zur Verfügung stehen, so wie wir es seinerzeit auch für die Entschädigungsleis- tungen für sowjetische Kriegsgefangene gemacht ha- ben . Nichts dergleichen ist passiert . Ich halte daher Ihre Vorgehensweise für unseriös und den Interessen der be- troffenen lebenden Menschen nicht dienlich . Aus vorge- nannten Gründen lehne ich daher Ihren Antrag ab . Ulla Jelpke (DIE LINKE): Es ist im Deutschen Bun- destag eine gute Tradition, dass am 27 . Januar, dem Ge- denktag für die Opfer der NS-Verfolgung, Vertreterinnen und Vertreter der verschiedenen Opfergruppen sprechen . In diesem Jahr wird es der Schauspieler Sebastian Ur- banski sein, der das Down-Syndrom hat . Er wird aus ei- nem Brief von Ernst Putzki lesen, der von den Nazis we- gen einer geistigen Behinderung ermordet worden war . Das sind durchaus würdige Gedenkveranstaltungen . Die Wahrheit ist aber auch – und darum geht es im An- trag der Linken –: Hätte Ernst Putzki die Nazizeit über- lebt, er hätte in der Bundesrepublik keine Entschädigung erhalten . Denn im deutschen Entschädigungsrecht gibt es bis heute gravierende Ungleichbehandlungen . Diese will unser Antrag beseitigen: Die Linke fordert, dass alle, die von den Nazis verfolgt worden sind, die gleichen Ent- schädigungsleistungen erhalten . Als in den 1950er- und 1960er-Jahren über die Anträ- ge nach dem Bundesentschädigungsgesetz entschieden wurde, sind etliche Opfergruppen einfach ausgeschlossen wurden . Für Homosexuelle, für Opfer der Wehrmachts- justiz, für verfolgte Sinti und Roma, für Kommunistinnen und Kommunisten, für sogenannte Asoziale und eben auch für Zwangssterilisierte und Euthanasiegeschädigte gab es in aller Regel keine Leistungen . Denn all diese Opfergruppen sind noch über Jahrzehnte hinweg stigma- tisiert und diskriminiert worden . Sie galten als Verrückte, als Schädlinge, als Verräter, denen unterstellt wurde, für ihr Verfolgungsschicksal selbst verantwortlich gewesen zu sein . Ein augenfälliges Beispiel dafür ist etwa, dass im Deutschen Bundestag zu einer Anhörung im Jahr 1961 ausgerechnet drei Mediziner als Sachverständige einge- laden worden sind, die direkt an Verbrechen im Namen der „Rassenhygiene“ beteiligt waren . Erst in den letzten Jahren sind viele dieser Opfergrup- pen endlich politisch und zum Teil auch juristisch reha- bilitiert worden . Es wurden Denkmäler gebaut; es gibt nette Gedenkfeiern – aber Entschädigungsleistungen erhalten sie noch immer nicht . Denn Anträge nach dem Bundesentschädigungsgesetz können seit 1969 nicht mehr gestellt werden . Für all diese Opfergruppen, die ich eben aufgezählt habe, gilt also: Erst hat man ihnen die Entschädigung verweigert, und heute, wo sie endlich als Naziopfer aner- kannt sind, wird ihnen gesagt, sie hätten die Antragsfrist verpasst . Diese Logik ist ungeheuerlich zynisch . Wenn sie Glück haben, werden sie mit Einmalzahlun- gen nach den Härterichtlinien des Allgemeinen Kriegsfol- gengesetzes abgespeist . Nur eine Handvoll Opfer erhält monatliche Zahlungen . Das sind aber ausdrücklich nur Härteleistungen, die wesentlich geringer sind als Leis- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21621 (A) (C) (B) (D) tungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz . Nur zum Vergleich: Während die durchschnittliche Rente nach dem Bundesentschädigungsgesetz 651 Euro beträgt, be- lief sich die Einmalzahlung nach den Härterichtlinien auf 2 500 Euro . Die Entschädigung für erlittene Verfolgung, für die Ermordung von Angehörigen, für den Verlust von Lebensperspektiven oder materiellen Gütern wird diesen Überlebenden nach wie vor verweigert . Nachdem man sie jahrzehntelang nicht einmal als Opfer anerkannte, werden sie heute als Opfer zweiter Klasse diskriminiert . Wir haben die Bundesregierung in den vergangenen Jahren wiederholt auf diese Ungerechtigkeiten hingewie- sen . Wir haben gefragt: Mit welcher Begründung wer- den die einen NS-Opfer schlechter behandelt als andere NS-Opfer? Die Antwort der Bundesregierung war immer die gleiche: Die Entschädigungsfrage sei schon längst „er- folgreich“ gelöst . Das ist eine dreiste Lüge, mit der die Bundesregierung den Überlebenden direkt ins Gesicht schlägt . Denn die jahrzehntelange Ungleichbehandlung und die bis heute andauernde Ignoranz gegenüber dieser Problematik werden von vielen Überlebenden als weitere Diskriminierung, als Nichtanerkennung ihrer Verfolgung und des faschistischen Unrechts wahrgenommen, und das völlig zu Recht; auch die Linke hält diese Praxis für empörend . Überfällig ist schon längst, dass endlich die Betroffe- nen der sogenannten Zwangsgermanisierung entschädigt werden . Zehntausende von Kindern – die genaue Zahl ist nicht bekannt – sind aus den besetzten Gebieten ent- führt worden, weil die Nazis sie für ausreichend „arisch“ hielten . Sie wurden ihren Eltern geraubt oder aus Kin- derheimen verschleppt und verbrachten ihre Kindheit bei Nazieltern oder in Heimen des Lebensborns . Etliche der Betroffenen berichten über erlittene Misshandlungen, wenn sie nicht den Vorstellungen ihrer faschistischen Kidnapper entsprachen: Es wurde ihnen Essen entzogen; sie wurden im Schnee ausgesetzt, geschlagen . Karl Vi- tovec de Gereben, der als Achtjähriger ins Reichsgebiet verschleppt worden war und mit dem ich seit Jahren in Verbindung stehe, berichtet, man habe ihn misshandelt, wenn er nicht wusste, wann Hitler Geburtstag hatte . Ich hoffe, alle hier im Haus haben genügend Empa- thie, um sich wenigstens annähernd vorzustellen, wel- che Traumatisierungen die Betroffenen bis heute quälen . Diese Menschen wurden aufgrund der rassistischen Vor- stellungen der Nazis entführt und misshandelt . Aber die Entschädigungsgesetze berücksichtigen sie nicht, und die Bundesregierung zuckt mit den Schultern . Darin verbirgt sich eine solche Kälte, eine solche Ignoranz gegenüber den Naziopfern, dass es einen schaudern lässt . Ich meine: Deutschland ist es den Naziopfern schul- dig, sie anständig zu behandeln – und zwar alle . Man kann nicht Gedenkveranstaltungen für die Toten durch- führen und den Überlebenden die kalte Schulter zeigen . Man darf auch nicht die einen Naziopfer gegen die ande- ren ausspielen . Deswegen beantragt die Linke, dass alle Naziopfer, auch die sogenannten Zwangsgermanisierten, genau die gleichen Entschädigungsleistungen erhalten, wie sie auch jenen zugestanden wurden, die Leistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz beziehen . Wenn sich die Regierungsfraktionen dieser morali- schen Pflicht entziehen, degradieren sie damit die Ge- denkveranstaltungen zur reinen Heuchelei . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Geschichte der Entschädigung und Rehabilitierung der Opfer des Nationalsozialismus ist und war ein quä- lend langer Kampf um historische Wahrheit und Abmil- derung von Ungerechtigkeiten . Viele Kapitel dieses Kampfes waren alles andere als ein Ruhmesblatt für die deutsche Nachkriegsgeschichte: In einem skandalösen Urteil sagte der BGH 1956 im Na- men des Volkes, staatliche Verfolgungsmaßnahmen vor 1943 seien legitim gewesen, weil sie von „Zigeunern“ durch „eigene Asozialität, Kriminalität und Wander- trieb“ selbst veranlasst gewesen seien . Das Bundesver- fassungsgericht sprach 1957 der NS-Fassung des § 175 StGB den nationalsozialistischen Unrechtscharakter ab . Mit dem KPD-Verbot verloren im Westen viele Kommu- nisten auch ihre Entschädigungsleistungen . Wehrmachts- deserteure und Homosexuelle mussten bis 2002 auf die Aufhebung ihrer Urteile warten . Erst 2007 ächtete der Bundestag das Erbgesundheitsgesetz hinsichtlich aller Konsequenzen für Zwangssterilisierte . Als nationalsozi- alistisches Unrecht hat er dies bis heute nicht anerkannt . Dies alles hatte nachteilige entschädigungsrechtliche Konsequenzen . Und auch die grundsätzlich nach dem BEG Berech- tigten waren unzähligen Beschränkungen, Fristen und Hürden für eine halbwegs angemessene Entschädigung ausgesetzt . Nach dem 31 . Dezember 1969 konnten auch für jüdische Holocaust-Überlebende keine neuen Anträ- ge mehr gestellt werden . Härtefonds nach BEG und AKG, Landeshärtefonds, Verbesserungen der Härtefondleistungen, Ghettorenten- gesetz und Zwangsarbeiterentschädigung folgten . Ja, man kann die deutsche Geschichte nicht auf zwölf Jahre reduzieren, das gilt leider insbesondere für die Ge- schichte des Unrechts gegenüber den Verfolgten . Es gab eine Kontinuität von Mentalitäten, die Unrecht nicht se- hen wollten oder es verdrängten . Die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern des Nationalsozialismus ist ein zäher und von vielen Am- bivalenzen geprägter Prozess gewesen . Im Antrag wird richtig festgestellt, dass es in den letzten Jahrzehnten durch viele, oft auch politische Gründe Ungleichbehand- lungen und große Diskrepanzen in der Erarbeitung von Entschädigungsleistungen für verschiedene Opfergrup- pen gab . Seit den 1980er- und 1990er-Jahren wurden viele der offenen Fragen zur Entschädigung von NS-Opfern diskutiert, kritisiert und an vielen Stellen nachgebes- sert . Vor allem mit Blick auf die „vergessenen“ Opfer, die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, Sinti und Roma, Zwangssterilisierten oder Euthanasiegeschädig- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721622 (A) (C) (B) (D) ten, sowie die verschiedenen Verfolgungsschäden konn- ten Verbesserungen erreicht werden . Trotz aller Verbesserungen gibt es ein unübersicht- liches Sammelsurium an unterschiedlichen Entschädi- gungsleistungen, die gesetzlich und außergesetzlich ge- regelt sind . Dies ist aus der Perspektive der Opfer mit Blick auf Gleichbehandlung, Gerechtigkeit, Transparenz und Nachvollziehbarkeit nicht zu rechtfertigen . Insofern sind wir offen für die Vorschläge zu Ver- besserungen . Ob wir die Grundsatzfrage anpacken oder noch einmal Leistungsverbesserungen versuchen, sollten wir im Ausschuss diskutieren . Zumindest eine Nachvollziehbarkeit herzustellen, die sich nicht nur darauf beruft, dass es unterschiedliche ge- setzliche oder außergesetzliche Regelungen sind, die zur Ungleichbehandlung führen – wie die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage vom 16 . No- vember 2015 (Drucksache 18/6719) argumentiert –, wäre zielführend . Darum halte ich das Anliegen grundsätzlich für rich- tig, insbesondere bei Betroffenen, die bisher in ungenü- gender Weise – wenn auch nur symbolisch – mit ihrem Schicksal gewürdigt wurden, wie etwa die im Antrag ge- nannte Opfergruppe der „Zwangsgermanisierten“ . Diese „geraubten Kinder“ gehören einer Opfergruppe an, die im deutschen gesellschaftlichen Bewusstsein bisher so gut wie nicht vorkommt . Die Tatsache, dass diesen – damaligen – Kindern und ihren Eltern ein – wenn auch unblutiges – nationalsozialistisches Unrecht widerfahren ist, ist unbestreitbar . Mit der Anerkennung als Opfergruppe auch die Fra- ge einer finanziellen Entschädigung aufzuwerfen, ist für mich nachvollziehbar . Der vorliegende Antrag lässt dabei aber noch Fragen offen: Wer sind die Entschädigungsberechtigten? Die Kin- der, oder auch deren Eltern, denen man die Kinder ge- raubt hat? Wird ein symbolisch identisches Gesamtschicksal unterstellt oder nach Schwere der heutigen Folgen der Gewaltmaßnahme, etwa gesundheitlichen, sozialen und psychischen Folgen, unterschieden? In welcher Höhe sollten die Betroffenen im Verhält- nis zu anderen Opfergruppen entschädigt werden, die ein physisch und psychisch möglicherweise gewaltsameres Verbrechen zur Zeit des Nationalsozialismus erlitten ha- ben? 72 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus und angesichts des den Opfern zugefügten Leids sind finanzi- elle Entschädigungen heute vor allem eine symbolische Würdigung ihres Schicksals . Die meisten Opfer sind inzwischen von uns gegangen . Dennoch dürfen wir er- kannte Not und erkanntes Unrecht nicht unbeantwortet lassen . Lassen Sie uns im Ausschuss diskutieren, ob wir von dem Unrecht des Nationalsozialismus und der zu späten Aufarbeitung noch etwas abtragen können . Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Biodiversität schützen – Taxonomische Forschung ausbauen (Tagesord­ nungspunkt 23) Sybille Benning (CDU/CSU): „Wer zählt die Völker, nennt die Namen?“, heißt es in Schillers Ballade „Die Kraniche des Ibykus“ . Für unser Thema heute möchte ich sagen: „Wer zählt die Arten, nennt die Namen?“ . Das Entdecken, Benennen und Einordnen – das waren schon zu Zeiten von Carl von Linné die ersten Schritte der Biologie . Und das genau ist die Aufgabe der Taxono- men: die Beschreibung und Klassifikation der uns umge- benden Vielfalt der Arten . Dieser Forschungszweig rückt selten ins Licht der Öffentlichkeit . Der geneigte Leser konnte allerdings vor wenigen Tagen die Entdeckung einer Benennung einer neuen Mottenart in den Medien verfolgen . Wegen ihrer orangen, haartollenförmigen Kopfschuppen gab ihr der Entdecker den Namen: „Neopalpa donaldtrumpi“ . Doch die Bestimmung der Arten erfolgt heutzutage nicht allein aufgrund phänotypischer Merkmale . Zur- zeit erlebt die Taxonomie eine technologische Revoluti- on . Die rasche Entwicklung von molekularbiologischen Hochdurchsatzmethoden, den sogenannten OMICS-Me- thoden zur Sequenzierung und Analyse von Erbinforma- tion, Proteinen und Stoffwechselprodukten, eröffnet den Biowissenschaften völlig neue Dimensionen: Bisher un- bekannte Arten werden in hoher Zahl entdeckt, und der Artbildungsprozess kann erstmals auf der Ebene der ge- samten Erbinformation verfolgt werden . Mit diesen neuen molekularbiologischen Möglichkei- ten wächst auch die Bedeutung der integrativen Taxo- nomie erheblich . Kurz gesagt: Taxonomen laufen nicht mehr nur mit einem Schmetterlingsnetz durchs Feld . Sie nutzen Sequenzierungsmaschinen, um herauszufinden, ob sie eine neue Art gefunden haben und wo im Stamm- baum sie sich am besten einordnen lässt . Die Taxonomie leistet so wichtige Dienste für Lebensmitteltechnik, per- sonalisierte Medizin, Ökologie und Landwirtschaft . Problematisch scheint gerade angesichts dieser ra- santen Entwicklung, dass die taxonomische Ausbildung und Forschung an den Universitäten in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr zurückgefahren wurde . Die Leopoldina hat darum 2014 einen Bericht mit Empfehlungen zur Erforschung der Biodiversität vorge- legt, der Deutschland als einen der führenden Standorte moderner integrativer taxonomischer Forschung sichern und in die Zukunft führen soll, die uns auch für unseren Antrag eine wertvolle Hilfe war . Die Bedeutung der Taxonomie und ihr Bedarf einer Förderung in Forschung und Lehre wird auch von Bun- desseite erkannt . Mit der „Nationalen Strategie zur bio- logischen Vielfalt“ (NBS) verfolgt die Bundesregierung das Ziel, bis zum Jahr 2020 den Rückgang der biologi- schen Vielfalt zu stoppen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21623 (A) (C) (B) (D) Im Hinblick auf Handlungsziele und konkrete Maß- nahmen wird darin ausdrücklich auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Taxonomie zu stärken . Auch in der Agrobiodiversitätsstrategie wird auf die Bedeutung der Taxonomie verwiesen . Das Bundesministerium für Bil- dung und Forschung (BMBF) fördert gemeinsam mit den Ländern die drei großen naturkundlichen Forschungs- museen der Leibniz-Gemeinschaft, die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, das Museum für Natur- kunde Berlin sowie das Zoologische Forschungsmuseum Alexander Koenig in Bonn . Die Sammlungen dieser drei Häuser umfassen zusam- men mehr als 75 Millionen Objekte . Auch die Genbanken werden weit überwiegend mit Bundesmitteln betrieben . Die Forschungsmuseen haben sich dabei der Herku- lesaufgabe verschrieben, ihre Objekte zu digitalisieren und der Forschung in aller Welt zur Verfügung zu stellen . Die Kenntnis klassischer Methoden zur Beschreibung und Klassifizierung ist dabei ebenso wichtig wie die An- wendungen moderner OMICS-Methoden . Ein wichtiges Projekt ist auch das Verbundprojekt „German Barcode of Life“ (GBOL) . Hier engagiert sich der Bund seit 2011 mit einem Volumen von 11 Millionen Euro . Das Projekt verfolgt das Ziel, die Artenvielfalt in Deutschland an- hand ihres genetischen DNA-Barcodes, das heißt sozu- sagen ihres Fingerabdrucks, zu erfassen . Zudem beteiligt sich der Bund umfassend an der Finanzierung großer Baumaßnahmen an den Standorten der drei Forschungs- museen . Um die Expertise in der taxonomischen Forschung zu halten, ist es in Zukunft wichtig, eine bessere Vernetzung von universitärer und außeruniversitärer Forschung und Lehre sowie die gezielte Vermittlung und Anwendung von OMICS-Methoden zu erreichen . Darauf weisen wir in unserem Antrag hin . Ein guter Ansatz wären hier Schwerpunktprogramme für integrative Taxonomie, die zur Kooperation mit au- ßeruniversitären Forschungseinrichten anregen . Für die Forschenden und die zahlreichen ehrenamtlichen Akteu- re, die sich in der Taxonomie engagieren, wäre es nütz- lich, Kompetenznetzwerke für integrative Taxonomie zu unterstützen, die als Ansprechpartner dienen können . Während der Weltbiodiversitätsrat seit einigen Jahren auf internationaler Ebene erfolgreich arbeitet, gewinnen auch europaweite Forschungsansätze immer mehr an Bedeutung . Hier wäre es wünschenswert, wenn sich die Bundesregierung dafür einsetzt, ein Programm für die Erfassung der Arten des europäischen Festlands und sei- ner maritimen Gebiete aufzulegen . Wir geben in unserem Antrag notwendige Impulse für die Stärkung der taxonomischen Forschung und damit zur Biodiversitätsforschung in Deutschland . Ich würde mich freuen, wenn Sie unserem Antrag zustimmen . Dr. Philipp Lengsfeld (CDU/CSU): Da meine Kol- legin Frau Benning die Definition der Taxonomie und ihre große Bedeutung bereits hinlänglich erläutert hat, bedarf es keiner weiteren Erklärung der Nomenklatur meinerseits . Dennoch möchte auch ich Bezug nehmen auf das 19 . Jahrhundert, dem Zeitalter der Gründung vieler Forschungsmuseen, genauer gesagt auf Alexander von Humboldt, einem Pionier auf dem Gebiet der Taxo- nomie, noch vor Charles Darwin, welcher zu Lebzeiten große Bewunderung für Humboldt empfand . Heute ist er der Namenspatron einer der großen Universitäten Ber- lins, die es sich einst zur Aufgabe machte, sein Erbe fort- währen zu lassen . So ist es umso erstaunlicher, dass die Taxonomie und die Errungenschaften Humboldts keinen großen Stellen- wert mehr in der universitären Forschung und der Lehre einnehmen . Dabei reicht dieser unterschätzte und man möchte fast sagen vergessene Forschungszweig weit in eine Vielzahl an Forschungsfeldern hinein, beispiels- weise die Genetik oder die Medizin, um nur ein paar zu nennen . Umso trauriger ist die Entwicklung zu beobachten, dass sich immer weniger vor allem junge Menschen für Biodiversität und Taxonomie interessieren . Dieser Ten- denz muss entgegengewirkt werden . Bund und Länder müssen sich für Forschungsschwerpunkte an Universitä- ten und für die Kooperation mit außeruniversitären For- schungseinrichtungen einsetzen . Dies schließt auch den Ausbau und die Verbesserung der Infrastrukturen mit ein, um exzellente Forschung in diesem Gebiet zu gewähr- leisten . Dies gilt auch für die Naturkundemuseen, die den Großteil der taxonomischen Forschung leisten . Sie ar- chivieren, schützen und erhalten die Sammlungen; sie erweitern ihr Exponatrepertoire, aber vor allem vermit- teln sie ihr Wissen und arbeiten zusammen mit Politik, Gesellschaft, Wissenschaft und Lehre . Somit sind sie der Knotenpunkt im Bereich der Biodiversität . Es muss also überprüft werden, inwiefern die bereits bestehenden OMICS-Einrichtungen und Universitäten zugänglich ge- macht werden können . Ein gutes Beispiel für einen Auftrieb im Bereich Bio- diversität und taxonomische Forschung ist das Museum für Naturkunde Berlin, welches zu den großen drei Mu- seen in Deutschland zählt, die das Zentrum dieser For- schung bilden . Gemeinsam besitzen sie mehr als 75 Millionen Ob- jekte und werden vor allem durch das BMBF in Form des Verbundprojekts „German Barcode of Life“ seit 2011 gefördert . Ziel ist es, die erste genetische „Nationalbi- bliothek der Artenvielfalt in Deutschland“ zu erstellen . Dazu trägt auch das Museum für Naturkunde in Berlin bei, indem es sich mit Sammlungsentwicklung und Bio- diversitätsentwicklung in Form von eigenen Forschungs- aktivitäten beschäftigt . Das historisch einmalige Kulturgut soll in Form eines intelligenten Sammlungsmanagements mit globaler In- frastruktur zusammengetragen werden mit dem Ziel, eine sogenannte „Biodiversity Heritage Library for Europe“ (BHL-Europe) in digitalem Format für den allgemei- nen Zugang zur Verfügung zu stellen . Um diese Art von Open Access möglich zu machen, bedarf es einer Viel- zahl an qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, an denen es derzeit jedoch mangelt . Deshalb müssen „Schools of Taxonomy“ eingerichtet werden, wie schon Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721624 (A) (C) (B) (D) die Leopoldina in ihrer Empfehlung schreibt . Mit Mas- ter- und Promotionsstudiengängen unter Einbezug von OMICS-Technologien kann dem Personalmangel in der taxonomischen Forschung und dem Desinteresse an die- sem Gebiet ein Ende gesetzt werden . Aus diesen Gründen spreche ich mich ausdrücklich für die Annahme dieses Antrages aus . Täglich verschwinden mehrere Arten auf der Welt aus der taxonomischen Land- karte . Nur wer die Biodiversität und ihre Funktion im Ökosystem kennt, kann dem Artensterben entgegenwir- ken und Fortschritt in diversen Bereichen anregen . René Röspel (SPD): Jeden Tag sterben auf unserer Erde nach Expertenschätzungen ungefähr 130 Arten aus, also fast 50 000 pro Jahr – Größenordnungen, bei denen mir, wie sicher vielen anderen, ganz schwindelig wird . Mit dem vorliegenden Antrag wollen wir einen kleinen Beitrag dazu leisten, auf diesen Verlust hinzuweisen und den Prozess vielleicht etwas zu verlangsamen . Denn wir sind uns sicher darin einig, dass die genetische Vielfalt, die Vielfalt der Arten, Ökosysteme und Lebensräume ei- nen großen Schatz darstellen, den es zu sichern gilt . Um Pflanzen, Tiere und andere Organismen wirksam schützen zu können, muss sichergestellt sein, dass wir überhaupt wissen, was für Arten es auf unserer Erde gibt . Bisher ist nur ein Bruchteil der geschätzten 13 Millionen bis 20 Millionen Arten nachgewiesen . An dieser Stel- le setzt die Taxonomie an: Sie ist die Wissenschaft von der Identifizierung, Beschreibung und Klassifizierung von Lebewesen . Die Taxonomie spielt damit in vielen Lebensbereichen eine wichtige Rolle: in der Landwirt- schaft, der Medizin, dem Naturschutz und eben gerade auch in der Erforschung der Biodiversität . In den letzten Jahren hat die Disziplin eine regel- rechte Revolution erlebt: Durch die Entwicklung von neuen Methoden und Automatisierungstendenzen ist plötzlich eine ungeahnt schnelle und vollständige Erfas- sung molekularbiologischer Informationen von Orga- nismen möglich . Dieser technologische Sprung eröffnet den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern völlig neue Dimensionen . Doch mit den neuen Methoden, die die Fachwelt „OMICS-Technologien“ nennt, sind auch veränderte Anforderungen an die Forscherinnen und Forscher verbunden . Das eher traditionelle Forschungs- umfeld in Deutschland ist diesen jedoch nur teilweise gewachsen . Dabei ist die Schuld jedoch keineswegs bei den Forschenden zu suchen, nein, vielmehr wurde die Disziplin in den vergangenen Jahren insbesondere im universitären Bereich zu stiefmütterlich behandelt und zu wenig gefördert . Die Forschung hat sich immer weiter in die großen Naturkundemuseen, Genbanken und Samm- lungen verlagert . Diese leisten selbstverständlich eine exzellente Arbeit . Erst kürzlich konnte ich mich von den beeindrucken- den Leistungen des Naturkundemuseums hier in Berlin überzeugen . Einen Teil der Jahresauftaktsklausurtagung der SPD-Bundestagsfraktion haben wir nämlich dort verbracht . Der Generaldirektor des Museums, Professor Johannes Vogel, hat uns durch die Räumlichkeiten ge- führt . Es handelt sich um ein integriertes Forschungs- museum der Leibniz-Gemeinschaft – es wird also unter anderem auch aus Bundesmitteln des BMBF finanziert – und gehört zu den weltweit bedeutendsten Forschungs- einrichtungen auf dem Gebiet der biologischen und erd- wissenschaftlichen Evolution und Biodiversität . Das Museum schafft es, Forschung auf Topniveau mit einer „Aufklärungsarbeit“ zur Bedeutung und dem Schutz der biologischen Vielfalt für die interessierten Be- sucherinnen und Besucher zu verbinden . Erklärtes Ziel des Museums ist es, breite Schichten von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik für dieses Thema zu sensibilisie- ren und für dringend erforderliches Handeln zu gewin- nen . Ich kann Ihnen allen nur ans Herz legen, das Natur- kundemuseum, das ja hier ganz in der Nähe ist, einmal zu besuchen und auf eine eigene, ganz persönliche For- schungsreise zu gehen . Das knüpft an einen weiteren Punkt an, der die Dis- ziplin der Taxonomie von anderen wissenschaftlichen Feldern abhebt . Taxonomische Forschung stellt nämlich geradezu ein Paradebeispiel der in den letzten Jahren viel diskutierten Citizen Science dar: Unzählige ehrenamtli- che Artenkennerinnen und Artenkenner, Kartiererinnen und Kartierer leisten für die Taxonomie einen wichtigen Forschungsbeitrag . Dazu gehört nicht zuletzt die wich- tige Pionierarbeit bei der Erstellung sogenannter Roter Listen . Viele von Ihnen haben wahrscheinlich mitbekommen, dass der Naturschutzbund Anfang Januar die Bevölke- rung aufgerufen hatte, eine Stunde lang Wintervögel zu zählen . Diese Bestandserhebung ist ein wichtiger Beitrag zu Umwelt- und Naturschutz . Ohne all diese Engagierten wäre die Wissenschaft heute nicht dort, wo sie steht, und auch eine Zukunft ohne die Unterstützung durch Ehrenamtliche ist kaum denkbar . Aus diesem Grund fordern wir die Bundesregie- rung in unserem Antrag auf, zu prüfen, wie die bundes- weit tätigen Ehrenamtlichen noch besser bei ihrer Arbeit unterstützt werden können . Dazu gehört ebenso, dass die Daten, die im Rahmen taxonomischer Forschung ge- wonnen werden, allen in diesem Bereich Tätigen, also gerade auch den vielen Ehrenamtlichen, kostenlos zur Verfügung gestellt werden; das damit verbundene Stich- wort Open Access sei erwähnt . An dieser Stelle haben wir nicht nur in der Taxonomie, sondern in der gesamten Forschungslandschaft noch viel vor uns . Doch auch trotz der exzellenten Arbeit, die sowohl die Ehrenamtlichen als auch die Museen, Genbanken und Sammlungen jeweils verrichten, müssen die Uni- versitäten in Zukunft wieder stärker in die taxonomische Forschung eingebunden werden . Wir brauchen an geeig- neten Universitätsstandorten nicht zuletzt Schwerpunkt- programme der integrativen Taxonomie und angewand- ten Ökologie . Erfolgreich wird das jedoch nur sein, wenn wir konsequent auf eine Vernetzung mit den außeruniver- sitären Akteuren setzen . Die Verzahnung dieser mit dem Erneuerungs- und Ausbildungspotenzial der Universitä- ten sichert nicht nur die Zukunft der deutschen Exper- tise im Bereich der Taxonomie, sondern führt auch zu gewaltigen Synergien, die wir nicht einfach liegen lassen dürfen . Wenn wir das vorhandene taxonomische Poten- http://www.wgl.de/ Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21625 (A) (C) (B) (D) zial ausschöpfen wollen, dann müssen Universitäten mit außeruniversitären Instituten, Museen, Genbanken und Forschungssammlungen wieder stärker zusammenarbei- ten . Auch international ist eine Vernetzung der verschie- denen Akteure unabdingbar . Hier sollte geprüft werden, wie die wissenschaftliche Zusammenarbeit innerhalb Eu- ropas, aber zum Beispiel gerade auch mit Schwellenlän- dern unterstützt werden kann . Doch damit eine nationale wie internationale Zusam- menarbeit überhaupt möglich ist, muss zuvorderst das Fundament stimmen: Ohne eine angemessene bauliche und infrastrukturelle Ausstattung zur Unterbringung und Erforschung in den diversen relevanten Institutionen ist gute Forschung kaum möglich . Hieran müssen wir wei- terhin gemeinsam mit den Ländern arbeiten . Ferner sind spezielle auf die Taxonomie zugeschnit- tene Forschungsprogramme notwendig . Durch den Fö- deralismus und die daraus resultierenden unterschiedli- chen Ansprechpartner und Forschungsförderer wird die Arbeit der Taxonomen in Deutschland jedenfalls nicht immer erleichtert . Darüber hinaus fehlt es der Taxonomie überall an wissenschaftlichem Nachwuchs . Wir fordern die Bun- desregierung daher auf, solche Strukturen zu unterstüt- zen und gegebenenfalls aufzubauen, die den Nachwuchs insbesondere unter Berücksichtigung der neuen Anfor- derungen, die durch den Einzug der oben erwähnten OMICS-Technologien entstehen, fördern . Fakt ist, dass es sich bei der Taxonomie nicht um eine Nischenforschung handelt, die man sich mehr oder we- niger leistet, sondern um eine Basiswissenschaft, auf der vieles gründet, und die deshalb eine angemessene Bedeu- tung und Förderung haben sollte . Wenn wir dies beherzigen, dann leisten wir einen wichtigen Beitrag für den Erhalt der Biodiversität – ein Ziel, dem sich die Bundesrepublik Deutschland übrigens bereits mit Unterzeichnung des Übereinkommens über die biologische Vielfalt 1992 in Rio de Janeiro verpflich- tet hat . Da haben wir auch 25 Jahre später noch eine Menge Arbeit vor uns . Ich freue mich, dass wir dieses Thema, das mit einem ähnlichen Antrag in der vergangenen Legislaturperiode noch an der Ablehnung unseres aktuellen Koalitionspart- ners gescheitert ist, endlich auf den Weg bringen . Birgit Menz (DIE LINKE): Bereits im Jahr 2010 gab es einen Antrag der SPD zum Thema Taxonomie beziehungsweise Kartografie der Biodiversität. Es wäre hilfreicher gewesen, hätte man diesem bereits damals zugestimmt . Heute, sieben Jahre später, hat das Problem nichts an Aktualität verloren – im Gegenteil . Derzeit erleben wir auf der Erde das größte Arten- sterben seit dem Zeitalter der Dinosaurier . Jeden Tag verschwinden zahlreiche Spezies unwiderruflich von unserem Planeten . Und als ob das nicht genug wäre, ist eine immer größer werdende Anzahl von Tieren und Pflanzen akut in ihrer Existenz gefährdet. Laut der Roten Liste der Weltnaturschutzunion IUCN sind derzeit etwa 24 000 Arten nachweislich vom Aussterben bedroht . Für die Bekämpfung des Problems existieren bereits internationale sowie nationale Programme, um den Bio- diversitätsverlust einzudämmen . Doch wie können Pro- gramme und gute Absichten helfen, wenn die eigentli- chen Ursachen für den Artenschwund in Bereichen zu finden sind, die nur langsam und widerwillig einsehen, dass der derzeitige Umgang mit unserem Planeten nicht nur fatale Folgen für Umwelt, Tiere und Pflanzen, son- dern auch für den Menschen nach sich zieht? Ein Umdenken in Landwirtschaft, Verkehr sowie ein verantwortungsvoller Umgang beim Verbrauch von Flä- chen und Ressourcen ist unabdingbar, um dem globalen Artensterben auf ganzheitlicher Ebene zu begegnen . Denn beim Schutz der Biodiversität geht es auch um un- sere eigene Zukunft . Um das einmal zu verdeutlichen: Wie der Weltrat für Biologische Vielfalt, IPBES, vorrechnet, sind beispiels- weise Bestäuber und deren Leistungen für Nahrungsmit- tel im Wert von 213 Milliarden bis 523 Milliarden Euro verantwortlich . Weltweit sind jedoch Bienen, Schmetter- linge und zahlreiche andere Bestäuber vom Aussterben bedroht, was ein enormes Risiko für die globale Nah- rungsmittelsicherheit darstellt . Infolge dieser ernstzunehmenden Bedrohung schlos- sen sich auf der letztjährigen Biodiversitätskonferenz in Cancún – auch auf Initiative Deutschlands – mehrere Staaten mit der Absicht zusammen, Bienen und Insekten mit gezielten Strategien in Zukunft besser schützen zu wollen . 2010 hatten darüber hinaus die EU sowie 2011 die Vertragsstaaten des Übereinkommens zur biologi- schen Vielfalt (CBD) im Rahmen des Nagoya-Protokolls bereits den Stopp des Verlustes der Artenvielfalt bis 2020 ausgerufen . Es bleibt jedoch unklar, wie diese Vorhaben umgesetzt und deren Ergebnisse eigentlich überprüft werden können . Die Taxonomie ist in diesem Zusammenhang ein enorm wichtiger Wissenschaftszweig . Ohne die Erkennt- nisse dieser Disziplin wären viele Tier‑ und Pflanzen- arten sowie deren Leistungen bis heute unentdeckt ge- blieben . Und ohne das Engagement vieler ehrenamtlicher und hauptberuflicher Taxonomen wüssten wir auch nicht, welche Arten es zu schützen gilt, noch welches Ausmaß der Verlust von Arten in vielen Regionen eigentlich hat . Damit die Taxonomie ihrer verantwortungsvollen Rolle auch weiterhin gerecht werden kann, braucht es vor allem eine bessere Nachwuchsförderung . Schon jetzt bekommt die Disziplin die Auswirkungen fehlender Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissen- schaftler zu spüren . Der Mangel an Lehrstühlen und da- mit verbundene Defizite bei der Ausbildung des wissen- schaftlichen Nachwuchses sind ein ernsthaftes Problem . Politik und Wissenschaft müssen gemeinsam Lösun- gen finden, um den Wissenschaftszweig der Taxonomie stärker zu fördern und dessen Zukunftsfähigkeit zu ga- rantieren . Die Taxonomie ist wesentlicher Bestandteil, will man den Artenverlust nicht nur stoppen, sondern auch für dessen Erholung sorgen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721626 (A) (C) (B) (D) Zudem müssen nationale und internationale Abkom- men und Strategien zum Schutz der Biodiversität kon- sequent umgesetzt und stärker gefördert werden . Dies kann jedoch nur gelingen, wenn die Fördersummen für Programme zum Erhalt der Artenvielfalt um ein Vielfa- ches gesteigert und gleichzeitig biodiversitätsschädliche Subventionen massiv abgebaut werden . Viele Spezies gehen verloren, noch bevor diese über- haupt bestimmt oder entdeckt werden konnten . Dabei liegt noch so vieles im Verborgenen . Vor allem in Regen- wäldern und Ozeanen gibt es Unmengen an unerforsch- ten und zahlreiche zu entdeckende Arten . Es ist daher wichtig, Arten und Bestände wissenschaftlich so gut es geht zu erfassen, um das unvollständige Bild allen Le- bens auf unserem Planeten weiter zu komplettieren . Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenige Monate vor dem Ende dieser Wahlperiode bringen die Koalitionsfraktionen heute einen Antrag zum Schutz der Biodiversität und zum Ausbau taxonomischer Forschung zur erstmaligen Beratung ein . Mit fällt auf, dass sich dieser Antrag einreiht in eine Sammlung forschungspolitischer Schaufensteranträge, die Sie kurz vor Ende Ihrer Regierungszeit quasi an sich selbst richten . Es stellt sich die Frage, warum Sie diese Themen nicht früher angegangen sind und was Sie davon tatsächlich noch umsetzen können . Dies vorausgeschickt, kann ich mich vielen Ihrer For- derungen zum Schutz der biologischen Vielfalt im Allge- meinen und nach mehr Forscherinnen und Forschern zur Erfassung der Artenvielfalt im Besonderen anschließen . Es reicht allerdings überhaupt nicht aus, den Artenrück- gang nur besser erfassen zu wollen . Tagtäglich sterben Arten aus, tagtäglich verlieren wir durch Umweltzerstörung, Klimakrise und durch Eingrif- fe des Menschen in die Natur an Biodiversität – welt- weit wie hierzulande . Millionen von Arten sind noch unentdeckt, viele von ihnen werden ausgerottet, bevor sie überhaupt bekannt werden . Große Ökosysteme wie die Tiefsee, der Boden oder das Grundwasser sind noch weitgehend unerforscht . Es gilt, neben dem Ausbau der Forschung eine aktive und ambitionierte Umwelt- und Naturschutzpolitik zu betreiben, die dem Artenrückgang entgegenwirkt . In der Biodiversitätspolitik hat diese Bundesregierung nichts vorzuweisen, und das lässt Ihren Antrag umso schwächer und substanzloser erscheinen . Die Wichtigkeit der Taxonomie als grundlegende Wis- senschaft für die Lebenswissenschaften, von der Biodi- versitätsforschung über die Wirkstoffforschung bis hin zur Infektionsmedizin, die wir ja heute unter TOP 24 ebenfalls beraten, ist unbestritten . Valide Forschungsdaten sind neben dem unmittel- baren wissenschaftlichen Nutzen auch Voraussetzung zukunftsorientierter Politik . Die Weiterentwicklung der Taxonomie in Deutschland wie auch international sollten wir deshalb als Teil einer auf Nachhaltigkeit setzenden Forschungspolitik begreifen und entsprechend fördern . Dies gilt auch für verwandte Forschungsbereiche: Um beispielsweise die Folgen der Klimakrise zu bewältigen, müssen Anpassungsstrategien von Ökosystemen, Le- bensräumen und Arten erforscht werden . Dieses trans- formative Wissen über Resilienz wird für politische Wei- chenstellungen dringend gebraucht . Die nachhaltige Ausrichtung unseres Forschungs- und Wissenschaftssystems auf die großen gesellschaftlichen Herausforderungen bleibt unsere zentrale Aufgabe . Das beginnt bei den Perspektiven des wissenschaftlichen Nachwuchses, der bei der Taxonomie wegzubrechen droht . Gerade hier lassen sich die Folgen einer einsei- tigen, auf kurzfristige wirtschaftliche Verwertbarkeit ausgerichteten Politik eindrucksvoll beobachten: Durch den signifikante Abbau von Lehrstühlen wurden die ent- sprechende Forschungslandschaft und insbesondere die Grundlagenforschung in Deutschland ausgetrocknet . Diese fatale Entwicklung gilt es umzukehren . Einen besonderen Schatz im Bereich der Biodiver- sitätsforschung stellen die Sammlungen wie auch die Forschungsmuseen, etwa das Naturkundemuseum „ne- benan“ hier in Berlin und die drei Museen der Leib- niz-Gemeinschaft, dar . Der Verlust von Sammlungen wäre ein Verlust von Wissen, da jeweils große Teile der Sammlungen unwiederbringlich sind . Es kommt darauf an, das vorhandene Wissen zu bewahren und zu erwei- tern . Wir sollten auf die lange Tradition der Naturforschung aufbauen und die interessierte Zivilgesellschaft daran systematisch beteiligen . Erinnert sei an dieser Stelle an die Insektenforscherin und Künstlerin Maria Sibylla Me- rian, die sich schon vor über 300 Jahren international und interdisziplinär vernetzte . Die Aufzeichnung von Natur- beobachtungen vor Ort wird heute auch unter dem Stich- wort Bürgerwissenschaften bzw . Citizen Science zusam- mengefasst . Ereignisse wie das Insektensterben haben viele private Initiativen zum Schutz der biologischen Vielfalt angeregt . Projekte der „Bildung für Nachhaltige Entwicklung“ und ökologische Freiwilligendienste set- zen sich für den Erhalt von natürlichen Lebensräumen ein – sie fehlen in Ihrem Antrag völlig . Diese Formen zivilgesellschaftlichen Engagements von Menschen aus unterschiedlichen Generationen gilt es zu würdigen und einzubeziehen . Wichtig bleibt jedoch, festzuhalten, dass weder das Ehrenamt noch außeruniversitäre Forschung ein regel- mäßiges nationales Monitoring und die integrierte For- schung und Ausbildung an den Universitäten ersetzen können . Die Hochschulen müssen in die Lage versetzt werden, Forschung und Lehre auf der Höhe der Zeit zu leisten, moderne Methoden zu nutzen und Forschungs- ergebnisse einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen . Hier müssen Bund und Länder gemeinsam tätig werden, bevor noch mehr Wissen und Infrastrukturen verloren gehen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21627 (A) (C) (B) (D) Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und SPD: Pharmazeutische Forschung gegen Infektionskrankheiten stärken – Nationale Wirk­ stoffoffensive starten (Tagesordnungspunkt 24) Stephan Albani (CDU/CSU): Im Rückblick auf die vergangenen Wochen hier im Plenum und in den Dis- kussionen in der Öffentlichkeit bleiben mir zwei abso- lute Unworte des Jahres hängen: „postantibiotisch“ und „postfaktisch“ . „Postfaktisch“ ist der Abschied einer faktenbasierten, rationalen Entscheidungsfindung und der Rückfall in dogmatische Zeiten vor der Aufklärung – kurzum Mit- telalter . „Postantibiotisch“ ist die verbale Kapitulationserklä- rung gegenüber zunehmenden Antibiotikaresistenzen . Beides ist noch nicht Realität und sollte von uns durch wiederholtes Erwähnen auch nicht zu ebendieser ge- macht werden . In Sachen „postantibiotisch“ hier und heute eine gute Nachricht: Hier gibt es politische Gegenmaßnahmen . So wurden auf unsere Initiative hin 20 Millionen Euro im Haushalt für eine Förderinitiative im Bereich der Wirk- stoffforschung bereitgestellt . Wir haben hier parlamentarisch schnell gehandelt und die Sache in die Hand genommen . Warum haben wir dies getan? Lassen Sie mich kurz die aktuelle Situation an- hand von Fakten darstellen: Wir leben in einer Zeit, in der die zunehmende Ver- breitung von Erregern – hier reden wir über bakterielle Erreger –, die gegen einen oder mehrere Wirkstoffe re- sistent geworden sind, zunimmt . Inzwischen sterben in Europa 25 000 Bürger pro Jahr, weil Antibiotika durch Resistenzen nicht mehr oder nicht mehr ausreichend wir- ken (Angabe des Europäischen Parlaments) . Aber: Laut Zahlen der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene sterben allein in Deutschland jährlich 30 000 Menschen an Infektionen durch Kran- kenhauskeime . Weltweit sterben aktuell jährlich rund 700 000 Menschen aufgrund von Antibiotikaresistenzen; bei ungehinderter Weiterentwicklung der Resistenzen wären dies im Jahr 2050 rund 10 Millionen Todesfälle pro Jahr bei gleichzeitigen Kosten für das Gesundheitswesen von rund 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr (Prognose im Auftrag der britischen Regierung, internationale Ver- einigung pharmazeutischer Hersteller und Verbände) . Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat Anfang des vergangenen Jahres 2016 erstmals einen Bericht über Antibiotikaresistenz veröffentlicht und das Problem als gravierend beschrieben . Und dies kann ich aus meiner beruflichen Erfahrung nur in aller Form unterstreichen. Ende des 19 . Jahrhunderts wurde durch Robert Koch hier in Berlin eine Ära steigender Lebenserwartungen mit allgemein verfügbaren Antibiotika eingeläutet . Heu- te jedoch laufen wir nun Gefahr, uns in einer Post-Anti- biotika‑Ära wiederzufinden, in der Ärzte über keine Me- dikamente zur Behandlung von ernsthaften Infektionen mehr verfügen . Dieses kann und darf nicht sein, und es ist auch weder notwendig noch unausweichlich . Zuletzt erschütterte die Nachricht über den Tod ei- ner 70-jährigen Patientin, die Enterobakterien – einem Krankenhauskeim – erlag, der gegen alle 26 verfügbaren Antibiotika resistent ist . Sie hatte sich mutmaßlich auf einer Indienreise infiziert und erlag der Erkrankung. Die Patientin stirbt nach erfolgloser Behandlung letztlich an einer Blutvergiftung . Vor allem in unseren Krankenhäusern sind multire- sistente Erreger ein großes und noch weiter wachsendes Problem . Wir müssen also dringend handeln, liebe Kol- leginnen und Kollegen . Es bedarf eines Strukturwandels in unserer Gesund- heitspolitik sowie einer besseren Vernetzung und Koor- dination in der Wirkstoffforschung, um hiermit dringend benötigte neue Heilmittel entwickeln zu können . Aus diesem Grund haben wir, die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, uns im vergangenen Jahr vehe- ment für eine „Nationale Wirkstoffinitiative” als überge- ordnetes Rahmenprogramm im Bundesministerium für Bildung und Forschung eingesetzt und zusammen mit dem Koalitionspartner – hier gilt mein herzlicher Dank dem Kollegen Röspel und seinem Team – in einen Antrag gegossen . Warum ist diese „Nationale Wirkstoffinitiative“ not- wendig? Es gibt eine Vielzahl von institutionellen und projektbezogenen Fördermaßnahmen im Bereich der Wirkstoffforschung auf nationaler und internationaler Ebene . Aber es gibt keine erkennbare übergeordnete Strategie wie etwa analog zum „Aktionsplan Medizin- technik“, für den wir uns hier Mitte 2016 erfolgreich starkgemacht haben . Wie zuletzt im April 2016 mit Vorstellung der Ergeb- nisse des ressortübergreifenden Pharmadialogs will das BMBF die Förderung neuartiger Therapieansätze und Diagnostika für bakterielle Infektionen ausbauen . Die Forderung von „der Aufnahme einer Forschungs- förderung für neue Wirkstoffe“ haben wir auch schon mit in unseren Koalitionsvertrag 2013 verhandelt . Wir kom- men also quasi nun zur dringend notwendigen Umset- zung einer dringend notwendigen neuen Strategie . Koalitionsvertrag, Seite 25: „Wir werden die Wirk- stoffforschung stärken, um beispielsweise im Bereich der Antibiotika zur Bekämpfung von Multiresistenz und Sepsis die Entwicklung neuer Medikamente zu fördern .“ Und genau darum geht es in unserem Antrag . Wir brau- chen neue Präparate, die als Reserve dienen, wenn alle anderen Mittel versagen . Die scheinbar berechtigte Kritik, dass die Pharmain- dustrie hier die Entwicklung neuer Antibiotika vernach- lässigt, ist zwar nachvollziehbar, aber nicht fair . Wir verlangen als Gesellschaft hier die sehr kostenintensive Entwicklung von neuen Medikamenten, mit der zugleich damit verbundenen Aussage, dies nicht oder nur sehr re- striktiv zum Einsatz kommen zu lassen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721628 (A) (C) (B) (D) Wir haben insofern hier einen gesamtgesellschaftli- chen Auftrag, Forschung, Testung und Produktion von Antibiotika gemeinsam zu realisieren . Aus anderen Be- reichen der Gesundheitswirtschaft am Beispiel der PDPs (Product Development Partnerships; auch: Produktent- wicklungspartnerschaften) kennen wir dies bereits . Hier hat man alternative Methoden gefunden, um die Proble- matik der Wirtschaftlichkeit anzugehen . Weiter zeigt auch der achtbare Erfolg vom 22 . Januar von Minister Schmidt, beim G-20-Agrarministertreffen in Berlin, bei der Nutzung von Antibiotika als Wachs- tumsförderer in der Landwirtschaft auszusteigen . Auch soll die Behandlung von kranken Tieren mit Antibiotika verringert werden . Bevor hier aber voreilig Ursachen einseitig verteilt werden: Auch der Einsatz von Antibiotika in der Hu- manmedizin sollte zurückhaltender erfolgen – nämlich da, wo wirklich notwendig –, und die Patienten müssen die Schemata auch eigenverantwortlich durchgehend einnehmen und nicht bei Wiederlangen des Wohlgefühls selbstständig die Medikamente absetzen . Alle müssen zusammenwirken, damit der Rückfall in Zeiten von Pest und Co . verhindert wird . Es ist unsere Verantwortung, eine zukunftsweisende Politik zu gestal- ten . Mit dieser neuen „Nationalen Wirkstoffoffensive“ haben wir nun eine Art „Schuhlöffel“ gefunden, der uns hier hineinhelfen soll: in einen begonnenen Prozess einer dringend notwendigen Weiterentwicklung der Wirkstoff- forschung, in einer langfristig angelegten Strategie, einer konzertierten Aktion aller an diesem Prozess Beteiligten in Forschung, Industrie und Gesellschaft . Und dies soll der Anfang sein . Patricia Lips (CDU/CSU): Die Zahlen sind alarmie- rend: Allein in Europa sterben rund 25 000 Menschen pro Jahr an Infektionskrankheiten, weil die jahrzehntelang verlässliche pharmazeutische Allzweckwaffe, das Anti- biotikum, nicht mehr hinreichend wirkt . Weltweit sollen es 700 000 Opfer der Antibiotikaresistenz sein, Tendenz stark steigend . Die moderne Medizin ist in allen Stufen der Bakteri- enbekämpfung, von der alltäglichen Atemwegsinfektion bis zur Hightechversorgung wie in der Transplantations- medizin, grundsätzlich in Gefahr, wenn Antiinfektiva versagen . Es ist nicht übertrieben, wenn Experten der WHO vor einer post-antibiotischen Ära warnen, in der schließlich schon eine vermeintlich harmlose Wund- infektion wieder lebensbedrohlich und tödlich werden kann . Diese enorme Gefahr hat damit zum einen globale Ausmaße erreicht, denn wir sind eine Welt und haben eine Welt-Gesundheit als kollektives Gut, weil Krank- heiten vor Grenzen nicht Halt machen . Gleichzeitig ist sie aber auch für jeden von uns greif- bar; es geht eben nicht (mehr) um Epidemien in fernen Ländern, wie zum Beispiel bei den sogenannten armuts- assoziierten Krankheiten . Nein, wir sind auch hier in Deutschland mit seiner Medizinversorgung auf höchstem flächendeckenden Ni- veau nicht auf der Insel der Glückseligen, sondern selbst direkt gefährdet . Denn auch hierzulande versagen her- kömmliche Antibiotika immer häufiger gegen multiresis- tente Keime . Wer von uns kennt nicht aus dem unmittelbaren Fami- lien- und Freundeskreis bereits die Fälle lebensbedroh- licher Krankenhausinfektionen mit dem Keim MRSA . Oder war gar selbst schon einmal durch eine Infektion ernsthaft oder gar lebensbedrohlich erkrankt, und die An- tibiotika schlugen nicht oder erst spät an? Die Gefahr ist also allgegenwärtig und absolut real . Hinzu kommt, dass die Erforschung neuer Arzneimit- tel teuer und riskant ist; der Antibiotikamarkt liefert nicht die gewünschten Erträge, ist also nicht rentabel ange- sichts sehr hoher Investitionen . Unter den deutschen Pharmakonzernen forschen gera- de noch zwei an neuen Antibiotika, und es werden kaum neue Medikamente auf den Markt gebracht; die Entwick- lungszeiten von der Idee bis zur Anwendung betragen für neue Medikamente rund 14 Jahre . Wir müssen also ein strukturelles Marktversagen feststellen . Aktuell sehr präsent ist die Diskussion nicht nur in der medizinischen und gesundheitswissenschaftlichen Fachcommunity, sondern war zum Beispiel auch The- ma kürzlich beim Forum Bioethik des Ethikrates und ist Gegenstand einer sehr grundlegenden Stellungnahme der Leopoldina . Der Befund ist eindeutig: Wir benötigen dringend neue Wirkstoffkandidaten für wirksame Antiin- fektiva und dazu neue innovative Wege der Arzneimittel- entwicklung . Was wurde bereits getan, und was ist weiter zu tun? Ressortübergreifend wurde die Deutsche Antibiotika-Re- sistenzstrategie entwickelt . Die Wirkstoffforschung wird durch mehrere Förderformate des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unterstützt, die in unserem Antrag näher ausgeführt werden . Schließlich will das Bundesministerium für Bildung und Forschung als Er- gebnis des Pharmadialogs die Förderung neuartiger The- rapieansätze und Diagnostika für bakterielle Infektionen vorantreiben . Auch außenpolitisch hat die Bundesregierung ge- handelt und das Thema Antibiotikaresistenz zu einem Schwerpunkt seiner G-7-Präsidentschaft gemacht; Ak- tionspläne von EU und WHO zur Antibiotikaresistenz wurden verabschiedet . Ich möchte hier auch ausdrücklich unsere internatio- nale Verantwortung im Hinblick auf die Entwicklungs- zusammenarbeit betonen und nenne die Stichworte Ebo- laepidemie oder die vernachlässigten Tropenkrankheiten . Mit unserem heute vorgelegten Antrag „Pharmazeu- tische Forschung gegen Infektionskrankheiten stärken – Nationale Wirkstoffoffensive starten“ wollen wir nun einen weiteren notwendigen Impuls setzen und eine um- fassende nationale Strategie für die Wirkstoffforschung voranbringen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21629 (A) (C) (B) (D) Die bisherigen Forschungsansätze müssen im Sinne einer abgestimmten Gesamtstrategie gebündelt und die Grundlagenforschung gestärkt werden . Neue Koopera- tionsformate zwischen Forschung und Industrie müssen besser gefördert werden . Die Forschungsanstrengungen zu den drei Infektionskrankheiten mit hoher Mortalität (Tuberkulose, HIV/Aids und Malaria) wie auch zu den vernachlässigten Tropenkrankheiten müssen intensiviert werden . Neben der Entwicklung neuer Medikamente und An- tibiotika sind als weitere Maßnahmen im Sinne einer Ge- samtstrategie auch eine bessere Information von Ärzten und Patienten über die Gefahren von Resistenzen und die Intensivierung von Hygiene- und Präventionsmaßnah- men erforderlich; ich erinnere hier an die aktuellen Ver- einbarungen des Pharmadialogs vom letzten Jahr . Wir müssen schließlich dafür Sorge tragen, dass der Antibiotikagebrauch in der Human- und Veterinärmedi- zin auf das unbedingt Erforderliche reduziert wird, damit das Antibiotikum weiter verlässlich Leben retten kann . Der vorliegende Antrag ist selbstredend nicht isoliert zu betrachten, sondern reiht sich ein in unsere Ziele, An- träge und Förderprojekte zur Verbesserung der Gesund- heitsforschung, insbesondere zur Beschleunigung des Innovationstransfers oder auch zur Forschung bei ver- nachlässigten, armutsassoziierten Krankheiten . Er passt sich ein in unser Konzept zur Förderung der Gesund- heitsforschung und -versorgung, lokal, national wie auch global . Denn unsere Gesundheit ist das höchste Gut, das es zu schützen gilt . Bei allen berechtigten Sorgen das Gute zum Schluss: Die Koalitionsfraktionen haben gehandelt . Ich freue mich, dass wir bereits in den letzten Haushaltsberatungen für die nächsten vier Jahre im Einzelplan 30 20 Millio- nen Euro für die Wirkstoffforschung im Rahmen einer neuen Initiative einstellen konnten . Dafür danke ich den Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuss und dem Ministerium und freue mich auf die weiteren Bera- tungen im Ausschuss . René Röspel (SPD): „Wir werden die Wirkstofffor- schung stärken, um beispielsweise im Bereich der Anti- biotika zur Bekämpfung von Multiresistenzen und Sep- sis die Entwicklung neuer Medikamente zu fördern .“ So steht es im Koalitionsvertrag, und ich freue mich, dass wir heute mit dem vorliegenden Antrag dieses Vorhaben weiter umsetzen . Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass wir dieses wichtige Thema zu einer anderen Uhrzeit debattieren; denn es ist aktueller denn je und stellt unse- re Gesellschaft, aber auch die Gesundheitswirtschaft vor große Herausforderungen . Denn zurzeit stecken wir in einem Dilemma . Einer- seits benötigen wir im Vergleich zu früher immer mehr Medikamente – weil wir älter werden als noch unsere Vorfahren und auch Volkskrankheiten wie Herz-Kreis- lauf‑Erkrankungen oder Diabetes immer häufiger vor- kommen –; andererseits wird die Entwicklung dieser notwendigen Medikamente aber immer schwieriger . Eine dramatische Entwicklung zeigt sich gegenwär- tig insbesondere in der zunehmenden Antibiotikaresis- tenz und der schwierigen Suche nach neuen Antibiotika . Noch vor einigen Jahren waren Antibiotika die „Wun- derwaffe“ der Medizin . Jedes Antibiotikum wirkt auf ein mehr oder weniger breites Bakterienspektrum und tötet die Bakterien entweder ab oder sorgt für eine Hemmung des Wachstums bzw . der Vermehrung des Bakteriums . Im Idealfall bekämpfen Antibiotika so gefährliche Bakterien und können selbst schwerste Infektionen heilen . Heute haben sich jedoch gegen zahlreiche Antibiotika Resis- tenzen gebildet, wodurch auch einfache Infektionen mit resistenten Bakterien lebensbedrohlich werden können . Die Ursachen für Antibiotikaresistenzen sind vielfäl- tig und nicht alle Resistenzen sind von Menschenhand verursacht . Einige Bakterien sind bereits aufgrund ihrer genetischen Eigenschaften gegen Antibiotika unemp- findlich. Relevanter sind aber heute jene Antibiotika- resistenzen, die aufgrund vermehrten beziehungsweise massenhaften Einsatzes in der Human- und Tiermedizin oder fehlerhafter Anwendung entstehen und gravierende Folgen für unsere Gesundheit haben können . Neben der Sensibilisierung der Patientinnen und Pa- tienten für den richtigen Umgang mit Antibiotika und ihrem rückläufigen Einsatz in der Landwirtschaft sind wir insbesondere auf eine starke Wirkstoffforschung an- gewiesen . Die in diesem Bereich forschenden Wissen- schaftlerinnen und Wissenschaftler identifizieren neue Wirkstoffkandidaten, aus denen neue Arzneimittel zur Behandlung von Infektionskrankheiten und damit auch neue Antibiotika entwickelt werden können . Antibioti- karesistenzen müssen hierbei zwar einen Schwerpunkt bilden, aber auch im Kampf gegen die „großen Drei“ – Tuberkulose, Malaria und HIV/Aids – sowie die vielen anderen vernachlässigten und armutsbedingten Krank- heiten sind neue Medikamente unverzichtbar . Leider ist die Entwicklung von neuen Arzneimitteln ein langer, risikoreicher wie kostspieliger Prozess, und viele Wirkstoffkandidaten scheitern schon in frühen Entwicklungsphasen . Jahrzehntelange Forschungs- und Entwicklungsarbeit sowie Kosten zwischen 500 Millio- nen und 1 Milliarde Euro sind keine Seltenheit . Hinzu kommt, dass Wirkstoffe, die es bis zur Markteinführung schaffen, oftmals keine wirklichen „Neuheiten“ sind und bereits bekannten und bewährten Wirkstoffen ähneln . An den Universitäten, in der Hochschulmedizin, den Forschungseinrichtungen und in der Gesundheitswirt- schaft mangelt es nicht an exzellenten Forscherinnen und Forschern . Dennoch stockt die Arbeit an neuen Medika- menten . Deswegen ist es aus meiner Sicht von beson- derer Bedeutung, dass wir die Grundlagenforschung im Bereich der Wirkstoffforschung stärken . Nur so können wir Erkenntnisse über neue Wirkstoffkandidaten erhalten und innovative Wege in der Entwicklung neuer Arznei- mittel bestreiten . Aber auch die klinische Forschung muss weiter ge- stärkt werden . Die Wirkstoffentwicklung darf nicht aus Kosten- und Risikogründen vernachlässigt werden . Ich möchte es noch einmal betonen: Die Wirkstoffforschung kann nur dann erfolgreich sein, wenn wir alle Phasen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721630 (A) (C) (B) (D) der Arzneimittelentwicklung – von der Grundlagenfor- schung bis zur klinischen Forschung – berücksichtigen und stärken und dabei die einzelnen Stärken der beteilig- ten Partner und vorhandene Forschungsinfrastrukturen für den größtmöglichen Erfolg nutzen und fördern, nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch in der europäi- schen und internationalen Zusammenarbeit . Mit verschiedenen Initiativen, Formaten und der insti- tutionellen Förderung der Forschungseinrichtungen för- dert das Bundesministerium für Bildung und Forschung, auch in ressortübergreifender Zusammenarbeit unter anderem mit dem Gesundheitsministerium, bereits die Wirkstoffforschung . Der dramatische Anstieg der Zahl der Todesopfer aufgrund von resistenten Erregern und die insgesamt geringe Anzahl von neuen Arzneimitteln zeigt aber deutlich, dass wir eine verstärkte Forschung benötigen, damit neue Arzneimittel entwickelt werden können . Mithilfe einer Nationalen Wirkstoffoffensive wollen wir sowohl die Wirkstoffforschung weiter stärken als auch die nationale und internationale Vernetzung von universitären und außeruniversitären Forschungseinrich- tungen sowie Unternehmen vorantreiben . Dafür stellen wir in den kommenden vier Jahren weitere 21 Millionen Euro bereit – eine Summe, bei der wir jeden Euro effizi- ent nutzen und schon vorhandene Maßnahmen ressort- übergreifend aufeinander abstimmen müssen . Dass wir die Gefahr erkannt haben, zeigt auch die Schwerpunktsetzung der deutschen G-20-Präsident- schaft . Die Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen – auch mithilfe der Entwicklung neuer Wirkstoffe – steht ganz oben auf der Agenda . Mit einer starken Wirkstoff- forschung können wir dieses Ziel erreichen . Mit dem vorliegenden Antrag ebnen wir dafür den Weg . Kathrin Vogler (DIE LINKE): Im heute eingebrach- ten Antrag setzen sich die Koalitionsfraktionen mit einer der wichtigsten und kritischsten Fragen auseinander, mit der wir im Bereich der Gesundheitsforschung konfron- tiert sind: Antibiotika haben im 20 . Jahrhundert zweifel- los einen großen Beitrag zur Bekämpfung von lebens- bedrohlichen Infektionserkrankungen geleistet . Noch im 19 . und frühen 20 . Jahrhundert sind die Menschen mas- senhaft an bakteriellen Erkrankungen wie Cholera, Ty- phus, Syphilis, Wundbrand oder Tuberkulose gestorben . Erst die Entwicklung des Penicillins, dem später weitere Wirkstoffe folgten, nahm dieser tödlichen Gefahr ihren Schrecken . Doch der Schrecken kehrt zurück. Immer häufiger infizieren sich Menschen mit Keimen, gegen die die gängigen Antibiotika nichts mehr ausrichten können . Multiresistente Erreger sind eine große und zunehmende Gefahr für die öffentliche Gesundheit . Schon heute ster- ben allein in Deutschland mehr Menschen an resistenten Erregern als an Verkehrsunfällen oder an Aids . Warum entwickeln die Arzneimittelhersteller in so ei- ner Situation nicht vorrangig neue Antibiotika? Auch da- rauf weisen die Koalitionsfraktionen in ihrem Antrag hin: Die Gewinnerwartung für die Unternehmen ist zu gering . Antibiotika haben aus Sicht der Unternehmen nämlich den Nachteil, dass sie nicht dauerhaft eingenommen wer- den dürfen . Gerade mit neuen Mitteln gegen die multire- sistenten Keime wird man besonders restriktiv umgehen müssen, um keine neuen Resistenzen zu erzeugen . Und die größte Krankheitslast zum Beispiel bei Tuberkulose tragen die Menschen in armen Ländern mit schwachen Gesundheitssystemen, die sich teure neue Arzneimittel nicht leisten können . Deswegen fordern Sie nun zu Recht, dass der Staat mehr Geld in die Hand nehmen muss, um die Erfor- schung und Entwicklung neuer Wirkstoffe und Arznei- mittel zu fördern . Doch Ihr Ansatz ist unzureichend, weil Sie sich nicht aus dem markt- und gewinnorientierten Denken lösen können . Was wir brauchen, ist ein grundsätzliches Umsteuern in der Gesundheitsforschung . Die Weltgesundheitsorga- nisation beschreibt den höchstmöglichen Gesundheitszu- stand als Menschenrecht, das jedem Menschen unabhän- gig von seiner Herkunft und sozialen Situation zusteht . Dementsprechend ist es nicht Aufgabe privatwirtschaft- licher Unternehmen, dieses Recht zu sichern, sondern Aufgabe der Staaten . Die Grundlagenforschung und auch die klinische Erprobung mit Steuergeldern zu fördern, dann aber die Patente und damit zukünftige Erträge in der Hand der Unternehmen zu lassen, ist im Kern eine Umverteilung aus den Taschen der Steuerzahler in die Taschen der Ak- tionäre von Bayer, Pfizer und Co. Wir schlagen Ihnen daher vor: Ändern Sie die Hochschulgesetze oder das Patentrecht so, dass öffentlich finanzierte Forschungser- gebnisse auch in staatlicher Hand bleiben! Die so entwi- ckelten Medikamente könnten dann in Lizenz produziert werden – überall auf der Welt, zu Preisen, die auch die Armen bezahlen können . Und auch die Forschungsstruktur in den deutschen Hochschulen wurde und wird von Ihnen nicht in Rich- tung Allgemeinwohl umgestaltet . Teil des Problems ist doch, dass die Hochschulen und Forschungseinrichtun- gen eben in ihrer Forschung nicht vorwiegend am All- gemeinwohl orientiert sind, weil sie angewiesen sind auf externe Zuwendungen, sogenannte Drittmittel, für jedes einzelne Forschungsprojekt . Auch die prekäre Situation der allermeisten Nachwuchsforscher, die sich von einem befristeten Vertrag zum nächsten hangeln, steht einer Kontinuität und Nachhaltigkeit in der medizinischen, biochemischen und pharmakologischen Forschung dia- metral entgegen . Auch hier vermisse ich Vorschläge zum Umsteuern . Die Entwicklung neuer Antiinfektiva ist eine gesamtge- sellschaftliche Aufgabe von einem Format, das mutige und politisch unbequeme Entscheidungen erfordert . Die von Ihnen geforderte Nationale Wirkstoffoffensi- ve wird wohl doch eher ein Offensivchen; denn Sie for- dern ja Mittel dafür lediglich „im Rahmen der zur Verfü- gung stehenden Haushaltsmittel“ . Mit den 17 Millionen Euro, die im Haushalt eingestellt sind, kommen Sie aber nicht weit . Und den Antrag der Linken zum Haushalts- plan über 500 Millionen Euro für nichtkommerzielle, industrieunabhängige Pharmaforschung haben Sie ja ab- gelehnt . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21631 (A) (C) (B) (D) Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Krank- heitserreger, gegen die keine Antibiotika mehr wirken, sind eine zunehmende Gefahr für die menschliche Ge- sundheit . Sie sind zugleich eine drängende Herausfor- derung für die Forschung . Denn Antibiotikaresistenzen nehmen weltweit zu, und alte Wirkstoffe stoßen an ihre Grenzen . Viele forschende Arzneimittelhersteller haben sich in der Vergangenheit aus der Antibiotikaforschung zu- rückgezogen, weil andere Bereiche lukrativer schienen . Dieses Marktversagen führte zu einer Forschungslücke . Der Nachschub an neuen Entwicklungen in der For- schungspipeline versiegt . Im Antrag der Koalition wird richtigerweise darauf hingewiesen, dass die in den letz- ten Jahren neu auf den Markt gekommenen Produkte letztlich nur „Me-Too-Präparate“ sind, also Medikamen- te ohne echten Zusatznutzen . In der Problemanalyse liegen wir also nah beieinan- der . Nun ist aber die Frage, was kluge Forschungsför- deransätze sind, die helfen, das Problem nachhaltig in den Griff zu bekommen . Und da ist es zu wenig, vor al- lem auf mehr Kooperation zwischen Unternehmen und öffentlich geförderten Forschungseinrichtungen zu set- zen und eine „Nationale Wirkstoffinitiative“ auszurufen. Ihre Vorschläge sind vor allem zu wenig innovativ . Sie ducken sich zum Beispiel weg bei der doch auf der Hand liegenden Frage: Was können wir eigentlich konkret ler- nen aus der Diskussion um das Marktversagen bei den „vernachlässigten Krankheiten“ für die Antibiotikafor- schungsförderung? Denn die Ausgangslage ist doch eine ähnliche: Auch der Markt der „vernachlässigten Krank- heiten“ ist für „Big Pharma“ zu wenig finanziell attrak- tiv, sodass es an Forschung und Entwicklung mangelt . Deshalb setzt das BMBF beispielsweise auf Produktent- wicklungspartnerschaften . Auch andere Instrumen- te wie Knowledge Sharing oder die Entkoppelung von Entwicklungskosten und Produktpreis werden diskutiert und wären lohnenswert, auf ihr Potenzial für die Antibio- tikaforschung übertragen zu werden . Da zeigt sich der Antrag aber leider ideenarm . Ich vermisse auch, dass ein Instrument, welches in der internationalen Diskussion viel debattiert wird, näm- lich das eines globalen Antibiotikaforschungsfonds, von Ihnen mit keiner Silbe erwähnt wird . Was geben Sie der Bundesregierung in den kommenden G-7- und G-20-Prozessen zu diesem Ansatz auf den Weg? Dazu schweigt der Antrag und vergibt hier die Chance, die De- batte voranzutreiben . Klar ist auch: Selbst wenn Maßnahmen aus dem Koa- litionsantrag die Pharmaindustrie beflügelten, neue Ent- wicklungen auf den Markt zu bringen – bis wir tatsäch- lich über diese neuen, dringend benötigten Medikamente verfügen, werden noch Jahre vergehen . Deshalb ist es wichtig, seitens der Forschung auch Lösungsansätze jen- seits der Pharmazie in den Blick zu nehmen, die schneller Wirkung entfalten können . Dazu gehört, sich anzuschauen, welche Gründe für die zunehmenden Antibiotikaresistenzen bestehen und wie Prävention möglich ist . Das baden-württembergische Wissenschaftsressort zum Beispiel fördert ein Verbund- projekt der drei Universitätsklinika Tübingen, Freiburg und Heidelberg, das mögliche Wege einer Übertragung von antibiotikaresistenten Bakterien vom Tier auf den Menschen untersucht, und zwar vor allem durch den Ver- zehr von Fleisch . Solche Fragestellungen helfen weiter, weil sie eines Tages Ideen zur Ursachenbekämpfung lie- fern können . Auf einigen Gebieten mangelt es allerdings gar nicht so sehr an Erkenntnissen, sondern wir haben es mit Um- setzungsdefiziten zu tun. So ist es der verbreitete Einsatz von Antibiotika in der Landwirtschaft, die dann über die Nahrungskette und nicht zuletzt über das Trinkwasser von uns Menschen aufgenommen werden . Ebenfalls wichtig sind Hygiene-Standards, übrigens nicht nur im Krankenhaus, sondern auch in Pflegehei- men oder in den Rettungswagen . Personalschlüssel an besonders vulnerablen Orten wie Intensivstationen oder Frühchenstationen oder auch das Screening von Risiko- patienten sind weitere wichtige Ansatzpunkte . Die Beispiele zeigen: Es sind nicht allein die phar- mazeutischen Antworten, die uns weiterbringen können . Vielmehr muss Gesundheitsforschung auch Perspektiven integrieren, die auf soziale Innovationen und transdiszi- plinäre Forschung abzielen, beispielsweise um Prozes- sabläufe in der Krankenversorgung besser zu organi- sieren . Bei all diesen Baustellen erwarten wir, dass die Koalition in und über die Wirkstoffinitiative hinaus aktiv wird, um Infektionskrankheiten wirksam einzudämmen . Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein­ gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Fahrlehrerwesen und zur Änderung anderer stra­ ßenverkehrsrechtlicher Vorschriften (Tagesord­ nungspunkt 25) Patrick Schnieder (CDU/CSU): Als wir im Jahr 2013 den Koalitionsvertrag aufgesetzt haben, haben sich die zukünftigen Herausforderungen des Verkehrs bereits am Horizont abgezeichnet . Um diese Veränderun- gen zu bewältigen, reicht es nicht, an der Infrastruktur zu arbeiten . Wir müssen an den Verkehrsteilnehmern arbei- ten, die am Verkehr der Zukunft teilhaben werden . Und wir setzen – so wie wir es damals beschlossen haben – bei der Fahrausbildung und den Fahrlehrern an . Auch wenn die Verbesserung der Qualität der ver- kehrspädagogischen Ausbildung das Ausgangsmotiv für die vorliegende Reform war, hat sich eine ganze Reihe von weiteren Problemen aufgetan, vor denen deutsche Fahrschulen heute stehen . Daher greifen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht nur das Koalitionsver- sprechen auf, sondern nehmen auch die hinzugetretenen Probleme der Gegenwart gleich mit ins Visier: Wir stellen fest, dass die Anzahl der Personen mit Fahrlehrerlaubnis kontinuierlich abnimmt . Sie ist das siebte Jahr in Folge gesunken, auf nun 45 238 Personen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721632 (A) (C) (B) (D) Gleichzeitig steigt das Durchschnittsalter der Fahrlehrer in Deutschland seit 2006 an und liegt aktuell bei 53 Jah- ren . Der überwiegende Teil der Fahrlehrerlaubnisinha- ber (75,5 Prozent) ist im Jahr 2015 45 Jahre oder älter und wird sich in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren aus dem Beruf verabschieden . Die Altersstruktur ist ein großes Problem für die Branche . Daher müssen wir neue Wege gehen, um den Beruf attraktiver und zukunftsfähig zu machen . Auch der Frauenanteil an den Fahrlehrern sollte sich ändern . Frauen stellen derzeit weniger als 9 Prozent aller Fahrlehrer in Deutschland . Die Zeiten, in denen das Auto und Fahrschulen eine reine Männerdomäne sind, sollten jedoch längst gezählt sein . Und nicht zuletzt hängt der Nachwuchsmangel auch mit der fehlenden finanziellen Perspektive des Berufes zusammen . Das Gehalt der Fahrlehrer schwankt je nach Region und Auftragslage enorm . Im Jahr 2014 waren rund 10 000 Fahrschulen in Deutschland registriert . Die Fahrschulen erwirtschafteten im Schnitt etwas über 42 000 Euro je beschäftigter Person . Der Sachaufwand und die sonstigen betrieblichen Aufwendungen verzeh- ren jedoch große Teile des Umsatzes . In strukturschwa- chen Gebieten mit wenigen Fahrschülern und niedrigen Fahrstundenpreisen verdienen Fahrlehrer tatsächlich oft nicht mehr als 1 400 Euro brutto . Nur in Ballungsgebie- ten mit höheren Fahrstundenpreisen und einem größeren Schülerpool sind höhere Verdienste möglich . Der Netto- lohn eines deutschen Fahrlehrers ist mehr als bescheiden; für viele Fahrlehrer ist es schwierig, den Lebensunterhalt alleine mit Fahrstunden zu bestreiten, und gänzlich un- möglich, etwas für das Alter zurückzulegen . Die Nach- wuchsprobleme kriegen wir so jedenfalls nicht in den Griff . Hinzu kommt eine sinkende Nachfrage nach Fahr- stunden. Der demografische Wandel macht auch vor den Fahrschulen nicht halt . Die Zahl der Fahrerlaubnisprü- fungen ist zwischen 2006 und 2013 jedes Jahr gesunken, erst seit 2014 steigt sie wieder leicht . Die Zahl der Fahr- schüler sank bundesweit zuletzt von etwa 1 Million auf rund 800 000, und der Wettbewerbsdruck in der Branche verschärft sich . Die Fahrschulen als verkehrspädagogi- sche Kleinbetriebe spüren die Auswirkungen der gebur- tenschwachen Jahrgänge mehr als deutlich . Neben der Alterung der Gesellschaft führen Experten die Zahlen auch auf den sinkenden Stellenwert des Au- tomobils zurück . Der öffentliche Nahverkehr ist in den deutschen Großstädten ausreichend attraktiv; ein Auto wird zunehmend überflüssig. Laut Studien gibt die ju- gendliche Zielgruppe ihr Geld im Zweifel eher für Reisen oder das neueste Smartphone als für den Führerschein aus . Wir beobachten, dass das Auto in den Städten zuse- hends vom Statussymbol zu einer Dienstleistung mutiert . Der Verkehr wandelt sich in einer Geschwindigkeit, die vor wenigen Jahren noch nicht abzusehen war . Und mit ihm wandeln sich die Anforderungen an die Verkehrs- teilnehmer . Wir sind aufgefordert, zu reagieren und bei der Wissensvermittlung durch die Fahrlehrer anzusetzen . Deren Berufsstand ist auch in Zukunft nicht in Gefahr; die Berufsbeschreibung dürfte sich jedoch grundlegend ändern . Es geht nicht länger nur um Sicherheitsabstand und Schulterblick . Aus Fahrlehrern werden Mobilitätsbe- rater und Fahrzeugsoftware-Pädagogen . Der Vorwurf, die deutschen Fahrschulen würden bei den praktischen Prüfungen hohe Durchfallquoten herbei- führen, um durch die zusätzlichen Fahrstunden die Ein- bußen durch den allgemeinen Rückgang an Fahrschülern zu kompensieren, kann durch einen einfachen Blick in die Statistik widerlegt werden . Die Durchfallquoten bei den praktischen Prüfungen sind seit Jahren annähernd identisch und liegen zwischen 25 und 26 Prozent . Die Durchfallquoten der Theorieprüfung steigen jedoch kon- tinuierlich . Hier sollte die Schuld nicht bei den Fahrleh- rern gesucht werden . Stattdessen müssen wir uns fragen, wie wir die insbesondere auf dem Land immer jünger werdenden Fahrschüler besser auf die theoretische Prü- fung vorbereiten und ihnen die Prüfungsnervosität neh- men . Es ist zu beobachten, dass Jugendliche heute mehr Unterricht als noch vor 20 Jahren nehmen müssen . Zu ständig neuen Vorschriften und Verboten kommen mit dem Kreisverkehr oder dem Grünpfeil auch neue Ver- kehrselemente hinzu . Die unaufhaltsame Automatisie- rung bringt beinahe monatlich neue Assistenzsysteme hervor, die Fahraufgaben übernehmen oder unterstützen können . Schon heute macht die Einweisung in Abstands- und Parkassistenten, elektronische Anfahrtshilfen und Spurhaltesysteme 5 Prozent der Fahrunterrichtszeit aus . Dennoch muss der Fahrzeugführer auch in absehbarer Zukunft zahlreiche, auch nicht-fahrbezogene Aufgaben weiterhin selbst erfüllen . Auch teilautomatisierte Fahr- zeuge müssen in einen betriebs- und verkehrssicheren Zustand gebracht werden; die Assistenzsysteme müssen kontrolliert werden . Die neuen Technologien sind für die Fahrlehrer selbst- redend auch mit höherem Sachaufwand verbunden, wenn bestehende Fahrzeuge nachgerüstet werden müssen . Damit die Anzahl der erforderlichen Fahrstunden nicht wesentlich steigt und der Führerscheinerwerb bezahlbar bleibt, muss der Fahrunterricht noch besser und effizien- ter werden . Bedauerlicherweise sind Fahranfänger weiterhin die am stärksten unfallgefährdete Gruppe aller Verkehrsteil- nehmer . Viele Fahranfänger überschätzen ihr Können . Dieses Gefühl falscher Souveränität ist die Ursache dafür, dass sie in den ersten Monaten nach der bestan- denen Fahrprüfung überdurchschnittlich viele schwere Unfälle verursachen . Erst mit steigender fahrpraktischer Erfahrung nimmt das Unfallrisiko merklich ab . Dies un- terstreicht die Bedeutung, die Aneignung von Fahrkom- petenz vor dem Beginn des selbstständigen Fahrens zu optimieren . Vor dem Hintergrund dieser Herausforderungen ist es wichtig und notwendig, dass wir als Gesetzgeber reagie- ren . Die zentrale Frage ist: Wie können wir die Qualität der Fahrausbildung erhöhen, die Nachwuchsprobleme der Fahrlehrerbranche beheben und die Einnahmensi- tuation der Fahrschulen verbessern, ohne dass sich die Kosten für die Fahrschüler weiter erhöhen? Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21633 (A) (C) (B) (D) Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf präsentieren wir vier Instrumente, mit denen wir die Probleme angehen . Erstens . In Zeiten von Nachwuchsmangel ist es die richtige Entscheidung, den Zugang zum Beruf des Fahr- lehrers durchlässiger und flexibler zu gestalten. Wir senken das Mindestalter auf 21 Jahre ebenso ab wie die horrenden Gebühren, die bislang bei den für die Prü- fungsabnahme zuständigen technischen Prüfstellen fällig werden . Die grundsätzliche Eignung wollen wir nicht aufweichen . Der Fahrlehrbewerber muss in Zukunft min- destens eine abgeschlossene Berufsausbildung in einem anerkannten Lehrberuf oder eine gleichwertige Vorbil- dung besitzen . Aber auch hier sollen Ausnahmen mög- lich werden und für mehr Flexibilität sorgen . Zweitens . Die Fahrlehreraus- und -weiterbildung wird dem Verkehr von heute und der Realität von morgen an- gepasst . Hierfür haben wir die Inhalte, Methoden und organisatorischen Abläufe der Fahrschulausbildung in Deutschland einer kritischen Betrachtung unterzogen . Innovationen wie Elektromobilität und Teilautomati- sierung halten ebenso Einzug in den Lehrplan wie die Schärfung der Vermittlung verkehrspädagogischer Kom- petenzen, die Verkehrswahrnehmung und die Gefahren- vermeidung in der Praxis . Das selbstständige Theorieler- nen der Fahrschüler soll besser vorbereitet werden, auch mithilfe der Implementierung von Smartphone-Apps und interaktiven Lernformen . Gleichzeitig erhält die Ausbil- dung der Fahrlehrer eine optimierte zeitliche Abfolge, und die Anforderungen an Ausbildungsfahrschulen und die Fahrlehrerfortbildung werden präzisiert . Drittens . Um die Einhaltung der Vorschriften zu ga- rantieren, schaffen wir den Rahmen für eine bundesein- heitliche Überwachung der Fahrschulen . Die Vorgaben für das Fahrlehrerpersonal werden ebenso präzisiert wie die Maßnahmen, die bei einer Feststellung von Mängeln ergriffen werden . Auch die Schulung des mit der päda- gogischen Überwachung betrauten Personals wird klar geregelt . Die Überwachungsfristen bleiben unverändert . Die Länder erhalten großzügige Übergangsregelungen und können die Details auch danach in eigener Zustän- digkeit ausgestalten . Viertens . Besonders problematisch ist die Frage, wie man die Einnahmensituation der Fahrschulen verbessern kann, ohne dass die Preise für Fahrstunden erhöht wer- den . Bereits heute werden für theoretische und praktische Prüfung zusammen bis zu 1 900 Euro fällig . Für die Füh- rerscheinaspiranten, die durch eine Prüfung fallen, wird es noch teurer . Ich möchte aber unter keinen Umständen sehen, dass der Führerschein, der ja auch für nicht weni- ge Stellen ein Einstellungskriterium ist, zu einem Privi- leg von Kindern besserverdienender Familien wird . Da- her verfolgen wir einen anderen Ansatz . Die Kostenstrukturerhebungen deutscher Fahrschulen zeigen, dass die Bruttogehälter und Sozialaufwendungen im Jahr 2014 nur 39 Prozent der Ausgaben deutscher Fahrschulen umfassten . In der Konsequenz sind 61 Pro- zent der Ausgaben sachgebunden und durch Synergieef- fekte potenziell absenkbar . Daher setzen wir auf Entbü- rokratisierung und Kooperation . Indem wir die Anforderungen an Unterrichtsräume vereinfachen, arbeitsrechtliche Spezialvorgaben strei- chen und nicht mehr zeitgemäße Nachweispflichten weg- fallen, werden die Fahrschulen um mehr als 84 Millionen Euro pro Jahr entlastet . Die Fahrschulen sollen weniger Zeit mit Formalien verbringen müssen und mehr Zeit für ihre Schüler erhalten . Gleichzeitig wollen wir den Fahrschulen die Tür für Kooperationen öffnen, um Sachkosten aufteilen zu kön- nen . Neu werden Gemeinschaftsfahrschulen auch für Fahrschulinhaber unterschiedlicher Klassen möglich . Außerdem wird Fahrschulen die Möglichkeit gegeben, dort, wo es Sinn macht, einzelne Ausbildungsteile an eine kooperierende Fahrschule zu übertragen . Auch die bestehende Beschränkung der maximal möglichen An- zahl von Zweigstellen soll entfallen . Gleichzeitig erwar- ten wir, dass die Kooperationsmöglichkeiten nicht dazu führen, dass pädagogische Verantwortungen verwischt werden . Es wird daher festgelegt, dass der Auftraggeber eines Ausbildungsteils die Gesamtverantwortung trägt, während die kooperierende Fahrschule die übernom- mene Teilausbildung verantwortet . Um dies zuverlässig überprüfen zu können, sind auch die kooperierenden Fahrschulen aufgefordert, Dokumentationen und Auf- zeichnungen bereitzuhalten . Es gibt jedoch einen Punkt, den ich kritisch sehe, und das ist der im Entwurf vorgesehene Ausschluss von Be- schäftigungsverhältnissen mit freien Mitarbeitern . Ich kann nicht nachvollziehen, aus welchem Grund Fahr- schulen – insbesondere auch in Zeiten schwankender Auftragslagen – auf einen Zugang zu freischaffenden Fahrlehrern verzichten sollten . Die Beschäftigungs- statistik verrät, dass freiberufliche Fahrlehrer heute die Ausnahme sind . Gleichzeitig nimmt die Zahl der sozi- alversicherungspflichtig und geringfügig beschäftigten Fahrlehrer kontinuierlich zu: allein seit 2012 um 13 Pro- zent. Die Fahrschulbranche befindet sich bereits inmitten eines Strukturwandels . Ich verstehe nicht, weshalb man den Fahrschulen an dieser Stelle Flexibilität nehmen soll- te . Eine Senkung der allgemeinen Gebührenlast würde uns hingegen nicht weiterbringen . Die deutschen Fahr- schulen führen bereits heute weniger als 1 Prozent ihres Umsatzes als Steuern und öffentliche Abgaben ab . Der vorliegende Gesetzentwurf versucht viel, und ihm gelingt viel . Wir bereiten unsere Fahrschüler nicht nur auf die Herausforderungen von morgen vor, sondern senden über die Reform auch wichtige Entwicklungsim- pulse an die Fahrschulbranche . Den Fahrlehrern wird ein ausreichender Spielraum eröffnet, den für die Kompe- tenzvermittlung erforderlichen Ausgleich zwischen der Einhaltung vorgeschriebener Ausbildungsstandards und einer pädagogischen Individualisierung der Lehrinhalte herbeizuführen . Stefan Zierke (SPD): Das Fahrlehrergesetz ist in der jetzigen Form nicht mehr auf dem aktuellen Stand . Mehrfach sind Fahrschulverbände an uns herangetreten . Eigentlich wird eine Reform schon seit Jahren gefordert Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721634 (A) (C) (B) (D) und ist auch meiner Einschätzung nach seit Jahren über- fällig . Sowohl die Ausbildung der Fahrschüler als auch der Fahrlehrer ist – insbesondere unter pädagogischen Ge- sichtspunkten – nicht mehr zeitgemäß . Rahmenbedin- gungen und Anforderungen ändern sich, und dann müs- sen wir auch die gesetzlichen Gegebenheiten anpassen . Schon heute sind zum Beispiel Fahrsimulatoren mög- lich . Diese können Situationen simulieren, die schlecht in realen Situationen darstellbar sind, aber als Übung eine gute Grundlage für sicheres und kontrolliertes Fahren bilden . Dies ist jetzt nur ein Beispiel, dass der aktuelle Gesetzesrahmen nicht mehr den tatsächlichen und tech- nischen Voraussetzungen entspricht und daher Bedarf besteht, das Gesetz zu modernisieren . Dies hat die Koalition im Koalitionsvertrag aufge- nommen und der Bundesregierung ins Stammbuch ge- schrieben . Es gilt, die Ausbildung der Fahranfänger zu verbessern und die Qualität der pädagogischen Ausbil- dung der Fahrlehrer zu erhöhen . Mit dem nun vorliegenden Gesetzentwurf werden da- her einige Punkte aufgenommen, die ich kurz aufzählen und erläutern möchte: Erstens: Die Kooperationsmöglichkeiten der Fahr- schulen sollen verbessert werden . Dabei ist es wichtig, die entsprechenden Aufsichtsmöglichkeiten entspre- chend zu berücksichtigen . Zweitens: Die Zugangsvoraussetzungen zum Fahrleh- rerberuf müssen reformiert werden . Hier gibt es unter- schiedliche Auffassungen, ob man diese eher enger oder weiter fassen solle . Nun liegt der Entwurf vor, und wir werden uns nun auch mit diesem Punkt noch einmal be- schäftigen und hier mit Blick auf die Praktiker, also die- jenigen, die es später betrifft, behutsam agieren . Drittens: Es soll eine Modernisierung der Fahrlehrer- aus- und -weiterbildung erfolgen . Hier geht es um die Lehrpläne und das Verfahren der Aus- und Weiterbil- dung . Das muss nun auch angegangen werden, damit die Modernisierung nun endlich auf den Weg gebracht wird . Viertens: Es soll eine Entbürokratisierung stattfinden. Hier werden wir in den nun zu führenden Diskussionen einen Mittelweg zwischen Reduzierung von Verwal- tungsaufwand und notwendiger Kontrolle gehen müs- sen . Ja, der Verwaltungsaufwand muss reduziert werden . Aber wir brauchen auch nachvollziehbare Kontrollmög- lichkeiten . Fünftens: Die Fahrschulüberwachung soll einheitli- cher – als dies bisher der Fall ist – stattfinden. Auch hier müssen wir eventuell noch einmal genauer in das Gesetz schauen und entsprechende Diskussion im nun anlaufen- den parlamentarischen Verfahren finden. Wir werden in den anstehenden Beratungen als SPD-Bundestagsfraktion darauf hinwirken, dass wir so- wohl die Interessen der Fahrlehrerinnen und Fahrlehrer, als auch die Interessen der Fahrschülerinnen und Fahr- schüler sinnvoll miteinander verbinden . Es ist ein hohes Gut, ortsnahe und kompetente Fahr- schulen in ganz Deutschland zu haben . Von der Ucker- mark bis in den hintersten Bayerischen Wald wollen wir die Fahrschullandschaft stabilisieren und modernisieren, damit junge Menschen sicher und verantwortungsvoll auf unseren Straßen Auto und Motorrad fahren können . Thomas Lutze (DIE LINKE): Die Linksfraktion be- grüßt, dass die Koalition doch noch die Vereinbarung des Koalitionsvertrages umsetzen will, die Ausbildung der Fahranfänger zu verbessern und auch die pädagogische Ausbildung der Fahrlehrer zu erhöhen . Dies wurde aller- höchste Zeit; schließlich hatte die Verkehrsministerkon- ferenz bereits im April 2012 das Verkehrsministerium aufgefordert, eine umfassende Reform des Fahrlehrer- rechts in Angriff zu nehmen, das seit 1969 kaum ange- passt wurde . Inzwischen steht das Projekt schon in der dritten Legislatur auf der Agenda . Es ist begrüßenswert, dass der Gesetzentwurf weitestgehend dem Eckpunkte- papier der Länder folgt, in dem zahlreiche sinnvolle Vor- schläge gemacht wurden . Es wurde dringend Zeit, die Fahrlehrerausbildung, aber auch gerade die Weiterbildung anzupacken – junge Fahranfänger sind im Straßenverkehr besonders gefähr- det . Fahranfänger verursachen immer noch überdurch- schnittlich viele Unfälle . Aufgrund der fehlenden prakti- schen Erfahrung im Straßenverkehr wird es sich hierbei immer um eine Risikogruppe handeln . Doch Verbesse- rungen in der Fahrausbildung sind ein wichtiger Beitrag für die Erhöhung der Verkehrssicherheit . Dass der Besitz der Führerscheine A und C als zwin- gende Voraussetzung für den Erwerb der Fahrlehrerlaub- nisklasse BE wegfallen soll, ist erst einmal begrüßens- wert . Oft wird der Lkw- und Motorradführerschein von den Fahrlehrern nicht gebraucht . Durch diese Änderung wird der Zeitaufwand reduziert, und es sinken vor allem auch die Kosten für die Ausbildung . Die ohnehin schon zu geringe Zahl an Fahrlehreranwärtern würde in der Zu- kunft ansonsten weiter sinken . Dennoch sollten wir die Folgeentwicklung dieser Änderung im Auge behalten . Gegebenenfalls müssen hier in der Zukunft doch noch einmal Anpassungen vorgenommen werden: Schließ- lich verschwindet ja nicht der Bedarf nach Kompetenz für diese Fahrzeuge . Machen wir uns nichts vor: Die Lockerung von Zugangsmöglichkeiten ist oft eine Grat- wanderung . Wir müssen also darauf achten, dass bei der Erhöhung der Quantität die Qualität nicht auf der Strecke bleibt . Besonders wichtig ist uns, dass mit der Reform der Fahrlehrerausbildung künftig der Pädagogik mehr Ge- wicht beigemessen wird . Dass sich hierbei die Ausbil- dungszeit nur gering, um zwei Monate, verlängert, ist ebenfalls begrüßenswert . Fahrlehrer, die ihre Ausbildung vor 30 oder 40 Jahren gemacht haben, kamen zu einem nicht geringen Teil vom Militär . Man muss kein Linker sein, um einzusehen, dass die Pädagogik, die als Fahrleh- rer nötig ist, bei der Bundeswehr sicherlich nicht vermit- telt wurde . Das soll nicht heißen, dass diese Fahrlehrer keinen guten Job machen . Doch in der heutigen Aus- bildung müssen wir Anpassungen vornehmen . Fahrleh- rer müssen heute auch auf die veränderte Altersstruktur Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21635 (A) (C) (B) (D) vorbereitet werden . Neben 18- oder 17-Jährigen sitzen zunehmend Menschen mittleren Alters in der Fahrschu- le . Soll sich auf unterschiedliche Bedürfnisse eingelassen werden, ist pädagogisches Geschick notwendig . Daher ist es auf der einen Seite richtig, Ausbildungsinhalte zu straffen und von überflüssigem Ballast zu befreien; auf der anderen Seite muss der Kompetenzvermittlung der Raum gegeben werden, den eine gute Ausbildung ver- langt . Damit der Fahrlehrerberuf attraktiver wird, müssen in erster Linie aber vor allem vernünftige Arbeitsbedin- gungen und eine Verbesserung der Angestelltenkultur und der Verdienstmöglichkeiten erzielt werden . Hier gibt es großen Veränderungsbedarf . Der Fahrlehrermangel ist einerseits darauf zurückzuführen, dass die Politik zu lange nicht mit geeigneten Maßnahmen gegengesteuert hat; anderseits sind manche Probleme auch hausgemacht . Wer sich einmal in der Branche umgehört hat, wird fest- stellen, dass Arbeitsverträge ohne Arbeitszeitkonto, ohne Festgehalt und ohne bezahlte Fortbildung nicht selten sind . Zudem kommt es immer wieder vor, dass arbeits- rechtliche Bestimmungen nicht eingehalten werden: Fei- ertage und Urlaub werden nicht bezahlt, oder es gibt kei- ne Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall . Hier hat aber auch die Politik zu lange weggeschaut . In Zukunft muss es daher auch heißen, bei den Bran- chenmindestlöhnen für Fahrschulen genauer hinzuschau- en: Erbringt eine Fahrschule Leistungen im Bereich der Aus- und Weiterbildung, gilt nämlich ein Mindestlohn von 12,50 Euro bzw . 13,35 Euro . Das muss in der Praxis aber auch tatsächlich eingehalten werden . Dies gilt gera- de auch für diejenigen, die bisher arbeitslos waren und im Auftrag der Jobcenter oder der Agentur für Arbeit nun einer Fahrschulausbildung nachgehen: Auch hier gelten die Branchenstundenlöhne . Außerdem müssen grundlegende strukturelle Verän- derungen vorgenommen werden . Was in anderen Bran- chen bereits lange möglich ist, gilt bisher nicht so für die Fahrschulen . Die Linksfraktion unterstützt, dass künftig Kooperationen möglich sein sollen, wie dies in ande- ren Branchen längst üblich ist . Fahrschulunternehmen können sich so besser spezialisieren und den Kunden dennoch ein Komplettangebot anbieten . Dies ist insbe- sondere vor dem Hintergrund begrüßenswert, dass die Ausstattung von Unterrichtsräumen mit moderner Tech- nik sehr teuer ist . In Netzwerkstrukturen ist dies eindeu- tig besser zu stemmen . Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Der vorliegende Gesetzentwurf hat eine lange Vorgeschichte . Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Einsetzung der Bund-Länder-Arbeitsgruppe im Jahr 2011, den Beschluss der Verkehrsministerkonferenz im Frühjahr des darauffolgenden Jahres und die Befas- sung des Deutschen Verkehrsgerichtstags mit dem The- ma als wichtige Meilensteine auf dem Weg zu dem heute vorliegenden Gesetzentwurf . Der Entwurf ist vor allem auch das Ergebnis inten- siver Vorarbeiten durch die Länder . An dieser Stelle ist besonders das Engagement des Landes Baden-Württem- berg hervorzuheben . Dem grün regierten Baden-Würt- temberg war die Reform des Fahrlehrerrechts immer ein besonderes Anliegen, und so hat es sich in der Bund-Län- der-Arbeitsgruppe auch entsprechend stark eingebracht . Weitgehende Einigkeit bestand fraktionsübergreifend über die wesentlichen Inhalte bei der Reform des Fahr- lehrerrechts: von der Neuregelung der Zugangsvoraus- setzungen zum Fahrlehrerberuf, der Modernisierung der Fahrlehreraus- und -weiterbildung, der Verbesserung der Kooperationsmöglichkeiten von Fahrschulen, der Fahr- schulüberwachung bis hin zur Entbürokratisierung – in allen Punkten bringt der Entwurf nach langem Ringen hinter den Kulissen greifbare Fortschritte . Vor allem die Fahrlehreraus- und -weiterbildung macht einen wichtigen Schritt nach vorne . Neue Inhalte, die auf den Erwerb verkehrspädagogischer Kompeten- zen abzielen, halten endlich Einzug in die Fahrschulpra- xis . Dabei sollen auch schnell neue Entwicklungen, wie beispielsweise die Elektromobilität und automatisiertes Fahren, thematisch behandelt werden . Dass auf aktuelle Erkenntnisse aus der Lehr- und Lernforschung zurück- gegriffen wird sowie E-Learning und Blended Learning berücksichtigt werden, begrüßen wir ausdrücklich . Auch die Anforderungen an Ausbildungsfahrschulen und -lehrer sollen weiterentwickelt werden . Neu aufge- nommen wurde eine Fortbildungspflicht. Der Verbesse- rung der pädagogischen Qualität dient die Ausbildung in den sogenannten Erweiterungsklassen . Dabei kommt uns allerdings die themenspezifische Weiterbildung in den Klassen C und D zu kurz, denn sie ist schlicht nicht verpflichtend. Die Teilnahme an den Fortbildungsmodulen C und D sollten zudem berufsbe- gleitend möglich sein . Hier muss nachgebessert werden . Auch an anderen Stellen gilt für meine Fraktion: Das Bessere ist der Feind des Guten . Und deshalb werbe ich an dieser Stelle für notwendige Veränderungen, über die wir in den anstehenden Ausschussberatungen noch dis- kutieren sollten . Nicht nachvollziehbar ist für uns, warum die Rege- lungen zum Betreiben von Zweigstellen und zu den Ko- operationen von Fahrschulen erst ab dem 1 . Juli 2019 gelten sollen . Die wirtschaftliche Situation vieler klei- nerer Fahrschulen ist angespannt . Das ist ablesbar am Umsatz je Unternehmen, der beispielsweise bei Fahr- schulen in Ostdeutschland gerade um die 100 000 Euro im Jahr liegt . Im Fahrschulwesen läuft daher schon seit längerer Zeit ein stetiger Konzentrationsprozess hin zu wirtschaftlich tragfähigen und auskömmlichen Betriebs- größen . Dieser Prozess sollte durch die Reform eigent- lich unterstützt werden . Die Verschiebung macht daher keinen Sinn, da die Branche lange genug wartet, sich neu aufstellen und organisieren zu können . Wichtig ist in die- sem Zusammenhang nach unserer Auffassung, dass die Anzahl der Kooperationen limitiert wird . Schließlich stellt sich für meine Fraktion noch die Fra- ge der Überwachungsvorschriften und Kontrollen für die Fahrschulen und Fahrlehrerausbildungsstätten . Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die dazu notwendigen Regelungen bundesweit einheitlich umgesetzt werden . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721636 (A) (C) (B) (D) Die vorgesehene „Soll-Bestimmung“ ist daher durch eine „Muss-Bestimmung“ zu ersetzen . Dorothee Bär, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- minister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes über das Fahrlehrerwesen und zur Änderung anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften biegt die Reform des Fahrlehrerrechts auf die Zielgerade ein . Heute liegt das Ergebnis von vier Jahren Arbeit auf dem Tisch . Wir haben mit Ländern und Verbänden viel und in- tensiv diskutiert und um Lösungen gerungen . Nach- wuchsmangel und das hohe Durchschnittsalter der Fahr- lehrerschaft erforderten attraktive und zukunftsfähige Zugangsregelungen . Zukünftige Fahrlehrerinnen und Fahrlehrer müssen „mindestens eine abgeschlossene Berufsausbildung in einem anerkannten Lehrberuf oder eine gleichwertige Vorbildung“ vorweisen . Auch Quereinsteiger erhalten zukünftig eine Chance, den Beruf des Fahrlehrers zu er- greifen . Ferner soll der Besitz der Motorrad- und Lkw-Klas- sen als Voraussetzung für den Pkw-Fahrlehrer wegfallen, was die Ausbildung kostengünstiger macht . Bisher über den Besitz der Lkw-Fahrerlaubnis abgedeckte Eignungs- überprüfungen werden direkt im Fahrlehrerrecht gere- gelt . Verbessert wurden auch die Dauer der Ausbildung so- wie das Zusammenwirken von Ausbildungsstätten und Ausbildungsfahrschulen . Wir erhöhen den Ausbildungs- umfang von derzeit 577,5 Stunden auf dann 750 Stun- den: eine Erhöhung um rund 30 Prozent . Wir stärken päd- agogische Inhalte und verstärken den Kompetenzerwerb im Bereich der Fahrerassistenzsysteme und des automa- tisierten Fahrens . Das ist die Zukunft . Einschließlich Praxis wird die neue Ausbildung künftig mindestens zwölf Monate dauern . Auch für die Fahrschulen wird es Veränderungen geben: hinsichtlich Rechtsform, Kooperationen und Verantwortlichkeiten . Besonders wichtig sind uns auch dringend notwendige Entlastungen bei den Bürokratiekosten durch Vereinfa- chung und Digitalisierung der Dokumentation . Völlig neu wird die Fahrschulüberwachung aufge- stellt . Zwar hätten wir uns einen höheren Grad an Einheit- lichkeit für das gesamte Bundesgebiet gewünscht, aber regionale Besonderheiten wurden auf ausdrücklichen Wunsch einiger Bundesländer beibehalten . Wir haben viele Details verbessert und wesentliche Beschlüsse der Verkehrsministerkonferenz zum Eckpunktepapier umge- setzt . Die Anforderungen an die Fahrlehrerinnen und Fahr- lehrer sind hoch und werden es auch weiterhin bleiben . Mit der Digitalisierung des Verkehrs kommen neue He- rausforderungen hinzu . Insofern wird der Berufsstand weiterhin ein unverzichtbarer Teil unserer Mobilität und der Verkehrserziehung bleiben . Aus meiner Sicht hat der Beruf der Fahrlehrerin und des Fahrlehrers noch eine große Zukunft . Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein­ gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände­ rung des Güterkraftverkehrsgesetzes, des Fahr­ personalgesetzes, des Gesetzes zur Regelung der Arbeitszeit von selbständigen Kraftfahrern, des Straßenverkehrsgesetzes und des Gesetzes über die Errichtung eines Kraftfahrt­Bundesamtes (Ta­ gesordnungspunkt 26) Oliver Wittke (CDU/CSU): Mit unserer heutigen Debatte leiten wir nicht nur eine Änderung des Güter- kraftverkehrsgesetzes, des Fahrpersonalgesetzes, des Gesetzes zur Regelung der Arbeitszeit von selbständigen Kraftfahrern, des Straßenverkehrsgesetzes und des Ge- setzes über die Errichtung eines Kraftfahrt-Bundesamtes ein, sondern wir schließen heute auch und vor allem an eine Debatte vor gut zwei Jahren an, in der wir uns zu- letzt mit dem Fahrpersonalgesetz befasst haben . Bereits in dieser Debatte am 18 . Dezember 2014 haben wir deutlich gemacht, dass wir eine europaweit einheitli- che Praxis bei der Umsetzung der Lenk- und Ruhezeiten anstreben, wonach regelmäßige wöchentliche Ruhezei- ten nicht in der Fahrerkabine eines Lkws verbracht wer- den dürfen . Nach nationalen Alleingängen von Belgien und Frankreich kommt es vermehrt zu Ausweichverkeh- ren, die aufgrund einer hohen Zahl mehrtägig an ihrem Lkw campierenden Fahrer zu teils menschenunwürdigen Szenen auf völlig überfüllten Parkplätzen auf der deut- schen Seite geführt haben . Mit Verweis auf Gespräche, die die Bundesregierung dann im Jahr 2015 auf europäischer Ebene geführt hat, haben wir zu diesem Zeitpunkt zunächst auf eine eigene nationale Regelung verzichtet . Leider haben diese Ge- spräche nicht zu dem erhofften Erfolg geführt . Die Koalitionsfraktionen stehen zu ihrem Wort . Nach- dem sich die EU-Mitgliedstaaten nicht auf eine gemein- same Praxis bei der Umsetzung und Anwendung oder einer Klarstellung der Verordnung (EG) Nr . 561/2006 des Rates zur Harmonisierung bestimmter Sozialvor- schriften im Straßenverkehr einigen konnten, werden wir einen Änderungsantrag zu diesem Gesetz einbringen, der sich dieser Problematik annimmt . Wir folgen damit dem Beispiel Belgiens und Frankreichs und geben auch der Bundesregierung die nötige rechtliche Grundlage an die Hand, um gegen Verstöße bei der Verbringung der vor- geschriebenen Lenk- und Ruhezeiten konsequent vorzu- gehen . Darüber hinaus werden wir das Gesetzespaket zum Anlass nehmen, das Thema des Sozialdumpings in der Transport- und Logistikbranche zu thematisieren . Wir stehen zum Europäischen Binnenmarkt und zu mehr Wettbewerb . Doch dieser ist auf faire Arbeits- und Wett- bewerbsbedingungen angewiesen . Wettbewerb, der von Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21637 (A) (C) (B) (D) Unternehmen ausgeht, die dauerhaft ihre Leistungen in Deutschland anbieten, aber niedrigeren Sozialstandards unterliegen, ist nicht fair . Hier gilt es zu prüfen, in wel- chen Bereichen wir die Spielräume auf nationaler und den deutschen Einfluss auf europäischer Ebene besser ausnutzen können . Teile des vorliegenden Gesetzentwurfes tragen dieser Forderung bereits Rechnung . Die Einrichtung eines elek- tronischen Registers, in der auch Daten über Verstöße, die Unternehmer und Verkehrsleiter im Rahmen ihrer Gewerbeausübung begangen haben, gesammelt werden, und die Verlängerung der Aufbewahrungsfrist für Auf- zeichnungen über Lenk- und Ruhezeiten, sofern diese für die Erfüllung der Aufbewahrungspflichten nach dem Mindestlohngesetz benötigt werden, sind ein weiterer Schritt in die richtige Richtung . Sie helfen, die Einhal- tung nationaler und europäischer Vorschriften auch bei zu ausländischen Fuhrparks gehörenden Lkw besser kon- trollieren zu können . Die Koalitionsfraktionen werden die angesprochenen Themen in den kommenden Wochen intensiv beraten und entsprechende Anträge in den Verkehrsausschuss einbringen . Udo Schiefner (SPD): Güterkraftverkehr und Fahr- personal: Darüber können wir heute nicht sprechen, ohne über faire Arbeits- und Wettbewerbsbedingungen zu sprechen . Auf deutschen Autobahnen sollte beides selbstverständlich sein . Doch die Realität sieht anders aus – erschreckend anders . Große Teile des deutschen Transportlogistikgewerbes sind akuten Wettbewerbsver- zerrungen ausgesetzt . Ehrliche Logistik- und Transport- unternehmen, die ihre Mitarbeiter fair bezahlen und sozi- ale Standards einhalten, verlieren zunehmend Aufträge . Ihre Existenz ist bedroht . Die Spediteure und vor allem ihre Fahrerinnen und Fahrer, die Menschen am Steuer der Lkw, fahren am Limit . Sie leiden darunter, dass auf deutschen Autobahnen zu viele schwarze Schafe zu un- scharfe Regeln ausnutzen können . Gleichzeitig erwarten wir als Kunden, Verbraucher, Internetbesteller von denen, die tagtäglich unsere Waren transportieren, dass sie schnell, effizient und zuverlässig und vor allem preiswert liefern . Unser Wohlergehen ist untrennbar mit der Misere derer verknüpft, die uns ver- sorgen . Das gilt auf vielen Ebenen, wenn man sich die weltwirtschaftlichen Zusammenhänge anschaut . Aber nur selten ist es so offensichtlich und liegt sprichwörtlich vor unserer Haustür wie beim Güterkraftverkehr . Transport und Logistik bilden das Rückgrat unserer Wirtschaft und unseres täglichen Lebens . Unser Wirt- schaftsstandort Deutschland hängt in hohem Maße von leistungsfähiger Logistik ab . Die Fahrerinnen und Fah- rer der Lastkraftwagen sind wesentliche Stützpfeiler des wirtschaftlichen Erfolges in Deutschland . Anerkennung und Wertschätzung erhalten sie dafür kaum . Im Gegen- teil, die Arbeit der Berufskraftfahrer hat unberechtigt ein schlechtes Ansehen . Vor allem sind sie oft die ersten und einzigen, die zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie gegen Regeln verstoßen . Doch sie verstoßen gegen Regeln, weil sie den straffen Anforderungen ihrer Arbeit- geber und Auftraggeber gerecht werden müssen . Für viele Berufskraftfahrer, oft im Auftrag auslän- discher Unternehmen auf den Autobahnen unterwegs, kommt hinzu, dass sie unter unwürdigen Bedingungen arbeiten und leben müssen . Bis zu drei Monate leben und arbeiten sie außerhalb ihres Heimatlandes im Lkw . Sie sind dabei dubiosen Beschäftigungssystemen unter- worfen . Ihnen wird oft der Zugang zu sozialen Rechten und Arbeitnehmerrechten verwehrt . Sie verbringen da- bei all ihre Nächte und Wochenenden in ihrem Lkw auf den Rastplätzen, und sie fahren für Dumpinglöhne quer durch Europa . Für Fahrzeuge und Fahrerinnen und Fahrer, die ihre Heimatstandorte nur noch gelegentlich sehen, ist deren Einsatz aber keineswegs durch die europäische Dienst- leistungsfreiheit gedeckt . Im Moment jedoch können sich die Flottenbetreiber den Fiskal- und Sozialstandards der jeweiligen Länder entziehen, in denen sie sich über- wiegend betätigen . Diesem Nomadentum auf den Rast- plätzen Europas müssen wir ein Ende bereiten . Ein Angriffspunkt – nur einer von vielen, aber ein wichtiger – ist dabei die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit . Mit Artikel 8 Nummer 8 der EU-Verord- nung 561/2006 ist die Voraussetzung gegeben, um zu unterbinden, dass die regelmäßige wöchentliche Ruhe- zeit im Fahrzeug verbracht wird . Die EU-Verordnung sagt: In zwei jeweils aufeinanderfolgenden Wochen hat der Fahrer mindestens zwei regelmäßige wöchentliche Ruhezeiten oder eine regelmäßige wöchentliche Ruhe- zeit und eine reduzierte Wochenruhezeit von mindestens 24 Stunden einzuhalten . Wichtig sind hier die zu unter- scheidenden Begriffe „regelmäßige“ und „reduzierte“ wöchentliche Ruhezeit . Weiter heißt es nämlich, dass nicht am Standort eingelegte tägliche Ruhezeiten und re- duzierte wöchentliche Ruhezeiten im Fahrzeug verbracht werden können . Regelmäßige wöchentliche Ruhezeiten im Fahrzeug werden in dieser Ausnahme explizit nicht benannt . Dem EU-Recht folgend können und müssen wir das Verbringen der regelmäßigen wöchentlichen Ruhe- zeit im Fahrzeug verbieten und ahnden . Mit unserem Koalitionspartner sind wir uns bezüglich dieses Ziels einig . Wir werden unser parlamentarisches Recht nutzen und die von der Bundesregierung einge- brachten Gesetzesänderungen durch einen eigenen Än- derungsantrag ergänzen . So sorgen wir für Klarheit im Fahrpersonalgesetz . Deutsche Kontrollbeamte werden bald, wie ihre Kol- leginnen und Kollegen in unseren westlichen Nachbar- staaten, dem Verbot des Verbringens der regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeit im Lkw Geltung verschaffen können . Vor mehr als zwei Jahren hätten wir eine entsprechen- de Regelung treffen sollen . Bereits damals gab es dazu Forderungen aus dem Bundesrat . Die Bundesregierung hatte im Dezember 2014 aber noch den Wunsch geäu- ßert, sich dem Thema zunächst im Sinne einer europäi- schen Lösung zu nähern . Die dazu im Verkehrsausschuss gemachte Zusage des Ministeriums, das Thema im Ja- nuar 2015 mit den europäischen Partnern anzugehen, Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721638 (A) (C) (B) (D) hatte ich begrüßt . Ebenso freute ich mich über die klar formulierte Aussage zum weiteren Vorgehen: „Sollte ab- sehbar nicht bis Juli 2015 eine Lösung erkennbar wer- den, werden wir den Weg der nationalen Gesetzgebung beschreiten“ . In der grundsätzlichen Beurteilung des Nomadentums auf den europäischen Rastplätzen gab es über Fraktions- grenzen hinweg zu keinem Zeitpunkt Dissens . Ich hatte damals erwartet, dass uns 2015 ein Regelungsvorschlag vorliegt . Dieser blieb aus . So ist nicht überraschend, dass ich mich sehr darauf freue, unter dieses unselige Kapitel am Ende der jetzi- gen Beratungen im März endlich einen Strich ziehen zu können . Doch es wird kein Schlussstrich sein . Es ist eine Sache, endlich klarzustellen, dass das Verbot des Ver- bringens der Wochenruhezeit mit einem Bußgeld bestraft werden kann . Eine andere, schwierige Sache wird es sein, das Verbot auch durchzusetzen . Ich erwarte, dass das Ministerium und die Kontroll- behörden, also vor allem das BAG und die Polizeien, zügig die notwendigen Handlungsanweisungen und Kontrollvorgaben erstellen . Insbesondere müssen die Beamten vor Ort das Handwerkszeug mitbekommen, um die Fahrt- und Ruhezeiten effektiv kontrollieren zu können . Dazu gehört es auch, über die zahlreichen und nicht selten genutzten Betrugsmöglichkeiten sehr gut in- formiert zu sein . Uns hier im Bundestag und in den Parteien bleibt das Thema Lohn- und Sozialdumping auf den Autobahnen jedoch in jedem Fall erhalten . Es gibt zahlreiche weitere Hausaufgaben, die wir und die Bundesregierung in ih- ren Ministerien längst hätten erledigen müssen . Wir wer- den einen Entschließungsantrag einbringen, der einige der wichtigsten Aspekte aufgreift . Für die betroffenen Unternehmerinnen und Unternehmer und Fahrerinnen und Fahrer hätte ich mir gewünscht, dass dies in dieser Legislaturperiode nicht mehr nötig gewesen wäre . Nun, im Januar 2017, kann ich ernüchtert feststellen, dass uns die prekäre Situation der Transport- und Logistikbranche auch in der 19 . Legislaturperiode beschäftigen wird . Herbert Behrens (DIE LINKE): Dieser Gesetzent- wurf hat im Wesentlichen den Charakter eines Rechtsbe- reinigungsgesetzes . Mit anderen Worten: es werden fast ausschließlich redaktionelle Anpassungen vorgenom- men, einiges wird an EU-Recht angepasst und der Rest geht über Änderungen bei Aufbewahrungsfristen nicht hinaus . So weit, so unspannend . Die Relevanz erhält der heute debattierte Entwurf durch das, was nicht enthalten ist, aber ohne Probleme hätte aufgenommen werden können – ich meine, sogar hätte aufgenommen werden müssen . Gemeint ist hier eine simple Vorschrift, die in anderen Ländern der Eu- ropäischen Union längst erlassen wurde, nämlich das Gebot, dass Lkw-Fahrerinnen und Lkw-Fahrer ihre wö- chentliche Ruhezeit nicht im Fahrzeug verbringen dürfen . Das wäre ein kleiner Schritt für den Gesetzgeber, aber ein sehr großer für zigtausend europäische Berufskraftfahre- rinnen und Berufskraftfahrer sowie deren Familien . Jeder wird sich vorstellen können, dass Lkw-Fah- rerinnen- und Fahrer einen harten Job haben . Ich habe mich selbst einmal davon überzeugt und bin einen Tag als Beifahrer im Brummi quer durch Deutschland gefah- ren . Durch engen Kontakt zu Beschäftigten und Gewerk- schaften weiß ich auch, dass sich die Arbeitsbedingun- gen in der Lkw-Branche gravierend verschlechtert haben und der Abwärtstrend anhält . Immer mehr Druck, immer schlechtere Bezahlung und Arbeitszeiten prägen das Le- ben von zigtausend europäischen Berufskraftfahrerinnen und Berufskraftfahrern sowie deren Familien . Aber um die Brisanz der Situation zu verdeutlichen: Artikel 31 der Grundrechtecharta der EU besagt, dass jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer das Recht auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen hat . Das europäische Straßentransportgewerbe hat sich inzwischen zu einer Branche entwickelt, in der Men- schenwürde nicht viel zählt, von Sicherheit und Gesund- heitsschutz ganz zu schweigen . So hart muss man das sagen, und nicht umsonst spricht die europäische Trans- portgewerkschaft ETF von moderner Sklaverei . Die ETF hat Hunderte Fahrerinnen und Fahrer zu ih- ren Arbeitsbedingungen befragt, und die Ergebnisse sind wirklich erschütternd . Zwei Drittel der Befragten sind durchgängig zwischen drei und zwölf Wochen von ihrem Zuhause entfernt . 80 Prozent gaben an, unter Erschöp- fung zu leiden und dies aus Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes nicht zu melden . Ein Viertel der Befrag- ten hat weniger als drei warme Mahlzeiten in der Woche, und 95 Prozent gaben an, alle Ruhezeiten im Fahrzeug zu verbringen . Ich will es nicht ertragen, dass Menschen – vornehm- lich aus Osteuropa oder Anrainerstaaten der EU – bis zu drei Monaten am Stück ihr Leben in der Fahrerkabine fristen müssen, bei schlechter Ernährung und zudem oft- mals ohne Zugang zu sanitären Einrichtungen – und das vor unser aller Augen . Es ist klar, dass man im Rahmen dieses Gesetzge- bungsverfahrens diese Zustände nicht vollends aufheben können wird . Diese Zustände basieren auf einem gren- züberschreitenden System aus Briefkastenfirmen, Toch- tergesellschaften und Arbeitsvermittlungsagenturen mit Sitzen in jeweils anderen Ländern, welches vor allem seit der EU‑Osterweiterung floriert und als organisierte Ausbeutung bezeichnet werden muss . Aber den schlimmsten Auswüchsen können wir Einhalt gebieten, indem wir ein für alle Mal verbieten, dass die wöchentlichen Ruhezeiten in der Fahrerkabi- ne verbracht werden dürfen, und dies dann konsequent durchsetzen . Damit würde nämlich das weit verbreitete erzwungene Nomadentum der Fahrerinnen und Fahrer erheblich eingeschränkt werden . Die Beschäftigten brau- chen einen grundlegenden Wandel der Arbeitsverhältnis- se in der Branche, und dieser erste Schritt kann sofort gemacht werden . Ich finde es ziemlich bigott, wenn die Bundesregie- rung in Brüssel für eine europäische Lösung bei den wö- chentlichen Ruhezeiten eintritt, sich aber stets weigert, per Bundesgesetz mit gutem Beispiel voranzugehen bzw . Frankreich und Belgien zu folgen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21639 (A) (C) (B) (D) Wenn es um die Interessen von Unternehmen geht, kommt die Bundesregierung der EU gerne zuvor, um schon einmal ein paar Pflöcke einzuschlagen. Bestes Bei- spiel ist die Drohnenverordnung, die das Verkehrsminis- terium schnell noch durchpeitschen will, obwohl Brüssel bald einen europäischen Rechtsrahmen setzen wird . Nie- mand wird also behaupten können, dass man hier nicht handeln kann . Ich hoffe daher sehr, dass die Bundesregierung nach der bereits angekündigten Prüfung noch die Kurve kriegt und eine harte Regelung zu den Ruhezeiten nachlegt . Dann könnte die Linke dem Gesetzentwurf sogar zustim- men . Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Interessant an dem Gesetzentwurf zum Fahrper- sonalgesetz ist nicht das, was drinsteht, sondern vielmehr das, was nicht enthalten ist: Es fehlt eine Bestimmung zum Vorgehen gegen das Verbringen der regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeit in der Fahrerkabine . Wie zu erfahren war, hat man im Bundesverkehrsministerium entsprechende Regelungen aus früheren Arbeitsentwür- fen nach Intervention von Branchenverbänden einfach gestrichen . Das ist völlig inakzeptabel – wir dürfen eine Lösung des Problems und die Bekämpfung von Sozial- dumping im Straßengüterverkehr nicht weiter vertagen . Ich erinnere in diesem Zusammenhang noch einmal daran, dass es im Verkehrsausschuss eine breite Zustim- mung dafür gibt, Sozialdumping im Transport- und Spe- ditionsgewerbe zu bekämpfen . Der Petitionsausschuss hat im November 2015 vier Petitionen mit der Forderung nach einer bußgeldbewehr- ten Verbotsregelung einstimmig mit dem zweithöchsten Votum „zur Erwägung“ an das Bundesverkehrsministeri- um und das Europäische Parlament überwiesen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich noch einmal die unhaltbaren Zustände auf den Rastanla- gen und Lkw-Stellplätzen entlang des Autobahnnetzes in Erinnerung rufen . In Artikel 31 der Charta der Grundrechte der Europä- ischen Union heißt es: „Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat das Recht auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen .“ Das ist der Maßstab, den wir auch an die Arbeitsbedingungen im europäischen Transport- und Speditionsgewerbe anlegen müssen . Und der Weg, der zurückzulegen ist, um dies zu erreichen, ist noch weit . Die Europäische Transportarbeiter-Föderati- on – eine gesamteuropäische Gewerkschaftsorganisati- on – kam bereits in einer Studie von 2013 zu dem Ergeb- nis, dass über 90 Prozent der Fernfahrer ihr Wochenende regelmäßig im Fahrzeug verbringen . Viele Lkw-Fahrer führen praktisch ein Leben auf der Straße: Die Fahrer- kabine ist Arbeitsplatz, Schlafzimmer, Wohnzimmer und Küche in einem . Vom Arbeitgeber gibt es keine Mittel für Übernachtungen in festen Unterkünften . Insbesonde- re für Fahrer aus Osteuropa sieht für Wochen oder oft sogar Monate so der Lebensalltag aus . Die Europäische Transportarbeiter-Föderation nennt dies zutreffend „mo- derne Sklaverei“, die abgeschafft gehöre . Übrigens: Dies sind nicht nur aus sozialen Gründen unhaltbare Zustände . Auch verkehrspolitisch gerät da- durch einiges aus dem Lot . Durch Sozialdumping im Straßengüterverkehr wird auch der Wettbewerb zwischen den Verkehrsträgern verzerrt und der Lkw-Verkehr auf Kosten der Allgemeinheit bzw . auf dem Rücken der Be- schäftigten verbilligt . Weiterhin geraten auch deutsche Speditionsunterneh- men durch Dumpingpreise unter Druck und verlieren im Wettbewerb . Natürlich wäre eine einheitliche Lösung in der Euro- päischen Union, wie vonseiten der Branchenverbände gefordert, der Königsweg . Aber zu einer realistischen Einschätzung der Lage gehört eben auch die Erkenntnis, dass es diese europaweite Lösung allenfalls langfristig geben wird, da die Fronten in dieser Frage besonders ver- härtet sind . Deshalb bleibt uns als Zwischenlösung nur die „Krücke“ einer nationalen Lösung, so wie es Frank- reich und Belgien schon vorgemacht haben . Wir müssen also zweigleisig fahren: In Brüssel für eine EU-Lösung streiten und solange die nicht greifbar ist, eine Regelung im nationalen Recht erlassen . Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zum Fahr- personalgesetz deutlich gemacht, wie eine solche natio- nale Regelung aussehen könnte . Die Voraussetzungen für vernünftige Bedingungen zum Verbringen der Wochen- ruhezeit muss demnach der Unternehmer schaffen . Au- ßerdem ist eine Bußgeldbewährung für Verstöße vorge- sehen . Dazu gehört nach meiner Überzeugung auch eine Personalaufstockung beim Bundesamt für Güterverkehr, damit wir überhaupt in die Lage kommen, entsprechende Regelungen auch wirksam zu kontrollieren . Wir haben wohlwollend zur Kenntnis genommen, dass die Bundesregierung sich immerhin der Zielsetzung der Bundesratsstellungnahme nicht völlig verschließt und ei- nen Regelungsbedarf anerkennt . Umso unverständlicher erscheint die Tatsache, dass die Bundesregierung nicht in der Lage war, eine entsprechende gesetzliche Regelung von Beginn an in den Entwurf des Fahrpersonalgesetzes aufzunehmen . Insofern sind wir auf das weitere parlamentarische Verfahren gespannt . Eine wirksame Bekämpfung von Sozialdumping im Straßengüterverkehr wird meine Fraktion jedenfalls nach Kräften unterstützen . Dorothee Bär, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- minister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Der Ih- nen vorliegende Änderungsentwurf dient dazu, in diesen Gesetzen an mehreren Stellen redaktionelle Anpassun- gen und Klarstellungen vorzunehmen . Im Güterkraftverkehrsgesetz geht es uns um die nati- onale Erlaubnis, mit der der Unternehmer die Zulassung zur Ausübung des Berufs erhält . Bisher wird sie nach Ablauf der bis zu zehnjährigen Geltungsdauer zeitlich unbefristet erteilt, sofern der Unternehmer die Berufszu- gangsvoraussetzungen nach wie vor erfüllt . Diese Regelung passen wir nun an geltendes europäi- sches Recht an, da die nach EU-Recht zum selben Zweck zu erteilende sogenannte EU-Lizenz im Verlängerungs- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721640 (A) (C) (B) (D) fall nur für erneut zehn Jahre erteilt wird . Die Möglich- keit der unbefristeten Verlängerung für die nationale Er- laubnis wird daher gestrichen . Im Fahrpersonalgesetz schaffen wir die Möglichkeit, Aufzeichnungen über Lenk- und Ruhezeiten über die bisher geltende Dauer hinaus aufzubewahren . Damit erreichen wir, dass erweiterte Aufbewahrungspflichten eingeführt werden, die zum Beispiel für die Erfüllung der Aufbewahrungsfristen nach dem Mindestlohngesetz benötigt werden . Das war keine von uns geschätzte Maß- nahme, da wir die Unternehmen eigentlich von Bürokra- tie entlasten wollen . Die übrigen Änderungen dienen ebenfalls der Umset- zung europarechtlicher Vorgaben . Dies gilt insbesondere für die Schaffung einer Ermächtigungsgrundlage für die Speicherung von Verstößen des Unternehmers und des Verkehrsleiters und diverse redaktionelle Änderungen aufgrund veränderten EU-Rechts . Der Bundesrat hat aufgrund entsprechender Vorschlä- ge aus seinen Ausschüssen die Aufnahme eines neuen § 3a in das Fahrpersonalgesetz vorgeschlagen . Haupt- ziel dieses Vorschlags ist die Aufnahme eines Verbotes, die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit, deren Dauer 45 Stunden beträgt, im Fahrzeug zu verbringen . Dementsprechend soll der Unternehmer verpflichtet werden, die Arbeit des Fahrers so zu organisieren, dass er die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit am Wohnort, am Unternehmenssitz oder in einer festen Unterkunft mit geeigneten Sanitäreinrichtungen und ausreichenden Versorgungsmöglichkeiten verbringen kann . Ziel des Vorschlages ist die Beendigung des Nomadentums ins- besondere mittel- und osteuropäischer Fahrer vor allem übrigens auf deutschen Parkplätzen . Im Ziel stimmt die Bundesregierung mit dem Bundes- rat überein . Wir haben kein Interesse daran, dass Fahrer wochen-, manchmal monatelang im Fahrzeug leben und sich einen vollständigen Haushalt im Fahrzeug einrich- ten müssen . Deutschland ist ein wichtiges Transitland im Herzen Europas . Wir wollen eine Regelung, die die Interessen der Fahrerinnen und Fahrer mit den Interessen der Lo- gistikunternehmen in Ausgleich bringt . Mein Dank an dieser Stelle gilt den Berichterstattern im Verkehrsaus- schuss, die sich in dieser Angelegenheit mit vollem Ein- satz einbringen . Beim Güterkraftverkehrsgesetz schließlich geht es um eine weitere Befreiung nach § 2 Absatz 1 Nr . 7 GüKG für sogenannte Lohnunternehmer . Sie sollen unter be- stimmten Bedingungen von den Verpflichtungen dieses Gesetzes gänzlich ausgenommen werden, obwohl sie in vielen Situationen in Konkurrenz zum gewerblichen Gü- terkraftverkehr treten . Hier wartet die Bundesregierung natürlich den weite- ren Verlauf der Beratungen in den Ausschüssen ab . Ich sage Ihnen aber selbstverständlich auch hier eine sorgfäl- tige Prüfung Ihrer Vorschläge zu . Mit den Anträgen der Fraktionen, den Gesetzentwurf an die Ausschüsse zu überweisen, ist die Bundesregie- rung selbstverständlich einverstanden . Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge­ brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisie­ rung der epidemiologischen Überwachung über­ tragbarer Krankheiten (Tagesordnungspunkt 27) Rudolf Henke (CDU/CSU): Mit dem von der Bun- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Moder- nisierung der epidemiologischen Überwachung über- tragbarer Krankheiten beraten wir über die nächsten notwendigen Schritte hin zu einem besser koordinierten und strukturierten Schutz vor Infektionskrankheiten . Hauptziel des Gesetzes soll die Etablierung eines elek- tronischen Melde- und Informationssystems sein, mit dem spätestens ab dem Jahr 2021 der Infektionsschutz in unserem Land volldigitalisiert und datenschutzrechts- konform umgesetzt werden soll . Es ist gut und richtig, dass wir die mit der epidemio- logischen Überwachung von Infektionskrankheiten ver- bundenen Gesetze an die wissenschaftliche Entwicklung und auch an die Erfahrungen der Beteiligten auf Bundes-, Länder-, und Kommunalebene anpassen und damit dem eigentlichen Anliegen einer bestmöglichen Eindämmung von Infektionskrankheiten durch eine schnelle Lokalisie- rung und bestmögliche Isolierung des Gefahrenherdes Stück für Stück näher kommen . Hinzu kommt, dass sich Deutschland auf internationa- ler Ebene seiner Verantwortung stellt und wir uns aktiv an einer erfolgreichen Umsetzung der Strategie der Welt- gesundheitsorganisation zur vollständigen Ausrottung von Polioviren beteiligen . Dafür bedarf es an der einen oder anderen Stelle zusätzlicher Rechtsgrundlagen und Präzisierungen, damit wir unseren eigenen Verpflichtun- gen nachkommen können . Ein weiterer Aspekt mit internationaler Note ist die Anpassung des Infektionsschutzgesetzes an globale He- rausforderungen, wie wir sie bei der verheerenden Ebo- laepidemie in Westafrika im Jahr 2015 erleben mussten, sowie die Umsetzung von Vorschriften, die uns die Euro- päische Union auferlegt . All das ist in seiner Zielsetzung sinnvoll und wird von allen Betroffenen grundsätzlich begrüßt . Es ist auch po- sitiv hervorzuheben, dass zwischen Referentenentwurf und Kabinettsentwurf augenscheinlich ein konstruktiver Dialog stattgefunden hat, der zu überwiegend klugen Än- derungen geführt hat . Anpassungen, Umstellungen und die Etablierung völ- lig neuer Systeme, sei es zur Bewältigung der gleichen Aufgaben, sind nicht selten mit einem zumindest kurz- fristigen Mehraufwand verbunden . Ich glaube, das kennt jeder von uns; damit wurde jeder in seinem beruflichen Alltag schon einmal konfrontiert . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21641 (A) (C) (B) (D) Aufgabenerweiterungen hingegen sind nur begrenzt mit dem gleichen Arbeitsaufwand zu erledigen . Zieht man nun in Betracht, dass die Gesundheitsämter vor Ort – sprich: in den Kommunen und mittlerweile immer öfter auch in den Ländern – personell und strukturell schlichtweg nicht angemessen ausgestattet sind, komme ich schnell zu dem Schluss, dass wir auch im Kontext dieses Gesetzes über die Personalausstattung unserer Ge- sundheitsdienste sprechen müssen . Die Ressourcenausstattung ist eine immer wiederkeh- rende und scheinbar nicht zufriedenstellend lösbare Aus- einandersetzung, die immer wieder dann aufkeimt, wenn wir Gesetze beschließen, die den Gesundheitsdienst mit immer neuen und komplexeren Aufgaben betrauen . Ich weiß nicht, wie oft ich schon im Plenum oder im Aus- schuss diese in meinen Augen unhaltbaren Umstände be- mängelt und an das Pflichtgefühl der Länder appelliert habe . Beinahe Jahr für Jahr werden auf der Gesundheitsmi- nisterkonferenz Beschlüsse gefasst, die den Öffentlichen Gesundheitsdienst betreffen, so auch im vergangenen Jahr . Man kann nicht bestreiten, dass die Gesundheits- minister die Arbeit des Gesundheitsdienstes schätzen . So heißt es im gefassten Beschluss: „Die GMK betont die unverzichtbare Rolle des ÖGD im Gesundheitswesen, die sich vom Gesundheitsschutz der Bevölkerung, der Gesundheitsförderung und Ge- sundheitsvorsorge bis zur Mitgestaltung und Mitwirkung bei der Gesundheitsversorgung erstreckt .“ Und weiter heißt es: „Die Herausforderungen für die Gesunderhaltung der Bevölkerung und damit für die Aufgabenwahrnehmung durch den ÖGD werden ange- sichts von Globalisierung, demografischem Wandel und nicht zuletzt durch die Flüchtlingsbewegungen komple- xer . Deshalb sieht die GMK die Notwendigkeit, die Per- spektiven für den ÖGD neu zu bestimmen und auf allen politischen Ebenen die Grundlagen für die Gewinnung qualifizierter, motivierter Fachkräfte zu verbessern.“ Die Landesgesundheitsminister gehen im weiteren Wortlaut auch auf die mangelnden Ressourcen ein, mit denen sich der ÖGD konfrontiert sieht . Das begrüße ich ausdrücklich, stelle mir, ehrlich gesagt, aber die Frage, wann sich bei den Gesundheitsdiensten vor Ort an den weiterhin schlechten Bedingungen etwas ändern wird, wenn er als unverzichtbar eingestuft wird und auch aner- kannt wird, dass sich seine Aufgabenwahrnehmung im- mer komplexer gestaltet . Im vorliegenden Gesetzentwurf berechnet die Bun- desregierung etwa für das Robert-Koch-Institut einen zusätzlichen Personalbedarf im Umfang von mindestens fünf Stellen . Das ist sinnvoll; das ist gut . Doch werden wir im parlamentarischen Verfahren darüber zu reden ha- ben, warum die Bundesregierung davon ausgeht, dass für andere Betroffene kein Erfüllungsaufwand entsteht . Da erwarte ich eine ergebnisoffene Auseinandersetzung . Wir werden sicherlich an der einen oder anderen Stel- le noch über Anpassungsbedarf reden müssen; ich denke etwa an die Vollständigkeit der Aufzählung meldepflich- tiger Krankheitserreger oder die Sicherstellung eines si- cheren, kompatiblen elektronischen Erfassungssystems für alle Beteiligten . Alles in allem bin ich zuversichtlich, dass mit dem vorliegenden Gesetzentwurf eine gute Basis geschaffen wurde und wir am Ende des parlamentarischen Verfah- rens ein Gesetz verabschieden werden, das unsere Bür- gerinnen und Bürger besser vor Infektionen schützt und dabei auch die Personen nicht aus den Augen verliert, die tagtäglich durch ihren Einsatz genau dafür Sorge tra- gen – das sollte uns Gesundheit wert sein . Sabine Dittmar (SPD): Wir sprechen heute über einen Gesetzentwurf, der mit dem Titel „Gesetz zur Modernisierung der epidemiologischen Überwachung übertragbarer Krankheiten“ nicht sehr verständlich und eher sperrig daherkommt . Der Gesetzentwurf ist aber ob seines Zieles, die epidemiologische Überwachung von übertragbaren Krankheiten zu modernisieren und zu ver- bessern, notwendig und zu begrüßen . Bei Epidemien und übertragbaren Krankheiten denkt man gemeinhin wohl eher an so verheerende Ereignisse wie den Ebolaausbruch in Westafrika . Der Blick auf den aktuellen Krankenstand bei grippalen Infekten und den heftigen Noroinfektionen oder die im vergangenen Jahr in Teilen Deutschlands grassierende Masernwelle zeigen uns allerdings, dass wir selbst in unserem so gut funk- tionierenden Gesundheitssystem vor dem Ausbruch von ansteckenden Krankheiten bei weitem nicht gefeit sind . Belege dafür, dass wir unsere Meldewege und die Überwachung von ansteckenden Krankheiten verbessern sollten, gab und gibt es viele . Erinnern wir uns an das Jahr 2011: Die Ehecepidemie mit über 4 000 Erkran- kungsfällen, davon über 700 Patienten mit dem lebens- bedrohenden hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS), und 50 Todesfällen . Das hat uns damals eindrücklich vor Augen geführt, dass die Meldekette und der Informati- onsaustausch zwischen den Bundesländern ausbaufähig sind . Der heute in erster Lesung eingebrachte Gesetzent- wurf nimmt sich dieser Problematik an . Mit der Weiterentwicklung des DEMIS, dem Deut- schen Elektronischen Meldesystem für Infektionsschutz, wollen wir die notwendigen Rechtsgrundlagen schaffen für ein schnelles und effektives elektronisches Melde- und Informationssystem für übertragbare Krankheiten . Der schnelle Datentransfer ist zweifelsohne essenziell, um Infektionsrisiken und Hinweise auf Epidemien früh- zeitig zu erkennen, die notwendigen Schutzmaßnahmen ergreifen zu können und Krankheitsausbrüche einzudäm- men . Von einigen Fachverbänden wird allerdings die Frage aufgeworfen, ob die vorgesehenen Änderungen dem Ziel gerecht werden, die Effizienz bei der Prävention und der Bekämpfung von übertragbaren Erkrankungen zu stei- gern, und ob sie den Aufwand bei der Datenaufbereitung tatsächlich reduzieren . Natürlich wird sich vieles davon erst in der Praxis unter Beweis stellen und oft auch erst dann, wenn eine Krisensituation wie beispielsweise der bereits erwähnte Ehecausbruch mit unbekanntem und nur schwer zu ermit- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721642 (A) (C) (B) (D) telndem Infektionsursprung auftritt . Es ist aber wichtig, dass jetzt gesetzlich klargestellt und geregelt wird, wer in welchen Einrichtungen bei welchen Infektionskrank- heiten zur Meldung verpflichtet ist und welche Melde- fristen, Meldeinhalte und Meldewege einzuhalten sind . Dass es durch die geringfügige Ausweitung von zu meldenden Infektionskrankheiten und die höhere Anzahl von Meldenden eine größere Datendichte geben wird, die es dann zu bearbeiten gilt, ist unbestritten . Inwieweit die Tatsache, dass die Informationsweitergabe künftig auf dem elektronischen Weg geschehen soll, zu einer Effizi- enzsteigerung und Vereinfachung führen wird, bleibt je- doch abzuwarten . Schließlich sollen am Ende tatsächlich alle Ärzte, Einrichtungsleiter, Krankenhäuser, stationäre Einrichtungen der Pflege, Einrichtungen für ambulantes Operieren, Labore und Gesundheitsbehörden auf allen Ebenen eingebunden sein, damit wir in der Endstufe ein lückenloses Informationsnetz mit rund 400 000 Nutzern erhalten . Entscheidend ist auf jeden Fall, dass die beteiligten Stellen und insbesondere der Öffentliche Gesundheits- dienst (ÖGD) personell und organisatorisch in der Lage sind, auf die größeren Datenströme reagieren zu können . Auch wenn der Öffentliche Gesundheitsdienst Länder- sache ist, möchte ich dennoch den dort immer wieder beklagten Personalmangel nochmals aufgreifen . Die Gesundheitsministerkonferenz hat sich im vergangenen Jahr in der 89 . Sitzung intensiv damit beschäftigt und den Beschluss „Perspektiven zur Stärkung des ÖGD“ gefasst . Dem Beschluss müssen nun Taten folgen, damit die Prä- vention und Bekämpfung von ansteckenden Krankheiten effizienter gelingen kann. Zudem müssen wir bei den sensiblen Daten, die künf- tig in ein elektronisches Melde- und Informationssystem einfließen und online übermittelt werden sollen, der Fra- ge der Datensicherheit große Aufmerksamkeit schenken . Das Ganze wird durch den Erlass einer Rechtsverord- nung geregelt . Hier werden das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik und die Bundesbeauftragte für den Datenschutz sicherlich den entsprechenden Input liefern . Ein weiterer wichtiger Punkt des vorliegenden Ge- setzentwurfes ist die Umsetzung der Laborcontain- ment-Vorgaben der Globalen Polioeradikationsinitiative . Stufenweise sollen Poliowildviren, Polioimpfviren und Materialien, die Polioviren enthalten könnten, erfasst, zentralisiert und schließlich vernichtet werden . Polio ist ein gutes Beispiel dafür, was mit nationalen und internationalen Vorgaben und Bemühungen erreicht werden kann, um Krankheiten einzudämmen und auszu- rotten . Ich wünsche mir sehr, dass wir das in naher Zu- kunft auch über Masern und Röteln sagen können . Hier sind wir noch weit vom Ziel entfernt . Viel zu viele Kinder verfügen über keinen altersge- rechten Impfschutz, und die Impflücken bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind eklatant . Ich hoffe sehr, dass uns der Aktionsplan 2015–2020 zur Elimination von Masern und Röteln ein großes Stück weiterbringt . Deshalb nutze ich die heutige Debatte auch, um dazu aufzurufen, die von der STIKO empfohlenen Schutzimp- fungen ernst zu nehmen . Lassen Sie Ihren Impfstatus überprüfen, auffrischen und ergänzen . Schützen Sie sich selbst und andere durch einen kleinen Piks! Der heute eingebrachte Gesetzentwurf beinhaltet vie- le wichtige Punkte, die zu einem besseren Gesundheits- schutz beitragen werden . Wir werden in der nächsten Sitzungswoche die Gelegenheit haben, die derzeit noch offenen Detailfragen in einer öffentlichen Anhörung des Gesundheitsausschusses zu vertiefen und zu klären . Schon jetzt ist aber klar, dass der Gesetzentwurf die Mel- dekette und die Information über Übertragungswege von ansteckenden Krankheiten verbessern wird . Er ist not- wendig und deshalb zu begrüßen . Birgit Wöllert (DIE LINKE): Unter dem sperrigen Titel „Modernisierung der epidemiologischen Überwa- chung übertragbarer Krankheiten“ diskutieren wir heu- te, wie die Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten in Deutschland weiter verbessert und ihre Bekämpfung an neue Entwicklungen angepasst werden kann . Mit dem Gesetzentwurf sollen Änderungen an ei- nigen bestehenden Gesetzen, darunter – um nur einige zu nennen – das Infektionsschutzgesetz (IfSG), die Trink- wasserverordnung, das Gesetz zur Durchführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften und das Auslän- derzentralregistergesetz, vorgenommen werden . Die Bekämpfung ansteckender Krankheiten ist für meine Fraktion Die Linke ein wesentliches gesundheits- politisches Ziel . Neben gesundheitsfördernden und prä- ventiven Maßnahmen stellen auch die Konkretisierungen und Erweiterungen der Meldepflicht sowie insbesondere die Einführung eines elektronischen Melde- und Infor- mationssystems für übertragbare Krankheiten (DEMIS) ein Instrument zur rascheren Bekämpfung und Verhütung von Infektionskrankheiten dar . Durch den verbesserten Informationsaustausch infolge einer elektronischen Ver- arbeitung der Informationen wird der Aufwand der Da- tenaufbereitung für die Veröffentlichung in Form von Berichten und online zugänglichen öffentlichen interak- tiven Datenabfragen reduziert . Automatisierte Abfragen und Auswertungen werden so ermöglicht . Seit 1997 nimmt Deutschland an der 1988 ins Leben gerufenen globalen Initiative zur Ausrottung der Kin- derlähmung teil, der sogenannten Globalen Polioeradi- kationsinitiative (GPEI) . Damit die Bundesrepublik sich weiter an ihr beteiligen kann, sind einige gesetzliche An- passungen nötig . Auch diese werden von uns unterstützt . § 23 des Infektionsschutzgesetzes regelt die Maß- nahmen zur Sicherstellung der Verhütung zur Weiter- verbreitung von Krankheitserregern . Hier wurden die in Absatz 4 benannten Leiter von Krankenhäusern und Ein- richtungen für ambulantes Operieren um die Leiter von Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen ergänzt . Auch das ist richtig, geht es doch um die Vermeidung von Keimen, die im Zusammenhang mit medizinischen Behandlungen erworben werden können, und um den Nachweis, welche Antibiotika in welcher Dosis einge- setzt wurden . Das ist deshalb wichtig, weil immer mehr Menschen im Laufe ihres Lebens gegen immer mehr An- tibiotika resistent werden . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21643 (A) (C) (B) (D) Lassen Sie mich einige Ausführungen zu § 36 und sei- nen recht umfangreichen Ergänzungen und Änderungen am IfSG machen . Die Klarstellung bei der Aufzählung der Einrichtun- gen, die in Hygieneplänen innerbetriebliche Verfahrens- weisen zur Infektionshygiene festlegen müssen und der infektionshygienischen Überwachung durch das Gesund- heitsamt unterliegen, ist sinnvoll, ebenso die Ergänzung der Liste der Einrichtungen um ambulante Pflegedienste und Unternehmen, die Altenheimen oder Pflegeheimen vergleichbar sind . Zu diskutieren dagegen ist die Sinnhaftigkeit der Än- derung im Ausländerzentralregistergesetz . Wenn eine Gesundheitsuntersuchung von Ausländerinnen und Aus- ländern keine medizinischen Bedenken gegen eine ge- meinschaftliche Unterbringung der betreffenden Person erbracht hat, soll dies künftig zentral im Ausländerzen- tralregister gespeichert werden . Problematisch ist aus unserer Sicht die Änderung, die mit der Einschränkung von Grundrechten einhergeht . In Absatz 6 des § 36 IfSG wird auf die Einschränkung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit in Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes verwiesen . Hier geht es um Menschen, die in gemeinschaftlichen Einrichtun- gen von Asylbewerbern, vollziehbar Ausreisepflichtigen, Flüchtlingen und Spätaussiedlern untergebracht sind . Sie sind verpflichtet, unter bestimmten Bedingun- gen eine ärztliche Untersuchung auf Ausschluss einer ansteckenden Lungentuberkulose einschließlich einer Röntgenaufnahme der Atmungsorgane zu dulden . Auch Personen, die in eine Justizvollzugsanstalt aufgenommen werden, sind verpflichtet, eine ärztliche Untersuchung auf übertragbare Krankheiten einschließlich einer Rönt- genaufnahme der Lunge zu dulden . Bei der Einschränkung von Grundrechten muss immer gefragt werden: Gibt es Alternativen – in diesem Falle di- agnostische Alternativen –, die sicherstellen, dass ande- ren Menschen in Gemeinschaftsunterkünften kein Scha- den durch die Ansteckung mit einer Infektionskrankheit entsteht, wenn solche Untersuchungen unterbleiben? Da- rüber wird im Gesetzgebungsverfahren und in der Anhö- rung zu reden sein . Worüber sich meine Fraktion allerdings schon heute klar ist: Wir stimmen keinem Gesetz zu, das in diesem sensiblen Bereich der Landesgesetzgebung die Mög- lichkeit einräumt, solche Pflichtuntersuchungen weiter auszudehnen . Hier sind bundeseinheitliche Regelungen nach unserer Überzeugung dringend notwendig . Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Der Ehecausbruch ist heute noch vielen Menschen im Gedächtnis . Der Ausbruch mit fast 4 000 Erkrankun- gen und 53 Verstorbenen infolge der schweren Infektion hat die Gesundheitsbehörden von Bund und Ländern und das medizinische Versorgungssystem vor außerordentli- che Herausforderungen gestellt . Der regionalübergreifen- de Ausbruch hat uns vergegenwärtigt, dass auch seltene, aggressive Krankheitserreger nicht vor Landesgrenzen haltmachen . Im Nachgang der Ehec-Krise hat sich vor allem auch die Gesundheitsministerkonferenz (GMK) mit den Lehren aus den Vorfällen beschäftigt . Dabei war ein wesentlicher Punkt, dass es eines schnellen Informa- tionsflusses im Ausbruchsfall bedarf, um übertragbaren Infektionskrankheiten rasch zu begegnen . Deshalb wur- de zu Recht gefordert, dass zukünftig die Übermittlung von Falldaten beschleunigt und auch die Verzahnung der Arbeit von Bund und Ländern verbessert werden muss . Auch wenn der Bund zur Bekämpfung von übertragba- ren Krankheiten das Infektionsschutzgesetz erlassen hat, fällt die Aufgabe der Seuchenbekämpfung vor Ort in die Zuständigkeiten der Länder und Kommunen . Der nun vorliegende Gesetzentwurf „zur Modernisie- rung der epidemiologischen Überwachung übertragbarer Krankheiten“ ist nun der Versuch, die Prävention und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten effizienter zu gestalten . Die Übermittlung von Falldaten soll aufgrund einer einheitlichen elektronischen Basis beschleunigt und somit das Meldesystem verbessert, die Meldepflich- ten ausgeweitet und zusätzliche Bestimmungen in Ge- meinschaftsunterkünften ergänzt werden . Allerdings ent- hält der Gesetzentwurf zahlreiche Erneuerungen, deren Tragweite und konkrete Ausführung noch viele Fragen offenlässt . Erstens, ÖDG: Die Bedeutung ist im Gesetzentwurf nicht ausreichend abgedeckt . Das Infektionsschutzgesetz (IfSG) zur Gefahrenabwehr von Infektionskrankheiten ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, weshalb die Kosten nicht allein den Kommunen auferlegt werden dürfen . Die Bedeutung der kommunalen Strukturen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) wird im Ge- setzentwurf der Bundesregierung nicht ausreichend be- rücksichtigt . So blauäugig wie die Bundesregierung ist, berücksichtigt sie nicht, dass die Einführung des DEMIS Mehrarbeit für den Öffentlichen Gesundheitsdienst dar- stellt, und versäumt es dadurch, die Mehraufgaben finan- ziell abzubilden . Das Robert-Koch-Institut (RKI) etwa erfährt mit der Novelle eine Stärkung; die Basis bleibt weiterhin geschwächt . Deshalb fordern wir Nachbesse- rungen gerade hinsichtlich der personellen Notwendig- keiten, die sich nicht nur am RKI, sondern auch beim kommunal getragenen Teil des ÖGDs ergeben . Zweitens, DEMIS: Mehr- oder Minderaufwand? Die Einführung des DEMIS begrüßen wir . Viele Meldun- gen erfolgen nach wie vor per Fax an das zuständige Gesundheitsamt . Dieser Weg ist sehr fehleranfällig und zudem aufwendig, da erst im Gesundheitsamt eine ma- nuelle Eingabe der per Fax übermittelten Daten erfolgt . Die Bundesregierung geht deshalb davon aus, dass es durch die Einführung von DEMIS zu einer Entlastung der Gesundheitsämter kommen wird . Im Gegensatz dazu sprechen der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, die kommunalen Spitzenverbände sowie die Bundesärztekammer davon, dass durch die Einführung des DEMIS wesentlich höhere Meldezahlen generiert werden und dadurch ein erhöhter Recherchebedarf und Ermittlungsaufwand aufseiten der Gesundheitsämter entstehen wird . Die Bundesregierung täte gut daran, die Arbeit der Ge- sundheitsämter nicht nur auf die bloße Datensammlung zu reduzieren; denn sie sind auch für die Auswertung und Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721644 (A) (C) (B) (D) letztendlich für die Eindämmung der Infektionskrankhei- ten zuständig . Auch die Antworten auf die wesentlichen Fragen der Datenqualität und die Herausforderungen an die Qualifikationen von Mitarbeiterinnen und Mitarbei- tern im Bereich des Datenhandlings und -monitorings werden im vorliegenden Gesetzentwurf nicht abgebildet . Drittens, Änderungen bei Gemeinschaftseinrichtun- gen und Gemeinschaftsunterkünften mit Maß? Dass Röteln in die Liste der Erkrankungen aufgenommen werden, die zu einem Tätigkeits- bzw . Betretungsverbot führen, ist aus epidemiologischer Sicht begrüßenswert . Die erst bei der letzten IfSG-Novelle (im Rahmen des Präventionsgesetzes) eingeführte Änderung, die die Vor- lage einer Impfberatung bei Aufnahme in die Einrichtung fordert, wird mit diesem Gesetzentwurf verschärft . Die Kindergartenleitung soll nun verpflichtet wer- den, das Gesundheitsamt, sofern der Nachweis über eine Impfberatung nicht vorgelegt wird, zu benachrichtigen . Sowohl aus datenschutzrechtlichen Gründen als auch aus Präventionssicht ist diese Anpassung abzulehnen . Die Richtung des Gesetzes ist begrüßenswert . Doch insgesamt werden in dem Entwurf zahlreiche Änderun- gen vorgesehen, deren Tragweite und konkrete Ausfüh- rung noch viele Fragen offen lassen . Dies gilt nicht nur für DEMIS, sondern zum Beispiel auch für die Unter- richtungspflichten und andere Neuerungen. Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Mit dem Infek- tionsschutzgesetz wurden im Jahr 2001 bereits gute Grundlagen für die epidemiologische Überwachung übertragbarer Krankheiten in Deutschland geschaffen . Der vorliegende Gesetzentwurf soll den Infektionsschutz und den damit befassten Öffentlichen Gesundheitsdienst nun in das digitale Zeitalter befördern . Die Möglichkeiten moderner Informationstechnologie sollen verstärkt genutzt werden, um die Effizienz des In- fektionsschutzes zu steigern . Dazu soll ein einheitliches elektronisches Melde- und Informationssystem geschaf- fen werden, mit dem Meldedaten automatisiert verarbei- tet werden können . Das System soll bereits bei den meldepflichtigen La- boren, Ärztinnen und Ärzten und Krankenhäusern anset- zen . Es soll diese automatisiert auf das Bestehen einer Meldepflicht aufmerksam machen und sie beim Erstellen der Meldung unterstützen . Die Software des elektroni- schen Meldesystems soll dazu in die bereits eingesetzten Praxissoftwaresysteme integriert werden können . Durch das elektronische System können die Gesund- heitsämter und das Robert-Koch-Institut Daten über das Auftreten von übertragbaren Krankheiten schneller, voll- ständiger und in besserer Qualität erhalten . Die Gesund- heitsämter werden von bürokratischem Aufwand entlas- tet . Daten aus eingegangenen Meldungen müssen nicht mehr von Hand in den Computer übertragen werden . Zahlreiche weitere Datenverarbeitungsschritte sollen automatisiert erfolgen können, etwa die Erkennung von Krankheitshäufungen oder von Doppelmeldungen . Für die Datensicherheit und den Datenschutz wird das Sys- tem höchste Standards gewährleisten . Ziel ist es, das System so auszugestalten, dass es mit- telfristig auch als mögliche Anwendung der Telematik- infrastruktur des Gesundheitswesens infrage kommt . Das RKI soll ein entsprechendes System errichten . Da- für wird gegenwärtig ein Zeitraum von etwa fünf Jahren veranschlagt . Ein gemeinsamer Planungsrat soll sicher- stellen, dass Bund und Länder sich hier eng miteinander abstimmen . Mit dem Gesetzentwurf werden darüber hinaus eine Reihe von weiteren Verbesserungen im Infektionsschutz vorgenommen . Beispielhaft nenne ich folgende Punkte: Damit das Gesundheitsamt bei einer Häufung von Krankenhausinfektionen ein umfassenderes Lagebild er- hält, werden die Angaben, die bei einer entsprechenden Meldung zu machen sind, erweitert . Damit das Gesundheitsamt frühzeitiger vom Auftre- ten von Skabies in Gemeinschaftsunterkünften wie zum Beispiel stationären Pflegeinrichtungen erfährt und ein- schreiten kann, wird eine entsprechende Benachrichti- gungspflicht geregelt. Das RKI nimmt im Bereich des internationalen Ge- sundheitsschutzes in zunehmendem Maße Verantwortung auch durch Einsätze im Ausland wahr . Dieses Engage- ment wird nun gesetzlich verankert . Damit wird – nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen aus dem Ebolaausbruch in Westafrika im Jahr 2014 – der gestiegenen Bedeutung von globalem Gesundheitsschutz Rechnung getragen . Der Gesetzentwurf betrifft auch die Beteiligung Deutschlands an der weltweiten Strategie der WHO zur Ausrottung der Kinderlähmung . Um die großen Erfolge der weltweiten Impfprogram- me dauerhaft abzusichern, sieht der Gesetzentwurf ent- sprechend der Polioeradikationsstrategie Maßnahmen zur Erhöhung der Laborsicherheit und zur schrittweisen Vernichtung aller Poliovirenbestände vor . Der Gesetz- entwurf bringt damit viele große und kleine Schritte zur Verbesserung des Infektionsschutzes – für Deutschland und darüber hinaus . Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge­ brachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Wirt­ schaftspartnerschaftsabkommen vom 15. Oktober 2008 zwischen den CARIFORUM­Staaten einer­ seits und der Europäischen Gemeinschaft und ih­ ren Mitgliedstaaten andererseits (Zusatztagesord­ nungspunkt 4) Dr. Georg Kippels (CDU/CSU): Wirtschaft, Han- del und Beschäftigung sind zentral für die erfolgreiche Entwicklung eines Landes . Für die Staaten des CARI- FORUM ist die EU der zweitwichtigste Handelspartner weltweit . Damit eröffnet das Wirtschaftspartnerschafts- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21645 (A) (C) (B) (D) abkommen vom 15 . Oktober 2008 zwischen den CA- RIFORUM-Staaten einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits verbesserte wirtschaftliche Möglichkeiten . Durch das Wirtschaftspartnerschaftsabkommen wer- den Handelshemmnisse schrittweise und WTO-konform abgebaut und die Handels- und Entwicklungszusammen- arbeit gestärkt . Das Abkommen trat zwar bereits 2008 in Kraft, allerdings nur vorläufig. Jetzt wird es durch Deutschland ratifiziert. Dies ist ein wichtiger Schritt im Bestreben, weiter den wirtschaftlichen Aufschwung der Partnerstaaten zu verbessern . Ich begrüße es dabei sehr, dass die EU den CARIFORUM-Staaten nahezu vollstän- digen Marktzugang einräumt, während die Handelslibe- ralisierung aufseiten der CARIFORUM-Staaten weniger weitreichend ausfällt und stufenweise erfolgt . Weiter sind die vereinbarten Schutzklauseln ein wich- tiges Instrument, um den CARIFORUM-Staaten die Möglichkeit zu geben, Schutzmaßnahmen zu ergreifen, wenn durch EU-Importe eine Schädigung der heimi- schen Wirtschaft droht . Zudem muss man betonen, dass das EPA mit einem regionalen Staatenblock geschlossen wurde . Hiermit sollen die regionale Integration vorange- trieben werden und damit auch nachhaltige und arbeits- teilige Wertschöpfungsprozesse etabliert werden . Lassen Sie mich ein Beispiel dafür nennen, wie das Wirtschaftspartnerschaftsabkommen im Zusammenspiel mit europäischer Entwicklungshilfe zur nachhaltigen Entwicklung der Region beitragen kann: das Regulie- rungsprojekt des Caribbean Regional Fisheries Mecha- nism (CRFM) zur Verbesserung der Sicherheit von Fisch und Fischereierzeugnissen für Verbraucher in nationalen und Exportmärkten mit dem Inter-American Institute for Cooperation on Agriculture . Hierbei handelt es sich um ein Projekt, das vom 10th European Development Fund – Sanitary and Phyto-Sanitary Measures – der EU geför- dert wurde . Im Rahmen des Projekts wurden sechs neue Hand- bücher für die Inspektion von Fischereifahrzeugen, Ver- arbeitungsbetrieben und Aquakulturanlagen erarbeitet sowie zwei Handbücher zur Prüfung der Fischereier- zeugnisse . Die Handbücher sind in den Sprachen Spa- nisch, Französisch und Niederländisch verfügbar . Damit werden internationale Normen für die Sicherheit von Fi- schereierzeugnissen erreicht, die das volle Ausschöpfen des wirtschaftlichen Nutzens für die Fischereisektoren in den CARIFORUM-Staaten, insbesondere im Export, in der Zukunft ermöglichen . Dieses Zusammenspiel von Entwicklungsprogram- men, die die Länder fit für den Weltmarkt machen, und Wirtschaftspartnerschaften, die den Ländern den Zugang zum europäischen Markt ermöglichen, sind für mich die Zukunft . Durch diese Herangehensweise wird die von den SDGs geforderte Zusammenarbeit auf Augen- höhe gefördert und der nachhaltige wirtschaftliche Auf- schwung ermöglicht . Entscheidend wird aber auch sein, die Handelsab- kommen nicht nur stereotyp fortzuführen, sondern auch auf die Veränderungen aus Globalisierung und Digita- lisierung anzupassen und fortzuschreiben . Gerade bei kleineren Handelspartnern mit keinen oder nur gerin- gen Rohstoffvorräten kann durch Veränderungen in der Produktionsstruktur eine andere und nachhaltige Wert- schöpfungskette aufgebaut werden . Wissenstransfer als Wirtschaftsgut wird dabei in Zukunft eine größere Rol- le einnehmen und bietet Expansionsmöglichkeiten, die nichts mit der geografischen Lage oder sonstigen harten Produktionsfaktoren zu tun haben . Bei der Anwendung und Umsetzung der Abkommen wird aber auch umso mehr der Auftrag aus der Agen- da 2030 in den Vordergrund rücken, und wir werden die globale Verantwortung intensiver beachten und überneh- men müssen . Welche gesellschaftspolitischen Auswirkungen und Diskussionen von Handelsabkommen und Verhandlun- gen um diese ausgehen können, erlebten wir in diesen Tagen bei CETA und TTIP, wobei es weniger auf die Dimension als vielmehr auf die Philosophie und gesell- schaftliche Akzeptanz ankommen wird . Das CARIFORUM-Abkommen ist deshalb heute wesentlich mehr als eine unbedeutende Fußnote in den Geschichtsbüchern, nämlich ein neues Kapitel in einer fairen Globalisierung . Dr. Sascha Raabe (SPD): Manchmal mahlen die europäischen und nationalen Mühlen wirklich lang- sam . Man muss sich das einmal vor Augen führen: Das, worüber wir hier und heute im Deutschen Bundestag abschließend beraten, das Wirtschaftspartnerschafts- abkommen der EU mit den karibischen Staaten – kurz CARIFORUM –, ist bereits seit 2008 vorläufig in Kraft. Neun Jahre später haben wir als deutsche Abgeordnete im Rahmen des Ratifikationsprozesses nun die Chance mitzuentscheiden . Dass wir, wenn auch spät, diese Chan- ce zur Beteiligung bei einem Handelsabkommen der EU überhaupt haben, ist keineswegs selbstverständlich . Lange habe ich mit Unterstützung unseres Bundestags- präsidenten erfolgreich dafür gekämpft, dass der Deut- sche Bundestag bei allen jetzt noch ausstehenden Wirt- schaftspartnerschaftsabkommen (Economic Partnership Agreement – EPA) mit den afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten zu beteiligen ist. Nein, ich denke, wir sollten sehr selbstbewusst auf unseren Beteiligungs- rechten bei all diesen Abkommen bestehen . Insofern ist das heute ein guter Tag für den Parlamentarismus . Und wir nehmen unsere Kontrollfunktion ernst . Das haben wir beim vorliegenden CARIFORUM-Abkom- men bewiesen, und das werden wir ebenso bei den an- stehenden Abkommen mit den afrikanischen Regionen beweisen . Ich hatte bereits anlässlich der ersten Lesung im vergangenen September angekündigt, dass wir uns im Ausschuss noch einmal intensiv mit dem Abkommen befassen würden . Welche Auswirkungen hat es? Hat es sein Ziel, eine entwicklungsfördernde und armutsredu- zierende Wirkung in den karibischen Partnerländern zu entfalten, erfüllt? Das CARIFORUM-Abkommen bietet sich ja nun wirklich an, sich mit seinen Auswirkungen auseinanderzusetzen, weil es, wie beschrieben, schon ei- nige Zeit in Kraft ist . Wir haben ein Fachgespräch mit Experten zu dieser Frage durchgeführt . Das Ergebnis: Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721646 (A) (C) (B) (D) Bei diesem EPA sind bislang kaum nennenswerte wirt- schaftliche oder soziale Folgen festzustellen, weder po- sitiv noch negativ . Ist CARIFORUM also kalter Kaffee? Ich denke, nicht, und ich glaube, wir sollten diesem Abkommen eine Chance geben . Wir würden unsere Partner in der Kari- bik vor den Kopf stoßen, würden wir jetzt das Abkom- men noch stoppen . Allein die Tatsache, dass ein solches Partnerschaftsabkommen vereinbart wurde, wird in den Ländern der karibischen Region durchaus positiv gese- hen . Diese Signalfunktion für den Willen zur Zusammen- arbeit darf man nicht unterschätzen . An mich jedenfalls ist bisher aus den Partnerländern der karibischen Regi- on noch keine Bitte herangetragen worden, dem Vertrag nicht zuzustimmen – weder von staatlicher Seite noch etwa von Gewerkschaftsseite . Ich kann und will zwar an dieser Stelle nicht verhehlen, dass ich an einigen Stellen Bedenken habe und vieles an dem Abkommen kritisch sehe. Dennoch habe ich mich nach reifliche Überlegung letztlich entschlossen, als zuständiger Berichterstatter meiner Fraktion die Zustimmung zu empfehlen . Ausschlaggebend hierfür ist, dass ich das Nach- haltigkeitskapitel des CARIFORUM-Abkommens für vergleichsweise fortschrittlich halte . Dort sind die öko- logischen, menschenrechtlichen und sozialen Mindest- standards in einer Art und Weise verankert, wie man es sich auch bei anderen Abkommen wünschen würde . Und anders als in alle bisherigen Handelsabkommen der EU sind sie mit Sanktionsmechanismen ausgestattet, die ich für gerade noch ausreichend erachte . Ich habe mich hierzu in den letzten Wochen intensiv mit der EU-Kom- mission beraten, weil es in dieser Frage doch einige Un- klarheiten gab . Mir ist es wichtig, dass wir hier keinen zahnlosen Tiger vereinbaren, sondern dass schwere Ver- stöße etwa gegen ILO-Kernarbeitsnormen auch wirksam geahndet werden können . Das ist bei genauer Betrach- tung bei CARIFORUM der Fall . Mehr Klarheit im Ver- trag wäre sicher wünschenswert, aber letztlich zählt die faktisch bestehende Möglichkeit zur Sanktion . Für CA- RIFORUM kann ich daher den Weg mitgehen . Ich möchte an dieser Stelle aber auch ganz deutlich sa- gen: Die Zustimmung zu CARIFORUM ist kein Präjudiz für die Abkommen mit den afrikanischen Regionen . Die Abkommen mit der Westafrikanischen Wirtschaftsge- meinschaft (ECOWAS), der Ostafrikanischen Gemein- schaft (EAC) sowie der Südafrikanischen Entwicklungs- gemeinschaft (SADC), die allesamt noch dem Bundestag vorgelegt werden müssen, sind wesentlich kritischer zu sehen und meiner Auffassung nach nicht zustimmungs- fähig . Und sie werden – und das ist ein wesentlicher Un- terschied zu CARIFORUM – auch in den Partnerländern kritischer bewertet . Mehrere afrikanische Länder haben noch nicht unterzeichnet, und die Stimmen nach Neuver- handlungen werden immer lauter . Wir sollten diese Stimmen hören und ernst nehmen . Die Märkte in den afrikanischen Ländern sind in der Regel sehr viel anfälliger als die der Partnerstaaten in der karibischen Region . Die mit den Wirtschaftspartner- schaftsabkommen angestrebte Marktöffnung braucht hier noch sehr viel mehr ein hohes Maß an Zurückhaltung und Schutzmöglichkeiten . In den afrikanischen Ländern sind die möglichen negativen Auswirkungen der Wirtschafts- partnerschaftsabkommen, die eben nicht immer den von der EU-Kommission so gepriesenen Geist der Partner- schaft verströmen, wesentlich durchschlagender, als dies für die CARIFORUM-Staaten der Fall ist . Viele Kritiker dieser Abkommen befürchten wohl zu Recht erhebli- che negative Konsequenzen für die wirtschaftliche Ent- wicklung der Partnerländer: Lokale Märkte werden für bestimmte Produkte durch Dumpingimporte aus der EU zerstört, Wertschöpfung in den Ländern selber wird be- hindert . Das alles ist kein Horrorszenario irgendwelcher verblendeten Globalisierungskritiker, sondern könnte bei Umsetzung der Abkommen sehr schnell Realität werden . Ich finde es vor diesem Hintergrund sehr bedauerlich, dass – wenn ich richtig informiert bin – die EU-Handels- kommissarin Cecilia Malmström erst in dieser Woche die afrikanische Forderung nach Neuverhandlungen bei einer Veranstaltung Brüssel kategorisch ausgeschlossen hat . Diese sture Haltung, dieses „Friss oder stirb“, hilft niemandem weiter, und ich glaube nicht, dass Europa sich diese Arroganz leisten sollte . Genau genommen ist die Forderung, die Abkommen neu zu verhandeln, nämlich sogar völlig richtig . Das Rahmenabkommen, auf dem die EPAs gründen, also das Cotonou-Abkommen aus dem Jahr 2000, läuft 2020 aus . Es laufen bereits die Überlegungen, wie ein Post-Coto- nou-Vertrag aussehen könnte . Schon im zweiten Halb- jahr 2017 soll das Verhandlungsmandat der Kommissi- on vorliegen, im kommenden Jahr die Verhandlungen aufgenommen werden . Welchen Sinn macht es da, jetzt noch EPAs auf der Grundlage des alten Rahmenabkom- mens zu verabschieden? Die EPAs mit den afrikanischen Regionen sind veraltet, bevor sie in Kraft treten können . Ein konsequenter Schlussstrich jetzt und dann ein Neu- start auf einer neuen Grundlage mit Verhandlungen, die wirklich auf Augenhöhe geführt werden müssen, wären sicher besser . Dann hätten wir auch die Chance, echte Nachhaltig- keitskapitel durchzusetzen, die diesen Namen auch ver- dienen und mehr sind als ein moralisches Feigenblatt . Wir brauchen verbindlich verankerte ökologische, menschen- rechtliche und soziale Mindeststandards mit wirksamen Überprüfungs- und Sanktionsmechanismen . Gute Arbeit statt Ausbeutung und Kinderarbeit . Davon sind die af- rikanischen Abkommen derzeit noch weit entfernt . Das aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollte unser Ziel sein: gute Abkommen, mit denen wir den Menschen in Afrika eine Perspektive bieten können . Denn wer verhin- dern will, dass sich immer mehr Menschen auf der Flucht vor Armut auf den gefährlichen Weg über das Mittelmeer nach Europa aufmachen, der muss die Globalisierung gerecht gestalten . Fairhandel statt Freihandel – eine gerechte Welthandelsordnung und fair gestaltete Han- delsverträge sind ein zentraler Baustein, um die (Über-) Lebensperspektiven von Menschen in Entwicklungslän- dern zu verbessern . Nur dort, wo es eine wirtschaftliche Perspektive und gute Jobs mit anständigen Löhnen gibt, lassen sich Fluchtursachen eindämmen . Mit fairen Wirt- schaftspartnerschaftsabkommen könnten wir einen wich- tigen Schritt dahin machen . Bis dahin aber liegt auch für uns hier Bundestag noch viel Arbeit vor uns . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21647 (A) (C) (B) (D) Heike Hänsel (DIE LINKE): Fast neun Jahre sind nun seit der Unterzeichnung des CARIFORUM-Abkommens ins Land gezogen; heute will es die Bundesregierung ra- tifizieren. Wir werden wieder, wie bei allen EPAs, dage- gen stimmen, weil wir glauben, dass sie die Entwicklung Afrikas und der Karibik behindern, statt sie zu fördern . In all den Jahren, die dieses EPA nun schon vorläufig angewendet wird – an den Parlamenten vorbei übrigens, nicht gerade demokratisch – gibt es selbst laut der re- gierungsnahen Stiftung Wissenschaft und Politik „bes- tenfalls anekdotische Evidenz“ für Handelsvorteile für die Karibik . Das heißt auf gut Deutsch: Die CARIFO- RUM-Staaten haben bisher gar nichts von dem Abkom- men . Was ist aus den Exportchancen geworden, die die EU den Inselstaaten versprochen hatte? Im Gegenteil: Das Handelsdefizit der Karibik mit der EU war 2015 drei- mal so groß wie noch zehn Jahre zuvor . So funktioniert Freihandel zwischen ungleichen Wirtschaftsräumen: Mit den hochspezialisierten und -technisierten EU-Konzer- nen können die Exporteure der Karibik nicht konkurrie- ren . So werden Rohstoffe, Bananen und Zucker expor- tiert und europäische Autos und Maschinen importiert . Dabei steht das Größte noch bevor: Die CARIFO- RUM-Staaten müssen nämlich ihre Handelsschranken erst schrittweise abbauen . Momentan sind wir bei 61 Pro- zent der Schutzzölle; in 15 Jahren sollen es 90 Prozent sein . Wir können uns nur ausmalen, wie die Handelsbi- lanz dann aussieht und was das für Auswirkungen auf die Wirtschaft in der Karibik haben wird . EPAs stärken eben nicht die regionale Wertschöpfung, sondern verhindern sie . Trotz alledem will uns die Bundesregierung ja weis- machen, die EPAs seien gar keine Freihandels-, sondern „Entwicklungsabkommen“ . Auf allen Werbeveranstal- tungen haben Regierungsvertreter deshalb die Entwick- lungs-, Umwelt- und Sozialstandards gepriesen . Das ist zynisch: Ein bisschen Entwicklungshilfe („Aid for Tra- de“) soll die Schäden, die der Freihandel der Wirtschaft zufügt, ausbügeln . Die gelobten Sozialstandards in Ka- pitel 4 und 5 gelten außerdem nicht für diejenigen, die am meisten von dem Abkommen profitieren: die europä- ischen Großkonzerne . Kein Arbeitnehmer in der Karibik, dessen Menschen- und Arbeitsrechte von den EU-Multis verletzt werden, kann dagegen vor einem europäischen Gericht klagen . Das ginge nur über ein verbindliches Menschenrechts- abkommen, den derzeit geplanten UN-Treaty . Aber den blockiert die Bundesregierung auf UN-Ebene . Machen wir uns bei all den edlen Worten über die EPAs als „Ent- wicklungsabkommen“ nichts vor; der EU geht es um die Profitmaximierung ihrer Großkonzerne und nicht darum, die Lebensbedingungen der Menschen in Afrika und der Karibik zu verbessern . Was wir dabei nicht vergessen dürfen: Die Staaten Afrikas und der Karibik haben alle eine koloniale Ver- gangenheit; sie alle wurden jahrhundertelang von den europäischen Großmächten, ihren Konzernen und Han- delsdynastien ausgebeutet . Die Folgen sind noch heute spürbar, in der extremen wirtschaftlichen Ungleichheit zwischen Norden und Süden . Zu Zeiten des Lomé-Ab- kommens war sich die EU scheinbar noch dieses koloni- alen Vermächtnisses bewusst: Die ehemaligen Kolonien hatten zollfreien Zugang zum EU-Markt, um ihre Pro- dukte hier verkaufen zu können . Mit den EPAs hat sich das Blatt gewendet . Nun sind es die CARIFORUM-Staaten, die nach und nach ihre Zoll- schranken für die Billigimporte aus Europa öffnen müs- sen . Sogar der Dienstleistungs- und Investitionssektor muss liberalisiert werden . Klar ist: Lokale Produzenten werden das Nachsehen haben, eigenständige Entwick- lungen gehemmt . Wie soll ein CARIFORUM-Land in- nerhalb einer Schonfrist von nur zehn Jahren eine eigen- ständige, wettbewerbsfähige Industrie aufbauen? Wie lange hat im Vergleich die Industrialisierung in Europa gedauert? Ermöglicht hat die ja auch erst die ko- loniale Expansion der Großmächte . Die EU und alle, die diesem Abkommen zustimmen, haben die Verheerungen des Kolonialismus und die entsprechende historische Verantwortung offenbar vergessen . Unverständlich bleibt mir, warum sich die Grünen, die uns in vielen dieser Punkte sicher zustimmen, heute nur enthalten . Natürlich gab es in der Karibik Protest gegen die EPAs . Der jamaikanische Wirtschaftsprofessor Norman Girvan sagte, das CARIFORUM-EPA habe das Projekt der karibischen Staaten, einen eigenen Wirtschaftsraum (CARICOM) aufzubauen, „praktisch getötet“ . Statt regi- onaler Integration und mehr Handel zwischen den Inseln bringen die EPAs die Ausrichtung auf den Handel mit der EU . Laut Professor Girvan wird das Abkommen zu völligen Fehlentwicklungen führen: Europäische Firmen bekommen Zugang zu Rohstoffen, primären Nahrungs- mitteln und unterbezahlten Arbeitskräften . Nachhaltige Entwicklung sieht anders aus, da werden Sie mir alle zu- stimmen . Auf einen letzten Aspekt möchte ich noch hinweisen, nämlich die Länder der Karibik, die die EPAs nicht unter- schrieben oder ratifiziert haben. Da ist zum einen Haiti. Haiti gehört als einziges Land Lateinamerikas zur Grup- pe der Least Developed Countries, der am wenigsten ent- wickelten Staaten, und konnte deswegen nicht mit dem Verlust der EU-Handelsprivilegien unter Druck gesetzt werden . In Haiti ist klar, dass das EPA nur Nachteile brin- gen würde; daher hat es auch nicht ratifiziert. Und dann wäre da als einziges karibisches Land, das gar nicht im CARIFORUM ist, Kuba . In Kuba legt man keinen Wert auf Freihandelsabkommen, die nur den Star- ken nützen . Wenn ausländische Firmen Zugang zum ku- banischen Markt bekommen wollen, müssen sie bewei- sen, dass ihre Geschäfte dem Land und der Bevölkerung wirklich nützen . Zum Beispiel indem sie eine Fabrik auf Kuba bauen, gut bezahlte Arbeitsplätze schaffen und Steuern zahlen . Von denen können dann kostenlose Bil- dung und Gesundheit für alle finanziert werden. Solche Entwicklungsmodelle halten wir für weit sinnvoller als die neoliberale Freihandelsdoktrin . Die EPAs werden die soziale Schere auf der Welt nicht schließen, sondern weiter öffnen . Die EPAs sind TTIP und CETA für den Süden; deshalb lehnen wir sie kom- plett ab . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721648 (A) (C) (B) (D) Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir stehen hier heute vor der Entscheidung, über ein Abkom- men abzustimmen, welches bereits seit acht Jahren vor- läufig angewendet wird. Deshalb können wir an dieser Stelle auch sagen, dass das Abkommen zwischen den Karibikstaaten und der Europäischen Union nicht Wort gehalten hat . Das Entwicklungsversprechen wurde nicht eingelöst . Eine nachhaltige Entwicklung wurde durch das Partnerschaftsabkommen nicht befördert . Vielmehr enthält es Bestimmungen, die eine entwicklungsfreundli- che Industriepolitik konterkarieren könnten . Mit dem Verbot von Exportsteuern wird einem schäd- lichen Extraktivismus Vorschub geleistet, statt Wert- schöpfung vor Ort zu fördern . Auch ist es naiv zu glau- ben, dass die Klauseln zum Schutz junger Industrien nur ansatzweise ausreichend wären . Der Aufbau junger In- dustrien bedarf weit mehr als acht Jahre . Deutschland hat jahrzehntelang seinen Markt geschützt und nur so eine robuste Wirtschaft aufbauen können . Nun dürfen die karibischen Inselstaaten mit dem voll- ständigen Inkrafttreten des Abkommens, innerhalb der ersten zehn Jahre gerade einmal acht Jahre lang ausge- wählte Industrien schützen . Das schafft keinerlei Spiel- raum für eine gute Industriepolitik . Das ist alles andere als nachhaltig, geschweige denn entwicklungsfreundlich . Trotz all dieser Kritikpunkte gibt es aber auch positive Ansätze . Hier unterscheidet sich das CARIFORUM-EPA auch deutlichen von den afrikanischen EPAs . Die Be- stimmungen zu Nachhaltigkeit und Menschenrechten sind im Vergleich zu den anderen Abkommen deutlich umfassender und expliziter . Ein entscheidender Unterschied ist auch, dass das Nachhaltigkeitskapitel an das Streitschlichtungsverfah- ren angeschlossen ist . Im Streitfall ist der Entzug von Zollpräferenzen allerdings nicht vorgesehen, sondern le- diglich der Entzug nicht-tarifärer Präferenzen oder etwa der Entzug von Entwicklungsgeldern erlaubt . Dabei würde gerade letztere Maßnahme die ärmsten Menschen treffen und nicht diejenigen, die im Zweifel Menschen- rechts- oder Nachhaltigkeitsstandards verletzen . Hier hätten wir uns zwar mehr gewünscht, aber immerhin ist das Nachhaltigkeitskapitel überhaupt sanktionsbewehrt . Das ist ein großer Fortschritt . Im Vergleich zu den afrikanischen EPAs enthält das Abkommen auch keine Rendezvous-Klauseln, die die Länder verpflichten würden, in Zukunft über höchst um- strittene Investitionsschutzbestimmungen zu verhandeln . Damit ist schon viel gewonnen und den Sonderrechten für private Investoren ein Riegel vorgeschoben . Noch laufen die Übergangsfristen; am Ende werden die Karibikstaaten ihren Markt aber zu fast 90 Prozent li- beralisiert haben . Statt diese Staaten zu so weitgehenden Marktöffnungen zu zwingen, müsste die EU vielmehr ihr Allgemeines Präferenzsystem wieder so ausweiten, dass ärmere Länder wie etwa Jamaika oder Dominica erneut in den Genuss von unilateralen Handelspräferenzen kä- men, ohne die dringend benötigten eigenen Politikspiel- räume aufgeben zu müssen . Fairer Handel sieht anders aus, insbesondere für die afrikanischen Staaten . Minister Müller hätte es in der Hand, für einen echten Politikwechsel einzutreten . Der Minister schreibt aber lieber öffentlichkeitswirksame Hochglanzbroschüren, anstatt sich mit den tatsächlichen Herausforderungen zu befassen . Wir werden auch deshalb die Wirtschaftspartner- schaftsabkommen mit den afrikanischen Staaten ent- schieden ablehnen, gleichwohl uns bei dieser Gesetz- vorlage zum Abkommen mit den Karibikstaaten aber enthalten . Die Karibikstaaten selbst haben dem Vertrag nicht nur zugestimmt, sondern sie wollen ihn auch . Sie wur- den nicht wie die afrikanischen Länder unter Druck gesetzt oder erpresst . Das allein ist für uns noch kein Argument, dies ebenfalls zu tun oder uns zu enthalten . Allerdings sind die karibischen Inseln wirtschaftlich in einer deutlich besseren Lage, als es beispielsweise die afrikanischen Länder sind . Sie haben größtenteils keine Möglichkeit mehr, in den Genuss des Allgemeinen Präfe- renzsystems zu kommen . Ohne dieses Abkommen wären ihnen somit jeglicher vergünstigter Zollzugang verwehrt . Ihnen jetzt den Status quo abzuerkennen hätte gegebe- nenfalls wirtschaftlich negative Folgen . Dies zeigt auch, dass die Methode der vorläufigen Anwendung von Han- delsverträgen höchst problematisch ist, da diese Fakten schafft, die schon nach wenigen Jahren ohne schmerz- hafte Einschnitte kaum mehr revidierbar sind . 215. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 3 Regierungserklärung: Inklusives Wachstum TOP 4 Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz TOP 5 Zukunftsfähige Unternehmensverantwortung TOP 33, ZP 1 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 34, 21 Abschließende Beratungen ohne Aussprache TOP 7 Bundeswehreinsatz in Mali (MINUSMA) TOP 6 Ausbildungsunterstützung der Bundeswehr im Irak TOP 8 Bundeseinheitliche Netzentgelte für Strom TOP 9 Änderung der Sportanlagenlärmschutzverordnung ZP 2 Gentechnisch veränderte Maislinien TOP 11 Nachtragshaushaltsgesetz 2016 TOP 12 Terrorbekämpfung in Irak, Afghanistan, Pakistan TOP 15 Zweites Finanzmarktnovellierungsgesetz TOP 14 Bundesweite Statistik über Wohnungslosigkeit ZP 3 Fortbestand der Sozialkassenverfahren des Baugewerbes TOP 16 Patientenberatung TOP 19 GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz TOP 18 Ausbildung und Arbeit in der Pflege TOP 22 Albanien, Serbien - EU-Agentur für Grundrechte TOP 20 Entschädigungsleistungen für NS-Opfer TOP 23 Schutz der Biodiversität TOP 24 Forschung gegen Infektionskrankheiten TOP 25 Gesetz über das Fahrlehrerwesen TOP 26 Änderungen im Straßenverkehrsrecht TOP 27 Überwachung übertragbarer Krankheiten ZP 4 Partnerschaftsabkommen mit CARIFORUM-Staaten Anlagen Anlage 1 Anlage 2 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10 Anlage 11 Anlage 12 Anlage 13
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1821500000

Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie
herzlich zu unserer Plenarsitzung .

Bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten, möchte
ich nachträglich einigen Kolleginnen und Kollegen zu ih-
ren Geburtstagen gratulieren . Der Kollege Rainer Hajek
hat gestern seinen 72 . Geburtstag gefeiert . Außerdem
haben seit der letzten Sitzungswoche die Kollegin Jutta
Eckenbach und der Kollege Siegmund Ehrmann ihren
65 . und die Kollegin Barbara Woltmann ihren 60 . Ge-
burtstag begangen .


(Beifall)


Alle guten Wünsche des ganzen Hauses für das neue Le-
bensjahr!

Wir müssen noch eine Schriftführerwahl durchführen .
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen schlägt vor, für die
Kollegin Katharina Dröge den Kollegen Matthias Gas­
tel als Schriftführer zu wählen . Können Sie sich das
vorstellen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zurufe: Ja!)


– Aha, der Kollege weiß das offenbar noch gar nicht . Er
ist aber von der überwältigenden Zustimmung quer durch
das ganze Haus beeindruckt, hingerissen und offenkun-
dig hinreichend überzeugt . Ich bedanke mich . Damit ist
der Kollege Gastel als neuer Schriftführer gewählt .

Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tages­
ordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten
Punkte zu erweitern:

ZP 1 Weitere Überweisung im vereinfachten Ver­
fahren


(Ergänzung zu TOP 33)


Beratung des Antrags der Abgeordneten Anna-
lena Baerbock, Stephan Kühn (Dresden), Bärbel
Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Klare CO2­Reduktionen im Flugverkehr
schaffen

Drucksache 18/9801
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

zu den Entwürfen für eine Durchführungs­
verordnung und zwei Durchführungsbe­
schlüsse der Europäischen Kommission
über das Inverkehrbringen von Saatgut
zum Anbau der gentechnisch veränderten
Maislinien MON 810, 1507 und Bt11

(Dokumente SANTE/10702/2016, SANTE/10704/2016, SANTE/10703/2016)


hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes­
regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3
des Grundgesetzes

Keine Zulassung der gentechnisch veränder­
ten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 für
den Anbau in der EU

Drucksache 18/10976

ZP 3 Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der So­

(Sozial­ kassenverfahrensicherungsgesetz – SoKaSiG)


Drucksache 18/10631

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Soziales (11 . Ausschuss)


Drucksache 18/11001






(A) (C)



(B) (D)


ZP 4 Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zu dem Wirtschaftspart­
nerschaftsabkommen vom 15. Oktober 2008
zwischen den CARIFORUM­Staaten einer­
seits und der Europäischen Gemeinschaft und
ihren Mitgliedstaaten andererseits

Drucksache 18/8297

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung (19 . Ausschuss)


Drucksache 18/10950

ZP 5 Eidesleistung der Bundesministerin für Wirt­
schaft und Energie

Dem einen oder anderen wird aufgefallen sein, dass
in diesem Zusammenhang morgen auch eine Vereidigung
stattfindet. Ich mache darauf aufmerksam, auch was die
Veränderungen dann im Ablauf der Tagesordnung be-
trifft .

Wie immer soll von der Frist für den Beginn der Bera-
tungen, soweit erforderlich, abgewichen werden .

Die Tagesordnungspunkte 6 und 7 tauschen unter Bei-
behaltung der vorgesehenen Debattenzeiten ihre Plätze .

Der Tagesordnungspunkt 10 – hier geht es um eine Be-
schlussempfehlung zum Thema „gentechnisch veränderte
Maislinien“ – soll abgesetzt werden, stattdessen der Antrag
auf Drucksache 18/10976 bei unveränderter Debattenzeit
aufgerufen werden . Da geht es um das gleiche Thema .

Der Tagesordnungspunkt 13 wird abgesetzt . Die nach-
folgenden Tagesordnungspunkte der Koalitionsfraktio-
nen rücken entsprechend vor .

Der Tagesordnungspunkt 17 – da geht es um den
Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Berufsaner-
kennungsrichtlinie – soll abgesetzt und stattdessen der
Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Sozialkassen-
verfahren im Baugewerbe auf den Drucksachen 18/10631
und 18/11001 mit einer Debattenzeit von 25 Minuten ab-
schließend beraten werden .

Schließlich soll der Tagesordnungspunkt 21 – hier
geht es um die Änderung des Sprengstoffgesetzes – nun-
mehr ohne Debatte zusammen mit dem Tagesordnungs-
punkt 34 aufgerufen werden .

Offenkundig gibt es dagegen keine Einwände . Dann
ist das so beschlossen, und wir verfahren so .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 d auf:

a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den
Bundesminister für Wirtschaft und Energie

Für inklusives Wachstum in Deutschland und
Europa

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Jahreswirtschaftsbericht 2017 der Bundesre­
gierung

Drucksache 18/10990

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss

c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Jahresgutachten 2016/2017 des Sachverstän­
digenrates zur Begutachtung der gesamtwirt­
schaftlichen Entwicklung

Drucksache 18/10230
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und
Energie (9 . Ausschuss) zu dem Antrag der Ab-
geordneten Kerstin Andreae, Oliver Krischer,
Katharina Dröge, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Jahreswohlstandsbericht einführen

Drucksachen 18/7368, 18/7599

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-
rung 77 Minuten vorgesehen . – Auch das ist offensicht-
lich einvernehmlich . Dann können wir so verfahren .

Bevor ich jetzt dem Bundeswirtschaftsminister das
Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung gebe, möch-
te ich Ihnen, Herr Minister, ganz persönlich, sicher aber
auch im Namen vieler Kolleginnen und Kollegen unse-
ren Respekt für die Entscheidung zum Ausdruck bringen,
die Sie getroffen haben .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein, auf gar keinen Fall!)


Das kann Ihnen nicht ganz leichtgefallen sein . Weil diese
Entscheidung erwartungsgemäß auch einige Kritik und

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


manche Häme nach sich gezogen hat, will ich Ihnen aus-
drücklich zu der Souveränität gratulieren, mit der Sie sie
getroffen haben .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein!)


Sie haben das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:

Sehr geehrter Herr Präsident, ich gebe zu, dass mich
das eben berührt hat . Auf der anderen Seite sage ich Ih-
nen: Manchmal ist man irritiert, wie viele Leute klat-
schen, wenn man zurücktritt .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch eine gewisse Erlösung ist zu spüren – auf beiden
Seiten .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Das ist in der Tat nicht meine letzte Rede hier,
aber meine letzte Rede im Amt des Bundeswirtschafts-
ministers vor dem Deutschen Bundestag . Ich will des-
wegen die Gelegenheit nutzen, Ihnen hier zu danken . Sie
waren intensiv und auch streitbar mit mir hier unterwegs .
Von Ihrer Seite, aber auch – das gebe ich zu – von meiner
Seite gab es viel Lust an Debatten .

Ich glaube, wir haben hier gezeigt, wie eine ordent-
liche parlamentarische Debattenkultur aussehen kann –
und das, obwohl die Mehrheit der Großen Koalition im
Hause doch relativ groß ist. Trotzdem finde ich, haben
wir der Opposition, vor allen Dingen der Linkspartei,
mal gezeigt, dass es inhaltlich gut ist, aber auch Spaß
machen kann, wie wir hier unterwegs sind .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir wollen hier mal nicht übertreiben!)


Ich finde, auch bei schwierigen Debatten muss der Hu-
mor nicht völlig verloren gehen . Im zukünftigen Amt
darf ich nicht mehr so humorvoll sein, hat mir Herr
Steinmeier gesagt;


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


da muss ich diplomatischer werden . Dann müssen wir
uns einfach außerhalb des Hauses treffen .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das machen Sie sowieso schon!)


– Herr Kauder, das war jetzt gar nicht als politische Dro-
hung gemeint .

Ich habe das gerne gemacht und will das auch gerne
so fortsetzen. Ich finde zwar, die parlamentarische De-
battenkultur wird weniger, als wir es uns wünschen, im
Fernsehen gezeigt und in der Öffentlichkeit wahrgenom-
men . Aber im Kern ist es das, was Demokratie ausmacht .
Nur in Rede und Gegenrede schärfen sich das Argument
und auch die Fähigkeit, das, was man will und ausdrü-
cken will, besser und plausibler zu erklären .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der Abg . Dr . Petra Sitte [DIE LINKE])


Meine Damen und Herren, wir haben im Deutschen
Bundestag und, wie ich glaube, auch in der Bundesregie-
rung wirklich gute Weichenstellungen vorgenommen für
Wachstum, für Innovation, für Teilhabe und nicht zuletzt
dafür, dass die Energiewende nicht nur eine ökologi-
sche, sondern endlich auch eine ökonomische Erfolgs-
geschichte wird .

Anlass unserer heutigen Debatte ist der Jahreswirt-
schaftsbericht . Dreimal habe ich Ihnen diesen Bericht
vorgelegt, und ich bin dankbar dafür, dass ich das Glück
hatte, in den vergangenen drei Jahren jedes Mal gute
Nachrichten vermelden zu dürfen, und dass ich das auch
heute wieder tun kann: über 43 Millionen Beschäftigte –
so viel wie noch nie –, eine Steigerung der sozialversi-
cherungspflichtigen Beschäftigung und eine Abnahme
der prekären Beschäftigung, steigende Reallöhne, die
niedrigste Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung
und im letzten Jahr die höchste Rentenerhöhung seit
20 Jahren .

Ich kenne ein paar meiner Vorgänger, die hätten des-
halb jetzt eine flammende Rede darüber gehalten, ein
Feuerwerk abgeschossen, wie gut sie das alles hinge-
kriegt haben . Wir alle miteinander wissen ja: Die Bun-
desregierung und, wie ich glaube, auch die gemeinsa-
me Finanz- und Wirtschaftspolitik mit dem Kollegen
Schäuble, aber auch mit allen anderen Kolleginnen und
Kollegen haben dazu beigetragen, diesen ökonomischen
Pfad zu erreichen . Aber im Kern ist das der Erfolg vieler,
vieler Millionen Menschen, die ziemlich hart arbeiten
in unserem Land, gute Ausbildungen haben, also kluger
Unternehmerinnen und Unternehmer, Forscher, Ingeni-
eure, Techniker, Facharbeiter, Verkäuferinnen, all derer,
die das mit erarbeiten . Die sind sozusagen die Ursache
für diese gute wirtschaftliche Entwicklung . Und das ist
unser gemeinsamer Erfolg .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich gebe zu: Ein bisschen fällt es mir schwer, darüber
so zu jubilieren, wie das ja in Wahljahren bei solch ei-
ner wirklich durchaus exzellenten Bilanz der wirtschaft-
lichen Entwicklung normalerweise der Fall ist . Das aus
zwei Gründen:

Erstens, weil das – ich glaube, das ist das Wichtigste,
was uns klar sein muss – nicht zwangsläufig so bleibt,

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


wir nicht einfach davon ausgehen können, dass sich das
fortsetzt . Die Unternehmerinnen und Unternehmer, mit
denen man spricht, sagen immer: Na ja, wenn wir den
Eindruck haben, alles läuft sowieso gut, dann beginnt die
Krise, weil man sich dann nicht richtig auf das einstellt,
was zu verändern ist, damit es uns in zehn Jahren noch
so gut geht .

Das Zweite ist natürlich auch: Wir wissen ganz genau,
dass nicht alle Menschen in Deutschland davon profitie-
ren – Gott sei Dank endlich mehr, aber bei weitem nicht
alle .

Ich sage auch, dass ich natürlich Sorge habe mit Blick
auf das, was auf uns zukommt . Wir scheinen ja in einer
Lage zu sein, in der die Welt neu vermessen wird, unter
anderem auch deswegen, weil autoritäre Antworten auf
dem Vormarsch und die liberalen und sozialen Demokra-
tien auf dem Rückmarsch sind . Die Europafeindlichkeit
hat ein gefährliches Ausmaß angenommen, soziale Ver-
werfungen in dem einen Teil der Europäischen Union,
Hochmut und nationale Stimmungsmache in dem ande-
ren Teil sind eine riesige Gefahr auch für die wirtschaft-
liche Entwicklung – nicht nur, aber auch .

Die französischen Präsidentschaftswahlen in diesem
Frühjahr sind bittere Schicksalswahlen für Europa . Wenn
es den Europafeinden nach dem Brexit im letzten Jahr
ein weiteres Mal gelingt – etwa in den Niederlanden oder
in Frankreich –, Erfolge zu verzeichnen, dann droht uns
wirklich das Auseinanderfallen des sozusagen größten
Zivilisationsprojekts des 20 . Jahrhunderts, nämlich der
Europäischen Union . Das europaorientierte, das auf in-
ternationale Kooperation setzende Deutschland wäre iso-
liert und einsam, und nach Großbritannien und den USA
würden uns weitere Partner verloren gehen . Man kann
die Lage gar nicht dramatisch genug empfinden.

Unter dem antieuropäischen, dem nationalegoisti-
schen Mantel ist die Demokratiefeindlichkeit zurück-
gekehrt, offene Feindschaft gegen Freiheit und gleiche
Bürgerrechte . Der Rechtsstaat wird angegriffen – nicht
nur international und an den Rändern, sondern auch
im Herzen Europas . Sogar in einer so wohlhabenden
und wirtschaftlich so aussichtsreichen Gesellschaft wie
Deutschland sind hasserfüllte Töne und, wie wir seit ei-
nigen Tagen wissen, auch der Ruf nach Geschichtsrevisi-
onismus erneut möglich .

Bürgermeister treten zurück, weil sie ihre Familie vor
dem Hass schützen wollen . Wir merken, unser Land ist
nicht immun . Trotzdem – ich will das nicht kleinreden –
finde ich, dass man an einem solchen Tag auch sagen
kann: Unser Job ist es, sich an die 80, 85 Prozent der
Menschen in unserem Land zu wenden, die jeden Tag
arbeiten gehen, die abends ihren Kindern am Bett eine
Geschichte vorlesen, die am nächsten Tag Übungsleiter
im Sportverein sind, die zur Feuerwehr gehen, die sich
in Flüchtlingsinitiativen engagieren . Das sind die 85,
90 Prozent in unserem Land, die es so geschafft haben .
Sie repräsentieren Deutschland und nicht die 15 Prozent
Schreihälse in unserem Land .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es geht um das Zusammenleben in unserem Land . Ich
finde übrigens, dass wir beim jetzt anlaufenden Wahl-
kampf für die Bundestagswahl auch dahin gehend ein
Zeichen setzen müssen . Wir sind hier politische Wettbe-
werber; aber wir sind keine politischen Feinde . Dennoch
kommen welche, die sich uns zum Feind gemacht haben .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dass man im Wahlkampf in der Sache hart und klar vor-
geht, ist natürlich richtig; Wahlkampf ist keine Kloster-
schule . Wahlkampf darf aber auch nicht im Ansatz so
persönlich, diffamierend und mit Lügen behaftet sein,
wie es in den Vereinigten Staaten der Fall gewesen ist .
Anstand und Respekt kann man sich im Wahlkampf auch
zollen, wenn man unterschiedlicher Auffassung ist .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich finde, auch das gehört dazu.

Diese Unsicherheiten sind der Grund, warum ich den
Jahreswirtschaftsbericht unter das Leitmotiv der Teil-
habe und der Idee der sozialen Marktwirtschaft gesetzt
habe; denn trotz der unbestreitbar guten Zahlen müssen
wir anerkennen, dass sich in unserem Land viele Men-
schen Sorgen machen: Sorgen um ihre Sicherheit, aber
natürlich auch um ihre persönliche, um ihre wirtschaftli-
che, um ihre soziale Zukunft . So beeindruckend die Zah-
len hinsichtlich der Entwicklung der Arbeitslosigkeit und
der Steigerung der Anzahl der sozialversicherungspflich-
tigen Beschäftigungsverhältnisse auch sind, gibt es na-
türlich auch andere Zahlen, die in diesen Zusammenhang
gehören: 7,5 Millionen Menschen verdienen weniger als
10 Euro . Das sind 1 600 Euro Bruttoverdienst .

Ich bin so eine Art Beute-Ossi . Ich war letztens in der
Verwandtschaft meiner Frau in Ostdeutschland unter-
wegs . Bei einer Familienfeier saß mir jemand gegenüber,
der im Schichtdienst in einem Aluminiumpresswerk ar-
beitet. Er bekommt 1 300 Euro netto. Ich finde, das ist ein
unanständiger Lohn .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


18 Prozent der Menschen arbeiten im Niedriglohnsek-
tor .


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Die Beschreibung der Verhältnisse reicht aber nicht!)


– Nein, deswegen komme ich im Laufe meiner Rede
noch darauf zu sprechen, was wir gemacht haben, um das
zu bessern . Aber Sie müssen bis dahin warten .


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Es gibt auch noch andere Entwicklungen, die einem
Sorge machen müssen, zum Beispiel, dass selbst Men-
schen mit Normaleinkommen in Großstädten Mieten
nicht mehr bezahlen können oder dass es – überlegen Sie
sich das einmal! – in 20 Prozent der Gemeinden in den

Bundesminister Sigmar Gabriel






(A) (C)



(B) (D)


ländlichen Räumen Deutschlands weder eine Bushalte-
stelle noch eine Grundschule noch einen Arzt noch einen
Apotheker noch einen Supermarkt gibt .

Die Menschen fühlen sich zum Teil aus dem Blick der
Politik gefallen, und deswegen kommt es auch darauf an,
dass wir in dieser Zeit Verbindlichkeit und Zusammen-
halt in der Gesellschaft wieder fördern . Die OECD nennt
das „inklusives Wachstum“ . Ludwig Erhard hat es sich
vor 60 Jahren einfacher gemacht, indem er es ziemlich
klar in den Auftrag übersetzt hat: „Wohlstand für Alle“ .
Aber wir sind davon ein gutes Stück entfernt .

Meine Damen und Herren, wir haben in dieser Legis-
laturperiode eine Menge auf den Weg gebracht, um diese
Entwicklung zurückzudrängen, und damit ist nicht nur
das Gesetz über den Mindestlohn gemeint . Der Mindest-
lohn ist ein schlechter Lohn . Eigentlich ist es schlimm,
dass wir dieses Gesetz brauchen . Wir haben auch in der
Bundesregierung dafür gesorgt, dass Tarifverträge mehr
Gewicht bekommen . Wir haben das Tarifeinheitsgesetz
auf den Weg gebracht . Wir haben jetzt im Zusammen-
hang mit der betrieblichen Altersversorgung den tarifli-
chen Verabredungen wieder Vorteile verschafft . Wir ha-
ben dafür gesorgt, dass wir in Deutschland im Bereich
der Reallohnentwicklung vorankommen, und zwar auch
dadurch, dass wir Belastungen nicht gesteigert und sogar
zurückgenommen haben .

Wir haben des Weiteren ungeheuer in Bildung, in Kin-
dertagesstätten, in Ganztagsschulen und in vieles andere
mehr investiert . Übrigens: Wir haben gerade den kleinen
Gemeinden geholfen, indem wir in dieser Legislaturpe-
riode die Kommunen in Deutschland um insgesamt fast
80 Milliarden Euro entlastet haben . Nie in der Geschichte
der Republik gab es eine so kommunalfreundliche Po-
litik wie in dieser Legislaturperiode, meine Damen und
Herren .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben den Abschluss von Werksverträgen er-
schwert sowie Leih- und Zeitarbeit eingeschränkt . Zuge-
gebenermaßen geschah das nicht so, wie wir es als So-
zialdemokraten eigentlich wollten; aber immerhin ist es
gelungen, das Ganze zurückzudrängen .

Wir haben eine Menge gemacht, um Recht und Ord-
nung auf dem Arbeitsmarkt wiederherzustellen . Ich wie-
derhole: Wir sind nicht weit genug, aber wir sind ein
gutes Stück vorangekommen . Dass mittlerweile auf dem
Weltwirtschaftsforum in Davos oder in der OECD über
inklusives Wachstum geredet wird und gesagt wird: „Un-
gleichheit ist schlecht für die Wirtschaft“, ist ein Para-
digmenwechsel; denn noch vor ein paar Jahren ist das
Höchstmaß an Ungleichheit als einziger Leistungsantrieb
formuliert worden. Ich finde, wir sind wieder auf einem
besseren Weg . Wir sind noch nicht am Ende angekom-
men, aber es ist gut, dass es wieder in die Richtung geht,
Wohlstand für alle zu organisieren .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch in diesem Jahr wird es noch einmal einen Be-
schäftigungsaufbau um 320 000 Erwerbstätige geben .

Insgesamt stehen heute 1 Million Menschen mehr in
Lohn und Brot als beim Amtsantritt dieser Regierung –
1 Million Menschen mehr haben Arbeit! Ich erinnere da-
ran, dass wir 2005 auf dem Weg zu weit über 5 Millionen
Arbeitslosen waren . Daran sieht man, was wir hinter uns
gebracht haben – Vorgängerregierungen,


(Dr . Michael Fuchs [CDU/CSU]: Rot-Grün!)


aber auch diese Regierung . – Michael, ich habe deinen
Zwischenruf freundlicherweise überhört; glaube nicht,
mir würde nichts dazu einfallen .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


Das bedeutet auch: Die Arbeitslosigkeit lag im vergange-
nen Jahr mit 6,1 Prozent auf dem niedrigsten Stand seit
der Wiedervereinigung .

Übrigens: Von der Einführung des Mindestlohns ha-
ben rund 4 Millionen Erwerbstätige profitiert. Gerade
viele Geringverdiener konnten aus prekären Beschäfti-
gungsverhältnissen wie Minijobs in eine sozialversiche-
rungspflichtige Beschäftigung wechseln.

Auch 2017 werden die Einkommen der privaten
Haushalte auf breiter Basis wieder deutlich wachsen .
Die verfügbaren Einkommen sind 2016 um knapp 3 Pro-
zent gestiegen und werden auch 2017 in dem Rahmen
steigen . Wir haben einmal geschaut, wie viel mehr der
durchschnittliche Arbeitnehmer heute im Vergleich zum
Beginn der Legislaturperiode eigentlich jährlich in der
Tasche hat . Es sind zwischen 1 000 und 2 000 Euro . Ich
finde, auch das ist ein guter Maßstab dafür, dass wir eine
vernünftige und gute Politik gemacht haben .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Natürlich hat das auch Rückwirkungen, die gut für die
Konjunktur sind; denn Reallohnsteigerungen führen
dazu, dass die Binnennachfrage zunimmt . Die kräftige
Stärkung der Binnennachfrage macht Deutschland zum
Stabilitätsanker in einem sehr schwierigen Umfeld . Wir
sind stabil, aber wir geben auch unseren Nachbarn viel
Stabilität .

Meine Damen und Herren, Deutschland hat in dieser
Legislaturperiode wirtschaftlich wirklich gute Jahre er-
lebt . Darauf dürfen wir uns aber nicht ausruhen, gerade
angesichts der Herausforderungen des demografischen
Wandels und der Digitalisierung . Wir müssen jetzt da-
für sorgen, dass wir diesen Wohlstand in zehn Jahren auf
neue, zukunftsfeste Grundlagen stellen können .

Sich auf die Herausforderungen der Zukunft vorzube-
reiten, kann mit einem Begriff umschrieben werden: In-
vestitionen . Deshalb hat diese Regierung die öffentlichen
Investitionen massiv ausgeweitet . Die Investitionen des
Bundes sind mit 36,1 Milliarden Euro stärker gestiegen
als jeder andere Ausgabenbereich des Bundeshaushaltes,
nämlich um weit mehr als ein Drittel . Es geht um neue
Straßen, Schienen, Verkehrswege, gelegentlich auch um
Flughäfen, digitale Infrastruktur und anderes mehr, In-
vestitionen in Bildung, in Hochschulen .

Ich glaube, der Grund, warum Deutschland seit
200 Jahren als Industriegesellschaft so erfolgreich war,
ist – abgesehen davon, dass wir gute Leute haben, dass

Bundesminister Sigmar Gabriel






(A) (C)



(B) (D)


wir pfiffige Unternehmer haben –, dass wir die beste In-
frastruktur der Welt hatten . Da besteht heute Nachholbe-
darf . 34 Milliarden Euro beträgt der Sanierungsstau an
deutschen Schulen, über 100 Milliarden Euro insgesamt,
sagt die KfW . Deswegen ist es richtig, dass wir den In-
vestitionsanteil deutlich hochgefahren haben und auch
dafür gesorgt haben, dass die Kommunen wieder inves-
tieren können . Denn solche Investitionen sind es, die un-
ser Land zukunftsfähig und innovationsfreudig machen .

Ich freue mich über den wirtschaftlichen Erfolg und
über die finanziellen Reserven, die dieser dem Bundes-
haushalt und übrigens auch den Länderhaushalten bringt .
Übrigens sind die Beschlüsse, die wir jetzt fassen, nicht
nur die kommunalfreundlichsten, sondern auch die län-
derfreundlichsten seit 1948 .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/ CSU]: Und die teuersten! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Und die teuersten! Als Wirtschaftsminister muss man auch über Preise reden! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: 16 Räuber!)


– Ich habe ja, glaube ich, deutlich gemacht, dass ich das,
was wir da gemacht haben, für herausragend halte .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Aber die Länder sind eben auch diejenigen, die Polizisten
einstellen müssen, die Lehrerinnen und Lehrer einstel-
len müssen . Das ist natürlich erst einmal Voraussetzung;
denn nur dann werden wir mehr Sicherheit, mehr Bil-
dung und anderes schaffen .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die haben allerdings auch Rekordeinnahmen!)


Ich bin aber unzufrieden über das, was hinsichtlich
der Verwendung solcher Überschüsse diskutiert wird;
das gebe ich zu . Wir haben darüber, wie Sie wissen, eine
Diskussion in der Bundesregierung . Ein Teil sagt: Lasst
uns die 6 Milliarden Euro nehmen und die Schulden oder
die Steuern senken . – Wir glauben, dass wir investieren
müssen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mit Blick auf den Bundestagswahlkampf will ich sagen:
Meine Sorge ist, dass wir die Dinge zu alternativ sehen .
Es wird natürlich auch Entlastungen geben müssen, aber
nicht mit der Gießkanne und nicht für Millionäre,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das hat ja auch keiner vor!)


aber für Familien und Alleinerziehende . Manchmal ist es
wichtiger, die Sozialabgaben zu senken, weil dann auch
Menschen mit sehr kleinen Einkommen etwas davon ha-
ben, die von den Steuerentlastungen nichts haben .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn aber riesige Steuersenkungspakete – das sage
ich auch der anderen Seite des politischen Spektrums
in meiner Partei –, riesige konsumtive Sozialausgaben

versprochen werden, passiert doch nur eins: Beide muss
man nach der Wahl einsammeln . Und gebrochene Wahl-
versprechen sind kleine Verbrechen an der Demokratie .
Lassen Sie uns auch da – das ist mein Rat – Maß und Mit-
te behalten, aufpassen, dass man das Richtige tut . Man
sollte nicht glauben, Wähler könne man kaufen . Wah-
lerfolg erreichen wir nicht dadurch, dass wir gigantische
Versprechen machen, sondern dadurch, dass wir das, was
wir versprechen, hinterher auch einhalten können .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, wenn der Bund wie im
Jahr 2016 mit seinen Anleihen 1,2 Milliarden Euro Ge-
winn macht, weil die Schuldner Negativzinsen bezah-
len, dann macht Schuldentilgung ökonomisch nur wenig
Sinn . Es macht allerdings auch keinen Sinn, den Sanie-
rungsstau an Schulen von 34 Milliarden Euro auf 68 Mil-
liarden Euro anwachsen zu lassen, um dann möglicher-
weise höhere Steuern erheben zu müssen .


(Beifall bei der SPD – Max Straubinger [CDU/CSU]: Länderaufgabe!)


Deshalb müssen Bund, Länder und Gemeinden Investiti-
onen Vorfahrt gewähren .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die deutsche Wirt-
schaft lebt jedoch nicht allein auf der Insel der Glück-
seligen . Keine andere Volkswirtschaft ist so eng mit der
Welt, besonders mit den europäischen Nachbarn, verbun-
den . Die Weltwirtschaft wird im nächsten Jahr wachsen,
aber die Unsicherheiten bleiben hoch . Ganz interessant
ist übrigens: Die Weltwirtschaft wächst, der Handel
nicht . – Das sind Hinweise auf Entwicklungen, die je-
denfalls für Deutschland und Europa nicht gut sind . Die
deutschen Exporte werden eher moderat zunehmen, die
Importe dagegen werden der großen Binnennachfrage
wegen in diesem Jahr spürbar ansteigen . Der Leistungs-
bilanzüberschuss geht deshalb leicht zurück . Das wird
die Europäische Kommission freuen .

All das zeigt aber: Deutschland muss seine Bemühun-
gen fortsetzen, die Binnendynamik bei Investitionen –
übrigens auch bei der Forschungs- und Entwicklungstä-
tigkeit – voranzubringen . Nur innovative Entwicklungen
in unserem Land sichern uns in diesem Umfeld wirt-
schaftlichen Erfolg . Ich erinnere mich: Ende letzten Jah-
res hat Kollege Riesenhuber – er sitzt ja hier im Plenum –
zum Schluss der Haushaltsdebatte eine glänzende Rede
zu diesem Thema gehalten . Vielleicht nehmen wir sie
mit in die Wahlkämpfe, Herr Kollege Riesenhuber, weil
sie zeigt, an welcher Stelle die Grundlagen für unseren
Wohlstand gelegt werden .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


– Man merkt: Wenigstens ein paar haben zugehört, Herr
Riesenhuber .

Für uns ist klar: Der weltweit spürbare Hang zum
Protektionismus ist der gefährlichste Weg . Abschottung
macht alle ärmer . Das Kommando „Schotten dicht!“ ist
ja das Kommando eines Kapitäns auf einem sinkenden
Schiff . Ich bin Segler und kenne die Kommandos, die

Bundesminister Sigmar Gabriel






(A) (C)



(B) (D)


man da setzen soll . Dieses Kommando ist jedenfalls kei-
nes, was Zuversicht verbreitet, sondern dieses muss man
auf einem Schiff machen, wenn es schon fast gesunken
ist . Deswegen: Das, was da aus Amerika kommt und was
wir auch aus anderen Ländern der Welt hören, ist sehr,
sehr gefährlich für die Weltwirtschaft und auch für uns .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau! Lieber TTIP!)


Allerdings muss man nicht verzweifeln, vor allem nicht
ängstlich und unterwürfig sein; denn zurzeit gehen knapp
10 Prozent der deutschen Exporte in die USA, aber
60 Prozent gehen nach Europa .

Vor diesem Hintergrund ist es richtig gewesen, dem
europäisch-kanadischen Abkommen zuzustimmen . Ich
stelle mir vor: In einer Zeit, in der Donald Trump regiert,
indem er sozusagen Protektionismus verkündet, TPP
kündigt, hätte ausgerechnet ein aus Deutschland oder
aus Europa kommender Impuls, das CETA-Abkommen
scheitern zu lassen, Erfolg gehabt . Die Welt würde sich
jetzt über uns totlachen angesichts unserer Kritik an den
Vereinigten Staaten . Wir müssen fairen und freien Han-
del vorantreiben . Es darf nicht sein, dass wir sozusagen
in das gleiche Horn blasen, vielleicht aus anderen Grün-
den . Solche Handelsbeziehungen sind die Voraussetzung
für das wirtschaftliche und soziale Überleben unseres
Landes,


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


und Kanada ist ein europäischeres Land als manche Mit-
gliedstaaten der Europäischen Union .


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, es gibt also eine Menge
zu tun . Die guten Zahlen, die wir jetzt für das vierte Jahr
der Legislaturperiode vorhersagen, dürfen uns erfreuen;
aber sie müssen uns vor allen Dingen dazu motivieren,
zu überlegen, was wir aus den Stärken unseres Landes
machen können . Und es ist ein verdammt starkes Land .
Deutschland ist kein Land der Schwäche; es hat mit den
Menschen, die hier leben, ungeheure Potenziale . Wir ha-
ben eine gute Ökonomie, aber auch einen sicheren Sozi-
alstaat, den wir da, wo er nicht gut ist, ausbauen müssen .
Aber es gibt keinen Grund, hier alles in Grund und Bo-
den zu reden – im Gegenteil!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Menschen Mut zu machen, das Land auch zu umar-
men und zu sagen: „Tolles Land! Lasst uns dafür sor-
gen, dass es unseren Kindern und Enkelkindern auch gut
geht“, und dann im Wahlkampf über die Frage zu strei-
ten, wie man dieses tolle Land so gut lässt, wie es ist, und
das, was nicht so gut ist, besser macht – das ist, finde ich,
eine gute Aufgabe für 2017 .

Lassen Sie uns nicht über jeden Stock derjenigen
springen, die nur eines im Blick haben: Sie wollen die
Uhr zurückdrehen – die meisten mindestens hinter Willy
Brandt und, wie wir wissen, ein paar auch hinter Konrad
Adenauer . Das ist nicht unser Weg; wir haben einen an-
deren Weg vor uns . Ich wünsche Ihnen, uns allen, aber

auch meiner Nachfolgerin im Amt viel Erfolg . Das waren
gute Jahre im Wirtschaftsministerium .

Vielen Dank .


(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei der CDU/CSU – Die Fraktion der SPD erhebt sich – Volker Kauder [CDU/CSU], an die SPD gewandt: Jetzt steht ihr auf! Schämt euch! Er hat jetzt eine dienende Funktion! Beruhigt euch! – Gegenruf der Abg . Christine Lambrecht [SPD]: Ja, ganz entspannt! Ganz entspannt bleiben!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1821500100

Das Wort erhält nun der Kollege Klaus Ernst für die

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821500200

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Lieber Herr Wirtschaftsminister, auch von mir
danke für die Zusammenarbeit . Leider habe ich nicht so
viel Redezeit, um das zu vertiefen . Deshalb möchte ich
nur eines sagen – und das meine ich so, wie ich es sage –:
Fade war es mit Ihnen nie .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN)


Allein das ist ja parlamentarisch etwas wert .

Meine Damen und Herren, der Jahreswirtschaftsbe-
richt hat den Titel „Für inklusives Wachstum in Deutsch-
land und Europa“ . Eigentlich war der Titel anders; er
hieß: „Für inklusives Wachstum und mehr soziale Teil-
habe in Deutschland und Europa“ .


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das heißt aber „inklusives Wachstum“!)


Offensichtlich ist die „soziale Teilhabe“ auf Intervention
des Finanzministers – so das Handelsblatt – gestrichen
worden . Genau das ist das Problem .

Nebenbei, Herr Wirtschaftsminister, habe ich genau
gemerkt, wer wo wann geklatscht hat . Beim Beispiel des
Schichtarbeiters, das ich vollkommen richtig finde, hat
sich bei Ihrem Koalitionspartner zum Teil keine Hand
gerührt .


(Dr . Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das stimmt gar nicht!)


Das ist das Problem: Soziale Teilhabe ist offensichtlich in
der Koalition umstritten . Deswegen sage ich Ihnen eines:
Falls die Sozialdemokraten die irre Idee haben sollten,
diese Koalition nach der Wahl fortzusetzen, dann wird
alles so bleiben, wie es ist, und das wäre das Schlimmste,
was diesem Land passieren kann .


(Beifall bei der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Das empfinden die Leute anders!)


Meine Damen und Herren, machen wir es genau: Das
Ziel, materielle Ungleichheit in Deutschland zu begren-
zen und die Einkommensungleichheit zurückzuführen,

Bundesminister Sigmar Gabriel






(A) (C)



(B) (D)


stand ursprünglich in Ihrem Bericht – es ist deutlich ab-
geschwächt worden. Bestenfalls im Vorwort finden sich
noch Hinweise darauf . Doch gerade die ungleiche Ein-
kommens- und Vermögensverteilung – ja, ich sage: Ar-
mut – in Deutschland ist ein zentrales Problem .

Meine Damen und Herren, Sie können zwar das Pro-
blem aus Ihrer Wahrnehmung streichen, aber Sie werden
es mit dem, was Sie tun, nicht aus der Realität verbannen .
Viele fühlen sich von der wirtschaftlichen Entwicklung
abgehängt – einiges ist angesprochen worden –, zum
Beispiel viele der 21 Prozent der Beschäftigten im Nied-
riglohnsektor . Da reichen die geringen Anhebungen eben
nicht aus, um das Problem zu lösen . Viele Leiharbeiter
und befristet Beschäftigte fühlen sich abgehängt . Auch
hier reicht bei weitem nicht aus, was Sie auf den Weg ge-
bracht haben . Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
wissen, dass die Rente keinesfalls mehr ausreicht für ein
einigermaßen vernünftiges Leben nach der Arbeit . Das,
was bisher auf den Weg gebracht wurde, ist absolut un-
zureichend, fast gleich null .

Meine Damen und Herren: In der Frankfurter Rund-
schau von heute heißt es – und das ist genau der Punkt,
der in Ihrer Rede, aber keinesfalls im Bericht der Bun-
desregierung zu finden ist –:

Die Ungleichheit in Deutschland wächst, das Ar-
mutsrisiko steigt – nicht nur für Arbeitslose, auch
für Rentner und Erwerbstätige . Und das trotz des
Booms am Arbeitsmarkt .

Das ist die Realität, aber die blenden Sie aus . Wenn es so
weitergeht, dann stärken Sie den rechten Rand . Deshalb
sage ich Ihnen: Tun Sie endlich etwas, statt die Realität
auszublenden!


(Beifall bei der LINKEN)


Um das Problem noch einmal zu verdeutlichen: In-
zwischen haben wir die Situation, dass eine Partei mit
eindeutig rechtspopulistischen bis faschistischen Tei-
len in Umfragen – zum Beispiel in Brandenburg – bei
20 Prozent liegt – und damit stärker ist als die SPD – und
inzwischen in zehn Landesparlamenten sitzt, Tendenz
steigend . Selbstverständlich freut es auch uns Linke,
dass wir ein ansehnliches Wirtschaftswachstum und hohe
Beschäftigung haben . Aber Sie wissen genauso gut wie
wir, dass Sie mit dem, was Sie bisher gemacht haben, die
sogenannten Abgehängten nicht wieder in das normale
demokratische Spektrum integrieren konnten .

Der Direktor des Weltwirtschaftsforums in Davos –
Herr Gabriel, Sie haben das Weltwirtschaftsforum ange-
sprochen –, Richard Samans, sagte bei der Vorstellung
des Reports über inklusives Wachstum und Entwick-
lung – ich zitiere –:

Wirtschaftswachstum alleine reicht nicht . Die Stei-
gerung der Wirtschaftsleistung muss inklusiv wir-
ken …

Also allen Bürgern zugutekommen . Wenn das nicht
funktioniere – und jetzt kommt das Entscheidende –,
dann „kündigen die Verlierer den Konsens der Gesell-
schaft auf“ . Und genau das passiert bei uns . Wenn wir
glauben, nur durch Worte oder durch Ignoranz – wie das

bei Ihnen der Fall ist – das Problem lösen zu können und
nicht durch Taten, dann werden Sie mitverantwortlich für
die Rechtsentwicklung sein, die wir in unserem Lande
noch erleben werden . – Nebenbei bemerkt, weil ich Sie
gerade hier sitzen sehe, Herr Fuchs: Nachdem Sie bei der
Rede des Wirtschaftsministers so finster geblickt haben,
muss ich sagen: An einigen Stellen war sie richtig gut .


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, ich möchte einen zweiten
Punkt ansprechen, den ich aufgrund meiner kurzen Rede-
zeit allerdings nur kurz streifen kann . Auf Spiegel Online
gibt es eine lesenswerte Kolumne von Thomas Fricke .
Er schreibt:

In der Kritik steht, dass wir gemessen an der beein-
druckenden Höhe unseres Exports viel zu wenig bei
anderen einkaufen . Die Bilanz zählt .

Das haben ich und andere Vertreter meiner Partei oft an-
gesprochen . Fricke schreibt weiter:

Über Jahre haben unsere Großökonomen die Kritik
aus dem Ausland am deutschen Exportüberschuss
verspottet . Jetzt droht Amerikas neuer Präsident,
das Problem zu erledigen – ein deutsches Drama .

Er schreibt auch:

Da hilft auch der Halbstarkenspruch nur bedingt,
dass sich die anderen halt „anstrengen“ sollen, da-
mit sie auch so „tolle“ Sachen exportieren . . .

Meine Damen und Herren, wir können das Problem
nicht lösen, indem wir es einfach ignorieren und sagen:
Es wird schon nicht so dicke kommen . – Wir brauchen
eine Änderung unserer wirtschaftspolitischen Strategie .
Das Problem besteht darin, dass wir bei weitem mehr
exportieren als importieren . Wenn wir mehr importieren
wollen, dann brauchen wir eine Steigerung der Nachfra-
ge . Unsere Investitionen sind viel zu gering . 4 Prozent
ihrer Gewinne bringen die Unternehmen für zusätzliche
Investitionen nach Abschreibungen auf . 4 Prozent! Das
waren einmal 30 oder 40 Prozent . Wenn wir das Pro-
blem nicht erkennen und nicht durch mehr Nachfrage in
unserem Land entsprechend gegensteuern, dann werden
die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte zunehmen,
und wir werden noch ein größeres Problem haben als mit
Trump .

Danke fürs Zuhören .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1821500300

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege

Michael Fuchs das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Michael Fuchs (CDU):
Rede ID: ID1821500400

Verehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Da-

men und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Lieber Herr Bundeswirtschaftsminister – noch Bundes-
wirtschaftsminister –, ja, eines stimmt: Deutschland ist
in einer exzellenten Verfassung wie seit vielen Jahren

Klaus Ernst






(A) (C)



(B) (D)


nicht . Wir haben mittlerweile – Sie haben es eben völlig
zu Recht gesagt – 43,5 Millionen Erwerbstätige . Was Sie
nicht gesagt haben, aber sicherlich genauso sehen und
was mich am allermeisten an der Sache freut: Wir haben
de facto kaum noch Jugendarbeitslosigkeit . In meinem
Wahlkreis haben wir null Jugendarbeitslosigkeit bzw .
keine vermittelbaren Jugendlichen mehr . Das ist eigent-
lich der größte Erfolg . Denn was gibt es Schlimmeres für
junge Leute, als keine Perspektive zu haben, wenn sie
in das Berufsleben eintreten wollen? Auf diesen Erfolg
bin ich also besonders stolz, und darüber können wir uns
meiner Meinung nach besonders freuen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, die Große Koalition war
mit Sicherheit keine Liebeshochzeit . Nein, sie war eine
Arbeitskoalition, und wir haben gemeinsam auch einiges
erreicht . Ich möchte mich an dieser Stelle ganz persön-
lich bei Ihnen, Herr Minister, für die faire Zusammen-
arbeit bedanken, auch wenn wir den einen oder anderen
Streit – vor allen Dingen in der Energiepolitik – ausge-
fochten haben; ich komme noch darauf zu sprechen . Ich
baue natürlich auch darauf, Frau Zypries, dass das in den
verbleibenden sieben, acht Monaten so weitergeht, und
freue mich auf diese gemeinsame Arbeit .

Meine Damen und Herren, die EU 28 bildet nach
den USA den zweitgrößten Binnenmarkt der Welt . Die
USA haben ein Bruttoinlandsprodukt von 18,6 Billionen
US-Dollar, die EU 28 haben eines von über 16,5 Billio-
nen US-Dollar und ohne England – das müssen wir leider
zur Kenntnis nehmen – immer noch von über 14 Billio-
nen US-Dollar . Das sind so starke Zahlen, dass wir keine
Angst haben müssen und uns auch keine Angst machen
lassen sollten . Das haben wir nicht nötig . Wir können
selbstbewusst sagen: Auch „Europe first“ kann uns wei-
terhelfen .

Wichtig ist jetzt, dass wir die europäischen Länder
näher zueinanderbringen, dass wir dafür sorgen, dass sie
nicht auseinanderdriften . Im Gegenteil: Wir brauchen
mehr Zusammenarbeit in Europa . Nur so werden wir die
in den nächsten Jahren sowohl vonseiten der Regierung
der Vereinigten Staaten als auch durch den Brexit auf uns
zukommenden Herausforderungen meistern können . Das
wird eine der zentralen Aufgaben der Politik in den kom-
menden Jahren sein .

Aber es ist natürlich auch so, dass Lieferketten inten-
siv verwoben sind . Ich will nur ein Beispiel nennen: Die
Firma BMW stellt in England den Mini her; jeder kennt
das Auto . Mehr als 50 Prozent der Teile, die in den Mini
eingebaut werden, kommen aus Deutschland . Das zeigt
sehr deutlich, wie die Lieferketten miteinander verwoben
sind und dass man sie auch nicht so schnell trennen kann .
Ich setze darauf, dass das auch sehr schnell Eingang in
die amerikanische Politik findet.

Meine Damen und Herren – Herr Minister, da bin ich
nicht ganz mit Ihnen einverstanden –, nicht alles, was wir
zurzeit haben, beruht auf Leistungen dieser Regierung
oder vorheriger Regierungen . Dazu hat auch eine Menge
sogenannter – wie man es in der Volkswirtschaft nennt –
exogener Faktoren, die Sie nicht erwähnt haben, beige-

tragen . Die Niedrigzinspolitik kommt den Unternehmen
zumindest bei Investitionen mit ziemlicher Sicherheit
sehr entgegen . Wir haben auch dank der niedrigen Ener-
giepreise – für Öl, Gas etc . – erhebliche Vorteile . Das
sind Konjunkturprogramme, wie sie besser nicht sein
könnten . Wir haben einen Euro-Dollar-Wechselkurs, der
unserer Wirtschaft, die in den Dollar-Raum exportiert –
das sind immerhin 42 Prozent unserer Exporte –, erheb-
lich hilft und zu Windfall Profits führt – sie sind aber
nicht garantiert –, die so sonst nicht anfielen. Das muss
man deutlich sagen .

Und last, but not least, Herr Kollege Ernst – ich gehe
normalerweise gar nicht mehr auf Sie ein –: Haben Sie
einmal nachgesehen, wie viel gerade das Binnenwachs-
tum in Deutschland zurzeit zum marktwirtschaftlichen
Erfolg dieses Landes beiträgt? Mehr als zwei Drittel des
Wachstums kommen aus dem Binnenmarkt; er ist we-
sentlich stärker als in den Jahren zuvor . Das liegt daran,
dass die Löhne in den letzten Jahren erheblich gestiegen
sind, wesentlich stärker als in allen Jahren zuvor .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch das ist ein Erfolg von guten, vernünftig agieren-
den Unternehmen . Das sollten wir uns bitte auch nicht
schlechtreden lassen .

Meine Damen und Herren, ich will einen Punkt erwäh-
nen, der mir Sorge bereitet: die Digitalisierung . Wir sind
in diesem Bereich ziemlich rückständig . Heute 50 Mbit
Downloadgeschwindigkeit im Jahre 2020 anzustreben,
ist bei weitem zu wenig . Den auf uns zukommenden He-
rausforderungen werden wir damit mit Sicherheit nicht
gerecht . Im Gegenteil: Wir müssten über Gigabit reden
und nicht über Megabit . Dass andere Länder das können
und tun, das ist ein Faktum . Jeder, der sich im ostasiati-
schen Bereich aufhält, der wird das sehr schnell feststel-
len .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Südkorea!)


Verehrter Herr Präsident, mit Verlaub, dass der Deut-
sche Bundestag noch kein WLAN hat, ist auch kein Zei-
chen allergrößter Modernität .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich war vor kurzem im Parlament von Singapur und
konnte feststellen, dass der WLAN-Empfang überall
wunderbar war . Aber nicht nur dort, selbst in Malaysia
und Thailand gibt es das, und das sind Länder, von denen
man nicht sagen kann, dass sie auf unserem Entwick-
lungsstand sind .


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Dann soll Dobrindt mal hinnemachen!)


Wir müssen daran arbeiten, dass die digitale Versorgung
so schnell wie möglich besser wird und wir möglichst
auch in allen öffentlichen Bereichen WLAN haben . Das
sollte bald der Fall sein .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Michael Fuchs






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1821500500

Herr Kollege Fuchs, darf ich vielleicht dennoch darauf

aufmerksam machen, dass gleichwohl viele Parlamente
in der Welt trotz glänzend funktionierenden WLANs mit
diesem Parlament sofort tauschen würden?


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Michael Fuchs (CDU):
Rede ID: ID1821500600

Auch da gebe ich Ihnen recht, Herr Präsident, wie

fast immer . Aber beim WLAN können wir noch ein ganz
klein bisschen nachholen . Im Europasaal haben wir das
ja immerhin schon geschafft .

Meine Damen und Herren, ein Bereich bereitet mir
wirklich Sorgen, und bei diesem Thema sind wir uns mit
dem Bundeswirtschaftsminister nicht einig: Es geht um
die Energiepolitik . Die Kostenentwicklung läuft mittler-
weile völlig aus dem Ruder .


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja! Danke, Schwarz-Gelb!)


Mein geschätzter Kollege Kauder hat vor wenigen
Tagen zu mir gesagt, er würde mir den Hals umdrehen,
wenn das mit dieser Energiekostensteigerung so weiter-
gehen würde, wie es jetzt ist . Da ich mir das ersparen
will, möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass
dringender Handlungsbedarf besteht . Wir haben zwei
EEG-Reformen gemacht; die haben aber nicht einmal
annähernd zu einer Abschwächung bei den EEG-Kosten
geführt . Dieses Jahr geben wir 25 Milliarden Euro für
die EEG-Umlage aus . 25 Milliarden Euro! Und das ist
noch nicht einmal die ganze Wahrheit . Die Kosten für
die EEG-Umlage liegen zurzeit bei 6,88 Cent pro Kilo-
wattstunde . Ich sage Ihnen voraus: Spätestens im Herbst
dieses Jahres wird das eine ganz andere Größenordnung
sein . Wir müssen ganz schnell reagieren .

Jetzt kommt der zweite Punkt . Die Bundesnetzagentur
hat vor einigen Tagen deutlich gemacht, dass die Netz-
entgelte erheblich steigen werden . Wir werden bis 2024
rund 45 Milliarden Euro nur für die Netze ausgeben müs-
sen . Das bleibt uns nicht erspart . Das ist notwendig . Das
bedeutet aber – das sind alles Zahlen der Bundesnetz-
agentur –, dass die Netzentgelte für die Haushaltskunden
um mindestens 25 Prozent steigen werden .


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja! Röttgen, Rösler, Merkel!)


Das geht in Richtung von 10 Cent . Und jetzt kommt die
noch viel dramatischere Zahl: Für große Industriekunden
werden die Netzentgelte um 115 bis 130 Prozent steigen .

Ich bin froh, dass Sie das Thema Netzausgleich ange-
sprochen haben . Wir müssen da weitermachen . Es wird
höchste Zeit, dass wir bei den Netzen ein Level-Play-
ing-Field in Deutschland schaffen; denn es kann nicht
sein, dass in einigen Bundesländern deutlich höhere
Netzkosten zu zahlen sind als in anderen, weil wir da-
durch eine Ungleichheit im Wettbewerb schaffen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Mir bereitet das Thema Netze erhebliche Sorgen, weil es
für einen zusätzlichen Kostenschub sorgen wird .

Hinzu kommt – strafverschärfend, kann man sagen –,
dass die großen Übertragungsnetze, also die Nord-Süd-
Netze, laut Aussage der Bundesnetzagentur frühestens
2025 fertig sein werden . Was machen wir denn bis 2025?
Wir werden im Norden einen erheblichen Zuwachs beim
produzierten Strom haben, aus den Offshoreanlagen, aber
auch aus den Onshoreanlagen; den Verbrauch haben wir
aber vorrangig im Süden . Wenn wir den Transport nicht
hinbekommen, was passiert dann? Ganz simpel und ein-
fach: Dann kommen die sogenannten Redispatch-Kosten
noch obendrauf . Ich kann hier ja Mitarbeiter des Bundes-
wirtschaftsministeriums völlig unbefangen zitieren . Herr
Rid hat gesagt, dass wir im letzten Jahr Redispatch-Kos-
ten von 1,1 Milliarden Euro hatten und wir dieses Jahr
Redispatch-Kosten von 2 Milliarden Euro und demnächst
von 4 Milliarden Euro haben werden . Meine Damen und
Herren, das wird alles auf die Netzkosten umgelegt wer-
den müssen . Das geht alles in die Preise hinein .


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja! Danke, CDU!)


Dann wird es irgendwann den Punkt geben, an dem
wir zu teuer werden und die Wettbewerbsfähigkeit un-
serer Wirtschaft erheblich leidet . Da dies der letzte Jah-
reswirtschaftsbericht ist, den ich hier mitdiskutieren darf,
möchte ich darauf hinweisen, dass wir erheblichen Nach-
holbedarf haben und intensiv daran arbeiten müssen .

Lieber Herr Gabriel, noch einmal herzlichen Dank
für die gute Zusammenarbeit, auch wenn ich nicht mit
allem einverstanden war; das habe ich gerade deutlich
gemacht . Es hat sich gelohnt, dass wir trotzdem so ver-
nünftig miteinander umgegangen sind .

Liebe Frau Zypries, Deutschland braucht für die Zu-
kunft eine an marktwirtschaftlichen Prinzipien orientier-
te Ordnungspolitik . Lassen Sie uns bitte alle gemeinsam
daran arbeiten .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1821500700

Das Wort erhält nun der Kollege Cem Özdemir für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Der Wirtschaftsexperte Özdemir!)



Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821500800

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Lieber Sigmar Gabriel, zunächst möchte ich
Ihnen unseren Respekt für Ihre Entscheidung ausspre-
chen, die sicherlich keine einfache war . Wir wünschen
Ihnen alles Gute im neuen Amt . Was die Vereinbarkeit
von Familie und Beruf angeht – so habe ich mir sagen
lassen –, soll das nicht das allerleichteste Amt sein .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Aber wir wünschen Ihnen viel Erfolg dabei und sind
schon sehr gespannt auf die ersten Schilderungen, die wir
dann hoffentlich lesen können .

Wir wünschen auch der designierten Nachfolgerin,
Brigitte Zypries, alles Gute in dem neuen Amt . – Doch
zurück zur Gegenwart .

Sie sagen, der Wirtschaft gehe es gut, die Staatsfinan-
zen seien solide und das Beschäftigungsniveau sei hoch .
Ich glaube, es gibt niemanden hier im Hohen Haus, der
sich nicht darüber freut . Aber mit diesem Erfolg, mit die-
sen Daten haben Sie, Herr Gabriel und die Große Koali-
tion, herzlich wenig zu tun,


(Zuruf des Abg . Hubertus Heil [Peine] [SPD])


sondern Ihr Erfolg beruht auf niedrigen Zinsen und bil-
ligem Öl . Man kann, glaube ich, sagen: Es geht diesem
Land gut – nicht wegen der Großen Koalition, sondern
trotz der Großen Koalition .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es gibt einen anderen Politikbereich, bei dem Sie ein
bisschen so tun, als ob Sie gar nichts damit zu tun hät-
ten; aber damit haben Sie sehr viel zu tun . Ich meine den
Zustand der Infrastruktur in unserem Lande . Sie haben
zu wenig investiert . Der Besitz der gesamten Bevölke-
rung verfällt . Die Bürger stehen im Stau . Sie warten auf
schnelles Internet . Europaweit nimmt der Populismus zu .
Doch was fällt dieser Großen Koalition ein? Die schwar-
ze Null, die Sie anbeten und wie eine Monstranz vor sich
hertragen . Unsere Probleme werden nicht gelöst, wenn
man sich auf Leistungen früherer Regierungen und der
Bevölkerung ausruht und nicht in die Zukunft investiert .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Besonders absurd wird es, wenn Sie von den Sozial-
abgaben sprechen . Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht,
aber wir haben nicht vergessen, dass es diese Große Koa-
lition war, die eine Rentenreform mit einem Umfang von
160 Milliarden Euro bis 2030 auf den Weg gebracht hat,
die weder sozial gerecht noch generationengerecht ist;
denn die Erwerbsgeminderten, die Hauptbetroffenen, ha-
ben Sie vergessen, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der SPD .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nein!)


Sie finanzieren das über die Mitgliedsbeiträge der Bei-
tragszahlerinnen und Beitragszahler . Liebe Kollegen von
der CDU/CSU, so viel zum Thema Wirtschaftskompe-
tenz .

Bei der Ost-West-Angleichung der Rente machen Sie
es wieder so . Anstatt die Sozialabgaben zu reduzieren
oder dafür zu sorgen, dass sie nicht steigen, machen Sie
das Gegenteil . Damit erweisen Sie dem Mittelstand einen
Bärendienst, Sie erweisen unserer Wirtschaft einen Bä-
rendienst und auch den Arbeitnehmern und Arbeitgebern .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Eine Bitte habe ich noch: Bitte nehmen Sie das Wort
„Generationengerechtigkeit“ zumindest in dieser Legis-

laturperiode nicht mehr in den Mund . Denn damit haben
Sie so ziemlich gar nichts am Hut .

Zu den zwei entscheidenden Herausforderungen habe
ich in der Regierungserklärung, aber auch – das muss ich
sagen – in der Debatte, Herr Fuchs, wenig gehört .

Erstens . Wie stoppen wir den Klimawandel und er-
halten dabei unsere industriellen Arbeitsplätze? Völlige
Fehlanzeige in der Rede des Bundeswirtschaftsministers .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens . Wie gehen wir mit der angespannten Lage
in der Welt und natürlich auch in Europa um? Dazu, dass
der Protektionismus auf dem Vormarsch ist, und auch zur
Abschottung hätte ich gern etwas gehört . Wie sind hier
Ihre Vorstellungen?

Es war die Bundesregierung, die das Klimaschutzab-
kommen in Paris unterzeichnet hat, aber hier in diesem
Haus tun Sie so, als ob Sie damit nichts zu tun hätten .
Sie, Herr Gabriel, haben den Kohleausstieg an einem Tag
einfach vom Tisch gewischt . Gleichzeitig gibt es Länder
wie Kanada, die sich verpflichtet haben, bis 2030 aus der
Kohle auszusteigen . Sie sehen: Andere Industrieländer
können es anders machen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir sollten uns Kanada zum Vorbild nehmen und eben-
falls zeigen, dass wir nach dem Atomausstieg in der Lage
sind, auch aus der Kohle auszusteigen .


(Zurufe von der CDU/CSU)


Was ich hier gehört habe, ist klassische Retro-SPD-In-
dustriepolitik; diese wird hier reaktiviert .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: So ein dummes Zeug!)


Die Ökologie haben Sie offensichtlich aufgegeben .
Ökologische Modernisierung wird als Bedrohung für
den Standort wahrgenommen . Das ist das Gegenteil all
dessen, was Sie in den letzten Jahren selber einmal ge-
sagt haben, meine Damen, meine Herren . Das sollten die
Wählerinnen und Wähler genau wissen . Wem der Erhalt
der natürlichen Lebensgrundlagen wichtig ist, der weiß,
wen er nicht wählen kann, und der weiß bei der nächsten
Wahl sicherlich auch, wen er wählen kann, meine Damen
und Herren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Fuchs, quasi der murmeltierpolitische Sprecher
der Union, wiederholt in jeder Rede – wir haben eigent-
lich schon darauf gewartet, wann das Thema Energie-
preise kommt –, dass natürlich die erneuerbaren Ener-
gien schuld an allem Übel dieser Welt sind . Ich will hier
einmal jemanden, der wohl über jeden grünen Verdacht
erhaben ist, zitieren zu Ihren Klagen, dass die Energie-
wende die Preise durch die Decke schießen lassen wird .
Ich zitiere Georg Müller, Chef der Mannheimer MVV,
immerhin sechstgrößter deutscher Energieversorger:

Der Anteil der Stromkosten am Bruttoinlandspro-
dukt liegt auf dem Niveau der 1990er-Jahre .

Cem Özdemir






(A) (C)



(B) (D)


Ich meine, dem ist nicht viel hinzuzufügen . Statt wie Sie
die erneuerbaren Energien mit einem Ausbaudeckel zu
versehen, müssten wir eher im Gegenteil beim Ausbau
der erneuerbaren Energien einen Zahn zulegen;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


denn darin liegt die Zukunft des Standortes Bundesrepu-
blik Deutschland .

Dasselbe gilt für den Verkehrssektor . Wir müssen ge-
rade im Interesse der Arbeitsplätze in der Bundesrepublik
Deutschland so schnell wie möglich einen Zahn zulegen,
damit es mit emissionsfreien Fahrzeugen klappt . Was
aber tut diese Bundesregierung? Sie verabschiedet sich
von dem eigenen Ziel, 1 Million Fahrzeuge CO2-frei auf
die Straßen der Bundesrepublik Deutschland zu bringen .

Ich darf Sie an Folgendes erinnern: Jörg Hofmann, der
Chef der IG Metall, war kürzlich zu Gast bei uns und
hat gesagt: Es scheitert nicht an den Gewerkschaften, es
scheitert nicht an den Unternehmen, sondern der Wille
der Großen Koalition, der Wille der Politik, die notwen-
digen Vorgaben zu machen, anzupacken, damit wir auch
die Verkehrswende schaffen, fehlt eben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dann klappt es halt nicht, wenn man es nicht will; dann
bekommt man es auch nicht hin .


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Eine Bierzeltrede!)


Die Gefahren für unsere Volkswirtschaft durch die
Wahl von Donald Trump – darauf wurde bereits hinge-
wiesen – werden uns alle betreffen . Damit sind wir bei
einem zentralen Punkt für unsere Wirtschaft, nämlich bei
der Zukunft eines freien Handels und einer starken Euro-
päischen Union . Ich glaube, hier sind sich alle einig, dass
wir freien Handel stärken müssen, dass wir Protektionis-
mus verhindern müssen .


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ach, die Grünen auch?)


Das Gegenteil passiert jetzt, wenn man dem Glauben
schenken kann, was Präsident Trump angekündigt hat . Er
will die Finanzmärkte von der Kette lassen und die Real-
wirtschaft an die Kette legen . Umgekehrt wird ein Schuh
daraus . Also müssen zumindest wir in Europa unsere
Hausaufgaben machen; niemand wird das für uns tun .
Sowohl der Brexit als auch die Wahl von Trump müssen
uns eine Lehre sein . Wir brauchen ein starkes, wir brau-
chen ein offenes und vor allem ein geeintes Europa, und
das ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es waren Politiker von beiden großen Volksparteien –
Adenauer, Brandt, Schmidt und Kohl –, die dieses Eu-
ropa mit aufgebaut haben, und dieses Erbe steht jetzt in
Gefahr . Darum ist es wichtig, dass wir als die vielleicht
letzte Generation, die darüber entscheiden kann, welche
Richtung dieses Europa einschlägt, dieses Friedenspro-
jekt Europa nicht nur sichern, sondern dahin führen, dass
es wieder eine Erfolgsgeschichte wird . Dafür brauchen
wir ein Deutschland, das seine Rolle in der Europäi-
schen Union auch annimmt, das gemeinsam mit unserem

wichtigsten Partner Frankreich dafür sorgt, dass Europa
verteidigt wird und weiterentwickelt wird . Auch darüber
hätte ich gern etwas gehört . Das ist das, worauf unsere
Wirtschaft und unsere Arbeitgeber warten . Leider war
auch dies Fehlanzeige .

Herzlichen Dank .


(Lebhafter Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1821500900

Hubertus Heil ist der nächste Redner für die SPD-Frak-

tion .


(Beifall bei der SPD)



Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1821501000

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Titel dieses Jahreswirtschaftsberichts ist „Für
inklusives Wachstum in Deutschland und Europa“ . Ich
gebe zu, das ist ein etwas sperriger Titel . Das Fachwort
„inklusives Wachstum“ muss meines Erachtens übersetzt
werden, damit allen klar ist, was das bedeutet, was es
vor allen Dingen an wirtschaftspolitischem Paradigmen-
wechsel bedeutet . Denn heute diskutieren wir anders als
der wirtschaftsradikale Mainstream, dem auch jemand
wie Cem Özdemir zwischendurch einmal erlegen ist, als
er noch mit Oswald Metzger befreundet war .


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


An dieser Stelle haben wir heute eine andere Diskussion
auf der Welt .

Inklusives Wachstum beinhaltet das Bekenntnis, dass
wirtschaftliches Wachstum und soziale Gerechtigkeit
keine Gegensätze sind, sondern wechselseitige Bedin-
gung, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der SPD)


Das ist der Unterschied .

Denn damals, als Frau Merkel beispielsweise noch die
neue soziale Marktwirtschaft, den steuerpolitischen Bier-
deckel und die Kopfpauschale gepredigt hat, war es tat-
sächlich so, dass es zwei fundamentale Irrtümer gab, die
Wirtschaftsradikale unter das Volk zu bringen versucht
haben . Den einen hat Sigmar Gabriel angesprochen, näm-
lich dass Ungleichheit Motor wirtschaftlicher Dynamik
sei . Wenn jetzt auf dem Weltwirtschaftsforum im Glo-
bal Risks Report davon die Rede ist, das Ansteigen des
Anti-Establishment-Populismus deute darauf hin, dass
wirtschaftliches Wachstum allein nicht hilft, die Spaltung
von Gesellschaften zu überwinden, sondern dass – ich zi-
tiere das Weltwirtschaftsforum in Davos – „eine Reform
der kapitalistischen Marktwirtschaft“ auf die Agenda ge-
hört, dann ist das eine andere Debatte, und das ist auch
gut so, meine Damen und Herren . Wirtschaftlicher Erfolg
und soziale Gerechtigkeit gehören zusammen .


(Beifall bei der SPD)


Der zweite Irrtum wirtschaftsradikaler Vorstellungen
war in den unglaublich dummen Satz eines Amtsvorgän-

Cem Özdemir






(A) (C)



(B) (D)


gers von Sigmar Gabriel, eines liberalen Wirtschaftsmi-
nisters, gegossen, der einmal gesagt hat: „Wirtschaft wird
in der Wirtschaft gemacht .“ Richtig ist, dass in einer so-
zialen Marktwirtschaft im Wesentlichen Unternehmerin-
nen und Unternehmer sowie Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer zum wirtschaftlichen Erfolg beitragen . Aber
klar ist auch, dass ohne einen starken und handlungsfä-
higen Staat und ohne eine aktive Wirtschaftspolitik wirt-
schaftlicher Erfolg und soziale Gerechtigkeit nicht zu
gewährleisten sind . Das, meine Damen und Herren, ist
etwas, was wir für uns in Anspruch nehmen .

Die in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik
SPD-geführte Bundesregierung hat in dieser Legislatur-
periode dafür gesorgt, dass der Schalter umgelegt wur-
de . Unser Erfolg lässt sich auch in Zahlen messen . Die
gute wirtschaftliche Lage – darauf hat Sigmar Gabriel
hingewiesen – ist nicht allein ein politisches Verdienst .
Natürlich haben wir Sonderfaktoren, die genannt wur-
den, und natürlich ist sie das Verdienst von fleißigen
Menschen, die diesen Erfolg erarbeitet haben . Wir haben
die niedrigste Arbeitslosenquote seit 25 Jahren und die
höchste Zahl von Erwerbstätigen – in diesem Jahr sind es
43,5 Millionen Menschen und damit 1,5 Millionen mehr
als 2013 –, und es gibt eine ordentliche Entwicklung bei
den Löhnen . Das, meine Damen und Herren, ist auch
das Verdienst von Bundeswirtschaftsminister Sigmar
Gabriel . Dafür danken wir ihm .


(Beifall bei der SPD)


Er hat durch seine Arbeit dafür gesorgt, dass das Bun-
deswirtschaftsministerium in der Bundesregierung wie-
der eine aktive Rolle spielt . In den letzten Jahren war es
ja verkommen . Denn seine Amtsvorgänger, die nach dem
Motto „Wirtschaft wird von der Wirtschaft gemacht; der
Staat muss sich überall heraushalten“ gehandelt haben,
haben die Rolle einer aktiven Wirtschaftspolitik nicht
unterstützt . Dieser Turnaround lässt sich auch an den
Investitionsquoten des Bundeshaushalts ablesen . Die
Investitionen des Bundes sind seit Beginn dieser Le-
gislaturperiode auf 36 Milliarden Euro im Bundeshaus-
halt 2017 gesteigert worden . Meine Damen und Herren,
wenn wir außerdem noch die Entlastung der Kommunen
berücksichtigen, deren Höhe Sigmar Gabriel vorhin be-
ziffert hat – ihre Investitionen machen den größten Anteil
an den Investitionen der öffentlichen Hand aus –, kann
man zu Recht sagen: Auch bei den Investitionen haben
wir den Schalter umgelegt, weil unser Land wirtschaft-
lich nicht von der Substanz leben kann .

Zu den Maßnahmen, die wir ergriffen haben, gehören
die Förderung des Ausbaus, der Sanierung und der Mo-
dernisierung von Schulen sowie Investitionen auch der
privaten Hand, die wir beispielsweise durch erleichterte
Abschreibungsmöglichkeiten – Stichwort: geringfügige
Wirtschaftsgüter – noch weiter unterstützen wollen . Das
ist die richtige Richtung, wenn es darum geht, gute Zei-
ten für Investitionen zu nutzen, damit die Wirtschaft auch
in schwierigen Zeiten brummt .

Herr Fuchs, bei aller Freundlichkeit: Ich finde, dass Sie
ein etwas kurzes Gedächtnis haben, wenn Sie hier über
die Energiepolitik reden . Die Steigerung der EEG-Umla-
ge und der Netzkosten, die Sie beschrieben haben, ist das

Ergebnis des Chaos der schwarz-gelben Vorgängerregie-
rung . Wir haben in dieser Legislaturperiode mit Sigmar
Gabriel versucht, hier aufzuräumen .


(Beifall bei der SPD)


Wir hatten den Mut zu Reformen, den Sie unter
Schwarz-Gelb nie hatten . Wir haben Ausschreibungen
durchgesetzt, und wir haben die Voraussetzungen für
den Netzausbau, der jetzt stattfindet, geschaffen. Wenn
wir vier Jahre vorher mit unserer Arbeit hätten begin-
nen können – Sigmar Gabriel hatte in der Energiepolitik
eine Herkulesaufgabe zu bewältigen –, dann hätten wir
die Probleme, die Sie zu Recht beschrieben haben, heute
nicht .


(Beifall bei der SPD)


Durch das Versagen und den fehlenden Mut von
Schwarz-Gelb wurde Chaos in die Energiewende ge-
bracht, und zwar durch Ihre Zickzackpolitik und das
Verfehlen der drei wichtigsten Ziele der Energiewen-
de . Wenn wir 2013 nicht angefangen hätten, Reformen
durchzuführen, dann wären alle drei Ziele der Energie-
wende – sicher, sauber und bezahlbar – verfehlt worden .


(Beifall der Abg . Dr . Nina Scheer [SPD])


Dieser Bundeswirtschaftsminister hat Grund und Ord-
nung in die Energiewende gebracht, damit sie als Inno-
vationsprojekt ein Erfolg für unsere Gesellschaft wird:
sozial, ökologisch und auch ökonomisch . Auch dafür
sind wir ihm dankbar, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der SPD)


Wir reden hier zu Recht über die Arbeit des Bundes-
wirtschaftsministers und über den wirtschaftlichen Er-
folg dieses Landes . In diesem Zusammenhang werden
und müssen wir auch über den Freihandel reden . Ich war
ja ganz erstaunt, Cem Özdemir, wie sehr Sie sich eben
zum freien Handel bekannt haben .


(Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


Letztes Jahr, als es um CETA ging, hatten wir Sie nicht
an unserer Seite, sondern da haben wir erlebt, dass Sie
sich sogar mit Populisten zusammengetan haben, die
nicht erkannt haben, dass wir sowohl freien als auch fai-
ren Handel brauchen .

CETA ist durch die Arbeit dieses Wirtschaftsminis-
ters ein Abkommen geworden, das hohe Maßstäbe setzt,
Arbeitnehmerrechte sichert, den Weg hin zu anonymen
Schiedsgerichten beendet und Verbraucherschutz- und
ökologische Standards sichert . Wir haben ein gutes
Abkommen geschaffen, und in Zeiten des aufziehen-
den Protektionismus war dieses Verdienst von Sigmar
Gabriel zum Wohle der deutschen Exportwirtschaft, der
Arbeitsplätze und fairer Globalisierungsstandards eine
Riesenleistung, meine Damen und Herren . Das waren
nicht Sie, das war dieser Minister .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Axel Knoerig [CDU/CSU])


Wenn ich mir die Linkspartei, Herr Kollege Ernst, in
diesen Zeiten anhöre, fällt eines auf: Sie haben in der

Hubertus Heil (Peine)







(A) (C)



(B) (D)


weltwirtschaftlichen Debatte ganz neue Verbündete, mit
denen Sie nie gerechnet haben .


(Zuruf des Abg . Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU])


Mauern rechtfertigen, Protektionismus predigen und die
NATO auflösen wollen – das haben wir bisher nur von
der Kommunistischen Plattform der Linkspartei gehört .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja! – Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Was haben wir damit zu tun? Das ist doch affig!)


Das ist jetzt die Position von Donald Trump, und wir
werden erleben, dass das zum Schaden der Welt ist . Sie
als Linkspartei haben ja nicht die Möglichkeit, die Welt-
politik zu beeinflussen, aber Sie werden erleben, dass
Ihre Rezepte jetzt von Rechtspopulisten in der Weltwirt-
schaft ausprobiert werden .


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Unglaublich! Unverschämtheit!)


Meine Damen und Herren, ich bin heilfroh, dass das
nicht die Politik dieser Bundesregierung ist . Wir werden
unsere europäischen Werte, unsere Vorstellungen von
Demokratie, Marktwirtschaft und Sozialstaatlichkeit in
diesen schwierigen Zeiten gegenüber solchem rechtem
Populismus und Protektionismus behaupten müssen, und
dafür brauchen wir alle Kraft und nicht diese Rezepte der
Linkspartei oder die von Donald Trump .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1821501100

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Klaus Ernst?


Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1821501200

Sehr gerne .


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821501300

Herr Kollege Heil, ich habe gerade wirklich mit Er-

schrecken vernommen, wir hätten hier neue Verbündete:
den Trump . Ich gehe davon aus: Die Verbindung soll sein,
dass er jetzt die Handelsabkommen mit dem Pazifik raum
kündigt und wir gegen CETA sind . Dazu möchte ich ei-
nes eindeutig feststellen und bitte Sie, das wirklich zur
Kenntnis zu nehmen: Dieses In-einen-Topf-Werfen ist
wirklich unanständig, richtig unanständig .


(Beifall bei der LINKEN)


Denn dass Veränderungen im CETA-Abkommen über-
haupt möglich waren, das waren wir .


(Lachen bei der CDU/CSU und der SPD – Dr . Michael Fuchs [CDU/CSU]: Um Gottes willen!)


Das waren der Druck der Öffentlichkeit und der Druck
der Verbände .

Und herausgekommen ist: Nach wie vor besteht die
Sondergerichtsbarkeit für Unternehmen, nach wie vor

erfolgt eine Entmachtung der Demokratie durch den
CETA-Ausschuss, nach wie vor gibt es eine nicht ak-
zeptable vorläufige Inkraftsetzung und einen Abbau von
Standards, der inzwischen allenthalben zur Kenntnis ge-
nommen wird . Das sind die Gründe, warum wir dieses
und andere Abkommen ablehnen .

Trump hat eine völlig andere Idee:


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was denn jetzt?)


Trump will Protektionismus, und Freihandel ist der Ge-
gensatz von Protektionismus . Wir wollen fairen Handel,
und wir unterscheiden uns gravierend von Trump . Mit
dem haben wir nichts am Hut, und ich möchte, dass dies
zur Kenntnis genommen wird .


(Beifall bei der LINKEN)



Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1821501400

Herr Kollege Ernst, ich habe darauf hingewiesen, dass

wir die Töne, eine Mauer zu rechtfertigen, Protektionis-
mus zu predigen und gleichzeitig die NATO infrage zu
stellen, bisher von der Kommunistischen Plattform Ihrer
Partei gewohnt waren .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Einfach unglaublich! – Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Das ist doch albern!)


Donald Trump will jetzt eine Mauer an der Gren-
ze zu Mexiko bauen . Die Rechtfertigung für den Bau
einer Mauer habe ich bei Ihnen vor kurzem ebenfalls
noch einmal gehört, und zwar – ich darf, mit Verlaub,
Frau Wagenknecht vom 23 . März 2016 gegenüber der
TP-Presseagentur zitieren –:

Die Mauer

– sie meinte die Mauer durch Berlin –

stabilisierte den Status quo der europäischen Nach-
kriegsordnung und somit unter den damaligen Be-
dingungen den Weltfrieden .


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Das hat Strauß gesagt!)


Meine Damen und Herren, wer Mauern bauen will,
wer abschotten will, der ist auf dem falschen Weg .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Das ist Unsinn!)


Ich behaupte ja nicht, dass Sie sich mit denen gemein
machen wollen, aber Ihre Rezepte sind die dieses Herrn,
und es sind die falschen Rezepte . Deshalb werden wir
das bekämpfen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Unverschämtheit! Eine dreiste Unverschämtheit! Das ist ja wirklich unerträglich!)


Wir wollen eine offene Gesellschaft . Wir wollen fai-
rere Regeln für die Globalisierung . Wir wollen keinen
Protektionismus . Hier wächst wirklich manchmal an
den Rändern zusammen, was zusammengehört . Aber ich

Hubertus Heil (Peine)







(A) (C)



(B) (D)


sage Ihnen an dieser Stelle sehr deutlich: Das ist nicht
der Kurs von Sozialdemokraten . Sigmar Gabriel war in
Kanada und hat mit Trudeau und Frau Freeland, der da-
maligen Handelsministerin, gesprochen . Ich war dabei .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Eine unglaubliche Entgleisung ist das! – Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Demagogie!)


Sie ist übrigens jetzt Außenministerin geworden; ab mor-
gen deine Kollegin, Sigmar . Ich habe erlebt, wie er in
Europa dafür gekämpft hat, die Staats- und Regierungs-
chefs und die Wirtschafts- und Handelsminister hinter
sich bzw . zu dieser Position zu bringen, die wir am Ende
durchgesetzt haben – ich sage es noch einmal –: keine
anonymen Schiedsgerichte,


(Volker Kauder [CDU/CSU], an die LINKE gewandt: Ihr Mauerbauer!)


hohe Arbeitnehmerstandards, faire Gestaltung der Glo-
balisierung, offene und freie Märkte, aber auch im Inte-
resse dieses Landes .

Klaus Ernst, dir sage ich es einmal sehr deutlich: Dir
persönlich glaube ich, dass du auch für internationalen
Handel bist . Du müsstest aber einmal mit größeren Teilen
deiner Partei, die Protektionismus predigen,


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das sind Fake News!)


anständig darüber reden, dass sie zum Schaden von Ar-
beitsplätzen – zum Beispiel von IG-Metall-Kollegen, die
bei Volkswagen oder woanders arbeiten und auf Export
angewiesen sind – handeln . Das ist deren Existenzgrund-
lage . Diese Erkenntnis ist in der Linkspartei leider nicht
Allgemeingut . – Das meinte ich damit, und dabei bleibe
ich auch .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg . Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Volker Kauder [CDU/CSU]: Und mit denen wollt ihr koalieren? – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Es kann nur schlimmer kommen! – Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Wenn Sie das nötig haben! Oje!)


Auch ein Wort an die Grünen: Cem Özdemir, du hast
bisher ja nicht oft an den wirtschaftspolitischen Debatten
dieses Hauses oder der Ausschüsse teilgenommen,


(Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Daran wirst du dich gewöhnen!)


weshalb du bestimmte Sachen – zum Beispiel in der Ren-
tenpolitik – nicht mitbekommen hast . Du beklagst, dass
im Rentenpaket der Zugang zur Erwerbsminderungsren-
te nicht verbessert worden sei . Ich würde mir das Ren-
tenpaket noch einmal angucken; genau das ist nämlich
passiert .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Minimal! – Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Um 160 Milliarden Euro bis 2030!)


– Das ist an dieser Stelle passiert, und mit Andrea Nahles
wird das übrigens noch ausgebaut .

Ich will auch etwas zur Haltung sagen, die dieser Bun-
deswirtschaftsminister hatte, als es um das Schicksal von
zehntausend Arbeitsplätzen bei Tengelmann und Edeka
gegangen ist: Ich kann mich erinnern, dass die Grünen
hier auf der falschen Seite waren . Ich weiß nicht, ob sich
die Grünen anders verhalten hätten, wenn es eine Bioket-
te gewesen wäre;


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kannst du besser! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)


ich weiß nur eines: In dieser Situation war dem Bundes-
wirtschaftsminister das Schicksal von Verkäuferinnen
und Verkäufern, von Menschen, die hart arbeiten, nicht
egal . Das ist möglicherweise ein Unterschied zu der kal-
ten Art, wie ihr manchmal Wirtschaftspolitik betreibt .


(Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was tut ihr denn für die Langzeitarbeitslosen?)


Ich bin stolz darauf, dass Sigmar Gabriel da gehandelt
hat .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Verdi hat uns damals geholfen . Wir haben dafür ge-
sorgt, dass die Arbeitsplätze – und zwar tarifvertraglich
geschützt und ordentlich entlohnt – erhalten bleiben . Das
ist das Verdienst von Sigmar Gabriel . Er hatte den Mut,
sich mit all den Leuten anzulegen, die das kritisiert ha-
ben, und er hat richtig gehandelt; das wissen wir heute .
Auch dafür sind wir sehr dankbar .


(Beifall bei der SPD)


Ich komme zum Schluss . Deutschland ist wirtschaft-
lich stark, aber wir müssen viel tun, damit es auch stark
bleibt . Deshalb bin ich mir sicher, dass die gute Arbeit,
die Sigmar Gabriel geleistet hat – zum Schutz auch der
industriellen Arbeitsplätze, zur Modernisierung dieses
Landes, für Investitionen, für soziale Gerechtigkeit und
wirtschaftlichen Erfolg –, durch seine Nachfolgerin,
Brigitte Zypries, fortgesetzt wird . Es wird hier keinen
Phasenriss geben .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Was?)


Sie ist Staatssekretärin bei ihm und wird das sehr gut
machen, und ich bin auch sehr dankbar, dass ein junger
Kollege aus unserer Fraktion, der Kollege Dirk Wiese,
als Parlamentarischer Staatssekretär an ihrer Seite stehen
wird .

Meine Damen und Herren, die Sozialdemokratie
macht sehr deutlich: Wir werden den Kurs in der Wirt-
schaftspolitik, den Sigmar Gabriel begonnen hat, im Inte-
resse dieses Landes fortsetzen, weil wirtschaftlicher Er-
folg und soziale Gerechtigkeit zusammengehören . Danke
an Sigmar Gabriel, dass er hier in der Wirtschaftspolitik
den Schalter in die richtige Richtung umgelegt hat!

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Hubertus Heil (Peine)







(A) (C)



(B) (D)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1821501500

Herzlichen Dank, lieber Kollege . – Das Wort hat jetzt

Andreas Lämmel von der Fraktion der CDU/CSU .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Andreas G. Lämmel (CDU):
Rede ID: ID1821501600

Frau Präsidentin! Ich darf Ihnen ganz herzlich zu Ih-

rer ersten Sitzungsleitung gratulieren und wünsche Ihnen
große Erfolge und dass Sie das Haus immer im Griff be-
halten – auch bei hitzigen Debatten .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1821501700

Vielen Dank, Herr Kollege .


Andreas G. Lämmel (CDU):
Rede ID: ID1821501800

Meine Damen und Herren! Es geht heute um den Jah-

reswirtschaftsbericht . Herr Kollege Heil, Ihre Rede war
ja eine Huldigungsrede für unseren Wirtschaftsminister .
Ich hatte es eigentlich nicht so verstanden, dass er das
Haus verlässt, sondern er wird weiterhin auf der Regie-
rungsbank sitzen .

Herr Kollege Heil, eines muss ich Ihnen schon noch
einmal sagen, weil Sie das Thema Energiepolitik ange-
sprochen haben, das ich jetzt aber nicht zum Mittelpunkt
meiner Rede machen will: Ich möchte Sie bitten, noch
einmal ein paar Jahre weiter als nur die letzten vier Jahre
zurückzudenken .

Der Kollege Gabriel war ja mal Umweltminister,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Frau Merkel auch!)


und während dieser Zeit sind zum Beispiel die Funda-
mente für die Probleme, die wir heute bewältigen, mit
gelegt worden . Dass der Herr Gabriel in seinem Amt als
Wirtschaftsminister zu neuen Erkenntnissen gekommen
ist und dass wir gemeinsam einige Dinge verrichten
konnten, halte ich für sehr positiv . Hier kann ich Sie auch
nur unterstützen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, dass es Deutschland gut
geht, haben heute schon alle Redner beschrieben . Man
kann es aber eben nicht oft genug sagen, weil die Kolle-
gen der Linken und der Grünen immer dazu neigen, die
Situation trotzdem schlechtzureden .

Acht Jahre Wirtschaftswachstum hintereinander! Es
muss mir einmal jemand in der Geschichte der Bundes-
republik Deutschland Zeiten zeigen, in denen wir acht
Jahre hintereinander kontinuierlich ein Wirtschafts-
wachstum hatten,


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 60er-Jahre!)


und die Projektion für 2017 sieht ein weiteres Wirt-
schaftswachstum voraus. Das finde ich sehr gut.

Für die gute Gesamtsituation ist nicht nur der gute Zu-
stand der deutschen Wirtschaft verantwortlich, sondern

hinter der deutschen Wirtschaft stehen die Menschen;
auch das wurde heute schon gesagt . Das sind die Unter-
nehmer, die Selbstständigen, die Handwerker, die Ange-
hörigen der freien Berufe und natürlich die Arbeitneh-
mer, die alle gemeinsam diesen großen Erfolg für sich
verbuchen können . Ich glaube, wenn man diese Dinge
immer schlechtredet, macht man auch die Menschen
schlecht, die dahinterstehen .

Meine Damen und Herren, Herr Ernst fing ja wieder
mit dem Thema Handelsüberschüsse an . Das ist sein
Lieblingsthema, und die Linken können offensichtlich
überhaupt keine anderen Einlassungen zur Wirtschafts-
politik mehr machen . Deutschland ist eine Exportnation .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Ach was!)


Ein wesentlicher Pfeiler des wirtschaftlichen Erfolges
sind die Exporte . Sie selbst wissen ganz genau, dass die
Handelsüberschüsse nicht nur deswegen entstehen, weil
Deutschland im Ausland zu wenig kauft, sondern das hat
auch viel mit den Ölpreisen zu tun . In den Jahren des
hohen Ölpreises gab es in der Leistungsbilanz große De-
fizite. Heute verzeichnen wir Überschüsse.

Deutsche Exporte sind auch für die Entwicklung vie-
ler Nationen in der Welt sehr wichtig . Im Jahreswirt-
schaftsbericht steht, dass der Anteil von Exporten in die
mittel- und osteuropäischen Staaten überdurchschnittlich
gewachsen ist . Die mittel- und osteuropäischen Staaten
haben mittlerweile einen größeren Anteil am Exportvo-
lumen Deutschlands als China . Es ist doch sehr positiv,
dass deutsche Exporte in vielen Teilen Europas einen
Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung leisten, weil
es letztendlich – darauf hat der Kollege Fuchs hingewie-
sen – um die Verknüpfung der Lieferketten geht . Export
bedeutet ja nicht nur, Waren in Länder zu exportieren,
sondern er bedeutet auch, Teile und Leistungen für die
Zulieferung zu importieren .

Deutschland braucht den freien Handel . Herr Özdemir,
ich habe sehr darüber gestaunt, dass die Grünen jetzt
plötzlich zur Freihandelspartei werden .


(Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was erstaunt Sie daran?)


Was ist denn das? Das ist ja etwas ganz Neues bei Ihnen .
Sie sind doch in der Allianz der Gegner von TTIP und
von allen anderen Abkommen gewesen .


(Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fairer Handel! Darum geht es!)


Genauso wie die Linken: Sie haben es bis heute noch
nicht begriffen . Bei Herrn Özdemir scheint zumindest
ein Umdenken eingesetzt zu haben, was erst einmal ein
Fortschritt ist .


(Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich musste gar nicht umdenken!)


Wir werden unter den neuen globalen Gegebenhei-
ten wesentlich mehr darum kämpfen müssen, den freien
Handel zu erhalten . Herr Ernst, Sie haben gesagt: Wir
brauchen keinen freien Handel, sondern fairen Handel . –






(A) (C)



(B) (D)


Erklären Sie mir den Unterschied . Das müssen Sie wirk-
lich einmal machen .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das mache ich gern! – Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie diskreditieren mit diesem Satz jede Art von freiem
Handel als nicht fairen Handel .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das sagt kein Mensch!)


Das ist einfach Quatsch, das ist blanker Unfug . Freier
Handel ist im Prinzip genau das, was wir in Deutschland
wollen .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wir wollen fairen Handel! Das ist der Unterschied!)


Trotzdem handelt Deutschland fair . Ihr Satz ist reine Po-
lemik und entbehrt jeglicher Grundlage .

Wir brauchen das CETA-Abkommen . Auch das Bun-
desverfassungsgericht hat uns mit Blick auf dieses Ab-
kommen recht gegeben . Ich weiß gar nicht, warum Sie
morgen noch einmal diese uralte Debatte darüber führen
wollen .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das werden Sie dann schon hören!)


Aber gut, das ist Ihre Sache .

Wir brauchen aber auch die Wirtschaftspartnerschafts-
abkommen mit Afrika . Ich kann überhaupt nicht verste-
hen, dass jetzt wieder darüber diskutiert wird, dass man
diese Abkommen nicht schließen solle oder dass man sie
umschreiben müsse . Wir brauchen mit Afrika Nachfol-
geabkommen, die WTO-gerecht sind . Deshalb kann ich
hier nur noch einmal dafür plädieren, diese Wirtschafts-
partnerschaftsabkommen mit Afrika endlich zu ratifizie-
ren, um sie in Kraft setzen zu können .

Meine Damen und Herren, wenn es darum geht, die
Globalisierung zu gestalten, die Globalisierung weiter-
zuentwickeln, dann bietet sich dieses Jahr dafür eine her-
vorragende Chance . Deutschland hat die Präsidentschaft
der G 20: In Hamburg wird der G‑20‑Gipfel stattfinden.
Die deutsche G-20-Präsidentschaft hat sich das Ziel ge-
setzt, über die Chancen und Risiken der Globalisierung
einen neuen Diskussionsprozess anzustoßen. Das finde
ich sehr wichtig, gerade angesichts der aktuellen Politik
in den Vereinigten Staaten .

Im Jahreswirtschaftsbericht gibt es ein paar Punkte,
auf die ich kurz eingehen möchte: Es drohen Gefahren
für die weitere Entwicklung . Ein Beispiel ist das The-
ma Bankenregulierung . Banken sind ja der Hauptgegner
der Linken . Banken sind aber für die Entwicklung der
Wirtschaft wichtig . Vor allem der Mittelstand braucht ein
funktionierendes Bankensystem . Wir dürfen daher den
Bankensektor nicht überregulieren .

Wir müssen die Investitionsquote des Staates stärken .
Wir müssen gemeinsam mit den Unternehmen an einer
Stärkung der Investitionsquote arbeiten . Es ist sehr be-
denklich, dass selbst die Mittel der Wirtschaftsförderung

nicht mehr ausgeschöpft werden, wenn es darum geht, in
Deutschland zu investieren .

Wir müssen vor allen Dingen – das ist für mich ein
wichtiger Punkt – den deutlichen Anstieg des Staats-
konsums bremsen . Investitionen des Staates müssen aus
meiner Sicht gefördert werden . Aber der Staatskonsum
kann nicht der Gradmesser einer positiven Entwicklung
sein; denn konsumtive Ausgaben rentieren sich nicht
unbedingt, wie wir alle wissen . Wir müssen zudem die
Staatsquote im Blick behalten . Auch das ist in den letzten
Jahren mehr oder weniger gut gelungen .

Ich will einen weiteren Punkt ansprechen, der mir be-
sonders wichtig ist, weil es um das Einkommen der Men-
schen geht . Der Jahreswirtschaftsbericht weist aus, dass
die Schere zwischen Brutto- und Nettoeinkommen der
Menschen weiter auseinandergeht . Das heißt, die Brut-
toeinkommen sind deutlich stärker gestiegen als die Net-
toeinkommen . Hier sehe ich ein großes Problem; denn
höhere Bruttoeinkommen helfen den Menschen nicht,
wenn nicht mehr Geld in der Tasche bleibt, das sie für
sich verwenden können . Die Entwicklung ist insgesamt
aber erst einmal positiv .

Herr Gabriel, wir wünschen Ihnen in Ihrem neuen
Amt alles Gute . Das Thema Afrika habe ich jetzt nicht so
dezidiert angesprochen . Aber wir werden, wenn Sie Ihr
neues Amt angetreten haben, sicherlich noch viele Be-
rührungspunkte haben .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1821501900

Das Wort hat jetzt Thomas Lutze, Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Thomas Lutze (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821502000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Dass der Minister natürlich voll des Lobes über die wirt-
schaftliche Situation der Bundesrepublik ist, verwundert
nicht . Die Zahlen hören sich zuerst einmal gut an . Aber
er hat auch richtigerweise gesagt, dass Euphorie nicht
angebracht ist . Die Probleme Binnennachfrage und Ex-
portüberschüsse wurden bereits von mehreren Rednern
angesprochen, allerdings unterschiedlich bewertet . Wir
sagen ganz deutlich: Wer seine eigene Wirtschaft so
einseitig auf den Export ausrichtet und die reine Wachs-
tumslogik propagiert, kann ein böses Erwachen erleben,
nämlich dann, wenn sich die politische Großwetterlage
verändert . Genau das passiert gerade . Weil Deutschland
so abhängig vom Welthandel ist, müsste die Bundesre-
gierung viel mehr dafür tun, ihn fairer und damit stabiler
zu gestalten .


(Beifall bei der LINKEN)


Globaler Austausch von Waren und Dienstleistungen
muss fair, sozial gerecht und umweltpolitisch verant-
wortlich gestaltet werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Andreas G. Lämmel






(A) (C)



(B) (D)


Die riesigen Überschüsse im innereuropäischen Han-
del haben ganze Volkswirtschaften in Europa an den
Rand des Ruins geführt . Es gibt nämlich keine Über-
schüsse ohne entsprechende Defizite auf der anderen
Seite . Jahrzehntelang haben wir unseren Nachbarn mehr
verkauft, als sie uns verkauft haben . Damit zum Beispiel
die Länder Südeuropas unsere Produkte kaufen, leihen
wir ihnen auch noch das Geld, damit sie diese Produk-
te und Dienstleistungen bezahlen können . Was passiert,
wenn sie ihre Kredite und Zinsen nicht mehr zahlen
können? Dann diktieren wir ihnen unter unseren Bedin-
gungen die Sanierung ihrer Haushalte . Die Folgen sind
dramatischer Sozialabbau und Massenarbeitslosigkeit in
vielen Ländern Südeuropas . Übrigens stand der zukünfti-
ge SPD-Boss Schulz in der ersten Reihe der Befürworter
einer solchen Politik .


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Bei uns gibt es den Begriff „Boss“ nicht!)


Auch hierzulande haben viele Menschen und gan-
ze Regionen Angst davor, von der aktuellen positiven
Wohlstandsentwicklung abgehängt zu werden . Die Zahl
der Langzeitarbeitslosen, die in der Statistik gar nicht
mehr auftauchen, steigt . 2016 war auch ein Rekordjahr
für Leiharbeit und befristete Beschäftigung . Die Quote
derer, die akut von Armut bedroht sind, steigt . Das ist
eine politische, eine wirtschaftliche und eine sozialpoliti-
sche Entwicklung, die dringend korrigiert werden muss .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Bundesrepublik muss aber endlich auch mehr
für den Schutz bestimmter Branchen unternehmen . Die
einheimische Stahlindustrie zum Beispiel konkurriert
unter verschärften Bedingungen mit der chinesischen
Stahlindustrie . Diese hat derzeit weit schwächere Um-
weltauflagen, und viele Produkte werden de facto vom
chinesischen Staat subventioniert . Wollen wir diesen
industriellen Kern in Deutschland in unserer Wirtschaft
erhalten, dann müssen wir handeln und dürfen nicht nur
über die Probleme reden .

Wenn ich von meiner Heimatstadt Saarbrücken aus
20 Kilometer nach Norden fahre, dann sehe ich Hütten,
Stahlwerke, Walzwerke, Maschinenbau- und Fahrzeu-
gindustrie und viele Zulieferer . Hier arbeiten Zehntau-
sende Menschen zu guten tariflichen Bedingungen. Fahre
ich aber 20 Kilometer von Saarbrücken aus nach Westen,
dann sehe ich im benachbarten Frankreich die verroste-
ten Überreste einer untergegangenen Epoche . Im Gegen-
satz zu Ostdeutschland war hier noch nicht einmal das
Geld vorhanden, um das Alte wenigstens wegzuräumen .

Viele Menschen in unserem Land haben Ängste, die
es ernst zu nehmen gilt . Die Rattenfänger auf der ganz
rechten Seite haben hier leichtes Spiel, wenn nichts oder
zu wenig passiert . Überall gingen industrielle Kerne
verloren, weil man tatenlos zugesehen hat, wie sich die
Märkte weltweit veränderten . Es ist die Aufgabe der Po-
litik, einzugreifen, und zwar im Interesse der Beschäftig-
ten und der kleinen und mittleren Unternehmen .


(Beifall bei der LINKEN)


Dabei muss man auch den Mut haben, den Weg der rei-
nen Lehre des Neoliberalismus und des Freihandels – es
gibt nämlich wirklich einen Unterschied, Herr Lämmel,
zwischen Freihandel und fairem Handel – zu verlassen .
Ansonsten sitzen dort drüben – nicht auf der Bank der
Bundesregierung, sondern ganz rechts – demnächst Ty-
pen, die hier keiner haben will . Liebe Kolleginnen und
Kollegen, denken Sie wenigstens einmal darüber nach .

Vielen Dank . Glück auf!


(Beifall bei der LINKEN)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1821502100

Der nächste Redner: Bernd Westphal, SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Bernd Westphal (SPD):
Rede ID: ID1821502200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der
letzte Jahreswirtschaftsbericht in dieser Legislaturperio-
de gibt Anlass, Bilanz zu ziehen, Bilanz über das, was er-
reicht worden ist . Diese Bilanz fällt sehr positiv aus . Die
Zahlen zum Bruttoinlandsprodukt sind hier in der De-
batte schon genannt worden . Das Wirtschaftswachstum
ist positiv, der Beschäftigungsaufwuchs ist positiv, wir
haben eine gute Entwicklung, was die Arbeitslosenquote
angeht, aber auch die Renten sowie die Löhne und Ein-
kommen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind
gestiegen . Im Grunde ist das eine Jobmaschine, für die
die Politik des Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel ver-
antwortlich ist . Ganz herzlichen Dank für diese Bilanz .


(Beifall bei der SPD)


Lieber Sigmar Gabriel, Sie haben in Ihrer Zeit als
Bundeswirtschaftsminister eine erfolgreiche Arbeit ge-
leistet . Es gab wichtige Impulse für die Modernisierung
unseres Wirtschaftsstandorts Deutschland, und Sie haben
vor allem im Bereich der Energiepolitik viel erreicht und
den Industriestandort Deutschland gesichert .

Nicht nur national, sondern vor allem auf interna-
tionaler Ebene sind viele Dinge nach vorne gebracht
worden . Beeindruckt haben mich zwei Punkte: auf der
einen Seite, dass Sie es geschafft haben, das, was die
Vorgängerregierungen energiepolitisch liegen gelassen
haben, europakompatibel zu gestalten . Die wettbewerbs-
rechtlichen Dinge, die wir regeln mussten, sind erfolg-
reich umgesetzt worden . Auf der anderen Seite möchte
ich daran erinnern, dass wir als Sozialdemokraten und
mit Ihrer Person beim Freihandelsabkommen CETA –
das wurde in der Debatte schon erwähnt – ein modernes
Freihandelsabkommen mit einer Menge von Instrumen-
ten gestaltet haben, und zwar nicht nur mit 28 europäi-
schen Mitgliedstaaten, sondern auch mit der kanadischen
Regierung . Das war wirklich internationale Politik auf
höchstem Niveau . Herzlichen Dank dafür .


(Beifall bei der SPD)


Ich freue mich auch auf die weitere gute Zusammenar-
beit mit Brigitte Zypries, die ab morgen im Amt ist .

Thomas Lutze






(A) (C)



(B) (D)


Diese gute wirtschaftliche Situation hat natürlich vor
allem damit zu tun, dass wir fleißige, gut ausgebildete
und motivierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in
diesem Land haben, Unternehmerinnen und Unterneh-
mer, die mutig investieren, die Ideen haben, die kreativ
ihren Job machen . Dafür gilt ihnen unser besonderer
Dank .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Auf drei Bereiche möchte ich besonders eingehen .
Wir dürfen uns natürlich nicht auf dem Erreichten aus-
ruhen; das wäre ein Fehler . Deshalb geht es darum, die
Investitionen des Bundes zu erhöhen . Das ist in dieser
Legislaturperiode gelungen . Die Investitionen sind um
weit mehr als ein Drittel auf 36,1 Milliarden Euro ange-
stiegen . Das ist eine gute Entwicklung . Jetzt liegt es an
der Wirtschaft, wieder Geld in die Hand zu nehmen und
zu investieren – und zwar in Deutschland zu investieren .

Wir brauchen nicht nur Ersatz-, sondern auch Erweite-
rungsinvestitionen . Die globale Situation zeigt deutlich,
dass es kein absolut sicheres Marktumfeld gibt und auch
noch nie gab . Deshalb brauchen wir eine Rückbesinnung
darauf, dass vor allem auch die Standortvorteile Deutsch-
lands bei Investitionsentscheidungen mitberücksichtigt
werden .

Wir haben eine gute Infrastruktur, gut ausgebilde-
te Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber auch die
Mitbestimmung . Gute Arbeit, gute Sozialpartnerschaft
führen zu diesen Standortbedingungen . Die SPD steht
für technischen und gesellschaftlichen Fortschritt . Der
fällt nicht vom Himmel, sondern muss politisch gestaltet
werden . Dafür werden wir die Weichen stellen .

Die Digitalisierung wird in den nächsten Jahren das
bestimmende Thema auf der politischen Agenda sein .


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sollte es jetzt sein!)


– Ja, Brigitte Pothmer, sollte es jetzt sein, ist es ja auch
schon .

Die Haushaltsmittel für die Breitbandförderung sind
auf 4 Milliarden Euro bis 2020 aufgestockt worden . Das
ist ein wichtiger Schritt . Viele weitere Schritte werden
und müssen noch folgen . Unser Ziel muss sein: Glasfaser
in jedes Haus in Deutschland . Davon hängt die zukünfti-
ge Innovationskraft von Wirtschaft und Gesellschaft ab .

Ebenso wichtig ist die Ausweitung des Angebots von
Wagniskapital, um damit auch Start-up-Unternehmen
und neue Ideen zu unterstützen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Digitalisierung, Innovation und Investitionen hel-
fen uns, nachhaltiger zu werden . Die Energiewende ist
deshalb eines der zentralen Klimaschutzprojekte der
Bundesregierung . Wir haben in den letzten Jahren und
Monaten bereits einiges erreicht und die Energiepolitik
langfristig ausgerichtet . Trotzdem werden wir auch in Zu-
kunft noch viel investieren müssen . Diese Investitionen
fördern jedoch nicht nur die Nachhaltigkeit in Deutsch-
land, sondern sind auch ein riesiges Infrastrukturprojekt,

das Wertschöpfung vor Ort hier in Deutschland generell
schafft und ein erhebliches Potenzial für Exporte sichert .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir befinden uns
derzeit in einer Position der Stärke . Diese Stärke sollten
wir bewusst nutzen . Sicherlich müssen Schulden getilgt
und abgebaut werden, aber wir müssen auch weiterhin
an die Zukunftsinvestitionen denken . Eine Straße wird
nicht besser, nur weil wir keine Schulden haben . Kinder
können nicht in moderne Schulen gehen, nur weil wir
keine Schulden haben . Auch eine Internetleitung über-
trägt nicht mehr an Leistung, nur weil wir keine Schulden
haben . Dafür sind Investitionen notwendig . Es ist eine
Sache, Zurückhaltung zu üben, wenn kein Geld da ist,


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Kann es sein, dass dafür die Länder zuständig sind?)


aber in der jetzigen Situation – bei niedrigen Zinsen und
Haushaltsüberschüssen – ist es wichtig,


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die Überschüsse in den Länderhaushalten einmal richtig einzusetzen! Genau!)


genau diese Zukunftsfähigkeit zu sichern . Deshalb dür-
fen wir die Grundlagen für den Wohlstand von morgen,
Herr Grosse-Brömer, nicht aus den Augen verlieren und
müssen diese Zukunftsinvestitionen tätigen .


(Beifall bei der SPD – Max Straubinger [CDU/ CSU]: Die SPD will zentralisieren! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr richtig! Aber die Länder auch daran beteiligen!)


Das ist unsere jetzige Aufgabe .

Wir als SPD werden dafür die Weichen stellen, diese
Zukunftsinvestitionen einfordern und durchsetzen .

Herzlichen Dank fürs Zuhören . Herzliches Glückauf!


(Beifall bei der SPD)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1821502300

Vielen Dank, Herr Kollege . – Als Nächster hat Dieter

Janecek, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort .


Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821502400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Mi-

nister, auch ich möchte mich persönlich bedanken, und
zwar besonders dafür, dass Sie in diesem Parlament und
im Ausschuss immer zum Streiten bereit waren . Auch ich
bin jemand, der gern streitet, und das machen wir jetzt
hier in der Debatte noch ein letztes Mal . Denn das tut uns
allen und insbesondere dem Parlamentarismus gut .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Heil, Sie haben ja zu Recht Frau Wagenknecht
angegriffen und gesagt, dass wir eine Politik des Mauer-
hochziehens beim Freihandel nicht gebrauchen können .
Die können wir wirklich nicht gebrauchen . Aber ich muss
Sie auch auf etwas hinweisen, das wir ebenso wenig ge-
brauchen können: Wir können in der Handelspolitik nicht
so weitermachen, dass wir NAFTA verteidigen, dass wir
nicht anerkennen, dass es Globalisierungsverlierer gibt .

Bernd Westphal






(A) (C)



(B) (D)


Vielmehr müssen wir etwas dafür tun, dass der Handel
fair wird . Darum gehen die ganzen Debatten,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


die Bündnis 90/Die Grünen um TTIP und CETA geführt
haben, und für den fairen Handel werden wir auch weiter
kämpfen . Der Handel muss frei sein, aber er muss auch
fair sein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sind Sie für oder gegen TTIP?)


Herr Gabriel, ich habe Ihrer Rede sehr wohl zugehört .
Ich habe darin zwei Wörter vermisst: Ökologie und Er-
neuerbare . Sie kamen nicht vor .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Was ist denn die Fortschrittsaufgabe, die wir haben?
Ich zitiere Sie einmal aus 2006 – da waren Sie noch
Umweltminister –: Umwelttechnik als Leitindustrie, er-
neuerbare Energien als Exportschlager, die Entkopplung
von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch als
industriepolitische Notwendigkeit und als Chance für die
deutsche Wirtschaft . – Das war der Ton, den Sie ange-
schlagen haben, auch wenn Ihre Politik der letzten Jahre
dem nicht entsprach .

Schauen wir einmal hin: Der Klimaschutzplan der
Bundesumweltministerin wurde zusammengekürzt . Das
Klimaziel 2020 werden wir verfehlen . Für den Kohleaus-
stieg gibt es keinen verlässlichen Fahrplan . Erneuerba-
re Energien: Hier standen Sie immer auf der Seite der
Konzerne und nicht auf der Seite der Mittelständler, der
vielen Marktteilnehmer, die da etwas einbringen können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: So ein Quatsch!)


Die Rohstoffeffizienz ist für Sie nicht mehr relevant.
Handelspolitik: Ja, Sie haben verhandelt; aber Sie haben
nie wirklich dafür gekämpft, dass wir einen fairen globa-
len Handel bekommen,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Klaus Ernst [DIE LINKE] – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: So ein Unsinn! Das ist kontrafaktisch! Oder ist das postfaktisch?)


sondern Sie haben sich lediglich dem angeschlossen,
was von der EU und von der US-Seite kam . Sie wollen
ein Handelsabkommen durchdrücken, das uns am Ende
nicht hilft . Elektromobilität: Andere Länder weisen hier
die Richtung: China, Norwegen, Frankreich, Kalifornien .
Wir sind es nicht; wir schaffen es mit dieser Politik nicht,
die Automobilindustrie auf die Spur zu bringen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben gestern im Ausschuss gesagt – was ich rich-
tig finde –: Wir müssen die Welt neu vermessen; denn
mit Brexit und Trump verschiebt sich tektonisch etwas . –
Aber wir müssen auch die Wirtschaft neu vermessen und
einmal überlegen, wie wir sie messen . Dazu haben wir
Grüne etwas, wie ich finde, Kluges vorgelegt; wir wollen

nämlich von der totalen Fixierung auf das Bruttoinlands-
produkt wegkommen . Wir sagen – Kerstin Andreae hat
diesen Ansatz für unsere Fraktion federführend entwi-
ckelt –: Wir müssen den Wohlstand neu messen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen einen Jahreswohlstandsbericht der Regie-
rung .

Wir dürfen nicht nur darüber reden, ob die Kennzahlen
der Produktion steigen . Eine solche Steigerung ist zwar
gut, aber, ökologisch betrachtet, nicht das einzig Gute;
vielmehr müssen wir schauen, ob etwas nachhaltig ist,
ob es gut für unsere Bildung und für den Kampf gegen
die soziale Spaltung ist . Beantwortet werden müssen die
Fragen: Was passiert in unserem Land? Ist der Wohlstand
für alle da, oder ist er nur für wenige da? Darauf antwor-
tet unser eigener Jahreswohlstandsbericht; zum zweiten
Mal legen wir ihn nun vor .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir glauben, dass wir in diese Richtung gehen müssen .
Wir glauben, dass sich die ganze Debatte über das Wirt-
schaften der Zukunft verändern muss; denn Wachstum
allein bedeutet eben nicht Wohlstand . Das müssten wir
gelernt haben .

Zum Abschluss noch ein Wort zur veränderten weltpo-
litischen Situation . Wir als Bundesrepublik Deutschland
können uns die Partner nicht aussuchen . Die USA sind
uns kulturell mit am nächsten . Das heißt, die Kontakte
müssen fortbestehen . Wir müssen mit den USA reden .
Wir sehen auch, dass es in den USA eine Zivilgesell-
schaft gibt, die groß ist, die die Mehrheit der Gesellschaft
ausmacht . Mit ihr gemeinsam müssen wir auf dem Feld
der Wirtschaftspolitik über die Erneuerbaren, über fairen
Handel reden . Das zu fördern, wäre auch eine Aufgabe
für eine Bundesregierung, ich hoffe, für eine, der wir in
der nächsten Legislaturperiode angehören; denn wir kön-
nen das besser .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1821502500

Vielen Dank . – Als nächster Redner spricht Dr . Andreas

Lenz, CDU/CSU-Fraktion .


Dr. Andreas Lenz (CSU):
Rede ID: ID1821502600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die deut-
sche Wirtschaft steht nach wie vor gut da . Das geht natür-
lich auch aus dem Jahreswirtschaftsbericht mit dem Titel
„Für inklusives Wachstum in Deutschland und Europa“
hervor . Das geht aber auch aus allen Beiträgen, die ich
heute gehört habe, hervor .

Auch die Berichte des Statistischen Bundesamtes spre-
chen eine eindeutige Sprache . So hieß es dort: „Deutsche
Wirtschaft in solider Verfassung“ im Jahr 2014, „Deut-
sche Wirtschaft im Jahr 2015 weiter im Aufschwung“
und 2016 „Deutsche Wirtschaft setzt Wachstumskurs

Dieter Janecek






(A) (C)



(B) (D)


fort“ . – Dennoch sagt Herr Ernst, wir sollen eine neue
Wirtschaftspolitik betreiben und unsere Strategie ändern .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Auch die Überschriften!)


Ich glaube, wir müssen schauen, dass es so bleibt, wie es
ist, und wir dürfen die Kritik nicht in den Vordergrund
stellen .

So viele Probleme es auf anderen Gebieten auch
gibt: Die vergangenen Jahre können, rein wirtschaftlich
betrachtet, durchaus als goldene Jahre bezeichnet wer-
den . Der wichtigste Wachstumsmotor war der Inlands-
konsum . So stieg das verfügbare Einkommen 2016 um
2,8 Prozent . Erfreulich ist auch, dass das Wachstum im
Euro-Raum mit 1,7 Prozent in 2016 auch aufgrund der
expansiven EZB-Politik endlich spürbar anstieg . Auch
für 2017 rechnet die Bundesregierung mit einem posi-
tiven Wirtschaftswachstum von 1,4 Prozent . Im Jahres-
wirtschaftsbericht 2017 heißt es:

Der leichte Wachstumsrückgang ist nicht Ausdruck
einer sich eintrübenden wirtschaftlichen Perspekti-
ve, sondern lässt sich fast vollständig auf den Effekt
einer geringeren Anzahl von Arbeitstagen gegen-
über 2016 zurückführen .

Jetzt muss ich schon einmal anfügen, dass der Frei-
staat Bayern mit 13 gesetzlichen Feiertagen mindestens
vier Feiertage mehr hat als das Land Berlin .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Zu Recht!)


Trotzdem ist Bayern innerhalb Deutschlands die Wachs-
tumslokomotive mit einem Wachstum von 12,3 Prozent
seit 2010 .


(Beifall der Abg . Barbara Lanzinger [CDU/ CSU])


Stellen Sie sich einmal vor, Bayern würde auf einige
Feiertage verzichten . Dann wäre ja der Abstand zu den
anderen Ländern noch größer .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Undenkbar!)


Aber keine Angst: Das machen wir natürlich nicht . Un-
sere Feiertage sind Teil unserer kulturellen und natürlich
auch unserer christlichen Identität .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In Deutschland arbeiten erstmals über 43,5 Millionen
Menschen, so viele wie noch nie in der Geschichte der
Bundesrepublik . Gleichzeitig waren so wenige Menschen
arbeitslos wie noch nie . Auf diese Entwicklung können
wir stolz sein, meine Damen und Herren . Wir legen das
vierte Jahr in Folge einen ausgeglichenen Haushalt vor .
Auch auf diese Entwicklung sollten wir stolz sein und
uns darüber freuen . Damit nimmt die Schuldenquote
weiter ab . Sie liegt momentan bei 68 Prozent im Verhält-
nis zum Bruttoinlandsprodukt . Es ist jedoch absehbar,
dass der demografische Wandel und andere Herausforde-
rungen auf uns zukommen . Deshalb ist die Tilgung von
Schulden in der jetzigen Situation ein Gebot der Stunde,
damit der Staat bei zukünftigen Herausforderungen und
etwaigen Krisen jederzeit handlungsfähig bleibt . Wir
dürfen und müssen natürlich trotzdem über Steuerkon-

zepte, die gerade die Mittelschicht, aber auch Familien
entlasten, sprechen . Man gewinnt jedoch anhand der ak-
tuell geführten Debatte eher den Eindruck, dass es nicht
um die Frage „Schuldentilgung oder Investitionen“ geht,
sondern darum, dass Sie von den Linken die Überschüsse
lieber konsumieren wollen .

Es wird ja vom Bund so viel investiert wie noch nie .
Wir erleben einen nie dagewesenen Investitionshochlauf .
Insgesamt wurden die Investitionen in dieser Legislatur
um ein Drittel auf über 36 Milliarden Euro erhöht . Da-
von entfallen 2017 13,7 Milliarden Euro auf die zen-
tralen Treiber für Wachstum und Wohlstand eines auch
zukünftig erfolgreichen Investitionsstandortes, nämlich
die Verkehrsinfrastruktur und die digitale Infrastruktur .
Wir müssen Güter, Personen und Datenströme möglichst
schnell und sicher transportieren, um auch zukünftig er-
folgreich zu sein . Mit insgesamt 4 Milliarden Euro bis
2020 wird der Breitbandausbau in unterversorgten Re-
gionen unterstützt . Auch in den Kommunen steigen die
Investitionen: Über 50 Prozent der Investitionen werden
hier getätigt . Es gilt auch, zu betonen, dass die öffent-
lichen Investitionen insgesamt lediglich 10 Prozent der
gesamtwirtschaftlichen Investitionstätigkeit ausmachen .
Insofern ist es erfreulich, dass auch die privaten Investi-
tionen anziehen . Es heißt so schön: Man kann die Pferde
zur Tränke führen, saufen müssen sie von alleine . – Sie
beginnen zu nippen, wenn nicht schon zu trinken, und
das ist ein sehr positives Signal .

Natürlich profitieren Deutschland und auch der Staats-
haushalt von der Niedrigzinssituation . Jens Weidmann
meinte neulich, dadurch, dass die durch die Zinseinspa-
rungen freigewordenen Mittel weitestgehend ausgege-
ben würden, sei der Haushalt sogar expansiv . Der Sach-
verständigenrat empfiehlt die schnellere Beendigung des
Anleihekaufprogramms der EZB, und zwar auch deshalb,
weil die Inflation mittlerweile anzieht. Wir brauchen die
Zinswende, aber wir brauchen sie so, dass dadurch nicht
neue Finanzkrisen entstehen können . Der Sachverstän-
digenrat mahnt zu Recht die fehlenden strukturellen
Reformen innerhalb der Euro-Länder an . Die Zeit muss
natürlich jetzt genutzt werden . Gleichzeitig müssen wir
mehr denn je die europäischen Strukturen stärken . Wir
brauchen den Mut, auch hier langfristige Konzepte zu
entwickeln .

Angesichts der Flüchtlingskrise brauchen wir auch
weiterhin einen flexiblen, aufnahmefähigen Arbeits-
markt . Gerade deshalb war es so wichtig, dass ein In-
tegrationsgesetz mit den Inhalten Fordern und Fördern
in dieser Legislatur umgesetzt wurde . Sprache ist der
Schlüssel zur Integration . Oft sind wiederum Arbeit, in-
klusives Wachstum und Beschäftigung der Schlüssel für
die Sprache .

Sicherheit – gerade die innere Sicherheit – ist die
Voraussetzung für Stabilität, auch für wirtschaftliche
Stabilität . Unsicherheit ist Gift für die wirtschaftliche
Entwicklung . Deshalb müssen wir uns natürlich die Ent-
wicklungen – Stichworte „Brexit“ und „US-Wahl“ – an-
schauen . Diese müssen uns umtreiben . Der Sachverstän-
digenrat weist zu Recht auf die negativen Auswirkungen
von Renationalisierungstendenzen hin . Eines ist klar:
Protektionismus schadet letztlich allen, und Globalisie-

Dr. Andreas Lenz






(A) (C)



(B) (D)


rung nutzt nicht allen; nicht alle sind Globalisierungsge-
winner . Darüber muss mehr gesprochen werden .

Deutschland hat sich zu einer ehrgeizigen Umsetzung
der globalen Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung
der Vereinten Nationen verpflichtet. Die neue Nachhal-
tigkeitsstrategie der Bundesregierung setzt Maßstäbe .
Wir sind hier schon weiter, als die Grünen es propagie-
ren .

Um in einer globalen Welt bestehen zu können, brau-
chen wir nach wie vor Ideen, Kreativität und Innovatio-
nen . Gerade die Verbesserungen hinsichtlich der Nutzung
von Wagniskapital und der Verrechnungsmöglichkeit
von Verlustvorträgen sind vielversprechend . Wir werden
uns natürlich auch weiterhin dafür einsetzen, Professor
Riesenhuber, dass die steuerliche Forschungsförderung
in Zukunft kein frommer Wunsch bleibt, sondern auch
Realität in Deutschland wird . Roman Herzog meinte zu
Recht: Die Fähigkeit zu Innovationen entscheidet über
unser Schicksal . Genau diese Zukunftsfähigkeit wollen
wir erhalten . Mit dem Jahreswirtschaftsbericht stellen
wir uns den Herausforderungen der Zukunft, um diese
zu meistern .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1821502700

Vielen Dank . – Als Nächstes kommt die Rednerin

Frau Gabriele Katzmarek von der SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Gabriele Katzmarek (SPD):
Rede ID: ID1821502800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vor-
liegende Jahreswirtschaftsbericht zeigt: Bundeswirt-
schaftsminister Sigmar Gabriel hat in den letzten drei
Jahren richtige Akzente für eine wirtschaftliche Entwick-
lung in Deutschland gesetzt . Er hat dabei die Menschen
in diesem Land in den Mittelpunkt gestellt .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Manfred Grund [CDU/CSU]: Schade, dass er jetzt gehen muss!)


Der Grundsatz sozialdemokratischer Wirtschaftspo-
litik – das wurde heute schon einmal erwähnt – heißt:
wirtschaftlicher Erfolg, soziale Gerechtigkeit und ökolo-
gische Vernunft .


(Beifall bei der SPD)


Das sind keine Gegensätze, meine Damen und Herren,
sondern sie bedingen sich gegenseitig; denn sie sind der
Garant für Wohlstand und für eine bessere Zukunft für
uns alle .

Soziale Sicherung, Teilhabe und gute Arbeit bei fai-
rem Lohn sind zentrale Voraussetzungen für wirtschaft-
lichen Fortschritt, keine Hindernisse; denn Wirtschafts-

politik – auch das sagte Sigmar Gabriel – ist auch immer
Gesellschaftspolitik, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der SPD)


Der Jahreswirtschaftsbericht macht es deutlich: Die
wirtschaftliche Entwicklung ist bei den Menschen ange-
kommen . Die Arbeitslosigkeit ist gesunken, die Zahl der
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist gestiegen,
der Trend zu immer mehr prekärer Beschäftigung ist ge-
bremst . Das sind Themen, die heute schon angesprochen
worden sind, die ich nicht wiederholen will . Aber es
zeigt, dass gute Wirtschaftspolitik Positives für die Men-
schen bewirken kann . Dieser Erfolg – auch das wurde
heute schon angesprochen – reicht jedoch nicht aus . Wir
müssen weiter daran arbeiten; denn wir wissen: Wer ste-
hen bleibt, fällt zurück .

Der deutschen Wirtschaft geht es gut . Dennoch nimmt
die Ungleichheit zu . Sozialer Aufstieg und gleiche Teil-
habe für alle sind noch nicht realisiert . Uns muss es da-
rum gehen, dass die Wirtschaft stabil bleibt, nicht um
ihrer selbst willen, sondern für die Menschen in diesem
Land .


(Beifall bei der SPD)


Gute Wirtschaftspolitik hat viele Facetten, und dies
zeigt der Jahreswirtschaftsbericht . Investitionen, auch
des Staates, sind der Schlüssel dazu . Gute Wirtschaftspo-
litik investiert jetzt in Bildung . Investitionen in Bildung
fangen an bei den Schultoiletten, vor denen man sich
nicht ekeln muss, und bei dem dichten Dach


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja, dann rufen Sie doch bei den Ländern an, damit sie endlich anfangen!)


– eigentlich Selbstverständlichkeiten –,


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir sind hier doch nicht für jede Schultoilette zuständig!)


sie gehen weiter bis zur Ausstattung der IT-Infrastruktur .

Sie haben vorhin schon einmal in Ihrem Zuruf gesagt:
Das ist Ländersache .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja!)


Ich glaube, wir haben uns darauf verständigt, dass es bei
dieser Frage nicht alleine reicht, wenn der Bund sagt: „Es
ist Ländersache“, sondern es ist unser aller Aufgabe, dort
zu handeln . Ich komme noch darauf zurück .


(Beifall bei der SPD)


Es gibt einen Überschuss im Haushalt . Was spricht
dagegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, diesen
Überschuss zu investieren?


Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1821502900

Sehr geehrte Frau Katzmarek, erlauben Sie eine Zwi-

schenfrage?


Gabriele Katzmarek (SPD):
Rede ID: ID1821503000

Sofort . Ich will nur zu Ende reden . Dann darf er ger-

ne fragen . – Was spricht dagegen, diesen Überschuss zu

Dr. Andreas Lenz






(A) (C)



(B) (D)


investieren? Oder glauben Sie, dass die Menschen in
diesem Land, was marode Schulen und Berufsschulen
angeht, mit der Antwort zufrieden sind, das sei Länder-
sache?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das können Sie bei der Landtagswahl dann sagen!)


Das geht doch gar nicht .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Doch!)


– Natürlich nicht . – Jetzt dürfen Sie fragen .


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Super Koalition! – Gegenruf des Abg . Hubertus Heil [Peine] [SPD]: So ist Demokratie!)



Michael Grosse-Brömer (CDU):
Rede ID: ID1821503100

Vielen Dank für das Zulassen der Zwischenfrage, Frau

Kollegin Katzmarek . In der Tat interessiert es mich, dass
sich an den von Ihnen beschriebenen Zuständen etwas
ändert . Aber meine Frage ist: Könnte es sein, dass die
Länder angesichts ihrer finanziellen und steuerlichen Re-
kordeinnahmen selbst in der Lage sind, solche Missstän-
de in ihrem eigenen Zuständigkeitsbereich zu beheben?
Würden Sie mir auch zustimmen, dass es möglicherwei-
se gerade mit Blick auf die Wahlentscheidung bei Land-
tagswahlen und Bundestagswahlen für die Menschen
von Vorteil ist, wenn jeder sich um seinen Kompetenz-
und Zuständigkeitsbereich kümmert?


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Gemeinsame Kraftanstrengung!)


Dann kann man nämlich politisch entscheiden, welches
Land im Rahmen des Wettbewerbsföderalismus in der
Lage ist, erfolgreich die ihm übertragenen Aufgaben
zu erfüllen, und wer dabei permanent auf die Hilfe des
Bundes angewiesen ist, weil er möglicherweise vor Ort
falsche politische Entscheidungen trifft . Also macht es
sowohl unter demokratischen als auch unter steuer- und
finanzpolitischen Gesichtspunkten Sinn, dass die Länder
die Aufgaben in ihrer Zuständigkeit selbst erfüllen, an-
statt permanent die Forderung zu erheben, dass alles in
die Zuständigkeit des Bundes fallen muss, der im Üb-
rigen, was Verteidigungs- und Sozialausgaben betrifft,
auch über ganz wichtige Punkte selbst zu entscheiden
hat .


(Beifall bei der CDU/CSU – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nehmen Sie doch Redezeit, wenn Sie etwas sagen wollen!)


– Ich weiß, das war eine schwierige Frage .


Gabriele Katzmarek (SPD):
Rede ID: ID1821503200

Das ist keine schwierige Frage . –


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nein, der Kollege Heil meinte das!)


Selbstverständlich sind auch die Länder dafür verant-
wortlich; das ist doch keine Frage, das stellt doch auch
niemand in Abrede . Aber selbstverständlich tragen auch

wir Verantwortung für dieses Land und für die Men-
schen, die in diesem Land leben .


(Beifall bei der SPD)


Wir müssen doch dort eingreifen und unterstützen, wo es
im Interesse der Menschen in diesem Land ist,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Dann schafft doch die Länder ab! Das spart Geld!)


und können uns nicht hinsetzen – das will ich noch mal
sagen –,


(Beifall bei der SPD)


die Augen zumachen und auf die Länder verweisen . So
geht es nicht . Genau deshalb ist es richtig, dass wir sa-
gen: Wenn die Gelder vorhanden sind, müssen sie im In-
teresse der Menschen in diesem Land investiert werden .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja, von den Ländern! – Matthias Hauer [CDU/CSU]: Sind die Länder denn nicht vorhanden?)


Wir müssen Zukunft gestalten und dürfen uns nicht hin-
setzen, uns in Formalitäten ergießen und die Zuständig-
keit von den Ländern zum Bund und vom Bund zu den
Ländern schieben . Denn damit ist den Menschen nicht
geholfen,


(Beifall bei der SPD)


und sie verlieren jeden Glauben, aber wirklich jeden
Glauben, an die Politik .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die Zuständigkeiten stehen in der Verfassung!)


Dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn andere Grup-
pierungen Zulauf erhalten . – So .


(Beifall bei der SPD)


Ich glaube, das war die richtige Antwort auf Ihre Frage .
Hier zu investieren, ist im Interesse dieses Landes .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten gelten nicht mehr? – Gegenruf des Abg . Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das stimmt doch nicht! Es gibt Gemeinschaftsaufgaben im Grundgesetz! – Gegenruf des Abg . Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Für Schultoiletten? – Gegenruf des Abg . Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das heißt Bildungsinfrastruktur!)


– Herr Grosse-Brömer, das ist doch Unsinn . Aber ich will
jetzt nicht mehr darauf eingehen .

Meine sehr geehrten Damen und Herren, meine Ant-
wort hat deutlich gemacht, dass es wichtig ist, nicht nur
die Antwort zu geben, dass wir sparen, sondern den Men-
schen auch die Antwort auf die Frage zu geben, wie wir
die Zukunft gestalten . Sigmar Gabriel hat da etwas vor-
gelegt, mit dem wir alle uns mal intensiver beschäftigen
sollten: Es geht um die Frage, wie wir die Zukunft für
die Menschen in diesem Land gestalten – für mehr Ar-
beit, mit Investitionen in die Zukunft . Denn dann brau-
chen wir uns über manch populistische Worte, die immer
wieder draußen fallen und mit denen Zukunftsängste ge-

Gabriele Katzmarek






(A) (C)



(B) (D)


schürt werden, keine Gedanken mehr zu machen . Des-
halb fordere ich alle in diesem Haus auf: Lassen Sie uns
gemeinsam die Zukunft für die Menschen in unserem
Land gestalten .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1821503300

Als letzter Redner in dieser Aussprache spricht jetzt

Axel Knoerig für die CDU/CSU-Fraktion zu uns .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Axel Knoerig (CDU):
Rede ID: ID1821503400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der
Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung belegt ein-
deutig, dass die deutsche Wirtschaft weiter wächst . Er-
wartet wird ein durchschnittliches jährliches Wachstum
von 1,4 Prozent . Aber diese Dynamik kann an Stabilität
verlieren . Das liegt an den – wir haben es heute schon
angesprochen – zahlreichen existenziellen Entwicklun-
gen in der nahen Zukunft . Ich will sie kurz in Stichworte
zusammenfassen: der Brexit, der Rechts- und auch der
Linkspopulismus in Europa, die neue Trump-Regierung,
das schwierige Verhältnis zu Russland und die damit ver-
bundene Neuausrichtung der EU .

Wir müssen uns die einzelnen Branchen genauer an-
schauen; denn das Wirtschaftswachstum ist sehr unter-
schiedlich einzuschätzen . So ist die Auftragslage in der
Stahlindustrie besser als erwartet . Diese deutsche Kern-
branche mit 87 000 Arbeitnehmern ist durch die Billig-
importe aus China gefährdet . Die Große Koalition hat
hier im Bundestag zeitnah einen Antrag eingebracht, um
das entsprechend zu thematisieren .

Die Prognosen für die Automobilbranche sehen deut-
lich schlechter aus . Herr Cem Özdemir, ich habe Ihnen
gut zugehört . Sie wollen die Verbrennungsmotoren in
Deutschland verbieten . Wir als Union können da nur
ganz klar gegenhalten; das sage ich als Niedersachse
gerade mit Blick auf meine Region . Ihre Verbotspolitik
schadet den Zulieferindustrien . Ihre Politik führt zu mehr
Arbeitslosigkeit und zu weniger Ausbildung .


(Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die gefährden Sie doch, wenn Sie Elektromotoren nicht ausbauen!)


Das ist mit der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bun-
destag nicht zu machen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ist heute viel über Protektionismus gesprochen
worden . Wir müssen nicht nur die Entwicklung in den
Vereinigten Staaten beobachten, wo womöglich Schutz-
zölle auf ausländische Waren erhoben werden, wir müs-
sen auch die Entwicklung in den G-20-Staaten beobach-
ten . Wir wissen, dass die G-20-Staaten Befürworter des
Freihandels sind . Nach Angaben der Welthandelsorga-
nisation ist die Zahl der Handelshemmnisse in den ver-
gangenen Jahren stark gestiegen . Seit der Finanzkrise

2008 wurden über 1 200 neue bürokratische Vorschriften
eingeführt . Das bestätigt auch das, was in der Debatte
über CETA und TTIP herausgekommen ist, nämlich dass
der Sinn für Welthandelspolitik in der Öffentlichkeit und
auch in Fachkreisen stetig abnimmt .

Gerade mit Blick auf das Abkommen mit Kanada will
ich sagen: Die Grünen und die Linken haben über Mona-
te dagegengehalten .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Immer noch!)


Zu dieser Politik gegen den Freihandel sagen wir als Uni-
on ganz deutlich: Wir brauchen die offenen Märkte; denn
gerade diese Offenheit treibt die wirtschaftliche Dyna-
mik an . Wir sind eine Exportnation . Aus dem Export
wird letztendlich unser Wohlstand generiert . Wir verdan-
ken unseren Wohlstand einem offenen Welthandel .

Zugleich sind globale Marktentwicklungen unbere-
chenbarer geworden – wir sehen das an den Bilanzen der
Firmen –: Von satten Gewinnen in einem Quartal bis zum
totalen Einbruch – alles ist in einer Jahresbilanz möglich .
Deswegen ist es ganz wichtig, dass wir uns auf unseren
gemeinsamen EU-Binnenmarkt konzentrieren . In Zu-
kunft wird das noch viel wichtiger; denn wir wissen, dass
der US-Markt weitaus schwerer zugänglich sein wird .

Wir brauchen auch eine offene und sozial ausgewo-
gene Wirtschaftspolitik . Das ist ein Markenkern gerade
der Union . Der Jahreswirtschaftsbericht zeigt, dass sich
die Ergebnisse sehen lassen können . Die Arbeitslosig-
keit liegt bei 6,1 Prozent und damit auf dem niedrigs-
ten Stand seit der Wiedervereinigung . Wir haben eine
Rekordbeschäftigung: Die Zahl der Beschäftigten liegt
bei über 43 Millionen . Die Gehälter steigen, und der pri-
vate Konsum zieht ebenfalls an . Die Start-up-Szene in
Deutschland ist gut gewachsen, und entgegen den Be-
fürchtungen der Ökonomen hat der Mindestlohn nicht zu
mehr Arbeitslosigkeit geführt . Im Gegenteil: 4 Millionen
Arbeitnehmer profitieren vom gesetzlich geregelten Min-
destlohn .

Wir müssen uns die Frage stellen:


(Zuruf von der SPD)


– Nein, Herr Kollege, das habe ich immer so beantwor-
tet . – Was brauchen wir jetzt, damit unsere Wirtschaft
auch in Zukunft gut aufgestellt ist? Wir brauchen eine
gute Kombination aus Investitions- und Industriepolitik
sowie Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik . Dazu gehören
vor allem eine moderne Infrastruktur und Fördermittel
für Innovationen, die direkt in den Unternehmen und vor
allem unbürokratisch ankommen .

Wir müssen fragen: Wie sieht der aktuelle Stand der
Digitalisierung unserer Wirtschaft aus? Deutschland ist
weiterhin Weltmarktführer bei der Fabrikausstattung –
Stichwort „Industrie 4 .0“ –, aber wir müssen im Zuge der
industriellen Standortpolitik weitere Maßnahmen ergrei-
fen, um die Entwicklung zu stärken, damit wir weiterhin
vor den USA und vor China liegen . Wir brauchen also ei-
nen Wissens- und Technologievorsprung und müssen ihn
ausbauen . Die Unternehmen investieren zu wenig in IT
und TK . Wenn wir betrachten, was die öffentliche Hand
auf diesem Gebiet in Deutschland investiert, stellen wir

Gabriele Katzmarek






(A) (C)



(B) (D)


fest, dass es lediglich 14 Prozent sind, und da sage ich:
Das ist schlichtweg zu wenig . Deswegen müssen wir die
digitale Entwicklung in den Zukunftsbereichen voran-
treiben . Ich will das an vier Punkten umschreiben:

Erstens zur digitalen Infrastruktur . Wir müssen den
Ausbau von Breitband und Mobilfunk beschleunigen .
Da muss es einfach schneller vorangehen . Wir sind auf
dem Weg in eine Gigabit-Gesellschaft und dürfen nicht
bei 50 Megabit stehen bleiben .

Zweitens . In der digitalen Bildung sind nicht nur
White boards und Tablets in den Schulen gefragt, sondern
vor allem Lehrer mit Know-how . Wir müssen auch auf
Quereinsteiger setzen . Die Wirtschaft braucht Zigtausen-
de von Programmierern; wir brauchen also mehr Infor-
matikstudiengänge . Wenn ich in mein Bundesland, Nie-
dersachsen, schaue, stelle ich fest, dass dort jedes Jahr
lediglich 20 Quereinsteiger für den Informatikunterricht
ausgebildet werden, also eine sehr geringe Anzahl . Wir
brauchen ferner die digitale Berufsschule, um die Auszu-
bildenden auch im IT‑Bereich fit zu machen.

Drittens müssen wir den digitalen Mittelstand ermu-
tigen, innovative Geschäftsmodelle anzugehen . Hier ist
Potenzial bei Wertschöpfung und Effizienzsteigerung.
Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstech-
nik, das BSI, kann als Dienstleister für den Mittelstand
auftreten, damit gerade im Bereich der Sicherheit bessere
Grundlagen gelegt werden können .

Viertens . An letzter Stelle – da steht sie tatsächlich –
nenne ich die digitale Verwaltung . Schon seit 20 Jahren
sprechen wir über E-Government . Wir haben es nicht
zuletzt auch bei der Flüchtlingskrise erlebt, dass es zu
wenig Vernetzung auf Bundes-, Landes- und kommuna-
ler Ebene gibt . Da müssen wir handeln . In der nächsten
Legislaturperiode muss das wesentlich stärker angegan-
gen werden .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hal-
te fest: Die Rahmenbedingungen des Welthandels sind
komplizierter geworden . Wir müssen noch stärker und
kontinuierlich auf Märkte und Branchen eingehen und
sie intensiver beobachten, um auch neue Wirtschaftsräu-
me zu erschließen .

Ergänzend und abschließend möchte ich sagen: Wir
brauchen einen digitalen Ruck in unserem Land . Nur auf
dem digitalen Fundament sichern wir Wohlstand, Stand-
ort und auch Wettbewerbsfähigkeit .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821503500

Vielen Dank, Kollege Knoerig . – Schönen guten Mor-

gen, liebe Kolleginnen und Kollegen!


(Zurufe von der CDU/CSU: Guten Morgen!)


Ich schließe die Aussprache .

Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 3 b und
3 c . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 18/10990 und 18/10230 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-

gen . – Sie sind damit einverstanden . Dann sind die Über-
weisungen so beschlossen .

Tagesordnungspunkt 3 d . Wir kommen zur Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-
gie zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
mit dem Titel „Jahreswohlstandsbericht einführen“ . Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/7599, den Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7368 abzuleh-
nen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Damit erübrigt sich die Frage nach
Enthaltungen . Die Beschlussempfehlung ist angenom-
men . Zugestimmt haben die CDU/CSU und die SPD,
dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke .

Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf – ein langer Titel;
ich hoffe, ich kriege es hin –:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergän­
zung des Finanzdienstleistungsaufsichtsrechts
im Bereich der Maßnahmen bei Gefahren für
die Stabilität des Finanzsystems und zur Än­
derung der Umsetzung der Wohnimmobilien­

(Finanzaufsichtsrechtergän­ zungsgesetz)


Drucksache 18/10935
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sehr gut!)


– War gut?

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Ich höre und
sehe keinen Widerspruch . Dann ist es so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache und gebe dem Parlamenta-
rischen Staatssekretär Dr . Michael Meister das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)


D
Dr. Michael Meister (CDU):
Rede ID: ID1821503600


Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-
legen! Das Bundeskabinett hat am 21 . Dezember 2016
den Entwurf des Finanzaufsichtsrechtergänzungsgeset-
zes beschlossen . Wir bringen den Entwurf heute in den
Bundestag ein .

Dieser Gesetzentwurf hat zwei Teile . Der eine Teil
befasst sich mit der rechtssicheren Gestaltung des Ver-
braucherschutzes beim Erwerb einer Wohnimmobilie
bzw . bei der Vergabe von Krediten zur Wohnimmobilien-
finanzierung. Zu dem Teil wird gleich der Kollege Kelber
in die Inhalte des Gesetzentwurfs einführen . Der zweite
Teil des Gesetzentwurfs befasst sich mit vorsorglichen
Aufsichtsbefugnissen . Darüber diskutieren wir nun .

Axel Knoerig






(A) (C)



(B) (D)


Wir wollen die Empfehlungen des Ausschusses für
Finanzstabilität umsetzen . Wir haben den Ausschuss für
Finanzstabilität als eine Konsequenz im Jahre 2012 ein-
gerichtet, als wir die Ursachen der Finanzkrise analysiert
und festgestellt haben, dass es zwischen den verschiede-
nen Akteuren, die Aufsicht betreiben, einer noch besse-
ren Abstimmung, einer noch besseren Vernetzung bedarf .
Dieser Ausschuss hat am 30 . Juni 2015 vorgeschlagen,
für eine bessere Finanzstabilität bei der Kreditvergabe
für Wohnimmobilien zu sorgen .

Wenn man sich diesen Sektor anschaut, stellt man fest,
dass es drei Entwicklungen gibt, die man im Blick haben
muss:

Die eine Entwicklung bezieht sich auf die Frage: Wie
entwickeln sich eigentlich die Preise für Wohnimmobi-
lien im Lande? Wenn wir uns das anschauen, stellen wir
fest, dass wir im ersten Halbjahr 2016 einen Preisanstieg
um 5 Prozent hatten . Diese Entwicklung hat sich aller-
dings nicht mehr, wie bis 2014, auf die Ballungsräume
konzentriert . Wir haben vielmehr gesehen, dass die Wohn-
immobilienpreise mittlerweile im ganzen Land steigen .

Ein Anstieg der Immobilienpreise ist für sich genom-
men allerdings noch kein Problem . Man muss eine zwei-
te Entwicklung im Auge haben: Wie finden diese Finan-
zierungen statt? Wenn die Immobilien mit Eigenkapital
finanziert werden, ist das für die Finanzmarktstabilität re-
lativ ungefährlich . Denn wenn jemand sein eigenes Geld
in den Kamin wirft, dann ist das sein eigenes Vergnügen .
Wenn er aber mit fremdem Kapital finanziert, muss man
die Auswirkungen möglicher Verluste auf diejenigen, die
die Kredite vergeben haben, im Blick haben . 2016 ver-
zeichneten wir beim Volumen der Fremdfinanzierung,
also bei den Wohnimmobilienkrediten, ein Wachstum
von 3,7 Prozent in Deutschland . Wir hatten langfristig –
wenn man sich die letzten drei Jahrzehnte anschaut – ein
Wachstum von etwa 5 Prozent . Das heißt, das Tempo hat
sich reduziert . An dieser Stelle ist eine Beruhigung ein-
getreten .

Es gibt noch einen dritten Punkt: Nach welchen Maß-
stäben, nach welchen Standards vergeben die Banken
Wohnimmobilienkredite? Wenn wir uns das anschauen,
stellen wir fest – das sagen uns diejenigen, die näher an
den Banken sind, diejenigen, die dort Aufsicht führen –,
dass die Kreditvergabestandards im vergangenen Jahr im
Allgemeinen eher geschärft worden sind, als dass man
sie schleifen gelassen hätte .

Das ist zunächst einmal die Lagebeschreibung . Wenn
wir eine Gefahrenanalyse, eine Risikoanalyse machen,
müssen wir diese drei Entwicklungen im Blick haben .
Nur wenn wir in allen drei Bereichen gleichzeitig ein
Problem feststellen, also ein Ansteigen der Wohnimmo-
bilienpreise, ein Ansteigen bei der Fremdfinanzierung
und ein Absinken der Mindeststandards bei der Vergabe
von Krediten, dann haben wir ein Problem .

Deshalb kann man die Frage stellen: Warum ergreifen
wir die Initiative? Warum wollen wir jetzt dieses Gesetz
beschließen? Der Grund ist folgender: Wenn bei Ihnen ein
Brand ausbricht und Sie auf den Feuermelder drücken,
hilft Ihnen das nur dann, wenn Sie vorher eine Feuerwehr
eingerichtet, das Personal ausgebildet und der Feuerwehr

die notwendige Ausrüstung gegeben haben . Ansonsten
ist das Drücken des Feuermelders relativ wirkungslos .
Entsprechend wollen wir vorgehen: Wir wollen jetzt die
nötigen Instrumente schaffen, die Werkzeuge schaffen,
um für den Fall, dass eine kritische Lage eintritt, gerüs-
tet zu sein . Wir wollen diese Instrumente aktuell nicht
aktivieren und zum Einsatz bringen . Ich habe dargelegt,
dass wir dafür noch nicht die Notwendigkeit sehen . Wir
bitten allerdings die Bundesbank und die BaFin darum,
gemeinsam mit uns die drei Parameter, die ich geschil-
dert habe, im Auge zu behalten und uns die Information
zu geben, wann es nach ihrer Einschätzung mit Blick auf
diese drei Parameter zu einer Gefahrenlage kommt, wann
es zu einer Blasenbildung mit Gefahren für die Finanz-
stabilität kommt . Dann würden wir in einem gemeinsa-
men Entscheid, über den wir auch den Bundestag infor-
mieren würden, zur Aktivierung dieses Werkzeugkastens
kommen . Das ist unsere Vorgehensweise an der Stelle .

Was sind die Mindeststandards, die wir im Blick ha-
ben? Zum einen geht es um das Verhältnis zwischen Dar-
lehenshöhe und dem Wert der Immobilie . In den USA ha-
ben wir vor der Finanzkrise Finanzierungen jenseits von
100 Prozent gesehen . Ein solches Verhalten haben wir in
Deutschland nicht . Aber, ich glaube, hier einen Mindest-
standard zu setzen, um bei denen, die solche Standards
nicht einhalten, für eine gewisse Besinnung zu sorgen,
ist kein Fehler .

Zum Zweiten . Wir haben momentan Zinssätze, die
sehr niedrig sind . Wenn man bei niedrigen Zinsen einen
Kreditvertrag mit 1 Prozent Tilgung abschließt, dann ist
das Volumen der Tilgung, das man über die Laufzeit ge-
winnt, relativ gering im Vergleich zu früheren Zeiten, in
denen die Zinsen höher waren . Da hat man, wenn man
mit 1 Prozent Tilgung angefangen hat, über die Laufzeit
natürlich einen höheren Tilgungsanteil erreicht . Deshalb
ist der zweite Punkt, dass wir einen Zeitraum für eine
Mindesttilgung des Kredits als Standard setzen wollen .

Der dritte Punkt betrifft das Verhältnis des Schul-
dendienstes zum Einkommen des Kreditnehmers . Auch
diese Frage ist plausibel . Kann der Mensch eigentlich
aus seinem eigenen Einkommen den Kredit, den er auf-
nimmt, bedienen? Es kann ja auch sein, dass er nicht nur
einen Kredit hat, sondern mehrere . Das heißt, wir wollen
uns auch die Gesamtleistungsfähigkeit, bezogen auf die
Gesamtverschuldung, und das Verhältnis von Gesamt-
verschuldung zum Einkommen anschauen .

Da wir hier allerdings nicht den einzelnen Kreditneh-
mer im Auge haben, da unser Interesse vielmehr der Fi-
nanzstabilität und damit der Stabilität der Bankinstitute
gilt – das andere Thema wird Kollege Kelber beleuchten,
nämlich den Schutz des einzelnen Kreditnehmers –, sagen
wir: Wir wollen Ausnahmen für Ausbau, Umbau und Sa-
nierung schaffen . Wir wollen den sozialen Wohnungsbau
komplett ausnehmen und das Thema Anschlussfinanzie-
rung aus diesen Betrachtungen herauslassen . Es geht uns
um die Stabilisierung von Banken . Wir wollen auch jeder
Bank ein gewisses Freikontingent an Kreditvolumen, für
das die Mindeststandards nicht gelten, zugestehen . Denn
wenn nur ein kleines Volumen an Krediten in Gefahr ge-
rät, wird das nicht die Bank und damit das Finanzsys-
tem in Gefahr bringen . Wir wollen ferner Bagatellkredite

Parl. Staatssekretär Dr. Michael Meister






(A) (C)



(B) (D)


außen vor lassen, das heißt, es soll eine Bagatellgrenze
geben; denn durch Kleinstkredite wird die Finanzmarkt-
stabilität natürlich nicht in Gefahr geraten .

Diese Überlegungen haben wir auf den Weg gebracht .
Jetzt kann man sagen: Warum kommen die Deutschen
auf den Gedanken? Zum einen weil wir den Hinweis un-
serer Aufsichtsorgane haben, zum Zweiten weil uns die
Europäer, die sich mit Risiken im Finanzmarkt beschäf-
tigen, darauf hingewiesen haben, dass es notwendig ist .
Auch der Internationale Währungsfonds hat uns darauf
hingewiesen, dass es notwendig ist, einen solchen Instru-
mentenkasten zu schaffen . Außerdem sind andere Länder
in Europa bereits in diesem Sinne tätig geworden . Des-
halb würde es die Bundesregierung für nachlässig hal-
ten, wenn wir diesen Empfehlungen nicht nachkommen
würden . Aber das ist immer in dem Sinne gemeint: Wir
bereiten uns auf Risiken vor . Das heißt nicht, dass wir
Risiken, die noch nicht eingetreten sind, jetzt schon be-
kämpfen wollen .

Ich bitte Sie um eine konstruktive Beratung dieser
Überlegungen . Ich hoffe, Sie würdigen auch den zweiten
Teil, den Kollege Kelber nachher vorträgt .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821503700

Vielen Dank, Dr . Meister . – Nächster Redner: Dr . Axel

Troost für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Axel Troost (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821503800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir haben gehört: Es geht um die Verhinderung von Spe-
kulationsblasen, von Immobilienblasen . „Immobilien-
blasen“ heißt: Es handelt sich um eine Spekulationsblase,
bei der es auf einem Teilbereich des Immobilienmarktes
zu sehr stark ansteigenden Preisen kommt . Irgendwann
ist diese Preisentwicklung zu Ende, sie bricht zusammen .
Das führt dann zu Unternehmenszusammenbrüchen und
Insolvenzen bis hin zu Bankenkrisen .

Grundsätzlich begrüßen wir den vorliegenden Gesetz-
entwurf, weil die Bundesregierung damit auf potenzielle
Risiken bei der Blasenbildung eingehen und reagieren
will und gesetzliche Eingriffsmöglichkeiten schaffen
möchte, um besser handlungsfähig zu sein . Das ist die
gute Nachricht .

Die schlechte lautet: Wir haben erhebliche Zweifel,
ob die in dem vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehe-
nen zusätzlichen Eingriffsrechte reichen, um eine solche
Blase wirklich wirksam abwenden und vorausschauend
schon genug Druck ablassen zu können, damit die Blase
nicht platzt . Als eine Schwäche des Gesetzentwurfes sei
nur beispielhaft genannt, dass die Finanzierung gewerb-
licher Immobilien unberücksichtigt bleibt und dass auch
im Hinblick auf die mangelnde Datengrundlage keine
Initiative ergriffen wird . Das wäre für eine umfassendere
Prävention aber notwendig .

Wir stellen fest – das ist eben auch gesagt worden –,
dass der Gesetzentwurf im Wesentlichen einem Bericht
des Ausschusses für Finanzstabilität folgt, der auf die
wachsenden Risiken hingewiesen hat . Dieser Ausschuss,
in dem das Bundesfinanzministerium zusammen mit der
Bundesbank und der BaFin die laufende Finanzmarktent-
wicklung untersucht, soll also jetzt beim Thema Immo-
bilienfinanzierung tatsächlich seine Funktion erfüllen. Er
soll durch gemeinsame Analysen die zuständigen Institu-
tionen frühzeitig und vor einer akuten Finanzkrise auf die
Gefahren aufmerksam machen .

Das hört sich irgendwie selbstverständlich an; aber die
Erfahrungen haben gezeigt, dass wir ähnliche Gremien
bereits zuvor hatten, dass sie aber in der Zeit vor und
nach der großen Finanzkrise 2007/2008 entweder nicht
vernünftig gearbeitet haben oder im Extremfall sogar gar
nicht erst einberufen worden sind . Das soll sich jetzt än-
dern .

Eigentlich sollte es auch wünschenswert sein, dass
wir jetzt wirkliche Maßnahmen ergreifen, was Finanzsta-
bilität angeht . Man sieht, dass sich hier die Grundlagen
geändert haben, dass sich vieles verändert hat, und das
ist ja angesichts des vielen Lehrgeldes auch notwendig,
das wir, das die deutschen Steuerzahlerinnen und Steuer-
zahler in den letzten zehn Jahren gezahlt haben . Ich sage
nur die Stichworte: IKB, HRE, Commerzbank oder auch
WestLB .

Wir halten das Gesetz und seine Vorgeschichte inso-
fern regulatorisch für einen Schritt in die richtige Rich-
tung; aber die ergriffenen Maßnahmen sind unzurei-
chend .

Gerade in der Euro-Zone kann die Geldpolitik das
Problem von isolierten Preisblasen in einzelnen Ländern
bzw . Branchen mithilfe ihres bisherigen Instrumenten-
kastens nicht lösen . Es ist daher grundsätzlich erst ein-
mal richtig, dass das Gesetz zum Beispiel zusätzliche
Eigenkapitalanforderungen oder auch Obergrenzen bei
den Banken für die Vergabe von Wohnimmobilienkredi-
ten gezielt vorsehen und damit die Entwicklung bremsen
kann . Bislang bleibt die Bundesregierung allerdings die
Antwort schuldig, ab wann sie wirklich von einer Blase
am Immobilienmarkt ausgeht und wann sie diese Instru-
mente denn auch einsetzen will . Schlimmstenfalls pas-
siert uns dann dasselbe wie bei der Terrorabwehr, dass
wir zwar bestehende Gesetze haben, diese aber nicht
wirksam nutzen .

Wir sind uns einig, dass in Deutschland die Gefahr
von Immobilienblasen im Wesentlichen in bestimmten
Ballungsräumen und insbesondere in Universitätsgroß-
städten vorkommt . Es wird abzuwarten sein, ob die im
Gesetzentwurf enthaltenen Bremsen dann auch wirklich
so zielgenau wirken können . Neben den erweiterten Ein-
griffsbefugnissen der BaFin bedarf es aus unserer Sicht
je nach Region sehr unterschiedlicher fiskalisch‑adminis-
trativer Maßnahmenpakete, die auf drohende Blasen am
Immobilienmarkt vor Ort zugeschnitten sind .


(Beifall bei der LINKEN)


So könnte man beispielsweise über Hebesätze bei der
Grunderwerbsteuer in verschiedenen Kommunen nach-

Parl. Staatssekretär Dr. Michael Meister






(A) (C)



(B) (D)


denken, zum Beispiel dann, wenn die Häuserpreise vor
Ort in den drei Jahren zuvor um mehr als 20 Prozent ge-
stiegen sind . Formal müsste man dann aber natürlich das
Problem lösen, dass die Grunderwerbsteuer eine Länder-
steuer ist und sie bisher überhaupt nicht auf Steuerungs-
wirkungen ausgerichtet ist . Ich bin gespannt, wie wir in
den Anhörungen im Finanzausschuss diese Instrumen-
tendebatte führen werden .

Bei allem Wohlwollen muss ich aber natürlich noch
einmal darauf hinweisen, dass sich Preisblasen auf Ver-
mögensmärkten – da ist es egal, ob es um Wertpapiere,
um Edelmetalle, um Rohstoffe, um Immobilien oder
anderes geht – notwendigerweise immer wieder bilden
werden, solange die ungerechte und immer weiter zu-
nehmende Ungleichheit der Vermögen und Einkommen
nicht korrigiert wird .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Reichen stecken ihre wachsenden Vermögen in ei-
nen kaum wachsenden Bestand an Vermögensgütern, und
dadurch werden Aktien oder Immobilien immer teurer;
aber es entstehen dadurch keine neuen Unternehmen und
keine neuen Wohnungen . Wer das ändern will, kommt
an einer ernsthaften Umverteilung von oben nach unten
nicht herum; denn damit hätten wir wieder mehr Geld bei
der Mehrheit der Bevölkerung, das dann für neue Woh-
nungen und neue Produkte ausgegeben werden kann .


(Beifall bei der LINKEN)


Noch eine Bemerkung zur europäischen Wohnimmo-
bilienkreditrichtlinie, auf die gleich eingegangen wer-
den wird . Natürlich ist es sinnvoll, dass Banken daran
gehindert werden, unverantwortliche Kreditrisiken ein-
zugehen . Es ist aber nicht Sinn der Sache, dass Banken
Menschen im Rentenalter kaum mehr Immobilienkredite
gewähren . Die ganze Finanzmarktregulierung muss da-
rauf abzielen, den Banken verantwortungslose und von
Renditegier getriebene Risiken wie zum Beispiel win-
dige Geschäfte mit komplexen Wertpapieren zu verbie-
ten . Es bleibt aber natürlich sehr wohl Teil des seriösen
Bankgeschäftes, verantwortungsvolle Kreditrisiken in
ökonomisch sinnvollem Maße einzugehen und damit
Unternehmen und auch Privatpersonen überhaupt Inves-
titionen oder auch Immobilienkäufe zu ermöglichen .

Lassen Sie mich ganz zum Schluss noch darauf hin-
weisen, dass mich die ersten drei Tage des neuen US-Prä-
sidenten und seiner Mannschaft mit großem Schrecken
erfüllen, nicht nur, weil Mauern gebaut werden, weil
Fraueninstitutionen nicht mehr gefördert werden, weil
die Gesundheitsversorgung deutlich verschlechtert wird,
sondern auch, weil im Bereich der Finanzmarktstabilität
und -regulierung Rückschritte eingeleitet werden . Wenn
ich lese, dass die Bestimmungen zum Eigenhandel von
Banken jetzt wieder gelockert werden sollen, dann meine
ich: Das geht in genau die falsche Richtung und wird na-
türlich dazu führen, dass die Stabilität des Finanzsektors
weltweit wieder infrage gestellt wird . Deswegen kann
ich nur hoffen, dass sich sowohl wir, der Deutsche Bun-
destag, das Finanzministerium, die BaFin, als auch alle
anderen massiv dagegen wenden und massiv deutlich
machen werden, dass unsere gemeinsame Erkenntnis,

dass Stabilität notwendig ist, jetzt wirklich beibehalten
und nicht rückgängig gemacht wird .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821503900

Vielen Dank, Axel Troost . – Der nächste Redner: für

die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär
Ulrich Kelber .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


U
Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1821504000


Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich möchte die Gelegenheit ergreifen, zur Wohn-
immobilienkreditrichtlinie und ihrer Umsetzung in nati-
onales Recht Stellung zu nehmen . Das deutsche Gesetz
zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie geht
auf die Erfahrungen der Finanzkrise zurück . Richtlinie
und Umsetzung sollen verhindern, dass sich unseriöse
Finanzierungspraktiken wiederholen, die unter anderem
in den USA und in Spanien zu Immobilienblasen geführt
haben . Als diese platzten, gingen keineswegs nur Banken
pleite, sondern vor allem verloren auch viele Verbrau-
cherinnen und Verbraucher ihre kreditfinanzierten und
selbstbewohnten Immobilien . Die neuen Regeln stärken
das Prinzip der verantwortungsvollen Kreditvergabe . Die
Kreditinstitute müssen also im Interesse ihrer Kunden
prüfen, ob Kreditnehmer die vertraglich vereinbarten
Raten zahlen können . Ich halte das für eine verbraucher-
politische Errungenschaft .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Jedoch zeigte sich bereits kurz nach Inkrafttreten, dass
die Umsetzung der EU-Richtlinie nicht nur Verbraucher
effektiv schützt, sondern auch einige Banken tief verun-
sichert hat . Da die Banken jetzt für eine ordnungsgemäße
Kreditprüfung haften,


(Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das haben sie schon immer gemacht!)


hinterfragten sie ihre Kreditvergabeprozesse sehr gründ-
lich,


(Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das haben sie schon immer gemacht!)


zum Teil überzogen . Sie stellten dabei auch bewährte
Kreditvergabestandards infrage und verschärften diese
eigenständig weiter, was bei einigen Banken wiederum
zu weniger Kreditvergaben führte; andere haben ihr Kre-
ditvergabevolumen sogar ausgedehnt .


(Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: Welche Bank ist denn das?)


Ich möchte ein Beispiel für etwas nennen, was weder
von der Richtlinie noch von der nationalen Gesetzge-
bung vorgesehen war . Wir wurden zum Beispiel gefragt,
ob die neuen Regeln verhindern sollten, dass ein Kredit
an jemanden vergeben wird, der diesen Kredit nicht in-

Dr. Axel Troost






(A) (C)



(B) (D)


nerhalb seiner statistischen Lebenserwartung zurück-
zahlen kann . Das war weder von Richtlinie noch vom
Gesetz vorgegeben . Denn Erbschaftsteuer hin oder her:
Die Richtlinie sollte natürlich nicht Erben ein schulden-
freies Haus garantieren, sondern ermöglichen, Verträge
über die Nutzung abzuschließen . Wir haben im Hinblick
auf diese Kritik auf Schnellschüsse verzichtet, sondern
mit der deutschen Kreditwirtschaft und der Verbraucher-
schutzseite einen intensiven Dialog darüber geführt, wie
diese Unsicherheiten bei den Banken beseitigt werden
können . Wir wollen erreichen, dass Verbraucherinnen
und Verbrauchern uneingeschränkt Zugang zu Krediten,
die sie sich ohne das Risiko einer Überschuldung leisten
können, gewährt wird .

Wir haben Ihnen einen Gesetzentwurf vorgelegt, in
dem wir Klarstellungen vornehmen wollen, die sowohl
europarechtlich zulässig sind als auch den Verbrauche-
rinnen und Verbrauchern dienen .

Drei Punkte:

Erstens . Wir wollen klarstellen, dass die Wertsteige-
rung durch Baumaßnahmen oder Renovierungen natür-
lich berücksichtigt werden darf .


(Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


– Das war von vornherein Intention, Herr Kollege
Michelbach . – Aber natürlich – wahrscheinlich liegt
die Richtlinie vor Ihnen – müssten Sie den Erwägungs-
grund 55 der Richtlinie, dass sie nicht allein ausschlag-
gebend sein darf, auch in der nationalen Gesetzgebung
berücksichtigen .


(Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: Aber andere Länder haben es noch nicht gemacht!)


Zweitens soll im Gesetz explizit geregelt werden,
dass, wie schon bisher, die Regelungen für Verbraucher-
darlehensverträge nicht auf die sogenannten Immobilien-
verzehrkreditverträge anwendbar sind, also in dem Fall,
dass jemand einen Teil der Immobilie, in der er wohnt,
an die Bank übereignet . Das soll auch die Unsicherheit
der Rechtsabteilungen einiger Banken beenden und die
Kreditvergabe an ältere Menschen erleichtern .

Drittens . Wir bitten Sie um eine Ermächtigung für
eine gemeinsame Rechtsverordnung des Bundesfinanz-
ministeriums und des Bundesministeriums der Justiz und
für Verbraucherschutz . Wir wollen in weiteren praktisch
relevanten Fällen eine Leitlinie für die ordnungsgemäße
Kreditvergabe an die Hand geben . Auch hierzu zwei Bei-
spiele: Wir wollen deutlich machen, wie mit befristeten
Arbeitsverhältnissen und vorübergehenden Gehaltsein-
bußen durch Elternzeit umgegangen werden soll, da eini-
ge Banken nur die Negativannahmen verwendet haben .
Außerdem wollen wir insbesondere beim altersgerechten
Umbau, der den Wert von Immobilien erhöht, die Wert-
steigerungen in angemessener Form berücksichtigen .

Wir meinen, dass damit – das will ich bewusst sagen –
die bei einigen Banken – also keineswegs durchgehend –
vorgekommene schlechtere Kreditvergabe an junge Fa-
milien sowie Seniorinnen und Senioren beendet wird und
es wieder einen gesicherten Zugang dieser Personenkrei-

se zu Krediten gibt . Ich werbe für die vorgesehenen Klar-
stellungen und bitte Sie um Ihre Unterstützung für diesen
Gesetzentwurf .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821504100

Vielen Dank, Ulrich Kelber . – Nächster Redner:

Dr . Gerhard Schick für Bündnis 90/Die Grünen .


Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821504200

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-

legen! Vielem von dem, was Sie, Herr Kelber, gerade
gesagt haben, können wir Grünen zustimmen . Ich frage
mich nur, wenn ich mir die Umsetzung dieser Richtlinie
anschaue: Warum greift man eigentlich nur den Bereich
auf, in dem es Unschärfen gibt und Fehler gemacht wor-
den sind und über den sich die Banken beklagen, und
zwei wichtige Punkte, die für die Verbraucherinnen und
Verbraucher wichtig wären – ich nenne insbesondere
Koppelprodukte, also mit Restschuldversicherungen ver-
sehene Produkte –, greift man nicht auf? Das verstehen
wir nicht . Dort muss nachgesteuert werden . Meine Kol-
legin Nicole Maisch wird dazu später noch ausführlicher
sprechen . Ich werde mich auf den ersten Teil konzentrie-
ren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das hört sich jetzt nach großem Konsens an . Der
Ausschuss für Finanzstabilität hat empfohlen, ein ent-
sprechendes Gesetz vorzulegen . Auch der Internationale
Währungsfonds und der Europäische Ausschuss für Sys-
temrisiken empfehlen dies; die Experten scheinen sich
alle einig zu sein .

Aber: So ist es ja nicht ganz . Vielmehr gab es einen
CSU-Parteitagsbeschluss, der sich explizit – auf die Ini-
tiative, wie ich lese, des Kollegen Michelbach – gegen
dieses Gesetz gewandt hat, und Kollege Zöllmer sagte
für die SPD im Handelsblatt Ende des Jahres: Wir kön-
nen nicht auf der einen Seite Wohnungsbau fördern und
auf der anderen Seite die Kreditvergabe einschränken . –
So groß scheint die Einigung nicht zu sein .

Deswegen ist jetzt die Frage: Um was geht es hier
eigentlich? Es geht darum, dass man in der Finanzkrise
gemerkt hat: Selbst wenn man bei jeder einzelnen Bank
genau hinschaut, ob sie das alles korrekt macht und stabil
ist, sieht man nicht alles; denn möglicherweise basieren
die Immobiliensicherheiten, die die Bank bei sich kalku-
liert, auf aufgeblasenen Werten, da man sich in einer Im-
mobilienblase befinden kann. Deswegen reicht es nicht,
auf die einzelnen Institute zu schauen, sondern man muss
auch auf den Gesamtmarkt schauen, und wenn dieser in
die falsche Richtung geht, muss man rechtzeitig eingrei-
fen . Auch das ist eine Aufgabe der Finanzaufsicht, nicht
nur der Blick auf die einzelnen Banken .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Dr . Axel Troost [DIE LINKE])


Parl. Staatssekretär Ulrich Kelber






(A) (C)



(B) (D)


Dem stimmen wir ausdrücklich zu . Deswegen kann
ich die Kritik an dieser Stelle nicht richtig nachvollzie-
hen . Ich komme mir schon ein bisschen komisch vor,
wenn ich den Entwurf des Bundesfinanzministeriums
gegen die Kritik aus den Koalitionsfraktionen verteidige .


(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Da hat doch keiner was gesagt!)


Aber an dieser Stelle geht es um die Sache und nicht um
die parteipolitische Zugehörigkeit . Ich mache mir jedoch
Sorgen, dass die wichtigen Argumente, die früher – übri-
gens auch aus Ihrer Partei, Herr Michelbach – vorgetra-
gen worden sind, nicht mehr gelten . Der frühere Staats-
sekretär Koschyk hat das hier 2012 in der Debatte zum
Gesetz zur Stärkung der Finanzaufsicht sehr deutlich ge-
sagt: Die mikropotenzielle Aufsicht muss durch eine ma-
kropotenzielle Aufsicht ergänzt werden . Man kann sich
dann nicht dagegen wehren, wenn genau das umgesetzt
werden soll . Nehmen Sie die Lehren aus der Finanzkrise
im Jahr acht nach Lehman bitte immer noch ernst! Sonst
sind wir bald in der nächsten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es ist richtig, dass wir heute nicht generell sagen kön-
nen, dass in Deutschland eine einzige große Immobilien-
blase besteht .


(Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


An verschiedenen Stellen gibt es aber gefährliche Ent-
wicklungen, und deswegen ist es richtig, die notwendi-
gen Instrumente vorzubereiten . Experten sagen uns – ich
beziehe mich hier auf den Chefvolkswirt des Bankhauses
Metzler –, dass es hierzulande bereits Finanzierungen
von 110 Prozent des Kaufpreises gibt . Das ist nicht seri-
ös, und das sind genau die Fehlentwicklungen, die man
bei den Immobilienblasen in den anderen Ländern beob-
achtet hat . Wir sehen daneben, dass die Immobilienpreise
in wichtigen Teilen des deutschen Immobilienmarkts in
den letzten Jahren massiv schneller angestiegen sind als
die Einkommen . Auch das ist ein Indiz dafür, dass man
aufpassen muss .

Aber selbst wenn es nicht so wäre: Ein solch vorbe-
reitendes Gesetz braucht man, damit die Finanzaufsicht
rechtzeitig eingreifen kann . Es ist auch richtig, das re-
gional differenziert zu machen . Man darf aber diesem
Gesetz jetzt nicht Hürden in den Weg legen, bloß weil
die Banken sagen: Wir wollen keine Einschränkungen . –
Im Gegenteil ist es richtig, eine Kritik, die Axel Troost
genannt hat, aufzugreifen und auch die gewerblichen
Immobilienmärkte einzubeziehen . Zudem muss – auch
wenn man das nicht in diesem Gesetzentwurf regeln
muss – die Datengrundlage


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Besser werden!)


besser werden, damit man einen klaren Überblick erhält .
Es kann ja wohl nicht sein, dass sich die Finanzaufsicht
hier auf private Datenanbieter verlassen muss . Eine ent-
sprechende Datengrundlage ist also notwendig .

Mein Appell an Sie: Hören Sie hier nicht auf die Ban-
ken, die uns schon wieder raten, alle Lehren aus der Fi-
nanzkrise zu vergessen, sondern sorgen Sie dafür, dass
die Erkenntnisse, die hier einmal fraktionsübergreifend
vorhanden waren – wir brauchen eine makroprudenzielle
Aufsicht, also eine Aufsicht quer über die Institute, für
den gesamten Markt, und die entsprechenden Instrumen-
te –, jetzt auch im Gesetz verankert werden!

Danke schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821504300

Vielen Dank, Gerhard Schick . – Nächste Rednerin:

Antje Tillmann für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Antje Tillmann (CDU):
Rede ID: ID1821504400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Gäste! Im letzten Jahr erreichten viele von
uns Zuschriften von jungen Familien und Senioren . Der
Tenor war immer derselbe: Meine Bank hat mir den Kre-
dit für den Kauf oder den Umbau meiner Immobilie ver-
weigert .

Was ist passiert? Seit März 2016 gilt in Deutschland
eine neue EU-Richtlinie, die die Vergabe von Wohnim-
mobilienkrediten verschärft . Die Richtlinie wurde in
der EU als Reaktion auf die spanische Immobilienkrise
beschlossen, die durch zahlreiche leichtfertig vergebene
Kredite verursacht wurde . Banken müssen seither ihre
Kreditnehmer vor Vertragsabschluss besser informieren .
Außerdem wurden undurchsichtige Kopplungsgeschäf-
te, bei denen ein Darlehen nur in Verbindung mit ande-
ren Finanzprodukten ausgegeben wurde, eingeschränkt .
Diese Neuerungen waren gut und richtig, und sie dien-
ten dem Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher .
Neben dem Wert der Immobilie müssen Banken künf-
tig auch andere Faktoren, wie etwa das Einkommen des
Kreditnehmers oder die Verschuldungsquote, verstärkt
berücksichtigen .

Leider hat die zu weit gehende Umsetzung in deut-
sches Recht durch Bundesjustizminister Maas zur Folge


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Sie haben doch zugestimmt!)


– das stimmt –, dass gerade Altersgruppen mit weniger
berechenbarem Einkommen zunehmend Schwierigkeiten
haben, einen Hauskredit zu bekommen . Herr Staatsse-
kretär Kelber, wenn Sie sagen: „Das war ja alles so nicht
gemeint“, dann kann ich nur sagen: In einem Rechtsstaat
ist es eigentlich üblich, dass man das, was man meint, ins
Gesetz schreibt . Und ja, wir haben dem zugestimmt; wir
haben einen Fehler gemacht, und wir werden das korri-
gieren .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Gerhard Schick






(A) (C)



(B) (D)


Wir behaupten ja nicht, dass die bisherige Regelung rich-
tig ist . Dann brauchten wir das Gesetzgebungsverfahren
nicht .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir wollen, dass junge Familien und ältere Menschen
Kredite für den Umbau oder die Renovierung ihres Ge-
bäudes bekommen, und wir wollen – das meint Herr
Staatssekretär Kelber offensichtlich auch –, dass das so
im Gesetz steht, um Rechtssicherheit für Banken und
Verbraucherinnen und Verbraucher herzustellen .


(Beifall des Abg . Olav Gutting [CDU/CSU])


Wie Herr Dr . Schick sind auch wir noch nicht zufrie-
den mit diesem Gesetzentwurf . Wir glauben nämlich,
dass darin auch die Anschlussfinanzierungen geregelt
werden müssen . Es kann nicht sein, dass, sollte es zu ei-
ner Krise kommen, wir diese bei einer anstehenden An-
schlussfinanzierung dadurch verschärfen, dass Veräuße-
rungen notwendig sind . Auch hier haben wir erheblichen
Diskussionsbedarf . Dazu dient dieses Gesetzgebungsver-
fahren ja auch; wir stehen heute erst am Anfang .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Was ist der zweite Teil dieses Gesetzentwurfs, der Teil,
der dem Gesetz seinen Namen gibt? Der Ausschuss für
Finanzstabilität, dem auch Vertreter von BaFin und Bun-
desbank angehören, ist der Meinung, dass es hinsichtlich
der Aufsicht Handlungsbedarf gibt, falls es irgendwann –
rein theoretisch – zu einer Immobilienkrise kommt . Um
es deutlich zu sagen: Weder die Bundesbank noch die
BaFin sieht aktuell eine solche Krise . Beide empfehlen
aber, Instrumente einzuführen, bevor eine schwierige Si-
tuation wirklich akut wird . Herr Staatssekretär Meister
hat dies mit einem Feuermelder verglichen . Ich teile die
Auffassung, dass wir Instrumente haben müssen, bevor
eine Krise ausbricht . Wir müssen daher intensiv darüber
beraten, wie solche Instrumente aussehen können .

Die BaFin soll handlungsfähig gemacht werden und
dafür neue, zielgenaue Instrumente zur Bekämpfung
bzw . Bewältigung einer eventuellen Immobilienkrise be-
kommen . Die BaFin soll Kreditgebern bestimmte Min-
deststandards für die Vergabe von Neukrediten für den
Erwerb oder den Bau von Wohnimmobilien vorgeben
dürfen . Die genauen Festlegungen hierzu sollen aber in
einer umfangreichen Verordnung geregelt werden, die
noch in der Bearbeitung ist .

Herr Dr . Schick, ich wundere mich, dass Sie den Ge-
setzentwurf schon verteidigen, obwohl Sie noch gar nicht
wissen, was tatsächlich geregelt wird; denn die konkre-
ten Details werden in einer sehr umfangreichen Verord-
nung dargelegt werden .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wir haben darum gebeten – ich danke dem Staatssekre-
tär, dass er dem zugestimmt hat –, dass wir noch im Ge-
setzgebungsverfahren erfahren, was in dieser Verordnung
steht; denn erst dann können wir tatsächlich die Auswir-
kungen auf Banken und Verbraucher beurteilen . Es ist
eine Milchmädchenrechnung, zu glauben, wir könnten
bei Banken immer weiter regulieren, ohne dass es für die

Verbraucher Auswirkungen hätte . Natürlich besteht die
Gefahr, dass Kredite für den Verbraucher teurer werden .
Deshalb ist es wichtig, dass wir uns genau ansehen, was
in dieser Verordnung steht .

Aus meiner Sicht muss in dieser Verordnung geregelt
sein, was ein vernünftiger Kaufmann sowieso tun wür-
de . Es sind nicht alle Banken der Meinung, dass diese
Gesetzgebung ihnen Schwierigkeiten bereiten wird . Ein
verantwortungsbewusster Banker würde auf eine Krise
reagieren . Wir müssen sicherstellen, dass sich alle Ban-
ker verantwortungsbewusst verhalten . Deshalb werden
wir am 6 . März in einer Anhörung mit den Betroffenen
die Verordnungsgegenstände diskutieren und dann fest-
stellen, ob dieser Gesetzentwurf das leistet, was wir uns
erhoffen .

Ich persönlich bin der Meinung, dass wir die Bereit-
stellung dieser Instrumente besser innerhalb Deutsch-
lands regeln, als dies erneut der EU-Kommission zu
überlassen . Was passiert um uns herum? In 18 anderen
europäischen Staaten gibt es diese Aufsichtsinstrumente
schon . Wenn wir nicht handeln, besteht die Gefahr, dass
die EU-Kommission eine europäische Regelung vor-
schlägt, die – diese Erfahrung haben wir schon gemacht –
die Besonderheiten des deutschen Kreditmarktes und die
gute deutsche Kreditsituation nicht berücksichtigen wird .
Es wäre also besser, dies innerdeutsch zu regeln . Deshalb
begeben wir uns auf den Weg, diesen Gesetzentwurf zu
diskutieren .

Es ist ja nicht so, dass der BaFin keine Instrumente
zur Verfügung stehen, um in einer Krise einzugreifen .
Natürlich könnte die BaFin einer Bank bestimmte Ei-
genkapitalvorlagen auferlegen . Aber das hätte den Nach-
teil, dass davon alle Branchen betroffen wären, obwohl
mittelständische Produktionsunternehmen vielleicht gar
nicht in Schwierigkeiten sind . Ich glaube, wir sollten uns
sehr genau ansehen, ob wir für den Immobiliensektor
konkretere und spezifischere Instrumente brauchen. Ob
der vorliegende Gesetzentwurf der richtige Weg ist, wer-
den wir nach umfangreichen Beratungen entscheiden .
Wir werden uns nach der Anhörung dazu positionieren .

Herr Dr . Meister, wie immer können Sie sicher sein
und damit rechnen, dass wir dieses Gesetzgebungsver-
fahren konstruktiv begleiten . Das beginnen wir heute,
und wir werden es zu einem guten Abschluss führen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821504500


Danke, Frau Tillmann . – Herr Meister hat sich ent-
schuldigt . Der Mann, der hier sitzt, ist nicht der verjüng-
te Herr Meister, sondern Herr Spahn . Aber er nimmt all
das mit, was Sie gesagt haben, und wird es an den Herrn
Staatssekretär weitergeben .

Nächste Rednerin: Nicole Maisch für Bündnis 90/Die
Grünen .

Antje Tillmann






(A) (C)



(B) (D)



Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821504600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor gut

elf Monaten haben wir hier die Umsetzung der Wohn-
immobilienkreditrichtlinie beschlossen, und schon jetzt
bessern Sie nach . Aber leider ist es so, dass das, was Sie
korrigieren, nicht etwa Ihr Eingriff in die Verbraucher-
rechte beim Widerruf von Verträgen ist oder in die unzu-
reichenden Instrumente gegen Abzocke bei den Dispo-
zinsen . Vielmehr machen Sie wieder relativ einseitig und
auf Zuruf Politik für einzelne Kreditinstitute, vor allem
für die Sparkassen .


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1821504700
Die Heerscharen
verzweifelter Rentner und junger Familien, die keinen
Kredit mehr bekommen, was die empirische Grundlage
für diese Gesetzesänderung ist, waren zwar überall in den
Medien, aber in der Realität schwer zu finden. Kollegin
Tillmann, die Waschkörbe voller Zuschriften, die Sie in
diesem Zusammenhang bekommen haben, interessieren
mich sehr . Bei uns haben sich hauptsächlich die Sparkas-
sen gemeldet .


(Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: Was haben Sie denn gegen Sparkassen?)


– Ich habe überhaupt nichts gegen die Sparkassen . Mel-
den Sie sich doch, wenn Sie eine Zwischenfrage stellen
wollen!

Auch der Finanzmarktwächter der Verbraucherzen-
tralen hat vor fünf Monaten aufgerufen: Leute, meldet
euch bei uns, wenn ihr Schwierigkeiten habt, Kredite zu
bekommen . – Ganze 16 Bundesbürger haben sich gemel-
det . Am 8 . Dezember letzten Jahres hat mir der Parla-
men
Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1821504800


Aussagekräftige und belastbare Zahlen über den be-
haupteten Rückgang der Kreditvergabe und die Ur-
sächlichkeit des Gesetzes zur Umsetzung der Wohn-
immobilienkreditrichtlinie liegen nicht vor .

Man braucht aber keine empirische Grundlage, um
Politik zu machen . Es gibt sicherlich gute Gründe, die
Sparkassen noch besser gegen Falschberatung abzusi-
chern . Wenn Sie aber schon Politik auf Zuruf machen,
dann sollten Sie auch auf den Zuruf der Verbraucher-
schützer hören .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Hier möchten wir Ihnen vor allem zwei Punkte besonders
ans Herz legen .

Das erste Thema ist die Vorfälligkeitsentschädigung .
Wie wir alle wissen, spielt das Leben nicht immer so,
wie man es sich denkt . Man nimmt einen Kredit auf,
und plötzlich gibt es einen Todesfall, oder es kommt
zur Scheidung . Dann muss man eventuell den Kredit
vorzeitig ablösen . Die Vorfälligkeitsentschädigungen in
Deutschland sind konkurrenzlos hoch .


(Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: Dafür gibt es die Langfristfinanzierung!)


Andere EU-Mitgliedstaaten wie Belgien und Frankreich
haben verbraucherfreundliche Regelungen geschaffen .
Wir sind der Meinung, dass es nun an der Zeit ist, Trans-
parenz bei den Berechnungen herzustellen und eine kon-
krete Obergrenze festzulegen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: Dafür gibt es die Langfristfinanzierung!)


– Ich habe das Mikro . Deshalb kann ich lauter schreien .

Wir sind zudem der Meinung, dass die Regelung für
gekoppelte Produkte noch strenger sein müsste . Gekop-
pelte Produkte sollten nur vertrieben werden, wenn es
einen objektiven Nutzen für die Verbraucherinnen und
Verbraucher gibt .

Last, but not least fordern wir Transparenzvorschrif-
ten für die Restschuldversicherungen . Das wäre echter
Verbraucherschutz und nicht nur Politik auf Zuruf ein-
zelner Kreditinstitute .

Wir werden uns im anstehenden Gesetzgebungsver-
fahren sehr genau anschauen, ob die Neuregelung, die
Sie nun machen, nicht den Sinn der Richtlinie und des ur-
sprünglichen Gesetzentwurfs, Menschen davor zu schüt-
zen, ihr Haus zu verlieren, weil sie sich mit einem Kredit
übernommen haben, verwässert .


(Antje Tillmann [CDU/CSU]: Wir schützen Menschen davor, ein Haus zu kaufen!)


Wir werden Sie daran erinnern, was in diesem Bereich
des Verbraucherschutzes noch alles zu tun ist .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821504900

Vielen Dank, Nicole Maisch . – Nächster Redner:

Manfred Zöllmer für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Manfred Zöllmer (SPD):
Rede ID: ID1821505000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich werde mich bei meinen Ausführungen schwerpunkt-
mäßig auf das Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz be-
schränken . Wir haben gehört, worum es geht . Es geht um
den Problemkreis, durch aufsichtsrechtliche Maßnahmen
das Entstehen von Immobilienblasen zukünftig zu ver-
hindern . Ich betone: Dies ist eine gute und wichtige Ziel-
setzung zur Verbesserung der Finanzmarktstabilität . Wie
wir alle wissen, ging die Finanzmarktkrise 2007/2008 in
den USA im Wesentlichen vom Platzen einer Immobili-
enblase aus . In Deutschland sind nur Wertpapiere über
Immobilienkredite und Verbriefungen geplatzt, die an
deutsche Banken, insbesondere an Landesbanken, ge-
gangen sind. In den USA gab es das geflügelte Wort:
Diese Schrottpapiere kannst du gut den deutschen Lan-
desbanken andrehen; die sind dafür dankbar .


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: In Düsseldorf vor allen Dingen!)







(A) (C)



(B) (D)


Eine Immobilienblase in Deutschland gab es nicht;
das muss man feststellen . Sie hat es auch in der Vergan-
genheit nicht gegeben; denn das deutsche Geschäftsmo-
dell der Banken bei Immobilienkrediten ist völlig anders
als das Geschäftsmodell in den USA . Die amerikani-
schen Banken überwälzen ihre Risiken an die Institu-
tionen Fanny Mae und Freddie Mac, die quasi staatlich
abgesichert sind . Das ist in Deutschland nicht der Fall .
Natürlich wäre ein Immobilienmarkt, der sich überhitzt,
für den Bankensektor ein großes Risiko . Daher war es
vernünftig, dass sich der Ausschuss für Finanzstabilität
im Jahre 2015 mit diesem Thema beschäftigt und einige
Vorschläge gemacht hat, aus denen hervorgeht, wie man
eine Überhitzung des Immobilienmarktes in Deutschland
verhindern kann .

Der Chefvolkswirt der EZB hat im letzten Monat in
einem Interview mit der Zeitung Die Zeit festgestellt:

… in Frankfurt sind Immobilienpreise innerhalb ei-
nes Jahres um 20 Prozent gestiegen … Richtig ge-
fährlich ist ein solcher Boom … erst dann, wenn er
auf Pump finanziert wird. Die Vergabe von Baukre-
diten wächst aber nur sehr langsam .

Lieber Kollege Schick, das ist ein Punkt, den Sie in Ih-
ren Ausführungen völlig vergessen haben . Wir haben
in Deutschland einen regional sehr unterschiedlichen
Immobilienmarkt: Wir haben einige Ballungszentren –
München, Hamburg, Berlin, Frankfurt –, in denen die
Immobilienpreise sehr deutlich steigen .


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Universitätsstädte!)


In anderen Bereichen haben wir aber fallende Immobili-
enpreise . Es gibt Regionen in Deutschland, in denen Sie
Ihr Haus gar nicht loswerden, weil dort keine Nachfrage
besteht. Sie finden dort keinen Käufer.

Eine vernünftige Regulierung der Baufinanzierung
müsste diese regionalen Aspekte berücksichtigen . Ich
glaube, dass wir das beim vorliegenden Gesetzentwurf
sorgfältig prüfen müssen . Meiner Ansicht nach werden
diese Aspekte im Gesetzentwurf zu wenig berücksichtigt .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Instrumente müssen dort ansetzen, wo der Schmerz
entsteht – sprich: eine Immobilienblase entsteht .

Eines der Hauptprobleme auf diesem Feld bleibt aber
die Diagnose, das heißt die Frage: Ist es wirklich eine
Blase, ja oder nein? Ich beschäftige mich seit vielen
Jahrzehnten mit der Ökonomie und habe festgestellt: Die
Ökonomen haben es in der Vergangenheit nicht ein einzi-
ges Mal geschafft, eine Blase richtig vorherzusehen . Das
ist ein großes Problem . Ein Teil der Ökonomen hat im-
mer gesagt: „Dies ist eine völlig normale Marktentwick-
lung“, während ein anderer Teil der Ökonomen immer
gesagt hat: Das ist aber gefährlich . – Nur, was macht man
dann als Aufsicht?


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821505100

Herr Zöllmer, erlauben Sie eine Frage oder Bemer-

kung von Gerhard Schick?


Manfred Zöllmer (SPD):
Rede ID: ID1821505200

Nein, das erlaube ich nicht . Ich will das jetzt ausfüh-

ren . – Nehmen wir das Beispiel Berlin: Die Stadt Berlin
wächst jedes Jahr um 50 000 Personen . Es ist natürlich
völlig logisch, dass deshalb die Nachfrage am Immobili-
enmarkt steigt, und es ist völlig logisch, dass dann auch
die Preise steigen .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das hat doch nichts damit zu tun!)


Ist das jetzt eine Blase oder nicht? Das Problem, das ich
mit diesem Gesetzentwurf habe, besteht darin, dass der
Statistikteil einfach ausgeklammert worden ist. Dazu fin-
den wir keine Regelungen; die wären aus meiner Sicht
aber auf jeden Fall notwendig .


(Beifall bei der SPD)


Die Kollegin Tillmann hat eben darauf hingewiesen:
Wir werden uns sehr sorgfältig mit diesem Entwurf und
mit den Instrumenten, die darin vorgeschlagen sind, aus-
einandersetzen . Wir werden uns sehr sorgfältig fragen:
Was ist sinnvoll? Was hilft in Zukunft, eine Immobilien-
blase zu verhindern, und was nicht? Wir müssen auf der
anderen Seite aber auch im Blick behalten, dass wir den
Wohnungsbau fördern . In diesem Haus sind viele Förder-
maßnahmen für den Wohnungsbau beschlossen worden .
Wir haben eben noch gehört, wie groß die Problematik
ist . Die Linkspartei hat steigende Mieten beklagt . Wir
wissen, dass das ein Problem ist .


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Ja, sozialer Wohnungsbau! Gemeinnütziger Wohnungsbau!)


Das heißt, wir dürfen diesen Bereich nicht regulatorisch
erdrosseln . Deutschland braucht auch in Zukunft stabile
Immobilienmärkte .


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Das ist ein anderes Marktsegment!)


Deshalb ist es sinnvoll, sehr sorgfältig mit diesem Ge-
setzentwurf und mit den vorgeschlagenen Instrumenten
umzugehen und sie zu prüfen .

Darüber hinaus wollen wir als Parlament aber auch in
wesentliche Entscheidungen eingebunden werden . Das
sieht der Gesetzentwurf ebenfalls nicht vor . Wir wollen
Fehlentwicklungen verhindern, eine ordnungsgemäße
Kreditwürdigkeitsprüfung ohne Diskriminierung sicher-
stellen und überzogene Anforderungen auf das richtige
Maß zurückführen . Was wir nicht wollen, ist, den nor-
malen Immobilienkleinkredit, um die Renovierung oder
den altersgerechten Umbau eines Hauses zu bezahlen,
unmöglich zu machen .

Wir werden diesen Gesetzentwurf im parlamentari-
schen Verfahren sorgfältig prüfen . Es gilt nach wie vor
der Grundsatz: Kein Gesetz verlässt das Parlament so,
wie es hineingekommen ist . Wir werden unsere Hausauf-
gaben machen .

Manfred Zöllmer






(A) (C)



(B) (D)


Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821505300

Vielen Dank, Manfred Zöllmer . – Nächster Redner:

Matthias Hauer für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Matthias Hauer (CDU):
Rede ID: ID1821505400

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir beraten heute in erster Lesung den Entwurf
des Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetzes . Das Gesetz
besteht aus zwei Teilen; das haben wir bereits gehört . Im
ersten Teil geht es darum, Immobilienblasen zu vermei-
den . Dazu ist bereits viel gesagt worden . Was die Positi-
on der CDU/CSU-Fraktion angeht, verweise ich auf das,
was meine Kollegin Antje Tillmann vorhin gesagt hat .

Ich werde mich hier auf den zweiten Teil konzen-
trieren . Dabei geht es um die nationale Umsetzung der
EU-Wohnimmobilienkreditrichtlinie . Hier wollen wir
die Rechtsunsicherheiten und Probleme beseitigen, die
im Zuge der Umsetzung Anfang 2016 entstanden sind .
Seit September letzten Jahres befasse ich mich als Be-
richterstatter der AG Finanzen mit diesem für die Kredit-
vergabe wichtigen Thema .

Frau Maisch hat gerade gesagt, die Grünen hätten nur
einige Anfragen dazu erreicht . Mich haben sehr viele An-
fragen erreicht und, so glaube ich, viele Kolleginnen und
Kollegen im Hause ebenfalls . – Sogar Kollege Dr . Troost
von den Linken nickt . – Aber vielleicht trauen ja den Grü-
nen nicht so viele zu, hier eine gute Lösung zu erzielen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sicherlich wurden auch viele von Ihnen in den Wahl-
kreisen auf die bestehenden Probleme angesprochen . Oft
ging es darum, dass Menschen Kredite versagt wurden,
oft mit Verweis auf die Umsetzung der Wohnimmobilien-
kreditrichtlinie . Es ist richtig, dass wir als Gesetzgeber
eingreifen, dass wir Rechtssicherheit herstellen und das
Gesetz verbessern; denn hier besteht Nachbesserungsbe-
darf .

Zunächst aber ein Blick zurück: Im März letzten Jah-
res ist das Gesetz in Kraft getreten . Bereits kurz darauf
gab es jede Menge Kritik an der nationalen Umsetzung .
Was wurde kritisiert? Das deutsche Gesetz würde viel
weiter greifen, als es die europäischen Regelungen vor-
sehen . Dazu kommt Rechtsunsicherheit durch viele un-
bestimmte Rechtsbegriffe im Gesetzestext; dazu gleich
mehr . Junge Familien und ältere Menschen hatten viel-
fach Probleme, einen Kredit für eine Wohnimmobilie zu
bekommen . Ich sage sehr deutlich: Wir als Union wollen,
dass gerade auch junge Familien und ältere Menschen
ein Eigenheim erwerben oder es altersgerecht umbauen
können .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deshalb hätten wir uns auch gewünscht, dass Heiko Maas
als der zuständige Bundesminister hier schneller reagiert

hätte . Es sah eine Weile so aus, dass Senioren und Fami-
lien zu Verlierern dieser Regelung werden könnten .


(Zuruf von der SPD: Quatsch!)


Viele, auch CDU/CSU, haben nach Inkrafttreten des Ge-
setzes auf die Probleme hingewiesen . Jetzt geht es mit
der Lösung endlich voran .

Wenn die Regelung in § 505b so toll ist – Herr Staats-
sekretär Kelber hat darauf gerade Bezug genommen und
von „Unsicherheit bei einigen Banken“ gesprochen; er
hat das so ein bisschen ins Lächerliche gezogen –, dann
frage ich Sie: Warum bessern wir denn dann nach?


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Weil es in der Richtlinie so steht!)


Wenn man in den Gesetzestext schaut, kann man ja ein-
mal überlegen, ob der so schlau ist . Zählen wir einmal die
unbestimmten Rechtsbegriffe! Hier wird davon geredet,


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Ja, weil das die Richtlinie ist! Das ist der Text aus der Richtlinie!)


dass „auf der Grundlage notwendiger, ausreichender und
angemessener Informationen zu Einkommen, Ausgaben
sowie anderen finanziellen und wirtschaftlichen Umstän-
den des Darlehensnehmers eingehend zu prüfen“ ist . Da
wird von „Angemessenheit“, von „Relevanz“, von „vo-
raussichtlich“ geredet . All das sind unbestimmte Rechts-
begriffe . Man muss auch einmal selbstkritisch sein – das
hätte ich mir auch von Ihnen gewünscht, Herr Kelber –
und sagen, dass eine Regelung nicht so gut gemacht wor-
den ist .


(Zurufe der Abg . Lothar Binding [Heidelberg] [SPD] und Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich verweise auf die Kollegin Tillmann, die gesagt hat:
Das ist keine gute Regelung gewesen; da haben wir Feh-
ler gemacht . – Das muss man aber auch offen zugeben .

Ich möchte auch die gute Zusammenarbeit mit den Fi-
nanzpolitikern unseres Koalitionspartners erwähnen, die
da sicherlich intern Überzeugungsarbeit geleistet haben .
Ebenso bedanken möchte ich mich für die gute Zusam-
menarbeit beim Kollegen Dr . Heck aus der AG Recht .
Das alles dürfte dazu beigetragen haben, dass wir heute
die Nachbesserung in erster Lesung beraten und dann si-
cherlich bis März beschließen können .


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Es war unsere Initiative, nachzubessern! – Gegenruf der Abg . Antje Tillmann [CDU/CSU]: Eure Initiative war das ganz bestimmt nicht!)


Aber nun zu den wesentlichen Details des Gesetzent-
wurfs . Wir stellen klar, dass bei der Finanzierung für den
Bau oder die Renovierung des Eigenheims wieder maß-
geblich auf den Wert der Immobilie abgestellt werden
darf . Damit korrigieren wir, dass diese Ausnahmerege-
lung der EU-Richtlinie bislang nicht ins deutsche Gesetz
Aufnahme gefunden hat . Wir wollen, dass Seniorinnen
und Senioren auch dann in ihrem Eigenheim wohnen
bleiben können, wenn sie einmal finanzielle Mittel brau-
chen, zum Beispiel für eine Renovierung oder für einen

Manfred Zöllmer






(A) (C)



(B) (D)


barrierefreien Umbau . Es ist daher richtig, dass der Wert
der Immobilie bei der Kreditwürdigkeitsprüfung berück-
sichtigt wird, und zwar in starkem Maße . Das stellen wir
hiermit nun im BGB und im KWG klar .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Darüber hinaus ist es wichtig, dass wir Leitlinien zur
Kreditwürdigkeitsprüfung bekommen . Dazu wird es
zeitnah eine gemeinsame Rechtsverordnung von Finanz-
ministerium und Justizministerium geben . Die Leitlinien
sollen für weitere Rechtssicherheit sorgen . Es gibt dazu
noch offene Fragen; die werden wir im Verfahren klären .
Die beteiligten Ministerien haben zugesagt, dass wir den
Entwurf bis zur Anhörung vorliegen haben . Das ist wich-
tig, weil Gesetz und Verordnung eng ineinandergreifen
sollen .

Wir müssten noch einige andere Fragen klären, zum
Beispiel ob bei einer Anschlussfinanzierung – Kollegin
Tillmann hat es gerade angesprochen – wirklich eine er-
neute Kreditwürdigkeitsprüfung stattfinden muss oder
nur dann, wenn der Kreditbetrag deutlich erhöht wird .
Welchen gesetzgeberischen Spielraum wir hier haben,
werden wir EU-rechtlich noch beantwortet bekommen
müssen . Auch die Themen „Immobilienverzehrkredite“
und – Herr Dr . Schick hat es gerade angesprochen – „ge-
koppelte Produkte“ werden wir uns noch einmal im De-
tail ansehen .

Ich gehe mit Zuversicht, aber auch mit dem gebote-
nen kritischen Blick in die anstehenden parlamentari-
schen Beratungen . Am Ende der Beratungen muss eine
Lösung stehen, die für mehr Rechtssicherheit sorgt, die
aber gleichzeitig den Bogen hinsichtlich der Kreditwür-
digkeitsprüfung nicht überspannt . Hier muss eine Lösung
her, die gerade jungen Familien den Weg in die eigenen
vier Wände erleichtert und älteren Menschen die Sa-
nierung ihres Eigenheims ermöglicht . Dafür setzen wir,
CDU/CSU, uns ein .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821505500

Vielen Dank, Kollege Hauer . – Nächste Rednerin:

Sarah Ryglewski für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Sarah Ryglewski (SPD):
Rede ID: ID1821505600

Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Meine sehr verehr-

ten Damen und Herren! Liebe Gäste! Ich will die Emo-
tionen jetzt ein bisschen senken und daran erinnern,
worüber wir hier eigentlich reden . Der Grund, weshalb
die Wohnimmobilienkreditrichtlinie trotz ihres sperrigen
Namens eine solche Emotionalität erzeugt, ist der glei-
che Grund, weshalb Menschen sich Immobilien kaufen:
Für die meisten Menschen ist der Kauf eines Hauses oder
einer Eigentumswohnung die schwerwiegendste finanzi-
elle Entscheidung, die sie im Laufe ihres Lebens treffen,
und es ist eine Entscheidung, die die meisten von uns

ihr Leben lang begleitet . Das kann man, glaube ich, so
sagen .

Die Menschen treffen diese Entscheidung meistens –
das hoffen wir – wohlabgewogen, auch wenn die Gründe
durchaus emotionaler Natur sind: Man möchte ein schö-
nes Umfeld für sich und seine Familie schaffen, in das ei-
nen niemand hereinredet . Man möchte lieber für sich als
für seinen Vermieter zahlen . Oder man sagt – dann wird
es ein bisschen rationaler –: In Zeiten niedriger Zinsen ist
es das Einzige, wo ich die Möglichkeit habe, mein Geld
vernünftig anzulegen . Außerdem sind die Zinsen gerade
so günstig, dass sich einige Leute eine Finanzierung leis-
ten können, die das vorher nicht konnten .


(Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das ist in den Preisen enthalten!)


– Genau . Darauf komme ich gleich . – Grundsätzlich sa-
gen wir: Eine Immobilie ist eine gute Investition . Aber
wir wissen – Herr Kollege Schick hat es in seiner Rede
gesagt und mit seinem Zwischenruf bestätigt –: Angebot
und Nachfrage – das ist trivial – bedingen sich . Deswegen
gibt es in einigen Großstädten und auch in anderen Berei-
chen unseres Landes mittlerweile deutliche Preissteige-
rungen, die den Kauf einer Immobilie erschweren .

Viele Leute haben im Zuge dieses Booms das Gefühl:
Wenn sie jetzt keine Immobilie kaufen, dann vertun sie
eine Chance . Das kann durchaus dazu führen, dass Men-
schen ihre finanziellen Möglichkeiten optimistischer ein-
schätzen, als sie es tun würden, wenn die Zinsen höher
wären, wenn es nicht so einen Boom gäbe . Außerdem
führt es dazu – das muss man dazusagen –, dass Banken
eher geneigt sind, Kredite für ihre Kundinnen und Kun-
den möglich zu machen . Für die Banken ist das eine gute
Möglichkeit, Kredite zu vergeben, womit sie Gewinne
erzielen; das machen sie ja nicht uneigennützig . Deswe-
gen müssen wir da genau hinschauen .

Das Thema 110-Prozent-Finanzierung wurde schon
angesprochen . Aber es gibt auch andere Kreditkonstruk-
tionen, bei denen wir sehr genau hinschauen müssen .
Deswegen ist es richtig, dass wir diese Richtlinie um-
gesetzt haben . Bisher konnte es dazu kommen, dass
auch die Deckung von Nebenkosten auf Pump finanziert
wurde oder dass parallel der Dispositionskredit erhöht
wurde . Es gibt durchaus Kredite – das ist gar nicht tri-
cky, sondern normales Geschäft – mit einer Tilgung von
1 Prozent, und das bei den niedrigen Zinssätzen, obwohl
man weiß, dass die Menschen einen neuen Kredit mit an-
gestiegenen Zinssätzen nicht werden bedienen können .
In diesen Fällen ist auch die Sicherheit durch den Wert
einer Immobilie nichts, was dem Kunden hilft; das hilft
nur der Bank . Die Bank hat die Sicherheit; aber der Kun-
de steht möglicherweise vor dem finanziellen Ruin. Des-
wegen, glaube ich, war es richtig, dass wir die Richtlinie
umgesetzt haben . Aber es ist auch richtig, dass man sich,
wenn man so etwas macht, noch einmal anschaut, welche
Auswirkungen das auf die Entwicklung hat .

Von Herrn Hauer kam die Kritik, warum man nicht zü-
giger reagiert habe . Ich persönlich muss sagen: Ich halte
nichts davon, dass wir uns jetzt hier gegenseitig zurufen,

Matthias Hauer






(A) (C)



(B) (D)


wer wie viele Zuschriften bekommen hat und wer dem-
entsprechend wie viele Waschkörbe bei sich im Büro hat .


(Matthias Hauer [CDU/CSU]: Ich habe nicht von Waschkörben gesprochen!)


– Na ja, andere aber . – Ich halte es vielmehr für verant-
wortliche Politik, dass wir von der Kreditwirtschaft, aber
auch von den Verbrauchern Informationen einholen .


(Matthias Hauer [CDU/CSU]: Welcher Minister hat denn das Gesetz gemacht?)


– Wir haben alle zugestimmt . Es ist schön, dass Sie die
unbestimmten Rechtsbegriffe vorhin vorgelesen haben .
Aber wenn Sie jetzt so überzeugt sind, hätten wir diese ja
auch damals schon aufnehmen können .


(Matthias Hauer [CDU/CSU]: Immerhin bin ich selbstkritisch im Vergleich zu Ihrem Minister!)


– Der hat das Gesetz ja eingebracht .

Ich glaube, dass es richtig war, dass wir uns Zeit ge-
lassen haben . Es nützt nichts, wenn wir jetzt Dinge ver-
ändern oder Regelungen noch einmal angreifen, die am
Ende niemandem etwas bringen, weil sie schlecht und
überhastet gemacht sind . Ich weise noch einmal darauf
hin, dass wir aufpassen müssen . Wir sollten hier wirk-
lich sehr gründlich arbeiten, weil sich sonst durchaus der
Verdacht einschleicht, dass es Banken geben könnte, die
sagen: Wir haben jetzt eine gute Begründung, bestimmte
Kredite abzulehnen . – Zu einer verantwortlichen Finanz-
beratung gehört, dass man Leuten vielleicht auch einmal
sagt: Ich verstehe, dass du ein Haus haben möchtest, aber
diesen Kredit wirst du dir nicht leisten können . Schau, ob
du eine kleinere Immobilie findest oder ob du etwas an-
deres machst . Warte lieber eine Zeit . – Da sagen wir: Das
wollen wir mit diesen Regelungen sicherstellen . Insofern
halte ich das, was wir hier vorgeschlagen haben, für eine
gute Sache .


(Beifall bei der SPD)


Was ich mir persönlich zusätzlich noch wünschen
würde – damit komme ich dann auch zum Schluss –,
wäre, dass wir in der Tat die Gelegenheit nutzen und uns
die Fragen – das ist insbesondere der Punkt – „Was macht
man eigentlich mit befristeten Beschäftigungsverhält-
nissen?“, „Wie geht man mit solchen Ausnahmen um?“
noch einmal anschauen und auch einmal überlegen: Was
ist eigentlich mit einer Gruppe wie den Selbstständigen,
die es auch schon vor der Wohnimmobilienkreditrichtli-
nie schwer hatten, einen Kredit zu bekommen? Wie kann
man da möglicherweise Erleichterungen schaffen? Denn
natürlich wollen wir, dass jeder, der sich einen Kredit
leisten kann und der einen braucht, einen bekommt . Aber
wir wollen nicht, dass Leute einen Kredit bekommen,
die ihn sich nicht leisten können und bei denen dann am
Ende die Bank als Sicherheit das Haus hat, oder dass je-
mand seine Wohnung renoviert und dann am Ende für die
Bank renoviert hat .

Ich freue mich auf die weiteren Beratungen, wo wir
alle ganz genau hinschauen werden . Ich glaube, dann ha-
ben wir am Ende eine richtige Richtlinie gut angepasst
und weiter verbessert .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821505700


Vielen Dank, Sarah Ryglewski . – Der letzte Redner in
der Debatte: Alexander Radwan für die CDU/CSU-Frak-
tion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Alexander Radwan (CSU):
Rede ID: ID1821505800


Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Präsi-
dentin! Das Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz wird
heute hier in die Diskussion eingebracht . Es beruht auf
der Empfehlung des Ausschusses für Finanzstabilität
vom Juni 2015 . Natürlich sind auch die Anmerkungen
des IWF und des Ausschusses für Finanzstabilität etwas,
mit dem man sich beschäftigen muss . Im Mittelpunkt
steht die Entwicklung an den Immobilienmärkten . Die
Frage ist: Werden wir zukünftig auf eine Blase zurol-
len oder nicht? Eines ist klar: Zurzeit haben wir keine
Überhitzung auf den Immobilienmärkten . Somit ist
das, was wir heute debattieren, letztendlich etwas, was
rein präventiv gemacht werden soll . In der Umsetzung,
im Ablauf sollen dann BaFin und Bundesbank dieses
im Einvernehmen feststellen . Sie sollen entsprechende
Maßnahmen ergreifen können, so zum Beispiel in der
Frage „Relation zwischen Kredit, Immobilienwert und
Mindestamortisation“ oder der Frage, wie viel zur Til-
gung herangezogen werden muss, wobei es auch hier
entsprechend notwendig ist, dass der Einzelfall geprüft
wird . Jemand mit einem Einkommen von 1 000 Euro ist
sicherlich anders zu bewerten als jemand mit einem Ein-
kommen von 5 000 Euro oder 10 000 Euro .

Neben diesen grundsätzlichen Fragen finde ich bei
diesem Gesetz spannend, dass wir einmal die Gelegen-
heit nutzen können, zu betrachten, wo wir heute stehen .
Wir haben jetzt zehn Jahre der europäischen, internatio-
nalen und nationalen Regulierung hinter uns . Zehn Jah-
re nachdem wir in der Folge der Subprime-Krise diese
Regulierungen angestoßen haben, sind wir mit einem
solchen Gesetz konfrontiert, in dem es sinngemäß heißt:
Trotz aller Regulierung werden wir zukünftig mit einer
entsprechenden Krise zu rechnen haben . Das ist jetzt erst
einmal nichts Aufregendes; denn jeder rechnet ja damit,
dass irgendwo eine Krise hochkommt .

Lassen Sie mich an dieser Stelle betonen: Ich bin er-
staunt gewesen, dass keiner der Vorredner darauf hinge-
wiesen hat: Die Zinspolitik der Europäischen Zentral-
bank ist daran nicht ganz unschuldig .


(Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Selbst die Mitglieder der Europäischen Zentralbank, aber
auch die BIZ sagen, dass momentan entsprechende Bla-
sen entstehen .

Sarah Ryglewski






(A) (C)



(B) (D)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821505900

Herr Radwan, erlauben Sie eine Frage oder Bemer-

kung von Lisa Paus?


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, Schick!)



Alexander Radwan (CSU):
Rede ID: ID1821506000

Von mir aus auch von beiden .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821506100

Weil Sie so groß sind, Herr Radwan, haben Sie Herrn

Schick verdeckt .


Alexander Radwan (CSU):
Rede ID: ID1821506200

Ich bin nicht groß, sondern breit .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821506300

Ihr breiter Rücken hat ihn verdeckt . – Gestatten Sie es

oder nicht?


Alexander Radwan (CSU):
Rede ID: ID1821506400

Ja .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821506500

Gut . – Herr Schick .


Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821506600

Herr Radwan, wenn ich richtig informiert bin, hat die

CSU beschlossen:

Ein Ermächtigungsgesetz, das der Bundesanstalt für
Finanzdienstleistungsaufsicht . . . selbständige Ein-
griffsmöglichkeiten gibt, lehnen wir ab .

Gilt das in Bezug auf das heute vorliegende Gesetz?
Finden Sie es richtig, dass man dieses Gesetz macht?
Was heißt diese Position?


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821506700

Sie können antworten .


Alexander Radwan (CSU):
Rede ID: ID1821506800

Antworten muss ich auf diese Frage nicht . Herr Schick

hätte nur warten müssen, bis meine Rede zu Ende ist .


(Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann hätte ich nicht mehr fragen können!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821506900

Nein, Ihre Redezeit wird doch angehalten .


Alexander Radwan (CSU):
Rede ID: ID1821507000

Die Antwort ergibt sich aus meiner Rede, ganz ein-

fach .


(Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann sind wir gespannt!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821507100

Was mache ich jetzt? Dann kriegen Sie ein paar Se-

kunden mehr Redezeit .


Alexander Radwan (CSU):
Rede ID: ID1821507200

Noch einmal zum ersten Punkt, den ich erwähnt habe:

Wo stehen wir zehn Jahre nach der Regulierung? Das ist
mir ernst, weil wir jetzt damit konfrontiert sind, zu sagen,
dass Blasen entstehen . Ich habe auf die EZB hingewie-
sen . Sowohl bei der jetzigen Entwicklung als auch beim
Ausstieg werden wir mit Verwerfungen am Finanzmarkt
rechnen müssen . Darum ist es für mich ein Paradigmen-
wechsel, indem wir sagen: Zukünftig braucht die BaFin,
braucht die Finanzaufsicht gewisse Flexibilitäten . – Des-
halb ist es zu wenig, den Immobilienbereich alleine an-
zuschauen . Herr Schick hat gesagt, man sollte es von pri-
vaten Immobilien auf Gewerbeimmobilien ausdehnen .
Meine Damen und Herren, wenn dieses Gesetz verab-
schiedet ist, wird es weitere Ausdehnungen geben, um
entsprechend präventiv darauf hinzuwirken . Von daher
haben wir ganz klare Bedingungen an ein solches Gesetz .

Die parlamentarischen Berichts‑ und Kontrollpflich-
ten müssen gecheckt sein . Es darf keinen Freifahrtschein
geben .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Es muss klar sein, unter welchen Bedingungen und mit
welchem Verfahren die BaFin und die Bundesbank han-
deln dürfen . Hier könnten wir nach Frankreich schauen . In
Frankreich gibt es einen Rat zur Lage des Finanzmarktes .
Bei uns würde das bedeuten, dass Experten von Bundes-
bank, von BaFin, von Bundestag – bei uns könnten auch
der Bundesrat, BMF und auch Marktteilnehmer berufen
werden – regelmäßig etwas zur Lage am Finanzmarkt
sagen . Gleichzeitig halte ich es für dringend notwendig,
dass wir die existierende Regulierung anschauen . Dieses
Gesetz zeigt uns, dass wir mit allen gesetzgeberischen
Maßnahmen, die wir bisher ergriffen haben, weiß Gott
nicht alle Eventualitäten abdecken können . Wir haben
auch in manchen Bereichen zu viel gemacht . Darum ist
es parallel dazu notwendig, sich anzuschauen, wo wir
zu viel gemacht haben, was nicht zur Finanzstabilität
geführt hat, sondern Bürokratie erzeugt hat und somit
kundenunfreundlich und bankenunfreundlich ist . Wenn
etwas bankenunfreundlich ist, meine Damen und Herren,
dann kann es auch kundenunfreundlich sein .

Hier bin ich beim nächsten Gesetz, das wir entspre-
chend überprüfen – Kollege Hauer ist sehr intensiv da-
rauf eingegangen –: die Umsetzung der Wohnimmo-
bilienkreditrichtlinie . Wir sind hier mit der Situation
konfrontiert, dass entsprechende Gesetze unklar sind und
dass aufgrund dessen, dass unklar ist, wie in einigen Jah-
ren die Rechtsprechung sein wird, die Marktteilnehmer
bereits heute entsprechend reagieren . Das richte ich ins-
besondere an Minister Maas und seinen Staatssekretär,
die intensiv zuhören . Schauen wir uns im Bankenbereich
die Rechtsprechung bei den AGBs bezüglich der Zinsen
an . Nicht die armen schützenswerten Verbraucher, son-
dern hochfindige Juristen haben herausgebracht, wie ich
rückwirkend aus meinem Darlehensvertrag durch Kün-






(A) (C)



(B) (D)


digen herauskommen und die jetzt interessanten Zinsen
bekommen kann . Wir, der Gesetzgeber, müssen heute
konkret arbeiten, um nicht eine Verselbstständigung nach
fünf oder zehn Jahren durch die Rechtsprechung zuzulas-
sen . Das ist der Anspruch an ein solches Gesetz .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: Nicht unbestimmt!)


Darum werden wir dieses Gesetz intensiv beraten .
Noch einmal: Wir sagen schlicht und ergreifend: Es darf
keinen Blankoscheck an die BaFin durch das Parlament
geben . Wir müssen die Regulierung entsprechend kon-
trollieren . Das erwarten wir durch die Expertise der An-
hörung und durch eine kritische Beratung .

Besten Dank, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr . Axel Troost [DIE LINKE], an den Abg . Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] gewandt: Jetzt hast du es herausgehört!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821507300

Vielen Dank, Kollege Radwan . – Damit schließe ich

die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/10935 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . – Ich sehe
und höre keine anderen Vorschläge . Dann ist das so be-
schlossen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja
Keul, Renate Künast, Uwe Kekeritz, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Zukunftsfähige Unternehmensverantwor­
tung – Wirksame Sanktionen bei Rechtsver­
stößen von Unternehmen

Drucksache 18/10038

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe
Kekeritz, Katja Keul, Renate Künast, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Zukunftsfähige Unternehmensverantwor­
tung – Menschenrechtliche Sorgfaltspflichten
im deutschen Recht verankern

Drucksache 18/10255

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Auch da höre
ich keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Wenn Sie die Plätze getauscht oder eingenommen ha-
ben, kann ich die Aussprache eröffnen .

Ich eröffne die Aussprache und gebe als erster Red-
nerin Katja Keul für Bündnis 90/Die Grünen das Wort .


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821507400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Es geht heute um die Verantwortung von
Unternehmen, um verbindliche Sorgfaltspflichten, um
soziale und ökologische Leitlinien für Wirtschaftsbetrie-
be. Es geht aber nicht nur darum, diese Pflichten zu nor-
mieren, sondern auch darum, wie damit umzugehen ist,
wenn Unternehmen sich nicht daran halten . Sowohl zur
Normierung internationaler Standards als auch zur Frage
der Sanktionen nach deutschem Recht haben wir heute
jeweils eine grüne Initiative aufgesetzt, die wir mit Ih-
nen debattieren wollen . Zu den internationalen Standards
wird mein Kollege Kekeritz anschließend sprechen .

Zunächst zur deutschen Rechtslage . Warum müssen
wir über Sanktionen sprechen? Viele deutsche Unterneh-
men bemühen sich heute bereits, gesetzestreu zu wirt-
schaften und Umwelt- und Sozialstandards einzuhalten .
Umso wichtiger ist es aber, solche Unternehmen, die ge-
gen die Rechtsordnung verstoßen, zur Verantwortung zu
ziehen . Denn diese Unternehmen verzerren den Wettbe-
werb und schaden den Unternehmen, die sich rechtstreu
verhalten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Niema Movassat [DIE LINKE])


Nur wenn Rechtsverstöße konsequent verfolgt und effek-
tiv geahndet werden, können Sanktionen auch präventive
Wirkung entfalten .

Der VW-Skandal hat es uns noch einmal vor Augen
geführt: Unternehmen werden für Rechtsverstöße in an-
deren Ländern durchaus härter sanktioniert, als es bei uns
in Deutschland der Fall ist . In den USA läuft das vielfach
über einen Strafschadensersatz, der unserer Rechtsord-
nung fremd ist . Seit Jahren gibt es daher eine Diskus-
sion um ein sogenanntes Unternehmensstrafrecht oder
Verbandsstrafrecht für Deutschland . Konkrete Entwürfe
konnten allerdings bislang nicht überzeugen .

Ich halte es auch für wenig aussichtsreich, die Nor-
men unseres Strafgesetzbuches, das auf die individuelle
Schuld eines Menschen ausgerichtet ist, auf juristische
Personen zu übertragen . Im Gegenteil: Konzerne würden
als Beschuldigte in einem Strafverfahren Schutzrechte
wie das Schweigerecht und das Recht, sich nicht selbst
zu belasten, erhalten . Das kann nicht sein . Ein Schwei-
gerecht für Wirtschaftsunternehmen darf es schon rein
denklogisch nicht geben . Dadurch würde man die Un-
ternehmen nämlich von sämtlichen Aufklärungs- und
Mitwirkungspflichten entbinden, und Ermittlungsmaß-
nahmen würden dadurch erschwert .

Deswegen wollen wir Grüne einen anderen Weg ge-
hen . Basis für eine wirksame und effektive Sanktionie-
rung von Unternehmen soll weiterhin das Gesetz über
Ordnungswidrigkeiten sein, auch wenn der Name dieses
Gesetzes zu Unrecht suggeriert, dass hier nur Lappalien
erfasst wären . Das OWi-Gesetz hat nämlich den Vorteil,
dass der Staat nicht erst die individuelle Schuld einer
Person ermitteln muss, um Sanktionen zu verhängen; es
reicht, dass der Schaden nachweisbar aus dem Unterneh-
men heraus verursacht wurde .

Alexander Radwan






(A) (C)



(B) (D)


Auf der anderen Seite haben die Vorschriften im
OWi-Gesetz etliche Schwachstellen, die dringend beho-
ben werden müssen, um eine effektive Rechtsdurchset-
zung sicherzustellen .

Da ist zum einen das Legalitätsprinzip, das im Straf-
recht gilt und bedeutet, dass der Staat kein Ermessen hat,
sondern ermitteln muss, wenn er von einer Straftat er-
fährt. Diese Ermittlungspflicht muss künftig auch gegen-
über juristischen Personen gelten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Verfolgung von Rechtsverstößen durch Unterneh-
men muss für die Behörden verpflichtend sein und darf
nicht – anders als bislang im OWiG – in ihrem Ermessen
stehen .

Zum Zweiten muss die Möglichkeit geschaffen wer-
den, Auslandstaten zu verfolgen, wenn diese durch ein in
Deutschland ansässiges Unternehmen begangen wurden .
Im deutschen Ordnungswidrigkeitenrecht fehlt dieser in-
ternationale Bezug bislang .

Zum Dritten sind die im Strafrecht vorgesehenen Sank-
tionsmöglichkeiten für Unternehmen ungeeignet bzw . zu
eng . So scheidet eine Freiheitsstrafe für Konzerne schon
denklogisch aus . Den Sanktionskatalog wollen wir da-
her erweitern . Das kann etwa durch den Ausschluss von
der Vergabe von öffentlichen Aufträgen, durch Verweise
oder Warnungen oder auch durch die Veröffentlichung
von Sanktionen geschehen .

Die Deckelung der finanziellen Sanktionen bei 10 Mil-
lionen Euro ist zu starr und niedrig . Die Sanktionen sol-
len sich künftig auch der Höhe nach an dem durch die
Tat erlangten unrechtmäßigen Gewinn orientieren . Ein
Beispiel: Rheinmetall hat im Jahr 2013 wegen Schmier-
geldzahlungen einen unrechtmäßigen Gewinn in Höhe
von 36 Millionen Euro abführen müssen, aber dazu eine
Geldstrafe von nur 300 000 Euro gezahlt . Diese Schief-
lage zwischen Risiko und Gewinn ist geradezu eine Auf-
forderung, es darauf ankommen zu lassen, und das kann
nicht sein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bei der Berechnung des unrechtmäßig erlangten Ge-
winns soll künftig außerdem das Bruttoprinzip gelten,
das heißt, dass das Unternehmen keine Betriebsausgaben
in Abzug bringen darf, die zur Erlangung des unrechtmä-
ßigen Gewinns aufgewandt wurden .

Sie sehen: Es gibt viel zu tun . Als Exportnation ha-
ben wir letztlich ein existenzielles Interesse daran, das
Vertrauen in deutsche Wirtschaftsunternehmen und deren
Rechtstreue zu stärken . Und nur zur Erinnerung: In Ih-
rem Koalitionsvertrag von 2013 steht:

Mit Blick auf strafbares Verhalten im Unterneh-
mensbereich bauen wir das Ordnungswidrigkeiten-
recht aus .

Bislang haben wir dazu von Ihnen nichts gesehen und
nichts gehört . Jetzt können Sie immerhin unsere Vor-
schläge mit uns diskutieren . Ich freue mich darauf .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821507500

Vielen Dank, Katja Keul . – Nächster Redner: Dr . Jan-

Marco Luczak für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Jan-Marco Luczak (CDU):
Rede ID: ID1821507600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Unternehmen müssen sich an Regeln halten .
Recht und Gesetz sind für jedermann verbindlich, auch
für Unternehmen . Das ist selbstverständlich . Genauso
selbstverständlich ist es, dass Regelverstöße sanktioniert
werden müssen .

Eine Rechtsordnung, die die durch sie eingeräumten
Rechte und Pflichten nicht effektiv durchzusetzen ver-
mag, entwertet sich selbst . Eine Rechtsordnung bedarf
daher eines effektiven Sanktionsinstrumentariums, um
ihre Akzeptanz gerade bei denjenigen aufrechtzuerhalten,
die sich rechtstreu verhalten . Deswegen ist die Verteidi-
gung unserer Rechtsordnung – dem fühlt sich die Union
als Rechtsstaatspartei in besonderer Weise verpflichtet –
ganz in unserem Sinne, und das gilt in allen Bereichen
der Gesellschaft, auch im Bereich der Wirtschaft . Wir ha-
ben deswegen im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir
ein Unternehmensstrafrecht für multinationale Konzerne
prüfen .

Ich will aber gar nicht verhehlen, dass ich persönlich –
hier schließt sich dann auch wieder der Kreis zum Antrag
der Grünen – einem eigenen Unternehmensstrafrecht
skeptisch gegenüberstehe, und das aus sehr grundsätz-
lichen Erwägungen heraus . Es entspricht nämlich dem
Menschenbild nicht nur unseres Strafgesetzbuches, son-
dern vor allen Dingen auch dem Menschenbild unseres
Grundgesetzes, dass die Sanktionierung eines Verhaltens
als strafbare Handlung persönliche Verantwortung und
individuelle Schuld voraussetzt .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist in § 17 unseres Strafgesetzbuches als grundle-
gendes strafrechtliches und auch verfassungsrechtliches
Prinzip manifestiert .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir uns einig!)


Ohne zweifelsfrei nachgewiesene individuelle Schuld
gibt es keine Strafbarkeit . Eine Verbandsstrafbarkeit er-
scheint mir mit diesem grundlegenden Prinzip nur sehr
schwer vereinbar zu sein .

Ich will mich aber gar nicht so sehr mit unserem Koa-
litionsvertrag aufhalten, sonst könnte man auch die Frage
aufwerfen: Was sind eigentlich multinationale Konzer-
ne? Kann man das mit Blick auf das verfassungsrecht-
liche Bestimmtheitsgebot hinreichend präzise regeln?
Wieso wäre es eigentlich gerechtfertigt, kleine Unterneh-
men gegenüber großen, nämlich multinationalen Kon-
zernen, zu privilegieren? Sie sehen, meine Damen und
Herren, hier werden viele Zweifel aufgeworfen, Zweifel,

Katja Keul






(A) (C)



(B) (D)


die auch das Bundesjustizministerium zu haben scheint,
das bis zum heutigen Tage prüft und prüft und prüft, aber
noch immer keinen Gesetzentwurf vorgelegt hat . Aus
meiner Sicht kann das gerne auch so bleiben .

Kommen wir zum Antrag der Grünen, der alle Tatbe-
stände zur Sanktionierung von Unternehmen in einem
Gesetz zusammenfassen und die Regelungen deutlich
verschärfen möchte . Was ist also der Grundgedanke die-
ses Antrags? Zum einen wird behauptet, es gebe einen
systematischen Rechtsbruch von Unternehmen .


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, na, na! Haben Sie nicht zugehört?)


Zum anderen wird in dem Antrag behauptet, dass es De-
fizite bei der Ahndung von Regelverstößen gibt. Beides
muss natürlich verifiziert werden, wenn der Antrag der
Grünen seine Berechtigung haben will .

Kommen wir zum systematischen Rechtsbruch, der
hier unterstellt wird . Ich muss schon sagen: Natürlich
gibt es schwarze Schafe in der deutschen Wirtschaft,
natürlich gibt es Unternehmen, die Rechtsverstöße be-
gehen, und da muss man auch ganz klar handeln . Aber
hier von systematischem Rechtsbruch zu sprechen, das
geht an der Wirklichkeit vorbei . Damit nehmen Sie die
gesamte deutsche Wirtschaft und die vielen kleinen und
mittelständischen Unternehmen, die rechtschaffen sind,
die hart und innovativ arbeiten und auf diese Weise oft
auch Weltmarktführer geworden sind, in Haftung .


(Niema Movassat [DIE LINKE]: So ein Unsinn! Nur schwarze Schafe wären von dem Gesetz betroffen!)


Deswegen sagen wir: Solche unberechtigten Vorwürfe
gehen zu weit . Wir wollen nicht alle Unternehmen in
Kollektivhaftung nehmen, sondern nur diejenigen, die
sich wirklich etwas zuschulden kommen lassen . Die
müssen wir dann entsprechend angehen, meine Damen
und Herren .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist genau das, was ich gesagt habe!)


Sie sagen weiter, dass es Defizite bei der Ahndung
gibt . Wenn ich mir so anschaue, was unsere Rechtsord-
nung unseren Unternehmen so an Pflichtenkatalogen auf-
bürdet, dann kann ich eigentlich nicht erkennen, dass es
zu wenige Pflichten gibt. Ich kann auch nicht erkennen,
dass es zu wenige Sanktionstatbestände gibt . Denn wir
reden hier ja nicht nur über den Bereich des Straf- und
Ordnungswidrigkeitenrechts, sondern es gibt die vielen
spezialgesetzlichen Regelungen des besonderen Verwal-
tungsrechts, des Umweltrechts, des Handelsgesetzbuchs,
des Aktienrechts, des Marken- und Patentrechts, des
Kreditwesengesetzes, der Börsenaufsichtsgesetze, des
Gesetzes über den unlauteren Wettbewerb, die kartell-
rechtlichen Normen des BGB . Die Liste ließe sich fast
unendlich fortsetzen .

Deswegen muss man einfach feststellen: Es gibt aus-
gefeilte Pflichtenkataloge, und es gibt die entsprechen-
den behördlichen Eingriffsbefugnisse, und diese werden
auch konsequent angewandt . Deswegen: Damit, Lücken

und Defizite in den Antrag zu schreiben, ohne sie zu bele-
gen, machen Sie es sich ein bisschen zu einfach .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht doch sogar in Ihrem Koalitionsvertrag!)


Sie bleiben, ohne hier eine fundierte Analyse vorzu-
nehmen, dabei, dass das alles nicht effektiv sei und man
all die Regelungen, die die Sanktionierung von Unter-
nehmen betreffen, in einem Gesetz bündeln müsste . Das
scheint auf den ersten Blick auch ein gewinnbringender
Gedanke zu sein . Man hat ein einziges Gesetz . Darin
kann der Unternehmer nachschlagen, welche gesetzli-
chen Pflichten ihn treffen und wie eine Sanktionierung
gegebenenfalls aussähe .

Ich bin grundsätzlich auch ein Freund umfassender
Kodifizierungen. Bereits seit der Einheit haben wir zum
Beispiel den gesetzgeberischen Auftrag, ein einheitliches
Arbeitsgesetzbuch zu schaffen . Wir haben in unserem
Koalitionsvertrag auch festgelegt, dass wir ein Staatshaf-
tungsrecht kodifizieren wollen. Aber da muss man dann
schon genau hinschauen . Bei der Zusammenfassung und
der Schaffung einer konsequenten, in sich kohärenten
Regelung steckt nämlich häufig der Teufel im Detail. Ge-
rade im Bereich der Pflichtenkataloge von Unternehmen
sind es die spezifischen Pflichten, die einzuhalten sind,
und die sind je nach Branche und Tätigkeitsfeld ja ganz
verschieden . Deswegen gibt es diese vielen Spezialge-
setze, von denen ich gerade einige aufgezählt habe . Sie
verfolgen allesamt einen eigenen fachspezifischen Rege-
lungszweck, haben eine eigene Ratio Legis . Sie haben
eine eigene auf Sinn und Zweck der Materie abgestimm-
te Systematik, und sie berücksichtigen die Besonderhei-
ten der jeweiligen Märkte und Tätigkeitsfelder .

Sie von den Grünen aber sagen: Wir müssen all die
Sanktionen regeln, die sich in den verschiedenen Spe-
zialgesetzen befinden, und sie in einem Gesetz zusam-
menführen . Aber – und das ist das Bemerkenswerte – die
Strukturen der besonderen spezialgesetzlichen Regelun-
gen sollen ansonsten unberührt bleiben . Das bedeutet im
Kern: Wir haben die Sanktionsregelungen in dem einen
Gesetz, die jeweiligen Pflichten aber in einem ande-
ren . Da muss man sich schon fragen: Wie soll das denn
funktionieren? Gehalt, Reichweite und Auslegung eines
Sanktionstatbestandes erschließen sich doch gerade mit
Blick auf diese fachspezifischen Regelungszusammen-
hänge, die Gesetzessystematik und die Ratio Legis der
jeweiligen Pflichtenkataloge. Wenn ich also den inneren
Zusammenhang, der zwischen Pflicht auf der einen Seite
und Sanktion auf der anderen Seite besteht, auseinander-
reiße und in zwei verschiedenen Gesetzen regele, geht
der gesamte systematische und teleologische Zusammen-
hang verloren . Deswegen ist der Vorschlag, den Sie uns
hier präsentieren, gesetzessystematisch völlig verfehlt .
Er würde zu einer enormen Rechtsunsicherheit führen,
und deswegen können wir ihn nicht mittragen, meine Da-
men und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die bisherige Rechtslage!)


Dr. Jan­Marco Luczak






(A) (C)



(B) (D)


Schon der Ansatz des Antrags ist fragwürdig . Aber
schauen wir einmal auf die uns vorgeschlagenen konkre-
ten Dinge . Zum Beispiel wird hier die Schaffung eines
öffentlichen Sanktionenregisters vorgeschlagen . Ich hatte
immer gedacht, seit der Peinlichen Halsgerichtsordnung
Kaiser Karl V . 1532 sei der Pranger abgeschafft worden,
und muss nun zur Kenntnis nehmen, die Grünen wollen
an dieser Stelle offensichtlich zurück ins Mittelalter .


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Während das noch mit einem Schmunzeln hingenommen
werden könnte, so stellt man bei Betrachtung der anderen
dort vorgeschlagenen Maßnahmen – zum Beispiel der
Strukturmaßnahmen als Strafe – fest, dass dort gemeint
ist, dass man Unternehmen zerschlagen, sie unter staat-
liche Kuratel stellen und einen Staatskommissar einset-
zen kann, und zwar nicht nur für einzelne Unternehmen,
sondern ganze Unternehmenszweige . Damit bewegt man
sich auf dem direkten Weg in eine staatlich beaufsichtigte
und gelenkte Volkswirtschaft . Das ist nun wirklich Sozia-
lismus pur, und das können wir nicht mitmachen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da kommt der Kommunismus gleich hinterher! Das ist der Weltuntergang! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Luczak, wer hat Ihnen das aufgeschrieben?)


Da muss man sich auch einmal fragen: Wen träfe denn
eigentlich die Zerschlagung eines solchen Unterneh-
mens? Die Leidtragenden wären tatsächlich die Arbeit-
nehmer und die Kunden des Unternehmens . Die haben
doch aber mit dem Fehlverhalten der aufsichtführenden
Personen eines Unternehmens überhaupt nichts zu tun .
Nein, mit diesen Vorschlägen treffen Sie wirklich die
Falschen, und das stünde auch wieder nicht im Einklang
mit einem materiell-rechtlich verstandenen Schuldprin-
zip .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie kommen doch von einer christlichen Partei! Was reden Sie da!)


Deswegen können wir das an dieser Stelle nicht mitma-
chen, meine Damen und Herren .

Richtig ist: Wir müssen uns das Ordnungswidrigkei-
tenrecht anschauen und können auch darüber nachden-
ken, ob es geschärft werden muss . Wir haben da in den
letzten Jahren auch einiges gemacht . Erst 2013 haben
wir die möglichen Strafen verzehnfacht, von 1 Million
auf 10 Millionen Euro . Das ist schon mal was . Aber na-
türlich muss man schauen, ob diese Sanktionen effektiv
sind . Man kann darüber nachdenken, sie noch weiter zu
verschärfen .

Was ich nicht verstehen kann, ist Ihre Kritik, es gäbe
keinen Verfolgungszwang im Ordnungswidrigkeiten-
recht . Es ist zwar richtig, dass das Ordnungswidrigkei-
tenrecht dem Opportunitätsprinzip folgt, aber man muss
sich das natürlich genau anschauen . Bei den Konstella-
tionen, über die wir hier gerade reden, also bei großen

Schäden und einem schwerwiegenden Fehlverhalten, ist
es so, dass sich das Verfolgungsermessen der Behörden
regelmäßig auf null reduziert . Das heißt, das Opportuni-
tätsprinzip weicht in der Sache einem Legalitätsprinzip .
Das heißt, die Behörden müssen einschreiten . Deswegen
gibt es an dieser Stelle aus unserer Sicht auch keinen
Handlungsbedarf .

Man kann sich aber Folgendes wirklich einmal an-
schauen: Momentan liegt die Zuständigkeit in aller Regel
bei den Amtsgerichten . Da wir von erheblichen Schäden
und komplexen wirtschaftlichen Zusammenhängen spre-
chen, kann man überlegen: Sind die Amtsgerichte damit
möglicherweise sachlich und personell überfordert? Man
kann darüber nachdenken, ob es nicht sinnvoll wäre, die-
se Zuständigkeit den Wirtschaftsstrafkammern bei den
Landgerichten zu übertragen . Es gibt viele Punkte, über
die man nachdenken kann, um die Sanktionsmechanis-
men effektiv zu machen .

Abschließen möchte ich mit einer Bemerkung: Sie
setzen sehr stark auf die Abschreckungswirkung von
Sanktionen . Sie schreiben, dass sie einen starken präven-
tiven Effekt haben und zu rechtstreuem Verhalten füh-
ren sollen . Diese Argumentation wundert mich schon ein
bisschen; denn wenn wir sagen, wir wollen das Strafrecht
zum Beispiel im Bereich der Terrorismusbekämpfung
verschärfen, lehnen Sie diese Argumentation mit aller-
größter Vehemenz ab .


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil bestehendes Recht nicht angewandt wird! Das ist doch das Problem!)


Hier tun sich massive Widersprüche in Ihrer Argumenta-
tion auf . Aber man sagt ja: Einsicht ist der erste Schritt
zur Besserung . Wir werden Sie daran erinnern .

Heute jedenfalls werden wir Ihren Antrag ablehnen,
weil er im Ansatz verfehlt ist und viele Maßnahmen
vorgeschlagen werden, die die Falschen treffen würden,
die nicht zielführend sind . Deswegen können wir das so
nicht mittragen .

Danke .


(Beifall bei der CDU/CSU – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war jetzt wenig überzeugend!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821507700

Vielen Dank, Herr Kollege . – Nächster Redner: Niema

Movassat für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Niema Movassat (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821507800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als ich

2009 in den Bundestag einzog, baute ThyssenKrupp in
der Bucht von Sepetiba, in Brasilien, gerade das größte
Stahlwerk Lateinamerikas . Damals berichtete ein brasi-
lianischer Fischer hier im Bundestag, wie durch diesen
Bau die Lebensgrundlagen Tausender Fischerfamilien
zerstört wurden . Er selbst erhielt vom Wachschutz von
ThyssenKrupp sogar Morddrohungen, weil er den Kon-
zern öffentlich kritisierte . Er wurde unter den Schutz

Dr. Jan­Marco Luczak






(A) (C)



(B) (D)


des staatlichen Menschenrechtsprogramms gestellt und
musste untertauchen . Das ist ein schockierendes Beispiel
dafür, wie ein deutsches Unternehmen im Ausland Men-
schenrechte mit Füßen trat . Die Politik hier in Deutsch-
land muss alles tun, um solche Menschenrechtsverstöße
zu verhindern .


(Beifall bei der LINKEN)


Acht Jahre sind seitdem vergangen . Das Stahlwerk
war ein wirtschaftliches Desaster für ThyssenKrupp .
Aber das Unternehmen hat sich davon weitgehend erholt .
Die Existenz der Fischer dort bleibt aber zerstört . Der
Fall hätte eigentlich Mahnung sein müssen . Aber auch
heute noch missachten deutsche Konzerne Menschen-
rechte im Ausland . Laut einer Studie der Uni Maastricht
belegen sie bei Menschenrechtsverstößen weltweit sogar
Rang fünf .

Obwohl der Bundestag gefühlt schon hundertmal über
das Thema Unternehmensverantwortung diskutiert hat,
ist praktisch nichts passiert. Ich finde, es ist ein Skandal,
dass diese Bundesregierung immer noch wegschaut bei
Menschenrechtsverstößen deutscher Konzerne .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Schon damals, 2009, war eigentlich klar, was passie-
ren musste, nämlich die Festschreibung sozialer und öko-
logischer Mindeststandards, die verbindlich sind für die
Tätigkeit deutscher Unternehmen im Ausland . Die De-
batte hat sich seitdem im Grundsatz nicht geändert . Die
Bundesregierung setzte und setzt auf freiwillige Selbst-
verpflichtungen der Unternehmen. Aber Menschenrech-
te und Mindeststandards gehören nicht dem Gutdünken
der Konzerne überlassen . Sie müssten gesetzlich festge-
schrieben sein .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Irrsinn ist doch sonst, dass diejenigen Konzerne,
die sich freiwillig höhere Standards setzen, einen Wettbe-
werbsnachteil haben gegenüber denjenigen Konzernen,
die darauf pfeifen . Menschenrechtswidriges Handeln als
möglicher Wettbewerbsvorteil – das nimmt die Bundes-
regierung in Kauf. Ich finde das unerträglich.


(Beifall bei der LINKEN)


Jetzt sagt die Bundesregierung natürlich, sie habe ja
was getan . Zum einen hat Entwicklungsminister Müller
nach dem Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bang-
ladesch 2013, bei der über 1 100 Menschen starben, das
Textilbündnis ausgerufen . Zum anderen fand unter Lei-
tung des Auswärtigen Amtes die Erarbeitung des Nati-
onalen Aktionsplans „Wirtschaft und Menschenrechte“
statt . Beide Initiativen enthalten viele schöne Absichts-
erklärungen, aber die ergriffenen Maßnahmen sind nur
Augenwischerei und bestehen aus vielen Feigenblättern .

Schauen wir uns einmal die Ergebnisse des Nationalen
Aktionsplans an . Schon 2011 hatten die Vereinten Natio-
nen in ihren Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrech-
te gefordert, dass Unternehmen Menschenrechtsverstöße
in der gesamten Wertschöpfungskette ausschließen sol-
len . Die Mitgliedstaaten der UN, also auch Deutschland,

sollten nationale Aktionspläne erarbeiten . Drei Jahre lang
passierte in Deutschland erst einmal gar nichts . Erst 2014
fing man hierzulande an, einen Prozess zur Erstellung des
Aktionsplans zu starten; besonders eilig hatte man es also
nicht .

Es dauerte dann fast noch drei Jahre, bis wir ein Ergeb-
nis hatten . Seit diesem Jahr haben wir zwar endlich einen
Aktionsplan, aber er ist leider kaum das Papier wert, auf
dem er steht . So heißt es darin, dass die Bundesregierung
erwartet, dass 50 Prozent der deutschen Unternehmen
mit über 500 Mitarbeitern bis 2020 menschenrechtliche
Sorgfaltspflichten walten lassen – nur eine Erwartung,
keine Verpflichtung, keinerlei Sanktionsandrohung bei
Missachtung .

Richtig wäre, zu sagen: Ab sofort müssen alle deut-
schen Unternehmen, die im Ausland produzieren oder
produzieren lassen, sorgfältig prüfen, ob sie damit die
örtliche Umwelt ungebührend zerstören oder die ansäs-
sige Bevölkerung vertreiben . – Das ist doch nicht zu viel
verlangt .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christoph Strässer [SPD]: Steht im Nationalen Aktionsplan drin!)


Sie von der Bundesregierung wollen aber lieber bis
2020 abwarten, um zu schauen, ob Sie dann endlich et-
was tun . Bis 2020 werden neun Jahre vergangen sein,
seit die UN ihre Leitlinien verabschiedet haben – neun
Jahre, in denen Unternehmen problemlos weitermachen
konnten bzw . können wie bisher . Sie von der Regierung
haben noch nicht einmal finanzielle Mittel zur Verfü-
gung gestellt, um 2020 überhaupt eine Prüfung vorneh-
men zu können, ob die Unternehmen Ihre Erwartungen
erfüllt haben . Ich gehe jede Wette ein: Selbst wenn die
Unternehmen Sie mit Ihren Erwartungen im Regen ste-
hen lassen, werden Sie auch 2020 keine gesetzlichen
Verpflichtungen auf den Weg bringen. Haben Sie doch
einmal wenigstens das Rückgrat, und geben Sie zu, dass
Verpflichtungen für die Wirtschaft für Sie aus wirtschaft-
lichen Interessen offenbar nicht infrage kommen . Sie
von der Bundesregierung spielen gemeinsam mit Wirt-
schaftsvertretern auf Zeit, und das ist eine Schande .


(Beifall bei der LINKEN)


Und das Textilbündnis? Der Modeverband German-
Fashion rühmte sich letztes Jahr damit, alle problemati-
schen Punkte aus dem Bündnis rausverhandelt zu haben;
es gebe keine Verbindlichkeit mehr . Der Modeverband
empfahl seinen Mitgliedern, beizutreten; denn sie begä-
ben sich damit unter den Schutzschirm der Bundesregie-
rung, ohne etwas leisten zu müssen . Diese Aussage lässt
tief blicken . Das Textilbündnis ist völlig unambitioniert .
Es geht um Greenwashing, um gute öffentliche Wahrneh-
mung für die Textilkonzerne . Die deutschen Textilunter-
nehmen, die Mitglied des Bündnisses geworden sind,
dürfen sich jetzt freiwillig individuelle Verbesserungen
aussuchen, die sie innerhalb von einem Jahr erreichen
wollen . Es gibt also keine festen Regeln für alle, sondern
jeder macht, was er will .

Unternehmen wie KiK und Primark sind maßgeb-
lich verantwortlich für die Preisdrückerei in der Textil-

Niema Movassat






(A) (C)



(B) (D)


branche. Weil sie nicht bereit sind, auf etwas Profit zu
verzichten, schuften die Menschen unter sklavenartigen
Bedingungen .


(Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Die Verbraucher, die es kaufen!)


Die KiK-Manager haben in den vergangenen Jahren zig-
fach bewiesen, dass ihnen die Situation in den Fabriken
völlig egal ist . Jetzt sollen sie freiwillig nur das verbes-
sern, was sie wollen, und wenn sie dann vielleicht so
doof sind, ihre eigenen Ziele nicht einzuhalten, fliegen
sie als Höchststrafe aus dem Textilbündnis? Das ist doch
ein schlechter Witz . So wird nichts besser für die Nähe-
rinnen in Bangladesch . Das ist totale Augenwischerei,
was Sie hier betreiben .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dass einem privatwirtschaftlich organisierten Kon-
zern der Profit wichtiger ist als Menschenrechte, liegt am
kapitalistischen Wirtschaftssystem . Gerade deshalb ist
es originäre Aufgabe der Politik, hier regulierend einzu-
greifen . Statt aber ihrer Verantwortung nachzukommen,
ordnen SPD und Union die Durchsetzung von Men-
schenrechten lieber den Profitinteressen deutscher Un-
ternehmen unter . Sie versuchen sogar, so zu tun, als ob
am Ende die Verbraucher die eigentlich Verantwortlichen
wären. Das ist ein besonders perfider Trick.


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jawohl!)


Denn mittlerweile gibt es Hunderte Siegel für alles Mög-
liche in Deutschland . Kein Mensch kann da durchbli-
cken. Die Informationen sind zudem häufig nicht einmal
nachprüfbar . Sie könnten diesen Siegelwahnsinn mit ei-
nem Schlag beenden, indem Sie allgemeingültige Regeln
für alle Unternehmen und alle Produkte schaffen .


(Christoph Strässer [SPD]: Genau!)


Also, wenn Sie es ernst meinen, könnten Sie sofort
handeln . Sie könnten ein Unternehmensstrafrecht ein-
führen, Unternehmen verpflichten, ihre Lieferketten
transparent zu machen, und klare Sorgfaltspflichten für
Konzerne gesetzlich verankern . Wir sollten hier nicht
noch hundert Debatten zu diesem Thema führen; denn
Lösungen liegen vor, zum Beispiel in den Anträgen der
Grünen heute und dem Antrag von uns Linken aus 2015 .

Handeln Sie endlich! Sorgen Sie dafür, dass Unterneh-
men, die Menschenrechte verletzen, zur Rechenschaft
gezogen werden!

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821507900

Vielen Dank, Kollege Movassat . – Nächster Redner:

Dr . Johannes Fechner für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Johannes Fechner (SPD):
Rede ID: ID1821508000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Nicht zuletzt der
VW-Skandal hat uns deutlich vor Augen geführt, dass
wir in Deutschland schärfere Sanktionen benötigen, um
Unternehmen dazu zu bringen, sich gesetzestreu zu ver-
halten . Schon im Koalitionsvertrag haben wir deshalb
entsprechend geregelt, dass wir das Ordnungswidrig-
keitenrecht ausbauen wollen und dass wir konkrete und
nachvollziehbare Zumessungsregeln für Unternehmens-
bußen benötigen; denn offensichtlich reicht die heutige
Rechtslage, reicht das Sanktionsinstrumentarium nicht
aus . Wir können zwar die Täter bestrafen, die in Unter-
nehmen tätig sind und strafbare Handlungen begehen;
aber wir können nicht gegen das Unternehmen selbst
vorgehen . Gerade der VW-Skandal hat uns gezeigt, dass
insbesondere Verbraucherinnen und Verbraucher auf ei-
nen solchen Schutz durch spürbare Geldsanktionen an-
gewiesen sind, etwa in den USA, liebe Kolleginnen und
Kollegen .


(Beifall bei der SPD)


In Deutschland diskutieren wir seit Jahrzehnten härte-
re Sanktionen . In anderen Ländern, etwa in der Schweiz
oder in Holland, gibt es sie bereits. Ich finde, dass wir,
auch wenn wir heute eine Unternehmenskriminalität ha-
ben, nicht alle Unternehmen unter einen Generalverdacht
stellen dürfen – auf keinen Fall, lieber Marco Luczak –;
aber dass es dort eben auch schwarze Schafe gibt, das
ist Realität . Deswegen muss die Antwort eines starken
Staates sein, hierfür Sanktionen gesetzlich zu regeln, die
für die Unternehmen spürbar sind, liebe Kolleginnen und
Kollegen .


(Beifall bei der SPD)


Ich finde, es liegt gerade auch im Interesse der Un-
ternehmen, dass sich Mitbewerber eben keinen illegalen
Wettbewerbsvorteil verschaffen, indem sie eben durch
Gesetzesverstöße billiger produzieren können, indem sie
etwa Aufträge durch Korruption bekommen . Genau das
wollen wir verhindern . Genau das ist im Sinne der Wirt-
schaft und insbesondere des Mittelstandes: dass diejeni-
gen, die betrügen, eben keinen Wettbewerbsvorteil haben
und sie dadurch keine Gewinne einfahren, sondern dass
der Ehrliche eben nicht der Dumme ist . Das gilt auch in
diesem Bereich, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der SPD – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen stimmen Sie den Grünen zu!)


Deswegen reicht der Bußgeldrahmen, wie wir ihn
heute im Ordnungswidrigkeitengesetz haben – dort gibt
es eine Höchstgrenze von 10 Millionen Euro –, nicht aus .
Das ist viel zu wenig, wenn wir uns anschauen, wie vie-
le Millionen – ein Vielfaches von diesen 10 Millionen –
etwa bei dem prominenten Fall in München durch eine
kriminelle Handlung an Gewinn eingefahren wurden .
Deswegen müssen wir diesen Rahmen von 10 Millionen
Euro deutlich erhöhen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Niema Movassat






(A) (C)



(B) (D)


Auch ich finde, wir müssen das Opportunitätsprinzip,
das wir im Ordnungswidrigkeitenrecht haben, einschrän-
ken; denn ansonsten haben wir das Risiko, dass von
Landgerichtsbezirk zu Landgerichtsbezirk unterschiedli-
che Sanktionen drohen .


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das haben wir alles gesagt!)


Ich bin auch der Meinung, dass wir klare Regeln da-
für finden müssen, dass die Geldbußen an der Ertrags-
kraft eines Unternehmens orientiert sein müssen, sodass
kein Unternehmen einfach aus der Portokasse eine kleine
Geldbuße bezahlt und anschließend das illegale Handeln
fortgesetzt wird. Nein, auch hier, finde ich, müssen wir
eingreifen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich würde noch weiter gehen . Ich meine, der nord-
rhein-westfälische Justizminister Thomas Kutschaty
hat auch zu diesem Thema einen sehr interessanten Vor-
schlag gemacht, einen interessanten Gesetzentwurf vor-
gelegt, übrigens ausformuliert, anders als die Grünen .


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Der Gesetzentwurf ist aber nicht gut! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der ist aber durchgefallen!)


– Von euch haben wir einmal mehr nur ein Sammelsuri-
um von Fragen .

Der Vorschlag von Kutschaty ist, kriminelle Unter-
nehmen von öffentlichen Vergaben auszuschließen oder
für solche Unternehmen Subventionen auszuschließen .
Auch diese Sanktionen halte ich für sinnvoll, und genau
diesen Weg sollten wir gehen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann gehen Sie ihn doch!)


Zu dem Antrag der Grünen zu den Sanktionen: Daran
stört mich schon einmal, dass Sie keinen konkreten Vor-
schlag machen, wie Sie die Dinge im Gesetz formulieren
wollen . Vielmehr kommt einmal mehr ein langer Forde-
rungskatalog mit recht unbestimmten Fragen, die im Üb-
rigen teilweise unnötig sind, weil die Bundesregierung
schon Gesetzesvorschläge dazu vorbereitet hat .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben ja auch keinen geschrieben! Wo ist denn Ihr Gesetzentwurf?)


Zum Beispiel ist es ja sinnvoll, wie Sie fordern, dass
wir eine Verbesserung bei der Einziehung von Vermö-
gen, bei der Vermögensabschöpfung vornehmen . Genau
diesen Gesetzentwurf hat Justizminister Maas vorgelegt .
Es ist ein sehr guter Entwurf, und ich hoffe, dass die Uni-
onskollegen diesen sinnvollen, diesen wichtigen Entwurf
nicht blockieren, sondern dass wir hier zu einer Regelung
kommen, sodass der Grundsatz gilt: Verbrechen darf sich
nicht lohnen . – Diesen Gesetzentwurf brauchen wir drin-
gend .


(Beifall bei der SPD)


Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den
Grünen, fordern, dass eine Umgehung der Haftung durch
bestimmte Unternehmensstrukturierungen verhindert
werden muss, dann ist auch das richtig . Aber an diesem
Thema sind wir ebenfalls schon dran; darüber diskutieren
wir im Rahmen der GWB-Novelle .

Ein wichtiger Punkt – ich möchte ausdrücklich loben,
dass Sie diese SPD-Forderung in Ihren Antrag aufge-
nommen haben – ist der Schutz der Whistleblower .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Grünenforderung!)


Meine Fraktion hat schon in der letzten Legislaturperi-
ode einen Gesetzentwurf dazu vorgelegt . Die Situation
ist ja so, dass Hinweisgeber ihr Wissen oft nur dann of-
fenbaren, wenn sie keine gravierenden Nachteile für sich
befürchten müssen . Etwa im Lebensmittelbereich konn-
ten dadurch Skandale aufgedeckt und abgestellt werden,
sodass Millionen von Verbrauchern nun besser geschützt
sind, weil sie keine giftigen oder verdorbenen Lebens-
mittel zu sich nehmen müssen . Wenn wir zum Schutz
der Verbraucherinnen und Verbraucher wollen, dass Hin-
weisgeber ihr Wissen auch weiterhin offenbaren, dann
brauchen wir eine Regelung, die etwa verhindert, dass
Whistleblowern gekündigt werden kann .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg . Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir sind dazu bereit . Wir bedauern sehr, dass eine solche
Regelung von der Union verhindert wird . Das kann nicht
sein . Dies ist ein ganz wichtiges Handlungsfeld, auf dem
wir tätig werden müssen, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg . Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/ CSU]: Willkommen im Wahlkampf! Das ist der Schulz-Effekt! – Dr . Volker Ullrich [CDU/ CSU]: Glauben Sie, dass Sie attraktiv sind, wenn Sie hier nur jammern?)


– Es ist keine 24 Stunden her, dass wir einen Kanzlerkan-
didaten haben, und bei euch bricht schon Panik aus . Das
ist eine hochinteressante Entwicklung .


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU – Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Vielleicht sollten wir Händchen halten!)


Wir haben noch acht Monate vor uns . Ich bin gespannt,
wie sich Stimmung und Blutdruck bei euch entwickeln .

Ich komme zum Schluss . Der Grünenantrag enthält
sehr viele Forderungen, die von uns – das gilt etwa für
die Vermögensabschöpfung – in gewohnt seriöser Ma-
nier schon umgesetzt werden .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann stimmen Sie doch zu! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt doch einfach zu!)


Dr. Johannes Fechner






(A) (C)



(B) (D)


Darüber hinaus sind einige Forderungen zu unbestimmt,
sodass ich sie nicht nachvollziehen kann . Deswegen:
Auch wenn einiges Richtiges drinsteht, werden wir Ihren
Antrag ablehnen .

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821508100

Vielen Dank, Kollege Dr . Fechner . – Nächster Pa-

nik-Redner: Jürgen Klimke für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Jürgen Klimke (CDU):
Rede ID: ID1821508200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lie-

be Kolleginnen und Kollegen! „Zukunftsfähige Unter-
nehmensverantwortung“, was bedeutet das? Für mich
bedeutet es, dass sich Unternehmensmitglieder und die
Unternehmen für ihr Tun und Lassen freiwillig verant-
wortlich erklären und sich auch gemäß dieser Verantwor-
tung verhalten . Für welche Handlungen und Folgen sich
ein Unternehmen verantwortlich erklärt und welches die
richtigen Grundsätze sind, leitet sich aus der Rechtsord-
nung, aus den gesellschaftlich definierten ethischen Prin-
zipien ab, beispielsweise faire Bezahlung, Schulung von
Mitarbeitern, Einhaltung von Normen und Standards,
Gleichberechtigung der Geschlechter oder meinetwegen
auch Richtlinien zum Schutz der Umwelt . Viele deutsche
Unternehmen halten sich in vorbildlicher Weise auch im
internationalen Kontext an diese Wertmaßstäbe . Jene, die
hier Defizite aufweisen, bringen wir durch bestehende
Gesetze oder durch neue Maßnahmen der Bundesregie-
rung und der Legislative dazu, ihr Handeln zu überden-
ken und es anzupassen .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Na dann!)


Meine Damen und Herren, ähnlich wie der Kollege
Luczak muss auch ich ein bisschen mit Bedauern fest-
stellen, dass der vorliegende Antrag der Grünen zu den
Sanktionen in seinem Duktus zum wiederholten Male die
Geschäftspraktiken vieler deutscher Unternehmen min-
destens hinterfragt . Ich bedaure dieses Misstrauen und
auch den möglicherweise enthaltenen Generalverdacht
gegenüber der deutschen Wirtschaft .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Absurd!)


Als Entwicklungspolitiker weiß ich um die Bedeutung
der Wirtschaft gerade in diesem Bereich . Deshalb lege
ich meinen Fokus bei der Bewertung Ihrer Anträge auch
auf die Auswirkungen auf die Entwicklungszusammen-
arbeit .

Mit ihrem Antrag zu menschenrechtlichen Sorgfalts-
pflichten kritisieren die Grünen den Prozess bei der Aus-
arbeitung des Nationalen Aktionsplans „Wirtschaft und
Menschenrechte“, NAP, durch die Bundesregierung . Ja,
es ist richtig, dass die Ausgestaltung einige Zeit länger

in Anspruch genommen hat, als zunächst einmal ange-
dacht und angekündigt war . Ich möchte aber an dieser
Stelle ausdrücklich darauf hinweisen, dass die Bundes-
regierung den NAP kurz vor Weihnachten letzten Jahres
verabschiedet und damit die deutschen Unternehmen zu
fairen Produktionsbedingungen in den Entwicklungslän-
dern verpflichtet hat.


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er lädt dazu ein!)


Das ist, glaube ich, eine ganz wichtige Aussage; denn
es ist ein deutlicher, wichtiger und vorbildlicher Schritt
für die Einhaltung menschenrechtlicher Sorgfaltspflich-
ten durch deutsche Unternehmen; das müssen wir fest-
halten .

Mit dem Aktionsplan setzen wir die UN-Leitlinien für
Wirtschaft und Menschenrechte in nationales Gesetz um .
Betroffen von der Regelung sind in Deutschland circa
6 000 Betriebe, die dazu verpflichtet werden, soziale und
ökologische Standards einzuhalten .

Meine Damen und Herren, in der letzten Woche haben
wir hier im Plenum das Thema „Faire Textilproduktion“
debattiert . Beispielhaft steht dieser Sektor für die An-
strengungen, die die Bundesregierung, federführend das
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung, für zukunftsfähige Unternehmensver-
antwortung unternimmt .

Kurz erwähnt sei hierzu das im Oktober 2014 gegrün-
dete Bündnis für nachhaltige Textilien, auch wenn die
Linken das beiseitewischen . Es ist ein wichtiges Bünd-
nis . Es greift die zukunftsfähige Unternehmensverant-
wortung in einer vorbildlichen Weise auf und arbeitet
in der Praxis an der Verringerung von Missständen und
Benachteiligungen . Bereits 133 mittelständische Unter-
nehmen und Großkonzerne aus der Textilindustrie und
dem Handel sind diesem Bündnis beigetreten und haben
in Deutschland eine Marktabdeckung von 55 Prozent er-
reicht – und das setzt Maßstäbe . Das ist ja nicht nur ein
kleiner Teil von 3 oder 4 Prozent, sondern weit über die
Hälfte .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mit diesem Projekt kommen Verbraucher, Wirtschaft
und Politik auf freiwilliger Basis zueinander, ohne gro-
ßen Verwaltungsaufwand zu verursachen . Die Zielset-
zungen des Bündnisses, die soziale, ökologische und
ökonomische Nachhaltigkeit entlang der gesamten Tex-
tilkette kontinuierlich zu verbessern, tragen zudem zur
Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwick-
lung und der sogenannten SDGs bei . Im Kontext von
Globallieferketten sind das insbesondere die Ziele Num-
mer 8 „Menschenwürdige Arbeit und wirtschaftliches
Wachstum“, Nummer 12 „Nachhaltige Produktion und
nachhaltiger Konsum“ und Nummer 17 „Förderung von
Partnerschaften“ .

Meine Damen und Herren, ich bin davon überzeugt:
Das Textilbündnis kann international ein Vorbild für
andere Wirtschaftszweige sein, zum Beispiel für den
Rohstoffsektor oder auch für die Fischerei . Es kann be-
weisen, dass sich hohe Maßstäbe in der Unternehmens-
verantwortung auszahlen .

Dr. Johannes Fechner






(A) (C)



(B) (D)


Eines muss ich noch einmal deutlich sagen: Nationa-
le Alleingänge sind für uns der falsche Weg . Deshalb ist
die Koalition schon einen Schritt weiter . Bereits 2015 hat
sich Bundesentwicklungsminister Dr . Müller erfolgreich
dafür eingesetzt, dass die Durchsetzung weltweiter Ar-
beits-, Sozial- und Umweltstandards auf der Tagesord-
nung des G-7-Gipfels in Elmau stand . Das war ein No-
vum . Diesen Weg setzen wir fort .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es muss aber auch mal was passieren! Zwei Jahre kreißte der Berg, und passiert ist nichts! Nicht mal ein Mäuschen ist geboren worden!)


Das Entwicklungsministerium und das Ministerium
für Arbeit und Soziales setzen sich maßgeblich dafür ein,
die Arbeitsbedingungen in internationalen Lieferketten
zu verbessern, ein verantwortliches und transparentes
Management von Lieferketten zu fördern und Beschwer-
de- und Mediationsmechanismen zu stärken . Dazu haben
beide Häuser in dieser Legislaturperiode das Positionspa-
pier „Gute Arbeit weltweit“ vorgelegt und verabschiedet .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schön, noch ein Papier!)


Meine Damen und Herren, Deutschland hat am 1 . De-
zember 2016 die G-20-Präsidentschaft übernommen . Die
G 20 sind das zentrale Forum der internationalen Zu-
sammenarbeit der 20 führenden Industrie- und Schwel-
lenländer in Finanz- und Wirtschaftsfragen und vereinen
80 Prozent des globalen Handels auf sich . Die deutsche
Präsidentschaft unter dem Motto „Eine vernetzte Welt
gestalten“ läuft bis zum 30 . November 2017 . Höhepunkt
wird das Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs
in meiner Heimatstadt Hamburg am 7 . und 8 . Juli sein .

Was im Fokus steht – nachhaltige globale Lieferket-
ten, ein Kernthema zukunftsfähiger Unternehmensver-
antwortung –, wird dabei im Rahmen der G-20-Staaten
weiter vorangebracht werden, und damit wird auch an
die G-7-Präsidentschaft angeknüpft – und alles unter
dem Vorsitz von Deutschland; das möchte ich noch ein-
mal deutlich sagen . Damit kommt von uns sozusagen ein
starkes Signal für mehr Verantwortung in globalen Lie-
ferketten .

Gemeinsam mit den G-20-Partnerländern sollen dazu
konkrete Schritte entwickelt und beschlossen werden .
Wichtige Bezugsrahmen dafür sind die Agenda 2030
für nachhaltige Entwicklung, die UN-Leitprinzipien für
Wirtschaft und Menschenrechte, die OECD-Leitsätze für
multinationale Unternehmen und die Abschlusserklärung
des G-7-Gipfels von Elmau; ich habe ihn schon erwähnt .

Meine Damen und Herren, wenn Sie eine Analyse der
Lage vornehmen, dann können Sie erkennen, dass es eine
Vielzahl von Initiativen und bestehenden Regelungen zur
Sanktion von Unternehmen gibt, wenn diese gegen Maß-
stäbe, Gesetze und Normen verstoßen . Das Vorhandene
nochmals mit einem Gesetz zu regeln, schafft lediglich
Doppelstrukturen und benachteiligt einseitig deutsche
Unternehmen im Wettbewerb, und genau das wollen wir
nicht .

Bevor ich zum Ende meiner Rede komme, möchte
ich es nicht versäumen, auf einen ganz wichtigen Punkt
in diesem Zusammenhang aufmerksam zu machen: Zu-
kunftsfähige Unternehmensverantwortung tragen vor
allen Dingen der Verbraucher und die Verbraucherin . In
vielen Bereichen des Lebens stellen wir eine kontinuier-
liche Veränderung des Verbraucherverhaltens fest . Damit
einher geht die Weiterentwicklung der Unternehmens-
verantwortung . Kein Textilhändler kann es sich leisten,
dass an der Kleidung, die er produziert, Blut klebt,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn man es nicht sieht! Deshalb wollen sie ja keine Deklaration und Kennzeichnung haben!)


kein Stromanbieter in Deutschland wirbt mehr mit Atom-
strom, und kein Autohersteller bringt mehr ein neues
Modell mit einem Spritverbrauch von über 15 Litern pro
100 Kilometer auf den Markt .

Dies sind nur einige Beispiele dafür, wie das veränder-
te Bewusstsein der Verbraucherinnen und Verbraucher
die Verantwortung von Unternehmen mitgestaltet .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war jetzt das Wichtige?)


Wir dürfen uns jedoch nicht auf dem Erreichten ausru-
hen . Die Aufgabe der Politik ist es, weiter zu sensibilisie-
ren und zu gestalten sowie das eine oder andere Gesetz in
diesem Zusammenhang zu verabschieden .

Mit einem tiefen Durchblick für den Verbraucher in
Bezug auf die Durchsetzung von internationalen, sozia-
len und Umweltstandards erreichen wir mehr als mit nati-
onalen Gesetzgebungsprozessen, die deutsche Unterneh-
men benachteiligen und Arbeitsplätze kosten . Deshalb
dürfen wir es nicht unterlassen, die Verbraucherinnen
und Verbraucher ständig und stärker als in der Vergan-
genheit über die Sozialstandards zu informieren . Das
kommt auch den Entwicklungsländern in ihrer schwie-
rigen wirtschaftlichen Situation zugute, und das müssen
wir gerade in diesen Zeiten sehen .

Danke sehr .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821508300

Vielen Dank, Jürgen Klimke . – Nächster Redner: Uwe

Kekeritz für Bündnis 90/Die Grünen .


Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821508400

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Wir alle kennen das: Kinderarbeit auf Kakaoplantagen,
Hungerlöhne in Textilfabriken, Rohstoffe, die bewaffne-
te Konflikte finanzieren, usw. usf. Das ist genau der Stoff,
mit dem Minister Müller seit Jahren seine Reden spickt
und in der Öffentlichkeit mächtig auftritt .


(Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]: Zu Recht!)


Jürgen Klimke






(A) (C)



(B) (D)


Nur zu lamentieren, verändert allerdings überhaupt
nichts .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Konkret unternimmt diese Bundesregierung seit Jahren
herzlich wenig, um die Arbeitsbedingungen in den glo-
balen Lieferketten zu verbessern .

Der Nationale Aktionsplan hätte wirklich eine wun-
derbare Chance geboten, starke, positive Zeichen zu
setzen . Die Bundesregierung wollte diese Chance aber
nicht und setzte den NAP deshalb gezielt in den Sand .
Der Druck der Lobby – BDI, BDA, Kampeter usw . – war
wohl sehr groß .

Sie waren sogar dabei, den Nationalen Aktionsplan zu
einem Bittstellerbrief an die Wirtschaft umzuformulie-
ren . Das konnte die Opposition gerade noch verhindern .


(Lachen des Abg . Christoph Strässer [SPD])


Sie hatten doch zu viel Angst vor der Öffentlichkeit .


(Christoph Strässer [SPD]: Entschuldigung, das ist an Peinlichkeit nicht zu überbieten!)


Was wurde bei der großen Auftaktveranstaltung zum
NAP vor drei Jahren nicht alles versprochen! Fünf Mi-
nisterien haben versprochen, ein Konzept vorzulegen,
das Deutschland zum Vorreiter für nachhaltiges Wachs-
tum macht . Heute blamieren Sie Deutschland mit diesem
NAP bis auf die Knochen .

Es geht doch auch ganz anders . Mit unserem Maßnah-
menpaket zur zukunftsfähigen Unternehmensverantwor-
tung zeigen wir deutlich auf, welche Schritte notwendig
und möglich sind, um den Menschenrechtsschutz in der
globalen Wirtschaft voranzutreiben . Für die globale Lie-
ferkette brauchen wir verbindliche Regeln . Herr Klimke,
von Verbindlichkeit steht im NAP nichts . Einfach noch
einmal lesen, das hilft .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Hilfestellungen für Unternehmen – Transparenzre-
geln – Opfer von Unternehmenshandeln müssen Zugang
zu Rechtsmitteln bekommen . Menschliche Sorgfalts-
pflichten müssen im deutschen Recht verankert werden.
Wir brauchen natürlich auch ein geeignetes Sanktionsre-
gime; Katja Keul hat davon gesprochen . Nichts, absolut
nichts davon ist im NAP tatsächlich zu finden.

Unternehmen müssen eine menschenrechtsbezoge-
ne Risikoanalyse durchführen . Sie müssen geeignete
Präventionsmaßnahmen zur Verhinderung von Men-
schenrechtsverstößen ergreifen . Sie müssen Organisati-
onspflichten, wie etwa Whistleblower‑Schutz oder Com-
pliance-Strukturen, etablieren . Auch eine vernünftige
Dokumentation ist einfach selbstverständlich .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Kommt es dann in einem Unternehmen zu Menschen-
rechtsverletzungen oder werden einem Unternehmen
Menschenrechtsverletzungen zur Last gelegt, müssen
den Opfern zivilrechtliche Klagen vor deutschen Gerich-
ten und damit einhergehend natürlich Schadensersatzfor-

derungen ermöglicht werden . Das ist machbar . Davon ist
nichts unzumutbar .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christoph Strässer [SPD]: Das wollen wir auch!)


Unsere Anträge enthalten flexible Vorschläge, die je
nach Unternehmensgröße und je nach Wirtschaftszweig
und ‑sektor angepasst werden können. Davon profitie-
ren die deutschen Unternehmen; denn die Zeichen ste-
hen global auf Verbindlichkeit . Mit Ihrer Verweigerung,
Verbindlichkeit einzuführen, schaden Sie dem Wettbe-
werb . Sie bestrafen fortschrittliche Unternehmen; denn
alle Unternehmen, die sich hohen Standards verpflichtet
fühlen, werden von Ihnen zu den Dummen des Systems
gemacht, weil immer noch der Wettlauf um den niedrigs-
ten Standard gilt . Die Jagd nach dem Preisvorteil ist dann
das Leitmotiv des Handelns . Genau das zementiert dieser
NAP in unverantwortlicher Weise .

Es liegt ein ganz besonderes Versagen der gesamten
Regierung vor . Die inakzeptablen globalen Arbeitsver-
hältnisse – das muss uns doch bewusst sein – sind für
viele Menschen ein Migrationsgrund . Hinzu kommen
menschenrechtliche und ökologische Aspekte, die uns in
die Verantwortung nehmen . Aber die Regierung und die
Koalition verweigern sich dieser Verantwortung . Das ist
nichts anderes als kurzsichtige Politik .

Danke schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821508500

Vielen Dank, Kollege Kekeritz . – Nächster Redner:

Stefan Rebmann für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)


Vier Minuten .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)



Stefan Rebmann (SPD):
Rede ID: ID1821508600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Wenn wir hier über Unternehmensverantwortung und
menschenrechtliche Sorgfaltspflichten debattieren, dann
geht es auch immer um Arbeitnehmerrechte, soziale Si-
cherheit, Schutz vor Ausbeutung und im Grunde auch
um den Kampf um eine gerechtere Welt . Ich denke, das
waren auch die Forderungen der Arbeiterbewegung wäh-
rend der industriellen Revolution . Daraus ist unter ande-
rem die Sozialdemokratie entstanden .


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Wow! – Michaela Engelmeier [SPD]: Genau!)


Unsere Sozialgesetzgebung, unsere Krankenversiche-
rung, unsere Rentenversicherung, unsere Arbeitslosen-
versicherung, Tarifvertragsrecht, Betriebsverfassungs-
gesetz und vieles mehr stammen genau aus der Zeit der
Arbeiterbewegung . Auch die internationale Solidarität,
die man auf Demonstrationen immer so gerne hochleben

Uwe Kekeritz






(A) (C)



(B) (D)


lässt, stammt aus dieser Zeit, und sie ist auch heute hoch-
aktuell .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Natürlich haben Unternehmen eine besondere Ver-
antwortung; vollkommen klar . Gerade in einer Welt, in
der alles immer mehr miteinander zusammenhängt und
in der Lieferketten global organisiert sind, kommt den
Unternehmen eine ganz besondere Verantwortung zu .
Deshalb ist es wichtig, dass wir dafür sorgen, dass Ar-
beitnehmer nicht gegeneinander ausgespielt werden .

Es kann auch nicht sein, dass hier bei uns wie selbst-
verständlich alle Rechte gelten und dort,


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


wo 80 oder 90 Prozent unserer Textilien herkommen, wo
80 oder 90 Prozent – die genaue Zahl weiß ich nicht –
unserer Handys produziert werden, wo unser Kaffee und
unser Kakao, die Rohstoffe und die Kohle herkommen,
etwa aus Kolumbien, nicht . Vor etwa 14 Tagen ist in Ko-
lumbien ein Gewerkschafter ermordet worden, der um
sein Land gekämpft hat . Es kann nicht sein, dass Unter-
nehmen hier sagen: Das eine hat mit dem anderen nichts
zu tun .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich bin da schon für eine klare Sprache und für mehr
Verbindlichkeit; denn ich weiß, dass uns das Prinzip der
Freiwilligkeit allein nicht vorangebracht hat . Wir haben
lange versucht, auf dieses Prinzip zu setzen . Die Folge
war – das wurde hier schon mehrfach erwähnt –: Die ei-
nen, die sich daran halten, tragen die Kosten, während
die anderen, die sich – mit Verlaub – einen Dreck um
Menschenrechte kümmern, den großen Reibach machen .
Ich finde, dass wir hier eine klare Sprache brauchen. Ich
sage aber auch: Wir müssen aufpassen, dass wir nicht den
zweiten Schritt vor dem ersten machen . Wir müssen die
Unternehmen mitnehmen,


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich! Klare Regeln!)


wir müssen sie drängen, wir müssen sie fordern . Wir
müssen einen klaren Weg hin zu mehr Verbindlichkeit
beschreiten . Genau das macht der Nationale Aktionsplan .

Ich mache keinen Hehl daraus: Der Nationale Akti-
onsplan ist nicht die reine Lehre .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darauf wäre ich nicht gekommen!)


Ich mache auch keinen Hehl daraus, dass ich mir wesent-
lich mehr und verbindlichere Regeln gewünscht hätte .
Ich sage aber auch: Wenn ich die Wahl habe zwischen
kleinen Schritten in die richtige Richtung und der For-
derung nach der reinen Lehre, die dazu führt, dass man
untergeht und gar nichts erreicht, weil man keinen Kom-
promiss eingehen will, dann gehe ich lieber den Weg der
kleinen Schritte .

Ich finde auch – zum Schluss kommend –: Ihr Linken
stellt einen Ministerpräsidenten in Thüringen,


(Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Korrekt!)


und ihr Grünen einen Ministerpräsidenten in Ba-
den-Württemberg . Ihr habt einen Spitzenkandidaten, der
hier im Plenum bewiesen hat, dass er mit Herrn Kauder
sehr gut kann und etwas per Handschlag erreichen kann .
Ich würde mich freuen, wenn von Ihren Bundesländern
entsprechende Initiativen im Bundesrat eingebracht wür-
den .


(Christoph Strässer [SPD]: Nein, das macht man doch nicht! Aber hier eine große Lippe haben!)


Dann werden wir sehen, ob sich der baden-württember-
gische Spitzenkandidat bei Herrn Kretschmann und bei
Herrn Strobl durchsetzt .


(Christoph Strässer [SPD]: Auch gegenüber Daimler! – Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann ist ja bei allen alles total in Ordnung! Dann ist alles legitim! Prima!)


Wenn dann dabei das herauskommt, was in Baden-Würt-
temberg passiert ist, nämlich dass die baden-württem-
bergische Landesregierung wieder Studiengebühren
einführt, die insbesondere junge Menschen aus Entwick-
lungsländern treffen,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht! Jungs, dafür gibt es eine Regelung! Keine Fake News im Bundestag!)


dann ist das kein Beitrag zu einer gerechteren Welt . Das
ist vielmehr ein Förderprogramm für Kinder korrupter
Eliten .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach was! Sülze-Quatsch!)


Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1821508700

Volker Ullrich ist der nächste Redner für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Volker Ullrich (CSU):
Rede ID: ID1821508800

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Wirtschaftskriminalität verursacht volkswirtschaft-
liche Schäden in Milliardenhöhe, zerstört das Vertrauen
in gutes Wirtschaften und erschüttert unsere Rechtsord-
nung . Rechtsbruch darf sich nicht lohnen . Unsere Rechts-
ordnung muss durch einen klaren Vollzug des geltenden
Rechts dafür Sorge tragen, dass niemand aus der Verlet-
zung von Vorschriften einen Vorteil ziehen kann .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Stefan Rebmann






(A) (C)



(B) (D)


Der Antrag der Grünen zielt im Grunde genommen
auf Einführung einer Art Unternehmensstrafrecht, auch
wenn sie das so nicht bezeichnen .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie es in Ihrem Koalitionsvertrag steht!)


Der zentrale Satz Ihrer Begründung mag dann aber schon
erstaunen:

Wegen der Möglichkeit, Verantwortung insbeson-
dere in großen Unternehmen gezielt zu verschleiern
sowie dem Kräfteungleichgewicht zwischen häufig
überlasteten Staatsanwaltschaften und besonders
finanzstarken Beschuldigten, kommt es aber in
Deutschland selten zu individuellen Schuldfeststel-
lungen gegenüber einzelnen Wirtschaftsakteuren .

Wenn es also – das ist meine erste Bemerkung – um
individuelle Schuldfeststellungen geht, dann ist die Frage
nach der Haftung von Unternehmen falsch; denn dann
geht es um die individuelle, ganz höchstpersönliche Vor-
werfbarkeit .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Um beides muss es gehen!)


Es ist auch keine Haltung, der Kriminalpolizei, den
Staatsanwaltschaften und Teilen der Justiz, die in oftmals
mühevoller Kleinarbeit Wirtschaftsstrafsachen aufarbei-
ten, in den Rücken zu fallen . Das tun Sie, indem Sie sa-
gen, dass es nur selten zu Schuldfeststellungen kommt .
Ich glaube, das spiegelt die aktuelle Lage nicht wider .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn Sie behaupten, dass Staatsanwaltschaften häu-
fig überlastet sind, dann muss doch die zentrale Aufgabe
der Politik darin bestehen, diese Belastungen abzubau-
en und für mehr Kapazität bei den Strafverfolgungsbe-
hörden zu sorgen . Zuständig dafür sind die Länder . Und
hier tragen die Grünen in 11 von 16 Landesregierungen
Verantwortung . Nehmen Sie also bitte den Bund nicht in
die Haftung für eigene Versäumnisse in den Ländern, in
denen Sie mitregieren .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Auch dogmatisch ist ein eigenes Unternehmensstraf-
recht nicht zielführend, weil es das Schuldprinzip ver-
letzt .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich doch gesagt!)


Schuld ist die von der Verfassung gebotene Vorausset-
zung für eigene, höchstpersönliche Vorwerfbarkeit .
Schuld kann nur ein einsichtsfähiger Täter sein, aber
nicht ein Personenverband oder ein Konstrukt .

Wenn Sie in letzter Konsequenz beispielsweise Struk-
turmaßnahmen für verurteilte Unternehmen fordern,
dann verursachen Sie auch eine Betroffenheit Dritter, die
möglicherweise nicht akzeptabel ist .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


Wollen Sie, dass im Ergebnis der Fließbandarbeiter mit
dem Verlust seines Arbeitsplatzes für das Fehlverhalten

des Managements haftet? Wollen Sie, dass Kleinaktionä-
re mit dem Verlust ihrer Altersvorsorge bestraft werden,
weil der Vorstand strafbare Handlungen vollzieht, die der
Kleinaktionär nicht kontrollieren kann?


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch wirklich nicht zu glauben!)


Eine solche Drittbetroffenheit ist unserer Rechtsordnung
fremd und muss ihr auch fremd bleiben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn Sie, wie es in Ihrem Vorschlag heißt, jetzt statt
des Opportunitätsprinzips das Legalitätsprinzip einfüh-
ren wollen, dann müssen Sie auch deutlich machen, wel-
che Konsequenzen das hat . Sie dürfen zunächst einmal
nicht so tun – es ist mir wichtig, das zu unterstreichen –,
dass das Opportunitätsprinzip Willkür bedeuten würde .
Wir haben in Deutschland eine Bindung der Verwaltung
an Recht und Gesetz . Diese Bindung an Recht und Ge-
setz muss die Verwaltung gleichmäßig durchführen . Des-
wegen ist das Opportunitätsprinzip bereits jetzt ein gutes
Mittel, Verfehlungen von Unternehmen zu verfolgen .

Aber das Legalitätsprinzip bedeutet, dass Sie straf-
rechtsähnliche Verfahren gegenüber Unternehmen ein-
führen – mit dem Schweigerecht, mit der Unschuldsver-
mutung . Damit werden Sie im Endeffekt eine weniger
effektive Rechtsverfolgung haben und weniger Unter-
nehmen zur Verantwortung ziehen, als wir das bisher
können . Ihr Vorschlag ist damit ein Rückschritt und kein
Fortschritt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Man darf auch nicht vergessen – das haben Sie völlig
verschwiegen –, dass es bereits jetzt gerade im Bereich
des Kartellrechts ordentliche Geldbußen gibt, die den Un-
ternehmen zu Recht wehtun . Beispielsweise Lkw-Kar-
tell: Bußgelder über 1 Milliarde Euro; Libor-Kartell:
Bußgelder in Höhe von dreistelligen Millionenbeträgen .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht doch darum, dass sie Sorgfaltspflichten haben und eine Struktur umsetzen, und nicht, dass irgendwann eine Kartellreaktion kommt! Sie sind doch Christ! Bewegen Sie doch mal die Stelle bei sich, die das Christliche ausmacht!)


Deutlich muss aber auch werden, dass wir das beste-
hende Recht konsequent anwenden und dort, wo es not-
wendig ist, es auch verschärfen . Ich lade Sie ein, mit uns
darüber zu diskutieren, möglicherweise die Wertgrenzen
im Ordnungswidrigkeitengesetz zu erhöhen .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie es doch! – Niema Movassat [DIE LINKE]: Machen Sie es doch einfach!)


Ich lade Sie ein, unseren Gesetzentwurf zum Thema
„strafrechtliche Vermögensabschöpfung“ mitzutragen .

Eines allerdings haben Sie heute nicht angesprochen –
das scheint ein Schlüssel bei der Frage der Verfolgung
von rechtswidrigem Handeln innerhalb von Unterneh-
men zu sein –: Wir brauchen ausreichende Kapazitäten

Dr. Volker Ullrich






(A) (C)



(B) (D)


bei Polizei und Staatsanwaltschaften, damit sie solche
Machenschaften auch aufdecken und zur Anklage brin-
gen können .


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig! Super! Wann kommt Ihr Antrag?)


Wir brauchen ordentliche Ausstattungen bei der Polizei,
und zwar auch im Hinblick auf Kapazitäten .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir müssen Polizeibeamte, die wirtschaftskriminelle
Strukturen aufdecken, besser bezahlen und dafür sorgen,
dass Verfahren beschleunigt werden .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, reden wir mal über Herrn Henkel! Die Berliner CDU hat da voll versagt!)


Wenn Sie eine stärkere Sanktionierung von Unterneh-
mern wollen, müssen Sie auch dort, wo Sie Verantwor-
tung tragen, den Apparat besser ausstatten, damit Rechts-
verfolgung effektiv sein kann .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, machen wir alles!)


Meine Damen und Herren, es ist wenig geholfen – we-
der den Bürgern, die auf Rechtstreue von Unternehmen
setzen, noch einer bereits jetzt an den Grenzen der Be-
lastbarkeit stehenden Justiz –, einen Paradigmenwechsel
im Strafrecht, wie Sie ihn wollen, herbeizuführen, der zu
einem langen Theorienstreit, aber nicht zu einer effek-
tiven Rechtsdurchsetzung und zu einem Schutz für die
rechtstreuen Unternehmen führt . Deswegen werden wir
Ihren Antrag heute ablehnen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1821508900

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Christoph Strässer für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Christoph Strässer (SPD):
Rede ID: ID1821509000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Als ich hier in den Plenarsaal
gekommen bin, wusste ich nicht so genau, ob ich mehr
Positives sagen kann oder ob ich mich mehr darüber är-
gern soll, was hier abgeht und wie wir im Moment mit
dieser ganzen Situation umgehen . Im Moment muss ich
mich eigentlich mehr ärgern . Das geht an Ihre Adresse,
Herr Movassat, weil Sie überhaupt nicht zur Kenntnis
nehmen, dass das, was Sie fordern, nicht von heute auf
morgen umsetzbar ist, sondern dass man daran sehr in-
tensiv und sehr massiv arbeiten muss und dafür Überzeu-
gungsarbeit leisten muss .


(Niema Movassat [DIE LINKE]: Aber das tun Sie ja nicht einmal! Das ist doch das Problem!)


– Wo Sie jetzt wieder dazwischenrufen, will ich Ihnen
einmal die Geschichte des NAP erzählen und die Ge-
schichte der Ruggie-Prinzipien .


(Niema Movassat [DIE LINKE]: Sie haben nur vier Minuten Zeit! Denken Sie daran!)


Sie wissen vielleicht – oder auch nicht –, dass Herr
Ruggie im Jahr 2005 von der damaligen UN-Menschen-
rechtskommission den Auftrag erhalten hat, die schon
vorhandenen Prinzipien Unternehmensethik, CSA, Glo-
bal Compact usw . zu einem verbindlichen Instrument
weiterzuentwickeln . Darauf hat er sich eingelassen und
hat dann von 2005 bis 2011 diese Richtlinien über Wirt-
schaft und Menschenrechte erarbeitet und im Jahre 2011
dem Menschenrechtsrat vorgelegt .

Da kann ich Ihnen nur sagen: Das allein zeigt, dass die
Arbeit nicht einfach einmal so mit einem Handstrich hier
im Deutschen Bundestag erledigt werden kann nach dem
Motto: Wir machen das morgen alles einmal . – Nein, das
ist harte Arbeit, und daran haben viele gerade auch aus
diesem Parlament und aus der Bundesregierung, die im
Moment aktiv ist, gearbeitet . Und sie haben etwas um-
gesetzt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich glaube, von Anfang bestand ein Missverständ-
nis . Ich habe die ganzen Diskussionen zum Nationalen
Aktionsplan nun wirklich von Anfang an, von 2014 an,
als das losging, geführt . Da gibt es, Uwe Kekeritz – das
muss ich wirklich einmal sagen –, eine Geschichtsklitte-
rung . Die möchte ich hier einmal darstellen . Im Novem-
ber 2016 war der NAP tot . Der NAP war tot .


(Stefan Rebmann [SPD]: Genau!)


All das, was da erarbeitet worden ist, was dort zu Papier
gebracht worden ist, bei dem vieles immer noch nicht so
war, wie wir es gern gehabt hätten, nämlich mit verbind-
lichen Regelungen und, und, und, ist durch Interventio-
nen im Kabinett mehr oder weniger zerstört worden . Ich
will das hier aber gar nicht weiter ausführen .

Federführend beteiligt an dieser Aktion war das BMF .
Da ist von der Opposition jedoch nichts gekommen .


(Zuruf von der SPD: Genau!)


So viel dazu, dass, wie du gesagt hast, die Opposition
dafür gesorgt habe, dass dabei etwas herausgekommen
ist . Da haben unsere Leute verhandelt und dafür gesorgt,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ihr wart auch wichtig!)


dass es einen Nationalen Aktionsplan gibt, in dem vie-
le Dinge stehen, die gut sind, die wir hier alle gemein-
sam mittragen sollten . Da sage ich einmal einen ganz
herzlichen Dank an all die, die das im November noch
gemacht haben . Ganz besonders bedanke ich mich bei
Bärbel Kofler, der Menschenrechtsbeauftragten, die in
Person hingegangen ist, jedes Ressort überzeugt hat: Wir
brauchen einen Nationalen Aktionsplan, und zwar auch
deshalb, weil das ein Projekt, ein Menschenrechtsprojekt
dieser Bundesregierung ist, das ganz vorn gestanden hat .

Dr. Volker Ullrich






(A) (C)



(B) (D)


Ich bin froh, dass es diesen NAP so gibt, wie es ihn
gibt . Ich hätte gern viel, viel mehr gehabt; aber das ist der
erste Schritt auf dem richtigen Weg . Deswegen müssen
wir da auch weitermachen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum der schlecht ist, wissen wir doch!)


Jetzt geht es ja noch weiter . Jetzt fordert ihr ja in eu-
rem Antrag noch einmal die Verabschiedung eines Nati-
onalen Aktionsplans . Da kann man natürlich schon jetzt
nicht mehr zustimmen – das ist ein bisschen Pech –, weil
wir den Nationalen Aktionsplan seit Dezember 2016 ha-
ben .

Ich kann auch nur noch einmal sagen: Da ist niemand
Bittsteller gegenüber Unternehmen . Welch ein Unsinn!


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir ja herausgekriegt! – Niema Movassat [DIE LINKE]: Weil wir das herausgekriegt haben!)


Wir haben zwei Jahre lang in der Gesellschaft hart mit all
denjenigen verhandelt, die dazu bereit waren . Euch habe
ich bei der ganzen Diskussion überhaupt nicht gesehen .
Alle parlamentarischen Veranstaltungen zum Nationalen
Aktionsplan haben ohne Beteiligung von Vertretern der
Linken stattgefunden . Das muss man hier, glaube ich,
auch einmal sagen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb: Sich hier zu empören, ist, wie ich finde, ein
Skandal .

Zum Schluss: Der NAP ist nicht das Gelbe vom Ei .
Wir haben zu Anfang gesagt, wir brauchen so etwas wie
einen intelligenten Mix von Verbindlichkeiten und von
freiwilligen Maßnahmen .


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo sind die Verbindlichkeiten? Es gibt keine!)


Die Anzahl der verbindlichen Maßnahmen ist zu gering .
Wir haben die menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten
als Verbindlichkeit für alle Unternehmen festgeschrie-
ben, die eine entsprechende Größenordnung haben . Das
reicht nicht . Deshalb werden wir im Übrigen auch versu-
chen, Initiativen unter den G 20 zu starten, wo wir ja die
Präsidentschaft haben, damit an dieser Stelle eben mehr
passiert .

Dann will ich auch noch einmal sagen: Deutschland
ist eines von zwölf Ländern weltweit, die einen NAP ha-
ben. Ich finde, das sollte man auch einmal respektieren.
Da sind wir nämlich weltweit vorn .

Danke schön .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1821509100

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 18/10038 und 18/10255 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen . Sind Sie damit einverstanden? – Das sieht danach
aus . Dann sind die Überweisungen so beschlossen .

Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 33 a
bis 33 h sowie Zusatzpunkt 1:

33 . a) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset­
zes zur weiteren Verbesserung des Hoch­
wasserschutzes und zur Vereinfachung
von Verfahren des Hochwasserschutzes

(Hochwasserschutzgesetz II)

Drucksache 18/10879
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Re-
aktorsicherheit (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Haushaltsausschuss

b) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset­
zes zur Änderung raumordnungsrechtli­
cher Vorschriften
Drucksache 18/10883
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit

c) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Ge­
setzes zur Neuregelung des Rechts zur
Sicherstellung der Ernährung in einer
Versorgungskrise
Drucksache 18/10943
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

d) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Zehnten
Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes
Drucksache 18/10944
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Sabine Leidig, Halina Wawzyniak, Caren
Lay, weiterer Abgeordneter und der Frakti-
on DIE LINKE
Entkriminalisierung des Fahrens ohne
Fahrschein – Polizei und Justiz entlasten

Drucksache 18/7374
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

Christoph Strässer






(A) (C)



(B) (D)


f) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Matthias W .
Birkwald, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Verordnung gegen Stress in der Arbeits­
welt erlassen

Drucksache 18/10892
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Gesundheit

g) Beratung der Unterrichtung durch die Bun-
desregierung

Bericht über die Tätigkeit der Verkehrs in
frastrukturfinanzierungsgesellschaft im
Jahr 2015

Drucksache 18/9545
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

h) Beratung des Antrags des Bundesministeri-
ums für Wirtschaft und Energie

Anpassungsvertrag ERP­Förderrücklage

Einholung eines zustimmenden Beschlus­
ses des Deutschen Bundestages gemäß § 6
Absatz 3 des ERP­Verwaltungsgesetzes

Drucksache 18/10825
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie

ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Annalena Baerbock, Stephan Kühn (Dresden),
Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Klare CO2­Reduktionen im Flugverkehr
schaffen

Drucksache 18/9801
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach­
ten Verfahren ohne Debatte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen . – Auch dazu sehe ich keinen Widerspruch .
Dann sind die Überweisungen so beschlossen .

Bei den Tagesordnungspunkten 34 a bis 34 j und dem
Tagesordnungspunkt 21 geht es um die Beschlussfas­
sung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgese-
hen ist . Das bedeutet nicht, dass dazu keine stattgefun-
den hat, sondern dass wir heute über diese Punkte nicht
debattieren . In den wenigen Fällen, wo es auch bei der
Einbringung keine Debatte gegeben hat, weise ich darauf

hin . Das hängt dann aber auch damit zusammen, dass es
dazu offenkundig nach Einschätzung sämtlicher Fraktio-
nen im Hause keinen Bedarf nach einer weiterführenden
Debatte gab .

Ich rufe zunächst den Tagesordnungspunkt 34 a auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zum Abbau verzichtbarer Anordnungen der
Schriftform im Verwaltungsrecht des Bundes

Drucksache 18/10183

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4 . Ausschuss)


Drucksache 18/11007

Das ist ein Vorgang, den wir in erster Lesung hier
nicht debattiert haben, und wir debattieren ihn jetzt in
zweiter und dritter Lesung auch nicht; aber er wurde in
den Ausschüssen natürlich intensiv besprochen .

Mit diesem Gesetz werden nicht weniger als
464 Rechtsvorschriften des Bundes geändert mit dem
Ziel, durch Verzicht auf Anordnung der Schriftform elek-
tronische Kommunikation mit der Verwaltung zu erleich-
tern, elektronische Verwaltungsdienste auszubauen und
Bürokratie abzubauen .

Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf der Drucksache 18/11007, den Gesetz-
entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/10183
in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejeni-
gen, die diesem Gesetzentwurf in dieser Fassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und bei Zu-
stimmung des Hauses im Übrigen in zweiter Beratung
angenommen .

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Ich ahne, da könnten wir ein
ähnliches Abstimmungsverhalten wie zuvor bekommen .
Wer dem Gesetzentwurf zustimmen will, den bitte ich,
sich vom Platz zu erheben . – Es erheben sich alle mit
Ausnahme der Mitglieder der Fraktion Die Linke . Ich
frage: Stimmt jemand dagegen? – Dachte ich mir doch:
Die Fraktion Die Linke stimmt, soweit anwesend, ge-
schlossen dagegen . Wer möchte sich enthalten? – Nie-
mand . Damit ist der Gesetzentwurf angenommen .

Tagesordnungspunkt 34 b:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Ener­
giestatistikgesetzes (EnStatG)


Drucksache 18/10350

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Energie (9 . Ausschuss)


Drucksache 18/10999

Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10999,

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf der Druck-
sache 18/10350 in der Ausschussfassung anzunehmen .
Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Hand-
zeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Bei
Enthaltung der Fraktion Die Linke ist der Gesetzentwurf
mit den Stimmen des Hauses im Übrigen angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Wer dem Gesetzentwurf zu-
stimmen will, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben . –
Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke ist dieser Gesetzentwurf mit den
Stimmen des Hauses im Übrigen angenommen .

Tagesordnungspunkt 34 c:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Ra­
tes über die Unterzeichnung des Abkommens
zwischen der Europäischen Union und der
Regierung von Kanada über die Anwendung
ihres Wettbewerbsrechts im Namen der Eu­
ropäischen Union und zu dem Vorschlag für
einen Beschluss des Rates über den Abschluss
des Abkommens zwischen der Europäischen
Union und der Regierung von Kanada über
die Anwendung ihres Wettbewerbsrechts

Drucksache 18/10808

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Energie (9 . Ausschuss)


Drucksache 18/11002

Dieses Abkommen regelt die Zusammenarbeit zwi-
schen den Wettbewerbsbehörden der beiden Vertragspar-
teien . Weiter gehende Spekulationen, was die Regelung
des Verhältnisses in Wirtschafts- und Handelsbeziehun-
gen angeht, finden also jedenfalls nicht an dieser Stelle
ihre richtige Adresse . Durch das Gesetz sollen die inner-
staatlichen Voraussetzungen geschaffen werden, damit
der deutsche Vertreter im Rat die Zustimmung zu den
Vorschlägen für die beiden Beschlüsse des Rates über-
haupt erklären kann .

Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksa-
che 18/11002, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf der Drucksache 18/10808 anzunehmen . Wer diesem
Gesetzentwurf zustimmt, den bitte ich um das Handzei-
chen . – Das sind diesmal alle . Dagegen stimmt offenkun-
dig niemand . – Enthaltungen sehe ich auch nicht .

Dann rufe ich die

dritte Beratung

und Schlussabstimmung auf . Ich bitte diejenigen, die
diesem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe-
ben . – Das sind alle Anwesenden . Falls ich jemanden
übersehen habe bei Gegenstimmen oder Enthaltungen,
müsste er sich jetzt melden . – Das ist nicht der Fall . Da-
mit ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen .

Tagesordnungspunkt 34 d:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit (16 . Ausschuss) zu
der Verordnung der Bundesregierung

Verordnung zur Umsetzung der Richtli­
nie 2014/99/EU und zur Änderung und An­
passung weiterer immissionsschutzrechtlicher
Verordnungen

Drucksachen 18/10756, 18/10924 Nr. 2.1,
18/10998

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf der Drucksache 18/10998, der Verordnung der
Bundesregierung zuzustimmen . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen ist die Beschlussempfehlung angenommen .

Tagesordnungspunkt 34 e:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit (16 . Ausschuss) zu
der Verordnung der Bundesregierung

Verordnung zur Änderung der Chemikali­
en­Klimaschutzverordnung

Drucksachen 18/10837, 18/10924 Nr. 2.3,
18/10997

Auch hier empfiehlt der Ausschuss in seiner Be-
schlussempfehlung auf der Drucksache 18/10997,
der Verordnung der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/10837 zuzustimmen . Wer kann sich dieser Emp-
fehlung anschließen? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Bei Enthaltung der Fraktion Die Linke ist die
Beschlussempfehlung angenommen .

Unter den Tagesordnungspunkten 34 f bis 34 j kom-
men wir zu den Beschlussempfehlungen des Petitions-
ausschusses . Hier gibt es wie immer Sammelübersichten,
die wir insgesamt zur Abstimmung stellen .

Ich rufe zunächst Tagesordnungspunkt 34 f auf:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 400 zu Petitionen

Drucksache 18/10885

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Alle dafür . Angenommen .

Tagesordnungspunkt 34 g:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 401 zu Petitionen

Drucksache 18/10886

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Dann ist diese Sammelübersicht gegen den
gutgemeinten, aber nicht hinreichenden Widerstand der
Fraktion Die Linke angenommen .

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


Tagesordnungspunkt 34 h:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 402 zu Petitionen

Drucksache 18/10887

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen keine . Diese Sammelübersicht ist wieder einstim-
mig angenommen .

Tagesordnungspunkt 34 i:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 403 zu Petitionen

Drucksache 18/10888

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Gegen
die Fraktion Die Linke – Enthaltungen keine – ist diese
Sammelübersicht angenommen .

Tagesordnungspunkt 34 j:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 404 zu Petitionen

Drucksache 18/10889

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Bei Gegenstimmen der Fraktionen Die Linke
und Bündnis 90/Die Grünen ist diese Sammelübersicht
angenommen .

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 21:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften
Gesetzes zur Änderung des Sprengstoffgeset­
zes

Drucksachen 18/10455, 18/10821, 18/10924
Nr. 1.18

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4 . Ausschuss)


Drucksache 18/11005

Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf der Drucksache 18/11005, den Gesetzentwurf
der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/10455 und
18/10821 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bit-
te diejenigen, die dem Gesetzentwurf in dieser Fassung
zustimmen wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser Gesetz-
entwurf einstimmig angenommen .

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Wer für den Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung ist, den bitte ich, sich von seinem
Platz zu erheben . – Wenn jemand dagegen ist, hätte er
jetzt Gelegenheit dazu, sich zu erheben . – Das ist nicht
der Fall . Enthaltungen? – Gibt es auch nicht . Damit ist
dieser Gesetzentwurf angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:

– Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Auswärtigen Ausschusses

(3 . Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesre-

gierung

Fortsetzung und Erweiterung der Beteili­
gung bewaffneter deutscher Streitkräfte an
der Multidimensionalen Integrierten Stabi­
lisierungsmission der Vereinten Nationen in
Mali (MINUSMA) auf Grundlage der Re­
solutionen 2100 (2013), 2164 (2014), 2227

(2015) und 2295 (2016) des Sicherheitsrates

der Vereinten Nationen vom 25. April 2013,
25. Juni 2014, 29. Juni 2015 und 29. Juni
2016

Drucksachen 18/10819, 18/10967


(8 . Ausschuss)


Drucksache 18/10988

Über die Beschlussempfehlung zu diesem Vorhaben
werden wir später namentlich abstimmen, und zwar
ziemlich genau in 38 Minuten, wenn sich alle an die Re-
dezeiten halten, die nach den Vereinbarungen der Frak-
tionen für sie vorgesehen sind . – Widerspruch dagegen
kann ich nicht erkennen, also verfahren wir so .

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Petra Ernstberger für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Petra Ernstberger (SPD):
Rede ID: ID1821509200

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-

nen und Kollegen! Wie der Herr Präsident gerade erklärt
hat, stimmen wir heute über die Fortsetzung, aber auch
die Erweiterung der Beteiligung bewaffneter Streitkräfte
an der UN-Mission MINUSMA in der Republik Mali ab .
Lassen Sie mich die Gelegenheit nutzen, meine Anerken-
nung, aber auch meinen Dank an all unsere Streitkräfte,
die dort bisher Dienst getan haben, auszudrücken .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Der Konflikt in Mali ist alt, und er ist klassisch. Es
geht um die Verteilung von Ressourcen – Land, Wasser –
vor allem zwischen den Bevölkerungsteilen, die sich
mit Viehzucht oder Ackerbau auseinandersetzen . Als
im Jahr 2012 der damalige Präsident Touré durch einen
Militärputsch gestürzt wurde, fiel das Land ins Chaos
und in eine permanente Sicherheitskrise . Gerade in den
Landesteilen im Norden herrscht ein eklatantes Defizit
an verlässlicher Staatlichkeit . Rebellengruppen und Mi-
lizengruppen fragmentieren immer mehr, rivalisieren un-
tereinander und bekämpfen einander . Sie haben aber gro-
ße Teile des Nordens unter Kontrolle . Deswegen stehen
dort täglich Konflikte auf der Tagesordnung.

Wellen von Gewalt überschwemmen das Land . Und
wer leidet? Wie immer die Zivilbevölkerung . Die Fort-
schritte in dem bereits existierenden Friedensprozess

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


werden einfach zurückgeworfen . Aber noch alarmieren-
der ist, dass die Rechtlosigkeit und die Gewalt nun auch
in Zentralmali angekommen sind . Ausläufer der Krise
haben bereits Nachbarstaaten wie Burkina Faso und Ni-
ger erreicht. Diese immer wieder aufflammenden Re-
bellenkonflikte, die terroristischen Anschläge und auch
die organisierte Kriminalität in Mali entwickeln sich zu
einem Krisenherd, der die ganze Sahelregion gefährden
kann .

Die malischen Sicherheitsstrukturen sind im Moment
noch relativ schwach . Sie können dieser Entwicklung
mit ihren Kapazitäten keinen Einhalt gebieten . Deswe-
gen ist die Aufrechterhaltung des UN-Mandats und der
UN-Mission MINUSMA für die Stabilität dieser Region
absolut unerlässlich .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch wir Deutsche wollen mit unseren Soldatinnen und
Soldaten der Bundeswehr unser bereits seit 2013 akti-
ves Engagement in dieser Region fortsetzen . Wir wollen
nämlich Mali zu einer friedlichen Zukunft verhelfen .

MINUSMA hat dabei ein Ziel für absolut erklärt,
nämlich: Der von der internationalen Gemeinschaft un-
terstützte Stabilitätsprozess soll es der Republik Mali
möglichst bald ermöglichen, langfristig auf eigenen Bei-
nen zu stehen . Der Friedensvertrag, den die malische
Regierung im Sommer 2015 mit den zwei wichtigsten
Rebellengruppen geschlossen hat, bietet dafür mit all
den Maßnahmen, die er beinhaltet, eine gute Basis . Lei-
der, wie gesagt, geht es mit dem Vertrag jedoch nur sehr
schleppend voran . Aber er ist abgeschlossen .

Gerade die Kämpfe in der Tuareg-Hochburg Kidal
und um wichtige Schmugglerrouten im Norden des Lan-
des haben die malische Bevölkerung allerdings über-
haupt nicht zur Ruhe kommen lassen . Je länger die Um-
setzung des Friedensvertrages dauert, desto mehr haben
Terroristen, kriminelle Banden und Rebellen in Mali und
der gesamten Sahelzone die Möglichkeit, sich auszubrei-
ten . Das muss verhindert werden, liebe Kolleginnen und
Kollegen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Politisch und zivil unterstützt Deutschland Mali bereits
seit etlichen Jahren mit einer Vielzahl an bilateralen Ent-
wicklungsprojekten in dieser Region .

Die Verfassungsreform, die eine Dezentralisierung der
Regierungsstrukturen und eine Entwicklung aller Regi-
onen Malis vorsieht, ist dringend nötig . Dabei steht den
Autoritäten in Mali unser Max-Planck-Institut als Unter-
stützung und als Berater zur Verfügung . Das Auswärtige
Amt unterstützt zudem das Ministerium für Versöhnung,
den Hohen Beauftragten für den Friedensprozess sowie
weitere malische Friedensinstitutionen .

In Projekte der humanitären Hilfe für Mali und seine
Nachbarländer hat die Bundesregierung im vergangenen
Jahr 26,5 Millionen Euro investiert . Man muss nämlich
bei den Wurzeln des Konfliktes ansetzen. Einige Beispie-
le: Ein Basketballplatz für Jugendliche, der von Dschiha-

disten zerstört worden war, wurde wieder aufgebaut, eine
Straße wurde gebaut, Brunnen wurden gebohrt . Dafür
möchte ich auch der GIZ ganz herzlich danken, die dort
hervorragende Arbeit leistet .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Aber all das können wir nicht ohne militärische Un-
terstützung leisten, mit der wir zum Schutz der Bevölke-
rung beitragen . Dazu brauchen wir auch die Aufstockung
unseres Mandates; denn wir haben inzwischen von den
Niederländern acht Hubschrauber übernommen, die dazu
dienen, die Protektion zu unterstützen . Für diese Hub-
schrauber brauchen wir mehr Soldatinnen und Soldaten .
Weil es in diesem Land ohne eine solche militärische
Flankierung keine friedliche Entwicklung geben kann,
werden wir heute dem Antrag zustimmen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821509300

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Niema

Movassat für die Fraktion Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Niema Movassat (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821509400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute

entscheiden wir über die Fortführung und Erweiterung der
Bundeswehrbeteiligung an der UN-Mission MINUSMA
in Mali . Die Bundesregierung will die Zahl der Soldaten
auf 1 000 aufstocken . Die Mali-Mission wäre damit der
größte laufende Bundeswehreinsatz, selbst größer als der
Einsatz in Afghanistan .


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und sinnvoller!)


Auch Transport- und Kampfhubschrauber sollen jetzt
zum Einsatz kommen . Die Linke wird dazu heute klar
Nein sagen .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich möchte Ihnen gerne fünf Gründe nennen, warum
wir das tun:

Erstens . Die Parallelen zum gescheiterten Afghanis-
tan-Einsatz sind erschreckend . Laut dem Wehrbeauf-
tragten ist der Einsatz in Mali sogar so gefährlich wie
seinerzeit der NATO-Kampfeinsatz gegen die Taliban .
So wie in Afghanistan haben Sie die Bundeswehr Stück
für Stück in eine offensive Kampfoperation geschickt .
In Mali fing es mit 20 deutschen Soldaten an, jetzt sind
wir bald bei 1 000 . Im Mandatstext ist nun vom „akti-
ven Schutz des Mandats … durch das Bekämpfen asym-
metrischer Angriffe“ die Rede . Um es auf den Punkt zu
bringen: Das ermöglicht es, mit Kampfhubschraubern
aktiv Krieg zu führen . Ich frage mich: Was ist der nächs-
te Schritt bei dieser Salamitaktik? Kampfflugzeuge? Sie
sind schon wieder dabei, sich kopf- und planlos in den

Petra Ernstberger






(A) (C)



(B) (D)


nächsten langwierigen Krieg zu verstricken . Dazu kann
man nur Nein sagen .


(Beifall bei der LINKEN)


Zweitens . Der Einsatz ist teuer und bringt nichts . Vor
drei Jahren versprachen Sie uns, die Terrorgefahr in Mali
durch die Militärmission zu verringern . Leider haben Sie
einmal mehr außer Acht gelassen: Terror kann man mit
Krieg nicht besiegen . MINUSMA ist eine Mission voller
Konstruktionsfehler . Der UN-Untergeneralsekretär für
Blauhelmmissionen, Hervé Ladsous, erklärte kürzlich,
dass die politischen Grundfragen nicht geregelt sind .
Die Mission hat zwar die Unterstützung der dortigen
Regierung, aber nicht der Bevölkerung . Bei Friedensde-
monstrationen im nordmalischen Gao stand auf Plakaten:
„Nieder mit MINUSMA“ . Den Unmut der Bevölkerung
bekommen die deutschen Soldaten zu spüren . Sie werden
immer mehr zur Zielscheibe . Denn für die Kombattanten
ist Deutschland Konfliktpartei. Auch deutsche Soldaten
zweifeln am Sinn des Einsatzes . Dem Magazin Loyal des
Verbands der Reservisten der Deutschen Bundeswehr
sagte ein Bundeswehrsoldat, der in Mali ist:

… meinen Verwandten daheim kann ich nicht erklä-
ren, warum ich in Mali bin und was wir hier errei-
chen wollen .


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sehr selektiv rausgepickt haben Sie das!)


Das sollte all denjenigen, die heute zustimmen wollen,
zu denken geben .


(Beifall bei der LINKEN)


Drittens. Sie flankieren Ihre Rohstoffpolitik zuneh-
mend militärisch . Im Weißbuch der Bundeswehr steht
zum Thema Rohstoff- und Energiesicherheit, Deutsch-
land müsse „flexibel Elemente seines außen‑ und sicher-
heitspolitischen Instrumentariums einsetzen, um Störun-
gen oder Blockaden … zu beseitigen“ .

Anders gesagt: Sie wollen auch militärische Mittel zur
Sicherung des Rohstoffbedarfes einsetzen .

Der Link zu MINUSMA ist offensichtlich . So schrieb
die Wirtschaftswoche, die wahrlich kein linkes Blatt ist,
schon 2013:

Die einzigen bekannten und strategisch wichtigen
europäischen Interessen in der Region sind die
Uran- und Ölvorkommen in Mali und die französi-
schen Uranminen im angrenzenden Niger .

Die Grenzen zwischen beiden Ländern existieren so-
wieso nur auf dem Papier . Frankreichs enormer Bedarf
an Uran wird zu einem Drittel aus dem Niger gedeckt .
Und Deutschland? Deutschland ist immer noch einer der
größten europäischen Atomstromproduzenten und erhält
sein Uran wiederum aus Frankreich . Es ist nicht schwer,
hier eins und eins zusammenzuzählen .

Seit Jahren bauen Sie die Bundeswehr um . Sie soll in
die Lage versetzt werden, offensive Kampfoperationen
in unwirtlichen, rohstoffreichen Gebieten zu führen . Mali
dient hier auch als Übungsfeld . Das lehnt die Linke ab .


(Beifall bei der LINKEN)


Viertens . Ihr Umgang mit Mali ist voller Doppelstan-
dards . Die EU und Deutschland machen Länder wie Mali
zu Erfüllungsgehilfen ihrer Abschottungspolitik gegen
Flüchtlinge . MINUSMA spielt hier auf zwei Arten eine
wichtige Rolle . Einerseits werden Menschen, die ver-
suchen, über Mali nach Europa zu gelangen, häufig von
MINUSMA-Soldaten verhaftet und an die Gendarmerie
übergeben – sie landen dann erst einmal bis zu sechs
Monaten im Gefängnis –, und andererseits hilft die euro-
päische Militärpräsenz, eine Drohkulisse gegenüber der
malischen Regierung aufzubauen .


(Zuruf von der CDU/CSU: Meine Güte!)


Sie wollen sie zur Kooperation bei Abschiebungen und
Migrationskontrolle zwingen . Das hat die EU-Kommis-
sion recht unverblümt gesagt . Dabei ist Mali so unsicher,
dass die deutschen Soldaten dort die maximale Risiko-
pauschale erhalten . Aber um Flüchtlinge dorthin abzu-
schieben, soll es sicher genug sein? Das ist einfach nur
zynisch .


(Beifall bei der LINKEN)


Fünftens. Die Ursache für den Dauerkonflikt in Mali
packen Sie nicht an: die desaströse wirtschaftliche Lage .
Armut und Perspektivlosigkeit im Norden Malis sind die
Gründe dafür, dass sich junge Menschen den Separatisten
und Islamisten anschließen . Sie müssen die sozialen Ur-
sachen des Terrors bekämpfen, statt immer mehr Solda-
ten in alle Welt zu schicken . Das wäre der richtige Weg .

Danke für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821509500

Henning Otte hat als nächster Redner für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Henning Otte (CDU):
Rede ID: ID1821509600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir
beschließen heute die Verlängerung und die Ausweitung
des MINUSMA-Mandates in Mali . Wir waren als Abord-
nung von Parlamentariern gemeinsam mit unserer Bun-
desverteidigungsministerin erst kürzlich in Mali, und wir
haben uns vor Ort selbst ein Bild davon gemacht, wie
groß die Herausforderungen sind, die auf unsere Solda-
tinnen und Soldaten zukommen . Es gibt Belastungen vor
Ort, aber auch für die Familien zu Hause . Das haben wir
sehr wohl im Blick . Deswegen ist es wichtig, deutlich
zu machen, warum der Einsatz in Mali für die Sicherheit
Deutschlands und Europas von besonderer Bedeutung
ist .

Ich möchte – schon allein aus Höflichkeit – kurz auf
meinen Vorredner eingehen . Man kann sich nur wundern:
Sie konstruieren hier eine Reihe von Argumenten . Sie
verunglimpfen damit den guten Ansatz der Leistungen
vor Ort, und Sie verkennen völlig die Verantwortung,
die wir Parlamentarier in Deutschland für die Sicherheit
unseres Landes, Europas und auch für die Sicherheit
Nordafrikas haben . Das war keine Parlamentsrede, das

Niema Movassat






(A) (C)



(B) (D)


war eine parteiideologische Rede . Man kann nur sagen:
Thema komplett verfehlt!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Dr . Karl-Heinz Brunner [SPD])


Wir haben in den letzten Jahren zunehmend erkannt,
dass wir unser Engagement verstärken und mehr Ver-
antwortung übernehmen müssen, um die Konflikte dort
einzudämmen, wo sie entstehen; denn ansonsten spüren
wir die Auswirkungen dieser Konflikte auch hier bei uns:
in Form von Terror, aber auch in Form von Menschen,
die vor Terror fliehen. Deswegen sagen wir als CDU/
CSU-Fraktion und auch als Koalition: Dieser Einsatz ist
notwendig . Wir verlängern dieses Mandat .

Meine Damen und Herren, Mali hat eine Schlüssel-
funktion im Norden Afrikas für die gesamte Sahelregi-
on – das ist schon angesprochen worden –, insbesondere
für die Nachbarstaaten Mauretanien, Burkina Faso und
Niger . Deswegen ist es wichtig, herauszustellen, dass der
Niger, aber auch Mali für Gesamtwestafrika als Transit-
land – über Libyen und das Mittelmeer – in Richtung
Europa bedeutsam sind . Deswegen ist es so wichtig, ge-
meinsam mit den Regierungen vor Ort den Terror von
Boko Haram, Tuareg-Rebellen oder islamistischen Mi-
lizen zu bekämpfen, meine Damen und Herren . Das ist
notwendig, und diese Verantwortung übernehmen wir .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mit dieser Stabilisierungsmission MINUSMA als
Mandat der Vereinten Nationen, begleitet von der europä-
ischen Ausbildungsmission EUTM, aber auch in Zusam-
menarbeit mit ECOWAS, der Wirtschaftsgemeinschaft
westafrikanischer Staaten, verfolgen wir gemeinsam das
Ziel, auch in Mali Stabilität und Sicherheit erreichen .

Dennoch sage ich: Die Lage ist weiterhin fragil; sie
bedarf unserer besonderen Aufmerksamkeit . Der Zusam-
menbruch von Mali hätte eine extrem negative Kettenre-
aktion mit unvorhersehbaren Folgen auch für Europa zur
Folge . Deshalb müssen wir erreichen, dass das Land dau-
erhaft stabilisiert wird, damit Migrationsbewegungen gar
nicht erst stattfinden und vor allem der Terror bekämpft
wird . Da ist der Einsatz der Bundeswehr, eingebunden in
die afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung, ein
ganz wesentlicher Baustein . Der vom Entwicklungsmi-
nister initiierte Marshallplan mit Afrika ist ein weiterer
Baustein . Die Vernetzung all dieser Dinge soll dazu bei-
tragen, dass wir Stabilität erreichen . Dafür übernehmen
wir als Koalition Verantwortung und stimmen dem Man-
dat heute zu .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir weiten den Einsatz aus . Bisher waren 600 Solda-
tinnen und Soldaten dort und haben Aufklärungsmissi-
onen durchgeführt, um ein Lagebild zu gewinnen . Das
verlangt auch Leib und Seele viel ab . Wir erweitern jetzt
auf 1 000 Soldatinnen und Soldaten, um Hubschrau-
berkapazitäten zur Verfügung zu stellen . Die niederlän-
dischen Soldaten beenden ihren Auftrag jetzt vereinba-
rungsgemäß, und wir ersetzen sie . Wir sorgen für die
Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten, indem ein
gemischter Heeresfliegerverband unter der Leitung des

Transporthubschrauberregiments aus Faßberg und Nie-
derstetten, aber auch ein Kampfhubschrauberanteil aus
Fritzlar eingesetzt werden . Damit wird verdeutlicht: Wir
wollen für die Lebensversicherung unserer Soldatinnen
und Soldaten das Maximale tun . Diese Herausforderung
nehmen wir an .

Ich freue mich, dass heute auch der Bürgermeister der
Gemeinde Faßberg, Frank Bröhl, aus Interesse für seine
Soldatinnen und Soldaten und Gemeindemitglieder auf
der Tribüne Platz genommen hat und auch der Gene-
ralarzt als Inspekteur des Sanitätswesens heute hier ist .
Meine Damen und Herren, das zeigt auch: Wir haben die
Unterstützung vonseiten der Kommunalpolitik und der
Streitkräfte, binden diese in unsere Verantwortung mit
ein und machen so deutlich: Wir unterstützen unsere Sol-
datinnen und Soldaten . Wir geben ihnen volle Rücken-
deckung . Wir helfen ihnen auch, wenn sie in Bedrängnis
sind . Deswegen ist es gut, dass die Koalition heute diese
Verantwortung gemeinsam für unsere Sicherheit über-
nimmt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Einsatz ist herausfordernd, er ist auch gefährlich .
Das zeigen die Erfahrungen mit Anschlägen vor Ort; das
zeigt auch der Anschlag vom 18 . Januar . Aber auch die
klimatischen Bedingungen und das unbekannte Terrain,
aber vor allem die Raumsituation im Lager sind Heraus-
forderungen . Deswegen ist es gut, dass es einen Aus-
landsverwendungszuschlag in der höchsten Stufe, der
Stufe 6, gibt . Das ist Ausdruck von Verantwortung, und
ich bin insbesondere unserer Bundesverteidigungsmi-
nisterin für die klare Haltung in dieser Angelegenheit –
auch aus Fürsorge für unsere Soldatinnen und Soldaten –
dankbar .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, wir bauen auf den in inter-
nationalen Einsätzen gesammelten Erfahrungen auf und
fordern daher eine klare Ablöseregelung für unseren in-
tensiven Hubschraubereinsatz . Wir sagen aber auch: Wir
müssen die Belastungen im Heimat- und Grundbetrieb
möglichst minimieren; denn wir müssen voraussicht-
lich mehr für die Sicherheit unseres Landes und Europas
sowie für ein stabiles Europa tun, indem wir auch Kon-
fliktsituationen dort eindämmen, wo sie entstehen.

Wir haben die dafür notwendigen finanziellen, materi-
ellen und auch personellen Trendwenden eingeleitet . Der
Verteidigungshaushalt wird erhöht, um die Mittel dafür
zu haben, dass wir uns auch zukünftig so erfolgreich für
Frieden, für Freiheit und für Sicherheit einsetzen können .
Dazu sind wir zum Schutz unserer Bürgerinnen und Bür-
ger verpflichtet, aber auch aufgrund unserer Verantwor-
tung für Nordafrika . Deswegen stimmen wir als CDU/
CSU-Fraktion diesem Mandat heute aus voller Überzeu-
gung zu .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Petra Ernstberger [SPD])


Henning Otte






(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821509700

Als nächste Rednerin spricht Agnieszka Brugger für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann
ihn nicht mehr hören und lesen, diesen Vergleich zwi-
schen Mali und Afghanistan. Ich finde ihn ignorant, ich
finde ihn populistisch und auch falsch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bei allem Verständnis dafür, dass man in der politischen
Debatte auch mal zuspitzen muss: Man kann doch nicht
eine Friedensmission der Vereinten Nationen unter ziviler
Leitung mit starken zivilen und polizeilichen Elementen,
deren Auftrag es ist, die Umsetzung eines Friedensab-
kommens zu überwachen und einen Versöhnungsprozess
zu begleiten, mit dem Label „Krieg“ versehen, sie als
Konfliktpartei bezeichnen und mit einer NATO‑Mission
in Afghanistan vergleichen, die in ihrer schärfsten Phase
Terroristen bekämpft hat .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es wäre ja wünschenswert, dass es in Afghanistan auch
ein Friedensabkommen gibt, das man überwachen könn-
te; aber in Mali gibt es das, und das ist doch ein zentraler
Unterschied .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht, dass Sie mich
falsch verstehen: Ich will nichts schönreden . Die Lage
in Mali ist alles andere als gut und rosig . Das zeigen die
hohe Zahl von Todesopfern und die vielen grausamen
Anschläge, die dort von extremistischen Gruppierungen
verübt werden, die gerade diesen Friedensprozess torpe-
dieren und zerstören wollen .

Aber auch die malische Regierung, ihr nahestehende
Milizen und die Rebellengruppen aus dem Norden spie-
len immer wieder auf Zeit . Sie suchen den eigenen Vor-
teil und versuchen, sich ein Stück weit aus diesem Frie-
densabkommen herauszubewegen . Das kennen wir doch
auch aus anderen Konflikten. Am Verhandlungstisch be-
kennen sich alle Konfliktparteien natürlich immer zu den
Vereinbarungen; aber wenn es konkret wird, versuchen
sie, auszuweichen . Da leistet die Bundeswehr mit ihren
Aufklärungsfähigkeiten einen unheimlich wichtigen Bei-
trag, indem sie genau überprüft: Wer hat wann welchen
Verstoß gegen dieses Friedensabkommen begangen? Das
ist wirklich ganz zentral, damit diese Mission Erfolg ha-
ben kann .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Mit dem neuen Mandat, das wir heute hier beraten,
werden zusätzlich Hubschrauber bereitgestellt . Das ist
notwendig geworden, weil die Niederländer diese Fähig-
keiten aus der Mission abziehen . Es geht darum, dass die
Konvois, die ja immer wieder Ziel von Angriffen wer-

den, geschützt werden . Es geht aber auch darum, Ver-
wundete transportieren und retten zu können . Ich bin mir
sicher, dass hier parteiübergreifend kein Abgeordneter
einem Einsatz zustimmen würde, bei dem die Rettungs-
kette für die Soldatinnen und Soldaten nicht gesichert ist .
Auch von daher ist es richtig, dass Deutschland sich be-
reit erklärt hat, diese Mission in Zukunft mit dieser sehr
kritischen Fähigkeit zu unterstützen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich würde mir wünschen – das ist auch angesichts
der dramatischen Materiallage bei den deutschen Hub-
schraubern wichtig –, dass auch andere westliche Natio-
nen qualifiziertes Personal und mehr Hochwertfähigkei-
ten zur Verfügung stellten, damit die Friedensmissionen
der Vereinten Nationen ihre Aufträge in vielen Krisenge-
bieten dieser Welt wirklich erfüllen können .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, so falsch ich diesen
simplen Vergleich mit Afghanistan finde, so wichtig und
richtig ist es doch, Lehren aus den Fehlern zu ziehen, die
man in Afghanistan gemacht hat, und diese Fehler in an-
deren Einsätzen nicht zu wiederholen . Ich will auf zwei
Beispiele eingehen:

Ich glaube, das Beispiel Afghanistan hat gezeigt, wie
wichtig es ist, auf den politischen Prozess zu achten und
in diesen unheimlich viel zu investieren . Am Ende kann
man Konflikte eben nicht mit Militär, nicht mit Soldatin-
nen und Soldaten lösen . Dazu bedarf es einer besseren
Abstimmung der vielen Akteure in Mali, und es braucht
auch mehr Druck, um alle Konfliktparteien in die Pflicht
zu nehmen, damit sie sich an dieses Friedensabkommen
halten . Ich wundere mich schon ein bisschen über die
Bundesregierung, die auf einmal große Kraft entfalten
und Druck ausüben kann, wenn es um Fragen von Migra-
tion und Rücknahmeabkommen geht, aber leise auftritt,
wenn es beispielsweise darum geht, Korruptionsbekämp-
fung oder die Umsetzung des Friedensprozesses einzu-
fordern .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Man kann Fluchtursachen auch nicht mit den härtesten
Rücknahmeabkommen bekämpfen, sondern nur, indem
man alles tut, um bestimmte Voraussetzungen für Sicher-
heit, Stabilität und Frieden in der Konfliktregion herzu-
stellen .

Eine Lehre aus Afghanistan ist für mich Folgendes:
Es gibt nie eine Erfolgsgarantie für einen Einsatz . Des-
halb beraten wir ja auch Jahr für Jahr über die Mandate .
Das darf auch nicht zu einem reinen Selbstzweck wer-
den, sondern wir müssen Jahr für Jahr immer wieder prü-
fen: Wie sieht denn die Lage aus? Wie groß ist denn die
Chance? Gibt es noch ein Zeitfenster für eine politische
Lösung? Denn am Ende des Tages können wir die Ak-
teure vor Ort nicht dazu zwingen, einen Friedensprozess
durchzuführen . Wir können sie dabei nur unterstützen
und in die Pflicht nehmen.

Ich glaube, es gibt noch eine Chance in Mali . Es gibt
noch einen Hoffnungsschimmer . Ohne die Friedensmis-
sion der Vereinten Nationen würde es dieses Friedensab-
kommen wahrscheinlich überhaupt nicht geben . Es gäbe






(A) (C)



(B) (D)


niemanden, der die Konfliktparteien in die Pflicht nimmt.
Das Zeitfenster für einen Versöhnungsprozess, für eine
politische Lösung wäre viel kleiner . Deshalb werden wir
Grüne dieser Mission heute mit großer Mehrheit zustim-
men .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821509800

Als nächste Rednerin spricht Elisabeth Motschmann

für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Elisabeth Motschmann (CDU):
Rede ID: ID1821509900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Mich beschäftigt im Zusammenhang mit dem Bundes-
wehreinsatz in Mali heute ein einziger Punkt . Es geht
mir um einen vermeintlichen Widerspruch, um eine
Forderung auf der einen Seite und einen Vorwurf auf
der anderen Seite . Die Forderung lautet: Fluchtursachen
müssen endlich konsequent bekämpft werden . So titelte
auch heute wieder der Weser-Kurier. Der Vorwurf lautet:
Unter dem Vorwand der Bekämpfung der Fluchtursachen
verfolgt ihr egoistische Ziele . Es geht euch eigentlich nur
darum – das hat auch Herr Movassat wieder gesagt –,
Abschottungspolitik zu betreiben, Flüchtlinge davon ab-
zuhalten, nach Europa, nach Deutschland zu kommen,
oder Rohstoffe zu sichern . – Dieser Widerspruch zieht
sich durch viele Diskussionen . Der Vorwurf lautet, dass
wir nicht den Mensch in den Mittelpunkt unserer Über-
legungen stellen .

Meine Rede befasst sich daher mit der Frage: Steht der
Mensch im Mittelpunkt oder unser Egoismus? Ich sage
ganz klar: Es geht natürlich um den Menschen . Es geht
um die Menschen in Mali . Sie sollen in ihrer Heimat eine
Zukunft haben . Sie sollen Überlebenschancen haben . Sie
sollen Sicherheit haben und vor Terrorismus geschützt
werden . Für sie sollen natürlich auch die Menschenrech-
te gelten, die für uns so selbstverständlich sind .

Genau deshalb brauchen wir die Mission MINUSMA .
Sie ist wichtig für Mali . Dies möchte ich an drei Punk-
ten – es sind keine kleinen Punkte, aber ich muss mich
kurzfassen – darlegen . Durch den vernetzten Einsatz zi-
viler und militärischer Kräfte kann der Hunger bekämpft
werden, können Krankheiten bekämpft werden und kön-
nen Bildung, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit sicherge-
stellt und gewährleistet werden . All das ist nur möglich,
wenn es Sicherheit gibt, wenn es Schutz vor Terroristen
gibt .

Zur Bekämpfung von Hunger . 180 000 malische Kin-
der leiden unter Mangelernährung . Nur 77 Prozent der
Bevölkerung haben regelmäßig Zugang zu Trinkwasser .
Deutschland sorgt mit dem Schwerpunkt Landwirtschaft,
Trinkwasserversorgung und Abwasser für eine Verbesse-
rung dieser Situation .


(Henning Otte [CDU/CSU]: Das ist den Linken völlig egal!)


Die „Aktion gegen den Hunger“ der Deutschen Welthun-
gerhilfe half 2014 über 800 000 Menschen . Dies ist und
war ohne die Schaffung von Sicherheit und Ordnung,
ohne den Einsatz unserer Truppen bzw . der Truppen der
Vereinten Nationen nicht möglich .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Auch die Bekämpfung von Krankheiten wäre nicht
möglich, wenn es keine Sicherheit gäbe . Die Lebenser-
wartung in Mali liegt bei 58 Jahren . Besonders wichtig ist
der Kampf gegen Malaria . Ärzte ohne Grenzen gelang es
2015, 190 000 Kindern Antimalariamedikamente zu ver-
abreichen . All das wäre nicht möglich, Herr Movassat,
wenn wir das täten, was Sie möchten . Sie denken, Sie
seien schlauer als die 16 Nationen, die sich an diesem
Einsatz beteiligen .

Auch örtliche Krankenhäuser müssen natürlich unter-
stützt werden, Impfungen müssen durchgeführt werden .
Dabei muss es einen Schutz vor Gewaltausbrüchen ge-
ben . Deswegen ist der Einsatz der Hubschrauber auch so
wichtig; denn nur so kann man im Notfall Verletzte aus-
fliegen und Hilfskonvois begleiten.

Außerdem brauchen wir gerade in einem solchen
Land – das ist das Gute an diesem vernetzten Einsatz –
Bildung, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit . Da beteiligt
sich Deutschland an einem Kommunalentwicklungs-
fonds und stellt den Bau von Schulen und Infrastruk-
tur sicher . All das könnte nicht gemacht werden, Herr
Movassat, wenn es nach Ihnen ginge . Ich möchte ein-
mal wissen, worin eigentlich Ihre Alternativen zu diesem
Bundeswehreinsatz liegen .

Das Kinderhilfswerk Dritte Welt hat seit 1995 immer-
hin 20 Schulen gebaut . Noch besuchen 60 Prozent der
schulpflichtigen Kinder keine Grundschule. Der Bau von
Schulen ist also wichtig, und wenn wir es nicht tun, dann
besteht die große Gefahr der weiteren Radikalisierung .
Wir wissen, wie diese voranschreitet . Es ist ja schon be-
schrieben worden, wie sich der Terror in diesem Land
zurzeit darstellt .

Ich will schließen – die Präsidentin macht mich auf
die Redezeit aufmerksam – mit einem Zitat von UN-Ge-
neralsekretär Guterres, der nach dem dramatischen An-
schlag in Gao, bei dem es über 70 Tote gab, Folgendes
sagte:

Nach dieser verabscheuungswürdigen Tat sind wir
noch entschlossener, die malische Bevölkerung, die
Regierung und die Unterzeichner der nichtstaatli-
chen bewaffneten Gruppen bei ihrem Einsatz für
Frieden, ihrem Kampf gegen den Terrorismus und
dem Friedensabkommen zu unterstützen .

Deshalb halten wir fest: Ohne Sicherheit keine Struk-
turen, ohne Strukturen keine Schulen, ohne Schulen kei-
ne Bildung, und ohne Bildung haben Terrorismus und
Islamismus weiterhin ein leichtes Spiel . Diesen Teufels-
kreis müssen wir durchbrechen, und deshalb brauchen
wir die Mission . Wir sollten die Soldaten nicht verun-
sichern, sondern ihnen an dieser Stelle danken, dass sie
bereit sind, in diesen gefährlichen Einsatz zu gehen .

Agnieszka Brugger






(A) (C)



(B) (D)


Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821510000

Dirk Vöpel hat als nächster Redner für die SPD-Frak-

tion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Dirk Vöpel (SPD):
Rede ID: ID1821510100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir entscheiden gleich nicht nur darüber, ob
wir die deutsche Beteiligung an der MINUSMA-Frie-
densmission der Vereinten Nationen um ein weiteres
Jahr verlängern . Wir entscheiden auch darüber, ob wir
das Mandat der Bundeswehr in Mali zum zweiten Mal
in Folge substanziell erweitern, in quantitativer, aber vor
allem in qualitativer Hinsicht . Mit der Aufstockung der
Personalobergrenze von 650 auf 1 000 Soldatinnen und
Soldaten, der Übernahme der Rettungskette von unseren
niederländischen Freunden sowie der Verlegung von vier
Kampfhubschraubern wird dies dann der aktuell bedeu-
tendste Auslandseinsatz der Bundeswehr sein .

Derzeit kommen viele schlechte Nachrichten aus
Mali . Wir erleben in den letzten Monaten ein Wieder-
aufflammen des Terrors, auch im vermeintlich sicheren
Süden und in der Mitte Malis . Seit Januar 2016 zählt
die Gesellschaft für bedrohte Völker 411 Terroropfer,
darunter 209 Zivilisten . Seit Juli letzten Jahres wurden
16 MINUSMA-Angehörige getötet und 57 verletzt . Ende
November kam es am Flughafen von Gao bereits zu ei-
ner Autoexplosion, bei der glücklicherweise niemand zu
Schaden kam . Zum bisher blutigsten Höhepunkt kam es
in der letzten Woche, als ein Selbstmordanschlag auf ein
malisches Militärcamp in Gao mindestens 77 Tote und
115 Verletzte forderte .

Standen bisher vor allem Soldaten der malischen Ar-
mee, UNO-Blauhelme oder französische Soldaten der
Operation Barkhane im Fadenkreuz der Terroristen, ziel-
te der Anschlag in Gao direkt auf eine der Säulen des
Friedensvertrages von 2015 . In dem Abkommen wurde
die Aufstellung neuer Truppenverbände zur gemeinsa-
men Durchführung von Patrouillen im Norden Malis
vereinbart . Diese sogenannten MOC-Bataillone sollen
zu je einem Drittel aus Soldaten der malischen Armee,
Angehörigen regierungsnaher Milizen und ehemaliger
Tuareg-Rebellen gebildet werden .

Ziel ist nicht nur eine wirksamere Bekämpfung der
Terroristen in ihren Hochburgen im Norden Malis durch
ortskundige Kämpfer . Durch die miteinander geteilte
Ausbildungs- und Einsatzerfahrung soll zwischen den
bisher verfeindeten Gruppen Vertrauen entstehen . Lang-
fristig sollen diese Bataillone in die regulären malischen
Streitkräfte überführt werden . Lange Zeit wurde die Auf-
stellung dieser Verbände insbesondere von den Tuareg
boykottiert . Erst gegen Ende des letzten Jahres konnten
sich die Exrebellen endlich dazu durchringen, die ge-
meinsamen Patrouillen aufzunehmen .

Der schreckliche Autobombenanschlag der letzten
Woche richtete sich exakt gegen das Militärlager und die
Angehörigen des ersten neuen Bataillons, das jetzt mit
dem Einsatz beginnen sollte . Ziel, Zeitpunkt und Ort des
Angriffes waren mit großer Präzision und vermutlich
auch Insiderwissen gewählt . Er galt einem noch wenig
belastbaren Tragpfeiler des Friedensabkommens, erfolg-
te nur wenige Tage nach dem Frankreich-Afrika-Gipfel
in Bamako und wurde in der malischen Stadt mit der
stärksten Militärpräsenz verübt .

Die Dschihadisten haben Schlagkraft demonstriert .
Aber sie haben mit dem gleichen Blut zu Protokoll gege-
ben, dass sie die neuen gemeinsamen Patrouillen für eine
reale Bedrohung halten . Die internationale Gemeinschaft
muss deshalb darauf drängen, dass dieses Projekt jetzt
noch entschlossener weiterverfolgt wird .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundeswehr be-
teiligt sich in Mali erstmals in so großem Umfang an ei-
ner landgestützten UNO-Friedensmission . Mit dem Ein-
satz der Aufklärungssysteme LUNA und Heron 1 sowie
der befristeten Übernahme der luftgestützten Rettungs-
kette stellt Deutschland Hochwertfähigkeiten zur Ver-
fügung, auf die eine Mission wie MINUSMA elementar
angewiesen ist .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das personelle Rückgrat der UN-Friedensmissionen
bilden nach wie vor die vielen Blauhelmsoldaten aus
Entwicklungsländern wie beispielsweise Bangladesch .
Diese verfügen aber nicht über die für solche Einsätze
erforderlichen Hochtechnologiekomponenten .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer eine starke
UNO will, der muss auch seinen Beitrag leisten . Wir
werden dem Antrag der Bundesregierung zustimmen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg . Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821510200

Als letzter Redner in dieser Debatte spricht

Dr . Reinhard Brandl für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen gleichzeitig, ihre
Gespräche einzustellen und dem Kollegen zuzuhören .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das lohnt sich! – Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Da kann man noch etwas lernen!)


Das ist auch ein Gebot der Fairness, des Umgangs unter-
einander . – Herr Brandl, Sie haben das Wort .


Dr. Reinhard Brandl (CSU):
Rede ID: ID1821510300

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Ich will Ihnen vier Gründe nennen, warum wir diesem
Mandat gleich zustimmen sollten .

Der erste Grund ist: Mali liegt mitten in dem Pul-
verfass Sahelzone . Die Sahelzone erstreckt sich durch

Elisabeth Motschmann






(A) (C)



(B) (D)


ganz Afrika, vom Senegal im Westen bis hinüber nach
Äthiopien im Osten . Keines dieser Länder ist bisher
Ausgangspunkt für Migration . Aber in fast allen dieser
Länder schwelen interne Konflikte, sei es aufgrund von
Separatistenbewegungen oder durch den in den letzten
Jahren verstärkten islamischen Terrorismus . Wir haben
ein hohes sicherheitspolitisches Interesse, diese Region
zu stabilisieren . Ich will es bildlich ausdrücken: Wenn
uns der Sahel zerbröselt, dann bricht ganz Nordafrika
weg, und dann gibt es kein Halten mehr .

Der zweite Grund: Mali ist Schwerpunktland deut-
schen Engagements in Afrika . Wenn wir in einem Land
einen Beitrag zur Stabilisierung des Sahel leisten kön-
nen, dann ist es in Mali .

Das MINUSMA-Mandat, über das wir heute ab-
stimmen, ist ja nur ein Baustein . Wir sind engagiert bei
EUTM Mali, der EU-Ausbildungsmission . Wir stellen
zum Beispiel bei der Polizeimission der EU, EUCAP Sa-
hel Mali, den Leiter . Wir sind seit vielen Jahren in der
Entwicklungszusammenarbeit engagiert, in der zivilen
Krisenprävention und bei humanitärer Hilfe . Durch diese
Schwerpunktsetzung und durch die langjährige Erfah-
rung haben wir Ansprechpartner und Einfluss in diesem
Land . Die Bundeskanzlerin war erst vor wenigen Mona-
ten zu Gesprächen in Mali, und mit unserer Beteiligung
an MINUSMA stärken wir den Einfluss in diesem Land.

Der dritte Grund: MINUSMA ist eine Mission der
Vereinten Nationen . Wir haben in diesem Saal oft darü-
ber gesprochen, dass wir uns stärker bei VN-Friedens-
missionen engagieren müssen . Wir sind ja spitze darin,
Ansprüche zu formulieren . Wir sind auf Platz 4 bei den
Beitragszahlern, aber immer noch auf Platz 46 bei den
Truppenstellern der VN-Missionen .

Mit der Erweiterung des Mandats, die wir heute be-
schließen, leisten wir einen echten Hochwertbeitrag, den
außer uns kaum ein anderes Land in dieser Form leisten
kann . Wir stellen Hubschrauber zur Sicherstellung der
Rettungskette, und wir liefern Aufklärung, ohne die es
überhaupt nicht möglich wäre, in einem Land wie Mali,
das dreimal so groß ist wie Deutschland, überhaupt
nachzuvollziehen, welche Konfliktpartei sich gerade an
welche Vereinbarung des Friedensabkommens hält oder
nicht . Deshalb ist dieser Beitrag wichtig . Wir stärken da-
mit die Mission, aber wir stärken auch die Rolle der VN
in der Region .

Der vierte Grund: MINUSMA schafft Sicherheit in
Mali . Ohne MINUSMA wären die malische Regierung
und die malischen Sicherheitskräfte nicht in der Lage,
ihre Bevölkerung und die Hilfsorganisationen vor ter-
roristischen Angriffen zu schützen . Es gibt immer noch
verschiedene islamisch-terroristische Gruppen, die ver-
suchen, den Friedensprozess zu unterlaufen und die Be-
völkerung durch Terroranschläge einzuschüchtern .

Auch mit MINUSMA bleibt die Lage in Mali gefähr-
lich . Aber ohne den Stabilitätsanker MINUSMA würde
das Land vollkommen ins Chaos abgleiten . Auch für
Mali gilt: Ohne Sicherheit kein Frieden, und ohne Si-
cherheit keine Entwicklung . Das Bittere ist: Mali war in
Afrika vor wenigen Jahren noch ein Musterbeispiel für
Demokratie . Wir mussten im Herbst 2011, als von Li-

byen her die bewaffneten Tuareg-Truppen in das Land
einfielen, mitansehen, wie die Regierung von Mali nicht
in der Lage war, ihr Land und ihr Volk zu schützen, als
es darauf ankam .

Ich erinnere mich an viele Sondersitzungen, die wir
damals hier hatten, auch im Verteidigungsausschuss, und
wir mussten mitansehen, wie schnell es in Afrika gehen
kann, dass ein Land, das eigentlich auf einem guten Weg
war, plötzlich in die Instabilität abgleitet . Wir mussten
auch mitansehen, wie schnell ein Konflikt von einem
Land – in diesem Fall war es Libyen – auf ein anderes
Land übergreifen kann .

Damit bin ich wieder bei meinem ersten Punkt: das
Pulverfass Sahelzone . Ein Funke kann in dieser Region
einen Flächenbrand auslösen . Um das zu verhindern,
sind wir in Mali und bei MINUSMA aktiv . Ich bitte um
Zustimmung zu dem Mandat .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821510400

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit sind wir am

Ende dieser Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem An-
trag der Bundesregierung zur Fortsetzung und Erweite-
rung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungs-
mission der Vereinten Nationen in Mali, MINUSMA .
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/10967, den Antrag der Bundesregie-
rung auf Drucksache 18/10819 anzunehmen . Wir stim-
men nun über die Beschlussempfehlung namentlich ab,
und ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze an den Urnen einzunehmen . – Sind
alle Urnen besetzt? – Dann eröffne ich die Abstimmung .

Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stim-
me noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall .
Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu be-
ginnen . Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später
bekannt gegeben .1)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie jetzt
bitten, Ihre Plätze wieder einzunehmen . – Ich darf Sie
bitten, Ihre Plätze wieder einzunehmen .


(Glocke der Präsidentin)


– Nun habe ich zum ersten Mal zur Glocke gegriffen, und
ich möchte Sie bitten, Ihre Plätze wieder einzunehmen .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich weiß, dass wir jetzt nicht nur eine wichtige Debat-
te, sondern auch eine wichtige Rede von Außenminister
Dr . Frank-Walter Steinmeier vor uns haben, der für die

1) Ergebnis Seite 21523 C

Dr. Reinhard Brandl






(A) (C)



(B) (D)


Bundesregierung zu Tagesordnungspunkt 6 sprechen
wird .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Lieber Außenminister, bevor Sie mit Ihrer Rede be-
ginnen können, muss ich noch einige Formalitäten erle-
digen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:

– Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Auswärtigen Ausschusses

(3 . Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesre-

gierung

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte zur Ausbildungsun­
terstützung der Sicherheitskräfte der Re­
gierung der Region Kurdistan­Irak und der
irakischen Streitkräfte

Drucksachen 18/10820, 18/10968


(8 . Ausschuss)


Drucksache 18/10989

Über die Beschlussempfehlung werden wir später na-
mentlich abstimmen .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung haben wir
uns darauf verständigt, 38 Minuten für die Aussprache
vorzusehen . – Das ist jetzt auch so beschlossen, weil es
keinen Widerspruch gibt .

Damit eröffne ich die Aussprache . – Herr Außenmi-
nister, Sie haben das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des
Auswärtigen:

Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ob Sie es glauben oder nicht: Vor ziem-
lich genau drei Jahren haben wir hier im Deutschen Bun-
destag zum ersten Mal über die außenpolitischen Leit-
linien der Großen Koalition gesprochen . Ich habe mir
meine eigene Rede von damals herausgeholt und bin fast
etwas beschämt über die Einschätzungen, die ich wie-
dergegeben habe . Ich habe damals gesagt, wir müssten
mit gewissen Beunruhigungen rechnen . Deshalb könnte
man voraussehen, dass die Verantwortung für unser Land
steigt .

Schauen wir uns die Ereignisse der darauf folgenden
Wochen und Monate an, die alle nacheinander einsetzten:
Da waren die Unruhen auf dem Maidan, die zur völker-
rechtswidrigen Annexion der Krim führten . Da war die
Ebolakrise . Da war die neue Auseinandersetzung zwi-
schen Israel und den Palästinensern im Gazastreifen . Da
war der erste Aufmarsch der IS-Kämpfer, die sich daran-
machten, sich den ganzen Nordirak untertan zu machen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, all das ist nicht in
den letzten drei Jahren passiert, sondern das waren die

Ereignisse der ersten sechs Monate . Deshalb war der
Aufruf zur Übernahme von mehr Verantwortung für
Deutschland, den ich damals gemacht habe, keine Tro-
ckenübung, sondern das waren Aufgaben, denen wir uns
in den ersten Wochen und Monaten dieser Legislaturperi-
ode unmittelbar stellen mussten . Diese Verantwortungs-
bereitschaft ist vom ersten Tag an getestet worden .

Was ich sagen will: Dieses Parlament hat, wie das
heute leider in vielen Teilen der Erde in Mode kommt,
eben nicht erklärt: abschotten, dichtmachen . Lasst die
Welt mit ihren Nöten einfach draußen . – Vielmehr haben
Sie alle Ihre Verantwortung ernst genommen . Sie haben
danach gehandelt . Dafür will ich mich ganz herzlich be-
danken .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Dr . Petra Sitte [DIE LINKE])


Das Mandat und das Engagement im Irak, über das
wir reden, steht geradezu beispielhaft für das, was ich
meine: für die gewachsene Verantwortung deutscher Au-
ßenpolitik . Ich will gerne hinzusetzen: Diese Verantwor-
tung haben wir nicht einfältig als einseitig verstanden .
Wir haben immer gewusst: Das kann auch militärische
Optionen beinhalten . Wir haben uns aber nicht auf mi-
litärische Optionen verengt, sondern einen umfassenden
politischen Ansatz versucht . Wir haben gewusst, dass es
mit den Mördern des IS nichts zu verhandeln gibt und
dass wir deshalb diejenigen unterstützen müssen, die sich
dem IS im Norden des Irak entgegenstellen .

Wir haben auch gewusst: Wenn man den Irak in dieser
schwierigen Lage wirklich festigen will, um dem Terror
den Nährboden zu entziehen, dann braucht es viel, viel
mehr . Dann braucht es humanitäre Hilfe . Dann braucht
es aktive politische Arbeit mit der Zentralregierung . Ein
Blick auf die zurückliegenden Jahre zeigt: Der Irak ist
ein Beispiel für gewachsene Verantwortung . Aber er ist
auch ein Beispiel dafür, wie sehr sich der Instrumenten-
kasten der Außenpolitik in diesen Jahren entwickelt und
kontinuierlich erweitert hat, gerade unter dem Stichwort
der Stabilisierung .

Wir haben 47 Millionen Euro eingesetzt, mit denen
wir heute Schulen und Krankenhäuser wieder instand
setzen sowie Strom- und Wasserleitungen wieder funk-
tionsfähig machen . Viele Menschen, die vom IS aus ih-
rer Heimat vertrieben wurden, haben wir inzwischen mit
dieser Hilfe zurückgebracht, zum Beispiel nach Tikrit,
Ramadi und Falludscha . Das ist Außenpolitik aus einem
Guss . So stelle ich mir das vor .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Nun gibt es, Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und
Kollegen, hartnäckige Gerüchte, dass dies meine letzte
Rede im Deutschen Bundestag sein könnte .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: In dieser Periode!)


Ich fürchte, dass das keine Fake News sind; das haben
wir ernst zu nehmen . Deshalb erlauben Sie mir einen

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


Blick zurück auf die letzten drei Jahre . Ich werde dabei
meine Redezeit nur um wenige Stunden überziehen .


(Heiterkeit)


Im Ernst und in aller Kürze: Ja, wir haben in diesen
Jahren in der Tat mehr Verantwortung gewagt . Ich bin
mir sehr bewusst: Dieses Wagnis wäre nicht geglückt
ohne den Deutschen Bundestag und das nicht, weil die
Kollegin Barnett und die Kollegen Karl, Leutert und
Lindner am Geldhahn sitzen . Ich meine etwas sehr viel
Grundsätzlicheres . Mehr Verantwortung, mehr Engage-
ment in der Welt kann nicht von oben verordnet werden,
sondern das kann sich nur im Selbstverständnis dieser
Gesellschaft herausbilden . Wenn sich die Rolle unse-
res Landes in der Welt wandelt – das tut sie ja –, dann
muss die gesamte Gesellschaft darüber diskutieren . Das
sage ich nicht als Mitglied der Regierung, sondern als
Abgeordneter des Deutschen Bundestages: Ich bin stolz
darauf, dass der Bundestag diese Debatte angeführt hat,
dass wir diese Debatte uns selbst und der deutschen Öf-
fentlichkeit – wenn ich das so sagen darf – zugemutet
haben .

Erstens . Wir haben diskutiert und gestritten über den
Weg der Diplomatie gerade im Umgang mit schwierigen
Regierungen und bei wachsenden Spannungen . Russland
und die Türkei sind hier als Stichworte zu nennen .

Zweitens . Wir haben diskutiert über den Ausbau von
Mitteln und Möglichkeiten unserer Außenpolitik . Ich
danke für die Ausstattung des Auswärtigen Amtes, die in
den letzten drei Jahren erheblich gewachsen ist . Wir ha-
ben diskutiert über die Instrumente der Außenpolitik . Ich
erinnere an die Leitlinien „Zivile Krisenprävention“ – ein
Herzensprojekt vieler Kolleginnen und Kollegen hier im
Bundestag –, an die Wiederbelebung der Rüstungskont-
rolle in Europa oder an die Auswärtige Kultur- und Bil-
dungspolitik, die noch immer unterschätzte dritte Säule
der Außenpolitik . Ich bin dem Unterausschuss sowie
namentlich Ulla Schmidt, Claudia Roth und Peter Gau-
weiler und vielen anderen dankbar, dass nicht nur die Be-
deutung erkannt worden ist, sondern dass sie uns auch
mit Möglichkeiten ausgestattet haben . Herzlichen Dank
dafür!


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Natürlich haben wir besonders intensiv und ausführ-
lich über Mandate diskutiert, genauso wie heute . Nir-
gendwo streiten wir in der Außenpolitik vermutlich so
lange und so heftig wie gerade bei den Mandaten . Aber
ich will auch einmal sagen: Dass wir in Deutschland
um jeden Einsatz militärischer Mittel ringen, ist doch
vor dem Hintergrund unserer deutschen Geschichte nun
wirklich nichts Schlechtes . Sosehr ich mir eine aktive,
selbstbewusste deutsche Außenpolitik wünsche: Wir wä-
ren sicherlich kein besseres Land, wenn uns die Entsen-
dung von Soldatinnen und Soldaten, Polizistinnen und
Polizisten sowie Helferinnen und Helfern in Krisenregi-
onen dieser Welt in jedem Fall leicht von der Hand ginge .
Deshalb sind diese Debatten in diesem Hause so wichtig .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Krisen und Konflikte, Welt aus den Fugen, das alles
haben Sie in den letzten drei Jahren so häufig von mir
gehört, dass es viele schon mitsprechen können . Aber
2016/2017 ist etwas ganz anderes . Die größten politi-
schen Erschütterungen kamen nicht mehr aus der Ferne,
sondern – ich gebe zu: etwas verkürzt – mehr und mehr
aus dem Inneren unserer Gesellschaft: der Paukenschlag
des Brexit, die Wahl von Donald Trump in den USA und
die jetzt anstehenden Wahlen in den Niederlanden und
Frankreich . Dort entscheidet sich die Richtung Europas,
die Richtung der internationalen Zusammenarbeit und
deshalb auch – davon bin ich überzeugt – die Handlungs-
fähigkeit unserer Außenpolitik .

Ich weiß auch noch nicht, was diese Entwicklung
im Einzelnen mit sich bringen wird . Nur eines weiß
ich: Wenn die Grenze zwischen innen und außen ver-
schwimmt, dann muss man aufpassen, dass damit nicht
auch der Parlamentarismus weggespült wird . Im Ge-
genteil: Ich glaube – ich weiß –, Sie, die Parlamentarier,
müssen die Fährleute zwischen den beiden Ufern von in-
nen und außen sein und müssen es bleiben .

Sie müssen hier im Bundestag über deutsches Engage-
ment in der ganzen Welt entscheiden und gleichzeitig –
das ist die Herausforderung – dann auch noch zu Hause
im Wahlkreis den Menschen erklären, was eigentlich in
Russland, in der Türkei oder in Syrien los ist . Ich weiß:
Jeder und jede hier trägt die Verantwortung, die Lage der
Welt zu erklären, ohne zu vereinfachen, Außenpolitik zu
vermitteln, ohne in Schwarz-Weiß-Urteile zu verfallen .
Das ist eine schwierige, aber, wie ich finde, auch eine
verdammt noble Aufgabe, die wir da haben .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Weil Ihre Aufgabe in Zukunft eher noch wichtiger
werden wird, will ich zum Schluss zwei Wünsche los-
werden . Erstens, kurz gesagt: Reisen Sie weiter! Außen-
politik, wie ich immer sage, lässt sich eben nicht von der
Sofaecke aus machen . Das gilt für Abgeordnete genauso
wie für Außenminister . Ich habe mir sagen lassen: Mehr
als 2 000 Reisen ins Ausland haben Sie, liebe Kollegin-
nen und Kollegen, in dieser Legislaturperiode unternom-
men . Das überbietet mein Meilenkonto bei weitem . Das
ist gut so. Will sagen: Pflegen Sie die Gesprächskanäle
bilateral und in den internationalen Parlamentarierforen
von OSZE, Europarat, NATO und mit dem Patenschafts-
programm, gerade auch dort, wo Demokratie und Parla-
mentarier bedroht sind .

Mein zweiter Wunsch betrifft die Zukunft . Wenn wir
gewachsene internationale Verantwortung nicht abschüt-
teln können und hoffentlich auch nicht wollen, dann
brauchen wir eben international aufgestellten Parlamen-
tariernachwuchs . Darum will ich auch jeden von Ihnen
bitten: Werben Sie bei der nachwachsenden Generation
für internationales Engagement . Ermutigen Sie die jun-
gen Leute, über den Tellerrand der deutschen Grenzen,
wo immer es geht, hinauszuschauen, und sagen Sie ihnen,
dass die Zeit im Ausland keine verlorene Zeit ist, dass sie
dadurch eher vorankommen und nicht zurückgeworfen
werden . Es ist wichtig, dass wir junge, nachwachsende
Abgeordnete haben, die sich in der Welt ein bisschen

Bundesminister Dr. Frank­Walter Steinmeier






(A) (C)



(B) (D)


auskennen und wissen, wie die Welt auf uns schaut . Wir
brauchen diesen Nachwuchs in der Außenpolitik . Davon
bin ich fest überzeugt .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vielleicht darf ich mit einer ganz persönlichen Bemer-
kung abschließen . Ich verlasse dieses Parlament zwar als
Mitglied der Regierung, aber mein erster Platz hier – da-
ran wird sich der eine oder andere erinnern – war in den
Reihen der Opposition . Es ist auch kein Geheimnis: Als
ich 2009 in den Bundestag gewählt wurde, hatte ich es,
lieber Thomas, gar nicht so sehr auf deinen Stuhl abge-
sehen, sondern eher auf den hier vorne auf der Regie-
rungsbank .


(Heiterkeit)


Die Möglichkeit hat sich nicht ergeben . Ich erin-
nere mich aber auch an einen großen sozialdemokrati-
schen Parteivorsitzenden, der gesagt hat: „Opposition ist
Mist .“ – Nun ist das in der SPD so: Man darf dem Vor-
sitzenden nicht widersprechen, aber man darf den Satz
interpretieren .


(Heiterkeit)


Wenn die Opposition Mist ist, dann ist sie gleichzeitig
Dünger für die Demokratie . Das ist gut so . Ich hoffe, das
bleibt respektiert in diesem Hause .


(Beifall im ganzen Hause)


Willy Brandt – das war schon nach seinen Kanzlerjah-
ren – hat einmal als Alterspräsident hier im Deutschen
Bundestag gesprochen und gesagt:

Alle Mitglieder dieses Hauses nehmen gleicher-
maßen wichtige Aufgaben wahr, ob sie nun die
Regierung stellen oder diese kritisch begleiten, ob
sie Macht verwalten oder diese kontrollieren … Par-
lamentarische Verantwortung für unseren Staat ob-
liegt der einen Seite wie der anderen; sie ist keiner
Seite Vorrecht .

Was Willy Brandt vor 34 Jahren gesagt hat, müssen
wir heute, so denke ich, auch auf die Außenpolitik bezie-
hen . Die parlamentarische Demokratie steht weltweit un-
ter Druck, wird vielerorts infrage gestellt . In viel zu vie-
len Ländern werden die Freiräume von parlamentarischer
und zivilgesellschaftlicher Opposition beschnitten, und
selbsternannte starke Männer haben die Verachtung von
demokratischer Kontroverse sogar zum Herrschaftsprin-
zip erhoben .

Gleichzeitig ist im Netz ein Raum für anonyme und
enthemmte Kommunikation entstanden, in dem immer
neue Erregungswellen mehr Klicks erzeugen als Fakten
oder Argumente, in dem Sprache jedes Maß verloren hat
und die Grenze zwischen dem Sagbaren und dem Unsäg-
lichen zusehends schwindet .

Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen jetzt
den Raum der Demokratie und die Kultur der Demokra-

tie verteidigen im Innern unserer Gesellschaft wie nach
außen . Wenn ich irgend kann, werde ich aus möglichen
neuen Ämtern heraus an dieser Verteidigung gern mittun .
Aber beginnen kann das nirgendwo sonst als hier an die-
sem stolzen Pult . Deshalb bitte ich Sie: Nutzen Sie dieses
Pult . Ich jedenfalls werde es vermissen .

Vielen Dank .


(Anhaltender Beifall bei der SPD, der CDU/ CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Die Fraktionen der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN erheben sich)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821510500

Sehr geehrter Herr Außenminister, bleiben Sie noch

einen Moment hier . – Sehr geehrter Herr Außenminister!
Ich möchte Ihnen auch im Namen meiner Kolleginnen
und Kollegen für das danken, was Sie als Außenminister
in einer außenpolitisch äußerst schwierigen Zeit geleistet
haben . Ihnen war immer anzumerken, es war immer zu
spüren, dass Sie sich mit großem Engagement, mit Herz,
aber auch mit Ihrem Intellekt darum bemüht haben, po-
litische Lösungen für Konflikte zu finden und nicht den
einfachen Lösungen nachzurennen .

Sie haben sich mit diesem unermüdlichen Einsatz für
eine verantwortungsvolle Außenpolitik und mit Ihrer ho-
hen Glaubwürdigkeit nicht nur Wertschätzung bei vielen
Menschen in unserem eigenen Land und auch bei unse-
ren Partnern in vielen anderen Ländern erworben, Sie
haben mit Ihrem unermüdlichen Einsatz und Ihrer hohen
Glaubwürdigkeit auch hohe Verdienste für unser Land
und für uns erworben .

Lieber Herr Außenminister, dies war Ihre letzte
Rede als Außenminister im Deutschen Bundestag . Ich
freue mich sehr auf ein Wiedersehen am 12 . Februar –
und dann werden wir ja sehen . Ich wünsche Ihnen alles
Gute für Ihre Zukunft und für Ihre künftigen Aufga-
ben .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Abg . Dr . Katarina Barley [SPD] überreicht Bundesminister Dr . Frank-Walter Steinmeier einen Blumenstrauß)



Sigmar Gabriel (SPD):
Rede ID: ID1821510600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Entschuldigen Sie, dass wir hier den Ablauf noch für ei-
nige Minuten stören .

Lieber Frank-Walter, neben Blumen und dem Dank
für den „Dünger der Demokratie“ in Bezug auf die Op-
position haben wir dir als deine Partei und deine Frak-
tion etwas zum Abschied mitgebracht . Wir wissen, dass
du nicht nur den Abgebildeten sehr schätzt – es ist ein
Porträt von Willy Brandt, das zum 100 . Geburtstag ent-
standen ist –, sondern vor allen Dingen auch den Künst-

Bundesminister Dr. Frank­Walter Steinmeier






(A) (C)



(B) (D)


ler, der es gemacht hat . Wir wissen, dass du ein großer
Freund von Armin Müller-Stahl bist . Von ihm ist dieses
Bild . Es ist ein kleines Geschenk deiner Fraktion und
deiner Partei für großartige Arbeit in ganz unterschied-
lichen Ämtern und ganz sicher auch ein schönes Präsent
für ein noch viel wichtigeres Amt . Alles Gute und vie-
len Dank!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN – Abg . Sigmar Gabriel [SPD] überreicht Bundesminister Frank-Walter Steinmeier ein Präsent)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821510700

Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt müssen wir zur

Normalität zurückkehren .

Bevor wir die Debatte fortsetzen, gebe ich das von den
Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergeb­
nis der namentlichen Abstimmung über die Beschlus-
sempfehlung zur Fortsetzung von MINUSMA bekannt:
Abgegeben wurden 556 Stimmen . Mit Ja haben gestimmt
498 Kolleginnen und Kollegen, mit Nein haben gestimmt
55 Kolleginnen und Kollegen, und es gab 3 Enthaltun-
gen . Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen
worden .

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 556;
davon

ja: 498
nein: 55
enthalten: 3

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Dr . Maria Böhmer
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Cajus Caesar
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach

Hermann Färber
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Rainer Hajek
Dr . Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)


Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Alexander Hoffmann

(Dort mund)

Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Dr . Mathias Edwin Höschel
Charles M . Huber
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber

Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Dr . Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg

Sigmar Gabriel






(A) (C)



(B) (D)


Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann

(Braun schweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Patrick Schnieder
Nadine Schön (St . Wendel)

Dr . Ole Schröder

(Wies baden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer

Detlef Seif
Johannes Selle
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Stritzl
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker

Oliver Wittke
Barbara Woltmann
Heinrich Zertik
Dr . Matthias Zimmer

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Dr . h .c . Edelgard Bulmahn
Dr . Lars Castellucci
Jürgen Coße
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß

Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann

(Wa ckernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller (Chemnitz)

Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Andrea Nahles






(A) (C)



(B) (D)


Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr . Wilhelm Priesmeier
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim

Schabedoth
Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Elfi Scho‑Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Dr . Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer

Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Annalena Baerbock
Volker Beck (Köln)

Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner

Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Manuel Sarrazin
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Dr . Harald Terpe
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Dr . Valerie Wilms

Fraktionslos

Erika Steinbach

Nein

SPD

Ulrike Bahr
Klaus Barthel
Dr . Ute Finckh-Krämer
Cansel Kiziltepe
Hilde Mattheis
Christian Petry

(Wol mirstedt)


DIE LINKE

Jan van Aken
Herbert Behrens
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke

Dr . André Hahn
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Thomas Nord
Petra Pau
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Hans-Christian Ströbele

Enthalten

SPD

René Röspel

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Monika Lazar
Corinna Rüffer

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.






(A) (C)



(B) (D)


Als nächste Rednerin in der Debatte hat jetzt Christine
Buchholz von der Fraktion Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Christine Buchholz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821510800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr

Steinmeier, Sie haben die Frage der Verantwortung in das
Zentrum Ihrer letzten Rede als Außenminister gestellt .
Der Bundeswehreinsatz im Irak, über den wir heute hier
diskutieren, steht für uns eigentlich beispielhaft für die
falsche Ausrichtung und auch die falsche Interpretation
der Verantwortung der Bundesregierung in der Welt . Da-
bei rede ich explizit nicht über die Anstrengung der hu-
manitären Hilfe beispielsweise für Flüchtlinge im Nord-
irak, wo viel mehr zu tun ist und wo übrigens auch die
Flüchtlinge geschützt werden müssen; sie dürfen nicht
wieder in den Nordirak abgeschoben werden . Vielmehr
geht es darum, heute, hier und jetzt über die Fortführung
des Bundeswehreinsatzes zu diskutieren . Die Bundes-
wehr soll nämlich weiterhin die Peschmerga, also die
Milizen der kurdischen Regionalregierung im Nordirak,
militärisch ausbilden . Zur Begründung behauptete Ver-
teidigungsministerin von der Leyen in der ersten Bera-
tung des Antrags, die Peschmerga hätten „als Erste den
IS gestoppt“ .

Das ist nicht wahr . Als der IS im Sommer 2014 die
Minderheit der Jesiden angriff und ins nordirakische
Sindschar‑Gebirge trieb, flohen die Peschmerga, ohne ei-
nen einzigen Schuss abzugeben, und es war die kurdische
PKK, die den Jesiden einen Korridor freikämpfte .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Michael Brand [CDU/CSU]: Das ist doch eine üble Legende!)


Doch die PKK gilt in Deutschland als terroristisch .
Die Peschmerga hingegen, welche die Jesiden im Stich
ließen, werden von Deutschland mit Waffen und Ausbil-
dung unterstützt .


(Michael Brand [CDU/CSU]: Unverschämt! – Henning Otte [CDU/CSU]: Jetzt übernehmen Sie sich aber!)


Um den Bundeswehreinsatz im Irak zu rechtfertigen,
leugnet die Bundesregierung diese nachweislichen Fak-
ten .


(Michael Brand [CDU/CSU]: Sie sollten sich bei Trump bewerben!)


Es gibt aber auch Kurden im Nordirak, die das sa-
gen, so wie der Journalist Wedat Hussein Ali . Er wagte
es, Präsident Barsani und die kurdische Regionalregie-
rung zu kritisieren . Die Folge: Wedat Hussein Ali wurde
mehrfach von Barsanis Leuten verhört und bedroht . Im
August letzten Jahres wurde seine Leiche mit Folter-
spuren aufgefunden . Human Rights Watch spricht von
Dutzenden Journalisten, die von Kräften der kurdischen
Regionalregierung schikaniert, inhaftiert oder getötet
worden sind . Wir sagen: Ein solches Regime darf nicht
unterstützt werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Seit 2014 hat die Bundesregierung mehr als 30 Trans-
portflugzeuge mit Rüstungsgütern und Waffen in den
Irak geschickt . Die Peschmerga erhielten unter ande-
rem 4 000 Sturmgewehre und über 18 Millionen Schuss
Munition . Ich frage die Bundesregierung: Können Sie
ausschließen, dass die kurdische Regionalregierung mit
diesen Waffen nicht auch gegen ihre Gegner im Innern
vorgeht? Nein, Sie können es nicht . Und ich frage Sie:
Wie können Sie denn dann diese Waffen liefern?


(Beifall bei der LINKEN)


Die Peschmerga sind im Übrigen keine reguläre Ar-
mee . Es sind die Parteimilizen Barsanis und Talabanis .
Diese beiden Clanführer haben Irakisch-Kurdistan unter-
einander aufgeteilt . Barsanis Clan hat den Krieg gegen
den IS zum Vorwand genommen, sich die Großstadt Kir-
kuk einzuverleiben . Dabei kam es zu ethnisch motivier-
ten Vertreibungen . Amnesty International berichtete im
vergangenen Herbst, dass rund 450 Familien aus Kirkuk
und Umgebung von Peschmerga vertrieben worden sind .
Ihr einziges Verbrechen: Sie sind Araber . Ihre Häuser
wurden von Bulldozern plattgewalzt . Man muss wissen:
Im Irak kämpfen kurdische, sunnitische und schiitische
Eliten um Macht, Öl und Territorien . Wenn man in einem
solchen Konflikt Partei ergreift, trägt das nur zur weiteren
ethnischen Spaltung des Iraks bei . Auch deshalb lehnt die
Linke diesen Auslandseinsatz entschieden ab .


(Beifall bei der LINKEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Sie opfern Menschen!)


Denn genau diese ethnische Spaltung hat doch den
IS erst stark gemacht . Das von den US-Invasoren einge-
setzte schiitisch dominierte Regime in Bagdad hat über
Jahre Sunniten verfolgt . Das konnte der IS dann ausnut-
zen . Daran hat sich im Grundsatz nichts geändert . Auch
heute müssen sunnitische Männer um ihr Leben fürchten,
wenn sie in die Hand der irakischen Armee fallen . Erst
letzte Woche sind wieder Videos öffentlich geworden,
die zeigen, wie Soldaten der irakischen Armee wehrlo-
se Gefangene foltern und kaltblütig hinrichten . Die UN
fordert Aufklärung, und die Bundesregierung darf dazu
nicht schweigen .


(Beifall bei der LINKEN)


Herr Steinmeier, Sie haben zu Beginn der Mosul-Of-
fensive vor drei Monaten gesagt – ich zitiere –:

Wenn nach der Befreiung der Stadt die Geißel des
IS nur durch einen Machtkampf zwischen Kurden,
Sunniten und Schiiten abgelöst wird, dann ist jeden-
falls für die Menschen in Mosul nichts gewonnen .

Da haben Sie, Herr Steinmeier, recht gehabt . Das
Problem ist nur: Dieser Machtkampf zwischen den kor-
rupten kurdischen, schiitischen und sunnitischen Eliten
ist doch längst am Laufen, und er wird durch den Bun-
deswehreinsatz im Irak weiter unterstützt . Deshalb muss
dieser Einsatz umgehend beendet werden . Das wäre eine
verantwortliche Entscheidung .


(Beifall bei der LINKEN)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821510900

Als nächster Redner spricht Jürgen Hardt für die

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Jürgen Hardt (CDU):
Rede ID: ID1821511000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Zu Beginn meiner Rede möchte ich als außenpolitischer
Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion dem Bun-
desaußenminister für seine Arbeit und für die gute Zu-
sammenarbeit danken, die wir mit ihm gehabt haben . Wir
wünschen Ihnen für mögliche zukünftige Ämter alles
Gute und werden darauf setzen, dass Sie in Ihrem neuen
Amt die Außenpolitik nicht aus dem Auge verlieren . Das
ist uns wichtig . An einer Stelle Ihrer Rede musste ich ein
bisschen schmunzeln . Als Sie von dem lohnenden Dün-
ger der Opposition für die Demokratie geredet haben,
klang es fast so, als würden Sie Ihrer Fraktion ein wenig
Mut zusprechen vor zukünftigen Zeiten .


(Dagmar Ziegler [SPD]: Ihnen! – Dr . Rolf Mützenich [SPD]: Nein! Für alle! Gut zuhören!)


Aber ich glaube, so war das nicht gedacht .

Sie haben als Außenminister die Rolle Deutschlands
in der internationalen Politik gestärkt . Sie haben das, was
Sie und die Bundesverteidigungsministerin sowie der
Bundespräsident vor zwei Jahren in München angekün-
digt haben, dass Deutschland bereit ist, mehr Verantwor-
tung zu übernehmen, mit Leben gefüllt . Sie haben das
auch ein Stück weit vorgelebt und in vielen Situationen,
in denen deutscher Rat und deutsche Hilfe gefragt wa-
ren – oft auch hinter verschlossenen Türen und am Tele-
fon –, im Interesse Deutschlands und Europas gehandelt .
Dafür danke ich Ihnen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie übergeben Ihrem Nachfolger ein wohlbestelltes
Haus, allerdings auch insgesamt sechs Großbaustellen
der Außenpolitik, wo wir Konflikte und Krisen mit jeder
Menge Gewerke zu bewältigen haben: von Afghanistan
bis in den Maghreb hinein, den Konflikt mit Russland
um die Ukraine, die Situation in Afrika – wir haben ge-
rade das Mali-Mandat verabschiedet –, die Situation im
Südchinesischen Meer, die Situation der Europäischen
Union und natürlich auch die offenen Fragen im Zusam-
menhang mit unserem Verhältnis zu Amerika . Das ist ein
Riesenberg Arbeit . Ich bin sicher, dass der Amtsnach-
folger einen dicken Stapel von zweiseitigen Dossiers zu
all diesen einzelnen Gewerken bekommt, in die er sich
einarbeitet .

Dem zukünftigen Außenminister wünsche ich alles
Gute im Amt . Er ist ein erfahrener Politiker, der mit allen
Wassern gewaschen ist, der mit Säbel und Florett um-
gehen kann . Die diplomatischen Fähigkeiten sind uns
bisher eher verborgen geblieben, aber ich bin absolut si-
cher, dass Sie auch in diesem Felde reüssieren . An einem
Punkt glaube ich allerdings, dass Sie Ihre Vorstellung
korrigieren müssen: Das Dasein eines deutschen Bundes-

außenministers ist, glaube ich, schon ein Nomadendasein
zwischen Flugzeug, Hotelzimmer und stickigen Konfe-
renzsälen . Ich wünsche Ihnen trotzdem, dass Sie – auch
wenn der Außenminister viel unterwegs ist – noch Zeit
für Ihre Familie finden, wie Sie sich das wünschen. Alles
Gute im neuen Amt!

Jetzt zum Mandat . Wir haben hier bereits einmal aus-
führlich darüber diskutiert . Der Deutsche Bundestag hat
entschieden, diesen schwierigen Weg zu gehen . Er hat
sich bewährt; denn wir haben tatsächlich einen wirksa-
men Beitrag zur Bekämpfung des IS im Norden des Iraks
leisten können mit unseren Partnern, den Peschmerga .

Es gibt eine Frage, die die Kolleginnen und Kollegen
meiner Fraktion beschäftigt . Auch in diesem Jahr hat die
Bundesregierung das Mandat wieder mit Artikel 24 Ab-
satz 2 des Grundgesetzes begründet . Wir glauben, dass
dies eine tragfähige Begründung ist . Wir glauben, dass
die völkerrechtliche Rechtmäßigkeit des Einsatzes nicht
infrage steht . Bei der Frage, auf welchen Artikel des
Grundgesetzes man sich bezieht, geht es um die nationale
Rechtsgrundlage innerhalb Deutschlands .


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die ist nicht gegeben!)


Artikel 24 Absatz 2 Grundgesetz ist meines Erachtens
ausreichend für die Begründung des Mandates . Es wäre
aber, glaube ich, souveräner, wenn wir auch überlegen
würden, ob wir ein solches Mandat durchaus auch auf
Artikel 87a des Grundgesetzes stützen könnten . Das ist
eine mindestens ebenso verlässliche Rechtsgrundlage
für einen solchen Bundeswehreinsatz . Das ist in meiner
Fraktion zur Sprache gekommen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn wir die Situation im Norden des Irak sehen, so
stellen wir fest, dass die Peschmerga einen guten, einen
wirksamen Beitrag zur Bekämpfung des IS leisten . Wir
müssen nach der Phase der konkreten Unterstützung der
kurdischen Truppen mit Ausrüstung und Ausbildungsun-
terstützung – bisher waren es rund 12 000 Sicherheits-
kräfte – die Frage stellen, wie es mittelfristig und lang-
fristig in dieser Region weitergehen soll. Deswegen finde
ich die Überlegungen der Bundesregierung dazu gut,
wie auch zukünftig die sonstigen irakischen Streitkräfte
in stärkerem Umfang mit in diesen Prozess einbezogen
werden können .

Eines Tages muss der Zeitpunkt kommen, an dem die
Region so weit befriedet ist, dass der Irak die Sicherheit
im Land gewährleisten kann . Das geht natürlich nur,
wenn die Struktur erhalten bleibt und wenn die Einheit
des Landes durch eine Regierung gewährleistet wird, die
sich für eine inklusive Regierung, für eine angemesse-
ne Berücksichtigung ethnischer und religiöser Gruppen
im Land, speziell auch der Kurden, in vollem Umfang
einsetzt . Wir sagen immer, wenn wir mit der irakischen
Regierung sprechen, dass sie eine inklusive Regierungs-
führung betreiben muss, weil sie sonst so scheitert wie
vor wenigen Jahren; die gegenwärtig angespannte Ent-
wicklung in der Region ist die Folge dieses Scheiterns .

In diesem Sinne wird die CDU/CSU-Bundestagsfrak-
tion den Antrag zur Fortsetzung des Mandats mit der






(A) (C)



(B) (D)


Obergrenze von 150 Soldatinnen und Soldaten unterstüt-
zen . Ich wünsche allen Soldatinnen und Soldaten, die in
diesem Einsatz sind, dass sie wohlbehalten nach Hause
kommen und das nötige Soldatenglück haben, dass ihnen
nichts passiert, damit wir diesen Einsatz so fortführen
können .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821511100

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Agnieszka

Brugger für Bündnis 90/Die Grünen das Wort .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Herr Außenminister Steinmeier, Sie haben als
Deutschlands Chefdiplomat den außenpolitischen Kurs
der Bundesregierung in vermehrt schwierigen und stür-
mischen Zeiten geprägt . Sie haben das mit klarem Kom-
pass, mit einer Balance aus Besonnenheit, Sorge und
Entschlossenheit getan . Dafür möchte ich Ihnen im Na-
men meiner ganzen Fraktion ebenso wie für die sehr gute
Zusammenarbeit und auch die faire politische Auseinan-
dersetzung danken, auch wenn wir nicht immer einer
Meinung waren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Im Namen der Grünen wünsche ich Ihnen auch, ohne
irgendetwas vorwegnehmen zu wollen, jenes Finger-
spitzengefühl, jenen Mut und weiterhin die Gabe, die
richtigen Worte zur richtigen Zeit zu finden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir beraten die
Mandate zu den Bundeswehreinsätzen auch immer in
den Ausschüssen . Vor zwei Tagen hat ein Kollege im
Verteidigungsausschuss gesagt: Wer diesem Mandat
nicht zustimmt, muss auch formulieren, was die Alterna-
tive ist. – Ich finde, der Kollege aus der Koalition hat mit
dieser Aussage völlig recht .

Wenn ich mir noch einmal unsere Reden bei den letz-
ten Beratungen dieses Mandats anschaue, stelle ich fest,
dass wir immer eine klare Alternative formuliert haben,
nämlich zwei sehr klare Bedingungen, unter denen dieses
Mandat für uns zustimmungsfähig wäre . Es gibt nämlich
zwei sehr große Probleme mit diesem Mandat, das wir
im Kern für richtig halten . Es ist den Kräften der Pesch-
merga gelungen, einige Gebiete zu befreien und andere
vor der Terrorherrschaft des sogenannten „Islamischen
Staates“ zu beschützen .

Eines der beiden gewichtigen Probleme ist die recht-
liche Konstruktion . Hier wäre es hanebüchen, auf den
anderen Grundgesetzartikel zurückzugreifen . Es wäre
besser, sich noch einmal mit der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichtes zu beschäftigen, das sehr
genau dargestellt hat, unter welchen Bedingungen die
Bundeswehr im Ausland eingesetzt werden kann . Das
Urteil von 1994 sagt: „im Rahmen eines Systems … kol-
lektiver Sicherheit“, also im Rahmen der Europäischen

Union, der NATO, der Vereinten Nationen oder bei-
spielsweise der OSZE . Das ist hier explizit nicht der Fall .
Die Ausbildungsunterstützung für die Peschmerga leistet
die Bundeswehr im Rahmen einer Koalition der Willi-
gen, und das ist kein System kollektiver Sicherheit . Wir
können Sie nur wie jedes Jahr auffordern, diesen Fehler
endlich zu korrigieren


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das zweite Problem, das wir mit diesem Mandat und
mit der Politik, die die Bundesregierung an dieser Stel-
le macht, haben, ist Folgendes: Wenn man ausbildet und
dann sogar noch so viele Waffen und so viel Ausrüstung
geliefert hat, dann hat man schon auch eine Verantwor-
tung, sehr genau hinzuschauen, was anschließend damit
passiert . Denn es steht natürlich immer die Gefahr im
Raum, dass die vermittelten Fähigkeiten und das ge-
lieferte Gerät missbraucht werden . Auch das ist etwas,
wozu wir Sie, seit es dieses Mandat gibt, immer wieder
befragt haben .

Wir haben die Bundesregierung gefragt: Wie reagie-
ren Sie denn eigentlich auf die Berichte der Menschen-
rechtsorganisationen, dass Peschmerga-Kämpfer nach
der Befreiung bestimmter Gebiete Dörfer und Häuser
arabischstämmiger Menschen zerstört haben? Was tun
Sie eigentlich dagegen – das ist wirklich schon abseh-
bar –, dass die Spannungen innerhalb der Peschmerga,
zwischen PUK und KDP, immer größer werden? Wie ge-
hen Sie mit der Regionalregierung um, die wirklich keine
demokratische Legitimation mehr hat, oder wie mit den
Hinweisen darauf, dass Zivilgesellschaft und Journalis-
ten unterdrückt und eingeschränkt werden?

Ich finde schon: Wenn man ausbildet, wenn man Waf-
fen liefert, dann hat man erst recht eine Verantwortung,
hier ganz genau hinzuschauen und auch zu handeln .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Denn am Ende des Tages ist natürlich auch die beste Aus-
bildungsunterstützung nichts wert, wenn ein konsequen-
ter, umsichtiger Beitrag zur Entwicklung des politischen
Umfelds fehlt, in dem die Sicherheitskräfte dann agieren
sollen .

Man muss doch schon feststellen: Auf die Waffenlie-
ferungen haben Sie sich sehr schnell geeinigt; aber es
wäre immer noch so viel mehr möglich, wenn es darum
geht, einen ganzheitlichen, engagierten Beitrag zu einer
friedlichen Zukunft des Iraks zu leisten . Deutschland hat
hier eine hervorgehobene Position: Wir sind Kovorsit-
zende der AG Stabilisierung, also der Gruppe der Staa-
ten, die sich mit der Frage beschäftigt, wie es eigentlich
in den befreiten Gebieten weitergeht . Auch hier fragen
wir immer wieder nach: Was tut die Bundesregierung
denn konkret?

Es ist ein guter Beitrag, wenn Sie ankündigen, sich
schnell darum zu kümmern, dass die Stromversorgung
und die Wasserversorgung in Mosul wieder funktionie-
ren, sobald die Stadt – worauf wir alle hoffen – befreit
ist . Aber so wichtig diese Infrastrukturprojekte sind – sie
ersetzen doch nicht den politischen Beitrag, der darin
bestehen muss, hier alle Akteure in die Pflicht zu neh-
men und darauf hinzuwirken, dass sie endlich politische

Jürgen Hardt






(A) (C)



(B) (D)


Macht teilen, dass die wirtschaftlichen Gewinne fair auf-
geteilt werden und dass alle Gruppen sich versöhnen und
wieder friedlich zusammenleben können . Da können wir
Sie einfach nur auffordern: Tun Sie hier mehr! Es wäre
mehr möglich .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, wir sind
hier nicht einfach dagegen; wir machen sehr konkrete
Vorschläge . Als Sie gerade in Ihrer Rede, Herr Außen-
minister Steinmeier, noch mal gesagt haben, wie wichtig
die Debatten hier im Parlament sind, haben Sie, glaube
ich, viele von uns Abgeordneten mit dieser Aussage be-
rührt. Aber ich finde, wenn ihr die Debatten in diesem
Parlament wichtig sind, dann sollte die Bundesregierung
konstruktive Hinweise aus der Opposition hören und auf-
nehmen .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821511200

Vielen Dank . – Als nächster Redner spricht Wilfried

Lorenz für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Wilfried Lorenz (CDU):
Rede ID: ID1821511300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Eines vorweg: Deutschland
hilft mit der Bundeswehr bei der Ausbildung von Streit-
kräften im Irak, weil wir – erstens – darum gebeten wer-
den, weil wir – zweitens – damit den Aufforderungen des
UN-Sicherheitsrates folgen, die irakische Regierung im
Kampf gegen den IS zu unterstützen, und weil – drit-
tens – nur in einer gemeinsamen Anstrengung mit den
Kräften vor Ort der IS noch stärker zurückgedrängt und
geschwächt werden kann . So funktioniert kollektive Si-
cherheit, und so funktioniert der Schutz von Menschen-
rechten durch gegenseitige Hilfe .

Meine Damen und Herren, der IS musste territoriale
Verluste im Irak und in Syrien hinnehmen, und er wurde
auch wesentlich geschwächt . Gemeinsam mit der inter-
nationalen Koalition gelang es kurdischen und irakischen
Kräften, den IS in wenige Kerngebiete zurückzudrängen .
Selbst Mosul ist zur Hälfte befreit . Und trotzdem ist der
IS unverändert eine große Bedrohung für Frieden und
Sicherheit weltweit . Diese Bedrohung betrifft auch uns
Deutsche ganz konkret; das zeigte zuletzt der furchtbare
Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt hier in Berlin . Der
Schulterschluss europäischer Staaten, in die der IS nun
verstärkt Angst und Schrecken tragen will, ist noch en-
ger geworden; denn der Terror zielt auf Europa, genauer
gesagt: auf das Herz unseres Kontinents . Deswegen kann
man sagen: Unsere Sicherheit wird auch im Irak vertei-
digt .

Noch vor zweieinhalb Jahren erreichten uns Meldun-
gen über großflächige Landgewinne und schreckliche
Gräueltaten dieser Terrorbande . Die Menschen vor Ort
konnten sich nicht aus eigener Kraft gegen immer nä-
her rückendes Morden schützen . Aramäer, Chaldäer,

Christen, Jesiden und unterschiedliche Kurdengruppen
flüchteten in das einzige noch sichere Gebiet: die Region
Kurdistan/Irak . Deswegen war und ist es richtig, zu deren
Schutz und als Hilfe zur Selbsthilfe zunächst militärische
Ausrüstungshilfe zu leisten und dann die multinationale
Ausbildungsunterstützung für das Militär fortzusetzen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Waffen in ein Krisengebiet zu schicken, war in diesem
Fall eine berechtigte Abkehr von der bisherigen Doktrin .
Gegen massive Gewalt mit militärischen Mitteln helfen
eben nur militärische Mittel . Niemand würde auf die Idee
kommen, akute Cholera mit Kamillentee zu bekämpfen .

Das deutsche Hilfsangebot wurde gut angenommen .
Circa 12 000 Sicherheitskräfte haben wir gemeinsam mit
internationalen Partnern im Irak und in Deutschland aus-
gebildet . Gleichzeitig bleiben die militärischen Unter-
stützungsmaßnahmen auch künftig eingebettet in einen
breiten politischen Ansatz und in ein vernetztes Vorge-
hen . Uns geht es nicht nur darum, die kurdischen Pesch-
merga militärisch auszubilden, damit sie den IS noch
weiter zurückdrängen und das Land von diesen Gruppen
befreien können, es geht auch um zivile Hilfe für Flücht-
linge und um den Aufbau von Infrastruktur . Militärisches
Material und Ausbildung sowie zivile Hilfe werden auch
weiterhin eng mit Bagdad abgestimmt .

Meine Damen und Herren, der IS führt Krieg gegen die
Schwächsten, gegen Frauen und Kinder, gegen Mensch-
lichkeit, gegen Freiheit und Recht und gegen die Werte
der westlichen Welt . Und wie er das mit dem Mittel der
Propaganda im Internet versucht, erfasst keine herkömm-
liche Definition von Krieg in Gänze. Wir brauchen daher
herkömmliche militärische Mittel, um Schlimmeres zu
verhindern .

Aber der IS hat nicht nur im Irak eine Spur der Ver-
wüstung hinterlassen, sondern auch in den Menschen
selbst . Denken Sie an tief traumatisierte Menschen, die
monatelang in Städten eingeschlossen waren, denken Sie
an die Städte, die dem Erdboden gleichgemacht wurden .
Umso wichtiger ist ein nachhaltiger Fähigkeitsaufbau,
wie ihn die Bundeswehr für Kurden und Iraker leistet .
Daher wird die Ausbildung stets modulmäßig der jewei-
ligen Situation angepasst . Am Anfang war es angesichts
der hohen Verluste der Peschmerga notwendig, erste Hil-
fe zu leisten; heute steht nach gefechtsmäßiger Ausbil-
dung das Entschärfen von Minen und Sprengstofffallen
im Vordergrund . Damit wird die Grundlage gelegt, dass
Häuser, Wohnungen und Infrastruktur den Menschen
wieder zur Verfügung gestellt werden können .

Meine Damen und Herren, es ist für mich unbegreif-
lich, wie angesichts dieses Leids die Notwendigkeit des
Anti-IS-Einsatzes im Irak bezweifelt werden kann, ohne
auch nur eine einzige Alternative vorzuschlagen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sollen wir die Menschen dem IS überlassen? Nein .
Deutschland leistet mit diesem Einsatz einen zentralen
Beitrag für die Menschen im Irak, für die Menschen in

Agnieszka Brugger






(A) (C)



(B) (D)


Europa und für die Menschen in Deutschland . Daher
werden wir dem vorliegenden Antrag zustimmen .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821511400

Als Nächste hat die Kollegin Julia Obermeier, CDU/

CSU-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Julia Bartz (CSU):
Rede ID: ID1821511500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Frau Buchholz, ich frage mich schon, was Sie
und Ihre Fraktion den Tausenden Mädchen und Frauen
wie der Jesidin Nadia Murad sagen wollen, die der IS
verschleppt, verkauft und vergewaltigt hat, nachdem ihre
Mutter und ihre sechs Brüder getötet wurden .


(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Sie schieben die wieder zurück in den Irak! Also reden Sie hier nicht herum!)


Das Schicksal von Nadia Murad – sie hat uns hier
im Bundestag in kleiner Gruppe davon berichtet – steht
beispielhaft für das Leid von Tausenden und führt uns
deutlich vor Augen: Wir dürfen die Menschen, die dem
Grauen des IS ausgeliefert sind, nicht alleine lassen, und
das tun wir auch nicht .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig! – Beifall bei der CDU/CSU – Christine Buchholz [DIE LINKE]: Wie gehen Sie mit irakischen Flüchtlingen um, Frau Obermeier?)


Deutschland hat – und diese Entscheidung haben wir
uns im Deutschen Bundestag nicht leicht gemacht – vor
zweieinhalb Jahren beschlossen, Waffen in ein Krisen-
gebiet, in den Nordirak, zu liefern . Und wir haben be-
schlossen, dass wir diejenigen, die wir ausrüsten, auch
ausbilden . 12 000 Mann haben wir bisher ausgebildet,
hauptsächlich Peschmerga, aber auch Jesiden, Turkme-
nen und Kakai . Diese Kräfte waren maßgeblich daran
beteiligt, den Vormarsch des IS im Irak zu stoppen und
Gebiete zurückzuerobern .


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Sagen Sie doch mal was zur PKK!)


Unser Beitrag ist zwar ein kleiner, aber ein wichtiger .
Und wir haben uns bewusst gegen eine rein EU- oder
NATO-geführte Mission entschieden, um einerseits den
Eindruck eines Kampfes des Westens gegen den Islam
zu vermeiden und andererseits viele andere Partner – wie
Jordanien, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen
Emirate – mit ins Boot zu holen .

Natürlich sehen wir auch die kritischen Punkte des
Einsatzes . Aber: Bei den Waffenverlusten der Peschmer-
ga handelt es sich um Einzelfälle . Es liegt hier kein Miss-
brauch unserer Unterstützung im großen Stil vor . Die Pe-
schmerga-Führung bemüht sich sehr um die Aufklärung
dieser Einzelfälle . Wir haben von Anfang an Vorsorge
getroffen, indem wir eine Vorratshaltung verhindert und
immer nur so viele Waffen und Munition abgegeben ha-
ben, wie auch gebraucht werden .

Ja, ich gebe Ihnen recht: Es gibt nie eine hundertpro-
zentige Garantie, dass nicht Einzelne ihre Ausbildung
oder ihre Ausrüstung zu einem späteren Zeitpunkt entge-
gen unserem Ansinnen einsetzen .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821511600

Frau Kollegin Obermeier, gestatten Sie eine Zwi-

schenfrage der Kollegin Buchholz?


Julia Bartz (CSU):
Rede ID: ID1821511700

Nein, ich möchte gern weiter vortragen .


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Das habe ich mir gedacht! Zur PKK sagen Sie auch nichts!)


Aber garantiert ist, dass wir durch ein Die-Hände-in-
den-Schoß-Legen und Nichtstun die Frauen und Kinder
schutzlos den Schlächtern des IS überlassen hätten . In
dieser Abwägung zwischen möglichen Risiken zu einem
späteren Zeitpunkt und der Möglichkeit, der Notwendig-
keit, ja, ich finde, der Pflicht, Menschenleben zu retten,
komme ich eben zu einem anderen Schluss als Sie von
der Opposition . Dieser Einsatz ist richtig .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Und auch hier verfolgen wir einen vernetzten Ansatz .
Unsere Politik ist klar ausgerichtet: Wir unterstützen die
Kurden im Kampf gegen den IS, aber wir leisten keinen
Beitrag zu deren Abspaltungstendenzen . Es wird eine der
Aufgaben des neuen deutschen Außenministers sein, sich
dafür einzusetzen, dass der Irak eins bleibt, also ein in-
klusiver Staat bleibt, und dass seine politische Führung
von der Bevölkerung legitimiert ist . Denn eines zeich-
net sich ab: Je mehr es gelingt, den IS zurückzudrän-
gen, umso deutlicher treten auch die innenpolitischen
Schwächen der irakischen Zentralregierung wieder in
den Vordergrund . Hier liegt auch einer der Schwerpunkte
unserer Entwicklungszusammenarbeit: Wir stärken die
staatlichen Strukturen im Irak, wir unterstützen die Bin-
nenflüchtlinge und über das „Cash for Work“‑Programm
auch diejenigen, die in die befreiten, aber zerstörten Ge-
biete zurückkehren und dort Wiederaufbau betreiben .
Wir lassen die Menschen im Irak nicht allein, weder di-
plomatisch noch entwicklungspolitisch oder militärisch .
Deshalb bitte ich Sie um Ihre Unterstützung für die Man-
datsverlängerung .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821511800

Vielen Dank . – Die Kollegin Buchholz hat um das

Wort für eine Kurzintervention gebeten . Bitte, Frau
Buchholz .


Christine Buchholz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821511900

Sehr geehrte Kollegin Obermeier, lassen Sie mich

zwei Fragen stellen:

Wilfried Lorenz






(A) (C)



(B) (D)


Wie stehen Sie zu dem historischen Fakt, dass es nicht
die Peschmerga waren, sondern die PKK, die die Jesiden
im Sindschar-Gebirge befreit hat? Sie können die Be-
hauptung, wir würden unverantwortlich mit dem Leid
der Jesiden umgehen, überhaupt nicht aufrechterhalten,
weil Sie es sind, die weiter die Kriminalisierung der PKK
betreiben


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


und zulassen, dass Erdogan damit weitermacht . – Das ist
der erste Punkt .

Ich finde es sehr merkwürdig, dass Sie sich damit zu-
friedengeben, dass Waffen, die Sie geliefert haben, offen-
sichtlich nur in Einzelfällen nicht mehr auffindbar sind
und man nicht weiß, wo sie gelandet sind . Was sagen Sie
denn dazu, dass die Peschmerga Teil der Repression im
Nordirak sind? Wir haben von Fällen gehört, in denen
Journalisten drangsaliert und ermordet wurden . Wir wis-
sen aber auch, dass beispielsweise Demonstrationen von
den Peschmerga mit Repressionen überzogen werden .
Wie passt das mit einer ethischen Außenpolitik zusam-
men, der Sie hier scheinbar immer das Wort reden?


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821512000

Frau Kollegin Obermeier .


Julia Bartz (CSU):
Rede ID: ID1821512100

Was für mich zählt, ist die Befreiung der Jesiden vom

IS . Hierbei leistet unsere Unterstützung der Peschmer-
ga und leisten die Peschmerga einen wichtigen Beitrag .
Diese Unterstützung wollen wir nicht einstellen, sondern
fortsetzen .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821512200

Vielen Dank . – Die Aussprache ist damit beendet .

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärti-
gen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung auf
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streit-
kräfte zur Ausbildungsunterstützung der Sicherheitskräf-
te der Regierung der Region Kurdistan-Irak und der ira-
kischen Streitkräfte. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10968, den
Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 18/10820
anzunehmen . Wir stimmen nun über die Beschlussemp-
fehlung namentlich ab .

Mir liegen hierzu zwei persönliche Erklärungen nach
§ 31 unserer Geschäftsordnung vor .1)

Ich bitte jetzt, die Plätze an den Urnen zu besetzen . –
Nach meinem Eindruck sind alle Plätze an den Urnen
besetzt . Ich eröffne die Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung .

1) Anlage 2

Gibt es noch ein Mitglied dieses Hauses, das seine
Stimmkarte noch nicht abgegeben hat?


(Zuruf: Ja!)


– Es gibt viele Urnen, an denen es keinen Andrang gibt .
Würden auch diese mehr genutzt, würde alles etwas
schneller passieren . – Ich sehe jetzt niemanden mehr, der
noch nicht abgestimmt hat .

Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh-
rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen . Das Ergebnis wird Ihnen später bekannt gegeben .2)

Ich bitte, die Plätze wieder einzunehmen und die Ver-
abschiedung des Außenministers außerhalb des Plenar-
saals vorzunehmen . Herr Außenminister, die Abschieds-
zeremonie sollte vor den Türen stattfinden.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und
Energie (9 . Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-
ordneten Ralph Lenkert, Eva Bulling-Schröter,
Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion DIE LINKE

Bundeseinheitliche Netzentgelte für Strom

Drucksachen 18/3050, 18/3749

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre hier
keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Florian Post, SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Florian Post (SPD):
Rede ID: ID1821512300

Verehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen

und Kollegen! Es stimmt, dass eine ungleiche Belastung
der einzelnen Bundesländer bei den Kosten der Energie-
wende gegeben ist . Gerade durch den schnellen Ausbau
der erneuerbaren Energien in den neuen Bundesländern
ist hier der Netzausbaubedarf stark gestiegen . Zugleich
werden diese Kosten in ländlich geprägten Regionen auf
vergleichsweise wenige Verbraucher umgelegt . Dies hat
zu deutlichen Steigerungen der Netzentgelte vor allem in
der Regelzone von 50Hertz geführt . Auch Bayern hatte
in TenneTs Regelzone überdurchschnittliche Erhöhun-
gen der Netzentgelte zu verkraften .

Ich möchte kurz aus dem Koalitionsvertrag zitieren:

Die Koalition wird das System der Netzentgelte auf
eine faire Lastenverteilung bei der Finanzierung der
Netzinfrastruktur überprüfen .

Die Frage dieser bundesweiten Neuverteilung der Be-
lastungen ist sicherlich keine Frage, die man allein mit
Blick auf den Kompass beantworten kann . Bei den Netz-
entgelten geht es auch um Anreize für die Betreiber, um
technische Weiterentwicklungen für die neuen Heraus-

2) Ergebnis Seite 21533 C

Christine Buchholz






(A) (C)



(B) (D)


forderungen der Energiewende und darum, inwieweit
wir Leistungskomponenten für diese Weiterentwicklung
brauchen . Auch das wird im Koalitionsvertrag adres-
siert. Man muss aufpassen, dass man Anreize für Effi-
zienzmaßnahmen gibt und gleichzeitig eine ungerechte
Kostenverteilung vermeidet . Natürlich muss man immer
berücksichtigen, dass die Energiewende eine gesamtge-
sellschaftliche Aufgabe ist .

Wir haben in dieser Wahlperiode bereits viele Maß-
nahmen ergriffen, um dieses Gerechtigkeitsproblem bei
der Verteilung der Stromkosten zu bewältigen . Wir haben
eine bundesweite Wälzung der Kosten, die bei der Anbin-
dung der Offshorewindparks entstehen, eingeführt . Auch
die Kosten für den Bau der benötigten Gleichstromüber-
tragungsleitungen, um die Netzengpässe schrittweise
zu beseitigen, werden bundesweit umgelegt werden .
Ebenso wird die Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung
deutschlandweit gewälzt . Mit der Einrichtung von Netz-
ausbaugebieten verhindern wir zudem weitere regionale
Kostensteigerungen für die Redispatch-Maßnahmen . Da-
rüber hinaus sorgen wir mit der Novellierung des EEG
für mehr Berechenbarkeit und Kostenkontrolle beim
Ausbau weiterer erneuerbarer Energien . Aber wir dürfen
das alles nicht in einem Hauruckverfahren umsetzen .

Mit dem Entwurf für das Gesetz zur Modernisie-
rung der Netzentgeltstruktur gehen wir nun eine weite-
re Baustelle an, die der vermiedenen Netznutzungsent-
gelte . Würden wir diese aber erst einfrieren und dann
schrittweise abschmelzen, würden wir hier weder mehr
Transparenz noch mehr Gerechtigkeit herstellen . Das ur-
sprüngliche Ziel dieser Regelung war ja gerade, dass wir
dezentrale Erzeugungsanlagen durch die Auszahlung der
vermiedenen Netzentgelte dafür belohnen wollten, dass
sie durch eine lastnahe Erzeugung und dezentrale Ein-
speisung die Kosten für den Ausbau der Übertragungs-
netze einsparen . Dieses Ziel wird zum Teil nicht mehr
erreicht . Aber auch hier heißt es für uns: Lieber gewis-
senhaft zu arbeiten, als schnell Fehler zu machen .

Inwieweit eine Abschmelzung der vermiedenen Netz-
nutzungsentgelte gerade bei nicht volatiler Versorgung
sinnvoll ist, müssen wir im parlamentarischen Verfahren
hier noch dringend klären . Die vermiedenen Netzentgel-
te tragen bei vielen Betreibern von Kraft-Wärme-Kopp-
lungsanlagen in ähnlich hohem Maße zur Kostendeckung
wie die KWK-Förderung selbst bei, die wir hier ja erst
vor kurzem gemeinsam beschlossen haben .

Wenn die Wirtschaftlichkeit dieser klimaschonenden
Technologie durch das NEMoG nun wieder gefährdet
werden würde, könnten wir das wirklich niemandem ver-
mitteln, insbesondere nicht den vor allem in Ostdeutsch-
land ansässigen betroffenen Betreibern von Kraft-Wär-
me-Kopplungsanlagen . Gerade deshalb glaube ich, dass
die Beteiligung der Länder und eine gründliche parla-
mentarische Prüfung dieses Gesetzesvorhabens von be-
sonderer Bedeutung sind .

Eine umfassende Neugestaltung der Netzentgelte-
und Umlagesystematik ist geboten . Eine Umverteilung
mit der Gießkanne kann aber sicherlich nicht die Lösung
sein . Ein gewissenhaft ausgestaltetes NEMoG ist ein
wichtiger Schritt für eine gerechte Verteilung der Lasten

in Deutschland; eine blinde Wälzung wäre es hingegen
nicht .

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821512400

Vielen Dank . – Nächster Redner für die Fraktion Die

Linke ist der Kollege Roland Claus .


(Beifall bei der LINKEN)



Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821512500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Stromkundinnen und Stromkunden! Bereits im Novem-
ber des Jahres 2014 hat meine Fraktion diesen Antrag ge-
stellt, und er ist leider nicht veraltet; so viel zum Thema
„Hauruckverfahren“ . Also an Zeit zu gründlichen Ent-
scheidungen hat es nicht gemangelt . Wir haben auch ab-
gewartet, weil wir ein wenig auf die Lernfähigkeit dieser
Koalition gebaut haben . Aber das war offenkundig ein
Fehler .

Gegenstand unseres Antrages ist, dass wir es mit star-
ken regionalen Ungerechtigkeiten bei den Gebühren für
Stromnetze zu tun haben, und natürlich haben wir mit
dem Antrag angestrebt, diese Ungerechtigkeiten zu über-
winden . Fakt ist aber nach wie vor: Der Osten subventio-
niert Strom in West- und in Süddeutschland . Das wollen
wir so nicht weiter haben, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich war Anfang dieses Jahres mit anderen Bundestags-
kollegen am Chemiestandort in Leuna . Wir wollten die
Möglichkeiten ausloten, künftig Batterien ohne Metalle
herzustellen . Wir sind dann auch gut ins Gespräch ge-
kommen; aber zunächst mussten wir uns von der chemi-
schen Industrie Sätze arger Enttäuschung und Forderun-
gen anhören, die angesprochenen Ungerechtigkeiten in
diesem Gesetz zu beseitigen und gerechte Nutzungsent-
gelte zu schaffen .

Es gab aus dem Bundeswirtschaftsministerium mit
dem Gesetz zur Modernisierung der Netzentgelte das
Versprechen, eine Vereinheitlichung vorzunehmen . Bun-
desminister Gabriel war nach einer intensiven Debatte im
Haushaltsausschuss selbst in Leuna . Dieses Versprechen,
diese Zusage, wurde nun nicht eingehalten . Da muss es
Sie nicht wundern, meine Damen und Herren, dass der
Landesverband Nordost der chemischen Industrie hier
eine Lex Nordrhein-Westfalen vermutet, nämlich eine
Besserstellung wegen der Landtagswahl .

Im Antrag der Linken sind die Probleme uneinheitli-
cher Netzkosten anhand von Beispielen belegt . Wir ha-
ben es mit Mehrkosten von bis zu 100 Prozent zu tun, so-
wohl bei privaten Verbrauchern vor allem im ländlichen
Raum, aber natürlich vor allem bei der energieintensiven
Industrie . So werden die Bundesländer mit hohem Anteil
an erneuerbaren Energien nun mit den gleichen Instru-
menten, mit denen sie einmal gefördert wurden, bestraft .

Florian Post






(A) (C)



(B) (D)


Das ist ein Treppenwitz der Wirtschaftsgeschichte – aber
ein schlechter Treppenwitz, müssen wir Ihnen sagen .


(Beifall bei der LINKEN)


Bundesminister Gabriel hat heute Morgen bei der Vor-
stellung des Jahreswirtschaftsberichts den Satz gesagt,
wir hätten es mit einer gelungenen Energiewende zu tun .
Die Stromrechnung vieler Verbraucher und die Energie-
kostenanteile in der Industrie sprechen eine deutlich an-
dere Sprache .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Nun erfahren Sie zu Recht Widerspruch, vor allem
aus den ostdeutschen Ländern . Ministerpräsident Tillich
aus Sachsen wendet sich im Namen aller seiner Minis-
terpräsidentenkolleginnen und -kollegen an den Bundes-
wirtschaftsminister . Das Land Thüringen kündigt eine
Bundesratsinitiative an . Sie werden dieses Thema heu-
te also nicht los . Die Umweltministerin von Thüringen
sagt wörtlich: „Diesen Wortbruch wollen wir nicht hin-
nehmen .“ Da muss ich sagen: So etwas kann das Wirt-
schaftsministerium doch nicht einfach aussitzen, meine
Damen und Herren . Ministerpräsident Tillich aus Sach-
sen schreibt der Bundesregierung:

Angesichts weiterer struktureller Nachteile der ost-
deutschen Länder ist dies nicht hinnehmbar .

Bekanntlich wird von der Unionsfraktion in diesem
Hause alles, aber auch alles, was von der Linken vorge-

schlagen wird, abgelehnt, und zwar nur deshalb, weil es
von der Linken kommt .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn es von uns kommt, auch!)


Das, meine Damen und Herren, ist angesichts der Tatsa-
che, dass Ihr Kollege Michael Fuchs heute Morgen selbst
über Probleme im Energiesektor geklagt hat, wirklich
eine Politik von gestern . Das ist so von gestern und so
daneben, dass ich das im Osten inzwischen keinem mehr
erklären kann . Die Wählerinnen und Wähler glauben mir
gar nicht, dass Sie so von gestern sind. Ich finde ja, die
Union ist klüger, als sie bei Abstimmungen hier demons-
triert . Heute hätten Sie die Möglichkeit, das ein einziges
Mal zu zeigen .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN)


Deshalb meine Aufforderung an die Union: Heute Hände
hoch, wenn es um die Abstimmung über den Antrag der
Linken geht!


(Beifall bei der LINKEN – Manfred Grund [CDU/CSU]: Den Kopf hoch, nicht die Hände!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821512600

Vielen Dank . – Ich möchte Ihnen, bevor ich den

Kollegen Bareiß aufrufe, noch das von den Schriftfüh-
rerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der na­
mentlichen Abstimmung bekannt geben: abgegebene
Stimmen 557 . Mit Ja haben gestimmt 444, mit Nein ha-
ben gestimmt 67, Enthaltungen gab es 46 . Damit ist die
Beschlussempfehlung angenommen .

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 557;
davon

ja: 444
nein: 67
enthalten: 46

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer

Steffen Bilger
Clemens Binninger
Dr . Maria Böhmer
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Cajus Caesar
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dr . Maria Flachsbarth

Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach

Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Rainer Hajek
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Alexander Hoffmann

(Dort mund)


Roland Claus






(A) (C)



(B) (D)


Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Dr . Mathias Edwin Höschel
Charles M . Huber
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Dr . Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann

Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Dr . Angela Merkel
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller

(Braun schweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen

Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Patrick Schnieder
Nadine Schön (St . Wendel)

Dr . Ole Schröder

(Wies baden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Stritzl
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser

Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Barbara Woltmann
Heinrich Zertik
Dr . Matthias Zimmer

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Dr . h .c . Edelgard Bulmahn
Dr . Lars Castellucci
Jürgen Coße
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann






(A) (C)



(B) (D)


Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann

(Wa ckernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger

Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller (Chemnitz)

Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr . Wilhelm Priesmeier
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim

Schabedoth
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)


Carsten Schneider (Erfurt)

Elfi Scho‑Antwerpes
Ursula Schulte
Ewald Schurer
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Dr . Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Dr . Thomas Gambke
Tom Koenigs

Fraktionslos

Erika Steinbach

Nein

SPD

Ulrike Bahr
Klaus Barthel
Dr . Ute Finckh-Krämer
Gabriele Hiller-Ohm
Ralf Kapschack
Cansel Kiziltepe
Hilde Mattheis
René Röspel
Dr . Nina Scheer
Swen Schulz (Spandau)

Rüdiger Veit


(Wolmirstedt)


DIE LINKE

Jan van Aken
Herbert Behrens
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Dr . André Hahn
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Thomas Nord
Petra Pau
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Annalena Baerbock
Katja Keul






(A) (C)



(B) (D)


Sylvia Kotting-Uhl
Monika Lazar
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Lisa Paus
Corinna Rüffer
Dr . Wolfgang Streng-

mann-Kuhn

Enthalten

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Volker Beck (Köln)


Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz

Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff

Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Manuel Sarrazin
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Dr . Valerie Wilms

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Jetzt hat der Kollege Thomas Bareiß, CDU/CSU-Frak-
tion, das Wort . – Bitte schön .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1821512700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Herr Claus hat noch gesagt: Liebe Stromkundinnen und
liebe Stromkunden! Auch ich möchte das in aller Offen-
heit so sagen . – Lieber Herr Claus, unsere Hände gehen
immer hoch, wenn es darum geht, die Energiewende be-
zahlbar zu gestalten . Leider haben wir von Ihnen in den
letzten Jahren nichts dazu gesehen . Wir haben in zwei
großen EEG-Novellen versucht, die Kosten für die er-
neuerbaren Energien in den Griff zu bekommen . Wir
haben auch versucht, den Ausbau der erneuerbaren Ener-
gien voranzutreiben . Lieber Oliver Krischer, auch von
euch haben wir da wenig gesehen .


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann hättet ihr besser hingucken müssen! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? So schlimm das ist, aber wir regieren seit zwölf Jahren nicht mehr! – Gegenruf von der CDU/CSU: Gott sei Dank!)


Wir haben versucht, die Kosten in den Griff zu be-
kommen, indem wir gesagt haben: Wir müssen den Net-
zausbau gemeinsam mit dem Ausbau der erneuerbaren
Energien in den Griff bekommen und beides zusammen-
führen . Wir haben auch gesagt: Wir wollen den Ausstieg
aus dem EEG, hin zu einem Wettbewerbsmodell, hin zu
Ausschreibungen . – Auch da kam von Ihnen null Komma
null . Wir haben in vielen, vielen Einzelschritten versucht,
die Energiewende bezahlbar zu gestalten . Von Ihnen kam
da nichts . Da haben Sie einiges versäumt .

Ich glaube, das, was Sie heute vorgelegt haben, ist et-
was Rückwärtsgewandtes . Wissen Sie: Es geht nicht da-
rum, dass wir hier Kostenverteilungsdebatten führen . Es
geht darum, dass wir versuchen, die Energiewende Stück

für Stück bezahlbarer, sicherer und umweltfreundlicher
zu gestalten . Wir sollten aber keine Verteilungsdebatten
führen, um dahin zu kommen, dass alle das Gleiche zah-
len müssen . Das führt in die falsche Richtung . Ich glau-
be, wir müssen die Energiewende effizient gestalten.

Zu diesem Zweck haben wir vieles gemacht, und
wir werden in dieser Legislaturperiode auch noch eini-
ges tun, meine Damen und Herren . Denn wir glauben,
wenn wir das nicht tun, wenn wir die Energiewende also
nicht bezahlbar gestalten, dann werden wir Arbeitsplät-
ze verlieren, dann werden wir auch die Zustimmung der
Menschen zu diesem ganz, ganz großen Projekt verlie-
ren, und dann werden wir es nicht schaffen, dass andere
Länder mitziehen und uns folgen . Das ist ja das, was wir
gemeinsam erreichen wollen: dass die Energiewende ein
Exportschlager wird und andere Länder in Europa, aber
auch außerhalb Europas mit uns mitziehen .

Ich glaube, wir brauchen eine ehrliche Debatte . Ich
sage ganz offen, dass es auch in unserer Fraktion, ge-
nauso wie in allen anderen Fraktionen, durchaus unter-
schiedliche Auffassungen gibt . Vor diesem Hintergrund
möchte ich ein paar wenige Punkte, die meine beiden
Vorredner angesprochen haben, aufgreifen .

Ich glaube, die Energiewende ist im Kern ein lokales,
regionales Projekt . Sie wird vor Ort gestaltet . Wir haben
diese Idee in viele Gesetzgebungsinitiativen eingebracht .
Wenn man die Energiewende vor Ort gestaltet, dann
werden dort Chancen und Gewinne entstehen, aber auch
Herausforderungen und Kosten; das muss man ebenfalls
sehen . Das müssen wir zusammenbringen; denn nur so
wird die Energiewende ein stimmiges Konzept .

Lieber Herr Claus, dann muss man auch sagen, dass
nicht nur der Osten den Westen bezahlt, sondern dass
auch der Osten enorm von der Energiewende profitiert.
Dies anzusprechen, gehört ebenfalls zur Ehrlichkeit in
der Debatte . Wenn man sich den großen EEG-Topf an-
schaut: So profitiert derzeit allein Brandenburg jährlich
mit 850 Millionen Euro davon . Ihr Heimatland, lieber
Herr Claus, Sachsen-Anhalt, holt knapp 500 Millionen






(A) (C)



(B) (D)


Euro aus dem EEG-Topf . Das heißt, jeder Bürger Ihres
Landes profitiert von dem EEG‑Topf mit 230 Euro pro
Kopf .


(Ulrich Freese [SPD]: Nein, die Eigentümer der Windparks!)


Nordrhein-Westfalen – ich möchte mich nicht für die-
ses Land allein zum Anwalt machen – bezahlt die Ver-
anstaltung mit jährlich 100 Millionen Euro . Auch das
müssen wir sehen . Ferner gibt es regional sehr unter-
schiedliche Sichtweisen . Es entstehen neue Arbeitsplätze
in Brandenburg, in Mecklenburg-Vorpommern, an der
Küste,


(Barbara Lanzinger [CDU/CSU]: Haufenweise!)


auf der anderen Seite fallen aber auch Arbeitsplätze in
den Braunkohle- und Steinkohlerevieren weg . Auch dies
ist uns allen bekannt . Deshalb entstehen Ungleichheiten
vor Ort nicht nur im Bereich der Netzentgelte, wo wir
durchaus sehen, dass wir dort etwas tun müssen, sondern
auch in anderen Bereichen, Ungleichheiten, die wir se-
hen müssen, wenn wir das Gesamtbild betrachten wollen .

Deshalb sage ich in aller Deutlichkeit: Die Energie-
wende ist ein lokales Projekt . Wir müssen die lokalen
Gegebenheiten berücksichtigen . Wir brauchen Potenzial
vor Ort . Wir können nur dort Windräder bauen, wo auch
tatsächlich Wind bläst, und wir können nur dort Anlagen
zur Solarenergiegewinnung aufbauen, wo die Sonne am
meisten scheint . Es gibt also nicht nur im Bereich der
erneuerbaren Energien Ungerechtigkeiten, sondern auch
in anderen Bereichen . Auch das gehört zur Wahrheit und
sollte zur Kenntnis genommen werden .

Wir brauchen in den nächsten Jahren enorme Investi-
tionen im Bereich des Netzausbaues . Übertragungsnetze
müssen gebaut werden . Wir werden bis 2025 allein für
Übertragungsnetze 50 Milliarden Euro investieren müs-
sen . Diese Summe ergibt sich dadurch, dass wir einen
Teil der Netze modernisieren müssen, aber auch dadurch,
dass die Energiewende uns neue Herausforderungen
stellt . Ein Großteil der Windenergie vom Norden muss in
den nächsten Jahren verstärkt in den Süden transportiert
werden .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821512800

Herr Kollege Bareiß, darf ich Sie kurz unterbrechen? –

Der Kollege Claus würde Ihnen gern eine Frage stellen .
Gestatten Sie das?


Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1821512900

Aber gerne . Ich freue mich darauf .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821513000

Bitte schön, Herr Kollege Claus .


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821513100

Herr Kollege Bareiß, ich gehe einmal davon aus, dass

Ihnen auch der Brief des Ministerpräsidenten Tillich vor-
liegt . Er ist ja offenbar so etwas wie Ihr Parteifreund, je-
denfalls sind Sie nach meiner Kenntnis beide in der CDU .

Wollen Sie damit sagen, dass die Argumente, die der
Ministerpräsident hier vorträgt und die vielen unserer Ar-
gumente ähneln und zum Teil wortgleich sind, für Sie
gegenstandslos und nicht verhandlungsfähig sind?


Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1821513200

Herr Claus, ich habe in meiner bisherigen Rede dar-

gestellt, dass die Energiewende viele Teilbereiche hat,
die gesehen werden müssen, und dass es in vielen Teil-
bereichen Ungleichheiten gibt, aber auch Chancen und
Risiken .

Ich habe auch gesagt, dass der Osten – Sachsen-An-
halt und Brandenburg, ich habe es klar beschrieben – in
vielen Bereichen von der Energiewende profitiert. Ich
habe aber auch nicht bestritten, dass es andere Bereiche
gibt, wie die Netzentgelte, in denen der Osten noch nach-
legen muss, in denen man mehr tun muss und in denen es
Ausbaukosten gibt . Diese Kosten werden derzeit auf die-
se Bundesländer gewälzt . Es ist in Teilbereichen richtig,
was Sie gesagt haben . Aber daraus zu folgern, dass wir
alles sozialisieren müssen, das ist nicht richtig .

Ich denke, wir müssen fein differenzieren . Wenn Sie
noch etwas gewartet hätten, bis ich weitergesprochen
hätte, dann hätte ich Ihnen auch erklärt, dass wir die Kos-
ten für Teile der Übertragungsnetze auch heute schon
bundeseinheitlich wälzen . Maßnahmen, die aus der Ener-
giewende auf uns zukommen, beispielsweise die dreispu-
rige Stromautobahn vom Norden in den Süden, werden
bundeseinheitlich gewälzt . Auch die Offshoreanbindung,
die im Norden geschieht, in der Ostsee und in der Nord-
see, wird bundeseinheitlich gewälzt, lieber Herr Claus .
Ebenfalls werden andere Maßnahmen, beispielsweise
die Erdverkabelung in Niedersachsen, die dafür wichtig
ist, dass wir auch dort Akzeptanz für die erneuerbaren
Energien und den Netzausbau finden, bundeseinheitlich
gewälzt .

Das heißt, jeder hat ein Stück weit diese Kosten zu tra-
gen . Es ist also richtig, dass wir die Kosten für gesamt-
staatliche Aufgaben bundeseinheitlich wälzen . Ob dies
aber für jede Modernisierung der Übertragungsnetze gel-
ten soll, da setze ich noch ein Fragezeichen; das sage ich
ganz offen .

Wir müssen auch darüber diskutieren, welche Kon-
sequenzen das auf die Strompreise jedes Einzelnen in
Zukunft haben wird . Es wird speziell für die Industrie
Auswirkungen haben . Auch das müssen wir offen sagen;
das gehört zur Ehrlichkeit dazu . Die Netzentgelte für das
Übertragungsnetz machen bei Privathaushalten nur einen
Anteil von 3 bis 4 Prozent des Gesamtstrompreises aus,
aber bis zu 100 Prozent bei den sehr großen Industrie-
unternehmen, die am Anfang der Wertschöpfungskette
stehen . Die Unternehmen, die beispielsweise Aluminium
produzieren, haben teilweise 100 Prozent der Entgelte
für das Übertragungsnetz zu tragen . Sie würden ganz
besonders stark von bundeseinheitlichen Wälzungen in
Mitleidenschaft gezogen werden . Das würde eine enor-
me Gefahr für unseren Industriestandort Deutschland be-
deuten . Ich glaube, auch das müssen wir in unsere Über-
legungen mit einbeziehen .

Thomas Bareiß






(A) (C)



(B) (D)


Das Projekt, das Sie angestoßen haben und das wir
auch diskutieren werden, darf nicht dazu führen, dass wir
Arbeitsplätze in Gesamtdeutschland verlieren . Das wäre,
glaube ich, der falsche Weg in Bezug auf die Energie-
wende .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– Ich glaube, das hat durchaus ein paar Klatscher ver-
dient .


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)


Sie haben die Verteilnetze angesprochen, die eben-
falls wichtig sind . 98 Prozent unserer Netze im Nie-
derspannungsbereich sind Verteilnetze . 90 Prozent aller
EEG-Anlagen werden an die Verteilnetze vor Ort ange-
schlossen . Hier sieht man ganz konkret, dass es einen en-
gen Zusammenhang zwischen dem Ausbau der erneuer-
baren Energie auf der einen Seite und dem notwendigen
Ausbau der Netzinfrastruktur auf der anderen Seite gibt .
In diesem Bereich sehe ich – im Gegensatz zu den Lin-
ken – bundeseinheitliche Wälzungen nicht als notwendig
an .

In Ihrem Antrag haben Sie Düsseldorf und das Havel-
land verglichen . Das Havelland hat 600 Windräder . Dort
ist in den letzten Jahren Wertschöpfung entstanden, was
zu Arbeitsplätzen geführt hat . Daran sieht man, dass auch
eine Region von solchen Projekten profitiert und entspre-
chend höhere Netzkosten tragen muss .

Meine Damen und Herren, wir werden in den nächs-
ten Jahren leider erleben, dass die Netzkosten weiter
steigen werden . Wir werden weiter investieren müssen,
damit der Netzausbau gelingt . Deshalb brauchen wir eine
sinnvolle Verteilung der Netzausbaukosten . Das ist un-
serer Fraktion sehr wichtig . Deshalb werden wir uns mit
diesen Themen in den nächsten Wochen beschäftigen .

Mit dem NEMoG, dem jetzt vorliegenden Gesetzent-
wurf, werden wir das Thema „vermiedene Netzentgelte“
angehen . Auch das ist ein ganz wichtiger Beitrag . Da-
durch werden wir 57 Millionen Euro umschichten, und
auch die neuen Bundesländer werden mit 200 Millionen
Euro ganz konkret davon profitieren können.

Meine Damen und Herren, mit Verteilungsdebatten
werden wir die Energiewende nicht zum Gelingen brin-
gen . Wir brauchen Debatten zu den Themen Energiesi-
cherheit, Bezahlbarkeit und Umweltverträglichkeit . Ich
glaube, dass wir hier in den letzten vier Jahren sehr viel
gemacht haben und dass wir mit dem NEMoG in den
nächsten Monaten den entscheidenden Baustein setzen
werden .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821513300

Vielen Dank . – Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt

der Kollege Oliver Krischer das Wort .


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821513400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Worum geht es eigentlich? Netzentgelte machen unge-
fähr 25 Prozent unseres Strompreises aus . Damit wird
das gesamte Stromnetz finanziert. Hier unterteilt man
zwischen dem Übertragungsnetz – das sind die großen
Masten – und dem Verteilnetz, bei dem die Kabel in den
Straßen unserer Städte liegen .


(Thomas Jurk [SPD]: Na, ganz so einfach ist es nicht!)


Dieses Thema ist wichtig, weil die Netzentgelte dringend
reformbedürftig sind .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Heute wird nämlich einfach über die Kilowattstunde be-
zahlt, egal ob das Netz belastet oder unbelastet ist . Die
meisten privaten Verbraucher zahlen einfach einen Ki-
lowattstundenpreis . Viele Industriekunden zahlen gar
nichts, und manche – das wissen wir alle – belasten sogar
das Netz, verhalten sich netzschädlich und bekommen
dann noch Anreize . Das alles gehört dringend reformiert .

Das hat die Bundesregierung auch erkannt . Wenn man
im Grünbuch und im Weißbuch nachliest, dann sieht
man, dass das alles drinsteht . Leider sind wir jetzt am
Ende der Legislaturperiode . Sigmar Gabriel verabschie-
det sich aus dem Amt, und eine Lösung dieses Reform-
bedarfs ist nicht erkennbar . Ich sage ehrlich: Das ist im
Rahmen der Umsetzung der Energiewende ein Fall, bei
dem diese Bundesregierung versagt hat . Das muss man
an dieser Stelle ganz klipp und klar sagen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Man hebt sich dies für spätere Zeiten auf .

Eben wurde schon das NEMoG erwähnt . Das ist aber
nur der Torso eines Gesetzes . Es mag einmal in der Über-
legung gewesen sein, dass dieser Entwurf einen Reform-
ansatz für die Netzentgelte liefern sollte . Jetzt steht da
nur noch, dass die vermiedenen Netzentgelte langsam
abgeschmolzen werden sollen . Das ist ein kleiner Bau-
stein dieses ganzen Themas . Man beantwortet damit noch
nicht einmal die Frage, wie man die Kraft-Wärme-Kopp-
lung, die man ausbauen will und deshalb fördert, die aber
unter den vorgesehenen Regelungen leiden würde, erhal-
ten will . Diese Frage wird nicht beantwortet . Das ist ein
Armutszeugnis für die Bundesregierung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sigmar Gabriel hinterlässt uns hier Trümmer der Ener-
giewende; das kann man an dieser Stelle nicht anders
sagen .

Genauso wird nach wie vor nicht angegangen, Trans-
parenz bei den Netzentgelten zu schaffen . Es kann doch
nicht sein, dass wir in Deutschland Monopolbetriebe ha-
ben und uns öffentlich nicht bekannt ist, was dort wie viel
kostet . Ich kann mir meinen Netzbetreiber nicht aussu-
chen und muss zahlen . Dann erwarte ich aber schon, dass
hier umfassende Transparenz hergestellt wird . Das ist
im Energiewirtschaftsgesetz verankert, wird aber nicht

Thomas Bareiß






(A) (C)



(B) (D)


umgesetzt . Das müsste mit klaren Regelungen hinterlegt
werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Damit komme ich zu dem Antrag der Linken . Das ist
natürlich auch eine Frage der Regionalität . Ich hatte es
bisher, Herr Bareiß, in diesem Haus als Konsens wahrge-
nommen, dass die Netzentgelte für das Übertragungsnetz
bundeseinheitlich gewälzt werden sollen . Das ist auch
sinnvoll . Man kann doch niemandem erklären, dass die
Menschen für eine große Stromleitung vor ihrer Haustür
zahlen sollen, auch wenn der Strom in ein ganz anderes
Netzgebiet geführt wird .


(Beifall des Abg . Andreas G . Lämmel [CDU/ CSU])


Das finde ich nicht in Ordnung. Deshalb sollte eine ent-
sprechende Regelung in das Gesetz aufgenommen wer-
den . Das war so angekündigt, und in ersten Entwürfen,
die wir in der Straßenbahn gefunden haben, stand das
auch drin . Warum diese Regelung herausgefallen ist,
verstehe ich nicht . Da drückt sich die Große Koalition
offensichtlich wieder einmal vor einer schwierigen Ent-
scheidung . Man hätte hier Führung zeigen und eine klare
Linie verfolgen können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Claus, was die Linkspartei in ihrem Antrag
schreibt, auch wenn er schon zwei Jahre alt ist, macht die
Sache nicht besser. Daraus einen Ost‑West‑Konflikt zu
machen, finde ich, ehrlich gesagt, skurril.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Aber nicht wir!)


– Doch . Ich habe hier die Rede von Herrn Claus gehört .


(Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Wenn Sie zugehört hätten, wäre Ihnen das aufgefallen!)


Das Problem besteht nicht nur zwischen Ost und West .
Das ist in Deutschland viel komplizierter . Schauen Sie
nach Bayern und nach Schleswig-Holstein! Da gibt es
eine ganze Menge Unterschiede .


(Beifall des Abg . Florian Post [SPD])


Was ich falsch finde – und da bleibt Ihr Antrag leider
unklar –, ist Ihre Argumentation in Bezug auf die Verteil-
netzbetreiber . Ich hatte es bisher immer so wahrgenom-
men, dass die Linke, wie wir auch, dafür kämpft, dass
Kommunen ihre Verteilnetze selber betreiben können,
dass die Netze also in der Verantwortung der Kommunen
bleiben . Wenn Sie aber anfangen, die Gebühren für die
Verteilnetze – ich rede nicht von den Übertragungsnet-
zen – bundesweit zu wälzen, dann entsteht dadurch nicht
nur ein bürokratisches Monstrum . Damit geben Sie zu-
dem den Anhängern einer neoliberalen Regelung, die die
Rolle der Stadtwerke mit Blick auf die Verteilnetze gerne
beschränken wollen – dazu gehört auch Herr Homann
von der Bundesnetzagentur –, die passenden Argumente
an die Hand . Deshalb sage ich nur: Vorsicht an der Bahn-
steigkante! Da passen Ihre Argumente nicht zusammen .

Bei den Übertragungsnetzbetreibern brauchen wir
eine bundeseinheitliche Wälzung, aber bei den Verteil-
netzbetreibern sehe ich diese Notwendigkeit nicht . Ich
will dezentrale, möglichst kommunale Stadtwerke, die
die die Netze vor Ort effizient betreiben und die Gebüh-
ren am besten gestalten . Das muss unser gemeinsames
Ziel im Sinne der Energiewende sein .

Danke schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821513500

Vielen Dank . – Jetzt hat der Kollege Thomas Jurk,

SPD-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Thomas Jurk (SPD):
Rede ID: ID1821513600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der Linken
kommt relativ schlicht daher . Es wird begehrt, nur ei-
nen einzigen Satz zu beschließen . Ich stelle fest: Dieser
Antrag ist sicher gut gemeint, geht aber sowohl an der
Struktur der Netze als auch an der aktuellen politischen
Debatte vorbei .

Kollege Krischer, ich habe mir einmal die Debatte
vom 14 . November 2014 angeschaut . Da sind Sie von
dem früheren energiepolitischen Sprecher Dirk Becker
gelobt worden . Deswegen brauche ich das an dieser Stel-
le nicht zu machen . Sie liegen ausnahmsweise einmal
völlig richtig . Das Bashing gegen Sigmar Gabriel will
ich hier nicht kommentieren .

Es macht aber keinen Sinn, alle Netzebenen in einen
Topf zu werfen; denn das hieße gleichsam, das Kind
mit dem Bade auszuschütten . Es geht neben den ver-
miedenen Netzentgelten aktuell um die Übertragungs-
netzentgelte der vier großen Übertragungsnetzbetreiber
Amprion, TransnetBW, TenneT und 50Hertz . Wir stellen
fest, dass die Preisunterschiede in den jeweiligen Netz-
gebieten erheblich sind . Je nachdem, ob man bei einem
günstigen Übertragungsnetzbetreiber zu Hause ist oder
bei einem teureren, bekennt man sich – bis auf wenige
Ausnahmen – für oder gegen eine bundesweite Wälzung
der Netzentgelte .

Es ist wirklich kein Ost-West-Thema; einige Redner
haben bereits darauf hingewiesen . Denn bei bundes-
weit gleichen Übertragungsnetzentgelten würden die
Verbraucher in zwölf Bundesländern profitieren. In vier
Ländern würden die Übertragungsnetzentgelte steigen .
So ist es nicht verwunderlich, dass in Ländern mit zu-
künftig höheren Netzkosten bei einer bundesweiten Wäl-
zung der größte Widerstand zu verzeichnen ist . Auch die
CDU-Landesgruppe NRW im Bundestag verlangt vom
Kanzleramt den Stopp entsprechender Neuregelungen,
sieht man doch die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen
Industrie bedroht . Aktuell erreicht die Bundeskanzlerin
Post von 87 Unternehmen, Verbänden und Kammern
aus Schleswig-Holstein, Hamburg, Hannover und den
ostdeutschen Bundesländern . Lassen Sie mich kurz aus
diesem aktuellen Brief – er wurde bereits veröffentlicht –

Oliver Krischer






(A) (C)



(B) (D)


zitieren . Unter dem Stichwort „Ungerecht und nicht zu-
kunftsfähig“ heißt es:

Erneuerbare Energien werden vor allem in dünnbe-
siedelten und eher ländlich geprägten Regionen er-
zeugt . Die Kosten für die Netzintegration verteilen
sich dort also auf wenige Verbraucher . Gleichzeitig
produzieren diese Regionen einen Überschuss an
günstigem Strom, von dem alle Kunden in Deutsch-
land profitieren. Es ist daher nicht nachvollziehbar,
weshalb gerade diese Regionen überproportional
hohe Netzentgelte zahlen müssen .

Weiter heißt es unter dem Stichwort „Volkswirtschaftlich
widersinnig“:

Das teils deutlich auseinanderliegende Übertra-
gungsnetzentgelt benachteiligt bestehende Gewer-
be- und Industriestandorte, setzt Fehlanreize für die
Neuansiedlung von Industrie und Gewerbe in den
betroffenen Regionen und zieht damit erhebliche
volkswirtschaftliche Nachteile nach sich .

Recht so .

Ich finde es bemerkenswert, dass sich Michael Fuchs
von der CDU/CSU-Fraktion heute Morgen in der Debat-
te über den Jahreswirtschaftsbericht für bundeseinheitli-
che Übertragungsnetzentgelte ausgesprochen hat . Beim
Kollegen Bareiß habe ich nicht ganz erkennen können,
was er davon hält . Er hat ein bisschen um den heißen
Brei herumgeredet . Aber ich gestatte mir einen Hinweis
zu den Profiteuren des EEG‑Topfes: Man muss immer
genau schauen, wer Eigentümer der Anlagen ist, die aus
dem EEG‑Topf finanziert werden. Das müssen nicht
unbedingt Leute aus Brandenburg oder Sachsen-Anhalt
sein .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Ulrich Freese [SPD]: Richtig, Thomas! Das musste mal gesagt werden!)


Lieber Kollege Krischer, das kann ich Ihnen jetzt nicht
ersparen; denn ich lese auch, was Ihre Parteifreunde in
meinem Heimatbundesland Sachsen von sich geben . Ich
rate Ihnen, Ihre Kollegen ein bisschen aufzuschlauen .
Der energiepolitische Sprecher der Grünen im Säch-
sischen Landtag hat übrigens gesagt, er sei gegen eine
bundesweite Wälzung, und beruft sich dabei auf das Gut-
achten von Amprion .

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Bundeseinheitli-
che Übertragungsnetzentgelte sind für mich kein Akt der
Solidarität . Vielmehr sind sie ein Gebot der Gerechtig-
keit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Gerecht ist, wenn deutschlandweit alle Verbraucher in
gleichem Maße an der Finanzierung der Übertragungs-
netze beteiligt werden . Bei der Anbindung von Offsho-
rewindanlagen und Erdkabeln gibt es eine bundesweite
Wälzung längst; das wurde in der Debatte bereits ange-
sprochen . Bei Redispatch-Kosten und Einspeisemanage-
ment wäre das meines Erachtens auch gerechtfertigt .

Ich habe die Hoffnung, dass es uns gelingt, noch in
dieser Legislaturperiode des Deutschen Bundestages

eine bundesweite Wälzung der Übertragungsnetzentgelte
zu beschließen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821513700

Vielen Dank . – Letzter Redner zu diesem Tagesord-

nungspunkt ist der Kollege Dr . Andreas Lenz, CDU/
CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Andreas Lenz (CSU):
Rede ID: ID1821513800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn
man Herrn Jurk zugehört hat, könnte man fast glauben,
dass die CDU-Landesgruppe Nordrhein-Westfalen über
Gesetzentwürfe aus dem Hause Gabriel – diese will noch
dazu Herr Krischer in der U-Bahn gefunden haben – ent-
scheiden kann . Ich glaube das nicht . Letztlich kommen
die Gesetzentwürfe aus dem Hause Gabriel .

Wir beraten heute einmal mehr über den Antrag der
Fraktion Die Linke über bundeseinheitliche Netzentgel-
te für Strom . Wir hatten im Koalitionsvertrag festgelegt,
dass wir das System der Netzentgelte überprüfen werden,
insbesondere ob es den Anforderungen der Energiewen-
de noch gerecht wird, und zwar vor allem im Hinblick
auf eine faire Lastenverteilung bei der Finanzierung der
Netzinfrastruktur .

Es gibt in Deutschland vier große Übertragungsnetz-
betreiber. Dies hat historische und keine sachspezifischen
Gründe . Jeder Betreiber hat eine eigene Regelzone und
damit auch ein eigenes Netzentgelt . Die meisten Kosten
verbleiben im jeweiligen Netzgebiet, also auch die Kos-
ten für Regelenergie, für die Redispatch-Maßnahmen,
die Kosten für das Einspeisemanagement und eben auch
die Kosten für den Ausbau der Übertragungsnetze . Die
Übertragungsnetzentgelte werden damit immer mehr
durch Umstände bestimmt, die der einzelne Übertra-
gungsnetzbetreiber nicht beeinflussen kann.

Der Ausbau der Höchstspannungsnetze ist bekann-
termaßen für den Transport der Windenergie von Nord
nach Süd und des Photovoltaikstroms von Süd nach Nord
wichtig . Die Kostenaufteilung nach Netzgebieten führt
dazu, dass die Übertragungsnetzentgelte je nach dem
jeweiligen Netzgebiet unterschiedlich stark ansteigen .
Bereits heute gibt es erhebliche regionale Unterschiede .
Wenn man das Kalenderjahr 2017 anschaut, dann sieht
man, dass allein in diesem Jahr die Übertragungsnetzge-
bühr der TenneT um circa 80 Prozent gestiegen ist, bei
Amprion im Vergleich dazu um lediglich 10 Prozent .

Nun ist klar, dass der Netzausbau – darin sind wir uns,
glaube ich, einig – für die Energiewende absolut notwen-
dig ist . Die Energiewende wiederum – so heißt es auf
jeden Fall immer – ist eine gesamtgesellschaftliche Auf-
gabe . Auch deshalb sollten die Kosten des Netzausbaus,
die der Energiewende geschuldet sind, von der Gesamt-
heit getragen werden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Thomas Jurk






(A) (C)



(B) (D)


Ich vergleiche das gerne mit dem System der Bundes-
autobahnen . Es würde niemand darauf kommen, die
Autobahn, die beispielsweise durch die Oberpfalz oder
durch das schöne Mecklenburg-Vorpommern führt, der
jeweiligen Region in Rechnung zu stellen, die damit
durchschnitten wird . Auch die Bundesnetzagentur sieht
eine Vereinheitlichung der Übertragungsnetzentgelte als
Chance für eine Angleichung des Netzentgeltniveaus und
hält diese aufgrund der gemeinschaftlichen Aufgabe der
Übertragungsnetzbetreiber auch für gerechtfertigt .

Natürlich brauchen wir Übergangsfristen, und natür-
lich müssen wir auch unterschiedliche Investitionen aus
der Vergangenheit berücksichtigen . Aber wenn wir nichts
machen – da dürfen wir uns nichts vormachen –, dann
wird der Abstand bei den Netzkosten zwischen den Netz-
zonen noch größer werden . Es geht hier nicht um einen
Markt zwischen den Übertragungsnetzbetreibern; den
gibt es nämlich nicht, allein schon aus Definitionsgrün-
den . Es geht darum, einheitliche Marktvoraussetzungen
für den Mittelstand und Unternehmen, die sich am Markt
bewegen und im Wettbewerb zueinander stehen, zu
schaffen . Das sind wir als Regelsetzer dem Wettbewerb
schuldig .

Anders ist es – das wurde schon angesprochen – im
Bereich der Verteilnetze, also dem Netzbereich der Nie-
derspannung . Ich will hier noch einmal den Vergleich zu
den Straßen ziehen . Auch der Kollege Krischer hat ange-
sprochen, dass es im Bereich der Gemeinde- und Kreis-
straßen ebenso widersinnig wäre, wenn wir den Kommu-
nen die Verantwortung entzögen und diese auf die höhere
Ebene verlagerten . So ist es auch bei den Verteilnetzen .
Unter anderem müsste sonst ein Ausgleich unter den
rund 900 Verteilnetzbetreibern organisiert werden . Es
würde ein massiver bürokratischer Aufwand entstehen . –
Es gibt eine Zwischenfrage .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821513900

Sie gestatten die Zwischenfrage, entnehme ich daraus .


Dr. Andreas Lenz (CSU):
Rede ID: ID1821514000

Ja .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821514100

Bitte schön, Herr Kollege Freese .


Ulrich Freese (SPD):
Rede ID: ID1821514200

Schönen Dank, Herr Lenz, dass Sie mir die Zwischen-

frage gestatten .

Ich habe mit Interesse zugehört und einen Vorschlag
erkennen können, der eine andere Finanzierung der Ener-
giewende als gesamtgesellschaftliche Aufgabe vorsieht .
Die Finanzierung ist, denke ich, dann wahrscheinlich
über den Haushalt zu regeln . Spannend für uns ist, weil
wir das ansatzweise bei uns diskutieren, die Frage: Ist
das Diskussionsstand innerhalb der CDU/CSU-Fraktion,
und haben Sie hierzu eine geschlossene Meinung, oder
ist es Ihre persönliche Meinung, die Sie gerade vorgetra-
gen haben?


Dr. Andreas Lenz (CSU):
Rede ID: ID1821514300

Es freut mich natürlich immer, wenn mir zugehört

wird .


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Die andere Frage ist, ob das, was ich sage, auch verstan-
den wird .


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich habe gesagt, dass die Energiewende eine gesamt-
gesellschaftliche Aufgabe ist und deswegen die Kosten
der Energiewende – hier spreche ich über die Kosten der
Übertragungsnetze – nicht auf einer Region lasten blei-
ben dürfen .

Jetzt gibt es unterschiedliche Vorschläge, wie man hier
zu einer Wälzung, also zu einer Angleichung, kommen
könnte . Meine Intention ist, dass man das nicht haushal-
terisch löst, sondern im System der Übertragungsnet-
zentgelte bleibt, aber bundesweit zu einer Angleichung
kommt . Hier muss man schauen, dass die Investitionen,
die bei den einzelnen Übertragungsnetzbetreibern in der
Vergangenheit geleistet wurden, in solch einem Mecha-
nismus mit berücksichtigt werden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wie gesagt: Anders ist die Sache bei den Verteilnetzen .
Deswegen brauchen wir hier auch andere Lösungen .
Es wurde auch seitens der Bundesnetzagentur in einer
Stellungnahme verkündet, dass sie bei den Verteilnetzen
nichts von einheitlichen Netzentgelten hält .

Ich will noch kurz auf die vermiedenen Netzentgelte
zu sprechen kommen . Es ist es ja so, dass die Annahme,
der Zubau von dezentralen Anlagen im Zusammenhang
mit erneuerbaren Energien würde den Bedarf an Netz-
ausbau verringern und so in zunehmendem Maße Infra-
strukturkosten vermeiden, sich nicht bestätigt hat . Im
Gegenteil: Teilweise bedingt er sogar einen zusätzlichen
Netzausbau . Ich bin der Meinung, dass man hier tren-
nen muss zwischen den stark volatilen Erneuerbaren wie
Wind und Photovoltaik und den tatsächlich netzdienli-
chen Erneuerbaren, aber auch anderen Energiequellen,
die den Bedarf an Netzausbau entsprechend entlasten .

Die Linke will alle Netzentgelte bundesweit verein-
heitlichen . Wenn Sie so tun, als ob für den Osten der Re-
publik nichts getan würde, dann ist das der eigentliche
Treppenwitz, der hier verkündet wurde . Man muss bei
der Frage der Netzentgelte sicherlich genauer hinschau-
en und zwischen Verteilnetzen und Übertragungsnetzen
unterscheiden .

Wir werden uns mit der Frage der Netzentgelte weiter
intensiv befassen und eine Lösung finden. Entscheidend
ist, einen Rahmen zu schaffen, der den notwendigen
Netzausbau voranbringt und die Kosten der Energiewen-
de gerechter verteilt . Der Thematik nehmen wir uns an,
Ihren Antrag lehnen wir ab .

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Andreas Lenz






(A) (C)



(B) (D)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821514400

Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet .

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-
gie zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Ti-
tel „Bundeseinheitliche Netzentgelte für Strom“ . Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/3749, den Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 18/3050 abzulehnen . Wer stimmt für die-
se Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfrak-
tionen . Wer stimmt dagegen? – Das ist die Linke . Wer
enthält sich? – Bündnis 90/Die Grünen . Damit ist die Be-
schlussempfehlung angenommen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 c auf:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit (16 . Ausschuss) zu
der Verordnung der Bundesregierung

Zweite Verordnung zur Änderung der Sport­
anlagenlärmschutzverordnung

Drucksachen 18/10483, 18/10696 Nr. 2,
18/11006

b) Zweite und dritte Beratung des von den Ab-
geordneten Peter Meiwald, Monika Lazar,
Dr . Franziska Brantner, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Dreizehntes Ge­
setzes zur Änderung des Bundes­Immissions­
schutzgesetzes

Drucksache 18/10859

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi-
cherheit (16 . Ausschuss)


Drucksache 18/11006

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit (16 . Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald,
Monika Lazar, Christian Kühn (Tübingen), wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Sport und Alltag verbinden – Lärmschutzre­
geln für Sportanlagen den heutigen Anforde­
rungen anpassen

Drucksachen 18/4329, 18/11006

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen . – Ich eröffne die
Aussprache . Das Wort für die Bundesregierung hat die
Bundesministerin Dr . Barbara Hendricks .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es zieht die Menschen in die Städte; wir erleben seit ei-
nigen Jahren einen starken und ungebremsten Trend . Wir
brauchen deswegen in unseren Städten neue Wohnun-
gen – viele neue Wohnungen, wie wir alle wissen . Wir re-
den in der Wohnungspolitik über bezahlbaren Wohnraum
und Neubau, über Nachverdichtung und Aufstockung,
das Schließen von Baulücken und das Erschließen von
Baulandreserven . Es ist außerdem richtig, dass wir über
Menge, also über Quantität, reden . Aber wir dürfen dabei
die Qualität des Lebens in unseren Städten nicht aus den
Augen verlieren . Das Leben in den Städten muss lebens-
wert bleiben . Dazu gehört beispielsweise auch der Sport-
platz um die Ecke . Deswegen muss der Breiten- und
Freizeitsport seinen wichtigen Platz in unseren Städten
und Gemeinden behalten .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In der Praxis erleben wir allerdings wegen der fort-
schreitenden Verdichtung der Ballungsräume auch eine
Zunahme von Nachbarschaftskonflikten, nicht zuletzt
mit dem Sport . Sportanlagen werden zunehmend in der
Nutzung eingeschränkt oder sogar in die Außenbereiche
verdrängt . Liebe Kolleginnen und Kollegen, dem wollen
wir entgegentreten; denn Sportangebote gehören in die
Mitte unserer Gesellschaft, auch in den Ballungsräumen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb liegt Ihnen heute die Novelle zur Sportanla-
genlärmschutzverordnung – ein schwieriges Wort – zur
Beratung vor . Ziel der Novelle ist es, eine intensivere
Nutzung von Sportanlagen zu ermöglichen und Rechtssi-
cherheit für alle Beteiligten zu schaffen .

In ihrer aktuellen Fassung ist die Sportanlagenlärm-
schutzverordnung mehr als 25 Jahre alt . Sie stammt aus
dem Jahr 1991 . Natürlich hat sich die Welt seitdem ver-
ändert . Es ist Zeit für einige gezielte Anpassungen . So
wollen wir die Emissionsrichtwerte für die abendlichen
Ruhezeiten sowie für die Ruhezeiten an Sonn- und Fei-
ertagen von 13 bis 15 Uhr um 5 Dezibel erhöhen und da-
mit auf das Niveau der übrigen Zeiten bringen . Praktisch
heißt das: Mit dieser Änderung wird der Zeitraum zur
Nutzung von Sportanlagen in den Ruhezeiten um etwa
das Dreifache verlängert .

Darüber hinaus wollen wir mit der Verordnung den
Sportbetrieb auf älteren Anlagen, die bereits vor dem
Jahr 1991 genutzt wurden, rechtlich besser absichern .
Vor allem Modernisierungsmaßnahmen, mit denen eine
Sportanlage an den Stand der Technik angepasst wird,
zum Beispiel durch den Einbau von Kunstrasen auf
Ascheplätzen, sollen die weitere Nutzung nicht infra-
ge stellen . Es hat wirklich niemand verstanden: Ältere
Sportanlagen, die schon vor 1991 errichtet wurden, noch
in Betrieb waren und modernisiert wurden, verlieren
nach geltendem Recht – das ist bis heute so – ihre Zulas-






(A) (C)



(B) (D)


sung . Das ist so etwas von widersinnig . Das korrigieren
wir jetzt, wie sich das gehört .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg . Eva BullingSchröter [DIE LINKE])


Alle Sachverständigen, die zur Novelle zur Sportan-
lagenlärmschutzverordnung gehört worden sind, haben
diese beiden Änderungen als deutlichen Beitrag zur För-
derung des Sports und zu einer intensiveren Nutzung
der Sportanlagen gelobt . Selbstverständlich hätte es aus
Sicht des Sports noch mehr Lockerungen beim Lärm-
schutz geben können . Aber es gilt eben auch, die Balance
zu wahren .

Mit den jetzt vorgeschlagenen Änderungen garantiert
die Sportanlagenlärmschutzverordnung weiterhin einen
wirksamen Lärmschutz für die Nachbarn von Sportan-
lagen . Die Verordnung gleicht zwischen den widerstrei-
tenden Interessen des Sports einerseits und dem Ruhebe-
dürfnis der Nachbarschaft andererseits aus . Sie orientiert
sich an unseren veränderten Lebensgewohnheiten und
trägt dazu bei, dass unsere Städte lebendig und lebens-
wert bleiben .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821514500

Vielen Dank . – Nächste Rednerin ist die Kollegin

Birgit Menz, Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Birgit Menz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821514600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Gäste! Wir alle wollen, dass Kinder und
Jugendliche ihre Freizeit sinnvoll gestalten, wie man so
schön sagt, dass sie sich mehr bewegen, mehr Sport trei-
ben, dass sie in Sportvereinen zusammenkommen . Dafür
brauchen Kinder und Jugendliche Räume und Flächen,
die für sie leicht zugänglich, also nah am Wohnort, sind,
und sie brauchen die Freiheit, sich auf diesen Flächen zu
bewegen, ohne dabei die Angst zu haben, zu laut zu sein .

Die nun vorliegende Verordnung hat einen großen
Mangel: Die existierenden Regelungen zur Privilegie-
rung von Kinderlärm werden nicht auf die Sportanlagen
ausgeweitet . Wie der Gesetzgeber 2011 richtig feststell-
te, ist Kinderlärm keine umweltschädliche Einwirkung .
Dieser Grundsatz muss auch für Geräusche von Kindern
und Jugendlichen gelten, die auf Sportanlagen aktiv sind .

Für die Linke ist das Kinderprivileg ein wichtiges
Signal an die Kinder und Jugendlichen, ihnen Raum
zu lassen, und zwar nicht irgendwo am Rande unserer
Städte und Dörfer, sondern mitten unter uns . Kinder und
Jugendliche müssen sich willkommen fühlen . Wenn aber
die Gesellschaft fürchtet, dass das die Lebensqualität be-
einträchtigt, dass der Wert von Immobilien dadurch ge-
mindert wird oder die Vermietbarkeit sinkt, dann setzt sie
die falschen Prioritäten . Weil sportliche Aktivitäten in al-
ler Regel mit Geräuschen verbunden sind, muss in dicht-
bewohnten Gebieten natürlich ein angemessener Kom-

promiss zwischen den Interessen der Sporttreibenden
und denen der Anwohner und Anwohnerinnen gefunden
werden . Allerdings sollten wir dabei unterscheiden zwi-
schen Geräuschen, die von spielenden und sportaktiven
Kindern und Jugendlichen ausgehen, und den Immissi-
onen, die durch Gewerbe- und Verkehrslärm entstehen .
Dass die Ausübung von Freizeit- und Breitensport durch
Grenzwerte erschwert werden kann, die noch unter den
Grenzwerten des Verkehrslärms liegen, ist schlicht nicht
nachvollziehbar .

Wenn es also darum geht, die Menschen vor allem
auch in den immer dichter werdenden Ballungsräumen
vor den ernstzunehmenden Gefahren zu starker Lärmbe-
lastung zu schützen, dann sollte mit Blick auf die Gesam-
temission zum Beispiel beim Verkehrslärm nachgebes-
sert werden, und zwar sowohl im Sinne der Gesundheit
als auch der Umwelt . Überlegenswert wäre, den im Rah-
men von Sportveranstaltungen entstehenden An- und
Abfahrtslärm nicht unter die Sportanlagenlärmschutz-
verordnung fallen zu lassen, sondern als Verkehrslärm zu
behandeln . Denn wie in der Anhörung deutlich wurde,
führt gerade dieser An‑ und Abfahrtsverkehr häufig zu
Konflikten mit Anwohnerinnen und Anwohnern.

Auch wenn die vorhin genannten Überlegungen
bisher nicht berücksichtigt wurden, ist es gut, dass die
Sportanlagenlärmschutzverordnung nun modernisiert
wird . Wir haben das schon in der letzten Legislaturpe-
riode gefordert und sehen, dass die Bundesregierung im
Grundsatz hier auch gute Vorschläge macht . Vor allem
die Absenkung des Lärmschutzes während der Ruhezei-
ten am Abend sowie an Sonn- und Feiertagen um 5 Dezi-
bel ist eine sinnvolle Maßnahme, um das Zeitfenster für
den Freizeit- und Breitensport auszuweiten . Sportstätten
können damit vor allem dann genutzt werden, wenn die
Menschen auch die Zeit dazu haben: am Abend und an
den Wochenenden .

Auch die Festlegung der Immissionswerte für urbane
Gebiete auf 63 Dezibel am Tag und 48 Dezibel in der
Nacht halten wir für geeignet, um im städtischen Raum
einen sinnvollen und fairen Interessenausgleich zu errei-
chen . Aber neben der Privilegierung von Kinderlärm auf
Sportanlagen fehlt die Erweiterung des sogenannten Alt-
anlagenbonus auf Anlagen mit Stand 2017 . Damit würde
man dann auch der Infrastrukturentwicklung in den ost-
deutschen Bundesländern gerecht werden .

Schließlich sollte ein Irrelevanzkriterium in die Ver-
ordnung aufgenommen werden, damit Konflikte bei
geringfügigen Überschreitungen einfacher gehandhabt
werden können .

Mit diesen Ergänzungen würden wir eine wirkungs-
volle und rechtssichere Grundlage schaffen, um die
Sportmöglichkeiten, insbesondere für Kinder und Ju-
gendliche, zu verbessern und ein gutes Zusammenle-
ben zu fördern . Leider konnte sich der Ausschuss nicht
auf diese wichtigen Ergänzungen einigen, sodass meine
Fraktion sich enthalten wird .

Danke .


(Beifall bei der LINKEN)


Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks






(A) (C)



(B) (D)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821514700

Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht

jetzt Karsten Möring .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Karsten Möring (CDU):
Rede ID: ID1821514800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Frau Menz, Sie machen hier eine Scheindiskussi-
on auf, wenn Sie das Thema Kinderlärmprivilegierung
hochziehen .


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sahen die Sachverständigen aber etwas anders!)


Die Diskussion bei der Sachverständigenanhörung am
Montag hat doch ganz klar gezeigt, dass alle Beteiligten,
von den Sportverbänden einerseits bis zu den Vertretern
von Haus & Grund andererseits, letztlich gesagt haben:
Wir haben eine gute Vorlage . – Der eine möchte ein biss-
chen mehr hiervon, der andere möchte ein bisschen weni-
ger davon . Das ist der normale Interessengegensatz, aber
das Endergebnis war: Wir liegen da völlig richtig .

Warum ist das eine Scheindiskussion, die Sie aufma-
chen, wenn Sie Kinderlärm thematisieren? Wir wissen
genau – auch das ist am Montag thematisiert worden –,
dass die Unterscheidung von Kinderlärm und Nichtkin-
derlärm auf Sportplätzen de facto nicht möglich ist . Ich
habe den Vertreter des Städte- und Gemeindebundes
oder den Vertreter des Deutschen Städtetages – ich weiß
nicht mehr genau, wer es war – extra gefragt, ob er sich
vorstellen kann, dass das umsetzbar ist . Er hat gesagt:
Das ist das große Problem, aber ein Rezept hat er nicht . –
Was haben wir stattdessen gemacht? Wir haben etwas
gemacht, was darüber hinausgeht, was Kinderlärmprivi-
legierung erreichen würde . Durch die Veränderung der
Werte für die Ruhezeiten haben wir nicht nur die Mög-
lichkeiten für den Sport von Kindern erweitert, sondern
wir haben gleichzeitig die Möglichkeiten für den Sport
von Erwachsenen und Jugendlichen erweitert . Das kön-
nen Sie doch nicht als Mangel betrachten . Das ist ein
wichtiger Erfolg .

Bei den anderen Punkten, die Sie nennen, ist es genau-
so . Wenn Sie darauf rekurrieren, dass man den Grenzwert
für Verkehrslärm senken müsste, der höher ist als der für
Lärm von Sportanlagen, dann möchte ich Sie auch fra-
gen: Wie? Wir können natürlich den Verkehr stilllegen
oder Lärmschutzmauern ohne Ende in der Stadt aufbau-
en . Sie wissen doch genau, warum wir diese Grenzwerte
haben und warum wir beim Sport nicht dieselben Grenz-
werte haben . Welche Folgen hätte das? Dann würden wir
die Lärmbelastung insgesamt deutlich erhöhen . Das alles
macht keinen Sinn .

Deswegen sage ich noch einmal: Wir haben eine sehr
gute Vorlage, die ausgeglichen ist und die zur Befriedung
der Situation führen wird . Sie wird auch dazu führen,
dass wir die begrenzten Kapazitäten an Sportmöglich-
keiten in der Stadt besser nutzen können . Man kann den
Kommunen vielleicht den Vorwurf machen, dass sie in
der Vergangenheit im Rahmen heranrückender Bebau-
ung nicht sorgfältig genug darauf geachtet haben, aus-

reichende Abstände zwischen der Sportanlage und der
Bebauung herbeizuführen . Das reparieren wir ein Stück
weit . Die Sensibilität ist heute deutlich größer geworden .

Was haben wir gemacht? Wir haben durch die Anhe-
bung der Werte in den abendlichen Ruhezeiten und am
Sonntag auf die Tageswerte – das hat Frau Ministerin
Hendricks schon ausgeführt – eine Verdreifachung der
Nutzungszeit in der Ruhezeit geschaffen . 5 dB(A) mehr
heißt physikalisch eine Verdreifachung des Schalldrucks .
Das ist für Menschen wahrnehmbar, aber keine fun-
damentale Erhöhung . Man muss sich einmal eine Ver-
dreifachung der Nutzungszeit praktisch vorstellen . Um
20 Uhr endet der ursprüngliche Grenzwert . Danach kann
man natürlich Sport machen . Weil wir den Mittlungspe-
gel über einen langen Zeitraum haben, führt das dazu,
dass man vielleicht noch bis 20 .30 Uhr Sport machen
kann und über 50, 55 oder 60 dB(A) liegt, je nachdem, in
welcher Region man sich befindet. Aber dann ist Schluss.
Wenn wir jetzt die Ruhezeit zwischen 20 und 22 Uhr auf
den Tageswert nehmen, dann bedeutet das, dass der Pegel
in dieser Zeit ermittelt werden muss und nicht verrech-
net werden darf mit Ruhezeiten zwischen morgens 8 Uhr
und mittags 12 Uhr, wo die Sportanlagen allerhöchs-
tens von Schulen genutzt werden . Es muss in diesem
Zweistundenrythmus sein . Das heißt in der Praxis, dass
man Sport mit einem höheren Lärmanteil vielleicht bis
21 Uhr, 21 .30 Uhr betreiben kann . Dann sagen Sie mir,
dass das die Kernzeit ist, in der die Kinder Sport machen .
Also das geht in meinen Kopf nicht hinein .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Noch einmal: Wir alle haben eine gute Lösung gefun-
den . Ich muss eines ganz klar betonen: Bei den Lärm-
grenzwerten, die wir zugrunde gelegt haben, haben wir
Grenzwerte, die eindeutig unter jeglicher Schwelle von
gesundheitlicher Beeinträchtigung liegen . Das sei ganz
klar gesagt . Dass es für Anwohner lästig ist, vor allen
Dingen, wenn sie 20 Meter entfernt wohnen, ist verständ-
lich . Es trifft 10 oder 20 Leute . Aber die Nutzung be-
trifft Hunderte . Wenn wir davon ausgehen, dass der Sport
nicht nur eine soziale, sondern auch eine gesundheitliche
Funktion hat, dann ist die Abwägung klar und die zusätz-
liche Belastung ist gering, vertretbar und richtig . Sie trifft
niemanden übermäßig .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Stichwort „Altanlagenbonus“ . Wir haben in der Ver-
gangenheit häufig Auseinandersetzungen gehabt, wenn
Modernisierungen genehmigt wurden und Anwohner-
beschwerden kamen, dass jetzt mehr Sport gemacht
wird – im Vergleich zu vorher, nicht über die Grenzwer-
te hinaus . Sportämter sind sehr schnell zu den Vereinen
hingegangen, um Auseinandersetzungen oder gar juris-
tische Auseinandersetzungen zu vermeiden, und haben
den Vereinen gesagt: Okay, es tut uns leid, aber ihr müsst
eure Betriebszeiten einschränken . Ihr habt zwar einen
schönen Platz, aber ihr könnt ihn nicht mehr so intensiv
nutzen wie früher . – Im Einzelfall haben sie von Verei-
nen sogar Aufnahmesperren verlangt, weil die Mitglie-
der nicht mehr ausreichend Zeit für die Sportausübung
haben .






(A) (C)



(B) (D)


All das hat dazu geführt, dass wir Konflikte hatten, die
wir mit dieser Sportanlagenlärmschutzverordnung deut-
lich verkleinern werden . Wir werden sie deutlich verklei-
nern, indem wir Rechtsklarheit schaffen . Es gibt einen
Katalog, der an diese Verordnung angehängt ist, und er
ist sehr vernünftig . Er gibt nämlich den entscheidenden
Stellen, sprich: den Sportämtern, aber letztlich auch den
Ämtern, die für Wohnungsbau oder Ähnliches zuständig
sind, ein Kriterium an die Hand, wann sie davon ausge-
hen können, dass der Betrieb der Anlage unbeeinträchtigt
weitergeführt werden kann . Diese Liste ist in der Sache
vernünftig. Sie definiert ganz einfach, was geht und was
nicht geht .

Sie haben eben in Ihrem Beitrag gesagt, man sollte
vielleicht den Lärm des an- und abfahrenden Verkehrs
aus der Berechnung herausnehmen, um noch mehr Mög-
lichkeiten zu schaffen . Dann frage ich: Ist das der Kern
der Sportausübung auf Sportanlagen? Wir machen das
doch gerade, damit wir eine wohnortnahe Versorgung
im Sport beibehalten können und nicht genötigt werden,
die Sportanlagen an den Stadtrand oder vor die Tore der
Stadt zu verlegen; wir wollen sie in Wohnortnähe behal-
ten . Wenn es schon wohnortnah ist und wenn es schon
um Sport geht, dann ist die Frage, ob man da unbedingt
mit einem Auto, mit einem lauten Knatterton hinfahren
muss oder ob man nicht auch Jogging, was man sonst
noch mal extra macht, bei solch einer Gelegenheit ma-
chen kann oder sich aufs Fahrrad schwingen kann,


(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Das ist praxisfremd!)


um diesen vermeidbaren Lärm mit Rücksicht auf Nach-
barn tatsächlich zu unterlassen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Das wäre meiner Ansicht nach ein Beitrag zum Aus-
gleich von Konflikten, die natürlich immer wieder mal
auftreten können .

Alles in allem – die Würdigung –: Es hat lange ge-
dauert, über ein Jahr . Wir haben die urbanen Gebiete
einbezogen – sie mussten erst im Baugesetzbuch un-
tergebracht werden . Wir sorgen jetzt für eine Spreizung
zwischen 45 dB(A) in Kurgebieten bis hin zu 65 dB(A)
in Gewerbegebieten und damit für eine hohe Differenzie-
rung abhängig von der umgebenden Nutzung . Wir haben
mit dem Altanlagenbonus eine klare Aussage getroffen .

Sie sagen, wir brauchten eine bessere rechtliche Ab-
sicherung für Anlagen, die bis 2017 genehmigt worden
sind . Wir haben den Altanlagenbonus an eine Genehmi-
gung vor 1991 gebunden, weil dies eine rechtliche Not-
wendigkeit war . Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine
Genehmigungsbehörde sagt: Das gilt dann aber nur für
die Anlagen, die vor 1991 genehmigt wurden, und wenn
eine Anlage, die 1994 oder 2005 gebaut wurde, jetzt ei-
nen Kunstrasenplatz bekommt, dann müssen wir ein neu-
es Genehmigungsverfahren durchführen und die Lärm-
grenzwerte neu berechnen . – Das ist absurd, und ist auch
weltfremd . Diese Verfahren werden dann analog ange-
wandt . Wenn Sie sagen, die Regelung müsse für bis 2017
genehmigte Anlagen gelten, dann sage ich: Lassen wir
das doch offen . Wer weiß, wie sich das weiterentwickelt!

Wir müssen ja nicht ständig daran herumschrauben . Die
Regelung ist meiner Ansicht nach absolut eindeutig .

Ich sage noch einmal: Wir haben eine rundum abge-
wogene Verordnung, einen Interessenausgleich zwischen
den Anliegern und den Sporttreibenden . Es gibt aus mei-
ner Sicht Gesetze oder Regelungen, die in der Großen
Koalition schwieriger zustande gekommen


(Lachen der Abg . Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


und eher die Interessen der einen oder der anderen erfüllt
haben . Bei dieser Verordnung sage ich guten Gewissens:
Es ist absolut das Beste, was möglich war . Deswegen
bitte ich um Zustimmung . Ich freue mich, dass Sie sich
wenigstens enthalten und nicht dagegen stimmen . Ein
bisschen mehr Zustimmung,


(Ulli Nissen [SPD]: Genau! Wirb doch mal für uns!)


ein bisschen mehr Freude und mehr Unterstützung des
Sports würde ich mir schon wünschen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Also gehen Sie noch mal in sich . Sie haben noch ein paar
Reden lang Zeit, darüber nachzudenken .


(Ulli Nissen [SPD]: Guter Vorschlag!)


Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821514900

Peter Meiwald hat jetzt die Chance, dazu für Bünd-

nis 90/Die Grünen Stellung zu nehmen .


Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821515000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Frau Ministerin! Liebes Publikum! Ja, es gibt
Sportler, die mit dem Maserati, mit dem Ferrari, mit dem
Lamborghini zum Sport fahren . Wir nennen sie dann un-
sere Stars . Wir wollen eigentlich, dass das den Kindern
erspart bleibt . Wir wollen in der Tat, dass die Kinder zu
Fuß oder mit dem Fahrrad wohnortnah zum Sport gehen
können . Deswegen ist es gut, dass wir heute hier über die
Sportanlagenlärmschutzverordnung sprechen . – Kollege
Möring, wenn das eine leichte Übung war, dann fragt
man sich, warum es zwei Jahre gedauert hat, bis Sie sich
geeinigt haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Bernhard Schulte-Drüggelte [CDU/CSU]: Was lange währt!)


Aber wir kennen andere Prozesse innerhalb der Koaliti-
on, die in der Tat noch länger gedauert haben .

Die Sportanlagenlärmschutzverordnung – das ist
schon gesagt worden – entstand Anfang der 90er-Jahre .
Und in der Tat: Die Lebenswirklichkeit hat sich seitdem
verändert . Wir Grüne haben dazu 2015 einen Antrag ein-
gebracht . Wir haben heute hier etwas vorliegen, was ei-
nen ganzen Teil davon aufnimmt . Deswegen werden wir

Karsten Möring






(A) (C)



(B) (D)


es ähnlich wie die Linken machen: Auch wir werden uns
dem nicht entgegenstellen .


(Ulli Nissen [SPD]: Wir stimmen zu!)


Grundsätzlich begrüßen wir die Beschlussempfeh-
lung; denn es geht in die richtige Richtung . Wir wollen,
dass Vereins- und Breitensport auch in Zukunft innerhalb
unserer Städte rechtssicher möglich ist . Dafür gibt es
soziale und auch gesundheitliche Gründe . Auch die In-
tegration spielt eine Rolle . Gerade Kinder und Jugendli-
che, die unsere Sprache vielleicht noch nicht so perfekt
beherrschen, haben über den Sport gute Möglichkeiten,
die Sprache zu lernen .

Die neue Verordnung greift zwei wesentliche Punkte
aus unserem Antrag auf . Das betrifft zum einen den Weg-
fall der Ruhezeiten am Mittag, an Sonn- und Feiertagen
und in den Abendstunden mit Ausnahme von Kurgebie-
ten, Krankenhäusern und Pflegeanstalten. Das ist richtig,
das halten wir für eine vernünftige Lösung . Zum anderen
wird der Altanlagenbonus durch einen Positivkatalog un-
terstützt . Auch das halten wir für vernünftig . Das wurde
gut umgesetzt . Aber einige Punkte fehlen; Frau Menz hat
darauf hingewiesen . Wenn alles so unproblematisch ist,
Kollege Möring, erschließt es sich uns nicht, warum man
die Bestandsschutzregelung an den Stichtag 1991 gebun-
den hat . Man hätte den Tag des Inkrafttretens des Geset-
zes nehmen können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Karsten Möring [CDU/CSU]: Weil es vorher noch keine Regelung gab!)


Zum Thema Irrelevanzkriterium . Im Immissionsrecht,
zum Beispiel in der TA Lärm, ist es entsprechend ver-
ankert . Es spricht überhaupt nichts dagegen, das Irrele-
vanzkriterium analog in die Sportanlagenlärmschutzver-
ordnung einzubauen . Dazu hatten wir Änderungsanträge
in den Ausschuss eingebracht, die leider keine Mehrheit
gefunden haben . Wenn unser Änderungsantrag mit auf-
genommen worden wäre, hätten wir uns überhaupt nicht
mehr schwergetan, der Vorlage heute zuzustimmen . Ich
hätte gerne zugestimmt, weil das wirklich ein Thema ist,
das uns Grünen ein großes Anliegen ist .

Dass es im urbanen Gebiet noch höhere Lärmschutz-
grenzwerte geben soll, das halten wir für nicht so schlau,
weil das einen anderen Bereich betrifft, den wir im Bau-
gesetzbuch regeln wollen . Auch dazu haben wir einen
Änderungsantrag eingebracht . Wir sind der Meinung:
Lebensnahe, passive Lärmschutzmaßnahmen, über die
wir unter anderem in der Anhörung diskutiert haben, hät-
ten eine gute Lösung gebracht . Trotzdem: „Salvo“ ist aus
dem Lateinischen und bedeutet „unbeschadet“ . In diesem
Sinne können wir die Verordnung unbeschadet passieren
lassen . Das ist auf jeden Fall ein Fortschritt für die Men-
schen, auch wenn es noch nicht das ist, was wir Grüne
uns im Sinne des Sports gewünscht hätten .

Ich muss auf einen Punkt zurückkommen, den Sie
angesprochen haben: den Kinderlärm . In der Tat kann
man sagen: Vieles ist jetzt geregelt, vieles ist durch die
Ausweitung der Zeiten verbessert worden . Aber es gibt
eigentlich keinen Grund – und vor allen Dingen keinen
nachvollziehbaren Grund –, warum Sportanlagen expli-

zit nicht vom Kinderlärmprivileg profitieren sollen. Wir
haben einen entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht,
nicht zu der Verordnung, sondern als Ergänzung zum
Bundes-Immissionsschutzgesetz . Es wäre nur darum ge-
gangen, nach „Kinderspielplätzen“ ein Komma und das
Wort „Sportanlagen“ einzufügen . Da hätte sich niemand
einen Zacken aus der Krone gebrochen, wir hätten das
sauber regeln können . Es wäre einfach eine Klarstellung
gewesen . In der Anhörung wurde ja auch gefragt: Wie
machen wir das mit der Abgrenzung? Was ist Kinderlärm
auf Sportanlagen und was nicht? Es gibt gerade in den
Sportvereinen ganz klare Regelungen: Bis zur C-Jugend,
also bis 14 Jahre, ist es Kinderlärm, und wenn die C-Ju-
gend trainiert, ist C-Jugend-Zeit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Karsten Möring [CDU/CSU]: Das stimmt nicht! Das ist falsch! Es geht nach Jahrgang!)


– Ja, natürlich geht es nach Jahrgang . Aber das ist Haar-
spalterei, wenn man hinterher sagt: Wir gucken mal, viel-
leicht ist ein Kind schon einen Monat älter . – Das hätte
man aus meiner Sicht rechtssicher regeln können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Und das ist ja nicht nur unser Anliegen gewesen, son-
dern sowohl der Olympische Sportbund als auch der
Landessportbund Berlin und der Deutsche Städtetag ha-
ben unsere Forderung in der Anhörung unterstützt . Des-
wegen hätte ich mir gewünscht, dass wir sie auf den Weg
bringen . Aber es ist noch ein bisschen Zeit . Das Bauge-
setzbuch wird aufgemacht . Vielleicht kriegen wir es in
einem nächsten Schritt hin, dass wir uns auf eine ent-
sprechende Regelung einigen . Ich würde mich darüber
freuen .

Ich freue mich insgesamt, dass wir zumindest ein
Stück weit vorankommen . Wir wollen, dass die Kinder
in unseren Städten weiterhin Sport treiben können und
nicht von ihren Eltern mit großen Autos auf die grüne
Wiese gefahren werden müssen .

Herzlichen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821515100

Bitte schön . – Jetzt hat Ulli Nissen für die SPD-Frak-

tion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Karsten Möring [CDU/CSU])



Ulli Nissen (SPD):
Rede ID: ID1821515200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Unsere Städte sind attraktiv . Immer mehr
Menschen zieht es in die sogenannten Schwarmstädte
und in die Ballungsräume; denn dort gibt es medizinische
Versorgung, Schulen, Einkaufsmöglichkeiten, kulturelle
Vielfalt, Freizeit- und Sportangebote, und alles zentral
und nah . Die Wege sind kurz, das Angebot ist groß und
vielfältig . Die Menschen wollen urbanes Leben .

Wenn viele Menschen miteinander leben, kommt es
immer wieder zu Konflikten und zu Auseinanderset-

Peter Meiwald






(A) (C)



(B) (D)


zungen . Die Nachverdichtung in den Städten führt auch
dazu, dass man enger und näher miteinander lebt . Lärm
ist einer der Konflikte, die es im städtischen Leben gibt.
Schon Schiller sagte:

Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn
es dem bösen Nachbarn nicht gefällt .

Das kennen leider auch viele Sportvereine . Sie ha-
ben das Problem, wegen Klagen von Anwohnern den
Spielbetrieb einschränken zu müssen . Deshalb können
Sportvereine zum Teil auch keine neuen Mitglieder
mehr aufnehmen . Oft können Meisterschaftsspiele am
Wochenende nicht in der Mittagszeit ausgetragen wer-
den . Trainiert werden kann wochentags oftmals nur bis
20 Uhr . Urbanes Leben sieht anders aus . Es geht um ein
friedliches Miteinander . Es geht um unser Zusammenle-
ben, um lebenswerte Städte, in denen wir leben, arbeiten,
Sport treiben, Kultur genießen und auch ausgehen kön-
nen .

Wie wichtig Sport und Bewegung für Kinder, Jugend-
liche und Erwachsene ist, wissen wir alle . Ein gutes, viel-
fältiges Angebot auch und gerade zentral, in den Städten,
ist wichtig . Dafür brauchen wir Sportvereine, und diese
müssen gut aufgestellt sein und unkompliziert arbeiten
können .

Auch bei der Integration leisten die Sportvereine eine
großartige Arbeit . Beim gemeinsamen Sporttreiben be-
gegnen sich Menschen, lernen einander kennen, werden
auch zu Freunden . Überall leisten Sportvereine also auch
einen großen Beitrag zur Integration; wir alle haben si-
cherlich Beispiele dafür aus unseren Wahlkreisen . Ich
möchte der Frankfurter SG Bornheim Grün-Weiss mit
Harald Seehausen an der Spitze stellvertretend für alle
Sportvereine – ich denke, auch für Ihre – für die gute
Arbeit danken .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich bin sehr froh, dass wir mit der Zweiten Verordnung
zur Änderung der Sportanlagenlärmschutzverordnung –
ich bleibe später bei SALVO, das spricht sich besser –
nun eine einfache, pragmatische und nachvollziehbare
Regelung gefunden haben, um den Konflikt zwischen
dem Sport und dem Ruhebedürfnis der Menschen zu lö-
sen . Wir haben damit einen guten und fairen Interessen-
ausgleich und Rechtssicherheit für beide Seiten .

Bei der Anhörung zur SALVO herrschten durchaus
konträre Vorstellungen . Sie reichten von der Ablehnung
der Erhöhung der Lärmgrenzwerte bis zur Verschiebung
des Beginns der Nachtruhe auf 23 Uhr . Hier sage ich
ganz deutlich: Urbanität ist lebendig und nicht still, aber
selbst in der Stadt muss mal Nachtruhe gelten . Ich set-
ze mich in Frankfurt für ein Nachtflugverbot von 22 bis
6 Uhr ein, da kann ich beim Sport nicht sagen: 23 Uhr ist
auch okay . – Auch das Kinderlärmprivileg war ein wich-
tiges Thema – dies wird aber in § 22 BImSchG, also im
Gesetz, geregelt .

Wir beschließen heute die SALVO, mit der wir die
Lage der Sportvereine deutlich verbessern . Wir haben
die Ruhezeiten verbessert . Mittags und in den Randzei-

ten unter der Woche haben wir die Lärmgrenzwerte um
5 dB(A) erhöht; das ist eine ganze Menge . Mit dieser Re-
gelung können Sportvereine am Wochenende auch mit-
tags spielen, und abends darf unter der Woche bis 22 Uhr
trainiert werden . Das ist also eine deutliche Ausweitung .

Die Rechtssicherheit bei den Sportanlagen, was den
Altanlagenbonus betrifft, ist erwähnt worden . Das be-
trifft Dinge, die man vorher nicht machen konnte, zum
Beispiel die Erweiterung der Sanitär- und Umkleidebe-
reiche . Das geht jetzt . Ein neuer Kunstrasenplatz oder
eine Flutlichtanlage können jetzt errichtet werden, ohne
dass der Altanlagenbonus fällt .

Liebe Kolleginnen und Kollegen – ich bitte auch die
Grünen darum –: Denkt noch einmal darüber nach! Wir
haben hier für die Sportvereine eine ganz deutliche Ver-
besserung erreicht . Über § 22 BImSchG können wir spä-
ter gern noch einmal reden,


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätten wir jetzt tun können!)


aber überlegt euch, ob ihr nicht zustimmen wollt . Ich fän-
de es toll .

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821515300

Vielen Dank . – Jetzt darf der Kollege Johannes

Steiniger für die CDU/CSU das Wort ergreifen .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Steiniger (CDU):
Rede ID: ID1821515400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wenn ich
Besuchergruppen, beispielsweise Schulklassen, hier im
Hohen Hause begrüße und berichte, womit wir uns im
Sportausschuss unter anderem auseinandersetzen, dann
fällt auch immer ein Begriff – und der lautet „Sportan-
lagenlärmschutzverordnung“ –, der dann wegen seiner
Sperrigkeit durchaus zu Heiterkeit führt . Am Anfang der
Diskussion herrscht manchmal der Eindruck: Eigentlich
ist das ganz weit weg; das hat mit mir gar nichts zu tun . –
Dann erkläre ich, was das ist und dass da das Verhältnis
zwischen den Anwohnern auf der einen und den Sport-
vereinen auf der anderen Seite geregelt wird . Und auf
einmal stellt sich in der Diskussion mit den Besuchern,
beispielsweise den Schülerinnen und Schülern, heraus,
dass jeder aus seinem Dorf oder seiner Stadt konkrete
Beispiele von Streitigkeiten zwischen Vereinen und An-
wohnern kennt . Deshalb, meine ich, geht es bei dieser
Sportanlagenlärmschutzverordnung um die 90 000 Ver-
eine vor unserer eigenen Haustür .

Ich bin sehr froh, dass wir als Große Koalition diese
Reform heute nach einem nicht ganz einfachen Abstim-
mungsprozess sowohl mit der Bundesregierung als auch
im Bundestag beschließen werden . Meine sehr geehrten
Damen und Herren, wir haben richtig etwas für den Sport
und die Vereine in Deutschland erreicht .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ulli Nissen






(A) (C)



(B) (D)


Natürlich gibt es bei diesem Thema klassischerwei-
se einen Interessenskonflikt. Wir haben auf der einen
Seite die individuellen Interessen und Bedürfnisse von
Anwohnerinnen und Anwohnern – sie wollen auch in
der Nähe eines Sportplatzes gut wohnen – und auf der
anderen Seite die allgemeinen Interessen der Sportlerin-
nen und Sportler in den vielen Vereinen, die den Trai-
nings- und Spielbetrieb irgendwie organisieren müssen .
Zwischen diesen Interessen muss gut abgewogen wer-
den . Bei uns im Ausschuss und auch hier – wir haben
es gerade wieder gehört – loben wir ganz oft die Rolle
des Sports, weil er wahnsinnig viel leistet, weil er un-
sere Gesellschaft zusammenhält, weil er für Integration
sorgt und für Fair Play und Zusammenhalt steht, und wir
loben zu Recht die positiven Aspekte des Breitensports:
Gesundheit, Prävention und vieles andere . Eines ist klar:
Jeder, der den Fußballplatz der Couch vorzieht, und je-
der, der lieber in der Gemeinschaft mit echten Menschen
aktiv Sport treibt, statt passiv vor dem Smartphone zu
sitzen, der ist ein Gewinn für unsere Gesellschaft . Daher
muss umso mehr gelten: Leute, die Sport machen wollen,
brauchen geeignete Möglichkeiten dafür .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Michaela Engelmeier [SPD])


Deshalb ist unsere Abwägung in Richtung Gemeinwohl –
für die Vereine und für den Sport – so wichtig . Wir kön-
nen sagen: Heute ist ein guter Tag für Sportdeutschland .

Wir schaffen – das wurde von den Vorrednern schon
erwähnt – vor allen Dingen Rechtssicherheit bei der
Frage älterer Sportanlagen; aber wir erweitern auch die
Nutzungsmöglichkeiten für den Sport selbst . Mit der
Verordnung bekommen die Vereine und ihre Sportstät-
ten Rechtssicherheit und -klarheit darüber, dass es nach
einer Sanierung oder Modernisierung von älteren Anla-
gen eben nicht zu größeren Lärmschutzauflagen kommt.
Bisher gab es auf diesem Feld immer wieder Anlass für
Klagen . Wir kennen einige Beispiele aus Hamburg, wo
es nach einer Umwandlung vom Hartplatz zum Kunstra-
senplatz zu Konflikten kam. Wir haben jetzt diesen Kri-
terienkatalog . Er ist angelehnt an das, was aus Nord-
rhein-Westfalen kommt . Man sieht: Es kommt auch mal
was Gutes aus Nordrhein-Westfalen .


(Michaela Engelmeier [SPD]: Es kommt immer was Gutes aus Nordrhein-Westfalen! Immer!)


Das ist ganz gut . Das kann ich als Nachbar aus Rhein-
land-Pfalz durchaus sagen . – Der viel zitierte Kunstra-
senplatz oder der Einbau einer neuen Flutlichtanlage stel-
len hiernach kein Problem mehr dar .

Wir erweitern auch den Zeitraum, während dessen die
Sportanlagen in den Ruhezeiten genutzt werden können,
deutlich. Ich sage Ihnen aus tiefstem Herzen: Ich finde es
schön, dass wir hier gegen den politischen Mainstream
handeln, der eigentlich sagt: Immer leiser, leiser, leiser .
Beim Sport haben wir einmal gegen diesen Mainstream
gehandelt . Das gefällt mir sehr gut, weil das den Vereinen
vor Ort sehr hilft, ihren Spielbetrieb, der vor allen Din-

gen am Wochenende, insbesondere sonntags stattfindet,
zu organisieren .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Jetzt will ich noch auf das Thema Kinderlärm einge-
hen, weil es auf den ersten Blick logisch erscheint, zu
fragen: Warum macht ihr das an dieser Stelle nicht? Dazu
zwei Punkte – jetzt erzähle ich Ihnen etwas aus der Praxis
des Dorffußballvereins SV Rot-Weiss-Seebach in Bad
Dürkheim –:

Erstens . Wir haben nur einen Platz, aber zwölf Ju-
gendmannschaften . Es ist schwierig, das Ganze so zu
organisieren, dass nachmittags die Kleinen spielen und
abends die Älteren . Wir haben ganz oft die Situation,
dass wir gar nicht anders können, als auf der einen Sei-
te die F-Jugend, also die Kleinen, und auf der anderen
Seite die Größeren spielen zu lassen . Es stellt sich die
Frage, die uns in der Anhörung nicht beantwortet werden
konnte, und zwar von keinem der Sachverständigen: Wie
wollen Sie dies in der Praxis auseinanderziehen? Das ist
aus meiner Sicht eines der klaren Probleme .

Zweitens . Herr Meiwald, Sie haben die Jahrgänge
angesprochen, die Gruppen bis zum 14 . Lebensjahr . So
einfach ist das eben nicht . Im Fußball zum Beispiel ist es
nicht so, dass die C-Jugend bis zum 14 . Lebensjahr geht,
sondern die C-Jugend bilden die Jahrgänge 2002 und
2003 . Daraus folgt in der Praxis das Problem, dass Sie
im Jahr 2017 auch 15-Jährige dabei haben . Sie merken
also: Wenn man ein bisschen länger darüber nachdenkt,
ist das, was auf den ersten Blick logisch erscheint, in der
Praxis sehr schwer durchzusetzen . Deswegen machen
wir das nicht .

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Sport
muss dort sein, wo die Menschen leben und arbeiten . Ich
finde, dass ein wohnortnahes Sportangebot sozusagen
Daseinsvorsorge ist . Anwohnerschutz darf nicht bedeu-
ten, dass Sport nur noch außerhalb der Stadttore mög-
lich ist . Wir wollen, dass Sport auch innerstädtisch, auch
abends und auch am Wochenende stattfinden kann. Die-
ser Entwurf hilft dabei sehr .

Bei allem inhaltlichen Lob, das ich hier ausgesprochen
habe, möchte ich aber auch sagen: Es ist jetzt höchste
Zeit in diesem Hohen Haus . Wir haben lange diskutiert .
Ich erinnere mich an eine Sportausschusssitzung im Ja-
nuar 2015, in der der Staatssekretär uns schon angekün-
digt hatte, dass die Weiterentwicklung der SALVO zügig
kommt . Das hat jetzt etwas gedauert . Umso wichtiger ist
es, dass wir sie heute auf den Weg bringen . Danach geht
sie durch den Bundesrat und kann im Sommer in Kraft
treten . Das ist, glaube ich, ein gutes Signal .

Herzlichen Dank fürs Zuhören .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821515500

Vielen Dank . – Letzte Rednerin zu diesem Tagesord-

nungspunkt ist jetzt Michaela Engelmeier, SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)


Johannes Steiniger






(A) (C)



(B) (D)



Michaela Engelmeier (SPD):
Rede ID: ID1821515600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Steiniger, hier steht eine von 53 richtig guten Leu-
ten aus Nordrhein-Westfalen; Sie haben ja gerade Nord-
rhein-Westfalen angesprochen . Hier sind wir!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg . Johannes Steiniger [CDU/CSU])


Man kann vielleicht sagen: Was lange währt, wird
endlich gut . Herr Steiniger, Sie haben es gerade ange-
sprochen: Es ist ja nicht erst in dieser Legislaturperiode
dafür gesorgt worden, dass diese SALVO jetzt endlich
ans Netz geht . Ich möchte darauf hinweisen: Ich glau-
be, seit neun Jahren sind wir zugange und versuchen, die
SALVO zu verändern . Ich bin unserer Ministerin Barbara
Hendricks und allen, die daran beteiligt waren, wirklich
unfassbar dankbar dafür, dass sie es hinbekommen ha-
ben, dass wir diese SALVO heute verabschieden können .

Ich glaube, dass wir mit dieser SALVO, also der Sport-
anlagenlärmschutzverordnung – das ist schon ein Zun-
genbrecher –, einen deutlichen Fortschritt für den Sport
und auch für die Vereine erzielt haben . Ich glaube, dass
diese SALVO – ich werde jetzt immer die Abkürzung
benutzen; denn sonst reicht meine Redezeit von drei Mi-
nuten nicht – ein gutes Miteinander von Anwohnern und
Sport ermöglicht .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Was ist SALVO noch mal?)


– Sportanlagenlärmschutzverordnung .

Die Ausübung von Sport gehört zum guten Zusam-
menleben einfach dazu . Mit dieser Verordnung – wir
haben es heute schon in der einen oder anderen Rede ge-
hört – schaffen wir Klarheit, zum Beispiel bei der Rand-
bebauung; das ist heute noch gar nicht erwähnt worden .
So können die Abstände zwischen Sportanlagen und he-
ranrückender Wohnbebauung fast halbiert werden . Das
finde ich großartig. Das gilt auch für die Dezibelerhö-
hung; das ist gar keine Frage . Wir haben uns vorher gar
nicht vorstellen können, dass wir das hinbekommen . Wir
haben auch den Altanlagenbonus – dieser gilt für Sport-
anlagen, die vor 1991 gebaut wurden – konkretisiert . Das
alles ist gut .

Eines wünsche ich mir: Die Kinderlärmprivilegierung
wurde heute schon mehrfach erwähnt. Ich finde schon
allein das Wort „Kinderlärm“ schrecklich . Kinder ma-
chen Lärm, Kinder schreien, Kinder brüllen, Erwachsene
auch; das ist gar keine Frage . Ich würde mir wünschen,
dass wir gar keine Regelungen mehr schaffen müssten,
um Kinderlärm zu verhindern . Es wäre schön, wenn man
zum Beispiel nicht mehr klagen könnte, wenn Kinder
in Sportanlagen Lärm machen . Im Bundes-Immissions-
schutzgesetz – Ulrike hat gerade vom BImSchG gespro-
chen; auch ich will es einmal kurz ansprechen – in § 22
steht leider, dass Sportanlagen genau davon ausgenom-
men sind .


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr müsst nur unserem Gesetzentwurf zustimmen!)


Daher sollte man Kinderlärm privilegieren oder festle-
gen, dass Kinderlärm unschädlich ist . Deswegen glaube
ich auch, dass wir vielleicht beim BImSchG – wir haben
in dieser Großen Koalition ja noch eine ganze Menge
vor; also bis September arbeiten wir voll durch –


(Christian Haase [CDU/CSU]: Die CDU ja!)


schauen sollten, ob wir nicht, wie du es so schön gesagt
hast, noch ein bisschen nachbessern können . Denn ich
glaube, dass Kinderlärm etwas ist, das wir alle akzeptie-
ren müssen . Dann wäre es auch egal, ob ein Anwohner
klagt oder nicht . Das kann doch wirklich nicht sein . Wir
wollen doch nicht unseren Ruf als kinderunfreundliches
Land weiter stärken . Wir müssen zusehen, dass wir ein
bisschen darauf schauen, wie wichtig es ist, was Kinder
machen .

Deswegen bleibe ich dabei: Die heutige Verabschie-
dung der SALVO-Änderung bedeutet einen Fortschritt
für den Sport . Wenn wir beim Bundes-Immissions-
schutzgesetz im Hinblick auf Kinder noch ein bisschen
nachsteuern, dann kann ich nur sagen: Kinderlärm ist
Zukunftsmusik .

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen noch einen schö-
nen Tag .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das liegt heute vor! Ihr müsst dem nur zustimmen!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821515700

Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet .

Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 9 a . Wir kom-
men zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für
Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu
der Verordnung der Bundesregierung zur Änderung der
Sportanlagenlärmschutzverordnung . Der Ausschuss
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/11006, der Verordnung auf Drucksa-
che 18/10483 zuzustimmen . Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? Das dürfte
nach dem Verlauf der Diskussion niemand sein . – Wer
enthält sich? – Das ist die Opposition . Damit ist die Be-
schlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition bei
Enthaltung der Opposition angenommen .

Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent-
wurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung
des Bundes-Immissionsschutzgesetzes . Der Ausschuss
für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/11006, den Gesetzentwurf der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10859
abzulehnen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen .


(Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dem Gesetzentwurf oder der Beschlussempfehlung?)


– Dem Gesetzentwurf . – Das sind Bündnis 90/Die Grü-
nen und die Linke . Wer stimmt dagegen? – Das sind die
CDU/CSU- und SPD-Fraktion . Wer enthält sich? – Nie-






(A) (C)



(B) (D)


mand . Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung
abgelehnt, und nach unserer Geschäftsordnung entfällt
die weitere Beratung .

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt,
Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem An-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Ti-
tel „Sport und Alltag verbinden – Lärmschutzregeln
für Sportanlagen den heutigen Anforderungen anpas-
sen“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11006,
den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/4329 abzulehnen . Wer stimmt für die-
se Beschlussempfehlung? – Das ist die Koalition . Wer
stimmt dagegen? – Das ist die Opposition . Wer enthält
sich? – Niemand . Damit ist die Beschlussempfehlung an-
genommen .

Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

zu den Entwürfen für eine Durchfüh­
rungsverordnung und zwei Durchfüh­
rungsbeschlüsse der Europäischen Kom­
mission über das Inverkehrbringen von
Saatgut zum Anbau der gentechnisch verän­
derten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11

(Dokumente SANTE/10702/2016, SANTE/10704/2016, SANTE/10703/2016)


hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes­
regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3
des Grundgesetzes

Keine Zulassung der gentechnisch ver­
änderten Maislinien MON 810, 1507
und Bt11 für den Anbau in der EU

Drucksache 18/10976

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre
dazu keinen Widerspruch . Dann ist es so beschlossen .

Bitte nehmen Sie Ihre Plätze zügig ein und führen Sie
die Gespräche außerhalb des Plenarsaals weiter .

Nunmehr eröffne ich die Aussprache . Das Wort hat
Harald Ebner, Bündnis 90/Die Grünen .


Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821515800


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Vor sage und schreibe 19 Jahren wurde
zum letzten Mal in Europa ein Genmais zugelassen, und
morgen könnte es wieder so weit sein . Da werden im zu-
ständigen Fachausschuss in Brüssel die EU-Staaten hin-
ter verschlossenen Türen über gleich drei Genmaislinien
abstimmen. Ich finde, das ist der richtige Zeitpunkt, den
Menschen in Deutschland klar und deutlich zu zeigen,

wo wir in Sachen Gentechnik stehen, und zwar hier und
heute bei der Abstimmung über unseren Antrag .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE])


Aber nein, offensichtlich wollen Sie den Wählerinnen
und Wählern Ihre wahre Haltung aber dann doch nicht
ganz so deutlich zeigen . Warum eigentlich nicht? Gerade
die Union äußert sich doch in den letzten Wochen klar,
dass sie auf Gentechnik steht – im Plenum, im Ausschuss
oder letzte Woche bei der Anhörung zum Gentechnikge-
setz . Aber im Gegensatz zu Ihnen will die große Mehr-
heit der Menschen da draußen keine Gentech‑Pflanzen
auf unseren Äckern haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bei der Anhörung in der letzten Woche mussten wir
uns von Ihren Sachverständigen, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Union, wieder die kruden Versprechun-
gen der Gentechniklobby anhören, die schon seit 20 Jah-
ren nicht eingelöst werden und die schon seit 20 Jahren
eben kein Teil der Lösung des Welternährungsproblems
sind, sondern ein Teil des Problems .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber das ist Ihnen ganz offensichtlich egal, solange Sie
der Gentechnikindustrie einen Gefallen tun können .

Denn die freut sich nämlich . Sie freut sich, weil ihr
perfider Plan jetzt eins zu eins aufzugehen droht: dass
die Mitgliedstaaten, wenn sie den Anbau national bei
sich verbieten dürfen, keinen Widerstand mehr bei der
EU-weiten Zulassung leisten . Aber das ist Politik nach
dem Sankt-Florians-Prinzip: Heiliger Sankt Florian, ver-
schon mein Haus, zünd andre an . Hauptsache nicht bei
mir! – Aber Sie haben ganz vergessen, dass das Feuer
dann übergreift .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE])


In zwei unserer unmittelbaren Nachbarländer ist der
Gentechnikanbau erlaubt . Wir alle wissen: Pollen und
Bienen, aber auch Saat- und Erntegut machen eben nicht
an Staatsgrenzen halt und bergen das Risiko der Konta-
mination für Landwirtinnen und Landwirte, für Lebens-
mittelunternehmen und den Handel in Deutschland . Mit
der Gentechnikfreiheit wäre es dann schnell nicht mehr
weit her . Das müssen wir – auch im Interesse der Lebens-
mittelwirtschaft hier in Deutschland – verhindern .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE])


Aber da tut Minister Schmidt ja sowieso das eine und
redet vom anderen . Dazu passt auch, dass der Bundesmi-
nister den Wählerinnen und Wählern auf der einen Sei-
te erzählt, dass er sich für ein Anbauverbot in Deutsch-
land einsetzt, auf der anderen Seite aber gleichzeitig auf
EU-Ebene die Zulassungen einfach durchwinkt, um den
Schwarzen Peter und die Verantwortung dafür danach

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


nach Brüssel abzuschieben . Ich erinnere noch einmal an
diesen schönen Post des BMEL:


(Der Redner hält ein Schriftstück hoch)


„Kommt nicht auf den Acker . Anbauverbot für gentech-
nisch veränderte Pflanzen in Deutschland.“ – Ja, warum
denn eigentlich? Weil man es in Brüssel zulässt . Das ist
nicht nur Postfaktizismus, sondern auch unehrlich und
unredlich .

Aber eines kann auch nicht durchgehen, liebe SPD .
Barbara Hendricks brüstet sich auf Twitter, auf Facebook
und in der Berliner Morgenpost mit ihrer Ablehnung der
Zulassung im Kabinett . Sie weiß doch ganz genau, dass
dies lediglich zur Enthaltung Deutschlands in Brüssel
führt . Warum also verhindert gerade die SPD zum wie-
derholten Mal eine Sofortabstimmung in dieser Sache
hier im Plenum, nachdem sie bereits mehrfach verhindert
hat, dass dieser Sachverhalt und unser Antrag dazu im
federführenden Ausschuss auf die Tagesordnung gesetzt
und beraten werden, geschweige denn, dass darüber ab-
gestimmt wird?


(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Denk doch erst mal nach, Harald!)


Wer bisher noch nicht wusste, was scheinheilig ist, der
kann es heute lernen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Kees de Vries [CDU/CSU]: Genau!)


Um eines vorwegzunehmen, was gleich sicher wie-
der in der einen oder anderen Rede vonseiten der Uni-
on erwähnt wird: Erzählen Sie uns doch nicht, es drohe
aufgrund der mit den Konzernen schon ausgekungelten
Anbauausnahmen ja gar keine Gefahr, und man dürfe
den Staaten, die Genmais wollen, doch nichts vorschrei-
ben . – Doch! Das müssen wir sogar tun, und zwar aus
den gerade genannten Gründen: um unsere eigene Gen-
technikfreiheit zu schützen . Es ist ja nicht so, dass kei-
nerlei Bedenken gegen diese Pflanzen bestehen. Das
Europaparlament hat die Kommission aufgefordert, in
allen drei Fällen gegen diese Zulassung zu votieren, und
hat das auch begründet: mit Gefahren der Auskreuzung,
mit Gefahren der Kontamination von Nicht-Gentech-
nik‑Pflanzen und ‑Produkten, weil die Abstände als zu
gering eingeschätzt werden, und mit nicht untersuchten
Risiken für den Menschen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, verkaufen Sie die
Menschen da draußen nicht für dumm! Nehmen Sie ihre
Bedenken gegen die Gentechnik ernst, so wie Sie es ih-
nen versprochen haben! Dazu gehört auch, dass wir ein
funktionierendes Gesetz für rechtsverbindliche, rechtssi-
chere und bundesweite, nationale Anbauverbote auf den
Weg bringen . Dafür ist es erforderlich, heute, hier und
jetzt die Bundesregierung aufzufordern, morgen in Brüs-
sel mit Nein zu stimmen, also hier und heute unserem
Antrag zuzustimmen .

Danke schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Ute Vogt [SPD]: Was sagt eigentlich die ba den-württembergische Landesregierung dazu?)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821515900

Vielen Dank . – Als Nächstes hat der Kollege Kees de

Vries, CDU/CSU-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Kees de Vries (CDU):
Rede ID: ID1821516000

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren, auch auf den Tribünen! Wenn es nicht so trau-
rig wäre, könnte man darüber lachen . Wir werden heute
wieder einmal auf Antrag der Grünen unsere Zeit ver-
geuden – mit diesem vollkommen überflüssigen Antrag.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sehen wir ja schon wieder deutlich, wo ihr steht! – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sehr arrogant!)


Wenn man alle Emotionen, Gerüchte, Mutmaßungen
und Unterstellungen weglässt, bleiben in dieser Sache
ein paar Fakten:

Erstens . Wir im Deutschen Bundestag sind für das
verantwortlich, was auf dem deutschen Hoheitsgebiet
passiert .

Zweitens . Es gibt in diesem Zusammenhang drei An-
träge, einen Antrag zur Erneuerung der Anbauzulassung
und zwei neue Anträge für Maislinien auf der EU-Ebene .

Drittens . Unser Minister hat sehr wohl sofort reagiert
und beantragt, das deutsche Gebiet von diesem Antrag
auszunehmen – was auch gestattet worden ist .

Viertens . Der Anbau dieser Maissorten in Deutschland
wird einfach nicht stattfinden.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Gesetz sehen wir auch so, ja! Dafür gibt es die Abstimmung! Das steht uns zu!)


Worüber reden wir eigentlich? Oder wollen wir tat-
sächlich auf EU-Ebene wieder neu diskutieren?


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann stimmen Sie zu!)


Das steht uns nicht zu . Wir haben das ausführlich in
den demokratischen Gesetzen behandelt, sowohl hier in
Deutschland als auch in der EU . Wir sind beide Male zu
der Schlussfolgerung gekommen, dass die Opt-out-Re-
gelung das Beste ist . Ich gebe zu: Das ist nicht ganz in
meinem Sinne . Wie ich heute gelernt habe: Das ist auch
nicht ganz in deinem oder eurem Sinne . – Aber das ist
nun einmal Demokratie . Damit müssen wir leben – du
und ich .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wofür ist die Abstimmung morgen da? Um nicht abstimmen zu dürfen?)


Wenn wir diese Diskussion neu starten wollen, müsste
man zum Beispiel mal wieder über diese drei Maislinien
diskutieren . Jetzt geht es um Bt-Mais, das heißt, er ist so
gezüchtet, dass das Schädlingsinsekt, das den Mais an-

Harald Ebner






(A) (C)



(B) (D)


piekst, stirbt – und, ja, auch die nicht schädlichen Insek-
ten, die anpieksen, sterben . Das wollen wir nicht .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber sie sind nicht gezüchtet!)


Die Alternative aber ist, dass wir den Landwirt zwin-
gen, mit Insektiziden alles, was auf diesem Acker lebt,
kaputtzumachen . Ich frage mich, ob das sinnvoll ist, aber
das steht hier nicht zur Debatte .

Das nämlich hat die EFSA siebenmal, glaube ich, un-
tersucht und siebenmal festgestellt: Diese Pflanzen sind
nicht umwelt-, tier- oder menschenschädlicher als die an-
deren . Das sind wissenschaftlich unterlegte Fakten .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fruchtfolgen würden auch helfen!)


Aber damit wollen Sie sich überhaupt nicht auseinander-
setzen . Nein .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt andere Aussagen! Ihr sucht eure Wissenschaftler aus!)


Ich bin der Meinung, dieser unsägliche Antrag wird
nur gestellt, um wieder einmal unberechtigte Ängste bei
den Menschen zu schüren . Dafür bin ich nicht zu haben .
Deshalb beantrage ich Ablehnung .

Ich danke für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Ute Vogt [SPD] – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Bitte schön!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821516100

Vielen Dank . – Nächste Rednerin ist Eva Bulling-

Schröter, Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821516200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Am letzten Wochenende gab es die große Demo von
10 000 Menschen hier in Berlin unter dem Motto „Wir
haben es satt!“ .


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch schön, dass die Menschen satt sind! Dafür sollten wir mal denen Danke sagen, die dafür gesorgt haben!)


Was haben die Menschen gesagt? Sie wollen eine Been-
digung des Tierleids, sie wollen keine Gentechnik und
keinen Genfraß – und zwar mit einer Mehrheit in Euro-
pa, in Deutschland und in Bayern . Leider ist Landwirt-
schaftsminister Schmidt jetzt nicht da, wahrscheinlich ist
er auf der Grünen Woche, aber er sollte auch einmal auf
seine Wählerinnen und Wähler hören .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das tut er ja die ganze Zeit!)


Ab und zu ist er ja sehr zögerlich,


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist richtig!)


und so, wie ich die CSU in Bayern kenne, ist diese nicht
immer so zögerlich und zimperlich gegenüber der EU .
Aber in diesen Fragen, so sagt man auf Bayerisch, ziehen
Sie den Schwanz ein .


(Heiterkeit)


Beim Europäischen Patentamt gibt es inzwischen
Bierpatente . Gerste aus konventioneller Züchtung wird
hier patentiert . Ich würde gern einmal wissen, was die
CSU dazu sagt . Dazu gibt es keine Position .

Jetzt wurde ein Gentechnikgesetz versprochen . Der
Bundesrat hat dazu Stellung bezogen und einen Vor-
schlag gemacht, die Grundlage der Opt-out-Regelung .
Sechs Ministerien sollen Einvernehmen erzielen . – Als
wenn sich sechs Ministerien einmal einigen könnten!


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Die Linke kann sich auch nicht einigen!)


In 45 Tagen funktioniert das nicht . Alle Sachverständi-
gen haben gesagt: Es ist so nicht umsetzbar, es gibt viele
Gefahren .

Jetzt frage ich mich – und viele unserer Wählerinnen
und Wähler, und zwar alle, fragen auch –: Warum wird
das nicht umgesetzt? Warum diskutiert ihr das? Warum
diskutiert ihr das immer wieder, und warum kommt
nichts heraus? Und ich kenne viele Diskussionen .

Dann gibt es eine Antwort darauf, die heißt: Lob-
by . Das verstehen die Leute, überall . Es sind natürlich
die Konzerne, die hier Einfluss nehmen. Ich nenne sie
einmal: DuPont, Dow Chemical, Bayer und Monsanto,
ChemChina und Syngenta . Die lassen natürlich auch Stu-
dien erstellen, die Sie dann immer zitieren . Wir zitieren
dann die Studien von den Umweltverbänden .

Aus sechs Konzernen werden drei, und deren politi-
scher Einfluss steigt; denn wenn es nur noch drei große
Konzerne sind, dann steigt der Einfluss natürlich. Das se-
hen wir ja auch heute wieder, nämlich bei der Entschei-
dung, nicht abstimmen zu wollen . Das ist die Entschei-
dung der Konzerne .

Drei Konzerne werden mehr als 60 Prozent des Mark-
tes für kommerzielles Saatgut und Agrochemikalien be-
herrschen, das heißt, fast alle gentechnisch veränderten
Pflanzen auf diesem Planeten werden von diesen Kon-
zernen hergestellt . Diese drei haben auch die meisten
Anmeldungen für das Eigentum an Pflanzen beim Euro-
päischen Patentamt vorgenommen .

Einer dieser neuen Giganten ist Bayer-Monsanto, der
größte Agrokonzern der Welt . Ein Drittel des kommerzi-
ellen Saatguts und ein Viertel der Pestizide auf dem glo-
balen Markt werden dann von diesem großen Konzern
hergestellt .

Ich nenne nur das Stichwort „Glyphosat“; wir haben
darüber diskutiert . Die Mehrheit der Menschen in diesem
Land lehnen Glyphosat ab; sie wollen es nicht . Trotzdem
wird es bei der EU wieder genehmigt, und Deutschland
hat dort auch mit Ja gestimmt .

Bayer kauft Monsanto für 66 Milliarden Dollar,
ChemChina bezahlt für Syngenta 43 Milliarden Dollar .
Sie sind den Aktionären rechenschaftspflichtig. Die Un-

Kees de Vries






(A) (C)



(B) (D)


ternehmen haben Kredite für diese Käufe aufgenommen,
das heißt, sie müssen Gewinne machen . Sie müssen das
Geld jetzt wieder hereinbringen .

Das Potenzial der globalen Agrarmärkte steigt natür-
lich, wenn entsprechende Beschlüsse gefasst werden .
Bayer schätzt, dass der Umsatz bei Saatgut und Pestizi-
den von 85 Milliarden Dollar in 2015 auf 120 Milliarden
Dollar in zehn Jahren steigen wird . Dafür müssen die Ge-
setze natürlich entsprechend verändert werden .

Das Ziel dieser großen Agrokonzerne ist, Produkte zu
beeinflussen und Preise sowie Qualitäten zu diktieren,
unter dem Motto: „Wer die Saat hat, hat das Sagen“ – und
das global . Das ist hier das Interesse .

Zwei Sätze noch an die Kollegen der CDU/CSU: Der
Präsident des Bauernverbandes, der Ihnen ja sicher näher
steht als uns, den Linken,


(Artur Auernhammer [CDU/CSU]: Das ist gut so!)


sagt: Wir fordern Sicherheit für ganz Deutschland; wir
wollen keinen Flickerlteppich . – Inzwischen fordert
auch der Bauernverband ein Verbot der Agrogentechnik .
Sie sollten sich wenigstens an die halten, wenn Sie sich
schon nicht an uns halten .


(Beifall bei der LINKEN – Artur Auernhammer [CDU/CSU]: War das eine Lobbyismus-Forderung, oder was?)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821516300

Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Ute

Vogt .


(Beifall bei der SPD)



Ute Vogt (SPD):
Rede ID: ID1821516400

Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Liebe Kollegin Eva Bulling-Schröter, ich
kann Ihnen sagen: Wir werden die Ergebnisse der Anhö-
rung sehr ernst nehmen . Das ist auch der Grund, warum
der Gesetzentwurf in dieser Woche noch nicht vorliegt
und auch in der nächsten Sitzungswoche noch nicht vor-
liegen wird . Ich kann Sie aber beruhigen: Die Koaliti-
onsfraktionen haben heute schon über den Gesetzentwurf
verhandelt; wir sind also mittendrin .


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das beruhigt uns nicht! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das beunruhigt uns eher!)


Wenn Sie hier behilflich und auch bereit sind, mit einzel-
nen Kolleginnen und Kollegen der Union noch weitere
Gespräche zu führen, dann sind wir durchaus dankbar .


(Beifall bei der SPD)


Ich möchte zum vorliegenden Antrag noch etwas sa-
gen, Kolleginnen und Kollegen der Grünen . Sie haben in
Ihrem Antrag selbst beschrieben, warum er überflüssig
ist – ich zitiere –:

Schon zwei Drittel der Mitgliedsstaaten, darunter
Deutschland, haben von der Möglichkeit Gebrauch

gemacht, von den antragstellenden Unternehmen
die Herausnahme des eigenen Territoriums aus der
beantragten Anbauzulassung zu erbitten .

Insofern haben Sie selbst beschrieben: Für Deutschland
ist das überhaupt kein Thema mehr . – Deshalb braucht
es auch im Deutschen Bundestag kein Thema zu dieser
Stunde zu sein .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe vorhin schon erklärt, warum das nicht stimmt! Belgien und Luxemburg haben es zugelassen!)


Ich möchte Ihnen daneben gerne auch die Haltung
der SPD-Fraktion noch einmal in Erinnerung rufen, die
Sie ganz genau kennen . Ich darf auch hier zitieren, und
zwar aus einem Pressebericht von heute, in dem die Bun-
desumweltministerin Barbara Hendricks zitiert wird:

Es wäre inkonsequent, wenn wir auf europäischer
Ebene für eine Zulassung stimmen würden . Das
Bundesumweltministerium wird daher in der Res-
sortabstimmung gegen eine Zulassung votieren .


(Beifall bei der SPD – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Und das bleibt ja wirkungslos; denn dann enthaltet ihr euch halt!)


Damit ist gewährleistet, dass Deutschland dem Ganzen
keine Zustimmung erteilt .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber ihr stimmt auch nicht mit Nein!)


Zu Ihrem Ansinnen, hier darüber abzustimmen, muss
ich Ihnen sagen, Herr Kollege Ebner: Sie sind jetzt in der
zweiten Legislaturperiode im Deutschen Bundestag .


(Artur Auernhammer [CDU/CSU]: Hat aber noch nichts dazugelernt!)


Sie wissen, wie das Prozedere ist . Nach Abschluss eines
Koalitionsvertrages gilt: Wenn die Mitglieder der Regie-
rung unterschiedlicher Meinung sind, dann gibt es am
Ende bei den Abstimmungen eine Enthaltung .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann hilft es doch nichts, was die Frau Hendricks getwittert hat!)


Insofern hat Ihr Antrag weder etwas in der Sache beizu-
tragen, noch dient er irgendeiner Klärung . Das Einzige,
was Sie versuchen, ist, hier auf ganz billige Art und Wei-
se einen Vorführeffekt zu erreichen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie schummeln sich doch durch!)


Wir haben hier in diesem Bundestag schon das dritte
Mal den wortgleichen Antrag zur Beratung vorliegen .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr verhindert immer die Abstimmung!)


Eva Bulling­Schröter






(A) (C)



(B) (D)


Ich sage Ihnen eins: Wir haben das letzte Mal, als wir
diesen Antrag hier diskutiert haben, über den Film Und
täglich grüßt das Murmeltier geredet .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Ich kann Ihnen, Herr Ebner, wirklich nur empfehlen:
Nehmen Sie sich einmal die Zeit, und schauen Sie sich
diesen Film noch einmal an .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


In diesem Film erlebt die Hauptfigur Tag für Tag das
Gleiche,


(Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach nee, echt? Wenn Sie sich gegen die Union durchsetzen könnten, dann bräuchten wir das nicht!)


so wie wir hier von Woche zu Woche den gleichen An-
trag erleben . Aber am Ende gibt es ein Happy End . Wa-
rum? Weil die Hauptfigur etwas dazulernt und weil sie
sich und die anderen verändert .


(Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen doch nicht uns belehren!)


Sie haben nur die Drucksachennummer verändert, aber
inhaltlich kein Jota . Da ist nichts, was nach vorne weist .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr verhindert doch die Debatte darüber! Warum soll man da was verändern?)


Lassen Sie also diese taktischen Anträge . Machen Sie
mal Sachpolitik, und bringen Sie mal wieder einen neuen
Gedanken ins Plenum ein .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr könnt doch jetzt was verändern!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821516500

Vielen Dank . – Für die CDU/CSU spricht jetzt die

Kollegin Rita Stockhofe .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Rita Stockhofe (CDU):
Rede ID: ID1821516600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich will heu-
te nicht das Murmeltier bemühen . Zum wievielten Male
reden wir hier über ein und denselben Antrag der Frakti-
on Bündnis 90/Die Grünen?


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Wir hätten es auch im Ausschuss behandeln können!)


Wir stimmen darüber ab .


(Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben nicht! Das ist das Problem!)


Weil Sie von den Grünen gerne ein anderes Ergebnis hät-
ten, schreiben Sie das Gleiche noch einmal auf, obwohl

Sie wissen, dass Sie die Abstimmung wieder nicht ge-
winnen werden .


(Kees de Vries [CDU/CSU]: Die sind einfach nicht lernfähig! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Debatte findet ja gar nicht statt!)


Der Wähler hat 2013 entschieden, dass Sie in der Oppo-
sition sind, und das ist auch gut so .

Herr Ebner, kurz ein Wort an Sie . Sie haben vorhin
eine Rede gehalten . Wir haben alle zugehört . Keiner hat
dazwischengerufen . Wir haben eine super Disziplin ge-
habt . Es wäre schön, wenn auch Sie sich daran halten
könnten . Dann könnten die Zuhörer auch mich einmal
hören .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821516700

Frau Kollegin Stockhofe, gestatten Sie eine Zwischen-

frage der Kollegin Maisch?


Rita Stockhofe (CDU):
Rede ID: ID1821516800

Ja, sehr gerne .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821516900

Bitte schön .


Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821517000

Frau Stockhofe, Sie haben zu uns gesagt: Sie wissen,

dass Sie die Abstimmung nicht gewinnen . – Kann ich
daraus schließen, dass wir hier gleich über den Antrag
abstimmen?


Rita Stockhofe (CDU):
Rede ID: ID1821517100

Nein, das können Sie nicht .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Dann ist das nicht so schlüssig, was Sie gesagt haben!)


– Das ist Ihr Problem .


(Beifall des Abg . Artur Auernhammer [CDU/ CSU])


Sie schreiben in Ihren Anträgen zum Thema Gentech-
nik permanent, dass ein Großteil der Bevölkerung gegen
Gentechnik ist . Diese Aussage ist das Ergebnis einer Um-
frage von einem oder mehreren Ihrer Lobbyistenvereine .
Wenn eine solch einseitige Darstellung nach außen ge-
tragen wird, wie das hier der Fall ist, darf man sich nicht
wundern, dass die Umfragen so ausfallen, wie sie es tun .
Sämtliche fachlichen Veröffentlichungen europäischer
Behörden werden ignoriert – und das, obwohl hier die
strengsten Zulassungsverfahren weltweit gelten .

Auf der Grünen Woche, die zufällig gerade stattfindet,


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht zufällig!)


Ute Vogt






(A) (C)



(B) (D)


hat sich vor ein paar Jahren jemand hingestellt, hat in
jeder Hand eine Möhre hochgehalten und die Besucher
gefragt, ob sie lieber die Möhre mit oder die Möhre ohne
Gene kaufen möchten . Sie können sich denken, welche
Antwort gekommen ist: Die Besucher wollten lieber die
Möhre ohne Gene kaufen . – Wir alle wissen hoffentlich,
dass es keine Möhre ohne Gene gibt . Aber Sie haben es
durch Ihre Art und Weise der Darstellung geschafft, dass
die Menschen schon allein dann, wenn sie den Begriff
„Gen“ hören, glauben, dass sie vergiftet werden .


(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Geschichte ist doch alt! – Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Glauben Sie wirklich, dass die Deutschen so doof sind? Wir glauben das nicht!)


Natürlich haben die Besucher gedacht, dass es um Gen-
technik geht . Aber das ist gar nicht gefragt worden .

Sie, die Fraktion der Grünen, profitieren von Ihren
Lobbyistenvereinen, die ein Thema besetzen, bei dem
sie sich möglichst hohe Spendeneinnahmen versprechen .
Schließlich leben sie von diesen Spenden – und das auch
nicht so schlecht . Jetzt haben Sie das Glück, diese Spen-
densammler hinter sich zu haben . Aber die Frage ist doch
eigentlich: Was wollen Sie überhaupt? Wollen Sie sich
wirklich inhaltlich mit Themen auseinandersetzen?


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie diskreditieren hier Umweltverbände als Spendensammler!)


– Herr Ebner, wir sind schon wieder an dem Punkt, an
dem Sie mich nicht ausreden lassen .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Wenn Sie Umweltverbände als Spendensammler diskreditieren!)


Oder reicht es Ihnen, Personen aus dem Parlament oder
der Regierung zu beleidigen? Das gehört ja zu Ihrem
Standardrepertoire . Wann fangen Sie endlich an, sich in-
haltlich mit Themen zu befassen und wissenschaftliche
Ergebnisse anzuerkennen?

Nun zu den Demonstrationen, die Sie, liebe Kollegin-
nen und Kollegen von der Linken, genannt haben . Es gab
auch eine Demonstration unter dem Motto „Wir machen
euch satt“ . Da müssen wir wissen, was Ihnen wichtiger
ist: jemanden satt zu machen oder jemanden ständig zu
kritisieren .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Bei der öffentlichen Anhörung am letzten Montag
wurde bestätigt, dass weltweit kein nachweisbarer Scha-
densfall durch Gentechnik existiert,


(Zuruf von der SPD: Oh! Das stimmt aber nicht!)


weder beim Menschen noch beim Tier noch bei der Um-
welt . In Ihrem Antrag sprechen Sie immer von Erkennt-

nissen der Wissenschaft . Anerkennen tun Sie diese aber
nur an, wenn es Ihnen passt .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Unterstellung!)


Das erleben wir häufig, wenn das BfR, das Bundesinsti-
tut für Risikobewertung, zurate gezogen wird . Wenn die
Ergebnisse nicht in Ihr Weltbild passen, gibt es massive
Kritik .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind groß im Unterstellen!)


Wenn es passt, wird es mindestens hundertmal zitiert .

Zum Glück gab es die Partei der Grünen noch nicht,
als die Bahn, das Auto oder das Flugzeug erfunden wur-
de .


(Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt die Geschichte wieder!)


Nicht, dass Sie sie nicht nutzen würden! Aber Ihre grund-
sätzliche Fortschrittsfeindlichkeit hätte diese Erfindun-
gen schon verhindert .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deutsche Forscher flüchten vor Ihrer Politik ins Ausland.
Später können wir dann deren erfolgreiche Produkte aus
dem Ausland einkaufen . Ein altes, mittlerweile fast je-
dem bekanntes Beispiel ist das Insulin .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer regiert hier eigentlich seit zwölf Jahren?)


Bei uns in Deutschland sind in der Vergangenheit Ver-
suchsfelder zerstört worden . Diese Zerstörungen werden
genauso wie Einbrüche in Ställe als Heldentaten gefeiert .
Länder wie China, Spanien und Kanada schöpfen alle
Möglichkeiten der Forschung aus und überholen uns mit
größter Geschwindigkeit .

Ich würde mich freuen, wenn wir endlich einmal auf
der Grundlage von wissenschaftlichen und fachlichen
Erkenntnissen debattieren könnten . Aber dann müssten
Sie Ihr letztes Thema aus der Hand geben, mit dem Sie
Menschen Angst machen können . Sie und Ihre Lobby-
freunde aus den einschlägigen Vereinen arbeiten mit der
Unsicherheit und den Ängsten der Menschen, indem Sie
in jeder Darstellung möglichst viele negativ besetzte
Worte verwenden: Pestizide – „Pest“ war schon immer
negativ besetzt – statt Pflanzenschutzmittel,


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein internationaler Begriff! Pesticides!)


Agroindustrie statt vor- und nachgelagerter Bereich der
Landwirtschaft oder Massentierhaltung . Dieser Begriff
wurde nie von irgendjemandem definiert.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht hier nicht um Massentierhaltung, sondern um Gentechnik! Wo sind Sie eigentlich?)


Dann werden gerne Begriffe wie Industrie – da denkt je-
der nur an rauchende Schlote – oder Konzerne – damit

Rita Stockhofe






(A) (C)



(B) (D)


verbindet man, dass die doch nur Geld verdienen wol-
len – verwendet . Dabei geht fast jeder von uns morgens
aus dem Haus und seiner Arbeit nach, um Geld zu ver-
dienen . All diese Begriffe verwenden Sie, um negative
Bilder in die Köpfe der Bevölkerung zu bekommen .

Wir hingegen wissen, dass in Deutschland mit die
gesündesten Lebensmittel weltweit erzeugt werden und
dass wir zu jeder Jahreszeit alles kaufen können . Wa-
rum helfen Sie uns nicht, dem Verbraucher möglichst
schmackhafte, gerne auch saisonale und regionale Pro-
dukte anzubieten, indem wir die Bauern vor Ort unter-
stützen sowie ihre tolle Arbeit anerkennen und honorie-
ren?


(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Bauern vor Ort fangen an, umzudenken!)


Sind Sie Ihren Lobbyisten so sehr verpflichtet, dass
Sie immer wieder Halbwahrheiten und Ängste verbreiten
und Politiker persönlich verunglimpfen müssen?


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich habe in meiner Erziehung Respekt vor anderen Men-
schen gelernt, vor allen denjenigen gegenüber, die ihn
verdient haben . Für mich gehören zu diesen Menschen
unsere Bauern, die uns täglich mit hochwertigen, lecke-
ren und unter immer größeren Herausforderungen herge-
stellten Lebensmitteln versorgen . Ich würde mich freu-
en, wenn Sie, die Grünen, diese Leistung endlich auch
anerkennen würden und aufhören würden, Generalver-
dächtigungen auszusprechen . Erst dann können wir eine
gute Politik für unsere Verbraucher und Bauern machen .
Geben Sie endlich Ihr Dasein als Lobbyistenpartei auf,


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei euch hocken die Lobbyisten in den eigenen Reihen!)


und widmen Sie sich den anstehenden Themen sachlich!
Akzeptieren Sie wissenschaftliche Erkenntnisse, und hö-
ren Sie auf, Menschen persönlich anzugreifen! Denn das
gehört sich nicht .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821517200

Vielen Dank . – Jetzt hat Elvira Drobinski-Weiß für die

SPD-Fraktion das Wort . Bitte schön .


(Beifall bei der SPD)



Elvira Drobinski-Weiß (SPD):
Rede ID: ID1821517300

Vielen Dank . – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Lie-

be Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste auf der
Tribüne! Auf ein Neues! Wir reden wieder einmal über
die Zulassung der gentechnisch veränderten Maissor-
ten in Brüssel . Die SPD-Bundestagsfraktion und auch
das SPD-geführte Bundesumweltministerium sind ge-
gen eine solche Zulassung; denn wir wollen ebenso wie

80 Prozent der Bevölkerung, dass die Äcker in unserem
Land gentechnikfrei bleiben .


(Beifall bei der SPD)


Eine konsequente Politik für ebendiese gentechnikfreien
Äcker würde auch eine klare Ablehnung der Zulassung
in Brüssel einschließen . Leider kann sich unser Koaliti-
onspartner dazu offenbar immer noch nicht durchringen .
Deshalb können wir auch Ihrem Antrag, sehr verehrter
Herr Kollege Ebner, leider nicht zustimmen .


(Beifall bei der SPD)


Ich würde hier gerne etwas ganz anderes sagen, aber
es ist leider nach wie vor so: Wenn das von dem CSU-Mi-
nister Schmidt geführte Landwirtschaftsministerium die
Zulassung – noch einmal: im Gegensatz zum Umweltmi-
nisterium – will, dann gibt es eben wieder ein Patt . Dann
enthält sich Deutschland wieder .

Deshalb wird der Genmais, um den es hier geht, Herr
Kollege Ebner, trotzdem nicht im nächsten Jahr auf deut-
schen Äckern angebaut werden; denn schon 2015 hat
die Bundesregierung die betreffenden Saatgutkonzerne
aufgefordert, Deutschland von ihren Zulassungsanträgen
auszunehmen . Es bleibt also dabei: In Deutschland kön-
nen gentechnisch veränderte Pflanzen nicht kommerziell
angebaut werden .


(Beifall bei der SPD – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber bei den Nachbarn! Belgien! Tschechien!)


Das ändert nichts an der Haltung der SPD zum Um-
gang mit Zulassungsanträgen in Brüssel .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr spielt es nur herunter!)


Wir sind für die Ablehnung . Das ändert auch nichts da-
ran, dass wir nach wie vor versuchen, unseren Koaliti-
onspartner davon zu überzeugen, dass Deutschland sich
aus Prinzip nicht länger enthalten darf, sondern gegen die
Zulassung von gentechnisch veränderten Pflanzen stim-
men sollte .


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/ CSU: Versuchen könnt ihr es ja!)


– Klar, wir arbeiten daran, Herr Kollege .

Ich bezweifle, dass Sie den Prozess beschleunigen,
liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, indem
Sie hier immer denselben Antrag stellen . Die Kollegin
Ute Vogt hat ja dazu hier bereits sehr eindeutig etwas ge-
sagt . Aber bitte, so lange Sie das tun, so lange sage ich
Ihnen: Wir wollen gentechnikfreie Äcker . Wir sind gegen
die Zulassung .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist schön!)


Aber – vielleicht haben Sie es auch schon zur Kenntnis
genommen – wir regieren nicht allein .

Noch wichtiger als die ganze Debatte um Zulassun-
gen von gentechnischen Pflanzen auf der EU‑Ebene finde
ich, dass wir ein vernünftiges nationales Gesetz zu ent-
sprechenden nationalen Anbauverboten hinbekommen .

Rita Stockhofe






(A) (C)



(B) (D)


Frau Vogt hat es vorhin schon gesagt: Wir arbeiten mit
Hochdruck daran, und wir werden uns dabei – das kann
ich Ihnen versprechen – auf keine schlechten Kompro-
misse einlassen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821517400

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich

die Debatte .

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-
che 18/10976 .

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beantragt die
Abstimmung über ihren Antrag in der Sache . Die Frak-
tionen der CDU/CSU und der SPD wünschen Überwei-
sung . Mir ist mitgeteilt worden, dass hierzu das Wort zur
Geschäftsordnung gewünscht wird .

Damit erhält jetzt Steffi Lemke als erste Rednerin das
Wort zur Geschäftsordnung .


Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821517500

Danke, Frau Präsidentin . – Liebe Kolleginnen! Liebe

Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Ich denke, in
der Debatte ist klar geworden: Es geht darum, dass auf
europäischer Ebene morgen eine Abstimmung über die
Neuzulassung von drei gentechnisch veränderten Mais-
sorten der Konzerne Monsanto und Syngenta ansteht,
also morgen über eine europäische Zulassung entschie-
den wird . Deshalb sind all Ihre Argumente, mit denen Sie
darauf verweisen, dass der Anbau danach möglicherwei-
se in Deutschland ausgeschlossen bleibt,


(Ute Vogt [SPD]: Nicht „möglicherweise“!)


richtig, gehen aber an der Tatsache vorbei, dass morgen
abgestimmt wird, und damit an der Zielrichtung unseres
Antrages, mit dem wir nämlich auf die europäische Ebe-
ne abzielen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir leben in einem europäischen Binnenmarkt . Wir
haben gemeinsame Verbraucherschutzstandards, Ge-
sundheitsschutzstandards . Ich gehe davon aus, dass
alle hier im Haus auch wollen, dass das so bleibt . Wir
müssen von daher ein Interesse daran haben, die euro-
päische Ebene ernst zu nehmen und zu stärken . Deshalb
betrachtet meine Fraktion es als Aufgabe dieses nationa-
len Parlamentes, der nationalen Regierung für ihr Stimm-
verhalten auf der europäischen Ebene ein klares Votum
mitzugeben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Denn wir sind hier nicht Exekutive . Wir sind das Parla-
ment . Es tut mir leid, dass ich die Kollegen sowohl in
der SPD als auch in der CDU daran erinnern muss . Sie
haben hier noch einmal in aller epischen Breite darge-
stellt, welche Probleme die Bundesregierung mit dieser
Abstimmung hat. Das ist ihr gutes Recht, und ich finde

es gut, dass die SPD ihre inhaltliche Position – Nein zu
diesen Zulassungen – noch einmal klargemacht hat und
dass die CDU klargemacht hat, dass sie der Auffassung
ist: Ja zu diesen Zulassungen .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das stimmt überhaupt nicht! – Alois Rainer [CDU/CSU]: Stimmt ja gar nicht!)


– Sie sind gegen die Zulassung? Dann müsste Herr
Schmidt ja in Brüssel mit Nein stimmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU)


Ich gehe davon aus, dass Sie dafür den Beweis anzutreten
bereit sind, und deshalb wird das Murmeltier hier dann
vermutlich noch einmal grüßen .

Unser bisheriger Kenntnisstand ist, dass sich die Bun-
desregierung nicht einigen konnte, dass das Umwelt-
ministerium gegen die Zulassung ist und das Landwirt-
schaftsministerium dafür . Das würde dazu führen, dass
sich die Bundesregierung in Brüssel enthält und damit
faktisch eine Jastimme in den Brüsseler Prozess ein-
bringt, weil nur eine Neinstimme verhindern kann, dass
diese Zulassung stattfindet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb ist es Aufgabe der Opposition, diesen Prozess
hier im Parlament transparent zu machen, deutlich zu
machen, worum es geht .

Liebe Ute Vogt, du hast auf den Murmeltierfilm ver-
wiesen . Ich habe einen Vorschlag, wie wir den ewig glei-
chen Ablauf durchbrechen können: Ihr beschneidet nicht
weiter die Rechte der Opposition auf das Stellen von An-
trägen und das Beantragen von Abstimmungen über die
Anträge der Opposition .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich möchte mit Erlaubnis der Präsidentin zitieren, was du
im zweiten Teil des Murmeltierfilms hier im Parlament
ausgeführt hast – also Zitat Ute Vogt in der letzten Ge-
schäftsordnungsdebatte zum Gegenstand –:

Ich sage Ihnen: Sie haben doch jedes Recht der Welt,
Presseerklärungen noch und nöcher zu machen .


(Ute Vogt [SPD]: Genau!)


– Danke für die Belehrung; wussten wir schon . –

Da brauchen Sie doch nicht jedes Mal unsere Zeit
hier in Anspruch zu nehmen mit Plenardebatten zu
Dingen, bei denen im Grunde klar ist, dass wir diese
Debatte letzte Woche geführt haben und dass wir sie
in Kürze wieder führen werden .


(Ute Vogt [SPD]: Genau! So kam es auch!)


Ich sage Ihnen: Sie von der Großen Koalition haben
genug Abgeordnete, um Ihre Position deutlich zu ma-
chen . Wir als Opposition haben die Aufgabe, die Regie-

Elvira Drobinski­Weiß






(A) (C)



(B) (D)


rung zu kontrollieren und Machtbegrenzung vorzuneh-
men . Deshalb sind wir hier .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn Sie damit weiter lustige Spielchen analog zum
Murmeltierfilm treiben wollen, dann werden wir schwie-
rige Zeiten vor uns haben .


(Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh! Oh!)


Es ist nicht nur Aufgabe der Opposition, Pressemitteilun-
gen zu schreiben, sondern sie hat auch das Recht, Anträ-
ge einzubringen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Und es ist das Recht und es ist die verdammte Pflicht der
Opposition, im Parlament nicht nur Debatten zu führen,
sondern auch Entscheidungen herbeizuführen . Nichts
weiter klagen wir ein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In der Tat müssen wir mit Ihnen das dritte Mal inner-
halb von drei Monaten eine Geschäftsordnungsdebatte
darüber führen, ob unser Antrag hier vor einer relevanten
Entscheidung in Brüssel zur Abstimmung gestellt wer-
den kann, in der Ihre, die von Ihnen getragene Bundesre-
gierung keine klare Position einnimmt, damit klar wird,
dass das Parlament mehrheitlich – wenn Ihre Aussagen
von der SPD stimmen – eine andere Position dazu hat
und die Regierung an dieser Stelle dann das Votum des
Parlaments ignorieren würde . Das ist unsere Aufgabe,
und die sollten Sie nicht ins Lächerliche und auch nicht
sonst irgendwohin ziehen .

Danke .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bravo! Wunderbar!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821517600

Als nächste Rednerin hat Ute Vogt das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Ute Vogt (SPD):
Rede ID: ID1821517700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Kollegin Lemke, weil Sie am Anfang
sagten: „Dann wird es möglicherweise keinen Anbau
geben“, möchte ich Ihnen noch einmal sagen: Es wird
keinen Anbau dieser infragestehenden Maissorten geben,
weil das Opt-out ganz eindeutig schon im Jahr 2015 er-
klärt worden ist .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und bei den Nachbarn? Im Umfeld? Bei Nachbarstaaten wie Belgien und Tschechien?)


Dabei bleibt es auch .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich sage das nur, damit das feststeht .

Ich glaube, es gibt auch keinen Grund, sich jetzt so zu
echauffieren oder gar so schlechtgelaunt durch die Ge-
gend zu ziehen .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Jetzt geht es hier um Launen!)


Denn natürlich hat die Opposition – Sie haben es ja er-
freulicherweise auch zitiert – immer das Recht, Anträge
zu stellen . Sie haben den Antrag ja, wie von mir vorher-
gesagt, ein drittes Mal gestellt, und dieses Recht will Ih-
nen auch niemand nehmen .


(Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen über ihn hier abstimmen!)


Aber wir haben doch auch das Recht, unsere Meinung zu
sagen, nämlich dass wir den Antrag für überflüssig halten


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmen Sie doch ab! Dann ist er weg!)


und dass wir es nicht notwendig finden, über ihn heute
abzustimmen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich habe es Ihnen schon begründet: Es gibt keine inhalt-
liche Begründung dafür; vielmehr geschieht das deswe-
gen, weil Ihr Antrag rein taktisch motiviert ist .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch nur eine Unterstellung! Euch treibt die Angst!)


Jetzt erkläre ich es Ihnen noch einmal, auch wenn
Sie an vielen Landesregierungen beteiligt sind und man
glauben könnte, Sie wüssten das Ganze schon: Eine Re-
gierungskoalition wird von mehreren Parteien getragen .
Diese Parteien schließen einen Koalitionsvertrag . Schau-
en Sie ihn sich einmal an: Ihn unterschreiben nicht Mit-
glieder der Bundesregierung, sondern führende Vertre-
ter dieser Parteien . Hier gibt es zwei Fraktionen, hinter
denen unterschiedliche Parteien stehen, die einfach eine
unterschiedliche Meinung haben .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also, wer verhält sich denn taktisch? Ihr, nicht wir!)


Unser Koalitionsvertrag legt in solchen Fällen ganz ein-
deutig eine Enthaltung fest .

Wenn Sie Ihren Antrag jetzt hier zur Abstimmung
stellen, dann hat das nur den Zweck, SPD-Kolleginnen
und -Kollegen, die alle inhaltlich der Meinung sind, dass
man in Brüssel für ein Nein votieren muss, wie es die
Bundesministerin ja auch macht, vorzuführen, weil sie
sich nach dem Koalitionsvertrag schlichtweg enthalten
müssen . Diese billige Nummer, hier immer wieder zu
versuchen, Kolleginnen und Kollegen vorzuführen, statt
in der Sache zu streiten, wollen wir Ihnen nicht durchge-
hen lassen . Deshalb werden wir nicht zulassen, dass über
Ihren Antrag sofort abgestimmt wird .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜND Steffi Lemke NIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine billige Nummer macht eure Ministerin mit ihren Tweets!)





(A) (C)


(B) (D)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821517800

Eva Bulling-Schröter hat für die Fraktion Die Linke

das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821517900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Worum geht es eigentlich? Morgen soll über die EU-Zu-
lassung gentechnischer Pflanzen abgestimmt werden – in
einer nichtöffentlichen Sitzung von Ministerialbeamten
im Ständigen Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebens-
mittel und Futtermittel . Ich wiederhole: Die Sitzung ist
nichtöffentlich . Es geht um drei Maislinien: MON 810
von Monsanto, MON 1507 von Dow/DuPont und um
Bt 11 von Syngenta .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Wir sind in einer Geschäftsordnungsdebatte!)


Was passiert hier? Bakterielles Insektengift wird durch
diese Pflanzen produziert. Dass dadurch natürlich nicht
nur die schädlichen Insekten kaputtgehen, sondern auch
die anderen, das ist selbstverständlich .

Seit dem Vertrag von Lissabon gibt es dazu keine Be-
schlüsse des Rates der EU in öffentlichen Sitzungen, son-
dern es gibt nur Beschlüsse von Ministerialbeamten in
nichtöffentlichen Sitzungen .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Zur Geschäftsordnung!)


Schon am 6 . Oktober 2016 hat das Europäische Parla-
ment in drei Entschließungen dieses abgelehnt und die
Kommission aufgefordert, die Vorschläge zurückzuzie-
hen .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Zur Geschäftsordnung! Nicht inhaltlich!)


– Ich rede zur Tagesordnung: Ich erkläre, warum wir, die
Linke, den Antrag der Grünen unterstützen . Wir halten
ihn für sinnvoll .


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb fordern auch wir, direkt über den Antrag der
Grünen abzustimmen .

Ich bin ganz erstaunt, wie sich die Kolleginnen und
Kollegen, auch die von der SPD, hier echauffieren. Ich
bin schon fast 20 Jahre im Bundestag und muss Ihnen
sagen: Auch als Sie in der Opposition waren, haben Sie
Anträge dreimal gestellt . Damals haben sich die anderen
aufgeregt .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, ist ja unglaublich! Habt ihr das vergessen?)


Mich wundert das schon ein bisschen .

Natürlich sagen Sie: Wir können dem nicht zustim-
men, weil wir im Koalitionsvertrag Verpflichtungen ein-
gegangen sind usw . Aber fragen Sie doch die Menschen

auf der Besuchertribüne: Auch die wollen, dass es um
die Sache geht . – Leider darf ich die Menschen auf der
Besuchertribüne nicht fragen: Wer ist gegen die Gentech-
nik? Wer ist dafür, dass die Bundesregierung morgen auf
EU-Ebene gegen die Gentechnologie stimmt? – Leider
dürfen die Menschen auf der Besuchertribüne nicht ab-
stimmen . Wenn sie es machten, bekämen sie Ärger; aber
wir können es ja einmal probieren .

Insofern bin ich der Meinung, Sie sollten über Ihren
Schatten springen, und wir sollten direkt über den Antrag
der Grünen abstimmen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen nämlich Parlamentarismus, wie ihn sich
die Menschen draußen wünschen . Sie fragen: Warum
stimmen die einen so und die anderen so, wenn sie doch
einer Meinung sind? Keiner kann das mehr erklären .

Noch etwas zu dem unsäglichen Lobbyismusvorwurf;
es hat mich besonders verärgert,


(Zuruf von der CDU/CSU: Och!)


dass er gegenüber Ökoverbänden, dem Naturschutzbund
Deutschland usw . geäußert wurde .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Aber natürlich!)


Natürlich stehen auch wir hinter den Bäuerinnen und
Bauern, und natürlich wissen wir, dass sie uns satt ma-
chen; das ist doch überhaupt keine Frage . Im Gegenteil:
Wir wollen die Bauern vor den großen Konzernen und
Ihrer unsäglichen Politik schützen, damit sie überleben
können


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


und nicht auch so fertiggemacht werden wie die Bauern
in Indien, die sich dann umbringen .

Es bestünde also heute die Möglichkeit, zu sagen: Wir
wollen gemeinsam etwas erreichen . Die Mehrheit unse-
rer Wählerinnen und Wähler will das . Aus diesem Grund
stimmen auch wir für diesen Antrag .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821518000

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen jetzt

zur Abstimmung . Nach ständiger Übung stimmen wir zu-
erst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab .

Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen
Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/10976 zur
federführenden Beratung an den Ausschuss für Ernäh-
rung und Landwirtschaft


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und morgen wird in Brüssel abgestimmt!)


– die Präsidentin hat das Wort – und zur Beratung an
den Ausschuss für Gesundheit, an den Ausschuss für
Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, an

Ute Vogt






(A) (C)



(B) (D)


den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfol-
genabschätzung sowie an den Ausschuss für die Ange-
legenheiten der Europäischen Union . Wer stimmt für die
beantragte Überweisung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Damit ist dieser Antrag angenommen und
die Überweisung beschlossen mit den Stimmen der Koa-
litionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition . Es
gab keine Enthaltungen . Damit, liebe Kolleginnen und
Kollegen, stimmen wir heute über den Antrag auf Druck-
sache 18/10976 in der Sache nicht ab .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die Feststellung eines Nachtrags zum Bun­
deshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2016

(Nachtragshaushaltsgesetz 2016)


Drucksachen 18/10500, 18/10807, 18/10924
Nr. 1.16

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Rehberg von der CDU/CSU-Fraktion als erstem Redner
das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Thomas Jurk [SPD])



Eckhardt Rehberg (CDU):
Rede ID: ID1821518100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Welch ein Luxus! Welch ein Luxus, eine Debatte zu
führen, in der es, weil wir Zinsminderausgaben haben,
darum geht, nach einer Grundgesetzänderung und der
Verabschiedung der entsprechenden Begleitgesetze ein
Kommunalinvestitionsprogramm in Höhe von 3,5 Mil-
liarden Euro auflegen zu können. Normalerweise hät-
ten wir diesen Punkt im Rahmen des großen Pakets der
Bund-Länder-Finanzen behandelt . Allerdings gibt es
§ 95 unserer Geschäftsordnung, in dem es sinngemäß
heißt: Wenn der Bundesrat Stellung zum Nachtrags-
haushalt genommen hat – er hat im Dezember Stellung
genommen –, müssen sich der Haushaltsausschuss und
dann der Deutsche Bundestag damit befassen . – Diese
Debatte ist auch deswegen eine Luxusdebatte, weil in
der Zwischenzeit der Überschuss des Jahres 2016 publik
wurde: 6,2 Milliarden Euro .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, als ich im Jahr 2009
Mitglied des Haushaltsausschusses wurde, war die Sach-
lage folgende: 300 Milliarden Euro Haushaltsvolumen,
86 Milliarden Euro Neuverschuldung im Soll . Wir sind
im Jahr 2010 mit 44 Milliarden Euro ausgekommen . Der
Haushalt des Jahres 2014 war der erste Haushalt, bei dem
wir keine neuen Schulden mehr gemacht und – ohne De-
batte – 2,5 Milliarden Euro getilgt haben . Die Koalition
hat im Rahmen der Änderung des Haushaltsgesetzes zum
Beispiel beschlossen, dass wir das über einen Bundes-

bankgewinn von 2,5 Milliarden Euro hinausgehende Vo-
lumen zur Schuldentilgung verwenden .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Debatte ist auch
deswegen eine Luxusdebatte, weil wir in diesem Jahr-
zehnt bewiesen haben, dass in Deutschland trotz einer
soliden Haushaltspolitik und der mit 52 Prozent höchsten
Sozialquote in der deutschen Geschichte die Investitio-
nen hochgefahren werden können . Das ist eine Erfolgs-
geschichte seit 2010 .

Wenn man sich die Zahlen ansieht und fragt, wie sich
die Steuern verteilen, dann stellt man fest, dass die Steu-
erzuwächse in den letzten sieben Jahren beim Bund am
geringsten sind; sie betragen nämlich nur 35 Prozent,
37 Prozent sind es bei den Ländern und 44 Prozent bei
den Gemeinden . Insbesondere dadurch, dass der Bund
in den letzten Jahren massiv Umsatzsteuerpunkte an die
Länder und Kommunen abgegeben hat, ist diese Ent-
wicklung zustande gekommen .

Sigmar Gabriel hat heute Morgen gesagt, wir hätten
die Länder und Kommunen in dieser Legislaturperiode
um 80 Milliarden Euro entlastet . Nach unserer Rechnung
sind es sogar 95 Milliarden Euro .

Ich widerspreche ihm aber an einer ganz entscheiden-
den Stelle . Es gibt ein altes Sprichwort: Sorge in guten
Zeiten, dann hast du in der Not . – Und wir haben gute
Zeiten . Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu sagen, dass
die Tilgung von Schulden bei niedrigen Zinsen ökono-
misch nicht sinnvoll ist, dem widerspreche ich ganz ent-
schieden . Was will man denn machen, wenn die Zinsen
viel höher sind? Das ist doch die Frage .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Dann kann man kein Geld zurückgeben!)


Lieber Kollege Gabriel, der Bundesrechnungshof, der
Sachverständigenrat, beide sagen klipp und klar: Jetzt ist
die Zeit zum Tilgen von Schulden .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Zum Investieren!)


Übrigens gibt es genug Vorbilder: Nordrhein-Westfalen
tilgt Schulden . Rheinland-Pfalz tilgt Schulden . Schles-
wig-Holstein tilgt Schulden . Im Koalitionsvertrag mei-
nes Heimatlandes steht: Bei Haushaltsüberschüssen sol-
len drei Viertel davon für die Schuldentilgung eingesetzt
werden und ein Viertel davon investiert werden .

Ich sage noch einmal: Es ist eine Luxusdebatte, die
wir hier miteinander führen . Es gibt da unterschiedliche
Standpunkte in der Koalition . Das ist auch ganz legitim;
denn bei der ersten Lesung dieses Nachtragshaushaltes
war ein Überschuss in dieser Höhe nicht abzusehen .

Ich will noch einen Hinweis geben, liebe Kolleginnen
und Kollegen . Wir tragen auch Dinge im Umfang eines
zweistelligen Milliardenbetrags vor uns her, die in den
nächsten Jahren ausfinanziert werden müssen: Kommu-
nalinvestitionsprogramm 3,5 Milliarden Euro, 164 Mil-
lionen Euro abgeflossen; einen Milliardenbetrag im
Verkehrsbereich, weil wir die Dinge nicht schnell genug
umsetzen können; Kitaprogramme . Ich könnte das weiter

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


fortführen . Das muss in den nächsten Jahren aus dem Ge-
samtetat finanziert werden


(Zurufe des Abg . Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


und nicht nur der Haushaltsausgleich im Jahr 2018 im
Umfang von rund 10 Milliarden Euro . Deswegen ist es
gut und richtig, sich an dieser Stelle noch ein bisschen
Zeit zu nehmen . Deswegen haben die Koalitionsfrakti-
onen gemeinsam beantragt, diesen Gesetzentwurf wie-
der in den Haushaltsausschuss zurückzuüberweisen . Wir
werden das dann dementsprechend behandeln .

Ich will noch eines klar sagen, damit es keine Legen-
denbildung gibt . Die 3,5 Milliarden Euro können erst
dann fließen, wenn die Grundgesetzänderung vollzogen
worden ist, die Begleitgesetze dazu erlassen worden sind
und die Bund-Länder-Verwaltungsvereinbarung getrof-
fen worden ist . Ich bitte, nicht eine Debatte darüber auf-
kommen zu lassen, dass es bei den 3,5 Milliarden Euro
deswegen, weil sie noch nicht abschließend beschlossen
worden sind, eine Verzögerung gibt . Dieses ist mitnich-
ten so .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821518200

Roland Claus spricht als Redner für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821518300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollege

Rehberg hatte gerade mit der Peinlichkeit zu tun, dass die
Koalition ihre Hausaufgaben nicht erledigt hat und hat
sich deshalb weg vom Thema „Nachtragshaushalt 2016“
auf die historische Bestimmung der Leistungen der CDU/
CSU von 2009 bis 2017 geflüchtet. Das können wir ihm
nicht durchgehen lassen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die vorliegende Tagesordnung hat uns ja eine konkrete
Aufgabe zugewiesen .

Es ist ein ungewöhnlicher Vorgang . Der Bundeshaus-
halt 2016 ist beendet. Das Bundesfinanzministerium
berechnet gerade, wie die Abflüsse waren. Es wird uns
wieder etwas Fantastisches präsentiert werden . Und wir
reden hier über einen Nachtragshaushalt, eine Verände-
rung eines Haushaltsjahres, das quasi schon abgeschlos-
sen ist . Das kann doch nur deshalb sein, weil uns unge-
wöhnliche Umstände dazu zwingen . Der erste ist: Der
Bundesfinanzminister sitzt auf zu viel Geld. Der zweite
ist: 16 Länderregierungschefs haben mit der Kanzlerin
am 14 . Oktober einen sogenannten Beschluss zur Neu-
ordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen gefasst .

Um es ganz klar zu sagen: Den Kern dieses Nach-
tragshaushaltes machen Schulsanierungen in finanz-
schwachen Kommunen aus . Zu diesen Schulsanierungen

sagen wir ganz eindeutig Ja und werden diesem Teil des
Gesetzes auch zustimmen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Bartholomäus Kalb [CDU/ CSU]: Immerhin etwas!)


Für meinen Landkreis in der Saale-Unstrut-Region
sind das exakt 10 Millionen Euro . Es ist eine echte Hilfe,
die wir dort erwarten . Wir müssen aufpassen, dass die
Länder nicht tricksen, aber das gehört ja auch zu unserem
Job . Deshalb – ich sage es nochmals – haben Sie hierzu
unsere Zustimmung .

Wir könnten es hier heute auch abschließend mitei-
nander festhalten .


(Beifall der Abg . Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE] und Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das wäre ein Signal an finanzschwache Kommunen: Der
Bund hilft bei Investitionen .


(Ulrike Gottschalck [SPD]: Der hilft ständig!)


Man könnte sich auf die Dimension der Mittel einstellen,
die da bald kommen . Das zu beschließen, wäre heute un-
sere Aufgabe gewesen . Wir haben schon im Ausschuss
gesagt: Dieses Verhalten der Großen Koalition grenzt an
Arbeitsverweigerung .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nun ist nochmals das Argument vorgetragen worden,
dass die Investitionen ohnehin erst nach einer Grundge-
setzänderung fließen können, und wegen des unsäglichen
Kooperationsverbotes von Bund und Ländern in der Bil-
dungspolitik ist das ja auch noch zutreffend und kann
nicht geleugnet werden . Aber, liebe Kolleginnen und
Kollegen, auch große politische Fehler sind heilbar – ge-
nau an dieser Stätte, nämlich hier im Deutschen Bundes-
tag, sind sie heilbar .


(Beifall bei der LINKEN)


Nun sind hier nicht näher benannte, aber uns ja nicht
verborgen gebliebene Differenzen zwischen CDU/CSU
und SPD hinsichtlich der Verwendung der Überschüsse
des Jahres 2016 aufgetreten . Die Große Koalition braucht
Bedenkzeit . Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Großen Koalition, es gibt im Parlament auch so etwas
wie eine Bedenkenträgerhaftung .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Insofern sagen wir: Wenn Sie vorhaben, den Nachtrags-
haushalt jetzt erneut in den Ausschuss zurückzuüberwei-
sen, dann müssen Sie das mit Ihren Mehrheiten machen;
die Opposition wird nicht dafür stimmen . Und nicht ver-
gessen: Ihr seid in einer Bedenkenträgerhaftung .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Eckhardt Rehberg






(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821518400

Als nächster Redner spricht Johannes Kahrs für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Johannes Kahrs (SPD):
Rede ID: ID1821518500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Lieber Roland,


(Roland Claus [DIE LINKE]: Nicht noch mal!)


wir haben es dir ja schon im Haushaltsausschuss erklärt .
Deswegen hat mich gewundert, dass du die Frage noch
mal aufgeworfen hast . Ich bin aber gerne bereit, es noch
mal zu erklären, insbesondere, weil das, was der Kollege
Rehberg, den ich ja eigentlich sehr schätze, dazu gesagt
hat, nicht angekommen zu sein scheint .


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Was heißt hier „eigentlich“?)


Eckhardt, vielleicht musst du da intensiver pädagogisch
tätig werden . Es sieht ganz so aus, als bliebe mir nichts
anderes übrig, als es auch noch mal zu erklären .

Die 3,5 Milliarden Euro für Bildungsinvestitionen
werden kommen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg . Helmut Heiderich [CDU/CSU])


Dafür stehen SPD und CDU/CSU . Das ist wichtig, das
haben wir versprochen, das wollen wir, das wird so sein .
Das haben wir im Haushaltsausschuss erklärt, der Kolle-
ge Rehberg hat es erklärt . Herr Kollege Claus hat gesagt,
er hat es nicht verstanden . Ich habe es jetzt noch mal er-
klärt .

Wir wissen also, dass das Geld kommen wird . Es wird
auch keine Sekunde Verzögerung geben; denn das Geld
kann sowieso erst dann fließen, wenn das Paket zur Neu-
regelung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen beraten
und beschlossen ist, die Grundgesetzänderung inklusive .
Und wir alle wissen, dass das noch ein bisschen dauern
wird . Ob der Bundesrat uns mit dem, was wir hier be-
schließen, durchkommen lässt, weiß auch noch keiner .
Wenn wir dann noch mal eine Runde drehen müssen,
dann ist das so – aber das Geld wird kommen . Deswegen
kann man da ganz entspannt sein . Durch die Debatte hier
und heute verzögert sich gar nichts . Man kann als Op-
position versuchen, es anders darzustellen . Wir haben es
jetzt einfach noch mal erklärt, damit es allen Beteiligten
klar ist .

SPD und CDU/CSU haben 3,5 Milliarden Euro zu-
sätzlich für die Bildungsinfrastruktur finanzschwacher
Kommunen beschlossen . So etwas tun wir nicht zum
ersten Mal;


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


wir haben schon häufig etwas für Kommunen und für
Länder beschlossen . Der Kollege Rehberg lässt keine
Gelegenheit aus, um das zu bejubeln, zu erklären und zu
verdeutlichen . Dafür sind ihm Länder und Kommunen

auch dankbar . Wir alle wissen, dass in den letzten Jahren
nicht nur Mehrausgaben in Höhe von 23 Milliarden Euro
beschlossen worden sind, wie wir es einmal im Koali-
tionsvertrag festgelegt hatten, sondern dass die Bereit-
stellung von deutlich mehr Geld beschlossen wurde – für
den sozialen Wohnungsbau und für viele andere Dinge .
Ich glaube, das kann sich sehen lassen .

Wenn der Opposition als einziger Kritikpunkt ein-
fällt, dass wir nicht hier und heute die Bereitstellung von
3,5 Milliarden Euro beschließen, was gar nicht geht, weil
wir sie erst nach den Grundgesetzänderungen im Paket
beschließen können, dann ist es nicht besonders viel, was
kritisiert wird . Dann müssen wir sehr gut gearbeitet ha-
ben, dann muss diese Große Koalition Großes vollbracht
haben – das haben wir in den letzten vier Jahren . Insofern
fällt uns diese Debatte relativ leicht .

So, nun haben wir uns heute versammelt, weil es – der
Kollege Claus hat es angesprochen – Differenzen in die-
ser Koalition gibt . Lieber Roland, dort SPD, dort CDU
und CSU, alles eigenständige Parteien .


(Roland Claus [DIE LINKE]: Danke!)


CDU und CSU machen nicht alles, was wir wollen, weil
sie eigenständige Parteien sind . Deswegen gibt es Dif-
ferenzen . Das ist gut so . Ich bin Mitglied der deutschen
Sozialdemokratie, ich bin nicht Mitglied der CDU oder
CSU,


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, das merkt man nicht immer!)


und ich bin auch nicht Mitglied einer Partei, die sich Gro-
ße Koalition nennt . Ich schätze den Kollegen Rehberg
sehr, bin aber froh, dass er in der CDU ist;


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Darüber sind wir auch froh!)


denn in der SPD würde er nicht glücklich werden . Des-
wegen, finde ich, ist er dort bei der CDU gut aufgehoben.

Dass wir Differenzen haben, ist nicht nur logisch und
folgerichtig, man kann das sogar wählen . Das haben
auch viele Menschen in unserem Land getan . Dass wir
uns einigen müssen, ist genauso logisch . Das nennt sich
Demokratie . Gelebte Demokratie besteht darin, dass man
sich einigt .


(Dr . Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann macht das doch!)


Jetzt haben wir hier ein echtes Luxusproblem . Das Lu-
xusproblem besteht darin, dass wir am Ende aller Tage
12,3 Milliarden Euro übrig haben, und man kann sich
jetzt überlegen, was man mit diesen 12,3 Milliarden Euro
macht . Und dass man sich darüber unterhält, halte ich für
vollkommen in Ordnung .

Die 12,3 Milliarden Euro kann man auf der einen Seite
nutzen – so will es die CDU/CSU; zumindest zu einem
großen Teil –, um Schulden zurückzuzahlen . Wir Haus-
hälter finden Schulden zurückzahlen eigentlich ganz sym-
pathisch . Auf der anderen Seite kann man aber auch Geld
investieren . Die CDU/CSU erklärt uns immer wieder, wir
müssen die Investitionsquote in unserem Land steigern,
wenn ich mich recht erinnere; ich kann aus der einen oder






(A) (C)



(B) (D)


anderen Rede zitieren . Die CDU/CSU sagt immer, wir
müssen mehr in die Verkehrsinfrastruktur investieren .
Ich könnte jetzt aus den Reden vieler Ministerinnen und
Minister von unionsgeführten Ministerien zitieren, in de-
nen sie geäußert haben, wo sie Geld investieren würden .
Dass der Kollege Spahn so übellaunig dreinschaut, liegt
daran, dass er als Staatssekretär im Bundesfinanzministe-
rium das Geld ohnehin ungerne ausgibt .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber er hat nun einmal ein paar andere Kolleginnen und
Kollegen da vorne sitzen, insbesondere die von der Uni-
on, die das Geld gerne ausgeben würden .

Wir als SPD haben gesagt: Wir machen in dieser Le-
gislaturperiode keine neuen Schulden . Das hat auch ge-
klappt . Das liegt daran, dass wir Sozialdemokraten mit
der CDU/CSU regieren .


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh! Oh!)


Als Sie mit der FDP regiert haben, haben Sie dreistelli-
ge Milliardensummen an Schulden gemacht . Also man
merkt: Geht es um Geld, fragt man die SPD .


(Beifall bei der SPD – Dr . Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Märchenstunde im Parlament!)


In diesem Fall ist es so: Wir Sozialdemokraten haben die
Schuldenbremse mit der CDU/CSU in der letzten Großen
Koalition durchgesetzt, dann hat die Union vier Jahre ge-
schwächelt,


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


aber dann kamen wieder wir .


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Johannes!)


Seitdem wurden keine neuen Schulden gemacht . Dafür
ist uns die Union dankbar, jedenfalls die Haushälter der
Union; denn diese Unterstützung hatten sie bei der FDP
nicht .

Jetzt ist es so, dass wir uns vorstellen können, dass ein
großer Teil dieser 12,3 Milliarden Euro für Investitionen
ausgegeben wird . Ich glaube, das ist eine gute Sache . Wir
glauben, dass man gemeinsam mit den Kommunen und
den Ländern dafür sorgen sollte, dass die Schulen vor
Ort saniert werden . Wir sollten uns um Universitäten, um
Turnhallen und um Internetanschlüsse kümmern .


(Beifall bei der SPD)


Ich glaube, dass unser Land wirtschaftlich erfolgrei-
cher ist, dass die Menschen in unserem Land glücklicher
sind, dass es sozial gerechter wäre, wenn


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Wenn Schulden gemacht werden, Herr Kahrs!)


wir uns um die Infrastruktur in unserem Land kümmern .
Ich kann nicht glauben, dass die CDU/CSU das anders
sieht, dass sie weniger Geld für Investitionen in das
Handwerk, in Schulen und Universitäten ausgeben will .

Dass wir uns in dieser Großen Koalition die Freiheit
nehmen, über dieses Thema zu diskutieren, halte ich nicht
für falsch, sondern es kann zu einem Erkenntnisgewinn

bei uns Sozialdemokraten kommen, es kann aber auch zu
einem Erkenntnisgewinn bei CDU/CSU kommen .


(Dr . Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es muss aber nicht! Es kann nur sein!)


Zeit verlieren wir auch nicht, weil wir erst einmal Grund-
gesetzänderungen beschließen müssen . Und deswegen
ist es gut, dass wir hier streiten .


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe da wenig Vertrauen!)


In einer Demokratie gehört das zum Wesenskern . Ich per-
sönlich glaube: Universitäten, Schulen und Kindergärten
sind der Aufregung – auch bei der Opposition – und aller
Mühen wert .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war gerade „Nachtgeschichten mit Johannes Kahrs“!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821518600

Sven-Christian Kindler hat für die Fraktion Bünd-

nis 90/Die Grünen jetzt das Wort .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Kollege Rehberg und Kollege Kahrs haben
haarscharf am Thema vorbeigeredet .


(Johannes Kahrs [SPD]: Hallo?)


Man muss sich noch einmal in Erinnerung rufen, um
was es eigentlich geht . Die Große Koalition berät in zwei-
ter Lesung einen Nachtragshaushalt . Die Debatte wird
nicht abschließend sein und der Nachtragshaushalt wird
an den Ausschuss zurücküberwiesen . Die Große Koali-
tion kann sich über einen zentralen haushaltspolitischen
Aspekt – es geht darum, zu klären, wie man einen Über-
schuss verwendet – nicht einigen . Man hat sich wochen-
lang gestritten und ist noch immer zu keinem Ergebnis
gekommen. Ich finde, man muss sich die ganze Tragwei-
te dieses Vorgangs einmal vorstellen . In dieser zentralen
haushaltspolitischen Frage ist die Koalition nicht mehr
handlungsfähig . Ich nenne das Arbeitsverweigerung und
peinlich, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Man muss sich auch noch einmal klarmachen: Es ist ja
eine sehr erfreuliche Situation, dass es einen Überschuss
gibt . Aber was macht diese Große Koalition eigentlich
in den nächsten Wochen und Monaten? Gewählt wird
erst im September . Bis dahin ist diese Bundesregierung
im Amt . Was macht die Regierung eigentlich, wenn es
schwierige Zeiten gibt? Gerade in diesen unsicheren,
schwierigen Zeiten muss man doch Handlungsfähigkeit
zeigen, muss man zeigen, dass man regieren will, dass
man irgendwie zu Entscheidungen kommt . Das macht

Johannes Kahrs






(A) (C)



(B) (D)


die Große Koalition nicht . Ich sage Ihnen: Das ist Ar-
beitsverweigerung, und das muss aufhören, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
enthält eine klare Regelung dazu . § 95 der Geschäftsord-
nung regelt, dass die Beratung eines Nachtragshaushalts
aufgesetzt wird . Nachtragshaushalte dürfen eben nicht
wochenlang verzögert, sondern müssen zügig beraten
werden .

Und es ist richtig: Das Geld für die Schulsanierung
wird nicht sofort abfließen, weil davon andere Regelun-
gen abhängig sind .


(Petra Rode-Bosse [SPD]: Eben!)


Aber die Frage ist doch: Welches Signal senden wir jetzt,
sendet der Deutsche Bundestag, sendet die Große Koali-
tion, senden CDU/CSU und SPD an die Kommunen, an
die Städte in diesem Land aus? Es gibt viele Probleme
vor Ort . Die Kommunen und Städte leben nicht im Lu-
xus . Da fällt den Schulen der Putz von der Decke, da wird
zu wenig Geld für schnelles Internet im ländlichen Raum
ausgegeben . Wir haben viel zu wenig Geld vom Bund für
die Energiewende, für den Klimaschutz . All diese Pro-
bleme gibt es in den Kommunen ebenso wie zu wenige
bezahlbare Wohnungen . Die Kommunen brauchen Ver-
lässlichkeit, brauchen Planbarkeit, brauchen das klare Si-
gnal vom Bund, dass man jetzt in ihre Zukunft investiert,
dass man Investitionen und den Nachtragshaushalt nicht
noch weiter verzögert .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Johannes Kahrs [SPD]: Hier verzögert niemand etwas!)


Es ist auch richtig: Wir haben Abflussprobleme, weil
wir zu wenig Planungskapazitäten beim Bund, in den
Ländern und Kommunen haben . Wir haben zu wenig
Planerinnen und Planer, wir haben zu wenig Bauinge-
nieurinnen und Bauingenieure . Aber woran liegt das?
Das liegt eben daran, dass diese Bundesregierung keine
langfristige Investitionsstrategie hat, dass sie immer eine
Zickzackinvestitionspolitik – nach Kassenlage – macht .
Wenn in den vergangenen Jahren mehr Geld da war, wur-
den neue Investitionsprogramme aufgelegt, aber insge-
samt wurde das Investitionsniveau nicht wesentlich er-
höht . Im Gegenteil: Im Finanzplan bis 2020 fällt es auf
9 Prozent ab . In Anbetracht dieser Lage haben Länder und
Kommunen keine Verlässlichkeit und stellen keine neuen
Mitarbeiter ein, weil sie nicht wissen, ob vom Bund auch
dauerhaft Geld kommt . Genau dieses Signal der Verzö-
gerung setzen Sie mit dem Nachtragshaushalt wieder . Sie
lassen Kommunen und Städte bei den Investitionen im
Regen stehen, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Petra Rode-Bosse [SPD]: Ja, natürlich!)


Wir haben vorgeschlagen, wie man das ändern kann .
Man muss den Kommunen und Ländern für die nächs-
te Legislaturperiode und für die Zeit bis 2025 deutlich
machen, dass wir einen dauerhaften und langfristigen In-

vestitionsplan vom Bund für die sozialökologische Mo-
dernisierung Deutschlands wollen .

Wir haben zwei Vorschläge unterbreitet . Der eine ist:
Wir müssen dafür sorgen, dass unser öffentliches Vermö-
gen nicht weiter schmilzt . Das wollen wir dadurch errei-
chen, dass im Haushalt endlich ehrlich bilanziert wird,
was an Vermögen da ist . Und wir wollen, dass Vermö-
gensverlust verhindert wird, indem die Abschreibungen
durch Neuinvestitionen ausgeglichen werden . Dafür set-
zen wir uns ein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens sagen wir: Uns ist es auch sympathisch,
Schulden abzubauen . Aber in einer Situation, wo wir ein
so großes Investitionsdefizit und einen Vermögensverlust
haben, wollen wir auch versteckte Schulden abbauen .
Wir wollen in die Zukunft investieren . Deswegen sagen
wir: Wir wollen einen Zukunftsfonds, der den Über-
schuss langfristig sichert, um in die Zukunft zu inves-
tieren: in Klimaschutz, in gute Bildung, in bezahlbare
Wohnungen . Das muss jetzt genutzt werden, liebe Kol-
leginnen und Kollegen, und dafür müssen wir heute den
Nachtragshaushalt abschließen und endlich Planbarkeit,
Verlässlichkeit für die Kommunen und Städte in diesem
Land schaffen .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821518700

Als letzter Redner in dieser Debatte hat Alois Rainer

das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Alois Rainer (CSU):
Rede ID: ID1821518800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wer hätte zu Beginn dieser Legislaturperiode
gedacht, dass wir jetzt – fast an ihrem Ende – dastehen
und über einen Nachtragshaushalt sprechen, einen Nach-
tragshaushalt im positiven Sinne . Ich kenne das Problem
nur zu gut, dass man aus Nachtragshaushalten hätte in-
vestieren müssen, aber das Geld nicht zur Verfügung
stand .


(Petra Rode-Bosse [SPD]: Ja!)


Wir sind in der glücklichen Lage, in der luxuriösen Lage,
darüber sprechen zu können, wie wir das Geld verwen-
den, das im letzten Jahr erwirtschaftet worden ist .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zu
Beginn Folgendes sagen: Auch wenn man nicht will, dass
zu viel Zeit ins Land geht, sondern schnell vorankom-
men möchte, muss es erlaubt sein, über die Verteilung
von 6,2 Milliarden Euro eine Woche, zwei Wochen oder
auch drei Wochen länger zu diskutieren . Es geht nämlich
um richtig viel Geld .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir stecken jetzt 3,5 Milliarden Euro zusätzlich in
den Kommunalinvestitionsförderungsfonds . Wir hatten
ja bereits 3,5 Milliarden Euro in diesen Fonds gesteckt,

Sven­Christian Kindler






(A) (C)



(B) (D)


und jetzt kommen 3,5 Milliarden Euro hinzu, was sinn-
voll ist; das ist unstrittig und heute schon gesagt worden .
Man muss aber auch ganz klar sagen: Zuständig für eine
angemessene Finanzausstattung der Kommunen sind die
Länder . Wir nehmen diese zusätzliche Aufgabe an und
investieren nicht nur 3,5 Milliarden Euro, sondern ins-
gesamt 7 Milliarden Euro . Ich freue mich darüber und
hoffe, dass viele Kommunen dieses Angebot annehmen
und die zweiten 3,5 Milliarden Euro schneller abgerufen
werden als die ersten 3,5 Milliarden Euro; denn der Mit-
telabfluss verläuft ja stockend.

Wenn man über Investitionen in den Straßenver-
kehr oder andere Bereiche spricht, sollte man auch da-
ran denken, dass wir in manchen Bereichen momentan
zu viel Geld zur Verfügung stellen, so viel, dass es gar
nicht abfließen kann. Deshalb ist es meines Erachtens
richtig, notwendig und generationengerecht, zumindest
einen großen Teil des Geldes, das in der Rücklage steckt,
für die Tilgung zu verwenden oder als zweckgebunde-
ne Rücklage zu deklarieren, um zu einem späteren Zeit-
punkt – es läuft ja nicht immer so gut wie jetzt – daraus
Geld entnehmen zu können .

Mein Favorit ist aber ganz klar – das sage ich ehrlich –
die Schuldentilgung;


(Beifall bei der CDU/CSU)


denn wir werden nicht in jedem Jahr in einer so guten Si-
tuation sein wie in diesem Jahr . Darüber lässt sich tunlich
und trefflich streiten. Es ist ja auch okay, in einer Großen
Koalition, generell in einer Koalition unterschiedlicher
Meinung zu sein . Liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Opposition, es ist auch okay, wenn auch Sie eine an-
dere Meinung haben .


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielen Dank!)


Das ist gelebter Parlamentarismus .

In diesem Sinne freue ich mich auf die Diskussionen,
auf diese Luxusdiskussionen, die wir im Ausschuss füh-
ren werden, und wünsche Ihnen noch einen angenehmen
Abend .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821518900

Damit schließe ich die Aussprache .

Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD haben
beantragt, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaus-
haltsplan für das Haushaltsjahr 2016 auf den Drucksa-
chen 18/10500 und 18/10807 zur weiteren Beratung
an den Haushaltsausschuss zurückzuüberweisen . Wer
stimmt für den Antrag auf Rücküberweisung? – Wer
stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist
der Antrag mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen der Opposition angenommen worden . Damit
wird der Gesetzentwurf an den Haushaltsausschuss zu-
rücküberwiesen .

Somit hat sich die von der Fraktion Die Linke bean-
tragte Teilung der Frage erledigt . Auch über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
stimmen wir heute nicht ab .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:

Beratung der Antwort der Bundesregierung auf
die Große Anfrage der Abgeordneten Inge Höger,
Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE

Erfahrungen aus 14 Jahren „Krieg gegen den
Terror“ –Eine Bilanz in Irak, Afghanistan, Pa­
kistan

Drucksachen 18/7991, 18/10364

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall . Dann ist das so
beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Als erste Rednerin in die-
ser Aussprache hat Inge Höger für die Fraktion Die Linke
das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Inge Höger-Neuling (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821519000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der von

Ihnen als „Krieg gegen den Terror“ bezeichnete Krieg ist
gescheitert . Er hat viele Menschen das Leben gekostet
und den Terror nicht besiegt, sondern nach Europa ge-
holt .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Seltsame Schlussfolgerung!)


Am letzten Sonntag starben in Mosul im Irak 14 Men-
schen, darunter sieben Kinder und vier Frauen . Verant-
wortlich für den Tod dieser Zivilistinnen und Zivilisten
sind die Bomben der Anti-IS-Koalition . Die Toten stehen
beispielhaft für die unzähligen und ungezählten Toten,
die den Kriegen der USA und der NATO zum Opfer fie-
len und fallen . Bomben bringen keinen Frieden .


(Beifall bei der LINKEN)


Seit 2001 ist die Bundeswehr an dem sogenannten
Krieg gegen den Terror in Afghanistan beteiligt . Auch
nach 15 Jahren ist kein Ende dieses Krieges in Sicht .
Der Krieg gegen den Terror wurde ständig ausgeweitet:
auf den Irak, Mali und Syrien . Alle diese Kriege haben
viel Zerstörung, Leid, Verzweiflung und Wut verursacht.
Da fällt es ideologischen Brandstifterinnen und Brand-
stiftern nicht schwer, Unterstützer zu rekrutieren . Die
USA waren 2003 in den Irak einmarschiert, um Saddam
Hussein zu stürzen . Das Entstehen des IS ist eine direkte
Folge des Irakkrieges . Beenden Sie alle Auslandseinsätze
der Bundeswehr!


(Beifall bei der LINKEN)


Wir haben die Bundesregierung nach den Ergebnissen
von 15 Jahren Krieg gegen den Terror gefragt . Wir woll-

Alois Rainer






(A) (C)



(B) (D)


ten wissen, was sie über die zivilen Opfer der brutalen
westlichen Interventionen in Afghanistan, im Irak und
in Pakistan weiß . Die Antwort zeigt ein erschreckendes
Maß an Unkenntnis über die Folgen ihrer Auslandsein-
sätze . In den Antworten gibt es keinen Angriffskrieg und
keinen Regime Change im Irak . Es gibt keine Bombar-
dements in Afghanistan und keinen Drohnenkrieg in Pa-
kistan . Über die wahren geostrategischen Ziele der Krie-
ge, den Zugang zu Rohstoffen und Absatzmärkten, wird
sowieso nichts gesagt . Die Bundesregierung weiß nichts
über indirekte Kriegsfolgen, nichts über zerstörte zivile
Infrastruktur und wenig über zivile Opfer . Wer so wenig
weiß, der will nichts wissen .


(Beifall bei der LINKEN)


Die kritische Ärzteorganisation IPPNW hat sich der
Aufgabe angenommen, vor der die Regierung sich ge-
drückt hat . IPPNW hat in einer Studie systematisch und
wissenschaftlich fundiert untersucht, wie viele Menschen
direkt und indirekt an den Folgen des Krieges gegen den
Terror gestorben sind . Vertreter der IPPNW sitzen oben
auf der Zuschauertribüne und verfolgen unsere Debatte .


(Beifall bei der LINKEN)


Sie kamen für die ersten zehn Jahre in vorsichtigen Ab-
schätzungen auf eine Größenordnung von insgesamt
etwa 1,3 Millionen Todesopfern .

Das kann niemand mehr rückgängig machen; aber
die Verantwortung gegenüber den Überlebenden kann
Deutschland übernehmen . Dazu gehört ein sofortiger
Stopp der Abschiebungen nach Afghanistan und in den
Irak .


(Beifall bei der LINKEN)


Afghanistan ist kein sicheres Herkunftsland . Das Aus-
wärtige Amt warnt dringend vor Reisen nach Afghanis-
tan . Im November hat ein Anschlag auf das deutsche Ge-
neralkonsulat in Masar-i-Scharif stattgefunden . Anfang
Januar kamen erneut 50 Menschen bei Anschlägen in
Kabul ums Leben . Bei Spiegel Online kann man schnell
eine Liste der Anschläge und Opferzahlen des letzten
Jahres finden. Derweil kostet der Kampf um Mosul viele
Todesopfer, und niemand schaut hin oder berichtet da-
rüber .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Man muss den IS gewähren lassen!)


Im Zusammenhang mit Mosul wird nur über den Fort-
schritt der Eroberung berichtet, nicht über das Schicksal
der Menschen . Auch wenn weit über 100 000 Menschen
flüchteten, sind immer noch bis zu 1,5 Millionen in der
Stadt . Die Lage der Eingeschlossenen ist katastrophal,
und die Zahl der zivilen Opfer durch die Bomben der
Koalition und die Angriffe der irakischen Bodentruppen
ist hoch .

Es ist an der Zeit, dass die Bundesregierung eine Bi-
lanz über die Konsequenzen der deutschen Beteiligung
am verfehlten Antiterrorkrieg zieht .


(Beifall bei der LINKEN)


Richten Sie eine unabhängige Untersuchungskommissi-
on ein, stoppen Sie die Unterstützung des Drohnenkriegs,

schließen Sie Ramstein, holen Sie die Bundeswehr aus
Afghanistan, dem Irak, der Türkei und Mali zurück!


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821519100

Roderich Kiesewetter hat als nächster Redner für die

CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Roderich Kiesewetter (CDU):
Rede ID: ID1821519200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren und interessierte
Zuschauer! Zunächst möchte ich ein Riesenkompliment
angesichts dieser Aktuellen Stunde aussprechen – ich
merke, auf der linken Seite wird es ganz still –:


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Es ist keine Aktuelle Stunde!)


natürlich nicht der Linkspartei, sondern der Bundesre-
gierung . Ich habe selten eine Große Anfrage erlebt, die
mit einer solchen Akribie – es sind auf über 260 Seiten
Antworten auf über 100 Fragen – äußerst sorgfältig bear-
beitet wurde . Dafür ein Riesenkompliment!


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich will das auch ausführen .

Was uns heute hier präsentiert wurde, liebe Kolle-
gin Höger, war ein verzerrender Ausschnitt aus diesen
260 Seiten, und das Bedauerliche ist, dass Sie den Ein-
druck vermitteln, dass wir hier – wie soll ich sagen? –
Kriege unterstützen . Dabei geht es um etwas völlig an-
deres .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821519300

Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?


Roderich Kiesewetter (CDU):
Rede ID: ID1821519400

Seit wann werden denn bei Aktuellen Stunden Zwi-

schenfragen zugelassen?


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist gar keine Aktuelle Stunde!)


– Dann, Frau Höger, können Sie Ihre Frage stellen . Viel-
leicht ist es auch für Sie interessant, was ich gleich sage .


Inge Höger-Neuling (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821519500

Vielen Dank, Herr Kiesewetter . – Sie haben gesagt, die

Bundesregierung hätte akribisch die Folgen ihrer Kriege
untersucht . Was halten Sie denn von der Antwort auf die
Frage nach zivilen Opfern, wenn da Folgendes steht?

Die Bundesregierung führt keine eigenen quantita-
tiven Studien und Statistiken zu Opfern in Ländern,
in denen die Bundeswehr militärisch beteiligt ist .

Die Bundesregierung hat aber auch nicht versucht,
wissenschaftliche Untersuchungen in Auftrag zu geben
oder dies anderweitig abzufragen . So geht das in der Stu-
die immer weiter: zu Irak und Afghanistan – keine eige-
nen Erkenntnisse zu indirekten Opfern der Kriegsfolgen .

Inge Höger






(A) (C)



(B) (D)


Es werden also keine Opfer gezählt, keine zerstörten
Häuser gezählt, keine zerstörte Infrastruktur dokumen-
tiert . Nichts darüber ist in der Antwort zu dieser Großen
Anfrage enthalten .


Roderich Kiesewetter (CDU):
Rede ID: ID1821519600

Ich denke, Frau Kollegin Höger, dass Ihr Ansatz irre-

führend ist . Es sind nicht die Kriege der Bundesregierung,
sondern es sind internationale Einsätze, die die Bundes-
regierung zum Teil nicht zu verantworten hat; wir sind
uns, so glaube ich, alle einig, dass der Krieg im Irak 2003
völkerrechtswidrig war . Es geht jetzt darum, dass die
Bundesrepublik Deutschland Verantwortung übernimmt
und sich in dieser Region sehr stark beim Wiederaufbau
engagiert, aber auch bei der humanitären Hilfe .

Ganz intensiv – das hat mich sehr beeindruckt; schau-
en Sie sich die Antworten auf die Fragen im Umfeld
der Frage 40 und der Frage 100 an – kümmert sich die
Bundesregierung um die Unterstützung traumatisierter
Frauen und traumatisierter Kinder, und dies auch in Pa-
kistan . Allein in Pakistan werden für rund 20 Projekte der
Bundesregierung 177 Millionen Euro ausgegeben, die
wir hier bewilligt haben, um das humanitäre Leid gerade
von Frauen und Kindern, den schwächsten Opfern eines
Krieges, zu lindern . Zudem sind in Pakistan wahrlich
keine deutschen Soldaten im Einsatz .

Gleiches gilt für den übergreifenden humanitären An-
satz der Bundesregierung in Afghanistan, wo intensiv in
Schulen, in Krankenhäuser, in Infrastruktur investiert
wird. Ich will Ihnen nicht auflisten, wie es im Jahr 2000
in Afghanistan aussah und was mit viel militärischer Ab-
sicherung und noch mehr Unterstützung in der Entwick-
lungszusammenarbeit dort erreicht wurde .

Ich will Ihnen aber eines verdeutlichen: Gerade im
Irak hat das Wirken der Bundesregierung dazu beigetra-
gen, dass die Peschmerga unterstützt werden . Sie haben
im Norden des Irak über 1,8 Millionen Flüchtlinge, Män-
ner und insbesondere Frauen und Kinder, aufgenommen .
Dieser humanitäre Schutz, der nicht hätte gewährleistet
werden können, wenn die Peschmerga dort nicht gehol-
fen hätten und wenn sie nicht militärisch unterstützt wor-
den wären, um den IS zu bekämpfen, ist eine wesentliche
Leistung, ein Beitrag, den die Bundesrepublik Deutsch-
land zusammen mit Partnern übernommen hat .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deswegen führt Ihr Ansatz in die Irre . – Herzlichen
Dank, Frau Höger, für Ihre Frage .

Ein weiterer Punkt führt auf die Ebene, wohin wir die
Diskussion führen sollten . Die 260 Seiten zeigen sehr
deutlich, wie der übergreifende Ansatz einer neuen Si-
cherheitspolitik Deutschlands funktioniert . Auch wir
haben ja gelernt . Auch die Bundesrepublik Deutschland
ist nicht mit dem ganzheitlichen Ansatz, den Minister
Jung seinerzeit entwickelt hat, auf die Welt gekommen,
sondern die Bundesrepublik Deutschland hat seit dem
Jahr 2014 mehr Verantwortung in Partnerschaft in der
Region übernommen .

Ich will das deutlich machen:

Erstes Beispiel . Das Minsker Abkommen war eine
europäische Leistung der Bundeskanzlerin und des Au-
ßenministers zusammen mit Frankreich, und zwar gegen
den Willen des US-Senats und des US-Kongresses, die
eine Bewaffnung der Ukraine wollten . Das wollten wir
nicht . Wir haben sehr deutlich gemacht, dass es darum
geht, auf keinen Fall mit einer Militarisierung zu antwor-
ten, sondern mit einer zivilgesellschaftlichen Stärkung
der Ukraine und mit Verhandlungen, die letztlich zum
Minsker Abkommen geführt haben, liebe Kolleginnen
und Kollegen .

Ein zweites Beispiel . Es war die Bundesrepublik
Deutschland mit unserem Außenminister, den wir heu-
te verabschiedet haben, die einen großen Beitrag dazu
geleistet hat, dass das Iran-Abkommen rechtzeitig ge-
nug abgeschlossen wurde, damit es nicht zu präventiven
Maßnahmen von Mächten in der Region kommt . Sie hat
dafür gesorgt, dass der Iran eingelenkt und sich zumin-
dest für die nächsten zwölf Jahre einem Kontrollregime
unterzogen hat . Dass wir es hätten besser machen können
oder dass es hätte anders kommen können, wissen auch
wir . Aber wir haben das Bestmögliche daraus gemacht .

Ein drittes Beispiel für dieses übergreifende Engage-
ment ist, dass sich die Bundesrepublik Deutschland in
Genf intensiv für Verhandlungen mit Syrien eingesetzt
hat . Es ist ein Erfolg der deutschen Außenpolitik, dass
Saudi-Arabien und der Iran gemeinsam mit Russland und
vielen anderen an einem Tisch saßen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Niels Annen [SPD])


Dass das sehr zäh ist und wir uns mehr Verantwortung
für Europa wünschen, ist doch klar . Aber unser Vorgehen
zeigt, dass sich die Bundesrepublik Deutschland nicht
isolieren und sich – sei es auch nur in Ansätzen – nicht zu
militärischen Alleingängen oder Sonderwegen verleiten
lässt . Es zeichnet sich auch ab, dass durch die Verant-
wortung, die wir in den letzten Jahren erlernen mussten,
drei wichtige Eckpfeiler unserer Außenpolitik im militä-
rischen Bereich fest verankert sind:

Erstens . Wir handeln nie alleine . Deutschland unter-
nimmt keine Alleingänge, es sei denn, es geht um den
Schutz deutscher Staatsbürger, die wir evakuieren müs-
sen .

Zweitens . Wir handeln immer auf rechtlich einwand-
freier Grundlage . Darüber können wir debattieren, da-
rüber tauschen wir uns intensiv aus, und da kann man
unterschiedlicher Auffassung sein . Aber das Leitziel,
möglichst auf Grundlage eines Mandats des VN-Sicher-
heitsrates, zumindest aber im Einklang mit Artikel 24
Absatz 2 des Grundgesetzes vorzugehen – künftig mög-
licherweise auch im Einklang mit Artikel 87 des Grund-
gesetzes –, ist für uns bindend .

Drittens – das ist eine Lehre aus unserer Geschichte,
die uns sehr nachdenklich stimmen sollte –: Wir wollen
Militär nur dann einsetzen, wenn es der Gewährleistung
von Sicherheit dient und wenn das militärische Handeln
in ein übergreifendes sicherheitspolitisches Konzept ein-
gebettet ist . Deswegen haben wir uns nicht unmittelbar

Inge Höger






(A) (C)



(B) (D)


am Libyen‑Konflikt und seinerzeit, unter einer anderen
Konstellation, auch nicht direkt im Irak beteiligt .

Es muss künftig darauf ankommen, dass die Bun-
desrepublik Deutschland in der Europäischen Union
Verantwortung in Partnerschaft übernimmt . Wir dürfen
nicht isoliert werden und müssen alles tun, damit Europa
gegenüber der neuen Trump-Administration in den USA
gemeinsam agiert, und zwar deshalb, damit die USA er-
kennen: Nur ein gemeinsames transatlantisches Handeln,
ein Handeln auf einer Wertegrundlage bzw . einer regel-
basierten Grundlage wird den Frieden in der Welt erhal-
ten, nicht aber Deals .

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821519700

Ich will klarstellen, dass wir hier keine Aktuelle Stun-

de durchführen .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Roderich Kiesewetter [CDU/ CSU]: Ich habe versucht, sie von der Frage abzuhalten!)


Wir debattieren eine Große Anfrage, lieber Kollege
Kiesewetter . Zudem liegt ein Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke zu dieser Großen Anfrage vor . Na-
türlich ist es jedem freigestellt, bei einer solchen Debatte
auch eine Zwischenfrage zu stellen .

Jetzt hat der Kollege Omid Nouripour für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort .


Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821519800

Herzlichen Dank . – Frau Präsidentin! Meine Da-

men und Herren! Den Krieg gegen den Terror haben
wir verloren . Die Symptome dafür sind offensichtlich:
der Aufstieg von ISIS, der globale Dschihadismus, die
Radikalisierung im Inland wie im Ausland . Wir haben
diesen Krieg auch verloren, weil wir eine grundlegende
Verschiebung unserer politischen Werte und der Mittel in
Kauf genommen haben: Aufweichung des Völkerrechts
und der Rechtsstaatlichkeit, illegale Tötungen, so viel
Überwachung wie noch nie .

Wir haben diesen Krieg verloren, aber den Kampf ge-
gen den Dschihadismus und den Terrorismus müssen wir
natürlich fortsetzen . Das Entscheidende dabei ist, dass
wir begreifen, dass wir diesen Kampf in erster Linie mit
anderen Mitteln führen müssen, als dies in den letzten
16 Jahren geschehen ist .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Dr . Ute Finckh-Krämer [SPD] – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Und das sagt ein Grüner!)


Ja, dazu gehören alle Mittel des Rechtsstaates, und ja,
dazu kann im Extremfall auch der Einsatz des Militärs
gehören, wenn auf andere Art und Weise keine Rahmen-
bedingungen für politische Lösungen geschaffen werden
können .

Ich bin sehr dankbar, dass wir heute die Möglichkeit
haben, über die Bilanz des Krieges gegen den Terror zu
sprechen . Weniger dankbar bin ich für den Antrag, den
Sie gestellt haben, verehrte Kolleginnen und Kollegen
der Linken, weil er uns substanziell nicht weiterbringt .

Es ist richtig, zu benennen, dass es einen verheerenden
Krieg im Irak gegeben hat, dass es in Afghanistan eine
falsche Strategie gegeben hat; aber alle Probleme in Pa-
kistan, im Irak und in Afghanistan auf den Krieg gegen
den Terror zu schieben, ist doch, mit Verlaub, ein wenig
hanebüchen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir müssen viel grundsätzlicher ansetzen . Wir müssen
hinterfragen, was das Reden vom Krieg, vom dauernden
Ausnahmezustand eigentlich bedeutet und was es mit uns
macht . Es ist mittlerweile Standardrhetorik in den USA,
in Frankreich, England und leider auch beim Innenmi-
nister des Saarlandes, vom „Krieg gegen den Terror“ zu
sprechen .


(Zuruf des Abg . Dr . Franz Josef Jung [CDU/ CSU])


Aber wer so denkt, treibt einen Keil in unsere Gesell-
schaft, das sieht man an den Trumps, Le Pens und Gau-
lands dieser Tage .

Meine Damen und Herren, unsere Werte, die wir –
zu Recht – im Kampf gegen den Terror verteidigen und
verteidigen müssen, und zwar so dringend wie noch nie,
verbieten es, Menschen wegen ihrer Ethnie oder ihrer
Religion zu diffamieren oder zu benachteiligen . Deshalb
muss ganz klar gesagt werden: Ein Krieg gegen den Is-
lam und gegen Muslime ist ein Krieg gegen unsere eige-
nen Werte .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir können den Kampf gegen den Terror nur gewin-
nen, wenn wir ihn mit unseren Werten führen und nicht
gegen sie . Abu Ghuraib oder Guantánamo müssen uns
eine Mahnung sein . Diese schlimmen Fälle des Werte-
verfalls des Westens waren immer wieder ein Einfalls-
tor für extremistische Demagogen . Deshalb ist es umso
wichtiger, dass wir keinen Graben zwischen Religionen
ziehen . Wir brauchen den Schulterschluss zwischen De-
mokratinnen und Demokraten . Der Graben verläuft zwi-
schen der Demokratie und ihren Freunden auf der einen
Seite und ihren Feinden auf der anderen Seite .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Dr . Ute Finckh-Krämer [SPD])


Daher stellt sich schon die Frage, was die Bundesre-
gierung eigentlich aus den Fehlern der letzten 16 Jahre
gelernt hat. Warum befinden wir uns eigentlich noch in
einem Ausnahmezustand? Warum ist der NATO-Bünd-
nisfall, der wegen 9/11 ausgerufen worden ist, immer
noch nicht beendet? Warum gehen Sie nicht konsequent
gegen destabilisierende, autoritäre Partner vor, die ihre
Gesellschaften spalten und radikalisieren? Warum be-

Roderich Kiesewetter






(A) (C)



(B) (D)


kommt Saudi-Arabien Waffen für einen Krieg im Jemen,
von dem nur die al‑Qaida profitiert? Warum solidarisiert
sich die Bundesregierung mit einem Diktator namens
el-Sisi, der nicht nur Tausende Oppositionelle in den
Kerker wirft, sondern der auch den politischen Islam in
seinem Land systematisch radikalisiert? Warum beehrt
die Bundesregierung einen solchen Mann mit einem
Staatsbesuch und mit Lobesworten?

Wir müssen den Kampf gegen den Terror entschlos-
sen führen . Wir können diesen Kampf auch gewinnen .
Aber das ist – das müssen wir zugeben – nicht immer
bequem . Es gibt einen harten Weg zu gehen . Nicht alle
Maßnahmen, die man ergreift, sind erfreulich, aber es
muss immer rechtsstaatlich sein und auf der Wertegrund-
lage unserer Demokratie geschehen . Um das hinzube-
kommen, muss man endlich aus den Fehlern der letzten
Jahre lernen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821519900


Als nächster Redner spricht Nils Annen von der
SPD-Fraktion .


Niels Annen (SPD):
Rede ID: ID1821520000


Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Meine sehr verehr-
ten Damen und Herren! Wir Sozialdemokratinnen und
Sozialdemokraten stehen für einen starken, wehrhaften
Staat . Ich denke, es gibt einen Zusammenhang mit dem
Thema, das wir heute diskutieren .

Die letzten zwei Jahre haben uns zum Teil sehr
schmerzhaft vor Augen geführt, dass wir auch auf un-
serem Kontinent, in unserem eigenen Land vom Terro-
rismus bedroht sind . Paris, Brüssel, Nizza, Istanbul und
natürlich der schreckliche Anschlag in Berlin haben das
gezeigt . Im Kampf gegen den internationalen Terroris-
mus geht es deshalb natürlich auch um unsere eigene Si-
cherheit .

Aber ich glaube, durch die ausführliche Antwort der
Bundesregierung auf Ihre Große Anfrage ist auch deut-
lich geworden: Die einseitige Ausrichtung auf militä-
rische Instrumente war ein Fehler . Und es war ein gra-
vierender Fehler von George W . Bush, dem ehemaligen
amerikanischen Präsidenten, dass er eine Politik vertre-
ten hat, die unsere eigenen westlichen Werte zum Teil
infrage gestellt hat . Die Stichworte „Guantánamo“ und
„Abu Ghuraib“ sind genannt worden .

Das will ich auch hier noch einmal unterstreichen, zu
einer Stunde, in der in Washington vom neuen amerika-
nischen Präsidenten Trump darüber gesprochen wird,
wieder Folter, zum Beispiel Waterboarding, einzusetzen .


(Dagmar Freitag [SPD]: Unglaublich!)


Wenn das der Weg ist, dann wird dieser Kampf gegen
den internationalen Terrorismus, den wir gemeinsam
auf einer gemeinsamen Wertegrundlage führen müssen,

nicht erfolgreich sein können . Deswegen sind wir über
diese Entwicklung mehr als besorgt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Die Themen, die in der Großen Anfrage angesprochen
werden, beziehen sich auf eine Reihe von Ländern . Des-
wegen will ich hier den Irak noch einmal hervorheben .

Man muss daran erinnern, dass es damals, 2003, die
richtige Entscheidung von Gerhard Schröder war, sich
gegen diesen Krieg auszusprechen, und zwar nicht nur
gegen den massiven Widerstand aus Washington, son-
dern auch hier in Deutschland – daran darf ich erinnern –
vonseiten der geschätzten Kolleginnen und Kollegen der
CDU/CSU-Fraktion .


(Dagmar Freitag [SPD]: Genau!)


Wir müssen die Ursachen für die Entstehung von Ter-
rorismus noch stärker in den Mittelpunkt rücken . Unge-
rechtigkeiten, Ungleichheit, Diskriminierung, Gewalt-
erfahrungen: Das ist ein idealer Nährboden . Umgekehrt
heißt das aber: Nur in einer inklusiven Gesellschaft, in
der es Partizipationsmöglichkeiten und ökonomische
Chancen gibt, sind die Risiken für eine Radikalisierung
geringer .

Deswegen glaube ich auch, dass es, wenn wir heute
über den Irak sprechen, wichtig ist, darauf hinzuweisen,
dass wir natürlich alle versucht haben, aus Fehlern, die
gemacht worden sind, zu lernen . Deshalb ist es so wich-
tig, dass wir in diesem Parlament Mittel bereitgestellt ha-
ben, um beispielsweise die vom IS befreiten Gebiete im
Irak und hoffentlich bald auch in Syrien schnell mit der
notwendigen Infrastruktur, mit einer guten Gesundheits-
versorgung und mit schnellen Hilfen für die Bevölkerung
versorgen zu können, damit auch dort diese Fehler nicht
noch einmal gemacht werden .

Es geht also um die Prävention von Konflikten und ei-
nen politischen Dialog . Aber auch die Dialogbereitschaft
von Konfliktakteuren muss unterstützt werden. Das al-
les ist richtig . Trotzdem – das gehört zur Ehrlichkeit der
Debatte – wird es auch in Zukunft immer wieder Situa-
tionen geben, in denen neben polizeilichen und zivilen
Maßnahmen eben auch militärische Gewalt notwendig
ist, um den internationalen Terrorismus zu bekämpfen .

Deswegen glaube ich, dass der Weg, sich zu einem
inklusiven Ansatz zu bekennen und einen breiten Instru-
mentenkasten bereitzuhalten, der richtige ist . Ich glaube
auch, dass das aus den Antworten, die die Regierung hier
gegeben hat, hervorgeht .

Ein weiteres Beispiel – wir haben das gerade disku-
tiert – ist der Einsatz in Mali . Es wird gesagt, dort würde
Afghanistan quasi wiederholt . Das Gegenteil ist der Fall .
Der politische Prozess und die Unterstützung bei der Ein-
haltung eines abgeschlossenen Friedensvertrages stehen
im Mittelpunkt unserer Bemühungen . Gleichzeitig wis-
sen wir, dass es Gegner, ja, Feinde dieses Friedensvertra-
ges gibt, die mit militärischer Gewalt versuchen, diesen
Friedensschluss, diesen Versöhnungsprozess in diesem
Land, zu unterminieren .

Omid Nouripour






(A) (C)



(B) (D)


Deswegen machen wir beides: Wir beteiligen uns an
dem politischen Dialog und unterstützen ihn dort, wo
wir das können, mit den Instrumenten, die wir seit der
rot-grünen Bundesregierung geschaffen haben, aber wir
sind eben auch dabei, wenn auf der Grundlage eines
Mandates der Vereinten Nationen eine Militärmission
notwendig ist .

Wir tun das in der Überzeugung, die, glaube ich, in den
letzten Jahrzehnten in unserem Land gewachsen und von
Bundesregierungen aller Couleur getragen worden ist,
nämlich dass wir diesen Weg mit Partnern und nicht al-
leine gehen . Gerade in der tiefen Krise des europäischen
Integrationsprojektes und während der Verunsicherung
durch die Wahl von Donald Trump und die unklaren Aus-
sagen zur amerikanischen Bündnisverpflichtung können
sich unsere Partner darauf verlassen, dass wir diesen Weg
gemeinsam gehen . – Ich glaube, das ist die richtige Ant-
wort auf die Herausforderungen .

Eine Rede zu dieser Großen Anfrage wäre wahr-
scheinlich nicht vollständig, ohne auch etwas zu Afgha-
nistan zu sagen . Das ist wahrscheinlich das Land, mit
dem wir uns hier am meisten auseinandergesetzt haben .
Dafür gibt es gute Gründe . Mir bleibt jetzt nicht die Zeit,
eine umfassende Bilanz zu ziehen . Aber in der Zusam-
menfassung fällt natürlich die Bilanz des internationalen
Afghanistan-Einsatzes ernüchternd aus .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sie können auch „desaströs“ sagen!)


Das ist gar keine Frage . Es verbleiben große Probleme .

Meine Damen und Herren, wir verschweigen aber
auch nicht die Rückschläge, die es gegeben hat . Wir ver-
schweigen nicht die verbleibenden Probleme . Meine Bit-
te, gerichtet an die Linksfraktion, ist: Verschweigen Sie
auch nicht die Fortschritte, die wir erreicht haben .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg . Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich meine die Fortschritte gerade für die Menschen in
diesem Land, die in den großen Städten wieder die Mög-
lichkeit haben, ein einigermaßen verlässliches Leben zu
führen und ihre Kinder in die Schulen zu schicken; Städ-
te, in denen es wieder Universitäten und ökonomische
Bewegungen gibt; Städte, die Perspektiven bieten, die
wir unterstützen müssen .

Es bliebe noch viel zu sagen . Es sind in der Tat viele
auch für unsere Arbeit wichtige Hinweise und Erkennt-
nisse in der Antwort auf diese Große Anfrage zu finden.

Trotzdem will ich Ihnen zum Schluss eines sagen . Ich
habe mir zum Beispiel die Frage 90 sehr genau angese-
hen . Da fragen Sie die Bundesregierung:

Welches sind nach Kenntnis der Bundesregierung
aktuell die zehn häufigsten Todesursachen der Be-
völkerung in Pakistan . . .?

Abgesehen davon, dass Sie die Bundesregierung ein
bisschen mit Wikipedia verwechseln, ist es für uns na-
türlich eine unerlässliche Erkenntnis, jetzt zu wissen,
dass die häufigsten Todesursachen in Pakistan Herzin-

farkte, Schlaganfälle, Lungenentzündungen, Durchfal-
lerkrankungen und Raucherlungen sind . Wahrscheinlich
sind Sie doch ein bisschen enttäuscht darüber, dass die
häufigste Todesursache in Pakistan nichts mit amerikani-
schen Drohnenangriffen zu tun hat .


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das ist ja widerlich!)


So viel zur Seriosität Ihrer Fragen .

Ich danke für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821520100

Bevor der Kollege Beyer das Wort erhält, hat Wolfgang

Gehrcke das Wort zu einer Kurzintervention .


Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821520200

Lieber Niels Annen, ich habe hier im Bundestag

14 Jahre darauf gewartet, dass endlich ein Mitglied aus
einer der Regierungsfraktionen sagt: Unsere Regie-
rung hat schwere Fehler gemacht . – Ich habe darauf bei
Schwarz-Gelb, Schwarz-Rot und Rot-Grün gewartet .
Wenn man nicht die Courage hat, auszusprechen, dass
schwere Fehler gemacht wurden, die zusammen 1,3 Mil-
lionen Menschen in diesen vier Ländern das Leben ge-
kostet haben, wenn man nicht die Courage hat, zu sagen:
„Wir haben Schuld auf uns geladen“, wird es schwerfal-
len, Schuld abzutragen .

Ich erwarte von dieser Regierung, dass sie sagt: Wir
haben Schuld auf uns geladen . Wir haben eine falsche
Politik gemacht . Wir haben die Chancen, die in den Ent-
wicklungsprozessen lagen, nicht genutzt . – Ich wäre der
Letzte, der nicht die Fortschritte in Afghanistan, im Ein-
zelnen und im Großen, benennt und lobt, wenn es auf
das Lob ankommt. Ich finde, das wäre ein Weg, auf dem
man sich treffen könnte: Wir reden über das, was es an
Fortschritten gibt .


(Dr . Christoph Bergner [CDU/CSU]: Weit weg von der Wahrheit!)


Ich habe schon früher in Debatten mit dem Kollegen
Kiesewetter immer gesagt: Natürlich muss eine Indust-
rialisierung des Landes erfolgen . Schroffer gesagt: Die
Einführung des Kapitalismus bringt ein Stück weit Be-
freiung mit sich, weil er in solchen Ländern andere Pro-
duktionsbedingungen schafft . Das ist klar . Das können
Sie auch bei Marx lesen . Aber Sie lesen Marx ja nicht
einmal .


(Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Doch!)


Über all das können wir reden . Dazu gehört aber auch,
dass Sie sagen, dass die Konzeption von der Verteidigung
unserer Sicherheit in Afghanistan eine grundfalsche war
und dass man eine grundfalsche Politik betrieben hat .
Das wollen wir hören .

Wir wollen einen politischen Wechsel . Sie wissen
doch ganz genau, dass die Probleme in Afghanistan ohne
eine Kooperation mit China überhaupt nicht zu lösen

Niels Annen






(A) (C)



(B) (D)


sind . Diese Politik wäre notwendig . Man muss mit der
Schanghai-Organisation zusammenarbeiten . Es wäre
doch einmal etwas Neues, wenn unser Land in der UNO
mit anderen Vorstößen käme und eine Veränderung der
Politik mitbetreiben würde .


(Dr . Franz Josef Jung [CDU/CSU]: Kurzintervention ist keine eigene Rede!)


Uns geht es nicht darum, Sie dazu zu bringen, zu sagen:
Wir haben nur Fehler gemacht . – Das können Sie ma-
chen, das können Sie aber auch lassen . Aber ich möchte
eine ehrliche Auflistung.

Nebenbei will ich Herrn Kiesewetter noch sagen:
Wenn man der Regierung das abfordert, was ihre Pflicht
ist – es ist die Pflicht der Regierung, Fragen der Abge-
ordneten zu beantworten –: Wieso soll ich mich für etwas
bedanken, was zur Aufgabe der Bundesregierung gehört?
So devot können Abgeordnete doch nicht sein, dass sie
sich ausdrücklich bedanken, wenn die Regierung einmal
ihrer Pflicht nachkommt. Ich will eine Debatte führen
und die Politik verändern . Ich möchte, dass der Krieg ge-
gen den Terror aufhört; denn das alles schlägt auf unser
Land zurück .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821520300

Herr Annen, Sie haben das Wort zur Erwiderung .


Niels Annen (SPD):
Rede ID: ID1821520400

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Geschätzter Kolle-

ge Gehrcke, ich muss als ehemaliger Bundesvorsitzen-
der der Arbeitsgemeinschaft der Jungsozialistinnen und
Jungsozialisten Ihre Unterstellung, ich hätte Marx nicht
gelesen, zurückweisen .


(Heiterkeit bei der SPD)


Ich will Ihnen gerne noch ein paar andere Dinge zu
Ihrer Kurzintervention sagen . Ich weiß nicht, ob die ver-
meintlich moralisch einwandfreie Position, die Sie dort
einnehmen, und Ihre Erwartung, dass wir uns entschul-
digen, der Situation gerecht werden . Ich weise jetzt Sie
und Ihre Fraktion auch nicht darauf hin, dass ich, seit ich
Abgeordneter dieses Parlaments bin und die politischen
Debatten dieses Parlaments verfolge, von Ihnen noch nie
die Frage – auch nicht an die Bundesregierung – gehört
habe, wie viele Opfer denn der internationale Terroris-
mus – die Taliban, al-Qaida und verbündete Gruppierun-
gen – zu verantworten haben . Sie blenden diesen Aspekt
vollkommen aus .


(Inge Höger [DIE LINKE]: Steht auch hier drin! Hat die Regierung auch nicht beantwortet!)


Ich kann für meine Fraktion und – soweit ich das in
den Jahren, in denen ich in diesem Haus mitarbeiten und
meinen Wahlkreis vertreten darf, verfolgen konnte – für
die anderen Fraktionen sagen: Es gab über kein anderes
Land und keinen anderen Einsatz so viele selbstkritische
Debatten im Deutschen Bundestag wie über Afghanistan .
Ich glaube nicht, dass sich ein Parlament aus den anderen
Ländern, die sich an der ehemaligen ISAF-Mission betei-

ligt haben und heute Mitglied der Resolute-Support-Koa-
lition sind, so selbstkritisch damit auseinandergesetzt hat .

Kollege Gehrcke, Ihnen wird aufgefallen sein, dass
sich der politische Ansatz über die Jahre verändert hat .
Wenn Sie zugehört hätten, wüssten Sie, dass ich bezogen
auf den Einsatz in Mali aufgezeigt habe, welche Lehren
wir aus Afghanistan gezogen haben . Ich glaube, die De-
batten, die Sie führen wollen, führen uns nicht weiter .
Im Interesse der – hoffentlich von uns gemeinsam – be-
klagten Opfer von Anschlägen terroristischer Organisa-
tionen sollten wir kontrovers über die richtigen Instru-
mente und die richtige Mischung sprechen . Wir sollten
uns aber nicht von einem hohen moralischen Podest aus
gegenseitig Ratschläge geben . Das ist der Situation nicht
angemessen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821520500

Da der Kollege Kiesewetter direkt angesprochen wur-

de, hat er die Möglichkeit, zu reagieren .


Roderich Kiesewetter (CDU):
Rede ID: ID1821520600

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Herr Kollege

Gehrcke, Sie haben mich zweimal angesprochen . Ich
möchte nur sehr kurz deutlich machen: Erstens . Es ist
außergewöhnlich, dass die Fragen aus dem Parlament so
umfassend beantwortet werden . Das verdient Anerken-
nung;


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist selbstverständlich!)


denn bei der Beantwortung Ihrer Fragen sind Dutzende
Beamte, Offiziere und Fachleute eingebunden, die ihre
Arbeitszeit auch darauf verwenden müssen, die Vorga-
ben in der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland
umzusetzen . Was wir hier erfahren, ist außergewöhnlich
gut .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Danken Sie doch uns, dass wir die Fragen gestellt haben!)


Zweitens . Das gesamte Thema der Evaluierung wird
von der EU und den Vereinten Nationen umfassend be-
handelt . Wenn Sie die entsprechenden Datenbanken nut-
zen, können Sie sich Ihre Fragen zum Teil selber beant-
worten .

Drittens . Sie tragen Eulen nach Athen, wenn Sie eine
Evaluierung fordern; denn diese gibt es längst .


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, gibt es nicht!)


Bei meinem letzten Punkt geht es um etwas anderes .
Die jetzigen Kurzinterventionen zeigen nicht nur, dass
wir lebhaft debattieren, sondern auch, dass es absolut
notwendig ist, neben den normalen Debatten über ein-
zelne Mandate hin und wieder einmal über die Ebene
darüber, nämlich über die Strategie der Bundesrepublik
Deutschland,


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Gerne!)


Wolfgang Gehrcke






(A) (C)



(B) (D)


die Einbindung in internationale Organisationen sowie
den Sinn und Zweck verschiedener Einsätze, zu debattie-
ren . Vielleicht haben wir in nächster Zeit die Chance, das
wieder aufzugreifen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Können wir zusammen beantragen!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821520700

Jetzt, Herr Beyer, haben Sie das Wort als letzter Red-

ner in dieser Aussprache .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Beyer (CDU):
Rede ID: ID1821520800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben die
lebhafte Debatte verfolgt . Heute Morgen haben wir uns
im Zusammenhang mit den namentlichen Abstimmun-
gen mit einer ähnlichen Thematik auseinandergesetzt .
Deswegen sind schon viele Argumente ausgetauscht
worden . Ich habe mich einmal näher mit dem Entschlie-
ßungsantrag der Linken befasst . Man kann ihn so zusam-
menfassen: Wegducken und Wegschauen . Es scheint das
Motto der Linken zu sein, keine Verantwortung – dieses
Stichwort fiel heute schon sehr häufig in der Debatte – zu
übernehmen und zudem Verbündete, Freunde und Nach-
barn einfach im Stich zu lassen . So ist politische Verant-
wortung nicht umzusetzen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich habe den Eindruck gewonnen, dass bei der Linken
der Glaube vorherrscht, dass das, was man ignoriert, ei-
nem auch nicht gefährlich werden kann . Mit der Realität
hat das freilich gar nichts zu tun . Der Angriff des Terro-
rismus richtet sich auf das westliche Wertefundament, er
zielt ab auf die Freiheit, auf die Demokratie und über-
haupt gegen die ganze Lebensart, wie wir sie hochhalten
und wie wir leben wollen . Dagegen richtet sich der Hass
der Terroristen .

Die Forderung im Entschließungsantrag mutet gera-
dezu naiv an . Ich zitiere: „… die demokratischen und
friedlichen zivilen Kräfte in Afghanistan zu stärken, ins-
besondere Frauenorganisationen …“ .

Haben Sie sich ernsthaft einmal mit dem Frauenbild der
Taliban auseinandergesetzt?


(Inge Höger [DIE LINKE]: Mit den Frauenorganisationen!)


Glauben Sie ernsthaft, wenn wir nur wegsehen, wird es
dort den Frauen irgendwie besser gehen, werden ihnen
mehr Rechte eingeräumt werden oder werden irgendwel-
chen Nichtregierungsorganisationen mehr Möglichkei-
ten gegeben, das Leben der Bevölkerung zu verbessern?
Die Terroristen und die Schergen der Taliban und des IS

brauchen das Leid und die Armut der Menschen . Dieses
bildet ihr Fundament, um ihren Hass zu schüren .


(Inge Höger [DIE LINKE]: Krieg hat den Hass geschürt!)


Terroristen wollen keine Bildung, sie wollen keinen
Wohlstand und keine Demokratie .

Lassen wir ihnen Freiräume und freie Hand, dann er-
geht es den Frauen und den Kindern, der Bevölkerung
insgesamt in diesen Ländern, in denen wir uns engagie-
ren, deutlich schlechter . Unser Engagement – ich schließe
ausdrücklich auch militärisches Engagement ein – muss
aufrechterhalten bleiben . Wir dürfen den Terroristen kei-
ne Freiräume lassen; denn wo diese entstehen, erhöht
sich die Gefahr von perfekt orchestrierten Anschlägen
auch hier bei uns im Lande .

Bei alledem wissen wir natürlich auch, dass es eine
absolute Sicherheit nicht geben kann . Aber es liegt in
unserer Verantwortung – ich benutze dieses Wort erneut
sehr bewusst – als Politiker, es den Terroristen möglichst
schwer zu machen, ihr perfides Handwerk zu vollziehen.
Das erfordert Maßnahmen im Innern und auch bei unse-
rem außenpolitischen Engagement .

Richtig ist auch, soweit und sobald es irgendwie mög-
lich ist, die Verantwortung für die eigene Sicherheit in
die Hände der Länder selbst zu legen, in denen wir uns
engagieren . Wir und unsere Verbündeten sind keine Be-
satzungsmächte in diesen Ländern . Dort, wo es nötig ist,
unterstützen wir allerdings .


(Inge Höger [DIE LINKE]: Sie führen sich aber so auf!)


Die Feststellungen der Linken lesen sich – ich sage
das ohne großen Humor – wie ein Liebesbrief an Dik-
tatoren .


(Zurufe von der LINKEN: Oh!)


Unter Saddam Hussein sah offenbar alles besser aus, in
Syrien unter Assad war offenbar für Sie früher alles bes-
ser und sicherer, als es heute ist .


(Inge Höger [DIE LINKE]: Zumindest durften Frauen dort zur Schule gehen, und die Gesundheitsversorgung war auch besser!)


Fragen Sie doch einmal die Kurden im Norden des Irak!
Jahrzehnte litten sie unter Repressionen, wurden ihre
Dörfer mit Giftgas bombardiert, und Tausende Menschen
mussten sterben .

Auch ich habe den Nordirak besucht . Klar, auch ich
muss feststellen, dass wir zumindest von unseren Ide-
alvorstellungen weit entfernt sind; aber wer will denn
ernsthaft behaupten, dass es dort unter Saddam Hussein
besser gewesen wäre? Es ist eine sehr zynische Ansicht,
die Sie dort vertreten .

Jetzt kommt auch noch die Forderung, unsere erfolg-
reichen Hilfen für die Kurden einzustellen . Das ist falsch .
Ausbildung und Waffen, die wir geliefert haben, um sich
im Irak und in Syrien gegen den menschenverachtenden
Terrorismus des IS zur Wehr zu setzen, werden – ich sage

Roderich Kiesewetter






(A) (C)



(B) (D)


bewusst: leider – wohl auch noch in Zukunft erforderlich
bleiben .


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Sie unterstützen Separatisten!)


Jetzt höre ich schon den Einwand, lauthals rufend –
das war schon im Ausschuss so gewesen –: Die Kurden
brauchen doch unsere Unterstützung gar nicht oder gar
nicht mehr . – Dazu sage ich ganz klar: Wer jetzt die fal-
schen Schlüsse zieht, nicht weiter zu unterstützen, der
handelt kurzsichtig und damit gefährlich für die Stabili-
tät der Region und die Sicherheit der Menschen, die dort
leben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Richten wir schließlich den Blick nach Syrien . Ohne
den Bundesgenossen der Linken im Kreml und dessen
Schutz für einen Diktator und Massenmörder mit Namen
Assad könnten wir uns schon viel mehr einer Lösung an-
genähert haben .


(Inge Höger [DIE LINKE]: Das glauben Sie doch selbst nicht!)


Wir verlieren dort täglich die Unterstützung gemäßigter
Kräfte, die angesichts ihrer aussichtslosen Lage in die
Radikalität des IS abdriften .

Auch Ägypten könnte ich noch beleuchten, weil dazu
etwas in der Debatte von den Rednern vor mir gesagt
wurde . Angesichts der fehlenden Redezeit muss ich das
jetzt ausklammern . Mir ist wichtig, zum Schluss noch zu
sagen, dass es mit der Union keine Flucht aus der Ver-
antwortung geben wird, auch kein Wegducken und kein
Wegschauen .

Wir werden unserer Verantwortung gerecht werden
und auch auf internationaler Ebene mit den Partnern für
eine Politik stehen, die den Terrorismus nicht so lange
ignoriert, bis er auf die Füße fällt, sondern ihn aufhält,
bekämpft und schließlich auch bezwingt .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821520900

Ich schließe die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksa-
che 18/10977 . Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
trag? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Das
ist nicht der Fall . Dann ist der Entschließungsantrag mit
den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke
abgelehnt worden .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset­
zes zur Novellierung von Finanzmarktvor­
schriften auf Grund europäischer Rechtsakte

(Zweites Finanzmarktnovellierungsgesetz – 2. FiMaNoG)


Drucksache 18/10936
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich kann die Aussprache eröffnen, wenn die Kollegin-
nen und Kollegen ihre Plätze eingenommen haben .

Als erster Redner in der Aussprache hat der Parlamen-
tarische Staatssekretär Dr . Meister das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)


D
Dr. Michael Meister (CDU):
Rede ID: ID1821521000


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Zweite Finanzmarktnovellierungsgesetz setzt vier
europäische Rechtsakte in nationales Recht um . Wir
haben im Nachgang zur Finanzkrise versucht, Transpa-
renz und Integrität in die Finanzmärkte zu bekommen
und den Anlegerschutz zu stärken . Dazu haben wir in
dieser Wahlperiode bereits das Erste Finanzmarktnovel-
lierungsgesetz im vergangenen Jahr verabschiedet . Dort
hatten wir uns dem Thema „Bekämpfung des Marktmiss-
brauchs bei der Aufsicht über Zentralverwahrer“ und den
EU-einheitlichen Produktinformationsblättern zugewen-
det und in nationales Recht umgesetzt .

Hier geht es um vier europäische Rechtsakte . Das
ist zum einen die MiFID II, zum anderen die MiFIR;
dann haben wir das Thema Wertpapierfinanzierungs-
geschäfte und dazu eine Verordnung, und wir haben
die Benchmark-Verordnung . Diese vier europäischen
Rechtsakte werden wir jetzt mit diesem Gesetz in natio-
nales Recht umsetzen .

Zunächst einmal zu den Themen „Markets in Finan-
cial Instruments Directive“ und „Markets in Financial
Instruments Regulation“ . Das sind MiFID und MiFIR .
An dieser Stelle soll die Regulierung von Wertpapier-
dienstleistungen und des Börsenhandels vorgenommen
werden .

Es heißt deshalb MiFID II, weil wir seit 2004 MiFID I
hatten, und seit 2004 ist sehr viel geschehen . Deshalb ist
es, glaube ich, richtig, die Grundlage für die Beaufsichti-
gung des Wertpapierhandels und des Anlegerschutzes im
Wertpapierbereich entsprechend anzupassen .

Im Nachgang der Finanzkrise wurden umfangreiche
Modernisierungen und Überarbeitungen bei den EU-Vor-
gaben erforderlich, um auf neu entstandene Gefahren
bzw . deren Wahrnehmung mit mehr Sicherheit und Inte-
grität der Finanzmärkte zu reagieren und neue Handels-
formen und Handelsplätze angemessen in die Regulie-
rung einzubeziehen .

Diese Regelungen haben wir zum Teil bereits heute
schon in nationalem Recht, weil wir uns entschlossen
hatten, als nationaler Gesetzgeber voranzugehen und
nicht auf europäische Regulierungen zu warten . Ich spre-

Peter Beyer






(A) (C)



(B) (D)


che an dieser Stelle insbesondere einmal die Regelungen
zum Thema Hochfrequenzhandel an, bei dem wir ver-
sucht haben, Gefahren auf nationaler Ebene zu bannen,
als die Diskussion in Europa darüber noch gelaufen ist .

Dasselbe gilt für das Thema Honoraranlageberatungs-
gesetz . Auch hier sind wir als nationaler Gesetzgeber vo-
rangegangen und haben damit, glaube ich, auch die euro-
päische Debatte ein Stück weit geprägt .

Wir wollen jetzt den Anlegerschutz durch Verhaltens-
und Organisationspflichten von Wertpapierdienstleis-
tungsunternehmen, insbesondere durch Transparenz- und
Informationspflichten gegenüber den Kunden, stärken.

Des Weiteren sollen höhere Anforderungen an Han-
delsplattformen, die Schaffung einer neuen Erlaubnis-
pflicht für bisher nicht überwachte organisierte Handels-
systeme sowie grundsätzlich die Pflicht, den Handel von
Aktien auf regulierten Plätzen zu betreiben, auf den Weg
gebracht werden . Ich hoffe, dass wir damit Aufsichtslü-
cken bei der Regulierung von Handelsplätzen schließen
können .

An den Handelsplätzen selbst schaffen wir mehr
Transparenz durch die Ausdehnung von Pflichten zur
Veröffentlichung betroffener Finanzinstrumente und
durch die Regulierung von Datenbereitstellungsdiensten .
Wir werden Positionslimits und Positionskontrollen an
Warenderivatemärkten einführen, um exzessiven Han-
delsaktivitäten entgegenwirken zu können . Wir werden
außerdem Überwachungs- und Eingriffsbefugnisse der
Aufsicht erweitern sowie Sanktionsmöglichkeiten bei
Verstößen vereinheitlichen und verschärfen .

Der dritte Rechtsakt bezieht sich auf die Transparenz
von Wertpapierfinanzierungsgeschäften und die Wei-
terverwendung von Sicherheiten . Dort werden wir die
Vorgaben des Finanzstabilitätsrats zur Reduzierung von
Risiken aus sogenannten Wertpapierfinanzierungsge-
schäften umsetzen .

Meine Damen und Herren, der vierte Bereich ist die
Benchmark-Verordnung . Da geht es um die Frage: Wie
gehen wir mit Erstellern von Benchmarks um? Wir ha-
ben gesehen, dass auch dort in der Vergangenheit die eine
oder andere Manipulation stattgefunden hat . Deshalb
versuchen wir, durch eine einheitliche Regelung dafür zu
sorgen, dass die Zulieferung von Daten bei den Erstellern
und den Transporteuren besser beaufsichtigt und bei Ma-
nipulationen auch sanktioniert werden kann .

Wir hoffen, dass wir durch diesen Gesetzentwurf ei-
nen weiteren wesentlichen Schritt zur Modernisierung
des deutschen Kapitalmarkts im Zusammenspiel mit den
jeweiligen europäischen Rechtsakten vollziehen und den
Anlegerschutz in diesem Sinne stärken können . Ich wür-
de mich über eine wohlwollende Beratung hier im Hause
sehr freuen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821521100

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Susanna

Karawanskij für die Fraktion Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Susanna Karawanskij (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821521200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Liebe Gäste! Vor knapp zehn Jahren
schwappte die Finanzkrise nach Europa über . Nachdem
die Finanzmärkte über Jahre hinweg dereguliert worden
waren, musste damals, glaube ich, auch der Letzte verste-
hen, dass das ein fataler Fehler war .

Der Entwurf des Zweiten Finanzmarktnovellierungs-
gesetzes, den wir heute debattieren, ist eine der Spät-
folgen der damals begonnenen Reparaturmaßnahmen .
Er betrifft mehrere Aspekte des Finanzmarktes: von
Handels plattformen über den berüchtigten Hochfre-
quenzhandel bis hin zum Anlegerschutz . Man könnte
meinen, dass angesichts dessen, dass schon ein Jahrzehnt
seit besagter Finanzkrise vergangen ist, dieses Gesetz ei-
gentlich nur noch ein i-Tüpfelchen auf dem Pfad der Ge-
setze ist, um demokratisch kontrollierte und transparente
Finanzmärkte zu schaffen . Doch davon kann leider keine
Rede sein . Die Lage auf den Finanzmärkten ist immer
noch angespannt, und wir sind leider immer noch weit
davon entfernt, von einer flächendeckenden mittelfristi-
gen Stabilität sprechen zu können .

Ich möchte mich jetzt auf drei Aspekte konzentrieren,
die mit diesem Gesetz zu tun haben . Ich will ein paar De-
fizite hervorheben, die teilweise schon in den zugrunde-
liegenden EU-Gesetzgebungen verankert sind, aber die
auch den fehlenden Willen der Bundesregierung, über
die Vorgaben von Brüssel hinauszugehen, aufzeigen .

Ich fange beim Hochfrequenzhandel an . Das ist der
Handel, bei dem Computer im Bruchteil des Bruchteils
einer Sekunde Wertpapiere kaufen und wieder verkau-
fen können . Das ist kein Einzelfall; dann könnte man ja
sagen: Das macht man ein- oder zweimal . – Nein, das
ist nicht so . Vielmehr nimmt der Hochfrequenzhandel in
einigen Marktsegmenten bis zu 40 Prozent des Handels-
volumens ein . Dieser Handel steht immer wieder in der
Kritik, weil er zu Kurskapriolen bis hin zu spektakulären
Börsencrashs führen kann und bestimmte Formen dafür
genutzt werden, um Börsengeschäfte zu manipulieren .
Da wir keinen gesellschaftlichen Nutzen darin sehen, Fi-
nanzgeschäfte im Bruchteil einer Sekunde abzuschließen
und dabei gleichzeitig sehr hohe Risiken in Kauf zu neh-
men, plädieren wir schlicht und ergreifend dafür, diesen
Handel vollständig zu unterbinden .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir halten die in diesem Gesetzentwurf enthaltenen Ver-
schärfungen für ungenügend .

Ein zweiter Schwerpunkt, auf den ich eingehen möch-
te, ist der Anlegerschutz. Anleger tappen häufig in die
Falle, teure und auch überflüssige Produkte zu kaufen.
Diese Produkte, die zum Teil gar nicht ihrer Risikobereit-
schaft entsprechen, bekommen sie aufgeschwatzt, oder
sie werden schlicht und ergreifend schlecht beraten . Sie
erleiden dann Verluste mit vermeintlich sicheren Anla-

Parl. Staatssekretär Dr. Michael Meister






(A) (C)



(B) (D)


gen . Wir Linke haben dazu letzten Freitag das umfassen-
de Konzept eines Finanz-TÜVs hier in den Bundestag
eingebracht, der vor allen Dingen auf präventiven Ver-
braucherschutz abzielt . Das Vertrauen der Verbrauche-
rinnen und Verbraucher ist schlecht . Auch wenn man
das Bild des mündigen Verbrauchers, das gerne hier in
den Debatten bemüht wird, heranzieht, muss man doch
feststellen, dass die Stiftung Warentest zu dem Schluss
kommt, dass 95 Prozent der Vertragsangebote nicht im
besten Kundeninteresse sind . Ein zweiter Test zeigt, wie
schlecht Anlegerinnen und Anleger beraten werden . Ge-
nau deswegen, genau aus diesen Gründen muss mehr
passieren als eine schlichte Eins-zu-eins-Umsetzung eu-
ropäischer Richtlinien, die nun dieses Gesetz notwendig
machen . Wir wollen die provisionsgestützte Beratung
überwinden, indem das System unabhängiger Finanz-
berater und vor allen Dingen die Honorarberatung aus-
gebaut und fest verankert werden . Mit der provisionsge-
stützten Beratung – das wissen Sie – nehmen Sie immer
wieder Interessenkonflikte und damit zusammenhängen-
de Fehlberatung in Kauf .

Noch etwas zum Abschluss: Der Gesetzentwurf um-
fasst auch Positionslimits, die ein wichtiges Tool zur
Begrenzung der Spekulation mit Nahrungsmitteln und
Rohstoffen sind . Ich habe die Befürchtung, dass die ge-
planten Beschränkungen deutlich hinter dem eigentlich
notwendigen Maß zurückbleiben . Das hängt zum Teil
auch von der europäischen Ebene ab; das weiß ich . Da
ist vieles in der Mache . Aber es hängt auch davon ab, wie
wir das national verankern . In diesem Fall ist die BaFin
für uns zuständig . Ich denke, wir als Parlament tragen
eine Mitverantwortung, dass Nahrungsmittel nicht für
die exzessive Spekulation an Warenterminbörsen genutzt
werden . Vielmehr gehören Nahrungsmittel dorthin, wo-
für sie produziert worden sind: auf den Teller der Men-
schen .


(Beifall bei der LINKEN)


Im Großen und im Kleinen: Der Gesetzentwurf ist
nicht ausgereift, ganz besonders, was den Schutz von
Kleinanlegern betrifft . Auch bei diesem Gesetz wünsche
ich mir, dass es anders aus dem Bundestag herauskommt,
als es hineingekommen ist . Ich freue mich auf die parla-
mentarischen Beratungen und hoffe, dass es besser wird .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821521300

Als nächster Redner hat Christian Petry von der

SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Christian Petry (SPD):
Rede ID: ID1821521400

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Man hört ja sehr oft, dass Regelungen, die auf
europäischer Ebene erlassen werden, zu kompliziert
sind, zu aufwendig sind, nicht transparent genug sind,
dass das ganze Verfahren zu träge ist und dass die 27 Re-
gierungschefs sich nicht einig werden können, sich selbst

blockieren . Was die Finanzpolitik angeht, hört man oft,
dass die Regelungen nicht bei den Menschen unten an-
kommen, sondern anderen zugutekommen . Dieses Mam-
mutgesetz mit fast 300 Seiten, das wir heute mit allem,
was noch dazugehört, in erster Lesung hier in das parla-
mentarische Verfahren einbringen, hat das Potenzial, die-
se Kritik zu widerlegen . Denn der vorliegende Entwurf
des Zweiten Finanzmarktnovellierungsgesetzes überträgt
vier sehr weitreichende europäische Rechtsakte in deut-
sches Recht; das ist von Herrn Dr . Meister schon genannt
worden . Dabei wird die Transparenz von Wertpapierge-
schäften erhöht, indem wir einem Sektor, der noch nicht
entsprechend reguliert war – dem der Schattenbanken
und anderen –, ein umfassenderes Regularium geben .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Matthias Hauer [CDU/CSU])


Daneben wird die Benchmark-Verordnung in nationa-
les Recht umgesetzt . Indizes, die bei den Finanzinstru-
menten als Referenzwert genutzt werden, müssen künftig
überall in Europa den gleichen Regelungen unterliegen .
Diese neugeschaffenen Anforderungen – die Betrugs-
skandale, beispielweise um den Libor und den Euribor,
sind ja bekannt – sollen verhindern, dass weiter betrü-
gerisches Handeln in diesem Bereich vorkommen kann .
Dadurch schnellten letztlich auch die Kreditzinsen von
Verbrauchern in die Höhe . Zukünftig werden Abspra-
chen und die direkte Manipulation dieser Zinssätze in
allen Staaten der Europäischen Union einheitlich scharf
geahndet . Zudem überarbeiten wir mit dem vorliegenden
Gesetzentwurf die europäische Finanzmarktrichtlinie,
MiFID genannt . Sie ist ein Kernstück im europäischen
Finanzsektor . Mit der Umsetzung der MiFID-II-Richtli-
nie werden deshalb künftig Aktien, Derivate und Fonds
sowie die Vermittlung dieser Finanzprodukte einheitli-
chen, strengen Regeln unterworfen, und die Transparenz
für den Kunden wird erhöht .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im Einzelnen bedeutet dies: Der individuelle Ziel-
markt eines Finanzproduktes muss eindeutig benannt
werden; denn nicht jedes Finanzprodukt ist per se für
jeden Kunden geeignet . Die Geeignetheit – das ist ein
zentraler Punkt – des Finanzproduktes muss vor Ge-
schäftsabschluss mit dem Kunden festgehalten werden .
Über die Ausgestaltung dieser Geeignetheit werden wir
im anstehenden parlamentarischen Verfahren diskutie-
ren . Das ist ein schwieriges Feld .


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Soll standardisiert sein!)


– Und es soll standardisiert sein . Die Frage, wie man es
standardisiert, ist hoch umstritten . Hier werden wir uns
aber mit Sicherheit im Verfahren einigen können .

Zudem werden wir mit dem Gesetz strenger zwischen
provisions- und honorarbasierter Anlageberatung unter-
scheiden . Auf diesen Punkt wird meine Kollegin Sarah
Ryglewski im Anschluss eingehen .

Das schädliche Spekulieren auf Rohstoff- und Nah-
rungsmittelmärkten werden wir mit dem Gesetz eben-
falls eindämmen und den Hochfrequenzhandel längst

Susanna Karawanskij






(A) (C)



(B) (D)


überfälligen Risikokontrollen überall in Europa unter-
werfen . Frau Karawanskij, ich kann dem sehr viel ab-
gewinnen . Hochfrequenzhandel in der jetzt möglichen
Form hat überhaupt keinen sittlichen Nährwert, hat auch
nichts mit volkswirtschaftlichem Mehrwert zu tun . Es ist
eine Methode, um Geld zu verdienen . Das ist per se nicht
verwerflich, aber es hat Auswirkungen, die eine ernsthaf-
te Hinterfragung dieses Marktes notwendig machen .


(Zuruf des Abg . Lothar Binding [Heidelberg] [SPD])


All diese Regulierungen sind nur ein Bruchteil des
Zweiten Finanzmarktnovellierungsgesetzes . Sie zeigen
eindeutig: Die Europäische Union funktioniert .

Mit dem Gesetz werden wir die Situation der Verbrau-
cherinnen und Verbraucher verbessern . Damit widerle-
gen wir die zuvor genannten Kritikpunkte; denn Europa
funktioniert und liefert Gesetze, die die Finanzmärkte
im Sinne der Verbraucher sicherer und transparenter ma-
chen . In diesem Sinne freue ich mich auf die umfangrei-
chen Beratungen, die jetzt anstehen .

Eines noch am Schluss, Herr Dr . Meister – wir haben
das schon mehrfach gesagt –: Gesetze müssen nicht un-
bedingt für jeden lesbar sein, aber wenigstens ihre Be-
gründungen sollten so formuliert werden, dass man sie
halbwegs verstehen kann . Das als kleiner Hinweis . Wir
werden es in den Beratungen vielleicht noch schaffen,
dass hier noch etwas mehr Transparenz in der Sprache
herrscht . Wir sind auf einem guten Weg; denn das Zwei-
te Finanzmarktnovellierungsgesetz, das zu Recht als
Grundgesetz des Wertpapierhandels bezeichnet wird,
wird eine spannende Sache .

In diesem Sinne: Glück auf!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821521500

Der nächste Redner, Dr . Gerhard Schick, ist noch im

Untersuchungsausschuss und gibt daher im Einverneh-
men mit allen Fraktionen seine Rede zu Protokoll .1)

Deshalb rufe ich jetzt Matthias Hauer von der CDU/
CSU auf .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Matthias Hauer (CDU):
Rede ID: ID1821521600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Im Juli des letzten Jahres ist das Erste Finanz-
marktnovellierungsgesetz in Kraft getreten .

Heute beraten wir in erster Lesung das Zweite Finanz-
marktnovellierungsgesetz . Wir verankern damit weitere
europäische Rechtsakte im deutschen Recht . Herr Staats-
sekretär Dr . Meister hat das vorhin im Detail sehr gut
dargestellt .

Worum geht es? Es geht um die Stabilisierung der
Märkte, es geht darum, die Anfälligkeit für neue Finanz-
krisen zu reduzieren, und es geht darum, den Anleger-
schutz zu erhöhen . Die Bundesregierung, aber auch der

1) Anlage 3

Deutsche Bundestag, hat in den vergangenen Jahren viel
dazu beigetragen, diesen Weg zu gehen . Den Weg setzen
wir nun fort .

Der Gesetzentwurf zielt vor allem darauf ab, den An-
legerschutz weiter zu erhöhen und auch die Integrität und
Transparenz der Finanzmärkte zu verbessern . Zentrales
Element ist die Verankerung der Finanzmarktrichtlinie
MiFID II und der dazugehörigen Finanzmarktverord-
nung MiFIR im nationalen Recht . MiFID II und MiFIR
enthalten umfassende Vorschriften . Gerade haben wir
schon einige gehört . Insgesamt bilden sie in vielen Be-
reichen das regulatorische Rahmenwerk für die gesamte
EU . Dabei stehen im Vordergrund: Anlegerschutz, regu-
lierte Märkte, Informationspflichten und eine Stärkung
der Aufsichtsbefugnisse .

Zur Umsetzung der europäischen Vorgaben sind auf
nationaler Ebene zahlreiche Anpassungen nötig: im
Wertpapierhandelsgesetz, im Kreditwesengesetz, im
Börsengesetz, im Kapitalanlagegesetzbuch und im Ver-
sicherungsaufsichtsgesetz .

Positiv erwähnen möchte ich vor allem, dass es sich
bei dem Gesetzentwurf weitgehend um eine Eins-zu-
eins-Umsetzung der europäischen Vorgaben handelt . Das
stellt sicher, dass in Deutschland und in anderen EU-Mit-
gliedstaaten ein einheitlicher Rechtsrahmen gilt .

Eine der wichtigsten Änderungen, die das Gesetzes-
paket für Anleger und Anlageberater gleichermaßen mit
sich bringt, ist die Abschaffung des Beratungsproto-
kolls . Das bisherige Beratungsprotokoll sorgte seit seiner
Einführung 2010 vor allem für großen bürokratischen
Aufwand bei allen Beteiligten . Streit und auch Rechts-
unsicherheit zwischen Anlegern auf der einen Seite und
Anlageberatern auf der anderen Seite reduzierte es nicht .
Es ist daher gut, dass das bisherige Beratungsprotokoll
nun ausgedient hat .

Ersetzt wird das Beratungsprotokoll durch die soge-
nannte Geeignetheitserklärung . Darin hat der Anlagebe-
rater künftig schriftlich zu erklären, aus welchen Grün-
den er dem Kunden ein Finanzprodukt empfohlen hat .
Bisher musste bürokratisch protokolliert werden – künf-
tig muss der Berater also nachweisen, warum das emp-
fohlene Produkt für den Verbraucher geeignet ist . Die
anstehenden parlamentarischen Beratungen werden wir
nutzen, um die Details zur Geeignetheitserklärung genau
unter die Lupe zu nehmen . Wir werden uns auch anse-
hen, welchen Gestaltungsspielraum uns die europäischen
Vorgaben lassen, und werden natürlich auch die Erfah-
rungen, die wir mit dem Beratungsprotokoll gemacht ha-
ben, einfließen lassen.

Ein weiterer Punkt, den wir auch in den Beratungen
aufgreifen sollten, ist das Thema „Produktinformations-
blätter für Aktien und einfache Anleihen“ . Die derzeit
bestehende Regelung ist für alle Beteiligten unbefriedi-
gend . Auf der einen Seite führt sie zu hohen Kosten und
zu viel Bürokratie bei den Banken . Das hat zur Folge,
dass Beratung in diesem Bereich kaum noch stattfindet.
Auf der anderen Seite ist auch der Informationsgehalt der
Produktinformationsblätter für Verbraucher derzeit sehr
überschaubar . Wir brauchen Produktinformationsblätter,
die für Verbraucherinnen und Verbraucher besser ver-

Christian Petry






(A) (C)



(B) (D)


ständlich sind – vor allem auch sprachlich . Die bessere
Verständlichkeit und einen höheren Informationsgehalt
wollen wir zum Beispiel durch stärkere Standardisierung
erreichen, aber auch dadurch, dass wir bei der Formulie-
rung der Texte zum Beispiel die Gesellschaft für deut-
sche Sprache miteinbeziehen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Mehr Beratung zu Aktien und verständlichere Infor-
mationen für Verbraucherinnen und Verbraucher – das
stärkt auch unsere Aktienkultur, und da haben wir in
Deutschland noch einiges an Nachholbedarf . Wir in der
Koalition haben uns in den vergangenen Monaten bei
zwei Workshops genau zu diesem Thema – Produktin-
formationsblätter für Aktien und einfache Anleihen – mit
Fachleuten zusammengesetzt . Wir sind da in der Koa-
lition in guten Gesprächen . Ziel ist es, eine Lösung zu
finden, die sowohl die Kreditwirtschaft von unnötiger
Bürokratie entlastet als auch einen echten Mehrwert für
Anlegerinnen und Anleger bietet und somit die Aktien-
kultur stärkt . Wir werden diese und weitere Punkte, die
an uns herangetragen werden, in den weiteren Beratun-
gen kritisch hinterfragen und in der Anhörung im Finanz-
ausschuss erörtern .

Gerade in Zeiten, in denen anderswo nationale Allein-
gänge offensichtlich wieder in Mode kommen, ist es mir
zum Ende der Rede ein besonderes Anliegen, zu betonen:
Wir brauchen mehr Zusammenarbeit in Europa, auch im
Finanzbereich . Die europäische Harmonisierung macht
die Finanzmärkte transparenter und robuster gegen Kri-
sen und stärkt den Anlegerschutz . Diesen Weg werden
wir als CDU/CSU weitergehen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821521700

Sarah Ryglewski hat als nächste Rednerin für die

SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Sarah Ryglewski (SPD):
Rede ID: ID1821521800

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Gäste, die sich heute auch diesem etwas
sperrigeren Thema annähern! Es ist schon viel zu diesem
Gesetz gesagt worden . Weil ich nicht so viel Redezeit
habe, will ich mich auf einen Aspekt beschränken .

Dass wir letzte Woche über den Antrag zum Fi-
nanz-TÜV gesprochen haben und die vielen Gesetze zu
diesem Thema, die wir beraten haben, machen deutlich,
wie sehr wir uns dieses Themas annehmen . Ein Kern der
Diskussionen, die wir hier geführt haben, war, dass wir
insbesondere den Kleinanleger und den Verbraucher in
den Mittelpunkt stellen . Frau Karawanskij, den Begriff
„mündiger Verbraucher“ werfen viele Leute immer gern
in den Raum; aber mittlerweile ist der gängige Begriff,
der auch von den meisten hier im Raum benutzt wird, der
des „verletzlichen Verbrauchers“ . Das heißt nicht, dass

er unmündig ist, sondern, dass man schauen muss, wo er
möglicherweise anfällig dafür ist, in irgendwelche Fal-
len gelockt zu werden oder Schaden zu erleiden . Das ist
genau das, worauf wir uns aus Verbrauchersicht auch bei
diesem Gesetz konzentrieren müssen .

Wir wollen – das stellte sich auch in der Debatte in der
letzten Woche heraus –, dass Anlegerinnen und Anleger
das Produkt bekommen, das zu ihnen passt . Wir waren
uns letzte Woche zwar nicht in allem einig, aber in einem
Punkt waren wir uns sehr einig: Von zentraler Bedeutung
ist dabei eine gute Beratung . Insofern will ich mich da-
rauf beschränken .

Ich glaube, wir müssen sicherstellen, dass bei der
Geeignetheitserklärung nicht die Fehler und Probleme
auftreten, die beim Beratungsprotokoll aufgetreten sind .
In den Beratungsprotokollen stand nämlich teilweise
drin: Dem Anleger wurde das Produkt empfohlen, weil
es für ihn geeignet ist . – Das ist eine Tautologie und so
nichtssagend, dass es gar nichts bringt . Deswegen ist
es wichtig, dass wir die Kriterien durch entsprechen-
de Standardisierung – Kollege Binding hat eben einen
entsprechenden Zuruf gemacht – klar definieren, sodass
man sagen wirklich kann: Die Anforderungen sind erfüllt
worden . Damit schaffen wir Rechtssicherheit – über ein
ähnliches Thema haben wir heute Morgen diskutiert –,
und zwar für beide Seiten, dass ein vernünftiges Produkt
empfohlen wird . Das gibt den Menschen auch das sichere
Gefühl, dass ihnen nichts, wie man im Norden bei uns so
schön sagt, „angeschnackt“ wurde .

Ein anderes Thema ist die Honorarberatung; Kollege
Petry hat es angesprochen . Es geht zum einen darum, für
Transparenz zu sorgen, damit alle wissen, was auf sie zu-
kommt, wenn sie eine provisionsbasierte Beratung in An-
spruch nehmen . Es ist ja mitnichten so, dass sie kostenlos
ist – hoffentlich ist sie nicht umsonst –; denn der Kunde
erhält ja auch etwas im Gegenzug . Das muss klar sein,
sonst hat die Honorarberatung keine Chance .

Der Begriff „Honorarberatung“ an sich ist übrigens
schon ein Problem – hier geht es um sprachliche Begriff-
lichkeiten –; denn es wird unterstellt, dass die Beratung
etwas kostet, andere aber nicht .


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Genau!)


Deswegen setzen wir uns stark dafür ein, dass wir die
Beratung genau so benennen: Es handelt sich um eine
unabhängige Honorar-Anlageberatung .


(Beifall bei der SPD)


Uns geht es darum, dass die Menschen am Ende das
bekommen, was sie haben wollen, dass sie das Gefühl
haben, sie können ruhigen Gewissens eine Beratung
in einem Bereich in Anspruch nehmen, in dem sie sich
nicht auskennen, dass sie gut beraten werden und dass
sie mit einem Produkt nach Hause gehen, das sie brau-
chen . Genau das wollen wir . Ich glaube, wenn man sich
darauf konzentriert – es wurde bereits an einigen Stellen
Einigkeit signalisiert –, dann haben wir tatsächlich nicht
nur einen guten Gesetzentwurf besser gemacht, sondern
wir haben auch noch etwas für den Bereich Verbraucher-
schutz getan .

Matthias Hauer






(A) (C)



(B) (D)


Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821521900

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die

Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt .

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/10936 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall .
Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11 . Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne-

ten Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn, Christian
Kühn (Tübingen), Corinna Rüffer, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Wohnungslosigkeit wirkungsvoll angehen –
Bundesweite Statistik einführen

Drucksachen 18/7547, 18/11000

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall . Dann ist das so
beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache, und als erste Rednerin hat
Daniela Kolbe für die SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Daniela Kolbe (SPD):
Rede ID: ID1821522000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kol-

legen! Wenn ich morgens von meinem Wahlkreis hierher
fahre, laufe ich durch zwei Bahnhöfe . Es ist mir in den
letzten kalten Tagen immer so gegangen, dass ich an min-
destens einer schlafenden Person, an einem Obdachlosen
vorbeigelaufen bin, und mir macht das ein mulmiges Ge-
fühl . Ich muss sagen: Ich schäme mich auch ein bisschen,
dass so etwas in einem so reichen Land wie Deutschland
möglich ist . Deswegen danke ich den Grünen, dass sie
das Thema auf die Tagesordnung setzen und damit un-
ter anderem auf die mindestens 39 000 Menschen, die in
Deutschland ganz ohne Obdach sind, also auf der Straße
leben – so zumindest die Zahlen der BAG Wohnungslo-
senhilfe aus 2014 –, aufmerksam machen .

Wenn wir über Wohnungslosigkeit sprechen, dann
sprechen wir nicht nur über diese 39 000 Menschen, son-
dern wir reden über 335 000 Menschen – wahrscheinlich
sind es mehr –, die keine eigene Wohnung haben, das
heißt, in Notunterkünften oder in Sammelunterkünften
leben, sich von Couch zu Couch retten, in billigen Hotels
leben oder, wenn wir es weiter fassen, beispielsweise von
Zwangsräumung bedroht sind . Es ist also ein sehr kom-
plexer Begriff, über den wir sprechen . Gleichzeitig stel-
len wir fest: Für den gesamten Bereich sind die Länder
zuständig. Die Kommunen sind in der Pflicht, für diese

Menschen etwas zu tun . Es ist ihre Aufgabe, dafür zu sor-
gen, dass die Menschen Obdach haben .

Sie von den Grünen schlagen vor, per Gesetz festzu-
legen, dass eine bundesweite Statistik erstellt wird . Ich
stimme Ihnen insofern zu, als wir dringend mehr über
das Phänomen Wohnungslosigkeit in Deutschland wis-
sen müssen . Allerdings überzeugt mich das Vorgehen
der Bundesregierung mehr . Es ist sehr plausibel, in ei-
nem Bereich, wo die Länder zuständig sind, zunächst
eine Machbarkeitsstudie über dieses komplexe Thema in
Auftrag zu geben, zu eruieren, wie man die Wohnungs-
losigkeit einheitlich schätzen kann; denn wir können ja
nicht zählen, vielmehr muss man schätzen . Man muss
jedoch mit den Ländern im Vorfeld darüber ins Gespräch
zu kommen, wir müssen das einheitlich tun, die Länder
müssen mitgenommen werden, und wir müssen dafür
sorgen, dass wir gute Statistiken über Wohnungslosig-
keit bekommen . Ich danke der Bundesregierung für die
Initiative, die auch deutlich macht, wie wichtig ihr das
Thema ist .


(Beifall bei der SPD)


Die Bundesregierung erfasst die Wohnungslosigkeit
nicht nur statistisch, sondern tut eine ganze Menge dage-
gen . Das ist auch geboten; denn wir haben es einerseits
mit Migrationsbewegungen zu tun, die sicherlich auch
dazu beitragen, dass wir einen Anstieg der Wohnungslo-
sigkeit in Deutschland sehen . Anderseits haben aber vor
allen Dingen das Phänomen der Wohnungsverknappung
sowie die Zunahme der Bevölkerung in den Städten und
der mangelnde soziale Wohnungsbau in den letzten Jahr-
zehnten


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Die niedrigen Löhne!)


dazu geführt, dass wir alle miteinander spüren, dass hier
ein größeres Problem auf uns zukommt . Deswegen ist
es so richtig und so gut, dass diese Bundesregierung den
sozialen Wohnungsbau endlich wieder auf die Agenda
gesetzt hat, obwohl das Ländersache ist .

Wir geben 2017 1,5 Milliarden Euro für den sozia-
len Wohnungsbau aus . In der ersten Lesung, die wir im
Januar des vergangenen Jahres zu diesem Antrag hatten,
war es noch 1 Milliarde Euro . Insgesamt haben sich die
Mittel für den sozialen Wohnungsbau verdreifacht . Das
ist der richtige Schritt, und wir müssen auf diesem Weg
weitergehen; denn sozialer Wohnungsbau verhindert
Wohnungslosigkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Darum geht es: Wohnungslosigkeit zu verhindern . Es
geht um Prävention .

Wir haben auch an anderen Stellen etwas getan; ich
mache es einmal an zwei Beispielen fest – ich könnte
weitere bringen –: Wir haben etwas für die junge Frau
getan, die ich in der letzten Legislaturperiode kennenge-
lernt habe, die gerade ihre Ausbildung begonnen hatte,
eine sehr niedrige Ausbildungsvergütung bekam und aus
dem SGB‑II‑Bezug fiel. Sie war, als ich sie kennenlernte,
„von Couch zu Couch“ bei Freunden untergekommen .

Sarah Ryglewski






(A) (C)



(B) (D)


Mit dem SGB-II-Änderungsgesetz – es ist ja vielfach
kritisiert worden, und viele Maßnahmen sind nicht wahr-
genommen worden – haben wir diese Lücke weitgehend
geschlossen . Man kann nun, wenn man eine Ausbildung
aufnimmt, durchaus weiter ergänzend im SGB-II-Bezug
bleiben .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Auch damit verhindern wir Wohnungslosigkeit .

Ich erinnere mich noch gut an die Medienberichte
über Obdachlose rings um die großen Fleischfabriken
unseres Landes, wo Werkvertragsarbeitnehmer aus dem
Ausland der Willkür, der Ausbeutung durch die Arbeit-
geber ausgesetzt waren und zum Teil auch einfach vor
die Tür gesetzt wurden und in den Wäldern rings um die
Fabrik lebten, also ohne Obdach waren .

Wir haben in dieser Regierung den Mindestlohn ein-
geführt – auch in der genannten Branche, die nur mit
Negativschlagzeilen auf sich aufmerksam gemacht hat –
und Werkverträge und Leiharbeit reguliert . Aber ich sage
auch: Im Bereich der Fleischindustrie ist bei weitem
nicht alles gut . Was wir von den Gewerkschaftsvertretern
hören, ist, dass der Mindestlohn dort unterlaufen wird
und weiterhin Werkvertragsunternehmen ihr Schindluder
treiben und Menschen ausbeuten . Deswegen sage ich:
Wir haben einen richtigen Schritt getan, werden dort aber
weiter hingucken und dafür sorgen, dass Ausbeutung in
Deutschland nicht stattfindet.


(Beifall bei der SPD)


Vieles mehr wäre zu nennen . Wir haben das Wohngeld
reformiert . Wir können mit dem Europäischen Hilfsfonds
für die am stärksten benachteiligten Personen – EHAP –
in Deutschland etwas für von Wohnungslosigkeit betrof-
fene Menschen tun .

Die Bundesregierung hat das Thema Wohnungslosig-
keit zum Schwerpunkt des gerade vorgelegten Berichts
über die Lage der Menschen mit Beeinträchtigungen ge-
macht . Es ist klar – auch wenn dieses Thema nicht in der
breiten Öffentlichkeit diskutiert wird –: Die Bundesre-
gierung hat es im Blick . Aber wir müssen besser werden .

Ein Beispiel: Wir haben 120 Fachstellen zur Ver-
hinderung von Wohnungsverlust, die nach SGB II und
SGB XII finanziert werden. Sie sind aber extrem un-
gleich verteilt und extrem unterschiedlich aufgestellt . Ich
denke, es lohnt sich, auch von der Bundesebene aus da-
rauf zu achten, dass wir in dem Bereich noch besser wer-
den . Darüber und über andere Aspekte müssen wir spre-
chen . Ich unterstütze ausdrücklich die Bundesregierung
in ihrem Ansatz, zu einer besseren Statistik zu kommen .

Ich stelle fest – das sage ich an die Adresse der An-
tragstellerin –: Auch wenn wir den Antrag heute ableh-
nen, sind wir alle hier im Haus uns einig – hoffentlich –,
dass es unser Ziel ist, dass alle Menschen ebenso wie wir
abends in eine Wohnung kommen, die Tür zumachen und
sagen können: Meine Wohnung, hier fühle ich mich si-
cher, hier fühle ich mich aufgehoben . – Dieses Ziel ist
noch längst nicht erreicht, aber es lohnt sich, dafür zu
streiten .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821522100

Vielen Dank . – Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die

Kollegin Sabine Zimmermann das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821522200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Es geht uns gut, sagt die Kanzlerin. Die offizi-
elle Zahl der Erwerbslosen ist laut Statistik so niedrig wie
lange nicht, die Wirtschaft brummt, der Laden läuft – das
sagen Sie ja immer . Herr Schiewerling vor allen Dingen
sagt immer: Es geht uns gut . Ich wollte Sie schon immer
mal fragen, Herr Schiewerling: Wen meinen Sie, wenn
Sie sagen: „Es geht uns gut“? Wer ist mit „uns“ gemeint,
wenn doch die Armut breiter Bevölkerungsschichten im-
mer mehr zunimmt?

Die steigende Zahl wohnungsloser Menschen doku-
mentiert das Versagen der Bundesregierung bei der Ar-
mutsbekämpfung .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Kinderarmut nimmt zu, die Altersarmut nimmt zu,
und, ja, auch unter Erwerbstätigen nimmt die Zahl der
Armen zu . Der Mindestlohn schützt einfach nicht vor Ar-
mut, weil er zu niedrig ist .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Zahl der wohnungslosen Menschen ist in den letzten
Jahren deutlich angestiegen, von 248 000 im Jahr 2010
auf 335 000 in 2014 . Darunter waren 29 000 Kinder, Ten-
denz steigend .

Für die Bundesregierung existiert das Problem Woh-
nungslosigkeit offiziell nicht, da sie keine Zahlen erhebt,
frei nach dem Motto „Was ich nicht weiß, macht mich
nicht heiß“ . Die eben genannten Angaben haben wir
von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhil-
fe . Zudem kann man der Antwort auf meine Frage ent-
nehmen – ich zitiere –, dass Wohnungslosigkeit vielfach
nicht in fehlendem Wohnraum begründet sei, sondern
in der Regel soziale und psychische Ursachen habe und
einhergehe mit familiären Schwierigkeiten, Suchtproble-
men oder Krankheiten. Ich finde, das schlägt dem Fass
den Boden aus; denn das bedient die Vorurteile gegen-
über wohnungslosen Menschen, nach dem Motto „Selbst
schuld!“, und das kann einfach nicht sein .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In der Mehrzahl der Fälle ist die Kombination aus
immer weniger bezahlbaren Wohnungen und einer ver-
festigten und steigenden Einkommensarmut breiter Be-
völkerungsschichten der Grund . Das ist der Unterschied
zwischen uns beiden, Kollegin Kolbe . Ich sage, dass die
Löhne mit daran schuld sind, weil sie so niedrig sind,

Daniela Kolbe






(A) (C)



(B) (D)


dass sich einige Menschen keine Wohnung leisten kön-
nen . Die Menschen haben immer weniger Geld in der Ta-
sche, und das ist Folge Ihrer Politik in den letzten Jahren .


(Beifall bei der LINKEN)


Zu Jahresanfang habe ich die Bundesregierung ge-
fragt, welche Kenntnisse ihr zu erfrorenen wohnungslo-
sen Menschen zur Verfügung stehen . – Keine Kenntnisse .
Sie weiß natürlich von nichts . Die Bundesarbeitsgemein-
schaft hat auch hierzu eine Dokumentation erstellt: Seit
1991 sind mindestens 289 wohnungslose Menschen in
Deutschland an Unterkühlung verstorben . „Sie erfroren
im Freien, unter Brücken, auf Parkbänken, in Hausein-
gängen, in Abrisshäusern, in scheinbar sicheren Garten-
lauben und in sonstigen Unterständen“, so die BAG W .
Gestern hat die BAG W den ersten Kältetod im Jahr 2017
bestätigt: ein 53-jähriger wohnungsloser Mann im Land-
kreis Gießen . Zehn weitere Fälle werden im Moment ge-
prüft . Es ist ein Skandal, dass in Deutschland Menschen
erfrieren!


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch wenn die Bundesregierung formal nicht zuständig
ist, entlässt sie dies nicht aus der Verantwortung, Kälte-
tote in Deutschland zu verhindern .

Die Wohnungslosigkeit muss endlich bekämpft wer-
den, und wir müssen endlich eine Statistik etablieren .
Deshalb unterstützen wir den Antrag der Grünen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Bund kann sich hier nicht einfach wegducken . Wir
brauchen mehr sozialen Wohnungsbau, eine Stärkung
der Wohnungslosenhilfe, und – damit komme ich zum
Schluss – wir brauchen mehr gute und existenzsichernde
Arbeit, wir brauchen einen Mindestlohn von mindestens
12 Euro,


(Beifall bei der LINKEN)


wir brauchen armutsfeste Renten und soziale Sicherungs-
systeme, die vor Armut schützen .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821522300

Vielen Dank . – Jetzt hat Christel Voßbeck-Kayser für

die CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Christel Voßbeck-Kayser (CDU):
Rede ID: ID1821522400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ja, wir haben heute Abend die Gelegenheit,
über ein wichtiges sozialpolitisches Thema zu diskutie-
ren, nämlich über die Wohnungslosigkeit . Auch für uns
als CDU/CSU-Fraktion ist es ein zentrales Anliegen,
dass allen Menschen in unserem Land Wohnraum zur
Verfügung steht . Kollegen der Fraktion der Grünen, Sie

fordern, dass eine bundesweite Statistik eingeführt wer-
den soll, um auf der Basis der erhobenen Daten Woh-
nungslosigkeit wirkungsvoll entgegenzuwirken . Das ist
Ihre zweite Vorlage in dieser Legislaturperiode zu die-
sem Thema .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die zweite Lesung!)


2015 haben Sie eine Kleine Anfrage dazu gestellt .

Das Bundesstatistikmodell ist ja schon seit Jahrzehn-
ten in der politischen Diskussion . Aber wir wissen – das
haben auch die Vorredner gesagt –: Die Zuständigkeit
sowohl für die Betreuung und Unterbringung von Woh-
nungslosen als auch für die Wohnraumförderung und
damit den sozialen Wohnungsbau liegt bei den Ländern .
Dies wurde 2006 im Rahmen der Föderalismusreform
einvernehmlich zwischen Bund und Ländern vereinbart .
Das hatte auch einen Grund: Wir haben in den Regionen
in Deutschland sehr unterschiedliche Wohnraumbedarfe .
Zurzeit fehlt es in den Städten, gerade in den Großstäd-
ten, an Wohnraum, während im ländlichen Raum viele
Wohnungen leer stehen .

Der Bund entzieht sich hier ja auch nicht der Verant-
wortung, sondern wir unterstützen die Länder jährlich
mit bislang 520 Millionen Euro . Dies ist jetzt auf über
1 Milliarde Euro jährlich für den sozialen Wohnungsbau
aufgestockt worden . Wir sind uns einig: Das ist richtig,
und das ist auch gut .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Daniela Kolbe [SPD])


Wenn wir über das Thema Wohnungslosigkeit reden,
dann vermischen wir manchmal – das habe ich gerade
bei meinen Vorrednern gehört – Wohnungslosigkeit und
Obdachlosigkeit . Unter „Wohnungslosen“ verstehen wir
Menschen, die ohne einen Mietvertrag sind . Das können
Menschen sein, die in einer Notunterkunft sind . Das kön-
nen Menschen sein, die in einer Heimeinrichtung oder
in Frauenhäusern sind . Ja, es sind auch Menschen, die
vorübergehend bei Freunden und Bekannten unterkom-
men . Bei Obdachlosigkeit sprechen wir über ein weites
eigenes Feld und auch über eine ganz besondere Perso-
nengruppe, die einen anderen Hilfebedarf hat .


(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: So ist es!)


Deshalb, denke ich, ist es richtig – da sind wir ganz bei
Ihnen, liebe Kollegen von den Grünen; da sind wir einer
Meinung –, dass wir eine solide Datenbasis brauchen .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Genau!)


Wie kommen wir zu diesen soliden Daten? Ein Statis-
tikmodell steht ja grundsätzlich vor der Frage der Ver-
gleichbarkeit und der regionalen Anwendbarkeit . Sie
geben mir sicher recht, wenn ich sage, dass diese Daten
am besten vor Ort, dort, wo sich die Menschen aufhalten,
erhoben und ausgewertet werden sollen . Deshalb ist die
Schlussfolgerung des Bundesministeriums für Arbeit und
Soziales in dem aktuellen Armuts- und Reichtumsbericht
richtig, nämlich zu sagen: Wir brauchen erst einmal Län-
derstatistiken . Die Länder müssen mit einheitlichen Pa-

Sabine Zimmermann (Zwickau)







(A) (C)



(B) (D)


rametern die Daten erheben . Diese werten wir dann aus,
um hinsichtlich des Themas Wohnungslosigkeit Schlüsse
ziehen zu können .

Es gibt kaum Bundesländer, die solch eine Ländersta-
tistik erheben . Mein Bundesland, Nordrhein-Westfalen,
führt eine solche Statistik, aber auch dort werden ledig-
lich zwei Gruppen erfasst, nämlich zum einen die Perso-
nen, die, wie ich eben ausgeführt habe, in Einrichtungen
untergebracht sind, und zum anderen Personen, die Kon-
takt zu Fachberatungsstellen der Wohnungslosenhilfe
hatten . Da nur wenige Bundesländer eine solche Statistik
haben, finde ich es gut, dass das Bundesarbeitsministeri-
um jetzt ein Gespräch zwischen Bund und Ländern ini-
tiieren, anstoßen will, in dem einheitliche Parameter in
allen Bundesländern vereinbart werden sollen .

Ich glaube, dass wir, wenn wir diese soliden Daten
haben, zielgenaue Maßnahmen für die von Wohnungs-
losigkeit betroffenen Personengruppen in Deutschland
beschließen und auf den Weg bringen können .

Deshalb lehnen wir Ihren Antrag heute ab .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821522500

Danke schön . – Jetzt hat Christian Kühn, Bündnis 90/

Die Grünen, das Wort .

Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle-
ginnen und Kollegen! Kaum 150 Meter von hier, am
Spree ufer, befindet sich ein Camp von Menschen, die ob-
dachlos sind . Sie haben da ihre Bücher hingebracht, ihre
Zeltplanen, ihre Schlafsäcke, und sie kampieren dort,
bei minus 3 Grad in der letzten Nacht . Wir haben den
kältesten Januar seit 2010, und ich meine, wir müssen
heute von hier, vom Deutschen Bundestag, doch das Si-
gnal aussenden, dass uns dieser Widerspruch – hier das
Parlament und dort die Obdachlosen, kaum 150 Meter
entfernt – nicht egal ist .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Einige Vorredner haben es ja gesagt: Seit 2010 sind
die Zahlen der Menschen, die obdachlos sind, die von
Wohnungslosigkeit bedroht oder wohnungslos sind,
deutlich gestiegen. Das wissen wir nicht aufgrund offizi-
eller Zahlen, sondern das wissen wir, weil die BAG Woh-
nungslosenhilfe hierzu die Statistik erhebt, und diese
Statistik ist zu erheben. Es braucht endlich eine offizielle
Statistik, damit wir hier gemeinsam handeln können und
damit auch die Bundesländer handeln können . Deswegen
müssen wir endlich eine Wohnungslosenstatistik auf den
Weg bringen . Es geht; die BAG macht es .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE])


Die Dramatik nimmt ja zu . Sie nimmt nicht nur bei
Männern zu, sondern sie nimmt bei Frauen zu, ebenso

bei Jugendlichen . Das hat etwas damit zu tun, dass bei
uns Wohnraum knapper wird, dass Menschen hinaussa-
niert werden, dass Menschen von Räumung bedroht sind,
dass wir zu wenig in den sozialen Wohnungsbau inves-
tieren . Pro Jahr beträgt das Minus an Sozialwohnungen
weiterhin 60 000, trotz großer Anstrengungen . Das kann
uns doch einfach nicht kaltlassen . Dass wir als Deutscher
Bundestag es in dieser Legislaturperiode nicht auf die
Reihe bekommen haben, die Erstellung einer Statistik zu
beschließen, halte ich für ein Drama .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Was heißt denn Obdachlosigkeit? Obdachlosigkeit
heißt doch, dass ein Mensch keinen Schutzraum hat, dass
er keine Privatsphäre hat, dass er keinen Rückzugsraum
hat, dass er eben kein Zuhause hat, wo er hingehen kann .
Obdachlosigkeit bedeutet, dass Menschen auf Parkbän-
ken schlafen, in U-Bahnhöfen, in S-Bahnhöfen, dass sie
vom Flaschensammeln leben und die Missachtung der
Gesellschaft erfahren . Wir haben in diesem und im letz-
ten Jahr Mordanschläge auf Menschen, die in Obdachlo-
sigkeit leben, erleben müssen . Das ist ein Skandal, und
deswegen müssen wir zeigen: Uns geht dieses Problem
etwas an . Deswegen müssen wir Daten erheben, um dann
auch handeln zu können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es freut mich ja sehr, dass jetzt eine Machbarkeitsstu-
die auf den Weg gebracht worden ist . Es gab auch schon
einmal eine Machbarkeitsstudie; nur ist daraus kein Han-
deln entstanden . Es freut mich ebenso sehr, dass auch die
Union dieses Problem erkennt . Aber ich sage Ihnen ei-
nes: Eine Machbarkeitsstudie reicht nicht aus . Wir müs-
sen die Zahlen erheben, damit wir handeln können, damit
wir Notfallprogramme auf den Weg bringen und damit
wir endlich auch die Länder unter Druck setzen können,
sodass die Länder eine Statistik erheben . Hierfür muss
der Bund die Parameter vorgeben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Beim Thema Wohnen ist es ja immer das Schwarze-Pe-
ter-Spiel: Die Länder sind dafür zuständig, der Bund ist
dafür nicht zuständig, also sind wir hier als Bund fein
raus. Ich kann das nicht ertragen, und ich empfinde es so,
dass auch die Kolleginnen, die hier gesprochen haben, es
nicht ertragen können . Frau Kolbe hat es ja gesagt: Die
Bundesregierung hat einiges auf den Weg gebracht, nur
leider keine Statistik .


(Daniela Kolbe [SPD]: Was ist mit Baden-Württemberg?)


Wenn man etwas in diesem Themenfeld macht, dann
kann man auch eine Statistik auf den Weg bringen .

Frau Voßbeck-Kayser sprach davon, dass die Mittel
für den sozialen Wohnungsbau aufgestockt wurden . Auch
wenn wir nicht dafür zuständig sind, haben wir die Mittel
dennoch aufgestockt; also können wir auch eine Statistik

Christel Voßbeck­Kayser






(A) (C)



(B) (D)


machen . – Die Logik der Großen Koalition leuchtet mir
an dieser Stelle überhaupt nicht ein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Auf Ihre Frage, die Sie gerade zu Baden-Württem-
berg eingeworfen haben, Frau Kolbe: Baden-Württem-
berg wird auch eine Wohnungslosenstatistik auf den Weg
bringen, und das haben wir Grünen bei den Koalitions-
verhandlungen eingebracht . Ich bin sehr froh darüber,
dass der Koalitionspartner Union dies mit auf den Weg
bringt und dass damit auch aus den Bundesländern Druck
kommt . Aber auch hier in diesem Parlament brauchen
wir endlich einen Beschluss für eine Statistik, damit wir
endlich handeln können .

Wir beraten dies jetzt seit einem Jahr, und es ist ja
nicht so, dass wir einen zweiten Antrag eingebracht hät-
ten . Vielmehr haben wir Ihnen ein Jahr Zeit gelassen, da-
mit Sie richtig handeln und damit diese Bundesregierung
etwas auf den Weg bringt . Ich kann nur erkennen, dass es
Lippenbekenntnisse gibt, aber kein Handeln . Das halte
ich für einen Skandal . Wir Grünen werden weiter dran-
bleiben und bei dieser Frage nicht lockerlassen; denn wir
dürfen die Menschen in der Kälte nicht alleinlassen .

Danke schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821522600

Vielen Dank . – Dr . Martin Pätzold ist der nächste Red-

ner für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Martin Pätzold (CDU):
Rede ID: ID1821522700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Es ist ein hochemotionales, sensibles The-
ma, über das wir heute hier im Deutschen Bundestag dis-
kutieren . Es ist auch ein sehr aktuelles Thema, weil wir
in den politischen Debatten immer wieder darüber disku-
tieren: Was tun wir für die Einheimischen, die obdachlos
sind, und was tun wir für diejenigen, die neu in unser
Land gekommen sind?

Dieses Thema berührt einen selbst, wenn man immer
wieder Erfahrungen gesammelt hat und in Einrichtungen
war, wo Menschen sind, die keine eigene Wohnung mehr
haben, die obdachlos sind . Wenn man diese Einrichtun-
gen besucht und mit denen, die direkt betroffen sind, ins
Gespräch kommt, dann sieht man, dass es einfache poli-
tische Antworten für ihre Problemstellungen nicht gibt .

Wir haben die Zahlen gehört: 335 000 Menschen in
Deutschland haben keine eigene Wohnung; 39 000 von
ihnen gelten als obdachlos . Die Zahl derer, die keine ei-
gene Wohnung haben, steigt bis 2018 wahrscheinlich bis
auf 500 000 . Auch die Zahl derer, die dann obdachlos
sein werden, wird wahrscheinlich steigen . Das macht
betroffen; das will ich an dieser Stelle für die CDU/
CSU-Fraktion ganz deutlich sagen .

Ich habe in den letzten Jahren die Kältehilfe bei mir
am Bahnhofsplatz besucht, ich war bei der Bahnhofs-
mission am Zoologischen Garten in Berlin, und ich habe
eine Einrichtung von MUT besucht, dem Träger, der sich
um Obdachlose und deren Zahnhygiene kümmert . Wenn
man sieht, wie viele Träger in diesem Bereich tätig sind,
auch hier in Berlin, dann können wir auf der einen Seite
stolz auf das sein, was geleistet wird . Auf der anderen
Seite müssen wir aber feststellen, dass sich dieses Thema
nicht dafür eignet, parteipolitische Kontroversen auszu-
tragen oder es zu nutzen, um es mit anderen Debatten zu
vermischen .

Herr Birkwald, Sie und mich verbindet, dass wir beide
in der Senatsverwaltung für Soziales in Berlin gearbei-
tet haben, sogar in sehr ähnlicher Funktion; wir waren
beide in Leitungsfunktionen . Gerade dieses Thema war
in Berlin nie Gegenstand einer parteipolitischen Diskus-
sion, sondern es ging immer darum, den Betroffenen zu
helfen . Den Betroffenen hilft man eben nicht, indem man
hier vorne große Reden hält, sondern indem man sich
ganz individuell ihrer Probleme annimmt .


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Ja, dann machen Sie doch! Machen Sie mal!)


Wenn wir uns mit den Betroffenen unterhalten – das
wissen auch Sie, Herr Birkwald, aus Ihren eigenen Erfah-
rungen; viele Kollegen über alle Fraktionsgrenzen hin-
weg waren ja in solchen Einrichtungen –, stellen wir fest:
Es handelt sich oft um individuelle Probleme, um unter-
schiedliche Lebenslagen, um Situationen, in denen eins
zum anderen gekommen ist, was dazu geführt hat, dass
sie den Weg aus den Augen verloren haben und der eine
oder andere in der Konsequenz seine eigene Wohnung
verloren hat . Das hat etwas mit Trennung, Scheidung,
Schicksalsschlägen und vielen anderen Ereignissen zu
tun, mit Ereignissen jedenfalls, mit denen man persönlich
nur schwer umgehen kann .

Jetzt müssen wir uns fragen, wie wir diesen Men-
schen, ohne das parteipolitisch zu transportieren, wirk-
lich vernünftig helfen können . Ich will ganz offen sagen:
Ich hege durchaus Sympathie dafür, eine bundesweite
Statistik einzuführen .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das finden wir gut!)


Ich habe aber auch die Argumente zur Kenntnis genom-
men, die vom Bundesministerium vorgetragen wurden
und mit denen deutlich gemacht worden ist, warum jetzt
die Schritte in Richtung auf die Machbarkeitsstudie ein-
geleitet werden .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Antrag hat also schon gewirkt!)


Es gibt Probleme, weil diese Personen nicht so leicht zu
erfassen sind, da sie sehr mobil sind und oft von Ort zu
Ort ziehen . Es sind Personen mit anderen Lebenswegen,
die auch unterschiedliche persönliche Wege gehen .

Den vorliegenden Antrag lehnen wir heute ab . Wir ha-
ben das Ziel, in diesem Bereich, auch was die Statistik

Christian Kühn (Tübingen)







(A) (C)



(B) (D)


betrifft, durch die Länder voranzukommen. Ich finde es
aber gut und wichtig, dass wir als Deutscher Bundestag
das Zeichen setzen, dass wir uns intensiv um diejenigen
kümmern, die in Deutschland eine Wohnung suchen .
Dazu gehört zum Teil der soziale Wohnungsbau – das ist
richtig –, aber eben nicht nur, sondern wir müssen uns
den Themen der Menschen individuell nähern und ihnen
so helfen . Das wollen wir als CDU/CSU-Fraktion in Zu-
kunft weiterhin tun .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821522800

Vielen Dank . – Damit sind wir am Ende der Ausspra-

che angelangt .

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Woh-
nungslosigkeit wirkungsvoll angehen – Bundesweite
Statistik einführen“. Der Ausschuss empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11000,
den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/7547 abzulehnen . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Opposition angenommen .

Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf:

Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der So­

(Sozial­ kassenverfahrensicherungsgesetz – SoKaSiG)


Drucksache 18/10631

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Soziales (11 . Ausschuss)


Drucksache 18/11001

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich sehe kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Bernd Rützel, SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Bernd Rützel (SPD):
Rede ID: ID1821522900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen!

Sehr geehrte Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Sozialkassen haben eine sehr lange Tradition . Ihre
Ursprünge finden sich in der Weimarer Republik, und
kurz nach dem Zweiten Weltkrieg zeichnete sich ab,
dass für die typischen Anforderungen der Bauwirtschaft
dringend eine Lösung gefunden werden musste . Diese
typischen Anforderungen waren: kurze Beschäftigungs-
zeiten, regelmäßige Ausfälle in den Wintermonaten; es
fehlt eine feste Produktionsstätte, und die körperliche
Belastung auf dem Bau ist sehr hoch .

Schnell waren sich die Tarifvertragsparteien nach dem
Zweiten Weltkrieg einig, dass sie entsprechende Rege-
lungen in Eigenregie festlegen wollten . Die Verhand-
lungen zwischen den zuständigen Arbeitgeberverbänden
und der Interessenvertretung der Beschäftigten führten
zur Gründung der Urlaubs- und Lohnausgleichskasse so-
wie der Zusatzversorgungskasse .

Diese Einrichtungen bringen den Beschäftigten im
Bauhauptgewerbe seit Jahrzehnten verlässliche Leistun-
gen bei Urlaub oder Berufsbildung und gewähren beson-
dere Versorgungsleistungen, zum Beispiel die Rentenbei-
hilfe . Damit wird ein wichtiger Beitrag zur Vermeidung
von Altersarmut geleistet; denn Bauarbeiter erhalten
nicht selten eine staatliche Rente, die nur knapp über der
Grundsicherung liegt .


(Zuruf des Abg . Dr . Wolfgang StrengmannKuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Der Aufbau einer betrieblichen Altersversorgung ist in-
folge häufiger Arbeitgeberwechsel erschwert. Die Zu-
satzversorgungskasse schafft einen Ausgleich für diese
Nachteile, sie legt noch einmal etwas obendrauf .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Eine andere Besonderheit der Baubranche sind die Ar-
beitsausfälle im Winter . Damit Bauarbeiter in Schlecht-
wetterzeiten nicht ohne jeden Schutz dastehen, organi-
siert die Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft für die
Agentur für Arbeit den Beitragseinzug im Rahmen der
Winterbauförderung .

Im Urlaubskassenverfahren werden Urlaubsansprüche
der Bauarbeitnehmer gesichert . Das Baugewerbe ist von
unterjähriger Beschäftigung und sehr häufigem Arbeitge-
berwechsel geprägt . Wie soll denn ein Urlaubsanspruch
organisiert werden, wenn ein Beschäftigter häufige Ar-
beitsplatzwechsel hat? Bei welchem Arbeitgeber nimmt
er seinen Urlaub, und wer zahlt für die Urlaubszeit den
Lohn eines Bauarbeitnehmers aus? Dafür ist das Ur-
laubskassenverfahren da, das die Beschäftigten unter-
stützt, und die Erholung ist gerade bei den körperlich
herausfordernden Tätigkeiten im Bauhauptgewerbe von
sehr großer Bedeutung .

Die Sozialkassenverfahren sichern außerdem eine
qualitativ hochwertige überbetriebliche Berufsausbil-
dung, und auch dank überbetrieblicher Ausbildungszen-
tren, die die jungen Menschen besuchen können, erhalten
die Auszubildenden notwendige grundlegende Qualifika-
tionen auf einem sehr hohen und einheitlichen Niveau .

Davon profitieren wir direkt. Wenn wir uns um-
schauen, dass Bauwerke auf modernstem Stand entste-
hen, dann sehen wir ein: Dahinter steht unheimlich viel
Fachwissen und Know-how der Menschen, die so etwas
schaffen . Darüber bin ich sehr froh .

Diese Leistungen sind sehr wichtige soziale Errungen-
schaften, die es schon seit Jahrzehnten gibt, und wir sind
heute hier, weil es darum geht, diese Errungenschaften
zu sichern . Sie müssen für alle Betriebe im Bauhauptge-
werbe gelten, auch und gerade für die tarifungebunde-
nen . Der Schutz dieser Beschäftigten ist genauso wichtig .

Dr. Martin Pätzold






(A) (C)



(B) (D)


Dank der Allgemeinverbindlicherklärung, die wir noch
einmal gestärkt haben, profitieren bis zu 700 000 Bauar-
beitnehmer, 35 000 Auszubildende und 370 000 Rentner,
insgesamt also über 1 Million Menschen, von den Leis-
tungen der Sozialkassen .

Auch das Bundesarbeitsgericht, dessen Urteil der Aus-
löser dafür ist, dass wir heute hier stehen, stellt in seinen
jüngsten Urteilen das öffentliche Interesse an den Sozial-
kassenverfahren nicht in Abrede . Deswegen können und
wollen wir es nicht zulassen, dass diesem sehr wichti-
gen Instrument, auf dessen Grundlage Deutschland gut
aufgebaut wurde, aus formalen Gründen nachträglich der
Boden entzogen wird . In unserer Anhörung am Montag
ist ganz deutlich bestätigt worden, dass das nicht nur ver-
fassungsrechtlich in Ordnung, sondern geradezu geboten
ist . Ich nenne hier nur unseren Sachverständigen Profes-
sor Preis, der ausgeführt hat, dass der Gesetzgeber eine
Schutzpflicht hat, dass die wichtigen Ansprüche der von
mir angesprochenen Urlaubskassen, der Altersversor-
gung und der Ausbildungsfinanzierung geschützt werden
müssen .

Mit dem Gesetz treten wir den Bedenken des Bundes-
arbeitsgerichtes rechtssicher und belastbar entgegen . Die
Sozialkassenverfahren erhalten damit wieder eine gute
Basis, ein gutes Fundament . Damit schaffen wir eine
größtmögliche demokratische Legitimation . Ich möchte
allen, die an diesem Verfahren beteiligt waren, in der Re-
gierungskoalition genauso wie in der Opposition – das
war ein einstimmiges Ergebnis –, ganz herzlich für die-
sen schnellen, aber auch sehr fundierten Weg danken .

Die Bauarbeiter im Bauhauptgewerbe – ich wieder-
hole es, weil es wichtig und richtig ist – leisten eine
wichtige und hervorragende Arbeit . Die sehr intensive
Anhörung am Montag hat das bestätigt . Wir wollen, dass
diese Menschen fair bezahlt, fair behandelt und fair abge-
sichert werden . Dafür legen wir heute einen Grundstein .

Wir wollen wieder Ordnung herstellen, damit sich die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Bauhauptge-
werbe auch in Zukunft auf uns verlassen können, wie
sie es in den letzten Jahrzehnten getan haben . Das sind
wir ihnen schuldig . Wir lassen hier niemanden im Regen
stehen .

Vielen herzlichen Dank für diesen Weg .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821523000

Vielen Dank . – Jetzt hat der Kollege Matthias W .

Birkwald, Fraktion Die Linke, das Wort .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Katja Mast [SPD] – Katja Mast [SPD]: Da können wir mal alle klatschen!)



Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821523100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! 825 000 Beschäftigte und 370 000 Rentner und
Rentnerinnen in der Bauwirtschaft sollen weiterhin zu-

verlässig ihre Zusatzrenten von den Sozialkassen Bau
erhalten; denn – und das sage ich hier als rentenpoliti-
scher Sprecher der Linksfraktion – die Zusatzrente der
SOKA-BAU gewährt den Bauleuten seit fast 60 Jahren
eine zu 100 Prozent von den Arbeitgebern finanzierte
Betriebsrente . Das ist gut, und das soll auch so bleiben .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die SOKA-BAU übernimmt für 35 000 Auszubildende
die Ausbildungskosten und sichert die Urlaubsansprüche
der gewerblich tätigen Kolleginnen und Kollegen . Im In-
teresse der Beschäftigten sollten wir alle diese gute Ar-
beit weiter unterstützen .


(Beifall bei der LINKEN)


Damit die Kollegen auf dem Bau wieder ruhig schla-
fen können und damit dieser hohe und vorbildliche so-
ziale Standard im Baugewerbe auch in den nächsten
60 Jahren erhalten bleiben kann, müssen wir den heute
vorgelegten Gesetzentwurf schnell verabschieden . Wa-
rum? Seit dem Gerichtsurteil des Bundesarbeitsgerichts
vom 21 . September 2016 drohte der SOKA-BAU die In-
solvenz .

Was war passiert? Einzelne Betriebe hatten für sich selbst
festgestellt, dass sie überwiegend Arbeiten erledigten, die
nicht dem Bauhauptgewerbe zuzuordnen seien . Darum
haben sie dann keine Beiträge mehr an die SOKA-BAU
entrichtet und gerichtlich prüfen lassen, ob sie der All-
gemeinverbindlichkeit unterliegen . Das Bundesarbeits-
gericht hat dann völlig überraschend entschieden, dass
die Allgemeinverbindlicherklärungen der Jahre 2006 bis
2011 nicht rechtens zustande gekommen sind . Darauf
beruht aber die ganze Konstruktion der SOKA-BAU .
Durch die Allgemeinverbindlichkeit erlangen die Tarif-
verträge auch für tarifungebundene Beschäftigte und Un-
ternehmen der Baubranche Wirkung . Das Gericht hatte
dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales hand-
werkliche Fehler vorgeworfen; daran kommen wir in der
Rückschau nicht vorbei . Das haben auch Sachverständi-
ge in der Anhörung bestätigt . Deshalb, meine Damen und
Herren, gilt: Wir müssen handeln, und zwar jetzt .


(Beifall bei der LINKEN)


Aber es gibt noch ein Problem . Die Bauleute haben
während der Verfahrensdauer Leistungen der Urlaubskas-
se und natürlich auch Zusatzrentenleistungen erhalten .
Uns allen ist inzwischen klar geworden, dass die bereits
eingegangenen und noch möglichen Rückforderungen an
die SOKA-BAU und die Altersversorgungskassen das
gesamte über 65 Jahre gewachsene Sozialkassenverfah-
ren des Baugewerbes zum Einsturz bringen könnten . Das
will niemand; selbst die Klägerinnen und Kläger nicht,
wie ich denke . Sie sehen vor allem ihren eigenen kleinen
Betrieb . Wenn wir gleich das Sozialkassenverfahrensi-
cherungsgesetz verabschieden, dann werden die sozialen
Leistungen für die Baubeschäftigten gerettet . Aber die
Kleinbetriebe, die sich nicht als Betrieb des Bauhaupt-
gewerbes gesehen haben und jetzt Beiträge nachzahlen
müssen, werden mit diesem Gesetz nicht gerettet .

Bernd Rützel






(A) (C)



(B) (D)


Meine Damen und Herren, wir erklären heute die in
den Anlagen des Gesetzes aufgeführten Tarifverträge
rückwirkend für allgemeinverbindlich . Als Gesetzgeber
gestalten wir also in diesem Fall nicht . Wir loten auch
nicht aus, was möglich wäre . Demzufolge schauen wir
uns auch nicht einzelne Betroffene an . Nach dem In-
krafttreten des Sozialkassenverfahrensicherungsgeset-
zes müssen dann aber alle kleinen und mittelständischen
Unternehmen, die schon vor dem BAG-Urteil beitrags-
pflichtig waren, Beiträge an die SOKA‑BAU entrichten,
selbst dann, wenn sie zuvor geklagt hatten . Darum appel-
liere ich an die handelnden Akteurinnen und Akteure der
SOKA‑BAU höflich, aber sehr deutlich: Lösen Sie das
Geflecht aus Beitragsrückständen und Beitragsforderun-
gen mit viel Augenmaß auf! Es ist niemandem gedient,
wenn Beitragsrückstände mit Brachialgewalt geltend ge-
macht werden und damit Betriebe in den Ruin getrieben
werden; denn dann stünden bald viele Beschäftigte auf
der Straße . Das gilt es zu verhindern .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Albert Stegemann [CDU/CSU])


Mit der Verbändevereinbarung vom 19 . Januar 2017
ist der Weg zu einem verantwortungsbewussten Handeln
geebnet worden . Jetzt kommt es darauf an, ihn gemein-
sam zu beschreiten . Dem schließen wir uns an . Die Linke
stimmt dem Gesetzentwurf zu .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


– Da darf auch mal die CDU klatschen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821523200

Vielen Dank . – Karl Schiewerling ist jetzt der nächste

Redner für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU – Anja Karliczek [CDU/CSU]: Jetzt klatschen wir!)



Karl Schiewerling (CDU):
Rede ID: ID1821523300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Es ist offenkundig, dass es
hier und heute im Hohen Haus bei diesem Gesetzent-
wurf nicht um einen Gegensatz zwischen Regierung und
Opposition geht . Es geht um ein Gesetz, das in dieser
Form ein Novum ist . Zum ersten Mal heilen wir per
Gesetz Tarifverträge, die als allgemeinverbindlich an-
erkannt worden sind, deren Allgemeinverbindlichkeit
aber durch höchstrichterliche Rechtsprechung durch das
Bundesarbeitsgericht am 21 . September 2016 als nicht
ordnungsgemäß in seinem Ablauf und in seinen formalen
Bestimmungen angesehen wurde . Das ist mehr als unge-
wöhnlich . Es bestand die nicht geringe Gefahr, dass der
Gesetzgeber im Nachhinein nicht nur in dieses Verfahren
eingreift, sondern auch in die Inhalte dieser Tarifverträ-
ge . Wir haben ihr widerstanden . Wir haben nicht bewer-

tet und werten auch nicht, was die Tarifvertragsparteien
in ihren Tarifverträgen ausgehandelt haben .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Dass ein Bundesarbeitsgericht zu dem Urteil kommt,
dass es Formfehler gegeben hat und die Regelungen
rückwirkend nicht gelten, ist für uns eine Herausfor-
derung . Es geht darum – das wurde vorhin schon von
meinen Vorrednern benannt –, die Menschen, die über
die Sozialkassen Bau ihre Alterssicherung, ihre berufli-
che Ausbildung und ihre Urlaubsrückstellungen abgesi-
chert haben, jetzt nicht ins Bodenlose fallen zu lassen .
Nachdem das Gericht so entschieden hat, haben sich die
Forderungen der Firmen an die Sozialkassen gehäuft .
Deswegen droht die Gefahr der Überschuldung . Ob sie
wirklich vor der Tür steht, können wir als Gesetzgeber
nicht beurteilen . Wir sind schließlich keine Wirtschafts-
prüfer, die in die Bücher schauen können . Wir haben uns
lediglich angehört, was uns die Tarifpartner vorgetragen
haben . Es geht nun darum, die Grundlagen zu sichern .

Mir liegt allerdings sehr daran, deutlich zu machen,
dass sich die CDU/CSU-Fraktion in dieser Frage mehr
als schwergetan hat . Bei diesem Gesetz geht es nicht so
sehr um Formfehler, sondern um die in den letzten Jahren
entstandenen – um es vorsichtig zu sagen – erheblichen
atmosphärischen Störungen zwischen den Sozialkassen
Bau und den durch die Sozialkassen Bau tangierten . Über
viele Jahre gab es zwar Gespräche zwischen den betref-
fenden Parteien, aber die Atmosphäre war sehr kühl .
Aufgrund dieser Entwicklung haben sich im Verfahren
bestimmte Dinge entladen . Ich halte es für richtig und
gut, dass es uns als Unionsfraktion gelungen ist, die un-
terschiedlichen Partner an den Tisch zu bringen, sodass
sich das Bauhauptgewerbe und das Baunebengewerbe
endlich darauf verständig haben, wie sie in Zukunft die
Dinge regeln können . Wohlgemerkt: Nicht der Gesetzge-
ber hat gesagt, was herauskommen soll . Vielmehr haben
die Partner selbst verhandelt und entschieden, was her-
auskommen soll . Ich bin dankbar, dass dies möglich war .
Ich halte das für richtig .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Ich kann mich dem Kollegen Birkwald nur anschlie-
ßen, der die Sorge geäußert hat, dass nun die Betriebe,
die rückwirkend zahlen müssen, vor großen Problemen
stehen . Deswegen freue ich mich sehr, dass der Aus-
schuss für Arbeit und Soziales gestern mit großer Mehr-
heit eine Ausschusserklärung abgegeben hat, die eindeu-
tig die Forderung an die Sozialkassen Bau enthält – dazu
hat sich die SOKA‑BAU selbst verpflichtet –, diejenigen
Betriebe, die geklagt haben, nicht auf der Grundlage des
heute verabschiedeten Gesetzes rückwirkend zur Zah-
lung von Beiträgen zu zwingen, sondern sie von den
Forderungen freizustellen . Ich halte das für richtig . Ich
rate den Sozialkassen Bau, dieses Verfahren zügig anzu-
gehen . Wir haben das in unserer Erklärung entsprechend
deutlich gemacht .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)


Matthias W. Birkwald






(A) (C)



(B) (D)


Wir haben noch etwas anderes deutlich gemacht und
unterstrichen . Niemand soll sich jetzt einbilden, dass die
Verwerfungen und die atmosphärischen Störungen, die
sich in den letzten Jahren aufgebaut haben, durch das
Gesetz, dessen Entwurf wir heute verabschieden, auto-
matisch beendet sind . Es ist nun Aufgabe der Sozialkas-
sen, der Idee, die zu ihrer Gründung geführt hat, die wir
begrüßen und die in der deutschen Tariflandschaft eine
Einmaligkeit darstellt – das hat der Kollege Rützel sau-
ber dargelegt –, durch ein anderes, gesellschaftlich ver-
antwortliches und partnerschaftlich sinnvolles und gutes
Handeln – und zwar in Zusammenarbeit mit denjenigen,
die davon betroffen sind – zu neuer Blüte zu verhelfen
und für eine bessere Akzeptanz zu sorgen; das ist unser
Ziel . Mit solchen Selbsthilfen wollen wir die Akzeptanz
erhöhen . Mit dem Gesetz leisten wir dies .

Ich danke Ihnen .


(Beifall im ganzen Hause)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821523400

Vielen Dank . – Als Nächste spricht die Kollegin Beate

Müller-Gemmeke, Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle-
ginnen und Kollegen! Das Sozialkassenverfahrensiche-
rungsgesetz ist dringend notwendig; denn sonst wären
die Sozialkassen in der Bauwirtschaft existenziell gefähr-
det . Die Beschäftigten und die Betriebe vertrauen darauf,
dass die SOKA-BAU weiter existiert . Dabei geht es um
so wichtige Leistungen – es wurde schon angesprochen –
wie Zusatzrenten, Ausbildung und Urlaubsansprüche .
Vor diesem Hintergrund beschließen wir heute über den
Gesetzentwurf nach einem kurzen, aber aufgrund der öf-
fentlichen Anhörung auch transparenten Verfahren . Wir
beschließen es einstimmig, und das ist wichtig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gerade im Baugewerbe brauchen die Beschäftigten
besondere Unterstützung . Wo sonst verhageln Unwetter
ganze Arbeitstage? Wo sonst sorgen Wintereinbrüche für
Baustopps und vorübergehende Arbeitsausfälle? Kaum
eine andere Branche ist so vom Wechsel und von sai-
sonalen Schwankungen geprägt . Die Beschäftigten der
Bauwirtschaft brauchen die SOKA-BAU . Aus diesem
Grund unterstützen wir Grüne bei diesem Gesetzentwurf
das schnelle Handeln der Bundesregierung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Solche gemeinsamen Einrichtungen funktionieren nur
mit allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen, die
für alle gelten, also auch für die nicht tarifgebundenen
Betriebe . Das war in der Vergangenheit eine Selbstver-
ständlichkeit . Das Bundesarbeitsgericht hat nun aber
entschieden, dass die Tarifverträge rückwirkend nicht
mehr als allgemeinverbindlich gelten . Das sorgt jetzt für

erhebliche Rückzahlungsforderungen und Turbulenzen,
und das bringt die SOKA-BAU massiv in Bedrängnis .
Deswegen ist eine schnelle Lösung unbedingt erforder-
lich .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Die Gründe für das Urteil sind rein formaler Natur;
das wurde schon kurz angesprochen . Die Richter bezie-
hen sich zum einen auf das damals noch gültige Quorum
von 50 Prozent . Zum anderen bemängeln sie, dass die
damaligen Bundesminister sich nicht persönlich um die
Allgemeinverbindlicherklärung gekümmert haben . Das
öffentliche Interesse – und das ist wichtig – an den für
allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen wurde
aber nicht infrage gestellt; es wurde vielmehr bestätigt .
Deshalb war die Bundesregierung in der Pflicht, zu han-
deln .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Regelungen der Tarifverträge werden jetzt rück-
wirkend für alle Arbeitgeber gesetzlich angeordnet . Ma-
teriell bleibt alles beim Alten . Das Gesetz übernimmt den
Anwendungsbereich der Tarifverträge . Es wird formal
eine Rechtsgrundlage für das Sozialkassenverfahren ge-
schaffen . Das unterstützen wir .

Während der Beratung – das wurde schon angespro-
chen – gab es auch lautstarke Kritik am Sozialkassen-
verfahren . Dabei ging es um Inhalte, Fristen und Ab-
grenzungen, also um die materielle Ausgestaltung . Hier
muss neu verhandelt, nachverhandelt werden . Es wäre
gut, wenn der alte Streit endlich begraben würde . Dafür
gibt es die Vereinbarung, die schon genannt wurde . Aber
schlussendlich ist das nicht Sache der Politik, sondern
Sache der Sozialpartner .

Für uns war bei der ganzen Debatte entscheidend,
dass das Sicherungsgesetz verfassungskonform ausge-
staltet ist . Deshalb wollten wir auch eine Sachverständi-
genanhörung im Ausschuss . Dort waren alle Rechtswis-
senschaftler einhellig der Meinung: Das Gesetz verstößt
nicht gegen verfassungsrechtliche Vorgaben . – Nie-
mand – wir haben extra nachgefragt – konnte uns eine
andere gesetzliche Alternative aufzeigen .

Vor diesem Hintergrund werden auch wir dem Ge-
setzentwurf heute zustimmen; denn von der SOKA-BAU
profitieren einfach extrem viele Beschäftigte – die Zah-
len wurden genannt – und viele Betriebe . Vor allem pro-
fitieren mehr als 35 000 junge Menschen von der über-
betrieblichen Ausbildung . Der Erhalt der gemeinsamen
Einrichtungen im Baugewerbe ist also politisch geboten .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Karl Schiewerling






(A) (C)



(B) (D)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821523500

Vielen Dank . – Letzter Redner zu diesem Tagesord-

nungspunkt ist Wilfried Oellers, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Wilfried Oellers (CDU):
Rede ID: ID1821523600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen
und Herren! Ich betone ganz zu Anfang: Die SOKA-BAU
als solche ist das Ergebnis gelebter Tarifpartnerschaft .
Wünschenswert wäre, wenn alle Branchen Derartiges,
natürlich zugeschnitten auf ihre jeweiligen Bedürfnisse,
regeln würden . Dann hätten wir als Gesetzgeber manche
Dinge nicht zu regeln . Auf die Regelungsinhalte haben
der Kollege Rützel und einige andere Redner schon hin-
gewiesen . Darauf darf ich verweisen .

Der gesamte Prozess hat allerdings gezeigt, dass es in
diesem Bereich noch viele Aufgaben zu erledigen und
auch zu verteilen gibt . Wenn vorgetragen wird, dass es
sich hier um rein formale Probleme handelt, die das Bun-
desarbeitsgericht in seinen Beschlüssen vom 21 . Septem-
ber 2016 aufgeführt hat, dann stimmt das nicht ganz . Es
ist natürlich interessant, zu wissen, was im Urteil steht,
aber was nicht im Urteil steht, ist genauso interessant .

Mit diesem Gesetz wird zum Beispiel auch die Tarif-
fähigkeit der Tarifpartner der Baubranche geregelt, die
vom Bundesarbeitsgericht in der mündlichen Verhand-
lung infrage gestellt worden ist . Hier ist mein Appell an
die Tarifpartner, dass die entsprechenden Aufgaben sat-
zungsmäßig sofort und unverzüglich geregelt werden,
damit die Zuständigkeiten geklärt sind .

Darüber hinaus hat das Verfahren auch gezeigt, dass
wir in der Branchenabgrenzung zwischen Bauhaupt- und
Baunebengewerbe erhebliche Schwierigkeiten haben .
Hier liegt der eigentliche Knackpunkt dieser Angelegen-
heit .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, eigentlich nicht!)


Die bisherigen Regelungen scheinen nicht zufriedenstel-
lend zu sein, insbesondere für das Baunebengewerbe .
Hier sei zum Beispiel die große Einschränkungsklau-
sel genannt . Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens
konnte nun eine Verbändevereinbarung zwischen dem
Bauhaupt- und dem Baunebengewerbe erreicht werden .
Da hier schon darauf eingegangen wurde, nur in kurzen
Stichpunkten: Beweislast bei der SOKA-BAU, Einrich-
tung einer Schlichtungsstelle und Einschränkung des
Geltungsbereichs seitens der Bautarifverträge und der
Tarifpartner vor dem Hintergrund der Kriterien Mitglied-
schaft und Fachlichkeit .

In der Ausschusserklärung ist ausdrücklich erwähnt,
dass vonseiten der SOKA-BAU erwartet wird, dass die
jeweiligen Beschwerdeführer vor dem Bundesarbeitsge-
richt von ihren Forderungen, die ihnen gegenüber gel-
tend gemacht werden, freigestellt werden . Es lohnt sich,
an dieser Stelle die Ausschusserklärung zu lesen . Der
Gesetzgeber hat deutlich gemacht, dass er von der Bau-
branche erwartet, dass die Regelungen zügig angegangen
und zeitnah umgesetzt werden .

Meiner Ansicht nach sind weitere Regelungen auf
den Prüfstand zu stellen, zum Beispiel Rückforderun-
gen über vier Jahre oder auch Rückforderungen mit ei-
ner 12-prozentigen Verzinsung . Das sind Dinge, die die
Unternehmen existenziell bedrohen, wenn sie von der
SOKA-BAU in Anspruch genommen werden . Darüber
hinaus – es ist erwähnt worden – sollte die SOKA-BAU
den Umgang mit den Betrieben prüfen, der zu erhebli-
cher Kritik geführt hat .

Die Baubranche muss sich auch noch einmal über den
Leistungskatalog der SOKA-BAU Gedanken machen,
insbesondere über die festgesetzten Voraussetzungen . Es
ist doch so: Wenn ich im Rahmen der Diskussionen die-
ses Thema angesprochen habe, wurde mir immer gesagt,
man solle nicht in Tarifverträge eingreifen . Allerdings
haben hier die Tarifpartner den Wunsch an den Gesetz-
geber gerichtet, gesetzgeberisch tätig zu werden, um die
SOKA-BAU zu retten . Dann muss es dem Gesetzgeber
doch erlaubt sein, hier entsprechende inhaltliche Anmer-
kungen zu machen .

Die Verfassungsmäßigkeit ist angesprochen worden .
Es ist richtig, dass im Rahmen der öffentlichen Anhörung
im Ausschuss keine Bedenken geäußert worden sind . Al-
lerdings gibt es in der Literatur eine breite Meinung, die
das anders sieht .

Abschließend möchte ich auf einen Umstand hin-
weisen . Es geht um Kritik an den Richtern des Bun-
desarbeitsgerichts, die des Öfteren geäußert worden ist,
insbesondere auch von den Sachverständigen in der öf-
fentlichen Anhörung – ich darf zitieren –,


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das war ein Unionssachverständiger!)


„hier sei ein noch nicht ganz fertiger junger Prädikats-
jurist am Werke gewesen, der aber die Folgen seiner
Entscheidung nicht richtig eingeschätzt hat“ . Derartige
abfällige Bemerkungen über Bundesrichter lasse ich so
nicht stehen . Ich betone für meine Fraktion ausdrücklich,
dass sie unser Vertrauen genießen und auch unsere Wert-
schätzung .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Ursache dieser Angelegenheit liegt nicht bei den
BAG-Richtern, sondern bei den handelnden Akteuren .
Auf diese kommt nun viel Arbeit zu . Der Gesetzgeber
geht in Vorleistung . Ich erwarte, dass diese Aufgaben
bewusst angegangen und im Sinne der Vernunft und des
Rechtsfriedens aller bewältigt werden .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821523700

Vielen Dank . – Damit sind wir am Ende der Ausspra-

che .

Auch wenn alle Fraktionen zugesichert haben, zuzu-
stimmen, müssen wir formal abstimmen über den von
den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrach-
ten Gesetzentwurf zur Sicherung der Sozialkassenver-
fahren im Baugewerbe .






(A) (C)



(B) (D)


Hierzu liegen Erklärungen nach § 31 unserer Ge-
schäftsordnung vor .1)

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11001,
den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und
der SPD auf Drucksache 18/10631 anzunehmen . Ich bit-
te diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? Drei Ab-
geordnete der CDU/CSU-Fraktion . Wer enthält sich? –
Eine Enthaltung von Herrn Oellers . Trotzdem ist der Ge-
setzentwurf in zweiter Beratung angenommen worden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir kommen jetzt zur

dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist in dritter Beratung mit den Stimmen der Ko-
alitionsfraktionen und der Opposition bei Gegenstimmen
aus der CDU/CSU-Fraktion und einer Enthaltung aus der
CDU/CSU-Fraktion angenommen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)


Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(14 . Ausschuss)

Vogler, Sabine Zimmermann (Zwickau), Herbert
Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Patientenberatung unabhängig und gemein­
nützig ausgestalten
Drucksachen 18/7042, 18/9979

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Hierzu höre
ich keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich bitte Sie, die Plätze zügig einzunehmen . – Ich er-
öffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege Reiner
Meier, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Reiner Meier (CSU):
Rede ID: ID1821523800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir führen heute die erste Debatte zu Patientenrechten in
diesem Jahr, und sie betrifft wieder einmal die Unabhän-
gige Patientenberatung . Das ist in mehrfacher Hinsicht
bemerkenswert . Zunächst einmal beeindruckt das Alter
der Vorlage, die unverändert aus dem vorletzten Jahr
datiert . Des Weiteren haben wir die UPD und ihre Neu-
vergabe im Ausschuss und im Plenum zwischenzeitlich
so oft behandelt, dass eigentlich alles darüber gesagt ist,
insbesondere weil Ihr Antrag auch keine wirklich neuen

1) Anlage 4

Gedanken formuliert . Schließlich wird im Antrag bereits
eine Neuausrichtung der UPD gefordert, noch bevor der
Träger seine Arbeit aufgenommen hatte . Diese Fähigkeit
zur Hellseherei finde ich bemerkenswert.

Meine Damen und Herren, ich möchte daran erinnern,
dass es die Regierungskoalition war, die im Jahr 2014
die Laufzeit der UPD von bisher fünf auf sieben Jahre
verlängert hat . Gleichzeitig wurde die Finanzausstattung
von 5 Millionen auf 9 Millionen Euro fast verdoppelt .


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Genau! Das gehört zur Wahrheit dazu!)


Wir haben das Angebot der UPD nicht nur deutlich aus-
geweitet, sondern haben auch ganz entscheidende Schrit-
te unternommen, es zu verstetigen . Das ändert aber nichts
an meiner festen Überzeugung, dass die Ausschreibung
auch bei einer dauerhaft gesicherten Finanzierung das
richtige Instrument zur Weiterentwicklung der UPD ist
und auch bleibt .

Ein gesunder Wettbewerb bringt Innovationen und ei-
nen Anreiz, immer wieder besser als der Status quo zu
sein . Dieses Potenzial sollten wir den Patienten nicht
vorenthalten . Aus demselben Grund kann ich auch Ih-
rem Vorschlag wenig abgewinnen, die UPD dauerhaft an
die Organisationen nach § 140f SGB V zu vergeben . Es
stellt sich nämlich schon ganz grundsätzlich die Frage,
ob die Unabhängige Patientenberatung – dabei handelt
es sich um einen öffentlichen Auftrag – überhaupt ohne
Ausschreibung vergeben werden dürfte . In jedem Fall ist
es ein ganz fragwürdiges Vorgehen, wenn man eine Aus-
schreibung abschaffen will, nur weil einem das Ergebnis
nicht passt .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist richtig!)


Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch kurz
auf den Patientenbeauftragten eingehen . Wenn man sich
Sinn und Zweck des Amtes vor Augen führt, muss jedem
klar werden, dass es nur in der Bundesregierung richtig
verortet ist . Es gilt nämlich auch hier der Grundsatz der
Gewaltenteilung . Ein Patientenbeauftragter des Bundes-
tages dürfte keine Kompetenzen haben, die über jene
des Bundestages hinausgehen . Auch mit dem Wehrbe-
auftragten des Deutschen Bundestages wäre ein solcher
Patientenbeauftragter in keiner Weise vergleichbar . Das
Amt des Wehrbeauftragten folgt aus der besonderen ver-
fassungs- und dienstrechtlichen Stellung unserer Solda-
tinnen und Soldaten . Das lässt sich ganz offensichtlich
nicht auf unser Gesundheitswesen übertragen . Und ein
rein symbolisches Organ des Bundestages zu schaffen,
das erscheint mir deshalb, mit Verlaub, völlig überflüssig.

Ich hoffe im Übrigen, dass der aktuelle Patienten-
beauftragte mit seinem unermüdlichen Einsatz für die
Patienten in unserem Land Ihren Antrag inzwischen ent-
behrlich gemacht hat . Gestatten Sie mir an dieser Stel-
le, unserem Patientenbeauftragten Karl-Josef Laumann,
der ein leidenschaftlicher Anwalt des Patientenrechtes in
unserem Land ist, den gebührenden Dank zukommen zu
lassen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Helga Kühn-Mengel [SPD])


Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben
mit der UPD eine gute und effektive Institution, die vie-
len Bürgern in unserem Land tagtäglich wertvolle Unter-
stützung und Orientierung gibt . Ich bin überzeugt, dass
die Strukturen der UPD schon heute dazu beitragen, dass
sie sich stetig weiterentwickelt und stetig besser wird .
Für Ihre Forderungen sehe ich deshalb aktuell keine
Grundlage . Aus diesem Grund werden wir Ihren Antrag
heute ablehnen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821523900

Vielen Dank . – Für die Linke spricht jetzt Kathrin

Vogler .


(Beifall bei der LINKEN)



Kathrin Vogler (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821524000

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Meine Damen und Herren! Hunderte von
Patientinnen und Patienten haben in den letzten Jahren
allein bei mir im Büro angerufen, weil sie Hilfe suchten
im Umgang mit Krankenkassen, mit Krankenhäusern,
mit Ärztinnen und Ärzten . Ich glaube, alle Kolleginnen
und Kollegen aus dem Gesundheitsausschuss kennen
das . Da war es ein richtiger Lichtblick, als vor sechs Jah-
ren endlich die UPD, die Unabhängige Patientenberatung
Deutschland, mit über 20 Beratungsstellen und einer tele-
fonischen Hotline vom Projektversuch zur Regelleistung
wurde – kostenfrei zugänglich für jede und jeden . Herr
Kollege Meier, es ist ja bekannt, dass gerade wir Linke
generell kritisch eingestellt sind gegenüber der Tendenz,
alles im Gesundheitswesen, womit man irgendwie Profit
machen könnte, zu privatisieren .


(Beifall bei der LINKEN)


Dass allerdings auch noch die Patientenberatung pri-
vatisiert werden könnte, das haben wir uns nicht vorstel-
len können, selbst in unseren schlimmsten Albträumen
nicht .


(Reiner Meier [CDU/CSU]: Das ist eine gemeinnützige GmbH!)


Und doch ist es geschehen: Die Krankenkassen, die über
die Vergabe der UPD entscheiden, haben mit Zustim-
mung des Patientenbeauftragten der Bundesregierung,
Karl-Josef Laumann von der CDU, vor einem Jahr ent-
schieden, die UPD an einen privaten Callcenterbetreiber
zu vergeben . Ich halte das nach wie vor für einen der
größten gesundheitspolitischen Skandale dieser Wahlpe-
riode .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Seit einem Jahr arbeitet diese neue UPD-Gesellschaft .
Der WDR hat kürzlich untersucht, was die Ratsuchenden
dort erwartet . Das ist einigermaßen ernüchternd . Tatsäch-
lich ist die Hotline gut erreichbar . Aber das ist ja wohl
das Mindeste, was man erwarten kann, wenn man die

Zuwendungen fast verdoppelt und das Ganze an einen
Callcenterbetreiber vergibt .


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Das ist jetzt aber auch nicht schlecht, Frau Kollegin!)


Zudem werden nicht mehr Ratsuchende erreicht. Effizi-
ent werden die 9 Millionen Euro aus der GKV offenbar
nicht genutzt .

Die Zahl der lokalen Beratungsstellen wurde ebenfalls
erhöht . Das haben wir immer gefordert . Doch diese sind
nur stundenweise besetzt . Sie haben oft nicht einmal ein
eigenes Türschild . Und auf einen Termin muss man auch
einmal zwei Wochen warten .


(Reiner Meier [CDU/CSU]: Ist das auch schlecht?)


Das Schlimmste ist: Die Beratungsqualität hat schwer
gelitten, weil der neue Anbieter nicht über die erfahrenen
Beraterinnen und Berater der alten UPD, die von Pati-
enten- und Verbraucherschutzorganisationen getragen
wurden, verfügt . So wurden den Ratsuchenden teilweise
am Telefon andere Auskünfte erteilt als in der persönli-
chen Beratung oder per E-Mail . Die Beraterinnen und
Berater wussten häufig auch nichts über lokale weiter-
führende Hilfe- und Beratungsangebote . Das ist ja kein
Wunder, wenn Sie heute in Münster, morgen in Bielefeld
und übermorgen in Dortmund arbeiten müssen . Das ist
ein grundsätzliches Problem des Ausschreibungsverfah-
rens auf Zeit . Bei jedem Anbieterwechsel gehen wichtige
Kompetenzen verloren . Vor allem kann man die Vernet-
zung vor Ort nicht ohne Weiteres schnell wieder aufbau-
en .

Die Linke sagt: Patientenberatung darf nicht zum
Renditeobjekt werden, sondern muss ausschließlich dem
Wohl der Patientinnen und der Patienten und dem Ge-
meinwohl dienen .


(Beifall bei der LINKEN – Reiner Meier [CDU/CSU]: Wird es auch nicht!)


Das können die gemeinnützigen Organisationen, die für
die Vertretung von Patienteninteressen anerkannt sind,
am besten .


(Reiner Meier [CDU/CSU]: Auch eine gemeinnützige GmbH!)


Und deshalb fordern wir, die Unabhängige Patientenbe-
ratung dauerhaft von diesen Organisationen durchführen
zu lassen, die schon von ihrer eigenen Motivation her
viel näher an den Interessen der Patienten sind .


(Beifall bei der LINKEN)


Jetzt zur Finanzierung . Das Sozialgesetzbuch V re-
gelt, dass die gesetzlichen Krankenkassen die UPD fi-
nanzieren müssen . Die Privatversicherungen können sich
freiwillig beteiligen . Es sind aber auch Privatversicherte
oder Nichtversicherte, die bei der UPD Rat suchen . Des-
wegen ist es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe . Die
Linke hält es für angebracht, dass wir das aus Steuermit-
teln finanzieren.


(Beifall bei der LINKEN)


Reiner Meier






(A) (C)



(B) (D)


Damit müssen wir übrigens nicht bis 2023 warten,
bloß weil die Sanvartis-UPD den Zuschlag für sieben
Jahre erhalten hat . Bei der Anhörung im Gesundheits-
ausschuss haben wir gehört, dass der Vertrag bei einer
neuen Rechtslage automatisch ausläuft und kein finanzi-
eller Schaden für die Krankenkassen entsteht . Deswegen,
liebe Kolleginnen und Kollegen, können Sie ruhig über
Ihren Schatten springen und unserem Antrag zustimmen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821524100

Vielen Dank . – Jetzt hat die Kollegin Helga Kühn-

Mengel für die SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Helga Kühn-Mengel (SPD):
Rede ID: ID1821524200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf
der Besuchertribüne! Wir beraten ein wichtiges Thema,
auch wenn es nur einen kleinen zeitlichen Rahmen er-
hält . Aber hier geht es um einen Aspekt der Versorgung,
nämlich den Patienten und die Patientin im Gesundheits-
system besser zu informieren . Wir haben immer gesagt –
ich habe es hier immer wieder für meine Fraktion gesagt
und will es wiederholen –: Die gut informierten Patienten
und Patientinnen bewegen sich nicht nur selbstbewusster
im System, sondern auch ökonomischer. Alle profitieren
davon, wenn man Wissen verstärkt .

Im Jahre 2000 – Frau Präsidentin, Sie wissen das noch –
wurde die Unabhängige Patientenberatung Deutschland
beschlossen und in das Gesetz aufgenommen; zunächst
als Modellprojekt, weil man sich noch nicht richtig vor-
stellen konnte, wie es funktionieren sollte . Es gab damals
vieles von dem, was wir heute haben, noch nicht . Es gab
kein IQWiG, ein Institut, das mehr Transparenz in die
Versorgung bringen sollte, bezogen auf Arzneimittel . Es
gab kein IQTIG, eine Institution, die Transparenz in die
Krankenhausabläufe bringen sollte . Es gab noch keine
strukturierten Behandlungsprogramme, die definierten,
was zu einer guten Versorgung gehört . Es gab übrigens
auch noch keinen Patientenbeauftragen . Vieles andere,
was in der Folgezeit in Sachen Qualität entwickelt wor-
den ist, war auf dem Weg, aber noch nicht beschlossen .

Es gab aber ein Gesundheitssystem, das sich als ein
System mit Über- und Unter- und Fehlversorgung dar-
stellte . Es gab sehr viel Undurchsichtiges, wenig Koordi-
nation und Kooperation . Stark ausgeprägte Sektoren gibt
es heute noch, und an den Sektorengrenzen gehen immer
Informationen für die Patienten und auch Geld verloren .
All das hat dazu geführt, dass gesagt wurde: Wir brau-
chen so etwas wie eine unabhängige Patientenberatung .
Zunächst war es, wie gesagt, ein Modellprojekt .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


– Ja, das verdient einen Applaus .

Ich habe mich in einigen Ländern in Europa ein wenig
umgesehen und festgestellt: Etwas, was mit der Patien-

tenberatung, die wir hier hatten, vergleichbar ist, gibt es
nicht . Es gibt so etwas in Ansätzen in skandinavischen
Ländern, auch in den Beneluxstaaten . Vergleichbares
hatte England im Rahmen des National Health Service .
Dort hat man aber irgendwann stattdessen ein Callcenter
eingesetzt, und seitdem ist keiner mehr damit glücklich .

Unsere UPD hat sich aber gut entwickelt . Am Anfang
hatte sie übrigens auch noch keine beeindruckende Qua-
lität, aber sie wurde mit wirklich viel Engagement stetig
verbessert . Das war schon ein sehr gutes Angebot für die
Nutzer und Nutzerinnen des Systems .


(Beifall der Abg . Hilde Mattheis [SPD] und Kathrin Vogler [DIE LINKE])


– Frau Mattheis, Sie sind heute fast alleine damit, aber
Sie überzeugen mich sehr mit Ihrem Beifall .


(Beifall bei der SPD – Tino Sorge [CDU/ CSU]: Das ist qualitativer Beifall!)


Der Kollege von der CDU/CSU hat es deutlich ge-
macht: Nach und nach wurde das System immer weiter
ausgebaut: Erhöhung der Zahl der Beratungsstellen auf
31, der Mittel von 5 auf 9 Millionen Euro; im Jahre 2011
wurde das Angebot zur Regelleistung . All das waren
wichtige Schritte – ebenso die Verlängerung der Förder-
dauer; denn wir wollten eine Verstetigung erreichen,


(Hilde Mattheis [SPD]: Ja!)


damit die Mitarbeiter wussten, dass sie bleiben und ihre
Kompetenz weiterentwickeln konnten .

Ich sage ganz offen – es ist ja auch gegen Ende einer
Legislatur durchaus sinnvoll, dass man mal sagt, ob alles
richtig war –: Ich hätte nicht gedacht, dass ein solcher
Anbieter mit der Patientenberatung beauftragt würde .
Wir alle haben sozusagen im Common Sense gedacht,
der Auftrag könne ja nur weiter an den bisherigen An-
bieter gehen .


(Mechthild Rawert [SPD]: Ein Teil hat das gedacht!)


– Ich will jetzt gar nicht streng sein . Ich sage nur, was
viele gedacht haben, nämlich dass die Patientenberatung
bei denen verbleibt, die den Qualitätsaufbau, die Qua-
litätssicherung und auch die Evaluation wirklich immer
weiter verstärkt haben .

Jetzt war ein Auditor beim neuen Träger . Natürlich
waren durchaus einige Punkte festzustellen: Die Erreich-
barkeit wurde verbessert, nicht räumlich, sondern tele-
fonisch, aber alle Zahlen, die vorgegeben worden sind,
wurden noch nicht erreicht – das muss man sehen . Aber
das Allerwichtigste – das sage ich auch im Namen mei-
ner Fraktion – ist und bleibt die Unabhängigkeit der Pa-
tientenberatung .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Deswegen sollte in der nächsten Legislatur doch noch
einmal darüber nachgedacht werden, wie dieses Angebot
ausgestaltet werden kann . Auch die Experten und Exper-
tinnen haben das bei der Anhörung deutlich gemacht und

Kathrin Vogler






(A) (C)



(B) (D)


eine Neuordnung gefordert . Wir von der SPD sagen: Das
muss Bestandteil neuer Verhandlungen sein .


(Beifall bei der SPD)


Darüber muss man diskutieren . Das ist jetzt keine große
Kritik, sondern ein Hinweis auf eine Notwendigkeit .

Ihrem Antrag können wir nicht zustimmen . Man kann
nicht alles Mögliche infrage stellen und mal eben eine Fi-
nanzierung der Patientenberatung mit Steuermitteln und
die Einrichtung des Amts des Patientenbeauftragten des
Deutschen Bundestages fordern . Das muss man mit Ruhe
machen . Man muss sehen, was sich bewährt hat und was
nicht . Und ich sage es noch einmal: Dass eine solche
Stelle Patienten und Patientinnen berät, ist gut . Die Un-
abhängigkeit müssen wir als noch höheres Gut ansehen .


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Und die Qualität nicht vergessen!)


Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Reiner Meier [CDU/CSU])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821524300

Vielen Dank . – Jetzt spricht für Bündnis 90/Die Grü-

nen Maria Klein-Schmeink .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Es ist nicht das erste Mal, dass wir über die Unab-
hängige Patientenberatung sprechen,


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Es wäre auch schlimm, wenn wir zum ersten Mal darüber reden würden!)


und ich bin mir ziemlich sicher, dass wir noch häufiger
darüber sprechen müssen . Gleichzeitig muss man aber
auch sagen: Die Ziele, die im vorliegenden Antrag der
Linken niedergelegt sind – die Verstetigung der Unab-
hängigen Patientenberatung, die Trägerschaft durch die
von uns gesetzlich bestimmten Patientenverbände, die im
SGB V als die Patientenverbände festgelegt sind, die in
den Gremien der Selbstverwaltung vertreten sind, die Si-
cherung der Unabhängigkeit und die Stärkung des Amtes
des Patientenbeauftragten oder der Patientenbeauftragten
der Bundesregierung –, sind in sich sinnvolle Ansätze,
die sicherstellen, dass wir das, was wir hier alle immer
so schnell betonen, nämlich den Patienten in den Mittel-
punkt zu stellen, strukturell und durch konkrete Maßnah-
men auch tatsächlich unterlegen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


In dieser Wahlperiode gibt es in diesem Bereich aller-
dings erhebliche Mängel .

Wir haben 2011 einen wichtigen Schritt gemacht und
aus der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland
ein Regelangebot gemacht . Wir haben gesagt: Zu den
Aufgaben unserer Krankenversicherung gehört es, dafür
zu sorgen, dass die Patienten eine wirkungsvolle Struktur

vorfinden, innerhalb der sie ihre Beteiligungsrechte auch
ausüben können,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


wo Informationen für sie bereitgestellt werden, wo sie
sozusagen Anwälte finden, die sie empathisch und un-
abhängig in ihrem Sinn beraten und unterstützen . Das,
meine Damen und Herren, war nach 15 Jahren eigentlich
der Stand der Dinge, auf den wir uns fraktionsübergrei-
fend geeinigt hatten . Eigentlich! Es gab einen Patienten-
beauftragten, der sich wirklich als Anwalt der Patienten
verstanden hat und das Konzept genau umgesetzt hat .
Dafür hatte er immer meinen höchsten Respekt und mei-
ne höchste Anerkennung; das muss ich ganz klar für die
letzte Wahlperiode sagen .


(Beifall der Abg . Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Dann haben wir, nachdem unendlich oft evaluiert,
ausgewertet und geprüft worden ist, gesagt: Ja, wir müs-
sen etwas dafür tun, dass die Beratungsstellen auch in die
Fläche kommen, damit wir mehr Anlaufstellen haben .
Wir haben gesagt: Wir müssen das große Manko, das
wir haben – wir konnten den tatsächlichen Bedarf nicht
decken –, beheben . Diesen Schritt haben Sie als Große
Koalition sogar getan . Aber was haben Sie gleichzeitig
gemacht? Sie erhöhen die Mittel von 5 Millionen auf
7 Millionen Euro


(Reiner Meier [CDU/CSU]: 9!)


– auf 9 Millionen –, aber schließen gleichzeitig einen
Vertrag mit längerer Laufzeit mit einem privaten Call-
center . Was hat das eigentlich zu bedeuten? Man hat ech-
ten Kahlschlag an einer ganz wichtigen Struktur began-
gen, und das muss man Ihnen wirklich vorwerfen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Maria Michalk [CDU/ CSU]: Das ist absolut falsch!)


Schauen wir uns die gesamten Bewertungen, die es
gibt, an . Wir haben mehrere Anfragen, auch Kleine An-
fragen, gestellt . Es wurde deutlich: Die Versprechen, die
der private Anbieter im Ausschreibungsverfahren getä-
tigt hat, sind nicht halbwegs erfüllt worden .


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Das ist doch nicht bewiesen!)


Im Ausschreibungsverfahren war die Rede von
200 000 Beratungskontakten . Man hat noch nicht einmal
das geschafft, was bis dahin die alte UPD mit weniger
Mitteln und mit weniger Menschen geschafft hatte .


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Nach wie vielen Jahren? Das ist das erste Jahr!)


Sie haben vertraglich festgelegt, dass der neuen UPD ein
Übergangszeitraum von einem halben Jahr eingeräumt
wird, um die Vertragspflichten zu erfüllen. Aber nach ei-
nem halben Jahr war noch nicht einmal ein Bruchteil der
Vertragsverpflichtungen erfüllt.


(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Helga Kühn­Mengel






(A) (C)



(B) (D)


Deshalb muss man wirklich von einem Kahlschlag an ei-
ner sehr sinnvollen Struktur reden . Man muss den Finger
in die Wunde legen und sagen: So kann es nicht weiter-
gehen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich habe die GKV und den Patientenbeauftragten an-
geschrieben und gefragt: Was macht ihr eigentlich? Uns
liegen Zahlen vor, die belegen, dass die Ausschreibungs-
zusagen nicht eingehalten worden sind . Dann wird ge-
sagt: Bin ich nicht zuständig . – Der eine sagt: Ich bin
nicht zuständig . – Der andere sagt ebenfalls, er ist nicht
zuständig . So kann man nicht mit dem Geld der Versi-
chertengemeinschaft umgehen . So darf das nicht weiter-
gehen . Von daher werden wir weiter nachbohren: Werden
die Zusagen erfüllt, die da vertraglich gegeben worden
sind? Werden wir wirklich ein Beratungsangebot im Sin-
ne der Patienten haben?

Wir müssen heute leider sagen: Es hat eine Entwick-
lung eingesetzt, in deren Ergebnis wir ein Callcenter mit
mehr oder weniger abstrakten Gesundheitsinformationen
haben .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821524400

Frau Abgeordnete, kommen Sie bitte zum Schluss .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber der Einzelne mit seinem konkreten Behand-
lungs- und Fragebedarf, seinem Bedarf an psychosozia-
ler Beratung, an rechtlicher Beratung bleibt auf der Stre-
cke . So darf das nicht weitergehen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821524500

Jetzt hat der Kollege Dr . Georg Kippels, CDU/

CSU-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Georg Kippels (CDU):
Rede ID: ID1821524600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Bei der Vorbereitung der Rede entstand bei mir zunächst
ein bisschen der Eindruck, dass man in erster Linie nur
seinen Unmut darüber äußern wollte, dass aus rein ideo-
logischen Gründen – und auch noch mit einem erhebli-
chen Zeitverzug – einfach nur ein neuer Beteiligter im
Gesundheitswesen kritisiert wird . Bei nochmaliger Be-
trachtung bin ich dann allerdings zu der positiven Ein-
schätzung gelangt, dass der Antrag mir und uns heute in
der Debatte die Gelegenheit gibt, einmal die Vorzüge und
die Funktionstauglichkeit der Unabhängigen Patienten-
beratung Deutschland zu bewerben und auch den Zuhö-
rerinnen und Zuhörern da oben auf der Besuchertribüne
näherzubringen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Insofern herzlichen Dank, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen von der Linken .


(Beifall des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE])


Aber ich kann Ihnen nicht so ganz ersparen, auch einige
Punkte in dem Antrag zu kritisieren .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Schade eigentlich!)


Wenn da die Rede davon ist, dass eine Entziehung der
Aufgabenstellung passiert, dass eine Zerschlagung von
Strukturen vorgenommen wird, so sind dies alles Szena-
rien der Entrechtung der Patienten .

Es ist nun sicherlich nicht weiter verwunderlich, dass
Sie mit Strukturen wie einem Wettbewerb und Ausschrei-
bungen grundsätzlich Probleme haben und die eine oder
andere gesellschaftsrechtliche Struktur, beispielsweise
die gemeinnützige GmbH, wie auch vom Kollegen Meier
mehrfach erwähnt, in Ihrem Vorstellungskatalog bedau-
erlicherweise nicht regelmäßig vorkommt .


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Was sagt ein guter Unternehmer zu den Lizenzgebühren?)


Fakt ist zunächst, dass die Prüfung des Vergabeverfah-
rens durch die zuständige Vergabekammer in einem ord-
nungsgemäßen rechtsstaatlichen Verfahren zu keinerlei
Beanstandung geführt hat . Sowohl das Verfahren selbst
als auch das Ergebnis sind völlig diskriminierungsfrei
gelaufen bzw . erzielt worden .


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Richtig!)


Bezeichnend ist allerdings, dass die alte UPD es nicht
geschafft hat, sich an diesem Verfahren rechtswirksam
zu beteiligen. Insofern finde ich es außerordentlich un-
angebracht, dass – in gewisser Weise in vorauseilendem
Gehorsam – die Funktionstauglichkeit, die Leistungsfä-
higkeit und eben auch die Qualität der neuen UPD schon
in Zweifel gezogen werden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Bemerkenswert ist immerhin, dass die alte UPD über ei-
nen Zeitraum von insgesamt neun Jahren die Möglichkeit
hatte, tätig zu sein, während wir jetzt schon nach knapp
zwölf Monaten das abschließende vernichtende Urteil
hören, dass die neue UPD den neuen Aufgabenstellungen
nicht gerecht wird .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821524700

Herr Kollege Kippels, darf ich Sie einmal unterbre-

chen? – Die Kollegin Klein-Schmeink möchte Ihnen
gern eine Frage stellen .


Dr. Georg Kippels (CDU):
Rede ID: ID1821524800

Bitte sehr .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821524900

Bitte schön .

Maria Klein­Schmeink






(A) (C)



(B) (D)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Kippels, Sie sprachen davon, dass die neue UPD
vorauseilend kritisch hinterfragt und sozusagen ver-
dammt werde . Davon kann nicht die Rede sein, wenn
wir ganz klar Fragen stellen wie: Was hat die alte UPD
gemacht, und was hat die neue UPD in ihrem Angebot
versprochen?

Ich habe der Bundesregierung Fragen übersandt und
um Auskunft gebeten . Wenn ich dann sehe, dass die Be-
ratungszahlen der alten UPD, die erheblich weniger Mit-
tel zur Verfügung hatte, nach einem halben Jahr höher
waren als die der neuen UPD, aber so gut wie keine per-
sönliche Beratung vor Ort anzutreffen war, sondern im
Wesentlichen Telefonberatung stattfand, dann muss ich
deutlich sagen, dass die Zahlen, mit denen das Angebot
gearbeitet hat – und die ja auch den Zuschlag erwirkt ha-
ben –, in keinster Weise erfüllt sind . Angesichts dessen
kann man nicht von einer Vorabverurteilung reden . Wir
haben uns lediglich den gesetzlich und vertraglich gesi-
cherten Zeitraum angeschaut und feststellen müssen: Es
gibt erhebliche Differenzen zwischen dem, was zugesagt
war, und dem, was eingelöst worden ist .

Außerdem wissen wir nicht, wie viele Mittel über-
haupt für Personal bereitgestellt werden . Auch das kön-
nen wir nicht erfahren . Das ist eine Blackbox .


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Ist das jetzt eine Frage oder ein Statement?)


Da kann man nicht von einer Vorverurteilung reden,
sondern man muss sagen: Die Zahlen, die uns vorliegen,
zeigen ganz deutlich, dass der Vertrag nicht erfüllt wird .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)



Dr. Georg Kippels (CDU):
Rede ID: ID1821525000

Frau Kollegin Klein-Schmeink, meine Ausführungen

bezogen sich explizit auf die Formulierungen im Antrag
der Kolleginnen und Kollegen der Linken, und der ist
nun einmal datiert auf November 2015 .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Anfrage können Sie lesen!)


Die UPD hat ihre Tätigkeit am 1 . Januar 2016 aufgenom-
men . Wir haben inzwischen, auch auf Ihre Nachfrage
hin – die Frage als solche ist ja durchaus legitim und be-
rechtigt –, einige Zwischenwerte bekommen .

Wir werden – dazu werde ich gleich noch ein paar
Bemerkungen machen – über die Kontrollinstrumente
sicherlich Erfahrungen sammeln . Wir werden auch Aus-
wertungen erhalten, die hier im Hause zweifelsohne zu
debattieren sein werden . Ich glaube, wir dürfen sicher
sein, dass Staatssekretär Laumann im Rahmen seiner
mitwirkenden Kontrollmöglichkeit ein waches Auge da-
rauf haben wird, dass das, was in der Ausschreibung nie-
dergelegt worden ist, zeitnah erfüllt wird .


(Beifall bei der CDU/CSU – Maria KleinSchmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich hoffe, dass „zeitnah“ in dieser Wahlperiode meint!)


Ich fahre fort und bleibe beim Thema Kontrollinstru-
mente . In der neuen Konstruktion haben wir immerhin
einen wissenschaftlichen Beirat, der im Zusammenwir-
ken von Patientenbeauftragtem, Patientenvertretern, dem
GKV-Spitzenverband und unabhängigen Wissenschaft-
lern sowie Vertretern von Interessensverbänden die Kon-
trollfunktion ausübt .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein großer Teil hat diesen Beirat verlassen, aus Protest!)


Ich denke, dass auf diese Art und Weise nicht nur den
inhaltlichen Ansprüchen, sondern auch den öffentlichen
Interessen Rechnung getragen wird . Die Forderung nach
Transparenz ist damit erfüllt . Die Funktion des Auditors
wird jetzt wahrgenommen von der Gesellschaft für so-
ziale Unternehmensberatung, gsub, einem renommierten
Unternehmen der sozialen Unternehmensberatung . Aus
unserer Sicht werden deshalb Unabhängigkeit, Neutrali-
tät und Transparenz nicht nur gewahrt, sondern sie wur-
den gegenüber der vorherigen Situation auch deutlich
gestärkt .

Ich komme an dieser Stelle, wie einleitend angekün-
digt, zum Werbeblock für die UPD . Ich denke, das schul-
det man dieser Institution nicht nur, sondern sie hat das
erkennbar auch verdient . Schon beim ersten Blick auf die
ausführliche Webseite wird klar, dass dort vorbeugend,
vorsorgend eine Vielzahl von aktuellen Informationen
niedergelegt ist, und zwar in verschieden Infoblöcken zu
aktuellen Themenfeldern, sodass sich so manche konkre-
te Anfrage vielleicht durch einen Blick auf die Internet-
seite erübrigt .

Ein leichter und guter Zugang zu den Angeboten war
unser Anspruch . Sämtliche modernen Medien werden
bedient . Neuerdings gibt es auch eine eigens entwickelte
App . Die gute Erreichbarkeit war ein maßgeblicher Fak-
tor . Wir sind sehr wohl der Meinung, dass die zusätzli-
chen Beratungsstellen, die längeren Öffnungszeiten und
die bessere telefonische Erreichbarkeit zeigen, dass die
Optimierungsversuche erfolgreich waren . Insgesamt ist
inzwischen eine Erreichbarkeit von 90 Prozent gegeben .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Telefonisch! Ausschließlich telefonisch!)


Man muss jetzt durchschnittlich 1,5-mal anrufen, um
beim Anbieter zu landen; das waren vorher 2,8 Anrufe .
Auch sprachliche Barrieren konnten durch die Einrich-
tung von Auskunftsmöglichkeiten in russischer und ara-
bischer Sprache verringert werden,


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In zwei Wochen Bearbeitungsfrist für einen einzelnen Testanruf!)


im Übrigen durch einen Beitrag der PKV . Professionali-
tät ist auch gegeben .

Ich bin der Meinung, dass wir mit diesem neuen For-
mat, das sich natürlich bewähren muss, den Weg in die
richtige Richtung eingeschlagen haben . Das war eine
richtige und wichtige Entscheidung . Wir sind an dieser
Stelle gehalten, für diese Institution insgesamt zu wer-






(A) (C)



(B) (D)


ben . Wir sollten sie empfehlen, und wir sollten sie vor
allen Dingen natürlich intensiv in Anspruch nehmen .

Deshalb richte ich meinen Dank an die Kolleginnen
und Kollegen der Linken für die Möglichkeit der Bewer-
bung . Aber dem Antrag, meine sehr verehrten Damen
und Herren Kollegen, können wir beim besten Willen
nicht zustimmen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Jetzt kann ich trotz des Lobes nicht klatschen!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821525100

Vielen Dank . – Wir sind damit am Ende der Ausspra-

che angelangt .

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Gesundheit zu dem Antrag der Fraktion
Die Linke mit dem Titel „Patientenberatung unabhän-
gig und gemeinnützig ausgestalten“ . Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 18/9979, den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/7042 abzulehnen . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Opposition angenommen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Verbesserung der Handlungsfähigkeit der
Selbstverwaltung der Spitzenorganisationen in
der gesetzlichen Krankenversicherung sowie
zur Stärkung der über sie geführten Aufsicht

(GKV­Selbstverwaltungsstärkungsgesetz)


Drucksachen 18/10605, 18/10817, 18/10924
Nr. 1.17

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit (14 . Ausschuss)


Drucksache 18/11009

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(14 . Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Harald
Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau),
Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Patientenvertretung in der Gesundheits­
versorgung stärken

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Harald
Terpe, Maria Klein-Schmeink, Kordula
Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Mit Beitragsgeldern der gesetzlich Versi­
cherten sorgsam umgehen – Mehr Transpa­

renz und bessere Aufsicht über die Selbst­
verwaltung im Gesundheitswesen

Drucksachen 18/10630, 18/8394, 18/11009

Zu diesem Tagesordnungspunkt sollen die Reden zu
Protokoll gegeben werden . – Ich sehe hier keinen Wider-
spruch . Dann ist so beschlossen .1)

Wir kommen damit zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zur Verbesserung der Handlungsfähigkeit der Selbstver-
waltung der Spitzenorganisationen in der gesetzlichen
Krankenversicherung sowie zur Stärkung der über sie
geführten Aufsicht . Der Ausschuss für Gesundheit emp-
fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/11009, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksachen 18/10605 und 18/10817 in der
Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen . – Das ist die Koalition . Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Das sind die Op-
position und ein Abgeordneter der CDU/CSU-Fraktion .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Mit dem glei-
chen Stimmenverhältnis ist der Gesetzentwurf in dritter
Lesung angenommen .

Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Gesundheit auf Drucksa-
che 18/11009 fort .

Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/10630 mit dem
Titel „Patientenvertretung in der Gesundheitsversorgung
stärken“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU
und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei
Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange-
nommen .

Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ableh-
nung des Antrages der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/8394 mit dem Titel „Mit Beitrags-
geldern der gesetzlich Versicherten sorgsam umgehen –
Mehr Transparenz und bessere Aufsicht über die Selbst-
verwaltung im Gesundheitswesen“ . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion
Die Linke angenommen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b auf:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Gesundheit

(14 . Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne-

ten Pia Zimmermann, Harald Weinberg, Sabine

1) Anlage 5

Dr. Georg Kippels






(A) (C)



(B) (D)


Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Gute Ausbildung – Gute Arbeit – Gute Pflege

Drucksachen 18/7414, 18/11003

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(14 . Ausschuss)

Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche,
Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Integrative Pflegeausbildung – Pflegeberuf
aufwerten, Fachkenntnisse erhalten

Drucksachen 18/7880, 18/11004

Interfraktionell wurde vereinbart, 25 Minuten für die
Aussprache vorzusehen . – Ich höre keinen Widerspruch .
Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Erich Irlstorfer für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU – Mechthild Rawert [SPD]: Der Abtrünnige!)



Erich Irlstorfer (CSU):
Rede ID: ID1821525200

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Die Anträge der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/
Die Grünen mit den Titeln „Gute Ausbildung – Gute
Arbeit – Gute Pflege“ und „Integrative Pflegeausbil-
dung – Pflegeberuf aufwerten, Fachkenntnisse erhalten“
enthalten inhaltlich viele Punkte, die Dr . Nüßlein, Erwin
Rüddel und ich in unserem Kompromissvorschlag erar-
beitet haben . Deshalb sehen wir keine Notwendigkeit,
diesen beiden Anträgen hier zuzustimmen .

Uns eint die Überzeugung, meine sehr geehrten Da-
men und Herren, dass in die Pflegeausbildung investiert
werden muss, dass sie zukunftsfest gemacht werden
muss, und hier sind wir übereinstimmend unterwegs . Ich
bin überrascht, wie massiv und nahezu nicht fähig, einen
Kompromiss einzugehen, sich Befürworter und Gegner
der Generalistik hier gegenüberstehen .


(Mechthild Rawert [SPD]: Es gibt eine Kabinettsvorlage! Das ist schon ein Kompromiss!)


Aus meiner Sicht würden wir mit diesem Kompromiss
sowohl den Befürwortern als auch den Gegnern der Ge-
neralistik eine Perspektive aufzeigen .


(Petra Crone [SPD]: Ich kann mich an keinen Kompromissvorschlag erinnern!)


Ich darf den entsprechenden Passus aus dem Koaliti-
onsvertrag hier noch einmal verlesen, weil er einigen, die
ihn mit verhandelt haben, offenbar nicht mehr geläufig
ist – ich zitiere –:

Wir wollen die Pflegeausbildung reformieren, indem
wir mit einem Pflegeberufegesetz ein einheitliches
Berufsbild mit einer gemeinsamen Grundausbil-
dung und einer darauf aufbauenden Spezialisierung
für die Alten‑, Kranken‑ und Kinderkrankenpflege
etablieren .

So steht es hier im Koalitionsvertrag .

Ich möchte in diesem Zusammenhang betonen, dass
meine Fraktion und auch ich eine sinnvolle generalisti-
sche Einbindung der Elemente in die neue Pflegeausbil-
dung durchaus befürworten. Viele pflegebedürftige Men-
schen, die in unseren Altersheimen und Einrichtungen
wohnen, sind multimorbid mit Krankheitsbildern, die
spezifische Pflege benötigen. Umgekehrt haben Men-
schen, die ins Krankenhaus kommen, oftmals einen spe-
ziellen altenpflegerischen Unterstützungsbedarf. Es ist
also durchaus angebracht und wünschenswert, dass sich
die verschiedenen Fachzweige hier auch gegenseitig be-
fruchten .

Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir
weiterhin die klassischen Spezialisierungen brauchen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Genau!)


Deshalb gibt es hier, meine sehr geehrten Damen und
Herren, unseren Vorschlag dieses Modells „zwei plus
eins“: zwei Jahre gemeinsame generalistische Ausbil-
dung und ein Jahr Spezialisierung . Wenn dann diese
Spezialisierung vollzogen ist, kann man zusätzlich einen
weiteren Abschluss mit einem weiteren halben Jahr Aus-
bildung noch dazu wählen .

Wir wollen auch die Möglichkeit schaffen, leichter
zwischen den Berufen zu wechseln . Zudem plädieren
wir dringend für eine Abschaffung des Schulgeldes . Au-
ßerdem sind wir für die Angleichung der Gehälter in der
Altenpflege an die Gehälter in anderen Pflegebereichen.


(Beifall des Abg . Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU])


Hierfür haben wir bereits die Rahmenbedingungen im
PSG I und III miteinander geschaffen .

Meine sehr geehrten Damen und Herren, glauben Sie
mir aber auch Folgendes, das wir nicht unter den Tisch
kehren dürfen: Die Beschäftigten der Kinderkrankenpfle-
ge, aber auch die deutschen Kinderärzte sind vehement
gegen die generalistische Ausbildung . Sie befürchten,
dass die Kompetenzen und Fähigkeiten der Auszubilden-
den, die einmal für die Versorgung von Säuglingen und
insbesondere von Frühchen zuständig sein werden, und
die Qualität der Ausbildung massiv leiden werden .

Eine Petition an den Deutschen Bundestag, die for-
dert, dass die Kinderkrankenpflege als eigenständiger
Beruf erhalten bleibt, wurde von 134 000 Menschen un-
terzeichnet . In einer repräsentativen Umfrage sprachen
sich 90 Prozent der Betroffenen für einen Erhalt ihres
Berufes aus. Auch große Teile der Altenpflege sind ge-
gen eine generalistische Ausbildung . Es sind bei weitem
nicht nur die Leitungen und Pflegeeinrichtungen, die sich
zu 80 Prozent gegen sie ausgesprochen haben .

Meine Bitte und Aufforderung geht hier vor allem an
die SPD und ihre Ministerin Frau Schwesig, die sicher-
lich für den Bereich der Altenpflege mitverantwortlich
ist:


(Heike Baehrens [SPD]: Für die Zukunft wollen wir Wege gestalten und nicht rückwärts!)


Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


Versuchen Sie nicht, die Pflegeszene zu täuschen, vor
allem die Altenpflege. Wer unter dem Deckmantel von
beruflicher Durchlässigkeit, Qualitätssicherung und
verbesserter Bezahlung am liebsten durch die Hintertür
einen dualen Ausbildungsberuf akademisieren will, han-
delt fahrlässig, meine sehr geehrten Damen und Herren .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Mechthild Rawert [SPD]: Sie bieten der Altenpflege keine Zukunft!)


Ich möchte Ihnen auch klar sagen: Wir brauchen jeden
Auszubildenden hier an den Pflegebetten, egal welchen
Schultyps .


(Heike Baehrens [SPD]: Vor allem die Männer, genau!)


Deshalb ist es notwendig, dass wir heute, aber auch in
Zukunft nicht ausgrenzen, sondern verbinden . Wir wer-
den auch die Schülerinnen und Schüler aus der Mittel-
und Hauptschule benötigen .


(Zuruf von der SPD: Das ist doch allen klar!)


Der Vorschlag Ihrer Kollegin Müller ist zukunftswei-
send . Wir werden ihn prüfen . Wir hoffen, dass wir schnell
zu einer guten Lösung kommen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU – Heike Baehrens [SPD]: Das ist die Meinung der Union? – Zuruf von der SPD: Das ist echt eine Rolle rückwärts der CDU/CSU!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821525300

Vielen Dank . – Nächste Rednerin ist Kathrin Vogler,

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Kathrin Vogler (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821525400

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Frau Prä-

sidentin!

Über eine Million Pflegekräfte … leiden in Ihrem
Land, das Sie regieren .

Das sage nicht ich, sondern das schreibt die Kranken-
schwester Jana Langer in einem erschütternden Brand-
brief an die Kanzlerin . Sie fühlt sich nämlich im Stich
gelassen von dieser Koalition, die es einfach versemmelt,
endlich die Qualität der Pflegeausbildung anzuheben.
Alle Sachargumente haben wir ja schon längst ausge-
tauscht . Aber die Ausbildungsreform liegt wie Blei in Ih-
ren Schubladen . Sie steckt fest, weil sich Union und SPD
kabbeln – das konnten wir gerade wieder beobachten –
und zwei Ministerien sich nicht einig werden .


(Petra Crone [SPD]: Die sind sich einig, völlig einig!)


Genau deshalb haben wir unseren Antrag eingebracht .
Wir wollen Sie auffordern: Binden Sie den Sack endlich
zu, damit nicht noch eine Wahlperiode ohne Ausbil-
dungsreform in der Pflege vergeht.


(Beifall bei der LINKEN)


Es geht doch hier nicht darum, ob Hermann Gröhe oder
Manuela Schwesig als Sieger innerhalb der Koalition
vom Platz gehen, sondern es geht um die Pflegekräfte.


(Heike Baehrens [SPD]: Die sind sich doch einig! – Weitere Zurufe von der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821525500

Könnten wir uns darauf verständigen, dass Frau

Vogler das Wort hat? Nachher darf die SPD darauf ant-
worten . – Danke .


Kathrin Vogler (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821525600

Zumindest überwiegend das Wort, danke . – Wenn Sie

sich nämlich weiter blockieren, dann verlieren alle . Ge-
winnen sollen aber doch eigentlich die Auszubildenden,
die zukünftigen Pflegekräfte in der Altenpflege und im
Krankenhaus, und diejenigen, um die sie sich 24 Stunden
am Tag sieben Tage die Woche mit Herz und Hand, mit
Seele und Verstand kümmern. Die Pflegekräfte wollen
stolz auf ihren Beruf sein, sie wollen gern zur Arbeit ge-
hen, sie wollen gut verdienen, und sie wollen qualifiziert
und menschenwürdig pflegen, mit Zeit für Zuwendung.
Wir brauchen doch viele hochmotivierte, gute Pflege-
kräfte .


(Beifall bei der LINKEN)


Viel zu viele kehren ihrem Beruf nach wenigen Jahren
den Rücken . Eine Verbesserung der Ausbildung ist ein
wichtiger Baustein, um die Pflege aufzuwerten, worüber
wir ja immer wieder reden . Es liegt jetzt an Ihnen, die
Pflegeausbildung endlich besser zu machen. Doch was
machen Sie stattdessen? Sie mauern und mauscheln .


(Hilde Mattheis [SPD]: Wieso „mauscheln“?)


Die Große Koalition ist in dieser Frage handlungsunfä-
hig, weil sie sich anfangs auf die Generalistik versteift
hat und jetzt nicht mehr weiß, wie sie davon wegkommen
soll . Dabei hat die Opposition, also wir und die Grünen,
Ihnen gute Vorschläge gemacht, wie es richtig gut wer-
den kann .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Linke setzt auf eine integrative Ausbildung, die
die fachlichen Besonderheiten von Kranken- und Ge-
sundheitspflege, Altenpflege und Kinderkrankenpflege
ernst nimmt und erhält, bei der die Auszubildenden aber
trotzdem so viel zusammen lernen, dass sie zwischen
den einzelnen Berufen wechseln können . Das macht den
Beruf attraktiver und bringt höhere Pflegequalität für die
Menschen: zu Hause, im Heim und im Krankenhaus .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir wollen auch mehr Praxis in der Ausbildung, durch
mehr Zeit und qualifizierte Anleiterinnen und Anleiter.
So können unserer Ansicht nach auch weiter junge Leu-
te mit Hauptschulabschluss erfolgreich Pflegefachkraft
werden. Aus den Pflegeschülerinnen und Pflegeschülern
müssen endlich echte Auszubildende werden – mit allem,
was dazu gehört: mit betrieblicher Mitbestimmung und

Erich Irlstorfer






(A) (C)



(B) (D)


Arbeitsschutz und vor allem mit Ausbildungsvergütung
und ohne Schulgeld .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Mit Abschluss der Ausbildung muss jede Fachkraft direkt
am Menschen, wie es so schön heißt, berufsfähig sein .

Nach der Anhörung im Gesundheitsausschuss und
vielen Diskussionen mit Betroffenen hat sich auch in der
Koalition einiges in die richtige Richtung bewegt, zum
Beispiel beim Kollegen Rüddel von der CDU, der sich
inzwischen auch eine integrierte Ausbildung vorstellen
kann, wie wir sie vorgeschlagen haben .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Da kann man auch mal applaudieren!)


– Ja, da kann man auch einmal klatschen . Es ist nämlich
überhaupt nicht ehrenrührig, wenn Regierungsfraktionen
kluge Ideen aus der Opposition aufgreifen und umsetzen .
Es ist aber unerträglich, wenn sie die Pflegekräfte und
die Ausbildungsstätten weiter hängen lassen und nichts
liefern .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Denken Sie daran: Ohne das Pflegeberufegesetz ver-
schärfen sich andere Probleme . Das Schulgeld bleibt, die
Umlagefinanzierung wird nicht vereinheitlicht, und die
Pflege wird nicht gestärkt. Wir brauchen jetzt eine inte-
grierte, praxisnahe, qualifizierte Pflegeausbildung. Gute
Pflege braucht gute Ausbildung. Das muss drin sein.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821525700

Vielen Dank . – Jetzt hat Bettina Müller von der

SPD-Fraktion die Gelegenheit, zu antworten .


Bettina Müller (SPD):
Rede ID: ID1821525800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will versu-
chen, die Stimmung, die aufgekommen ist, wieder etwas
zu beruhigen . Ich bin weder mit dem, was Herr Irlstorfer
vorgetragen hat, einverstanden, noch kann ich der Frau
Kollegin Vogler folgen . Aber ich bin absolut der Mei-
nung, dass wir schon vor dem Hintergrund eines riesigen
Zeitdrucks ganz schnell zu einer Konsenslösung in die-
sem Bereich kommen müssen; denn allen Fraktionen –
davon gehe ich aus – liegt die Pflege am Herzen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein gutes Wort!)


Wir haben in diesem Bereich in dieser Legislaturperi-
ode mit den Pflegestärkungsgesetzen I bis III vieles ge-
schafft . Wir haben wesentliche Leistungs- und Qualitäts-
verbesserungen auf den Weg gebracht; aber die Qualität
der Versorgung wird auch maßgeblich von der Qualität

der Ausbildung bestimmt . Daher wäre die Reform der
Pflegeberufe natürlich der krönende, aber auch zwingend
nötige Abschluss einer erfolgreichen Pflegepolitik.


(Beifall bei der SPD)


Es freut mich – um einmal etwas Positives zu sagen –,
dass die beiden Oppositionsfraktionen dies ebenso sehen .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schon immer!)


Beide Anträge stellen zu Recht erheblichen Reformbedarf
fest, analysieren die Situation auch korrekt, benennen
die Herausforderungen: zu wenige Fachkräfte, schlechte
Bezahlung, bescheidene Berufsperspektiven, kaum Auf-
stiegsmöglichkeiten und teilweise noch Schulgeldpflicht;
ein sehr wichtiges Thema . Weder Alten- noch Kranken-
pflege sind für die demografischen Veränderungsprozes-
se ausreichend gewappnet, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen. Kranken‑ und Altenpflege wachsen zwar praktisch
immer mehr ineinander, aber in der Ausbildung geht man
weiter getrennte Wege .

Wir haben alle gemeinsam die Probleme erkannt, aber
die Opposition setzt hier leider, wie ich sagen muss, Herr
Irlstorfer, auf die falschen Lösungen .


(Beifall bei der SPD)


Der sogenannte integrierte Ansatz, die integrierte Aus-
bildung mit weiterhin getrennten Abschlüssen, löst viele
Probleme nicht. Die Altenpflegeausbildung hätte zum
Beispiel weiterhin keine EU-Anerkennung, unabhängig
davon, dass wir das in dieser Wahlperiode gar nicht mehr
gebacken bekommen würden, weil wir einen völlig neu-
en Finanzierungshintergrund ausverhandeln müssen . Sie
wissen, dass die Länder mit der Generalistik an diesem
Punkt einverstanden sind – ebenfalls ein ganz wichtiges
Thema, bei dem wir weit gekommen sind und zu dem wir
kein völlig neues Konzept auf den Tisch legen können .

Linke und Grüne waren ja schon einmal wesentlich
weiter; das will ich einmal in Erinnerung bringen . Beide
Fraktionen haben 2003 die Zusammenlegung der Aus-
bildung in der Kranken‑ und der Kinderkrankenpflege
mitgetragen .


(Beifall bei der SPD – Dr . Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ein Fehler!)


Ihre Fachpolitiker haben damals die Reform als Schritt
hin zur Generalistik – das kann man in den Reden noch
nachlesen – bezeichnet und die spätere Einbeziehung der
Altenpflege ausdrücklich gefordert und begrüßt.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man kann auch aus Erfahrung lernen, Frau Müller! Man kann aus Erfahrung klug werden!)


Das Altenpflegegesetz von 2001 war ein Projekt der
damals rot-grünen Bundesregierung .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man kann trotzdem aus Erfahrung lernen!)


Kathrin Vogler






(A) (C)



(B) (D)


Es wurde von der ersten grünen Bundesgesundheitsmi-
nisterin auf den Weg gebracht . Leider haben sich die
Grünen und die Linken dann wieder aus diesem gemein-
samen Prozess ausgeklinkt . Schade; denn angesichts der
wirklichen geforderten Kraftakte, die wir hier in den
nächsten Jahren leisten müssen, wäre natürlich eine breit
getragene Reform besonders wichtig .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe die Hoff-
nung noch nicht ganz aufgegeben; denn mit dem Ge-
setzentwurf sind wir doch in vielen Punkten auf Kritiker
zugegangen, fast über die Grenze dessen hinaus, was ich
für mich persönlich für vertretbar halte .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn die Lösung für die Kinderkrankenpflege?)


Dieser Gesetzentwurf ist doch nicht mehr die reine ge-
neralistische Lehre . Er ist ja bereits eine Mischform aus
integrierter Ausbildung und generalistischem Ansatz; das
müssen Sie ja zugestehen . Wir sind dabei gar nicht so
weit auseinander .

Oft sind es nur sprachliche Feinheiten . So entspricht
etwa der Vertiefungseinsatz in einem der drei wählba-
ren Schwerpunkte weitgehend der Spezialisierung des
integrierten Modells, und diese Schwerpunkte werden
dann auch mindestens 50 Prozent der praktischen Aus-
bildungszeit einnehmen .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wer ist der Träger dieser Ausbildung?)


Damit ist man den Betrieben doch schon bewusst sehr
weit entgegengekommen,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


und der Kompromiss, die Annäherung an das integrierte
Modell, ist doch schon längst da .

Ich denke, der Gesetzentwurf ist auch für die Grünen
und die Linken zustimmungsfähig . Hier gilt nämlich
auch das Struck’sche Gesetz, das hier immer wieder be-
müht wird . Vielleicht ist eine Annäherung ja nicht völlig
ausgeschlossen .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist die Lösung für die Kinderkrankenpflege?)


Wir dürfen – das will ich hier auch noch einmal sa-
gen – nicht denjenigen Kräften nachgeben, die eine Re-
form der Pflegeberufe aus ganz anderen Gründen kom-
plett verhindern wollen, und die Opposition sollte sich
hier auch nicht vor den falschen Karren spannen lassen .


(Beifall bei der SPD – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tut ja auch keiner!)


Der Arbeitgeberverband für die private Pflegewirtschaft
mit Rainer Brüderle an der Spitze gemeinsam mit Linken

und Grünen: Das wäre eine Allianz! Sie müssen zugeben:
Das wäre eine verkehrte Welt .


(Beifall bei der SPD – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine so dumme Unterstellung, Frau Müller!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821525900

Frau Müller, das war jetzt ein schönes Schlusswort .


(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Schönes Schlusswort“!)



Bettina Müller (SPD):
Rede ID: ID1821526000

Lassen Sie uns daher in der verbleibenden Zeit ge-

meinsame Lösungen suchen . Der Entwurf der Koalition
für die Reform der Pflegeberufe ist, denke ich, eine gute
Grundlage .

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit so einer Unterstellung stellt man aber keinen Konsens her! Wo ist die Lösung für die Kinderkrankenpflege? Gibt es nicht!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821526100

Vielen Dank . – Als Nächstes hat Kordula Schulz-

Asche, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gute
Pflege ist ein Menschenrecht. Wir alle sind uns einig,
dass der demografische Wandel und die Zunahme der
Zahl älterer pflegebedürftiger Menschen auf der einen
Seite und die Konkurrenz mit anderen Berufen, die junge
Menschen ergreifen können, auf der anderen Seite einen
dringenden Handlungsbedarf verursachen .

Wir brauchen – und ich glaube, darum geht es im Mo-
ment – gute Rahmenbedingungen . Die Attraktivität des
Pflegeberufs ist ein ganz wesentlicher Punkt. Wir brau-
chen eine Aufwertung des Pflegeberufs. Das beginnt na-
türlich bei der Ausbildung und geht weiter bei der Fort-
und Weiterbildung . Hier gibt es einen Handlungsbedarf,
und hier muss auch gehandelt werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es gibt auch eine große Einigkeit – das ist schon mehr-
fach gesagt worden –, dass eine Reform der Ausbildung
notwendig ist . Nach der Vorlage der Großen Koalition im
letzten Jahr war klar, dass es mit Blick auf die Generalis-
tik große Bedenken insbesondere in der Altenpflege und
der Kinderkrankenpflege gibt. Ich glaube, dass wir gut
daran getan haben, noch einmal nachzudenken und diese
Bedenken ernst zu nehmen, und wir sind jetzt dabei, über
neue Kompromisse nachzudenken .

Es gibt den von Frau Müller ausgelösten Vorschlag,
den auch unsere pflegepolitische Sprecherin, Elisabeth

Bettina Müller






(A) (C)



(B) (D)


Scharfenberg, in einem Brief gemacht hat: zunächst
einmal die existierenden Ausbildungsgänge fortlaufen
zu lassen, die Generalistik einzuführen und beides über
einen Zeitraum von zehn Jahren zu begleiten und auszu-
werten .

Ich möchte mich hier auch noch einmal ausdrücklich
bei dem Kollegen Irlstorfer bedanken, der mit seinem
Kompromissvorschlag, den er hier gerade vorgestellt hat,


(Petra Crone [SPD]: Wo ist der Vorschlag denn?)


genau in die Richtung geht, die wir auch vorschlagen,
nämlich in Richtung einer integrierten Ausbildung: ein
zweijähriger gemeinsamer Ausbildungsgang – weil es
natürlich große Überschneidungen zwischen den einzel-
nen Berufen gibt – und darauf folgend eine einjährige
oder eineinhalbjährige Ausbildung mit einer beruflichen
Spezialisierung in den Bereichen Kinderkrankenpflege,
Altenpflege oder Krankenpflege.

Wenn wir diese drei Modelle zehn Jahre lang neben-
einander laufen lassen, haben wir die Möglichkeit, zu
sagen, wo nachgebessert werden muss und ob es mög-
lich ist, diese Bereiche zusammenzuführen . Das, meine
Damen und Herren, muss jetzt passieren .

Ich fordere auch Sie in der Großen Koalition auf, dass
wir die angesprochenen drei Schritte jetzt endlich ge-
meinsam gehen und die Beibehaltung des Jetzigen, die
Generalistik und die integrierte Ausbildung gleichzeitig
überprüfen . Das fördert die Attraktivität des Berufs und
macht die Zukunftsfestigkeit aus, und das sollten wir
jetzt auch tun .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hilde Mattheis [SPD]: Wie kommen Sie auf so eine Idee?)


Unabhängig davon gibt es drei Punkte, die sofort und
unabhängig von dieser gesetzlichen Lösung notwendig
sind, nämlich die Verankerung der hochschulischen Pfle-
geausbildung, die Ausbildungsumlage in den Ländern,
die Finanzierung, und außerdem – über diesen dritten
Punkt sollten wir uns alle einig sein – müssen wir sofort
dafür sorgen, dass das Schulgeld im Bereich der Alten-
pflege abgeschafft wird.


(Hilde Mattheis [SPD]: Das kriegen Sie alles mit unserem Gesetzentwurf!)


Es kann doch nicht sein, dass wir dringendst nach Al-
tenpflegerinnen und Altenpflegern suchen, während in
einigen Bundesländern noch Schulgeld bezahlt werden
muss . Das muss unabhängig gelöst werden, und zwar
jetzt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Hilde Mattheis [SPD]: Da brauchen Sie gar nicht so zu schreien! Das kriegen Sie alles mit uns!)


Meine Damen und Herren, gute Pflege braucht gute
Bedingungen und gute Pflegende. Lassen Sie uns schau-
en, dass wir hier in diesem Hause gemeinsam jetzt end-
lich zu Potte kommen und die verschiedenen Kompro-
misse zusammenführen . Ich glaube, ich habe dargestellt,

dass es möglich ist, alle vorhandenen Ansätze gleichzei-
tig zu fahren .

Ich weiß nicht, ob Sie es schon gemerkt haben, liebe
Kolleginnen und Kollegen von der SPD: Sie stehen im
Moment mit Ihrer Kritik alleine da .


(Zuruf der Abg . Mechthild Rawert [SPD])


Von daher denke ich, dass wir versuchen sollten, auch
Sie, Frau Rawert, aus dieser Blockadesituation auf ver-
nünftige Art und Weise herauszukommen .


(Hilde Mattheis [SPD]: Das ist eine Beobachtung, die so nicht stimmt!)


Wir müssen jetzt endlich die verschiedenen Ansätze
durchdeklinieren und in einen Gesetzentwurf bringen .
Das ist die Aufgabe, die wir alle haben, um für gute Pfle-
ge zu sorgen .

Danke schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821526200

Vielen Dank . – Jetzt hat der Kollege Erwin Rüddel,

CDU/CSU-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Erwin Rüddel (CDU):
Rede ID: ID1821526300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Die beiden vorliegenden Anträge enthalten
Vorschläge, die ich mit Interesse zur Kenntnis genom-
men habe und die sicherlich im weiteren Meinungsbil-
dungsprozess hier im Haus eine wichtige Rolle spielen
werden. Es wäre gut, wenn wir zu einer Reform der Pfle-
geausbildung kommen würden, zu einer Lösung, die hier
im Hause auf weitgehende Zustimmung treffen würde .

Aus meiner Sicht geht es zentral um den richtigen
Weg, um zwei Ziele zusammenzubringen: bessere Be-
zahlung in der Pflege und mehr Pflegefachkräfte. Beides
würde den Beruf attraktiver machen .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Mit den Pflegestärkungsgesetzen I und III haben wir be-
reits die Grundlage dafür geschaffen, dass in der Alten-
pflege Tariflohn zum Standard werden kann.


(Beifall bei der CDU/CSU – Maria KleinSchmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles andere war ja wohl unterirdisch in der letzten Wahlperiode!)


Deshalb wehre ich mich mit Entschiedenheit gegen den
Vorwurf, den Skeptikern in Sachen Generalistik gehe es
darum, die Löhne in der Pflege zu drücken. Das Gegen-
teil ist der Fall . Wie unsinnig der Vorwurf ist, zeigt sich
im Übrigen daran, dass Gewerkschaften und Arbeitgeber
in seltener Eintracht zu den Kritikern der dreijährigen ge-
neralistischen Ausbildung gehören .

Kordula Schulz­Asche






(A) (C)



(B) (D)


Meine Damen und Herren, es könnte sein, dass es für
eine Reform in dieser Legislaturperiode schon zu spät ist,


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre aber schlecht!)


zumal es mit einem Gesetz nicht getan ist; denn wir brau-
chen zusätzlich ausreichend Zeit, um die Verordnung zu
den Ausbildungsinhalten sorgfältig zu prüfen . Das ist un-
verzichtbar . Gleichwohl begrüße ich ausdrücklich, dass
in den letzten Wochen endlich Bewegung in die Sache
gekommen ist .


(Petra Crone [SPD]: Wo denn? Haben Sie einen Vorschlag gemacht?)


Ich hätte mir diese Bewegung allerdings wesentlich frü-
her gewünscht .

Zu verantworten haben die aktuellen Probleme indes
diejenigen, welche die bereits vor etlichen Monaten vor-
gebrachten Bedenken offenbar nicht ernst genommen
haben .


(Zuruf von der SPD: Bitte?)


Die Skeptiker in Sachen Generalistik haben schon vor
vielen Monaten zielführende und kreative Kompromiss-
vorschläge gemacht . Aber all diese Vorschläge wurden
von den Verfechtern der dreijährigen generalistischen
Ausbildung oft schroff abgelehnt . Deren Modell hat sich
allerdings bisher in der Praxis in keiner Weise bewährt .


(Hilde Mattheis [SPD]: Es ist schon verkehrte Welt, Herr Rüddel, dass wir hier Ihren Minister verteidigen müssen!)


Genau das ist der Kern des Problems . Viele Prakti-
ker haben unverändert die Sorge, dass die Besonder-
heiten der Kinderkrankenpflege und der Altenpflege zu
kurz kommen . Deshalb hat zum Beispiel GKV-Vorstand
Gernot Kiefer vorgeschlagen, eine Zeit lang mehrere
Ausbildungswege zuzulassen . Frau Müller hat einen ähn-
lichen Vorschlag gemacht .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821526400

Herr Kollege, ich darf Sie einmal unterbrechen . Die

Frau Kollegin Baehrens würde Ihnen gerne eine Zwi-
schenfrage stellen .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt wird es noch interessant! Koalitionskino!)



Erwin Rüddel (CDU):
Rede ID: ID1821526500

Ja, gern .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821526600

Bitte schön .


Heike Baehrens (SPD):
Rede ID: ID1821526700

Herr Abgeordneter Rüddel, herzlichen Dank dafür,

dass ich eine Zwischenfrage stellen darf . – Ist Ihnen in
Erinnerung, dass der Gesetzentwurf, der im Mai des ver-
gangenen Jahres von einem CDU-Gesundheitsminister
und einer SPD-Familienministerin vorgelegt worden

ist, auf den Eckpunkten basiert, die in der Bund-Län-
der-Arbeitsgruppe aufgrund von jahrelanger Vorarbeit
von Praktikern erarbeitet worden sind und in der sich
die Bundesländer gemeinsam mit diesen beiden Minis-
terien auf ein gemeinsames Konzept verständigt haben?
Sie haben sich auch deshalb untereinander verständigt,
weil die Altenpflegeausbildung in der Verantwortung der
Länder liegt . Das heißt, die Länder müssen einem sol-
chen Gesetz zustimmen . Ist Ihnen bewusst, dass Sie mit
den Interventionen, die Sie seit Monaten vornehmen, ein
Gesetzgebungsvorhaben aufhalten, das in enger Koope-
ration zwischen den 16 Bundesländern und zwei Bundes-
ministerien entwickelt worden ist?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Erwin Rüddel (CDU):
Rede ID: ID1821526800

Ich glaube, Frau Kollegin, wir hier sind der Gesetzge-

ber und verantwortlich dafür, wie die Ausbildungsreform
umgesetzt wird .


(Mechthild Rawert [SPD]: Deswegen ärgert die das ja auch so!)


Einem ehemaligen Vorsitzenden Ihrer Fraktion wird ja
die Aussage zugeschrieben, dass kein Gesetz den Bun-
destag so verlässt, wie es in den Bundestag hineingekom-
men ist .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das ist das Struck’sche Gesetz! – Hilde Mattheis [SPD]: Schwache Antwort, Herr Rüddel!)


Ich denke, wir versuchen, diesen Gesetzentwurf weiter
zu optimieren, weil wir zwei Ziele erreichen wollen . Das
erste Ziel ist eine gute Bezahlung . Das zweite Ziel ist,
nach der Reform mehr Menschen für den Pflegeberuf zu
gewinnen als zuvor .

Das Gesetz sollte aber zum Beispiel nicht dazu füh-
ren, dass Hauptschüler in diesem Beruf keinen Abschluss
mehr machen können .


(Hilde Mattheis [SPD]: Das ist ja nicht richtig! – Petra Crone [SPD]: Das stimmt nicht! Das steht so nicht drin! – Weiterer Zuruf von der SPD: Tut es ja nicht!)


Wir reden immer darüber, dass in 40 Modellversuchen
eine generalistische Ausbildung erprobt wurde .


(Hilde Mattheis [SPD]: Ich lade Sie ein nach Stuttgart!)


Der derzeit vorliegende Gesetzentwurf entspricht keinem
dieser 40 Modellversuche . Alle diese 40 Modellversuche
hatten Auswahlverfahren als Basis – so wurden etwa
Schüler in einem Assessment-Center ausgesucht – oder
sahen eine längere Ausbildungszeit von dreieinhalb Jah-
ren vor . Nur 24 Schüler in diesen 40 Modellversuchen
hatten einen Hauptschulhintergrund . Deshalb sollten wir
uns Gedanken machen, wie wir zu einer guten Lösung
kommen .


(Mechthild Rawert [SPD]: Zehn Jahre!)


Erwin Rüddel






(A) (C)



(B) (D)


Ich denke, wir sind auf einem guten Weg und werden
eine Lösung finden,


(Zuruf von der SPD: Weshalb wollen es die privaten Anbieter nicht, Herr Rüddel?)


wenn die Familienministerin akzeptiert, dass das Parla-
ment seine Ideen in Gesetzentwürfe einbringen kann .


(Mechthild Rawert [SPD]: Ich finde meine Ideen auch total toll!)


Das Selbstbewusstsein sollten wir hier im Parlament ha-
ben und nach außen tragen . Wir sind von den Bürgern
gewählt worden, um ordentliche Gesetze zu machen . Es
kann nicht sein, dass uns verboten wird, Änderungsanträ-
ge zu einem Gesetzentwurf einzubringen . Ich denke, Sie
sollten noch einmal mit Ihrer Ministerin reden .


(Zurufe von der SPD)


Dann werden wir in den nächsten Wochen sicherlich ei-
nen sehr vernünftigen Kompromiss finden.

Ich habe zusammen mit Kollegen auf jeden Fall schon
vor vielen Monaten Vorschläge zur integrierten Ausbil-
dung gemacht,


(Hilde Mattheis [SPD]: Keinen Pieps haben Sie gesagt!)


die vorsehen, dass grundsätzlich zwei Jahre lang gene-
ralistisch ausgebildet wird und dass dann im dritten Jahr
spezialisiertes Lernen im Vordergrund steht . Mittlerweile
sind verschiedene Vorschläge gemacht worden . Ich bin
der Meinung, dass wir den verschiedenen Wegen Zeit ge-
ben sollten, sich zu bewähren . Anschließend können wir
entscheiden, welcher Weg der richtige ist .

Ich plädiere für einen evolutionären Wandel, nicht für
eine Revolution . Ich glaube, wir brauchen die Fachlich-
keit und müssen dafür sorgen, dass die Identitäten der
drei Pflegeberufe erhalten bleiben. Man muss sich da
wiederfinden.


(Mechthild Rawert [SPD]: Wir wollen einen Beruf! Wir wollen eine Identität!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821526900

Vielen Dank, Herr Kollege Rüddel . Ich plädiere jetzt

dafür, dass der letzte Satz gesprochen wird .


Erwin Rüddel (CDU):
Rede ID: ID1821527000

Dann werde ich das tun . – Wichtig ist mir: Wer heute

einen Abschluss in einem der drei Pflegeberufe schafft,
muss das mindestens auch in dem neuen System schaf-
fen,


(Hilde Mattheis [SPD]: Das ist eine Diskriminierung der Hauptschüler!)


sonst werden wir die Herausforderungen, vor die uns die
Pflege in den nächsten Jahren stellt, nicht bewältigen.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821527100

Vielen Dank . – Jetzt hat die Kollegin Petra Crone für

die SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Petra Crone (SPD):
Rede ID: ID1821527200

Danke schön . – Frau Präsidentin! Meine Herren und

Damen! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Wissen Sie,
was ich mir wünsche? Ich glaube, da stimme ich mit vie-
len überein: Ich wünsche mir beim Thema Pflegeberufe-
reform ein Ende der Ungewissheit .


(Beifall bei der SPD)


Wir müssen im Interesse der betroffenen Pflegeschulen
und Betriebe, aber vor allem im Interesse der Auszubil-
denden in der Pflege endlich Klarheit schaffen.

Die Ausbildung muss attraktiver werden, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen .


(Beifall bei der SPD)


Wir brauchen Bewerber und Bewerberinnen . Die
SPD-Bundestagsfraktion will unbedingt die Attraktivi-
tätssteigerung . An diesem Grundsatz halten wir ganz fest .


(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir alle! – Tino Sorge [CDU/CSU]: Die CDU/CSU-Fraktion aber auch! Da sind Sie nicht alleine!)


Darin unterscheiden wir uns ja gar nicht so sehr, liebe
Kolleginnen und Kollegen von den Linken und den Grü-
nen .


(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gar nicht!)


Die vielen in der Pflege beschäftigten Frauen verdie-
nen eine Aufwertung ihrer Arbeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Schluss mit dem Schulgeld! Wir brauchen endlich eine
einheitliche Vergütung, eine faire und höhere Bezahlung,
besonders in der Altenpflege.


(Beifall bei der SPD – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wem sagen Sie das! – Weiterer Zuruf von der SPD: An der einheitlichen Vergütung liegt es!)


Aber das geht nur mit einem einheitlichen Abschluss, mit
der Generalistik .


(Beifall bei der SPD)


Alte Menschen kommen ins Krankenhaus, kranke
Menschen leben in Senioreneinrichtungen . Sie erwarten
dort zu Recht eine gute Versorgung . Aus diesem Grund
setze ich mich seit vielen Jahren für den Zusammen-
schluss der drei existierenden Ausbildungen zu einem
neuen, umfassenden und zukunftsfesten Beruf ein .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Erwin Rüddel






(A) (C)



(B) (D)


Gesundheitsminister Hermann Gröhe und Familien-
ministerin Manuela Schwesig haben dazu gemeinsam
einvernehmlich ein Gesetz vorgelegt . Alle 16 Bundes-
länder sind einbezogen worden und haben zugestimmt .


(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und am Ende entscheidet das Parlament!)


Im März 2016, fast vor einem Jahr, war hier im Parla-
ment die erste Lesung . Es hat eine öffentliche Anhörung
gegeben, in der es ganz viel Zuspruch der Experten und
Expertinnen gegeben hat .


(Beifall bei der SPD – Erich Irlstorfer [CDU/ CSU]: Und viele waren dagegen! – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Protokolle lesen hilft!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer heute der letz-
ten Rede von Frank-Walter Steinmeier als Außenminister
mit offenen Ohren und auch mit Verstand gelauscht hat,
konnte hören, wie wichtig es ist, unsere parlamentari-
schen Rechte wahrzunehmen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen wir doch gerade!)


Aber, liebe Kollegen der Union, jetzt muss ich das mal
ganz deutlich sagen: Es hat zu dem Entwurf eines Pfle-
geberufereformgesetzes auf Ihr Betreiben hin in diesem
letzten Jahr nicht ein einziges Berichterstattergespräch
stattgefunden .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Und bis heute wurden uns direkt keine Vorschläge ge-
macht; auch das muss ich sagen .


(Zuruf des Abg . Erich Irlstorfer [CDU/CSU] – Herr Irlstorfer, das stimmt nicht . Es sind keine Vorschläge gemacht worden . (Hilde Mattheis [SPD]: Scheinheilig! – Heike Baehrens [SPD]: Nur in der Presse!)


Herr Rüddel, das muss ich Ihnen sagen: Wer in dieser
Situation in der Presse behauptet, Ministerin Manuela
Schwesig würde den parlamentarischen Prozess aufhal-
ten, scheint nichts von parlamentarischen Abläufen zu
verstehen .


(Beifall bei der SPD)


Trotzdem hoffe ich sehr – ich habe nur drei Minuten
Redezeit –, dass wir bald die Gelegenheit haben, dieses
Gesetz zu verabschieden, ein Gesetz, das sich große Teile
der Verbände und viele Pflegerinnen und Pfleger wün-
schen . Glauben Sie mir, ich habe mit vielen in Einrich-
tungen und in Schulen gesprochen . Lassen Sie uns das
gemeinsam machen, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Um mit den Worten von Frank-Walter Steinmeier zu
sprechen: Die Kollegen und Kolleginnen der Opposition
können sich ja als Dünger in die Gesetzgebung einbrin-
gen .

Ich danke fürs Zuhören .


(Beifall bei der SPD – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir bereits getan! Ihr macht da ja nichts!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821527300

Vielen Dank . – Damit sind wir am Ende der Ausspra-

che angelangt .

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Gesundheit zu dem Antrag der Fraktion Die Linke
mit dem Titel „Gute Ausbildung – Gute Arbeit – Gute
Pflege“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/11003, den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/7414 abzuleh-
nen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen gegen die Opposition angenommen .

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesund-
heit zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
mit dem Titel „Integrative Pflegeausbildung – Pflegebe-
ruf aufwerten, Fachkenntnisse erhalten“ . Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 18/11004, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 18/7880 abzulehnen . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das ist die
Koalition . Wer stimmt dagegen? – Das sind Bündnis 90/
Die Grünen . Wer enthält sich? – Das sind die Linken . Die
Beschlussempfehlung ist damit angenommen .

Ich bitte Sie, jetzt noch eine kurze Zeit hierzubleiben .
Wir haben noch einige Abstimmungen vorzunehmen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge­
setzes zu den Vorschlägen der Europäischen
Kommission vom 7. März 2016 für Beschlüs­
se des Rates zur Festlegung von Standpunk­
ten der Union in den Stabilitäts­ und Assozi­
ationsräten EU – Republik Albanien sowie
EU – Republik Serbien im Hinblick auf die
Beteiligung der Republik Albanien sowie der
Republik Serbien als Beobachter an den Ar­
beiten der Agentur der Europäischen Union
für Grundrechte und die entsprechenden Mo­
dalitäten im Rahmen der Verordnung (EG)

Nr. 168/2007 des Rates
Drucksache 18/9990
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für die Angelegenheiten der Europäischen
Union (21 . Ausschuss)


Drucksache 18/10966
Die Reden hierzu sollen zu Protokoll gegeben wer-

den . – Ich sehe, Sie sind einverstanden .1)

Damit kommen wir zur Abstimmung . Der Ausschuss
für die Angelegenheiten der Europäischen Union emp-

1) Anlage 6

Petra Crone






(A) (C)



(B) (D)


fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/10966, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/9990 anzunehmen . Ich bitte dieje-
nigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Einstimmig angenommen .

Dann kommen wir zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte alle, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent-
wurf ist einstimmig angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Jelpke, Frank Tempel, Dr . André Hahn, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Angleichung der Entschädigungsleistungen
für NS­Opfer

Drucksache 18/10969
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)

Innenausschuss (f)

Finanzausschuss
Federführung strittig

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .1)

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage
auf Drucksache 18/10969 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Hierbei ist die
Federführung jedoch strittig . Die Fraktionen der CDU/
CSU und SPD wünschen Federführung beim Haushalts-
ausschuss, die Fraktion Die Linke wünscht Federführung
beim Innenausschuss .

Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungs-
vorschlag der Fraktion Die Linke, Federführung beim
Innenausschuss . Wer stimmt für diesen Überweisungs-
vorschlag? – Das sind die Linken und die Grünen . Wer
stimmt dagegen? – Das ist die Koalition . Wer enthält
sich? – Keiner . Der Überweisungsvorschlag ist damit ab-
gelehnt .

Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungs-
vorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD . Wer
stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überweisungsvor-
schlag ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stim-
men der Opposition angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:

Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Biodiversität schützen – Taxonomische For­
schung ausbauen

Drucksache 18/10971

1) Anlage 7

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .2)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/10971 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit
einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall . Dann ist die
Überweisung so beschlossen .

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 24:

Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Pharmazeutische Forschung gegen Infektions­
krankheiten stärken – Nationale Wirkstoff­
offensive starten

Drucksache 18/10972
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .3)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/10972 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit
einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall . Dann ist so
beschlossen .

Ich rufe Tagesordnungspunkt 25 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das
Fahrlehrerwesen und zur Änderung anderer
straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften

Drucksache 18/10937
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss

2) Anlage 8
3) Anlage 9

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


Ich gehe davon aus, dass Sie damit einverstanden sind,
dass die Reden zu Protokoll gegeben werden . – Das ist
der Fall .1)

Dann kommen wir zur Abstimmung . Interfraktionell
wird die Überweisung des Gesetzentwurfes auf Druck-
sache 18/10937 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es dazu anderweitige
Vorschläge? – Das ist nicht der Fall . Dann ist die Über-
weisung beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än­
derung des Güterkraftverkehrsgesetzes, des
Fahrpersonalgesetzes, des Gesetzes zur Rege­
lung der Arbeitszeit von selbständigen Kraft­
fahrern, des Straßenverkehrsgesetzes und
des Gesetzes über die Errichtung eines Kraft­
fahrt­Bundesamtes

Drucksache 18/10882
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss

Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben
werden . – Sie sind damit einverstanden .2)

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetz-
entwurfs auf Drucksache 18/10882 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . – Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden . Dann ist die Über-
weisung so beschlossen .

Ich rufe Tagesordnungspunkt 27 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Mo­
dernisierung der epidemiologischen Überwa­
chung übertragbarer Krankheiten

Drucksache 18/10938
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . –
Auch hier sehe ich keinen Widerspruch .3)

1) Anlage 10
2) Anlage 11
3) Anlage 12

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 18/10938 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . – Ich sehe keine
anderweitigen Vorschläge . Dann ist so beschlossen .

Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zu dem Wirtschaftspart­
nerschaftsabkommen vom 15. Oktober 2008
zwischen den CARIFORUM­Staaten einer­
seits und der Europäischen Gemeinschaft und
ihren Mitgliedstaaten andererseits
Drucksache 18/8297
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung (19 . Ausschuss)


Drucksache 18/10950
Die Reden werden zu Protokoll gegeben . – Ich sehe,

Sie sind einverstanden .4)

Der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/10950, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 18/8297 anzunehmen .

Zweite Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem

Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent-
wurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von
Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Ich bedanke mich bei Ihnen .

Wir sind am Schluss der heutigen Tagesordnung an-
gekommen .

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Freitag, den 27 . Januar 2017, ein . Da
um 9 Uhr hier im Plenarsaal die Sonderveranstaltung aus
Anlass des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozi-
alismus stattfindet, zu der ich Sie alle sehr herzlich einla-
de, beginnt die Plenarsitzung erst um 10 .30 Uhr .

Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen einen
angenehmen Abend . Danke schön und auf Wiedersehen!