4) Anlage 13
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
(A) (C)
(B) (D)
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21605
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Barthle, Norbert CDU/CSU 26 .01 .2017
Binder, Karin DIE LINKE 26 .01 .2017
Bosbach, Wolfgang CDU/CSU 26 .01 .2017
Brinkhaus, Ralph CDU/CSU 26 .01 .2017
Bülow, Marco SPD 26 .01 .2017
Burkert, Martin SPD 26 .01 .2017
Dağdelen, Sevim DIE LINKE 26 .01 .2017
Dröge, Katharina * BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
26 .01 .2017
Eberl, Iris CDU/CSU 26 .01 .2017
Feiler, Uwe CDU/CSU 26 .01 .2017
Fischer (Karlsru-
he-Land), Axel E .
CDU/CSU 26 .01 .2017
Gambke, Dr . Thomas BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
26 .01 .2017
Gohlke, Nicole DIE LINKE 26 .01 .2017
Gröhe, Hermann CDU/CSU 26 .01 .2017
Groth, Annette DIE LINKE 26 .01 .2017
Gunkel, Wolfgang SPD 26 .01 .2017
Gysi, Dr . Gregor DIE LINKE 26 .01 .2017
Henn, Heidtrud SPD 26 .01 .2017
Hochbaum, Robert CDU/CSU 26 .01 .2017
Hübinger, Anette CDU/CSU 26 .01 .2017
Korte, Jan DIE LINKE 26 .01 .2017
Krellmann, Jutta DIE LINKE 26 .01 .2017
Kudla, Bettina CDU/CSU 26 .01 .2017
Launert, Dr . Silke CDU/CSU 26 .01 .2017
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Lerchenfeld, Philipp
Graf
CDU/CSU 26 .01 .2017
Maizière, Dr . Thomas
de
CDU/CSU 26 .01 .2017
Murmann, Dr . Philipp CDU/CSU 26 .01 .2017
Petzold (Havelland),
Harald
DIE LINKE 26 .01 .2017
Pfeiffer, Dr . Joachim CDU/CSU 26 .01 .2017
Pronold, Florian SPD 26 .01 .2017
Rüthrich, Susann * SPD 26 .01 .2017
Saathoff, Johann SPD 26 .01 .2017
Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
26 .01 .2017
Schäuble, Dr . Wolfgang CDU/CSU 26 .01 .2017
Schlecht, Michael DIE LINKE 26 .01 .2017
Schwartze, Stefan SPD 26 .01 .2017
Steineke, Sebastian CDU/CSU 26 .01 .2017
Storjohann, Gero CDU/CSU 26 .01 .2017
Strothmann, Lena CDU/CSU 26 .01 .2017
Timmermann-Fechter,
Astrid
CDU/CSU 26 .01 .2017
Tressel, Markus BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
26 .01 .2017
Walter-Rosenheimer,
Beate
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
26 .01 .2017
Wawzyniak, Halina DIE LINKE 26 .01 .2017
Zdebel, Hubertus DIE LINKE 26 .01 .2017
Zeulner, Emmi * CDU/CSU 26 .01 .2017
Zollner, Gudrun CDU/CSU 26 .01 .2017
*aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721606
(A) (C)
(B) (D)
Anlage 2
Erklärungen nach § 31 GO
zu der namentlichen Abstimmung über die Be
schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses
zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung
der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräf
te zur Ausbildungsunterstützung der Sicherheits
kräfte der Regierung der Region KurdistanIrak
und der irakischen Streitkräfte (Tagesordnungs
punkt 6)
Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Die Bedrohung durch ISIS im Irak und Syrien ist
unvermindert gegeben . Sie ist dank internationaler Be-
mühungen 2016 zwar regional zurückgedrängt worden,
aber nach wie vor in vielen Regionen äußerst massiv . Die
abscheulichen Gräueltaten von ISIS an der Bevölkerung
in Irak und Syrien finden weiterhin statt. Das Ende der
Schreckensherrschaft von ISIS ist ein unverändertes Ziel
aller Akteure in der Region . Dies muss auch mit militäri-
schen Mitteln geschehen .
Der Schlüssel im Kampf gegen ISIS sind die kurdi-
schen Streitkräfte . Irakisch-kurdische Kräfte müssen wei-
terhin unterstützt werden, dem ISIS entgegenzutreten .
Dies gilt umso mehr, als die Türkei als Partner im Kampf
gegen den ISIS-Terrorismus auch immer wieder eigene,
gegen die Kurden gerichtete Ziele verfolgt . Unabhängig
von der Luftunterstützung der USA bleibt der Kampf am
Boden eine zentrale Aufgabe, zu der bislang überwiegend
irakisch-kurdische Streitkräfte bereit und in der Lage sind .
Eine internationale Unterstützung ist dafür auch durch
Ausbildung der Streitkräfte dringend notwendig .
Die einschlägigen UN-Entschließungen und die Er-
klärungen der Regierung des Irak geben einen völker-
rechtlichen Rahmen für die Ausbildungsunterstützung .
Ich respektiere die Rechtsauffassung der Experten mei-
ner Fraktion, die den Einsatz der Bundeswehr als völ-
kerrechtlich nicht ausreichend abgesichert bewerten und
deshalb kritisch beurteilen . In die Gesamtbewertung
müssen aber auch weitere Argumente einbezogen und
abgewogen werden .
Die Notwendigkeit der beantragten Ausbildungsunter-
stützung der Sicherheitskräfte der Regierung der Region
Kurdistan-Irak und der irakischen Sicherheitskräfte ist
durch die Erfolge im letzten Jahr bestätigt worden . Das
deutsche Engagement ist in seiner Bedeutung aufgrund
der veränderten Position der Türkei gegenüber den Kur-
den noch wichtiger geworden . Deutschland muss aus
meiner Sicht in einer weltweit veränderten Situation
entsprechend den in der UN vereinbarten Prinzipien und
Vereinbarungen mehr Verantwortung übernehmen .
Diese persönliche Bewertung hat zu meiner Entschei-
dung geführt, anders als im vorigen Jahr, in dem ich bei
dem entsprechenden Antrag der Bundesregierung mich
der Stimme enthalten habe, dem vorliegenden Antrag der
Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaff-
neter deutscher Streitkräfte zur Ausbildungsunterstützung
der Sicherheitskräfte der Regierung der Region Kurdis-
tan-Irak und der irakischen Streitkräfte zuzustimmen .
Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU): Der inter-
nationale Kampf gegen die Terrororganisation IS zeigt
auch dank der Lieferung militärischer Ausrüstung an
die Peschmerga und dem Einsatz deutscher Soldatinnen
und Soldaten zur Ausbildungsunterstützung der Sicher-
heitskräfte der Region Kurdistan-Irak und der irakischen
Streitkräfte Erfolge . Es ist gelungen, Flüchtlinge zu
schützen, den IS zurückzuschlagen und Territorium zu-
rückzugewinnen .
Damit die erreichten Erfolge abgesichert werden und
ein Wiedererstarken des IS verhindert wird sowie um
eine nachhaltige Stabilisierung des Irak zu ermöglichen,
ist weiterhin internationales Engagement erforderlich .
Die fortgesetzte Entsendung von bis zu 150 Soldatinnen
und Soldaten der Bundeswehr zur Ausbildungsunterstüt-
zung soll längstens bis zum 31 . Januar 2018 in diesem
Sinne weiterhin einen Beitrag leisten zum nachhaltigen
Fähigkeitsaufbau der Sicherheitskräfte der Regierung der
Region Kurdistan-Irak und der irakischen Streitkräfte .
Ich halte die geplante Fortsetzung des Bundeswehr-
einsatzes aufgrund humanitärer Verantwortung für die
in der Region lebenden Menschen und Flüchtlinge, aber
auch aus sicherheitspolitischen Gründen für sinnvoll und
notwendig .
Nachdem der irakische Außenminister alle Mitglied-
staaten der Vereinten Nationen um Unterstützung im
Kampf gegen die Terrororganisation IS auch im Wege
militärischer Ausbildung gebeten hat, ist der Einsatz als
sogenannte Intervention auf Einladung völkerrechtlich
zulässig .
Gemäß Artikel 87a Absatz 2 GG dürfen die Streitkräf-
te außer zur Verteidigung nur eingesetzt werden, soweit
dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt . Ein Fall, in
dem das GG den Einsatz zulässt, ist Artikel 24 Absatz 2
GG, auf den die Bundesregierung ihren Antrag erneut
stützt . Diese verfassungsrechtliche Begründung ist aber
nicht überzeugend .
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsge-
richts kann sich die Bundesrepublik Deutschland gemäß
Artikel 24 Absatz 2 GG zur Friedenswahrung an Ent-
scheidungen einer internationalen Organisation binden .
Das umfasst auch die Übernahme der mit der Zugehörig-
keit zu einem kollektiven Sicherheitssystem typischer-
weise verbundenen Aufgaben und damit auch für eine
Verwendung der Bundeswehr zu Einsätzen, die „im Rah-
men und nach den Regeln“ dieses Systems stattfinden.
Unzweifelhaft liegt kein spezielles Mandat des VN-Si-
cherheitsrates vor, das ausdrücklich die Entsendung von
Soldaten zur Friedenssicherung vorsieht und das den
Rahmen und die Regeln des Einsatzes bestimmt .
Aus diesem Grund bezieht sich die Bundesregierung
in ihrem Antrag auf die beiden Sicherheitsratsresolutio-
nen 2170 (2014) vom 15 . August 2014 und 2249 (2015)
vom 20 . November 2015 sowie auf die Erklärung des
Präsidenten des Sicherheitsrates vom 19 . September
2014 .
In der Resolution 2170 (2014) wird die Terrororgani-
sation IS als Bedrohung für die internationale Sicherheit
bezeichnet . Zudem werden darin die durch IS begange-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21607
(A) (C)
(B) (D)
nen Menschenrechtsverletzungen verurteilt sowie Sank-
tionen gegen einzelne Mitglieder dieser Organisation be-
schlossen . Ein Mandat für den Einsatz von Streitkräften
enthält diese Resolution nicht . Gleiches gilt für die Reso-
lution 2249 (2015) .
Auch die Erklärung des Präsidenten des Sicherheits-
rates vom 19 . September 2014 reicht meines Erachtens
nicht aus, weil sie im Kern lediglich den Aufruf enthält,
den Irak zu unterstützen, und es sich dabei zudem im Er-
gebnis um eine politische Erklärung handelt .
Schließlich sind Ad-hoc-Koalitionen kein „System
gegenseitiger kollektiver Sicherheit“ im Sinne von Ar-
tikel 24 Absatz 2 GG . Selbst wenn man anerkennt, dass
sie kollektiv vorgehen, fehlt es ihnen an der erforderli-
chen institutionellen und vertraglich begründeten Struk-
tur . Daher halte ich Artikel 24 Absatz 2 GG nicht für die
richtige Rechtsgrundlage .
Nach meiner Überzeugung findet der Einsatz der Bun-
deswehr aber eine verfassungsmäßig tragfähige Rechts-
grundlage in Artikel 87a Absatz 2 1 . Alternative GG . Der
Begriff der „Verteidigung“ umfasst nach überwiegender
Auffassung nicht nur die reine Landesverteidigung, son-
dern auch die sogenannte Drittstaaten-Nothilfe im Sinne
von Artikel 51 der VN-Charta . Der Bundeswehreinsatz
ist daher als solcher verfassungsgemäß .
Weil ich den Einsatz der Bundeswehr in dieser Aus-
bildungsmission unabhängig von der seitens der Bundes-
regierung gewählten verfassungsrechtlichen Begründung
für verfassungsgemäß und politisch geboten halte, stim-
me ich der Fortsetzung des Bundeswehreinsatzes zu .
Anlage 3
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung des von der Bundesregierung ein
gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Novellierung von Finanzmarktvorschriften auf
Grund europäischer Rechtsakte (Zweites Finanz
marktnovellierungsgesetz – 2. FiMaNoG) (Tages
ordnungspunkt 15)
Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Zunächst will ich auf die europäische Richtlinie Mi-
FID II eingehen, um deren Umsetzung es mit vorliegen-
dem Gesetzentwurf geht: Wir Grünen sind sehr zufrie-
den, dass es nach jahrelangen Bemühungen von vielen
Bürgerinnen und Bürgern, NGOs und uns gelungen ist,
dass Nahrungsmittel- und Rohstoffspekulationen in der
MiFID-II-Richtlinie durch strenge Positionslimits klare
Grenzen gezogen wurden, die über die ursprünglichen
Vorschläge von EU-Kommission und Europäischem Par-
lament hinausgehen .
Außerdem gelang es, Maßnahmen gegen den aus-
ufernden Hochfrequenzhandel ohne realwirtschaftlichen
Mehrwert auf den Weg zu bringen . Für Preissprünge im
Handel ist ein „minimum tick size regime” eingeführt
worden . Es handelt sich dabei um eine Mindestgröße,
welche die Rendite des Hochfrequenzhandels deutlich
verringert und ihn so unattraktiver macht . Ferner müs-
sen alle benutzten Algorithmen getestet werden, und bei
den Handelsplattformen wurden große Teile des intrans-
parenten Over-the-counter-Handels durch neue, nach der
MiFID regulierte OTF – Organized Trading Facilities –
ersetzt .
Trotzdem bleibt insbesondere auf dem Gebiet des Ver-
braucherschutzes bereits in der Richtlinie manches zu
wünschen übrig . Hinzu kommt: Manche in der Richtlinie
verankerte Verbesserung ist von der Bundesregierung im
Rahmen des Umsetzungsgesetzes durch die Hintertür zu-
rückgenommen worden .
Das Anlageverhalten von Verbrauchern in Deutsch-
land ist gekennzeichnet von geringer Kosteneffizienz
und geringer Rendite . Fast 80 Prozent des Geldvermö-
gens privater Haushalte bestehen aus Bargeld, Einlagen
oder Versicherungs- und Alterssicherungsansprüchen .
Anlageprodukte passen nach Erhebungen des Projekts
„Marktwächter Finanzen“ häufig nicht zum Bedarf der
Anleger .
Damit korrespondierend ist die Qualität der Anlage-
beratung in Deutschland laut Stiftung Warentest auf kon-
stant schlechtem Niveau . Nur drei Banken berieten im
Rahmen des jüngsten Tests im vergangenen Jahr „gut“,
dreizehn „befriedigend“, fünf „ausreichend“ und zwei
„mangelhaft“ .
Auch die Gründe für das schlechte Abschneiden hat
Stiftung Warentest untersucht und festgestellt: „Grobe
Beratungsfehler im Test sind vermutlich nur selten auf
das Unvermögen der Berater zurückzuführen, sondern
eher auf provisionsgetriebene Verkaufsvorgaben der In-
stitute . Obwohl der Kundenstatus und die Risikoeinstu-
fung des Kunden fast durchweg gut gelangen, führte das
nicht automatisch zu passenden Produktvorschlägen .“
Und damit sind wir in media res des Zweiten Finanz-
marktnovellierungsgesetzes: Das Wohl des Verbrauchers
muss bei der Anlageberatung an oberster Stelle stehen .
Es müssen Wettbewerbsnachteile für unabhängige Ho-
norarberater abgebaut und die Kosten einer nichtunab-
hängigen Provisionsberatung offengelegt werden, damit
Verbraucher alle Informationen parat haben, um eine
mündige Anlageentscheidung treffen zu können . Die
Vergleichbarkeit von Beratungskosten noch vor Ver-
tragsschluss ist dafür essenziell .
Hier verschlechtert die Bundesregierung die Ver-
braucherposition in eklatanter Weise, wenn sie die auf
EU-Ebene bereits verschlossene Umgehungsmöglichkeit
der Festpreisgeschäfte im Regierungsentwurf wieder er-
öffnet . Bei Festpreisgeschäften tritt ein Institut gegenüber
dem Verbraucher nicht als durch eine Provision vergüte-
ter Kommissionär auf, sondern als „Zwischenhändler“
des Produktes, der seinen Gewinn durch die Differenz
zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis erzielt . Der po-
tenzielle Interessenkonflikt ist genauso offensichtlich
wie bei Provisionsgeschäften, doch ist diese Gestaltung
wegen der „auf Zuwendungen von Dritten“ eingeengten
Formulierung des § 70 Absatz 1 Seite 1 WpHG-E nicht
offenlegungspflichtig.
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721608
(A) (C)
(B) (D)
Auch scheinbare Petitessen wie eine nicht wettbe-
werbsneutrale Bezeichnung der beiden Beratungsfor-
men können die Etablierung unabhängiger Honorarbe-
ratung erschweren . Daher sollte im Gesetzentwurf das
Gegensatzpaar von unabhängiger Honorarberatung und
nichtunabhängiger Provisionsberatung verankert wer-
den .
Für effizienten Verbraucherschutz ist es ferner wich-
tig, dass die Kundeninformation über die Beratungsform
sowie die Geeignetheitserklärung standardisiert werden .
Hier muss das Bundesministerium der Finanzen von
seinen Verordnungsermächtigungen Gebrauch machen
und verbraucherfreundliche und wettbewerbsneutrale
Standards setzen, auch damit der Kunde im Falle einer
Schlecht- oder Falschberatung über eine Haftungsgrund-
lage verfügt .
Im Rahmen der bereits entworfenen Novellierung der
Verordnung zur Konkretisierung der Verhaltensregeln
und Organisationsanforderungen für Wertpapierdienst-
leistungsunternehmen (WpDVerOV) ist bereits jetzt
dringender Nachholbedarf gegeben . Die Verordnung
soll regeln, wann eine Zuwendung, also auch eine Pro-
vision, die Qualität der Dienstleistung für den Kunden
verbessert und daher zulässig ist . Die darin aufgeführten
Fallgruppen sind so butterweich, dass kein Institut in der
Realität darum fürchten muss, dass Provisionsgeschäfte
nicht de lege lata für den Kunden vorteilhaft wären . Das
verkehrt die Untersuchungsergebnisse von Stiftung Wa-
rentest in das Gegenteil .
Der aufgeblähte Finanzvertrieb rechtfertigt sich aus
Sicht der Institute durch die konstanten Einnahmen in
einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld . Aus Sicht
der Verbraucher führt er aber zu einer hohen Kostenquo-
te und in seiner jetzigen provisionsgetriebenen Form zur
konstanten Gefahr von Schlecht- und Falschberatung .
Wir müssen daher jetzt das Berufsbild des unabhängi-
gen Beraters stärken, indem wir Wettbewerbsnachteile
abbauen, damit eine Alternative geschaffen wird sowohl
für Verbraucher, die gut beraten anlegen wollen, als auch
für die Arbeitnehmer, die im ständig schrumpfenden Fi-
nanzvertrieb tätig sind .
Anlage 4
Erklärungen nach § 31 GO
zu der Abstimmung über den von den Fraktionen
der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf
eines Gesetzes zur Sicherung der Sozialkassen
verfahren im Baugewerbe (Sozialkassenverfah
rensicherungsgesetz – SoKaSiG) (Zusatztagesord
nungspunkt 3)
Veronika Bellmann (CDU/CSU): Am heutigen Don-
nerstag stimmen wir in zweiter und dritter Lesung über
das Gesetz zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im
Baugewerbe ab .
Ich muss leider nach reiflicher Überlegung und insbe-
sondere nach den beiden aktuellsten Richtersprüchen die-
ser Woche des Bundesarbeitsgerichts zur Nichtigkeit von
AVE bezüglich Soka-Bau auch im Plenum bei meinem
Abstimmverhalten – Ablehnung – in der Fraktion blei-
ben . Einer offensichtlich nachträglichen Legalisierung
rechtswidrigen Verhaltens kann ich nicht zustimmen .
Die Entscheidung des Deutschen Bundestages, das
Sozialkassenverfahrenssicherungsgesetz (SokaSiG) im
Eilverfahren in unveränderter Fassung zu beschließen,
kann ich nicht unterstützen . Es kann nicht Aufgabe des
Gesetzgebers sein, für die Soka-Bau unliebsame Ent-
scheidungen eines Bundesgerichts wieder aufzuheben
und rückwirkend Ansprüche von erfolgreichen Klägern
per Gesetz zu revidieren . Wenn dieses Modell Schule
macht, kann bald jedes Gerichtsurteil per Gesetz aufge-
hoben werden, sind die Gewaltenteilung und die Unab-
hängigkeit der Justiz in Gefahr .
Hintergrund der Problematik sind Urteile des Bun-
desarbeitsgerichts vom 21 . September 2016 sowie vom
25 . Januar 2017 zur Unwirksamkeit von Allgemeinver-
bindlichkeitserklärungen (AVE) von Tarifverträgen im
Baugewerbe, die für viele Unternehmen des Bauneben-
gewerbes eine Beitragspflicht an die Soka‑Bau nach sich
ziehen . Einige Unternehmer und Verbände hatten gegen
das Zustandekommen einiger AVEs geklagt und recht
bekommen .
Die Tarifvertragsparteien haben seinerzeit Vereinba-
rungen zulasten Dritter getroffen, die durch das Minis-
terium auf unterster Ebene durchgewunken wurden . Dies
führt zu strafrechtlicher Verfolgung . Es ist äußerst frag-
würdig, dass Tarifvertragsparteien neuerdings entschei-
den, was in unserem Land strafbar ist .
Die sich aus den Gerichtsurteilen ergebenden mögli-
chen Rückforderungsansprüche von zu Unrecht geleis-
teten Zahlungen sollen nun durch das Gesetz gekippt
werden . Die Sozialkasse des Baugewerbes, welche nicht
mit gesetzlichen Kassen wie der Rentenkasse verwech-
selt werden darf, ist schon seit einiger Zeit durch frag-
würdige Geschäftspraktiken in der Diskussion . Die Sta-
tistik des Bundesarbeitsministeriums weist jährlich bis
zu 40 000 Soka-Streitverfahren vor den Arbeitsgerichten
Wiesbaden und Berlin auf . Unternehmer aus dem Baune-
bengewerbe werden damit konfrontiert, für angeblich er-
brachte Leistungen des Bauhauptgewerbes rückwirkend
für vier Jahre etwa 20 Prozent der Lohnsumme für einen
Mitarbeiter an die Soka-Bau abzuführen . Diese Rück-
forderungen werden mit einem Zinssatz in Summe von
48 Prozent, was einem Prozent pro Monat entspricht, be-
legt . Dass diese Praktiken in vielen Betrieben, vor allen
kleinen oder Solounternehmen des Baunebengewerbes,
zu Recht nicht nur Unmut hervorrufen, sondern existenz-
bedrohend sind, verwundert nicht .
Darum wäre jetzt die jetzt die geeignete Gelegenheit
zu einer Neuregelung gewesen , keine vier Jahre rückwir-
kend, keine 12 Prozent Zinsen auf den höchstmöglichen
Betrag, keine Inanspruchnahme von Soloselbstständi-
gen, die knapp über dem Existenzminimum leben und
auch noch Beitrag bezahlen sollen, keine Inanspruchnah-
men von Betrieben, die andere Tarifverträge haben, und
eine klare Definition, was Bau ist. Mit dem vorliegenden
Gesetz zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Bau-
gewerbe hat der Deutsche Bundestag die Gelegenheit zu
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21609
(A) (C)
(B) (D)
einer sinnvollen, rechtlich einwandfreien Regelung nicht
genutzt .
Klaus Brähmig (CDU/CSU): Im Rahmen der Ab-
stimmung am 26 . Januar 2017 werde ich den oben ge-
nannten von den Fraktionen CDU/CSU und SPD ein-
gebrachten Gesetzen nicht zustimmen . Lassen Sie mich
kurz erklären, warum ich nicht zustimmen kann:
Unternehmer aus den Baunebengewerken werden
damit konfrontiert, für angeblich erbrachte Leistungen
des Bauhauptgewerkes rückwirkend für vier Jahre etwa
20 Prozent der Lohnsumme für einen Mitarbeiter an die
Soka-Bau abzuführen . Diese Rückforderungen werden
mit einem Zinssatz in Summe von 48 Prozent, was einem
Prozent pro Monat entspricht, belegt . Dass diese Prakti-
ken in vielen Betrieben des Baunebengewerkes zu Recht
Unmut hervorrufen, verwundert nicht . Nachdem das
Bundesarbeitsgericht diese Praxis als unwirksam erklärt
hat, soll jetzt im Eilverfahren der Richterspruch ausgehe-
belt werden .
Es handelt sich hier um ein Eilgesetz angeblich zur
Sicherung der Sozialkassen des Baugewerbes . Eilgesetze
haben ganz selbstverständlich schon den Mangel, dass
sie in Eile entstehen und häufig nicht klug durchdacht
sind . Wenn die Rechtsansprüche von 50 000 Streitver-
fahren nicht Anlass genug sind, sich vertieft mit dem
Thema zu beschäftigen, dann wird meine Vorstellung
von Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit konterkariert .
Eine Ausschussanhörung, die nur auf Drängen des Wirt-
schaftsflügels der CDU/CSU‑Fraktion zustande kam,
war aufgrund ihrer Zusammensetzung und zeitlichen Be-
grenzung nicht geeignet, dem Thema auch nur annähernd
gerecht zu werden .
Zusätzlich ist es meiner Auffassung nach nicht die
Aufgabe des Deutschen Bundestages, unliebsame Ent-
scheidungen eines Bundesgerichts wieder aufzuheben
und auf diese Weise rückwirkende Ansprüche von er-
folgreichen Klägern zunichte zu machen . Ich stimme
hier ausdrücklich meinem Kollegen Andreas Lämmel
MdB zu, der sagt: ,,Wenn dieses Modell Schule macht,
kann bald jedes Gerichtsurteil per Gesetz aufgehoben
werden .“
Als Handwerksmeister lasse ich mich auch nicht täu-
schen . Es geht hier um Macht und Geld und nicht um
Arbeitnehmerrechte . Die linksliberale Süddeutsche
Zeitung, die nicht als willenlose Vollstreckerin von Un-
ternehmerinteressen bekannt ist, schreibt: ,,Die große
Koalition hilft einer Institution, die in der Öffentlich-
keit unbekannt, in der Fachöffentlichkeit indes gerade-
zu berühmt ist . An den Arbeitsgerichten Wiesbaden und
Berlin führt sie jedes Jahr mehr als 50 000 Verfahren . In
Wiesbaden wenden alle 13 Kammern des Arbeitsgerichts
die Hälfte ihrer Zeit für Soka-Bau-Verfahren auf, und die
Meinungen gehen auseinander, wer an dieser Unmen-
ge schuld ist: die Tarifparteien, weil sie bisher nur sehr
ungenau festgelegt haben, was ein „Baubetrieb“ ist und
was nicht? All die Handwerksmeister, die sich stets da-
rauf verlassen haben, dass ihr Laden entweder nicht als
Baubetrieb gilt, oder dass die Soka‑Bau ihn nicht findet,
und die sich dann wundem, wenn sie eine Rechnung
über 360 000 Euro bekommen? Die Soka-Bau selbst, der
Anwälte eine unbarmherzige Inkassopolitik vorwerfen?
Sie verlangt von ihren Schuldnern ein Prozent Zinsen –
pro Monat . Und verfügt selbst über 3,7 Milliarden Euro
liquide Mittel .“ Spätestens jetzt müsste bei kritischen
Abgeordneten doch ein verstärktes Interesse vorhanden
sein, dieses Thema tiefer zu durchleuchten und einer ge-
rechten langfristigen Lösung zuzuführen . Die nachträgli-
che Aushebelung eines Beschlusses auf höchstrichterli-
cher Ebene durch den Bundestag ist mir zumindest nicht
vermittelbar .
Jens Koeppen (CDU/CSU): Ich habe heute gegen
den Gesetzentwurf gestimmt, da er die rückwirkende
Aufhebung bestehenden Rechts vorsieht . Es kann nicht
und darf auch nicht Aufgabe des Gesetzgebers sein, Er-
gebnisse von Gerichtsurteilen durch Gesetzesänderun-
gen rückwirkend abzuändern .
Die Gesetzesinitiative geht nicht nur einseitig zulas-
ten des Baunebengewerbes, sondern die rückwirkende
Schaffung von veränderten Rechtsgrundlagen erschüttert
das Vertrauen in unseren Rechtstaat .
Das Gesetz hilft zudem nicht, die notwendige Abgren-
zung zwischen Bauhaupt- und Baunebengewerbe weiter
voranzubringen . Die einseitige Gesetzesregelung zulas-
ten der klagenden und auch der beklagten Handwerker
des Baunebengewerbes hinterlässt einen bitteren Beige-
schmack . Bei 40 000 anhängigen Verfahren werden wir
in ganz Deutschland negative Arbeitsplatzeffekte zu ver-
zeichnen haben .
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
– des von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung
der Handlungsfähigkeit der Selbstverwaltung
der Spitzenorganisationen in der gesetzlichen
Krankenversicherung sowie zur Stärkung der
über sie geführten Aufsicht (GKVSelbstver
waltungsstärkungsgesetz)
– der Beschlussempfehlung und des Berichts des
Ausschusses für Gesundheit:
– zu dem Antrag der Abgeordneten Harald
Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau),
Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeord
neter und der Fraktion DIE LINKE: Pati
entenvertretung in der Gesundheitsversor
gung stärken
– zu dem Antrag der Abgeordneten
Dr. Harald Terpe, Maria KleinSchmeink,
Kordula SchulzAsche, weiterer Abgeord
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN: Mit Beitragsgeldern der gesetz
lich Versicherten sorgsam umgehen – Mehr
Transparenz und bessere Aufsicht über die
Selbstverwaltung im Gesundheitswesen
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721610
(A) (C)
(B) (D)
(Tagesordnungspunkt 19 a und b)
Reiner Meier (CDU/CSU): Mark Twain hat einmal
gesagt: „Die Nachricht von meinem Tod ist stark über-
trieben .“ Dieser Satz ist heute Abend gleich im doppelten
Sinne wahr: Zum einen ist die Selbstverwaltung – allen
Unkenrufen zum Trotz – quicklebendig – und das, ob-
wohl sie in ihren Strukturen teils auf die Lebenszeit Mark
Twains zurückgeht . Zum anderen hat sich einmal mehr
gezeigt, dass mancher Pressebericht vom Ende unseres
Gesetzentwurfs vielleicht doch ein wenig verfrüht war .
Mit dem Selbstverwaltungsstärkungsgesetz betonen
wir tragende demokratische Grundsätze in der Selbstver-
waltung: Transparenz und Verantwortung . Entsprechend
haben wir die Informations- und Kontrollrechte der Ver-
treterversammlungen und der Verwaltungsräte im Sinne
der „checks and balances“ deutlich gestärkt .
Das ist auch richtig so . Denn nach unserem Ver-
ständnis ist es in erster Linie die Aufgabe der Selbst-
verwaltung, im eigenen Haus für ordnungsgemäße und
rechtstreue Abläufe zu sorgen .
Zur Verantwortung gehört aber auch, dass man zu ge-
troffenen Entscheidungen steht . Es wird deshalb klare
und eindeutige Regelungen geben, wann es notwendig
ist, namentlich abzustimmen . Die Entscheidungen wer-
den damit transparent und jederzeit nachvollziehbar do-
kumentiert .
Subsidiär und nur für den Fall, dass diese interne
Selbstkontrolle scheitert, stärken wir an den notwendi-
gen Stellen die Aufsichtsinstrumente des Bundesministe-
riums für Gesundheit . Dabei muss eines immer klar sein:
Eine Selbstverwaltung, die ihren Namen verdient, muss
Spielräume für ihre Entscheidungen haben . Wir haben
uns deshalb in den parlamentarischen Beratungen eben-
so gegen eine Fachaufsicht wie gegen allzu restriktive
Vorgaben bei den Betriebsmittelreserven ausgesprochen .
Auch haben wir die Tatbestandsvoraussetzungen für
den „kleinen Staatskommissar“ klarer und konkreter ge-
fasst . Damit bleibt der Selbstverwaltung auch in Zukunft
ein substanzieller Spielraum, wie sie die Vorgaben des
Gesetzgebers umsetzt . Der Maßstab bleibt auch weiter-
hin allein die juristische Vertretbarkeit der Umsetzung .
Wenn wir im Gesetz von Transparenz sprechen, dann
muss sie erst recht auch im Verhältnis zum Parlament gel-
ten . Ich freue mich deshalb ganz besonders, dass wir uns
auf eine regelmäßige Berichtspflicht des Bundesminis-
teriums an den Ausschuss für Gesundheit verständigen
konnten . Damit erhält der Bundestag einen regelmäßigen
Bericht über eingeleitete und laufende Aufsichtsverfah-
ren in der Selbstverwaltung und kann daraus die gebote-
nen Schlussfolgerungen ziehen .
Es ist in den letzten Tagen viel davon gesprochen wor-
den, dass man mit dem Gesetz die „Richtigen“ treffen
müsse . Ich meine, unser Ziel sollte nicht sein, jemanden
zu treffen oder zu bestrafen, sondern die Selbstverwal-
tung als Ganzes zukunftsfest zu machen .
Die Selbstverwaltung ist ein einzigartiges und bewähr-
tes System, das umsichtig und mit großem Sachverstand
zu einer hervorragenden Versorgung unserer Patientin-
nen und Patienten beiträgt . Fehlverhalten – gleich von
wem es ausgeht – untergräbt das Vertrauen in die Selbst-
verwaltung als Ganzes und muss deshalb konsequent
abgestellt und aufgearbeitet werden . Mit dem heutigen
Gesetz wird die Selbstverwaltung transparenter, demo-
kratischer und effektiver, und das ist eine gute Nachricht .
Abschließend möchte ich es nicht versäumen, mich
bei den Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss für die
konstruktiven Beratungen zu bedanken und auch dafür,
dass das Gesetz gestern den Ausschuss ohne Neinstim-
men passiert hat .
Ich hoffe, dass diese breite Einmütigkeit heute auch
im Plenum spürbar ist, und darf Sie deshalb um Ihre Zu-
stimmung bitten .
Dietrich Monstadt (CDU/CSU): Die Stärke der
Selbstverwaltung ist eine tragende Säule des deutschen
Sozialsystems . Die Sicherstellung einer qualitativ hoch-
wertigen, flächendeckenden und bedarfsgerechten medi-
zinischen Versorgung der Bevölkerung ist in besonderem
Maße auf das Engagement und die Verantwortung der
Selbstverwaltung im Gesundheitswesen zurückzuführen .
An diesem erfolgreichen und bewährten System halten
wir weiter fest . Dennoch haben Abläufe in der Vergan-
genheit gezeigt, dass sich Partikularinteressen Einzelner
gegenüber den Interessen des Gemeinwohls durchsetzen
können .
Vor dem Hintergrund der demnächst stattfindenden
Gremienwahlen in Selbstverwaltungskörperschaften ist
es wichtig, dass wir jetzt ein Gesetz auf den Weg bringen,
das auf diese Sachverhalte reagiert .
Mit dem GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz re-
agieren wir aber nicht nur auf Fehlverhalten, sondern wir
setzen die notwendigen Rahmenbedingungen und schaf-
fen klare Regelungen für zukünftiges Handeln. Effizienz,
mehr Kontrolle, stärkere Transparenz sowie schlüssige
Vorgaben staatlicher Rechtsaufsicht sollen die Selbstver-
waltung an den erkennbaren Schwachstellen weiterent-
wickeln und stärken .
Es liegt in der Natur der Sache, dass Gesetze generell
abstrakt und nicht als Lex specialis verabschiedet wer-
den . Deshalb regeln wir das aufsichtsrechtliche Handeln
und die internen Strukturen der Selbstverwaltung nicht
nur für einzelne Selbstverwaltungsbereiche, sondern
vielmehr für den allgemeinen Bereich der Selbstverwal-
tung, dies in einer uns möglichst einheitlichen Art und
Weise, ohne dabei unverhältnismäßig in die internen Ge-
staltungskompetenzen einzugreifen, wohl wissend, dass
fast überall hervorragende Arbeit geleistet wurde und
wird .
Wir wollen die Funktionsfähigkeit der Selbstverwal-
tung weiter stärken . Dafür bedarf es insbesondere stär-
kerer Kontroll- und Informationsrechte der Mitglieder
der Körperschaften sowie mehr Transparenz im Verwal-
tungshandeln . Nur so können frühzeitig Fehlentwicklun-
gen erkannt, gestoppt oder gar vermieden werden .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21611
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Wir wollen stärkere Einsichts- und Prüfrechte des
Verwaltungsrates und der Vertreterversammlungen . Wir
wollen präzisere Vorgaben zu Informations-, Dokumen-
tations‑ und Berichtspflichten über die Beratungen in den
Ausschüssen . Wir wollen eine funktionsfähige Hand-
lungsweise durch Wahlen oder auch Abwahlen der oder
des Vorsitzenden umsetzen und sie umgesetzt wissen .
Auch wenn immer behauptet wird, das Gesetz greife
zu sehr in den Verantwortungsbereich und schränke da-
mit die nötige Handlungsfreiheit der Organe der Selbst-
verwaltung massiv ein: Das Gegenteil ist richtig . Die
kontrollierenden Organe der Selbstverwaltung werden
entscheidend, bezogen auf jedes einzelne Mitglied, ge-
stärkt . Alle Entscheidungen werden transparent .
Größere Transparenz stärkt wiederum auch das Han-
deln der einzelnen Mitglieder . Nur wer ausreichend und
sachgerecht informiert ist, kann die richtigen Entschei-
dungen treffen . Dies stärkt letztlich die Selbstverwaltung
und ihre internen Strukturen .
Die Frage, ob in bestimmten Fällen eine namentliche
Abstimmung erforderlich ist, wird durchaus strittig dis-
kutiert . Die Vergangenheit hat uns aber gezeigt, dass in
bestimmten Fällen die Entscheidungen auch nachvoll-
ziehbar sein müssen .
Aber auch hier greifen wir nicht ein . Wir vertrauen
auf die Strukturen der Selbstverwaltung in diesen ganz
besonderen Verantwortungssituationen . Das heißt, die
Körperschaften bestimmen in ihrer Satzung selbst, wann
eine namentliche Abstimmung vorzusehen ist . Damit
setzen wir auch hier ein klares Zeichen für mehr Eigen-
verantwortung und Selbstkontrolle, da diese Regelung
ausschließlich interne Vorgänge der Selbstverwaltungs-
körperschaften betrifft .
Uns ist auch wichtig, mögliches Fehlverhalten früh-
zeitig aufzudecken . Auch hier lassen wir die Zuständig-
keit in den jeweiligen Körperschaften .
Zukünftig wird die Innenrevision den Selbstverwal-
tungsgremien der Körperschaften über ggf . festgestellte
Handlungsverstöße berichten . Dies trägt zu mehr Trans-
parenz und Kontrolle in der hausinternen Aufarbeitung
bei . Auch werden dadurch die Strukturen innerhalb der
Selbstverwaltung weiter gestärkt . Kompetente, sachge-
rechte Entscheidungsabläufe und Entscheidungen sind
immer noch der beste Weg, hier jegliches aufsichtsrecht-
liches Tätigwerden zu vermeiden .
Als Ultima Ratio besteht aber nunmehr die Mög-
lichkeit, gegebenenfalls aufsichtsrechtlich einzugreifen .
Damit vertrauen wir grundsätzlich auf die Selbstreini-
gungskräfte der Selbstverwaltungsinstitutionen . Klar
muss aber sein: Sofern diese nicht funktionieren sollten,
werden wir als Politik auch zukünftig eingreifen .
Sollten konkrete Anhaltspunkte für Fehlverhalten vor-
liegen, kann darüber hinaus eine Person entsandt werden,
die beratend den Institutionen zur Seite steht, um wei-
tere, eingreifende Maßnahmen zu verhindern . Auch mit
dieser Regelung stärken wir gleichzeitig jedes einzelne
Mitglied der Selbstverwaltung .
Darüber hinaus kann das Bundesministerium für Ge-
sundheit weitere Maßnahmen im Rahmen seiner Rechts-
aufsicht ergreifen . Denn wir stärken auch die Rechts-
aufsichtsstrukturen . Durch konkrete Vorgaben werden
Rechtsverletzungen zukünftig eindeutig und konsequent
geahndet . Diese Regelung gilt insbesondere für Betriebs-
mittel und Rücklagen sowie für die Pflicht zur Ausschüt-
tung von Vermögen bzw . der Senkung der Umlage, wenn
dies nicht zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben not-
wendig ist . Wir sichern damit einen verantwortungsvol-
len Umgang mit Beitragsgeldern .
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass mit dem Ge-
setz sowohl die verwaltungsinterne Selbstkontrolle als
auch die staatliche Aufsicht als externe Kontrolle ange-
passt und weiterentwickelt werden .
Befürchtungen, die Politik werde die Selbstverwal-
tung eher schwächen als stärken, kann ich nicht teilen .
Sogar von Entmündigung war hier teilweise die Rede .
Im Gegenteil: Mit dem GKV-Selbstverwaltungsstär-
kungsgesetz setzen wir ein klares Zeichen in Richtung
einer stärkeren Selbstverwaltung und einer Aufsicht mit
Augenmaß im Sinne der Rechtsprechung des Bundesver-
fassungsgerichts .
Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag für die Sta-
bilität unseres Gesundheitswesens für die Zukunft . Ich
werbe deshalb um Ihre Zustimmung .
Bärbel Bas (SPD): Wir reden derzeit viel über
die kommende Bundestagswahl . Doch bevor wir am
24. September den 19. Deutschen Bundestag wählen, fin-
det noch eine andere Wahl statt . Zu Unrecht wird sie oft
unterschätzt oder nicht richtig wahrgenommen .
Gemessen an der Zahl der Wahlberechtigten ist es so-
gar die wichtigste Wahl in Deutschland nach den Bun-
destags- und Europawahlen . Es geht um die am 31 . Mai
2017 stattfindenden Sozialwahlen.
Bei den Sozialwahlen werden für Renten-, Unfall-,
Pflege‑ und Krankenversicherung die ehrenamtlichen
Vertreterversammlungen bzw . Verwaltungsräte gewählt .
Die sogenannte Selbstverwaltung .
Diese vermeintlich „trockene“ Selbstverwaltung birgt
ein gewaltiges Potenzial: Sozialversicherungspflichtig
Beschäftigte sowie Arbeitgeber finanzieren mit ihren
Beiträgen die Solidargemeinschaft und damit die Leis-
tungen für Rentnerinnen, Rentner und Kranke . Deshalb
sitzen sie auch am Tisch der Entscheider .
Die gelebte Mitbestimmung der Sozialpartner an der
Sozialversicherung hat für uns Sozialdemokratinnen und
Sozialdemokraten eine sehr hohe Bedeutung und ist für
den Erfolg der Sozialversicherung unverzichtbar .
Weil die SPD auch in Zukunft für eine starke Selbst-
verwaltung steht, haben wir dieses Selbstverwaltungs-
stärkungsgesetz immer kritisch begleitet .
Der Titel des Gesetzes klingt erst einmal gut . Die Stär-
kung der Selbstverwaltung ist auch immer eine gute Idee .
Was Sie uns, Herr Minister, allerdings als Referen-
tenentwurf vorlegt hatten, war das genaue Gegenteil und
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721612
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ein Angriff auf die gesamte Selbstverwaltung in diesem
Land .
Mit diesem Entwurf wäre es nicht bei einer Rechtsauf-
sicht des Ministeriums geblieben, sondern auch zu einer
Fachaufsicht geworden . Damit wären die Entscheidungs-
kompetenzen der Spitzenorganisationen der GKV erheb-
lich geschwächt geworden .
Ich danke Ihnen heute, Herr Minister, dass Sie auf un-
sere Kritik eingegangen sind .
In guter Zusammenarbeit mit unserem Koalitionspart-
ner konnten wir Sie davon überzeugen, Ihren ersten Vor-
schlag bereits im Zuge der Erarbeitung eines Kabinetts-
entwurfs zu entschärfen .
Ich kann schon verstehen, warum Sie einen Gesetzent-
wurf in dieser Schärfe formuliert haben . Sie haben damit
auf die Verfehlungen der Kassenärztlichen Bundesverei-
nigung reagiert . Diese hat mit einem Mix aus Korruption,
Intrigen und Selbstbereicherung nicht nur ihren Auftrag
zur Steuerung der ambulanten ärztlichen Versorgung in
ganz Deutschland vergessen lassen, sondern auch das
öffentliche Vertrauen in die Selbstverwaltung insgesamt
erschüttert .
Ganz klar: Die Verfehlungen innerhalb der KBV müs-
sen restlos aufgeklärt werden . Es ist für die SPD völlig
unstrittig, dass wir eine vollständige Transparenz und
bessere Aufsicht über die Vorgänge in der KBV brau-
chen . Allerdings darf man dabei nicht die gesamte Selbst-
verwaltung beschädigen . Ich persönlich hätte mir daher
auch eine sogenannte „Lex KBV“ vorstellen können .
Nach intensiven Verhandlungen hat die SPD-Fraktion
sich mit umfangreichen Änderungen beim Selbstverwal-
tungsstärkungsgesetz durchgesetzt .
Ich will hier nur exemplarisch die nennen, die in mei-
nen Augen für eine starke und autonome Selbstverwal-
tung am wichtigsten sind:
Der Gesetzentwurf sah in § 81 Absatz 1 und § 217e
sogenannte „Pflichtinhalte“ für die Satzungen der Kör-
perschaften vor . Diese sind ersatzlos gestrichen worden .
Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir diesen Ein-
griff in die Satzungsautonomie der Selbstverwaltungs-
institutionen nicht mittragen . Es ist ein wesentliches
Element der Selbstverwaltung, über die Satzungsinhalte
selbst bestimmen zu können und auch die Verantwortung
dafür zu übernehmen .
Wir haben Präzisierungen bei der sogenannten ent-
sandten Person erreicht, die das Ministerium bei Gefah-
ren für die ordnungsgemäße Verwaltung entsenden kann .
Dieser „kleine Staatskommissar“ dient jetzt ausschließ-
lich der Beratung und Unterstützung der jeweiligen In-
stitution . Wir hatten massive Bedenken, dass sich bei der
Entsendung eines weisungsbefugten Kontrolleurs eine
relevante Haftungsfrage ergeben kann, wenn sich dessen
Entscheidungen als falsch herausstellen . Uns war darum
wichtig, dass die Entscheidungen weiterhin vom Vor-
stand getroffen und auch verantwortet werden .
Darüber hinaus haben wir die Regelungen über die
Prüfung der Körperschaften durch externe Wirtschafts-
prüfungsgesellschaften gestrichen . Es bleibt damit für
die Selbstverwaltung bei der turnusmäßigen Prüfung
durch das Bundesversicherungsamt .
Wir haben im parlamentarischen Verfahren immer
wieder Zweifel daran vernommen, ob eine effiziente
Rechtsaufsicht nicht auch auf Grundlage der bestehen-
den gesetzlichen Regelungen hätte ausgeübt werden kön-
nen . Darum haben wir jetzt durch einen Änderungsantrag
dafür gesorgt, dass das Bundesgesundheitsministerium
zukünftig jährlich zum 1 . März – erstmals 2018 – dem
Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages über
laufende Aufsichtsverfahren berichtet . Diese Berichts-
pflicht wird uns Abgeordneten in Zukunft eine bessere
Kontrolle ermöglichen, ob das Bundesgesundheitsminis-
terium seinen aufsichtsrechtlichen Pflichten gegenüber
den Spitzenorganisationen ordnungsgemäß nachgekom-
men ist .
Wir haben lange und intensiv beraten und auch in die-
ser Woche noch hart verhandelt . Das ist nicht nur unser
Recht als Parlamentarierinnen und Parlamentarier, das ist
sogar unsere Pflicht.
Am Ende ist für uns als SPD-Bundestagsfraktion klar:
Dieses Gesetz trifft jetzt die Richtigen – ohne das Prinzip
der Selbstverwaltung zu beschädigen . Die SPD steht für
eine starke Selbstverwaltung auch in der Zukunft .
Harald Weinberg (DIE LINKE): Die Organisatio-
nen der Selbstverwaltung kritisierten den ersten Gesetz-
entwurf scharf . Sie sah in der Bezeichnung „Selbstver-
waltungsstärkungsgesetz“ keine Stärkung, sondern eine
Schwächung, die Beschneidung ihrer Selbstständigkeit .
Nun sind ihm einige der dahin gehenden „Zähne“ gezo-
gen worden .
Eigentlich spricht auch einiges dafür, dass die Bun-
desregierung mit ihrem bisherigen aufsichtsrechtlichen
Instrumentarium einige Auswüchse der Kassenärztlichen
Bundesvereinigung (KBV), die ja Anlass für das Gesetz
waren, hätte verhindern oder zumindest abmildern kön-
nen, aber bewusst weggeschaut hat . Das wäre zugleich
eine Begründung für den danach demonstrativen Hand-
lungswillen von CDU/CSU und SPD .
Aus unserer Sicht ist es durchaus sinnvoll, mehr Trans-
parenz und auch mehr Kontrolle über die Selbstverwal-
tung einzuführen . Für uns ist klar: Mehr Transparenz ist
das A und O für das Vertrauen in die Selbstverwaltung .
Die nun geschaffenen Eingriffsmöglichkeiten müssen ja
auch nur genutzt werden, wenn es wirklich einen Anlass
gibt . Sie können aber dadurch, dass sie grundsätzlich je-
derzeit eingesetzt werden können, auch disziplinierende
Effekte auf die Gremien haben, zu politisch tragfähigen
Lösungen zu gelangen .
Insofern sind viele der im Gesetzentwurf getroffenen
Maßnahmen nicht falsch . Sie sollen ja auch nicht Verfeh-
lungen der Vergangenheit bestrafen, sondern Verfehlun-
gen in der Zukunft verhindern .
Das Gesetz ist aber keine Lösung für das Grundpro-
blem der Selbstverwaltung in einem sich immer stärker
in Richtung Wettbewerb bewegenden Gesundheitssys-
tem . Letztendlich versucht hier die Bundesregierung die
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21613
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Folgen ihrer eigenen Politik einzudämmen: Wer Wettbe-
werb einfordert – und das machen in unterschiedlichem
Maße leider alle Fraktionen außer der Linken – darf sich
nicht wundern, dass jede und jeder vorrangig den eigenen
Nutzen sieht und das Gemeinwohl aus dem Auge ver-
liert . Der eigentliche Zweck der Selbstverwaltung ist, die
Versorgung der Patientinnen und Patienten zu verbessern
und das Gemeinwohl zu stärken . Die Selbstverwaltung
und unser Gesundheitssystem sind kein Selbstzweck . Sie
sind da, um eine gute Versorgung der Patientinnen und
Patienten zu organisieren . Diese Idee wird durch Wettbe-
werb konterkariert .
Deshalb trifft die Selbstverwaltung nicht wenige Ver-
einbarungen, die dem Gemeinwohl nicht entsprechen .
Die zweifelhaften Geschäfte der KBV sind nur die Spitze
des Eisbergs . Und diese Spitze, der Fall Köhler, der an-
dauernde Streit der Haus- und Fachärzteschaft und die
Immobiliengeschäfte offenbarten eine offensichtliche
Fehlfunktion der Selbstverwaltung, sodass die Bundesre-
gierung hier einfach nicht mehr wegschauen konnte .
Wir wollen aber grundsätzlich an das Problem he-
ran . Es bedarf in einem wettbewerblich ausgerichteten
System aus unserer Sicht zumindest einer Stärkung der
Patientenvertretung als Korrektiv . Wenn man die Selbst-
verwaltung in einem Gesetzentwurf anpackt, ohne die
Patientinnen und Patienten oder die Patientenvertretung
auch nur in einem Wort zu erwähnen, dann fehlt hier
ein ganz wesentlicher Punkt . Wir wollen die Rechte der
Patientenvertretung stärken . Das wird mit dem jetzigen
Gesetzentwurf von CDU/CSU und SPD überhaupt nicht
angegangen . Deshalb werden wir uns enthalten .
Wir schlagen vor, dass die Patientenvertreterinnen
und Patientenvertreter an entscheidender Stelle mitbe-
stimmen können . Sie sollen im Gemeinsamen Bundes-
ausschuss das Zünglein an der Waage sein, wenn sich
Kassen, Ärzte- und Zahnärzteschaft sowie Krankenhäu-
ser nicht einigen können . Die Patientenorganisationen
erhalten im Gemeinsamen Bundesausschuss das Recht,
zwei der drei unparteiischen Mitglieder zu benennen . Es
muss weitgehend ausgeschlossen werden, dass auf die
Entscheidungen der Patientenvertretung Einfluss genom-
men wird . Durch geeignete Verfahren muss ihre Unab-
hängigkeit von anderen Interessengruppen sichergestellt
werden .
Gerade unter den Bedingungen des Kassenwettbe-
werbs bedarf es zudem einer bundeseinheitlichen und
wirksamen Aufsicht über alle Krankenkassen .
Und wir schlagen vor, dass der Medizinische Dienst
der Krankenversicherung bei Begutachtungen, die Ent-
scheidungen über die Leistungsgewährung vorausgehen,
schrittweise als von den Kranken‑ und Pflegekassen per-
sonell und organisatorisch unabhängige Organisation
ausgestaltet wird .
Diese Vorschläge gehen deutlich über den vorliegen-
den Gesetzentwurf hinaus .
Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Die Selbstverwaltung ist ein wesentlicher Eckpfeiler des
alles in allem gut funktionierenden Gesundheitssystems
in Deutschland . Sie stellt sicher, dass fachliches Wissen
und praktische Erfahrungen derjenigen, die im Gesund-
heitswesen tätig sind, unmittelbar in dessen Regulierung
einfließen.
Umso wichtiger ist es allerdings, dass die Selbstver-
waltung transparent und an der Sache orientiert agiert .
Selbstverwaltung muss jedes Verdachtsmoment der
Selbstbedienung vermeiden . Das war leider in der Ver-
gangenheit nicht immer so klar . Die Unregelmäßigkei-
ten um das Geschäftsgebaren bei Immobiliengeschäf-
ten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung haben der
Legitimation der Selbstverwaltung einen Bärendienst
erwiesen . Jahrelang hatte deren früherer Vorstand Gel-
der in eine defizitäre Immobiliengesellschaft investiert,
sich selbst und anderen überhöhte Versorgungsbezüge
gewährt und Rücklagen in wertlosen Finanzanlagen ver-
senkt . Dass diese Vorgänge öffentlich publik wurden,
ebenso wie die jahrelange Untätigkeit Ihres Ministeriums
als Aufsichtsbehörde, verdanken Sie nicht zuletzt auch
der Beharrlichkeit unserer Fraktion .
Es muss also zukünftig dafür Sorge getragen werden,
dass die internen Kontrollmechanismen innerhalb der
Spitzenverbände wie auch die aufsichtsrechtlichen Be-
fugnisse des Bundesministeriums für Gesundheit gegen-
über diesen Akteuren konsequent angewendet werden .
Das ist keine Gefährdung des Prinzips der Selbstverwal-
tung, wie oft zu hören war . Im Gegenteil: Es erhöht die
Legitimation der Selbstverwaltung .
Wir begrüßen, dass Sie den noch im Referentenent-
wurf geplanten massiven Eingriff in die Richtlinienkom-
petenz des Gemeinsamen Bundesausschusses wieder ge-
strichen haben . Dass Sie die Geschäftsprüfungen bei den
Spitzenverbänden nun nicht mehr an private Wirtschafts-
prüfungsgesellschaften outsourcen, sondern beim Bun-
desversicherungsamt belassen wollen, unterstützen wir
ebenfalls . Allerdings erwarten wir auch, dass Sie diese
Behörde zukünftig mit genügend Ressourcen ausstatten,
damit sie diese Prüfungen auch sachgerecht wahrnehmen
kann .
Ob Ihr Gesetzentwurf allerdings einen stringenten
Beitrag zur Stärkung der Selbstverwaltung darstellt, darf
bezweifelt werden . Ein Beispiel: Nach Ihrem Vorschlag
sollen Beteiligungen an Gesellschaften des Privatrechts
zukünftig lediglich vom Lenkungsgremium der Körper-
schaft selbst abgenickt werden . Das ist nach den Erfah-
rungen mit der Übernahme einer faktisch insolventen
Immobiliengesellschaft durch die Kassenärztliche Bun-
desvereinigung nicht nachvollziehbar . Es muss für solche
Entscheidungen mit teilweise erheblichen finanziellen
Auswirkungen zukünftig auch eine aufsichtsrechtliche
Kontrollmöglichkeit geben, um einer erneuten Rufschä-
digung der Selbstverwaltung im Wiederholungsfalle
weitgehend vorzubeugen .
Es soll nach Ihrer Vorstellung ja keine Rahmenvorga-
ben für Geldanlagen oder Darlehen geben, obwohl die
KBV gerade durch solche Finanzgeschäfte erhebliche
Beträge verloren hat . Man darf auch gespannt sein, in-
wieweit gesetzlicher Korrekturbedarf infolge der Aus-
einandersetzung um persönliche Haftung von Funkti-
onsträgern vor Gericht entsteht . Unsere Forderung nach
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721614
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einem besseren Schutz von Whistleblowern wurde nicht
aufgegriffen .
Aus den genannten Gründen wird sich meine Fraktion
bei diesem Gesetzentwurf enthalten .
Und machen wir uns nichts vor: Ein wie auch im-
mer geartetes Selbstverwaltungsstärkungsgesetz wird
wenig Veränderung bringen, wenn nicht auch in den In-
stitutionen und im Ministerium selbst ein Kulturwandel
stattfindet. Beide haben in der Vergangenheit ihre Kon‑
trollfunktionen und ihre Aufsichtsrechte zum Teil unter-
lassen beziehungsweise – vorsichtig formuliert – sehr
dezent wahrgenommen und tragen damit einen Teil der
Verantwortung für das Ausmaß der Missstände . Ein Ge-
setz ändert nichts, solange nicht die Bereitschaft besteht,
Aufsichtsrechte im Ernstfall auch wahrzunehmen . Und
genau das erwarten wir von Ihnen in Zukunft als Beitrag
zur Stärkung der Selbstverwaltung .
Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des von der Bundesregierung einge
brachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Vorschlä
gen der Europäischen Kommission vom 7. März
2016 für Beschlüsse des Rates zur Festlegung von
Standpunkten der Union in den Stabilitäts und
Assoziationsräten EU – Republik Albanien sowie
EU – Republik Serbien im Hinblick auf die Betei
ligung der Republik Albanien sowie der Republik
Serbien als Beobachter an den Arbeiten der Agen
tur der Europäischen Union für Grundrechte und
die entsprechenden Modalitäten im Rahmen der
Verordnung (EG) Nr. 168/2007 des Rates (Tages
ordnungspunkt 22)
Thorsten Frei (CDU/CSU): Albanien als Beitritts-
kandidat der Europäischen Union und auch Serbien, mit
dem bereits Beitrittsverhandlungen geführt werden, ha-
ben in der Vergangenheit viele Fortschritte im Bereich
der Grundrechte gemacht . Die Grundrechte sind in bei-
den Ländern gesetzlich kodifiziert und entsprechen ins-
gesamt internationalen Standards . Systematische Men-
schenrechtsverletzungen durch Regierung oder andere
Staatsorgane sind nicht zu beobachten . Lediglich der
Bereich der Organisierten Kriminalität bildet in Teilen
eine Ausnahme, etwa mit Blick auf den noch immer exis-
tenten Menschenhandel . Insbesondere in Albanien ist das
Zusammenleben der Religionsgemeinschaften von Mus-
limen sowie katholischen und orthodoxen Christen von
beispielhafter Toleranz gekennzeichnet .
Und trotzdem erfahren bestimmte Gruppen noch im-
mer faktische Benachteiligungen im Alltag . Hier kommen
vor allem tradierte Wert- und Gesellschaftsvorstellungen
zum Tragen . Insbesondere Frauen und ihre Behandlung
unterliegen den herkömmlichen traditionellen Mustern .
Sie sind noch immer häufig Opfer häuslicher Gewalt.
Leider gilt das auch für Kinder . Im ländlichen Raum
gibt es diesbezügliche Probleme deutlich häufiger als in
den Städten . Auch daran zeigt sich, dass die Zivilgesell-
schaften im Vergleich zum Westen noch immer äußerst
schwach sind .
Zu begrüßen ist, dass die albanische Regierung eine
nationale Strategie gegen häusliche Gewalt und für
Gleichberechtigung ausgearbeitet hat . Und Serbien hat
im vergangenen März einen Minderheiten-Aktionsplan
verabschiedet, der Teil der Verpflichtungen zum Ab-
schluss der Verhandlungen zum Kapitel 23 ist . Trotzdem
muss man objektiv feststellen, dass es in beiden Ländern
oft an der vollständigen Implementierung der Normen
hakt .
Ein wesentlicher Hemmschuh sind jedoch die Justiz-
systeme, die in Serbien und vor allem auch Albanien eine
Dauerbaustelle sind . Die größten Herausforderungen
sind die Steigerung der richterlichen Unabhängigkeit und
die Effizienz der Gerichte sowie der Verwaltung und der
oft große Verfahrensrückstau . Ein Lichtblick ist sicher-
lich die in Albanien im vergangenen Sommer beschlos-
sene Justizreform, die wesentlich unter Beratung der von
einem deutschen Richter geführten EURALIUS-Mission
vorbereitet worden war, samt des Vetting-Prozesses zur
Überprüfung der Richter . Aber auch hier gilt: Auf dem
Papier ist die Reform sicherlich mustergültig . Ohne Im-
plementierung ist sie allerdings nicht das Papier wert, auf
dem sie geschrieben steht . Das zeigt sich auch an der In-
stitution des Ombudsmanns zur Sicherung von Minder-
heitenrechte, der sich in beiden Ländern gleichermaßen
nur sehr schwer Gehör und gesellschaftliche Aufmerk-
samkeit verschaffen kann,
Ein weiteres Problem ist die trotz großer Medienviel-
falt bestehende Praxis der politischen Einmischung in die
Arbeit der öffentlichen Rundfunkanstalten und zur Ein-
schüchterung von Journalisten . Ganz wesentlich ist die
Intransparenz der öffentliche Medienförderung . Politiker
auf dem Balkan verstehen die Medien traditionell nicht
als „Vierte Gewalt“ im Staat, sondern als Kanal, um Bür-
ger zu beeinflussen. Kritische Medienberichte werden
als feindliche Handlung angesehen . Folglich werden nur
Zeitungen finanziell gefördert, die eine der politischen
Führung konforme Berichterstattung bieten . Das ist na-
türlich ein Problem, da in der Region kaum eine Firma
oder Privatperson Werbung schaltet .
Folglich kommt auch der jüngste Fortschrittsbericht
der EU-Kommission zum Schluss, dass weiterhin Dis-
kriminierungen und Feindseligkeiten gegenüber benach-
teiligten Gruppen, unter anderem aus Gründen der sexu-
ellen Orientierung oder der Geschlechtsidentität, auf der
Tagesordnung stehen . Außerdem sind weitere Maßnah-
men notwendig, um die Gleichstellung von Frauen und
Männern zu gewährleisten, auch durch die Bekämpfung
von häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt, und
um Chancengleichheit für Frauen herzustellen, insbeson-
dere auf dem Arbeitsmarkt . Die Rechte der Kinder müs-
sen gestärkt werden, unter anderem durch die Entwick-
lung von Kinderschutzsystemen, und es bedarf vermehrt
wirksamer Strategien zur Unterstützung von Menschen
mit Behinderungen . Ebenso hat sich kaum etwas an der
schwierigen Lage der Roma geändert .
Es gibt also unverändert viel zu tun, um Albanien fit für
die Beitrittsverhandlungen zu machen und damit Serbien
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21615
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die einschlägigen Kapitel 23 und 24 erfolgreich abschlie-
ßen kann . Folglich ist das Ansinnen der EU-Kommission
richtig . Die Teilnahme als Beobachter in der EU-Grund-
rechteagentur böte einen weiteren Kanal, um am Abbau
der Defizite zu arbeiten und die beiden Länder näher an
die Standards der Europäischen Union heranzuführen .
Der Dialog mit den Mitgliedern in diesem Bereich könn-
te neue Impulse für die Stärkung der Grundrechte bieten .
Noch viel wichtiger erscheint mir aber die Tatsache,
dass die Teilnahme an der Grundrechteagentur und den
damit verbundenen Mechanismen selbst im Beobachter-
status eine weitere Form der Heranführung und Bindung
an die EU ist . Für die Länder des westlichen Balkan sind
solche Schritte messbar und ein unmittelbar nachvoll-
ziehbarer Erfolg der eigenen Bemühungen . Solche Erfol-
ge lassen sich auch gegenüber der eigenen Bevölkerung
im Sinne der eigenen politischen Strategie gut darstellen .
Wir müssen ihnen solche Schritte immer wieder bieten
und ermöglichen, auch wenn klar ist, dass wir nicht von
den geltenden Kriterien abrücken werden oder Konzessi-
onen machen dürfen .
Das ist gerade in der heutigen Zeit dringend geboten .
Wir schauen auf ein Jahr der Unsicherheit in Europa .
Das gilt nicht nur wegen des Brexits, sondern auch we-
gen des neuen US-Präsidenten Donald Trump, der kein
Interesse an einem starken Europa hat . Gerade für den
westlichen Balkan könnte ein abnehmendes amerikani-
sches Engagement fatale Folgen haben . Schon heute sind
die Aktivitäten Russlands, Chinas und mit Blick auf die
muslimisch geprägten Länder auch aus dem arabischen
Raum nicht zu übersehen . Die genannten Länder warten
nur darauf, in ein mögliches Vakuum zu stoßen und die
noch immer nicht gefestigten Länder der Region in die
eigene Einflusssphäre zu ziehen. Zumal die nationalis-
tischen Gruppierungen und Parteien unverändert stark
sind und gerade die historischen Bindungen zu Russland
unverändert hoch im Kurs stehen . Hier sehe ich die ernst-
hafte Gefahr, dass das ein oder andere Land trotz aller
Beteuerungen einen Kurswechsel vollziehen könnte .
Verschiedene Ereignisse und Spekulationen darum zei-
gen aus meiner Sicht, dass insbesondere Russland nicht
zimperlich ist, wenn es um die Ausnutzung möglicher
Chancen geht .
Ich bin zwar überzeugt, dass die Nähe zu Russland
keine Vorteile für die Menschen bringt und die Beitritts-
kandidaten schon heute deutliche Entwicklungsschritte
spüren können . Aber wir leben in „postfaktischen“ Zei-
ten, in denen Populisten mit ihrer eigenen Wahrheit viel
Gehör in der Bevölkerung finden. Für Europa aber wären
eine solche Abkehr und die damit verbundenen Signa-
le fatal . Deshalb müssen wir alle Kraft aufwenden, um
den Ländern des westlichen Balkan zu helfen und ihnen
greifbare Perspektiven bieten . Auch für uns werden sich
Aufwand und Mühe lohnen .
Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU): Ich nutze die
Debatte zum vorliegenden Gesetzentwurf, um mich kurz
generell mit den europäischen Agenturen zu befassen .
Meiner Ansicht nach sollten wir dies hier im Deutschen
Bundestag deutlich häufiger tun – nicht zuletzt vor dem
Hintergrund, dass das Gesamtbudget aller Agenturen im
Jahr 2014 rund 1,9 Milliarden Euro betrug und dort weit
mehr als 6 000 Personen beschäftigt waren . Zudem ist die
Bundesregierung im Verwaltungsrat einer jeden Agentur
mit mindestens einem Repräsentanten vertreten . Wenn
wir die Gewaltenteilung ernst nehmen, dann sollten wir
uns auch mit deren Arbeit befassen . Die nächste Gele-
genheit, sich mit dem System der dezentralen Agenturen
zu befassen, bieten die Brexit-Verhandlungen . Denn mit
ihnen geht die Notwendigkeit der Verlagerung zweier
Institutionen – nämlich der Europäischen Arznei-Mittel-
agentur sowie der Europäischen Bankenaufsicht – aus
dem Vereinigten Königreich in einen anderen Mitglied-
staat der EU einher .
Agenturen sind heute fester Bestandteil der europäi-
schen Exekutive geworden . Sie erfüllen wichtige admi-
nistrative, operative und teilweise auch regulative Auf-
gaben, insbesondere in Bereichen, die ein hohes Maß
an Spezialwissen oder -fähigkeiten erfordern . Mangels
eines einheitlichen Regelungsrahmens entstanden quer
über Europa verteilt Agenturen mit sehr unterschiedli-
chen Handlungsbefugnissen, internen Organisations-
strukturen und Kontrollmechanismen . Diesen Wild-
wuchs nahmen das Europäische Parlament, der Rat der
EU und die Kommission zum Anlass, im Jahr 2012 eine
gemeinsame Erklärung über die dezentralen Agenturen
zu beschließen . Mit der Formulierung eines Fahrplans,
einem einheitlichen Rahmenregelwerk und weiteren Ini-
tiativen setzte die EU-Kommission diese gemeinsame
Erklärung um . Als größter Nettozahler in der Europäi-
schen Union hat die Bundesrepublik Deutschland ein
besonderes Interesse daran, dass EU-Mittel sparsam und
effizient eingesetzt werden. Daher ist es folgerichtig, die
EU-Agenturen einer regelmäßigen Aufgabenkritik zu
unterziehen . Auch hier gilt: Seine Daseinsberechtigung
auf europäischer Ebene hat nur, was echten europäischen
Mehrwert bringt .
Gerade mit Blick auf die EU-Grundrechteagentur
stellt sich diese Anforderung als besonders schwierig dar .
Aus meiner Sicht nicht zu Unrecht wird von manchen
Seiten die Kritik erhoben, mit der Grundrechteagentur
würden Strukturen, beispielsweise des Europarates, aber
auch der OSZE, gedoppelt . Hier kommt es darauf an, Sy-
nergien zwischen den einzelnen Institutionen zu erken-
nen und klug zu nutzen . Das Abkommen mit dem Eu-
roparat aus dem Jahr 2008 ist hierfür ein gutes Beispiel .
Auch bei den Programmplanungen sollten die einzelnen
Akteure in regem Austausch stehen, um eine effiziente
Arbeitsteilung gewährleisten zu können .
Wir beraten heute den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung über die Einbeziehung der Republiken Albanien
und Serbien in die Arbeit der Agentur der Europäischen
Union für Grundrechte . Die CDU/CSU-Bundestagsfrak-
tion unterstützt das Ansinnen beider Länder, sich durch
die Mitarbeit bei ausgewählten Agenturen enger an die
Europäische Union zu binden . Gleichzeitig ist es mir
wichtig zu betonen, dass mit der Zustimmung zu diesem
heute vorliegenden Gesetzentwurf keine Vorfestlegung
im Hinblick auf einen möglichen späteren Beitritt beider
Länder zur EU getroffen wird .
Grundlage für die Verleihung des Beobachterstatus ist
Artikel 28 der Verordnung (EG) 168/2007 zur Errichtung
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721616
(A) (C)
(B) (D)
der EU-Grundrechteagentur . Dieser sieht ausdrücklich
die Möglichkeit vor, dass auch EU-Beitrittskandidaten-
länder in die Arbeit eingebunden werden können . Die
Grundrechteagentur soll Einrichtungen und Behörden
der EU und ihrer Mitgliedstaaten in Grundrechtsfragen
sowie bei der Umsetzung des Gemeinschaftsrechts un-
terstützen . Sie stellt den europäischen Gesetzgebern bei
der Festlegung von Maßnahmen Informationen und Ex-
pertise zur Verfügung .
Auch aus Sicht der Grundrechteagentur ist die Ein-
beziehung Albaniens und Serbiens zu begrüßen, da die
Arbeit der Agentur auf die Mitgliedstaaten der Europäi-
schen Union sowie Beobachterländer beschränkt ist . Die
Verleihung des Beobachterstatus sorgt folglich dafür, dass
die Agentur ihre Arbeit auf die Republiken Albanien und
Serbien ausweiten kann. Die notwendigen finanziellen
Anpassungen im Haushaltsplan der Grundrechteagentur
werden von den Bewerberländern entsprechend den Vor-
gaben der zuvor genannten Verordnung getragen .
Es bleibt festzuhalten, dass die Agentur der Europä-
ischen Union für Grundrechte einen wichtigen Beitrag
zur Wahrung und Verbreitung von Menschenrechten auf
der Welt leistet . Sie kooperiert sehr erfolgreich mit den
Vereinten Nationen und verfügt über ein dichtes Netz
an Informationsstellen . Die Einbeziehung der Republik
Albanien sowie der Republik Serbien ist nicht nur vor
diesem Hintergrund zu unterstützen . Ich werbe daher für
Ihre Zustimmung zum vorliegenden Gesetzentwurf .
Norbert Spinrath (SPD): Heute beraten wir in zwei-
ter und dritter Lesung einen Gesetzentwurf, dessen Ver-
abschiedung es der Bundesregierung ermöglichen wird,
der Einbeziehung Albaniens und Serbiens in die the-
menspezifische Arbeit der EU‑Grundrechteagentur zu-
zustimmen . Die Europäische Kommission hat einen ent-
sprechenden Vorschlag im März letzten Jahres gemacht .
Die SPD-Fraktion begrüßt diese Initiative ausdrücklich
und wird daher dem Gesetzentwurf zustimmen . Es freut
mich, dass alle Fraktionen diese Haltung teilen .
Dafür gibt es gute Gründe . Wenn beide Länder als
Beobachter an den Arbeiten der Grundrechteagentur
mitwirken, ist das eine Chance . Denn die Analyse der
Situation der Grundrechte in den beiden Beitrittskandi-
datenländern kann deren Beachtung stärken und ihre Re-
formagenda im Grundrechtsbereich stärken .
Die Beteiligung an Agenturen der EU ist zwar prin-
zipiell für Bewerberländer vorgesehen, aber durchaus
kein Automatismus . Ich werte es als ausgesprochen gu-
tes Zeichen, dass beide Länder eine Beteiligung an der
Grundrechteagentur anstreben . Der mit der Erlangung
des Beobachterstatus verbundene Schritt in Richtung
Europäische Union ist sicher nicht der entscheidende . Er
hat aber gleichwohl symbolische Bedeutung und fakti-
sche Wirkung .
Albanien trägt mit einer moderaten und manchmal
moderierenden Außenpolitik zur Stabilität und Bere-
chenbarkeit der Region bei . Dies gilt in Bezug auf den
Konflikt zwischen Serbien und Kosovo wie auch auf die
Situation in Mazedonien . Die Europäische Kommission
hat dem Land stetige Fortschritte bei der Erfüllung poli-
tischer Kriterien attestiert und Reformfortschritte gelobt .
Vorbehaltlich glaubwürdiger und konkreter Fortschritte
bei der Umsetzung der Justizreform empfahl die Kom-
mission im November 2016 die Eröffnung von Beitritts-
verhandlungen .
Der noch immer schwache Rechtsstaat muss wei-
ter gestärkt werden, wozu der Beobachterstatus bei der
Grundrechteagentur einen Beitrag leisten kann .
Serbien hat Fortschritte bei der wirtschaftlichen
Entwicklung und über längere Zeit auch im Entspan-
nungsprozess mit dem Kosovo gemacht . Einige Kapi-
tel konnten bereits im Beitrittsprozess geöffnet werden .
Schwächen zeigt das Land im Annäherungsprozess an
die EU bei der Sicherung der Grundrechte im Rechts-
staat, wie Pressefreiheit, Korruptionsbekämpfung und
unabhängige Justiz . Deshalb begrüßen wir, dass Serbien
einen Beobachterstatus bei der EU-Grundrechteagentur
haben wird .
Beide Länder müssen die notwendigen Reformen vo-
rantreiben und tatsächlich umsetzen . Das ist ihre Verant-
wortung . Doch wir verfolgen die Entwicklungen in der
Region nicht nur mit Interesse; wir sollen sie auch un-
terstützen . Die anderen Mitgliedstaaten haben dem Vor-
schlag bereits zugestimmt, nun sollte dies auch Deutsch-
land tun .
Lassen Sie mich noch ein paar Worte zum Verfahren
selbst verlieren . Wieso brauchen wir für diesen sicher
wichtigen, aber keineswegs bahnbrechenden Kommis-
sionsvorschlag ein bundesdeutsches Gesetz? Die Einbe-
ziehung von Kandidatenstaaten ist doch schon seit der
Errichtung der Grundrechteagentur im Jahre 2007 prinzi-
piell als Möglichkeit vorgesehen .
Dass jetzt für die konkrete Aktivierung dieser Mög-
lichkeit ein Zustimmungsgesetz erforderlich ist, geht
auf das Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerich-
tes zurück . Die Besorgnis Karlsruhes hinsichtlich einer
Machtausweitung der EU zulasten des Bundestages ist
jedoch unbegründet . Trotzdem bleibt das Erfordernis ei-
nes Gesetzes sinnvoll, alleine schon wegen der diszipli-
nierenden Vorwirkung .
Ich ermuntere die Republiken Albanien und Serbien
ausdrücklich dazu, den Beobachterstatus insbesondere
zur Implementierung weiterer Fortschritte auf dem Weg
zur Rechtstaatlichkeit nach dem EU-Standard zu nutzen .
Dies wäre ein wichtiger Schritt für den weiteren Beitritts-
prozess und zur europäischen Integration .
Andrej Hunko (DIE LINKE): Bei der Einrichtung
der Grundrechteagentur im Jahr 2007 nannte die Men-
schenrechtsorganisation Amnesty International diese ei-
nen „zahnlosen Tiger“ . Der Grund: Sie bringe praktisch
keinen Nutzen bei der Wahrung der Grundrechte der
Bürgerinnen und Bürger, ihr Mandat sei zu beschränkt,
und es deute vieles darauf hin, dass die Struktur vor al-
lem darauf ausgelegt ist, dass sich die Mitgliedstaaten in
Sachen Grundrechte nicht reinreden lassen wollen . Dies
hat sich seitdem weitgehend bestätigt . Dennoch hat die
Agentur seit ihrer Gründung dreistellige Millionenbeträ-
ge gekostet .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21617
(A) (C)
(B) (D)
Ich möchte noch einmal an die Bundestagsdebatte
bei der Gründung der Agentur erinnern . Damals gab es
erstaunlich wenige Meinungsverschiedenheiten, und er-
staunlich viele haben unsere Kritik geteilt . Denn heute
wie damals gilt, dass die eben genannten Millionenbe-
träge in anderen Institutionen wesentlich besser aufge-
hoben gewesen wären . Insbesondere der Europarat bietet
ausgereiftere, erfahrenere und effektivere Institutionen
zum Schutz der Grundrechte . Nicht umsonst gibt es die
Europäische Menschenrechtskonvention und den Euro-
päischen Gerichtshof für Menschenrechte, der sie durch-
setzen soll . Die Parlamentarische Versammlung des
Europarates mit ihren Monitoringverfahren wacht über
die Einhaltung der Grundrechte in den Mitgliedstaaten .
Doch eines haben sie alle gemeinsam: Sie sind chronisch
unterfinanziert. Es ist vor allem deshalb ein riesiges Pro-
blem, dass der EGMR einen Rückstau von Zehntausen-
den Verfahren bearbeiten muss .
Doch anstatt den Europarat endlich mit mehr Mitteln
auszustatten, gingen die Regierungen der EU-Mitglied-
staaten in die andere Richtung . Unter Zustimmung der
Bundesregierung setzten sie auf eine teilweise Dopplung
der vorhandenen Strukturen – möglicherweise war dies
auch in einer potenziellen Schwächung des Europarates
motiviert . Denn es wurde nicht allein die Grundrech-
teagentur als unzureichende Parallelstruktur geschaf-
fen; auch hat die EU den vertraglich vorgeschriebenen
Beitritt zur Menschenrechtskonvention bis heute nicht
vollzogen . Es sind diese Vorgänge, die mich doch sehr
am wirklichen Willen der EU für den Grundrechteschutz
zweifeln lassen . Es drängt sich der Eindruck auf, dass
durch die Parallelstrukturen eine Definitionsmacht über
Menschenrechtspolitik bei der EU verankert werden soll .
In der Konsequenz bedeutet dies, dass der Europarat mit
seinen Strukturen weiter geschwächt wird . Dies kritisie-
ren wir aufs Schärfste .
Nun existiert die Grundrechteagentur aber seit knapp
zehn Jahren; sie ist eine Realität . Heute beraten wir die
Frage, ob der deutsche Vertreter im Rat der EU zustim-
men darf, dass Albanien und Serbien Beobachterstatus
in der Grundrechteagentur bekommen . Dieser Schritt
steht selbstverständlich im Kontext eines möglichen EU-
Beitritts der beiden Länder . Auch wenn wir aufgrund der
neoliberalen Verfasstheit der EU und ihrer militaristi-
schen Tendenzen einen Beitritt kritisch sehen, so ist für
uns immer klar gewesen: Wir stellen uns einem solchen
Schritt nicht in den Weg, wenn er von der Bevölkerung
der betroffenen Länder gewollt ist . Dazu stehen wir .
Wir halten auch an der grundsätzlichen Kritik an der
Unzulänglichkeit der Grundrechteagentur fest . Doch
scheint mir, dass die Frage des Beobachterstatus Serbi-
ens und Albaniens nicht der Ort ist, unsere Kritik an der
Grundrechteagentur und der EU in abweichendem Ab-
stimmungsverhalten zu äußern . Aus diesem Grund stim-
men wir dem vorliegenden Gesetzentwurf zu .
Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Wir begrüßen die Verleihung des Bobachterstatus an Al-
banien und Serbien in der Grundrechteagentur der Eu-
ropäischen Union . Die Republik Albanien ist seit dem
27 . Juni 2014 EU-Beitrittskandidat . Die Republik Serbi-
en hat den Kandidatenstatus seit dem 1 . März 2012, und
seit dem 21 . Januar 2014 werden Beitrittsverhandlungen
mit dem Land geführt .
Als Grüne unterstützen wir die europäische Perspek-
tive für die Länder des westlichen Balkans . Grundvo-
raussetzung dafür ist, wie bei allen bisherigen Beitritten,
die Erfüllung der EU-Beitrittskriterien . Dabei legen wir
großen Wert auf die Erfüllung der Kriterien im Bereich
Rechtsstaatlichkeit, Justiz und Demokratie . Diese Berei-
che werden in den Kapiteln 23 und 24 in den Beitrittsver-
handlungen verhandelt .
Anhand der EU-Fortschrittsberichte erhalten wir einen
Überblick darüber, ob die Kandidatenländer Fortschritte
oder Rückschritte in diesen Bereichen machen . Anhand
zu erfüllender Beitrittskriterien können wir sehen, wel-
che Bedingungen erfüllt werden müssen, um Verhand-
lungskapitel zu öffnen .
Die Fortschrittsberichte stellen für Serbien und Alba-
nien weiterhin einen zu großen Einfluss der organisier-
ten Kriminalität, Probleme bei der Unabhängigkeit der
Justiz, Probleme mit grassierender Korruption und Ein-
schränkungen bei der Presse- und Meinungsfreiheit fest .
Deshalb ist es umso wichtiger, dass diese Länder bei ih-
rer demokratischen Entwicklung und der Erfüllung der
Beitrittskriterien unterstützt werden . Die Beteiligung an
der Agentur für Grundrechte der EU als Beobachter wird
den Grundrechtsschutz in beiden Ländern stärken .
Neben der Veröffentlichung eines Jahresberichts zu
Grundrechtsfragen und der Formulierung und Veröffent-
lichung von Stellungnahmen für die EU-Organe und die
Mitgliedstaaten ist es unter anderem Aufgabe der Agentur
für Grundrechte, die Öffentlichkeit für Grundrechtsfra-
gen zu sensibilisieren und aktiv über die eigene Tätigkeit
zu informieren . Die Stärkung und Sensibilisierung von
zivilgesellschaftlichen Akteuren für die Grundrechtsar-
beit in den Ländern des westlichen Balkans hat für uns
eine hohe Priorität, da diese die regierenden Eliten unter
Druck setzen und rechtsstaatliche Reformen einfordern
können .
Auch Kroatien hat vor seinem Beitritt den Beobacht-
erstatus in der Agentur für Grundrechte erhalten, dadurch
konnten kroatische Zivilgesellschaftsorganisationen an
der Grundrechteplattform der Agentur teilnehmen . Au-
ßerdem wurde Kroatien bereits ein Jahr vor dem Beitritt
2013 in den Jahresbericht und die LGBT-Umfrage der
Agentur aufgenommen . Wir befürworten, dass auch
zukünftig in Albanien und Serbien über eine verstärkte
Zusammenarbeit mit der EU in Grundrechtsfragen der
Rechtsstaatsdialog gestärkt wird .
Anlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Jelpke, Frank Tempel, Dr. André Hahn, weite
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE:
Angleichung der Entschädigungsleistungen für
NSOpfer (Tagesordnungspunkt 20)
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721618
(A) (C)
(B) (D)
Dr. André Berghegger (CDU/CSU): Die von deut-
schen Staaten herbeigeführten Angriffskriege haben un-
beschreibliches Leid über die Welt gebracht . Insbeson-
dere das nationalsozialistische Regime hat zahlreichen
unschuldigen Opfern alles genommen: das Leben, die
Gesundheit, die Familie, den Besitz, die Heimat und vor
allem die Menschenwürde . Die abscheulichen Taten sind
mit Worten kaum zu beschreiben .
Im Bewusstsein dieser Verantwortung hat sich
Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges
sehr um Aussöhnung mit den Opfern bemüht . Die Bun-
desregierung hat der moralischen und finanziellen Wie-
dergutmachung des vom NS-Regime verübten Unrechts
von Anfang an eine besondere Priorität eingeräumt . Auch
heute noch stellt sie sich dieser Aufgabe .
Erlittenes Unrecht ist durch keinerlei Geldleistung
wiedergutzumachen . Aber es ist selbstverständlich, dass
begangenes Unrecht als solches klar benannt wird und
die Geschädigten finanzielle Unterstützung erhalten. Sie
sollen trotz der immensen psychischen und physischen
Folgen ein würdiges Leben führen können .
Insgesamt haben Bund und Länder auf dem Gebiet
der Entschädigung für NS-Unrecht bis Ende 2015 rund
74,5 Milliarden Euro erbracht . Diese Summe ergibt sich
aus mehreren Regelungen und Vereinbarungen, die im
Laufe der Jahre getroffen worden sind . Es hat dabei auch
immer wieder Anpassungen, Klarstellungen und Erhö-
hungen gegeben .
Dabei ist allerdings in zwei Bereiche zu unterteilen .
So gibt es einerseits gesetzliche Ansprüche und anderer-
seits außergesetzliche Leistungen .
Im Oktober 1953 ist das Bundesentschädigungsge-
setz in Kraft getreten . Dieses sieht einen Ausgleich für
einen näher bestimmten Schaden vor, der durch NS-Un-
rechtsmaßnahmen entstanden ist . Das Gesetz war mit
einer Frist bis Ende 1969 vorgesehen . Mit Ablauf die-
ses Datums konnten keine Anträge mehr auf die gesetz-
lichen Entschädigungsansprüche gestellt werden . Diese
Schlussfrist ist auch durch das Bundesverfassungsgericht
bestätigt worden .
Für NS-Verfolgte im Sinne des § 1 Bundesentschädi-
gungsgesetz, die keine gesetzlichen Ansprüche geltend
machen konnten, sind in den Folgejahren außergesetz-
liche Leistungen gewährt worden . Dazu sind eine Reihe
außergesetzlicher Wiedergutmachungsregelungen für jü-
dische und nicht jüdische NS-Verfolgte geschaffen wor-
den . Die Mehrzahl der heute noch lebenden NS-Verfolg-
ten erhält Leistungen aufgrund dieser außergesetzlichen
Regelungen . Entsprechend bilden diese Leistungen heute
den größten Teil der Wiedergutmachungsausgaben .
Die gesetzlichen und außergesetzlichen Leistungen
unterscheiden sich in ihrer Ausgestaltung . Während das
Bundesentschädigungsgesetz einen gesetzlichen An-
spruch auf Entschädigung für verfolgungsspezifische
Schäden begründet, sehen die außergesetzlichen Härte-
regelungen freiwillige Leistungen unter Beachtung des
Gleichbehandlungsgrundsatzes des Artikels 3 Grundge-
setz auf der Grundlage des Haushaltsgesetzes vor . Die
gesetzlichen Ansprüche richten sich in der Höhe nach
dem durch die Verfolgung verursachten Schaden . Die
außergesetzlichen Leistungen hingegen sind zumeist als
pauschale Beihilfen zum Lebensunterhalt mit geringeren
Anforderungen für die Gewährung ausgestaltet und wer-
den bei Vorliegen eines bestimmten Verfolgungsschick-
sals gewährt .
Eine Gleichbehandlung der im vorliegenden Antrag
angesprochenen Opfergruppen muss also an den Opfer-
gruppen ausgerichtet werden, die zwar NS-Verfolgte im
Sinne des Bundesentschädigungsgesetz sind, aber we-
gen der Schlussfrist keine gesetzlichen Entschädigungs-
ansprüche geltend machen können . Es kann deshalb nur
eine Gleichbehandlung im Rahmen dieser außergesetz-
lichen Regelungen in Betracht kommen . Entsprechend
verfährt die Bundesregierung .
Mit dem Schicksal der im Antrag erwähnten „Zwangs-
germanisierten“ hat sich der Deutsche Bundestag im
Rahmen eines Petitionsverfahrens ausführlich befasst .
Im Mai 2014 hat der Deutsche Bundestag der Beschluss-
empfehlung des Petitionsausschusses zugestimmt, indivi-
duelle Entschädigungsforderungen nicht zu unterstützen .
Zugleich hat er angeregt, die „Zwangsgermanisierten“
durch Projekte der Erinnerungskultur zu würdigen .
Diese Empfehlung hat die Bundesregierung aufgegrif-
fen . Über verschiedene Förderprogramme der Stiftung
„Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ ist im Rah-
men von Projekten das Thema „Zwangsgermanisierung“
behandelt worden . Die Projektarbeit durch die Stiftung
ist derzeit bis 2018 gesichert . Insoweit besteht aus unse-
rer Sicht kein Handlungsbedarf .
Es ist unsere Pflicht, uns der historischen Verantwor-
tung bewusst zu bleiben und das Gedenken an die Opfer
wachzuhalten . Ein solches Terrorregime darf sich nicht
wiederholen . In diesem Bewusstsein können wir als
Deutsche die Zukunft gestalten .
Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Die nationalsozialis-
tische Diktatur in Deutschland fügte Millionen von Men-
schen unendliches Leid zu . Menschen wurden aufgrund
ihrer Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung ver-
folgt . Politische Gegner wurden mit Gewalt bekämpft .
Viele Opfer mussten diese Diktatur mit ihrem Leben
bezahlen . Für andere Opfer hat diese Diktatur Wunden
hinterlassen, die bis zum Lebensende nicht verheilen
würden .
Mit Gründung der Bundesrepublik Deutschland haben
sich die jeweiligen Bundesregierungen für eine Entschä-
digung und Rehabilitierung der Opfer des Nationalsozi-
alismus eingesetzt . Als wesentlicher Schritt sei hier das
Bundesentschädigungsgesetz genannt, welches im Okto-
ber 1953 in Kraft trat . In der Folgezeit wurde ein einzel-
fallgerechtes System aus gesetzlichen Ansprüchen nach
dem Bundesentschädigungsgesetz und außergesetzlichen
Leistungen nach den Härterichtlinien für Opfer von na-
tionalsozialistischen Unrechtsmaßnahmen entwickelt .
Für die gesetzlichen Ansprüche kommt es folgerichtig
auf den konkreten Schaden an, der durch die Verfolgung
erlitten wurde .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21619
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(B) (D)
Die Regierungskoalition hat in dieser Wahlperiode
die Arbeit kontinuierlich fortgesetzt . Der Haushaltsaus-
schuss des Deutschen Bundestages sprach im Mai 2015
den sowjetischen Kriegsgefangenen Entschädigungen in
Höhe von 10 Millionen Euro zu . Den vermutlich noch
4 000 Überlebenden wird eine einmalige finanzielle An-
erkennungsleistung von etwa 2 500 Euro zuteil .
Allen Opfern des Nationalsozialismus ist jedoch ein
Punkt gemeinsam: Das erlittene Unrecht wird in Geld
niemals aufzuwiegen sein . Zu tief sitzen die Geschehnis-
se aus dieser schwarzen Zeit deutscher Geschichte .
Uns ist es daher ein großes Anliegen, dass die Op-
fer nicht allein gelassen werden . Wir werden in diesem
Hause auch am morgigen Tag, dem 27 . Januar, wieder
der Opfer des Nationalsozialismus gedenken . Diese Ges-
te sind wir den Opfern in Verantwortung der deutschen
Geschichte schuldig .
Ich möchte noch darauf eingehen, warum wir dennoch
diesen Antrag ablehnen werden: Eine Gleichstellung von
Leistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz und
solchen aufgrund der Härterichtlinien für Opfer von na-
tionalsozialistischen Unrechtsmaßnahmen würde eine
Gleichbehandlung von ungleichen Sachverhalten bedeu-
ten . Die gesetzlichen Ansprüche nach dem Bundesent-
schädigungsgesetz richten sich in der Höhe nach dem
konkreten Schaden . Die außergesetzlichen Leistungen
werden hingegen als pauschale Beihilfen zum Lebensun-
terhalt bei Vorliegen eines konkreten Verfolgungsschick-
sals gewährt .
Wir sollten vielmehr in die Zukunft investieren . Im
Hinblick auf eine sinkende Sensibilität für das national-
sozialistische Unrechtsregime durch gewisse politische
Mitbewerber muss uns das entschiedene Eintreten gegen
Hass und Hetze in unserer Gesellschaft wieder bewusst
werden . Wir treten als aufrechte Demokraten für eine to-
lerante Gesellschaft ein und sind uns unserer geschichtli-
chen Verantwortung bewusst .
Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD): Lassen Sie mich zu
Beginn eines klarstellen: Das erlittene Unrecht und die
unvorstellbaren Qualen unzähliger Menschen, die durch
die NS-Verbrechen verursacht wurden, sind durch nichts
wiedergutzumachen .
Es ist für uns aber eine selbstverständliche moralische
Verpflichtung, das erlittene Unrecht der NS‑Opfer da-
durch anzuerkennen, dass wir nicht nur ständig an das
begangene Unrecht erinnern und gedenken, sondern auch
den betroffenen lebenden Menschen eine finanzielle An-
erkennung zukommen lassen . Und hierfür ist auch be-
reits eine Menge getan worden .
So hat der Bundestag in den Jahren 1956 und 1957 das
Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der national-
sozialistischen Verfolgung (BEG) sowie das Allgemeine
Kriegsfolgengesetz (AKG) verabschiedet, zu denen in
den folgenden Jahrzehnten auch Härtefonds und Härtere-
gelungen eingerichtet wurden . Und gerade bei den Fonds
und Härteregelungen können Betroffene, anders als beim
BEG und AKG, auch heute noch Anträge stellen .
Seit der Verabschiedung des Bundesgesetzes zur Ent-
schädigung für Opfer der nationalsozialistischen Ver-
folgung hat sich einiges getan . Denn im Sinne des BEG
galten nur diejenigen als Verfolgte, die aus „rassischen“
und religiösen und weltanschaulichen Gründen sowie
aufgrund politischer Opposition verfolgt wurden . Bis zur
letzten Antragsfrist im Jahr 1969 wurden nur diejenigen
entschädigt, auf die diese strenge Definition zutraf. Alle
anderen NS-Verfolgten, die sogenannten Opfer „sons-
tigen Staatsunrechts“, erhielten höchstens Leistungen
nach dem Allgemeinen Kriegsfolgengesetz .
Heute sind die Fristen für die Antragstellung schon
lange verstrichen . Es können also keine neuen Anträge,
mit Ausnahme sogenannter Verschlimmerungsanträge,
gestellt werden . Das ist beispielsweise eine Rentenneu-
bemessung, wenn sich der Gesundheitszustand eines Be-
troffenen verschlimmert . Da viele Antragsteller seinerzeit
die Fristen für Entschädigungsansprüche gemäß BEG
und AKG versäumt haben, hatte die Bundesregierung die
Lücke geschlossen und Fonds im Sinne des § 171 BEG
eingerichtet sowie die sogenannten AKG-Härterichtli-
nien geschaffen, die nicht an die Einhaltung einer Frist
gebunden sind . Das heißt, diese Personen können auch
heute noch Anträge auf Geldleistungen stellen .
Hierzu gibt es:
Erstens . Härtefonds für rassisch Verfolgte nicht jüdi-
schen Glaubens: Dieser Härtefonds wurde für NS-Ver-
folgte eingerichtet, die aufgrund der Nürnberger Rassen-
gesetze als Juden verfolgt wurden, obwohl sie nicht der
jüdischen Glaubensgemeinschaft angehörten . Ich möchte
betonen, dass dieser Fonds unter bestimmten Bedingun-
gen auch für verfolgte Ehepartner, Kinder und Enkel von
Juden offensteht . Er gilt zudem für Menschen, die we-
gen ihrer Hilfeleistungen zugunsten jüdischer Verfolgter
selbst zu NS-Verfolgten wurden .
Zweitens . Härtefonds zugunsten Verfolgter nicht jü-
discher Abstammung: Dieser Fonds wurde für nicht jü-
dische NS-Verfolgte eingerichtet, die zwar Verfolgte im
Sinne des BEG waren und aufgrund ihrer Verfolgung
einen Gesundheitsschaden erlitten, aber aus ausschließ-
lich formellen Gründen keinen Antrag nach BEG stellen
konnten .
Drittens . Härtefonds für jüdische Verfolgte: Jüdische
Verfolgte stehen Härteleistungen nach dem Hardship
Fund, dem Article 2 Fund mit der Jewish Claims Con-
ference aus dem Jahr 1992 und dem Central and Eastern
Europe Fund (CEEF) zu . Dieser Fonds wurde eingerich-
tet, um vorliegende Härten für solche Verfolgte auszu-
gleichen, die an der Einhaltung der Antragsfrist gehindert
waren . Diese Fonds stehen vor allem NS-Verfolgten im
Ausland offen, aber auch deutschen Opfern des NS-Re-
gimes .
Viertens . Als letzte wichtige Entschädigungsleistung
möchte ich noch die AKG-Härterichtlinien erwähnen .
Diese wurden erlassen, da die Bestimmungen des AKG
nicht ausreichend waren und zahlreiche Opfer des Na-
tionalsozialismus nicht entschädigt werden konnten .
Hiernach können grundsätzlich alle durch den Natio-
nalsozialismus geschädigten Personen, die aufgrund ih-
rer körperlichen oder geistigen Verfassung oder wegen
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721620
(A) (C)
(B) (D)
ihres gesellschaftlichen oder persönlichen Verhaltens
vom NS-Regime als Einzelne oder als Angehörige von
Gruppen angefeindet und verfolgt wurden, einen Antrag
auf Entschädigungsleistungen stellen . Hierzu zählen un-
ter anderem auch „Euthanasieopfer“, Zwangssterilisierte
und Homosexuelle .
Sie sehen also, wir unterscheiden zwischen gesetzli-
chen Ansprüchen des BEG und den außergesetzlichen
Leistungen zum Ausgleich besonderer Härten wie die
eben bereits erwähnte Article-2-Vereinbarung . Während
das BEG einen gesetzlichen Anspruch auf Entschädi-
gung für verfolgungsspezifische Schäden begründet,
sehen die außergesetzlichen Härteregelungen freiwillige
Leistungen unter Beachtung des Gleichbehandlungsge-
botes des Artikels 3 Grundgesetz auf der Grundlage des
Haushaltsgesetzes vor .
Insgesamt ist festzustellen, dass Bundestag und
Bundesregierung bis zum heutigen Tag ihrer morali-
schen Verpflichtung zur Entschädigung von Opfern des
NS-Regimes nachkommen . So sind bis zum 31 . Dezem-
ber 2015 Mittel in Höhe von 47,755 Milliarden Euro
für BEG-Leistungsempfänger ausgezahlt worden . In
Durchführung der AKG-Härterichtlinien wurden bis zum
31 . Dezember 2015 1,289 Milliarden Euro gezahlt . Hier-
bei sind auch einmalige Leistungen aufgrund eines Er-
lasses des BMF aus dem Jahre 1980 erfasst . Im Rahmen
des Artikel-2-Abkommens sind im gleichen Zeitraum
6,369 Milliarden Euro gezahlt worden .
Auch ist es im Einklang mit den AKG-Härterichtlini-
en nachvollziehbar und folgerichtig, dass einmalige oder
laufende Leistungen grundsätzlich nur Menschen erhal-
ten, die selbst unmittelbar den NS-Unrechtsmaßnahmen
ausgesetzt waren . Die AKG-Härterichtlinien stehen
daher im Einklang mit den entsprechenden dem BEG
nachfolgenden Regelungen für jüdische Opfer des Natio-
nalsozialismus . Insofern ist die in den Entschädigungsge-
setzen festgelegte Unterscheidung zwischen mittelbarer
und unmittelbarer Betroffenheit zutreffend .
Nun zu Ihrem Antrag, Kolleginnen und Kollegen der
Linken . Ich bin schon ein wenig verwundert, aber auch
verärgert, dass Sie uns erst am Mittwoch einen Antrag für
die Plenardebatte am Donnerstag zu dem Thema „Anglei-
chung der Entschädigungsleistungen für NS-Opfer“ ein-
reichen, ohne auch nur im entferntesten im Vorfeld eine
inhaltliche Diskussion zu diesem Thema zu suchen .
Im Rahmen der von Ihnen erhobenen Forderung, die
„Zwangsgermanisierten“ als neue Gruppe von NS-Op-
fern im Sinne der Härtefallrichtlinien anzuerkennen, hat
sich der Deutsche Bundestag bereits im Mai 2014 in der
Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ausführ-
lich auseinandergesetzt und klargestellt, individuelle
Entschädigungsforderungen nicht zu unterstützen . Wie
Sie wissen müssen, hat er aber angeregt, die „Zwangs-
germanisierten“ durch Projekte der Erinnerungskultur zu
würdigen, welches die Stiftung „Erinnerung, Verantwor-
tung und Zukunft“ (EVZ) auch durch viele Programme
umfassend bis 2018 fördert .
Zudem – und dies möchte ich abschließend noch er-
wähnen – ist es mir völlig unerklärlich, warum Sie erst
heute einen solchen Antrag stellen . Sie hätten Gelegen-
heit gehabt, vor Verabschiedung des Haushalts 2017 zu
erörtern, ob Mittel des Haushaltes zur Verfügung stehen,
so wie wir es seinerzeit auch für die Entschädigungsleis-
tungen für sowjetische Kriegsgefangene gemacht ha-
ben . Nichts dergleichen ist passiert . Ich halte daher Ihre
Vorgehensweise für unseriös und den Interessen der be-
troffenen lebenden Menschen nicht dienlich . Aus vorge-
nannten Gründen lehne ich daher Ihren Antrag ab .
Ulla Jelpke (DIE LINKE): Es ist im Deutschen Bun-
destag eine gute Tradition, dass am 27 . Januar, dem Ge-
denktag für die Opfer der NS-Verfolgung, Vertreterinnen
und Vertreter der verschiedenen Opfergruppen sprechen .
In diesem Jahr wird es der Schauspieler Sebastian Ur-
banski sein, der das Down-Syndrom hat . Er wird aus ei-
nem Brief von Ernst Putzki lesen, der von den Nazis we-
gen einer geistigen Behinderung ermordet worden war .
Das sind durchaus würdige Gedenkveranstaltungen .
Die Wahrheit ist aber auch – und darum geht es im An-
trag der Linken –: Hätte Ernst Putzki die Nazizeit über-
lebt, er hätte in der Bundesrepublik keine Entschädigung
erhalten . Denn im deutschen Entschädigungsrecht gibt es
bis heute gravierende Ungleichbehandlungen . Diese will
unser Antrag beseitigen: Die Linke fordert, dass alle, die
von den Nazis verfolgt worden sind, die gleichen Ent-
schädigungsleistungen erhalten .
Als in den 1950er- und 1960er-Jahren über die Anträ-
ge nach dem Bundesentschädigungsgesetz entschieden
wurde, sind etliche Opfergruppen einfach ausgeschlossen
wurden . Für Homosexuelle, für Opfer der Wehrmachts-
justiz, für verfolgte Sinti und Roma, für Kommunistinnen
und Kommunisten, für sogenannte Asoziale und eben
auch für Zwangssterilisierte und Euthanasiegeschädigte
gab es in aller Regel keine Leistungen . Denn all diese
Opfergruppen sind noch über Jahrzehnte hinweg stigma-
tisiert und diskriminiert worden . Sie galten als Verrückte,
als Schädlinge, als Verräter, denen unterstellt wurde, für
ihr Verfolgungsschicksal selbst verantwortlich gewesen
zu sein . Ein augenfälliges Beispiel dafür ist etwa, dass im
Deutschen Bundestag zu einer Anhörung im Jahr 1961
ausgerechnet drei Mediziner als Sachverständige einge-
laden worden sind, die direkt an Verbrechen im Namen
der „Rassenhygiene“ beteiligt waren .
Erst in den letzten Jahren sind viele dieser Opfergrup-
pen endlich politisch und zum Teil auch juristisch reha-
bilitiert worden . Es wurden Denkmäler gebaut; es gibt
nette Gedenkfeiern – aber Entschädigungsleistungen
erhalten sie noch immer nicht . Denn Anträge nach dem
Bundesentschädigungsgesetz können seit 1969 nicht
mehr gestellt werden .
Für all diese Opfergruppen, die ich eben aufgezählt
habe, gilt also: Erst hat man ihnen die Entschädigung
verweigert, und heute, wo sie endlich als Naziopfer aner-
kannt sind, wird ihnen gesagt, sie hätten die Antragsfrist
verpasst . Diese Logik ist ungeheuerlich zynisch .
Wenn sie Glück haben, werden sie mit Einmalzahlun-
gen nach den Härterichtlinien des Allgemeinen Kriegsfol-
gengesetzes abgespeist . Nur eine Handvoll Opfer erhält
monatliche Zahlungen . Das sind aber ausdrücklich nur
Härteleistungen, die wesentlich geringer sind als Leis-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21621
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tungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz . Nur zum
Vergleich: Während die durchschnittliche Rente nach
dem Bundesentschädigungsgesetz 651 Euro beträgt, be-
lief sich die Einmalzahlung nach den Härterichtlinien auf
2 500 Euro . Die Entschädigung für erlittene Verfolgung,
für die Ermordung von Angehörigen, für den Verlust von
Lebensperspektiven oder materiellen Gütern wird diesen
Überlebenden nach wie vor verweigert . Nachdem man
sie jahrzehntelang nicht einmal als Opfer anerkannte,
werden sie heute als Opfer zweiter Klasse diskriminiert .
Wir haben die Bundesregierung in den vergangenen
Jahren wiederholt auf diese Ungerechtigkeiten hingewie-
sen . Wir haben gefragt: Mit welcher Begründung wer-
den die einen NS-Opfer schlechter behandelt als andere
NS-Opfer?
Die Antwort der Bundesregierung war immer die
gleiche: Die Entschädigungsfrage sei schon längst „er-
folgreich“ gelöst . Das ist eine dreiste Lüge, mit der die
Bundesregierung den Überlebenden direkt ins Gesicht
schlägt . Denn die jahrzehntelange Ungleichbehandlung
und die bis heute andauernde Ignoranz gegenüber dieser
Problematik werden von vielen Überlebenden als weitere
Diskriminierung, als Nichtanerkennung ihrer Verfolgung
und des faschistischen Unrechts wahrgenommen, und
das völlig zu Recht; auch die Linke hält diese Praxis für
empörend .
Überfällig ist schon längst, dass endlich die Betroffe-
nen der sogenannten Zwangsgermanisierung entschädigt
werden . Zehntausende von Kindern – die genaue Zahl
ist nicht bekannt – sind aus den besetzten Gebieten ent-
führt worden, weil die Nazis sie für ausreichend „arisch“
hielten . Sie wurden ihren Eltern geraubt oder aus Kin-
derheimen verschleppt und verbrachten ihre Kindheit bei
Nazieltern oder in Heimen des Lebensborns . Etliche der
Betroffenen berichten über erlittene Misshandlungen,
wenn sie nicht den Vorstellungen ihrer faschistischen
Kidnapper entsprachen: Es wurde ihnen Essen entzogen;
sie wurden im Schnee ausgesetzt, geschlagen . Karl Vi-
tovec de Gereben, der als Achtjähriger ins Reichsgebiet
verschleppt worden war und mit dem ich seit Jahren in
Verbindung stehe, berichtet, man habe ihn misshandelt,
wenn er nicht wusste, wann Hitler Geburtstag hatte .
Ich hoffe, alle hier im Haus haben genügend Empa-
thie, um sich wenigstens annähernd vorzustellen, wel-
che Traumatisierungen die Betroffenen bis heute quälen .
Diese Menschen wurden aufgrund der rassistischen Vor-
stellungen der Nazis entführt und misshandelt . Aber die
Entschädigungsgesetze berücksichtigen sie nicht, und die
Bundesregierung zuckt mit den Schultern . Darin verbirgt
sich eine solche Kälte, eine solche Ignoranz gegenüber
den Naziopfern, dass es einen schaudern lässt .
Ich meine: Deutschland ist es den Naziopfern schul-
dig, sie anständig zu behandeln – und zwar alle . Man
kann nicht Gedenkveranstaltungen für die Toten durch-
führen und den Überlebenden die kalte Schulter zeigen .
Man darf auch nicht die einen Naziopfer gegen die ande-
ren ausspielen . Deswegen beantragt die Linke, dass alle
Naziopfer, auch die sogenannten Zwangsgermanisierten,
genau die gleichen Entschädigungsleistungen erhalten,
wie sie auch jenen zugestanden wurden, die Leistungen
nach dem Bundesentschädigungsgesetz beziehen .
Wenn sich die Regierungsfraktionen dieser morali-
schen Pflicht entziehen, degradieren sie damit die Ge-
denkveranstaltungen zur reinen Heuchelei .
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Die Geschichte der Entschädigung und Rehabilitierung
der Opfer des Nationalsozialismus ist und war ein quä-
lend langer Kampf um historische Wahrheit und Abmil-
derung von Ungerechtigkeiten .
Viele Kapitel dieses Kampfes waren alles andere als
ein Ruhmesblatt für die deutsche Nachkriegsgeschichte:
In einem skandalösen Urteil sagte der BGH 1956 im Na-
men des Volkes, staatliche Verfolgungsmaßnahmen vor
1943 seien legitim gewesen, weil sie von „Zigeunern“
durch „eigene Asozialität, Kriminalität und Wander-
trieb“ selbst veranlasst gewesen seien . Das Bundesver-
fassungsgericht sprach 1957 der NS-Fassung des § 175
StGB den nationalsozialistischen Unrechtscharakter ab .
Mit dem KPD-Verbot verloren im Westen viele Kommu-
nisten auch ihre Entschädigungsleistungen . Wehrmachts-
deserteure und Homosexuelle mussten bis 2002 auf die
Aufhebung ihrer Urteile warten . Erst 2007 ächtete der
Bundestag das Erbgesundheitsgesetz hinsichtlich aller
Konsequenzen für Zwangssterilisierte . Als nationalsozi-
alistisches Unrecht hat er dies bis heute nicht anerkannt .
Dies alles hatte nachteilige entschädigungsrechtliche
Konsequenzen .
Und auch die grundsätzlich nach dem BEG Berech-
tigten waren unzähligen Beschränkungen, Fristen und
Hürden für eine halbwegs angemessene Entschädigung
ausgesetzt . Nach dem 31 . Dezember 1969 konnten auch
für jüdische Holocaust-Überlebende keine neuen Anträ-
ge mehr gestellt werden .
Härtefonds nach BEG und AKG, Landeshärtefonds,
Verbesserungen der Härtefondleistungen, Ghettorenten-
gesetz und Zwangsarbeiterentschädigung folgten .
Ja, man kann die deutsche Geschichte nicht auf zwölf
Jahre reduzieren, das gilt leider insbesondere für die Ge-
schichte des Unrechts gegenüber den Verfolgten . Es gab
eine Kontinuität von Mentalitäten, die Unrecht nicht se-
hen wollten oder es verdrängten .
Die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern
des Nationalsozialismus ist ein zäher und von vielen Am-
bivalenzen geprägter Prozess gewesen . Im Antrag wird
richtig festgestellt, dass es in den letzten Jahrzehnten
durch viele, oft auch politische Gründe Ungleichbehand-
lungen und große Diskrepanzen in der Erarbeitung von
Entschädigungsleistungen für verschiedene Opfergrup-
pen gab .
Seit den 1980er- und 1990er-Jahren wurden viele
der offenen Fragen zur Entschädigung von NS-Opfern
diskutiert, kritisiert und an vielen Stellen nachgebes-
sert . Vor allem mit Blick auf die „vergessenen“ Opfer,
die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, Sinti und
Roma, Zwangssterilisierten oder Euthanasiegeschädig-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721622
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ten, sowie die verschiedenen Verfolgungsschäden konn-
ten Verbesserungen erreicht werden .
Trotz aller Verbesserungen gibt es ein unübersicht-
liches Sammelsurium an unterschiedlichen Entschädi-
gungsleistungen, die gesetzlich und außergesetzlich ge-
regelt sind . Dies ist aus der Perspektive der Opfer mit
Blick auf Gleichbehandlung, Gerechtigkeit, Transparenz
und Nachvollziehbarkeit nicht zu rechtfertigen .
Insofern sind wir offen für die Vorschläge zu Ver-
besserungen . Ob wir die Grundsatzfrage anpacken oder
noch einmal Leistungsverbesserungen versuchen, sollten
wir im Ausschuss diskutieren .
Zumindest eine Nachvollziehbarkeit herzustellen, die
sich nicht nur darauf beruft, dass es unterschiedliche ge-
setzliche oder außergesetzliche Regelungen sind, die zur
Ungleichbehandlung führen – wie die Bundesregierung
in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage vom 16 . No-
vember 2015 (Drucksache 18/6719) argumentiert –, wäre
zielführend .
Darum halte ich das Anliegen grundsätzlich für rich-
tig, insbesondere bei Betroffenen, die bisher in ungenü-
gender Weise – wenn auch nur symbolisch – mit ihrem
Schicksal gewürdigt wurden, wie etwa die im Antrag ge-
nannte Opfergruppe der „Zwangsgermanisierten“ . Diese
„geraubten Kinder“ gehören einer Opfergruppe an, die
im deutschen gesellschaftlichen Bewusstsein bisher so
gut wie nicht vorkommt . Die Tatsache, dass diesen –
damaligen – Kindern und ihren Eltern ein – wenn auch
unblutiges – nationalsozialistisches Unrecht widerfahren
ist, ist unbestreitbar .
Mit der Anerkennung als Opfergruppe auch die Fra-
ge einer finanziellen Entschädigung aufzuwerfen, ist für
mich nachvollziehbar . Der vorliegende Antrag lässt dabei
aber noch Fragen offen:
Wer sind die Entschädigungsberechtigten? Die Kin-
der, oder auch deren Eltern, denen man die Kinder ge-
raubt hat?
Wird ein symbolisch identisches Gesamtschicksal
unterstellt oder nach Schwere der heutigen Folgen der
Gewaltmaßnahme, etwa gesundheitlichen, sozialen und
psychischen Folgen, unterschieden?
In welcher Höhe sollten die Betroffenen im Verhält-
nis zu anderen Opfergruppen entschädigt werden, die ein
physisch und psychisch möglicherweise gewaltsameres
Verbrechen zur Zeit des Nationalsozialismus erlitten ha-
ben?
72 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus und
angesichts des den Opfern zugefügten Leids sind finanzi-
elle Entschädigungen heute vor allem eine symbolische
Würdigung ihres Schicksals . Die meisten Opfer sind
inzwischen von uns gegangen . Dennoch dürfen wir er-
kannte Not und erkanntes Unrecht nicht unbeantwortet
lassen .
Lassen Sie uns im Ausschuss diskutieren, ob wir von
dem Unrecht des Nationalsozialismus und der zu späten
Aufarbeitung noch etwas abtragen können .
Anlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD: Biodiversität schützen –
Taxonomische Forschung ausbauen (Tagesord
nungspunkt 23)
Sybille Benning (CDU/CSU): „Wer zählt die Völker,
nennt die Namen?“, heißt es in Schillers Ballade „Die
Kraniche des Ibykus“ . Für unser Thema heute möchte ich
sagen: „Wer zählt die Arten, nennt die Namen?“ .
Das Entdecken, Benennen und Einordnen – das waren
schon zu Zeiten von Carl von Linné die ersten Schritte
der Biologie . Und das genau ist die Aufgabe der Taxono-
men: die Beschreibung und Klassifikation der uns umge-
benden Vielfalt der Arten .
Dieser Forschungszweig rückt selten ins Licht der
Öffentlichkeit . Der geneigte Leser konnte allerdings vor
wenigen Tagen die Entdeckung einer Benennung einer
neuen Mottenart in den Medien verfolgen . Wegen ihrer
orangen, haartollenförmigen Kopfschuppen gab ihr der
Entdecker den Namen: „Neopalpa donaldtrumpi“ .
Doch die Bestimmung der Arten erfolgt heutzutage
nicht allein aufgrund phänotypischer Merkmale . Zur-
zeit erlebt die Taxonomie eine technologische Revoluti-
on . Die rasche Entwicklung von molekularbiologischen
Hochdurchsatzmethoden, den sogenannten OMICS-Me-
thoden zur Sequenzierung und Analyse von Erbinforma-
tion, Proteinen und Stoffwechselprodukten, eröffnet den
Biowissenschaften völlig neue Dimensionen: Bisher un-
bekannte Arten werden in hoher Zahl entdeckt, und der
Artbildungsprozess kann erstmals auf der Ebene der ge-
samten Erbinformation verfolgt werden .
Mit diesen neuen molekularbiologischen Möglichkei-
ten wächst auch die Bedeutung der integrativen Taxo-
nomie erheblich . Kurz gesagt: Taxonomen laufen nicht
mehr nur mit einem Schmetterlingsnetz durchs Feld . Sie
nutzen Sequenzierungsmaschinen, um herauszufinden,
ob sie eine neue Art gefunden haben und wo im Stamm-
baum sie sich am besten einordnen lässt . Die Taxonomie
leistet so wichtige Dienste für Lebensmitteltechnik, per-
sonalisierte Medizin, Ökologie und Landwirtschaft .
Problematisch scheint gerade angesichts dieser ra-
santen Entwicklung, dass die taxonomische Ausbildung
und Forschung an den Universitäten in den vergangenen
Jahrzehnten immer mehr zurückgefahren wurde .
Die Leopoldina hat darum 2014 einen Bericht mit
Empfehlungen zur Erforschung der Biodiversität vorge-
legt, der Deutschland als einen der führenden Standorte
moderner integrativer taxonomischer Forschung sichern
und in die Zukunft führen soll, die uns auch für unseren
Antrag eine wertvolle Hilfe war .
Die Bedeutung der Taxonomie und ihr Bedarf einer
Förderung in Forschung und Lehre wird auch von Bun-
desseite erkannt . Mit der „Nationalen Strategie zur bio-
logischen Vielfalt“ (NBS) verfolgt die Bundesregierung
das Ziel, bis zum Jahr 2020 den Rückgang der biologi-
schen Vielfalt zu stoppen .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21623
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Im Hinblick auf Handlungsziele und konkrete Maß-
nahmen wird darin ausdrücklich auf die Notwendigkeit
hingewiesen, die Taxonomie zu stärken . Auch in der
Agrobiodiversitätsstrategie wird auf die Bedeutung der
Taxonomie verwiesen . Das Bundesministerium für Bil-
dung und Forschung (BMBF) fördert gemeinsam mit den
Ländern die drei großen naturkundlichen Forschungs-
museen der Leibniz-Gemeinschaft, die Senckenberg
Gesellschaft für Naturforschung, das Museum für Natur-
kunde Berlin sowie das Zoologische Forschungsmuseum
Alexander Koenig in Bonn .
Die Sammlungen dieser drei Häuser umfassen zusam-
men mehr als 75 Millionen Objekte . Auch die Genbanken
werden weit überwiegend mit Bundesmitteln betrieben .
Die Forschungsmuseen haben sich dabei der Herku-
lesaufgabe verschrieben, ihre Objekte zu digitalisieren
und der Forschung in aller Welt zur Verfügung zu stellen .
Die Kenntnis klassischer Methoden zur Beschreibung
und Klassifizierung ist dabei ebenso wichtig wie die An-
wendungen moderner OMICS-Methoden . Ein wichtiges
Projekt ist auch das Verbundprojekt „German Barcode of
Life“ (GBOL) . Hier engagiert sich der Bund seit 2011
mit einem Volumen von 11 Millionen Euro . Das Projekt
verfolgt das Ziel, die Artenvielfalt in Deutschland an-
hand ihres genetischen DNA-Barcodes, das heißt sozu-
sagen ihres Fingerabdrucks, zu erfassen . Zudem beteiligt
sich der Bund umfassend an der Finanzierung großer
Baumaßnahmen an den Standorten der drei Forschungs-
museen .
Um die Expertise in der taxonomischen Forschung zu
halten, ist es in Zukunft wichtig, eine bessere Vernetzung
von universitärer und außeruniversitärer Forschung und
Lehre sowie die gezielte Vermittlung und Anwendung
von OMICS-Methoden zu erreichen . Darauf weisen wir
in unserem Antrag hin .
Ein guter Ansatz wären hier Schwerpunktprogramme
für integrative Taxonomie, die zur Kooperation mit au-
ßeruniversitären Forschungseinrichten anregen . Für die
Forschenden und die zahlreichen ehrenamtlichen Akteu-
re, die sich in der Taxonomie engagieren, wäre es nütz-
lich, Kompetenznetzwerke für integrative Taxonomie zu
unterstützen, die als Ansprechpartner dienen können .
Während der Weltbiodiversitätsrat seit einigen Jahren
auf internationaler Ebene erfolgreich arbeitet, gewinnen
auch europaweite Forschungsansätze immer mehr an
Bedeutung . Hier wäre es wünschenswert, wenn sich die
Bundesregierung dafür einsetzt, ein Programm für die
Erfassung der Arten des europäischen Festlands und sei-
ner maritimen Gebiete aufzulegen .
Wir geben in unserem Antrag notwendige Impulse für
die Stärkung der taxonomischen Forschung und damit
zur Biodiversitätsforschung in Deutschland . Ich würde
mich freuen, wenn Sie unserem Antrag zustimmen .
Dr. Philipp Lengsfeld (CDU/CSU): Da meine Kol-
legin Frau Benning die Definition der Taxonomie und
ihre große Bedeutung bereits hinlänglich erläutert hat,
bedarf es keiner weiteren Erklärung der Nomenklatur
meinerseits . Dennoch möchte auch ich Bezug nehmen
auf das 19 . Jahrhundert, dem Zeitalter der Gründung
vieler Forschungsmuseen, genauer gesagt auf Alexander
von Humboldt, einem Pionier auf dem Gebiet der Taxo-
nomie, noch vor Charles Darwin, welcher zu Lebzeiten
große Bewunderung für Humboldt empfand . Heute ist er
der Namenspatron einer der großen Universitäten Ber-
lins, die es sich einst zur Aufgabe machte, sein Erbe fort-
währen zu lassen .
So ist es umso erstaunlicher, dass die Taxonomie und
die Errungenschaften Humboldts keinen großen Stellen-
wert mehr in der universitären Forschung und der Lehre
einnehmen . Dabei reicht dieser unterschätzte und man
möchte fast sagen vergessene Forschungszweig weit in
eine Vielzahl an Forschungsfeldern hinein, beispiels-
weise die Genetik oder die Medizin, um nur ein paar zu
nennen .
Umso trauriger ist die Entwicklung zu beobachten,
dass sich immer weniger vor allem junge Menschen für
Biodiversität und Taxonomie interessieren . Dieser Ten-
denz muss entgegengewirkt werden . Bund und Länder
müssen sich für Forschungsschwerpunkte an Universitä-
ten und für die Kooperation mit außeruniversitären For-
schungseinrichtungen einsetzen . Dies schließt auch den
Ausbau und die Verbesserung der Infrastrukturen mit ein,
um exzellente Forschung in diesem Gebiet zu gewähr-
leisten .
Dies gilt auch für die Naturkundemuseen, die den
Großteil der taxonomischen Forschung leisten . Sie ar-
chivieren, schützen und erhalten die Sammlungen; sie
erweitern ihr Exponatrepertoire, aber vor allem vermit-
teln sie ihr Wissen und arbeiten zusammen mit Politik,
Gesellschaft, Wissenschaft und Lehre . Somit sind sie
der Knotenpunkt im Bereich der Biodiversität . Es muss
also überprüft werden, inwiefern die bereits bestehenden
OMICS-Einrichtungen und Universitäten zugänglich ge-
macht werden können .
Ein gutes Beispiel für einen Auftrieb im Bereich Bio-
diversität und taxonomische Forschung ist das Museum
für Naturkunde Berlin, welches zu den großen drei Mu-
seen in Deutschland zählt, die das Zentrum dieser For-
schung bilden .
Gemeinsam besitzen sie mehr als 75 Millionen Ob-
jekte und werden vor allem durch das BMBF in Form
des Verbundprojekts „German Barcode of Life“ seit 2011
gefördert . Ziel ist es, die erste genetische „Nationalbi-
bliothek der Artenvielfalt in Deutschland“ zu erstellen .
Dazu trägt auch das Museum für Naturkunde in Berlin
bei, indem es sich mit Sammlungsentwicklung und Bio-
diversitätsentwicklung in Form von eigenen Forschungs-
aktivitäten beschäftigt .
Das historisch einmalige Kulturgut soll in Form eines
intelligenten Sammlungsmanagements mit globaler In-
frastruktur zusammengetragen werden mit dem Ziel, eine
sogenannte „Biodiversity Heritage Library for Europe“
(BHL-Europe) in digitalem Format für den allgemei-
nen Zugang zur Verfügung zu stellen . Um diese Art von
Open Access möglich zu machen, bedarf es einer Viel-
zahl an qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern,
an denen es derzeit jedoch mangelt . Deshalb müssen
„Schools of Taxonomy“ eingerichtet werden, wie schon
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721624
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die Leopoldina in ihrer Empfehlung schreibt . Mit Mas-
ter- und Promotionsstudiengängen unter Einbezug von
OMICS-Technologien kann dem Personalmangel in der
taxonomischen Forschung und dem Desinteresse an die-
sem Gebiet ein Ende gesetzt werden .
Aus diesen Gründen spreche ich mich ausdrücklich für
die Annahme dieses Antrages aus . Täglich verschwinden
mehrere Arten auf der Welt aus der taxonomischen Land-
karte . Nur wer die Biodiversität und ihre Funktion im
Ökosystem kennt, kann dem Artensterben entgegenwir-
ken und Fortschritt in diversen Bereichen anregen .
René Röspel (SPD): Jeden Tag sterben auf unserer
Erde nach Expertenschätzungen ungefähr 130 Arten aus,
also fast 50 000 pro Jahr – Größenordnungen, bei denen
mir, wie sicher vielen anderen, ganz schwindelig wird .
Mit dem vorliegenden Antrag wollen wir einen kleinen
Beitrag dazu leisten, auf diesen Verlust hinzuweisen und
den Prozess vielleicht etwas zu verlangsamen . Denn wir
sind uns sicher darin einig, dass die genetische Vielfalt,
die Vielfalt der Arten, Ökosysteme und Lebensräume ei-
nen großen Schatz darstellen, den es zu sichern gilt .
Um Pflanzen, Tiere und andere Organismen wirksam
schützen zu können, muss sichergestellt sein, dass wir
überhaupt wissen, was für Arten es auf unserer Erde gibt .
Bisher ist nur ein Bruchteil der geschätzten 13 Millionen
bis 20 Millionen Arten nachgewiesen . An dieser Stel-
le setzt die Taxonomie an: Sie ist die Wissenschaft von
der Identifizierung, Beschreibung und Klassifizierung
von Lebewesen . Die Taxonomie spielt damit in vielen
Lebensbereichen eine wichtige Rolle: in der Landwirt-
schaft, der Medizin, dem Naturschutz und eben gerade
auch in der Erforschung der Biodiversität .
In den letzten Jahren hat die Disziplin eine regel-
rechte Revolution erlebt: Durch die Entwicklung von
neuen Methoden und Automatisierungstendenzen ist
plötzlich eine ungeahnt schnelle und vollständige Erfas-
sung molekularbiologischer Informationen von Orga-
nismen möglich . Dieser technologische Sprung eröffnet
den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern völlig
neue Dimensionen . Doch mit den neuen Methoden, die
die Fachwelt „OMICS-Technologien“ nennt, sind auch
veränderte Anforderungen an die Forscherinnen und
Forscher verbunden . Das eher traditionelle Forschungs-
umfeld in Deutschland ist diesen jedoch nur teilweise
gewachsen . Dabei ist die Schuld jedoch keineswegs bei
den Forschenden zu suchen, nein, vielmehr wurde die
Disziplin in den vergangenen Jahren insbesondere im
universitären Bereich zu stiefmütterlich behandelt und zu
wenig gefördert . Die Forschung hat sich immer weiter in
die großen Naturkundemuseen, Genbanken und Samm-
lungen verlagert . Diese leisten selbstverständlich eine
exzellente Arbeit .
Erst kürzlich konnte ich mich von den beeindrucken-
den Leistungen des Naturkundemuseums hier in Berlin
überzeugen . Einen Teil der Jahresauftaktsklausurtagung
der SPD-Bundestagsfraktion haben wir nämlich dort
verbracht . Der Generaldirektor des Museums, Professor
Johannes Vogel, hat uns durch die Räumlichkeiten ge-
führt . Es handelt sich um ein integriertes Forschungs-
museum der Leibniz-Gemeinschaft – es wird also unter
anderem auch aus Bundesmitteln des BMBF finanziert –
und gehört zu den weltweit bedeutendsten Forschungs-
einrichtungen auf dem Gebiet der biologischen und erd-
wissenschaftlichen Evolution und Biodiversität .
Das Museum schafft es, Forschung auf Topniveau
mit einer „Aufklärungsarbeit“ zur Bedeutung und dem
Schutz der biologischen Vielfalt für die interessierten Be-
sucherinnen und Besucher zu verbinden . Erklärtes Ziel
des Museums ist es, breite Schichten von Gesellschaft,
Wirtschaft und Politik für dieses Thema zu sensibilisie-
ren und für dringend erforderliches Handeln zu gewin-
nen . Ich kann Ihnen allen nur ans Herz legen, das Natur-
kundemuseum, das ja hier ganz in der Nähe ist, einmal
zu besuchen und auf eine eigene, ganz persönliche For-
schungsreise zu gehen .
Das knüpft an einen weiteren Punkt an, der die Dis-
ziplin der Taxonomie von anderen wissenschaftlichen
Feldern abhebt . Taxonomische Forschung stellt nämlich
geradezu ein Paradebeispiel der in den letzten Jahren viel
diskutierten Citizen Science dar: Unzählige ehrenamtli-
che Artenkennerinnen und Artenkenner, Kartiererinnen
und Kartierer leisten für die Taxonomie einen wichtigen
Forschungsbeitrag . Dazu gehört nicht zuletzt die wich-
tige Pionierarbeit bei der Erstellung sogenannter Roter
Listen .
Viele von Ihnen haben wahrscheinlich mitbekommen,
dass der Naturschutzbund Anfang Januar die Bevölke-
rung aufgerufen hatte, eine Stunde lang Wintervögel zu
zählen . Diese Bestandserhebung ist ein wichtiger Beitrag
zu Umwelt- und Naturschutz .
Ohne all diese Engagierten wäre die Wissenschaft
heute nicht dort, wo sie steht, und auch eine Zukunft
ohne die Unterstützung durch Ehrenamtliche ist kaum
denkbar . Aus diesem Grund fordern wir die Bundesregie-
rung in unserem Antrag auf, zu prüfen, wie die bundes-
weit tätigen Ehrenamtlichen noch besser bei ihrer Arbeit
unterstützt werden können . Dazu gehört ebenso, dass die
Daten, die im Rahmen taxonomischer Forschung ge-
wonnen werden, allen in diesem Bereich Tätigen, also
gerade auch den vielen Ehrenamtlichen, kostenlos zur
Verfügung gestellt werden; das damit verbundene Stich-
wort Open Access sei erwähnt . An dieser Stelle haben
wir nicht nur in der Taxonomie, sondern in der gesamten
Forschungslandschaft noch viel vor uns .
Doch auch trotz der exzellenten Arbeit, die sowohl
die Ehrenamtlichen als auch die Museen, Genbanken
und Sammlungen jeweils verrichten, müssen die Uni-
versitäten in Zukunft wieder stärker in die taxonomische
Forschung eingebunden werden . Wir brauchen an geeig-
neten Universitätsstandorten nicht zuletzt Schwerpunkt-
programme der integrativen Taxonomie und angewand-
ten Ökologie . Erfolgreich wird das jedoch nur sein, wenn
wir konsequent auf eine Vernetzung mit den außeruniver-
sitären Akteuren setzen . Die Verzahnung dieser mit dem
Erneuerungs- und Ausbildungspotenzial der Universitä-
ten sichert nicht nur die Zukunft der deutschen Exper-
tise im Bereich der Taxonomie, sondern führt auch zu
gewaltigen Synergien, die wir nicht einfach liegen lassen
dürfen . Wenn wir das vorhandene taxonomische Poten-
http://www.wgl.de/
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21625
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zial ausschöpfen wollen, dann müssen Universitäten mit
außeruniversitären Instituten, Museen, Genbanken und
Forschungssammlungen wieder stärker zusammenarbei-
ten .
Auch international ist eine Vernetzung der verschie-
denen Akteure unabdingbar . Hier sollte geprüft werden,
wie die wissenschaftliche Zusammenarbeit innerhalb Eu-
ropas, aber zum Beispiel gerade auch mit Schwellenlän-
dern unterstützt werden kann .
Doch damit eine nationale wie internationale Zusam-
menarbeit überhaupt möglich ist, muss zuvorderst das
Fundament stimmen: Ohne eine angemessene bauliche
und infrastrukturelle Ausstattung zur Unterbringung und
Erforschung in den diversen relevanten Institutionen ist
gute Forschung kaum möglich . Hieran müssen wir wei-
terhin gemeinsam mit den Ländern arbeiten .
Ferner sind spezielle auf die Taxonomie zugeschnit-
tene Forschungsprogramme notwendig . Durch den Fö-
deralismus und die daraus resultierenden unterschiedli-
chen Ansprechpartner und Forschungsförderer wird die
Arbeit der Taxonomen in Deutschland jedenfalls nicht
immer erleichtert .
Darüber hinaus fehlt es der Taxonomie überall an
wissenschaftlichem Nachwuchs . Wir fordern die Bun-
desregierung daher auf, solche Strukturen zu unterstüt-
zen und gegebenenfalls aufzubauen, die den Nachwuchs
insbesondere unter Berücksichtigung der neuen Anfor-
derungen, die durch den Einzug der oben erwähnten
OMICS-Technologien entstehen, fördern .
Fakt ist, dass es sich bei der Taxonomie nicht um eine
Nischenforschung handelt, die man sich mehr oder we-
niger leistet, sondern um eine Basiswissenschaft, auf der
vieles gründet, und die deshalb eine angemessene Bedeu-
tung und Förderung haben sollte .
Wenn wir dies beherzigen, dann leisten wir einen
wichtigen Beitrag für den Erhalt der Biodiversität – ein
Ziel, dem sich die Bundesrepublik Deutschland übrigens
bereits mit Unterzeichnung des Übereinkommens über
die biologische Vielfalt 1992 in Rio de Janeiro verpflich-
tet hat . Da haben wir auch 25 Jahre später noch eine
Menge Arbeit vor uns .
Ich freue mich, dass wir dieses Thema, das mit einem
ähnlichen Antrag in der vergangenen Legislaturperiode
noch an der Ablehnung unseres aktuellen Koalitionspart-
ners gescheitert ist, endlich auf den Weg bringen .
Birgit Menz (DIE LINKE): Bereits im Jahr 2010
gab es einen Antrag der SPD zum Thema Taxonomie
beziehungsweise Kartografie der Biodiversität. Es wäre
hilfreicher gewesen, hätte man diesem bereits damals
zugestimmt . Heute, sieben Jahre später, hat das Problem
nichts an Aktualität verloren – im Gegenteil .
Derzeit erleben wir auf der Erde das größte Arten-
sterben seit dem Zeitalter der Dinosaurier . Jeden Tag
verschwinden zahlreiche Spezies unwiderruflich von
unserem Planeten . Und als ob das nicht genug wäre,
ist eine immer größer werdende Anzahl von Tieren und
Pflanzen akut in ihrer Existenz gefährdet. Laut der Roten
Liste der Weltnaturschutzunion IUCN sind derzeit etwa
24 000 Arten nachweislich vom Aussterben bedroht .
Für die Bekämpfung des Problems existieren bereits
internationale sowie nationale Programme, um den Bio-
diversitätsverlust einzudämmen . Doch wie können Pro-
gramme und gute Absichten helfen, wenn die eigentli-
chen Ursachen für den Artenschwund in Bereichen zu
finden sind, die nur langsam und widerwillig einsehen,
dass der derzeitige Umgang mit unserem Planeten nicht
nur fatale Folgen für Umwelt, Tiere und Pflanzen, son-
dern auch für den Menschen nach sich zieht?
Ein Umdenken in Landwirtschaft, Verkehr sowie ein
verantwortungsvoller Umgang beim Verbrauch von Flä-
chen und Ressourcen ist unabdingbar, um dem globalen
Artensterben auf ganzheitlicher Ebene zu begegnen .
Denn beim Schutz der Biodiversität geht es auch um un-
sere eigene Zukunft .
Um das einmal zu verdeutlichen: Wie der Weltrat für
Biologische Vielfalt, IPBES, vorrechnet, sind beispiels-
weise Bestäuber und deren Leistungen für Nahrungsmit-
tel im Wert von 213 Milliarden bis 523 Milliarden Euro
verantwortlich . Weltweit sind jedoch Bienen, Schmetter-
linge und zahlreiche andere Bestäuber vom Aussterben
bedroht, was ein enormes Risiko für die globale Nah-
rungsmittelsicherheit darstellt .
Infolge dieser ernstzunehmenden Bedrohung schlos-
sen sich auf der letztjährigen Biodiversitätskonferenz
in Cancún – auch auf Initiative Deutschlands – mehrere
Staaten mit der Absicht zusammen, Bienen und Insekten
mit gezielten Strategien in Zukunft besser schützen zu
wollen . 2010 hatten darüber hinaus die EU sowie 2011
die Vertragsstaaten des Übereinkommens zur biologi-
schen Vielfalt (CBD) im Rahmen des Nagoya-Protokolls
bereits den Stopp des Verlustes der Artenvielfalt bis 2020
ausgerufen . Es bleibt jedoch unklar, wie diese Vorhaben
umgesetzt und deren Ergebnisse eigentlich überprüft
werden können .
Die Taxonomie ist in diesem Zusammenhang ein
enorm wichtiger Wissenschaftszweig . Ohne die Erkennt-
nisse dieser Disziplin wären viele Tier‑ und Pflanzen-
arten sowie deren Leistungen bis heute unentdeckt ge-
blieben . Und ohne das Engagement vieler ehrenamtlicher
und hauptberuflicher Taxonomen wüssten wir auch nicht,
welche Arten es zu schützen gilt, noch welches Ausmaß
der Verlust von Arten in vielen Regionen eigentlich hat .
Damit die Taxonomie ihrer verantwortungsvollen
Rolle auch weiterhin gerecht werden kann, braucht es
vor allem eine bessere Nachwuchsförderung . Schon
jetzt bekommt die Disziplin die Auswirkungen fehlender
Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissen-
schaftler zu spüren . Der Mangel an Lehrstühlen und da-
mit verbundene Defizite bei der Ausbildung des wissen-
schaftlichen Nachwuchses sind ein ernsthaftes Problem .
Politik und Wissenschaft müssen gemeinsam Lösun-
gen finden, um den Wissenschaftszweig der Taxonomie
stärker zu fördern und dessen Zukunftsfähigkeit zu ga-
rantieren . Die Taxonomie ist wesentlicher Bestandteil,
will man den Artenverlust nicht nur stoppen, sondern
auch für dessen Erholung sorgen .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721626
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Zudem müssen nationale und internationale Abkom-
men und Strategien zum Schutz der Biodiversität kon-
sequent umgesetzt und stärker gefördert werden . Dies
kann jedoch nur gelingen, wenn die Fördersummen für
Programme zum Erhalt der Artenvielfalt um ein Vielfa-
ches gesteigert und gleichzeitig biodiversitätsschädliche
Subventionen massiv abgebaut werden .
Viele Spezies gehen verloren, noch bevor diese über-
haupt bestimmt oder entdeckt werden konnten . Dabei
liegt noch so vieles im Verborgenen . Vor allem in Regen-
wäldern und Ozeanen gibt es Unmengen an unerforsch-
ten und zahlreiche zu entdeckende Arten . Es ist daher
wichtig, Arten und Bestände wissenschaftlich so gut es
geht zu erfassen, um das unvollständige Bild allen Le-
bens auf unserem Planeten weiter zu komplettieren .
Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenige
Monate vor dem Ende dieser Wahlperiode bringen die
Koalitionsfraktionen heute einen Antrag zum Schutz der
Biodiversität und zum Ausbau taxonomischer Forschung
zur erstmaligen Beratung ein .
Mit fällt auf, dass sich dieser Antrag einreiht in eine
Sammlung forschungspolitischer Schaufensteranträge,
die Sie kurz vor Ende Ihrer Regierungszeit quasi an sich
selbst richten . Es stellt sich die Frage, warum Sie diese
Themen nicht früher angegangen sind und was Sie davon
tatsächlich noch umsetzen können .
Dies vorausgeschickt, kann ich mich vielen Ihrer For-
derungen zum Schutz der biologischen Vielfalt im Allge-
meinen und nach mehr Forscherinnen und Forschern zur
Erfassung der Artenvielfalt im Besonderen anschließen .
Es reicht allerdings überhaupt nicht aus, den Artenrück-
gang nur besser erfassen zu wollen .
Tagtäglich sterben Arten aus, tagtäglich verlieren wir
durch Umweltzerstörung, Klimakrise und durch Eingrif-
fe des Menschen in die Natur an Biodiversität – welt-
weit wie hierzulande . Millionen von Arten sind noch
unentdeckt, viele von ihnen werden ausgerottet, bevor
sie überhaupt bekannt werden . Große Ökosysteme wie
die Tiefsee, der Boden oder das Grundwasser sind noch
weitgehend unerforscht . Es gilt, neben dem Ausbau der
Forschung eine aktive und ambitionierte Umwelt- und
Naturschutzpolitik zu betreiben, die dem Artenrückgang
entgegenwirkt .
In der Biodiversitätspolitik hat diese Bundesregierung
nichts vorzuweisen, und das lässt Ihren Antrag umso
schwächer und substanzloser erscheinen .
Die Wichtigkeit der Taxonomie als grundlegende Wis-
senschaft für die Lebenswissenschaften, von der Biodi-
versitätsforschung über die Wirkstoffforschung bis hin
zur Infektionsmedizin, die wir ja heute unter TOP 24
ebenfalls beraten, ist unbestritten .
Valide Forschungsdaten sind neben dem unmittel-
baren wissenschaftlichen Nutzen auch Voraussetzung
zukunftsorientierter Politik . Die Weiterentwicklung der
Taxonomie in Deutschland wie auch international sollten
wir deshalb als Teil einer auf Nachhaltigkeit setzenden
Forschungspolitik begreifen und entsprechend fördern .
Dies gilt auch für verwandte Forschungsbereiche: Um
beispielsweise die Folgen der Klimakrise zu bewältigen,
müssen Anpassungsstrategien von Ökosystemen, Le-
bensräumen und Arten erforscht werden . Dieses trans-
formative Wissen über Resilienz wird für politische Wei-
chenstellungen dringend gebraucht .
Die nachhaltige Ausrichtung unseres Forschungs- und
Wissenschaftssystems auf die großen gesellschaftlichen
Herausforderungen bleibt unsere zentrale Aufgabe . Das
beginnt bei den Perspektiven des wissenschaftlichen
Nachwuchses, der bei der Taxonomie wegzubrechen
droht . Gerade hier lassen sich die Folgen einer einsei-
tigen, auf kurzfristige wirtschaftliche Verwertbarkeit
ausgerichteten Politik eindrucksvoll beobachten: Durch
den signifikante Abbau von Lehrstühlen wurden die ent-
sprechende Forschungslandschaft und insbesondere die
Grundlagenforschung in Deutschland ausgetrocknet .
Diese fatale Entwicklung gilt es umzukehren .
Einen besonderen Schatz im Bereich der Biodiver-
sitätsforschung stellen die Sammlungen wie auch die
Forschungsmuseen, etwa das Naturkundemuseum „ne-
benan“ hier in Berlin und die drei Museen der Leib-
niz-Gemeinschaft, dar . Der Verlust von Sammlungen
wäre ein Verlust von Wissen, da jeweils große Teile der
Sammlungen unwiederbringlich sind . Es kommt darauf
an, das vorhandene Wissen zu bewahren und zu erwei-
tern .
Wir sollten auf die lange Tradition der Naturforschung
aufbauen und die interessierte Zivilgesellschaft daran
systematisch beteiligen . Erinnert sei an dieser Stelle an
die Insektenforscherin und Künstlerin Maria Sibylla Me-
rian, die sich schon vor über 300 Jahren international und
interdisziplinär vernetzte . Die Aufzeichnung von Natur-
beobachtungen vor Ort wird heute auch unter dem Stich-
wort Bürgerwissenschaften bzw . Citizen Science zusam-
mengefasst . Ereignisse wie das Insektensterben haben
viele private Initiativen zum Schutz der biologischen
Vielfalt angeregt . Projekte der „Bildung für Nachhaltige
Entwicklung“ und ökologische Freiwilligendienste set-
zen sich für den Erhalt von natürlichen Lebensräumen
ein – sie fehlen in Ihrem Antrag völlig . Diese Formen
zivilgesellschaftlichen Engagements von Menschen aus
unterschiedlichen Generationen gilt es zu würdigen und
einzubeziehen .
Wichtig bleibt jedoch, festzuhalten, dass weder das
Ehrenamt noch außeruniversitäre Forschung ein regel-
mäßiges nationales Monitoring und die integrierte For-
schung und Ausbildung an den Universitäten ersetzen
können . Die Hochschulen müssen in die Lage versetzt
werden, Forschung und Lehre auf der Höhe der Zeit zu
leisten, moderne Methoden zu nutzen und Forschungs-
ergebnisse einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung zu
stellen . Hier müssen Bund und Länder gemeinsam tätig
werden, bevor noch mehr Wissen und Infrastrukturen
verloren gehen .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21627
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Anlage 9
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD: Pharmazeutische Forschung gegen
Infektionskrankheiten stärken – Nationale Wirk
stoffoffensive starten (Tagesordnungspunkt 24)
Stephan Albani (CDU/CSU): Im Rückblick auf die
vergangenen Wochen hier im Plenum und in den Dis-
kussionen in der Öffentlichkeit bleiben mir zwei abso-
lute Unworte des Jahres hängen: „postantibiotisch“ und
„postfaktisch“ .
„Postfaktisch“ ist der Abschied einer faktenbasierten,
rationalen Entscheidungsfindung und der Rückfall in
dogmatische Zeiten vor der Aufklärung – kurzum Mit-
telalter .
„Postantibiotisch“ ist die verbale Kapitulationserklä-
rung gegenüber zunehmenden Antibiotikaresistenzen .
Beides ist noch nicht Realität und sollte von uns durch
wiederholtes Erwähnen auch nicht zu ebendieser ge-
macht werden .
In Sachen „postantibiotisch“ hier und heute eine gute
Nachricht: Hier gibt es politische Gegenmaßnahmen . So
wurden auf unsere Initiative hin 20 Millionen Euro im
Haushalt für eine Förderinitiative im Bereich der Wirk-
stoffforschung bereitgestellt .
Wir haben hier parlamentarisch schnell gehandelt und
die Sache in die Hand genommen . Warum haben wir dies
getan? Lassen Sie mich kurz die aktuelle Situation an-
hand von Fakten darstellen:
Wir leben in einer Zeit, in der die zunehmende Ver-
breitung von Erregern – hier reden wir über bakterielle
Erreger –, die gegen einen oder mehrere Wirkstoffe re-
sistent geworden sind, zunimmt . Inzwischen sterben in
Europa 25 000 Bürger pro Jahr, weil Antibiotika durch
Resistenzen nicht mehr oder nicht mehr ausreichend wir-
ken (Angabe des Europäischen Parlaments) .
Aber: Laut Zahlen der Deutschen Gesellschaft für
Krankenhaushygiene sterben allein in Deutschland
jährlich 30 000 Menschen an Infektionen durch Kran-
kenhauskeime . Weltweit sterben aktuell jährlich rund
700 000 Menschen aufgrund von Antibiotikaresistenzen;
bei ungehinderter Weiterentwicklung der Resistenzen
wären dies im Jahr 2050 rund 10 Millionen Todesfälle pro
Jahr bei gleichzeitigen Kosten für das Gesundheitswesen
von rund 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr (Prognose
im Auftrag der britischen Regierung, internationale Ver-
einigung pharmazeutischer Hersteller und Verbände) .
Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat Anfang
des vergangenen Jahres 2016 erstmals einen Bericht über
Antibiotikaresistenz veröffentlicht und das Problem als
gravierend beschrieben . Und dies kann ich aus meiner
beruflichen Erfahrung nur in aller Form unterstreichen.
Ende des 19 . Jahrhunderts wurde durch Robert Koch
hier in Berlin eine Ära steigender Lebenserwartungen
mit allgemein verfügbaren Antibiotika eingeläutet . Heu-
te jedoch laufen wir nun Gefahr, uns in einer Post-Anti-
biotika‑Ära wiederzufinden, in der Ärzte über keine Me-
dikamente zur Behandlung von ernsthaften Infektionen
mehr verfügen . Dieses kann und darf nicht sein, und es
ist auch weder notwendig noch unausweichlich .
Zuletzt erschütterte die Nachricht über den Tod ei-
ner 70-jährigen Patientin, die Enterobakterien – einem
Krankenhauskeim – erlag, der gegen alle 26 verfügbaren
Antibiotika resistent ist . Sie hatte sich mutmaßlich auf
einer Indienreise infiziert und erlag der Erkrankung. Die
Patientin stirbt nach erfolgloser Behandlung letztlich an
einer Blutvergiftung .
Vor allem in unseren Krankenhäusern sind multire-
sistente Erreger ein großes und noch weiter wachsendes
Problem . Wir müssen also dringend handeln, liebe Kol-
leginnen und Kollegen .
Es bedarf eines Strukturwandels in unserer Gesund-
heitspolitik sowie einer besseren Vernetzung und Koor-
dination in der Wirkstoffforschung, um hiermit dringend
benötigte neue Heilmittel entwickeln zu können .
Aus diesem Grund haben wir, die CDU/CSU-Fraktion
im Deutschen Bundestag, uns im vergangenen Jahr vehe-
ment für eine „Nationale Wirkstoffinitiative” als überge-
ordnetes Rahmenprogramm im Bundesministerium für
Bildung und Forschung eingesetzt und zusammen mit
dem Koalitionspartner – hier gilt mein herzlicher Dank
dem Kollegen Röspel und seinem Team – in einen Antrag
gegossen .
Warum ist diese „Nationale Wirkstoffinitiative“ not-
wendig? Es gibt eine Vielzahl von institutionellen und
projektbezogenen Fördermaßnahmen im Bereich der
Wirkstoffforschung auf nationaler und internationaler
Ebene . Aber es gibt keine erkennbare übergeordnete
Strategie wie etwa analog zum „Aktionsplan Medizin-
technik“, für den wir uns hier Mitte 2016 erfolgreich
starkgemacht haben .
Wie zuletzt im April 2016 mit Vorstellung der Ergeb-
nisse des ressortübergreifenden Pharmadialogs will das
BMBF die Förderung neuartiger Therapieansätze und
Diagnostika für bakterielle Infektionen ausbauen .
Die Forderung von „der Aufnahme einer Forschungs-
förderung für neue Wirkstoffe“ haben wir auch schon mit
in unseren Koalitionsvertrag 2013 verhandelt . Wir kom-
men also quasi nun zur dringend notwendigen Umset-
zung einer dringend notwendigen neuen Strategie .
Koalitionsvertrag, Seite 25: „Wir werden die Wirk-
stoffforschung stärken, um beispielsweise im Bereich
der Antibiotika zur Bekämpfung von Multiresistenz und
Sepsis die Entwicklung neuer Medikamente zu fördern .“
Und genau darum geht es in unserem Antrag . Wir brau-
chen neue Präparate, die als Reserve dienen, wenn alle
anderen Mittel versagen .
Die scheinbar berechtigte Kritik, dass die Pharmain-
dustrie hier die Entwicklung neuer Antibiotika vernach-
lässigt, ist zwar nachvollziehbar, aber nicht fair . Wir
verlangen als Gesellschaft hier die sehr kostenintensive
Entwicklung von neuen Medikamenten, mit der zugleich
damit verbundenen Aussage, dies nicht oder nur sehr re-
striktiv zum Einsatz kommen zu lassen .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721628
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Wir haben insofern hier einen gesamtgesellschaftli-
chen Auftrag, Forschung, Testung und Produktion von
Antibiotika gemeinsam zu realisieren . Aus anderen Be-
reichen der Gesundheitswirtschaft am Beispiel der PDPs
(Product Development Partnerships; auch: Produktent-
wicklungspartnerschaften) kennen wir dies bereits . Hier
hat man alternative Methoden gefunden, um die Proble-
matik der Wirtschaftlichkeit anzugehen .
Weiter zeigt auch der achtbare Erfolg vom 22 . Januar
von Minister Schmidt, beim G-20-Agrarministertreffen
in Berlin, bei der Nutzung von Antibiotika als Wachs-
tumsförderer in der Landwirtschaft auszusteigen . Auch
soll die Behandlung von kranken Tieren mit Antibiotika
verringert werden .
Bevor hier aber voreilig Ursachen einseitig verteilt
werden: Auch der Einsatz von Antibiotika in der Hu-
manmedizin sollte zurückhaltender erfolgen – nämlich
da, wo wirklich notwendig –, und die Patienten müssen
die Schemata auch eigenverantwortlich durchgehend
einnehmen und nicht bei Wiederlangen des Wohlgefühls
selbstständig die Medikamente absetzen .
Alle müssen zusammenwirken, damit der Rückfall in
Zeiten von Pest und Co . verhindert wird . Es ist unsere
Verantwortung, eine zukunftsweisende Politik zu gestal-
ten .
Mit dieser neuen „Nationalen Wirkstoffoffensive“
haben wir nun eine Art „Schuhlöffel“ gefunden, der uns
hier hineinhelfen soll: in einen begonnenen Prozess einer
dringend notwendigen Weiterentwicklung der Wirkstoff-
forschung, in einer langfristig angelegten Strategie, einer
konzertierten Aktion aller an diesem Prozess Beteiligten
in Forschung, Industrie und Gesellschaft .
Und dies soll der Anfang sein .
Patricia Lips (CDU/CSU): Die Zahlen sind alarmie-
rend: Allein in Europa sterben rund 25 000 Menschen pro
Jahr an Infektionskrankheiten, weil die jahrzehntelang
verlässliche pharmazeutische Allzweckwaffe, das Anti-
biotikum, nicht mehr hinreichend wirkt . Weltweit sollen
es 700 000 Opfer der Antibiotikaresistenz sein, Tendenz
stark steigend .
Die moderne Medizin ist in allen Stufen der Bakteri-
enbekämpfung, von der alltäglichen Atemwegsinfektion
bis zur Hightechversorgung wie in der Transplantations-
medizin, grundsätzlich in Gefahr, wenn Antiinfektiva
versagen . Es ist nicht übertrieben, wenn Experten der
WHO vor einer post-antibiotischen Ära warnen, in der
schließlich schon eine vermeintlich harmlose Wund-
infektion wieder lebensbedrohlich und tödlich werden
kann .
Diese enorme Gefahr hat damit zum einen globale
Ausmaße erreicht, denn wir sind eine Welt und haben
eine Welt-Gesundheit als kollektives Gut, weil Krank-
heiten vor Grenzen nicht Halt machen .
Gleichzeitig ist sie aber auch für jeden von uns greif-
bar; es geht eben nicht (mehr) um Epidemien in fernen
Ländern, wie zum Beispiel bei den sogenannten armuts-
assoziierten Krankheiten .
Nein, wir sind auch hier in Deutschland mit seiner
Medizinversorgung auf höchstem flächendeckenden Ni-
veau nicht auf der Insel der Glückseligen, sondern selbst
direkt gefährdet . Denn auch hierzulande versagen her-
kömmliche Antibiotika immer häufiger gegen multiresis-
tente Keime .
Wer von uns kennt nicht aus dem unmittelbaren Fami-
lien- und Freundeskreis bereits die Fälle lebensbedroh-
licher Krankenhausinfektionen mit dem Keim MRSA .
Oder war gar selbst schon einmal durch eine Infektion
ernsthaft oder gar lebensbedrohlich erkrankt, und die An-
tibiotika schlugen nicht oder erst spät an? Die Gefahr ist
also allgegenwärtig und absolut real .
Hinzu kommt, dass die Erforschung neuer Arzneimit-
tel teuer und riskant ist; der Antibiotikamarkt liefert nicht
die gewünschten Erträge, ist also nicht rentabel ange-
sichts sehr hoher Investitionen .
Unter den deutschen Pharmakonzernen forschen gera-
de noch zwei an neuen Antibiotika, und es werden kaum
neue Medikamente auf den Markt gebracht; die Entwick-
lungszeiten von der Idee bis zur Anwendung betragen für
neue Medikamente rund 14 Jahre . Wir müssen also ein
strukturelles Marktversagen feststellen .
Aktuell sehr präsent ist die Diskussion nicht nur in
der medizinischen und gesundheitswissenschaftlichen
Fachcommunity, sondern war zum Beispiel auch The-
ma kürzlich beim Forum Bioethik des Ethikrates und
ist Gegenstand einer sehr grundlegenden Stellungnahme
der Leopoldina . Der Befund ist eindeutig: Wir benötigen
dringend neue Wirkstoffkandidaten für wirksame Antiin-
fektiva und dazu neue innovative Wege der Arzneimittel-
entwicklung .
Was wurde bereits getan, und was ist weiter zu tun?
Ressortübergreifend wurde die Deutsche Antibiotika-Re-
sistenzstrategie entwickelt . Die Wirkstoffforschung wird
durch mehrere Förderformate des Bundesministeriums
für Bildung und Forschung unterstützt, die in unserem
Antrag näher ausgeführt werden . Schließlich will das
Bundesministerium für Bildung und Forschung als Er-
gebnis des Pharmadialogs die Förderung neuartiger The-
rapieansätze und Diagnostika für bakterielle Infektionen
vorantreiben .
Auch außenpolitisch hat die Bundesregierung ge-
handelt und das Thema Antibiotikaresistenz zu einem
Schwerpunkt seiner G-7-Präsidentschaft gemacht; Ak-
tionspläne von EU und WHO zur Antibiotikaresistenz
wurden verabschiedet .
Ich möchte hier auch ausdrücklich unsere internatio-
nale Verantwortung im Hinblick auf die Entwicklungs-
zusammenarbeit betonen und nenne die Stichworte Ebo-
laepidemie oder die vernachlässigten Tropenkrankheiten .
Mit unserem heute vorgelegten Antrag „Pharmazeu-
tische Forschung gegen Infektionskrankheiten stärken –
Nationale Wirkstoffoffensive starten“ wollen wir nun
einen weiteren notwendigen Impuls setzen und eine um-
fassende nationale Strategie für die Wirkstoffforschung
voranbringen .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21629
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Die bisherigen Forschungsansätze müssen im Sinne
einer abgestimmten Gesamtstrategie gebündelt und die
Grundlagenforschung gestärkt werden . Neue Koopera-
tionsformate zwischen Forschung und Industrie müssen
besser gefördert werden . Die Forschungsanstrengungen
zu den drei Infektionskrankheiten mit hoher Mortalität
(Tuberkulose, HIV/Aids und Malaria) wie auch zu den
vernachlässigten Tropenkrankheiten müssen intensiviert
werden .
Neben der Entwicklung neuer Medikamente und An-
tibiotika sind als weitere Maßnahmen im Sinne einer Ge-
samtstrategie auch eine bessere Information von Ärzten
und Patienten über die Gefahren von Resistenzen und die
Intensivierung von Hygiene- und Präventionsmaßnah-
men erforderlich; ich erinnere hier an die aktuellen Ver-
einbarungen des Pharmadialogs vom letzten Jahr .
Wir müssen schließlich dafür Sorge tragen, dass der
Antibiotikagebrauch in der Human- und Veterinärmedi-
zin auf das unbedingt Erforderliche reduziert wird, damit
das Antibiotikum weiter verlässlich Leben retten kann .
Der vorliegende Antrag ist selbstredend nicht isoliert
zu betrachten, sondern reiht sich ein in unsere Ziele, An-
träge und Förderprojekte zur Verbesserung der Gesund-
heitsforschung, insbesondere zur Beschleunigung des
Innovationstransfers oder auch zur Forschung bei ver-
nachlässigten, armutsassoziierten Krankheiten . Er passt
sich ein in unser Konzept zur Förderung der Gesund-
heitsforschung und -versorgung, lokal, national wie auch
global . Denn unsere Gesundheit ist das höchste Gut, das
es zu schützen gilt .
Bei allen berechtigten Sorgen das Gute zum Schluss:
Die Koalitionsfraktionen haben gehandelt . Ich freue
mich, dass wir bereits in den letzten Haushaltsberatungen
für die nächsten vier Jahre im Einzelplan 30 20 Millio-
nen Euro für die Wirkstoffforschung im Rahmen einer
neuen Initiative einstellen konnten . Dafür danke ich den
Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuss und
dem Ministerium und freue mich auf die weiteren Bera-
tungen im Ausschuss .
René Röspel (SPD): „Wir werden die Wirkstofffor-
schung stärken, um beispielsweise im Bereich der Anti-
biotika zur Bekämpfung von Multiresistenzen und Sep-
sis die Entwicklung neuer Medikamente zu fördern .“ So
steht es im Koalitionsvertrag, und ich freue mich, dass
wir heute mit dem vorliegenden Antrag dieses Vorhaben
weiter umsetzen . Ich hätte mir allerdings gewünscht,
dass wir dieses wichtige Thema zu einer anderen Uhrzeit
debattieren; denn es ist aktueller denn je und stellt unse-
re Gesellschaft, aber auch die Gesundheitswirtschaft vor
große Herausforderungen .
Denn zurzeit stecken wir in einem Dilemma . Einer-
seits benötigen wir im Vergleich zu früher immer mehr
Medikamente – weil wir älter werden als noch unsere
Vorfahren und auch Volkskrankheiten wie Herz-Kreis-
lauf‑Erkrankungen oder Diabetes immer häufiger vor-
kommen –; andererseits wird die Entwicklung dieser
notwendigen Medikamente aber immer schwieriger .
Eine dramatische Entwicklung zeigt sich gegenwär-
tig insbesondere in der zunehmenden Antibiotikaresis-
tenz und der schwierigen Suche nach neuen Antibiotika .
Noch vor einigen Jahren waren Antibiotika die „Wun-
derwaffe“ der Medizin . Jedes Antibiotikum wirkt auf ein
mehr oder weniger breites Bakterienspektrum und tötet
die Bakterien entweder ab oder sorgt für eine Hemmung
des Wachstums bzw . der Vermehrung des Bakteriums . Im
Idealfall bekämpfen Antibiotika so gefährliche Bakterien
und können selbst schwerste Infektionen heilen . Heute
haben sich jedoch gegen zahlreiche Antibiotika Resis-
tenzen gebildet, wodurch auch einfache Infektionen mit
resistenten Bakterien lebensbedrohlich werden können .
Die Ursachen für Antibiotikaresistenzen sind vielfäl-
tig und nicht alle Resistenzen sind von Menschenhand
verursacht . Einige Bakterien sind bereits aufgrund ihrer
genetischen Eigenschaften gegen Antibiotika unemp-
findlich. Relevanter sind aber heute jene Antibiotika-
resistenzen, die aufgrund vermehrten beziehungsweise
massenhaften Einsatzes in der Human- und Tiermedizin
oder fehlerhafter Anwendung entstehen und gravierende
Folgen für unsere Gesundheit haben können .
Neben der Sensibilisierung der Patientinnen und Pa-
tienten für den richtigen Umgang mit Antibiotika und
ihrem rückläufigen Einsatz in der Landwirtschaft sind
wir insbesondere auf eine starke Wirkstoffforschung an-
gewiesen . Die in diesem Bereich forschenden Wissen-
schaftlerinnen und Wissenschaftler identifizieren neue
Wirkstoffkandidaten, aus denen neue Arzneimittel zur
Behandlung von Infektionskrankheiten und damit auch
neue Antibiotika entwickelt werden können . Antibioti-
karesistenzen müssen hierbei zwar einen Schwerpunkt
bilden, aber auch im Kampf gegen die „großen Drei“ –
Tuberkulose, Malaria und HIV/Aids – sowie die vielen
anderen vernachlässigten und armutsbedingten Krank-
heiten sind neue Medikamente unverzichtbar .
Leider ist die Entwicklung von neuen Arzneimitteln
ein langer, risikoreicher wie kostspieliger Prozess, und
viele Wirkstoffkandidaten scheitern schon in frühen
Entwicklungsphasen . Jahrzehntelange Forschungs- und
Entwicklungsarbeit sowie Kosten zwischen 500 Millio-
nen und 1 Milliarde Euro sind keine Seltenheit . Hinzu
kommt, dass Wirkstoffe, die es bis zur Markteinführung
schaffen, oftmals keine wirklichen „Neuheiten“ sind und
bereits bekannten und bewährten Wirkstoffen ähneln .
An den Universitäten, in der Hochschulmedizin, den
Forschungseinrichtungen und in der Gesundheitswirt-
schaft mangelt es nicht an exzellenten Forscherinnen und
Forschern . Dennoch stockt die Arbeit an neuen Medika-
menten . Deswegen ist es aus meiner Sicht von beson-
derer Bedeutung, dass wir die Grundlagenforschung im
Bereich der Wirkstoffforschung stärken . Nur so können
wir Erkenntnisse über neue Wirkstoffkandidaten erhalten
und innovative Wege in der Entwicklung neuer Arznei-
mittel bestreiten .
Aber auch die klinische Forschung muss weiter ge-
stärkt werden . Die Wirkstoffentwicklung darf nicht aus
Kosten- und Risikogründen vernachlässigt werden . Ich
möchte es noch einmal betonen: Die Wirkstoffforschung
kann nur dann erfolgreich sein, wenn wir alle Phasen
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721630
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der Arzneimittelentwicklung – von der Grundlagenfor-
schung bis zur klinischen Forschung – berücksichtigen
und stärken und dabei die einzelnen Stärken der beteilig-
ten Partner und vorhandene Forschungsinfrastrukturen
für den größtmöglichen Erfolg nutzen und fördern, nicht
nur auf nationaler Ebene, sondern auch in der europäi-
schen und internationalen Zusammenarbeit .
Mit verschiedenen Initiativen, Formaten und der insti-
tutionellen Förderung der Forschungseinrichtungen för-
dert das Bundesministerium für Bildung und Forschung,
auch in ressortübergreifender Zusammenarbeit unter
anderem mit dem Gesundheitsministerium, bereits die
Wirkstoffforschung . Der dramatische Anstieg der Zahl
der Todesopfer aufgrund von resistenten Erregern und
die insgesamt geringe Anzahl von neuen Arzneimitteln
zeigt aber deutlich, dass wir eine verstärkte Forschung
benötigen, damit neue Arzneimittel entwickelt werden
können .
Mithilfe einer Nationalen Wirkstoffoffensive wollen
wir sowohl die Wirkstoffforschung weiter stärken als
auch die nationale und internationale Vernetzung von
universitären und außeruniversitären Forschungseinrich-
tungen sowie Unternehmen vorantreiben . Dafür stellen
wir in den kommenden vier Jahren weitere 21 Millionen
Euro bereit – eine Summe, bei der wir jeden Euro effizi-
ent nutzen und schon vorhandene Maßnahmen ressort-
übergreifend aufeinander abstimmen müssen .
Dass wir die Gefahr erkannt haben, zeigt auch die
Schwerpunktsetzung der deutschen G-20-Präsident-
schaft . Die Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen –
auch mithilfe der Entwicklung neuer Wirkstoffe – steht
ganz oben auf der Agenda . Mit einer starken Wirkstoff-
forschung können wir dieses Ziel erreichen . Mit dem
vorliegenden Antrag ebnen wir dafür den Weg .
Kathrin Vogler (DIE LINKE): Im heute eingebrach-
ten Antrag setzen sich die Koalitionsfraktionen mit einer
der wichtigsten und kritischsten Fragen auseinander, mit
der wir im Bereich der Gesundheitsforschung konfron-
tiert sind: Antibiotika haben im 20 . Jahrhundert zweifel-
los einen großen Beitrag zur Bekämpfung von lebens-
bedrohlichen Infektionserkrankungen geleistet . Noch im
19 . und frühen 20 . Jahrhundert sind die Menschen mas-
senhaft an bakteriellen Erkrankungen wie Cholera, Ty-
phus, Syphilis, Wundbrand oder Tuberkulose gestorben .
Erst die Entwicklung des Penicillins, dem später weitere
Wirkstoffe folgten, nahm dieser tödlichen Gefahr ihren
Schrecken .
Doch der Schrecken kehrt zurück. Immer häufiger
infizieren sich Menschen mit Keimen, gegen die die
gängigen Antibiotika nichts mehr ausrichten können .
Multiresistente Erreger sind eine große und zunehmende
Gefahr für die öffentliche Gesundheit . Schon heute ster-
ben allein in Deutschland mehr Menschen an resistenten
Erregern als an Verkehrsunfällen oder an Aids .
Warum entwickeln die Arzneimittelhersteller in so ei-
ner Situation nicht vorrangig neue Antibiotika? Auch da-
rauf weisen die Koalitionsfraktionen in ihrem Antrag hin:
Die Gewinnerwartung für die Unternehmen ist zu gering .
Antibiotika haben aus Sicht der Unternehmen nämlich
den Nachteil, dass sie nicht dauerhaft eingenommen wer-
den dürfen . Gerade mit neuen Mitteln gegen die multire-
sistenten Keime wird man besonders restriktiv umgehen
müssen, um keine neuen Resistenzen zu erzeugen . Und
die größte Krankheitslast zum Beispiel bei Tuberkulose
tragen die Menschen in armen Ländern mit schwachen
Gesundheitssystemen, die sich teure neue Arzneimittel
nicht leisten können .
Deswegen fordern Sie nun zu Recht, dass der Staat
mehr Geld in die Hand nehmen muss, um die Erfor-
schung und Entwicklung neuer Wirkstoffe und Arznei-
mittel zu fördern . Doch Ihr Ansatz ist unzureichend, weil
Sie sich nicht aus dem markt- und gewinnorientierten
Denken lösen können .
Was wir brauchen, ist ein grundsätzliches Umsteuern
in der Gesundheitsforschung . Die Weltgesundheitsorga-
nisation beschreibt den höchstmöglichen Gesundheitszu-
stand als Menschenrecht, das jedem Menschen unabhän-
gig von seiner Herkunft und sozialen Situation zusteht .
Dementsprechend ist es nicht Aufgabe privatwirtschaft-
licher Unternehmen, dieses Recht zu sichern, sondern
Aufgabe der Staaten .
Die Grundlagenforschung und auch die klinische
Erprobung mit Steuergeldern zu fördern, dann aber die
Patente und damit zukünftige Erträge in der Hand der
Unternehmen zu lassen, ist im Kern eine Umverteilung
aus den Taschen der Steuerzahler in die Taschen der Ak-
tionäre von Bayer, Pfizer und Co. Wir schlagen Ihnen
daher vor: Ändern Sie die Hochschulgesetze oder das
Patentrecht so, dass öffentlich finanzierte Forschungser-
gebnisse auch in staatlicher Hand bleiben! Die so entwi-
ckelten Medikamente könnten dann in Lizenz produziert
werden – überall auf der Welt, zu Preisen, die auch die
Armen bezahlen können .
Und auch die Forschungsstruktur in den deutschen
Hochschulen wurde und wird von Ihnen nicht in Rich-
tung Allgemeinwohl umgestaltet . Teil des Problems ist
doch, dass die Hochschulen und Forschungseinrichtun-
gen eben in ihrer Forschung nicht vorwiegend am All-
gemeinwohl orientiert sind, weil sie angewiesen sind auf
externe Zuwendungen, sogenannte Drittmittel, für jedes
einzelne Forschungsprojekt . Auch die prekäre Situation
der allermeisten Nachwuchsforscher, die sich von einem
befristeten Vertrag zum nächsten hangeln, steht einer
Kontinuität und Nachhaltigkeit in der medizinischen,
biochemischen und pharmakologischen Forschung dia-
metral entgegen .
Auch hier vermisse ich Vorschläge zum Umsteuern .
Die Entwicklung neuer Antiinfektiva ist eine gesamtge-
sellschaftliche Aufgabe von einem Format, das mutige
und politisch unbequeme Entscheidungen erfordert .
Die von Ihnen geforderte Nationale Wirkstoffoffensi-
ve wird wohl doch eher ein Offensivchen; denn Sie for-
dern ja Mittel dafür lediglich „im Rahmen der zur Verfü-
gung stehenden Haushaltsmittel“ . Mit den 17 Millionen
Euro, die im Haushalt eingestellt sind, kommen Sie aber
nicht weit . Und den Antrag der Linken zum Haushalts-
plan über 500 Millionen Euro für nichtkommerzielle,
industrieunabhängige Pharmaforschung haben Sie ja ab-
gelehnt .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21631
(A) (C)
(B) (D)
Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Krank-
heitserreger, gegen die keine Antibiotika mehr wirken,
sind eine zunehmende Gefahr für die menschliche Ge-
sundheit . Sie sind zugleich eine drängende Herausfor-
derung für die Forschung . Denn Antibiotikaresistenzen
nehmen weltweit zu, und alte Wirkstoffe stoßen an ihre
Grenzen .
Viele forschende Arzneimittelhersteller haben sich
in der Vergangenheit aus der Antibiotikaforschung zu-
rückgezogen, weil andere Bereiche lukrativer schienen .
Dieses Marktversagen führte zu einer Forschungslücke .
Der Nachschub an neuen Entwicklungen in der For-
schungspipeline versiegt . Im Antrag der Koalition wird
richtigerweise darauf hingewiesen, dass die in den letz-
ten Jahren neu auf den Markt gekommenen Produkte
letztlich nur „Me-Too-Präparate“ sind, also Medikamen-
te ohne echten Zusatznutzen .
In der Problemanalyse liegen wir also nah beieinan-
der . Nun ist aber die Frage, was kluge Forschungsför-
deransätze sind, die helfen, das Problem nachhaltig in
den Griff zu bekommen . Und da ist es zu wenig, vor al-
lem auf mehr Kooperation zwischen Unternehmen und
öffentlich geförderten Forschungseinrichtungen zu set-
zen und eine „Nationale Wirkstoffinitiative“ auszurufen.
Ihre Vorschläge sind vor allem zu wenig innovativ . Sie
ducken sich zum Beispiel weg bei der doch auf der Hand
liegenden Frage: Was können wir eigentlich konkret ler-
nen aus der Diskussion um das Marktversagen bei den
„vernachlässigten Krankheiten“ für die Antibiotikafor-
schungsförderung? Denn die Ausgangslage ist doch eine
ähnliche: Auch der Markt der „vernachlässigten Krank-
heiten“ ist für „Big Pharma“ zu wenig finanziell attrak-
tiv, sodass es an Forschung und Entwicklung mangelt .
Deshalb setzt das BMBF beispielsweise auf Produktent-
wicklungspartnerschaften . Auch andere Instrumen-
te wie Knowledge Sharing oder die Entkoppelung von
Entwicklungskosten und Produktpreis werden diskutiert
und wären lohnenswert, auf ihr Potenzial für die Antibio-
tikaforschung übertragen zu werden . Da zeigt sich der
Antrag aber leider ideenarm .
Ich vermisse auch, dass ein Instrument, welches in
der internationalen Diskussion viel debattiert wird, näm-
lich das eines globalen Antibiotikaforschungsfonds,
von Ihnen mit keiner Silbe erwähnt wird . Was geben
Sie der Bundesregierung in den kommenden G-7- und
G-20-Prozessen zu diesem Ansatz auf den Weg? Dazu
schweigt der Antrag und vergibt hier die Chance, die De-
batte voranzutreiben .
Klar ist auch: Selbst wenn Maßnahmen aus dem Koa-
litionsantrag die Pharmaindustrie beflügelten, neue Ent-
wicklungen auf den Markt zu bringen – bis wir tatsäch-
lich über diese neuen, dringend benötigten Medikamente
verfügen, werden noch Jahre vergehen . Deshalb ist es
wichtig, seitens der Forschung auch Lösungsansätze jen-
seits der Pharmazie in den Blick zu nehmen, die schneller
Wirkung entfalten können .
Dazu gehört, sich anzuschauen, welche Gründe für
die zunehmenden Antibiotikaresistenzen bestehen und
wie Prävention möglich ist . Das baden-württembergische
Wissenschaftsressort zum Beispiel fördert ein Verbund-
projekt der drei Universitätsklinika Tübingen, Freiburg
und Heidelberg, das mögliche Wege einer Übertragung
von antibiotikaresistenten Bakterien vom Tier auf den
Menschen untersucht, und zwar vor allem durch den Ver-
zehr von Fleisch . Solche Fragestellungen helfen weiter,
weil sie eines Tages Ideen zur Ursachenbekämpfung lie-
fern können .
Auf einigen Gebieten mangelt es allerdings gar nicht
so sehr an Erkenntnissen, sondern wir haben es mit Um-
setzungsdefiziten zu tun. So ist es der verbreitete Einsatz
von Antibiotika in der Landwirtschaft, die dann über die
Nahrungskette und nicht zuletzt über das Trinkwasser
von uns Menschen aufgenommen werden .
Ebenfalls wichtig sind Hygiene-Standards, übrigens
nicht nur im Krankenhaus, sondern auch in Pflegehei-
men oder in den Rettungswagen . Personalschlüssel an
besonders vulnerablen Orten wie Intensivstationen oder
Frühchenstationen oder auch das Screening von Risiko-
patienten sind weitere wichtige Ansatzpunkte .
Die Beispiele zeigen: Es sind nicht allein die phar-
mazeutischen Antworten, die uns weiterbringen können .
Vielmehr muss Gesundheitsforschung auch Perspektiven
integrieren, die auf soziale Innovationen und transdiszi-
plinäre Forschung abzielen, beispielsweise um Prozes-
sabläufe in der Krankenversorgung besser zu organi-
sieren . Bei all diesen Baustellen erwarten wir, dass die
Koalition in und über die Wirkstoffinitiative hinaus aktiv
wird, um Infektionskrankheiten wirksam einzudämmen .
Anlage 10
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des von der Bundesregierung ein
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das
Fahrlehrerwesen und zur Änderung anderer stra
ßenverkehrsrechtlicher Vorschriften (Tagesord
nungspunkt 25)
Patrick Schnieder (CDU/CSU): Als wir im
Jahr 2013 den Koalitionsvertrag aufgesetzt haben, haben
sich die zukünftigen Herausforderungen des Verkehrs
bereits am Horizont abgezeichnet . Um diese Veränderun-
gen zu bewältigen, reicht es nicht, an der Infrastruktur zu
arbeiten . Wir müssen an den Verkehrsteilnehmern arbei-
ten, die am Verkehr der Zukunft teilhaben werden . Und
wir setzen – so wie wir es damals beschlossen haben –
bei der Fahrausbildung und den Fahrlehrern an .
Auch wenn die Verbesserung der Qualität der ver-
kehrspädagogischen Ausbildung das Ausgangsmotiv für
die vorliegende Reform war, hat sich eine ganze Reihe
von weiteren Problemen aufgetan, vor denen deutsche
Fahrschulen heute stehen . Daher greifen wir mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf nicht nur das Koalitionsver-
sprechen auf, sondern nehmen auch die hinzugetretenen
Probleme der Gegenwart gleich mit ins Visier:
Wir stellen fest, dass die Anzahl der Personen mit
Fahrlehrerlaubnis kontinuierlich abnimmt . Sie ist das
siebte Jahr in Folge gesunken, auf nun 45 238 Personen .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721632
(A) (C)
(B) (D)
Gleichzeitig steigt das Durchschnittsalter der Fahrlehrer
in Deutschland seit 2006 an und liegt aktuell bei 53 Jah-
ren . Der überwiegende Teil der Fahrlehrerlaubnisinha-
ber (75,5 Prozent) ist im Jahr 2015 45 Jahre oder älter
und wird sich in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren
aus dem Beruf verabschieden . Die Altersstruktur ist ein
großes Problem für die Branche . Daher müssen wir neue
Wege gehen, um den Beruf attraktiver und zukunftsfähig
zu machen .
Auch der Frauenanteil an den Fahrlehrern sollte sich
ändern . Frauen stellen derzeit weniger als 9 Prozent aller
Fahrlehrer in Deutschland . Die Zeiten, in denen das Auto
und Fahrschulen eine reine Männerdomäne sind, sollten
jedoch längst gezählt sein .
Und nicht zuletzt hängt der Nachwuchsmangel auch
mit der fehlenden finanziellen Perspektive des Berufes
zusammen . Das Gehalt der Fahrlehrer schwankt je nach
Region und Auftragslage enorm . Im Jahr 2014 waren
rund 10 000 Fahrschulen in Deutschland registriert .
Die Fahrschulen erwirtschafteten im Schnitt etwas über
42 000 Euro je beschäftigter Person . Der Sachaufwand
und die sonstigen betrieblichen Aufwendungen verzeh-
ren jedoch große Teile des Umsatzes . In strukturschwa-
chen Gebieten mit wenigen Fahrschülern und niedrigen
Fahrstundenpreisen verdienen Fahrlehrer tatsächlich oft
nicht mehr als 1 400 Euro brutto . Nur in Ballungsgebie-
ten mit höheren Fahrstundenpreisen und einem größeren
Schülerpool sind höhere Verdienste möglich . Der Netto-
lohn eines deutschen Fahrlehrers ist mehr als bescheiden;
für viele Fahrlehrer ist es schwierig, den Lebensunterhalt
alleine mit Fahrstunden zu bestreiten, und gänzlich un-
möglich, etwas für das Alter zurückzulegen . Die Nach-
wuchsprobleme kriegen wir so jedenfalls nicht in den
Griff .
Hinzu kommt eine sinkende Nachfrage nach Fahr-
stunden. Der demografische Wandel macht auch vor den
Fahrschulen nicht halt . Die Zahl der Fahrerlaubnisprü-
fungen ist zwischen 2006 und 2013 jedes Jahr gesunken,
erst seit 2014 steigt sie wieder leicht . Die Zahl der Fahr-
schüler sank bundesweit zuletzt von etwa 1 Million auf
rund 800 000, und der Wettbewerbsdruck in der Branche
verschärft sich . Die Fahrschulen als verkehrspädagogi-
sche Kleinbetriebe spüren die Auswirkungen der gebur-
tenschwachen Jahrgänge mehr als deutlich .
Neben der Alterung der Gesellschaft führen Experten
die Zahlen auch auf den sinkenden Stellenwert des Au-
tomobils zurück . Der öffentliche Nahverkehr ist in den
deutschen Großstädten ausreichend attraktiv; ein Auto
wird zunehmend überflüssig. Laut Studien gibt die ju-
gendliche Zielgruppe ihr Geld im Zweifel eher für Reisen
oder das neueste Smartphone als für den Führerschein
aus . Wir beobachten, dass das Auto in den Städten zuse-
hends vom Statussymbol zu einer Dienstleistung mutiert .
Der Verkehr wandelt sich in einer Geschwindigkeit,
die vor wenigen Jahren noch nicht abzusehen war . Und
mit ihm wandeln sich die Anforderungen an die Verkehrs-
teilnehmer . Wir sind aufgefordert, zu reagieren und bei
der Wissensvermittlung durch die Fahrlehrer anzusetzen .
Deren Berufsstand ist auch in Zukunft nicht in Gefahr;
die Berufsbeschreibung dürfte sich jedoch grundlegend
ändern . Es geht nicht länger nur um Sicherheitsabstand
und Schulterblick . Aus Fahrlehrern werden Mobilitätsbe-
rater und Fahrzeugsoftware-Pädagogen .
Der Vorwurf, die deutschen Fahrschulen würden bei
den praktischen Prüfungen hohe Durchfallquoten herbei-
führen, um durch die zusätzlichen Fahrstunden die Ein-
bußen durch den allgemeinen Rückgang an Fahrschülern
zu kompensieren, kann durch einen einfachen Blick in
die Statistik widerlegt werden . Die Durchfallquoten bei
den praktischen Prüfungen sind seit Jahren annähernd
identisch und liegen zwischen 25 und 26 Prozent . Die
Durchfallquoten der Theorieprüfung steigen jedoch kon-
tinuierlich . Hier sollte die Schuld nicht bei den Fahrleh-
rern gesucht werden . Stattdessen müssen wir uns fragen,
wie wir die insbesondere auf dem Land immer jünger
werdenden Fahrschüler besser auf die theoretische Prü-
fung vorbereiten und ihnen die Prüfungsnervosität neh-
men .
Es ist zu beobachten, dass Jugendliche heute mehr
Unterricht als noch vor 20 Jahren nehmen müssen . Zu
ständig neuen Vorschriften und Verboten kommen mit
dem Kreisverkehr oder dem Grünpfeil auch neue Ver-
kehrselemente hinzu . Die unaufhaltsame Automatisie-
rung bringt beinahe monatlich neue Assistenzsysteme
hervor, die Fahraufgaben übernehmen oder unterstützen
können . Schon heute macht die Einweisung in Abstands-
und Parkassistenten, elektronische Anfahrtshilfen und
Spurhaltesysteme 5 Prozent der Fahrunterrichtszeit aus .
Dennoch muss der Fahrzeugführer auch in absehbarer
Zukunft zahlreiche, auch nicht-fahrbezogene Aufgaben
weiterhin selbst erfüllen . Auch teilautomatisierte Fahr-
zeuge müssen in einen betriebs- und verkehrssicheren
Zustand gebracht werden; die Assistenzsysteme müssen
kontrolliert werden .
Die neuen Technologien sind für die Fahrlehrer selbst-
redend auch mit höherem Sachaufwand verbunden, wenn
bestehende Fahrzeuge nachgerüstet werden müssen .
Damit die Anzahl der erforderlichen Fahrstunden nicht
wesentlich steigt und der Führerscheinerwerb bezahlbar
bleibt, muss der Fahrunterricht noch besser und effizien-
ter werden .
Bedauerlicherweise sind Fahranfänger weiterhin die
am stärksten unfallgefährdete Gruppe aller Verkehrsteil-
nehmer . Viele Fahranfänger überschätzen ihr Können .
Dieses Gefühl falscher Souveränität ist die Ursache
dafür, dass sie in den ersten Monaten nach der bestan-
denen Fahrprüfung überdurchschnittlich viele schwere
Unfälle verursachen . Erst mit steigender fahrpraktischer
Erfahrung nimmt das Unfallrisiko merklich ab . Dies un-
terstreicht die Bedeutung, die Aneignung von Fahrkom-
petenz vor dem Beginn des selbstständigen Fahrens zu
optimieren .
Vor dem Hintergrund dieser Herausforderungen ist es
wichtig und notwendig, dass wir als Gesetzgeber reagie-
ren . Die zentrale Frage ist: Wie können wir die Qualität
der Fahrausbildung erhöhen, die Nachwuchsprobleme
der Fahrlehrerbranche beheben und die Einnahmensi-
tuation der Fahrschulen verbessern, ohne dass sich die
Kosten für die Fahrschüler weiter erhöhen?
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21633
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(B) (D)
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf präsentieren wir
vier Instrumente, mit denen wir die Probleme angehen .
Erstens . In Zeiten von Nachwuchsmangel ist es die
richtige Entscheidung, den Zugang zum Beruf des Fahr-
lehrers durchlässiger und flexibler zu gestalten. Wir
senken das Mindestalter auf 21 Jahre ebenso ab wie die
horrenden Gebühren, die bislang bei den für die Prü-
fungsabnahme zuständigen technischen Prüfstellen fällig
werden . Die grundsätzliche Eignung wollen wir nicht
aufweichen . Der Fahrlehrbewerber muss in Zukunft min-
destens eine abgeschlossene Berufsausbildung in einem
anerkannten Lehrberuf oder eine gleichwertige Vorbil-
dung besitzen . Aber auch hier sollen Ausnahmen mög-
lich werden und für mehr Flexibilität sorgen .
Zweitens . Die Fahrlehreraus- und -weiterbildung wird
dem Verkehr von heute und der Realität von morgen an-
gepasst . Hierfür haben wir die Inhalte, Methoden und
organisatorischen Abläufe der Fahrschulausbildung in
Deutschland einer kritischen Betrachtung unterzogen .
Innovationen wie Elektromobilität und Teilautomati-
sierung halten ebenso Einzug in den Lehrplan wie die
Schärfung der Vermittlung verkehrspädagogischer Kom-
petenzen, die Verkehrswahrnehmung und die Gefahren-
vermeidung in der Praxis . Das selbstständige Theorieler-
nen der Fahrschüler soll besser vorbereitet werden, auch
mithilfe der Implementierung von Smartphone-Apps und
interaktiven Lernformen . Gleichzeitig erhält die Ausbil-
dung der Fahrlehrer eine optimierte zeitliche Abfolge,
und die Anforderungen an Ausbildungsfahrschulen und
die Fahrlehrerfortbildung werden präzisiert .
Drittens . Um die Einhaltung der Vorschriften zu ga-
rantieren, schaffen wir den Rahmen für eine bundesein-
heitliche Überwachung der Fahrschulen . Die Vorgaben
für das Fahrlehrerpersonal werden ebenso präzisiert wie
die Maßnahmen, die bei einer Feststellung von Mängeln
ergriffen werden . Auch die Schulung des mit der päda-
gogischen Überwachung betrauten Personals wird klar
geregelt . Die Überwachungsfristen bleiben unverändert .
Die Länder erhalten großzügige Übergangsregelungen
und können die Details auch danach in eigener Zustän-
digkeit ausgestalten .
Viertens . Besonders problematisch ist die Frage, wie
man die Einnahmensituation der Fahrschulen verbessern
kann, ohne dass die Preise für Fahrstunden erhöht wer-
den . Bereits heute werden für theoretische und praktische
Prüfung zusammen bis zu 1 900 Euro fällig . Für die Füh-
rerscheinaspiranten, die durch eine Prüfung fallen, wird
es noch teurer . Ich möchte aber unter keinen Umständen
sehen, dass der Führerschein, der ja auch für nicht weni-
ge Stellen ein Einstellungskriterium ist, zu einem Privi-
leg von Kindern besserverdienender Familien wird . Da-
her verfolgen wir einen anderen Ansatz .
Die Kostenstrukturerhebungen deutscher Fahrschulen
zeigen, dass die Bruttogehälter und Sozialaufwendungen
im Jahr 2014 nur 39 Prozent der Ausgaben deutscher
Fahrschulen umfassten . In der Konsequenz sind 61 Pro-
zent der Ausgaben sachgebunden und durch Synergieef-
fekte potenziell absenkbar . Daher setzen wir auf Entbü-
rokratisierung und Kooperation .
Indem wir die Anforderungen an Unterrichtsräume
vereinfachen, arbeitsrechtliche Spezialvorgaben strei-
chen und nicht mehr zeitgemäße Nachweispflichten weg-
fallen, werden die Fahrschulen um mehr als 84 Millionen
Euro pro Jahr entlastet . Die Fahrschulen sollen weniger
Zeit mit Formalien verbringen müssen und mehr Zeit für
ihre Schüler erhalten .
Gleichzeitig wollen wir den Fahrschulen die Tür für
Kooperationen öffnen, um Sachkosten aufteilen zu kön-
nen . Neu werden Gemeinschaftsfahrschulen auch für
Fahrschulinhaber unterschiedlicher Klassen möglich .
Außerdem wird Fahrschulen die Möglichkeit gegeben,
dort, wo es Sinn macht, einzelne Ausbildungsteile an
eine kooperierende Fahrschule zu übertragen . Auch die
bestehende Beschränkung der maximal möglichen An-
zahl von Zweigstellen soll entfallen . Gleichzeitig erwar-
ten wir, dass die Kooperationsmöglichkeiten nicht dazu
führen, dass pädagogische Verantwortungen verwischt
werden . Es wird daher festgelegt, dass der Auftraggeber
eines Ausbildungsteils die Gesamtverantwortung trägt,
während die kooperierende Fahrschule die übernom-
mene Teilausbildung verantwortet . Um dies zuverlässig
überprüfen zu können, sind auch die kooperierenden
Fahrschulen aufgefordert, Dokumentationen und Auf-
zeichnungen bereitzuhalten .
Es gibt jedoch einen Punkt, den ich kritisch sehe, und
das ist der im Entwurf vorgesehene Ausschluss von Be-
schäftigungsverhältnissen mit freien Mitarbeitern . Ich
kann nicht nachvollziehen, aus welchem Grund Fahr-
schulen – insbesondere auch in Zeiten schwankender
Auftragslagen – auf einen Zugang zu freischaffenden
Fahrlehrern verzichten sollten . Die Beschäftigungs-
statistik verrät, dass freiberufliche Fahrlehrer heute die
Ausnahme sind . Gleichzeitig nimmt die Zahl der sozi-
alversicherungspflichtig und geringfügig beschäftigten
Fahrlehrer kontinuierlich zu: allein seit 2012 um 13 Pro-
zent. Die Fahrschulbranche befindet sich bereits inmitten
eines Strukturwandels . Ich verstehe nicht, weshalb man
den Fahrschulen an dieser Stelle Flexibilität nehmen soll-
te .
Eine Senkung der allgemeinen Gebührenlast würde
uns hingegen nicht weiterbringen . Die deutschen Fahr-
schulen führen bereits heute weniger als 1 Prozent ihres
Umsatzes als Steuern und öffentliche Abgaben ab .
Der vorliegende Gesetzentwurf versucht viel, und
ihm gelingt viel . Wir bereiten unsere Fahrschüler nicht
nur auf die Herausforderungen von morgen vor, sondern
senden über die Reform auch wichtige Entwicklungsim-
pulse an die Fahrschulbranche . Den Fahrlehrern wird ein
ausreichender Spielraum eröffnet, den für die Kompe-
tenzvermittlung erforderlichen Ausgleich zwischen der
Einhaltung vorgeschriebener Ausbildungsstandards und
einer pädagogischen Individualisierung der Lehrinhalte
herbeizuführen .
Stefan Zierke (SPD): Das Fahrlehrergesetz ist in
der jetzigen Form nicht mehr auf dem aktuellen Stand .
Mehrfach sind Fahrschulverbände an uns herangetreten .
Eigentlich wird eine Reform schon seit Jahren gefordert
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721634
(A) (C)
(B) (D)
und ist auch meiner Einschätzung nach seit Jahren über-
fällig .
Sowohl die Ausbildung der Fahrschüler als auch der
Fahrlehrer ist – insbesondere unter pädagogischen Ge-
sichtspunkten – nicht mehr zeitgemäß . Rahmenbedin-
gungen und Anforderungen ändern sich, und dann müs-
sen wir auch die gesetzlichen Gegebenheiten anpassen .
Schon heute sind zum Beispiel Fahrsimulatoren mög-
lich . Diese können Situationen simulieren, die schlecht in
realen Situationen darstellbar sind, aber als Übung eine
gute Grundlage für sicheres und kontrolliertes Fahren
bilden . Dies ist jetzt nur ein Beispiel, dass der aktuelle
Gesetzesrahmen nicht mehr den tatsächlichen und tech-
nischen Voraussetzungen entspricht und daher Bedarf
besteht, das Gesetz zu modernisieren .
Dies hat die Koalition im Koalitionsvertrag aufge-
nommen und der Bundesregierung ins Stammbuch ge-
schrieben . Es gilt, die Ausbildung der Fahranfänger zu
verbessern und die Qualität der pädagogischen Ausbil-
dung der Fahrlehrer zu erhöhen .
Mit dem nun vorliegenden Gesetzentwurf werden da-
her einige Punkte aufgenommen, die ich kurz aufzählen
und erläutern möchte:
Erstens: Die Kooperationsmöglichkeiten der Fahr-
schulen sollen verbessert werden . Dabei ist es wichtig,
die entsprechenden Aufsichtsmöglichkeiten entspre-
chend zu berücksichtigen .
Zweitens: Die Zugangsvoraussetzungen zum Fahrleh-
rerberuf müssen reformiert werden . Hier gibt es unter-
schiedliche Auffassungen, ob man diese eher enger oder
weiter fassen solle . Nun liegt der Entwurf vor, und wir
werden uns nun auch mit diesem Punkt noch einmal be-
schäftigen und hier mit Blick auf die Praktiker, also die-
jenigen, die es später betrifft, behutsam agieren .
Drittens: Es soll eine Modernisierung der Fahrlehrer-
aus- und -weiterbildung erfolgen . Hier geht es um die
Lehrpläne und das Verfahren der Aus- und Weiterbil-
dung . Das muss nun auch angegangen werden, damit die
Modernisierung nun endlich auf den Weg gebracht wird .
Viertens: Es soll eine Entbürokratisierung stattfinden.
Hier werden wir in den nun zu führenden Diskussionen
einen Mittelweg zwischen Reduzierung von Verwal-
tungsaufwand und notwendiger Kontrolle gehen müs-
sen . Ja, der Verwaltungsaufwand muss reduziert werden .
Aber wir brauchen auch nachvollziehbare Kontrollmög-
lichkeiten .
Fünftens: Die Fahrschulüberwachung soll einheitli-
cher – als dies bisher der Fall ist – stattfinden. Auch hier
müssen wir eventuell noch einmal genauer in das Gesetz
schauen und entsprechende Diskussion im nun anlaufen-
den parlamentarischen Verfahren finden.
Wir werden in den anstehenden Beratungen als
SPD-Bundestagsfraktion darauf hinwirken, dass wir so-
wohl die Interessen der Fahrlehrerinnen und Fahrlehrer,
als auch die Interessen der Fahrschülerinnen und Fahr-
schüler sinnvoll miteinander verbinden .
Es ist ein hohes Gut, ortsnahe und kompetente Fahr-
schulen in ganz Deutschland zu haben . Von der Ucker-
mark bis in den hintersten Bayerischen Wald wollen wir
die Fahrschullandschaft stabilisieren und modernisieren,
damit junge Menschen sicher und verantwortungsvoll
auf unseren Straßen Auto und Motorrad fahren können .
Thomas Lutze (DIE LINKE): Die Linksfraktion be-
grüßt, dass die Koalition doch noch die Vereinbarung des
Koalitionsvertrages umsetzen will, die Ausbildung der
Fahranfänger zu verbessern und auch die pädagogische
Ausbildung der Fahrlehrer zu erhöhen . Dies wurde aller-
höchste Zeit; schließlich hatte die Verkehrsministerkon-
ferenz bereits im April 2012 das Verkehrsministerium
aufgefordert, eine umfassende Reform des Fahrlehrer-
rechts in Angriff zu nehmen, das seit 1969 kaum ange-
passt wurde . Inzwischen steht das Projekt schon in der
dritten Legislatur auf der Agenda . Es ist begrüßenswert,
dass der Gesetzentwurf weitestgehend dem Eckpunkte-
papier der Länder folgt, in dem zahlreiche sinnvolle Vor-
schläge gemacht wurden .
Es wurde dringend Zeit, die Fahrlehrerausbildung,
aber auch gerade die Weiterbildung anzupacken – junge
Fahranfänger sind im Straßenverkehr besonders gefähr-
det . Fahranfänger verursachen immer noch überdurch-
schnittlich viele Unfälle . Aufgrund der fehlenden prakti-
schen Erfahrung im Straßenverkehr wird es sich hierbei
immer um eine Risikogruppe handeln . Doch Verbesse-
rungen in der Fahrausbildung sind ein wichtiger Beitrag
für die Erhöhung der Verkehrssicherheit .
Dass der Besitz der Führerscheine A und C als zwin-
gende Voraussetzung für den Erwerb der Fahrlehrerlaub-
nisklasse BE wegfallen soll, ist erst einmal begrüßens-
wert . Oft wird der Lkw- und Motorradführerschein von
den Fahrlehrern nicht gebraucht . Durch diese Änderung
wird der Zeitaufwand reduziert, und es sinken vor allem
auch die Kosten für die Ausbildung . Die ohnehin schon
zu geringe Zahl an Fahrlehreranwärtern würde in der Zu-
kunft ansonsten weiter sinken . Dennoch sollten wir die
Folgeentwicklung dieser Änderung im Auge behalten .
Gegebenenfalls müssen hier in der Zukunft doch noch
einmal Anpassungen vorgenommen werden: Schließ-
lich verschwindet ja nicht der Bedarf nach Kompetenz
für diese Fahrzeuge . Machen wir uns nichts vor: Die
Lockerung von Zugangsmöglichkeiten ist oft eine Grat-
wanderung . Wir müssen also darauf achten, dass bei der
Erhöhung der Quantität die Qualität nicht auf der Strecke
bleibt .
Besonders wichtig ist uns, dass mit der Reform der
Fahrlehrerausbildung künftig der Pädagogik mehr Ge-
wicht beigemessen wird . Dass sich hierbei die Ausbil-
dungszeit nur gering, um zwei Monate, verlängert, ist
ebenfalls begrüßenswert . Fahrlehrer, die ihre Ausbildung
vor 30 oder 40 Jahren gemacht haben, kamen zu einem
nicht geringen Teil vom Militär . Man muss kein Linker
sein, um einzusehen, dass die Pädagogik, die als Fahrleh-
rer nötig ist, bei der Bundeswehr sicherlich nicht vermit-
telt wurde . Das soll nicht heißen, dass diese Fahrlehrer
keinen guten Job machen . Doch in der heutigen Aus-
bildung müssen wir Anpassungen vornehmen . Fahrleh-
rer müssen heute auch auf die veränderte Altersstruktur
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21635
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(B) (D)
vorbereitet werden . Neben 18- oder 17-Jährigen sitzen
zunehmend Menschen mittleren Alters in der Fahrschu-
le . Soll sich auf unterschiedliche Bedürfnisse eingelassen
werden, ist pädagogisches Geschick notwendig . Daher
ist es auf der einen Seite richtig, Ausbildungsinhalte zu
straffen und von überflüssigem Ballast zu befreien; auf
der anderen Seite muss der Kompetenzvermittlung der
Raum gegeben werden, den eine gute Ausbildung ver-
langt .
Damit der Fahrlehrerberuf attraktiver wird, müssen
in erster Linie aber vor allem vernünftige Arbeitsbedin-
gungen und eine Verbesserung der Angestelltenkultur
und der Verdienstmöglichkeiten erzielt werden . Hier gibt
es großen Veränderungsbedarf . Der Fahrlehrermangel
ist einerseits darauf zurückzuführen, dass die Politik zu
lange nicht mit geeigneten Maßnahmen gegengesteuert
hat; anderseits sind manche Probleme auch hausgemacht .
Wer sich einmal in der Branche umgehört hat, wird fest-
stellen, dass Arbeitsverträge ohne Arbeitszeitkonto, ohne
Festgehalt und ohne bezahlte Fortbildung nicht selten
sind . Zudem kommt es immer wieder vor, dass arbeits-
rechtliche Bestimmungen nicht eingehalten werden: Fei-
ertage und Urlaub werden nicht bezahlt, oder es gibt kei-
ne Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall . Hier hat aber
auch die Politik zu lange weggeschaut .
In Zukunft muss es daher auch heißen, bei den Bran-
chenmindestlöhnen für Fahrschulen genauer hinzuschau-
en: Erbringt eine Fahrschule Leistungen im Bereich der
Aus- und Weiterbildung, gilt nämlich ein Mindestlohn
von 12,50 Euro bzw . 13,35 Euro . Das muss in der Praxis
aber auch tatsächlich eingehalten werden . Dies gilt gera-
de auch für diejenigen, die bisher arbeitslos waren und
im Auftrag der Jobcenter oder der Agentur für Arbeit nun
einer Fahrschulausbildung nachgehen: Auch hier gelten
die Branchenstundenlöhne .
Außerdem müssen grundlegende strukturelle Verän-
derungen vorgenommen werden . Was in anderen Bran-
chen bereits lange möglich ist, gilt bisher nicht so für die
Fahrschulen . Die Linksfraktion unterstützt, dass künftig
Kooperationen möglich sein sollen, wie dies in ande-
ren Branchen längst üblich ist . Fahrschulunternehmen
können sich so besser spezialisieren und den Kunden
dennoch ein Komplettangebot anbieten . Dies ist insbe-
sondere vor dem Hintergrund begrüßenswert, dass die
Ausstattung von Unterrichtsräumen mit moderner Tech-
nik sehr teuer ist . In Netzwerkstrukturen ist dies eindeu-
tig besser zu stemmen .
Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Der vorliegende Gesetzentwurf hat eine lange
Vorgeschichte . Ich verweise in diesem Zusammenhang
auf die Einsetzung der Bund-Länder-Arbeitsgruppe im
Jahr 2011, den Beschluss der Verkehrsministerkonferenz
im Frühjahr des darauffolgenden Jahres und die Befas-
sung des Deutschen Verkehrsgerichtstags mit dem The-
ma als wichtige Meilensteine auf dem Weg zu dem heute
vorliegenden Gesetzentwurf .
Der Entwurf ist vor allem auch das Ergebnis inten-
siver Vorarbeiten durch die Länder . An dieser Stelle ist
besonders das Engagement des Landes Baden-Württem-
berg hervorzuheben . Dem grün regierten Baden-Würt-
temberg war die Reform des Fahrlehrerrechts immer ein
besonderes Anliegen, und so hat es sich in der Bund-Län-
der-Arbeitsgruppe auch entsprechend stark eingebracht .
Weitgehende Einigkeit bestand fraktionsübergreifend
über die wesentlichen Inhalte bei der Reform des Fahr-
lehrerrechts: von der Neuregelung der Zugangsvoraus-
setzungen zum Fahrlehrerberuf, der Modernisierung der
Fahrlehreraus- und -weiterbildung, der Verbesserung der
Kooperationsmöglichkeiten von Fahrschulen, der Fahr-
schulüberwachung bis hin zur Entbürokratisierung – in
allen Punkten bringt der Entwurf nach langem Ringen
hinter den Kulissen greifbare Fortschritte .
Vor allem die Fahrlehreraus- und -weiterbildung
macht einen wichtigen Schritt nach vorne . Neue Inhalte,
die auf den Erwerb verkehrspädagogischer Kompeten-
zen abzielen, halten endlich Einzug in die Fahrschulpra-
xis . Dabei sollen auch schnell neue Entwicklungen, wie
beispielsweise die Elektromobilität und automatisiertes
Fahren, thematisch behandelt werden . Dass auf aktuelle
Erkenntnisse aus der Lehr- und Lernforschung zurück-
gegriffen wird sowie E-Learning und Blended Learning
berücksichtigt werden, begrüßen wir ausdrücklich .
Auch die Anforderungen an Ausbildungsfahrschulen
und -lehrer sollen weiterentwickelt werden . Neu aufge-
nommen wurde eine Fortbildungspflicht. Der Verbesse-
rung der pädagogischen Qualität dient die Ausbildung in
den sogenannten Erweiterungsklassen .
Dabei kommt uns allerdings die themenspezifische
Weiterbildung in den Klassen C und D zu kurz, denn sie
ist schlicht nicht verpflichtend. Die Teilnahme an den
Fortbildungsmodulen C und D sollten zudem berufsbe-
gleitend möglich sein . Hier muss nachgebessert werden .
Auch an anderen Stellen gilt für meine Fraktion: Das
Bessere ist der Feind des Guten . Und deshalb werbe ich
an dieser Stelle für notwendige Veränderungen, über die
wir in den anstehenden Ausschussberatungen noch dis-
kutieren sollten .
Nicht nachvollziehbar ist für uns, warum die Rege-
lungen zum Betreiben von Zweigstellen und zu den Ko-
operationen von Fahrschulen erst ab dem 1 . Juli 2019
gelten sollen . Die wirtschaftliche Situation vieler klei-
nerer Fahrschulen ist angespannt . Das ist ablesbar am
Umsatz je Unternehmen, der beispielsweise bei Fahr-
schulen in Ostdeutschland gerade um die 100 000 Euro
im Jahr liegt . Im Fahrschulwesen läuft daher schon seit
längerer Zeit ein stetiger Konzentrationsprozess hin zu
wirtschaftlich tragfähigen und auskömmlichen Betriebs-
größen . Dieser Prozess sollte durch die Reform eigent-
lich unterstützt werden . Die Verschiebung macht daher
keinen Sinn, da die Branche lange genug wartet, sich neu
aufstellen und organisieren zu können . Wichtig ist in die-
sem Zusammenhang nach unserer Auffassung, dass die
Anzahl der Kooperationen limitiert wird .
Schließlich stellt sich für meine Fraktion noch die Fra-
ge der Überwachungsvorschriften und Kontrollen für die
Fahrschulen und Fahrlehrerausbildungsstätten . Wichtig
ist in diesem Zusammenhang, dass die dazu notwendigen
Regelungen bundesweit einheitlich umgesetzt werden .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721636
(A) (C)
(B) (D)
Die vorgesehene „Soll-Bestimmung“ ist daher durch eine
„Muss-Bestimmung“ zu ersetzen .
Dorothee Bär, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
minister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes
über das Fahrlehrerwesen und zur Änderung anderer
straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften biegt die Reform
des Fahrlehrerrechts auf die Zielgerade ein . Heute liegt
das Ergebnis von vier Jahren Arbeit auf dem Tisch .
Wir haben mit Ländern und Verbänden viel und in-
tensiv diskutiert und um Lösungen gerungen . Nach-
wuchsmangel und das hohe Durchschnittsalter der Fahr-
lehrerschaft erforderten attraktive und zukunftsfähige
Zugangsregelungen .
Zukünftige Fahrlehrerinnen und Fahrlehrer müssen
„mindestens eine abgeschlossene Berufsausbildung in
einem anerkannten Lehrberuf oder eine gleichwertige
Vorbildung“ vorweisen . Auch Quereinsteiger erhalten
zukünftig eine Chance, den Beruf des Fahrlehrers zu er-
greifen .
Ferner soll der Besitz der Motorrad- und Lkw-Klas-
sen als Voraussetzung für den Pkw-Fahrlehrer wegfallen,
was die Ausbildung kostengünstiger macht . Bisher über
den Besitz der Lkw-Fahrerlaubnis abgedeckte Eignungs-
überprüfungen werden direkt im Fahrlehrerrecht gere-
gelt .
Verbessert wurden auch die Dauer der Ausbildung so-
wie das Zusammenwirken von Ausbildungsstätten und
Ausbildungsfahrschulen . Wir erhöhen den Ausbildungs-
umfang von derzeit 577,5 Stunden auf dann 750 Stun-
den: eine Erhöhung um rund 30 Prozent . Wir stärken päd-
agogische Inhalte und verstärken den Kompetenzerwerb
im Bereich der Fahrerassistenzsysteme und des automa-
tisierten Fahrens . Das ist die Zukunft .
Einschließlich Praxis wird die neue Ausbildung
künftig mindestens zwölf Monate dauern . Auch für die
Fahrschulen wird es Veränderungen geben: hinsichtlich
Rechtsform, Kooperationen und Verantwortlichkeiten .
Besonders wichtig sind uns auch dringend notwendige
Entlastungen bei den Bürokratiekosten durch Vereinfa-
chung und Digitalisierung der Dokumentation .
Völlig neu wird die Fahrschulüberwachung aufge-
stellt .
Zwar hätten wir uns einen höheren Grad an Einheit-
lichkeit für das gesamte Bundesgebiet gewünscht, aber
regionale Besonderheiten wurden auf ausdrücklichen
Wunsch einiger Bundesländer beibehalten . Wir haben
viele Details verbessert und wesentliche Beschlüsse der
Verkehrsministerkonferenz zum Eckpunktepapier umge-
setzt .
Die Anforderungen an die Fahrlehrerinnen und Fahr-
lehrer sind hoch und werden es auch weiterhin bleiben .
Mit der Digitalisierung des Verkehrs kommen neue He-
rausforderungen hinzu . Insofern wird der Berufsstand
weiterhin ein unverzichtbarer Teil unserer Mobilität und
der Verkehrserziehung bleiben .
Aus meiner Sicht hat der Beruf der Fahrlehrerin und
des Fahrlehrers noch eine große Zukunft .
Anlage 11
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des von der Bundesregierung ein
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände
rung des Güterkraftverkehrsgesetzes, des Fahr
personalgesetzes, des Gesetzes zur Regelung der
Arbeitszeit von selbständigen Kraftfahrern, des
Straßenverkehrsgesetzes und des Gesetzes über
die Errichtung eines KraftfahrtBundesamtes (Ta
gesordnungspunkt 26)
Oliver Wittke (CDU/CSU): Mit unserer heutigen
Debatte leiten wir nicht nur eine Änderung des Güter-
kraftverkehrsgesetzes, des Fahrpersonalgesetzes, des
Gesetzes zur Regelung der Arbeitszeit von selbständigen
Kraftfahrern, des Straßenverkehrsgesetzes und des Ge-
setzes über die Errichtung eines Kraftfahrt-Bundesamtes
ein, sondern wir schließen heute auch und vor allem an
eine Debatte vor gut zwei Jahren an, in der wir uns zu-
letzt mit dem Fahrpersonalgesetz befasst haben .
Bereits in dieser Debatte am 18 . Dezember 2014 haben
wir deutlich gemacht, dass wir eine europaweit einheitli-
che Praxis bei der Umsetzung der Lenk- und Ruhezeiten
anstreben, wonach regelmäßige wöchentliche Ruhezei-
ten nicht in der Fahrerkabine eines Lkws verbracht wer-
den dürfen . Nach nationalen Alleingängen von Belgien
und Frankreich kommt es vermehrt zu Ausweichverkeh-
ren, die aufgrund einer hohen Zahl mehrtägig an ihrem
Lkw campierenden Fahrer zu teils menschenunwürdigen
Szenen auf völlig überfüllten Parkplätzen auf der deut-
schen Seite geführt haben .
Mit Verweis auf Gespräche, die die Bundesregierung
dann im Jahr 2015 auf europäischer Ebene geführt hat,
haben wir zu diesem Zeitpunkt zunächst auf eine eigene
nationale Regelung verzichtet . Leider haben diese Ge-
spräche nicht zu dem erhofften Erfolg geführt .
Die Koalitionsfraktionen stehen zu ihrem Wort . Nach-
dem sich die EU-Mitgliedstaaten nicht auf eine gemein-
same Praxis bei der Umsetzung und Anwendung oder
einer Klarstellung der Verordnung (EG) Nr . 561/2006
des Rates zur Harmonisierung bestimmter Sozialvor-
schriften im Straßenverkehr einigen konnten, werden wir
einen Änderungsantrag zu diesem Gesetz einbringen, der
sich dieser Problematik annimmt . Wir folgen damit dem
Beispiel Belgiens und Frankreichs und geben auch der
Bundesregierung die nötige rechtliche Grundlage an die
Hand, um gegen Verstöße bei der Verbringung der vor-
geschriebenen Lenk- und Ruhezeiten konsequent vorzu-
gehen .
Darüber hinaus werden wir das Gesetzespaket zum
Anlass nehmen, das Thema des Sozialdumpings in der
Transport- und Logistikbranche zu thematisieren . Wir
stehen zum Europäischen Binnenmarkt und zu mehr
Wettbewerb . Doch dieser ist auf faire Arbeits- und Wett-
bewerbsbedingungen angewiesen . Wettbewerb, der von
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21637
(A) (C)
(B) (D)
Unternehmen ausgeht, die dauerhaft ihre Leistungen in
Deutschland anbieten, aber niedrigeren Sozialstandards
unterliegen, ist nicht fair . Hier gilt es zu prüfen, in wel-
chen Bereichen wir die Spielräume auf nationaler und
den deutschen Einfluss auf europäischer Ebene besser
ausnutzen können .
Teile des vorliegenden Gesetzentwurfes tragen dieser
Forderung bereits Rechnung . Die Einrichtung eines elek-
tronischen Registers, in der auch Daten über Verstöße,
die Unternehmer und Verkehrsleiter im Rahmen ihrer
Gewerbeausübung begangen haben, gesammelt werden,
und die Verlängerung der Aufbewahrungsfrist für Auf-
zeichnungen über Lenk- und Ruhezeiten, sofern diese
für die Erfüllung der Aufbewahrungspflichten nach dem
Mindestlohngesetz benötigt werden, sind ein weiterer
Schritt in die richtige Richtung . Sie helfen, die Einhal-
tung nationaler und europäischer Vorschriften auch bei
zu ausländischen Fuhrparks gehörenden Lkw besser kon-
trollieren zu können .
Die Koalitionsfraktionen werden die angesprochenen
Themen in den kommenden Wochen intensiv beraten
und entsprechende Anträge in den Verkehrsausschuss
einbringen .
Udo Schiefner (SPD): Güterkraftverkehr und Fahr-
personal: Darüber können wir heute nicht sprechen,
ohne über faire Arbeits- und Wettbewerbsbedingungen
zu sprechen . Auf deutschen Autobahnen sollte beides
selbstverständlich sein . Doch die Realität sieht anders
aus – erschreckend anders . Große Teile des deutschen
Transportlogistikgewerbes sind akuten Wettbewerbsver-
zerrungen ausgesetzt . Ehrliche Logistik- und Transport-
unternehmen, die ihre Mitarbeiter fair bezahlen und sozi-
ale Standards einhalten, verlieren zunehmend Aufträge .
Ihre Existenz ist bedroht . Die Spediteure und vor allem
ihre Fahrerinnen und Fahrer, die Menschen am Steuer
der Lkw, fahren am Limit . Sie leiden darunter, dass auf
deutschen Autobahnen zu viele schwarze Schafe zu un-
scharfe Regeln ausnutzen können .
Gleichzeitig erwarten wir als Kunden, Verbraucher,
Internetbesteller von denen, die tagtäglich unsere Waren
transportieren, dass sie schnell, effizient und zuverlässig
und vor allem preiswert liefern . Unser Wohlergehen ist
untrennbar mit der Misere derer verknüpft, die uns ver-
sorgen . Das gilt auf vielen Ebenen, wenn man sich die
weltwirtschaftlichen Zusammenhänge anschaut . Aber
nur selten ist es so offensichtlich und liegt sprichwörtlich
vor unserer Haustür wie beim Güterkraftverkehr .
Transport und Logistik bilden das Rückgrat unserer
Wirtschaft und unseres täglichen Lebens . Unser Wirt-
schaftsstandort Deutschland hängt in hohem Maße von
leistungsfähiger Logistik ab . Die Fahrerinnen und Fah-
rer der Lastkraftwagen sind wesentliche Stützpfeiler des
wirtschaftlichen Erfolges in Deutschland . Anerkennung
und Wertschätzung erhalten sie dafür kaum . Im Gegen-
teil, die Arbeit der Berufskraftfahrer hat unberechtigt ein
schlechtes Ansehen . Vor allem sind sie oft die ersten und
einzigen, die zur Rechenschaft gezogen werden, wenn
sie gegen Regeln verstoßen . Doch sie verstoßen gegen
Regeln, weil sie den straffen Anforderungen ihrer Arbeit-
geber und Auftraggeber gerecht werden müssen .
Für viele Berufskraftfahrer, oft im Auftrag auslän-
discher Unternehmen auf den Autobahnen unterwegs,
kommt hinzu, dass sie unter unwürdigen Bedingungen
arbeiten und leben müssen . Bis zu drei Monate leben
und arbeiten sie außerhalb ihres Heimatlandes im Lkw .
Sie sind dabei dubiosen Beschäftigungssystemen unter-
worfen . Ihnen wird oft der Zugang zu sozialen Rechten
und Arbeitnehmerrechten verwehrt . Sie verbringen da-
bei all ihre Nächte und Wochenenden in ihrem Lkw auf
den Rastplätzen, und sie fahren für Dumpinglöhne quer
durch Europa .
Für Fahrzeuge und Fahrerinnen und Fahrer, die ihre
Heimatstandorte nur noch gelegentlich sehen, ist deren
Einsatz aber keineswegs durch die europäische Dienst-
leistungsfreiheit gedeckt . Im Moment jedoch können
sich die Flottenbetreiber den Fiskal- und Sozialstandards
der jeweiligen Länder entziehen, in denen sie sich über-
wiegend betätigen . Diesem Nomadentum auf den Rast-
plätzen Europas müssen wir ein Ende bereiten .
Ein Angriffspunkt – nur einer von vielen, aber ein
wichtiger – ist dabei die regelmäßige wöchentliche
Ruhezeit . Mit Artikel 8 Nummer 8 der EU-Verord-
nung 561/2006 ist die Voraussetzung gegeben, um zu
unterbinden, dass die regelmäßige wöchentliche Ruhe-
zeit im Fahrzeug verbracht wird . Die EU-Verordnung
sagt: In zwei jeweils aufeinanderfolgenden Wochen hat
der Fahrer mindestens zwei regelmäßige wöchentliche
Ruhezeiten oder eine regelmäßige wöchentliche Ruhe-
zeit und eine reduzierte Wochenruhezeit von mindestens
24 Stunden einzuhalten . Wichtig sind hier die zu unter-
scheidenden Begriffe „regelmäßige“ und „reduzierte“
wöchentliche Ruhezeit . Weiter heißt es nämlich, dass
nicht am Standort eingelegte tägliche Ruhezeiten und re-
duzierte wöchentliche Ruhezeiten im Fahrzeug verbracht
werden können . Regelmäßige wöchentliche Ruhezeiten
im Fahrzeug werden in dieser Ausnahme explizit nicht
benannt . Dem EU-Recht folgend können und müssen wir
das Verbringen der regelmäßigen wöchentlichen Ruhe-
zeit im Fahrzeug verbieten und ahnden .
Mit unserem Koalitionspartner sind wir uns bezüglich
dieses Ziels einig . Wir werden unser parlamentarisches
Recht nutzen und die von der Bundesregierung einge-
brachten Gesetzesänderungen durch einen eigenen Än-
derungsantrag ergänzen . So sorgen wir für Klarheit im
Fahrpersonalgesetz .
Deutsche Kontrollbeamte werden bald, wie ihre Kol-
leginnen und Kollegen in unseren westlichen Nachbar-
staaten, dem Verbot des Verbringens der regelmäßigen
wöchentlichen Ruhezeit im Lkw Geltung verschaffen
können .
Vor mehr als zwei Jahren hätten wir eine entsprechen-
de Regelung treffen sollen . Bereits damals gab es dazu
Forderungen aus dem Bundesrat . Die Bundesregierung
hatte im Dezember 2014 aber noch den Wunsch geäu-
ßert, sich dem Thema zunächst im Sinne einer europäi-
schen Lösung zu nähern . Die dazu im Verkehrsausschuss
gemachte Zusage des Ministeriums, das Thema im Ja-
nuar 2015 mit den europäischen Partnern anzugehen,
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721638
(A) (C)
(B) (D)
hatte ich begrüßt . Ebenso freute ich mich über die klar
formulierte Aussage zum weiteren Vorgehen: „Sollte ab-
sehbar nicht bis Juli 2015 eine Lösung erkennbar wer-
den, werden wir den Weg der nationalen Gesetzgebung
beschreiten“ .
In der grundsätzlichen Beurteilung des Nomadentums
auf den europäischen Rastplätzen gab es über Fraktions-
grenzen hinweg zu keinem Zeitpunkt Dissens . Ich hatte
damals erwartet, dass uns 2015 ein Regelungsvorschlag
vorliegt . Dieser blieb aus .
So ist nicht überraschend, dass ich mich sehr darauf
freue, unter dieses unselige Kapitel am Ende der jetzi-
gen Beratungen im März endlich einen Strich ziehen zu
können . Doch es wird kein Schlussstrich sein . Es ist eine
Sache, endlich klarzustellen, dass das Verbot des Ver-
bringens der Wochenruhezeit mit einem Bußgeld bestraft
werden kann . Eine andere, schwierige Sache wird es
sein, das Verbot auch durchzusetzen .
Ich erwarte, dass das Ministerium und die Kontroll-
behörden, also vor allem das BAG und die Polizeien,
zügig die notwendigen Handlungsanweisungen und
Kontrollvorgaben erstellen . Insbesondere müssen die
Beamten vor Ort das Handwerkszeug mitbekommen,
um die Fahrt- und Ruhezeiten effektiv kontrollieren zu
können . Dazu gehört es auch, über die zahlreichen und
nicht selten genutzten Betrugsmöglichkeiten sehr gut in-
formiert zu sein .
Uns hier im Bundestag und in den Parteien bleibt das
Thema Lohn- und Sozialdumping auf den Autobahnen
jedoch in jedem Fall erhalten . Es gibt zahlreiche weitere
Hausaufgaben, die wir und die Bundesregierung in ih-
ren Ministerien längst hätten erledigen müssen . Wir wer-
den einen Entschließungsantrag einbringen, der einige
der wichtigsten Aspekte aufgreift . Für die betroffenen
Unternehmerinnen und Unternehmer und Fahrerinnen
und Fahrer hätte ich mir gewünscht, dass dies in dieser
Legislaturperiode nicht mehr nötig gewesen wäre . Nun,
im Januar 2017, kann ich ernüchtert feststellen, dass uns
die prekäre Situation der Transport- und Logistikbranche
auch in der 19 . Legislaturperiode beschäftigen wird .
Herbert Behrens (DIE LINKE): Dieser Gesetzent-
wurf hat im Wesentlichen den Charakter eines Rechtsbe-
reinigungsgesetzes . Mit anderen Worten: es werden fast
ausschließlich redaktionelle Anpassungen vorgenom-
men, einiges wird an EU-Recht angepasst und der Rest
geht über Änderungen bei Aufbewahrungsfristen nicht
hinaus . So weit, so unspannend .
Die Relevanz erhält der heute debattierte Entwurf
durch das, was nicht enthalten ist, aber ohne Probleme
hätte aufgenommen werden können – ich meine, sogar
hätte aufgenommen werden müssen . Gemeint ist hier
eine simple Vorschrift, die in anderen Ländern der Eu-
ropäischen Union längst erlassen wurde, nämlich das
Gebot, dass Lkw-Fahrerinnen und Lkw-Fahrer ihre wö-
chentliche Ruhezeit nicht im Fahrzeug verbringen dürfen .
Das wäre ein kleiner Schritt für den Gesetzgeber, aber ein
sehr großer für zigtausend europäische Berufskraftfahre-
rinnen und Berufskraftfahrer sowie deren Familien .
Jeder wird sich vorstellen können, dass Lkw-Fah-
rerinnen- und Fahrer einen harten Job haben . Ich habe
mich selbst einmal davon überzeugt und bin einen Tag
als Beifahrer im Brummi quer durch Deutschland gefah-
ren . Durch engen Kontakt zu Beschäftigten und Gewerk-
schaften weiß ich auch, dass sich die Arbeitsbedingun-
gen in der Lkw-Branche gravierend verschlechtert haben
und der Abwärtstrend anhält . Immer mehr Druck, immer
schlechtere Bezahlung und Arbeitszeiten prägen das Le-
ben von zigtausend europäischen Berufskraftfahrerinnen
und Berufskraftfahrern sowie deren Familien .
Aber um die Brisanz der Situation zu verdeutlichen:
Artikel 31 der Grundrechtecharta der EU besagt, dass
jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer das Recht
auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen
hat . Das europäische Straßentransportgewerbe hat sich
inzwischen zu einer Branche entwickelt, in der Men-
schenwürde nicht viel zählt, von Sicherheit und Gesund-
heitsschutz ganz zu schweigen . So hart muss man das
sagen, und nicht umsonst spricht die europäische Trans-
portgewerkschaft ETF von moderner Sklaverei .
Die ETF hat Hunderte Fahrerinnen und Fahrer zu ih-
ren Arbeitsbedingungen befragt, und die Ergebnisse sind
wirklich erschütternd . Zwei Drittel der Befragten sind
durchgängig zwischen drei und zwölf Wochen von ihrem
Zuhause entfernt . 80 Prozent gaben an, unter Erschöp-
fung zu leiden und dies aus Angst vor dem Verlust des
Arbeitsplatzes nicht zu melden . Ein Viertel der Befrag-
ten hat weniger als drei warme Mahlzeiten in der Woche,
und 95 Prozent gaben an, alle Ruhezeiten im Fahrzeug
zu verbringen .
Ich will es nicht ertragen, dass Menschen – vornehm-
lich aus Osteuropa oder Anrainerstaaten der EU – bis zu
drei Monaten am Stück ihr Leben in der Fahrerkabine
fristen müssen, bei schlechter Ernährung und zudem oft-
mals ohne Zugang zu sanitären Einrichtungen – und das
vor unser aller Augen .
Es ist klar, dass man im Rahmen dieses Gesetzge-
bungsverfahrens diese Zustände nicht vollends aufheben
können wird . Diese Zustände basieren auf einem gren-
züberschreitenden System aus Briefkastenfirmen, Toch-
tergesellschaften und Arbeitsvermittlungsagenturen mit
Sitzen in jeweils anderen Ländern, welches vor allem
seit der EU‑Osterweiterung floriert und als organisierte
Ausbeutung bezeichnet werden muss .
Aber den schlimmsten Auswüchsen können wir
Einhalt gebieten, indem wir ein für alle Mal verbieten,
dass die wöchentlichen Ruhezeiten in der Fahrerkabi-
ne verbracht werden dürfen, und dies dann konsequent
durchsetzen . Damit würde nämlich das weit verbreitete
erzwungene Nomadentum der Fahrerinnen und Fahrer
erheblich eingeschränkt werden . Die Beschäftigten brau-
chen einen grundlegenden Wandel der Arbeitsverhältnis-
se in der Branche, und dieser erste Schritt kann sofort
gemacht werden .
Ich finde es ziemlich bigott, wenn die Bundesregie-
rung in Brüssel für eine europäische Lösung bei den wö-
chentlichen Ruhezeiten eintritt, sich aber stets weigert,
per Bundesgesetz mit gutem Beispiel voranzugehen bzw .
Frankreich und Belgien zu folgen .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21639
(A) (C)
(B) (D)
Wenn es um die Interessen von Unternehmen geht,
kommt die Bundesregierung der EU gerne zuvor, um
schon einmal ein paar Pflöcke einzuschlagen. Bestes Bei-
spiel ist die Drohnenverordnung, die das Verkehrsminis-
terium schnell noch durchpeitschen will, obwohl Brüssel
bald einen europäischen Rechtsrahmen setzen wird . Nie-
mand wird also behaupten können, dass man hier nicht
handeln kann .
Ich hoffe daher sehr, dass die Bundesregierung nach
der bereits angekündigten Prüfung noch die Kurve kriegt
und eine harte Regelung zu den Ruhezeiten nachlegt .
Dann könnte die Linke dem Gesetzentwurf sogar zustim-
men .
Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Interessant an dem Gesetzentwurf zum Fahrper-
sonalgesetz ist nicht das, was drinsteht, sondern vielmehr
das, was nicht enthalten ist: Es fehlt eine Bestimmung
zum Vorgehen gegen das Verbringen der regelmäßigen
wöchentlichen Ruhezeit in der Fahrerkabine . Wie zu
erfahren war, hat man im Bundesverkehrsministerium
entsprechende Regelungen aus früheren Arbeitsentwür-
fen nach Intervention von Branchenverbänden einfach
gestrichen . Das ist völlig inakzeptabel – wir dürfen eine
Lösung des Problems und die Bekämpfung von Sozial-
dumping im Straßengüterverkehr nicht weiter vertagen .
Ich erinnere in diesem Zusammenhang noch einmal
daran, dass es im Verkehrsausschuss eine breite Zustim-
mung dafür gibt, Sozialdumping im Transport- und Spe-
ditionsgewerbe zu bekämpfen .
Der Petitionsausschuss hat im November 2015 vier
Petitionen mit der Forderung nach einer bußgeldbewehr-
ten Verbotsregelung einstimmig mit dem zweithöchsten
Votum „zur Erwägung“ an das Bundesverkehrsministeri-
um und das Europäische Parlament überwiesen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich
noch einmal die unhaltbaren Zustände auf den Rastanla-
gen und Lkw-Stellplätzen entlang des Autobahnnetzes in
Erinnerung rufen .
In Artikel 31 der Charta der Grundrechte der Europä-
ischen Union heißt es: „Jede Arbeitnehmerin und jeder
Arbeitnehmer hat das Recht auf gesunde, sichere und
würdige Arbeitsbedingungen .“ Das ist der Maßstab, den
wir auch an die Arbeitsbedingungen im europäischen
Transport- und Speditionsgewerbe anlegen müssen . Und
der Weg, der zurückzulegen ist, um dies zu erreichen, ist
noch weit . Die Europäische Transportarbeiter-Föderati-
on – eine gesamteuropäische Gewerkschaftsorganisati-
on – kam bereits in einer Studie von 2013 zu dem Ergeb-
nis, dass über 90 Prozent der Fernfahrer ihr Wochenende
regelmäßig im Fahrzeug verbringen . Viele Lkw-Fahrer
führen praktisch ein Leben auf der Straße: Die Fahrer-
kabine ist Arbeitsplatz, Schlafzimmer, Wohnzimmer und
Küche in einem . Vom Arbeitgeber gibt es keine Mittel
für Übernachtungen in festen Unterkünften . Insbesonde-
re für Fahrer aus Osteuropa sieht für Wochen oder oft
sogar Monate so der Lebensalltag aus . Die Europäische
Transportarbeiter-Föderation nennt dies zutreffend „mo-
derne Sklaverei“, die abgeschafft gehöre .
Übrigens: Dies sind nicht nur aus sozialen Gründen
unhaltbare Zustände . Auch verkehrspolitisch gerät da-
durch einiges aus dem Lot . Durch Sozialdumping im
Straßengüterverkehr wird auch der Wettbewerb zwischen
den Verkehrsträgern verzerrt und der Lkw-Verkehr auf
Kosten der Allgemeinheit bzw . auf dem Rücken der Be-
schäftigten verbilligt .
Weiterhin geraten auch deutsche Speditionsunterneh-
men durch Dumpingpreise unter Druck und verlieren im
Wettbewerb .
Natürlich wäre eine einheitliche Lösung in der Euro-
päischen Union, wie vonseiten der Branchenverbände
gefordert, der Königsweg . Aber zu einer realistischen
Einschätzung der Lage gehört eben auch die Erkenntnis,
dass es diese europaweite Lösung allenfalls langfristig
geben wird, da die Fronten in dieser Frage besonders ver-
härtet sind . Deshalb bleibt uns als Zwischenlösung nur
die „Krücke“ einer nationalen Lösung, so wie es Frank-
reich und Belgien schon vorgemacht haben . Wir müssen
also zweigleisig fahren: In Brüssel für eine EU-Lösung
streiten und solange die nicht greifbar ist, eine Regelung
im nationalen Recht erlassen .
Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zum Fahr-
personalgesetz deutlich gemacht, wie eine solche natio-
nale Regelung aussehen könnte . Die Voraussetzungen für
vernünftige Bedingungen zum Verbringen der Wochen-
ruhezeit muss demnach der Unternehmer schaffen . Au-
ßerdem ist eine Bußgeldbewährung für Verstöße vorge-
sehen . Dazu gehört nach meiner Überzeugung auch eine
Personalaufstockung beim Bundesamt für Güterverkehr,
damit wir überhaupt in die Lage kommen, entsprechende
Regelungen auch wirksam zu kontrollieren .
Wir haben wohlwollend zur Kenntnis genommen, dass
die Bundesregierung sich immerhin der Zielsetzung der
Bundesratsstellungnahme nicht völlig verschließt und ei-
nen Regelungsbedarf anerkennt . Umso unverständlicher
erscheint die Tatsache, dass die Bundesregierung nicht in
der Lage war, eine entsprechende gesetzliche Regelung
von Beginn an in den Entwurf des Fahrpersonalgesetzes
aufzunehmen .
Insofern sind wir auf das weitere parlamentarische
Verfahren gespannt . Eine wirksame Bekämpfung von
Sozialdumping im Straßengüterverkehr wird meine
Fraktion jedenfalls nach Kräften unterstützen .
Dorothee Bär, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
minister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Der Ih-
nen vorliegende Änderungsentwurf dient dazu, in diesen
Gesetzen an mehreren Stellen redaktionelle Anpassun-
gen und Klarstellungen vorzunehmen .
Im Güterkraftverkehrsgesetz geht es uns um die nati-
onale Erlaubnis, mit der der Unternehmer die Zulassung
zur Ausübung des Berufs erhält . Bisher wird sie nach
Ablauf der bis zu zehnjährigen Geltungsdauer zeitlich
unbefristet erteilt, sofern der Unternehmer die Berufszu-
gangsvoraussetzungen nach wie vor erfüllt .
Diese Regelung passen wir nun an geltendes europäi-
sches Recht an, da die nach EU-Recht zum selben Zweck
zu erteilende sogenannte EU-Lizenz im Verlängerungs-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721640
(A) (C)
(B) (D)
fall nur für erneut zehn Jahre erteilt wird . Die Möglich-
keit der unbefristeten Verlängerung für die nationale Er-
laubnis wird daher gestrichen .
Im Fahrpersonalgesetz schaffen wir die Möglichkeit,
Aufzeichnungen über Lenk- und Ruhezeiten über die
bisher geltende Dauer hinaus aufzubewahren . Damit
erreichen wir, dass erweiterte Aufbewahrungspflichten
eingeführt werden, die zum Beispiel für die Erfüllung
der Aufbewahrungsfristen nach dem Mindestlohngesetz
benötigt werden . Das war keine von uns geschätzte Maß-
nahme, da wir die Unternehmen eigentlich von Bürokra-
tie entlasten wollen .
Die übrigen Änderungen dienen ebenfalls der Umset-
zung europarechtlicher Vorgaben . Dies gilt insbesondere
für die Schaffung einer Ermächtigungsgrundlage für die
Speicherung von Verstößen des Unternehmers und des
Verkehrsleiters und diverse redaktionelle Änderungen
aufgrund veränderten EU-Rechts .
Der Bundesrat hat aufgrund entsprechender Vorschlä-
ge aus seinen Ausschüssen die Aufnahme eines neuen
§ 3a in das Fahrpersonalgesetz vorgeschlagen . Haupt-
ziel dieses Vorschlags ist die Aufnahme eines Verbotes,
die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit, deren Dauer
45 Stunden beträgt, im Fahrzeug zu verbringen .
Dementsprechend soll der Unternehmer verpflichtet
werden, die Arbeit des Fahrers so zu organisieren, dass
er die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit am Wohnort,
am Unternehmenssitz oder in einer festen Unterkunft
mit geeigneten Sanitäreinrichtungen und ausreichenden
Versorgungsmöglichkeiten verbringen kann . Ziel des
Vorschlages ist die Beendigung des Nomadentums ins-
besondere mittel- und osteuropäischer Fahrer vor allem
übrigens auf deutschen Parkplätzen .
Im Ziel stimmt die Bundesregierung mit dem Bundes-
rat überein . Wir haben kein Interesse daran, dass Fahrer
wochen-, manchmal monatelang im Fahrzeug leben und
sich einen vollständigen Haushalt im Fahrzeug einrich-
ten müssen .
Deutschland ist ein wichtiges Transitland im Herzen
Europas . Wir wollen eine Regelung, die die Interessen
der Fahrerinnen und Fahrer mit den Interessen der Lo-
gistikunternehmen in Ausgleich bringt . Mein Dank an
dieser Stelle gilt den Berichterstattern im Verkehrsaus-
schuss, die sich in dieser Angelegenheit mit vollem Ein-
satz einbringen .
Beim Güterkraftverkehrsgesetz schließlich geht es um
eine weitere Befreiung nach § 2 Absatz 1 Nr . 7 GüKG
für sogenannte Lohnunternehmer . Sie sollen unter be-
stimmten Bedingungen von den Verpflichtungen dieses
Gesetzes gänzlich ausgenommen werden, obwohl sie in
vielen Situationen in Konkurrenz zum gewerblichen Gü-
terkraftverkehr treten .
Hier wartet die Bundesregierung natürlich den weite-
ren Verlauf der Beratungen in den Ausschüssen ab . Ich
sage Ihnen aber selbstverständlich auch hier eine sorgfäl-
tige Prüfung Ihrer Vorschläge zu .
Mit den Anträgen der Fraktionen, den Gesetzentwurf
an die Ausschüsse zu überweisen, ist die Bundesregie-
rung selbstverständlich einverstanden .
Anlage 12
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des von der Bundesregierung einge
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisie
rung der epidemiologischen Überwachung über
tragbarer Krankheiten (Tagesordnungspunkt 27)
Rudolf Henke (CDU/CSU): Mit dem von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Moder-
nisierung der epidemiologischen Überwachung über-
tragbarer Krankheiten beraten wir über die nächsten
notwendigen Schritte hin zu einem besser koordinierten
und strukturierten Schutz vor Infektionskrankheiten .
Hauptziel des Gesetzes soll die Etablierung eines elek-
tronischen Melde- und Informationssystems sein, mit
dem spätestens ab dem Jahr 2021 der Infektionsschutz
in unserem Land volldigitalisiert und datenschutzrechts-
konform umgesetzt werden soll .
Es ist gut und richtig, dass wir die mit der epidemio-
logischen Überwachung von Infektionskrankheiten ver-
bundenen Gesetze an die wissenschaftliche Entwicklung
und auch an die Erfahrungen der Beteiligten auf Bundes-,
Länder-, und Kommunalebene anpassen und damit dem
eigentlichen Anliegen einer bestmöglichen Eindämmung
von Infektionskrankheiten durch eine schnelle Lokalisie-
rung und bestmögliche Isolierung des Gefahrenherdes
Stück für Stück näher kommen .
Hinzu kommt, dass sich Deutschland auf internationa-
ler Ebene seiner Verantwortung stellt und wir uns aktiv
an einer erfolgreichen Umsetzung der Strategie der Welt-
gesundheitsorganisation zur vollständigen Ausrottung
von Polioviren beteiligen . Dafür bedarf es an der einen
oder anderen Stelle zusätzlicher Rechtsgrundlagen und
Präzisierungen, damit wir unseren eigenen Verpflichtun-
gen nachkommen können .
Ein weiterer Aspekt mit internationaler Note ist die
Anpassung des Infektionsschutzgesetzes an globale He-
rausforderungen, wie wir sie bei der verheerenden Ebo-
laepidemie in Westafrika im Jahr 2015 erleben mussten,
sowie die Umsetzung von Vorschriften, die uns die Euro-
päische Union auferlegt .
All das ist in seiner Zielsetzung sinnvoll und wird von
allen Betroffenen grundsätzlich begrüßt . Es ist auch po-
sitiv hervorzuheben, dass zwischen Referentenentwurf
und Kabinettsentwurf augenscheinlich ein konstruktiver
Dialog stattgefunden hat, der zu überwiegend klugen Än-
derungen geführt hat .
Anpassungen, Umstellungen und die Etablierung völ-
lig neuer Systeme, sei es zur Bewältigung der gleichen
Aufgaben, sind nicht selten mit einem zumindest kurz-
fristigen Mehraufwand verbunden . Ich glaube, das kennt
jeder von uns; damit wurde jeder in seinem beruflichen
Alltag schon einmal konfrontiert .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21641
(A) (C)
(B) (D)
Aufgabenerweiterungen hingegen sind nur begrenzt
mit dem gleichen Arbeitsaufwand zu erledigen . Zieht
man nun in Betracht, dass die Gesundheitsämter vor
Ort – sprich: in den Kommunen und mittlerweile immer
öfter auch in den Ländern – personell und strukturell
schlichtweg nicht angemessen ausgestattet sind, komme
ich schnell zu dem Schluss, dass wir auch im Kontext
dieses Gesetzes über die Personalausstattung unserer Ge-
sundheitsdienste sprechen müssen .
Die Ressourcenausstattung ist eine immer wiederkeh-
rende und scheinbar nicht zufriedenstellend lösbare Aus-
einandersetzung, die immer wieder dann aufkeimt, wenn
wir Gesetze beschließen, die den Gesundheitsdienst mit
immer neuen und komplexeren Aufgaben betrauen . Ich
weiß nicht, wie oft ich schon im Plenum oder im Aus-
schuss diese in meinen Augen unhaltbaren Umstände be-
mängelt und an das Pflichtgefühl der Länder appelliert
habe .
Beinahe Jahr für Jahr werden auf der Gesundheitsmi-
nisterkonferenz Beschlüsse gefasst, die den Öffentlichen
Gesundheitsdienst betreffen, so auch im vergangenen
Jahr . Man kann nicht bestreiten, dass die Gesundheits-
minister die Arbeit des Gesundheitsdienstes schätzen . So
heißt es im gefassten Beschluss:
„Die GMK betont die unverzichtbare Rolle des ÖGD
im Gesundheitswesen, die sich vom Gesundheitsschutz
der Bevölkerung, der Gesundheitsförderung und Ge-
sundheitsvorsorge bis zur Mitgestaltung und Mitwirkung
bei der Gesundheitsversorgung erstreckt .“
Und weiter heißt es: „Die Herausforderungen für die
Gesunderhaltung der Bevölkerung und damit für die
Aufgabenwahrnehmung durch den ÖGD werden ange-
sichts von Globalisierung, demografischem Wandel und
nicht zuletzt durch die Flüchtlingsbewegungen komple-
xer . Deshalb sieht die GMK die Notwendigkeit, die Per-
spektiven für den ÖGD neu zu bestimmen und auf allen
politischen Ebenen die Grundlagen für die Gewinnung
qualifizierter, motivierter Fachkräfte zu verbessern.“
Die Landesgesundheitsminister gehen im weiteren
Wortlaut auch auf die mangelnden Ressourcen ein, mit
denen sich der ÖGD konfrontiert sieht . Das begrüße ich
ausdrücklich, stelle mir, ehrlich gesagt, aber die Frage,
wann sich bei den Gesundheitsdiensten vor Ort an den
weiterhin schlechten Bedingungen etwas ändern wird,
wenn er als unverzichtbar eingestuft wird und auch aner-
kannt wird, dass sich seine Aufgabenwahrnehmung im-
mer komplexer gestaltet .
Im vorliegenden Gesetzentwurf berechnet die Bun-
desregierung etwa für das Robert-Koch-Institut einen
zusätzlichen Personalbedarf im Umfang von mindestens
fünf Stellen . Das ist sinnvoll; das ist gut . Doch werden
wir im parlamentarischen Verfahren darüber zu reden ha-
ben, warum die Bundesregierung davon ausgeht, dass für
andere Betroffene kein Erfüllungsaufwand entsteht . Da
erwarte ich eine ergebnisoffene Auseinandersetzung .
Wir werden sicherlich an der einen oder anderen Stel-
le noch über Anpassungsbedarf reden müssen; ich denke
etwa an die Vollständigkeit der Aufzählung meldepflich-
tiger Krankheitserreger oder die Sicherstellung eines si-
cheren, kompatiblen elektronischen Erfassungssystems
für alle Beteiligten .
Alles in allem bin ich zuversichtlich, dass mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf eine gute Basis geschaffen
wurde und wir am Ende des parlamentarischen Verfah-
rens ein Gesetz verabschieden werden, das unsere Bür-
gerinnen und Bürger besser vor Infektionen schützt und
dabei auch die Personen nicht aus den Augen verliert,
die tagtäglich durch ihren Einsatz genau dafür Sorge tra-
gen – das sollte uns Gesundheit wert sein .
Sabine Dittmar (SPD): Wir sprechen heute über
einen Gesetzentwurf, der mit dem Titel „Gesetz zur
Modernisierung der epidemiologischen Überwachung
übertragbarer Krankheiten“ nicht sehr verständlich und
eher sperrig daherkommt . Der Gesetzentwurf ist aber ob
seines Zieles, die epidemiologische Überwachung von
übertragbaren Krankheiten zu modernisieren und zu ver-
bessern, notwendig und zu begrüßen .
Bei Epidemien und übertragbaren Krankheiten denkt
man gemeinhin wohl eher an so verheerende Ereignisse
wie den Ebolaausbruch in Westafrika . Der Blick auf den
aktuellen Krankenstand bei grippalen Infekten und den
heftigen Noroinfektionen oder die im vergangenen Jahr
in Teilen Deutschlands grassierende Masernwelle zeigen
uns allerdings, dass wir selbst in unserem so gut funk-
tionierenden Gesundheitssystem vor dem Ausbruch von
ansteckenden Krankheiten bei weitem nicht gefeit sind .
Belege dafür, dass wir unsere Meldewege und die
Überwachung von ansteckenden Krankheiten verbessern
sollten, gab und gibt es viele . Erinnern wir uns an das
Jahr 2011: Die Ehecepidemie mit über 4 000 Erkran-
kungsfällen, davon über 700 Patienten mit dem lebens-
bedrohenden hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS),
und 50 Todesfällen . Das hat uns damals eindrücklich vor
Augen geführt, dass die Meldekette und der Informati-
onsaustausch zwischen den Bundesländern ausbaufähig
sind . Der heute in erster Lesung eingebrachte Gesetzent-
wurf nimmt sich dieser Problematik an .
Mit der Weiterentwicklung des DEMIS, dem Deut-
schen Elektronischen Meldesystem für Infektionsschutz,
wollen wir die notwendigen Rechtsgrundlagen schaffen
für ein schnelles und effektives elektronisches Melde-
und Informationssystem für übertragbare Krankheiten .
Der schnelle Datentransfer ist zweifelsohne essenziell,
um Infektionsrisiken und Hinweise auf Epidemien früh-
zeitig zu erkennen, die notwendigen Schutzmaßnahmen
ergreifen zu können und Krankheitsausbrüche einzudäm-
men .
Von einigen Fachverbänden wird allerdings die Frage
aufgeworfen, ob die vorgesehenen Änderungen dem Ziel
gerecht werden, die Effizienz bei der Prävention und der
Bekämpfung von übertragbaren Erkrankungen zu stei-
gern, und ob sie den Aufwand bei der Datenaufbereitung
tatsächlich reduzieren .
Natürlich wird sich vieles davon erst in der Praxis
unter Beweis stellen und oft auch erst dann, wenn eine
Krisensituation wie beispielsweise der bereits erwähnte
Ehecausbruch mit unbekanntem und nur schwer zu ermit-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721642
(A) (C)
(B) (D)
telndem Infektionsursprung auftritt . Es ist aber wichtig,
dass jetzt gesetzlich klargestellt und geregelt wird, wer
in welchen Einrichtungen bei welchen Infektionskrank-
heiten zur Meldung verpflichtet ist und welche Melde-
fristen, Meldeinhalte und Meldewege einzuhalten sind .
Dass es durch die geringfügige Ausweitung von zu
meldenden Infektionskrankheiten und die höhere Anzahl
von Meldenden eine größere Datendichte geben wird, die
es dann zu bearbeiten gilt, ist unbestritten . Inwieweit die
Tatsache, dass die Informationsweitergabe künftig auf
dem elektronischen Weg geschehen soll, zu einer Effizi-
enzsteigerung und Vereinfachung führen wird, bleibt je-
doch abzuwarten . Schließlich sollen am Ende tatsächlich
alle Ärzte, Einrichtungsleiter, Krankenhäuser, stationäre
Einrichtungen der Pflege, Einrichtungen für ambulantes
Operieren, Labore und Gesundheitsbehörden auf allen
Ebenen eingebunden sein, damit wir in der Endstufe ein
lückenloses Informationsnetz mit rund 400 000 Nutzern
erhalten .
Entscheidend ist auf jeden Fall, dass die beteiligten
Stellen und insbesondere der Öffentliche Gesundheits-
dienst (ÖGD) personell und organisatorisch in der Lage
sind, auf die größeren Datenströme reagieren zu können .
Auch wenn der Öffentliche Gesundheitsdienst Länder-
sache ist, möchte ich dennoch den dort immer wieder
beklagten Personalmangel nochmals aufgreifen . Die
Gesundheitsministerkonferenz hat sich im vergangenen
Jahr in der 89 . Sitzung intensiv damit beschäftigt und den
Beschluss „Perspektiven zur Stärkung des ÖGD“ gefasst .
Dem Beschluss müssen nun Taten folgen, damit die Prä-
vention und Bekämpfung von ansteckenden Krankheiten
effizienter gelingen kann.
Zudem müssen wir bei den sensiblen Daten, die künf-
tig in ein elektronisches Melde- und Informationssystem
einfließen und online übermittelt werden sollen, der Fra-
ge der Datensicherheit große Aufmerksamkeit schenken .
Das Ganze wird durch den Erlass einer Rechtsverord-
nung geregelt . Hier werden das Bundesamt für Sicherheit
in der Informationstechnik und die Bundesbeauftragte
für den Datenschutz sicherlich den entsprechenden Input
liefern .
Ein weiterer wichtiger Punkt des vorliegenden Ge-
setzentwurfes ist die Umsetzung der Laborcontain-
ment-Vorgaben der Globalen Polioeradikationsinitiative .
Stufenweise sollen Poliowildviren, Polioimpfviren und
Materialien, die Polioviren enthalten könnten, erfasst,
zentralisiert und schließlich vernichtet werden .
Polio ist ein gutes Beispiel dafür, was mit nationalen
und internationalen Vorgaben und Bemühungen erreicht
werden kann, um Krankheiten einzudämmen und auszu-
rotten . Ich wünsche mir sehr, dass wir das in naher Zu-
kunft auch über Masern und Röteln sagen können . Hier
sind wir noch weit vom Ziel entfernt .
Viel zu viele Kinder verfügen über keinen altersge-
rechten Impfschutz, und die Impflücken bei Jugendlichen
und jungen Erwachsenen sind eklatant . Ich hoffe sehr,
dass uns der Aktionsplan 2015–2020 zur Elimination
von Masern und Röteln ein großes Stück weiterbringt .
Deshalb nutze ich die heutige Debatte auch, um dazu
aufzurufen, die von der STIKO empfohlenen Schutzimp-
fungen ernst zu nehmen . Lassen Sie Ihren Impfstatus
überprüfen, auffrischen und ergänzen . Schützen Sie sich
selbst und andere durch einen kleinen Piks!
Der heute eingebrachte Gesetzentwurf beinhaltet vie-
le wichtige Punkte, die zu einem besseren Gesundheits-
schutz beitragen werden . Wir werden in der nächsten
Sitzungswoche die Gelegenheit haben, die derzeit noch
offenen Detailfragen in einer öffentlichen Anhörung
des Gesundheitsausschusses zu vertiefen und zu klären .
Schon jetzt ist aber klar, dass der Gesetzentwurf die Mel-
dekette und die Information über Übertragungswege von
ansteckenden Krankheiten verbessern wird . Er ist not-
wendig und deshalb zu begrüßen .
Birgit Wöllert (DIE LINKE): Unter dem sperrigen
Titel „Modernisierung der epidemiologischen Überwa-
chung übertragbarer Krankheiten“ diskutieren wir heu-
te, wie die Verhinderung der Verbreitung übertragbarer
Krankheiten in Deutschland weiter verbessert und ihre
Bekämpfung an neue Entwicklungen angepasst werden
kann . Mit dem Gesetzentwurf sollen Änderungen an ei-
nigen bestehenden Gesetzen, darunter – um nur einige zu
nennen – das Infektionsschutzgesetz (IfSG), die Trink-
wasserverordnung, das Gesetz zur Durchführung der
Internationalen Gesundheitsvorschriften und das Auslän-
derzentralregistergesetz, vorgenommen werden .
Die Bekämpfung ansteckender Krankheiten ist für
meine Fraktion Die Linke ein wesentliches gesundheits-
politisches Ziel . Neben gesundheitsfördernden und prä-
ventiven Maßnahmen stellen auch die Konkretisierungen
und Erweiterungen der Meldepflicht sowie insbesondere
die Einführung eines elektronischen Melde- und Infor-
mationssystems für übertragbare Krankheiten (DEMIS)
ein Instrument zur rascheren Bekämpfung und Verhütung
von Infektionskrankheiten dar . Durch den verbesserten
Informationsaustausch infolge einer elektronischen Ver-
arbeitung der Informationen wird der Aufwand der Da-
tenaufbereitung für die Veröffentlichung in Form von
Berichten und online zugänglichen öffentlichen interak-
tiven Datenabfragen reduziert . Automatisierte Abfragen
und Auswertungen werden so ermöglicht .
Seit 1997 nimmt Deutschland an der 1988 ins Leben
gerufenen globalen Initiative zur Ausrottung der Kin-
derlähmung teil, der sogenannten Globalen Polioeradi-
kationsinitiative (GPEI) . Damit die Bundesrepublik sich
weiter an ihr beteiligen kann, sind einige gesetzliche An-
passungen nötig . Auch diese werden von uns unterstützt .
§ 23 des Infektionsschutzgesetzes regelt die Maß-
nahmen zur Sicherstellung der Verhütung zur Weiter-
verbreitung von Krankheitserregern . Hier wurden die in
Absatz 4 benannten Leiter von Krankenhäusern und Ein-
richtungen für ambulantes Operieren um die Leiter von
Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen ergänzt .
Auch das ist richtig, geht es doch um die Vermeidung
von Keimen, die im Zusammenhang mit medizinischen
Behandlungen erworben werden können, und um den
Nachweis, welche Antibiotika in welcher Dosis einge-
setzt wurden . Das ist deshalb wichtig, weil immer mehr
Menschen im Laufe ihres Lebens gegen immer mehr An-
tibiotika resistent werden .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21643
(A) (C)
(B) (D)
Lassen Sie mich einige Ausführungen zu § 36 und sei-
nen recht umfangreichen Ergänzungen und Änderungen
am IfSG machen .
Die Klarstellung bei der Aufzählung der Einrichtun-
gen, die in Hygieneplänen innerbetriebliche Verfahrens-
weisen zur Infektionshygiene festlegen müssen und der
infektionshygienischen Überwachung durch das Gesund-
heitsamt unterliegen, ist sinnvoll, ebenso die Ergänzung
der Liste der Einrichtungen um ambulante Pflegedienste
und Unternehmen, die Altenheimen oder Pflegeheimen
vergleichbar sind .
Zu diskutieren dagegen ist die Sinnhaftigkeit der Än-
derung im Ausländerzentralregistergesetz . Wenn eine
Gesundheitsuntersuchung von Ausländerinnen und Aus-
ländern keine medizinischen Bedenken gegen eine ge-
meinschaftliche Unterbringung der betreffenden Person
erbracht hat, soll dies künftig zentral im Ausländerzen-
tralregister gespeichert werden .
Problematisch ist aus unserer Sicht die Änderung, die
mit der Einschränkung von Grundrechten einhergeht . In
Absatz 6 des § 36 IfSG wird auf die Einschränkung des
Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit in Artikel 2
Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes verwiesen . Hier geht
es um Menschen, die in gemeinschaftlichen Einrichtun-
gen von Asylbewerbern, vollziehbar Ausreisepflichtigen,
Flüchtlingen und Spätaussiedlern untergebracht sind .
Sie sind verpflichtet, unter bestimmten Bedingun-
gen eine ärztliche Untersuchung auf Ausschluss einer
ansteckenden Lungentuberkulose einschließlich einer
Röntgenaufnahme der Atmungsorgane zu dulden . Auch
Personen, die in eine Justizvollzugsanstalt aufgenommen
werden, sind verpflichtet, eine ärztliche Untersuchung
auf übertragbare Krankheiten einschließlich einer Rönt-
genaufnahme der Lunge zu dulden .
Bei der Einschränkung von Grundrechten muss immer
gefragt werden: Gibt es Alternativen – in diesem Falle di-
agnostische Alternativen –, die sicherstellen, dass ande-
ren Menschen in Gemeinschaftsunterkünften kein Scha-
den durch die Ansteckung mit einer Infektionskrankheit
entsteht, wenn solche Untersuchungen unterbleiben? Da-
rüber wird im Gesetzgebungsverfahren und in der Anhö-
rung zu reden sein .
Worüber sich meine Fraktion allerdings schon heute
klar ist: Wir stimmen keinem Gesetz zu, das in diesem
sensiblen Bereich der Landesgesetzgebung die Mög-
lichkeit einräumt, solche Pflichtuntersuchungen weiter
auszudehnen . Hier sind bundeseinheitliche Regelungen
nach unserer Überzeugung dringend notwendig .
Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Der Ehecausbruch ist heute noch vielen Menschen
im Gedächtnis . Der Ausbruch mit fast 4 000 Erkrankun-
gen und 53 Verstorbenen infolge der schweren Infektion
hat die Gesundheitsbehörden von Bund und Ländern und
das medizinische Versorgungssystem vor außerordentli-
che Herausforderungen gestellt . Der regionalübergreifen-
de Ausbruch hat uns vergegenwärtigt, dass auch seltene,
aggressive Krankheitserreger nicht vor Landesgrenzen
haltmachen . Im Nachgang der Ehec-Krise hat sich vor
allem auch die Gesundheitsministerkonferenz (GMK)
mit den Lehren aus den Vorfällen beschäftigt . Dabei war
ein wesentlicher Punkt, dass es eines schnellen Informa-
tionsflusses im Ausbruchsfall bedarf, um übertragbaren
Infektionskrankheiten rasch zu begegnen . Deshalb wur-
de zu Recht gefordert, dass zukünftig die Übermittlung
von Falldaten beschleunigt und auch die Verzahnung der
Arbeit von Bund und Ländern verbessert werden muss .
Auch wenn der Bund zur Bekämpfung von übertragba-
ren Krankheiten das Infektionsschutzgesetz erlassen hat,
fällt die Aufgabe der Seuchenbekämpfung vor Ort in die
Zuständigkeiten der Länder und Kommunen .
Der nun vorliegende Gesetzentwurf „zur Modernisie-
rung der epidemiologischen Überwachung übertragbarer
Krankheiten“ ist nun der Versuch, die Prävention und
Bekämpfung übertragbarer Krankheiten effizienter zu
gestalten . Die Übermittlung von Falldaten soll aufgrund
einer einheitlichen elektronischen Basis beschleunigt
und somit das Meldesystem verbessert, die Meldepflich-
ten ausgeweitet und zusätzliche Bestimmungen in Ge-
meinschaftsunterkünften ergänzt werden . Allerdings ent-
hält der Gesetzentwurf zahlreiche Erneuerungen, deren
Tragweite und konkrete Ausführung noch viele Fragen
offenlässt .
Erstens, ÖDG: Die Bedeutung ist im Gesetzentwurf
nicht ausreichend abgedeckt . Das Infektionsschutzgesetz
(IfSG) zur Gefahrenabwehr von Infektionskrankheiten
ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, weshalb die
Kosten nicht allein den Kommunen auferlegt werden
dürfen . Die Bedeutung der kommunalen Strukturen des
Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) wird im Ge-
setzentwurf der Bundesregierung nicht ausreichend be-
rücksichtigt . So blauäugig wie die Bundesregierung ist,
berücksichtigt sie nicht, dass die Einführung des DEMIS
Mehrarbeit für den Öffentlichen Gesundheitsdienst dar-
stellt, und versäumt es dadurch, die Mehraufgaben finan-
ziell abzubilden . Das Robert-Koch-Institut (RKI) etwa
erfährt mit der Novelle eine Stärkung; die Basis bleibt
weiterhin geschwächt . Deshalb fordern wir Nachbesse-
rungen gerade hinsichtlich der personellen Notwendig-
keiten, die sich nicht nur am RKI, sondern auch beim
kommunal getragenen Teil des ÖGDs ergeben .
Zweitens, DEMIS: Mehr- oder Minderaufwand? Die
Einführung des DEMIS begrüßen wir . Viele Meldun-
gen erfolgen nach wie vor per Fax an das zuständige
Gesundheitsamt . Dieser Weg ist sehr fehleranfällig und
zudem aufwendig, da erst im Gesundheitsamt eine ma-
nuelle Eingabe der per Fax übermittelten Daten erfolgt .
Die Bundesregierung geht deshalb davon aus, dass es
durch die Einführung von DEMIS zu einer Entlastung
der Gesundheitsämter kommen wird . Im Gegensatz dazu
sprechen der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte
des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, die kommunalen
Spitzenverbände sowie die Bundesärztekammer davon,
dass durch die Einführung des DEMIS wesentlich höhere
Meldezahlen generiert werden und dadurch ein erhöhter
Recherchebedarf und Ermittlungsaufwand aufseiten der
Gesundheitsämter entstehen wird .
Die Bundesregierung täte gut daran, die Arbeit der Ge-
sundheitsämter nicht nur auf die bloße Datensammlung
zu reduzieren; denn sie sind auch für die Auswertung und
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721644
(A) (C)
(B) (D)
letztendlich für die Eindämmung der Infektionskrankhei-
ten zuständig . Auch die Antworten auf die wesentlichen
Fragen der Datenqualität und die Herausforderungen an
die Qualifikationen von Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
tern im Bereich des Datenhandlings und -monitorings
werden im vorliegenden Gesetzentwurf nicht abgebildet .
Drittens, Änderungen bei Gemeinschaftseinrichtun-
gen und Gemeinschaftsunterkünften mit Maß? Dass
Röteln in die Liste der Erkrankungen aufgenommen
werden, die zu einem Tätigkeits- bzw . Betretungsverbot
führen, ist aus epidemiologischer Sicht begrüßenswert .
Die erst bei der letzten IfSG-Novelle (im Rahmen des
Präventionsgesetzes) eingeführte Änderung, die die Vor-
lage einer Impfberatung bei Aufnahme in die Einrichtung
fordert, wird mit diesem Gesetzentwurf verschärft .
Die Kindergartenleitung soll nun verpflichtet wer-
den, das Gesundheitsamt, sofern der Nachweis über eine
Impfberatung nicht vorgelegt wird, zu benachrichtigen .
Sowohl aus datenschutzrechtlichen Gründen als auch aus
Präventionssicht ist diese Anpassung abzulehnen .
Die Richtung des Gesetzes ist begrüßenswert . Doch
insgesamt werden in dem Entwurf zahlreiche Änderun-
gen vorgesehen, deren Tragweite und konkrete Ausfüh-
rung noch viele Fragen offen lassen . Dies gilt nicht nur
für DEMIS, sondern zum Beispiel auch für die Unter-
richtungspflichten und andere Neuerungen.
Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin
beim Bundesminister für Gesundheit: Mit dem Infek-
tionsschutzgesetz wurden im Jahr 2001 bereits gute
Grundlagen für die epidemiologische Überwachung
übertragbarer Krankheiten in Deutschland geschaffen .
Der vorliegende Gesetzentwurf soll den Infektionsschutz
und den damit befassten Öffentlichen Gesundheitsdienst
nun in das digitale Zeitalter befördern .
Die Möglichkeiten moderner Informationstechnologie
sollen verstärkt genutzt werden, um die Effizienz des In-
fektionsschutzes zu steigern . Dazu soll ein einheitliches
elektronisches Melde- und Informationssystem geschaf-
fen werden, mit dem Meldedaten automatisiert verarbei-
tet werden können .
Das System soll bereits bei den meldepflichtigen La-
boren, Ärztinnen und Ärzten und Krankenhäusern anset-
zen . Es soll diese automatisiert auf das Bestehen einer
Meldepflicht aufmerksam machen und sie beim Erstellen
der Meldung unterstützen . Die Software des elektroni-
schen Meldesystems soll dazu in die bereits eingesetzten
Praxissoftwaresysteme integriert werden können .
Durch das elektronische System können die Gesund-
heitsämter und das Robert-Koch-Institut Daten über das
Auftreten von übertragbaren Krankheiten schneller, voll-
ständiger und in besserer Qualität erhalten . Die Gesund-
heitsämter werden von bürokratischem Aufwand entlas-
tet . Daten aus eingegangenen Meldungen müssen nicht
mehr von Hand in den Computer übertragen werden .
Zahlreiche weitere Datenverarbeitungsschritte sollen
automatisiert erfolgen können, etwa die Erkennung von
Krankheitshäufungen oder von Doppelmeldungen . Für
die Datensicherheit und den Datenschutz wird das Sys-
tem höchste Standards gewährleisten .
Ziel ist es, das System so auszugestalten, dass es mit-
telfristig auch als mögliche Anwendung der Telematik-
infrastruktur des Gesundheitswesens infrage kommt .
Das RKI soll ein entsprechendes System errichten . Da-
für wird gegenwärtig ein Zeitraum von etwa fünf Jahren
veranschlagt . Ein gemeinsamer Planungsrat soll sicher-
stellen, dass Bund und Länder sich hier eng miteinander
abstimmen .
Mit dem Gesetzentwurf werden darüber hinaus eine
Reihe von weiteren Verbesserungen im Infektionsschutz
vorgenommen . Beispielhaft nenne ich folgende Punkte:
Damit das Gesundheitsamt bei einer Häufung von
Krankenhausinfektionen ein umfassenderes Lagebild er-
hält, werden die Angaben, die bei einer entsprechenden
Meldung zu machen sind, erweitert .
Damit das Gesundheitsamt frühzeitiger vom Auftre-
ten von Skabies in Gemeinschaftsunterkünften wie zum
Beispiel stationären Pflegeinrichtungen erfährt und ein-
schreiten kann, wird eine entsprechende Benachrichti-
gungspflicht geregelt.
Das RKI nimmt im Bereich des internationalen Ge-
sundheitsschutzes in zunehmendem Maße Verantwortung
auch durch Einsätze im Ausland wahr . Dieses Engage-
ment wird nun gesetzlich verankert . Damit wird – nicht
zuletzt aufgrund der Erfahrungen aus dem Ebolaausbruch
in Westafrika im Jahr 2014 – der gestiegenen Bedeutung
von globalem Gesundheitsschutz Rechnung getragen .
Der Gesetzentwurf betrifft auch die Beteiligung
Deutschlands an der weltweiten Strategie der WHO zur
Ausrottung der Kinderlähmung .
Um die großen Erfolge der weltweiten Impfprogram-
me dauerhaft abzusichern, sieht der Gesetzentwurf ent-
sprechend der Polioeradikationsstrategie Maßnahmen
zur Erhöhung der Laborsicherheit und zur schrittweisen
Vernichtung aller Poliovirenbestände vor . Der Gesetz-
entwurf bringt damit viele große und kleine Schritte zur
Verbesserung des Infektionsschutzes – für Deutschland
und darüber hinaus .
Anlage 13
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des von der Bundesregierung einge
brachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Wirt
schaftspartnerschaftsabkommen vom 15. Oktober
2008 zwischen den CARIFORUMStaaten einer
seits und der Europäischen Gemeinschaft und ih
ren Mitgliedstaaten andererseits (Zusatztagesord
nungspunkt 4)
Dr. Georg Kippels (CDU/CSU): Wirtschaft, Han-
del und Beschäftigung sind zentral für die erfolgreiche
Entwicklung eines Landes . Für die Staaten des CARI-
FORUM ist die EU der zweitwichtigste Handelspartner
weltweit . Damit eröffnet das Wirtschaftspartnerschafts-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21645
(A) (C)
(B) (D)
abkommen vom 15 . Oktober 2008 zwischen den CA-
RIFORUM-Staaten einerseits und der Europäischen
Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits
verbesserte wirtschaftliche Möglichkeiten .
Durch das Wirtschaftspartnerschaftsabkommen wer-
den Handelshemmnisse schrittweise und WTO-konform
abgebaut und die Handels- und Entwicklungszusammen-
arbeit gestärkt . Das Abkommen trat zwar bereits 2008
in Kraft, allerdings nur vorläufig. Jetzt wird es durch
Deutschland ratifiziert. Dies ist ein wichtiger Schritt im
Bestreben, weiter den wirtschaftlichen Aufschwung der
Partnerstaaten zu verbessern . Ich begrüße es dabei sehr,
dass die EU den CARIFORUM-Staaten nahezu vollstän-
digen Marktzugang einräumt, während die Handelslibe-
ralisierung aufseiten der CARIFORUM-Staaten weniger
weitreichend ausfällt und stufenweise erfolgt .
Weiter sind die vereinbarten Schutzklauseln ein wich-
tiges Instrument, um den CARIFORUM-Staaten die
Möglichkeit zu geben, Schutzmaßnahmen zu ergreifen,
wenn durch EU-Importe eine Schädigung der heimi-
schen Wirtschaft droht . Zudem muss man betonen, dass
das EPA mit einem regionalen Staatenblock geschlossen
wurde . Hiermit sollen die regionale Integration vorange-
trieben werden und damit auch nachhaltige und arbeits-
teilige Wertschöpfungsprozesse etabliert werden .
Lassen Sie mich ein Beispiel dafür nennen, wie das
Wirtschaftspartnerschaftsabkommen im Zusammenspiel
mit europäischer Entwicklungshilfe zur nachhaltigen
Entwicklung der Region beitragen kann: das Regulie-
rungsprojekt des Caribbean Regional Fisheries Mecha-
nism (CRFM) zur Verbesserung der Sicherheit von Fisch
und Fischereierzeugnissen für Verbraucher in nationalen
und Exportmärkten mit dem Inter-American Institute for
Cooperation on Agriculture . Hierbei handelt es sich um
ein Projekt, das vom 10th European Development Fund –
Sanitary and Phyto-Sanitary Measures – der EU geför-
dert wurde .
Im Rahmen des Projekts wurden sechs neue Hand-
bücher für die Inspektion von Fischereifahrzeugen, Ver-
arbeitungsbetrieben und Aquakulturanlagen erarbeitet
sowie zwei Handbücher zur Prüfung der Fischereier-
zeugnisse . Die Handbücher sind in den Sprachen Spa-
nisch, Französisch und Niederländisch verfügbar . Damit
werden internationale Normen für die Sicherheit von Fi-
schereierzeugnissen erreicht, die das volle Ausschöpfen
des wirtschaftlichen Nutzens für die Fischereisektoren in
den CARIFORUM-Staaten, insbesondere im Export, in
der Zukunft ermöglichen .
Dieses Zusammenspiel von Entwicklungsprogram-
men, die die Länder fit für den Weltmarkt machen, und
Wirtschaftspartnerschaften, die den Ländern den Zugang
zum europäischen Markt ermöglichen, sind für mich
die Zukunft . Durch diese Herangehensweise wird die
von den SDGs geforderte Zusammenarbeit auf Augen-
höhe gefördert und der nachhaltige wirtschaftliche Auf-
schwung ermöglicht .
Entscheidend wird aber auch sein, die Handelsab-
kommen nicht nur stereotyp fortzuführen, sondern auch
auf die Veränderungen aus Globalisierung und Digita-
lisierung anzupassen und fortzuschreiben . Gerade bei
kleineren Handelspartnern mit keinen oder nur gerin-
gen Rohstoffvorräten kann durch Veränderungen in der
Produktionsstruktur eine andere und nachhaltige Wert-
schöpfungskette aufgebaut werden . Wissenstransfer als
Wirtschaftsgut wird dabei in Zukunft eine größere Rol-
le einnehmen und bietet Expansionsmöglichkeiten, die
nichts mit der geografischen Lage oder sonstigen harten
Produktionsfaktoren zu tun haben .
Bei der Anwendung und Umsetzung der Abkommen
wird aber auch umso mehr der Auftrag aus der Agen-
da 2030 in den Vordergrund rücken, und wir werden die
globale Verantwortung intensiver beachten und überneh-
men müssen .
Welche gesellschaftspolitischen Auswirkungen und
Diskussionen von Handelsabkommen und Verhandlun-
gen um diese ausgehen können, erlebten wir in diesen
Tagen bei CETA und TTIP, wobei es weniger auf die
Dimension als vielmehr auf die Philosophie und gesell-
schaftliche Akzeptanz ankommen wird .
Das CARIFORUM-Abkommen ist deshalb heute
wesentlich mehr als eine unbedeutende Fußnote in den
Geschichtsbüchern, nämlich ein neues Kapitel in einer
fairen Globalisierung .
Dr. Sascha Raabe (SPD): Manchmal mahlen die
europäischen und nationalen Mühlen wirklich lang-
sam . Man muss sich das einmal vor Augen führen: Das,
worüber wir hier und heute im Deutschen Bundestag
abschließend beraten, das Wirtschaftspartnerschafts-
abkommen der EU mit den karibischen Staaten – kurz
CARIFORUM –, ist bereits seit 2008 vorläufig in Kraft.
Neun Jahre später haben wir als deutsche Abgeordnete
im Rahmen des Ratifikationsprozesses nun die Chance
mitzuentscheiden . Dass wir, wenn auch spät, diese Chan-
ce zur Beteiligung bei einem Handelsabkommen der
EU überhaupt haben, ist keineswegs selbstverständlich .
Lange habe ich mit Unterstützung unseres Bundestags-
präsidenten erfolgreich dafür gekämpft, dass der Deut-
sche Bundestag bei allen jetzt noch ausstehenden Wirt-
schaftspartnerschaftsabkommen (Economic Partnership
Agreement – EPA) mit den afrikanischen, karibischen
und pazifischen Staaten zu beteiligen ist. Nein, ich denke,
wir sollten sehr selbstbewusst auf unseren Beteiligungs-
rechten bei all diesen Abkommen bestehen . Insofern ist
das heute ein guter Tag für den Parlamentarismus .
Und wir nehmen unsere Kontrollfunktion ernst . Das
haben wir beim vorliegenden CARIFORUM-Abkom-
men bewiesen, und das werden wir ebenso bei den an-
stehenden Abkommen mit den afrikanischen Regionen
beweisen . Ich hatte bereits anlässlich der ersten Lesung
im vergangenen September angekündigt, dass wir uns
im Ausschuss noch einmal intensiv mit dem Abkommen
befassen würden . Welche Auswirkungen hat es? Hat es
sein Ziel, eine entwicklungsfördernde und armutsredu-
zierende Wirkung in den karibischen Partnerländern zu
entfalten, erfüllt? Das CARIFORUM-Abkommen bietet
sich ja nun wirklich an, sich mit seinen Auswirkungen
auseinanderzusetzen, weil es, wie beschrieben, schon ei-
nige Zeit in Kraft ist . Wir haben ein Fachgespräch mit
Experten zu dieser Frage durchgeführt . Das Ergebnis:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721646
(A) (C)
(B) (D)
Bei diesem EPA sind bislang kaum nennenswerte wirt-
schaftliche oder soziale Folgen festzustellen, weder po-
sitiv noch negativ .
Ist CARIFORUM also kalter Kaffee? Ich denke, nicht,
und ich glaube, wir sollten diesem Abkommen eine
Chance geben . Wir würden unsere Partner in der Kari-
bik vor den Kopf stoßen, würden wir jetzt das Abkom-
men noch stoppen . Allein die Tatsache, dass ein solches
Partnerschaftsabkommen vereinbart wurde, wird in den
Ländern der karibischen Region durchaus positiv gese-
hen . Diese Signalfunktion für den Willen zur Zusammen-
arbeit darf man nicht unterschätzen . An mich jedenfalls
ist bisher aus den Partnerländern der karibischen Regi-
on noch keine Bitte herangetragen worden, dem Vertrag
nicht zuzustimmen – weder von staatlicher Seite noch
etwa von Gewerkschaftsseite . Ich kann und will zwar an
dieser Stelle nicht verhehlen, dass ich an einigen Stellen
Bedenken habe und vieles an dem Abkommen kritisch
sehe. Dennoch habe ich mich nach reifliche Überlegung
letztlich entschlossen, als zuständiger Berichterstatter
meiner Fraktion die Zustimmung zu empfehlen .
Ausschlaggebend hierfür ist, dass ich das Nach-
haltigkeitskapitel des CARIFORUM-Abkommens für
vergleichsweise fortschrittlich halte . Dort sind die öko-
logischen, menschenrechtlichen und sozialen Mindest-
standards in einer Art und Weise verankert, wie man
es sich auch bei anderen Abkommen wünschen würde .
Und anders als in alle bisherigen Handelsabkommen der
EU sind sie mit Sanktionsmechanismen ausgestattet, die
ich für gerade noch ausreichend erachte . Ich habe mich
hierzu in den letzten Wochen intensiv mit der EU-Kom-
mission beraten, weil es in dieser Frage doch einige Un-
klarheiten gab . Mir ist es wichtig, dass wir hier keinen
zahnlosen Tiger vereinbaren, sondern dass schwere Ver-
stöße etwa gegen ILO-Kernarbeitsnormen auch wirksam
geahndet werden können . Das ist bei genauer Betrach-
tung bei CARIFORUM der Fall . Mehr Klarheit im Ver-
trag wäre sicher wünschenswert, aber letztlich zählt die
faktisch bestehende Möglichkeit zur Sanktion . Für CA-
RIFORUM kann ich daher den Weg mitgehen .
Ich möchte an dieser Stelle aber auch ganz deutlich sa-
gen: Die Zustimmung zu CARIFORUM ist kein Präjudiz
für die Abkommen mit den afrikanischen Regionen . Die
Abkommen mit der Westafrikanischen Wirtschaftsge-
meinschaft (ECOWAS), der Ostafrikanischen Gemein-
schaft (EAC) sowie der Südafrikanischen Entwicklungs-
gemeinschaft (SADC), die allesamt noch dem Bundestag
vorgelegt werden müssen, sind wesentlich kritischer zu
sehen und meiner Auffassung nach nicht zustimmungs-
fähig . Und sie werden – und das ist ein wesentlicher Un-
terschied zu CARIFORUM – auch in den Partnerländern
kritischer bewertet . Mehrere afrikanische Länder haben
noch nicht unterzeichnet, und die Stimmen nach Neuver-
handlungen werden immer lauter .
Wir sollten diese Stimmen hören und ernst nehmen .
Die Märkte in den afrikanischen Ländern sind in der
Regel sehr viel anfälliger als die der Partnerstaaten in
der karibischen Region . Die mit den Wirtschaftspartner-
schaftsabkommen angestrebte Marktöffnung braucht hier
noch sehr viel mehr ein hohes Maß an Zurückhaltung und
Schutzmöglichkeiten . In den afrikanischen Ländern sind
die möglichen negativen Auswirkungen der Wirtschafts-
partnerschaftsabkommen, die eben nicht immer den von
der EU-Kommission so gepriesenen Geist der Partner-
schaft verströmen, wesentlich durchschlagender, als dies
für die CARIFORUM-Staaten der Fall ist . Viele Kritiker
dieser Abkommen befürchten wohl zu Recht erhebli-
che negative Konsequenzen für die wirtschaftliche Ent-
wicklung der Partnerländer: Lokale Märkte werden für
bestimmte Produkte durch Dumpingimporte aus der EU
zerstört, Wertschöpfung in den Ländern selber wird be-
hindert . Das alles ist kein Horrorszenario irgendwelcher
verblendeten Globalisierungskritiker, sondern könnte bei
Umsetzung der Abkommen sehr schnell Realität werden .
Ich finde es vor diesem Hintergrund sehr bedauerlich,
dass – wenn ich richtig informiert bin – die EU-Handels-
kommissarin Cecilia Malmström erst in dieser Woche
die afrikanische Forderung nach Neuverhandlungen bei
einer Veranstaltung Brüssel kategorisch ausgeschlossen
hat . Diese sture Haltung, dieses „Friss oder stirb“, hilft
niemandem weiter, und ich glaube nicht, dass Europa
sich diese Arroganz leisten sollte .
Genau genommen ist die Forderung, die Abkommen
neu zu verhandeln, nämlich sogar völlig richtig . Das
Rahmenabkommen, auf dem die EPAs gründen, also das
Cotonou-Abkommen aus dem Jahr 2000, läuft 2020 aus .
Es laufen bereits die Überlegungen, wie ein Post-Coto-
nou-Vertrag aussehen könnte . Schon im zweiten Halb-
jahr 2017 soll das Verhandlungsmandat der Kommissi-
on vorliegen, im kommenden Jahr die Verhandlungen
aufgenommen werden . Welchen Sinn macht es da, jetzt
noch EPAs auf der Grundlage des alten Rahmenabkom-
mens zu verabschieden? Die EPAs mit den afrikanischen
Regionen sind veraltet, bevor sie in Kraft treten können .
Ein konsequenter Schlussstrich jetzt und dann ein Neu-
start auf einer neuen Grundlage mit Verhandlungen, die
wirklich auf Augenhöhe geführt werden müssen, wären
sicher besser .
Dann hätten wir auch die Chance, echte Nachhaltig-
keitskapitel durchzusetzen, die diesen Namen auch ver-
dienen und mehr sind als ein moralisches Feigenblatt . Wir
brauchen verbindlich verankerte ökologische, menschen-
rechtliche und soziale Mindeststandards mit wirksamen
Überprüfungs- und Sanktionsmechanismen . Gute Arbeit
statt Ausbeutung und Kinderarbeit . Davon sind die af-
rikanischen Abkommen derzeit noch weit entfernt . Das
aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollte unser Ziel
sein: gute Abkommen, mit denen wir den Menschen in
Afrika eine Perspektive bieten können . Denn wer verhin-
dern will, dass sich immer mehr Menschen auf der Flucht
vor Armut auf den gefährlichen Weg über das Mittelmeer
nach Europa aufmachen, der muss die Globalisierung
gerecht gestalten . Fairhandel statt Freihandel – eine
gerechte Welthandelsordnung und fair gestaltete Han-
delsverträge sind ein zentraler Baustein, um die (Über-)
Lebensperspektiven von Menschen in Entwicklungslän-
dern zu verbessern . Nur dort, wo es eine wirtschaftliche
Perspektive und gute Jobs mit anständigen Löhnen gibt,
lassen sich Fluchtursachen eindämmen . Mit fairen Wirt-
schaftspartnerschaftsabkommen könnten wir einen wich-
tigen Schritt dahin machen . Bis dahin aber liegt auch für
uns hier Bundestag noch viel Arbeit vor uns .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21647
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Heike Hänsel (DIE LINKE): Fast neun Jahre sind nun
seit der Unterzeichnung des CARIFORUM-Abkommens
ins Land gezogen; heute will es die Bundesregierung ra-
tifizieren. Wir werden wieder, wie bei allen EPAs, dage-
gen stimmen, weil wir glauben, dass sie die Entwicklung
Afrikas und der Karibik behindern, statt sie zu fördern .
In all den Jahren, die dieses EPA nun schon vorläufig
angewendet wird – an den Parlamenten vorbei übrigens,
nicht gerade demokratisch – gibt es selbst laut der re-
gierungsnahen Stiftung Wissenschaft und Politik „bes-
tenfalls anekdotische Evidenz“ für Handelsvorteile für
die Karibik . Das heißt auf gut Deutsch: Die CARIFO-
RUM-Staaten haben bisher gar nichts von dem Abkom-
men .
Was ist aus den Exportchancen geworden, die die EU
den Inselstaaten versprochen hatte? Im Gegenteil: Das
Handelsdefizit der Karibik mit der EU war 2015 drei-
mal so groß wie noch zehn Jahre zuvor . So funktioniert
Freihandel zwischen ungleichen Wirtschaftsräumen: Mit
den hochspezialisierten und -technisierten EU-Konzer-
nen können die Exporteure der Karibik nicht konkurrie-
ren . So werden Rohstoffe, Bananen und Zucker expor-
tiert und europäische Autos und Maschinen importiert .
Dabei steht das Größte noch bevor: Die CARIFO-
RUM-Staaten müssen nämlich ihre Handelsschranken
erst schrittweise abbauen . Momentan sind wir bei 61 Pro-
zent der Schutzzölle; in 15 Jahren sollen es 90 Prozent
sein . Wir können uns nur ausmalen, wie die Handelsbi-
lanz dann aussieht und was das für Auswirkungen auf die
Wirtschaft in der Karibik haben wird . EPAs stärken eben
nicht die regionale Wertschöpfung, sondern verhindern
sie .
Trotz alledem will uns die Bundesregierung ja weis-
machen, die EPAs seien gar keine Freihandels-, sondern
„Entwicklungsabkommen“ . Auf allen Werbeveranstal-
tungen haben Regierungsvertreter deshalb die Entwick-
lungs-, Umwelt- und Sozialstandards gepriesen . Das ist
zynisch: Ein bisschen Entwicklungshilfe („Aid for Tra-
de“) soll die Schäden, die der Freihandel der Wirtschaft
zufügt, ausbügeln . Die gelobten Sozialstandards in Ka-
pitel 4 und 5 gelten außerdem nicht für diejenigen, die
am meisten von dem Abkommen profitieren: die europä-
ischen Großkonzerne .
Kein Arbeitnehmer in der Karibik, dessen Menschen-
und Arbeitsrechte von den EU-Multis verletzt werden,
kann dagegen vor einem europäischen Gericht klagen .
Das ginge nur über ein verbindliches Menschenrechts-
abkommen, den derzeit geplanten UN-Treaty . Aber den
blockiert die Bundesregierung auf UN-Ebene . Machen
wir uns bei all den edlen Worten über die EPAs als „Ent-
wicklungsabkommen“ nichts vor; der EU geht es um die
Profitmaximierung ihrer Großkonzerne und nicht darum,
die Lebensbedingungen der Menschen in Afrika und der
Karibik zu verbessern .
Was wir dabei nicht vergessen dürfen: Die Staaten
Afrikas und der Karibik haben alle eine koloniale Ver-
gangenheit; sie alle wurden jahrhundertelang von den
europäischen Großmächten, ihren Konzernen und Han-
delsdynastien ausgebeutet . Die Folgen sind noch heute
spürbar, in der extremen wirtschaftlichen Ungleichheit
zwischen Norden und Süden . Zu Zeiten des Lomé-Ab-
kommens war sich die EU scheinbar noch dieses koloni-
alen Vermächtnisses bewusst: Die ehemaligen Kolonien
hatten zollfreien Zugang zum EU-Markt, um ihre Pro-
dukte hier verkaufen zu können .
Mit den EPAs hat sich das Blatt gewendet . Nun sind es
die CARIFORUM-Staaten, die nach und nach ihre Zoll-
schranken für die Billigimporte aus Europa öffnen müs-
sen . Sogar der Dienstleistungs- und Investitionssektor
muss liberalisiert werden . Klar ist: Lokale Produzenten
werden das Nachsehen haben, eigenständige Entwick-
lungen gehemmt . Wie soll ein CARIFORUM-Land in-
nerhalb einer Schonfrist von nur zehn Jahren eine eigen-
ständige, wettbewerbsfähige Industrie aufbauen?
Wie lange hat im Vergleich die Industrialisierung in
Europa gedauert? Ermöglicht hat die ja auch erst die ko-
loniale Expansion der Großmächte . Die EU und alle, die
diesem Abkommen zustimmen, haben die Verheerungen
des Kolonialismus und die entsprechende historische
Verantwortung offenbar vergessen . Unverständlich bleibt
mir, warum sich die Grünen, die uns in vielen dieser
Punkte sicher zustimmen, heute nur enthalten .
Natürlich gab es in der Karibik Protest gegen die
EPAs . Der jamaikanische Wirtschaftsprofessor Norman
Girvan sagte, das CARIFORUM-EPA habe das Projekt
der karibischen Staaten, einen eigenen Wirtschaftsraum
(CARICOM) aufzubauen, „praktisch getötet“ . Statt regi-
onaler Integration und mehr Handel zwischen den Inseln
bringen die EPAs die Ausrichtung auf den Handel mit
der EU . Laut Professor Girvan wird das Abkommen zu
völligen Fehlentwicklungen führen: Europäische Firmen
bekommen Zugang zu Rohstoffen, primären Nahrungs-
mitteln und unterbezahlten Arbeitskräften . Nachhaltige
Entwicklung sieht anders aus, da werden Sie mir alle zu-
stimmen .
Auf einen letzten Aspekt möchte ich noch hinweisen,
nämlich die Länder der Karibik, die die EPAs nicht unter-
schrieben oder ratifiziert haben. Da ist zum einen Haiti.
Haiti gehört als einziges Land Lateinamerikas zur Grup-
pe der Least Developed Countries, der am wenigsten ent-
wickelten Staaten, und konnte deswegen nicht mit dem
Verlust der EU-Handelsprivilegien unter Druck gesetzt
werden . In Haiti ist klar, dass das EPA nur Nachteile brin-
gen würde; daher hat es auch nicht ratifiziert.
Und dann wäre da als einziges karibisches Land, das
gar nicht im CARIFORUM ist, Kuba . In Kuba legt man
keinen Wert auf Freihandelsabkommen, die nur den Star-
ken nützen . Wenn ausländische Firmen Zugang zum ku-
banischen Markt bekommen wollen, müssen sie bewei-
sen, dass ihre Geschäfte dem Land und der Bevölkerung
wirklich nützen . Zum Beispiel indem sie eine Fabrik auf
Kuba bauen, gut bezahlte Arbeitsplätze schaffen und
Steuern zahlen . Von denen können dann kostenlose Bil-
dung und Gesundheit für alle finanziert werden. Solche
Entwicklungsmodelle halten wir für weit sinnvoller als
die neoliberale Freihandelsdoktrin .
Die EPAs werden die soziale Schere auf der Welt nicht
schließen, sondern weiter öffnen . Die EPAs sind TTIP
und CETA für den Süden; deshalb lehnen wir sie kom-
plett ab .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 201721648
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Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir
stehen hier heute vor der Entscheidung, über ein Abkom-
men abzustimmen, welches bereits seit acht Jahren vor-
läufig angewendet wird. Deshalb können wir an dieser
Stelle auch sagen, dass das Abkommen zwischen den
Karibikstaaten und der Europäischen Union nicht Wort
gehalten hat . Das Entwicklungsversprechen wurde nicht
eingelöst . Eine nachhaltige Entwicklung wurde durch
das Partnerschaftsabkommen nicht befördert . Vielmehr
enthält es Bestimmungen, die eine entwicklungsfreundli-
che Industriepolitik konterkarieren könnten .
Mit dem Verbot von Exportsteuern wird einem schäd-
lichen Extraktivismus Vorschub geleistet, statt Wert-
schöpfung vor Ort zu fördern . Auch ist es naiv zu glau-
ben, dass die Klauseln zum Schutz junger Industrien nur
ansatzweise ausreichend wären . Der Aufbau junger In-
dustrien bedarf weit mehr als acht Jahre . Deutschland hat
jahrzehntelang seinen Markt geschützt und nur so eine
robuste Wirtschaft aufbauen können .
Nun dürfen die karibischen Inselstaaten mit dem voll-
ständigen Inkrafttreten des Abkommens, innerhalb der
ersten zehn Jahre gerade einmal acht Jahre lang ausge-
wählte Industrien schützen . Das schafft keinerlei Spiel-
raum für eine gute Industriepolitik . Das ist alles andere
als nachhaltig, geschweige denn entwicklungsfreundlich .
Trotz all dieser Kritikpunkte gibt es aber auch positive
Ansätze . Hier unterscheidet sich das CARIFORUM-EPA
auch deutlichen von den afrikanischen EPAs . Die Be-
stimmungen zu Nachhaltigkeit und Menschenrechten
sind im Vergleich zu den anderen Abkommen deutlich
umfassender und expliziter .
Ein entscheidender Unterschied ist auch, dass das
Nachhaltigkeitskapitel an das Streitschlichtungsverfah-
ren angeschlossen ist . Im Streitfall ist der Entzug von
Zollpräferenzen allerdings nicht vorgesehen, sondern le-
diglich der Entzug nicht-tarifärer Präferenzen oder etwa
der Entzug von Entwicklungsgeldern erlaubt . Dabei
würde gerade letztere Maßnahme die ärmsten Menschen
treffen und nicht diejenigen, die im Zweifel Menschen-
rechts- oder Nachhaltigkeitsstandards verletzen . Hier
hätten wir uns zwar mehr gewünscht, aber immerhin ist
das Nachhaltigkeitskapitel überhaupt sanktionsbewehrt .
Das ist ein großer Fortschritt .
Im Vergleich zu den afrikanischen EPAs enthält das
Abkommen auch keine Rendezvous-Klauseln, die die
Länder verpflichten würden, in Zukunft über höchst um-
strittene Investitionsschutzbestimmungen zu verhandeln .
Damit ist schon viel gewonnen und den Sonderrechten
für private Investoren ein Riegel vorgeschoben .
Noch laufen die Übergangsfristen; am Ende werden
die Karibikstaaten ihren Markt aber zu fast 90 Prozent li-
beralisiert haben . Statt diese Staaten zu so weitgehenden
Marktöffnungen zu zwingen, müsste die EU vielmehr ihr
Allgemeines Präferenzsystem wieder so ausweiten, dass
ärmere Länder wie etwa Jamaika oder Dominica erneut
in den Genuss von unilateralen Handelspräferenzen kä-
men, ohne die dringend benötigten eigenen Politikspiel-
räume aufgeben zu müssen .
Fairer Handel sieht anders aus, insbesondere für die
afrikanischen Staaten . Minister Müller hätte es in der
Hand, für einen echten Politikwechsel einzutreten . Der
Minister schreibt aber lieber öffentlichkeitswirksame
Hochglanzbroschüren, anstatt sich mit den tatsächlichen
Herausforderungen zu befassen .
Wir werden auch deshalb die Wirtschaftspartner-
schaftsabkommen mit den afrikanischen Staaten ent-
schieden ablehnen, gleichwohl uns bei dieser Gesetz-
vorlage zum Abkommen mit den Karibikstaaten aber
enthalten .
Die Karibikstaaten selbst haben dem Vertrag nicht
nur zugestimmt, sondern sie wollen ihn auch . Sie wur-
den nicht wie die afrikanischen Länder unter Druck
gesetzt oder erpresst . Das allein ist für uns noch kein
Argument, dies ebenfalls zu tun oder uns zu enthalten .
Allerdings sind die karibischen Inseln wirtschaftlich in
einer deutlich besseren Lage, als es beispielsweise die
afrikanischen Länder sind . Sie haben größtenteils keine
Möglichkeit mehr, in den Genuss des Allgemeinen Präfe-
renzsystems zu kommen . Ohne dieses Abkommen wären
ihnen somit jeglicher vergünstigter Zollzugang verwehrt .
Ihnen jetzt den Status quo abzuerkennen hätte gegebe-
nenfalls wirtschaftlich negative Folgen . Dies zeigt auch,
dass die Methode der vorläufigen Anwendung von Han-
delsverträgen höchst problematisch ist, da diese Fakten
schafft, die schon nach wenigen Jahren ohne schmerz-
hafte Einschnitte kaum mehr revidierbar sind .
215. Sitzung
Inhaltsverzeichnis
TOP 3 Regierungserklärung: Inklusives Wachstum
TOP 4 Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz
TOP 5 Zukunftsfähige Unternehmensverantwortung
TOP 33, ZP 1 Überweisungen im vereinfachten Verfahren
TOP 34, 21 Abschließende Beratungen ohne Aussprache
TOP 7 Bundeswehreinsatz in Mali (MINUSMA)
TOP 6 Ausbildungsunterstützung der Bundeswehr im Irak
TOP 8 Bundeseinheitliche Netzentgelte für Strom
TOP 9 Änderung der Sportanlagenlärmschutzverordnung
ZP 2 Gentechnisch veränderte Maislinien
TOP 11 Nachtragshaushaltsgesetz 2016
TOP 12 Terrorbekämpfung in Irak, Afghanistan, Pakistan
TOP 15 Zweites Finanzmarktnovellierungsgesetz
TOP 14 Bundesweite Statistik über Wohnungslosigkeit
ZP 3 Fortbestand der Sozialkassenverfahren des Baugewerbes
TOP 16 Patientenberatung
TOP 19 GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz
TOP 18 Ausbildung und Arbeit in der Pflege
TOP 22 Albanien, Serbien - EU-Agentur für Grundrechte
TOP 20 Entschädigungsleistungen für NS-Opfer
TOP 23 Schutz der Biodiversität
TOP 24 Forschung gegen Infektionskrankheiten
TOP 25 Gesetz über das Fahrlehrerwesen
TOP 26 Änderungen im Straßenverkehrsrecht
TOP 27 Überwachung übertragbarer Krankheiten
ZP 4 Partnerschaftsabkommen mit CARIFORUM-Staaten
Anlagen
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8
Anlage 9
Anlage 10
Anlage 11
Anlage 12
Anlage 13