Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle
herzlich und rufe gleich ohne weiteren Verzug Tagesord-
nungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Als Thema der heutigen Kabinettssitzung hat die Bun-
desregierung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung der materiellen Zulässigkeitsvorausset-
zungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur
Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreu-
ten.
Was sich hinter dieser etwas umständlichen Beschrei-
bung konkret verbirgt, wird uns der zuständige Bundes-
minister der Justiz, Heiko Maas, in seinem einleitenden
Beitrag vermitteln . Soweit es schon erkennbare Wünsche
zu Nachfragen gibt, bin ich wie immer dankbar, wenn
mir die PGFs Hinweise geben, damit wir schon vorsor-
tieren können .
Herr Minister, Sie haben das Wort .
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Sehr geehrter Herr Bundespräsident! Meine Damen
und Herren Abgeordnete!
Jetzt wollen wir einmal nicht übertreiben .
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident! Ich hoffe,
Sie empfinden das nicht als Beleidigung.
Nein, es hätte ja auch sein können, dass es Bestandteilder neuen Sortierung innerhalb Ihrer Fraktion gewesenwäre . Das wollen wir jetzt aber nicht vertiefen .
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:Auch diese Entscheidungen werden immer sehr kurz-fristig verkündet .
Meine Damen und Herren Abgeordnete! Der Gesetz-entwurf, den das Kabinett heute beschlossen hat, geht aufein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Juliletzten Jahres zurück . Dort hat das Bundesverfassungs-gericht eine Gesetzeslücke im Betreuungsrecht festge-stellt und den Gesetzgeber aufgefordert, diese Gesetzes-lücke zu schließen .Dabei handelt es sich um Folgendes: Es gibt Men-schen, die etwa wegen einer Altersdemenz oder einerpsychischen Krankheit unter rechtlicher Betreuung ste-hen und nicht mehr in der Lage sind, über ihre medizini-sche Behandlung selbst zu entscheiden . Bislang durftendiese Menschen nach geltender Gesetzeslage nur danngegen ihren Willen ärztlich behandelt werden, wenn siedurch Gerichtsbeschluss in einer geschlossenen Einrich-tung untergebracht sind . Es gibt aber Konstellationen –solche lagen dem Bundesverfassungsgericht und vorherdem BGH vor –, in denen eine solche Unterbringungnicht erforderlich ist und deshalb rechtlich gar nicht an-geordnet werden kann . Letztlich, meine Damen und Her-ren, ist in einem solchen Fall eine medizinische Zwangs-behandlung außerhalb einer geschlossenen Einrichtungangezeigt, aber nach dem bisherigen Gesetzeswortlautnicht möglich . Die Konsequenz – sie ist paradox – lau-tet: Entweder wird die Freiheit oder die Gesundheit ge-schützt . Beides zusammen geht nach unserer jetzigenGesetzeslage nicht . Deshalb hat das Bundesverfassungs-gericht den Gesetzgeber aufgefordert, diese Gesetzeslü-cke zu schließen .
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Der Entwurf, den das Kabinett heute beschlossen hat,sieht vor, dass eine zwangsweise ärztliche Behandlungauch dann erlaubt sein kann, wenn der Betreute nicht ineiner geschlossenen Einrichtung untergebracht ist . Unsist dabei wichtig, dass die Behandlung in eine umfassen-de medizinische Versorgung eingebunden ist . Deshalbhaben wir vorgesehen, die Behandlung an einen statio-nären Aufenthalt in einem Krankenhaus zu koppeln, wodann auch eine erforderliche Nachbehandlung auf jedenFall sichergestellt wäre .Wir sind uns bei der Regelung bewusst, dass jedeZwangsbehandlung ein gravierender Eingriff in die Frei-heit des Betroffenen ist und deshalb immer nur das letzteMittel sein darf . Auch dem trägt der Gesetzentwurf aus-drücklich Rechnung .Wir wollen in dem Zusammenhang auch das Selbst-bestimmungsrecht von Betroffenen weiter stärken . Dazuhebt der Gesetzentwurf ausdrücklich hervor: Patienten-verfügungen oder Behandlungswünsche, die jemandnoch vor der Erkrankung mit freiem Willen geäußert hat,sind in jedem Fall zu beachten, und wo es so etwas nichtgibt, muss der mutmaßliche Wille ermittelt werden, etwadurch eine noch mögliche Befragung der Angehörigen .Sicherer ist es aber, wenn man genau weiß, was diebetroffene Person selbst will . Deshalb wollen wir Pati-entenverfügungen und Behandlungsvereinbarungen aufdiesem Wege noch bekannter machen . Das tun wir, in-dem wir die Betreuer dazu verpflichten, auf diese Mög-lichkeiten hinzuweisen, solange die Betreuten noch fitgenug sind, um selbst zu entscheiden, wie sie späterbehandelt werden möchten . Sie sollen die Betreuten au-ßerdem dabei unterstützen, ihre Wünsche zu Papier zubringen, damit sie nachvollziehbar sind .Das ist uns auch wichtig: Wir wollen alles dafür tun,dass ärztliche Zwangsmaßnahmen nach Möglichkeit ver-mieden werden . Denn eine solche Maßnahme stellt im-mer einen schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechteder betroffenen Person dar . Auch vor dem Hintergrundder UN-Behindertenrechtskonvention gilt es, das Selbst-bestimmungsrecht zu stärken und Zwangseingriffe aufdas unbedingt erforderliche Maß zu reduzieren . Auchdem folgt der Gesetzentwurf .Meine Damen und Herren Abgeordnete, mit diesemGesetzentwurf verhelfen wir beiden Aspekten, um diees geht, zur Geltung: der Pflicht des Staates, Gesundheitund Leben zu schützen, und dem Recht des Einzelnen,über medizinische Behandlung, soweit das eben mög-lich ist, selber zu entscheiden . Wir wären dankbar, meineDamen und Herren Abgeordnete, wenn wir diesen Ge-setzentwurf hier im Parlament beraten und noch in dieserLegislaturperiode verabschieden könnten, zum einen, umdem Auftrag des Bundesverfassungsgerichtes zu entspre-chen, zum anderen, um den Menschen, um die es geht,möglichst schnell auf einer sicheren Rechtsgrundlagehelfen zu können .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Die erste Nachfrage stellt der Kollege
Wunderlich .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Herr Justizminister,
wir begrüßen, dass gerade bei der Förderung der Verbrei-
tung von Patientenverfügungen angesetzt werden soll,
um die Zahl der Zwangsbehandlungen zu minimieren .
Das Gesetz sieht aber jetzt die Einschränkung vor: „in
geeigneten Fällen“ . Der Betreuer oder die Betreuerin soll
also den Betreuten in geeigneten Fällen auf die Möglich-
keit einer Patientenverfügung hinweisen . Was sind denn
geeignete Fälle, und welche Fälle sind nicht geeignet?
Bedarf es überhaupt so einer Einschränkung, oder soll-
te grundsätzlich auf eine Patientenverfügung hingewirkt
werden?
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Hingewiesen wird auf die Möglichkeit einer Patien-
tenverfügung insgesamt, wie ich finde, immer häufiger,
von unterschiedlichen Stellen . Es gibt vom Bundesjus-
tizministerium eine Broschüre zum Thema Patienten-
verfügung . Das ist die Broschüre, die in unserem Hause
mit großem Abstand am häufigsten von Bürgerinnen und
Bürgern nachgefragt wird .
Wir wollen dennoch eine Beschränkung auf die Fälle,
in denen eine Patientenverfügung angezeigt sein kann .
Ich kann jetzt nicht im Detail auseinanderdividieren, in
welchen Fällen sie angezeigt ist und in welchen nicht .
Aber es ergibt sich, wie wir finden, aus dem Wesensge-
halt der Patientenverfügung . Entweder durch den Verlauf
einer Krankheit oder durch die Krankheit als solche und
ihren bekannten Verlauf ergeben sich Hinweise darauf,
dass eine Patientenverfügung irgendwann nötig sein
kann, weil der Patient aufgrund des Krankheitsverlaufes
möglicherweise irgendwann keinen eigenen Willen mehr
bilden können wird .
Nächste Frage: Elke Ferner . – Wo haben wir sie?
– Hat mir aber einer angegeben . Wäre von dort aus auch
ein bisschen schwierig . –
Entschuldigung! Das war dann hier ein Übertragungsfeh-
ler . Dann erhält der Kollege Fechner das Wort .
Herr Minister, ich habe eine Frage zu der von Ihnenangesprochenen Entscheidung des Bundesverfassungs-gerichtes . Da das Gericht betont, dass der Gesetzgeberdurch – ich zitiere – „inhaltlich anspruchsvolle und hin-reichend bestimmt formulierte materielle und begleiten-de verfahrensrechtliche Voraussetzungen“ sicherzustel-Bundesminister Heiko Maas
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len habe, dass die ärztliche Zwangsmaßnahme nur „alsletztes Mittel“ in Betracht kommt: Könnten Sie erläutern,wie Sie das im Detail umsetzen?Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:Herr Abgeordneter Fechner, das ist im Bundesverfas-sungsgerichtsurteil ausdrücklich ausgeführt . Ich denke,das angesprochene Ultima-Ratio-Prinzip ist ganz grund-sätzlich außerordentlich bedeutend in seiner Anwendung .Die entsprechende Umsetzung sieht so aus, dass dieEinwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme von derfreiheitsentziehenden Unterbringung entkoppelt wird –das ist ja das Problem, das wir bisher hatten – und künf-tig an das Erfordernis eines stationären Aufenthaltes ineinem Krankenhaus gebunden ist . Man hätte sie auch imRahmen einer ambulanten Behandlung erlauben können,aber das halten wir aus sachlichen und auch aus medizi-nischen Gründen für nicht angezeigt .Wir werden auch die bereits geltenden strengen ma-teriellen und verfahrensrechtlichen Zulässigkeitsvoraus-setzungen für ärztliche Zwangsmaßnahmen so belassen,wie sie im Gesetz stehen; an der einen oder anderen Stel-le werden wir sie noch klarer fassen . Im Gesetzentwurfsind darüber hinaus Regelungen vorgesehen, durch diewir das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen beiärztlichen Maßnahmen weiter stärken wollen .Die Maßnahmen sollen dazu beitragen, dass ärztlicheZwangsmaßnahmen in der Betreuungspraxis soweit wiemöglich vor allem durch den stärkeren Einsatz von Be-handlungsvereinbarungen ersetzt werden . Damit nehmenwir die von Ihnen angesprochene Formulierung aus demUrteil des Bundesverfassungsgerichtes nicht nur ernst,sondern wir setzen sie gesetzlich um .
Kollege Terpe .
Herr Minister, zunächst vielen Dank für die Einfüh-
rung zu dem Gesetzesvorhaben . In der Diskussion ist be-
reits darauf hingewiesen worden, dass man die Möglich-
keit hat, eine Patientenverfügung aufzusetzen . Allerdings
glaube ich, dass dies nicht weitreichend genug ist; denn
die Patientenverfügung ist die Verfügung eines Willens .
Nun will man infolge des Bundesverfassungsgerichtsur-
teils eine Gesetzesregulierung voranbringen . Mit einer
Zwangsmaßnahme soll erreicht werden, den Gesund-
heitszustand irgendwie zu verbessern, aber ich glaube
nicht, dass die Formulierung einer Patientenverfügung
hier ausreicht .
Sie haben darauf hingewiesen, dass Sie das Instrument
der Behandlungsvereinbarung stärken wollen . Sie haben
dabei vor allen Dingen auf die Verpflichtung der Betreuer
hingewiesen. Wie sieht es denn mit der Verpflichtung der
stationären Einrichtungen aus? Sie heben ja auf statio-
näre Einrichtungen ab . Gibt es aus Ihrer Sicht die Not-
wendigkeit, verpflichtende Regelungen für stationäre
Einrichtungen vorzuschreiben? Denn sie sind ein Teil der
Zwangsmaßnahmen, die möglicherweise ergriffen wer-
den .
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Ich glaube, es ist sinnvoll, in den Krankenhäusern und
in den stationären Einrichtungen sehr früh auf die ver-
schiedenen Möglichkeiten hinzuweisen . Wir haben aber
davon abgesehen, das gesetzlich zu fixieren; denn in den
Krankenhäusern ist oftmals die Situation so, dass die Pa-
tienten, die dort eingeliefert werden, eben nicht mehr ei-
nen eigenständigen Willen bilden können; deshalb haben
wir mit der Patientenverfügung gesetzgeberisch früher
angefangen und klar im Gesetz niedergelegt, dass wir die
entsprechenden Maßnahmen fördern wollen .
Klar ist: Auch in einem Krankenhaus oder in einer
Station muss auf die entsprechenden Möglichkeiten hin-
gewiesen werden . Wir haben allerdings nicht den Weg
eingeschlagen, das gesetzlich zu fixieren.
Wir haben in dem Entwurf allerdings vorgesehen, das
Gesetz nach drei Jahren zu evaluieren . Einer der Punkte,
die bei der Evaluation eine Rolle spielen werden, wird
sicherlich sein, ob in Zukunft möglicherweise darüber
hinausgehende, auch gesetzliche Verpflichtungen, die
Einrichtungen bzw . Krankenhäuser betreffen, angezeigt
wären oder nicht . So weit sind wir in diesem Gesetzent-
wurf nicht gegangen .
Frau Sütterlin-Waack .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Herr Minister Maas, ichmöchte auf die Entscheidung des Bundesverfassungsge-richts zurückkommen, die ja Grundlage für den Gesetz-entwurf war und die ausdrücklich nicht über die Situationder Betreuten in ambulanter Behandlung entschieden hat .Dabei kann man sich zum Beispiel Patienten vorstellen,die eben nicht in ein Krankenhaus eingewiesen wurden,aber eine dringend notwendige Zahnbehandlung oderÄhnliches brauchen . Deshalb wollte ich Sie fragen: Se-hen Sie die Notwendigkeit, ambulante Zwangsmaßnah-men in ganz engen Grenzen zuzulassen? Und die An-schlussfrage lautet, ob Sie durch die jetzt vorgeseheneNichtzulassung den Gleichheitsgrundsatz verletzt sehen .Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:Wir haben uns, wie Sie gesagt haben, dafür entschie-den, Zwangsmaßnahmen nur im Rahmen einer statio-nären Behandlung zu ermöglichen, da wir – auch nachden Gesprächen mit Vertretern der Praxis – davon aus-gegangen sind, dass in einer ambulanten Behandlungeben nicht die gleiche Sachlage wie in einer stationärenBehandlung mit den Möglichkeiten der Nachbetreuungbesteht . Wir sind, weil die Ausgangslage einfach un-terschiedlich ist, der Auffassung, dass es sich um keineUngleichbehandlung handelt . Es gibt durchaus Stellung-nahmen, die davon ausgehen, dass dadurch eine weitereDr. Johannes Fechner
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Gesetzeslücke entsteht . Ich bin aber der Auffassung, dassunsere Entscheidung in der Sache begründbar ist .Im Übrigen sieht das Gesetz auch die Möglichkeit vor,Patienten in eine stationäre Behandlung zu verbringen,ohne dass dies eine freiheitsentziehende Unterbringungist, um dort – in der stationären Behandlung – dann auchärztliche Zwangsmaßnahmen durchzuführen . Insofernglaube ich, es ist keine Ungleichbehandlung, da die Si-tuation eine unterschiedliche ist . Ich glaube auch, dassdie Gesetzeslücke, von der da gesprochen worden ist, sonicht besteht, weil wir auf der Grundlage dieses Gesetzesfür den Fall, dass es sich um keine freiheitsentziehendeUnterbringung handelt, die Möglichkeit schaffen, Men-schen in stationäre Behandlung zu verbringen, um dortauch ärztliche Zwangsmaßnahmen durchführen zu kön-nen .
Frau Wöllert .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Inwiefern ist der stati-
onäre Aufenthalt, der künftig statt der Zwangsunterbrin-
gung Voraussetzung für eine Zwangsbehandlung sein
soll, in Punkt 7 des neuen Paragrafen ausreichend defi-
niert? Könnte damit auch eine teilstationäre Unterbrin-
gung gemeint sein, zum Beispiel in einer Tagesklinik?
Das geht aus dem, was im Gesetzentwurf steht, nicht
ganz klar hervor .
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Nein, wir gehen davon aus, dass es sich um eine voll-
stationäre Unterbringung handeln muss, insbesondere
auch deshalb, weil bei ärztlichen Maßnahmen, die auf
der Gesetzesgrundlage, die wir schaffen wollen, durch-
geführt werden können, auch die Möglichkeit der Nach-
beobachtung und Nachbehandlung bestehen muss . Das
ist nach unserer Auffassung in einer Tagesklinik nicht der
Fall . Allerdings ist – so wie der Gesetzentwurf formu-
liert ist – nicht Voraussetzung, dass jemand zum Beispiel
stationär in einer geschlossenen Abteilung untergebracht
wird, sondern es reicht die stationäre Unterbringung . Sie
muss nicht in einem geschlossenen Teil des Krankenhau-
ses durchgeführt werden, das geht auch auf einer offenen
Station. Aber es muss vollstationäre Versorgung stattfin-
den .
Frau Rode-Bosse .
Besten Dank, Herr Präsident . – Sehr geehrter Herr
Minister, es ist gerade aus psychiatrischen Einrichtungen
bekannt, dass aus zeitlichen und personellen Gründen der
Wille und die Wünsche des Patienten/der Patientin nicht
immer so berücksichtigt werden können, wie es eigent-
lich angesagt wäre . Könnten Sie verdeutlichen, welche
Möglichkeiten es da gibt? Setzt dieses Gesetz Anreize
und schafft Instrumente, dies zu ändern und die Lage der
Patienten und Patientinnen zu verbessern?
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Wir gehen davon aus, dass die Möglichkeiten über
die Patientenverfügung im Grundsatz bestehen; aber wir
beobachten seit einiger Zeit, dass mit Erfolg auch das In-
strument der Behandlungsvereinbarung eingesetzt wird,
also einer Vereinbarung, die zwischen dem Betroffenen
und dem behandelnden Arzt bzw . dem Behandlungs-
team getroffen wird . Wir würden dieses Instrument gerne
neben die Patientenverfügung stellen . Letztlich gehen
solche Behandlungsvereinbarungen ja in eine rechtlich
verbindliche Patientenverfügung über . Wir wollen diesen
Prozess mit Blick auf stationäre psychiatrische Behand-
lungen auch in quantitativer Hinsicht stärken .
Mit dem Gesetzentwurf, den wir vorgelegt haben, stre-
ben wir eine Vereinfachung an . Wir wollen stärker auf
diese Möglichkeit hinweisen und ihre Anwendung ver-
einfachen . Nach drei Jahren wollen wir eine Evaluation
durchführen und prüfen, ob die Möglichkeiten, die mit
diesem Gesetz geschaffen werden, ausreichend sind, um
dieses Instrument weiterzuverbreiten . Sollte das nicht der
Fall sein, muss man noch einmal darüber nachdenken,
ob der gesetzliche Anwendungsbereich möglicherweise
noch weiter ausgeweitet werden sollte .
Frau Haßelmann .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Vielen Dank, Herr Mi-nister, für Ihre Ausführungen . Ich glaube, dass viele derBetroffenen, aber auch viele Betreuerinnen und Betreuerund Angehörige auf eine rechtliche Regelung in diesemBereich warten. Von daher finde ich es gut, dass wir unsmit diesem Thema jetzt intensiv beschäftigen .In meiner Frage geht es um medizinische Zwangsbe-handlungen . Wir bewegen uns dabei in einem grundge-setzlichen Spannungsfeld . Sie haben gesagt, dass einemedizinische Zwangsbehandlung auch ohne Zwangsein-weisung in eine stationäre oder psychiatrische Einrich-tung möglich ist . Sie haben erläutert, dass das „auf frei-williger Basis“ möglich ist . Aber wie soll ich mir dasvorstellen? Wer behandelt werden soll, kann die frei-willige Einweisung in eine stationäre Einrichtung ab-lehnen . Und damit bin ich dann doch wieder bei einerZwangseinweisung in eine stationäre Einrichtung, oder?Wie wollen Sie das im Gesetz regeln?Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:Es geht nur um Menschen, für die die Betreuung be-reits angeordnet ist . Dabei gibt es Fälle – darauf basiertdie Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts –, indenen eine freiheitsentziehende Unterbringung gar nichtangeordnet werden konnte, zum Beispiel, weil es sichentweder um eine freiwillige Unterbringung handelt oderweil der Betroffene gar nicht mehr bewegungsfähig ist,Bundesminister Heiko Maas
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also auch gar nicht woandershin verbracht werden konn-te, sich also – in Anführungszeichen – auch gar nichtmehr wegbewegen konnte . Ich glaube, dass es solcheFälle geben kann; ihre Anzahl ist relativ begrenzt .Für solche Fälle würde die Möglichkeit geschaffen,zumindest im stationären Rahmen ärztliche Zwangsmaß-nahmen durchzuführen, ohne dass die Voraussetzungenfür eine freiheitsentziehende Unterbringung vorliegen .
Kollege Bartke .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Herr Bundesminister,
zunächst einmal möchte ich meine Anerkennung dafür
ausdrücken, dass Sie diesen Gesetzentwurf recht bald
nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil vorgelegt ha-
ben . Das zeigt, dass die Große Koalition handlungsfähig
ist .
Meine Frage ist eine sachliche: Kann ein Mensch mit
einer psychischen Erkrankung eine Patientenverfügung
oder eine Behandlungsverfügung abschließen?
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Grundsätzlich kann eine wirksame Patientenverfü-
gung jeder erstellen, der einwilligungsfähig ist, also über
die Fähigkeit verfügt, Art, Bedeutung und Tragweite bzw .
Risiken einer medizinischen Maßnahme zu verstehen und
auf dieser Grundlage einen eigenen Willen zu bilden . Die
Bestellung eines Betreuers in gesundheitlichen Angele-
genheiten bedeutet eben nicht automatisch, dass der Be-
treute die erforderliche Einwilligungsfähigkeit nicht hat .
Von daher können grundsätzlich auch psychisch kranke
Menschen mit rechtlicher Betreuung wie alle anderen
eine Patientenverfügung erstellen . Mit dieser legen sie
dann für den Fall ihrer späteren Einwilligungsunfähig-
keit, etwa im Verlauf der Krankheit, schriftlich fest, ob
sie in eine noch nicht unmittelbar bevorstehende ärztli-
che Maßnahme einwilligen oder ob sie sie untersagen . Es
ist also auch für Menschen mit psychischer Erkrankung
möglich, eine Patientenverfügung zu erstellen, nur eben
in einem vorgelagerten Zeitraum .
Frau Werner .
Danke schön . – Sie haben ja in Ihren einführenden
Worten ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das vor-
liegende Papier UN-behindertenrechtskonform ist . Da
möchte ich Ihnen gerne widersprechen . Ich gebe in dem
Zusammenhang den Hinweis, dass es im März 2015 zur
Staatenprüfung durch den UN-Fachausschuss für die
Rechte von Menschen mit Behinderungen kam . In den
Abschließenden Bemerkungen vom 17 . April 2015 wur-
de gefordert,
. . . alle Formen der ersetzten Entscheidung abzu-
schaffen und ein System der unterstützten Entschei-
dung an ihre Stelle treten zu lassen;
professionelle Qualitätsnormen für Mechanis-
men der unterstützten Entscheidung zu entwickeln;
in enger Zusammenarbeit mit Menschen mit
Behinderungen auf Bundes-, Länder- und Kommu-
nalebene für alle Akteure, einschließlich öffentlich
Bedienstete, Richter, Sozialarbeiter, Fachkräfte im
Gesundheits- und Sozialbereich, und für die umfas-
sendere Gemeinschaft Schulungen zu Artikel 12 …
– der UN-Behindertenrechtskonvention –
bereitzustellen, die der Allgemeinen Bemerkung
Nr . 1 entsprechen .
Insofern wäre meine Frage, wie Sie das in der Kürze
der Zeit in Zusammenarbeit mit den unterschiedlichen
Akteuren, die erwähnt wurden, entwickeln konnten und
inwieweit Sie Schulungsmaßnahmen geplant haben .
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Wir sind der Auffassung – das ist ja der Kern Ihrer
Frage –, dass der Gesetzentwurf so, wie wir ihn vorge-
legt haben, nicht konventionswidrig ist . Letztlich hat
das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil eine
Schutzpflicht des Staates aus dem Grundgesetz abge-
leitet, und zwar hat es für nicht einsichtsfähige Betreute
bei drohenden erheblichen gesundheitlichen Beeinträch-
tigungen und unter strengen Voraussetzungen eine ärzt-
liche Zwangsbehandlung als letztes Mittel vorgesehen .
Dabei hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich
der Rechtsauffassung des von Ihnen angesprochenen
UN-Fachausschusses widersprochen, die im Übrigen
auch nicht völkerrechtlich verbindlich ist .
Prüfungsmaßstab war für uns insoweit allein die Kon-
vention, die nach den völkerrechtlichen Vorgaben der
Wiener Vertragsrechtskonvention auszulegen ist . Die
Bundesregierung ist genauso wie das Bundesverfas-
sungsgericht in seinem Urteil der Auffassung, dass auch
unter Berücksichtigung der Stellungnahmen des zustän-
digen UN-Fachausschusses nichts dafür spricht, dass
Menschen mit Behinderungen, die keinen freien Willen
bilden können und sich in hilfloser Lage befinden, nach
Text und Geist der UN-Behindertenrechtskonvention ih-
rem Schicksal überlassen werden sollten .
Kollege Brunner .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Herr Minister, es istanerkennenswert, dass der Gesetzentwurf nach der Ent-scheidung des Bundesverfassungsgerichtes nunmehr insehr umfänglicher und klarer Weise und vor allen Din-gen sehr zügig vorgelegt worden ist . Einige Fragen hin-sichtlich der stationären und ambulanten Behandlungsind aber immer noch offen . Deshalb frage ich: Bestehteine Rechtsgrundlage auch dafür, dass ein Betroffener,Bundesminister Heiko Maas
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der nicht geschlossen untergebracht werden muss – Siewiesen auf den Grundsatz „stationär vor ambulant“ hin –,gegen seinen Willen in ein offenes Krankenhaus gebrachtwird, damit die erforderliche medizinische Behandlungdort vorgenommen werden kann? Hat also der medizi-nische Eingriff gegenüber der Unterbringung Priorität?Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:Ja, das ist im Gesetzentwurf so vorgesehen . Ich musssagen, dass wir durch einige Stellungnahmen im Rahmender Länder- und Verbändeanhörung darauf aufmerksamgemacht worden sind . Wir haben unseren Entwurf da-raufhin entsprechend ergänzt und festgelegt, dass einebetroffene Person notfalls auch gegen ihren natürlichenWillen in ein offenes Krankenhaus, wie von Ihnen er-wähnt, verbracht werden kann, wenn dies zur Durchfüh-rung der ärztlichen Zwangsmaßnahme erforderlich ist .Wir haben auf diese Art und Weise eine an dieser Stelleentstehende Regelungslücke, wie wir finden, vermeidenkönnen .
Herr Terpe .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Herr Minister, eine
Frage in Richtung: Prävention vor Zwangsmaßnahmen .
Sie haben ja richtigerweise gesagt, dass Ihr Anliegen ist,
Zwangsmaßnahmen als Mittel der letzten Wahl zu for-
mulieren . Nun wissen wir aber, dass dahinter natürlich
auch eine gewisse Entwicklung stehen kann, beispiels-
weise – das ist von der Kollegin aus der SPD schon ange-
deutet worden – dass in Kliniken organisatorische Verän-
derungen ermöglichen könnten, auf Zwangsmaßnahmen
zu verzichten . Das hat vielleicht etwas mit der Personal-
situation oder auch mit Deeskalationsstrategien insge-
samt zu tun . Sehen Sie für die Zukunft Forschungsbedarf
auf diesem Gebiet, sollte also erforscht werden, wie man
auf Zwangsmaßnahmen in diesem Zusammenhang mög-
licherweise verzichten kann, und würden Sie empfehlen,
dass wir dieses Thema in der Forschung vorantreiben?
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Diese Frage kann ich fachlich nicht abschließend
beantworten . Durchaus kann ich mir vorstellen, dass
entsprechende Forschung dabei helfen könnte, über
das Maß hinaus, das wir jetzt gesetzlich zu deklarieren
versucht haben, die Zahl ärztlicher Zwangsmaßnahmen
weiter zu reduzieren . Oftmals – darauf haben Sie hinge-
wiesen; auch das kann ich aber nicht abschließend beur-
teilen – sind auch die personellen und organisatorischen
Voraussetzungen in Einrichtungen maßgebend dafür, ob
man sich mit diesem Thema rechtzeitig befassen kann
oder ob man – möglicherweise mangels Personal oder
mangels vernünftiger Ausstattung – zu schnell zu einer
ärztlichen Zwangsmaßnahme greift . Das wollen wir ja,
soweit es geht, zurückdrängen .
Ich kann mir vorstellen, dass es uns helfen würde,
wenn man in fachlicher Hinsicht und auf diesem For-
schungsgebiet weitere Kenntnisse über dieses Thema ge-
winnt . Ich würde sagen, dass letztlich die personelle und
organisatorische Situation in der Praxis, aber sicherlich
auch die Schulung des Personals ganz wesentliche Vo-
raussetzungen dafür sind, dass ärztliche Zwangsmaßnah-
men, die ja niemand will, weiter zurückgedrängt werden
können . Im Ergebnis kann man Ihre Frage also nur mit Ja
beantworten, wobei ich fachlich bzw . medizinisch nicht
abschließend beurteilen kann, welche Möglichkeiten es
dort theoretisch oder wissenschaftlich noch gibt .
Frau Sütterlin-Waack .
Herr Minister, Sie haben eben erläutert, dass der Ge-setzentwurf nur Zwangsmaßnahmen bei Patienten instationärer Behandlung vorsieht . Wir haben auch gehört,dass ärztliche Zwangsmaßnahmen von dem Begriff derUnterbringung entkoppelt werden sollen. Nun findetsich aber in Ihrem Gesetzentwurf in § 312 FamFG derSachverhalt, dass ärztliche Zwangsmaßnahmen unterdem Begriff „Unterbringungssachen“ subsumiert wer-den . Deshalb meine Frage: Können Sie uns erläutern,warum der materiell-rechtlichen Entkopplung keine for-mell-rechtliche folgt und ob der eigentliche Zweck desGesetzentwurfes dadurch nicht möglicherweise etwaskonterkariert wird . Das würde mich interessieren .Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:Wir glauben nicht, dass das der Fall sein wird . DerFall, der dem Bundesverfassungsgericht vorlag, bestanddarin, dass sich eine Patientin eigentlich wegen eines an-deren Krankheitsbildes im Krankenhaus befand und dorteine Krebserkrankung festgestellt worden ist, dass siesehr schnell nicht mehr in der Lage war, einen eigenenWillen zu bilden, sie aber bereits so schwer erkrankt war,dass die Voraussetzungen für eine freiheitsentziehendeUnterbringung gar nicht mehr vorgelegen haben und des-halb auch eine ärztliche Zwangsbehandlung nicht mehrangeordnet werden konnte . Das heißt, das Betreuungsge-richt konnte das nicht entsprechend genehmigen .Vor diesem Hintergrund haben wir den Weg, den wirgewählt haben, gestaltet, auch in Abstimmung mit denFällen, die uns aus der Praxis vorgetragen worden sind .Wir sind der Auffassung, dass das ausreichend ist . Wirhaben uns vorgenommen, das Gesetz nach drei Jahrenzu evaluieren und dann noch einmal zu prüfen, ob mög-licherweise weiterer Änderungsbedarf besteht . Aber wirglauben, dass wir diese Frage materiell-rechtlich so gere-gelt haben, dass diese Gesetzeslücke nicht mehr bestehtund damit auch die Problemfälle, die es in der Praxis bis-her gegeben hat, so nicht mehr entstehen können .Dr. Karl-Heinz Brunner
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Vielen Dank . – Weitere Fragen zu diesem Thema der
heutigen Kabinettssitzung?
– Ganz kurz . – Wir wollen ja noch ein bisschen Zeit für
sonstige Fragen haben, aber diese beiden Fragen lasse
ich noch zu . Danach schließen wir diesen Teil der Regie-
rungsbefragung im allgemeinen Einvernehmen ab, und
dann rufe ich noch weitere Fragen an die Bundesregie-
rung auf . – Kollege Wunderlich .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Herr Maas, habe ich
Sie richtig verstanden oder verstehe ich den Gesetzent-
wurf in Artikel 7 bezüglich der Evaluation richtig, dass
da erstmalig anonymisiert die Zahlen und tatsächlichen
Fälle von Zwangsbehandlungen statistisch erfasst wer-
den sollen? Anders, so denke ich, lässt sich eine Evalua-
tion ja schlecht bewerkstelligen .
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Ja, so ist es vorgesehen .
Frau Vogler . – Das hat sich erledigt . Vielen Dank .
Fragen zur heutigen Kabinettssitzung sind mir je-
denfalls nicht angekündigt worden . Aber es gibt weitere
Fragen an die Bundesregierung, zunächst vom Kollegen
Volker Beck .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Das ist eine Frage an
das Bundesministerium für Bildung und Forschung .
Es gab in dieser Woche eine Veranstaltung des
Max-Planck-Instituts in Halle, wo mit einem Flugblatt
geworben wurde, das behauptet hat, es hätte 2014 keine
Raketenangriffe der Hamas auf Israel gegeben, keinen
Tunnelbau der Hamas gegeben, und es gäbe auch kein
Selbstverteidigungsrecht Israels in diesem Fall .
Ich bin der Ministerin außerordentlich dankbar, dass
sie mir in einem Schreiben mitgeteilt hat, dass die Bun-
desregierung die Max-Planck-Gesellschaft bitten will,
diesen Vorgang aufzuklären, und ich wollte von der Bun-
desregierung wissen, welche Vereinbarung dazu mittler-
weile hinsichtlich der Aufklärung, die sicherlich auch
das Parlament interessiert, in den Blick genommen wur-
de, zumal die Max-Planck-Gesellschaft öffentlich über
den Titel der Veranstaltung anscheinend gelogen hat,
die zunächst öffentlich als „Legitimation staatlicher Ge-
walt“ angekündigt war und intern mit einem Flugblatt als
„Märtyrertum Gazas“ – in der Formulierung von Herrn
Finkelstein – beworben wurde . Es wurde anscheinend
gelogen über den Titel, die Frage „externe versus interne
Veranstaltung“, und die Quellen des Peer Reviews wer-
den nicht offengelegt . Das sind – nur, damit das Haus
weiß, worüber wir reden – die Kritikpunkte, denen man
nachzugehen hat, und ich möchte wissen, wann uns die
Aufklärung dieser Fragen erreichen wird .
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Herr Präsident, da ich weder die Veranstaltung noch
das Flugblatt kenne, kann ich zur Aufklärung der Frage
nichts beitragen .
Aber offenkundig gibt es eine Antwort des zuständi-
gen Ressorts . Bitte schön .
S
Herr Präsident, ich will Kollegen Beck die Frage ger-
ne beantworten . – Wenn Sie gestatten, würde ich gerne
den Brief vorlesen, den Sie von Frau Ministerin Wanka
bekommen haben, damit das Haus vollumfänglich über
das informiert ist, was unser Ministerium Ihnen geant-
wortet hat; zumindest will ich Teile daraus zitieren . Ich
glaube, dass der entscheidende Satz ist: Die Ministerin
und damit auch die Bundesregierung teilt Ihre kritische
Sicht auf die Veranstaltung des Max-Planck-Instituts in
Halle .
Sie wissen, dass der Präsident der Max-Planck-Ge-
sellschaft – der Brief liegt Ihnen ja ebenfalls vor – hier
bereits dazu Stellung genommen hat, und ich darf dazu
zitieren:
Das BMBF sieht mit Sorge, wenn im Kontext kon-
troverser Wissenschaftsdiskussionen möglicherwei-
se antisemitischen Thesen eine Plattform geboten
werden könnte .
Dann wird auf das eingegangen, auf das Sie jetzt auch
Bezug nehmen, dass wir die Max-Planck-Gesellschaft
auffordern, diesen Vorgang auch noch einmal aufzuar-
beiten . Eine Antwort der Max-Planck-Gesellschaft liegt
bislang nicht vor .
Frau Kollegin Künast .
Danke . – Eine Frage an das Bundesministerium desInnern . Nachdem die Koalition im Rechtsausschuss ver-hindert hat, dass der Fall Amri/Breitscheidplatz behan-delt wird, stelle ich die Frage hier .Nach aktueller Berichterstattung ist es so, dass es einenachrichtendienstliche Beobachtung von Amri seit dem13 . Oktober 2016 gegeben hat, scheinbar bis zum Atten-tat . Deshalb frage ich: Welche ganz konkreten Maßnah-men hat es dabei durch das Bundesamt für Verfassungs-schutz im Rahmen der Beobachtung von Amri gegeben,und welche Erkenntnisse sind dabei konkret gewonnenworden, zum Beispiel, dass er in der Moschee, die derTreffpunkt des IS in Berlin ist, ein und aus gegangen istoder dort geschlafen hat oder bestimmte Kontakte zu Ge-fährdern oder Foreign Fightern hatte?
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Sie müssen einen Augenblick warten . – Ja, jetzt geht
es .
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Vielen Dank, Herr Präsident . – Ich kann die Frage
im Detail nicht beantworten, unabhängig davon, welche
Informationen den Kolleginnen und Kollegen dazu aus
dem Innenministerium vorliegen und welche möglicher-
weise auch eingestuft sind oder nicht .
Das Innenministerium sieht sich offenkundig zu wei-
terführenden Auskünften in der Lage . – Herr Staatssekre-
tär .
D
Selbstverständlich, Herr Präsident . – Frau Künast,
Ihre Frage ist in etwa identisch mit der nicht zugelasse-
nen dringlichen Frage,
von daher konnten wir uns das schon einmal genauer
ansehen . Es ist sehr freundlich, dass man das sozusagen
vorher ankündigt .
Im Rahmen der gesetzlichen Aufgabenerfüllung des
Bundesamtes für Verfassungsschutz wurde die Person
Amri seit Bekanntwerden Anfang 2016 durch das Bun-
desamt für Verfassungsschutz natürlich bearbeitet . Er-
kenntnisse zu Amri wurden be- und ausgewertet sowie
im Rahmen des GTAZ erörtert, wie ich und andere Kol-
legen – unter anderem auch im Rechtsausschuss – das ja
schon vorgetragen haben .
Die Person Amri wurde von Beginn an, allerdings
durch die Polizeibehörden federführend, bearbeitet . Eine
Überwachung Amris durch das Bundesamt für Verfas-
sungsschutz, wie Sie es gerade nahegelegt haben – etwa
mit nachrichtendienstlichen Mitteln –, fand zu keiner
Zeit statt .
Kollege Ströbele .
Danke . – Herr Minister, ich habe in Erinnerung, dass
Sie nach dem Fall Amri, nach dem schrecklichen Atten-
tat, immer wieder Aufklärung gefordert und sich ein biss-
chen an die Spitze der Bewegung gestellt haben . Deshalb
fehlt mir jedes Verständnis dafür, dass die SPD heute im
Rechtsausschuss beantragt hat, diesen Tagesordnungs-
punkt abzusetzen .
Ich habe dann im Innenausschuss Zuflucht gesucht. Dort
wurde wenigstens eine Frage beantwortet .
An Sie habe ich jetzt ganz konkret die Frage: Ist Ihnen
bekannt, ob sich US-Behörden – etwa das Militär oder
Geheimdienste – in irgendeiner Weise in Deutschland
mit dem Fall Amri befasst und sich darin eingemischt
haben?
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Nein, das ist mir nicht bekannt .
Weitere Anfragen sehe ich nicht . – Dann schließe ichhiermit mit Dank an alle Beteiligten die Regierungsbe-fragung .Ich rufe unseren nächsten Tagesordnungspunkt auf,nämlich den TOP 2:FragestundeDrucksache 18/10922Wir rufen die Fragen, wie immer, in der rotierendenReihenfolge der Ressorts auf . Das liegt Ihnen vor .Vorab erlaube ich mir den Hinweis, dass die gelegent-lich von mir nahegelegten Überlegungen zur Neustruk-turierung der Fragestunde durch die Erfahrungen nichtnur mit der Anzahl, sondern auch mit der Ernsthaftigkeitdes Auskunftsbegehrens eigentlich Woche für Wochebestätigt werden . Von den für diese Woche übersicht-lich vorliegenden 36 Fragen zur mündlichen Beantwor-tung bleiben tatsächlich weniger als 10 übrig, weil dieKolleginnen und Kollegen in der Zwischenzeit es nunso dringlich auch wieder nicht finden, ihre Fragen hiermündlich beantwortet zu bekommen, um nachfragen zukönnen .Ich fürchte, wir werden das auch in der verbleibendenZeit dieser Legislaturperiode nicht mehr zu einem rund-um überzeugenden Ergebnis führen . Da ich aber nichtmehr ganz so viele Gelegenheiten habe, das vorzutragen,nutze ich diese, um zu sagen: Wir haben auch hier ein –ich sage jetzt mal – Justierungsproblem .
Als Erstes kommen wir nun zum Geschäftsbereichdes Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bauund Reaktorsicherheit . Die Frage 1 der Kollegin SylviaKotting-Uhl wird schriftlich beantwortet .Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-desministeriums für Bildung und Forschung . Die Frage 2
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der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl wird ebenfalls schrift-lich beantwortet .Nun kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung . Die Frage 3 des Kollegen Niema Movassatund die Frage 4 des Kollegen Uwe Kekeritz werdenschriftlich beantwortet .Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich der Bundes-kanzlerin und des Bundeskanzleramtes . Für die Beant-wortung steht der Staatssekretär Klaus-Dieter Fritschezur Verfügung .Ich rufe die Frage 5 des Kollegen Hans-ChristianStröbele auf:Welche Erkenntnisse ergaben sich im Fall des GefährdersAnis Amri aus der Abklärung des BND zu den beiden liby-
teten Maßnahmen des BND, und wie war der BND insgesamt,über eine Beteiligung an den GTAZ-Arbeitsgruppen hinaus,im Fall Anis Amri tätig?K
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Vielen Dank, Herr Präsident . – Herr Abgeordneter
Ströbele, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Zu Ihrer
Teilfrage, wie der BND insgesamt im Fall Amri tätig
war, kann ich öffentlich sagen, dass im Vorfeld des An-
schlags – im Zeitraum September bis Oktober 2016 –
der marokkanische Sicherheitsdienst dem BND parallel
zum BKA insgesamt vier Meldungen übermittelt hatte .
Die Hinweise waren Gegenstand einer Bewertung der
deutschen Sicherheitsbehörden im Gemeinsamen Terro-
rismusabwehrzentrum . Nach einer gemeinsamen Bewer-
tung waren die Schreiben für eine weiter gehende Ge-
fährdungsbewertung über die bereits bei den deutschen
Sicherheitsbehörden vorliegenden Erkenntnisse hinaus
nicht geeignet .
Zu Ihrer Teilfrage nach den beiden libyschen Ruf-
nummern bitte ich um Verständnis, dass ich hierzu in öf-
fentlichen Sitzungen keine Ausführungen machen kann .
Arbeitsmethoden und Vorgehensweise der Nachrichten-
dienste des Bundes sind im Hinblick auf die künftige
erfolgreiche Auftragserfüllung besonders schutzwürdig,
da aus ihrem Bekanntwerden sowohl staatliche als auch
nichtstaatliche Akteure Rückschlüsse auf den Modus
Operandi sowie die Fähigkeiten und Methoden der Nach-
richtendienste ziehen könnten . Dadurch würde die Auf-
gabenerfüllung der Nachrichtendienste erschwert oder
unmöglich gemacht .
Im Ergebnis kann dies für die Funktionsfähigkeit der
Nachrichtendienste und für die Interessen der Bundesre-
publik Deutschland schädlich sein .
Die künftige Aufgabenerfüllung der Nachrichtendienste
des Bundes würde beeinträchtigt . Ich habe diesen Teil
der Antwort auf Ihre Frage daher für Sie in der Geheim-
schutzstelle des Deutschen Bundestages hinterlegen las-
sen . – Vielen Dank .
Nachfrage, Herr Kollege Ströbele .
Danke erst einmal, Herr Staatssekretär . – Ich habe
dazu natürlich eine Nachfrage . Wir alle haben aus den
Medien zur Kenntnis genommen, dass in der Nacht vom
18 . zum 19 . Januar US-Bomber in Libyen angeblich
mehrere Lager des IS bombardiert haben – mit 90 bis
150 Toten .
Können Sie ausschließen, dass diese Bombardierun-
gen auf der Grundlage der Handynummern, die auf dem
Telefon von Amri entdeckt worden sind, durchgeführt
wurden und dass da ein Ursachenzusammenhang be-
steht? Diese Frage drängt sich insbesondere auf, weil der
US-Verteidigungsminister selber den Zusammenhang –
jetzt nicht zu Amri, sondern allgemeiner – hergestellt hat,
indem er gesagt hat:
Die Angriffe richteten sich gegen einige IS-Strate-
gen, die Operationen gegen unsere Verbündeten in
Europa planten und die möglicherweise auch Ver-
bindungen hatten mit einigen Anschlägen, die be-
reits in Europa passierten .
K
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich habe dazu keine Kenntnis .
Ich werde aber der Sache nachgehen und Ihnen – wie
ich vorhin schon einleitend gesagt habe –, weil es sich
hier um nachrichtendienstliche Sachverhalte handelt, die
auch die operativen Fähigkeiten betreffen, eine Antwort
in die Geheimschutzstelle geben .
Weitere Nachfrage?
Ja . – Herr Staatssekretär, ganz Deutschland, jedenfallsdie Menschen, die sich mit dem Fall Amri beschäftigen,rätseln darüber, warum die deutschen Sicherheitsbehör-den, Verfassungsschutz, BND, aber vor allen DingenPolizeibehörden und auch Gerichte, so zurückhaltendwaren und von den Möglichkeiten, Herrn Amri festzu-nehmen, keinen Gebrauch gemacht haben .Könnte es eine Erklärung sein, dass US-Behörden,insbesondere die NSA oder ein anderer Nachrichten-dienst, aber auch politische Gremien in Deutschlandmit dem Ziel interveniert haben: „Lasst den Amri weiterlaufen, damit unsere ins Auge gefasste Aktion in Libyenreibungslos durchgeführt werden kann und niemand ge-warnt wird“?Präsident Dr. Norbert Lammert
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(D)
K
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, das ist ein für mich
vollkommen neuer Sachverhalt, jedenfalls die Verknüp-
fung, die Sie hier herstellen . Auch hierzu habe ich keine
Kenntnis . Ich werde Ihnen eine Antwort in der Geheim-
schutzstelle zur Verfügung stellen .
Frau Mihalic .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Herr Staatssekretär,
jetzt ist schon nach dem BND gefragt worden . Aber mög-
licherweise können Sie mir auch Auskunft zum Agieren
eines anderen Nachrichtendienstes geben . Wir wissen ja,
dass die polizeilichen Überwachungsmaßnahmen im Fall
Amri im September letzten Jahres enden mussten, weil
das Amtsgericht Tiergarten die Maßnahme nicht weiter
verlängert hat und weil sich ein konkreter Sachverhalt
über eine konkrete Anschlagsplanung nicht verdichten
ließ .
Allerdings wurde die Person Amri weiterhin als ein
Gefährder betrachtet, als jemand, dem durchaus An-
schlagsplanungen und Anschläge zugetraut wurden . Des-
halb stellt sich die Frage, ob oder warum das Bundesamt
für Verfassungsschutz nicht in die Überwachung eines
solchen Gefährders in dem Moment eingetreten ist, in
dem die Polizei am Ende ihrer rechtlichen Möglichkeiten
war .
K
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, das ist zwar eine Frage, die in den
Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern
fällt, aber lassen Sie mich als Beauftragter für die Nach-
richtendienste ganz allgemein sagen: Es ist – das sage ich
auch vor dem Hintergrund dessen, was ich den Medien
entnommen habe – ein Missverständnis, dass es im Ge-
meinsamen Terrorismusabwehrzentrum eine Weisungs-
lage gibt – es ist ja nicht einmal eine Behörde –, sodass
verschiedene Behörden, die dort teilnehmen und Infor-
mationen austauschen, zu irgendwelchen Handlungen
angewiesen werden könnten . Das verbleibt in der Zu-
ständigkeit der jeweiligen Landes- oder Bundesbehörde .
Am Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum sind
die Bundesnachrichtendienste – der BND, der MAD, so-
weit er einbezogen ist, und das BfV – beteiligt und tau-
schen hier Informationen aus, um – in dem Fall – ein
Gesamtbild über die Person Amri, von der Sie zu Recht
sagen, dass sie von den Ländern als Gefährder eingestuft
worden ist, zu bekommen . Was dann anschließend an
Maßnahmen erfolgt, erfolgt in der Zuständigkeit der je-
weiligen Landes- oder Bundesbehörden .
Frau Künast .
Wir haben in den Unterlagen an verschiedenen Stellen
gelesen, dass Herr Amri als Nachrichtenmittler einge-
schätzt wurde . Man ist also offensichtlich davon ausge-
gangen, dass er Nachrichten bzw . Informationen für an-
dere Leute transportiert hat, die glauben, dass sie selber
unter Observation, unter einer TKÜ oder wie auch immer
stehen .
Ich möchte Sie fragen: In welchem Zusammenhang
wurde er als Nachrichtenmittler gesehen? Auf was hat
sich das bezogen? Sie sollen mir nicht den Namen des
späteren Angeklagten nennen, sondern ich würde gerne
den Zusammenhang wissen: Auf was für ein Verfahren
hat es sich bezogen? Handelt es sich dabei zum Beispiel
um den Verdacht, dass er Nachrichtenmittler für eine aus-
ländische terroristische Vereinigung nach § 129a StGB
ist, der potenzielle Täter und handelnde Personen an-
gehört haben, und aus welchen Ländern stammen diese
gegebenenfalls? Und ab wann und warum haben Sie ihn
möglicherweise nicht mehr als Nachrichtenmittler be-
trachtet? Oder haben Sie ihn noch bis zum 20 . Dezember
als selbigen betrachtet?
K
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete Künast, wir sind mitten in der
Aufklärung dieses Falles, und die Bundesregierung hat
sehr weitgehend in der Chronologie dazu Stellung ge-
nommen, welche Kenntnisse für die Öffentlichkeit offen
dargestellt werden können . Das ist auf mehreren Seiten
geschehen .
Was die weiteren operativen Maßnahmen angeht, so-
weit es die Nachrichtendienste betrifft – ich kann nicht
für die Polizeien sprechen –, so ist das in den zuständigen
Gremien zu besprechen . Das ist das Parlamentarische
Kontrollgremium, und nach meiner Kenntnis wird dem-
nächst dazu auch eine Taskforce vom Parlamentarischen
Kontrollgremium eingesetzt .
Weitere Nachfragen hierzu habe ich nicht .Dann rufe ich die nächsten Geschäftsbereiche auf .Wir kommen zum Geschäftsbereich des AuswärtigenAmtes . Die Frage 6 des Abgeordneten Uwe Kekeritz unddie Frage 7 des Abgeordneten Andrej Hunko werdenschriftlich beantwortet .Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-teriums des Innern . Die Frage 8 des Abgeordneten AndrejHunko, die Fragen 9 und 10 des Abgeordneten Dr . AndréHahn, die Fragen 11 und 12 der Abgeordneten KatrinKunert, die Frage 13 der Abgeordneten Ulla Jelpke unddie Frage 14 des Abgeordneten Niema Movassat werdenschriftlich beantwortet .Ich rufe jetzt die Frage 15 des Kollegen Volker Beckauf:Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen ziehtdie Bundesregierung aus den Äußerungen des thüringi-schen Fraktionsvorsitzenden der AfD, Björn Höcke: „Die-se dämliche Bewältigungspolitik, die lähmt uns heute noch
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viel mehr als zu Franz Josef Straußʼ Zeiten. Wir brauchennichts anderes als eine erinnerungspolitische Wende um
se Äußerungen für strafrechtlich, verfassungsschutzrechtlich
oder beamtenrechtlich relevant – auch vor
dem Hintergrund, dass der Bundesminister für Wirtschaft undEnergie nunmehr die Beobachtung der AfD durch den Verfas-sungsschutz fordert?Zur Beantwortung steht Herr ParlamentarischerStaatssekretär Schröder bereit . – Herr Staatssekretär, bit-te .D
Sehr geehrter Herr Kollege Beck, ich beantworte Ihre
Frage wie folgt: Zur Alternative für Deutschland, AfD,
werden vom Bundesamt für Verfassungsschutz fortlau-
fend die offen vorliegenden Informationen bewertet . Ge-
prüft wird dabei auch, ob der organisierte Rechtsextre-
mismus die AfD als Plattform für Aktivitäten nutzt .
Bei der Prüfung, ob bei einer Organisation tatsächlich
Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen
vorliegen, ist eine Gesamtbetrachtung erforderlich . Bis-
her ist die AfD insgesamt kein Beobachtungsobjekt des
Verfassungsschutzes . Die Verfassungsschutzbehörden
werden die weitere Entwicklung der AfD aufmerksam
verfolgen .
Für die Beobachtung des thüringischen AfD-Landes-
verbandes ist das thüringische Landesamt für Verfas-
sungsschutz zuständig .
Zur beamtenrechtlichen Bewertung . Nach Kenntnis
der Bundesregierung war Herr Höcke bis zu seinem Ein-
zug in den thüringischen Landtag Oberstudienrat in Hes-
sen . Daher ist für die beamtenrechtliche Einschätzung
der Äußerung von Herrn Höcke das hessische Kultusmi-
nisterium zuständig .
In strafrechtlicher Hinsicht gilt, dass die Beurteilung,
ob ein Verhalten strafrechtlich relevant ist, zunächst von
der zuständigen Staatsanwaltschaft und abschließend
von den unabhängigen Gerichten zu prüfen ist und nicht
vorgreifend durch die Bundesregierung .
Nachfragen, Herr Kollege Beck .
Ich befürchte, dass wir bei der AfD ähnliche Fehler
machen, wie wir sie bei den Reichsbürgern gemacht
haben, indem man das alles auf die Länder abschiebt .
Meine Ausgangsfrage war darauf bezogen, ob das Um-
feld von Herrn Höcke – nicht die gesamte AfD – ver-
fassungsschutzrechtlich relevant ist . Deshalb möchte ich
Sie präzise fragen zu der parteiinternen Vereinigung, der
Herr Höcke vorsteht, dem „Flügel“, und der Jugendor-
ganisation Junge Alternative, kurz JA, und der Patrioti-
schen Plattform . Aus offenen Quellen, die mir und Ihnen
zugänglich sind, geht hervor, dass sich auf den Veranstal-
tungen dieser Vereinigungen rechtsextremistische Akti-
visten und Ideologen tummeln . Wird geprüft, ob diese
Unterorganisationen Beobachtungsgegenstand werden
können? Bei der Linkspartei war es offensichtlich ganz
einfach, so vorzugehen . Warum das angesichts der Be-
funde bei der AfD bislang nicht geprüft wurde, ist mir
schleierhaft .
D
Selbstverständlich werden fortlaufend die offen vor-
liegenden Informationen bewertet . Geprüft wird dabei
auch, ob der organisierte Rechtsextremismus die AfD als
Plattform für Aktivitäten nutzt .
Eine weitere Zusatzfrage .
Jetzt haben Sie mir noch einmal die gleiche Passage
von Ihrem Sprechzettel vorgelesen . Aber das ist nicht die
Antwort auf meine Frage . Ich habe Sie gefragt, ob die
Vereinigung „Der Flügel“ – diese ist mit der AfD nicht
identisch, sondern nur eine Teilmenge – überprüft wird .
Wenn Sie sich die öffentlich zugänglichen Tapes über die
entsprechenden Veranstaltungen anschauen, dann stellen
Sie fest: Da wird offen an nationalsozialistischen Jar-
gon angeknüpft . Mit „Höcke, Höcke!“-Rufen wird eine
Atmosphäre erzeugt, die wir sonst nur aus dem Bürger-
bräukeller aus dem letzten Jahrhundert kennen . Vor dem
Hintergrund, dass dort versprochen wird, einen endgül-
tigen Sieg herbeizuführen – das ist im Rahmen unserer
verfassungsrechtlichen Ordnung nicht denkbar –, frage
ich Sie, ob Sie nicht die Voraussetzungen von § 3 Bun-
desverfassungsschutzgesetz hier als gegeben sehen .
D
Bisher werden sie nicht als gegeben angesehen . Auch
Teil- und Unterorganisationen der AfD sind bisher nicht
Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes . Wie ich
eben schon ausgeführt habe, wird das fortlaufend über-
prüft .
Kollege Mutlu .
Danke, Herr Präsident . – Meine Frage geht in eineähnliche Richtung . Die Äußerungen von Herrn Höckewurden hier bereits zitiert . Er hat als ehemaliger Ge-schichtslehrer unter anderem bei einem Auftritt kürzlichdas Holocaustmahnmal in der Hauptstadt sinngemäß alseine Schande für unser Land bezeichnet . Ich möchte ger-ne von Ihnen wissen, ob Sie mit mir einer Meinung sind,dass jemand mit einer solchen Einstellung nie wieder alsGeschichtslehrer an eine Schule zurückkehren darf unddass man alle beamtenrechtlichen und disziplinarrecht-lichen Maßnahmen ergreifen muss, um zu verhindern,dass jemand mit einer solchen Gesinnung wieder vor ei-ner Schulklasse steht .Präsident Dr. Norbert Lammerthttps://www.youtube.com/watch?v=sti51c8abawhttp://www.sueddeutsche.de/news/politik/parteien-die-hoecke-rede-von-dresden-in-wortlaut-auszuegen-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-170118-99-928143http://www.sueddeutsche.de/news/politik/parteien-die-hoecke-rede-von-dresden-in-wortlaut-auszuegen-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-170118-99-928143http://www.sueddeutsche.de/news/politik/parteien-die-hoecke-rede-von-dresden-in-wortlaut-auszuegen-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-170118-99-928143
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(D)
D
Selbstverständlich sind bei Vorliegen solcher Sachver-
halte auch disziplinarrechtliche Maßnahmen zu überprü-
fen . Das ist aber, wie gesagt, nicht Aufgabe der Bundes-
regierung, sondern das ist Aufgabe der Dienstbehörde,
nach unseren Recherchen in diesem Fall des Kultusmi-
nisteriums in Hessen .
Meine Frage geht in Richtung der Frage von Herrn
Beck in Bezug auf Herrn Höcke, ob den entsprechenden
Informationen nachgegangen wird . Es gibt eindeutige
Hinweise, dass Landolf Ladig, unter dessen Namen Ar-
tikel in NPD-Zeitungen veröffentlicht werden, und Herr
Höcke ein und dieselbe Person sind . Zudem wurde schon
zugegeben, dass Herr Höcke zu Thorsten Heise, einem
NPD-Kader, sehr enge Beziehungen hat . Diese Tatsache
kann man nicht einfach im Raum stehen lassen . Vielmehr
sollte man das dringend prüfen, und zwar nicht nur in
Bezug auf die aktuelle Dresdener Rede . Schließlich gibt
es weitaus mehr Reden als nur eine . Der „Flügel“ wur-
de bereits angesprochen . Auch die Kyffhäuser-Reden
sollte man sich in diesem Zusammenhang noch einmal
anschauen und die Nähe zu Kubitschek und anderen Per-
sonen untersuchen .
D
Ich habe bereits erwähnt, dass das Bundesamt für Ver-
fassungsschutz fortlaufend die vorliegenden offenen In-
formationen bewertet .
Erst einmal einen schönen Nachmittag!
Ich muss mich noch ein bisschen sortieren . – Es gibt
zu Frage 15 keine Rückfrage mehr .
Wir kommen jetzt zur Frage 16 von Volker Beck:
Welche Maßnahmen ergreifen die Bundesregierung und die
ihr nachgeordneten Behörden, insbesondere der Generalbun-
desanwalt, und die Länder nach Kenntnis der Bundesregie-
rung, um die Ausreise von Tatverdächtigen im Zusammenhang
mit den Ermittlungen des Generalbundesanwalts wegen mut-
maßlicher Spionageaktivitäten von Imamen und Mitarbeitern
der DITIB – Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religi-
on e . V . zu verhindern, und wie viele potenzielle Tatverdächti-
ge sind
nach Kenntnis bzw . Einschätzung der Bundesregierung seit
Herr Staatssekretär, bitte .
D
Die Frage betrifft ein laufendes Ermittlungsverfahren
des Generalbundesanwalts . Weitere Angaben hierzu, ins-
besondere solche zu etwaigen Tatverdächtigen und mög-
lichen strafprozessualen Maßnahmen, können derzeit
nicht gemacht werden, um den Untersuchungszweck des
Verfahrens nicht zu gefährden .
Trotz der grundsätzlichen verfassungsrechtlichen
Pflicht der Bundesregierung, Informationsansprüche des
Deutschen Bundestages zu erfüllen, tritt hier nach sorg-
fältiger Abwägung der betroffenen Belange das Informa-
tionsinteresse des Parlaments hinter die aus dem Rechts-
staatsprinzip resultierende Pflicht zur Durchführung von
Strafverfahren und die damit verbundenen berechtigten
Geheimhaltungsinteressen in einem laufenden Ermitt-
lungsverfahren zurück .
Vielen Dank, Herr Dr . Schröder . – Volker Beck .
Vielen Dank . – Ich wollte Sie fragen, ob die Bundesre-
gierung bei diesem Strafverfahren die Ermittlungen des
Generalbundesanwalts dahin gehend unterstützt, dass sie
den Vorsitzenden und den Generalsekretär der DITIB
einbestellt, um sie zu bitten, dass sie den deutschen Be-
hörden ihre Informationen über den Spionagevorgang
und ihre Erkenntnisse über die an der Informationswei-
tergabe beteiligten Personen übergeben .
D
Wir vernehmen in diesem Verfahren keine Zeugen;
das muss der Generalbundesanwalt machen .
Herr Beck .
Das war nicht meine Frage . Die DITIB ist Kooperati-
onspartner des Bundesinnenministers in der Islam-Kon-
ferenz . Da stellt sich grundsätzlich die Frage: Ist das ein
vertrauenswürdiger Kooperationspartner, oder handelt es
sich hier um eine Spionageorganisation? Vor dem Hin-
tergrund frage ich Sie auch: Gibt es irgendwelche Kon-
sequenzen im Rahmen der Islampolitik Ihres Hauses im
Hinblick auf die Rolle der DITIB in der Islam-Konferenz
als Folge dieses Vorgangs? Wir wissen zwar nicht, wer
genau die Täter waren, aber wir wissen, dass es aus der
DITIB heraus Spionage gegeben hat . Das hat der Gene-
ralsekretär selbst zugegeben .
D
Wir warten zunächst einmal das Ermittlungsverfah-ren ab . Selbstverständlich stellt sich dann auch die Fragenach Konsequenzen, insbesondere die Frage, inwieweitImame bei der Einreise privilegiert werden können .
https://www.welt.de/politik/ausland/article160132361/Tuerkische-Imame-spionieren-in-Deutschland-fuer-Erdogan.htmlhttps://www.welt.de/politik/ausland/article160132361/Tuerkische-Imame-spionieren-in-Deutschland-fuer-Erdogan.htmlhttps://www.welt.de/politik/ausland/article160132361/Tuerkische-Imame-spionieren-in-Deutschland-fuer-Erdogan.html
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Zu dieser Frage hat die Kollegin Dağdelen eine Nach-
frage .
Der Moscheeverband DITIB, der Ansprechpartner der
Bundesregierung bei der Deutschen Islam Konferenz und
beim Integrationsgipfel ist, hat nach Informationen des
Kölner Stadt-Anzeigers und der Kölnischen Rundschau –
heute gibt es auch eine Meldung der Katholischen Nach-
richtenagentur – zwei Prediger bereits Mitte Dezember
zurück in die Türkei beordert, die hier in Deutschland
für die türkische Regierung spioniert haben . Zur Zurück-
beorderung sei es offenbar gekommen, um sie vor einer
möglichen Strafverfolgung deutscher Behörden zu schüt-
zen . Es handelt sich laut diesen Zeitungen um Imame aus
den Gemeinden Bergneustadt und Engelskirchen . Ich
würde gerne wissen: Welche Maßnahmen hat die Bun-
desregierung ergriffen, damit es nicht zu einer Flucht von
Imamen der DITIB, die hier spioniert haben, kommt?
Herr Schröder .
D
Ich habe schon dargestellt, dass es jetzt Sache des Ge-
neralbundesanwalts ist, entsprechende Maßnahmen zu
treffen .
Insbesondere kann der Generalbundesanwalt Haftbefehl
erlassen, um zu verhindern, dass sich Personen einem
Strafverfahren entziehen .
Zu Frage 16 hat der Kollege Wunderlich eine Rück-
frage .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Herr Dr . Schröder,
hat sich denn der Kenntnisstand der Bundesregierung
seit letzter Woche gemehrt, und ist die Bundesregierung
heute in der Lage, zu beantworten, wie viele Mitglieder
des Bundesvorstands Staatsbedienstete waren oder wie
die Farbe ihrer Dienstausweise oder Pässe war – oder ist,
wenn sie noch hier sind?
D
Dazu kann ich Ihnen keine Informationen geben . Die
genauen Zahlen liegen mir nicht vor .
Vielen herzlichen Dank . – Ich sehe keine weitere
Nachfrage zu Frage 16 .
Dann kommen wir zur Frage 17 der Kollegin Sevim
Dağdelen:
Inwieweit kann nach Kennt-
nis der Bundesregierung vor dem Hintergrund, dass der tür-
kische Nachrichtendienst MIT seine Aufklärungsarbeit in
Deutschland im Zuge des Putschversuchs ausgeweitet und
intensiviert hat , und der
Anweisung der türkischen Religionsbehörde Diyanet zur Spit-
zelei für den türkischen Staat davon
ausgegangen werden, dass die DITIB-Gemeinden in Deutsch-
land – deren Imame von Ankara ausgebildet, ausgewählt und
bezahlt werden – dem türkischen Staatspräsidenten Recep
Tayyip Erdogan und der AKP bei ihren Versuchen dienen, die
„Auslandstürken“ für ihre politischen Ziele einzuspannen, und
welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Be-
sorgnis über die jüngsten Entwicklungen in der Türkei sowie
über Einflussoperationen türkischer Geheimdienste gegen die
türkische Minderheit in Deutschland bzw . gegen Deutsche mit
Herr Dr . Schröder, bitte .
D
Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Der erste Teil Ih-
rer Frage betrifft ein laufendes Ermittlungsverfahren des
Generalbundesanwalts . Weitere Angaben hierzu können
derzeit nicht gemacht werden, um den Untersuchungs-
zweck des Verfahrens nicht zu gefährden . Eine abschlie-
ßende Bewertung des Vorgangs ist der Bundesregierung
zum gegenwärtigen Zeitpunkt daher nicht möglich .
Zum zweiten Teil Ihrer Frage, welche Konsequenzen
die Bundesregierung aus der Besorgnis über die jüngsten
Entwicklungen in der Türkei sowie über Einflussoperati-
onen türkischer Nachrichtendienste gegen die türkische
Minderheit in Deutschland bzw . gegen Deutsche mit
türkischem Migrationshintergrund zieht: Die Bundesre-
gierung nimmt jegliche Hinweise auf ausländische Spi-
onageversuche und nachrichtendienstliche Bemühungen,
Einfluss auf die Meinungsbildung von Teilen der deut-
schen Bevölkerung zu erlangen, sehr ernst . Dies betrifft
auch eine mögliche Einflussnahme der türkischen Regie-
rung unter anderem auf DITIB bzw . auf türkische und
türkischstämmige Bürgerinnen und Bürger in Deutsch-
land . Es ist Aufgabe der Länder zu prüfen, ob DITIB
den Status einer selbstständigen Religionsgemeinschaft
verliert .
Frau Dağdelen.
Herr Staatssekretär Schröder, ich kann nachvollzie-hen, warum die Bundesregierung hier ständig auf daseingeleitete Ermittlungsverfahren der Generalbundes-anwaltschaft verweist . Wir haben es ja begrüßt – es warauch längst überfällig –, dieses Verfahren nach mehre-ren Wochen Nichtstuns einzuleiten . Aber ich muss dochsagen: Dieses Verfahren der Generalbundesanwaltschaftwurde am 18 . Januar 2017 eingeleitet, und die Spitzel-vorwürfe bezüglich DITIB gehen auf Beginn Dezemberzurück . Trifft es zu, dass der Bundesregierung die Spit-zelberichte der DITIB-Imame seit Mitte Dezember vor-http://mobile.reuters.com/article/idUSKBN1532UPhttp://mobile.reuters.com/article/idUSKBN1532UP
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 214 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 25 . Januar 201721434
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(D)
liegen? Falls dies so ist: Was hat die Bundesregierungvon Mitte Dezember bis zur Einleitung des Verfahrensder Generalbundesanwaltschaft am 18 . Januar getan, umdiesen sehr schwerwiegenden Vorwürfen nachzugehen?Heute lese ich beispielsweise, dass sogar fünf Lehreran staatlichen Schulen in Nordrhein-Westfalen durchDITIB bespitzelt worden sind – und die Landesregie-rung – das muss ich dazusagen – von SPD und Grünenist immer noch willens, mit diesem Verein zusammen-zuarbeiten . Ich halte das für skandalös . – Aber könnenSie mir vielleicht sagen, was die Bundesregierung in derZwischenzeit getan hat, bis das Verfahren eingeleitetworden ist?D
Die Bundesregierung unterstützt die Generalbun-
desanwaltschaft in jeder Hinsicht, um dieses Verfahren
durchzuführen . Jetzt ist es Sache der Generalbundesan-
waltschaft, das Verfahren zu führen . Die Kritik, dass dies
erst so spät begonnen wurde, trifft die Generalbundesan-
waltschaft, aber nicht die Bundesregierung .
Frau Dağdelen, Rückfrage?
Ja . – Ich möchte gerne wissen, inwieweit es in der Zeit
seit Wissen um diese Spitzelberichte bis zur Einleitung
des Verfahrens durch die Generalbundesanwaltschaft
Erwägungen und auch Gespräche von Vertretern der
DITIB-Moscheegemeinden mit Vertretern der Bundesre-
gierung gab . Gab es diese Gespräche, und wenn ja, was
sind die Konsequenzen aus diesen Gesprächen? Denn
nach wie vor sind hier ja Imame, von denen man nicht
weiß, ob sie Andersdenkende, vermeintliche Regimegeg-
ner in Kultureinrichtungen, Bildungseinrichtungen oder
sonstigen Einrichtungen in Deutschland bespitzeln .
D
Wir erwarten, dass DITIB seinerseits jetzt alles dafür
tut, aufzuklären . Es darf nichts vertuscht werden . Das ist
unsere Erwartung .
Der Kollege Beck hat eine Rückfrage .
Ich möchte jetzt eine präzise Antwort auf die Frage,
die Frau Dağdelen gestellt hat, aber nicht beantwortet
bekam: Welche Gespräche gab es seit Anfang Dezember
seitens der Bundesregierung oder der Bundesregierung
unterstellten Behörden mit Stellen der DITIB? Was war
der Gesprächsgegenstand, und was war das Gesprächs-
ergebnis? Wenn Sie das nicht sagen können – vielleicht
weiß es das Bundeskanzleramt besser –, können Sie das
gerne schriftlich beantworten . Aber ich möchte es präzise
wissen .
D
Ich kann Ihnen jetzt nicht sämtliche Gespräche auf-
führen, die unter Umständen von nachgeordneten Be-
hörden mit Vertretern von DITIB geführt wurden . Klar
ist aber, dass auch sie darauf geachtet haben, dass das
Ermittlungsverfahren auf gar keinen Fall beeinträchtigt
werden darf .
Die nächste Nachfrage hat die Kollegin Hänsel .
Danke schön . – Herr Staatssekretär, laut Medienbe-
richten wird Kanzlerin Merkel Anfang Februar in die
Türkei reisen . Meine Fragen: Werden dort die gravieren-
den Fälle von Spitzelei der DITIB Thema sein? Wird die
Kanzlerin auch Forderungen gegenüber der türkischen
Regierung und Präsident Erdogan im Gepäck haben, was
die Spitzelei der DITIB gegenüber deutschen Staatsbür-
gern angeht? Ist das Thema? Falls Sie es nicht beantwor-
ten können, möchte ich das Bundeskanzleramt um Be-
antwortung bitten .
Offensichtlich kann Dr . Schröder die Fragen nicht be-
antworten .
D
Ich kann dazu gerne etwas sagen .
Dann sagen Sie etwas .
D
Mit Sicherheit wird die Bundeskanzlerin nicht im Vor-
hinein ankündigen, was genau sie im Gespräch mit dem
Regierungschef und dem Präsidenten der Türkei thema-
tisieren wird . Sie wird nach dem Gespräch sicherlich vor
die Presse treten und mitteilen, was sie mit ihm bespro-
chen hat . So ist das üblich .
Herr Braun, wollen Sie die Frage ebenfalls beantwor-
ten? – Bitte .
D
Ich kann das, was der Kollege Schröder hier gesagthat, bestätigen . Die Gespräche, die zwischen der Regie-rung der Bundesrepublik Deutschland und der Türkeigeführt werden, werden sich selbstverständlich auf alleBereiche der bilateralen Beziehungen erstrecken .Sevim Dağdelen
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(C)
(D)
Vielen herzlichen Dank . – Dann hat die Kollegin
Mihalic eine Nachfrage .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Herr Staatssekre-
tär, ich beziehe mich auf die Frage des Kollegen Volker
Beck . Ich möchte Sie bitten, die Frage, die Sie hier nicht
beantworten konnten – sie betraf Gespräche zwischen
der DITIB und der Bundesregierung bzw . nachgeord-
neten Behörden –, schriftlich zu beantworten, insbe-
sondere was die Zeit seit Anfang Dezember angeht . Es
geht um jedes Gespräch inklusive Gesprächsinhalt und
Gesprächs ergebnis .
D
Sobald uns das möglich ist, werden wir das gerne be-
antworten . Aber natürlich ist dafür einiges an Recherche
notwendig, um zu erfahren, was für Gespräche von nach-
geordneten Behörden möglicherweise geführt wurden .
Vielen Dank, Dr . Schröder . – Eine Nachfrage von Kol-
legin Haßelmann .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Ich bitte jetzt nur um
eine Klarstellung . Herr Schröder, da wir uns kennen: Was
heißt die Einschränkung „sobald“? In die Bitte um Beant-
wortung möchte ich auch das Kanzleramt einbeziehen . –
Wenn es seit Anfang Dezember Gespräche gegeben hat,
gehe ich davon aus, dass Sie uns in dieser Woche Infor-
mationen darüber zur Verfügung stellen können, welcher
Art auch immer . Damit wir jetzt nicht zu unterschiedli-
chen Interpretationen über „sobald“ kommen – da haben
wir mit dem Innenministerium sehr negative Erfahrun-
gen gemacht –, spreche ich das hier an .
Herr Dr . Schröder .
D
„Sobald“ heißt: so schnell als möglich .
Gut . Danke schön für diese Spracherklärung .
Dann kommen wir jetzt zur Frage 19 des Kollegen
Hans-Christian Ströbele:
Über welche Erkenntnisse verfügt die Bundesregierung
zu den in der Chronologie zum Fall Anis Amri genannten
Zweifeln des Bundeskriminalamtes an der Belastbarkeit der
Aussagen einer V-Person, die in dem vom Landeskriminalamt
Nordrhein-Westfalen geführten Ermittlungsverfahren des Ge-
neralbundesanwalts beim Bundesgerichtshof
eingesetzt war, über Anis Amri und dessen Angaben über
mögliche Anschlagspläne sowie dessen Möglichkeiten zur
Konsequenzen ergaben sich nach Kenntnis der Bundesregie-
rung daraus für das weitere Verfahren und die weitere Bewer-
tung der folgenden Aussagen der V-Person?
Herr Dr . Schröder, bitte .
D
Anders als die Fragestellung impliziert, hat das Bun-
deskriminalamt, BKA, keine grundsätzlichen Zweifel an
der Belastbarkeit aller Aussagen der V-Person des Lan-
deskriminalamtes Nordrhein-Westfalen geäußert . Die
durch das BKA im Rahmen der genannten Besprechung
am 23 . Februar 2016 thematisierten Zweifel bezogen
sich auf den in Rede stehenden Einzelsachverhalt, die
geplanten Anschläge mit Schnellfeuergewehren im Bun-
desgebiet, so wie auch in der Chronologie des Bundes-
ministeriums des Innern entsprechend dargestellt . Kon-
kret begründete das BKA die Zweifel unter anderem mit
der Art und Weise der Informationserhebung durch die
V-Person und dem Fehlen bzw . Ausbleiben behördlicher
Bestätigungen trotz umfangreicher polizeilicher Umfeld-
maßnahmen .
Auskünfte zu Konsequenzen für das Ermittlungsver-
fahren müssen im Hinblick auf die noch laufenden Er-
mittlungen unterbleiben . Trotz ihrer grundsätzlichen ver-
fassungsrechtlichen Pflicht, Informationsansprüche des
Deutschen Bundestages zu erfüllen, tritt hier nach sorg-
fältiger Abwägung der betroffenen Belange im Einzel-
fall das Informationsinteresse des Parlaments hinter das
berechtigte Geheimhaltungsinteresse zurück . Eine Aus-
kunft zu Erkenntnissen aus dem Ermittlungsverfahren
würde konkret weiter gehende Ermittlungsmaßnahmen
erschweren oder gar vereiteln, weshalb aus dem Prinzip
der Rechtsstaatlichkeit folgt, dass das betroffene Interes-
se der Allgemeinheit an der Gewährleistung einer funkti-
onstüchtigen Strafrechtspflege und Strafverfolgung hier
Vorrang vor dem Informationsinteresse hat .
Bevor Christian Ströbele nachfragt, muss ich michentschuldigen . Ich habe einen Fehler gemacht: Ich habeeine Frage von Frau Dağdelen übersehen. Ich sollte or-dentlicher schreiben; das ist das Problem . Die Frage 18kommt also noch – auch für Sie, Herr Dr . Schröder – undwird nach Frage 19 aufgerufen . Bitte entschuldigen Siedas .Dann hat jetzt Christian Ströbele das Wort .
Danke, Frau Präsidentin . Ich hatte mich auch schongewundert . – Herr Staatssekretär, ich habe eine Nach-frage, und zwar erneut zum Bundesamt für Verfassungs-schutz . Die deutschen Behörden, insbesondere das Bun-deskriminalamt und wahrscheinlich auch das Bundesamtfür Verfassungsschutz, sind von September bis zum26 . Oktober 2016 von den marokkanischen Behörden,http://www.bmi.de
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(C)
(D)
sprich: den Geheimdiensten, mit Informationen gera-dezu überschüttet worden . Allein in Ihrem Bericht sindvier verschiedene Meldungen enthalten, die zum Teilalarmierend sind . Dann erklärt sich am 2 . November dasBundesamt für Verfassungsschutz im GTAZ bereit, derFrage nachzugehen und in Marokko nachzufragen, wasda dran ist und wie das begründet ist . Warum haben Siedas nicht getan? Hätte vielleicht der Anschlag verhindertwerden können, wenn Sie das getan hätten?D
Es sind entsprechende Nachfragen gestellt worden .
– Aber es sind Nachfragen gestellt worden .
Das Problem war, dass die Informationen aus Marok-
ko, die vorhanden waren und übergeben wurden, nichts
Neues gebracht haben . Die Polizeibehörden sind zu dem
Ergebnis gekommen, dass das alles bereits bekannt war .
Herr Ströbele, zweite Nachfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Behörden haben
diese Mitteilung bekommen, und in Kenntnis dieser Mit-
teilung – meinetwegen auch aufgrund von Zweifeln an
der Aussage, was auch immer – wurde am 2 . November
2016 gesagt: Ja, wir gehen dem nach . – Aber dann tun
sie es nicht . Auch Sie behaupten ja nicht, dass sie es ge-
tan haben . Warum haben die das nicht gemacht bis zum
19 . Dezember 2016, und zwar nicht irgendwo, nicht in
den USA oder in Tunesien, sondern bei den marokkani-
schen Behörden?
D
Das ist für mich absolut nachvollziehbar, weil die Ma-
rokkaner nur Informationen geliefert haben, die schon
vorhanden waren . Deshalb hat das BfV dann versucht,
sich woanders Informationen zu beschaffen .
Die Polizeien – das war ja ein polizeilicher Fall, kein
nachrichtendienstlicher Fall – sind zu dem Ergebnis ge-
kommen, dass die Informationen aus Marokko keine
weiteren Erkenntnisse gebracht haben . Da müssen Sie
das Landeskriminalamt in Nordrhein-Westfalen fragen;
das war mit dem Fall betraut .
Vielen Dank . – Dann gibt es jetzt eine Zusatzfrage von
Konstantin von Notz .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Herr Staatssekretär,
anknüpfend an genau diesen Punkt: Ist es denn unzu-
treffend, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz im
GTAZ zugesagt hat, diesen Informationen nachzugehen,
und zwar im Hinblick auf die marokkanischen Behörden,
nicht auf den ominösen, potenten anderen nachrichten-
dienstlichen Partner? Der Auftrag war, bei den marokka-
nischen Behörden nachzufassen . Ist das erfolgt, ja oder
nein?
D
Noch einmal: Das BfV hat nachgefragt . Was sie in-
nerhalb des GTAZ speziell besprochen haben, kann ich
Ihnen nicht sagen . Das kann man ja in den dafür zustän-
digen Gremien erfahren .
Aber das Problem war, dass die Polizeien von Nord-
rhein-Westfalen zu dem Ergebnis gekommen sind, dass
diese Informationen aus Marokko keine weiteren Er-
kenntnisse gebracht haben .
Vielen Dank . – Nächste Zusatzfrage: Kollegin Mihalic .
Herr Schröder, Sie haben es gerade noch einmal ge-
sagt: Es handelte sich bei den konkreten Anschlagsplä-
nen, die im Raum standen – Anis Amri wollte eine Ka-
laschnikow bzw . eine Waffe besorgen, um damit einen
Anschlag zu begehen –, in der Tat um einen polizeilichen
Gefährdungssachverhalt, der sich am Ende nicht erhärten
ließ . Nichtsdestotrotz blieb Anis Amri am Ende der po-
lizeilichen Maßnahmen ein Gefährder . Im GTAZ waren
alle übereinstimmend der Meinung, dass ihm durchaus
Anschläge zuzutrauen sind, dass er weiterhin gefährlich
ist, wenn auch abstrakt, wenn ihm auch kein konkreter
Anschlagsplan zugerechnet werden kann . Vielleicht kön-
nen Sie mir jetzt die Frage beantworten, die Herr Fritsche
vorhin nicht beantworten konnte, warum nach Abschluss
der polizeilichen Maßnahmen das Bundesamt für Verfas-
sungsschutz nicht in die Überwachung von Anis Amri als
Gefährder, als Person eingetreten ist .
D
Das kann ich Ihnen ganz einfach beantworten: weildie rechtlichen Hürden hierfür sehr hoch sind
und Sie als Grüne – Fraktion und Partei –
Hans-Christian Ströbele
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(D)
uns immer ins Stammbuch schreiben, dass wir hohe Hür-den brauchen, damit der Verfassungsschutz jemanden be-obachtet .
Wenn die Polizeien zu dem Ergebnis kommen, dasseine Person nicht mehr gefährlich ist, sondern nur nochein Kleinkrimineller ist, dann ist es den Ämtern für Ver-fassungsschutz, insbesondere dem Bundesamt für Ver-fassungsschutz, nicht möglich, eine Person
mit nachrichtendienstlichen Mitteln zu beobachten .
Die nächste Zusatzfrage hat die Kollegin Hänsel .
Danke schön . – Herr Staatssekretär, es ist ja schon an-
geklungen: Es ist wirklich unglaublich, mit welch unter-
schiedlichen Maßstäben hier argumentiert wird . Zahlrei-
che Abgeordnete der Linksfraktion wurden überwacht .
Bis heute gibt es Teile der Linken, die vom Verfassungs-
schutz überwacht werden . Aber Gefährder werden nicht
überwacht . Wo leben wir eigentlich? Ihre Argumentation
hier ist hanebüchen . Der Umgang mit der Sicherheit der
Bürgerinnen und Bürger ist einfach unglaublich .
In den Medien stand, dass die deutschen Behörden
über Projekte von Anis Amri, die er plante, informiert
wurden . Wenn ich das Wort „Projekt“ höre, dann muss
ich doch bei den Sicherheitsbehörden nachfragen . Wel-
che Antwort gab es denn ganz konkret? Projekte von je-
mandem, der als Gefährder eingestuft wird – das ist doch
schon ein sehr konkreter Hinweis .
D
Das war kein Fall, mit dem vordringlich die Nachrich-
tendienste betraut waren, sondern es war ein polizeilicher
Fall . Die Polizeien haben diesen Fall geführt .
Vielen Dank, Herr Dr . Schröder . – Die nächste Zusatz-
frage von Kollegin Dağdelen.
Herr Staatssekretär, Sie sagen immer wieder, dass die
Polizei in Nordrhein-Westfalen gesagt hat, die Informa-
tionen, die von den Marokkanern an Deutschland weiter-
gegeben worden sind, hätten keine weiteren Erkenntnisse
erbracht . Darum geht es aber nicht in unseren Fragen .
Im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum, in dem
sich Vertreter Dutzender Sicherheitsbehörden versam-
meln, gab es die Feststellung, dass das Bundesamt für
Verfassungsschutz den Informationen, die von den Ma-
rokkanern an Deutschland weitergegeben worden sind,
dass Anis Amri hier ein Projekt habe und gefährlich sei,
nachgehen soll und dass man mit den Marokkanern noch
einmal sprechen soll, um mehr zu erfahren . In der letz-
ten Woche hat ein Vertreter des Bundesamtes für Verfas-
sungsschutz im Innenausschuss gesagt, dass man dieser
Aufgabe, die dort erteilt worden ist, nicht nachgegangen
sei . Meine Frage ist: Welche Gründe hatte eine nachge-
ordnete Behörde, diesen Auftrag des Gemeinsamen Ter-
rorismusabwehrzentrums nicht zu erfüllen?
D
Nach meiner Information ist man dem nachgegangen .
Alles Weitere müssen die entsprechenden Gremien in Er-
fahrung bringen . Mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen .
Nächste Zusatzfrage: Renate Künast .
Herr Staatssekretär, ich habe eine Nachfrage, weil
ich Ihre Einschätzung gar nicht verstehe . Warum hat das
Bundesamt für Verfassungsschutz ihn nicht beobachtet,
wo er doch Gefährder, Kämpfer war? Im Personagramm
mit Stand 14 . Dezember, also wenige Tage vor dem An-
schlag, wurde er als Gefährder bezeichnet und wurde
darauf hingewiesen, dass er regelmäßig in der Moschee
„Fussilet 33“ verkehrt, also an dem Ort, an dem sich die
gewaltbereiten Islamisten trafen . Wochenlang hatte der
Innensenator von Berlin, Herr Henkel, offensichtlich
schon eine Verbotsverfügung für den entsprechenden
Moscheeverein vorbereitet, weil sich dort potenzielle
Terroristen treffen . Ich verstehe nicht, wo jetzt genau die
rechtliche Hürde gewesen sein soll, wenn er laut Perso-
nagramm vom 14 . Dezember doch so gefährlich war . Sie
haben es doch auch geschafft, jemanden wie Albakr zu
beobachten . Sie schaffen es im Zweifelsfall, linke Abge-
ordnete zu beobachten, die nicht bei „Fussilet“ ein- und
ausgehen . Was also ist die rechtliche Begründung, einen
so gefährlichen Mann – gemäß Festlegung der Sicher-
heitsbehörden, Stand 14 . Dezember – nicht zu beobach-
ten?
D
Der Fall Amri war ein polizeilicher Fall der Landes-kriminalämter Nordrhein-Westfalen und Berlin
und eben kein nachrichtendienstlicher Fall . Die Polizei-en sind zu einer entsprechenden Gefährdungsbewertunggekommen, und daran hat sich natürlich dann auch dasParl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder
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(C)
(D)
Bundesamt für Verfassungsschutz entsprechend gehal-ten .
Nächste Nachfrage: Frau Hajduk . – Bitte .
Herr Staatssekretär, ich möchte zum Sachverhalt eine
Nachfrage stellen, auch vor dem Hintergrund der Be-
richterstattung in der Welt von heute . Wann genau, um
welche Uhrzeit, sind Sie bei der Untersuchung des Lkws,
der für diesen schrecklichen Anschlag benutzt wurde, auf
den Tatverdacht gegen Anis Amri gestoßen, und um wel-
che Uhrzeit wurde dann die Fahndung nach Anis Amri
ausgeschrieben?
D
Ermittelt hat hier zunächst die Staatsanwaltschaft Ber-
lin mithilfe der Polizei Berlin, und nur die können die
Frage beantworten .
Vielen Dank . – Weil sich manche so aktiv gemeldet
haben: Die Regel heißt, es gibt eine Nachfrage pro Frage .
Das gilt für alle außer den Fragesteller .
Das heißt, Frau Hajduk, Sie haben keine Chance, noch
einmal nachzufragen . Das geht leider nicht .
Wir kommen jetzt zur Frage 18 der Kollegin Dağdelen:
Kann die Bundesregierung ausschließen, dass der Täter des
Anschlags auf dem Breitscheidplatz, Anis Amri, von einem
ausländischen Geheimdienst geführt wurde bzw . Kontakt zu
einem ausländischen Geheimdienst hatte, und welchen auslän-
dischen Geheimdienst hat die Bundesregierung bzw . haben die
nachgeordneten Behörden nach Beratungen im Gemeinsamen
Terrorismusabwehrzentrum über Anis Amri befragt, um die
Wertigkeit der Warnung des marokkanischen Geheimdienstes,
dass Anis Amri ein „Projekt“ plane, zu überprüfen?
D
Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse, dass
Anis Amri von einem ausländischen Nachrichtendienst
geführt wurde bzw . Kontakt zu einem ausländischen
Nachrichtendienst hatte, vor .
Die Frage nach dem ausländischen Nachrichtendienst,
den die nachgeordneten Behörden nach Beratungen im
Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum über Anis
Amri befragt haben, um die Wertigkeit der Hinwei-
se aus Marokko zu überprüfen, kann hier aus Gründen
des Staatswohls nicht beantwortet werden . Die Arbeits-
methoden und Vorgehensweisen des Bundesamtes für
Verfassungsschutz sind im Hinblick auf die künftige Er-
füllung des gesetzlichen Auftrags aus § 3 Absatz 1 des
Gesetzes über die Zusammenarbeit des Bundes und der
Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und
über das Bundesamt für Verfassungsschutz besonders
schutzbedürftig . Eine entsprechende Beantwortung –
auch in eingestufter Form – würde zu einer wesentlichen
Schwächung der dem Bundesamt für Verfassungsschutz
zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zur Informati-
onsgewinnung führen und ließe Rückschlüsse auf die
Aufklärungsschwerpunkte, Methoden der Erkenntnis-
gewinnung und hier insbesondere auf die Kooperation
mit anderen Nachrichtendiensten zu . Dies würde für die
zukünftige Zusammenarbeit mit ausländischen Nach-
richtendiensten bei der Aufklärung des internationalen
Terrorismus und damit für die Auftragserfüllung des
Bundesamtes für Verfassungsschutz Nachteile zur Folge
haben . Insofern könnte die Offenlegung für die Bundes-
republik Deutschland nachteilig sein .
Frau Dağdelen.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär . – Es ist schon be-
merkenswert, was alles im Sinne des Staatswohls ver-
tuscht oder verdeckt wird .
Ich komme gerade aus einem Gespräch mit den Opfer-
anwälten . Sie wären sehr froh, wenn das Wohl der Bür-
gerinnen und Bürger über dem Staatswohl stehen würde
und man die Aufklärung vorantreiben würde .
Sie sagten, Sie hätten keinerlei Erkenntnisse darüber,
ob Kontakte oder eine Führung durch ausländische Ge-
heimdienste in Sachen Anis Amri bestehe . Die Welt am
Sonntag hat am 22 . Januar über Anis Amri und über Ver-
wicklungen in Italien berichtet . Dort hieß es:
Die Freilassung Amris aus italienischer Abschiebe-
haft im Juni 2015 könnte Teil einer Geheimopera-
tion des italienischen Inlandsnachrichtendienstes
AISI gewesen sein . Dies berichteten gleichlautend
zwei mit der Untersuchung des Falls Amri unmit-
telbar befasste Quellen aus dem italienischen Si-
cherheitsapparat unabhängig voneinander . . . Die
AISI-Aktion habe zum Ziel gehabt, Amri als Köder
in der islamistischen Szene Italiens einzusetzen .
Wegen einer Panne habe man Amri jedoch aus den
Augen verloren .
Gibt es seit dieser Berichterstattung bzw . gab es im
Vorfeld seitens der Bundesregierung oder der nachgeord-
neten Behörden Bestrebungen, um den Verwicklungen
des italienischen Inlandsnachrichtendienstes in Sachen
Anis Amri nachzugehen?
D
Das haben wir bereits gemacht . Der Bundesinnenmi-nister hat sich diese Woche mit dem Innenminister Ita-liens getroffen . Der italienische Innenminister hat dieseParl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder
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(C)
(D)
Darstellung verneint und den Sachverhalt gegenüberdem Bundesinnenminister klargestellt .
Frau Dağdelen, zweite Rückfrage?
Ja . – Meine zweite Rückfrage betrifft den US-Luftan-
griff in Libyen . In der Nacht vom 18 . auf den 19 . Januar
hat die US-Luftwaffe zwei IS-Camps nahe der libyschen
Stadt Sirt bombardiert . Schätzungen des Pentagon zu-
folge wurden dabei mehr als 80 Kämpfer getötet . Man
sagt, dass der Angriff offenbar einem Kontaktmann des
Berlin-Attentäters Anis Amri gegolten hat . Insofern wür-
de ich gerne wissen: Welche Kenntnisse hat die Bun-
desregierung – auch nachrichtendienstliche, die Sie mir
gerne schriftlich zukommen lassen können –, dass diese
Angriffe – wie in der Presse kolportiert wurde – im Zu-
sammenhang mit dem Anschlag in Berlin im Dezember
standen und dass dabei mutmaßliche Komplizen bzw .
Kontaktmänner von Amri getötet wurden? Vor allen Din-
gen: Haben die deutschen Sicherheitsbehörden zwei li-
bysche Mobiltelefonnummern, die auf dem Handy Anis
Amris gefunden wurden, an die USA weitergegeben?
D
Der Nachrichtenkoordinator Fritsche hat soeben aus-
geführt, dass es hierzu keine Erkenntnisse gibt, dass dem
aber nachgegangen wird und dass die Informationen dann
in der Geheimschutzstelle zur Verfügung gestellt werden .
Vielen Dank . – Nächste Rückfrage: Renate Künast .
Ich beziehe mich auf Ihre Aussage, dass der Fall Amri
am Ende eine Polizeiangelegenheit gewesen sei . Da Sie
immer über das GTAZ informiert werden, frage ich Sie:
Um welche konkrete Gefahr ist es da gegangen? Geht
es um ein Versagen der Berliner Polizei unter Herrn
Henkel? In was für einem Fall hat die Berliner Polizei
konkret ermittelt? Ist dabei auszuschließen, dass es da-
bei nicht um Kontakte zu Personen ging, gegen die der
Verdacht besteht, eine terroristische Vereinigung gemäß
§ 129a StGB gebildet oder mit Drogen gehandelt zu ha-
ben? Man vermutet bzw . weiß, dass durch Drogenhandel
hier in Deutschland – Amri stand ja auch unter dem Ver-
dacht, mit Drogen gehandelt zu haben – der IS finanziell
unterstützt wird . Ich habe zum Beispiel Anklagen des
Generalstaatsanwalts von Berlin oder des GBA gelesen,
in denen steht, dass 500 Euro oder 800 Euro in Richtung
IS überwiesen wurden, die hier durch Drogenhandel er-
wirtschaftet wurden . Ich möchte von Ihnen wissen, Herr
Schröder, ob Sie ausschließen können, und zwar für alle
Fälle, dass Fälle, bei denen es um Menschen, denen die
Bildung einer terroristischen Vereinigung gemäß § 129a
StGB vorgeworfen wird, oder um die Finanzierung des
IS durch Drogenhandel geht, eindeutig nie in die Zustän-
digkeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz gehören .
So habe ich Sie gerade in Bezug auf Amri verstanden .
D
Natürlich hat auch das Bundesamt für Verfassungs-
schutz entsprechende Kompetenzen, um gerade im Be-
reich des Terrorismus auch im Vorfeld tätig zu sein . Aber
in diesem Fall lag die Federführung eindeutig bei den
Polizeien . Der Generalbundesanwalt hat verneint, die-
sen Fall zu übernehmen . Diese fatale Fehleinschätzung
ist uns jetzt allen bewusst . Es geht jetzt darum, auch
aufzuklären, wie man vonseiten der Polizei zu dieser
Fehleinschätzung kommen konnte . Es gab ja sehr um-
fangreiche Maßnahmen . Amri wurde von den Polizeien
entsprechend abgehört . In der Tat ist die entscheidende
Frage, wie es am Ende zu dieser Fehleinschätzung kom-
men konnte .
Nächste Rückfrage: Kollegin Hänsel .
Anis Amri war in Italien schon inhaftiert . Was sind
denn nach Kenntnis der Bundesregierung – sie steht
mit der italienischen Regierung im engen Kontakt – die
Gründe, dass die italienischen Behörden Anis Amri nicht
abgeschoben haben, obwohl ihnen dem Vernehmen nach
seine Geburtsurkunde vorlag? Wie erklärt sich die Bun-
desregierung in diesem Zusammenhang, dass Anis Amri
dann ausgerechnet wieder nach Italien – nach Mailand –
floh? Bestünde nicht die Möglichkeit, dass er dort ganz
gezielt jemanden von den Sicherheitsbehörden treffen
wollte? Es ist ja nicht normal, dass man, obwohl man
in diesem Land – Italien – schon einmal inhaftiert war,
dorthin zurückgeht .
Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung also über
die Kontakte von Anis Amri zu italienischen Sicherheits-
behörden, und wie erklärt sie, dass er nicht abgeschoben
wurde und nach Mailand zurückging?
D
Die These, die Sie jetzt aufstellen, dass die italieni-
schen Sicherheitsbehörden da Kontakte gehabt hätten
und dahintersteckten, dass Amri einfach nach Deutsch-
land weiterzog, hat der italienische Innenminister im Ge-
spräch mit dem Bundesinnenminister klar verneint .
Die nächste Rückfrage: Kollege von Notz .
Herr Staatssekretär, Anis Amri war auch als „ForeignFighter“ eingestuft . Da frage ich Sie: Wie viele von allden Gefährdern, die es in Deutschland gibt, die nicht imAusland sind, die nicht inhaftiert sind – Pi mal Daumen180 Leute –, werden denn überwacht?Es ist meiner Ansicht nach so, dass man – und dasvermischt sich in Ihren Antworten etwas – einen konkre-ten Sachverhalt, den es zu ermitteln gilt und wofür natür-Parl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder
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(C)
(D)
lich die Polizei zuständig ist, von dem Gefährdersein derPerson trennen muss . Dieser Sachverhalt ist im GTAZanders eingestuft worden, aber der Gefährder selbst warja weiter da und galt auch weiter als gefährlich; man hatihn sogar „Foreign Fighter“ genannt . Deshalb stelle ichdie Frage: Wie kann es sein, dass Amri nicht überwachtwurde? Und wie viele dieser 180 Gefährder werden dennüberwacht? Wo fühlt sich denn das Bundesamt für Ver-fassungsschutz zuständig? Ich bitte um ungefähre Zah-len .D
Wie viele Gefährder vom Bundesamt für Verfassungs-
schutz überwacht werden, kann ich Ihnen hier nicht sa-
gen; das würde die Arbeitsweise des Bundesamtes für
Verfassungsschutz offenlegen .
Das Problem im Fall Amri war doch, dass Amri von
den Polizeien als Kleinkrimineller eingestuft wurde,
dem man nicht mehr zugetraut hat, einen solchen schlim-
men terroristischen Akt zu vollziehen . Das war das Fa-
tale .
Die nächste Rückfrage: Kollege Ströbele .
H
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das war Aufgabe der Polizei . – Nun ist
ja das Bundesinnenministerium, also Ihre Behörde, für
die Polizei auf Bundesebene, für das Bundeskriminalamt
zuständig . Die waren bei den GTAZ-Sitzungen in der Re-
gel – oder sogar immer – anwesend . Warum sind die nie
auf die Idee gekommen – auch wenn Sie keine Weisung
geben können; das weiß ich ja alles –, einmal die ver-
schiedenen Straftaten, die Amri vorgeworfen werden, an
einer Stelle zu sammeln, sodass das einer betreibt?
Für gewerbsmäßigen Betrug mit mittelbarer Falsch-
beurkundung gibt es in Berlin, wenn Fluchtverdacht
besteht, einen Haftbefehl mit Untersuchungshaft; dies
müssten neun Fälle gewesen sein, da er neun Aliasna-
men führte . Des Weiteren ging es um Körperverletzung,
Drogenhandel und, und, und . Es sind also mehr als zwölf
Verfahren, sodass sich die Frage stellt, ob man das nicht
an einer Stelle betreiben sollte .
Man hat den Eindruck, die Verfahren sind zwar einge-
leitet worden, aber nur, um sie gleich wieder einzustel-
len . Warum ist Ihre dem Bundesinnenminister unterstell-
te Behörde da nicht tätig geworden?
D
Ich finde, das ist eigentlich die berechtigte Frage .
Warum das nicht gemacht wurde, warum nicht mal ein
Sammelverfahren bei irgendeiner Staatsanwaltschaft ein-
geleitet wurde, warum die zuständige Ausländerbehörde
das nicht mal zum Anlass genommen hat, entsprechende
Aktivitäten zu starten, warum auch die Verletzung der
Residenzpflicht einfach so hingenommen wurde, das
sind berechtigte Fragen . Die Bundespolizei hat dafür
aber leider keine Kompetenz .
Die Bundespolizei und das BKA hatten dadurch, dass
der Fall umfassend vom Landeskriminalamt Nord-
rhein-Westfalen geführt wurde und auch vom Berliner
Landeskriminalamt, eben keine Kompetenz nach § 4a
des Bundeskriminalamtgesetzes .
Eine Rückfrage von Kollegin Bähr-Losse von der
SPD .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Frau Künast, wenn
ich jetzt loslegen dürfte . – Ich greife die Nachfragen auf,
die aus den Reihen der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen kamen . Herr Schröder, ich bin mittelprächtig ent-
setzt darüber, dass man sich hier so einen schlanken Fuß
macht . Es geht natürlich auch um die Aufarbeitung von
zurückliegenden Fällen . Wenn man in dieser Ex-post-Be-
trachtung aber einfach nur sagt, dass es bei jedem, der
Verantwortung getragen habe, zu Fehleinschätzungen
gekommen sei, nur nicht bei der Bundesregierung, dann
macht man sich damit einen schlanken Fuß .
Da Sie sagen, das sei eine polizeiliche Fehleinschät-
zung gewesen und der Verfassungsschutz habe nicht von
sich aus eingreifen können, frage ich mit Blick darauf,
dass uns allen bekannt ist, dass es noch eine Vielzahl
von sogenannten Gefährdern gibt: Ändert sich jetzt – für
zukünftige Fälle – etwas an der Ermittlungspraxis hin-
sichtlich der originären Zuständigkeit des Verfassungs-
schutzes?
D
Dafür haben wir ja auch das GTAZ, um diese Verant-wortung gemeinsam zu besprechen . Im Fall Amri wareneben das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen unddas Landeskriminalamt Berlin für die Ermittlungen zu-ständig . Aber selbstverständlich haben auch alle anderenBehörden immer eine Mitverantwortung zu tragen . Des-sen sind wir uns bewusst . Wir müssen den Fall Amri jetztDr. Konstantin von Notz
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(D)
so beschreiben, wie er war: Es war ein polizeilicher Falldes Landeskriminalamtes .
Vielen Dank, Dr . Schröder . – Noch einmal: Es kann
nur eine Rückfrage gestellt werden .
Ich rufe die Frage 20 der Kollegin Hänsel auf:
Welche Informationen hatte die Bundesregierung vor dem
Anschlag am Berliner Breitscheidplatz am 19 . Dezember 2016
über konkrete Vorhaben des Anis Amri in Deutschland von-
seiten der marokkanischen Sicherheitsbehörden, und gab es
Hinweise auf Anschlagspläne oder nicht?
Herr Dr . Schröder, bitte .
D
Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Durch die ma-
rokkanischen Behörden wurden den deutschen Sicher-
heitsbehörden insgesamt vier Schreiben übermittelt, die
Informationen enthielten, Angaben darüber, dass Amri
Anhänger des sogenannten „Islamischen Staats“ sei und
hoffe, sich dem sogenannten IS in Syrien, Irak oder Li-
byen anschließen zu können . Amri führe ein Projekt aus .
Hierzu wurden allerdings keine weiteren konkreten An-
gaben gemacht . Amri bezeichne sein Gastland als Land
des Unglaubens, das Erpressungen gegen die Brüder füh-
re . Amri solle zudem eine Rufnummer nutzen und sich il-
legal in Berlin aufhalten . Er solle in Deutschland in Kon-
takt mit weiteren IS-Sympathisanten stehen, darunter
einem russischen Staatsangehörigen, der von den deut-
schen Behörden nach Russland zurückgeschoben werden
solle, und einem marokkanischen Staatsangehörigen, der
verheiratet sei, dessen Pass sichergestellt worden sein
solle, der das Land nicht verlassen dürfe . Amri solle in
Berlin mit einem weiteren marokkanischen Staatsange-
hörigen zusammen wohnen . Dessen Eltern sollen IS-An-
hänger sein, und väterliche Cousins sollen IS-Mitglieder
in Syrien, Irak und Libyen sein . Zu seinen Kontaktperso-
nen wurden ebenfalls Lichtbilder übersandt .
Vielen Dank, Herr Dr . Schröder . – Frau Hänsel, bitte .
Danke schön . – Ich habe diese Frage jetzt noch einmal
gestellt, weil ich es sehr merkwürdig finde, dass Sie mir
in einer Antwort vom 3 . Januar 2017 auf eine ähnliche
Frage geantwortet haben, dass den deutschen Sicher-
heitsbehörden in keiner dieser Mitteilungen über mögli-
che Anschlagspläne von Amri berichtet worden ist, sich
kurz darauf aber Entwicklungsminister Müller in einem
Interview mit dem ZDF, mit dem heute-journal wie folgt
geäußert hat: Hätten die deutschen Behörden auf den ma-
rokkanischen Geheimdienst gehört, der vor Wochen vor
Amri gewarnt hatte, dann hätte man den Anschlag viel-
leicht verhindern können . – Da wollte ich noch einmal
nachfragen: Wie erklären Sie sich diese widersprüchli-
chen Analysen?
D
Wie eben schon dargestellt, ist sehr genau analysiert
worden, was von den marokkanischen Sicherheitsbe-
hörden weitergeleitet wurde . Man ist zu dem Ergebnis
gekommen, dass das keine weiterführenden Erkenntnis-
se sind, die nicht ohnehin schon bekannt sind . Im Laufe
der weiteren Observation und weiteren Ermittlung sind
die Landeskriminalämter zusammen mit den Bundessi-
cherheitsbehörden zu dem Ergebnis gekommen, dass von
Amri nicht mehr eine solche Gefahr ausgeht .
Frau Hänsel, eine zweite Rückfrage?
Ja . – Ich möchte noch einmal darauf bestehen: Wie
erklären Sie sich, dass ein Mitglied des Kabinetts bei der
Bewertung der vorliegenden Informationen zu einer ganz
anderen Schlussfolgerung kommt? Wie kann es sein,
dass professionelle Leute vom Landeskriminalamt, vom
GTAZ, vom Verfassungsschutz usw . zu einer Verharm-
losung dieser vorliegenden Informationen neigen – uns
wird hier auch die ganze Zeit erzählt, dass es gar keinen
Anlass gab, ihn zu beobachten – und gleichzeitig ein Mit-
glied des Kabinetts zu dem Schluss kommt, dass der An-
schlag vielleicht hätte verhindert werden können, wenn
man auf die marokkanischen Behörden gehört hätte?
D
Es gab ja Veranlassung, ihn durch die Polizei zu be-
obachten . Es gab auch entsprechend Observationsmaß-
nahmen .
Diese haben eben genau zum gegenteiligen Ergebnis ge-
führt .
Frau Mihalic .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Herr Schröder, ichmöchte sinngemäß den Präsidenten des Bundesamtes fürVerfassungsschutz zitieren, der dem Morgenmagazin derARD am 11 . Oktober letzten Jahres ein Interview gege-ben hat . Er sagte sinngemäß – ich glaube, er sagte es so-gar wörtlich so –, dass es eine Handvoll von wirklich ge-fährlichen Personen gibt, die der Verfassungsschutz rundum die Uhr, sieben Tage die Woche beobachtet .Die Fragen, die ich in diesem Zusammenhang habe,sind: Auf welcher Basis oder aufgrund welcher Kriteri-en werden diese Personen rund um die Uhr vom Verfas-sungsschutz beobachtet? Auf welchen Rechtsgrundla-gen basiert dies? Sie haben vorhin auf die mangelndenRechtsgrundlagen, so etwas zu tun, verwiesen . Wie un-terscheiden sich diese Fälle, die rund um die Uhr vomVerfassungsschutz beobachtet werden, von der PersonParl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder
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(D)
Anis Amri? Wie konnte es zu solch einer Fehleinschät-zung des Bundesamtes für Verfassungsschutz kommen,Anis Amri nicht ebenfalls, so wie die anderen Gefährder,rund um die Uhr, also 24 Stunden am Tag, sieben Tagedie Woche, zu beobachten?D
Das Bundesamt für Verfassungsschutz kann eine Ein-
zelperson nur dann beobachten, insbesondere mit nach-
richtendienstlichen Instrumenten, also mit G-10-Maß-
nahmen, wenn davon ausgegangen wird, dass von dieser
Person wirklich eine Gefahr ausgeht . Das Problem im
Fall Amri ist, dass die Polizeien zu dem Ergebnis gekom-
men sind, dass von dieser Person eben eine solche Gefahr
nicht mehr ausgeht .
Man hat ihn als Kleinkriminellen eingeschätzt . Deshalb
ist auch das Bundesamt für Verfassungsschutz zu dem
Ergebnis gekommen, keine entsprechenden Maßnahmen
durchzuführen . Das gilt übrigens nicht nur für das Bun-
desamt für Verfassungsschutz, sondern natürlich insbe-
sondere auch für das Landesamt für Verfassungsschutz
von Nordrhein-Westfalen .
Die Kollegin Dağdelen hat eine Rückfrage.
Herr Staatssekretär, Sie meinten in Antwort auf die
Frage meiner Kollegin Heike Hänsel, dass diesen In-
formationen sehr wohl nachgegangen worden ist, aber
die Untersuchungen zu einem anderen Ergebnis geführt
haben . – Ich würde gerne Folgendes fragen: Trifft es
zu, dass die aus dem GTAZ-Auftrag resultierenden In-
formationen – dabei ging es darum, die Wertigkeit der
Warnung der marokkanischen Behörden mittels eines be-
freundeten Geheimdienstes, dem man mehr Kompeten-
zen zugesprochen hat, prüfen zu wollen – erst nach dem
Anschlag eingetroffen sind?
D
Ich habe Ihre Frage nicht wirklich verstanden .
Man hat sich ja über Jahre mit Amri beschäftigt, er ist ob-
serviert worden, und dann ist man eben zu dieser fatalen
Einstufung gekommen . Es ist ja nicht so, dass sich die
Sicherheitsbehörden nicht mit dem Fall Amri beschäftigt
haben .
Eine Rückfrage von Herrn von Notz .
Herr Schröder, vielleicht haben Sie den Bericht, den
die Landau-Kommission im Hinblick auf den Fall Al-
bakr gestern vorgestellt hat, gelesen . Sie spricht darin
von einer Kultur der Unverantwortlichkeit, die es gäbe,
durchaus auch in Bezug auf Bundesbehörden . So wie
Sie es dargestellt haben, hat das Bundesamt für Verfas-
sungsschutz ja offensichtlich gar keine rechtlichen Mög-
lichkeiten, Gefährder unabhängig von irgendwelchen
polizeilichen Entscheidungen zu beobachten . Jetzt frage
ich Sie: Ist das tatsächlich so? Ist das eine ernstgemeinte
Aussage von Ihnen, oder ist das vielleicht die Kultur der
Unverantwortlichkeit, die man jetzt auch in Sachsen fest-
gestellt hat?
D
Natürlich kann das Bundesamt für Verfassungsschutz
auch unabhängig von polizeilichen Erkenntnissen tätig
werden; das ist selbstverständlich .
Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf polizeiliche
Erkenntnisse nicht ignorieren . Natürlich sind in einem
Rechtsstaat Hürden vorhanden, wenn es darum geht,
wann G-10-Maßnahmen, wann nachrichtendienstliche
Mittel gegenüber einer Einzelperson eingesetzt werden
dürfen . Bei der Bewertung dieser Hürden müssen die
polizeilichen Erkenntnisse einbezogen werden . Dazu,
inwieweit das Bundesamt für Verfassungsschutz gegen-
über den Landesämtern für Verfassungsschutz weiterge-
hende Befugnisse braucht, hat der Bundesinnenminister
ja Vorschläge gemacht .
Vielen Dank . – Dann liegen mir zu Frage 20 und zumGeschäftsbereich des Bundesministeriums des Innernkeine weiteren Fragen vor . Vielen Dank, Dr . Schröder .Dann kommen wir jetzt zum Geschäftsbereich desBundesministeriums der Justiz und für Verbraucher-schutz . Ich begrüße Christian Lange .Wir kommen zur Frage 21 der Kollegin Heike Hänsel:Inwieweit wird im Zusammenhang mit von Serbien aus-gestellten internationalen Haftbefehlen gegen 22 Kämpferder einstigen kosovo-albanischen Miliz UCK, darunter meh-rere UCK-Kommandanten und Azem Syla, ein Onkel desaktuellen kosovarischen Präsidenten Hashim Thaci, auch in
weit trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass derehemalige kosovarische Regierungschef Ramush Haradinajin Frankreich wegen Verbrechen während des Kosovo-Kriegsfestgenommen worden ist, dessen Freispruch vor dem Haa-ger Tribunal in 37 Anklagepunkten nur deshalb zustande kam,weil während der Prozesse insgesamt 19 potenzielle Zeugen
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C
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Frau Kollegin, ich
beantworte Ihre Frage wie folgt: Allgemeine Angaben zu
Fahndungsersuchen Serbiens nach UCK-Kämpfern kön-
nen nicht gemacht werden . Eine Statistik, die nach Zu-
gehörigkeit zu bestimmten Gruppen differenziert, wird
nicht geführt . Soweit die Bundesregierung die Frage
einzelnen Personen zuordnen konnte, wurde keine Fahn-
dung eingeleitet .
Nach Kenntnissen der Bundesregierung wurde
Ramush Haradinaj am 4 . Januar 2017 in Frankreich auf-
grund eines serbischen Haftbefehls aus dem Jahr 2004
festgenommen . Die serbischen Behörden werfen ihm
vor, im Kosovo Kriegsverbrechen begangen zu haben .
Am 12. Januar 2017 wurde Herr Haradinaj unter Aufla-
gen freigelassen . Über die Frage der Auslieferung nach
Serbien steht die Entscheidung der französischen Justiz
aus .
Zu den übrigen Teilen der Frage liegen der Bundesre-
gierung keine eigenen Erkenntnisse vor .
Frau Hänsel? – Zu Frage 21 gibt es keine Rückfragen .
Dann möchte ich Herrn Lange verabschieden .
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums der Finanzen . Das geht schnell, weil die
Frage 22 der Kollegin Ulla Jelpke schriftlich beantwortet
wird .
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Arbeit und Soziales . Ich begrüße Frau
Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller .
Wir kommen zur Frage 23 von Katrin Werner:
Wenn laut Antwort der Bundesregierung auf meine münd-
liche Frage 33, Plenarprotokoll 18/211, Anlage 25, die Ein-
sparungen durch die gemeinsame Inanspruchnahme von Leis-
tungen der Eingliederungshilfe insgesamt in geringem, nicht
quantifizierbaren Umfang denkbar sind, wieso schränkt die
Bundesregierung dann das grundlegende Menschenrecht auf
freie Wahl von Wohnort und Wohnform von Menschen mit
G
Frau Präsidentin! Werte Kollegin Werner, in der Ant-
wort auf Ihre mündliche Frage vom 18 . Januar 2017, die
ja Auslöser für die Frage ist, die ich heute beantworte,
ging es um die Kostenwirkungen der gemeinsamen In-
anspruchnahme von Leistungen in allen in § 78 Absatz 1
des Bundesteilhabegesetzes aufgelisteten Lebensberei-
chen . Ihre Frage wurde mit dem Hinweis auf – ich ver-
kürze es ein wenig – Einsparungen im geringen, nicht
quantifizierbaren Umfang beantwortet.
Sie fokussieren mit Ihrer neuen Frage nunmehr auf die
gemeinsame Inanspruchnahme im Kontext von Wohnort
und Wohnform . Der Bereich des Wohnens ist individu-
ell sehr unterschiedlich . Er reicht vom Leben allein in
der eigenen Wohnung über das Wohnen in Wohngruppen
bis hin zu vollstationären Einrichtungen . Deshalb ist eine
belastbare Quantifizierung der Ausgaben nicht möglich.
Bei einer freien Wahl von Wohnort und Wohnform
können in einzelnen Fällen Mehrkosten in höherem
Umfang entstehen . Zu den Leistungen für die Wohnung
kommen jeweils auch die Leistungen zur sozialen Teilha-
be, insbesondere Assistenzleistungen, hinzu . Soweit der
vom Leistungsberechtigten gewünschte Wohnort bzw .
die gewünschte Wohnform nach der Einzelfallprüfung
die adäquate Leistungserbringung ist, werden die Kosten
hierfür übernommen .
In dem neuen partizipativen Teilhabe- und Gesamt-
planverfahren wird der Leistungsberechtigte – das gilt
aber auch für die Leistungsberechtigte – zudem an allen
Verfahrensschritten beteiligt . So wird insbesondere ge-
meinsam mit ihm oder ihr über seine oder ihre Wünsche
auch in Bezug auf das Wohnen beraten .
Vielen Dank . – Frau Werner, bitte .
Dazu habe ich eine Nachfrage, weil Sie in diesem Zu-
sammenhang noch einmal erwähnt haben, dass da auch
der Assistenzbereich hineinspielt . Insofern können Sie
sich vorstellen, dass ich mit meiner Frage noch einmal in
den Bereich des Poolens oder auch des Zwangspoolens
gehe .
Zum einen habe ich die Frage, ob der Änderungsan-
trag 23 von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD
der Bundesregierung an sich bekannt ist, bei dem es um
die Kosten aufgrund des Verzichts auf das Zwangspoo-
ling in den Lebensbereichen „soziale Beziehungen“ und
„persönliche Lebensplanung“ geht . Darin spricht man ja
davon, dass diese Kosten 3,6 Millionen Euro jährlich be-
tragen . Ist der Bundesregierung diese Zahl bekannt, und
wenn ja, wissen Sie, welche Studien es dazu gibt und ob
es zufälligerweise für die anderen Bereiche, in denen ja
das Poolen nicht freigegeben wurde, auch Kostenzahlen
gibt? – Das wären meine Fragen .
Frau Staatssekretärin .
G
Ich sage das Folgende auch auf die Gefahr hin, dassich belehrend wirke, was ich keinesfalls sein will, weilich ja weiß, dass Sie eine Kennerin aller Abschnitte desBTHG sind: Wir sprechen hier über die Eingliederungs-hilfe, die ab Januar 2020 neu geordnet wird . Wir haben,weil wir das auflösen, was bisher und zurzeit im gelten-den Recht sozusagen in einem Gesamtrahmen ist, näm-lich existenzsichernde Leistungen und Fachleistungender Eingliederungshilfe zum ersten Mal in einem offenenLeistungskatalog unter anderem der sozialen Teilhabe .Wir haben ein ganz bestimmtes Spektrum von Assistenz-Vizepräsidentin Claudia Rothhttp://www.zeit.de/politik/2017-01/kosovo-frankreich-ramush-haradinaj-festnahmehttp://www.zeit.de/politik/2017-01/kosovo-frankreich-ramush-haradinaj-festnahme
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leistungen so gestellt, dass sie durchaus gemeinsam er-bracht werden können; bei allen anderen stellt sich dieseFrage nicht .Sie erkennen bereits aus diesem Teil meiner Antwort,dass wir nicht über Erfahrungen verfügen können, weilwir ein neues Recht einführen . Genau aus diesem Grundstellen wir aber gerade diese Leistungen unter besondereBeobachtung; wir sprechen von Wirkungsforschung . Wirwollen wissen, wie gerade diese Aspekte der sozialenTeilhabe sich in Assistenzleistungen auswirken . Natür-lich schließt dies auch ein – darauf zielt ja ein wenig IhreFrage ab –, welche finanziellen Belastungen oder Ent-lastungen entstehen . Darüber wird das Parlament zeitnahunterrichtet werden . Aber Sie können sich vorstellen: Dadas erst 2020 in Kraft tritt, wird man noch einen Momentdarauf warten müssen .
Haben Sie eine weitere Rückfrage, Frau Kollegin?
Insofern wäre für mich noch einmal die Frage: Die
3,6 Millionen Euro, die in dem Änderungsantrag 23 ge-
nannt waren, sind insofern momentan auch nicht richtig
nachvollziehbar?
G
Wir haben in einem Gesetzgebungsverfahren, in dem
wir diese Leistungskataloge neu regeln, immer eine ge-
wisse Schwierigkeit, Kosten zu beziffern . Die 3,6 Mil-
lionen Euro, die Sie ansprechen, sind in der Tat eine
möglichst solide gegriffene Zahl . Wir haben aber keine
Erfahrungswerte, und wir werden sie erst bekommen,
wenn wir das neue Recht eingeführt haben werden .
Ich habe es schon erläutert: Wir haben in einem neuen
Artikel 25 ja sehr ausführlich beschrieben, dass wir in
vielen Bereichen dieses Gesetzes eine sehr starke Umset-
zungsphase haben, die wir wissenschaftlich vorbereiten
und begleiten .
Wir tun all dies immer sehr stark gemeinsam mit den
Bundesländern, weil wir in der Eingliederungshilfe nach
dem SGB IX einen Bereich haben, den wir nicht allein
auf Bundesebene administrieren und finanzieren. Hier
sind die Länder sehr stark mit im Boot . Deshalb machen
wir das alles zusammen .
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin . – Ich sehe keine
weitere Rückfrage zur Frage 23 .
Dann kommen wir zur Frage 24 der Kollegin Werner:
Welchen Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung ange-
sichts des starken Anstiegs des Armutsrisikos von Menschen
mit Behinderungen von 13 Prozent im Jahr 2005 auf 20 Pro-
zent im Jahr 2013, der im „Teilhabebericht der Bundesregie-
rung über die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchti-
gungen 2016“ festgestellt wurde?
Frau Staatssekretärin .
G
Ja, sehr gern . – Auf Basis vorhandener Daten können
über die Gründe von Veränderungen beim Armutsrisiko
von Menschen mit Behinderungen gegenwärtig nur Ver-
mutungen getroffen werden .
Die Zahl der Menschen mit Beeinträchtigungen im
jüngeren und mittleren Lebensalter ist im Zeitraum von
2005 bis 2013 – danach fragen Sie ja – deutlich angestie-
gen, was unter anderem wohl auch auf eine Zunahme der
Zahl psychischer Beeinträchtigungen zurückzuführen ist .
Wenn Beeinträchtigungen schon in frühen Lebensjahren
auftreten, können dadurch die Chancen der beruflichen
Entwicklung eingeschränkt werden .
Ich will Ihnen daneben sagen: Diese Frage zeigt auch
noch einmal, wie sinnvoll es ist, dass das Haus eine Re-
präsentativstudie veranlasst hat, die gegenwärtig anläuft
und neue Erkenntnisse zur Teilhabe von Menschen mit
Behinderungen liefern soll . Wir sind sehr froh, dass sie
nicht nur in Auftrag gegeben wurde, sondern jetzt auch
beginnt, weil wir festgestellt haben, dass wir zu wenig
belastbare Daten über die Lebenssituationen von Men-
schen mit Beeinträchtigungen haben .
Ich will das einfach einmal auch an einem Beispiel
schildern: Wir haben bei vielen Befragungen, die in der
Vergangenheit durchgeführt wurden – mit „wir“ meine
ich die gesamte Gesellschaft und alle, die forschen –,
Menschen, die in Einrichtungen leben, überhaupt nicht
befragt . – Das soll noch einmal bebildern, wie wichtig es
ist, dass wir dieser Frage nachgehen .
Frau Werner, haben Sie eine Rückfrage? – Ja, es sieht
so aus .
Ja, danke . – Die Studie ist das eine, und natürlich
braucht man Zahlen und Befragungen, um hier mehr ins
Detail zu gehen . Ich habe aber die Nachfrage, ob in Zu-
kunft auch noch andere Maßnahmen ergriffen werden .
Eine Frage ist, ob Sie nicht auch in der Erhöhung der
Ausgleichsabgabe eine Möglichkeit zur Verbesserung se-
hen, weil sie Unternehmen dazu bringt oder eher zwingt,
mehr Menschen mit Behinderungen einzustellen, und in-
sofern einen inklusiveren Arbeitsmarkt mit vorantreiben
kann .
G
Die Erhöhung der Ausgleichsabgabe wird im poli-tischen Raum tatsächlich sehr intensiv diskutiert . DieBundesregierung hat in den letzten Jahren aber ausge-sprochen erfolgreich sehr stark darauf gesetzt, jenseitsder Erhöhung der Ausgleichsabgabe Arbeitgeber zu mo-tivieren, mehr Menschen mit schweren Behinderungeneinzustellen als bisher . Das war, wie gesagt, auch durch-aus erfolgreich .Die Frage, ob die Ausgleichsabgabe möglicherweiseeine abschreckende Wirkung hat, was dazu führt, nichtParl. Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller
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zu zahlen, sondern einzustellen, hat noch niemand wirk-lich exakt beantworten können .Die Bundesregierung unternimmt alles, um viele Ar-beitgeber zu motivieren, einzustellen . Unsere Erkenntnisist: Die größte Schwierigkeit bei der Einstellung vonMenschen mit einer Schwerbehinderung ist die Über-windung der Schwelle von null auf eins . Arbeitgeber, dieeinen Menschen mit schweren Behinderungen eingestellthaben, machen nämlich oftmals sehr gute Erfahrungenund stellen gerne einen zweiten und dritten ein .Wir müssen also die überzeugen, die noch Vorbehaltehaben . Dafür gibt es zahlreiche Projekte, die sehr unter-stützenswert sind und zeigen, dass dieser Ansatz Aus-sicht auf Erfolg hat .
Frau Werner hat eine zweite Rückfrage .
Bei der Zahl der von Armut Betroffenen ist gerade
auch die Altersarmut ein Aspekt . Insofern geht meine
zweite Nachfrage in diese Richtung: Denkt die Bundes-
regierung darüber nach, die Anrechnung von Einkom-
men und Vermögen für Personen, die Teilhabeleistungen
beziehen, auf lange Sicht komplett abzuschaffen? Diese
Frage ist wichtig; denn wenn weiterhin eine Anrech-
nung erfolgt, haben diese Menschen ja weitaus größere
Schwierigkeiten, für ihr Alter vorzusorgen .
G
Dazu kann ich jetzt mit Blick auf die neuen Regelun-
gen des Bundesteilhabegesetzes ganz viel sagen; denn da
haben wir viele große Fortschritte erzielt . Es ist schön,
dass ich Gelegenheit habe, diese kurz zu erwähnen .
Eine Minute, ja .
G
Eine Minute? – Okay, dann mache ich das im Tele-
grammstil .
Wir stellen die Partner frei, wenn es um die Heran-
ziehung von Einkommen und Vermögen geht . Wir haben
neue und sehr hohe Freibeträge bei der Anrechnung von
Einkommen und Vermögen erreicht . Da haben wir große
Fortschritte erzielt .
Ich denke, es ist bei Menschen mit Behinderung ge-
nauso wie bei allen: Oft ist die Situation im Alter das
Resultat einer langen Erwerbsbiografie. Wir haben gera-
de über die Schwierigkeiten von Menschen mit Behin-
derung gesprochen . Deshalb müssen wir alles tun, um
ihnen aus diesen Schwierigkeiten herauszuhelfen .
Ein weiterer Punkt ist: Ich freue mich, dass es uns in
dieser Legislatur ein zweites Mal gelungen ist, für Men-
schen, die ihre Erwerbsfähigkeit im Laufe ihres Erwerbs-
lebens verlieren, eine bessere Erwerbsminderungsrente
zu erreichen . Meines Erachtens ist in dieser Legislatur
gerade für diesen Personenkreis schon sehr viel getan
worden . Weiteres ist immer möglich und ganz sicher
auch erstrebenswert .
Vielen herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin . Dann
darf ich auch Sie verabschieden .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums für Ernährung und Landwirtschaft . Die Fra-
gen 25 und 26 des Kollegen Friedrich Ostendorff werden
schriftlich beantwortet .
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Gesundheit . Auch die Fragen 27
und 28 der Kollegin Sabine Zimmermann sowie die
Fragen 29 und 30 der Kollegin Klein-Schmeink werden
schriftlich beantwortet .
Nun kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur .
Die Fragen 31 und 32 des Kollegen Stephan Kühn, die
Fragen 33 und 34 des Kollegen Krischer sowie die Fra-
gen 35 und 36 des Kollegen Behrens werden ebenfalls
schriftlich beantwortet .
Damit sind wir am Ende unserer heutigen Tagesord-
nung .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 26 . Januar 2017,
9 Uhr, ein .
Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen, liebe
Kolleginnen und Kollegen, und auch Ihnen auf den Tri-
bünen, einen schönen Restmittwoch . Bis morgen!
Vielen Dank .