Protokoll:
18212

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 212

  • date_rangeDatum: 19. Januar 2017

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 20:19 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/212 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 212. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2017 Inhalt: Gedenken an die Opfer des Terroranschlages am Berliner Breitscheidplatz . . . . . . . . . . . . . . 21191 A Würdigung von Bundespräsident a. D. Prof. Dr. Roman Herzog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21193 A Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21193 B Absetzung der Tagesordnungspunkte 3 d, 13, 17, 28 f und 28 g . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21194 B Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . 21194 B Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Kordula Schulz-Asche und Klaus- Peter Flosbach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21194 C Zusatztagesordnungspunkt 2: Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU: Wahl einer Stellvertreterin des Präsidenten Drucksache 18/10866 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21194 D Michaela Noll (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 21195 C Tagesordnungspunkt 3: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Zweiter Bericht der Bundesregierung zur Entwicklung der ländlichen Räume Drucksache 18/10400 . . . . . . . . . . . . . . . . 21195 D b) Antrag der Abgeordneten Karin Binder, Caren Lay, Sigrid Hupach, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ver- brauchertäuschungen beenden – Klare Lebensmittelkennzeichnung durchsetzen Drucksache 18/10861 . . . . . . . . . . . . . . . . 21195 D c) Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Harald Ebner, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Landwirt- schaft braucht Zukunft – Gutes Essen braucht eine gute Landwirtschaft Drucksache 18/10872 . . . . . . . . . . . . . . . . 21196 A e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Land- wirtschaft zu dem Antrag der Abgeordne- ten Friedrich Ostendorff, Oliver Krischer, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Zukunftsfähige Hühnerhaltung – Kükentötung schnellstmöglich ein Ende setzen Drucksachen 18/7878, 18/10896 . . . . . . . . 21196 A f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirt- schaft zu dem Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Dr. Anton Hofreiter, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Bäuerlicher Milchviehhaltung eine Zukunft geben – Milchmenge jetzt begrenzen Drucksachen 18/8618, 18/10897 . . . . . . . . 21196 B g) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Land- wirtschaft zu dem Antrag der Abgeordne- ten Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Transparenz schaffen – Tierhal- tungskennzeichnung für Fleisch einfüh- ren: Drucksachen 18/4812, 18/10898 . . . . . . . . 21196 B h) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirt- schaft zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 2017II Ostendorff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gentechnik-Anbauverbote bundesein- heitlich und konsequent umsetzen Drucksachen 18/3550, 18/3843 . . . . . . . . . 21196 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Nicole Maisch, Harald Ebner, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Sofortmaßnahmen für die Agrarwende – Für eine bäuer- lich-ökologische Landwirtschaft und gutes Essen Drucksachen 18/4191, 18/10899 . . . . . . . . . . 21196 C Christian Schmidt, Bundesminister BMEL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21196 C Heidrun Bluhm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 21198 D Dr . Till Backhaus, Minister (Mecklen- burg-Vorpommern) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21200 A Dr . Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21201 D Gitta Connemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 21203 B Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 21205 C Willi Brase (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21206 D Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21208 C Marlene Mortler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 21209 D Dr . Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . 21211 B Christina Jantz-Herrmann (SPD) . . . . . . . . . . 21212 C Markus Tressel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21213 C Hans-Georg von der Marwitz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21214 B Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21216 C Hans-Georg von der Marwitz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21216 D Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . . 21217 B Tagesordnungspunkt 4: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung betäu- bungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften Drucksachen 18/8965, 18/10902 . . . . . . . . 21219 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Frank Tempel, Kathrin Vogler, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Zugang zu Cannabis als Medizin umfassend ge- währleisten Drucksachen 18/6361, 18/10902 . . . . . . . . 21219 A Ingrid Fischbach, Parl . Staatssekretärin BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21219 B Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 21220 B Hilde Mattheis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21221 C Dr . Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21222 B Karin Maag (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 21223 A Burkhard Blienert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 21224 B Rainer Hajek (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 21225 C Tagesordnungspunkt 28: a) Erste Beratung des von den Abgeord- neten Peter Meiwald, Monika Lazar, Dr . Franziska Brantner, weiteren Abgeord- neten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes Drucksache 18/10859 . . . . . . . . . . . . . . . . 21226 D b) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur flexiblen Aufgabenübertragung in der Justiz Drucksache 18/9237 . . . . . . . . . . . . . . . . . 21227 A c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung von Vorschriften im Bereich des Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrechts Drucksache 18/10714 . . . . . . . . . . . . . . . . 21227 A d) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die Unter- zeichnung des Abkommens zwischen der Europäischen Union und der Regierung von Kanada über die Anwendung ihres Wettbewerbsrechts im Namen der Eu- ropäischen Union und zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Abschluss des Abkommens zwischen der Europäischen Union und der Regierung von Kanada über die Anwendung ihres Wettbewerbsrechts Drucksache 18/10808 . . . . . . . . . . . . . . . . 21227 A e) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Drit- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 2017 III ten Gesetzes zur Änderung des Binnen- schifffahrtsaufgabengesetzes Drucksache 18/10818 . . . . . . . . . . . . . . . . 21227 B h) Beratung des Abschlussberichts der Kom- mission Lagerung hoch radioaktiver Ab- fallstoffe: Verantwortung für die Zu- kunft: Ein faires und transparentes Verfahren für die Auswahl eines natio- nalen Endlagerstandortes Drucksache 18/9100 . . . . . . . . . . . . . . . . . 21227 B Zusatztagesordnungspunkt 4: a) Antrag der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Peter Meiwald, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Den Holz- bau und das Bauen mit nachwachsenden Rohstoffen stärken Drucksache 18/9803 . . . . . . . . . . . . . . . . . 21227 C b) Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Nicole Maisch, Annalena Baerbock, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Innenraumluft sauber halten – Partikelfreisetzung aus Laserdruckern beenden Drucksache 18/10874 . . . . . . . . . . . . . . . . 21227 C Tagesordnungspunkt 29: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Katrin Kunert, Dr . Kirsten Tackmann, Caren Lay, weiteren Abgeord- neten und der Fraktion DIE LINKE einge- brachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuerge- setzes Drucksachen 18/9034, 18/10273 . . . . . . . . 21227 D b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Auflösung der Bun- desmonopolverwaltung für Branntwein und zur Änderung weiterer Gesetze (Branntweinmonopolverwaltung-Auflö- sungsgesetz – BfBAG) Drucksachen 18/10008, 18/10894 . . . . . . . 21228 A c) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 21. Dezember 2015 über eine verstärkte Partnerschaft und Zu- sammenarbeit zwischen der Europäi- schen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Kasachstan andererseits Drucksachen 18/10212, 18/10715 . . . . . . . 21228 B Zusatztagesordnungspunkt 5: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Vorbereitung eines registergestützten Zensus ein- schließlich einer Gebäude- und Woh- nungszählung 2021 (Zensusvorberei- tungsgesetz 2021 – ZensVorbG 2021) Drucksachen 18/10458, 18/10484, 18/10880 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21228 C – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung: Drucksache 18/10881 . . . . . . . . . . . . . 21228 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Birgit Wöllert, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Fortsetzung der Braunkohlesanierung in den Län- dern Brandenburg, Sachsen, Sach- sen-Anhalt und Thüringen nach dem Jahr 2017 – zu dem Antrag der Abgeordneten Annalena Baerbock, Stephan Kühn (Dresden), Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Braunkoh- lesanierung durch die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwal- tungsgesellschaft mbH fortsetzen Drucksachen 18/8112, 18/8396, 18/10505 21228 D c) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Bildung, Forschung und Tech- nikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Kai Gehring, Brigitte Pothmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Im Jahr 2016 die Berufsbildung fit für die Zukunft ma- chen Drucksachen 18/8259, 18/10858 . . . . . . . . 21229 A Zusatztagesordnungspunkt 6: Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Wahl der Mitglieder des Verwal- tungsrates der Filmförderungsanstalt ge- mäß § 6 Absatz 1 Nummer 1 des Filmförde- rungsgesetzes (FFG) Drucksache 18/10867 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21229 B Zusatztagesordnungspunkt 7: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Au- ßenpolitische Auswirkungen der US-Trup- penverlegungen nach Osteuropa „Atlantic Resolve“ Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 2017IV Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 21229 C Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) . . . . . . . . . 21230 C Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21232 A Wolfgang Hellmich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 21233 B Elisabeth Motschmann (CDU/CSU) . . . . . . . . 21234 B Thomas Nord (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 21235 C Franz Thönnes (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21236 D Dr . Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21238 A Dr . Bernd Fabritius (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 21239 A Dr . Karl-Heinz Brunner (SPD) . . . . . . . . . . . . 21240 A Henning Otte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 21241 A Thorsten Frei (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 21242 A Tagesordnungspunkt 5: Beschlussempfehlung und Bericht des Sport- ausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: 13. Sportbericht der Bun- desregierung Drucksachen 18/3523, 18/9748 . . . . . . . . . . . 21243 B Dr . Ole Schröder, Parl . Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21243 C Dr . André Hahn (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 21244 C Michaela Engelmeier (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 21245 D Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21247 B Eberhard Gienger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 21248 C Jeannine Pflugradt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 21250 B Tagesordnungspunkt 6: a) Antrag der Abgeordneten Matthias W . Birkwald, Susanna Karawanskij, Sabine Zimmermann (Zwickau), weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Renteneinheit verwirklichen – Lebensleistung anerkennen Drucksache 18/10862 . . . . . . . . . . . . . . . . 21251 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten Roland Claus, Matthias W . Birkwald, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Kumpel zweiter Klasse – Renten- ansprüche der Bergleute aus der DDR-Braunkohleveredlung wahren – zu dem Antrag der Abgeordneten Roland Claus, Matthias W . Birkwald, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Alters- armut von Ost-Krankenschwestern – Gerechte Renten für Beschäftigte im DDR-Gesundheits- und Sozialwesen schaffen Drucksachen 18/7903, 18/8612, 18/10779 . . . 21251 D Susanna Karawanskij (DIE LINKE) . . . . . . . . 21252 A Jana Schimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 21253 B Matthias W . Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . . 21255 C Jana Schimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 21256 B Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21256 D Daniela Kolbe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21258 A Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21258 D Dr . Astrid Freudenstein (CDU/CSU) . . . . . . . 21259 B Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) . . . . . . . 21261 B Namentliche Abstimmungen . . . . . . 21262 B, 21262 C Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21266 D, 21269 D Tagesordnungspunkt 7: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Bundesar- chivrechts Drucksachen 18/9633, 18/10813 . . . . . . . . . . 21262 D Ansgar Heveling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 21263 A Sigrid Hupach (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 21264 D Hiltrud Lotze (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21265 D Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21272 B Dr . Astrid Freudenstein (CDU/CSU) . . . . . . . 21273 C Sebastian Hartmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 21274 B Tagesordnungspunkt 8: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Renate Künast, Uwe Kekeritz, Nicole Maisch, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Kleidung fair produzie- ren – EU-Richtlinie für Transparenz- und Sorgfaltspflichten in der Textilproduktion schaffen Drucksachen 18/7881, 18/10904 . . . . . . . . . . 21275 D Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . . 21276 A Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 21277 B Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 2017 V Dr . Heribert Hirte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 21278 A Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21279 B Jürgen Klimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 21280 D Dr . Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 21282 B Tagesordnungspunkt 9: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Ver- einsgesetzes Drucksachen 18/9758, 18/9947, 18/10102 Nr . 12, 18/10903 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21283 B Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . 21283 C Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 21284 C Uli Grötsch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21285 C Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21286 C Oswin Veith (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 21287 B Susanne Mittag (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21288 B Thorsten Hoffmann (Dortmund) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21289 B Tagesordnungspunkt 10: Beschlussempfehlung und Bericht des Haus- haltsausschusses zu dem Antrag der Abgeord- neten Caren Lay, Dr . Gesine Lötzsch, Halina Wawzyniak, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Dragoner-Areal dem Land Berlin zum Kauf anbieten Drucksachen 18/9790, 18/10658 . . . . . . . . . . 21290 C Klaus-Dieter Gröhler (CDU/CSU) . . . . . . . . . 21290 C Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 21293 A Johannes Kahrs (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21294 A Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . 21295 B Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 21296 B Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21298 D Tagesordnungspunkt 11: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Ge- setzes zur Änderung reiserechtlicher Vor- schriften Drucksache 18/10822 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21296 C Ulrich Kelber, Parl . Staatssekretär BMJV . . . 21296 D Kerstin Kassner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 21297 C Kathrin Rösel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 21301 A Markus Tressel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21302 A Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . . 21302 D Daniela Ludwig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 21303 C Tagesordnungspunkt 12: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeord- neten Peter Meiwald, Kordula Schulz-Asche, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Gewässer vor Medikamentenrück- ständen schützen Drucksachen 18/8082, 18/8768 . . . . . . . . . . . 21304 C Hiltrud Lotze (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21304 D Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 21305 C Karsten Möring (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 21306 B Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21308 A Tagesordnungspunkt 15: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zollverwal- tungsgesetzes Drucksachen 18/9987, 18/10319, 18/10444 Nr . 1 .5, 18/10895 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21309 A Tagesordnungspunkt 14: a) Antrag der Abgeordneten Cornelia Möhring, Sigrid Hupach, Frank Tempel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Diskriminierung bekämp- fen – Verbandsklagerecht einführen Drucksache 18/10864 . . . . . . . . . . . . . . . . 21309 B b) Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ulle Schauws, Beate Müller- Gemmeke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: 10 Jahre nach dem Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgeset- zes – Eine Reform ist überfällig Drucksache 18/9055 . . . . . . . . . . . . . . . . . 21309 C Cornelia Möhring (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 21309 C Dr . Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU) . . . . . . 21310 C Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21311 C Dr . Matthias Bartke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 21312 D Dr . Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 21313 D Dr . Dorothee Schlegel (SPD) . . . . . . . . . . . . . 21314 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 2017VI Tagesordnungspunkt 19: Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2015/848 über Insolvenzverfahren Drucksache 18/10823 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21315 B Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Kathrin Vogler, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gute und wohnortna- he Arzneimittelversorgung Drucksache 18/10561 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21315 C Tagesordnungspunkt 18: Erste Beratung des von den Abgeordne- ten Azize Tank, Katja Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiteren Abge- ordneten und der Fraktion DIE LINKE ein- gebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Aufnahme sozialer Grundrechte in das Grundgesetz) Drucksache 18/10860 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21315 D Tagesordnungspunkt 20: Antrag der Abgeordneten Dr . Alexander S . Neu, Andrej Hunko, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: US- und NATO-Stützpunkt Ram- stein unverzüglich schließen Drucksache 18/10863 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21316 A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21316 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 21317 A Anlage 2 Namensverzeichnis der Mitglieder des Deut- schen Bundestages, die an der Wahl einer Stellvertreterin des Präsidenten teilgenommen haben (Zusatzpunkt 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21317 D Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Christina Jantz-Herrmann, Bettina Bähr- Losse, Petra Crone, Rita Hagl-Kehl, Anette Kramme, Susanne Mittag, Ulli Nissen, Mechthild Rawert, Andreas Rimkus, Petra Rode-Bosse, Johann Saathoff, Dr. Dorothee Schlegel, Ursula Schulte, Rainer Spiering und Ute Vogt (alle SPD) zu der Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Er- nährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Oliver Krischer, Nicole Maisch, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Zukunftsfähige Hühnerhaltung – Kü- kentötung schnellstmöglich ein Ende setzen (Tagesordnungspunkt 3 e) . . . . . . . . . . . . . . . . 21320 B Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstim- mung über die Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Oliver Krischer, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zukunftsfähige Hühnerhaltung – Kükentötung schnellstmög- lich ein Ende setzen (Tagesordnungspunkt 3 e) . . . . . . . . . . . . . . . . 21321 B Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . 21321 C Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . . 21322 A Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 21322 C Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordne- ten Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu den namentlichen Abstimmun- gen über die Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten Roland Claus, Matthias W . Birkwald, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Kumpel zweiter Klas- se – Rentenansprüche der Bergleute aus der DDR-Braunkohleveredlung wahren – zu dem Antrag der Abgeordneten Roland Claus, Matthias W . Birkwald, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Frakti- on DIE LINKE: Keine Altersarmut von Ost-Krankenschwestern – Gerechte Ren- ten für Beschäftigte im DDR-Gesundheits- und Sozialwesen schaffen (Tagesordnungspunkt 6 b) . . . . . . . . . . . . . . . . 21323 B Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Martina Renner (DIE LINKE) zu der Abstim- mung über den von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neure- gelung des Bundesarchivrechts (Tagesordnungspunkt 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . 21323 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 2017 VII Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordne- ten Dr . Eva Högl, Cansel Kiziltepe, Klaus Mindrup, Mechthild Rawert, Annette Sawade und Swen Schulz (Spandau) (alle SPD) zu der namentlichen Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Haushaltsausschus- ses zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Dr . Gesine Lötzsch, Halina Wawzyniak, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Dragoner-Areal dem Land Berlin zum Kauf anbieten (Tagesordnungspunkt 10) . . . . . . . . . . . . . . . . 21323 D Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zollverwaltungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 15) . . . . . . . . . . . . . . . . 21324 B Uwe Feiler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 21324 B Dr. Frank Steffel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 21325 A Ingrid Arndt-Brauer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 21325 C Dr . Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 21326 B Dr . Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21326 D Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2015/848 über Insolvenz- verfahren (Tagesordnungspunkt 19) . . . . . . . . . . . . . . . . 21327 D Dr . Heribert Hirte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 21327 D Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 21328 C Dr . Karl-Heinz Brunner (SPD) . . . . . . . . . . . . 21329 A Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 21329 B Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21330 A Christian Lange, Parl . Staatssekretär BMJV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21330 D Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Kathrin Vogler, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gute und wohnortnahe Arzneimittelversorgung (Tagesordnungspunkt 16) . . . . . . . . . . . . . . . . 21331 B Michael Hennrich (CDU/CSU): . . . . . . . . . . . 21331 B Dr . Roy Kühne (CDU/CSU): . . . . . . . . . . . . . . 21332 B Sabine Dittmar (SPD): . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21333 B Dr . Edgar Franke (SPD): . . . . . . . . . . . . . . . . 21334 B Kathrin Vogler (DIE LINKE): . . . . . . . . . . . . . 21335 A Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21335 D Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von den Abgeordneten Azize Tank, Katja Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines … Ge- setzes zur Änderung des Grundgesetzes (Auf- nahme sozialer Grundrechte in das Grundge- setz) (Tagesordnungspunkt 18) . . . . . . . . . . . . . . . . 21336 B Dr . Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU) . . . . . . 21336 C Dr . Silke Launert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 21337 B Dr . Matthias Bartke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 21338 B Azize Tank (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . 21339 C Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . 21340 C Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr . Alexander S . Neu, Andrej Hunko, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: US- und NATO-Stützpunkt Ramstein unverzüglich schließen (Tagesordnungspunkt 20) . . . . . . . . . . . . . . . . 21341 D Thorsten Frei (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 21341 D Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) . . . . . . 21342 D Josip Juratovic (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21343 C Andrej Hunko (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 21344 A Dr . Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21345 A (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 2017 21191 212. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2017 Beginn: 9 .00 Uhr
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    Vizepräsidentin Petra Pau (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 2017 21317 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bellmann, Veronika CDU/CSU 19 .01 .2017 Dinges-Dierig, Alexandra CDU/CSU 19 .01 .2017 Gerster, Martin SPD 19 .01 .2017 Gröhe, Hermann CDU/CSU 19 .01 .2017 Heinrich, Gabriela SPD 19 .01 .2017 Hellmuth, Jörg CDU/CSU 19 .01 .2017 Höger, Inge DIE LINKE 19 .01 .2017 Ilgen, Matthias SPD 19 .01 .2017 Jarzombek, Thomas CDU/CSU 19 .01 .2017 Korte, Jan DIE LINKE 19 .01 .2017 Krüger, Dr . Hans-Ulrich SPD 19 .01 .2017 Lerchenfeld, Philipp Graf CDU/CSU 19 .01 .2017 Leyen, Dr . Ursula von der CDU/CSU 19 .01 .2017 Liebich, Stefan DIE LINKE 19 .01 .2017 Michelbach, Dr . h . c . Hans CDU/CSU 19 .01 .2017 Müller (Potsdam), Norbert DIE LINKE 19 .01 .2017 Pilger, Detlev SPD 19 .01 .2017 Poschmann, Sabine SPD 19 .01 .2017 Pronold, Florian SPD 19 .01 .2017 Raatz, Dr . Simone SPD 19 .01 .2017 Rüthrich, Susann * SPD 19 .01 .2017 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19 .01 .2017 Schäuble, Dr . Wolfgang CDU/CSU 19 .01 .2017 Scheuer, Andreas CDU/CSU 19 .01 .2017 Schlecht, Michael DIE LINKE 19 .01 .2017 Schwartze, Stefan SPD 19 .01 .2017 Spinrath, Norbert SPD 19 .01 .2017 Stein, Peter CDU/CSU 19 .01 .2017 Strothmann, Lena CDU/CSU 19 .01 .2017 Ulrich, Alexander DIE LINKE 19 .01 .2017 Veit, Rüdiger SPD 19 .01 .2017 Verlinden, Dr . Julia BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19 .01 .2017 Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19 .01 .2017 Wawzyniak, Halina DIE LINKE 19 .01 .2017 Zeulner, Emmi * CDU/CSU 19 .01 .2017 Zimmermann (Zwickau), Sabine DIE LINKE 19 .01 .2017 *aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes Anlage 2 Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl einer Stellvertreterin des Präsidenten teilgenommen haben (Zusatzpunkt 2) CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Peter Altmaier Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Sybille Benning Dr . André Berghegger Dr . Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 201721318 (A) (C) (B) (D) Steffen Bilger Clemens Binninger Dr . Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr . Ralf Brauksiepe Dr . Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Dr . Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr . Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Axel E . Fischer (Karlsru- he-Land) Dr . Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr . Astrid Freudenstein Dr . Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr . Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr . Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr . Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Rainer Hajek Dr . Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr . Stefan Heck Dr . Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr . Heribert Hirte Christian Hirte Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dort- mund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr . Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Dr . Mathias Edwin Höschel Charles M . Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Sylvia Jörrißen Dr . Franz Josef Jung Andreas Jung Xaver Jung Dr . Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr . Stefan Kaufmann Ronja Kemmer Roderich Kiesewetter Dr . Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr . Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr . Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr . Dr . h . c . Karl A . Lamers Andreas G . Lämmel Dr . Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr . Silke Launert Paul Lehrieder Dr . Katja Leikert Dr . Philipp Lengsfeld Dr . Andreas Lenz Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr . Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr . Claudia Lücking-Michel Dr . Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr . Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr . Michael Meister Dr . Angela Merkel Jan Metzler Maria Michalk Dr . Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Dr . Gerd Müller Carsten Müller (Braun- schweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr . Philipp Murmann Dr . Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr . Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr . Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr . Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr . Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr . Heinz Riesenhuber Iris Ripsam Johannes Röring Kathrin Rösel Dr . Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Patrick Schnieder Nadine Schön (St . Wendel) Dr . Ole Schröder Dr . Kristina Schröder (Wies- baden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr . Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 2017 21319 (A) (C) (B) (D) Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Sebastian Steineke Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Michael Stübgen Dr . Sabine Sütterlin-Waack Dr . Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr . Hans-Peter Uhl Dr . Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr . Johann Wadephul Marco Wanderwitz Karl-Heinz Wange Nina Warken Kai Wegner Dr . h . c . Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr . Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier- Becker Oliver Wittke Dagmar G . Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Dr . Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Bettina Bähr-Losse Heinz-Joachim Barchmann Dr . Katarina Barley Doris Barnett Klaus Barthel Dr . Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr . Karl-Heinz Brunner Dr . h . c . Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Dr . Lars Castellucci Jürgen Coße Petra Crone Bernhard Daldrup Dr . Daniela De Ridder Dr . Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr . h . c . Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr . Johannes Fechner Dr . Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr . Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr . Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wa- ckernheim) Hubertus Heil (Peine) Wolfgang Hellmich Dr . Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Thomas Hitschler Dr . Eva Högl Christina Jantz-Herrmann Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr . Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr . Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr . Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller (Chemnitz) Michelle Müntefering Dr . Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoğuz Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr . Wilhelm Priesmeier Dr . Sascha Raabe Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr . Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr . Martin Rosemann René Röspel Dr . Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr . Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr . Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr . Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Dr . Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr . Karin Thissen Franz Thönnes Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 201721320 (A) (C) (B) (D) Carsten Träger Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wol- mirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr . Jens Zimmermann Manfred Zöllmer DIE LINKE. Jan van Aken Dr . Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W . Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr . Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr . André Hahn Heike Hänsel Dr . Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Kerstin Kassner Katja Kipping Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Dr . Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Dr . Alexander S . Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr . Petra Sitte Kersten Steinke Dr . Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Kathrin Vogler Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Dr . Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr . Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr . Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr . Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr . Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Ulle Schauws Dr . Gerhard Schick Dr . Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr . Wolfgang Strengmann- Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr . Harald Terpe Markus Tressel Doris Wagner Dr . Valerie Wilms Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt . Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Christina Jantz-Herrmann, Bettina Bähr-Losse, Petra Crone, Rita Hagl-Kehl, Anette Kramme, Susanne Mittag, Ulli Nissen, Mechthild Rawert, Andreas Rimkus, Petra Rode- Bosse, Johann Saathoff, Dr. Dorothee Schlegel, Ursula Schulte, Rainer Spiering und Ute Vogt (alle SPD) zu der Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Abgeordne- ten Friedrich Ostendorff, Oliver Krischer, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Frakti- on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zukunftsfähige Hühnerhaltung – Kükentötung schnellstmöglich ein Ende setzen (Tagesordnungspunkt 3 e) Die SPD-Bundestagsfraktion fordert schon seit lan- gem, die Praxis des routinemäßigen Tötens von männli- chen Eintagsküken zu beenden . Die jährliche Tötung von circa 45 Millionen männlichen Eintagsküken aus soge- nannten Legelinien in Deutschland – nur weil deren Auf- zucht für die Agrarindustrie nicht wirtschaftlich ist – ist unserer Ansicht nach nicht mit dem Staatsziel Tierschutz vereinbar . Es bedarf eines offiziellen Ausstiegsbeschlusses auf politischer Ebene, verbunden mit einem festen Beendi- gungsdatum dieser Praxis in unserem Land . Eine Novel- lierung des Tierschutzgesetzes darf kein Tabu bleiben . Nach unserem Verständnis gehört nicht nur Forschungs- förderung – wie bei den Eintagsküken seit über zehn Jah- ren getan –, sondern insbesondere Rechtsetzung zu den Kernaufgaben des Gesetzgebers . Es gibt verschiedene Ansätze, um die bisherige Praxis des Tötens männlicher Eintagsküken zu durchbrechen: Die von Bundesminister Schmidt angestrebte Ge- schlechtsbestimmung im befruchteten Hühnerei kann nur eine Brückentechnologie sein . Schließlich werden auch neue technische Verfahren nichts daran ändern, dass Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 2017 21321 (A) (C) (B) (D) Eier aus Legelinien, die männliche Küken hervorbringen werden, von den Betrieben als wertlos betrachtet wer- den . Nachdem es bisher das erklärte Ziel von Bundes- minister Schmidt war, dass das Kükenschreddern 2017 aufhört, hat der Minister nun immerhin eine Präsentation der neuen Technologie zur Internationalen Grünen Wo- che angekündigt . Es bleibt jedoch abzuwarten, wann die flächendeckende Nutzung einer derartigen Technologie tatsächlich Standard in deutschen Brütereien sein wird . Bis dahin wird die bisherige Tötungspraxis weitergehen, wenn wir nicht vorher rechtsetzend tätig werden . Auch wenn die neue Technologie in den deutschen Brütereien irgendwann flächendeckend Einzug erhält, wird damit die vorherrschende industrielle Logik, nach der es legi- tim ist, täglich im Durchschnitt circa 120 000 männliche Küken aus wirtschaftlichen Gründen als nutzlose Lebe- wesen zu verwerfen, nicht infrage gestellt . Wir setzen uns deshalb insbesondere für einen ande- ren alternativen Ansatz ein: Ziel muss die Rückkehr zum Zweinutzungshuhn sein, also zu Hühnerrassen, die so- wohl zum Eierlegen als auch zum Mästen geeignet sind . Insbesondere auf Druck der SPD-Bundestagsfraktion fördert das Bundeslandwirtschaftsministerium die For- schung zum Zweinutzungshuhn . Diese muss intensiviert werden . Auch Initiativen, welche die Mitaufzucht der männ- lichen Küken aus Legelinien querfinanzieren, sind zu unterstützen – zum Beispiel „Bruderhahn Initiative Deutschland“ oder „haehnlein Eier“ . Leider fristet der Ansatz, die Aufzucht der männlichen Küken über einen leicht erhöhten Preis der Eier – 4 Cent pro Ei bei der Bruderhahninitiative – mitzufinanzieren, noch ein Ni- schendasein im Biosegment . Auch hier muss über eine weitere Unterstützung nachgedacht werden . Selbstverständlich trägt gerade auch der Verzicht auf beziehungsweise der bewusste Konsum von Eiern und Produkten, die Ei enthalten, zu einer quantitativen Ein- schränkung der Tötungspraxis bei . Aus diesen Feststellungen folgt, dass wir die Zielset- zung des Antrages „Zukunftsfähige Hühnerhaltung – Kü- kentötung schnellstmöglich ein Ende setzen“ unterstüt- zen. Vom Regieren nach dem Prinzip Hoffnung, wie es Minister Schmidt allzu oft praktiziert, distanzieren wir uns . Aus Koalitionsräson können wir den Antrag jedoch leider nicht formell mittragen . Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung und Landwirt- schaft zu dem Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Oliver Krischer, Nicole Maisch, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Zukunftsfähige Hühnerhaltung – Kükentötung schnellstmöglich ein Ende setzen (Tagesordnungspunkt 3 e) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Die SPD-Bun- destagsfraktion fordert schon seit langem, die Praxis des routinemäßigen Tötens von männlichen Eintagsküken zu beenden . Die jährliche Tötung von circa 45 Millionen männlichen Eintagsküken aus sogenannten Legelinien in Deutschland – nur weil deren Aufzucht für die Agrarin- dustrie nicht wirtschaftlich ist – ist unserer Ansicht nach nicht mit dem Staatsziel Tierschutz vereinbar . Mit der Tötung von Eintagsküken werden ethische Grundsätze wirtschaftlichen Interessen geopfert – obwohl es Alter- nativen gäbe . Es bedarf eines offiziellen Ausstiegsbeschlusses auf politischer Ebene, verbunden mit einem festen Beendi- gungsdatum dieser Praxis in unserem Land . Eine Novel- lierung des Tierschutzgesetzes darf kein Tabu bleiben . Nach meinem Verständnis gehört nicht nur Forschungs- förderung – wie bei den Eintagsküken seit über zehn Jah- ren –, sondern insbesondere Rechtsetzung zu den Kern- aufgaben des Gesetzgebers . Es gibt verschiedene Ansätze, um die bisherige Praxis des Tötens männlicher Eintagsküken zu beenden: Die von Bundesminister Schmidt angestrebte Ge- schlechtsbestimmung im befruchteten Hühnerei kann nur eine Brückentechnologie sein . Schließlich werden auch neue technische Verfahren nichts daran ändern, dass Eier aus Legelinien, die männliche Küken hervorbringen werden, von den Betrieben als wertlos betrachtet werden . Nachdem es bisher das erklärte Ziel von Bundesminister Schmidt war, dass Kükenschreddern 2017 zu beenden, hat der Minister nun immerhin eine Präsentation der neuen Technologie zur Internationalen Grünen Woche angekündigt. Es bleibt abzuwarten, wann die flächende- ckende Nutzung einer derartigen Technologie tatsächlich Standard in deutschen Brütereien sein wird . Bis dahin wird die bisherige Tötungspraxis weitergehen, wenn wir nicht vorher rechtsetzend tätig werden . Auch wenn die neue Technologie in den deutschen Brütereien irgend- wann flächendeckend Einzug hält, wird damit die vor- herrschende industrielle Logik, nach der es legitim ist, täglich im Durchschnitt circa 120 000 männliche Küken aus wirtschaftlichen Gründen als nutzlose Lebewesen zu verwerfen, von vielen nicht infrage gestellt . Ich setze mich deshalb für einen alternativen Ansatz ein: Ziel muss die Rückkehr zum Zweinutzungshuhn sein, also zu Hühnerrassen, die sowohl zum Eierlegen als auch zum Mästen geeignet sind . Insbesondere auf Druck der SPD-Bundestagsfraktion fördert das Bundes- landwirtschaftsministerium die Forschung zum Zweinut- zungshuhn . Diese muss intensiviert werden . Auch Initiativen, welche die Mitaufzucht der männ- lichen Küken aus Legelinien querfinanzieren, sind zu unterstützen – (zum Beispiel „Bruderhahn Initiative Deutschland“ oder „haehnlein Eier“ . Leider fristet der Ansatz, die Aufzucht der männlichen Küken über einen leicht erhöhten Preis der Eier – 4 Cent pro Ei bei der Bruderhahninitiative – mitzufinanzieren, noch ein Ni- schendasein im Biosegment . Auch hier muss über eine weitere Unterstützung nachgedacht werden . Selbstverständlich trägt gerade auch der Verzicht auf beziehungsweise der bewusste Konsum von Eiern und Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 201721322 (A) (C) (B) (D) Produkten, die Ei enthalten, zu einer quantitativen Ein- schränkung der Tötungspraxis bei . Aus diesen Feststellungen folgt, dass ich die Zielset- zung des Antrages „Zukunftsfähige Hühnerhaltung – Kü- kentötung schnellstmöglich ein Ende setzen“ unterstüt- ze. Durch Regieren nach dem Prinzip Hoffnung, wie es Minister Schmidt hier praktiziert, werden sich die Ver- hältnisse nicht verbessern lassen – zu stark dominieren wirtschaftliche Interessen bzw . das Streben nach Ge- winnmaximierung . Wie so oft, erlaubt es der Koalitions- vertrag auch in diesem Fall nicht, dem Antrag „Zukunfts- fähige Hühnerhaltung – Kükentötung schnellstmöglich ein Ende setzen“ zuzustimmen . Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Die SPD-Bundes- tagsfraktion fordert schon seit langem, die Praxis des routinemäßigen Tötens von männlichen Eintagsküken zu beenden . Die jährliche Tötung von circa 45 Millionen männlichen Eintagsküken aus sogenannten Legelinien in Deutschland – nur weil deren Aufzucht für die Agrarin- dustrie nicht wirtschaftlich ist – ist unserer Ansicht nach nicht mit dem Staatsziel Tierschutz vereinbar . Es bedarf eines offiziellen Ausstiegsbeschlusses auf politischer Ebene, verbunden mit einem festen Beendi- gungsdatum dieser Praxis in unserem Land . Eine Novel- lierung des Tierschutzgesetzes darf kein Tabu bleiben . Nach meinem Verständnis gehört nicht nur Forschungs- förderung – wie bei den Eintagsküken seit über zehn Jah- ren erfolgt –, sondern insbesondere die Rechtsetzung zu den Kernaufgaben des Gesetzgebers . Es gibt verschiedene Ansätze, um die bisherige Praxis des Tötens männlicher Eintagsküken zu durchbrechen: Die von Bundesminister Schmidt angestrebte Ge- schlechtsbestimmung im befruchteten Hühnerei kann nur eine Brückentechnologie sein . Schließlich werden auch neue technische Verfahren nichts daran ändern, dass Eier aus Legelinien, die männliche Küken hervorbringen werden, von den Betrieben als wertlos betrachtet wer- den . Nachdem es bisher das erklärte Ziel von Bundes- minister Schmidt war, dass das Kükenschreddern 2017 aufhört, hat der Minister nun immerhin eine Präsentation der neuen Technologie zur Internationalen Grünen Wo- che angekündigt . Es bleibt jedoch abzuwarten, wann die flächendeckende Nutzung einer derartigen Technologie tatsächlich Standard in deutschen Brütereien sein wird . Bis dahin wird die bisherige Tötungspraxis weitergehen, wenn wir nicht vorher rechtsetzend tätig werden . Auch wenn die neue Technologie in den deutschen Brütereien irgendwann flächendeckend Einzug erhält, wird damit die vorherrschende industrielle Logik, nach der es legi- tim ist, täglich im Durchschnitt circa 120 000 männliche Küken aus wirtschaftlichen Gründen als nutzlose Lebe- wesen zu verwerfen, nicht infrage gestellt . Ich setze mich deshalb insbesondere für einen alterna- tiven Ansatz ein: Ziel muss die Rückkehr zum Zweinut- zungshuhn sein, also zu Hühnerrassen, die sowohl zum Eierlegen als auch zum Mästen geeignet sind . Insbeson- dere auf Druck der SPD-Bundestagsfraktion fördert das Bundeslandwirtschaftsministerium die Forschung zum Zweinutzungshuhn . Diese muss intensiviert werden . Auch Initiativen, welche die Mitaufzucht der männ- lichen Küken aus Legelinien querfinanzieren, sind zu unterstützen – zum Beispiel „Bruderhahn Initiative Deutschland“ oder „haehnlein Eier“ . Leider fristet der Ansatz, die Aufzucht der männlichen Küken über einen leicht erhöhten Preis der Eier – 4 Cent pro Ei bei der Bruderhahninitiative – mitzufinanzieren, noch ein Ni- schendasein im Biosegment . Auch hier muss über eine weitere Unterstützung nachgedacht werden . Aus diesen Feststellungen folgt, dass ich die Zielset- zung des „Zukunftsfähige Hühnerhaltung – Kükentö- tung schnellstmöglich ein Ende setzen“ unterstütze . Vom Regieren nach dem Prinzip Hoffnung, wie es Minister Schmidt allzu oft praktiziert, distanziere ich mich . Aus Koalitionsräson kann ich den Antrag jedoch leider nicht formell mittragen . Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Die SPD-Bundes- tagsfraktion fordert schon seit langem, die Praxis des routinemäßigen Tötens von männlichen Eintagsküken zu beenden . Die jährliche Tötung von circa 45 Millio- nen männlichen Küken aus sogenannten Legelinien in Deutschland – nur weil deren Aufzucht für die Agrarin- dustrie nicht wirtschaftlich ist – ist unserer Ansicht nach nicht mit dem Staatsziel Tierschutz vereinbar . Es bedarf eines offiziellen Ausstiegsbeschlusses auf politischer Ebene, verbunden mit einem festen Beendi- gungsdatum dieser Praxis in unserem Land . Eine Novel- lierung des Tierschutzgesetzes darf kein Tabu bleiben . Nach meinem Verständnis gehört nicht nur Forschungs- förderung – wie bei den Eintagsküken seit über zehn Jah- ren getan –, sondern insbesondere Rechtsetzung zu den Kernaufgaben des Gesetzgebers . Es gibt verschiedene Ansätze, um die bisherige Praxis des Tötens männlicher Eintagsküken zu durchbrechen: Die von Bundesminister Schmidt angestrebte Ge- schlechtsbestimmung im befruchteten Hühnerei kann nur eine Brückentechnologie sein . Schließlich werden auch neue technische Verfahren nichts daran ändern, dass Eier aus Legelinien, die männliche Küken hervorbringen werden, von den Betrieben als wertlos betrachtet wer- den . Nachdem es bisher das erklärte Ziel von Bundes- minister Schmidt war, dass das Kükenschreddern 2017 aufhört, hat der Minister nun immerhin eine Präsentation der neuen Technologie zur Internationalen Grünen Wo- che angekündigt . Es bleibt jedoch abzuwarten, wann die flächendeckende Nutzung einer derartigen Technologie tatsächlich Standard in deutschen Brütereien sein wird . Bis dahin wird die bisherige Tötungspraxis weitergehen, wenn wir nicht vorher rechtsetzend tätig werden . Auch wenn die neue Technologie in den deutschen Brütereien irgendwann flächendeckend Einzug erhält, wird damit die vorherrschende industrielle Logik, nach der es legi- tim ist, täglich im Durchschnitt circa 120 000 männliche Küken aus wirtschaftlichen Gründen als nutzlose Lebe- wesen zu verwerfen, nicht infrage gestellt . Ich setze mich deshalb dafür ein, auf die Nutzung und Tötung von Tieren für unsere Ernährung möglichst ganz zu verzichten und stattdessen alternative Lösungen für eine gesunde tierfreie Ernährung aufzuzeigen . Hier könn- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 2017 21323 (A) (C) (B) (D) te die Wissenschaft einen guten Beitrag leisten . Wichtig wären auch Strategien, Schulungen und Anreize für Kan- tinen und Mensen mit dem Ziel, die Angebote auf eine möglichst tierfreie und gesunde Ernährung umzustellen . Der Ernährungsreport 2016 zeigt, dass es nach wie vor Defizite in der Bevölkerung beim Thema gesunde Er- nährung gibt und die ernährungsbedingten Krankheiten weiter zunehmen . Dies hängt vor allem auch mit einem zu hohen Konsum von Fleisch und tierischen Produkten zusammen . Durch den Konsum von Fleisch können zum Beispiel durch die Aufnahme von Antibiotika, die sich im Fleisch ansammeln, schädigende Wirkungen auf die Gesundheit ausgehen . Deshalb muss der Einsatz von An- tibiotika streng reguliert und Massentierhaltung beendet werden . Agrarsubventionen sollten so umgestellt wer- den, dass nur noch artgerechte Tierhaltung unterstützt wird, und Subventionen für die Futtermittelproduktion wegfallen . Der Ernährungsreport 2016 macht deutlich, dass vie- len Menschen die Zusammenhänge von Ernährung und Gesundheit nicht ausreichend bekannt sind . Deshalb brauchen wir Aufklärungsstrategien, um das Wissen und Bewusstsein für eine ausgewogene gesunde Ernährung zu stärken . Wichtig ist auch, irreführende Werbung zu unterbinden . Werbung mit glücklichen Tieren, die für die so beworbenen Produkte getötet wurden, muss untersagt werden . Der Konsum von Fertiggerichten nimmt weiter zu . Hier ist es notwendig, Verbraucherinnen und Verbrau- cher in übersichtlicher, verständlicher Form darüber zu informieren, ob in den Produkten tierische Anteile ent- halten sind . Es ist erwiesen, dass in den meisten Fertiggerichten zudem Zucker und Salz enthalten sind, deren Anteile von den Verbraucherinnen und Verbrauchern nicht als gesundheitsschädlich erkannt werden . Hier wäre eine Ernährungsampel hilfreich, die auch die mögliche schä- digende Wirkung von tierischen Komponenten in dem jeweiligen Lebensmittel einschließt . Wichtig ist auch, Strategien zu entwerfen, wie gesunde tierfreie Produkte günstiger für die Verbraucherinnen und Verbraucher zu erwerben sind . Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Annalena Baerbock (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) zu den namentlichen Ab- stimmungen über die Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten Roland Claus, Matthias W. Birkwald, Caren Lay, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kei- ne Kumpel zweiter Klasse – Rentenansprüche der Bergleute aus der DDR-Braunkohlevered- lung wahren – zu dem Antrag der Abgeordneten Roland Claus, Matthias W. Birkwald, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Altersarmut von Ost-Krankenschwes- tern – Gerechte Renten für Beschäftigte im DDR-Gesundheits- und Sozialwesen schaffen (Tagesordnungspunkt 6 b) Die ehemaligen Bergleute in der Braunkohlever- edelung der DDR haben ein extrem hartes Berufsleben hinter sich . Das Anliegen der Fraktion Die Linke, die- ser Gruppe eine Entschädigung zukommen zu lassen, ist grundsätzlich nachvollziehbar . Das Rentenrecht ist hierfür allerdings nicht der rich- tige Ort . Die Einrichtung eines steuerfinanzierten Härtefall- fonds wäre der bessere Ort . Daher enthalte ich mich . Bezüglich der Krankenschwestern sehe ich ebenfalls eine Ungerechtigkeit . Das gilt aber leider auch für ande- re Berufsgruppen, deren Steigerungsraten nicht ins neue Rentensystem überführt wurden . Hier müssen alle Grup- pen angeschaut werden . Daher kann ich diesem Antrag nicht zustimmen . Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Martina Renner (DIE LINKE) zu der Abstimmung über den von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Bundesarchivrechts (Tagesord- nungspunkt 7) Dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neure- gelung des Bundesarchivrechts stimme ich nicht zu, weil die Bundesregierung in diesem neuen Bundesarchivge- setz Sonderregelungen für die deutschen Geheimdienste festschreiben will . Die Nachrichtendienste könnten bei einer Neurege- lung künftig selbst entscheiden, welche Unterlagen sie archivieren und welche sie vernichten und damit einer demokratischen Kontrolle entziehen . Transparenz und Kontrolle staatlichen Handelns werden dadurch empfind- lich eingeschränkt . Die bestehenden Geheimschutzbestimmungen wur- den im Bundesarchiv stets ohne Beanstandungen umge- setzt . Die Unabhängigkeit des Bundesarchivs muss er- halten bleiben . Aus diesem Grund stimme ich gegen den Gesetzent- wurf der Bundesregierung . Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Eva Högl, Cansel Kiziltepe, Klaus Mindrup, Mechthild Rawert, Annette Sawade und Swen Schulz (Spandau) (alle SPD) zu Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 201721324 (A) (C) (B) (D) der namentlichen Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Dr. Gesine Lötzsch, Halina Wawzyniak, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion DIE LINKE: Dragoner-Areal dem Land Berlin zum Kauf anbieten (Tagesord- nungspunkt 10) Die SPD-Fraktion hat zusammen mit der CDU/ CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag eine Reihe von Regelungen auf den Weg gebracht, die den Preisanstieg von Mietwohnungen dämpfen, Neubau von Wohnun- gen ankurbeln und Wohnraum bezahlbar halten sollen . Hierzu gehören unter anderem die Mietpreisbremse, das Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen sowie die Erhöhung des Wohngelds . Jedoch sind weitere Verbesserungen nötig . Der von uns vorgeschlagene Gesetzentwurf zur Novellierung des Mietrechts wird jedoch aktuell von CDU/CSU blockiert . Aus diesem Grund hat die SPD-Bundestagsfraktion am 1 . September 2016 das Positionspapier „Bezahlbare Wohnungen schaffen und Mietrecht sozial gestalten“ be- schlossen . Darin wird auch eine Änderung des BImA-Ge- setzes gefordert . Wir wollen eine Abkehr vom Höchst- preisverfahren und ein kommunales Vorkaufsrecht . Ziel ist, die Bundesimmobilien einer stadtverträglichen Nutzung zuzuführen und bezahlbare Mietwohnungen zu fördern anstatt Spekulationen und Preissteigerungen an- zuheizen . Auch hierzu stehen wir in Verhandlungen mit dem Koalitionspartner . Der Antrag der Linken fordert die Rückabwicklung des Kaufvertrags zwischen der BImA und dem Investor . Dieser Forderung ist hinfällig, da die BImA von ihrem unbefristetem und unbedingtem Rücktrittsrecht Ge- brauch gemacht hat . Dies resultiert aus der Ablehnung des Finanzausschusses des Bundesrats . Der ablehnende Beschluss ist maßgeblich dem Einsatz des Berliner Fi- nanzsenators Matthias Kollatz-Ahnen zu verdanken . Da- rüber hinaus hat der Berliner Senat das Dragoner-Areal im Juli 2016 zum Sanierungsgebiet erklärt . Hierdurch ergibt sich bereits ein Vorkaufsrecht des Landes Berlin . Die Bundesregierung befindet sich bereits mit dem Land Berlin in Verhandlungen über den Verkauf des Drago- ner-Areals an das Land Berlin . Der Antrag ist also gegen- standslos geworden . Daher stimmen wir den Beschluss- empfehlungen der Ausschüsse zu . Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zollverwaltungsgesetzes (Tagesordnungs- punkt 15) Uwe Feiler (CDU/CSU): Heute beraten wir abschlie- ßend über einen Gesetzentwurf, der sich im Vorfeld un- seres Beschlusses nur bei den Kennern und Liebhabern der Zollverwaltung eines gewissen Interesses erfreute und seinen Charme erst auf den zweiten Blick offenbart. Dennoch lohnt sich ein Austausch über die Pläne der Bundesregierung zur weiteren Verbesserung der Arbeit der Zollbehörden gerade auch in Abgrenzung und Ko- operation mit anderen zuständigen Stellen und in Bezug auf die Anpassung an EU-Recht . Im Kern umfasst die Gesetzesnovelle fünf Punkte: erstens die verbesserte Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung, zweitens die Ausweitung der Kontrolle von Postsen- dungen auf andere Postdienstleister, drittens die verbesserte Eigensicherung unserer Zoll- bediensteten, viertens die Bekämpfung der Verbrauchsteuerkrimi- nalität und fünftens die Anpassung der zur Verfügung stehenden Sanktionen . Auf die verbesserte Bekämpfung der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung wird gleich mein Kollege Frank Steffel ausführlicher eingehen, sodass ich mich auf die anderen Aspekte des Gesetzes konzentrieren will . Wir alle spüren in unserem eigenen Konsumverhalten, wie sich Warenströme ändern . Nationale Grenzen sind längst keine Hindernisse im Warenverkehr mehr, und zahlreiche Firmen oder Privatpersonen beliefern uns tag- täglich aus dem Ausland . In einigen Fällen werden aber auch aus unlauteren Motiven Güter versandt, sodass eine Überwachung dieser Waren durch den Zoll geboten ist . Die augenblicklich geltenden gesetzlichen Regelun- gen hinken dem liberalisierten Postverkehr jedoch noch deutlich hinterher . Der Versand erfolgt eben nicht mehr ausschließlich über die Deutsche Post . Zahlreiche wei- tere Dienstleister sind in den Markt eingetreten, aber im Unterschied zur Deutschen Post AG zurzeit nicht verpflichtet, Sendungen dem Zoll vorzulegen, wenn der Verdacht besteht, dass diese gegen ein Ein- oder Aus- fuhrverbot verstoßen . Deshalb ist es konsequent, diese Pflicht auf alle Dienstleister auszudehnen und um ver- brauchsteuerpflichtige Waren, Barmittel oder gleichge- stellte Zahlungsmitteln zu erweitern . Als Staat stehen wir aber auch in der Pflicht, unseren Bediensteten in den Vollzugsbereichen der Zollverwal- tung die Instrumente an die Hand zu geben, um sich selbst bzw . Kolleginnen und Kollegen zu schützen . Dabei geht es nicht darum, dass Zollbeamte zukünftig Aufgaben der allgemeinen Gefahrenabwehr der Länderpolizeien über- nehmen sollen . Es muss aber möglich sein, dass sie im Rahmen ihrer Tätigkeit präventive Maßnahmen ergrei- fen können und zum Beispiel Platzverweise erteilen, die Identität feststellen oder Personen und Sachen durchsu- chen bzw . sicherstellen dürfen . Gerade unsere Erkenntnisse mit sogenannten Umsatz- steuerkarussellgeschäften oder mit Belieferungen des Schwarzmarktes haben gezeigt, dass es erforderlich ist, sich bei zweifelhaften Warensendungen zu vergewissern, dass diese den gesetzlichen Auflagen entsprechen bzw. wirklich ihren Bestimmungsort erreichen und nicht nur der Verkürzung von Verbrauchsteuern dienen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 2017 21325 (A) (C) (B) (D) Gute Erfahrungen haben wir auch in der Vergangen- heit damit gemacht, dass der Zoll sich auf die wichtigen Aufgaben beschränkt . Sanktionen müssen angemessen, spürbar, vor allem aber auch wirksam sein . Es ist deshalb folgerichtig, die Verfolgung geringfügiger Steuerstrafta- ten und -ordnungswidrigkeiten bis zu einer Verkürzung von bis zu 250 Euro gegen die Zahlung eines Zuschlags einzustellen . Meine Fraktion wird dem Gesetzentwurf zustimmen . Dr. Frank Steffel (CDU/CSU): Die vorgeschlagenen Änderungen im Zollverwaltungsgesetz verbessern die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Überwachung und Bekämpfung des vorschriftswidrigen grenzüber- schreitenden Warenverkehrs durch den Zoll in den Berei- chen Geldwäsche, Verbrauchsteuern und Post . Sie setzen internationale Standards um und greifen Empfehlungen des Bundesrechnungshofs auf . Damit trägt das Gesetz den Entwicklungen und den veränderten Warenströmen des Welthandels Rechnung . Mit dem Gesetz wird die zollamtliche Überwachung des Warenverkehrs verbessert, sodass die Einhaltung des Zoll- und Verbrauchsteuerrechts und der Verbote und Be- schränkungen sowie der Schutz vor organisierter Krimi- nalität auch zukünftig gewährleistet werden kann . Bislang galt die Vorlagepflicht bei innergemeinschaft- lichen Postsendungen nur für die Deutsche Post AG . Sie wird nun auf alle Postdienstleister ausgeweitet . Des Wei- teren werden die Befugnisse der Zollbediensteten zur Ei- gensicherung normiert . Sanktionen bei Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten werden angepasst . Im Bereich der Geldwäsche wird das Zollverwal- tungsgesetz in Übereinstimmung mit den Standards und Empfehlungen der Financial Action Task Force (FATF) überarbeitet und ergänzt . Dies ist zur erfolgreichen Be- kämpfung der organisierten Kriminalität und Terroris- musfinanzierung erforderlich. Als bedeutender Wirtschaftsstandort besteht ein er- höhtes Geldwäscherisiko in Deutschland . Das Bun- desfinanzministerium schätzt das jährliche Volumen der Geldwäsche im Finanz- und Nicht-Finanzsektor in Deutschland auf rund 100 Milliarden Euro . Mit dem Gesetz wird der grenzüberschreitende Ver- kehr mit Barmitteln und gleichgestellten Zahlungsmitteln jeder Art über die EU-Außengrenzen sowie innerhalb der Binnengrenzen künftig gleichermaßen zollamtlich überwacht . Hierzu zählen erweiterte Auskunfts- und Mitwirkungspflichten für den Zoll. Das Gesetz berück- sichtigt, dass die Aufgabenzuweisung zur Bekämpfung der Geldwäsche für den gesamten Zollfahndungsdienst gilt, das heißt für die Zollfahndungsämter und das Zoll- kriminalamt . Der fachliche Zuständigkeitsbereich des Zollfahndungsdienstes in Abgrenzung zu den Polizei- behörden wird noch klarer gefasst . Mit der Änderung wird gewährleistet, dass der Zollfahndungsdienst insbe- sondere über die sogenannten „Clearingverfahren“ auch bei der Bekämpfung sonstiger Kriminalität unterstützend tätig werden kann, soweit diese im Zusammenhang mit dem Verbringen von Barmitteln oder gleichgestellten Zahlungsmitteln steht . Eine Kompetenzerweiterung des Zollfahndungsdienstes liegt hierin jedoch nicht begrün- det . Es bleibt bei der bisherigen Kompetenzverteilung zwischen Zoll und Polizei . Ingrid Arndt-Brauer (SPD): Die Steigerung des weltweiten Handels führt zu sich ändernden Waren- strömen und einem veränderten Verhalten der am Wirt- schaftskreislauf Beteiligten . Dies wirkt sich insbeson- dere auf die Art des Transports sowie die Menge der beförderten Waren aus und betrifft leider auch Güter, die aus kriminellen Motiven heraus bewegt werden . Der Wa- renverkehr über die Grenze des Zollgebiets der EU sowie mit verbrauchsteuerpflichtigen Waren über die deutsche Grenze unterliegt einem stetigen Wandel . Wenn wir wol- len, dass der Zoll auch in Zukunft in der Lage ist, illegale Machenschaften effektiv und effizient zu überwachen, brauchen wir eine regelmäßige Überprüfung und Anpas- sung der Rechtsgrundlagen . Nur so können die Erhebung der Einfuhrabgaben und der Schutz der Gesellschaft vor organisierter Kriminalität langfristig gewährleistet wer- den . Mit dem heute zu verabschiedenden Regierungsent- wurf zur Änderung des Zollverwaltungsgesetzes erhält der Zoll verbesserte rechtliche Rahmenbedingungen für die Überwachung und Bekämpfung des vorschriftswidri- gen grenzüberschreitenden Warenverkehrs in den Berei- chen Geldwäsche, Verbrauchsteuern und Post . Daneben wird das Zollverwaltungsgesetz an den zum 1 . Mai 2016 geänderten Zollkodex der EU angepasst . Die meisten Änderungen haben technischen Cha- rakter . So werden beispielsweise die Bestimmungen im Zollverwaltungsgesetz zur Bekämpfung von Geldwä- sche, organisierter Kriminalität und Terrorismusfinanzie- rung überarbeitet und ergänzt . Unser Ziel ist eine noch wirksamere Bekämpfung dieser illegalen Aktivitäten, in Übereinstimmung mit internationalen Standards . Die rechtlichen Voraussetzungen für Sicherungs- und Schutzmaßnahmen der Zollbediensteten werden geschaf- fen . Damit werden die Befugnisse der Zollbediensteten zur Eigensicherung geregelt . Zur Bekämpfung von Ver- brauchsteuerkriminalität werden erweiterte Möglichkei- ten geschaffen, Transporte zu überprüfen. Die parlamentarischen Beratungen verliefen weitest- gehend im Konsens . Nachfragen seitens der Linken gab es vor allem zu den Änderungen bei der Kontrolle des Postverkehrs . Dort sieht der Gesetzentwurf zentrale und wichtige Neuregelungen vor: Die Überprüfung des Post- verkehrs wird auf alle Postdienstleister ausgeweitet, und es werden Vorlagepflichten für Postsendungen verschärft. Die Postdienstleister haben zudem der Zollverwaltung eine Überprüfung ihrer Anzeige- und Vorlagepflicht und sowohl stichprobenweise als auch risikoorientierte Kon- trollen zu ermöglichen . Zu diesem Zweck sieht der Ge- setzentwurf ein Betretungsrecht der Zollverwaltung für die Betriebs- und Geschäftsräume der Postdienstleiter vor . Mit dieser meines Erachtens sehr sinnvollen Auswei- tung der Kontrollbefugnisse kommen weitere Aufgaben auf den Zoll zu . Die Bundesregierung hat im Zuge der Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 201721326 (A) (C) (B) (D) Beratungen aber deutlich gemacht, dass der Aufgabenzu- wachs bei der Kontrolle der Postsendungen ohne Steige- rungen des Personalbedarfs bewältigt werden kann . Die Schließung der Kontrolllücke erfolgt risikoorientiert und führt daher nicht zu Personalaufbau bei der Zollverwal- tung . Die Grundlage des Einsatzes von Personal und Tech- nik beim Zoll in den Kontrollprozessen basiert auf einem alle Bereiche umfassenden, einheitlichen Risikomanage- ment mit einer zentralen und lokalen Risikoanalyse . Die- se berücksichtigt zentrale und lokale Informationen und dient der Identifizierung von örtlichen und fachlichen Kontrollschwerpunkten . Die Hauptzollämter werten die Erkenntnisse aus der Risikoanalyse aus und bewerten be- stehende regionale Besonderheiten . Ich nenne exempla- risch zum Beispiel Grenznähe, Bevölkerungsdichte, In- dustriestruktur, Verkehrsnetz . Die Kontrollschwerpunkte werden hiernach festgelegt . Eine verbesserte Informa- tionslage durch die Kontrolle von Postsendungen führt dabei zu zielgenaueren Kontrollen . Eine Absage erteilt die Bundesregierung Forderungen nach pauschalen Kontrollen in den Verteilungszentren aller Postdienstleister ohne risikoorientierte Ansätze . In der Sache führen solche weder zu einem Erkenntnisge- winn, noch sind sie personell für die Zollverwaltung zu bewältigen . Ich bin überzeugt, dass dieser Gesetzentwurf den Zoll bei seiner wichtigen Arbeit fitter für die Zukunft macht und bitte Sie daher um Zustimmung . Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Es ist immer das glei- che Muster: Auch in kleineren Vorhaben wie der geplan- ten Änderung des Zollverwaltungsgesetzes lässt sich ein typisches Handlungsmuster der Bundesregierung erken- nen: Begrüßenswert sind einige dringende Modernisierun- gen und Anpassungen, die schon zu sehr auf die lange Bank geschoben wurden . Problematisch ist hingegen, dass bloß kein Geld in die Hand genommen werden soll . Geld, das aber unumgänglich ist, zum Beispiel für das Personal, das diese veränderten und zusätzlichen Maß- nahmen ausführen soll . Aktuell und konkret am Zollverwaltungsgesetz: Be- grüßenswert ist es, dass die Bundesregierung auf verbaler Ebene stärker gegen Geldwäsche, Schmuggel, Steuerhin- terziehung vorgehen will . Hier wurden, wie wir meinen, viele pragmatische und teils überfällige Regelungen und Anpassungen getroffen. So sind größere Transparenz und Kontrollen beim grenzüberschreitenden Bargeldverkehr wichtig, will man wirkungsvoll gegen Steuerhinterzie- hung, Geldwäsche und Terrorfinanzierung vorgehen. Und nach Terroranschlägen ist oft von Waffen- und Drogenhandel im „Darknet“ die Rede, also geschlos- senen Kommunikationsplattformen im Internet . Meist unterbleibt jedoch der Hinweis, dass die körperliche Abwicklung dieser finsteren Geschäfte zumeist ganz herkömmlich per Paketdienst abgewickelt wird . Es ist einsichtig, dass hier bei Verdacht und per Stichprobe eingeschritten werden sollte – wobei es natürlich nicht zu einer massenhaften Überwachung bzw. großflächigen Verletzung des Postgeheimnisses kommen darf . Zwar gehen uns solche Maßnahmen im Einzelnen teil- weise nicht weit genug, aber am Ende der Legislaturpe- riode freut man sich ja selbst über kleinere Vorhaben, die nicht in den sich stetig vertiefenden Wahlkampfgräben stecken bleiben . Was wir jedoch kritisieren, übrigens zusammen mit den Zoll- und Polizeigewerkschaften: Wenn die Bundesregierung zusätzliche Aufgaben und zusätzlichen Aufwand vorgibt, sollte sie auch an ihre Staatsdiener denken, welche dies täglich umsetzen müssen . Neue Gesetze sind schnell geschrieben, aber die Umsetzung kann nur durch ausreichendes und qualifi- ziertes Personal geschehen . Und hier fehlt es aufgrund von jahrelangen Stellenkürzungen an Nachwuchskräften und Spezialisten . Davon ist jedoch leider keine Rede . Und hier sehe ich, wie gesagt, die allgemeine Linie der Bundesregierung: Gerne mehr Bildung, Infrastruk- tur, Investitionen etc ., und man schreibt auch gerne neue Gesetze dazu. Aber kosten darf es nichts. Die öffentliche Daseinsvorsorge und ein funktionierendes Gemeinwesen dürfen bloß nichts zusätzlich kosten . Dass die auf breiter Front zusammengekürzte öffent- liche Verwaltung und die ausgezehrten Kommunalhaus- halte die vielen tollen Ideen gar nicht mehr umsetzen können, wird entweder geflissentlich ignoriert oder – das wäre die weniger wohlwollende Lesart – Sie, liebe Ko- alition, reden gern blumig daher und wissen aber ganz genau, dass sie damit den Menschen überwiegend Sand in die Augen streuen, weil sich durch vermeintlich wohl- meinende Gesetze allein am Ende eben gar nichts ändert . Viele Behörden operieren quasi nur noch mit Notbe- setzungen . Und viele Kommunen haben nicht einmal mehr die Personalkapazität, um sich die bereitstehenden Mittel aus den knappen Fördertöpfen abzurufen . Wenn in der Wüste ein verdurstender Mensch nicht einmal mehr die Kraft hat, den Arm zu heben, um ein hingehaltenes Glas Wasser zu ergreifen, dann wäre es zynisch, zu be- haupten, dann könne dieser Mensch ja nicht so durstig sein . Ich frage mich: Auf welches Zeichen wartet die Bun- desregierung denn noch, dass wir nicht weitere gesetzli- che Luftschlösser, sondern eine solide Finanzierung der bestehenden Baustellen brauchen? Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „Die Bundesregierung will stärker gegen die Finanzströ- me der organisierten Kriminalität vorgehen“: So wird auf der Website der Bundesregierung die Änderung des Zoll- verwaltungsgesetzes vorgestellt . Das ist ein hehres Ziel . Das hier vorgesehene Gesetz leistet dazu zwar wirklich kleine Schritte . Diese aber sind im Grundsatz richtig, und so stimmen wir dem Gesetzentwurf auch zu . Die hier vorgesehenen Erweiterungen der behördlichen Befugnis- se des Zolls folgen den Forderungen der Financial Action Task Force (FATF) und dienen damit einer Angleichung an internationale Standards . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 2017 21327 (A) (C) (B) (D) Damit wird aber auch klar: Die Bundesrepublik re- agiert im Bereich der Geldwäschebekämpfung erneut, um internationalen Standards nachkommen, anstatt selbst eine Vorreiterrolle einzunehmen . Das zeigen auch die vergangenen kritischen FATF-Reporte zu Deutsch- land und der eilige Zehn-Punkte-Aktionismus des Bun- desfinanzministers nach Veröffentlichung der Panama Papers im April dieses Jahres . Ebenfalls klar ist: Das Zollverwaltungsgesetz alleine wird eben nicht dazu beitragen, dass der von der Bundes- regierung bekundete Wille, „stärker gegen die Finanz- ströme der organisierten Kriminalität“ vorzugehen, auch tatsächlich Wirklichkeit wird . Das liegt zum einen an der Kompetenz der Zollverwaltung . Denn die vornehmliche Aufgabe des Zolls ist es, den grenzüberschreitenden Wa- renverkehr zu kontrollieren, wozu auch der grenzüber- schreitende Verkehr von Barmitteln oder gleichgestellten Zahlungsmitteln gehört . Die organisierte Kriminalität ist aber – und dass haben die Panama Papers einmal mehr eindrücklich gezeigt – kaum mehr darauf angewiesen, Bargeld über Grenzen zu transportieren . Illegale Finanz- ströme bestehen aus Buchgeld, das mittels Fondsstruktu- ren über den gesamten Globus wandert, beruhen auf dem System der sogenannten Hawala-Banken oder werden digital mittels Krypto-Currencies generiert . Je reicher der Kriminelle, desto weniger ist er auf Bargeldtranspor- te angewiesen . Zum anderen gibt es schon heute Defizite bei der Per- sonalausstattung der Zollverwaltung . Die zuletzt dem Zoll zusätzlich übertragenen Aufgaben haben noch nicht zur dafür nötigen Personalausstattung geführt . Echte Fortschritte bei der Kriminalitätsbekämpfung – das zeigt ja auch die Aufarbeitung des furchtbaren Anschlags in Berlin – gibt es nicht durch Buchstaben im Gesetz, son- dern durch Behörden, die tatsächlich diese Gesetze um- setzen, weil sie dafür den nötigen Willen und die nötige Ausstattung haben . Mindestens so wichtig wie konkrete Gesetzgebungs- vorhaben ist darüber hinaus die Schaffung eines öffent- lichen Problembewusstseins für die gesamtgesellschaft- liche Geißel der Geldwäsche . Die Möglichkeit, illegal erwirtschaftetes Geld zu waschen, ist eine zentrale Vo- raussetzung für die Machenschaften der organisierten Kriminalität, den Menschen-, Waffen- und Drogenhan- del, für autoritäre Kleptokraten und korrupte Amtsträger . Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern klarmachen, dass Geldwäsche ein Delikt ist, dem häufig schwerste Straf- und Gewalttaten vorausgehen, und dass es Auf- gabe aller rechtschaffenden Bürgerinnen und Bürger ist, sich dem entschieden entgegenzustellen . Dieses Problembewusstsein muss der Bundesfinanz- minister auch selbst beweisen . Denn wie auch heute wie- der kam es in der Vergangenheit nur auf äußeren Druck hin zu flickenartigen Gesetzesnovellen im Bereich der Geldwäschebekämpfung: 2008 wurde die 3 . Anti-Geld- wäsche-Richtlinie umgesetzt, 2010 kritisierte die FATF und 2011 die Europäische Kommission die deutschen Anti-Geldwäsche-Bemühungen, woraufhin es Ende 2011 die nächste Novelle gab . Im November 2015 kürte das Europäische Netzwerk zu Schulden und Entwicklung (eurodad), eine Kooperation von 48 NGOs, Deutsch- land zum EU-Spitzenreiter bei der Verschleppung von Antigeldwäschegesetzgebung . Was bis heute dringend fehlt, ist ein Gesamtkonzept für die Geldwäschebekämp- fung in Deutschland, das systematisch die bestehenden Kompetenzprobleme zwischen Bund und Ländern sowie zwischen einzelnen Behörden behebt und für die Geld- wäschebekämpfung im Nichtfinanzbereich eine gemein- same Lösung von Bund und Ländern findet. Wenn Herr Schäuble es ernst meint mit der Geld- wäschebekämpfung, dann muss er ein solches Konzept endlich vorlegen . Denn auch der nächste, schon heute absehbare Schritt, die Umsetzung der 4 . Anti-Geldwä- sche-Richtlinie, ist wieder nur die Umsetzung von Vor- gaben der Europäischen Union . Dort wird es auch wieder um einzelne Schritte gehen . Entscheidend wird sein, ob der Finanzminister ein öffentliches, aber auch kostenfrei- es Transparenzregister einführt und ob er im Kabinett ein öffentliches und kostenfreies elektronisches Transparenz- register für den besonders anfälligen Immobilienmarkt durchsetzt. Das elektronische Grundbuch ist für effizien- te Ermittlungsarbeit in seiner derzeitigen Form nicht aus- reichend, da die Suche nach spezifischen Namen oft nicht möglich ist und daher die Ermittlungsbeamten teilweise händisch die Grundbücher durchsuchen müssen . Wir sind dankbar für die neue Dynamik, die die Veröf- fentlichung der Panama Papers im Bereich der Geldwä- schebekämpfung verursacht hat . Jetzt kommt es darauf an, dass Herr Schäuble seinen Worten auch Taten folgen lässt . Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchfüh- rung der Verordnung (EU) 2015/848 über Insol- venzverfahren (Tagesordnungspunkt 19) Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Wir beraten hier den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines „Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2015/848 über Insolvenzverfahren“ . Erstens . Der Entwurf passt zunächst die Bestimmun- gen der Neufassung der Europäischen Insolvenzverord- nung (EuInsVO) in das deutsche Verfahrensrecht ein . Dazu sieht er insbesondere die Einführung eines neuen Artikels 102c EGInsO vor, der sich an den geltenden Bestimmungen des Artikels 102 EGInsO orientiert . Der neue Artikel 102c EGInsO berücksichtigt jedoch auch die Ergänzungen und Änderungen, die die Neufassung im Vergleich zur noch geltenden Fassung der EuInsVO erfahren hat . So enthält er insbesondere Bestimmungen zu den in der Neufassung erstmals vorgesehenen Rechts- behelfen und gerichtlichen Entscheidungen, zur örtli- chen Zuständigkeit bei sogenannten Annexklagen, zu verfahrensrechtlichen Einzelheiten der „synthetischen“ Abwicklung von Sekundärinsolvenzverfahren und zu Einzelfragen bei der Bewältigung der Insolvenz der Mitglieder von Unternehmensgruppen . Das alles ist im Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 201721328 (A) (C) (B) (D) Wesentlichen „technisches Recht“ und soll deshalb hier nicht ausführlich gewürdigt werden; ob noch Änderungs- bedarf „im Detail“ besteht, werden wir in den nächsten Wochen sehen . Zweitens . Wichtiger erscheint eine sozusagen „am Rande“ vorgeschlagene Änderung der §§ 13 und 15a der Insolvenzordnung . Hier geht es um Reaktionen auf Unstimmigkeiten, die sich bei früheren Änderungen der Insolvenzordnung ergeben haben . So hatte der Deutsche Bundestag nämlich im „ESUG“ die Anforderungen an einen „korrekten“ Insolvenzantrag in § 13 InsO deutlich erhöht, letztlich um den Insolvenzgerichten eine schnel- lere und bessere Sachbehandlung des Antrags zu ermög- lichen . Das aber hat – naturgemäß – die Fehleranfällig- keit von Insolvenzanträgen erhöht . Nachdem aber § 15a Absatz 4 InsO die Strafbarkeit auch eines „nicht richtig“ gestellten Insolvenzantrages wegen Insolvenzverschleppung begründet, gibt es ei- nen Zielkonflikt: Die eigentlich vom Gesetzgeber ge- wollte zügige Antragstellung wird nämlich schwierig, wenn alle Anforderungen des § 13 InsO korrekt beachtet werden sollen . Werden sie andererseits nicht beachtet, droht Strafbarkeit . Die Insolvenzgerichte haben sich hier damit beholfen, die – schnelle – Nachbesserung eines zunächst nicht richtigen – und damit möglicherweise unzulässigen – Insolvenzantrages zu verlangen . Wer in einem solchen Fall rechtzeitig nachbessert, entgeht auch der Strafbarkeit . Diesen Ansatz greift der Gesetzentwurf nunmehr – zu Recht – auf . Drittens . Ein letzter Punkt: „Der Entwurf [so heißt es in der Gesetzesbegründung] verfolgt daher das Ziel, der Ausweitung der Strafbarkeit nach § 15a InsO entgegen- zuwirken .“ Dieser Ausweitung der Strafbarkeit gilt es aber auch noch in anderen Bereichen entgegenzuwirken . Ich meine den Bereich der Gründungsfinanzierun- gen – Start-ups . Denn hier wird die derzeit geltende Rechtslage im Bereich der Insolvenzantragspflicht im- mer wieder aus wirtschaftlicher und auch aus rechts- vergleichender Perspektive kritisiert: Zunächst wird in formaler Hinsicht bemängelt, dass bei der – letztlich völlig unbedenklich – großen Zahl gescheiterter Unter- nehmensgründungen angesichts des aktuellen Charakters der Norm als Offizialdelikt immer ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren drohe . Das Problem liegt dabei ausschließlich darin, dass der Amtsermittlungsgrundsatz, der vom ausländischen Recht abweicht, schon im Vorfeld Gründungsfinanzierungen „psychologisch“ erschwert, ohne dass es auf das wirkliche Entscheidungsverhalten der Staatsanwaltschaften – etwa in Form von Verfahrens- einstellungen – ankäme . Zudem seien in inhaltlicher Hinsicht Strafverfolgung und Bestrafung auch möglich, obwohl kein einziger Gläubiger geschädigt sei . Letzteres betrifft vor allem die Fälle, in denen Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung zeitweise vorliegen, dann aber wie- der entfallen bzw . beseitigt werden – was aber die einmal eingetretene Verwirklichung der Strafnorm nicht mehr beseitigt . Insoweit ist die Lage ähnlich – und hier liegt eine Parallele zur bislang schon im Insolvenzanfech- tungsrecht geführten Diskussion (die zu den leider im- mer noch nicht realisierten Reformplänen meiner Frakti- on geführt hat) – wie bei den Fällen, in denen im Vorfeld einer Insolvenz Zahlungsschwierigkeiten bestehen, dann aber wieder beseitigt werden . Deshalb ist zunächst zu erwägen, die Insolvenzver- schleppung zu einem Antragsdelikt umzugestalten, um die Staatsanwaltschaften zu entlasten und Raum für die echten Verschleppungen zu schaffen. Mit Blick auf Start- ups sollte man weiter Erleichterungen für die ersten zwei Jahre nach Eintragung der Gesellschaft in das Handels- register erwägen . Für diese Zeit sollte das Schutzschirm- verfahren – nebst Verlängerungsmöglichkeit – auch für Fälle eingetretener Zahlungsunfähigkeit geöffnet und ein an sachgerechtes Wirtschaften anknüpfender Strafauf- hebungsgrund geschaffen werden. Die Länge der ange- dachten Frist orientiert sich dabei an § 52 Absatz 1 AktG (Nachgründung) . Schließlich ist an einen persönlichen Strafaufhebungsgrund für den Fall zu denken, dass die Krise überwunden wurde . Ich freue mich auf die weitere Diskussion . Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Im Zeitalter der Digitalisierung, aber auch im Zeitalter der Globalisierung verändern sich die Märkte . Diese Veränderungen ziehen auch immer wieder Änderungsbedarf in der Rechtsord- nung nach sich . Ziel ist, die Rechtsordnung an die He- rausforderungen unserer Zeit anzupassen . So debattieren wir heute die Durchführung der Ver- ordnung über Insolvenzverfahren . Und ich glaube, es wäre gut, sich genau diese Zielsetzung auch hier vorzu- nehmen . Im Mittelpunkt steht zunächst eine Neufassung des § 15a Insolvenzordnung . Die Tatbestandsalternative des „nicht richtig gestellten Insolvenzantrags“ soll gestrichen werden . Stattdessen erfolgt eine Neustrukturierung des Absatzes 2 . Eine Strafbarkeit wegen eines rechtzeitig, aber nicht richtig gestellten Insolvenzantrags soll dem- nach dann vorliegen, wenn der antragstellende Schuldner seinen Antrag innerhalb von drei Wochen ab Zustellung einer richterlichen Aufforderung nicht nachbessert. Diese Neuregelung verklart und konkretisiert damit in erfreuli- cher Art und Weise die bisherige Rechtspraxis . Überdies werden weitere Unklarheiten beseitigt, die sich in der bisherigen Rechtspraxis seit der letzten EU-Verordnung durch die Rechtsprechung aufgeworfen haben . Insoweit enthält der vorliegende Entwurf zahlrei- che weitere Verbesserungen in der Praxis . Wir sollten aber gerade im Hinblick auf das, was ich zu Beginn meiner Rede formuliert habe, auch die Frage aufwerfen, ob sich mit diesem Gesetzentwurf nicht darü- ber hinaus die Möglichkeit eröffnet, noch weitere Anpas- sungen und Verbesserungen vorzunehmen . Denn wenn wir uns nun schon mit der Frage beschäftigen, wann bzw . unter welchen Voraussetzungen ein Insolvenzantrag ge- stellt werden muss und welchen Inhalt er haben muss, wäre es nur nahe liegend, ein weiteres Problem aus der Praxis einzuarbeiten: Gerade im Bereich der Start-ups und der Gründungen besteht immer wieder das Problem, dass dort die Finanzausstattung von Tag zu Tag stark schwanken kann, gerade dann, wenn die Neugründung auch ohne ein großes Polster an Eigenkapital gewagt Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 2017 21329 (A) (C) (B) (D) wird . Umgekehrt wünschen wir uns aber am Technolo- gie- und Forschungsstandort Deutschland Gründergeist und Start-up-Initiativen . Daher, liebe Kolleginnen und Kollegen, wäre ich sehr froh darüber, wenn wir all diese Fragen im weiteren Be- ratungsverfahren eingehend erörtern könnten . Darauf freue ich mich . Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Zum Thema Insol- venzrecht haben wir in dieser Legislaturperiode bereits mehrmals debattiert, und meine heutige Rede ist sicher nicht die letzte . Heute reden wir über die europäische Dimension . Die EU-Verordnung, wie Staatssekretär Lange schon erwähnt hat, ist gut . Sowohl die bisherige als auch die künftige wollen eine geregelte Entschuldung – ein wich- tiger Beitrag, Arbeitsplätze zu erhalten, Sanierung zu ermöglichen und den reibungslosen Rechtsverkehr zu sichern, in Deutschland und in Europa . Und so wie sich die Wirtschaft ständig verändert, so muss auch die Ver- ordnung ständig optimiert, angepasst werden, um grenz- überschreitende Insolvenzverfahren noch effizienter ab- wickeln zu können . Dies ist die Voraussetzung für ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarktes . Denn die Geschäftstätigkeit von Unternehmen greift mehr und mehr über die einzelstaatlichen Grenzen hinaus und un- terliegt damit in zunehmendem Maß den Vorschriften des Unionsrechts . Die mehrfache Veränderung in der Vergangenheit führte zur Unübersichtlichkeit . Damit nun wieder Klar- heit besteht, wurde die EU-Verordnung neu gefasst . Also: Problem erkannt, Problem gelöst! EU gut! Wenn die Neufassung der Verordnung, laut dem EU- Recht, allgemein und unmittelbar gilt, werden mit dem Einführungsgesetz die neuen Bestimmungen in das deut- sche Verfahrensrecht eingepasst . Gerne möchte ich des- halb unserem Bundesjustizminister Heiko Maas ein aus- drückliches Lob aussprechen: Es wurden die Schrauben an den richtigen Stellen nachjustiert, nicht zu viel, nicht zu wenig, damit die Verfahrensmechanismen weiter rei- bungslos funktionieren . So flott wie die Europäische Union und unser Bun- desministerium an die Umsetzung geht, würde ich mir allerdings wünschen, dass die Union – und da meine ich unseren Koalitionspartner – auch reagiert . Denn Sie wis- sen, dass die Reform unseres nationalen Insolvenzrechts endlich abgeschlossen werden muss . Und Sie wissen, dass die Rechtpolitiker sich bereits einig sind . Bringen Sie also Ihre Finanzpolitiker auf Linie! Dann haben wir wieder Rechtssicherheit und Planungssicherheit für Un- ternehmen . Richard Pitterle (DIE LINKE): Ich hätte heute gern über den Schutz des Lohnes der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Insolvenz ihres Betriebs geredet . Doch scheinbar können sich der Bundesjustizminister und der Bundesfinanzminister beim Gesetz zur Verbesse- rung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der In- solvenzordnung nicht einigen . Und so ist nun schon mehr als ein Jahr vergangen, seit der Koalition die Erleuchtung kam, dass es für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erhebliche „Ungewissheiten“ gibt, ob sie ihren sauer ver- dienten Lohn bei einer Insolvenz behalten dürfen . Diese Ungewissheit wird wohl zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weiter andauern . Ungewissheiten für die Finanzindustrie hat die Gro- ße Koalition übrigens erst kürzlich im Hauruckverfahren mit Änderungen der Insolvenzordnung ausgeräumt . Die Gesetzgebung hat vom Entwurf bis zur Verabschiedung nicht einmal ein halbes Jahr gedauert . Und auch heute beraten wir wieder Änderungen des Insolvenzrechts . Genauer gesagt: des internationalen In- solvenzrechts . Das ist der Teil, der sich mit Insolvenzen beschäftigt, die nicht auf Deutschland beschränkt blei- ben . Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, Sie merken, welche Prioritäten im SPD-geführten Justizministerium gesetzt werden . Das internationale Insolvenzrecht ist ohne Frage eine spannende und wichtige Materie . Nur ist es müßig, die vielen Fragen, Probleme und Regelungsbestandteile hier debattieren zu wollen . Denn das internationale Insol- venzrecht ist, jedenfalls mit Blick auf die Europäische Union, schon durch den europäischen Gesetzgeber gere- gelt worden . Die Europäische Insolvenzverordnung gilt als Gesetz in jedem Mitgliedstaat unmittelbar . Der Deut- sche Bundestag muss sich darauf beschränken, nationale Gesetze so anzupassen, dass die europäische Verordnung möglichst reibungslos in der Praxis zur Geltung kommt . Das vorliegende Gesetz ist ein solches Durchfüh- rungsgesetz . Es enthält viele Verfahrens-, Form- und Zuständigkeitsregeln, deren Sinnhaftigkeit besser von Insolvenzverwaltern, Insolvenzrichtern und Rechtspfle- gern beantwortet werden kann als von Politikern . Daher wird der Rechtsausschuss des Bundestages auch um eine Anhörung von Sachverständigen aus diesen Reihen nicht herumkommen . Bisherige Stellungnahmen der Praxis zeigen nämlich, dass es noch Verbesserungsbedarf gibt . Mit dem vorliegenden Gesetz wollen Sie nebenbei auch die Strafvorschrift zur Insolvenzverschleppung verbessern . Dieser Schritt ist allerdings längst überfäl- lig . Namhafte Rechtswissenschaftlicher halten § 15a Absatz 4, 5 InsO für „nahezu unbrauchbar“ . Das ist für jede Rechtsvorschrift ein beschämender Befund . Für Strafvorschriften, an die die Verfassung besonders hohe Maßstäbe anlegt, ist ein solcher Befund jedoch katastro- phal . Es bleibt jedoch Ihr Geheimnis, worin die Verbes- serung bestehen soll . Dass nun statt des „nicht richtigen“ Insolvenzantrages der „nicht vollständige“ mit Strafe belegt werden soll, verbessert jedenfalls die von Ihnen zutreffend erkannte ausufernde Anwendung nicht. Nicht jede fehlende Angabe kann allerdings bestraft werden . Aber wo die Grenze der Bestrafung ist, bleibt weiterhin offen. Durch die Begrenzung der Strafbarkeit auf den „nicht vollständigen“ Antrag, der bisher als „nicht rich- tiger“ Antrag von dieser Vorschrift bereits erfasst wur- de, drängt sich dem Rechtsanwender die Frage auf, ob Falschangaben, die bisher einen „nicht richtigen“ Antrag ausmachen konnten, zukünftig zu einem „nicht vollstän- digen“ Antrag führen . Nicht zuletzt wäre die Vorschrift Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 201721330 (A) (C) (B) (D) systematisch ohnehin besser im bereits vorhandenen Abschnitt des StGB mit dem Titel „Insolvenzstraftaten“ aufgehoben . Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Ge- setzentwurf dient der Durchführung der EU-Verordnung vom 20 . Mai 2015 über Insolvenzverfahren . Die neue Verordnung löst damit die bestehende Verordnung aus dem Jahr 2000 ab und findet ab dem 26. Juni 2017 An- wendung für alle ab diesem Zeitpunkt eröffneten Insol- venzverfahren . Der Gesetzentwurf dient vor allem der Anpassung des deutschen Verfahrensrechts an die neue EU-Verordnung . Er sieht insbesondere die Einführung eines neuen Arti- kels 102c EGInsO vor . Diese Norm enthält insbesondere Regelungen betreffend die Zuständigkeit der Insolvenz- gerichte, das anwendbare Recht sowie die Anerkennung von Entscheidungen ausländischer Insolvenzgerichte . Die Regelung in Artikel 102c § 2 ist zu begrüßen, da sie den Fall kollidierender Insolvenzverfahren bei paral- leler Antragstellung für ein Hauptinsolvenzverfahren in verschiedenen Mitgliedstaaten eindeutig regelt und Un- sicherheiten beseitigt. Das zeitlich nachfolgend eröffnete Verfahren gilt dann als Sekundärinsolvenzverfahren . Ein Sekundärinsolvenzverfahren ist ein neben dem Hauptin- solvenzverfahren betriebenes Insolvenzverfahren über inländisches Vermögen . Nach der Neufassung besteht für den Insolvenzver- walter des Hauptinsolvenzverfahrens die Möglichkeit, ein solches Sekundärinsolvenzverfahren durch eine Zu- sicherung zu vermeiden . Das heißt, dass der Insolvenz- verwalter den „lokalen“ Gläubigern des Mitgliedstaates, in dem ein Sekundärinsolvenzverfahren hätte eröffnet werden können, zusichert, dass diese im Hauptinsolvenz- verfahren so behandelt werden, als ob ein Sekundärinsol- venzverfahren eröffnet worden wäre. Konkret bedeutet dies, dass die Masse, auf die sich das inländische Sekun- därverfahren erstreckt hätte, so zu verteilen ist, wie sie in einem Sekundärinsolvenzverfahren nach inländischem Recht verteilt worden wäre . Für die Wirksamkeit der Zusicherung bedarf es der mehrheitlichen Zustimmung der „inländischen“ Gläubiger . Die Bündelung innerhalb eines Verfahrens soll einen Effizienzgewinn bewirken. Ein gemeinsames europäisches Insolvenzrecht ist auf- grund des immer weiter fortschreitenden europäischen Marktes erforderlich . Die zunehmenden wirtschaftlichen Verflechtungen bedürfen eines gesicherten Umfeldes und rechtlicher Rahmenbedingen, und zwar auch dann, wenn es um wirtschaftlichen Misserfolg, hier im Fall von In- solvenzen, geht . Durch die Harmonisierung auf europä- ischer Ebene wird ein einheitliches Recht für Insolvenz- verfahren im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr geschaffen. Die Zersplitterung von Insolvenzverfahren auf europäischer Ebene wird vermieden, die Zuständig- keit konkurrierender Gerichte festgelegt und damit ein hohes Maß an Rechtssicherheit hergestellt . Kritikwürdig an dem Umsetzungsgesetz ist die Re- gelung in Artikel 102c § 4 . Dieser geht über den Ver- ordnungstext in zweierlei Hinsicht hinaus . Zum einen räumt die Norm dem ausländischen Insolvenzverwalter eine Beschwerdebefugnis ein, und zum anderen wird das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde nicht nur auf den Eröffnungsbeschluss beschränkt, sondern auch vor- läufige Sicherungsmaßnahmen können mittels der sofor- tigen Beschwerde angegriffen werden. Damit kann der ausländische Insolvenzverwalter noch vor Klärung der Zuständigkeit für das Hauptverfahren vorläufige Maß- nahmen des Gerichts angreifen . Die Erweiterung der Beschwerdebefugnis über den Schuldner und den Gläubiger hinaus ist zwar nach Ar- tikel 5 Absatz 2 der VO möglich . Allerdings ist die Ausweitung eben optional und die Umsetzung nicht er- forderlich . Ein Gläubiger, der nach Artikel 5 Absatz 1 beschwerdebefugt ist, wird ohnehin ein Rechtsmittel einlegen, sofern die Sicherungsmaßnahmen dem Gläu- bigerinteresse zuwiderlaufen . Das deutsche Insolvenz- recht sieht in § 34 Absatz 2 InsO ein Anfechtungsrecht gegen einen Eröffnungsbeschluss nur für den Schuldner vor . Durch die Europäische Insolvenzverordnung wird das Anfechtungsrecht nunmehr auch auf den Gläubiger erweitert . Weshalb es nunmehr auch eines Anfechtungs- rechts für den Insolvenzverwalter bedarf, erschließt sich mir nicht . Es ist gut, dass Deutschland rechtzeitig zum Inkraft- treten der neuen Verordnung im Juni 2017 bereits jetzt ein Umsetzungsgesetz verabschiedet . Die große Kritik am gesamten Verfahren der Gesetzgebung im Insolvenz- recht bleibt aber bestehen . Aber schon wieder beschäftigt das Insolvenzrecht den Deutschen Bundestag, und schon wieder ist es nicht die dringend erforderliche Reform des Anfechtungsrechts, die auf der Tagesordnung steht . Erst wird das Liquida- tionsnetting im Schnellverfahren und in nächtlichen Debatten rechtzeitig zum Jahreswechsel durch das Par- lament gebracht, um den Banken ihre Privilegien, die sie sonst zum Januar hin verloren hätten, noch zu sichern . Die Reform des Anfechtungsrechts wird seit nunmehr einem Jahr vom Finanzressort blockiert . Dabei wären die Änderungen dringend notwendig für die mittelständische Wirtschaft, um hier endlich Rechtssicherheit zu erlangen . Bleibt zu hoffen, dass die Koalition sich endlich einigt beim Thema Anfechtungsrecht und der Mittelstand noch in dieser Legislatur zu der dringend benötigten Rechtssi- cherheit gelangt . Christian Lange, Parl . Staatssekretär beim Bundes- minister der Justiz und für Verbraucherschutz: Der Ent- wurf eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2015/848 über Insolvenzverfahren, den wir heute behandeln, dient der Einpassung der neugefassten Euro- päischen Insolvenzverordnung in das deutsche Verfah- rensrecht . Die Europäische Insolvenzverordnung regelt das in- ternationale Insolvenzrecht innerhalb der Europäischen Union. Sie trifft Bestimmungen zur internationalen Zu- ständigkeit, zum anwendbaren Insolvenzrecht und zur Anerkennung von Entscheidungen in grenzüberschrei- tenden Insolvenzverfahren . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 2017 21331 (A) (C) (B) (D) Die Verordnung gilt allgemein und unmittelbar . Einer Umsetzung in das deutsche Recht bedarf es daher nicht . Einige Bestimmungen der Verordnung lassen sich aber nur dann sinnvoll und praxisgerecht anwenden, wenn im deutschen Insolvenzrecht ergänzende Regelungen ge- troffen werden. Dies wird an folgendem Beispiel deut- lich: Die Verordnung sieht an mehreren Stellen Rechts- behelfe vor, ohne allerdings zu bestimmen, um was für Rechtsbehelfe es sich handelt und welches Gericht für die Entscheidung zuständig ist. Hier trifft der Gesetzent- wurf ergänzende Regelungen . Gleichermaßen werden Bestimmungen zur örtlichen Zuständigkeit für sogenann- te Annexklagen getroffen, das heißt zu Klagen, die, wie beispielsweise Anfechtungsklagen, in einem engen Zu- sammenhang mit dem Insolvenzverfahren stehen . Der Entwurf regelt auch verfahrensrechtliche Einzel- heiten des sogenannten synthetischen Sekundärinsolvenz- verfahrens . Hierbei handelt es sich um ein Verfahren, mit dem vermieden werden soll, dass zusätzlich zum Hauptinsolvenzverfahren in weiteren Mitgliedstaaten In- solvenzverfahren über das Vermögen eines Schuldners eröffnet werden, mit dem aber gleichzeitig sichergestellt werden soll, dass die Rechte der betroffenen Gläubiger gewahrt werden . Schließlich regelt der Entwurf Einzel- fragen bei der Bewältigung von Konzerninsolvenzen . Es handelt sich damit also weitgehend um Regelun- gen, die die verfahrensrechtliche Anwendung der Euro- päischen Insolvenzverordnung erleichtern sollen . Die Regelungen werden in einem neuen Artikel 102c des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung getrof- fen . Sie orientieren sich an den Bestimmungen, die zur Durchführung der bisherigen Europäischen Insolvenz- verordnung getroffen wurden. Mit den vorgesehenen Änderungen der §§ 13 und 15a der Insolvenzordnung sieht der Gesetzentwurf zudem eine Korrektur des Straftatbestandes der Insolvenzver- schleppung vor . Der Entwurf verfolgt das Ziel, derzeit kriminalisiertes Verhalten wieder auf tatsächlich straf- würdige Fälle zu beschränken . Die neugefasste Europäische Insolvenzverordnung löst die bisherige Verordnung zum 26 . Juni 2017 ab und markiert damit zugleich den Zeitpunkt, zu dem die be- gleitenden Regelungen in Kraft treten sollen . Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Kathrin Vogler, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gute und wohnortnahe Arzneimittelversorgung (Tagesordnungspunkt 16) Michael Hennrich (CDU/CSU): Ich freue mich, dass wir heute den Antrag der Linken zum Versandhandels- verbot für rezeptpflichte Arzneimittel hier im Parlament beraten . Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich schon einmal Sympathie für einen Antrag der Linken entwickelt habe. Aber heute – das gebe ich offen zu – ist das der Fall . Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 19 . Oktober 2016 – wonach die deutsche Arzneimittel- preisverordnung nicht für ausländische Versandapothe- ken gilt – war ein Paukenschlag und ein Paradigmen- wechsel . Es war eine fundamentale Abkehr bisheriger gefestigter Rechtspositionen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft und ihren Institutionen . Bisher galt – auch nach den europäischen Verträgen – dass die Organisation des Gesundheitswesens den Nati- onalstaaten obliegt . Mit diesem Urteil hat der EuGH in dieses Recht massiv eingegriffen. Ferner hat der EuGH bisher immer anerkannt, dass Arzneimittel ein besonde- res Gut und nicht einfach handelsübliche Ware seien . Auch mit diesem Grundsatz hat der EuGH in diesem Urteil gebrochen . Im Urteil wird nur noch von Waren ge- sprochen . Ich will nicht so weit gehen, dass der EuGH mit diesem Urteil das Ziel verfolgt, die Gesundheitspolitik stärker zu vergemeinschaften, aber wenn die deutsche Politik auf dieses Urteil nicht reagiert und die Dinge einfach weiter laufen lässt, stellt sich schon die Frage, ob die Aufwei- chung der nationalen Zuständigkeit hin zugunsten einer Regelung auf europäischer Ebene dann nicht auch in an- deren Bereichen der medizinischen Versorgung zu ähnli- chen Schlussfolgerungen führt . Insofern ist es richtig, dass wir den Anspruch erheben, eine so zentrale Frage wie die der flächendeckenden Arz- neimittelversorgung selbst zu regeln . Wir wollen nicht, dass die Zukunft der Arzneimitteldistribution irgendwo in Logistikzentren quer durch die Republik liegt und sich der ratsuchende Patient an irgendwelche anonymen Call- center wenden muss . Unser Ziel ist die Versorgung der Versicherten durch die Apotheke vor Ort, in welcher der Apotheker bei Fra- gen kompetent und zuverlässig Auskunft geben kann . In- sofern will ich ausdrücklich betonen, dass sich alle hier im Parlament vertretenen Gesundheitspolitiker in diesem Punkt einig sind . Die Apotheke vor Ort steht für: schnelle und flächen- deckende Versorgung, Notfallversorgung, auch nachts und am Wochenende und an Feiertagen, sowie gute Be- ratung . Wenn wir das Urteil wirken lassen, ohne irgend- welche gesetzgeberischen Konsequenzen, sehe ich große Schwierigkeiten auf unsere bewährten Versorgungsstruk- turen zukommen . Die Versandapotheken ziehen das umsatzstarke Ge- schäft mit chronisch Kranken an sich, der Rest ist ihnen egal . Keine Hilfe im Notfall, keinen Dienst am Sonntag und möglichst auch keine Beratungsgespräche: Der An- spruch der Gesundheitspolitiker – die sprechende Medi- zin zu stärken – wird durch solche Modelle konterkariert . Insofern habe ich auch kein Problem damit, dass die Fraktion der Linken auf den Zug des Versandhandelsver- bots aufspringt und vielleicht ein paar Tage schneller mit ihrem Antrag im Parlament ist als die Regierungsfrakti- onen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 201721332 (A) (C) (B) (D) Wie die meisten ja wissen, gibt es koalitionsintern einen gewissen Abstimmungsbedarf . Aber wir sind auf einem guten Weg, hier die notwendige Einigung zu er- zielen . Natürlich haben wir verschiedene Wege diskutiert, wie mit diesem Urteil umzugehen ist . Von völliger Frei- gabe der Preise über Boniverbot und Höchstpreisverord- nung bis hin zu einer stärkeren Honorierung der Bera- tungsleistungen haben wir alle Varianten geprüft . Und es zeigt sich immer mehr, dass diese Varianten mit neuen Rechtsunsicherheiten verbunden wären . Die einfachste und klarste Regelung war und bleibt, den Versandhandel mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln zu verbieten . Um das auch noch einmal zu betonen: Wir verbieten nicht den kompletten Versandhandel, sondern nur den mit Rezeptpflichten, und zwar, um mögliche, rechtliche Angriffspunkte zu vermeiden. Ein solches Ver- bot hat ja der EuGH in einem Urteil aus dem Jahr 2003 ausdrücklich zugelassen . Und mittlerweile gibt es – aus gutem Grund – in 21 Ländern der europäischen Gemein- schaft ein Versandhandelsverbot . Damit stoppen wir die unsägliche Entwicklung, dass der Bezug von Arzneimit- teln mit irgendwelchen Boni oder sonstigen Vergünsti- gungen verknüpft wird . Das kann auch nicht im Interesse der Solidargemein- schaft sein, dass gerade solche Patienten, die in erhebli- chem Maße von der Solidargemeinschaft profitieren, bei der Arzneimittelversorgung keinen eigenen Beitrag leis- ten müssen, während diejenigen, die selten Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch neh- men, mit ihren Beiträgen aber zur Finanzierung und Stüt- zung des Systems beitragen, weiterhin Zuzahlung leisten sollen . Das ist falsch verstandene Solidarität . Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, jetzt hat ja der Kollege Lauterbach vorgeschlagen, dass im Gegenzug chronisch Kranke von der Zuzahlung auf Arz- neimittel befreit werden sollen . Das ist zugegebenerma- ßen populär, aber ich weiß nicht, ob wir uns damit lang- fristig einen Gefallen tun . Der Sündenfall der schwarz-gelben Vorgängerregie- rung war für mich die Abschaffung der Praxisgebühr. Selbst Ärzte, die ja damals vehement für die Abschaffung gekämpft haben, räumen das heute ein . Wenn wir jetzt auch noch bei chronisch Kranken die Zuzahlung abschaf- fen, können wir das Finanzierungsinstrument mittel- und langfristig vergessen . Und hier ist dann doch wieder der Unterschied zwi- schen Union und Linken . Wir haben bei Chronikern mit der 1-Prozent-Regelung für eine gewisse Entlastung ge- sorgt . Aber wir sind klug beraten, es dabei zu belassen . Mein Appell an die Kolleginnen und Kollegen von der SPD: Geben Sie sich einen Ruck, und stimmen Sie dem Versandhandelsverbot ohne Wenn und Aber zu! Dr. Roy Kühne (CDU/CSU): Der Europäische Ge- richtshof hat entschieden, dass die im deutschen Gesetz verankerte Regelung der Preisbindung bei verschrei- bungspflichtigen Arzneimitteln für ausländische Ver- sandapotheken gegen das Recht der Europäischen Union verstößt . Daraus resultiert ein Nachteil für die in Deutsch- land ansässigen Apotheken, die weiterhin diesem einheit- lichen Apothekenabgabepreis unterliegen . Das ist einer- seits notwendig, um die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten sicherzustellen . Ande- rerseits erleben wir dadurch ungewollt das Phänomen der Inländerdiskriminierung . Für den Deutschen Bundestag und uns als Volksvertreter muss es oberste Priorität ha- ben, diesen Ungleichstand zeitnah aufzuheben und somit unseren Apothekerinnen und Apothekern die gleichen, fairen Wettbewerbsbedingungen zu ermöglichen . Apotheker leisten einen vielfältigen Beitrag im Ge- sundheitsmanagement . Sie sind nicht einfach nur Händ- ler, sondern insbesondere Ansprechpartner, Ratgeber und Versorger. Und das flächendeckend, rund um die Uhr! Es muss unser aller politischer Wille sein, diese Apotheken zu schützen und die flächendeckende Versorgung mit Medikamenten, Hilfsmitteln und Medizinprodukten si- cherzustellen . Die ungerechte Lastenverteilung zwischen Präsenzapotheken und dem Versandhandel darf keinen Bestand haben . Ich freue mich, dass auch die SPD die große Bedeu- tung der flächendeckenden Versorgung mit Apotheken erkannt hat . Zu Beginn dieser Sitzungswoche haben Sie, werte Kolleginnen und Kollegen, einen ersten großen Schritt in die richtige Richtung getan, indem Sie Ihre grundsätzliche Abneigung abgelegt haben . Sie haben ein- gesehen: Die Patientinnen und Patienten und deren Be- dürfnisse müssen absoluten Vorrang haben . Ich stimme Ihnen zu: Chronisch Kranke verdienen eine besondere Stellung durch unser Gesundheitssystem und müssen vor unnötig hohen Belastungen geschützt werden . Anderer- seits darf dies nicht zulasten der gesamten Versicherten- gemeinschaft geschehen . Ich würde mich freuen, wenn hier ein klares Signal aus Ihren Reihen, unabhängig von Bedingungen, kommen würde . Verbraucherschutz und flächendeckende Versorgung müssen Vorrang vor Parti- kularinteressen haben . Für uns muss die flächendeckende Versorgung absolu- ten Vorrang haben . Wir dürfen keine weitere Zeit verlie- ren . Deshalb unterstütze ich das Bundesministerium für Gesundheit und schließe mich an: Ein zeitnahes Verbot des Versands von rezeptpflichtigen Arzneimitteln muss oberste Priorität haben . In den Jahren vor 2015 haben wir einen permanenten Rückgang an Präsenzapotheken in Deutschland verzeich- nen müssen . Während wir EU-weit eine durchschnitt- liche Anzahl von 31 Apotheken je 100 000 Einwohner beobachten können, sind es in Deutschland lediglich 25 . Um diesen Trend nicht weiter voranzutreiben, müssen die Apotheken vor zusätzlichen Belastungen geschützt werden, besonders da 83,3 Prozent des Gesamtumsatzes der inländischen Apotheken durch verschreibungspflich- tige Medikamente erwirtschaftet werden . Durch die der- zeitige Situation droht ein massives Verlustgeschäft für die Apotheker und damit ein Ende der gesicherten flä- chendeckenden Versorgung . Über die Hälfte der Menschen in Deutschland leben im ländlichen Raum . Und wenn in Berlin, Hamburg, München oder Köln – um nur einmal die vier größten Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 2017 21333 (A) (C) (B) (D) Städte unseres Landes zu nennen – die Versorgung mit Apotheken kaum eine Rolle spielt, ist die Frage nach wohnortnaher Versorgung außerhalb Großstädten eine immens wichtige . Besonders an Wochenenden, Feierta- gen und in der Nacht ist es von großer Bedeutung, gut erreichbare Apotheken im direkten Umfeld zu finden. Das führt mich auch zu einer weiteren wichtigen Frage: Vor welchen Herausforderungen steht das Gesundheits- system im ländlichen Raum, und wie können wir diesen Bewegungen entgegenwirken? Ich bin froh, dass sich CDU und CSU der Themen des ländlichen Raums annehmen . Schauen wir auf die Herausforderungen der demografischen Entwicklung und die der Infrastruktur im ländlichen Raum, so sind es immer die unionsgeführte Bundesregierung sowie unsere Minister und Abgeordneten gewesen, die ein be- sonderes Gespür für die Situation des ländlichen Raums haben . Das sieht man auch gerade im Bereich der Ge- sundheitspolitik . Das GKV-Versorgungsstrukturgesetz stärkt seit 2012 die ambulante ärztliche Versorgung . Mit dem anknüpfenden Versorgungsstärkungsgesetz haben wir strukturschwache Regionen und den Arztnachwuchs im ländlichen Raum gestärkt . Das Krankenhausstruktur- gesetz festigt die Situation der Versorgung mit bedarfs- notwendigen Krankenhäusern und damit den stationä- ren Bereich im gesamten Land, gleichzeitig wirkt auch das Hospiz- und Palliativversorgungsgesetz weiter . Im Bereich der Pflege haben wir die finanziellen Mittel ge- stärkt, die Städte und Kommunen vor Ort abrufen kön- nen. Mit den Pflegestärkungsgesetzen I, II und III liefern wir sehr gute und flächendeckend wirksame Lösungen für Pflegebedürftige, Pflegeeinrichtungen und pflegende Angehörige . Das alles ist Unionspolitik . Das alles führt zu einer ganzheitlichen Gesundheitspolitik . Das ist unser Weg, den wir tagein, tagaus fortschreiben . Ich bin dem Bun- desminister Gröhe, seinem Haus und meinen Kollegin- nen und Kollegen in der Arbeitsgruppe Gesundheit für die gute Arbeit dankbar. Davon profitieren alle Patien- tinnen und Patienten sowie Pflegebedürftige und deren Angehörige . Sabine Dittmar (SPD): Gute, wohnortnahe und si- chere Arzneimittelversorgung ist für die SPD-Fraktion ein ganz wichtiges Thema . Uns – und nachdem ich über 15 Jahre im ländlichen Raum als Hausärztin sehr eng mit meiner Präsenzapotheke zusammengearbeitet habe, auch mir ganz besonders – ist sehr wohl bewusst, dass die Präsenzapotheken hier eine ganz, ganz wichtige Rol- le spielen . Deswegen ist es uns ein Anliegen, die Offizinapothe- ke zu stärken . Dass wir dieses Ziel mit Nachdruck ver- folgen, ist, glaube ich, mehr als deutlich geworden: Es gibt seit 2013 den Fonds für Nacht- und Notdienst, wir haben den Apothekenzuschlag auf 8,35 Euro erhöht und den Abschlag auf 1,77 Euro reduziert, wir haben die Pro- blematik der Retaxationen geregelt und beschäftigen uns aktuell mit der Zytostatika-Ausschreibung . Darüber hi- naus sollen künftig Rezepturen und BtM besser vergütet werden . Bislang spielte die Konkurrenz durch den Versand- handel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln (RX) keine große Rolle . Auch in der Versorgung spielt der RX-Versandhandel mit einem Anteil von 1,5 Prozent keine große Rolle, aber man kann auch nicht sagen, dass er keine Rolle spielt . Fakt ist, dass die Einführung des Versandhandels unsere von allen hochgeschätzte flächen- deckende Apothekenlandschaft nicht gefährdet hat . Seit dem EuGH-Urteil vom 19 . Oktober 2016 stellt sich die Situation allerdings anders dar: Die nun mög- liche Rabattgewährung durch europäische Versender verzerrt die Wettbewerbsbedingungen . Uns ist es daher wichtig, hier wieder gleiche Wettbewerbsbedingungen herzustellen und gleichzeitig dem Verbraucher alle bis- herigen Vertriebswege zu erhalten . Unser Ziel ist es, den Status quo vor dem 19 . Oktober 2016 wieder herzustel- len . Das kann nur sehr schwer durch ein RX-Versandhan- delsverbot geschehen, wie die Linke in ihrem Antrag vorschlägt . Im Gegenteil: Eine solche Lösung würde in manchen Bereichen die Versorgung erschweren, wenn nicht verschlechtern . Der RX-Versandhandel spielt schließlich nicht nur für europäische Versandapotheken eine Rolle, sondern auch für deutsche Apotheken . Lassen Sie mich dies an zwei Beispielen festmachen: Die Versorgung in ländlichen, strukturschwachen Regionen wird sehr häufig durch Rezeptsammelstellen und die Zustellung durch den sogenannten Botendienst gewährleistet . Nach der Apothekenbetriebsordnung sind die Voraussetzungen für diesen Botendienst sehr restrik- tiv . Mir haben Apotheker bestätigt, dass für einen organi- sierten, strukturierten und auch beworbenen Botendienst, wie ihn glücklicherweise gerade Apotheken in ländlichen Regionen anbieten, die Rechtsgrundlage des RX-Versan- des sinnvoll ist . Die Apothekenbetriebsordnung erlaubt schließlich nur den Botendienst im Einzelfall, sodass sich die Apotheker oft in eine rechtliche Grauzone be- geben würden bei der Beratungspflicht und der Zustel- lung durch Hilfspersonal . Es wird dem Gesetzgeber sehr schwer fallen, hier eine trennscharfe Abgrenzung zum Versandhandel zu definieren, ohne dass es zu einem or- ganisatorischen Mehraufwand und insbesondere einem beträchtlichen Mehraufwand beim Einsatz von Fachper- sonal kommt . Zudem müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass ein Versandhandelsverbot insbesondere die Versorgung für seltene Erkrankungen erschweren würde, da in diesen Bereichen oft Fertigarzneimittel vom Markt genommen werden . Derzeit wird die Versorgung mit speziellen Re- zepturen und Arzneimitteln zu großen Teilen über einige wenige hochspezialisierte deutsche Versandapotheken sichergestellt. Spina-Bifida-Patienten, also Patienten, die unter anderem unter eingeschränkter Blasenfunkti- on leiden, werden derzeit beispielsweise von wenigen deutschen Versandapotheken mit Oxybutynin-Instilla- tionsspritzen versorgt . Wie wollen Sie diesen Patienten erklären, dass sie ihre Spritzen, die sie für Teilhabe be- nötigen, künftig nicht mehr wie gewohnt über den Ver- sandhandel erhalten können, sondern die Versorgung – in Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 201721334 (A) (C) (B) (D) welcher Form auch immer – aufwendiger und bürokrati- scher wird? Auf solche speziellen Versorgungsbedürfnisse liefert Ihr Antrag für ein Versandhandelsverbot keine zufrieden- stellenden Antworten . Ich denke deshalb, es lohnt, darü- ber nachzudenken, ob es auch andere Möglichkeiten gibt, die Spieße im Wettbewerb wieder gleich lang zu machen . Eine Lösung könnte im SGB V liegen . Dort könnte man den § 129 für alle Partner des Rahmenvertrages zur Arz- neimittelversorgung so anpassen, dass es gleiche und rechtlich verbindliche Vertragsbedingungen für alle gibt, und dort die Sanktionsmöglichkeiten auch schärfen . Im Prinzip soll das Arzneimittelpreisrecht, das in un- serem Gesundheitssystem nicht nur die Vergütung für eine Warenabgabe darstellt, sondern durch seine Steue- rungs- und Lenkungselemente ein wesentlicher Bestand- teil der Organisation unseres Gesundheitswesens und der medizinischen Versorgung ist, in die Sozialgesetzgebung übertragen werden . Damit läge es in der alleinigen natio- nalstaatlichen Zuständigkeit, wie wir es im Übrigen auch bei der Vergütung von allen anderen Heilberufen tun . Ich bin davon überzeugt, dass eine solche Regelung über das SGB nicht nur eine sehr viel bessere, sondern vor allem eine viel schnellere Antwort auf das EuGH-Ur- teil liefert als ein RX-Versandhandelsverbot . Denn be- kanntlich müsste ein Verbotsverfahren ein langwieriges EU-Notifizierungsverfahren durchlaufen. So lange wol- len wir die Apotheker aber nicht im Regen stehen lassen . Wenn Ihnen die Arzneimittelversorgung und die Apo- thekenlandschaft also wirklich wichtig sind, dann unter- stützen Sie uns bei einer pragmatischen und zeitnahen Lösung . Dr. Edgar Franke (SPD): Wir alle haben doch ein gemeinsames Ziel: Unser gemeinsames Ziel ist es, neben einer flächendeckenden ärztlichen Versorgung eine aus- reichende Anzahl von Apotheken gerade im ländlichen Bereich zu sichern . Wir haben dazu ja auch bereits im November vergan- genen Jahres in unserer Debatte zum Arzneimittelver- sorgungsstärkungsgesetz (AMVSG) einige Vorschlä- ge beraten . Ich darf daran erinnern: Die Vergütung für Apotheker soll um insgesamt 100 Millionen Euro ange- hoben werden . Wir wollen darüber hinaus die fachliche Beratungskompetenz der Apotheker, zum Beispiel beim Medikationsplan, nicht nur besser nutzen, sondern auch besser honorieren . Wir brauchen gerade in der Fläche eine hochwertige Arzneimittelversorgung und Apotheken, die auch wirt- schaftlich arbeiten können . Ich komme aus dem ländli- chen Raum und weiß deshalb genau, wovon ich rede . Nach dem kürzlich ergangenen Urteil des Europäi- schen Gerichtshofs sind ausländische Versandapotheken nunmehr im Gegensatz zu deutschen Apotheken nicht mehr an die einheitlichen Apothekenabgabepreise ge- bunden . Mit Boni, inzwischen sogar nicht nur in Form von Gutscheinen, sondern auch mit konkreten finanziel- len Zuwendungen, und Rabatten treten sie somit in einen ungleichen Wettbewerb mit den niedergelassenen Apo- theken vor Ort . Das ist aus meiner Sicht, aus Sicht der Sozialdemo- kraten, nicht akzeptabel! Es besteht also durchaus die Gefahr, dass die flächendeckende Versorgung mit klei- nen stationären Apotheken durch einen harten unfairen Preiswettbewerb beeinträchtigt werden könnte . Darauf müssen wir als Politik reagieren! Falsch ist es aus meiner Sicht allerdings, darauf mit einem gesetzgeberischen Schnellschuss zu reagieren . Das habe ich in den vergangenen Wochen in zahlreichen Interviews und Statements immer wieder betont . Nun hat aber der von mir ansonsten sehr geschätzte Bundesge- sundheitsminister einen solchen Schnellschuss in Form eines Referentenentwurfes vorgelegt, mit dem der Ver- sandhandel von rezeptpflichtigen Arzneimitteln generell verboten werden soll . Nicht nur das: Auch die niederge- lassene Apotheke soll in Zukunft nur noch in ganz be- sonderen Ausnahmefällen Medikamente ausliefern dür- fen, in gewissen Konstellationen muss dies sogar explizit durch pharmazeutisches Personal erfolgen . Das würde eindeutig eine Verschlechterung der Versorgung mit Arz- neimitteln – gerade auf dem Land – bedeuten . Ich habe zudem Zweifel, ob ein Komplettverbot des Versandhandels für verschreibungspflichtige Medika- mente auch europarechtlich zulässig ist . Mir liegt ein Gutachten von Professor Dr . Christian Koenig vor . Er stellt fest, dass der Referentenentwurf europarechtlichen Anforderungen nicht genügt . Er wertet – ich zitiere – eine solche mitgliedstaatliche Beschränkungsregulierung „ins Blaue“ als einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen die – EU-ausländische Versandapotheken indivi- dualschützende – Freiheit des Warenverkehrs . Mit dem hier heute zu diskutierenden Antrag fordert auch die Linke, den Versandhandel mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln zu verbieten . Aber: Der Versandhandel er- gänzt gerade die Möglichkeiten für die Patientinnen und Patienten auf dem Land und verbessert damit die Versor- gung . Mit einem Verbot helfen wir niemandem . Darüber hinaus machen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, nicht einen einzigen Vorschlag, mit dem wir die niedergelassenen Apotheken in unserem Land tatsächlich stärken können . Doch genau darum geht es! Wir brauchen eine Lö- sung, die heimische Apotheken vor unfairem Wettbewerb schützt und den Versandhandel dabei nicht grundsätzlich verbietet . Ich bin überzeugt, dass man im § 129 SGB V, der den Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung regelt, einen Weg finden kann, um einen fairen Wettbe- werb zwischen stationärer und Versandapotheke zu ge- währleisten . Im Übrigen: Sie wissen, ein RX-Versandhandelsver- bot tritt nicht so einfach in Kraft, jedenfalls nicht mit einem einfachen Beschluss des Bundestages . Vielmehr müssen wir im Rahmen eines EU-Notifizierungsver- fahrens in Brüssel anderen EU-Mitgliedstaaten mehrere Monate Zeit geben, Bedenken anzumelden, mit offenem tatsächlichem und rechtlichem Ausgang! Das hat heute auch der EU-Kommissar für Gesundheit, S . E . Vytenis Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 2017 21335 (A) (C) (B) (D) Andriukaitis, im Gesundheitsausschuss des Bundestages ausdrücklich bestätigt . Wenn wir also stattdessen eine pragmatische Lösung im § 129 SGB V umsetzen würden, wäre kurzfristig und vor allem rechtssicher ein fairer Interessenausgleich zwi- schen den niedergelassenen Apotheken und dem Ver- sandhandel möglich . Ich denke, dies ist ein Kompromiss, mit dem eigentlich alle leben könnten . Aus meiner Sicht ist ein generelles Verbot des Ver- sandhandels für verschreibungspflichtige Arzneimittel in der digitalen Welt von heute ein Rezept von gestern . Kathrin Vogler (DIE LINKE): Worum geht es? Die Linke fordert schon lange das gesetzliche Verbot des Ver- sandhandels mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln. Dabei geht es uns vor allem um die Sicherheit der Patientinnen und Patienten und um die flächendeckende Versorgung mit Arzneimitteln . Dass das Thema aktuell ist, verdanken wir dem Europäischen Gerichtshof, der die in Deutsch- land geltende Preisbindung für rezeptpflichtige Medika- mente aufgehoben hat – allerdings nur für ausländische Versandapotheken . Die Linke will die Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln aber nicht global agierenden Handelsket- ten überlassen. Verschreibungspflichtige Medikamente gehören in fachkundige Hände von Apothekerinnen und Apothekern und nicht in den Pakettransporter . Außerdem ist der Internethandel ein wichtiges Einfallstor für Arz- neimittelfälschungen . Internationale Versandhändler werben mit Preisnach- lässen und Bonuszahlungen um die Patientinnen und Patienten, insbesondere um solche mit chronischen Er- krankungen und teuren Medikamenten . Das ist für die Patientinnen und Patienten vor allem deshalb attraktiv, weil sie durch Zuzahlungen auf Arzneimittel fürs Krank- sein finanziell bestraft werden. Deswegen wird auch meine Partei im Bundestagswahlkampf die Abschaffung dieser Strafgebühr für Kranke wieder auf die Tagesord- nung setzen . Warum sind wir trotzdem gegen den Versand? In In- ternetapotheken bestellen kann man nur, wenn der Bedarf zeitlich planbar ist . Für Notfälle und am Wochenende ist das nichts . Jeder braucht darum eine Apotheke in der Nähe, die auch nachts und an Feiertagen Notdienst leis- tet . Viele Apotheken liefern übrigens kostenlos Medika- mente, oft noch am selben Tag . Die Arzneimittel werden ins Haus gebracht, aber eben nicht nur durch Paketzustel- ler, sondern durch pharmazeutisch geschulte Fachkräfte . Das ist sicherer und schneller noch dazu . Wenn wir dem Versandhandel erlauben, sich die Rosinen herauszupi- cken, indem sie die teuren Arzneimittel für chronisch Kranke liefern, aber keine Beratung vor Ort und keinen Nachtdienst anbieten, dann gefährden wir das Überleben von Apotheken auf dem Land . Natürlich haben wir kei- nen grundsätzlichen Mangel an Apotheken hierzulande, und den meisten geht es wirtschaftlich gut, aber gerade in ländlichen Regionen ist das anders . Ich habe mit Apothe- kern aus kleinen Orten in meinem Wahlkreis gesprochen und mir zeigen lassen, wie sie die Versorgung der Land- bevölkerung sicherstellen: oft mit Beratungsangeboten und Dienstleistungen, die weit über das Angebot einer Großstadtapotheke hinausgehen . Diese wichtige Infra- struktur müssen wir bewahren . Gesamtgesellschaftlich sind Boni und Preisnachlässe in den Apotheken kein wirksames Rezept gegen die ex- plodierenden Arzneimittelkosten im Gesundheitswesen . Von knapp 40 Milliarden Euro Ausgaben für Arzneimit- tel entfällt nur ein kleiner Anteil auf die Apotheken, und die wiederum können davon nur einen kleinen Anteil als Rabatt gewähren . Wer an die Kosten für Arzneimittel rangehen will, der muss den Pharmakonzernen ihre teils zweistelligen Renditen streitig machen . Aber die Bun- desregierung fasst die Pharmaindustrie weiter mit Samt- handschuhen an und lässt gigantische Einsparpotenziale ungenutzt . Meine Fraktion und ich haben diesen Antrag heute eingebracht, weil wir Druck machen wollten . Das scheint ja auch gelungen zu sein . Schon sehr schnell nach dem EuGH-Urteil gab es eine Initiative aus den Bundeslän- dern, auch unterstützt von Thüringen und Brandenburg . Dann hat Minister Gröhe einen Gesetzentwurf zum Verbot des Versandhandels angekündigt, auf den wir gespannt warten . Aber die SPD und namentlich Herr Lauterbach tut sich extrem schwer damit . Ich will mal nicht unterstellen, dass das Sponsoring von DocMorris in Richtung SPD und Seeheimer Kreis dafür die Motivati- onshilfe war; das wäre doch gar zu billig . Aber dass Sie, Herr Lauterbach, als Abgeordneter aus dem Wahlkreis Düren für ein paar Boni riskieren würden, dass die letzte Apotheke in Heimbach oder Inden für immer schließen muss, das finde ich absolut unverantwortlich. In der Deutschen Apotheker Zeitung haben Sie dann vorgeschlagen, den Apothekern Extrahonorare zu zahlen, wenn sie Beratungskabinen einrichten . Das ist einfach nur peinlich . Erstens sind die Apotheker schon heute ge- setzlich verpflichtet, Beratungsräume vorzuhalten, nicht nur Kabinen. Und zweitens ist es offensichtlich, dass Sie mit diesem Vorschlag lediglich auf Zeit spielen . Denn das von Ihrem Parteivorsitzenden Gabriel geführte Bun- deswirtschaftsministerium hat ein Gutachten zum Apo- thekenhonorar in Auftrag gegeben, das erst im Herbst nach der Bundestagswahl fertig sein soll . Was dabei he- rauskommt, ist offen. Ein Schuft, wer Böses dabei denkt. Inzwischen scheinen Sie sich ja auch dem Kern des Pudels anzunähern: Ihr jüngst auf Twitter vorgetragener Vorschlag, zusammen mit dem Versandhandelsverbot zu- mindest chronisch Kranken die Zuzahlungen auf Medi- kamente zu erlassen, der weist ja in die richtige Richtung . Wenn sich CDU/CSU und SPD nun darauf verständigen könnten, in einem Gesetzentwurf gleich zwei Forderun- gen der Linken zumindest teilweise zu verwirklichen, dann hätte unser heutiger Antrag wirklich seinen Zweck erfüllt und wieder einmal gezeigt: Links wirkt . Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Der Antrag der Linken gibt zwar vor, die Arznei- mittelversorgung sicherzustellen, erfüllt diesen Anspruch aber in keiner Weise . Anstatt Wege für gute und wohn- ortnahe Arzneimittelversorgung, insbesondere im ländli- chen Raum, aufzuzeigen, ist ihr einziger Vorschlag, den Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 201721336 (A) (C) (B) (D) Versand verschreibungspflichtiger Medikamente zu ver- bieten . Das ist auch das Anliegen des Gesetzentwurfes von Gesundheitsminister Gröhe, der sein falsches, weil nicht zielführendes Spiel mit den Apotheken fortführt . Auch der Kuhhandel des SPD-Kollegen Lauterbach ist kein Beitrag zur Problemlösung, sondern eher zur Poli- tikverdrossenheit . Die eigentlich zu lösenden Probleme sind: erstens die durch das EuGH-Urteil vom vergangenen Oktober ent- standene Ungleichbehandlung von in- und ausländischen Apotheken in der Preisbindung: Boni von bis zu 30 Euro je Rezept, mit denen ausländische Apotheken seit dem Urteil werben, sind nicht hinnehmbar . Wettbewerb braucht wieder ein sozialverträgliches Maß . Gefunden werden muss eine Lösung innerhalb der Apothekenver- gütung, die verfassungs- und europarechtlich sicher ist . Zweitens die Sicherstellung der Versorgung in länd- lichen Regionen: Ähnlich wie bei der ärztlichen Versor- gung brauchen wir dringend regionale Konzepte sowohl für Patientinnen und Patienten als auch für Apotheken im ländlichen Raum . Grundlegende Innovationen in der Arzneimittelversorgung sind überfällig . Es stellt sich also die Frage, ob das geforderte Ver- bot des Versandhandels, der bisher kaum 3 Prozent des Gesamtmarktes ausmacht, diese Probleme löst und da- mit die wohnortnahe Arzneimittelversorgung sicherstellt . Daran haben wir erhebliche Zweifel, auch weil die Argu- mente der Verbotsbefürworter sich immer wieder auf An- nahmen stützen, die nicht belegt und vom EuGH bereits als nicht glaubhaft zurückgewiesen wurden . Den vielen an chronischen Erkrankungen leidenden Menschen, den älteren und immobilen Menschen und denjenigen, die heute schon zu weit von der nächsten Apotheke entfernt wohnen, helfen die vorliegenden Initi- ativen nicht . Ebenso wenig der ländlichen Apotheke, die schon heute mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hat . Wir fordern deswegen, die Interessen der Patientinnen und Patienten tatsächlich in den Vordergrund zu stellen, die Probleme schnell, realistisch und ohne Populismus zu lösen und das Urteil des EuGH als Anlass zu nehmen, die Arzneimittelversorgung an die heutigen Bedürfnisse anzupassen. Voraussetzung dafür ist die Offenlegung der statistischen und empirischen Erkenntnisse, die Gröhes Gesetzentwurf zugrunde liegen . Darüber hinaus sind Konzepte zur Sicherstellung der Gesundheitsversorgung, insbesondere der Arzneimittelversorgung, gemeinsam mit Bundesländern, Regionen und der Bevölkerung zu erarbeiten . Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von den Abgeordneten Azize Tank, Katja Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiteren Abgeordneten und der Frak- tion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs ei- nes ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Aufnahme sozialer Grundrechte in das Grundge- setz) (Tagesordnungspunkt 18) Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU): In der 16 . Wahlperiode des Deutschen Bundestages hatten die Linken einen nahezu identischen Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag eingebracht . Dieser ist ohne eine Debatte der Diskontinuität anheimgefallen . Diese Woche bringt die Linke erneut einen Gesetzentwurf ein . Sofern dieser Entwurf nicht ebenfalls der Diskontinuität über- antwortet wird, wage ich die Prognose, dass Sie die zur Verfassungsänderung erforderliche Zweidrittelmehrheit verfehlen werden . Selbst wenn Ihre Behauptung zuträfe, die Durchset- zung sozialer Menschenrechte sei nur ungenügend ge- währleistet, würde sich mit Ihrem Gesetzentwurf am Status quo nichts ändern . Mit anderen Worten: Der Ge- setzentwurf ist überflüssig. Obwohl das Sozialstaatsprinzip in unserer Verfas- sung bereits in Artikel 20 Absatz 1 und 28 Absatz 1 des Grundgesetzes verankert ist, wollen Sie zusätzlich einen Artikel 1a aufnehmen . Dieser lautet „Jeder Mensch hat das Recht auf soziale Sicherheit. Der Staat ist verpflich- tet, kollektive soziale Sicherungssysteme zu schaffen. Jeder Mensch hat das Recht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, das ihm diejeni- gen materiellen Voraussetzungen zusichert, die für seine Existenz und Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind . Das Existenzmi- nimum ist sanktionsfrei zu gewährleisten .“ Als ich Ihre Forderung nach der Verpflichtung zur Schaffung sozialer Sicherungssysteme gelesen habe, konnte ich mich nur wundern: Es ist Gegenstand sämt- licher deutscher Schullehrpläne, dass schon Bismarck soziale Sicherungssysteme geschaffen hat. Und seit Bismarck hat sich noch einmal viel getan . Aus dem Sozi- alstaatsprinzip der Artikel 20 Absatz 1 GG und Artikel 87 Absatz 2 ergibt sich bereits, dass die Schaffung sozialer Sicherungssysteme zum Schutz der sozialen Existenz Grundaufgabe des Staates ist . Schon seit Jahrzehnten erhalten Bedürftige in Deutschland Sozialhilfe . Im Hartz-IV-Urteil des Bundes- verfassungsgerichts vom 9 . Februar 2010 hat das Gericht ausgeführt, dass aus Artikel 1 Absatz 1 in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Artikels 20 Absatz 1 GG ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdi- gen Existenzminimums folgt . Daraus ergibt sich ein ver- fassungsunmittelbarer Anspruch auf Sozialleistungen: Jedem Hilfebedürftigen stehen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind . Ihre Forderung nach sanktionsfreier Gewährleistung des Existenzminimums würde nichts anderes bedeuten als ein Grundrecht auf ein bedingungsloses Grundein- kommen auf Hartz-IV-Niveau . Das lehnt meine Fraktion ab . Jeder Mensch hat in unserem Sozialstaat Anspruch auf Gewährleistung des Existenzminimums, wenn er in Not geraten ist . Aber die Gesamtgesellschaft, die die Unter- stützung finanziert, hat auch einen Anspruch darauf, dass Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 2017 21337 (A) (C) (B) (D) dieser Mensch versucht, finanziell wieder auf die Beine zu kommen . Und wenn dafür etwa seine Mitwirkung bei der Arbeitsplatzsuche erforderlich ist, dann ist das keine Zumutung, sondern eine Selbstverständlichkeit . Sie versprechen sich von einer verfassungsrechtlichen Konkretisierung wirtschaftlicher und sozialer Rechte eine verbesserte rechtliche Durchsetzbarkeit und behaupten, die Ausgestaltung des Sozialstaatsprinzips durch soziale Grundrechte gebe der verfassungsrechtlichen Rechtspre- chung konkrete Maßstäbe an die Hand . Abgesehen davon, dass man die von Ihnen sogenann- ten Maßstäbe in Ihrem Gesetzentwurf suchen muss, sind diese wenig konkret . Dazu kommt, dass Ihre Annahme, man müsse möglichst viel ins Grundgesetz schreiben, dann werde schon alles gut, sehr naiv ist . Es ist aber ein Trugschluss, dass die Ergänzung des Grundgesetzes generell zu einer verbesserten Durchset- zung von Rechten führen würde . Das gilt einmal für die Forderung nach Aufnahme weiterer Staatszielbestim- mungen . Das gilt aber auch für die von Ihnen geforderte Aufnahme weiterer Grundrechte . Selbst Grundrechte werden nicht schrankenlos ge- währt . Grundrechte sind mit geschriebenen und unge- schriebenen verfassungsrechtlichen Schranken versehen . Selbst wenn diese Schranken wieder Grenzen haben, die sogenannten Schranken-Schranken, bleibt der effektive Wirkungsbereich der Grundrechte mitunter weit hinter ihrem Schutzbereich zurück . Das gilt auch für die von Ihnen vorgeschlagenen und sogenannten sozialen Grund- rechte . Schließlich müssen Sie auch die anderen Grundrechte im Blick haben, die möglicherweise entgegenstehen . In Artikel 9 Absatz 4 Ihres Gesetzentwurfs wollen Sie etwa das Streikrecht ohne Einschränkungen gewährleisten . Es soll auch das Recht zum politischen Streik umfassen . Aussperrungen sollen rechtswidrig sein . Ich sehe da auf den ersten Blick einen Konflikt mit dem kollidierenden Grundrecht der Koalitionsfreiheit der Arbeitgeberseite aus Artikel 9. Dazu findet sich in Ihrem Gesetzentwurf nichts . Das Grundgesetz sollte die wichtigsten Regeln für Bürger und Staat enthalten . Mit jeder zusätzlichen Er- gänzung werden die bisherigen Regelungen in den Hin- tergrund gedrängt und damit relativiert . Die Aufnahme immer neuer Vorschriften wird tendenziell zu einer Über- frachtung des Grundgesetzes führen . Deshalb ist aus Sicht der Union Zurückhaltung geboten . Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion lehnt den Gesetz- entwurf ab . Dr. Silke Launert (CDU/CSU): Die Idee, soziale Grundrechte in das Grundgesetz einzuführen, ist nicht neu; immer wieder gibt es aufflammende Vorstöße in Richtung Konkretisierung unseres verfassungsrechtlich verankerten Sozialstaatsgebots . So werden regelmäßig das bedingungslose Grundeinkommen gefordert sowie die Grundrechte auf Arbeit, Wohnung und Bildung . Der vorliegende Gesetzentwurf stellt nun eben diese Forderungen erneut zur Diskussion . Er verkauft sie dem Leser als geradezu zwingend notwendig, da die Men- schen in Deutschland „nicht über die elementaren sozi- alen Rechte verfügen“ würden und die „Durchsetzung Sozialer Menschenrechte gegenwärtig nur ungenügend gewährleistet“ sei . Der Gesetzentwurf lässt einen fast glauben, unser Grundgesetz sei menschenfeindlich . Kurzum: Der Gesetzentwurf spielt sich auf zum Ret- ter des Sozialstaats und unserer demokratischen Gesell- schaft. Und jeder, der das anders sieht, ist offenbar dem Untergang geweiht . Dabei leugnet der Gesetzentwurf aber in, wie ich finde, geradezu verächtlicher Art und Weise, dass unsere Ver- fassung, deren oberster Grundsatz der Schutz der Men- schenwürde ist, eine Ordnung ist, die wie keine andere in der deutschen Geschichte zuvor die Menschenrechte garantiert und die die Grundlage eines nie gekannten ge- sellschaftlichen Wohlstands und sozialer Sicherung ist . Und wer diese gesellschaftliche und politische Reali- tät der Bundesrepublik derart verfälscht, lässt kaum ver- deckt, welch Geistes Kind er wirklich ist: Dieser Gesetz- entwurf zeigt einmal mehr, dass die Fraktion Die Linke in weiten Teilen in der Tradition ihrer kommunistischen Ahnen steht, die zur Demokratie allenfalls ein taktisches Verhältnis pflegten. Und nun zum Gesetzentwurf im Einzelnen, bei dem ich mich auf zwei der konkreten Vorschläge beschränken will: In einem neuen Artikel 1a des Grundgesetzes soll das Recht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verankert werden . Und zwar sank- tionsfrei . In der Antragsbegründung heißt es erläuternd dazu: „Eine Koppelung der Leistungsgewährung an ei- nen Zwang zur Arbeit oder sonstige Pflichten der Betrof- fenen ist unzulässig .“ Dass jeder Bürger unserer Gesellschaft das Recht auf eine menschenwürdige Existenz hat, steht außer Zweifel . Darüber brauchen wir heute nicht zu diskutieren . Worüber wir aber offenbar diskutieren bzw. was wir klarstellen sollten, ist aber, dass mit diesem Recht auch eine Pflicht untrennbar verbunden ist. Und diese Pflicht besteht darin, nach Kräften zum eigenen Unterhalt bei- zutragen . Wer nicht arbeiten will, kann auch nicht verlangen, dass ein anderer für seinen Unterhalt aufkommt . Ganz einfach . Oder wie wollen Sie denn einem Mann, der Tag für Tag auf dem Bau schuftet, um seine Frau und seine drei kleinen Kinder zu ernähren, erklären, dass er Lohn-, Umsatz- und Ökosteuer zahlen soll, damit ein anderer nicht zu arbeiten braucht? Nein, solch eine Regelung wäre nicht nur unfair, sondern geradezu eine Ohrfeige für jeden Bürger, der schwer und pflichtbewusst arbeitet. Weiter stellt sich mir die Frage, wie dieses Grundrecht finanziert werden soll; das Geld fällt schließlich nicht vom Himmel . Wenn wir davon ausgehen, dass das Exis- tenzminimum bei etwa 1 000 Euro pro Monat liegt, dann würde das einen Finanzbedarf von etwa 1 000 Milliarden Euro pro Jahr nach sich ziehen . Im Vergleich dazu: Die Steuereinnahmen im letzten Jahr beliefen sich auf etwa Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 201721338 (A) (C) (B) (D) 700 Milliarden Euro . Ich denke, diese Zahlen sprechen für sich . Aber immerhin wird im Antrag die Prognose gestellt, dass sich der Sozialstaat positiv auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit auswirken werde . Dies nenne ich eine mutige Prognose; denn ich habe eher die Vermutung, dass die Arbeitsmotivation leiden wird, wenn die Bin- dung zwischen Arbeit und Lohn aufgehoben wird, und zwar beim Empfänger wie beim Geber . Oder glauben Sie ernsthaft, dass sich noch irgendwer anstrengen wür- de? Wenn jeder fürs Nichtstun Geld bekommt, wer soll dann noch morgens aufstehen? Und wer soll dann den Fortschritt bringen und die Steuern zahlen? Glauben Sie wirklich, dass wir führendes Exportland bleiben können, wenn wir uns auf diese Regelung einlassen? Wenn jeder nur noch das machen kann, was er will, wer soll dann die unattraktiven Jobs übernehmen? Für den Fall, dass aber doch jemand arbeiten will, soll es in einem neuen Artikel 3a schließlich auch das Grundrecht auf Arbeit geben . In der Begründung heißt es dazu, dass es sich dabei um ein subjektives „einklagba- res Grundrecht“ handeln soll . Das bedeutet also, dass der Staat zur Bereitstellung eines angemessenen Arbeitsplat- zes für jeden Bürger verpflichtet wäre. Der Staat müss- te demnach selbst Arbeitsplätze schaffen oder aber die Wirtschaft dazu veranlassen, für Arbeitsplätze zu sorgen . Tut er das nicht, muss er selbstverständlich für die finan- ziellen Folgen geradestehen, was mich erneut zu der Fra- ge nach den Kosten führt . Noch viel mehr als die Kosten treibt mich in diesem Zusammenhang aber um, dass der Staat im Falle des Be- stehens eines solchen Grundrechts zwangsläufig lenkend in den Arbeitsmarkt eingreifen müsste und er damit nicht zuletzt das Grundrecht auf freie Wahl des Berufs und Ar- beitsplatzes sowie die Tarifautonomie einschränken wür- de . Nein, meine sehr verehrten Damen und Herren, das wollen wir beim besten Willen nicht . Abschließend lässt sich also festhalten: Wer kon- kretisierte soziale Grundrechte fordert, muss dem Staat gehörige Eingriffsmöglichkeiten zugestehen samt ent- sprechender Zwangsmittel . Gleichzeitig muss er damit rechnen, dass der Staat in einem wirtschaftlichen Desas- ter endet . Dies haben wir bei den Experimenten diverser kommunistischer Staaten gesehen . Haben Sie denn schon vergessen, wie und warum die DDR scheiterte? Wollen Sie ernsthaft die Fehler aus der Vergangenheit wiederholen? Die Union will es jedenfalls nicht . Dr. Matthias Bartke (SPD): In dieser Legislatur ha- ben wir 65 Jahre Grundgesetz gefeiert . Zu Recht und mit Freude . Das Grundgesetz bildet bis heute eine menschen- freundliche und solide Grundlage unserer Demokratie . Nach den Zeiten des Nationalsozialismus hat uns das Grundgesetz einen Neubeginn in Frieden und Freiheit gesichert . Es hat die Fähigkeit, gesellschaftlichen Verän- derungen Raum zu geben: Es hat die Wiedervereinigung und die europäische Integration ermöglicht . Das Grundgesetz hat aber auch selbst eine gesell- schaftsverändernde Kraft . Erinnern wir uns nur an die sehr konkreten Urteile des Bundesverfassungsgerichts beispielsweise zur Gleichberechtigung der Frauen, zu den Rechten von Homosexuellen, zur Meinungsfreiheit, zum Schutz der Familie, zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung und – was Sie von der Fraktion Die Linke heute thematisieren – zum Recht auf ein men- schenwürdiges Existenzminimum . Das Grundgesetz ist die rechtliche Grundlage für un- ser Zusammenleben . Es ist das Fundament unserer Wer- teordnung, der Rechte jeder und jedes Einzelnen . Wir erleben in dieser Legislatur eine Zunahme von Hass und Hetze in der Bevölkerung . Das Grundgesetz ist dafür kein Freibrief . Im Gegenteil: Es gibt Grenzen vor, die niemand außer Kraft setzen darf . Grundrechte schützen den Einzelnen zugleich auch vor Übergriffen der öffentlichen Gewalt. Der Staat ist damit aufgefordert, grundrechtswidrige Eingriffe zu un- terlassen . Diese Abwehrrechte können notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht eingeklagt werden . Soziale Grundrechte hingegen haben nur sehr bedingt Eingang gefunden in unser Grundgesetz . Nichtsdesto- trotz haben ja auch Sie in Ihrem Linken-Gesetzentwurf erkannt, dass das Grundgesetz dennoch den sozialen Rechtsstaat fordert . Das Sozialstaatsgebot hat damit Verfassungsrang. Es verpflichtet den Gesetzgeber, die Rechtsprechung und die Verwaltung dazu, nach sozialen Gesichtspunkten zu handeln und auch die Rechtsordnung dementsprechend zu gestalten . Das ist keinesfalls wenig, auch wenn Sie das vielleicht so darstellen wollen . Das Bundesverwaltungsgericht hat in einer Entscheidung anerkannt, dass aus der Garantie der Menschenwürde ein subjektives Recht auf Sozialhil- fe folgt . Dieses Urteil schuf die Basis für das Recht auf Fürsorge . Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Recht- sprechung ebenso die Rechte aus der Sozialversicherung als Eigentum verstanden . Nicht zuletzt hat das Bundes- verfassungsgericht aus der Garantie der Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot die Verpflich- tung des Staates zur Gewährleistung eines menschen- würdigen Existenzminimums abgeleitet . Damit hat es klare Konturen für die soziale Sicherheit definiert. Dafür braucht es also keinen gesonderten Artikel im Grundge- setz mehr . Für ebenso unnötig halte ich die Forderung, im Grund- gesetz zu verankern, dass der Lohn einen angemessenen Lebensunterhalt sichern muss . Dafür haben wir bereits den Mindestlohn, für den wir in der SPD gegen alle Widerstände gekämpft und uns am Ende durchgesetzt haben . Inzwischen können wir sagen: Der Mindestlohn wirkt. 10 Prozent aller Beschäftigten profitieren vom Mindestlohn. Für die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hat das zu einer beachtlichen durch- schnittlichen Lohnerhöhung von 18 Prozent geführt . Und allen Unkenrufen zum Trotz war der Mindestlohn nicht das Ende des Abendlandes . Im Gegenteil: Die Ge- samtbeschäftigung in Deutschland ist weiter gestiegen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 2017 21339 (A) (C) (B) (D) Die SPD steht damit mehr als jede andere Partei für einen Lohn, der zum Leben reicht . Meine Damen und Herren der Linken, jetzt kommen Sie und fordern einen angemessenen Lebensunterhalt als Grundrecht . Dass eine solche Forderung gerade von der Partei kommt, die damals gerade nicht für den Mindest- lohn gestimmt hat, das ist nun wirklich ein Treppenwitz der Geschichte . Ich würde das aber mal als Hinweis neh- men, dass Sie Ihren Fehler eingesehen haben . Sie fordern außerdem das Recht auf eine menschen- würdige und diskriminierungsfrei zugängliche Wohnung . Als Grundrecht würde das den Staat verpflichten, jedem Bürger eine solche Wohnung zu verschaffen. Wohnungen müssten also auf Staatskosten errichtet und vom Staat verwaltet werden . Wir sind aber kein Allversorgungs- staat . Der Staat kann jedoch in Bahnen lenken und Anreize setzen, und genau das ist es auch, was wir tun . Die Miet- preisbremse wie auch höheres Wohngeld und mehr Mit- tel für den sozialen Wohnungsbau sorgen dafür, dass gu- tes Wohnen in unserem Land nicht zum Luxusgut wird . Die Bundesmittel für die soziale Wohnraumförderung der Länder haben wir deswegen deutlich auf 1,5 Milliar- den Euro ab 2017 erhöht . Außerdem haben wir die Städ- tebauförderung auf 700 Millionen Euro jährlich erhöht . Sie wollen ein Recht zum politischen Streik . Be- gründung: Die auf Unternehmensseite liegende Verfü- gungsmacht über die Produktionsmittel ermögliche den Wirtschaftsunternehmerinnen und -unternehmern einen andauernden Druck auf den Staat . Unter der Vorherr- schaft des Kapitals bedürfe es deshalb eines Ausgleichs . Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Die Linke: Geht es auch ein bisschen weniger dramatisch? Wenn wir hier wirtschaftshörig wären, hätten wir uns we- der mit Mietpreisbremse noch mit Mindestlohn befasst; wir hätten nicht das Bestellerprinzip beim Maklerrecht eingeführt; wir würden uns nicht mit Verbraucherschutz befassen . Es wäre schön, wenn Sie ein realistischeres Bild unseres demokratischen Staates und seines Gesetz- gebers wahrnehmen und zeichnen würden . Um es kurz zu machen: Wir wollen keine politischen Streiks . Im Ar- beitskampf muss es um Arbeitsbedingungen gehen, und im Wahlkampf geht es dann um die Politik . Meine Damen und Herren von der Linken, es ist nicht so, als würden wir alles falsch finden, was Sie sagen. Auch uns liegt es am Herzen, dass niemand benachteiligt wird, dass Gesundheit geschützt und gefördert wird und dass jeder Zugang zu allen öffentlichen Bildungseinrich- tungen hat . Aber das alles sind Fragen der praktischen Politik. Dort muss der Sozialstaat umgesetzt und finan- ziert werden . Mit hehren Spezialgrundsätzen im Grund- gesetz ändern wir nichts . Das Grundgesetz ist für die Grundsätze zuständig und nicht für Detailregelungen nach dem Prinzip „a bis d“ . Wofür bereits an anderer Stelle ausreichend Sorge getra- gen ist, darf das Grundgesetz nicht unnötig belasten . Das sollte unser Maßstab sein . Und es gilt dennoch: Wenn wir nicht wollen, dass das Grundgesetz aus der Zeit fällt, müssen neue Erkenntnis- se und Bewertungen nach sorgsamer Abwägung Ein- gang finden können. Dem versperren wir uns nicht. Die SPD-Bundestagsfraktion macht sich seit Jahren für die Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz stark . Sie sehen also: In diesem Punkt ziehen wir am sel- ben Strang . Kinder sind im Verfassungstext bisher nur als Bezugspunkt des Elternrechts erwähnt . Dabei sind sie Träger von Rechten . Sie haben ein eigenes Recht auf Ent- faltung ihrer Persönlichkeit . Kinder sind beim Einfordern ihrer Rechte stets auf die Unterstützung durch andere an- gewiesen . Umso wichtiger sind spezielle, eigene und klar formulierte Rechte, die Kinder besonderen Schutz, best- mögliche Förderung und altersangemessene Beteiligung bieten . Wir wollen noch in dieser Legislaturperiode einen Gesetzentwurf zur Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz auf den Weg bringen . Wir appellieren an alle Fraktionen des Bundestags, uns in diesem Anliegen zu unterstützen . Azize Tank (DIE LINKE): Die Verwirklichung sozia- ler Menschenrechte ist eine unabdingbare Voraussetzung für ein würdevolles Leben in einer sozial gerechten Ge- sellschaft . Soziale Menschenrechte sind nicht etwa Al- mosen an Bedürftige, sondern völkerrechtlich verbriefte Menschenrechte, die jedem Menschen zustehen . Dazu gehören unter anderem das Recht auf Arbeit, gerechte und günstige Arbeitsbedingungen, angemessene Entloh- nung, soziale Sicherheit, das Recht auf einen angemes- senen Lebensstandard, ein Höchstmaß an geistiger und körperlicher Gesundheit, das Recht auf Bildung sowie Teilhabe am kulturellen Leben . Soziale, wirtschaftliche und kulturelle Menschenrech- te, oder kurz soziale Menschenrechte, sind im UN-So- zialpakt, der Europäischen Sozialcharta, der EU-Grund- rechtecharta sowie zahlreichen weiteren völkerrechtlich verbindlichen Abkommen geregelt . Menschenrechte gelten universell; sie sind gleich- wertig und unteilbar . Dennoch sind die sozialen Men- schenrechte immer noch nicht gleichberechtigt – wie die bürgerlichen und politischen Rechte – im Grundgesetz verankert . Damit können sie auch nicht mit einer Verfas- sungsbeschwerde eingeklagt werden . Dies will die Frak- tion Die Linke ändern . Der vorliegende Gesetzesentwurf zur Aufnahme sozialer Grundrechte ins Grundgesetz soll eine Lücke schließen, die seit dessen Verkündung im Grundgesetz klafft. Diese Lücke rührt vor allem aus den historischen Umständen, in denen das Grundgesetz nach den verheerenden Erfahrungen der Nazizeit entstanden ist . Damals standen die Rückkehr zum Rechtsstaat und die Gewährleistung elementarer politischer Grundrechte im Vordergrund . Heute steht aber die soziale Frage im Mittepunkt gesellschaftlicher Auseinandersetzungen . Soziale Un- gleichheit führt zu Spaltungen in der Bundesrepublik und gefährdet den gesellschaftlichen Frieden . Schon mit der Allgemeinen Erklärung der Men- schenrechte wurde international anerkannt, dass soziale Menschenrechte gleichrangig mit bürgerlichen und poli- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 201721340 (A) (C) (B) (D) tischen Menschenrechten sind . Sie müssen also auch zu- sammen gedacht und gleichberechtigt verwirklicht wer- den . Denn die beiden Dimensionen der Menschenrechte, also die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen und die bürgerlichen und politischen Rechte, sind nicht ge- gensätzlich, sondern bedingen einander . So gibt es zum Beispiel kein soziales Recht auf Gesundheit ohne das po- litische Recht auf körperliche Unversehrtheit . Die Verwirklichung sozialer Menschenrechte ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Sie betrifft jeden Men- schen . Wir brauchen schließlich nicht selbst krank zu sein, um ein Grundrecht auf Zugang zu Gesundheit zu verteidigen . So wie wir auch nicht erst in einer Diktatur leben müssen, um die Bedeutung des allgemeinen Wahl- rechts zu erkennen . Die sozialen Grundrechte dienen der gleichberechtig- ten gesellschaftlichen Teilhabe in allen Lebenslagen und der Freiheit des Menschen vor und von gesellschaftli- chen Zwängen . Sie sind somit tragende Säulen eines mo- dernen Sozialstaates . Das Grundgesetz definiert die Bundesrepublik Deutschland als sozialen Rechtsstaat . Der vorliegende Gesetzesentwurf zielt auf die Konkretisierung der Ver- pflichtung zur Sozialstaatlichkeit ab. Dies ist angesichts der sozialen Verwerfungen und Gefahren für den demo- kratischen Zusammenhalt unserer Gesellschaft heute dringend geboten und wichtiger denn je . Die Verankerung sozialer Grundrechte im Grundgesetz ist nicht zuletzt auch eine Konsequenz bereits bestehen- der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . In diesem Zusammenhang ist insbesondere die sogenannte „Hartz-IV“-Entscheidung von 2010 zu nennen, in der das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum für alle in Deutschland lebenden Menschen feststellt . Strukturelle Schwächen des Sozialstaatsprinzips kön- nen jedoch nicht allein von den Gerichten korrigiert wer- den . Vielmehr müssen soziale Grundrechte sichtbar ins Grundgesetz als individuelle Grundrechte aufgenommen werden . Soziale Menschenrechte werden in der Bundesrepu- blik vielfach missachtet . Der UN-Sozialausschuss, der für die Überwachung des UN-Sozialpaktes verantwort- lich ist, kritisiert die Bundesrepublik seit Jahren, insbe- sondere im Hinblick auf Diskriminierungen beim Zugang zu Bildung und zum Arbeitsmarkt . Die Bundesregierung verweigert bis heute die Unterzeichnung des Fakultativ- protokolls zum UN-Sozialpakt und die Ratifizierung der revidierten Europäischen Sozialcharta . Dadurch sind In- dividualbeschwerdeverfahren bei Vertragsverletzungen ausgeschlossen . Löhne und Sozialleistungen reichen zudem häufig nicht aus, um ein würdevolles Leben zu ermöglichen . Selbst in einem der reichsten Länder der Welt ist nahezu jedes fünfte Kind von Armut bedroht oder arm . Armutsbekämpfung und der Schutz sozialer Men- schenrechte sind eng miteinander verknüpft . Denn eine konsequente Armutsbekämpfung hebt nicht nur auf die Beseitigung wirtschaftlicher Mängelzustände ab, son- dern bezieht die Menschen als handelnde Akteure und individuelle Rechtsträger ein . Im Rahmen eines Fachgesprächs der Linken im März 2016 und einer internationalen Fachkonferenz im Oktober 2016 haben wir zusammen mit Wissenschaftle- rinnen und Wirtschaftlern, sozialen Verbänden und der Zivilgesellschaft die Notwendigkeit der Verankerung sozialer Menschenrechte im Grundgesetz sowie die kon- krete Ausgestaltung unseres Gesetzesentwurfs konsul- tiert und erörtert . Viele wichtige Ergänzungswünsche ha- ben wir in diesen Gesetzesentwurf aufgenommen . Dafür möchte ich ausdrücklich allen beteiligten Expertinnen und Experten und gesellschaftspolitischen Aktivistinnen und Aktivisten danken . Wenn wir unser Grundgesetz zukunftssicher gestalten wollen, müssen wir endlich auch soziale Grundrechte – wie bereits die bürgerlichen und politischen Rechte – da- rin aufnehmen . Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Ich bin dankbar für den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke, weil er ermöglicht, über die Be- deutung der sozialen Menschenrechte zu debattieren . Vor 50 Jahren – am 10 . Dezember 1966 – wurde der UN-Sozialpakt zu den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten, die sogenannten WSK-Rechte, ver- abschiedet . Die Bundesrepublik Deutschland ist dem Sozialpakt zehn Jahre später beigetreten . Damit sind sie neben den bürgerlichen und politischen Rechten, die die öffentliche Debatte über Menschenrechte dominieren, auch für Deutschland verbindlich . Es ist wichtig zu beto- nen, dass die WSK-Rechte keine Menschenrechte zwei- ter Klasse sind, sondern genauso wichtig sind wie die bürgerlichen und politischen Rechte . Der Umgang der Bundesregierung mit den sozialen Menschenrechten ist allerdings problematisch . So trat zwar, wie erwähnt, der Sozialpakt 1976 in Kraft; das Fa- kultativprotokoll von 2008, das es unter anderem ermög- licht, diese Rechte auch individuell einzuklagen, hat der Bundestag aber immer noch nicht ratifiziert. Das sollte endlich geschehen . Ähnliches gilt für die Europäische Sozialcharta . Auch hier wurde die ursprüngliche Sozialcharta aus dem Jahr 1961 ratifiziert. Die revidierte Sozialcharta aus dem Jahr 1996 wurde zwar von Deutschland unterschrieben, aber immer noch nicht ratifiziert – nach über 20 Jahren! Die Ratifizierung all dieser Dokumente ist überfällig. Der lasche Umgang der Bundesregierung mit sozia- len Menschenrechten und Grundrechten zeigt sich aber nicht nur bei internationalen Vereinbarungen, sondern auch bei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu sozialen Menschenrechten . So hat das Bundesverfas- sungsgericht in mehreren Urteilen betont, dass sich aus dem Grundgesetz ein Grundrecht und Menschenrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzmini- mums herleiten lässt . Dieses Grundrecht und Menschen- recht wird von der Regierung und der Großen Koalition immer wieder ignoriert und kleingeredet, sei es bei den Berechnungen des Regelsatzes, bei der Festlegung der Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 2017 21341 (A) (C) (B) (D) Leistungen für Asylbewerberinnen und Asylbewerber und zuletzt bei der Einschränkung des Anspruchs von Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern auf Grundsiche- rung . Außerdem gibt es immer noch 100-Prozent-Sankti- onen im Hartz-IV-System . Wenn die Leistung aber kom- plett gestrichen wird, ist offensichtlich das Grundrecht auf Existenzsicherung nicht gewährt . Wir fordern die Abschaffung der Sanktionen. Ein weiteres Beispiel ist, dass soziale Menschenrech- te für Geflüchtete in Deutschland nicht im notwendigen Maße gewährleistet sind, wie in dem kürzlich erschiene- nen Bericht „Entwicklung der Menschenrechtssituation in Deutschland“ des Deutschen Instituts für Menschen- rechte deutlich wird, das sich schwerpunktmäßig mit der Situation von Geflüchteten in Deutschland beschäftigt. Insbesondere der Zugang zu Gesundheitsleistungen ist dabei problematisch . Das Mindeste ist aber, endlich die finanziellen Leistungen anzugleichen und gleiche Leis- tungen für die Gesundheit zu schaffen. Das Einfachste und Sinnvollste wäre, das Asylbewerberleistungsgesetz abzuschaffen. Nicht zuletzt zeigt auch die hohe Zahl von Wohnungs- losen, dass auch in Deutschland soziale Menschenrechte, hier konkret das Recht auf Wohnen, verletzt werden . Es ist ein Skandal, dass es in Deutschland mehrere Hun- derttausend Menschen gibt, die wohnungslos sind und nach Schätzungen der BAG Wohnungslosenhilfe fast 40 000 Menschen sogar auf der Straße leben müssen . Das ist für ein reiches Land wie Deutschland eine Schande und muss beendet werden . Soziale Menschenrechte wie das Recht auf soziale Sicherheit und Wohnen, der Zugang zu Gesundheits- leistungen, Bildung und Arbeit müssten im Zentrum der Politik stehen . Es gibt allerdings ein Problem, und dazu zitiere ich Herrn Professor Eichenhofer aus seinem Buch „Soziale Menschenrechte im Völker-, europäischen und deutschen Recht“, Seiten 2 f .: „Warum sind die sozialen Menschenrechte in Deutschland dennoch weder allgemein bekannt, noch im Bewusstsein der Juristen, Politiker oder Bürger gegen- wärtig? Das hat mit dem GG zu tun . Wird in Deutschland über die Menschenrechte gesprochen, denken die meis- ten an die „Grundrechte“ . Die Menschenrechte heißen in Deutschland „Grundrechte“ . Deshalb scheinen diese mit jenen überein zu stimmen . Dagegen zeigen die sozialen Menschenrechte: Die Grundrechte machen nur einen Teil der Menschenrechte aus! Weil die Grundrechte die bür- gerlichen und politischen Menschenrechte umfassen, die sozialen Menschenrechte in den Grundrechten hingegen nicht vorkommen, werden sie gemeinhin als schlechter- dings inexistent betrachtet und deshalb geflissentlich ge- leugnet und bestenfalls ignoriert .“ Es gäbe also durchaus Grund, darüber nachzuden- ken, die Grundrechte zu ergänzen . Was den vorliegen- den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke angeht, sind wir allerdings skeptisch und finden, dass er über das Ziel hinausschießt . Im Grunde stehen die sozialen Menschen- rechte indirekt schon im Grundgesetz . So heißt es in Ar- tikel 1 Absatz 2: „Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrech- ten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt .“ Dazu gehören auch die sozialen Menschenrechte . In Kombi- nation mit dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes lassen sich daraus auch soziale Grundrechte herleiten, wie das Bundesverfassungsgericht mehrfach gezeigt hat . Das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes, die Europä- ische Grundrechtecharta, die Europäische Menschen- rechtskonvention, eine Vielzahl mit bundesgesetzlicher Wirkung geltender völkerrechtlicher Vereinbarungen, auch im Bereich wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte, und ihre jeweilige Ausformung durch die Recht- sprechung sind eine belastbare Grundlage . Und wenn wir das Grundgesetz ergänzen, sollten wir uns nicht in Details verlieren und die Grundrechte so for- mulieren, dass sie auch tatsächlich gewährt werden kön- nen und nicht nur bloße Absichtserklärungen sind . So könnte ich persönlich mir durchaus vorstellen, das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum, wie es das Bundesverfassungsgericht beschlossen hat, auch in das Grundgesetz zu übernehmen . Ich bin gespannt auf die Stellungnahmen von Expertinnen und Experten zu dem vorliegenden Gesetzentwurf und freue mich auf die Be- ratungen in den Ausschüssen . Viel wichtiger als das Grundgesetz zu ändern ist al- lerdings, dass die Bundesregierung die sozialen Grund- rechte endlich ernster nimmt und entsprechend politisch handelt . Denn sie gelten jetzt schon – auch ohne Grund- gesetzänderung . Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Alexander S. Neu, Andrej Hunko, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: US- und NATO-Stützpunkt Ramstein unverzüglich schließen (Tagesordnungspunkt 20) Thorsten Frei (CDU/CSU): Dieser Antrag ist ein Sinnbild Ihrer schiefen und verklärten Selbstdeutungen in außenpolitischen Themen . Das Beste daran ist, dass ich überzeugt bin, dass die SPD unter diesen Umständen niemals ein Abenteuer mit Ihnen eingehen wird . Es ist höchst beachtlich, wie Sie sich Ihre Wahrheit zurechtbie- gen und immer wieder wichtige Details unterschlagen . Sie betreiben damit nichts anderes als „Fake-Politik“ . In Ihrem Antrag sprechen Sie davon, dass die geüb- te Praxis des US-Drohnenkriegs gegen das Völkerrecht verstoße und die Nutzung des Stützpunktes Ramstein rechtswidrig sei . Sie versuchen, dies anhand eines Gut- achtens der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages zu belegen . Allerdings hätten Sie sich die Mühe machen sollen, nicht wieder nur eine verkürzte Darstellung im Sinne Ihrer Propaganda aufzugreifen . Insbesondere hätten Sie sich auch die Mühe machen müssen, das aktualisierte Gutachten zurate zu ziehen, das zu dem Schluss kommt, dass der Einsatz von Kampf- drohnen nach wie vor aus völkerrechtlicher Sicht nicht Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 201721342 (A) (C) (B) (D) verboten sei und somit nicht per se völkerrechtswidrig ist . Dann hätten Sie auch erwähnen können und müssen, dass die Bundesregierung fortwährend wegen möglicher Bedenken im Austausch mit der amerikanischen Admi- nistration steht – so weit zum Vorwurf, sie unternehme nichts – und dass der Bundesregierung deshalb momen- tan auch keinerlei Versäumnis unterstellt werden kann . Vielmehr nutzen Sie Ihren Antrag, um russische Aggressionen zu verklären und russische Agitation in Deutschland salonfähig zu machen . Sie sprechen von der Friedensgefahr, die von Ramstein ausgeht, da es unter anderem darauf abzielt, „die nukleare Zweitschlagskapa- zität Russlands zu neutralisieren, also die Möglichkeit, auf einen nuklearen Angriff eines NATO-Staates mit ei- nem Gegenschlag zu reagieren“ . Sie vergessen dabei, dass Russland die meisten Atomsprengköpfe auf der Welt besitzt . Sie vergessen an- scheinend ebenso, dass Putin im vergangenen Jahr ein- seitig das sogenannte Plutoniumabkommen aufgekündigt hat . Ohnehin kündigte Putin erst im Dezember an, „das militärische Potenzial der strategischen nuklearen Kräfte müsse im kommenden Jahr ausgebaut werden“ . „Sämtli- che existierenden und künftigen Raketenabwehrsysteme müssten durch russische Systeme durchbrochen werden können .“ Etliche Tests der neuen Rakete RS-38 Sarmat, die 2 000-mal stärker sein würde als die Hiroshima-Bom- be, im Jahr 2016 sprechen ebenso eine deutliche Sprache wie die Stationierung von Iskender-Systemen in Kalinin- grad . Und schließlich haben die neue russische Militär- doktrin sowie die Marinedoktrin von 2014 bzw . 2015 die NATO ganz klar als Feind definiert. Und dann davon zu sprechen, dass Ramstein eine Ge- fahr für den Frieden ist, obwohl es die Air Base seit 1951 gibt und dort vor allem ein Fracht- und Sanitätsdrehkreuz betrieben wird, ist geradezu absurd . Vielmehr hätten Sie Ihren Antrag mit „NATO abschaf- fen“ überschreiben sollen . Zumindest zeigt Ihre Frakti- onsvorsitzende, Frau Wagenknecht, das wahre Gesicht der Linkspartei, indem sie kürzlich forderte, dass die NATO aufgelöst werden müsse, um eine eigenständigere europäische Sicherheitspolitik in einem System kollek- tiver Sicherheit unter Einbindung Russlands zu erschaf- fen . Diese aufgewärmte Forderung fußt sicherlich auf dem zugegebenermaßen irritierenden Bild-Interview mit Donald Trump . Ich kann Ihnen aber versichern, dass die NATO kei- neswegs obsolet ist . Leider ist die Bündnisverteidigung im Sinne des Artikel 5 NATO-Vertrag aktueller denn je, wenn man sich anschaut, wie die Krim völkerrechtswid- rig und entgegen der Zusagen vom Budapester Abkom- men annektiert wurde . Wie die Ostukraine fortwährend destabilisiert wird . Wie Russland versucht, mit allen Mitteln für eine Destabilisierung der EU zu sorgen und einen Keil in das transatlantische Bündnis zu treiben . Wie Russland mit seinen staatlichen Medienkampagnen den Westen als Feind diffamiert. Wie Russland westli- che Regierungen und Unternehmen online angreift . Wie Russland im westlichen Balkan alles daransetzt, damit die freien Entscheidungen der Völker und Staaten und eine Orientierung in Richtung Freiheit und Wohlstand unterminiert werden können . Das jüngste Beispiel sahen wir bei möglichen Versuchen, die Parlamentswahlen in Montenegro mit Gewalt zu erschüttern . Wir sehen das auch daran, wie Russland seine Truppen schlagkräftig aufrüstet und bis 2020 500 Milliarden Euro zusätzlich in Raketen, Bomben, Panzer und Kampfjets steckt . Die NATO ist und bleibt ein wertebezogenes Vertei- digungsbündnis . Russland heute und insbesondere die Kreml-Politik sind der Grund, dass die NATO unverän- dert fortexistieren muss . Frau Wagenknecht gebe ich insofern recht, dass Eu- ropa eine eigenständigere Verteidigungspolitik betreiben muss . Wir Europäer müssen stärker unseren eigenen Beitrag in der NATO einfließen lassen. Wir müssen mit Blick auf unsere Werte und Ziele, unsere Freiheit, unsere Demokratie und unseren Wohlstand in vielerlei Hinsicht wehrhafter sein als bisher . Das bedeutet, dass wir uns am 2-Prozent-Ziel der Verteidigungsausgaben messen lassen müssen . Insofern hat auch Donald Trump recht, wenn er von „Gleichgewichtstörungen“ spricht . Klar ist zum jetzigen Zeitpunkt aber auch, dass sich Russland nicht konstruktiv in ein Sicherheitsbündnis ein- binden lassen wird, das sich grundlegenden Menschen- rechten verpflichtet fühlt. Russland sieht persönliche Grundrechte, Freiheitsrechte und unsere demokratischen Prinzipien als minderwertig und gefährlich an . Die Prin- zipien der Charta von Paris, der sich noch der sowjetische Staatenbund als Rechtsvorgänger Russlands verpflichtet hat, wurden nicht erst 2014 über Bord geworfen . Diesen Entwicklungen dürfen wir uns nicht ver- schließen . Am Straßenrand zu stehen, rote Fähnchen zu schwingen und „Kleine weiße Friedenstaube“ zu singen, bannt bestehende Gefahren leider nicht . Deshalb stehen wir uneingeschränkt zur NATO und zu unseren Partnern diesseits und jenseits des Atlantiks . Deshalb werden wir unsere Bündnisverpflichtungen im Sinne der Stationie- rungsabkommen und des NATO-Truppenstatuts verläss- lich einhalten . Schließlich sind die EU und die NATO die besten Friedensgaranten für uns . Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU): Nachdem wir uns ja bereits in der letzten Sitzungswoche vor Weih- nachten in einer Aktuellen Stunde mit der Rolle der Luft- waffenbasis Ramstein bei US-Drohneneinsätzen befasst haben, kommt die Linke also heute noch mit dem An- trag, diese schlicht zu schließen, mit den üblichen Un- terstellungen von Völkerrechtswidrigkeit der Einsätze allgemein und einer deutschen Beteiligung aufgrund der Weiterleitung von Steuersignalen über Ramstein im Be- sonderen . Das war letztes Jahr falsch und ist im neuen Jahr immer noch falsch . Zur Frage der Völkerrechtskonformität habe ich ja ei- gentlich schon in der Aktuellen Stunde das Notwendige gesagt . Ich will jetzt nicht meine ganze damalige Rede wiederholen, obwohl ich sie hier unverändert nochmal halten könnte . Aber es bleibt dabei, liebe Kollegen von der Linken: Wenn Sie schon von einem Krieg, also einem bewaffneten Konflikt im Sinne des humanitären Völker- rechtes ausgehen, ist der Einsatz von Drohnen darin eben nicht völkerrechtswidrig . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 2017 21343 (A) (C) (B) (D) Im Gegensatz zu dem Eindruck, den Sie zu erwecken versuchen, dass es dabei grundsätzlich auch Unbeteiligte trifft, ermöglicht die höhere Präzision von Drohnenein- sätzen gegenüber anderen Waffensystemen sogar eine bessere Umsetzung völkerrechtlicher Schutzvorgaben . Das sage nicht nur ich, das stellt auch die Resolution der Parlamentarischen Versammlung des Europarates unter Punkt 4 fest, die Sie in Ihrem Antrag zitieren . Natürlich können Drohnen genau wie andere Waffen- systeme auch auf völkerrechtswidrige Weise eingesetzt werden. Der Antrag gibt ja zutreffend die Haltung der Bundesregierung zu diesen komplexen Zusammenhän- gen wieder: dass die Bewertung immer von den Umstän- den des Einzelfalls abhängig sei . Dagegen argumentieren Sie mit einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, wonach unstreitig sei, dass Deutschland völkerrechtswidrige Operationen von seinem Territorium aus nicht dulden darf, und es eine Beteiligung an einem völkerrechtli- chen Delikt darstellen könne, wenn die Bundesregierung davon wisse und nicht dagegen protestiere . Nur ist das kein Gegensatz zur Haltung der Bundesregierung, zumal die Einsätze weder von deutschem Territorium gestartet noch gesteuert werden . Sie können natürlich beliebig viele Rechtsgutachten zitieren und so tun, als sei Ihre eigene verallgemeinernde Bewertung juristischer Konsens . Das ändert aber nichts an der juristischen Praxis . In der haben zwei Verwal- tungsgerichte im vergangenen Jahr verneint, dass die Bundesregierung zur Überwachung der Völkerrechts- konformität von Drohneneinsätzen verpflichtet sei, die möglicherweise über Ramstein gesteuert werden . Liebe Kollegen, wenn Sie nun wenigstens bei der völ- kerrechtlichen Bewertung von Drohneneinsätzen geblie- ben wären, wo sich immer ein Jurist mit einer Meinung findet, die zur eigenen Position passt. Aber Sie mussten zum Schluss auch noch unbedingt die Funktion Ram- steins als Führungszentrum für das Raketenabwehrsys- tem der NATO aufs Tapet bringen . Und ehrlich gesagt, da plappern Sie nun einfach die russische Propaganda nach, dass dies das nukleare Gleichgewicht zwischen Russland und der NATO störe . Genau das tut es eben nicht . Die Systeme und Standorte dieses Systems sind sehr gut geeignet, mögliche Angriffe auf Europa mit Mit- telstreckenraketen aus dem südlichen Krisenbogen in Nordafrika und dem Nahen Osten abzuwehren, zum Abfangen russischer Langstreckenraketen, die vorwie- gend auf polaren Bahnen fliegen würden – insbesondere Richtung USA – dagegen eher nicht . Denen müssten die Abfangraketen nämlich hinterherfliegen, sofern sie über- haupt die nötige Reichweite hätten . Ganz zu schweigen von U-Boot-gestützten Raketen aus dem Nordpolarmeer, die die hauptsächliche russische Zweitschlagskapazität darstellen, von der Sie reden . Mittelstreckenraketen, die das System bekämpfen könnte, sind in Europa seit dem INF-Abkommen von 1987 abgeschafft, auch wenn Russland aus diesem Ver- trag gerne aussteigen würde – aus Gründen, die nichts mit der NATO und viel mit chinesischen Mittelstrecken- raketen zu tun haben . Und übrigens gibt es in der NATO auch keine nuklea- ren Kurzstreckenraketen mehr – anders als in Russland, das kürzlich Iskander-Raketen in Kaliningrad stationiert hat . Dass die abgefangen werden könnten, stört also kein Gleichgewicht, sondern hält es höchstens aufrecht . Gera- de die Funktion im Raketenabwehrsystem zeigt also die Bedeutung Ramsteins für das Bündnis und Deutschland . Und als Wahlkreisabgeordnete für die Region sage ich auch: Wir werden unsere jahrzehntelange freundschaft- liche Beziehung zu unseren amerikanischen Nachbarn nicht wegen solcher realitätsfremden Anträge beenden . Josip Juratovic (SPD): „Ramstein schließen“: Ein- facher könnte eine Überschrift nicht sein . Wenn die Welt so einfach wäre, würde ich mich freuen – und mit mir und Ihnen viele Menschen in diesem Land, die von der aktuellen politischen Situation verunsichert sind . Doch solche Vereinfachungen kann man sich leider nur in der Opposition leisten . Als Regierung muss man mehr Be- sonnenheit an den Tag legen . Zunächst einmal klingt die Forderung des Antrags einleuchtend . Sie wollen „Ramstein schließen“, um den Drohnenkrieg zu beenden. Ich bezweifle, dass Mittel und Zweck hier zusammenpassen . Aber lassen Sie mich gern auf den Drohnenkrieg eingehen; denn hier sind wir uns einig . Das Töten von Menschen durch Drohnen ist feige – und es ist unrecht. Der Drohnenkrieg schafft nicht mehr Sicherheit, sondern weniger . Auf jeden getöteten – an- geblichen oder tatsächlichen – Terroristen folgen zehn Menschen, die erst durch den Drohnenangriff radikali- siert werden . Deswegen sage ich hier und heute ganz deutlich: Der Einsatz von Drohnen zur sogenannten extralegalen Tö- tung ist nicht zu rechtfertigen . Wir ächten ihn in aller gebotenen Deutlichkeit . Und an ihm beteiligen wir uns nicht . Es ist mir wichtig, diese Gemeinsamkeit mit den Antragstellern zu betonen . Es tut mir leid, doch nun folgt das berühmte „Aber“ . Auch wenn unsere Fraktion gegen den Dohnenkrieg ist, so halten wir die Diskussion um den Standort Ramstein doch nicht für den richtigen Ansatz . Um die Bündnispartner in der NATO vom Unrecht des Drohneneinsatzes zu überzeugen, müssen wir innerhalb der NATO Mechanismen finden. Ein einseitiges Aufkün- digen der Kooperation würde nur zum Zusammenbruch des Bündnisses führen – nicht aber zum Ende des Droh- neneinsatzes . Der Standort Ramstein verkörpert unsere internationale Zusammenarbeit in der NATO . Zu dieser sicherheitspolitischen Kooperation steht die SPD . Die NATO ist und bleibt Grundpfeiler unserer Sicher- heits- und Friedensarchitektur, auch wenn gerade man- che Signale aus den USA in eine andere Richtung weisen sollten . Ein solches Sicherheitsbündnis wie die NATO braucht nun einmal gegenseitige Stützpunkte so wie in Ramstein . Übrigens ist die NATO kein Selbstzweck . Wir stellen uns hier nicht hin und verteidigen vier Buchstaben . Im Gegenteil: Gerade in Zeiten, da unsere Demokratie von unterschiedlichen Seiten angegriffen wird, müssen wir Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 201721344 (A) (C) (B) (D) wehrhaft sein . Wehrhaft, das heißt für mich in erster Li- nie, dass unsere Gesellschaft tagtäglich für Demokratie einsteht – ob am Küchentisch, im Betrieb oder bei der Diskussion mit dem Nachbarn auf Facebook . Wehrhaft, das heißt aber auch, dass unsere Demokratie nach außen wehrhaft ist . Dafür ist uns das Sicherheitsbündnis der NATO sehr wichtig . Ramstein steht nicht nur für Drohnen . Es ist ein mili- tärischer Stützpunkt, der notwendigerweise für gute Zu- sammenarbeit steht . Und deswegen werden wir nicht für die Schließung Ramsteins eintreten, sondern uns dafür einsetzen, dass die beschriebene Art der Nutzung einge- stellt wird . Übrigens gibt es noch ein Argument, das be- sonders für Sie als Linke von Interesse sein könnte . Mei- ne Fraktionskollegin Angelika Glöckner hat mich darauf angesprochen; denn Ramstein liegt in ihrem Wahlkreis . Vielleicht ist es bei dieser Diskussion nicht das Haupt- argument, aber Sie als Linke und wir Sozialdemokraten sind uns eigentlich einig, dass wir Beschäftigung für die Menschen in unserem Land sichern wollen . Auch dafür steht der Standort Ramstein . Der Antrag hat eine feine Überschrift . Aber es man- gelt ihm an Weitsicht . Im Interesse aller Bürgerinnen und Bürger plädiere ich dafür, gerade sicherheitspolitische Fragen lieber zweimal abzuwägen, bevor eine einfache Parole in die Welt gesetzt wird . Weil das so ist, werden wir dem Antrag nicht zustimmen . Andrej Hunko (DIE LINKE): Die Bundesregierung hat eingeräumt, nunmehr offiziell über den Stützpunkt Ramstein als Relaisstation für den US-Drohnenkrieg informiert zu sein . Drei Jahre hat sich das Auswärti- ge Amt weggeduckt vor den Medienberichten über die Bedeutung Ramsteins und des AFRICOM-Kommandos in Stuttgart für völkerrechtswidrige außergerichtliche Hinrichtungen, die von den Piloten aus einer entfernten Drohnenbasis in Nevada per Knopfdruck vorgenommen werden . Dabei hatte es bereits eine Reihe von Zeugenaussagen ehemaliger Drohnenpiloten zur Bedeutung der Stütz- punkte in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg ge- geben . Ich meine nicht nur Brandon Bryant, den bekann- testen US-Whistleblower im Drohnenkrieg, sondern ich meine auch jene Drohnenpilotinnen und -piloten, die in dem Film „National Bird“ interviewt wurden . Der Film lief erstmals vor einem Jahr bei der Berlinale . Die Prota- gonisten hatten bekräftigt, dass Ramstein nicht nur eine Relaisstation beherbergt . Die Anlage gehört auch zum Netzwerk der „Distributed Ground Stations“, in denen die ferngesteuerten Luftschläge vorbereitet, durchgeführt und ausgewertet werden . Offensichtlich hat niemand aus der Bundesregierung den Film von Sonia Kennebeck gesehen; denn im Aus- wärtigen Amt war man sich der Rolle Ramsteins und Stuttgarts angeblich bis zum August 2016 nicht bewusst . Ich kann den Film aber wirklich dringend empfehlen; denn er ist auch ein Werk über die Wichtigkeit von Whistleblowern . Ohne die mutigen Aussagen der Exmilitärs wüssten wir nicht, wie so eine außergerichtliche Hinrichtung ab- läuft . Wir wüssten auch nichts über die Unmöglichkeit, die doch eher unscharfen Drohnenbilder mit hinreichen- der Sicherheit auszuwerten, um dann die Liquidierung der Ziele anzuordnen . Und wir wüssten nichts über die äußerst hohe Selbst- mordrate unter den Drohnenpilotinnen und -piloten, die das ständige Töten aus der Ferne nicht aushalten. Häufig wählen sie den Tod, weil sie keine geheimschutzüber- prüften Therapeuten für ihre Stressbewältigung finden. Ich finde, auch daran trägt die Bundesregierung durch die Ermöglichung einer solchen Praxis eine Mitverant- wortung . Zum zweiten Mal reden wir also heute über die Betei- ligung Deutschlands am völkerrechtswidrigen US-Droh- nenkrieg . Im August wurde die Bundesregierung über die Rolle Ramsteins informiert . Im November war dies hier in der Fragestunde erstmals Thema . Im Dezember debattierten wir darüber . Die Hälfte der Bundesbürger lehnt Deutschlands Ermöglichung des US-Drohnenkrieg via Ramstein ab, während nur 26 Prozent diese Ermög- lichung aufrechterhalten wollen . Dies ergab eine reprä- sentative Umfrage, die der Journalist und Podcaster Tilo Jung nach dieser Debatte beauftragte . Nun ist es nicht so, dass die völkerrechtswidrige Pra- xis im Namen der Terrorismusbekämpfung seit unserer parlamentarischen Befassung ein Ende gefunden hätte . Im Gegenteil finden weiterhin außergerichtliche Hinrich- tungen durch Drohnen statt, zuletzt vor einer Woche im Jemen . Schauen Sie auf der Webseite des Büros für investiga- tiven Journalismus vorbei! Die Nichtregierungsorganisa- tion trägt dort die Zahlen von US-Drohneneinsätzen zu- sammen . Daraus geht hervor, dass die Administration von US-Präsident Barack Obama zehnmal mehr unbemannte Operationen anordnete als sein Vorgänger George Bush . Bislang hat sich das Auswärtige Amt immer herausge- redet, die außergerichtlichen Hinrichtungen seien Einzel- fälle; denn eigentlich sei es im Krieg kein Unterschied, ob eine Rakete von einem bemannten Kampfflugzeug oder einer Drohne abgefeuert wird . Das ist Augenwischerei; denn viele Drohnenangriffe der US-Regierung werden gar nicht in Kriegshandlungen, sondern außerhalb be- waffneter Konflikte durchgeführt. Wie zum Beispiel im Jemen . Damit sind sie eindeutig völkerrechtswidrig . Was hier noch nicht zur Sprache kam: Das Auswärti- ge Amt hat die völkerrechtlichen Drohnenangriffe sogar verteidigt, wenn sie deshalb selbst vor Gericht stand . So beispielsweise im Mai 2015 vor dem Verwaltungsgericht in Köln, das die Klage einer jemenitischen Familie ver- handelte . Das Verfahren richtete sich gegen die Bundesrepu- blik Deutschland, vertreten durch das Bundesverteidi- gungsministerium . Es sollte festgestellt werden, dass das Unterlassen von Maßnahmen zur Unterbindung der Nut- zung des Stützpunktes Ramstein rechtswidrig ist . Die Klage wurde in erster Instanz abgewiesen . Damit hatte das Verteidigungsministerium Erfolg, wenn es vor Gericht behauptete, ihm lägen gar keine gesicherten Er- kenntnisse darüber vor, dass Ramstein für die Drohnen- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 212 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 19 . Januar 2017 21345 (A) (C) (B) (D) einsätze genutzt werde . Dies habe die US-Regierung, mit der sie in einem intensiven Dialog stehe, stets bekundet . Ich finde das infam. Nicht nur, dass man sich jahrelang vor der Wahrheit wegduckt, sondern den Opfern solcher Drohnenangriffe auch noch vor Gericht frech ins Gesicht lügt . Zum Glück geht das Verfahren vor dem Oberver- waltungsgericht in Münster in die nächste Instanz . Die Enthüllungen über die Rolle Ramsteins führen zu keinen politischen Konsequenzen, weil die Bundesre- gierung gegenüber der US-Regierung die Auseinander- setzung mit offenem Visier scheut. Ich bin gespannt, ob sich diese Praxis gegenüber dem neuen US-Präsidenten ändert . Die Linke fordert weiterhin die Bundesregierung auf, die Nutzung der Ramstein Air Base für den US-Droh- nenkrieg aufzukündigen, auf die eigene Entwicklung deutscher Kampfdrohnen zu verzichten und sich bei der UNO für eine Drohnenresolution einzusetzen, die zumin- dest die Praxis der extralegalen Hinrichtungen weltweit ächtet . Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir debattieren den Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „US- und NATO-Stützpunkt Ramstein un- verzüglich schließen“ . Der Antrag beschreibt die Rolle dieser US-Basis im weltweiten Drohnenkrieg der USA, macht deutlich, dass durch Einrichtungen in Ramstein völkerrechtswidriges Handeln unterstützt wird und for- dert die schnellstmögliche Schließung der US-Basis . Mit ihrem Antrag greift die Linke ein wichtiges The- ma auf . Mit der Rolle Ramsteins als Relaisstation und bei der Zielauswahl im Drohnenkrieg hatten wir uns bereits vor zwei Jahren befasst . Als Abgeordneter aus Rhein- land-Pfalz ist mir dieses Thema ein besonderes Anliegen, und daher habe auch ich damals die Bundesregierung mit mehreren Fragen zu einer Stellungnahme aufgefordert . Ihre Antworten waren jedoch ausweichend . So war uns allen seinerzeit zwar klar, dass Ramstein eine wichtige Rolle im Drohnenkrieg spielt, bloß die Regierung gab sich unwissend . Der weltweite Einsatz von Kampfdroh- nen durch die USA, die auch jenseits von bewaffneten Konflikten gezielte Tötungen durchführen, ist nicht trag- bar . Es ist zu verhindern, dass diese Praxis zu einer Än- derung des Völkerrechts im Sinne von Gewohnheitsrecht führt . Gerade deswegen ist es auch so wichtig, dass sich die Bundesregierung entschieden dagegen ausspricht . Während also nichts wirklich Neues geschehen ist, hat die Linke mit ihrer Anfrage bewirkt, dass die Bundes- regierung endlich offiziell bestätigen musste, was jedem ohnehin schon klar war . Sie muss sich nun auch dazu verhalten und uns mitteilen, wie sie damit umgeht . Eins ist nämlich klar – und da stimme ich der Linken voll- kommen zu –: Deutschland und Einrichtungen, die sich in Deutschland befinden, dürfen keine Rolle in einem völkerrechtswidrigen Drohnenkrieg haben . Diese Bun- desregierung muss sich umgehend und mit Nachdruck dafür einsetzen, dass jegliches Handeln dieser Art sofort unterbleibt . Die USA müssen nicht nur die Unterstützung ihres Drohnenkrieges durch US-Stützpunkte in Deutsch- land, sondern dieses völkerrechtswidrige Vorgehen in Gänze sofort beenden . Hätte sich die Linke nur auf diesen Punkt konzentriert, wäre diesem Antrag ohne Wenn und Aber zuzustimmen . Leider geht sie aber weit darüber hinaus, da sie, wie der Titel schon sagt, die Schließung des gesamten Stand- ortes Ramstein fordert . Das würde bedeuten, dass auch NATO-Einrichtungen geschlossen werden müssten, wie das Allied Air Command, das unter anderem für das Air Policing im Baltikum zuständig ist . Ein solches Vorgehen lässt sich nicht mit einer solidarischen und verantwortli- chen Mitgliedschaft in der NATO vereinbaren . Die USA sind für uns zudem ein wichtiger Partner – politisch, wirtschaftlich und eben auch militärisch . Es ist in unserem Interesse, auch in Zukunft mit den USA zu- sammenzuarbeiten und für ein starkes transatlantisches Verhältnis einzutreten . Der völkerrechtswidrige Droh- nenkrieg und die Rolle Ramsteins darin sind ein äußerst dunkler Fleck in unserer Zusammenarbeit . Davor dürfen wir unsere, darf die Bundesregierung ihre Augen nicht verschließen . Sie muss dieses Problem bestimmt und deutlich ansprechen und ein Ende fordern . Dies sollte sie aber innerhalb der für uns wichtigen Partnerschaft ma- chen und diese nicht einfach über den Haufen werfen . Die Schließung Ramsteins in Gänze zu fordern, kommt dem Bruch mit den USA gleich . Die Forderung nach der Schließung Ramsteins ist vor diesem Hinter- grund überzogen und kontraproduktiv . Wir Grünen fordern die Bundesregierung im Übrigen auf, von einer Beschaffung bewaffneter und bewaff- nungsfähiger Drohnen abzusehen . Sie soll sich auf inter- nationaler Ebene für eine Ächtung immer tödlicherer und vor allem autonomer Waffensysteme einsetzen. Dies gilt im Besonderen im Hinblick auf den Einsatz als Träger von Massenvernichtungswaffen. Wir müssen einer Ent- grenzung des Einsatzes dieser Technologie für militäri- sche Zwecke vorbeugen . Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 212. Sitzung Inhaltsverzeichnis ZP 2 Wahl einer Stellvertreterin des Präsidenten TOP 3, ZP 3 Ernährungs- und Landwirtschaftspolitik TOP 4 Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften TOP 28, ZP 4 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 29, ZP 5 Abschließende Beratungen ohne Aussprache ZP 6 Wahl Verwaltungsrat Filmförderungsanstalt ZP 7 Aktuelle Stunde zu den US-Truppenverlegungen nach Osteuropa TOP 5 13. Sportbericht der Bundesregierung TOP 6 Rentenansprüche aus DDR-Beschäftigungszeiten TOP 7 Neuregelung des Bundesarchivrechts TOP 8 Faire Textilproduktion TOP 9 Änderung des Vereinsgesetzes TOP 10 Dragoner-Areal in Berlin TOP 11 Änderung reiserechtlicher Vorschriften TOP 12 Medikamentenrückstände in Gewässern TOP 15 Änderung des Zollverwaltungsgesetzes TOP 14 Bekämpfung von Diskriminierung TOP 19 EU-Verordnung über Insolvenzverfahren TOP 16 Wohnortnahe Arzneimittelversorgung TOP 18 Aufnahme sozialer Grundrechte in das Grundgesetz TOP 20 Zukunft des US- und NATO-Stützpunktes Ramstein Anlagen Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10 Anlage 11 Anlage 12
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1821200000

Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.

Sehr geehrter Herr Bundespräsident! Exzellenzen!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! Als
wir uns nach der letzten Sitzungswoche im Dezember
in die Weihnachtspause verabschiedeten, galten unsere
guten Wünsche einem besinnlichen Weihnachtsfest und
einem glücklichen, möglichst friedlichen neuen Jahr .
Der schockierende Terroranschlag auf den Weihnachts-
markt am Berliner Breitscheidplatz hat diese Hoffnun-
gen auf entsetzliche Weise zerstört .

Wie zuvor in Nizza richtete ein islamistischer Terro-
rist einen Lkw als mörderische Waffe gegen unzählige
Passanten . Es sollten nicht bestimmte, sondern möglichst
viele Menschen getroffen werden. Sechs Frauen und
sechs Männer, die am Fuße der Gedächtniskirche in fröh-
licher Vorweihnachtsstimmung zusammenstanden, wur-
den brutal aus dem Leben gerissen . Unter den Toten be-
finden sich neben sieben Deutschen Menschen aus Polen,
der Ukraine, Italien, Tschechien und Israel, die sich zur
Arbeit in Berlin aufhielten, unsere Hauptstadt besuchten
oder hier eine neue Heimat gefunden hatten . – Ich begrü-
ße die Botschafter und Gesandten der genannten Länder
herzlich auf unserer Ehrentribüne . – Dutzende Menschen
wurden bei dem Anschlag zum Teil lebensbedrohlich
verletzt, sie kommen aus aller Welt . Viele von ihnen wer-
den noch lange kämpfen müssen, um körperlich wie see-
lisch ins Leben zurückzufinden. Nicht anders ergeht es
Augenzeugen und den vielen Hilfskräften, denen wir für
ihren Einsatz am Tatort und in der Betreuung der Opfer
und Hinterbliebenen von Herzen danken .

Es gehört zu den kaum vermeidbaren, aber schwer er-
träglichen Mechanismen der Wahrnehmung solcher Er-
eignisse durch die Medien und die Öffentlichkeit, dass
dem Täter regelmäßig weit größere Aufmerksamkeit
geschenkt wird als denen, die er in den Tod riss . Das
Gesicht des Mörders vom Breitscheidplatz ist uns allen
bekannt, wir sehen es über Wochen beinahe täglich in
Zeitungen, im Netz und im Fernsehen . Wir kennen sei-
ne Lebensgeschichte bis ins Detail . Von den Opfern ist
hingegen wenig bekannt . Angemessen ist das natürlich
nicht, aber es verdeutlicht zugleich die ganz unterschied-

lichen Erwartungen und Bedürfnisse, denen es gerecht zu
werden gilt und denen wir natürlich nicht gerecht werden
können . Vor allem haben wir den Wunsch trauernder An-
gehöriger auf Privatsphäre, darauf, in ihrer Trauer nicht
allein, aber in Ruhe gelassen zu werden, unbedingt zu
respektieren, auch gegenüber nachvollziehbaren Bedürf-
nissen von Medien und Öffentlichkeit. Dass es im Üb-
rigen nach solch schrecklichen Taten immer sofort die
Forderung nach möglichst schneller Aufarbeitung und
möglichst konkreten Schlussfolgerungen gibt, ist nicht
zu beanstanden und ist gewiss nicht Ausdruck mangeln-
den Mitgefühls . Lichter und Blumen am Tatort zeugen
vielmehr von der großen Anteilnahme der Bevölkerung
am Leid der Betroffenen.

Für die Familien, Partner, Freunde der Opfer änderte
sich binnen Sekunden beinahe alles; Lebenspläne, Wün-
sche, Hoffnungen wurden von einem Moment zum an-
deren zerstört . Der Schmerz der Hinterbliebenen ist un-
ermesslich, allenfalls können wir ihn erahnen, aber wir
teilen ihre tiefe Trauer . Das haben wir unmittelbar nach
der Tat, am nächsten Tag, in dem berührenden Gedenk-
gottesdienst in der Berliner Gedächtniskirche zum Aus-
druck gebracht, in Anwesenheit des Staatsoberhauptes,
der Spitzen unserer Verfassungsorgane, vieler Mitglieder
des Bundestages, der Bundesregierung und zahlreicher
Repräsentanten unserer Gesellschaft . Vertreter der Reli-
gionsgemeinschaften demonstrierten in einer eindrucks-
vollen interreligiösen Andacht ihren Schulterschluss an-
gesichts der terroristischen Gewalt .

Ich danke dem Herrn Bundespräsidenten, dass er auch
heute Morgen durch seine Anwesenheit unserem Geden-
ken im Deutschen Bundestag einen besonderen Rang
gibt .

Mit uns trauern Menschen in aller Welt . Das in zahl-
reichen Kondolenzen zum Ausdruck gebrachte Mitgefühl
berührt und stärkt uns . Dankbar sind wir – als Beispiel
für viele andere – unseren französischen Freunden, die
in der Assemblée nationale mit einer Gedenkminute für
die Opfer ihre Anteilnahme zum Ausdruck brachten . Wie
die vom islamistischen Terror leidgeprüften Franzosen
wissen unsere europäischen Nachbarn und Partner in der
Welt, dass es sie jederzeit selbst treffen kann. Jeder von






(A) (C)



(B) (D)


uns ist gemeint, jeder von uns ist betroffen. Das belegen
in den wenigen Tagen des neuen Jahres der mörderische
Angriff in der Silvesternacht auf feiernde Menschen in
Istanbul, die verheerenden Bombenattentate auf einen
Markt in Bagdad und der Anschlag, wiederum mit ei-
nem Lkw, auf Soldaten in Jerusalem . Den Opfern dieser
menschenverachtenden Brutalität fühlen wir uns verbun-
den . Sie mahnen, dass sich der weltweiten Terrorgefahr
wirkungsvoll nur gemeinsam entgegentreten lässt – und
deshalb müssen wir endlich zu einer effektiven sicher-
heitspolitischen Zusammenarbeit in Europa und darüber
hinaus kommen .

Terror, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen
und Kollegen, zielt darauf ab, demokratische Gesell-
schaften zu erschüttern, zu lähmen, zu destabilisieren .
Dieses Ziel haben die Terroristen in Deutschland nicht
erreicht . Die Bevölkerung reagiert mit bemerkenswerter
Besonnenheit auf den Terror . Die Menschen demonstrie-
ren damit eindrücklich, dass sie ihr Leben nicht von Dro-
hungen und nicht von Angst diktieren lassen wollen .

Und doch verändert die Terrorgefahr zwangsläufig
unser Leben . Wir erfahren es spürbar bei jeder Sicher-
heitskontrolle und mit einem natürlich gewachsenen Si-
cherheitsbedürfnis . Zu Recht erwarten die Bürgerinnen
und Bürger vom Staat und seinen Institutionen, dass er
sie schützt, dass er Vorsorge trifft gegen mögliche Ge-
fahren . Er hat seine Handlungsfähigkeit auch und gerade
unter der islamistischen Terrorgefahr zu beweisen . Das
ist im Grundsatz unstreitig, in der Umsetzung aber nicht
einfach .

Freiheit braucht Sicherheit, wenn sie verlässlich sein
soll . Und Sicherheit braucht Freiheit, wenn sie nicht zur
Repression verkommen soll . Deshalb sollten wir den
Staat mit unseren Ansprüchen auch nicht überfordern –
und schon gar nicht dürfen wir vortäuschen, einem unkal-
kulierbaren Gegner mit scheinbar einfachen Mitteln be-
gegnen zu können . Auch Länder, die keine Freiheit haben
oder diese im Namen der Sicherheit stark einschränken,
bieten keineswegs besseren Schutz . Die erschrecken-
de Serie der Attentate in der Türkei in den vergangenen
Monaten zeigt, dass auch da, wo im Ausnahmezustand
regiert und die exekutive Autorität im Staat auf Kosten
freiheitlicher und rechtsstaatlicher Prinzipien immer wei-
ter ausgeweitet wird, keine Sicherheit garantiert werden
kann . Autoritäre Systeme sind nachweislich nicht siche-
rer . Sie erkaufen die Illusion größeren Schutzes vor Ter-
ror und Gewalt mit der Verweigerung unverzichtbarer
Freiheitsrechte .

Die freie Gesellschaft ist aber nicht ohnmächtig . Auch
sie kann und muss sich wehren . Unser Staat kann Gefah-
ren nicht ausschließen, die Sicherheitsbehörden können
sie aber mit den rechtsstaatlichen Mitteln begrenzen, die
ihnen zur Verfügung stehen .

Vielfach ist es bereits gelungen, Anschläge in unse-
rem Land zu verhindern . Dennoch bleiben nach dem
verheerenden Anschlag vom Breitscheidplatz drängende
Fragen, auf die es noch keine abschließenden Antworten
gibt . Die Erkenntnisse über den Täter, der, obwohl als
Gefährder eingestuft, den zuständigen Behörden bekannt,
mit zahlreichen falschen Identitäten ausgestattet, unge-

hindert zuschlagen konnte, zwingen uns, die Sicherheits-
architektur in unserem Land zu überdenken . Der Rechts-
staat ist ja nicht an sich selbst gescheitert, vielmehr hat er
seine Mittel offensichtlich nicht ausgeschöpft. Wir müs-
sen organisatorische Fehler und strukturelle Schwächen
aufklären und Konsequenzen daraus ziehen – auf allen
staatlichen Ebenen und im Zusammenwirken aller Ämter
und Behörden . Wo es dazu des Gesetzgebers bedarf, ste-
hen wir als Abgeordnete in einer besonderen Pflicht – vor
allem da, wo es offenkundig nicht nur am Vollzug längst
bestehender Gesetze mangelt . Sicherheitsbehörden und
Justiz müssen in die Lage versetzt sein, die bestehenden
Gesetze auch konsequent anwenden zu können .

Deshalb haben wir manche unbequeme Debatte zu
führen . Wir dürfen und müssen uns dabei auch streiten .
Damit haben wir im Übrigen in den zuständigen Gremi-
en wie im Plenum des Bundestages ja bereits begonnen .
Niemand sollte das mit Schwäche verwechseln oder als
Unentschlossenheit verunglimpfen . Es ist gerade die
Stärke unserer herausgeforderten Demokratie, dass wir
als Gesellschaft darum ringen, wie wir die schwierige
Balance zwischen Sicherheitsanspruch und Freiheitsver-
sprechen halten wollen .

Dass darüber intensiv zwischen den Parteien, übrigens
auch in den Parteien, gestritten wird, muss auch in einem
Wahljahr möglich sein . Die notwendige Auseinanderset-
zung darf aber nicht auf Kosten von Menschen erfolgen,
die ihrer Herkunft oder Religion wegen in Sippenhaft ge-
nommen werden für die terroristische Gewalt, vor der sie
vielfach selbst geflohen sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Mörder vom
Breitscheidplatz verstand sich als Muslim, als Soldat des
„Islamischen Staates“ – und er gab sich als Flüchtling
aus . Beides können wir nicht übersehen – gerade weil wir
uns zur religiösen Vielfalt, zur weltoffenen Gesellschaft
und zu unseren humanitären Verpflichtungen bekennen.

Als Staat, der Religionsfreiheit als Menschenrecht be-
greift und garantiert, und als Gesellschaft, in der Chris-
ten, Juden, Muslime und Menschen, die ohne Glauben
sind, zusammenleben, dürfen und müssen wir die Aus-
einandersetzung der Muslime mit ihrer Religion und
dem verhängnisvollen Zusammenhang von Glaube und
fanatischer Gewalt mit Nachdruck einfordern . Der Vor-
sitzende des Zentralrats der Muslime hat dies in seiner
Stellungnahme unmittelbar nach dem Anschlag in Berlin
beispielhaft getan . Auch das verdient Respekt und Aner-
kennung .

Wir bekämpfen nicht den Islam, sondern Fanatismus,
nicht Religion, sondern Fundamentalismus – das gilt
unter dem Eindruck des Terrors in unserem Land nicht
anders als nach den Anschlägen in unseren europäischen
Nachbarländern . Wo islamistisches Gedankengut ver-
breitet wird, haben wir dies mit aller gebotenen rechts-
staatlichen Härte zu bekämpfen . Terror ist nie religiös,
Terror ist immer politisch – die Antwort darauf muss
auch politisch sein .

Dass gewaltbereite Islamisten die Not anderer Men-
schen benutzen, um sich in unser Land einzuschleichen
und hier Unfrieden und Gewalt zu stiften, ist perfide,
folgt aber der Logik der Terroristen, die unsere Gesell-

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


schaft spalten wollen . Weil wir das nicht zulassen und
weil wir auch die zu uns Flüchtenden vor denen schützen
wollen, die sie für ihre Zwecke missbrauchen, haben wir
die doppelte Legitimation, konsequenter als bislang zu
prüfen, wer zu uns kommt und wer hier bleiben kann .
Und von denen, die bei uns bleiben, erwarten und ver-
langen wir, unseren Gesetzen und Normen vorbehaltlos
zu folgen .

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, in der vergangenen Woche ist Roman Herzog
verstorben, den wir am kommenden Dienstag in einer
Trauerfeier im Berliner Dom würdigen werden .

Unser früherer Bundespräsident, der diesem Land in
herausragenden Ämtern gedient hat, hat in seiner un-
vergessenen Rede 1997, also vor 20 Jahren, eine klare
Sprache eingefordert – sie ist auch heute gefragt und an-
gemessen –:

Wer – wo auch immer – führt, muß den Menschen,
die ihm anvertraut sind, reinen Wein einschenken,
auch wenn das unangenehm ist .

Und an einer anderen Stelle hat er betont:

Verantwortung ist die unausweichliche Konsequenz
der Freiheit .

Wir sind frei, und wir bleiben frei, solange wir für un-
sere eigenen Angelegenheiten Verantwortung überneh-
men .

Bitte erheben Sie sich zum stillen Gedenken an die
Opfer und zum Zeichen unserer Anteilnahme mit den
Angehörigen von Ihren Plätzen .


(Die Anwesenden erheben sich)


Ich danke Ihnen .


(Die Anwesenden nehmen wieder Platz)


Wir treten nun, liebe Kolleginnen und Kollegen, in
unsere Tagesordnung ein .

Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tages-
ordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten
Punkte zu erweitern:

ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD:

Entschieden gegen Gefährder vorgehen –
Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Si-
cherheit


(siehe 211 . Sitzung)


ZP 2 Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU

Wahl einer Stellvertreterin des Präsidenten

Drucksache 18/10866

ZP 3 Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Ernährung und
Landwirtschaft (10 . Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Nicole
Maisch, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Sofortmaßnahmen für die Agrarwende – Für
eine bäuerlich-ökologische Landwirtschaft
und gutes Essen

Drucksachen 18/4191, 18/10899

ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren


(Ergänzung zu TOP 28)


a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian
Kühn (Tübingen), Peter Meiwald, Harald Ebner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Den Holzbau und das Bauen mit nachwach-
senden Rohstoffen stärken

Drucksache 18/9803
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter
Meiwald, Nicole Maisch, Annalena Baerbock,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Innenraumluft sauber halten – Partikelfrei-
setzung aus Laserdruckern beenden

Drucksache 18/10874
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit

ZP 5 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus-
sprache


(Ergänzung zu TOP 29)


a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Vorbereitung eines regis-
tergestützten Zensus einschließlich einer
Gebäude- und Wohnungszählung 2021

(Zensusvorbereitungsgesetz 2021 – ZensVorbG 2021)


Drucksachen 18/10458, 18/10484

Beschlussempfehlung und Bericht des Innen-
ausschusses (4 . Ausschuss)


Drucksache 18/10880


(8 . Ausschuss)


Drucksache 18/10881

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Haushaltsausschusses (8 . Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Eva Bulling-
Schröter, Birgit Wöllert, Caren Lay, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Fortsetzung der Braunkohlesanierung in
den Ländern Brandenburg, Sachsen, Sach-

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


sen-Anhalt und Thüringen nach dem Jahr
2017

– zu dem Antrag der Abgeordneten Annalena
Baerbock, Stephan Kühn (Dresden), Oliver
Krischer, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Braunkohlesanierung durch die Lausitzer
und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungs-
gesellschaft mbH fortsetzen

Drucksachen 18/8112, 18/8396, 18/10505

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18 . Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Walter-
Rosenheimer, Kai Gehring, Brigitte Pothmer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Im Jahr 2016 die Berufsbildung fit für die Zu-
kunft machen

Drucksachen 18/8259, 18/10858

ZP 6 Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD

Wahl der Mitglieder des Verwaltungsrates der
Filmförderungsanstalt gemäß § 6 Absatz 1
Nummer 1 des Filmförderungsgesetzes (FFG)


Drucksache 18/10867

ZP 7 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE
LINKE:

Außenpolitische Auswirkungen der US-Trup-
penverlegungen nach Osteuropa „Atlantic Re-
solve“

Dabei soll von der Frist für den Beginn der Beratun-
gen, soweit erforderlich, abgewichen werden .

Die Tagesordnungspunkte 13 – hier geht es um das
Berufsrecht für rechtsberatende Berufe – und 17 – Ände-
rung des Straßenverkehrsrechts – werden abgesetzt . Die
nachfolgenden Tagesordnungspunkte der Koalitionsfrak-
tionen rücken entsprechend vor .

Darüber hinaus sollen die Tagesordnungspunkte 3 d –
hier geht es um einen Antrag zur Rechtssicherheit und
Transparenz bei Lebensmittelkontrollen – sowie die ohne
Debatte vorgesehenen Tagesordnungspunkte 28 f und
28 g abgesetzt werden .

Schließlich mache ich noch auf zwei nachträgli-
che Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatz-
punkteliste aufmerksam:

Der am 10 . November 2016 (199 . Sitzung) überwie-
sene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem
Ausschuss für Arbeit und Soziales (11 . Ausschuss) zur
Mitberatung überwiesen werden:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stär-
kung der Heil- und Hilfsmittelversorgung


(Heilund Hilfsmittelversorgungsgesetz – HHVG)


Drucksache 18/10186
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Der am 10 . November 2016 (199 . Sitzung) überwie-
sene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem
Finanzausschuss (7 . Ausschuss) zur Mitberatung über-
wiesen werden:

Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Neunten Geset-
zes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbe-
werbsbeschränkungen

Drucksache 18/10207
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda

Ich frage Sie, ob Sie mit diesen Veränderungen ein-
verstanden sind. – Das ist offensichtlich der Fall. Dann
ist das so beschlossen .

Ich möchte, bevor ich den ersten Tagesordnungspunkt
aufrufe, nachträglich der Kollegin Kordula Schulz-
Asche zu ihrem 60 . Geburtstag sowie dem Kollegen
Klaus-Peter Flosbach zu seinem 65 . Geburtstag herz-
lich gratulieren . Alle guten Wünsche für das neue Le-
bensjahr!


(Beifall)


Ich rufe nun den Zusatzpunkt 2 auf:

Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU

Wahl einer Stellvertreterin des Präsidenten

Drucksache 18/10866

Die Fraktion der CDU/CSU schlägt die Abgeordnete
Michaela Noll als Stellvertreterin des Präsidenten vor .
Werden weitere Vorschläge gemacht? – Das ist offen-
sichtlich nicht der Fall .

Dann gebe ich denjenigen, die sich schon mit großer
Energie in die vermutete Richtung begeben, einige Hin-
weise zum Verfahren:

Gewählt ist, wie Sie richtig vermuten, wer die Stim-
men der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages erhält .
Für die Wahl benötigen Sie einen blauen Ausweis, den
Sie, soweit noch nicht geschehen, den Stimmkartenfä-
chern in der Lobby entnehmen können . Die blaue Stimm-
karte wird von den Schriftführerinnen und Schriftführern
an den Ausgabetischen neben den Wahlkabinen ausge-
geben .

Da die Wahl geheim ist, dürfen Sie Ihre Stimmkarte
nur in der Wahlkabine ankreuzen und müssen die Stimm-
karte ebenfalls noch in der Wahlkabine in den Umschlag
legen . Ich mache ausdrücklich darauf aufmerksam – und

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


bitte, es denjenigen, die es jetzt offenkundig nicht mit-
bekommen, gegebenenfalls persönlich weiterzugeben –,
dass Stimmkarten, die mehr als ein Kreuz, andere Namen
oder Zusätze, insbesondere auch Kommentare, enthalten,
ungültig sind .

Bevor Sie die Stimmkarte in die Wahlurne werfen,
müssen Sie der Schriftführerin oder dem Schriftführer an
der Wahlurne Ihren blauen Wahlausweis übergeben . Die
Abgabe des Wahlausweises dient zugleich als Nachweis
für die Beteiligung an der Wahl . Also kontrollieren Sie
bitte, ob der Wahlausweis Ihren Namen trägt .

Die beiden Wahlurnen sind neben dem Stenografen-
tisch vor dem Präsidium aufgestellt . Um einen reibungs-
losen Ablauf der Wahl zu gewährleisten, bitte ich Sie,
von Ihren Plätzen aus über die seitlichen Zugänge und
nicht durch den Mittelgang zu den Ausgabetischen zu
gehen. Das haben wir offenkundig so oft geübt, dass es
bereits genau so erfolgt ist .

Ich frage nun, ob die entsprechenden Plätze von den
Schriftführerinnen und Schriftführern besetzt sind . – Das
ist der Fall. Dann eröffne ich die Wahl.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ist noch ein Mit-
glied des Hauses im Saal anwesend, das seine Stimm-
karte nicht abgegeben hat? – Mein Eindruck ist, dass
jetzt alle jedenfalls anwesenden Mitglieder des Hauses
ihre Stimmkarte abgegeben haben . Dann schließe ich die
Wahl und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
mit der Auszählung zu beginnen . Bis zum Vorliegen des
Ergebnisses der Wahl – die Auszählung wird vermutlich
nicht lange dauern – unterbreche ich unsere Sitzung .


(Unterbrechung von 9 .42 bis 10 .00 Uhr)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1821200100

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene

Sitzung ist wieder eröffnet.

Ich möchte Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der Wahl einer Stell-
vertreterin des Präsidenten mitteilen: abgegebene Stim-
men 572, ungültige Stimmen 3 . 569 Stimmzettel waren
gültig . Mit Ja haben gestimmt 513 .


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Vollständigkeit halber muss ich darauf hinweisen,
dass es auch einzelne Neinstimmen gegeben hat . 27 Mit-
glieder des Hauses haben mit Nein gestimmt, und 29 ha-
ben sich der Stimme enthalten . Damit hat die Kollegin
Michaela Noll die erforderliche Mehrheit erkennbar er-
reicht .1)

Ich gratuliere Ihnen herzlich im Namen des ganzen
Hauses, auch persönlich . Wir alle freuen uns auf die Zu-
sammenarbeit, insbesondere die vollständig angetretenen

1) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 2

weiteren Mitglieder des Präsidiums . Alle guten Wünsche
für das neue Amt .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Frau Noll, bevor Sie jetzt weitere Glückwünsche ent-
gegennehmen, frage ich Sie, ob Sie auch gewillt sind, die
Wahl anzunehmen?


Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1821200200

Ich nehme die Wahl besonders gerne an . Herzlichen

Dank für das Vertrauen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1821200300

Jetzt sind wir alle erleichtert, und jetzt kann gratuliert

werden .


(Vizepräsidentin Michaela Noll nimmt Gratulationen entgegen)


Obwohl ich mir nicht sicher bin, ob wirklich sämt-
liche Mitglieder des Bundestages nun auch persönlich
gratuliert haben, schließe ich hiermit förmlich die Gra-
tulationscour . Es wäre zu schön gewesen, wenn auch das
Präsidium einzelne Blümchen bekommen hätte,


(Heiterkeit)


aber es geht halt im Leben nicht immer gerecht zu . Also
kehren wir jetzt schlicht zu unserer Tagesordnung zu-
rück .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c und 3 e
bis 3 h sowie den Zusatzpunkt 3 auf:

3 . a) Beratung der Unterrichtung durch die Bun-
desregierung

Zweiter Bericht der Bundesregierung zur
Entwicklung der ländlichen Räume

Drucksache 18/10400
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak-
torsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Karin Binder, Caren Lay, Sigrid Hupach,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Verbrauchertäuschungen beenden –
Klare Lebensmittelkennzeichnung durch-
setzen

Drucksache 18/10861

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Friedrich Ostendorff, Harald Ebner, Nicole
Maisch, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Landwirtschaft braucht Zukunft – Gutes
Essen braucht eine gute Landwirtschaft

Drucksache 18/10872
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit

e) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Ernährung und
Landwirtschaft (10 . Ausschuss) zu dem An-
trag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff,
Oliver Krischer, Nicole Maisch, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Zukunftsfähige Hühnerhaltung – Küken-
tötung schnellstmöglich ein Ende setzen

Drucksachen 18/7878, 18/10896

f) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Ernährung und
Landwirtschaft (10 . Ausschuss) zu dem An-
trag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff,
Dr . Anton Hofreiter, Oliver Krischer, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Bäuerlicher Milchviehhaltung eine Zu-
kunft geben – Milchmenge jetzt begren-
zen

Drucksachen 18/8618, 18/10897

g) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Ernährung
und Landwirtschaft (10 . Ausschuss) zu dem
Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch,
Friedrich Ostendorff, Harald Ebner, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Transparenz schaffen – Tierhaltungs-
kennzeichnung für Fleisch einführen

Drucksachen 18/4812, 18/10898

h) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Ernährung und
Landwirtschaft (10 . Ausschuss) zu dem An-
trag der Abgeordneten Harald Ebner, Nicole
Maisch, Friedrich Ostendorff, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Gentechnik-Anbauverbote bundesein-
heitlich und konsequent umsetzen

Drucksachen 18/3550, 18/3843

ZP 3 Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Ernährung und
Landwirtschaft (10 . Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Nicole
Maisch, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Sofortmaßnahmen für die Agrarwende – Für
eine bäuerlich-ökologische Landwirtschaft
und gutes Essen

Drucksachen 18/4191, 18/10899

Zu dem Bericht der Bundesregierung zur Entwicklung
der ländlichen Räume liegt ein Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen . – Dazu kann ich
keinen Widerspruch erkennen . Also ist das so beschlos-
sen . Wir verfahren so .

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundes-
landwirtschaftsminister Christian Schmidt das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:

Herr Präsident! Frau Vizepräsidentin, die vielen Blu-
men sind landwirtschaftliche Produkte; es freut mich
sehr, dass sie den Weg in den Plenarsaal des Deutschen
Bundestages gefunden haben . Als erster Redner des Hau-
ses nach der Wahl habe ich die große Freude, auch von
unserer Seite der neuen Vizepräsidentin des Deutschen
Bundestages einen herzlichen Glückwunsch zu über-
mitteln, verbunden mit dem Bedauern, dass wir hiermit
eine gute Parlamentarische Geschäftsführerin verlieren .
Falls weiter gefeiert werden sollte, bietet sich eventuell
die Grüne Woche, Halle 23 A, an . Ich lade hierzu sehr
herzlich ein .

Es freut mich, dass wir uns am Eröffnungstag der Grü-
nen Woche hier im Deutschen Bundestag zur Kernzeit
mit der Zukunft der ländlichen Räume auseinandersetzen
und den Bericht der Bundesregierung, den ich vorgelegt
habe, diskutieren . Bei der Grünen Woche geht es natür-
lich nicht nur um die ländlichen Räume und ihre Entwick-
lung; sie ist thematisch weiter und breiter aufgestellt . Ich
habe in diesem Jahr gemeinsam mit der Agrarminister-
konferenz Gäste aus über 60 Ländern weltweit begrüßt .
Diese Berliner Ernährungskonferenz hat sich damit zu
einem der zentralen internationalen Medien-, Austausch-
und Diskussionsforen entwickelt und bietet eine wichti-
ge Grundlage für politische Entscheidungen . Ich begrüße
herzlich auch von dieser Stelle die vielen internationalen
Gäste, darunter übrigens auch viele Parlamentarier, die
nach Berlin kommen, um über die globalen Fragen der
Landwirtschaft und der ländlichen Räume zu diskutieren .

Wir werden auf der Berliner Welternährungskonferenz
das so wichtige Thema „Landwirtschaft und Wasser“ be-
raten . Wasser ist die Voraussetzung für Nahrungsmittel-
produktion . Die Handlungsempfehlungen der Berliner
Welternährungskonferenz, die wir am Samstag formu-

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


lieren werden, werden am nächsten Tag, nämlich beim
Treffen der G-20-Agrarminister, konkretisiert. Es ist
bemerkenswert, dass wir Agrarpolitiker die Ersten sind,
die am kommenden Sonntag die Reihe der Ministerkon-
ferenzen im Rahmen der deutschen G-20-Präsidentschaft
eröffnen. Wir haben uns die Vernetzung zum Ziel unserer
Diskussionen gesetzt . Daran orientieren wir uns . Ich den-
ke, damit ist ein guter Anfang gemacht. Im Juli treffen
sich dann die Staats- und Regierungschefs in Hamburg .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


In Zeiten der Globalisierung begreifen immer mehr
Menschen, dass die regional verwurzelte Landwirt-
schaft und die vielfältigen ländlichen Regionen identi-
tätsbestimmend sind . Auch die ländlichen Regionen in
Deutschland stiften Identität und geben Heimat . 90 Pro-
zent der Fläche Deutschlands sind ländlich geprägt . Mehr
als die Hälfte der Deutschen leben auf dem Land . Hier
ist starker Mittelstand zu Hause – mit vielen Hidden
Champions und dem regionalen Handwerk. Hier finden
Familien bezahlbaren Wohnraum, und Städter finden Er-
holung. Durch die sozialen Strukturen in den dörflichen
Gemeinschaften sind die Aufnahme und Integration von
Neubürgern oft viel einfacher als in der Anonymität der
Großstädte . Dazu kommt, dass Bauern, Forstleute, Jäger
und Winzer die Kulturlandschaft pflegen und der Anteil
der ehrenamtlich Tätigen außerordentlich hoch ist . So sei
bei dieser Gelegenheit allen unseren Mitbürgerinnen und
Mitbürgern, die ehrenamtlich Aufgaben übernehmen und
sich so in die Gesellschaft einbringen, sehr herzlich ge-
dankt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Willi Brase [SPD])


Wo wir stehen und wo wir gezielt die ländliche Ent-
wicklung fördern müssen, das zeigt der Zweite Bericht
der Bundesregierung zur Entwicklung der ländlichen
Räume . Seit dem ersten Bericht, der 2011 erschienen ist,
sind wir bei der Förderung der ländlichen Regionen ei-
nen großen Schritt vorangekommen . Wir haben Förder-
programme erweitert und neue geschaffen. Wir haben die
Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur
und des Küstenschutzes“ in diesem Jahr mit insgesamt
765 Millionen Euro ausgestattet . Außerdem haben wir
die Mittel für mein neues Bundesprogramm „Ländliche
Entwicklung“, das es seit zwei Jahren gibt, von 10 auf
satte 55 Millionen Euro aufgestockt, um Pilotprojekte,
Tendenzen und Entwicklungen zu evaluieren .

Für den Rückenwind aus dem Bundeshaushalt danke
ich insbesondere den Kolleginnen und Kollegen aus dem
Haushaltsausschuss sehr herzlich . Das Geld ist gut an-
gelegt und wird gut angelegt werden; denn wir müssen
einen differenzierten Blick auf die Notwendigkeiten der
Regionen haben . Mittel kann man wirkungsvoll und ge-
zielt dann einsetzen, wenn man weiß, vor welchen He-
rausforderungen einzelne Regionen konkret stehen .

Man muss unterscheiden: In Regionen nördlich des
Bodensees geht es eher um das Thema Siedlungsdruck
und damit verbundene mögliche Infrastrukturmaßnah-
men . Sie haben eine ganz andere Sicht als jene Regio-
nen, die Schwierigkeiten aufgrund der demografischen

Entwicklung haben, weil dort die Infrastruktur von im-
mer weniger Menschen nachgefragt wird . Krankenhäu-
ser werden geschlossen, obwohl die Menschen dort –
auch wenn es nur Hundert sind und nicht Tausend – auch
krank werden .

Auf diese Fragen müssen wir differenzierte Antwor-
ten finden. Als Grundlage dafür dient das neue Informati-
onsportal meines Ministeriums, mit dem man sich einen
Überblick verschaffen kann unter der Adresse www .zu-
kunft .land . Das Internetportal gibt mit interaktiven Kar-
ten in einem Landatlas Auskunft über die Lage in den
Gemeinden und Landkreisen . Ich habe mir erlaubt, jeder
Kollegin und jedem Kollegen des Deutschen Bundesta-
ges eine entsprechende Hardcopy ins Büro zu schicken .

Hinsichtlich Demografie und Daseinsvorsorge gibt es
ländliche Regionen mit gravierenden Problemen . Des-
wegen müssen die Aufgaben koordiniert werden . Das
Querschnittsdenken darf nicht dazu führen, dass länd-
liche Entwicklung in vielen Bereichen ein politisches
Randthema wird . Diese muss vielmehr in die Mitte ge-
stellt werden . Ich baue mein Haus, mein Ressort deswe-
gen entsprechend um, und zwar zu einem Ministerium,
das für Ernährung und Landwirtschaft, aber auch für die
ländlichen Regionen da ist . Sie wissen, dass ich unter der
Überschrift „Aussaat 2017“ eine neue Struktur mit einer
neuen, hierfür spezifizierten Abteilung geschaffen habe.

Ich will mit meinen europäischen Kollegen die Ge-
meinsame Agrarpolitik noch stärker auf die Steigerung
der Attraktivität ländlicher Regionen ausrichten . Über die
GAP werden wir bis zum Jahr 2020 sowieso eine ganze
Reihe von intensiven Diskussionen führen müssen . Wir
müssen nicht nur die Erfahrungen der Vergangenheit be-
rücksichtigen, sondern auch die Herausforderungen der
Zukunft annehmen .

Wenn ich einen Satz zur ländlichen Entwicklung sa-
gen darf: Wir stellen fest, dass viel Grund und Boden in
die Hände von Wenigen, vor allem von solchen außerhalb
der Landwirtschaft, kommt . Diese Feststellung berührt
die Zielrichtung der Agrarstrukturpolitik . Wir dürfen an
solchen Fragen nicht vorbeigehen . Hedgefonds, die Hun-
derttausende von Hektaren haben, sind eigentlich nicht
die Ansprechpartner, mit denen wir über Agrarstruktur-
politik reden sollten .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Politik für die ländlichen Regionen aus einem Guss
erfordert deswegen auch, dass wir die Gemeinschaftsauf-
gabe strategisch weiterentwickeln . Eine Gemeinschafts-
aufgabe „Ländliche Entwicklung und Demografie“ sollte
eine Antwort auf die Fragen sein, übrigens, um das ganz
klar zu sagen, nicht um die agrarstrukturelle Förderung
zurückzuführen, sondern – ganz im Gegenteil – um sie
zu ergänzen .

Ich freue mich, dass Phil Hogan, der EU-Kommissar,
den Cork-2 .0-Prozess, das heißt die europäische Diskus-
sion über ländliche Räume, eröffnet hat. Cork ist eine
irische Stadt, die auch aus einer Regionalitätserfahrung
heraus weiß, welche Herausforderungen bestehen . Wir
müssen deswegen gemeinsam – europäisch, national und

Bundesminister Christian Schmidt

http://www.zukunft.land
http://www.zukunft.land





(A) (C)



(B) (D)


regional – mit Modellen und Anstößen für die wirtschaft-
liche Entwicklung arbeiten . Die Land- und Forstwirt-
schaft wird ihre große Bedeutung für die Wirtschaft in
den ländlichen Räumen und ihre Motorfunktion in der
gesamten Wertschöpfungskette behalten . Wir werden
und müssen sie allerdings ergänzen .

Unverzichtbarer Bestandteil der ländlichen Regionen
sind die Bauernfamilien . Sie versorgen uns mit Lebens-
mitteln, die so sicher, gesund und vielfältig sind wie nie
zuvor .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dafür gebührt unseren Bäuerinnen und Bauern ein herz-
licher Dank von dieser Stelle seitens des Deutschen Bun-
destags und der Bundesregierung . Gleichwohl bin ich
davon überzeugt, dass wir die deutsche Landwirtschaft
langfristig nur dann erfolgreich in der Mitte der Gesell-
schaft verankern können, wenn wir einen gesellschafts-
politischen Ansatz wählen .

Deswegen habe ich zum Jahreswechsel das Grünbuch
als den Fahrplan für die deutsche Ernährungs- und Agrar-
politik vorgestellt . Es beschreibt Wegmarken unserer Po-
litik für eine zukunftsfeste Landwirtschaft und lebendige
ländliche Regionen, ergänzt um den Blick auch auf den
internationalen Bereich . Wir können in einer Zeit der
Globalisierung den Blick nicht nur auf unsere nationalen
Befindlichkeiten richten.


(Beifall des Abg . Willi Brase [SPD])


Ich mache mir, wie wir alle, um Europa und auch um
die Zukunft der europäischen Agrarpolitik Sorgen, wenn
die Diskussion sich allein um die Finanzen drehen sollte .
Nein, es bleibt dabei, dass die europäische Agrarpolitik
eines der Fundamente der europäischen Zusammenarbeit
ist; denn sie sorgt mit dafür, dass die ländlichen Räume
eine Zukunft haben .

Eine Wegmarke wird hierbei auch die Beantwortung
der Frage sein, wie Landwirtschaft und Tierhaltung in
der Zukunft aussehen . Die Düngeverordnung, über die
wir heute nicht diskutieren, über die wir uns aber in ei-
nem breiten Konsens geeinigt haben, und das Dünge-
gesetz werden in den nächsten Tagen und Wochen die
parlamentarischen und die anderen Beratungen erreichen
bzw . verlassen . Ich denke, das ist eine gute Basis für ei-
nen vernünftigen Ausgleich zwischen der Landwirtschaft
und der Notwendigkeit des Nährstofftransfers einerseits
und den Umwelt- und Klimafragen andererseits, an de-
nen wir natürlich nicht vorbeigehen können und auch
nicht vorbeigehen wollen .

Ich möchte noch einen Punkt herausgreifen . Die tieri-
sche Veredelung in Deutschland erfordert Geld . Die An-
sprüche der Gesellschaft sind sehr hoch . Manchmal neigt
die Gesellschaft dazu, Ansprüche zu erheben, aber keine
Antwort auf die Frage zu geben, wie sie denn finanziert
werden sollen . Da und dort mögen wir unterschiedlicher
Auffassung sein – Herr Hofreiter, ich habe Ihr Buch ge-
lesen, das Sie vor einiger Zeit geschrieben haben –: Ich
will einen Zweiklang . Ich möchte nicht nur mit dem Sie-
gel „Tierwohl“ für Qualität und Verlässlichkeit für den
Verbraucher sorgen, sondern parallel mit einer Nutztier-
haltungsstrategie auch die notwendigen Investitionsmit-

tel generieren, damit die Bauern die Möglichkeit haben,
das, was von Ihnen gefordert wird, ökonomisch und öko-
logisch verträglich umzusetzen . Ich denke, hierüber ist
zu diskutieren .

Seitens der Länder gibt es den Vorschlag, gemeinsam
eine Tierwohlstrategie zu entwickeln . Dem verschließe
ich mich nicht . Kollege Gert Lindemann, der als Staats-
sekretär gedient hat – –


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1821200400

Herr Minister, darf ich Sie auf Ihre Redezeit aufmerk-

sam machen? Sie ahnen, was jetzt kommt .

Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:

Ja, ich bedanke mich .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Spannungsbogen!)


Das ist aber ein solch spannendes Thema, Herr Präsident,
dass ich noch einen Satz zum Abschluss sagen möchte .

Ich bin bereit dazu, dass wir uns auch über diese Fra-
gen unterhalten, weil ich glaube, dass es nicht gut wäre,
wenn wir uns über die Köpfe der Tierhalter und der Tiere
hinweg streiten und dabei das Wohl derselben aus den
Augen verlieren würden . Ich bedanke mich für die Un-
terstützung, die ich in diesen Fragen erhalten habe . Noch
einmal, wenn ich das darf, eine herzliche Einladung zur
Grünen Woche .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1821200500

Herr Minister, das ist zweifellos ein spannendes The-

ma . Die Tragik unserer Geschäftsordnung besteht nur
darin, dass dann, wenn Mitglieder der Bundesregierung
von ihrem verfassungsrechtlich verbrieften Recht, hier
zu reden, in einer besonders ausführlichen Weise Ge-
brauch machen, die Mitglieder der eigenen Fraktion zum
gleichen spannenden Thema leider in noch begrenzterem
Umfang Redemöglichkeiten erhalten .

Die nächste Rednerin ist die Kollegin Heidrun Bluhm
für die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Heidrun Bluhm (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821200600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Mich betrifft der Hinweis zur Redezeit nicht; ich muss
mich trotzdem beeilen, weil zwei weitere Kolleginnen
aus meiner Fraktion ebenfalls wichtige Themen anspre-
chen wollen .

Ich will mich heute im Wesentlichen auf den Teil be-
schränken, der die ländlichen Räume betrifft. Die Bun-
desregierung legt dem Parlament dazu heute, also im
letzten Jahr dieser Legislaturperiode, einen Bericht zur
ländlichen Entwicklung vor . Dazu möchte ich mich äu-
ßern .

Bundesminister Christian Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


Endlich scheint man die Bedeutung des ländlichen
Raums zu erkennen; wir finden: viel zu spät, aber im-
merhin . Einige Akzente, die in diesem Bereich gesetzt
wurden, hat Herr Schmidt in seiner Rede vorgestellt . In
den letzten Monaten hat sich tatsächlich etwas getan . Am
Anfang einer Oppositionsrede darf durchaus ein bisschen
Lob stehen . Deswegen will ich hier durchaus wohlwol-
lend erwähnen, dass ich mich freue, dass wir es alle ge-
meinsam in den Haushaltsberatungen geschafft haben,
die Mittel für den ländlichen Raum tatsächlich ein we-
nig aufzustocken . Sie hören es schon: „Ein wenig“ heißt,
dass wir noch nicht wirklich zufrieden sind . Deshalb
legen wir heute einen Entschließungsantrag vor, in dem
wir Ihnen unsere Vorstellungen zur Finanzierung darle-
gen . Ich freue mich auch darüber, dass Herr Schmidt sich
einen Sachverständigenrat an die Seite geholt hat, der ihn
bei der Behandlung des Themas „ländliche Räume“ be-
rät, und zwar kritisch berät .

Innerhalb der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung
der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ und mit dem
Bundesprogramm „Ländliche Entwicklung“ haben wir
erste Schritte unternommen . Ich sage hier aber auch: Mit
diesen ersten Schritten werden wir nichts wirklich We-
sentliches verändern hinsichtlich der Fehlentwicklung,
der unterschiedlichen Entwicklung von Städten und Ge-
meinden . Wir haben auf der einen Seite die Ballungsge-
biete und auf der anderen Seite die ländlichen Räume,
die mit diesen hinsichtlich der Entwicklung nicht Schritt
halten können .

Ich weiß nicht, ob man sich über die Ergebnisse des
Berichts, die hier heute zur Debatte stehen, freuen kann .
Denn auch der Bericht zeigt zum Teil diese Planlosig-
keit . Eine geschlossene und solide Strategie, wie man die
ländlichen Räume jetzt so entwickeln will, dass sie mit
den Städten Schritt halten können, können wir bis heute
nicht erkennen und konnten wir auch aus der Rede von
Herrn Schmidt nicht heraushören . Sie machen ein biss-
chen hier, Sie machen ein bisschen da, geben etwas Geld
obendrauf und fertig .

Wir müssen uns fragen, ob das, was die Bundesre-
gierung in den letzten Monaten an Akzenten erkennen
lässt, eine wirklich zukunftsgewandte Politik für den
ländlichen Raum darstellt oder ob es sich da auch nur
wieder um Nebelkerzen handelt, mit denen Engagement
suggeriert werden soll . Denn aus der Ankündigung im
Koalitionsvertrag, aus der Gemeinschaftsaufgabe „Ver-
besserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“
eine richtige Gemeinschaftsaufgabe für den ländlichen
Raum zu machen, ist nichts geworden, wie wir seit dem
letzten Jahr wissen . Es gibt Flickschusterei statt wirkli-
cher Reformen, Ankündigungsmodus statt Grundgesetz-
änderung . Allein an dieser Frage erkennt man, wie ernst
Sie es mit dem ländlichen Raum meinen . Eine wirkliche
Maßnahme wäre nämlich gewesen, mit der Gesetzesän-
derung damals auch die entsprechende Grundgesetzän-
derung vorzunehmen .

Allerdings frage nicht nur ich mich, woher jetzt das
Engagement des BMEL für den ländlichen Raum kommt .
Denn am Ende der Regierungszeit wird plötzlich eine ei-
gene Abteilung für den ländlichen Raum im Bundesmi-

nisterium gebildet. Ich finde, das wäre eine Maßnahme,
die am Anfang einer Legislaturperiode stehen sollte .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich weiß nicht, wie das im letzten halben Jahr tatsächlich
noch zu Ergebnissen führen kann .

„Aussaat 2017“ nannten Sie Ihre Strategie, Herr Mi-
nister, die Sie im Dezember vorgestellt haben . Mir gefällt
ja dieses sprachliche Bild . Um dabei zu bleiben: Eigent-
lich hätte es „Ernte 2017“ heißen müssen .

Der Städte- und Gemeindebund ist nicht der einzige
Verband, der fordert, dass die ländliche Entwicklung
dauerhaft ein eigenständiges Politikfeld sein muss . Das
fordern auch wir .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir fordern, dass die ländliche Entwicklung mit der
Landwirtschaft, der Digitalisierung, dem Klima- und
Umweltschutz, aber insbesondere mit der Daseinsvor-
sorge der Menschen in den ländlichen Räumen verbun-
den wird . Wir müssen den Breitbandausbau fördern und
dem Ausbluten der Schrumpfungsregionen und vor allem
auch dem demografischen Wandel entgegenwirken.

Herr Minister, wir fragen Sie: Zeichnet sich bei der
neuen Struktur in Ihrem Ministerium eine Aufspaltung
des BMEL ab? Ist das Kompetenzgerangel, das Sie seit
einigen Monaten mit Frau Hendricks haben – wir erleben
das ja –, ein Ausdruck dafür?


(Dr . Wilhelm Priesmeier [SPD]: Das ist ein Dialog, kein Gerangel!)


Auch die Linke ist für die Bündelung von Kompetenzen;
da will ich gar nicht drum herumreden . Auch wir wollen
eine koordinierte Politik für den ländlichen Raum .

Ich kann mir einen Minister für Regionalstrukturent-
wicklung und den ländlichen Raum auf Bundesebene
durchaus vorstellen . Doch ich möchte mit Ihnen hier
nicht in erster Linie über Ministerien diskutieren . Ich
möchte, dass die Förderung strukturschwacher Regionen
bis 2020 nicht zur Hängepartie wird .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir wollen eine kommunale Finanzausstattung, die
es den Kommunen ermöglicht, alle Aufgaben in den
Gemeinden selbstverwaltet und selbstbestimmt zu lö-
sen . Dazu brauchen Sie, Herr Minister, mindestens noch
einen dritten Minister, nämlich Herrn Schäuble . Wir
wollen eine in sich schlüssige Politik für den ländlichen
Raum, Politik aus einem Guss, keine 100 Förderoptionen
oder Modellprojekte, wie sie auch im Bericht kritisiert
werden . Wir wollen eine verlässliche und solide Finan-
zierung, damit die Menschen im ländlichen Raum gleich-
wertige Lebensbedingungen haben wie in der Stadt: ei-
nen Arzt, einen Konsum, eine Schule, einen Bus, eine
Kneipe, Sport- und Karnevalsvereine sowie Männer- und
Frauenchöre, selbstbestimmt und selbstverwaltet .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1821200700

Frau Kollegin .

Heidrun Bluhm






(A) (C)



(B) (D)



Heidrun Bluhm (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821200800

Am Ende noch einen Satz: Arbeiten wir gemeinsam

daran . Das haben wir in unserem Antrag vorgeschlagen .
Ich freue mich auf die Diskussionen mit Ihnen .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1821200900

Für den Bundesrat erhält nun der Landesminister Till

Backhaus das Wort .


(Beifall bei der SPD)



(Mecklenburg-Vorpommern)


Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Ich bin natürlich dankbar, dass ich
von der SPD-Fraktion heute ein wenig Redezeit bekom-
men habe . Ich möchte aus der Sicht des Landes Mecklen-
burg-Vorpommern – für mich das schönste Bundesland
der Welt; das war der Werbeblock – einige Anmerkungen
machen .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Heidrun Bluhm [DIE LINKE])


Wir haben auch schon in der Rede des Bundesminis-
ters gehört, dass der heutige Tag – heute wird die Grü-
ne Woche eröffnet – natürlich ein guter Anlass ist, über
die Landwirtschaft, die ländlichen Räume, aber auch
eine Zukunftsstrategie insgesamt für die Bundesrepublik
Deutschland zu reden . Ich glaube, für die Sozialdemo-
kratie gilt: Wir wollen lebendige, lebensfähige ländliche
Räume .


(Beifall bei der SPD)


Es geht ausdrücklich darum, hochwertige Lebensmit-
tel zu produzieren . Ich sage sehr klar und deutlich: Wir
alle brauchen die Landwirtschaft zum Leben .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir stellen die Landwirtschaft nicht unter Generalver-
dacht,


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist aber neu!)


sondern wir wollen, dass ökologische Landwirtschaft,
regionale Landwirtschaft und konventionelle Landwirt-
schaft eine Chance haben .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich glaube, man darf sagen: Noch nie waren die Le-
bensmittel in Deutschland so sicher wie heute . Deswe-
gen geht mein Dank an die Landwirtschaft, an die Ernäh-
rungswirtschaft und an die ländlichen Räume insgesamt .
Denn sie sind identitätsstiftend, sie sind ein Teil unserer
Kulturlandschaft . Sie sind ein wichtiger Teil des Na-
turreichtums in der Biodiversität, sie leisten einen Bei-
trag zum Klimaschutz und selbstverständlich auch zum
Schutz der natürlichen Ressourcen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Die ländlichen Räume sind und bleiben Zukunftsräu-
me . Wer das nicht erkennt und leichtfertig versucht, die-
ses Politikfeld ideologischen Strukturen anzupassen, der
wird Schiffbruch erleiden.

Aus der Erfahrung vieler Jahre Arbeit in Mecklen-
burg-Vorpommern sage ich Ihnen, dass derjenige, der
sich um die ländlichen Räume kümmert, auch wahlent-
scheidende Grundlagen liefert . Auch das ist ein Teil un-
serer lebendigen Demokratie . Die Erfahrungen, die wir
gerade in den letzten Monaten bei der Wahl in Meck-
lenburg-Vorpommern gesammelt haben, sollten uns die
Sache aufmerksam verfolgen lassen . Es ist wichtig, dass
das Ehrenamt eine aktive Rolle spielt . Darüber hinaus
müssen wir die Strukturen weiter straffen.

Ich erwarte im Übrigen, Herr Bundesminister, dass
die Diskussion um die Zukunftsfähigkeit der europäi-
schen Agrarpolitik einen hohen Stellenwert innerhalb der
Bundesregierung erfährt . Ich möchte gerne, dass wir die
gemeinsame europäische Politik für die ländlichen Räu-
me, die Landwirtschaft und die Umwelt erhalten . Es ist
ein positives Beispiel weltweit, was wir in den letzten
Jahrzehnten in Europa geleistet haben .

An dieser Stelle noch einmal der ausdrückliche Dank
an die Bundestagsabgeordneten, die den neuen Bundes-
ländern so immens geholfen haben, die Investitionen in
eine umweltverträgliche Wirtschaft insgesamt zu beglei-
ten .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir
uns auf die Zukunftsaufgaben und -felder konzentrie-
ren, dann steht an erster Stelle die Versorgung Europas
mit hochwertigen Lebensmitteln . Leider wird das heute
als so selbstverständlich vergessen . Das ist die erste und
wichtigste Grundlage .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Manchmal habe ich den Eindruck, dass wir gar nicht
mehr begreifen, in welchem Wohlstand wir eigentlich le-
ben . Deswegen ist es so wichtig, denjenigen zu danken,
die an 365 Tagen im Jahr hochwertige Lebensmittel pro-
duzieren . Ich lasse nicht zu, dass wir die konventionelle
Landwirtschaft gegen die ökologische Landwirtschaft
ausspielen . Nein, sie gehören zusammen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Für mich ist eins sehr klar und deutlich: Die konven-
tionelle Landwirtschaft muss ökologischer werden, und
die ökologische Landwirtschaft muss wirtschaftlicher
werden . Wer das nicht begreift, der wird die Märkte nicht
bedienen können .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Sehr geehrter Herr Bundesminister, die Zusammenar-
beit zwischen den Ländern und dem Bund hat gezeigt,
dass wir sehr wohl in der Lage sind – auch in einem Jahr,
in dem die Bundestagswahl ansteht –, wichtige Grundla-
gen zu schaffen. Ich bin Wilhelm Priesmeier und meiner
eigenen Fraktion dankbar dafür, dass wir gemeinsam den
Knoten für die Düngeverordnung und das Düngegesetz
durchgeschlagen haben . Das ist eine wichtige Grundlage,






(A) (C)



(B) (D)


um endlich auch beim Ressourcenschutz voranzukom-
men .

Ich bin sehr froh und dankbar, dass sich die beiden
Bundesministerien endlich geeinigt haben . Der Sack ist
zu! Das sage ich ausdrücklich auch in Richtung der Grü-
nen . Ich erwarte von Ihnen und uns, dass wir jetzt sehr
schnell gemeinsam dieses wichtige Vorhaben im Bund
und in den Ländern verabschieden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zum Abschluss will ich die Grundlagen, die für mich
von so entscheidender Bedeutung für die Zukunft der
Landwirtschaft, der ländlichen Räume und des Umwelt-
schutzes sind, noch einmal für Deutschland und Europa
auf den Punkt bringen . Ich habe gesagt: Wir brauchen
hochwertige Lebensmittel, die preiswert, aber nicht billig
sind . Dies muss mit mehr Inhalten versehen werden . Ich
bin gespannt, Herr Bundesminister, ob Sie heute, auch
was das Tierwohl-Label anbetrifft, endlich die richtigen
Weichen stellen . Ich erwarte das . Ich kann mir vorstellen,
dass unser Modell nach dem Beispiel der Eierproduktion
sehr schnell in die Tat umgesetzt werden kann . Wir haben
dafür in Mecklenburg-Vorpommern die Weichen gestellt .

Ich glaube zum Zweiten, dass die zukünftigen He-
rausforderungen gerade für die ländlichen Räume darin
bestehen, Vorreiterregionen für den Klimaschutz und die
Artenvielfalt in Europa zu sein . Denn in den ländlichen
Räumen finden jeden Tag Biodiversität und Klimaschutz
statt . Sie sind ein wichtiges Standbein der zukünftigen
Entwicklung . Hier muss mehr getan werden .

Ich glaube auch, dass die Förderung der ländlichen
Räume in der Landwirtschaft perspektivisch tatsächlich
das Prinzip „Öffentliches Geld für öffentliche Leistun-
gen“ beinhalten muss . Eine pauschale Ausgleichszahlung
wird die Erfolge, die wir für den Klimaschutz, den Natur-
und Umweltschutz und den Ressourcenschutz dringend
benötigen, nicht auf Dauer erbringen können . Rot-Grün
hat zwar eine gute Weichenstellung vorgenommen . Aber
der Übergang muss weiterentwickelt werden – hin zu
dem Prinzip „Öffentliches Geld für öffentliche Leistun-
gen“ – und an klare Kriterien geknüpft werden .


(Beifall bei der SPD)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, ganz zum
Schluss: Herr Bundesminister, Sie haben das Thema der
Strukturentwicklung angesprochen . Der kardinale Fehler
im Zuge der deutschen Einheit im Hinblick auf die Land-
wirtschaft und die ländlichen Räume – sehr geehrter Herr
Präsident, ich bedaure das – war der Zwang zur Privati-
sierung von Grund und Boden .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Das, was hier abläuft, und die Transfers, die heute noch
aus Richtung Osten in Richtung der älteren Bundesländer
stattfinden, sind unglaublich.

Ich habe auch an dieser Stelle, im Bundestag, immer
wieder darauf hingewiesen: Lassen Sie uns Strukturpo-
litik für die ländlichen Räume auch über den Grund und

Boden machen! – Leider ist dies der rein fiskalpolitischen
Entscheidung der Bundesregierung zum Opfer gefallen .

Das, was sich in den neuen Ländern insgesamt ab-
spielt, was die Privatisierung und die weitere Privati-
sierung anbetrifft, will ich an einem Beispiel deutlich
machen . Anfang der 90er-Jahre hat 1 Hektar Grund und
Boden in Mecklenburg-Vorpommern 500 D-Mark ge-
kostet . Heute haben wir nach Auswertung der BVVG,
einer Tochter des Bundes, einen Durchschnittspreis von
24 300 Euro pro Hektar . Auf die Idee, dass man mit der
Privatisierung von Grund und Boden solche Gewinn-
margen einfahren kann, wären nicht einmal Analysten
gekommen . Dass das Konsequenzen für die Lebendig-
keit und die Lebensfähigkeit der ländlichen Räume hat,
dürfte, glaube ich, jedem klar sein .

Ich wiederhole mein Angebot und bitte Sie sehr, sehr
herzlich, die letzten Flächen, die noch im Eigentum des
Bundes sind, unentgeltlich auf die Länder zu übertragen,
um damit insbesondere jungen Menschen in den ländli-
chen Räumen eine Zukunft zu geben. Ich hoffe, dass die
Grüne Woche Sie in die Lage versetzt, den Frühling zu
erkennen, der damit nach Berlin geholt wird, und dass
die Geschmäcker und die Reize der Vielfalt der über
100 000 Produkte, die wir dort präsentieren werden, Ih-
nen aufzeigen, wie wichtig die Landwirtschaft ist; denn
wir brauchen sie zum Leben . Eine der schönsten Hallen
war in den letzten Jahren übrigens die Halle 5 .2 b, die
Mecklenburg-Vorpommern-Halle .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Gitta Connemann [CDU/CSU])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1821201000

Auch diese Halle kann es mit dem Plenarsaal des

Deutschen Bundestages selbstverständlich nicht aufneh-
men . – Nachdem wir dies klargestellt haben, hat der Kol-
lege Anton Hofreiter nun das Wort .


Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821201100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrter Herr Bundesminister, von den
Initiativen, die Sie in letzter Zeit ergriffen haben, ist eine
medial besonders aufgeschlagen, nämlich Ihr Kampf ge-
gen die vegane Currywurst .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bei diesem Klamauk frage ich mich persönlich: Wann
sehen wir Ihren Kampf gegen die Fleischtomate, gegen
das Jägerschnitzel oder vielleicht gegen die Rosinen-
schnecke?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gitta Connemann [CDU/CSU]: Sie waren auch schon mal komischer, Herr Hofreiter!)


Wenn man sich die Situation anschaut, stellt man aller-
dings fest: Es gibt ja wirklich Verbrauchertäuschung und
verbrauchertäuschende Etiketten . Es gibt zum Beispiel
einen großen Discounter, der auf seinen Fleisch- und
Wurstprodukten ein schönes, wunderbares Bild zeigt . Zu
sehen sind darauf drei Eichen, ein schönes, fachwerkge-

Minister Dr. Till Backhaus (Mecklenburg-Vorpommern)







(A) (C)



(B) (D)


schmücktes Haus, und es heißt, das Fleisch sei vom Gut
Drei Eichen . Wenn man nachfragt, wo eigentlich dieses
wunderschöne Gut Drei Eichen liegt, stellt man fest: Das
liegt nirgendwo . Das gibt es überhaupt nicht . Dieses Gut
ist schlichtweg eine Erfindung dieses Discounters.

Sie könnten also etwas gegen echte Verbrauchertäu-
schung – dafür sind Sie zuständig – tun, statt absurde
Kämpfe gegen für jeden offensichtliche Ausdrücke zu
führen, die nur Ihrer ideologischen Abneigung gegen
Veganer und Vegetarier geschuldet sind .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dann sind noch weitere Initiativen bekannt gewor-
den. Besonders schön war Ihre Schweinefleischpflicht
für Kitas . Ein Highlight war auch Ihr Apfelessen gegen
Putin . Allerdings: Hinter all diesen unfreiwillig komi-
schen Aktionen bleibt natürlich etwas auf der Strecke,
nämlich die Arbeit in Ihrem Ministerium .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie haben ein Ministerium, das von großer Bedeutung
für die Zukunft dieses Landes ist . Dieses Ministerium
trägt Verantwortung für einen Wirtschaftszweig, der ei-
nen Großteil der Fläche unseres Landes bewirtschaftet .
Sie tragen Verantwortung für eines der wichtigsten Güter
in unserem Land: Sie tragen Verantwortung für die Le-
bensmittel, die bei uns produziert werden . Damit tragen
Sie indirekt auch Verantwortung für viele weitere Berei-
che . Sie tragen mehr Verantwortung für den Erhalt der
Artenvielfalt in unserem Land als die Umweltministerin,
weil Forst- und Landwirtschaft einen Großteil der Flä-
chen bei uns bewirtschaften .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie tragen Verantwortung dafür, unser Grundwasser
zu schützen, weil Land- und Fortwirtschaft auf einem
Großteil unserer Flächen betrieben wird . Sie tragen Ver-
antwortung für den Tierschutz . Sie tragen Verantwortung
für den Schutz der Menschen vor multiresistenten Kei-
men, soweit dies die Landwirtschaft betrifft. Sie tragen
auch Verantwortung für das Schicksal vieler Bäuerinnen
und Bauern, die auch in Zukunft ein vernünftiges Aus-
kommen mit ihren Höfen haben wollen .

Für all das tragen Sie Verantwortung . Da kann ich,
ehrlich gesagt, nicht verstehen, dass Sie aus Ihrem Mi-
nisterium eine Art Klamaukministerium gemacht haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gitta Connemann [CDU/CSU]: Klamauk machen nur Sie, lieber Herr Hofreiter!)


Ich wünsche mir etwas ganz Konkretes von Ihnen,
nämlich dass Sie endlich dafür sorgen, dass Tierschutz-
skandale nicht in gewisser Regelmäßigkeit aufgedeckt
werden . Vielmehr sollten Sie für Tierschutz sorgen .

Ein erster Schritt, der auch mit einer besseren Infor-
mation der Verbraucherinnen und Verbraucher verbun-
den sein könnte, wäre, das von Minister Backhaus aus
Mecklenburg-Vorpommern erwähnte Vorhaben, nämlich
die Kennzeichnung, die bei den Eiern sehr erfolgreich

ist, auch auf andere tierische Produkte auszuweiten . Was
hindert Sie daran?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Stattdessen kommen Sie mit einem irgendwie freiwil-
ligen Tierwohl-Label daher, bei dem am Ende nicht alle
mitmachen müssen . Stattdessen kommen Sie mit immer
neuen Ankündigungen . Noch nicht einmal bei Ihrem
freiwilligen Tierwohl-Label ist klar, wann es umgesetzt
wird . Setzen Sie deshalb die klare Kennzeichnung tieri-
scher Produkte wie bei den Eiern um . Dann können die
Verbraucherinnen und Verbraucher selbst wählen . Was
hindert Sie? Sie haben hier die Mehrheit, also entschei-
den Sie mit Ihrer Mehrheit endlich einmal etwas Ver-
nünftiges!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nehmen wir ein anderes wichtiges Beispiel, näm-
lich die Frage der Lebensmittelverschwendung . Das ist
ein wichtiges Thema . 18 Millionen Tonnen Lebensmit-
tel werden verschwendet . In Ihrem Haus sind ein paar
Broschüren entstanden, die wahrscheinlich genauso wie
die Lebensmittel im Abfalleimer landen . Warum tun Sie
nichts Konkretes, außer nur Appelle an die Verbrauche-
rinnen und Verbraucher zu richten?

Man kann auch etwas gegenüber den großen Super-
marktketten tun . Aber dann muss man sich mit diesen
Supermarktketten anlegen . Da ist es doch viel einfacher,
den Bürgerinnen und Bürgern zu sagen: Werft doch bit-
te weniger Brot weg . – Ja, das ist richtig . Aber das ist
nicht die Hauptaufgabe einer Regierung . Das ist nicht die
Hauptaufgabe einer Parlamentsmehrheit . Die Hauptauf-
gabe einer Parlamentsmehrheit ist es, Dinge gesetzlich zu
regeln und dafür zu sorgen, dass die großen Verschwen-
der endlich damit aufhören . Aber wie gesagt: Das muss
man sich trauen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Sabine Leidig [DIE LINKE])


Dann haben Sie in Ihrer Rede darüber geklagt, dass
die Hedgefonds immer mehr Land aufkaufen . – Das ist
ein Problem . Aber das hat auch damit zu tun, wie un-
sere Agrarsubventionen ausgereicht werden . Die großen
Mengen von Steuergeld, die wir zum Glück zur Verfü-
gung haben, werden schlichtweg danach ausgereicht, wer
möglichst viel Grund und Boden hat . Das hat zur Folge,
dass die 3 bis 4 Prozent größten Betriebe – von Höfen
kann man hier kaum sprechen – über 25 Prozent dieses
Steuergeldes bekommen . Das sind über 1 Milliarde Euro .

Die EU erlaubt Ihnen, 15 Prozent dieser Gelder anders
zu verteilen . Das ist bereits jetzt möglich . Und was tun
Sie? Sie beklagen das Ganze hier, tun aber nichts . Dabei
könnten Sie Millionen in der Hand haben, um die bäuer-
liche Landwirtschaft zu unterstützen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Sabine Leidig [DIE LINKE])


Dass das dringend notwendig ist, hat man auch im
letzten Jahr gesehen . Allein im letzten Jahr Ihrer Amts-
zeit haben 4 000 Milchbauern ihren Hof aufgeben müs-

Dr. Anton Hofreiter






(A) (C)



(B) (D)


sen . Und was ist Ihnen eingefallen? Ein paar Almosen für
die Betroffenen!


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: 650 Millionen Euro sind für Sie Almosen? Sie haben keinen einzigen Vorschlag gemacht! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Und Sie haben noch dagegengestimmt!)


Sie müssen an der Struktur etwas verändern, damit Sie
diesen Menschen helfen können und die Preise nicht im-
mer wieder kollabieren .


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Menschenverachtend!)


– Es hilft überhaupt nichts, hier mit unsachlichen Äuße-
rungen dazwischenzuquatschen .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU)


Davon wird nämlich kein einziger Milchbauer und keine
einzige Milchbäuerin, die im letzten Jahr ihren Hof ver-
loren haben – es waren über 4 000 –, seinen bzw . ihren
Hof zurückbekommen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb: Tun Sie endlich etwas! Sie sind an der Re-
gierung und haben eine 80-Prozent-Mehrheit . Sorgen Sie
dafür, dass die Verbraucher endlich vernünftig informiert
und die Tiere und unser Grundwasser geschützt werden,
dass das Artensterben nicht so weitergeht und dass nicht
immer mehr Landwirte aufgeben müssen und von ihren
Höfen vertrieben werden .


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Das ist eine Schande!)


Wenn Sie so weitermachen, dann werden Sie endgül-
tig zu den Totengräberinnen und Totengräbern unserer
bäuerlichen Landwirtschaft .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Willi Brase [SPD]: Meine Güte!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1821201200

Gitta Connemann ist die nächste Rednerin für die

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Gitta Connemann (CDU):
Rede ID: ID1821201300

Frau Connemann, Sie kommen doch vom Land .
Gibt es denn da überhaupt Kultur?

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Diese Frage wurde mir von einem Hauptstadtjournalisten
gestellt – übrigens ernsthaft .

Ja, ich lebe auf dem Land, wie die Mehrheit der Deut-
schen . Lieber Herr Minister Backhaus, allerdings wohne
ich im schönsten Bundesland, nämlich in Niedersachsen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Es gibt bei uns in Ostfriesland kein Konzerthaus, kein
Staatstheater . Wir haben Chöre, Theatergruppen, Blaska-
pellen und Heimatvereine . Ist das Kultur? Natürlich – al-
lerdings nicht, wenn es nach dem Reporter geht! Ich kann
darüber nur schmunzeln; denn ich bin eine bekennende
Landpomeranze . Ich liebe meine Heimat .

Allerdings weiß ich auch, dass der Reporter mit seiner
Auffassung nicht alleine steht. Der Bericht der Bundesre-
gierung zur Entwicklung der ländlichen Räume, über den
wir heute hier sprechen, zeigt: Der Blick auf das Land
ist nicht realistisch . Für die einen ist es die Idylle aus
der Landlust, für die anderen ist es das Niemandsland .
Zur Wahrheit gehört: Es gibt nicht den ländlichen Raum .
Auf der einen Seite sehen wir Regionen mit einer star-
ken Wirtschaftskraft und guter Infrastruktur, und auf der
anderen Seite erleben wir Arbeitslosigkeit und Abwan-
derung .

Was unterscheidet die eine Region von der anderen?
Gibt es das Erfolgsrezept, und was kann die Politik tun?
Mit diesen Fragen beschäftigt sich unsere Fraktion, die
CDU/CSU, wie keine andere Fraktion im Deutschen
Bundestag;


(Beifall bei der CDU/CSU – Willi Brase [SPD]: Na, na, na!)


denn wir wissen: Ohne das Land lässt sich kein Staat ma-
chen .

Deutschland wird nur dann auf seiner Erfolgsspur
bleiben, wenn die ländlichen Räume nicht veröden . Des-
halb ist das Ziel unserer Fraktion klar: Es muss auch in
Zukunft attraktiv sein, auf dem Land zu leben und zu ar-
beiten . Wir brauchen starke ländliche Räume – heute und
in Zukunft .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir geben dieses Bekenntnis, und dafür danke ich un-
serem Vorsitzenden Volker Kauder, aber auch dir, liebe
Gerda Hasselfeldt .

Wir wissen: Wer Politik für den ländlichen Raum ma-
chen will, muss zuhören . Wir haben das getan und das
Ehrenamt, die Wirtschaft, die Wissenschaft, die Kirchen
und die Kommunen an einen Tisch geholt . Das Fazit lau-
tet: Eine Region steht und fällt mit ihren Menschen und
der Wirtschaft .

Viele Menschen auf dem Land fühlen sich abgehängt
und vergessen . Sie wünschen sich ein Bekenntnis für
den ländlichen Raum . Das klingt jetzt sehr profan – ich
weiß –, aber das ist dennoch keine Selbstverständlichkeit;
siehe Niedersachsen . Kaum im Amt, zog die rot-grüne
Landesregierung ihre Beteiligungsgesellschaft aus dem
emsländischen Groß Berßen ab . Wohin? Nach Hannover .
Zu welchem Preis? Mehrkosten von 3 Millionen Euro .
Weshalb? Zum Wohle des Stadtsäckels von Hannover .
Die Zeche zahlt Groß Berßen . Die Bürgerinnen und Bür-
ger in diesem kleinen Dorf waren es der Landesregierung
nicht wert, in ihrem Ort eine Beteiligungsgesellschaft zu
haben .

Der Bund zeigt, dass es auch anders geht . Zur glei-
chen Zeit hat unser Verkehrsminister die Bundesanstalt
für Verwaltungsdienstleistungen in Aurich angesiedelt .

Dr. Anton Hofreiter






(A) (C)



(B) (D)


Aus Ostfriesland wird jetzt deutschlandweit der Aufbau
der Ladeinfrastruktur für Elektromobilität koordiniert .
Das ist ein starkes Bekenntnis für den ländlichen Raum .
Es geht also, wenn man nur will .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deshalb fordern wir auch bei Behördensitzen Chancen-
gleichheit zwischen Stadt und Land .

Ein Ungleichgewicht gibt es auch bei der medizini-
schen Versorgung . Es fehlen Landärzte . Dabei wäre es so
einfach: Die Länder können Studienplätze für angehende
Landärzte vorhalten . Sie tun es aber nicht . Das Fallbeil
ist immer der Numerus clausus . Ein Einser-Abitur allein
macht aber noch keinen guten Arzt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Willi Brase [SPD]: Da haben Sie recht! Aber nur da!)


Der Bund zeigt, dass es auch anders geht . Mit dem
Versorgungsstärkungsgesetz fördert unser Bundesge-
sundheitsminister Hermann Gröhe gezielt junge Medizi-
ner, wenn sie sich auf dem Land niederlassen . Wir haben
auch die Voraussetzungen für Telemedizin geschaffen. Es
geht also, wenn man nur will . Deshalb fordern wir die
Einführung einer Landarztquote .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Kurze Beine sollten kurze Wege haben, ja . Aber in so
manchem Land ist die Dorfschule inzwischen bedroht .
Es fehlt an Schulleitern; ich erlebe das in Niedersachsen
landauf, landab . Ohne Attraktivitätsprogramm des Lan-
des bleiben diese Posten unbesetzt . Hinzu kommen ma-
rode Gebäude und veraltete Technik . Hier hat der Bund
reagiert . Unsere Bildungsministerin Johanna Wanka wird
5 Milliarden Euro allein in die digitale Bildung der Schu-
len investieren . Wenn uns die Länder lassen, werden wir
auch bei der Sanierung der Schulen helfen . Es geht also,
wenn man nur will . Wir brauchen dafür aber eine Neu-
ordnung des Bund-Länder-Finanzausgleichs .

Seele und Kitt des ländlichen Raums ist das Ehrenamt .
Nirgendwo engagieren sich mehr Bürgerinnen und Bür-
ger . Feuerwehr, Soziales, Kultur, Sport, Kirchen, Politik:
Ohne Ehrenamt läuft nichts . Für mich sind sie die wirkli-
chen Helden des Alltags .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie garantieren die Daseinsvorsorge auf dem Land . Die
Ehrenamtlichen erwarten dafür nicht viel . Da sind aus
meiner, aus unserer Sicht Dank und Anerkennung das
Mindeste, was sie verdienen .

Deswegen freuen wir uns, dass das Bundesministe-
rium für Ernährung und Landwirtschaft einen Maßnah-
menplan zur Unterstützung des Ehrenamtes entwickelt .
Das ist wieder ein wahres Bekenntnis zum ländlichen
Raum . Auch an unsere Haushälter geht an dieser Stelle
ein herzlicher Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das A und O für die Entwicklung einer Region ist
ihre Wirtschaftskraft . Ohne Wirtschaft keine Arbeit;
ohne Arbeit keine Zukunft . Die Menschen wollen nicht

nur schöner wohnen, Sie wollen auch Ausbildungs- und
Arbeitsplätze . Ländliche Räume in einem dichten Netz
von kleinen und mittelständischen Unternehmen stehen
absolut blendend da . Dazu gehört übrigens auch meine
Heimat, das Emsland . Die Politik dort, übrigens schwarz
geführt, hatte den Mut zu einer außergewöhnlichen Ent-
scheidung: Jede Gemeinde, egal wie klein sie auch ist,
kann ein Gewerbegebiet ausweisen. So finden gerade
Existenzgründer beste Voraussetzungen direkt vor der
Tür .

Das wirkt, wie zum Beispiel bei Manfred Kaiser
in Vrees . Sie kennen ihn nicht . Aber er ist heute der
Marktführer für Bagger-Umbauten, und zwar in einem
1 800-Seelen-Dorf, in Vrees . Ein Paradebeispiel für ei-
nen Hidden Champion . Dank dieser Erfolgsgeschichten
entwickelte sich das Emsland vom Armenhaus der Repu-
blik zu einer Region mit Vollbeschäftigung .

Eine gezielte Förderung kann also Früchte tragen .
Deutschlands Stärke war immer darauf zurückzuführen,
dass die Wirtschaft über das ganze Land verteilt ist . Wir
brauchen deshalb gleiche Chancen für Stadt und Land .
Darauf müssen auch die Förderprogramme des Bundes
durchleuchtet werden . Das wünsche ich mir übrigens
auch beim Bundesministerium für Umwelt und Bau .
Wirtschaftsförderung darf sich nicht nur auf Ballungs-
räume beschränken .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Was im Emsland funktioniert, muss nicht zwangsläu-
fig im Spessart fruchten. Die Regionen sind vielfältig,
und wir brauchen deshalb für maßgeschneiderte Lösun-
gen auch flexible Förderinstrumente.

Für die Ansiedlung und den Erhalt von Unternehmen
ist schnelles Internet unverzichtbar . Die Versendung von
Unterlagen zu nächtlicher Stunde geht gar nicht, und die
Anwerbung von Fachkräften gelingt häufig nur noch,
wenn das Netz steht . Während sich die Telekommunika-
tionsunternehmen in Großstädten einen heftigen Wettbe-
werb um die Kunden liefern, gibt es in vielen Dörfern oft
nur weiße Flecken .

Wir als Bund haben darauf reagiert . Um die digitale
Spaltung Deutschlands zu verhindern, investiert unser
Verkehrsminister Alexander Dobrindt bis 2018 4 Milli-
arden Euro in den Breitbandausbau. Davon profitieren
wirklich alle, der Landkreis Emsland übrigens mit fast
21 Millionen, und mein Heimatlandkreis Leer hofft auf
17 Millionen Euro .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was? Und für die Lüneburger Heide?)


Der Wirtschaftsmotor Nummer eins auf dem Land ist
und bleibt aber die Landwirtschaft . Zur Situation gehört:
Viele Bauernfamilien kämpfen derzeit um die Existenz
ihrer Höfe .


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie was dagegen!)


Neben dem wirtschaftlichen Druck spüren unsere Land-
wirte und ihre Familien jeden Tag das immer rauer wer-
dende Klima . Ernährung, Landwirtschaft, Tierwohl und
Tierhaltung sind die neue Wahlkampfarena . Wir haben es

Gitta Connemann






(A) (C)



(B) (D)


gerade an der Rede von Anton Hofreiter gehört . Es war
wirklich eine Schande, lieber Herr Kollege .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie machen auf dem Rücken der Landwirte Politik .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nein, Sie machen das!)


Was früher das Nein zur Atomkraft war, heißt jetzt Ag-
rarwende .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen Politik auf dem Rücken der Landwirte! Sie treiben sie in die Pleite!)


Der Ernährungsstil wird zur Gewissensfrage erhoben .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen das; denn Sie machen die Politik! Sie sind an der Regierung!)


Irreführende Kampfbegriffe von Ihnen wie die Massen-
tierhaltung machen die Runde .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Verleugnen Sie nicht Ihre politische Verantwortung! Das ist eine Schande!)


Wenn die Figur nicht so sympathisch wäre, würde ich
Sie mit Pippi Langstrumpf vergleichen, und damit meine
ich nicht Ihre Haarpracht, sondern ich meine Ihre Einstel-
lung: Sie machen sich die Welt, wie sie Ihnen gefällt, und
negieren die Realität .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Früher habe ich diese Aussagen von Ihnen belächelt .
Heute machen sie mich wütend; denn Sie legen die Axt
an die Wurzeln des ländlichen Raums .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Bauern verdienen mit grünen Ideen! Mit schwarzen gehen sie pleite!)


Deshalb brauchen wir zukünftig ein eigenes Landwirt-
schaftsministerium, das übrigens die Kernkompetenz für
den ländlichen Raum haben muss . Wer ist dafür besser
prädestiniert als das Bundesministerium für Ernährung
und Landwirtschaft?


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, ich habe mich als Land-
pomeranze bezeichnet. Ich weiß, dass dieser Begriff
durchaus abwertend verwendet wird . Aber für mich steht
dieser Begriff für das Land, –


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1821201400

Frau Kollegin Connemann, lassen Sie kurz vor Schluss

noch eine Zwischenfrage zu?


Gitta Connemann (CDU):
Rede ID: ID1821201500

– und das Leben auf dem Land ist für mich kein Ma-

kel, sondern eine Auszeichnung; denn ich weiß, wir wis-
sen: Ohne das Land ist kein Staat zu machen .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1821201600

Da ja alle Fraktionen noch mit mehreren Rednern zu

diesem spannenden Thema zu Wort kommen, müssen
vielleicht die jeweils unterschiedlichen Auffassungen
nicht alle gleichzeitig durch Zwischenrufe geltend ge-
macht werden .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das macht es nämlich den Protokollführern außerordent-
lich schwer, das festzuhalten .

Nun hat die Kollegin Karin Binder für die Fraktion
Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben sieben Landwirtschaftsminister! Das weiß Frau Kollegin Connemann wahrscheinlich nicht!)



Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821201700

Guten Morgen, Herr Präsident! – Liebe Kolleginnen

und Kollegen, wir haben nur noch ein halbes Jahr, um
etliche offene Baustellen abzuarbeiten. Da für die länd-
lichen Räume ganz bestimmt das Thema Landwirtschaft
und deshalb auch das Thema Ernährungspolitik eine ganz
wichtige Rolle spielen, haben wir als Linke zur heutigen
Debatte einige wichtige ernährungs- und verbraucherpo-
litische Themen in einem Antrag zusammengefasst .

Lebensmittel, die wir zu uns nehmen, entscheiden
nicht nur über unsere gesundheitliche Verfassung und
über unsere Leistungsfähigkeit, sondern auch über die
Entwicklung in unserer Gesellschaft, und unsere Gesell-
schaft wundert sich, dass die Zahl ernährungsbedingter
Krankheiten ständig zunimmt . Zur Grünen Woche müs-
sen wir deshalb auf jeden Fall die Finger in offene Wun-
den legen .


(Beifall bei der LINKEN)


Bundesernährungsminister Schmidt und die Lebens-
mittellobby weisen die Verantwortung von sich und
schieben Verbraucherinnen und Verbrauchern die Schuld
zu . Diese müssten sich ja nur besser informieren und
ausgewogener ernähren . Der Lobbyverband der Ernäh-
rungswirtschaft, BLL, geht davon aus, dass Bildungs-
stand, soziale Schicht, Herkunft, geringe körperliche
Aktivität und psychosoziale Aspekte wesentliche Gründe
für Übergewicht seien . Übersetzt soll das heißen: Über-
gewichtige sind arm, ungebildet, ausländischer Herkunft,
bewegungsfaul oder haben psychische Probleme . Das
empfinde ich als höchst diskriminierend und verächtlich
gegenüber den betreffenden Menschen. Diese werden
diffamiert.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Gitta Connemann






(A) (C)



(B) (D)


Diese Menschen haben das Problem, dass sie ihre Kauf-
entscheidungen vom Geldbeutel abhängig machen
müssen . Das fehlende Geld ist nämlich zumeist der
Hauptgrund dafür, dass so oft billigst produzierte Fertig-
produkte auf den Tisch kommen .


(Katharina Landgraf [CDU/CSU]: Nein, nein, nein!)


Tatsächlich müssen wir feststellen: Die Bundesregie-
rung verhindert eine verbrauchergerechte Kennzeich-
nung von Lebensmitteln und nimmt in Kauf, dass Kun-
dinnen und Kunden bewusst getäuscht werden .


(Beifall bei der LINKEN – Katharina Landgraf [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!)


Denn ein Einheitsbrei aus Fett, Zucker und Salz mit
reichlich Farb- und Aromastoffen garantiert der Indus-
trie die höchsten Profite. Dabei nutzen die Werbestra-
tegen gesellschaftliche Benachteiligungen gezielt aus,
um den Kauf ihrer Produkte mit den vielen Kalorien
anzukurbeln . Professionelle Werbung ist gerade bei Le-
bensmitteln in der Lage, Kaufentscheidungen gezielt zu
manipulieren. Lobbyisten beeinflussen Politik und Wis-
senschaft, um die Nährwertampel zu verhindern und die
derzeitige Diskussion über Zuckerreduzierung zu steu-
ern . Kinder werden besonders emotional angesprochen
und durch raffiniertes Lebensmittelmarketing in ihrem
Ernährungsverhalten beeinflusst. Selbst bei Kampagnen
der Bundesregierung zu Ernährung und Bewegung sitzen
die Süßwaren- und Softdrinkproduzenten mit am Tisch .
Das haben wir satt .


(Beifall bei der LINKEN)


Das haben auch die vielen Demonstranten satt, die am
kommenden Samstag auf die Straße gehen werden .

Die Regierung – und insbesondere der Verbraucher-
minister – muss der Verbrauchertäuschung endlich einen
Riegel vorschieben


(Beifall bei der LINKEN)


und darf sich nicht länger von den Lobbyisten der Er-
nährungsindustrie die Ernährungspolitik diktieren lassen .
Wir müssen endlich die Interessen und Rechte der Ver-
braucherinnen und Verbraucher stärken . Das bedeutet:
Wir brauchen verbindliche Vorgaben zur Reduzierung
der hohen Fett-, Salz- und Zuckeranteile in Fertiglebens-
mitteln . Die Nährwertampel als eine verbraucherfreund-
liche Lebensmittelkennzeichnung, die sich gegen schil-
lernd bunte Werbung behauptet, muss eingeführt werden,
auch über die EU-Ebene . Falsche Gesundheitsverspre-
chen gerade bei Kinderlebensmitteln, die oft viel zu viel
Zucker und Fett enthalten, gehören verboten .


(Beifall bei der LINKEN)


Lebensmittelwerbung, die sich direkt oder über den
Umweg der Eltern an Kinder und Jugendliche richtet,
muss konsequent eingeschränkt werden . Bei allen Er-
nährungs-, Bewegungs- und Gesundheitsprojekten des
Bundes ist ein striktes Kooperationsverbot im Hinblick
auf die Lebensmittelindustrie und deren Lobbyverbände
sicherzustellen . Was mir besonders am Herzen liegt: Der
Bund muss gewährleisten, dass bundesweit alle Kinder

und Jugendlichen in Kitas und Ganztagsschulen ein bei-
tragsfreies und hochwertiges Essen erhalten .

Ich fasse zusammen: Wir brauchen ein ernährungspo-
litisches Maßnahmenpaket .


(Beifall bei der LINKEN)


Für eine gesunde Ernährung brauchen alle Menschen
hochwertige und bezahlbare Lebensmittel . Das heißt
auch, Informationen über Lebensmittel müssen so ge-
staltet werden, dass sie eine ausgewogene und gesunder-
haltende Ernährung wirksam unterstützen . Sie müssen
also leicht verständlich, schnell erfassbar und vergleich-
bar sein . Das ermöglicht die Nährwertampel . Werbung
ist immer eine Kaufaufforderung und umso wirksamer,
wenn sie von beliebten Promis vorgetragen wird . Sie be-
einflusst unser Verhalten, damit die Lebensmittelauswahl
und unsere Ernährungsweise . Deshalb ist die Werbung
der Industrie mitverantwortlich für die Probleme Überge-
wicht und ernährungsbedingte Erkrankungen . Auch des-
halb ist für uns eine unabhängige Ernährungsforschung
unabdingbar .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1821201800

Frau Kollegin .


Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821201900

Letzter Satz . – Kinder sind besonders leicht zu mani-

pulieren . Statt Werbung für Fettes und Süßes brauchen
sie Ernährungs- und Verbraucherbildung, und zwar in
Theorie und Praxis . Lassen Sie sich unseren Antrag bitte
gut schmecken .

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1821202000

Das Wort erhält nun der Kollege Willi Brase für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Willi Brase (SPD):
Rede ID: ID1821202100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Gitta Connemann, das war eine Bewerbungsre-
de für eine Wahlkreiskonferenz . Die hältst du besser im
Emsland und nicht hier im Bundestag . Das nur mal ne-
benbei .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben ja heute schon wunderbare und schöne
Dinge gehört . Ich möchte – mit Erlaubnis – mit einem
kleinen Zitat der neuen Vorsitzenden des Bundes der
Deutschen Landjugend beginnen . Sie hat gesagt, bezo-
gen auf Landwirtschaftspolitik:

Langfristiges Ziel aber muss sein, die Zahlungen
aus Brüssel abzuschaffen und als Wirtschaftszweig
ohne Steuergelder auszukommen . Dann wären Bau-
ern wirklich freie und unabhängige Unternehmer,
was ihr Selbstbewusstsein stärken würde .


(Beifall bei der SPD)


Karin Binder






(A) (C)



(B) (D)


Ich finde, das ist für eine Organisation, die sich um die
Zukunft der Landwirtschaft und auch um das Leben in
ländlichen Regionen kümmert, eine tolle Aussage . Wenn
die Landjugend so etwas fordert, ist das wirklich gut, lie-
be Kolleginnen und Kollegen und sehr geehrte Damen
und Herren .


(Beifall bei der SPD)


Auch die OECD hat festgestellt, dass es in Fragen der
ersten und der zweiten Säule offensichtlich einen erhöh-
ten Bedarf gibt, Änderungen auf den Weg zu bringen .
Vorrednerinnen und Vorredner haben darauf hingewie-
sen, dass wir durchaus Chancen haben, unter dem Stich-
wort „öffentliche Gelder, öffentliches Gut, öffentliche
Arbeiten“ etwas in die zweite Säule zu bekommen .

Ferner will ich den auf Grundlage einer Untersuchung
zustandegekommenen Vorschlag der Bundesumweltmi-
nisterin – er gelangte vor wenigen Tagen in die Öffent-
lichkeit – erwähnen . Dabei geht es sozusagen um einen
neuen Gesellschaftsvertrag zu der Frage: Wie soll die
Landwirtschaft zukünftig funktionieren?

Ich finde, all dies sind Beispiele, die zeigen, wo wir
noch viel Diskussionsbedarf darüber haben, wie die Zu-
kunft unserer Ernährung und unserer Landwirtschaft ins-
gesamt aussehen soll .


(Beifall bei der SPD)


Ein weiterer Punkt – über den wir in dieser Legisla-
turperiode durchaus intensiv diskutiert haben – ist zu er-
wähnen, wenn wir über ländliche Regionen sprechen . Ich
bin Minister Schmidt dankbar, dass er kürzlich bei einer
Konferenz zum Ausdruck gebracht hat, dass eigentlich
eine Grundgesetzänderung vonnöten wäre, um den länd-
lichen Raum umfassend gestalten zu können . Da waren
sich offensichtlich drei Ministerien nicht immer ganz
einig, welches der beste Weg ist . Aber dass man diese
Erkenntnis mitnimmt, ist schon einmal gut . Das lässt hof-
fen, dass in der nächsten Legislaturperiode noch einmal
darüber nachgedacht wird .

Der ländliche Raum ist von großer Vielfalt . 20 Prozent
der Dörfer in Deutschland haben keine Haltestelle, keine
Grundschule, keinen Hausarzt, keinen Supermarkt etc .,
und es gibt andere, wirtschaftsstarke Gebiete – zum Bei-
spiel Südwestfalen, Ostwürttemberg –, wo es eine starke
produzierende Industrie und ein starkes Gewerbe gibt .
Diese Gebiete sind exportorientiert und sorgen mit da-
für, dass Geld erwirtschaftet wird, das an anderer Stelle
ausgegeben werden kann . Es ist also festzustellen, dass
wir sehr unterschiedliche ländliche Räume haben und das
auch berücksichtigen müssen .


(Beifall bei der SPD)


Auch das wäre ein Argument für eine Erweiterung
des Grundgesetzes . Dabei würde es darum gehen, die
GAK, also die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung
der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“, mit der Ge-
meinschaftsaufgabe „regionale Wirtschaftsförderung“ zu
einer neuen Gemeinschaftsaufgabe „regionale ländliche
Entwicklung“ zusammenzuschließen und nach vorne zu
bringen . Meine Fraktion steht dazu, und ich bin mir si-

cher, dass wir das in der nächsten Legislaturperiode auch
machen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Gitta, du hast etwas sehr Positives gesagt, als du auf
das Engagement der Menschen zu sprechen kamst . All
das, was du in deinen Aufzählungen vorgetragen hast,
teile ich uneingeschränkt . Ich will hinzufügen: Das, was
die bürgerschaftlich Engagierten – organisiert und auch
nicht organisiert – in den letzten anderthalb Jahren bei
der Betreuung von Flüchtlingen gemacht haben, ist ein-
zigartig und verdient unseren Respekt und unser Lob .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn man sich die politische Auseinandersetzung
dazu anschaut und sieht, welche Ausraster es gibt und
welche widerlichen Worte – teilweise von Parteienvertre-
tern außerhalb dieses Parlaments – benutzt werden, dann
kann man nur hoffen, dass die bürgerschaftlich Engagier-
ten auch weitermachen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wenn es richtig ist, dass wir sie gerade auch in den länd-
lichen Gebieten – hier aber in einer ganz anderen Art und
Weise als zum Beispiel in den Quartieren der Städte –
brauchen, dann bitte ich auch um deine Unterstützung,
damit wir spätestens in der nächsten Legislaturperiode
einen ordentlichen Ausschuss Bürgerschaftliches En-
gagement einrichten können .


(Beifall bei der SPD)


Denn das sind wir den 30 Millionen engagierten Men-
schen in Deutschland schuldig . Sie leisten sehr viel Ar-
beit, die der Staat, das Sozialwesen, Wohlfahrtsverbände
etc . nicht machen . Das ist eine sehr gute und wichtige
Angelegenheit . Da ist meine Bitte: Unterstützen Sie uns,
damit wir auf diesem Weg weiterkommen .

Die Deutsche Landjugend ist gefragt worden: Was
wollen Sie denn? – Die Vorsitzende des Bundes der Deut-
schen Landjugend hat gesagt: Wir brauchen ein schnelles
Internet . – Ja, die Bundesregierung gibt über 4,35 Milli-
arden Euro dafür aus . Nur, wenn ich mit Unternehmen,
mit Organisationen und mit Institutionen spreche, dann
bekomme ich als Erstes zu hören: Wunderbar; wir sind
leider noch nicht so weit . 50 Mbyte sind derzeit im länd-
lichen Bereich bei 35 bis 36 Prozent der Bevölkerung
vorhanden . Im halbstädtischen Bereich liegt die Quote
bei 63 bis 65 Prozent, und im städtischen Bereich geht
sie auf über 90 Prozent, schon fast auf 100 Prozent zu .
Trotzdem sagen mir Unternehmen: 50 Mbyte ist zwar ein
guter Wert, aber das ist doch schon in anderthalb Jahren
Geschichte . Was sind denn 50 Mbyte pro Sekunde?


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Gar nichts!)


Wir brauchen – nach oben hin offen – mehr, mindestens
100 Mbyte pro Sekunde .

Der Chef der Unionsfraktion hat recht:


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!)


Willi Brase






(A) (C)



(B) (D)


Das reicht nicht .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Er hat eigentlich immer recht!)


Das heißt, dort müssen wir gemeinsam mit den Ländern
und den Kommunen noch mehr auf den Weg bringen .
Ich glaube, dass die Länder dort mitmachen . In vielen
Ländern wird kofinanziert. Auch die Kommunen machen
etwas . Wenn wir wollen, dass wir auch in den ländlichen
Regionen wirtschaftsstark bleiben, auch in der Landwirt-
schaft – etwa bezüglich der Hoftorbilanz, der Stoffent-
wicklungen und der Stoffwege und Ähnlichem –, dann
müssen wir erkennen: Es geht nicht mehr ohne eine ver-
nünftige Digitalisierung und ohne ein vernünftiges Breit-
band . Das muss weiter nach oben gehen . Das wollen und
müssen wir vorantreiben .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich will noch einen Punkt erwähnen, der manchmal
vergessen wird . Ich fand es sehr schön, dass im Be-
rufsbildungsbericht der Bundesregierung noch einmal
deutlich gemacht wurde, dass wir auch dieses Jahr über
13 000 junge Leute haben, die mit neuen Ausbildungs-
verträgen im ländlichen Bereich, in der Landwirtschaft,
in der Zuarbeit etc . tätig sind . Wir tun gut daran, deut-
lich zu machen, dass zur Entwicklung ländlicher Regi-
onen Arbeitsplätze gehören, dass dazu auch Ausbildung
gehört . Es ist schön, dass sich junge Leute auch für die
sogenannten grünen Berufe interessieren, sich bewerben
und dann auch genommen werden .

Wir als SPD wollen die Landwirtschaft weiterent-
wickeln . Wir wollen die ländlichen Regionen noch zu-
kunftsfester machen . Das sind wir den Menschen schul-
dig . Die meisten Menschen leben in ländlichen Regionen;
das ist ausreichend dargestellt worden . Lassen Sie uns
diesen Weg gehen . Man muss nicht zurückstehen; viel-
mehr müssen wir es schaffen, dass es immer gute Ver-
bindungen zwischen ländlichen Räumen und städtischen
Ballungszentren gibt .

Es gibt teilweise eine Wechselwirkung . Diese Wech-
selwirkung kann man schaffen, indem man den Bundes-
verkehrswegeplan Zug um Zug umsetzt; denn auch er
nimmt Bezug auf Entwicklungen in ländlichen Räumen
und betrifft nicht nur städtische Ballungszentren. In den
Städten wie Berlin, Köln, Frankfurt und München gibt es
einen wunderbaren ÖPNV; den gibt es in ländlichen Be-
reichen nicht . Wir können ihn auch nicht bezahlen . Dort
gibt es Bürgerbusse, Stichwort: ehrenamtliches Engage-
ment und anderes. Wenn wir es schaffen, die Verkehrs-
ströme zwischen den Ballungszentren und den ländli-
chen Räumen zu gestalten, dann stärkt das den ländlichen
Raum und erlaubt den Städtern, hin und wieder in länd-
liche Regionen zu kommen und eine wunderbare Natur
und Landschaft zu genießen .

Vielen Dank fürs Zuhören .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821202200

Vielen Dank . – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-

nen hat jetzt Nicole Maisch das Wort .


Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821202300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die zen-

trale Agrardebatte in diesem Jahr führen wir jetzt zum
Auftakt der Grünen Woche . Und was macht die Koalition
mit all ihrer Redezeit? Sie redet an allem, was beim The-
ma Landwirtschaft strittig ist, vorbei,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


etwa an der Grünen Gentechnik . Warum habe ich hier
nichts zu Ihrem „Gentechnik-Ermöglichungsgesetz“ ge-
hört, das Sie so kompliziert gestrickt haben, dass natio-
nale Verbote zum Anbau von Gentechpflanzen so gut wie
unmöglich sind . Das mag vielleicht im Sinne von Kees
de Vries sein – er gibt ja auch immer offen zu: er ist für
die Grüne Gentechnik –; aber es ist gegen den Willen von
80 Prozent der Menschen in diesem Land .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren von der SPD, wenn Sie dem
so zustimmen, dann haben Sie die Menschen in diesem
Land belogen; denn Sie haben versprochen: Wir bekom-
men nationale Anbauverbote, die auch durchsetzbar sind .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir zählen hier auf Sie: Dem können Sie so nicht zu-
stimmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE])


Ich finde, man merkt diesem parlamentarischen Verfah-
ren an, dass es in diesem Land nur eine politische Kraft
gibt, die ganz klar gegen die Agrogentechnik steht,


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Gegen die Bauern steht! – Gegenruf der Abg . Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Für die Bauern!)


und diese Kraft, meine Damen und Herren, ist Bünd-
nis 90/Die Grünen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte den Minister – er ist jetzt leider nicht mehr
da – an ein Versprechen erinnern . Herr Schmidt hat an
diesem Pult versprochen, am Ende seiner Amtszeit soll
es den Tieren besser gehen . Man kann nur sagen: Dieses
Versprechen wurde gebrochen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Karin Binder [DIE LINKE])


„Freiwillige Verbindlichkeit“ – das war sein Konzept,
und das ist krachend gescheitert . Es hat sich für die Tiere
in unseren Ställen doch nichts verändert . Amputationen,
Qualzuchten, Kükenschreddern: Bei allem hat er ver-
sprochen: Das soll ein Ende haben . – Aber es geht in den
Ställen genauso weiter wie zuvor . 2017, hat er verspro-
chen, soll das Kükenschreddern beendet werden, aber

Willi Brase






(A) (C)



(B) (D)


es geht weiter wie bisher . Er präsentiert auf der Grünen
Woche einen Wunderapparat zur Geschlechtserkennung
im Ei, aber er muss uns hier mal erklären: Wenn es kein
Verbot des Kükenschredderns gibt, wer schafft sich denn
dann so einen teuren Apparat überhaupt an? Der Minister
regt sich über vegane Würstchen auf . Aber ich bin der
Meinung: Die größte Mogelpackung in diesem Land ist,
dass er sich Tierschutzminister nennen darf .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Daran wird auch das Tierschutz-Label nichts ändern,
das auf der Grünen Woche präsentiert werden soll . Frei-
willigkeit hilft der Masse der Tiere nichts . Wir brauchen,
wie Minister Backhaus gesagt hat, eine klare, gesetzlich
verpflichtende Kennzeichnung – 0, 1, 2, 3 – wie bei den
Eiern . Das ist gelernt bei den Konsumenten, und das
zeigt wirklich über die Preise der Produkte, wie das Tier
gehalten wurde .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich finde es ganz erstaunlich, dass der Minister zwar
kein Konzept für sein Label hat, aber jetzt schon weiß,
dass er 70 Millionen Euro in Berliner Werbeagenturen
investieren will, um es zu promoten. Ich finde auch, Sie
müssen beantworten, wo die 3 bis 5 Milliarden Euro
herkommen sollen, die der Umbau der Tierhaltung in
diesem Land laut Aussage Ihrer eigenen Agrarexperten
kosten soll .

Meine Damen und Herren, im Ernährungsbereich
sieht es doch nicht besser aus . Der Minister sagt immer:
Ich möchte den Leuten nicht auf den Teller regieren . –
Gut . Aber das heißt ja nicht, dass man das Regieren über-
haupt ganz einstellen soll .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Wir erwarten, dass dieser Minister seine Verantwor-
tung wahrnimmt, dass er die Verbraucher schützt vor
Mineralöl und anderem Krempel im Essen, der da nicht
reingehört, dass er endlich, wie er es versprochen hat,
dafür sorgt, dass die Ergebnisse der Lebensmittelkontrol-
len öffentlich gemacht werden, und dass er einsieht, dass
sich die Lebensmittelverschwendung nicht mit Presse-
mitteilungen beenden lässt. Wir finden: Es ist jetzt, 2017,
nicht mehr an der Zeit, Grünbücher zu veröffentlichen.
Sie als CSU sind seit 2005 im Agrarministerium in der
Verantwortung . Sie müssen jetzt damit anfangen, zu ar-
beiten, und nicht damit, sich über irgendwelche Themen
zu unterhalten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das wird die letzte Grüne Woche – hoffentlich – die-
ses Ministers sein . Ich frage: Was bleibt von diesem Mi-
nister?


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Noch ist er ja da!)


Wir haben ja ganz viele schöne Sachen darüber gehört,
was angeblich so toll ist auf dem Land . Aber was ist denn
mit dem Höfesterben? Von den Milchbauern, die es am

Anfang Ihrer Regierungszeit gab, ist doch nur noch ein
Drittel übrig geblieben . Es haben doch 90 Prozent der
Sauenhalter ihre Höfe aufgegeben. Ich finde, das ist ein
Punkt . Sie regen sich über Herrn Hofreiter auf, Frau
Connemann,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein!)


so nach dem Motto „Pippi Langstrumpf“ . Der eigentliche
Skandal ist doch, dass Sie nicht in der Lage sind, Ihre
eigene Klientel zu schützen, dass Sie nicht in der Lage
sind, die Bauern vor dem Konkurs zu retten. Das, finde
ich, ist der Skandal .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821202400

Frau Kollegin Maisch .


Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821202500

Ich habe die Zeit im Blick . Ich komme zum Ende .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Lange zehn Minuten!)


Was bleibt von diesem Landwirtschaftsminister?
Wirklich nicht viel: die Greußener Salami, Höfesterben,
nitratbelastetes Grundwasser und hier, in der Mitte von
Berlin, mehr Vögel und Insekten als in vielen ländlichen
Räumen. Ich finde das enttäuschend, und deshalb gehe
ich, wie viele Tausend andere Leute, diesen Samstag bei
„Wir haben es satt!“ auf die Straße . Im Moment haben
Sie noch das Ministeramt, aber wir haben, was die Land-
wirtschaft angeht, die gesellschaftlichen Mehrheiten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Sabine Leidig [DIE LINKE] – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ihr habt es aber noch nicht geschafft, das verbal umzusetzen! Aktuell 9 Prozent Mehrheit in Deutschland!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821202600

Vielen Dank . – Nächste Rednerin ist Marlene Mortler,

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Marlene Mortler (CSU):
Rede ID: ID1821202700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Das, was wir hier zuletzt gehört haben, tut
richtig weh . Es tut vor allem dann weh, wenn man sich
in die Seele und in die Arbeit eines Bauern, einer Bäue-
rin versetzt, die sich fragen: Wo bleibe ich als Mensch?
Bin ich nur noch Abstreifer? Bin ich nur noch der Dreck?
Lieber Herr Hofreiter, wenn es um Klamauk geht, dann
gibt es, glaube ich, keinen Kollegen hier im Raum, der
Ihnen das Wasser reichen kann .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zu Ihren „Almosen“ . Ich wäre froh gewesen, wenn Sie in
Ihrer Regierungszeit unter Renate Künast überhaupt Al-

Nicole Maisch






(A) (C)



(B) (D)


mosen an unsere Bauern und Bäuerinnen verteilt hätten;
das Gegenteil war der Fall .

Zu Ihnen, Frau Binder . Als Meisterin der ländlichen
Hauswirtschaft weiß ich: Man kann sich auch mit wenig
Geld gesund und ausgewogen ernähren .


(Beifall bei der CDU/CSU – Karin Binder [DIE LINKE]: Zum Hartz-IV-Satz probieren Sie das mal aus!)


Zu den Gentechnik-Anbauverboten . Liebe Frau
Maisch, Sie alle wissen, dass der deutsche Minister der
Erste war, der sich um das Thema gekümmert hat, der
Europa quasi voraus war und gesagt hat: Ich will, dass
wir hier klare Regelungen haben . – Aber Sie müssen
auch zur Kenntnis nehmen, dass der Bund nicht alles re-
geln kann, sondern dass auch die Bundesländer gefordert
sind, allein aus rechtlichen Gründen. Ich finde es ziem-
lich billig, wenn die Bundesländer mit dem Finger nur
auf den Bund zeigen nach dem Motto „Minister, mach’
mal“, um sich einen schlanken Fuß zu machen . Helfen
Sie mit, damit jeder seiner Verantwortung gerecht wird!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Landwirtschaftspolitik, meine Damen, meine Her-
ren, ist die Wirtschaftspolitik des ländlichen Raumes .
Diesen Satz hat der Vorgänger von Christian Schmidt,
Dr. Friedrich, geprägt. Ich finde diesen Satz wunderbar,
weil er es schön auf den Punkt gebracht hat . Wir sagen
damit auch: Wir stehen zu den Menschen im ländlichen
Raum . Wir stehen zu unseren Bäuerinnen und Bauern .
Aber wir wissen auch: Der ländliche Raum ist kein
Selbstläufer, und den ländlichen Raum gibt es nicht . Er
ist so vielfältig wie die Menschen, wie die Landschaften,
wie die Betriebe . Ländlicher Raum ist für mich aller-
dings kein Schlagwort, weil wir in einem Wahljahr sind .
Die Entwicklung der ländlichen Räume ist für mich eine
politische, ja eine Herzensangelegenheit . Ich kann mit
Fug und Recht behaupten, dass ich mich jeden Freitag
freue, wenn ich zu Hause in meinem Wahlkreis bei mei-
nen Menschen bin . Am liebsten wäre ich nur vor Ort,
weil ich die Menschen und ihre Probleme ernst nehme,
weil ich die Menschen liebe und zunächst das Gute in
ihnen sehe . Natürlich ist die ideale Gleichung: Stadt und
Land – Hand in Hand .

Wir wissen: Der ländliche Raum gehört zu unserer
nationalen Identität . Das sind nicht nur die Städte . Die
ländlichen Räume bieten oft eine hohe Lebensqualität
für Landtourismus, für Naherholung, als Naturräume, als
Kulturräume . Das sind weiche Standortfaktoren, die so
nur das Land bieten kann. Ich finde es wunderbar, mit
welchem Selbstverständnis und mit welcher Intensität
unser Minister die Weiterentwicklung der ländlichen
Räume angeht, als Querschnittsaufgabe mit wachsender
Bedeutung, mit einem Arbeitsstab, der alle wichtigen
Aufgaben und Maßnahmen in seinem Haus bündelt, um
zusätzlich Synergien zu nutzen .

Andere sagen: Lasst das doch laufen . Wenn Regio-
nen aussterben, überaltern, Menschen arbeitslos wer-
den, na und? Dann sollen sie halt wegziehen . – Dieser
Denkweise möchte ich eine Absage erteilen . Mein und
unser Signal lautet: Ihr werdet nicht abgehängt, ihr wer-

det nicht vergessen . – Aber nicht nur der Bund ist ge-
fordert: Jedes Bundesland und jede Kommune müssen
vor Ort ihren Beitrag leisten . Ein Blick in das Bayern der
60er-, 70er-Jahre zeigt: Dort gab es in vielen Regionen
saisonbedingt über 40 Prozent Arbeitslosigkeit . Heute
haben wir auch in diesen Regionen nahezu Vollbeschäf-
tigung . Das verdanken wir einer weitsichtigen Politik
des Landes, aber auch der Kommunen, einer Politik, die
mit dem Motto „Wir glauben an die Zukunft, wir haben
Perspektiven und wir haben Potenziale“ Unmögliches
möglich gemacht hat, einer Politik, die frühzeitig wich-
tige Infrastrukturprojekte dezentral in die Fläche ge-
bracht hat . Ob Universitäten oder Fachhochschulen, die
in der Fläche gegründet werden müssen, ob ausgebaute
Straßen, Schulen, ob ein Grundniveau an medizinischer
Versorgung und pflegerischen Leistungen, ob Ärzte,
Hebammen, Pflegepersonal – es ist und muss Dauerauf-
gabe sein, dass diese wesentlichen Einrichtungen für die
Menschen auf dem Land erreichbar bleiben . Wir setzen
aus diesem Grund – liebe Gitta Connemann, du hast es
schon gesagt – auf die bundesweite Einführung einer
Landarztquote . Wir setzen auch auf ein Verbot des Ver-
sandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln
in Deutschland . Wir brauchen unsere Apotheken vor Ort .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich freue mich, dass das unser Koalitionspartner nun
auch erkannt hat und mitmacht .

90 Prozent der Fläche Deutschlands ist ländlicher
Raum . 47 Millionen Menschen wohnen hier . 80 Prozent
der Fläche werden gebraucht, um die Lebensmittel- und
Rohstoffversorgung zu gewährleisten. 68 Prozent des
Primärenergieverbrauchs, meine Damen und Herren,
werden allein mit Bioenergie gedeckt . Das heißt: ohne
ländliche Räume keine Energiewende .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


11 Millionen Hektar Wald liefern Holz für Bau, für Werk-
stoffe, für Energieversorgung. Dahinter stehen 1,1 Milli-
onen Arbeitsplätze . Eine andere Zahl: Auf 270 000 Hek-
tar landwirtschaftlicher Fläche werden Industriepflanzen
für Baustoffe, Schmierstoffe, Kunststoffe, Färbemittel,
Arzneimittel usw . angebaut . – All das müssen wir wie-
der stärker in den Vordergrund stellen . Natürlich, mei-
ne Damen und Herren, Landwirtschaft ist nicht gleich
ländliche Räume; aber ohne eine erfolgreiche Landwirt-
schafts- und Ernährungsbranche sind ländliche Räume
nicht vorstellbar .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dafür ackern wir .

In wenigen Stunden wird die Grüne Woche eröffnet.
Menschen und Vertreter aus der ganzen Welt kommen
mit einer hohen Erwartung zu uns . Das heißt, Deutsch-
land muss die Chance nutzen, eine gute Visitenkarte ab-
zugeben . Ja glauben Sie denn im Ernst, dass es eine tolle
Visitenkarte ist, wenn hier Demonstrationen unter dem
Motto „Wir haben es satt!“ stattfinden?


(Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was soll das denn heißen?)


Marlene Mortler






(A) (C)



(B) (D)


Unsere Botschaft lautet: „Wir machen Euch satt!“ Ers-
tens gilt das für die Menschen in unserem Land . Zwei-
tens unterstützen wir andere Länder dabei, dort vor Ort
produktiv und ressourcenschonend Landwirtschaft zu
betreiben, damit diese Länder eigenständig ihre Poten-
ziale besser nutzen können . Deshalb ist Gott sei Dank
auch das BMZ auf der Grünen Woche vertreten . Danke
schön! – Außerdem hat sich die UN-Staatengemein-
schaft im September verpflichtet, innerhalb der nächsten
15 Jahre Hunger vollständig zu beseitigen und für jeden
Menschen eine gesunde und ausgewogene Ernährung zu
ermöglichen; Minister Müller nennt es den Marshallplan
für Afrika . Das ist nur ein Teilaspekt; aber hier geht es
um unsere gemeinsamen Herausforderungen und unsere
gemeinsame Verantwortung .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821202800

Frau Kollegin Mortler .


Marlene Mortler (CSU):
Rede ID: ID1821202900

Wenn Sie immer nur dann zur Höchstform auflaufen,

wenn es um Bauernbashing geht, dann ist das einfach zu
wenig . Ich wünsche mir anlässlich der Grünen Woche,
dass es eine wirkliche Wende gibt, dass wir alle erken-
nen, dass die Landwirtschaft der Schlüsselfaktor bei der
Ernährungssicherung in unserem Land, aber auch welt-
weit ist, und dass wir endlich begreifen, dass wir jedem
Bauern in unserem Land, aber auch weltweit Wertschät-
zung und Anerkennung für seine Arbeit entgegenbringen
sollten .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821203000

Frau Kollegin Mortler, kommen Sie bitte zum Schluss .

Sonst muss ich die entsprechende Redezeit bei Ihren
Kollegen abziehen .


Marlene Mortler (CSU):
Rede ID: ID1821203100

Jawohl . – Wir sollten wertschätzen und anerkennen,

dass Bauern und Bäuerinnen dafür sorgen, dass wir jeden
Tag satt werden .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821203200

Jetzt hat für die Fraktion Die Linke Dr . Kirsten

Tackmann das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821203300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Gäste! Ich finde es ja, ehrlich gesagt, gut, dass die
Grüne Woche längst nicht mehr nur Messe ist – übrigens
ist der Besuch dort ein sehr spannendes, unterdessen
leider auch teures Vergnügen, das sich nicht mehr jeder
leisten kann; daran sei auch einmal erinnert –; sie hat sich
gemausert zu einem mehr oder weniger willkommenen
Anlass für politische Debatten, und das ist auch gut so,
zumindest solange es kulturvoll und sachlich zugeht .

Ich jedenfalls will keine sogenannten postfaktischen
Echoräume als Parallelwelten, in denen man sich gegen-
seitig nur noch ewige Wahrheiten um die Ohren schlägt .
Ich denke, dem sollten wir uns alle verweigern .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das spricht übrigens überhaupt nicht gegen Emotionen in
der Debatte . Im Gegenteil: Ich bin sogar fest davon über-
zeugt, dass man gute Agrarpolitik nur mit Leidenschaft
machen kann .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Wilhelm Priesmeier [SPD]: Richtig!)


Weniger Selbstgerechtigkeit und weniger Selbstgewiss-
heit tun, glaube ich, jeder Debatte gut, real existierende
Probleme offen und klar anzusprechen aber auch. Die
Welt gerät doch gerade aus den Fugen, nicht nur im Gro-
ßen, sondern auch an vielen kleinen Baustellen .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Was?)


Die Anträge zu dieser Debatte zeigen das . Ja, die
Grünen haben all das vorgelegt, was sie sich einmal
zur Landwirtschaft überlegt haben . Aber die Ursachen
der Probleme sind aus linker Sicht viel grundsätzlicher .
Selbst wenn alle sinnvollen Forderungen umgesetzt wür-
den, wäre manches vielleicht besser, aber doch längst
nicht alles gut . Es geht doch längst nicht mehr nur da-
rum, dass das eine oder andere Schräubchen nicht mehr
richtig fasst . Nein, das ganze System stottert, das System
ist falsch,


(Beifall bei der LINKEN)


weil immer weniger Konzerne über Saatgut, Molkereien,
Schlachthöfe und Supermärkte bestimmten, darüber, was
im Stall und auf dem Feld passiert. Und sie profitieren
von diesem System, das Mensch und Natur ausbeutet .
Wer das wirklich ändern will, muss deshalb die Struk-
turen infrage stellen und, wenigstens in einem ersten
Schritt, ihre Macht begrenzen .


(Beifall bei der LINKEN)


So wie jetzt darf es jedenfalls nicht weitergehen . Gerade
in den ländlichen Räumen und in der Land-, Forst- und
Fischereiwirtschaft rächt sich dieser Systemfehler beson-
ders .

Wie reagieren denn Menschen in den Dörfern, wenn
sie keine Einkommensperspektiven haben, wenn sie nicht
mehr von A nach B kommen, aber die Ärztin auch nicht
mehr zu ihnen, wenn sie nicht neben 400 000 Hühnern,
60 000 Schweinen oder 100 Windrädern leben wollen?
Sie werden die Dörfer verlassen, wenn wir das nicht ver-
hindern . Das löst im Übrigen die Probleme nicht, sondern
hinterlässt neue; denn Schulen und Kitas, die nicht mehr
gebraucht werden, müssen abgerissen werden, um dann
in den Städten, wo die Menschen hinziehen, zusätzliche
zu bauen . Das ist volkswirtschaftlicher Schwachsinn .


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn die Menschen weg sind: Wer produziert denn
dann die regionalen Lebensmittel, die wir alle wollen?
Wer verarbeitet sie? Wer verkauft sie? Wenn die Men-

Marlene Mortler






(A) (C)



(B) (D)


schen die Verbindung zum Dorf und zur Landwirtschaft
verloren haben, verkaufen sie vielleicht den Acker, die
Wiese oder den Wald ihrer Familie, aber leider eben häu-
fig nicht an die Ortsansässigen, sondern an Meistbieten-
de, wie ich es in meinem Wahlkreis Prignitz/Ruppiner
Land immer wieder erlebe . Diesen Heuschrecken sind
gute Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen im
Dorf und in der Landwirtschaft oder der Erhalt der Na-
tur egal . Das treibt nur ihre Kosten hoch und senkt ihre
Gewinne . Die Zeche für diesen Raubbau an Mensch und
Natur zahlen wir alle, und deswegen darf es so nicht wei-
tergehen .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Landwirtschaft ist auf intakte Ökosysteme und
fruchtbare Böden angewiesen . Deshalb sagte man frü-
her: Ein reicher Bauer hat arme Söhne . – Aber auch faire
Einkommen, gute Bildung und funktionierende Dorfge-
meinschaften sind wichtig . Und auch hier ist der Spruch
richtig: Stadt und Land, Hand in Hand . – Lebendige Dör-
fer sind doch kein Selbstzweck, sondern Voraussetzung
dafür, dass gesunde, regionale Lebensmittel produziert
werden . Dann geht es auch den Städten besser .


(Beifall bei der LINKEN)


Es macht doch Sinn, aus der Logik auszusteigen, mög-
lichst viel möglichst billig zu produzieren . Es macht
Sinn, das Wohl der Tiere zu verbessern, aber eben auch
das Wohl der Menschen, die sie betreuen . Es macht Sinn,
die Dörfer nicht kaputtzusparen, weil man pro Kopf rech-
net . Natürlich sind Straßen in dünnbesiedelten Regionen
pro Einwohner länger und ihr Unterhalt damit teurer; da-
für braucht man keinen Matheleistungskurs . Also nicht
pro, sondern mit dem Kopf rechnen!


(Beifall bei der LINKEN)


Jedenfalls bin ich froh, dass die Diskussion über die
Landwirtschaft und über die ländlichen Räume endlich
eingefordert und auch geführt wird, selbst wenn man-
che Debatten überzogen sind, ja, und manchmal auch
die Sachkenntnis fehlt . Aber als Linker ist mir besonders
wichtig, mit den Betroffenen zu diskutieren und nicht
über sie; denn sie gehören zu den wahren Verlierern
dieses falschen Systems, selbst wenn sie das manchmal
nicht so sehen oder noch nicht sehen .


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Richtig!)


Als Gesetzgeber haben wir nach meiner Überzeugung
ganz klar einen Auftrag: Wir haben die Würde aller Men-
schen zu sichern und – ich ergänze – den Respekt für die
Natur ebenso .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821203400

Vielen Dank . – Jetzt hat Christina Jantz-Herrmann für

die SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Christina Jantz (SPD):
Rede ID: ID1821203500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! An zwei Umständen kann
man erkennen, dass Internationale Grüne Woche ist: zum
einen daran, dass die Kolleginnen und Kollegen der Grü-
nen alle landwirtschaftlichen Themen zusammenklau-
ben, die sich irgendwie finden lassen, zum anderen daran,
dass unser Landwirtschaftsminister drei Wochen vor der
Grünen Woche aktiver scheint als in dem Dreivierteljahr
zuvor .


(Beifall bei der SPD)


Viele Ankündigungen kamen aus dem Landwirtschafts-
ministerium, besonders im Bereich des Tierschutzes –
mein Herzensthema .

Schauen wir uns die Verlautbarungen einmal genauer
an und beginnen wir beispielsweise mit dem Grünbuch:
Ganze anderthalb Seiten darin sind dem Tierschutz ge-
widmet; aber inhaltlich gibt es leider wenig Neues und
auch wenig Konkretes . Kein Konzept zu einer zukunfts-
fähigen Nutztierhaltung, die wir doch so dringend brau-
chen! Stattdessen gibt es ein Loblied auf die verbindli-
che Freiwilligkeit . Immerhin erwähnt das Grünbuch ein
staatliches Tierwohl-Label . Viel weiß man darüber ak-
tuell noch nicht . Man weiß nicht, wie die Pläne genau
aussehen sollen; aber es soll ein mehrstufiges und auch
freiwilliges Label sein .

Ich bedauere sehr, dass es kein verbindliches Label
sein wird; denn der Marktanteil wird so natürlich deut-
lich geringer sein . Dessen muss man sich bewusst sein .
Es bleibt zu befürchten, dass sich für den Großteil un-
serer Nutztiere in den Ställen erst einmal rein gar nichts
ändern wird .


(Beifall der Abg . Elvira Drobinski-Weiß [SPD])


Doch wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass ein ver-
pflichtendes Label aktuell nicht durchsetzbar ist, weder
europapolitisch noch handelsrechtlich . Zu diesem Urteil
kommt auch das Nutztiergutachten des Wissenschaftli-
chen Beirates .

Das nun geplante Siegel gibt der Landwirtschaft
dennoch hoffentlich die Chance, ihre Produkte auf dem
Markt zu guten Preisen zu verkaufen, und es wird den
Verbrauchern hoffentlich auch die Möglichkeit bieten,
genau nachzuvollziehen, welche Haltungsbedingungen
und welche Standards bei der Tierhaltung eingehalten
wurden . Die Existenz eines solchen freiwilligen Tier-
schutz-Labels darf aber auf keinen Fall Alibi für gesetz-
liche Tierschutzstandards in unserem Land sein; diese
freiwilligen Standards müssen deutlich über den gesetz-
lichen Standards liegen . Das Tierschutzgesetz und seine
Verordnungen müssen weiterhin der maßgebliche Hebel
für die Tierhaltungsbedingungen in unserem Land sein .

Angekündigt wird das Label aktuell; aber ich mache
mir Sorgen, wann es tatsächlich eingeführt sein wird .
Schaffen wir das noch in dieser Legislaturperiode, oder
müssen wir befürchten: neuer Minister, neues Glück?

Nun zu einem weiteren Thema, zu dem es neue Ver-
lautbarungen gibt: die routinemäßige Tötung von männ-

Dr. Kirsten Tackmann






(A) (C)



(B) (D)


lichen Eintagsküken in deutschen Brütereien . Diese
grausame Praxis – ich glaube, da sind wir uns alle einig –
muss endlich beendet werden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Heute Morgen hat Landwirtschaftsminister Schmidt im
Deutschlandfunk gesagt: Die Technik ist da; das Verbot
soll in Kürze umgesetzt werden . – Diese Ankündigung
hören wir aber schon seit längerem . Das ist zu schwam-
mig . Wir brauchen einen klaren Ausstiegsplan . Ich als
tierschutzpolitische Sprecherin meiner Fraktion distan-
ziere mich wie viele Kollegen auch ausdrücklich von
dieser stumpfen Fixierung auf technische Verfahren zur
Geschlechtserkennung im Ei .


(Beifall bei der SPD)


Deshalb haben wir mit einigen Kollegen zur heutigen De-
batte eine persönliche Erklärung zu Protokoll gegeben .

Meine Damen und Herren, es gibt so viele weite-
re Tierschutzthemen, zu denen bisher viel angekündigt
wurde und bei denen wir endlich handeln müssen . Wir
müssen endlich – das habe ich bei der letzten Debatte
schon angesprochen – gegen die Tötung trächtiger Tiere
vorgehen und auch den Pelztierfarmen den Kampf an-
sagen . Wir müssen wirksam gegen Qualzuchten vorge-
hen . Ein Thema, zu dem wir aktuell nichts hören – still
ruhet der See –, ist die Prüf- und Zulassungsverordnung
für Tierhaltungssysteme, die schon längst hätte erlassen
werden müssen . – Ich könnte noch einige Themen mehr
nennen .

Die SPD-Bundestagsfraktion ist in der Regierungs-
koalition – so muss man es sagen – die treibende Kraft
für den Tierschutz . Wir werben mit Nachdruck für zwei
Maßnahmen: erstens für eine bedarfsgerechte Novel-
lierung des Tierschutzgesetzes und die Einführung der
immer noch fehlenden Haltungsverordnungen, zum
Beispiel bei den Puten, und zweitens für eine nationale
Nutztierstrategie – das klang heute Morgen schon an –,
die ihren Namen auch verdient, und zwar mit einem rea-
listischen Zeitplan .

Liebes Ministerium – leider ist nur noch Frau
Dr . Flachsbarth in Vertretung da –,


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Der Minister hat sich entschuldigt!)


liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, wir ha-
ben gemeinsam die Verantwortung für die Tierschutzpo-
litik auf Bundesebene . Es reicht nicht, wenn wir nur For-
schungsvorhaben initiieren und Vereinbarungen mit der
Industrie abschließen . Diese verbindliche Freiwilligkeit
erscheint leider viel zu oft als organisierte Unverantwor-
tung . Es reicht nicht, Handlungen anzukündigen, wenn
die Umsetzung in die Zukunft geschoben wird .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821203600

Vielen Dank . – Nächster Redner ist Markus Tressel,

Bündnis 90/Die Grünen .


Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821203700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es ist richtig: Die ländlichen Räume brauchen unsere
Aufmerksamkeit . Weil viele dieser Regionen vor großen
Herausforderungen stehen, brauchen sie aber nicht nur
Aufmerksamkeit, sondern endlich auch eine kohärente
Strategie für die ländliche Entwicklung, die die Land-
wirtschaft mitdenkt, aber eben auch andere wichtige Be-
reiche . Eine solche Strategie haben Sie in dieser Wahlpe-
riode nicht geliefert, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Großen Koalition .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Viele Regionen schrumpfen nicht nur, was die Be-
völkerung angeht, sondern auch wirtschaftlich . Wenn
die jungen Leute wegziehen, werden die Spielräume der
Kommunen noch kleiner, Ortskerne veröden, und mittel-
ständische Unternehmen finden keine Auszubildenden
und Fachkräfte mehr . 70 Prozent der Industriearbeits-
plätze in diesem Land liegen in den ländlichen Räumen;
trotzdem nimmt die Ungleichheit zwischen den regio-
nalen Lebensverhältnissen seit langem zu . Das ist eine
fatale Entwicklung, eine Spirale nach unten . Fatal ist das
vor allem dann, wenn sich die Menschen in manchen Re-
gionen abgehängt fühlen . Das hat die Populismusdebatte
in den letzten Monaten deutlich gezeigt . Deshalb sage ich
ganz deutlich: Der ländliche Raum ist eine gesamtgesell-
schaftliche Aufgabe . Diese Aufgabe wird man nicht mit
neuen Broschüren bewerkstelligen können . Der Herr Mi-
nister ist leider nicht mehr anwesend; ich hätte ihn gern
persönlich darauf angesprochen .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das können Sie morgen! – Michael Grosse-Brömer [CDU/ CSU]: Oder Sie fahren zur Grünen Woche!)


Wir müssen für die Menschen neue Perspektiven vor
Ort schaffen, wirtschaftlich und sozial. Das gilt für die
Landwirtschaft, aber auch für alle anderen Betroffenen.
Das im Grundgesetz als Gleichwertigkeit formulierte
Ziel heißt: Alle Menschen müssen die gleichen Chancen
bekommen, an der Gesellschaft teilzuhaben . Gerade in
sehr strukturschwachen und abgelegenen Regionen heißt
das eben, nicht nur in Beton zu investieren, sondern in
die Zukunft zu investieren, und zwar dadurch, dass wir
die Aktiven und Engagierten vor Ort stärken, die Ideen
für ihre Region haben . Sie steigen durch den Förder-
dschungel aber nicht mehr durch . Noch mehr Program-
me, noch mehr Komplexität – da bleibt viel Gutes unnö-
tigerweise auf der Strecke . Sie von der Koalition hätten
da rangemusst . Getan haben Sie genau das Gegenteil .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Kernaufgaben sind die Digitalisierung und die Si-
cherung der Mobilität im ländlichen Raum . Wir müssen
es schaffen, dass Dienstleistungen erreichbar bleiben,
auch wenn sie nicht mehr vor Ort angeboten werden . So
werden neue Arbeitsmodelle möglich und damit auch
die Rückkehr junger Familien . Vor diesem Hintergrund
waren – das sage ich ganz klar – die vergangenen drei
Jahre drei verlorene Jahre für die ländlichen Räume in
Deutschland .


(Marlene Mortler [CDU/CSU]: Na, na, na!)


Christina Jantz-Herrmann






(A) (C)



(B) (D)


Wenn man sich das richtige Vorhaben der Koalition,
die GAK zur Gemeinschaftsaufgabe „Ländliche Ent-
wicklung“ weiterzuentwickeln, anschaut, muss man fest-
stellen, dass davon wenig übrig geblieben ist . Was nicht
der Landwirtschaft dient, kann nach wie vor nicht geför-
dert werden . Damit setzen Sie Ihren Koalitionsvertrag
nicht um, und die Förderpolitik mit dem wichtigsten In-
strument bleibt lückenhaft . Selbst der Minister hat in sei-
ner Haushaltsrede klipp und klar gesagt, dass hier Arbeit
ungetan geblieben ist . Er hat gesagt: Wir brauchen eine
konzertierte Aktion für den ländlichen Raum, sogar ein
Ministerium für ländliche Regionen und schließlich auch
eine Gemeinschaftsaufgabe „Ländliche Entwicklung und
Demografie“. – Sie hatten mit dieser riesigen Mehrheit
eine Legislaturperiode Zeit, diese richtigen Ansätze zu
verfolgen . Getan haben Sie nichts .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben zu Beginn der Wahlperiode gesagt, Sie
wollten die Querschnittsaufgabe „ländliche Entwick-
lung“ in der Bundesregierung besser koordinieren . Sie
haben zahlreiche Arbeitskreise gegründet und eine Bro-
schüre nach der anderen herausgegeben . In der Realität
ist davon wenig angekommen . Wo ist denn die Koordina-
tion, wenn es um den Flächenverbrauch geht? Wenn im-
mer noch neue Supermärkte auf der grünen Wiese gebaut
werden statt ortsnah, veröden die Ortskerne, während das
Verkehrsaufkommen steigt . Hierauf muss die Bundesre-
gierung endlich eine Antwort geben . Die sind Sie in die-
ser Wahlperiode schuldig geblieben . Wir sagen: Verödete
Ortskerne tragen jedenfalls nicht zur Verbesserung der
Perspektive in ländlichen Räumen bei .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen eine
Zukunftsperspektive für ländliche Räume in ihrer Unter-
schiedlichkeit schaffen. Wir brauchen einen Aufbruch für
die ländlichen Räume, kein kraftloses Verwalten mit im-
mer neuen Abteilungen . Wir brauchen einen Masterplan
für ländliche Regionen . Den haben Sie in dieser Wahlpe-
riode nicht ansatzweise auf die Schiene gesetzt . Drei ver-
lorene Jahre für die ländlichen Räume – das bedeutet die
Zeit der Großen Koalition trotz Ihrer großen Mehrheit .
Das ist außerordentlich bedauerlich .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821203800

Vielen Dank . – Jetzt hat Hans-Georg von der Marwitz

für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Hans-Georg von der Marwitz (CDU):
Rede ID: ID1821203900

Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es ist
wie jedes Jahr: Anlässlich der Grünen Woche 2017 steht
das Thema Landwirtschaft im Fokus der Öffentlichkeit
und natürlich auch des Plenums . Passend zur Kampa-
gne „Wir haben es satt!“ präsentieren uns die Grünen ein
ganzes Bündel an Anträgen und zeigen damit, worum es
ihnen eigentlich geht, nämlich um Deutungshoheit über

agrarpolitische Themen, in diesem Jahr besonders mit
Blick auf den kommenden September .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ein Großteil ihrer Vorschläge orientiert sich am Main-
stream einer realitätsfremden Agrarwelt . Das ist – sieht
man zurück in den Januar 2016 und in die Jahre davor –
thematisch nichts Neues. Wieder öffnen sie einen Forde-
rungskatalog mit Verallgemeinerungen, Verboten, Gebo-
ten, Schwarz-Weiß-Denken, soll heißen: Wir die Guten,
ihr die Bösen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Doch wie vielschichtig das Verhältnis zwischen kriti-
schen Verbrauchern und preisbewussten Konsumenten
einerseits und einer an den Bedürfnissen des Marktes
orientierten Landwirtschaft andererseits geworden ist,
ignorieren sie . Auf gesellschaftlicher Ebene wird anhand
dieser Diskussion der Strukturwandel nachvollzogen .
Parallel zu der Situation in den Betrieben verlagern sich
die Diskussionen mehr und mehr weg von der Urpro-
duktion im klassischen Sinne . Landleben als Lifestyle,
Ernährung als Wellness – dies zeugt davon, wie weit sich
unsere Gesellschaft vom bäuerlichen Alltag entfernt hat .
Obwohl die Grünen genau wissen, mit welchen Zwängen
unser Berufsstand täglich kämpft, befeuern sie diesen
Mainstream nach Kräften . Mit Blick auf Wählerstimmen
konstruieren Sie, Herr Hofreiter, Zerrbilder und Hor-
rorszenarien für einen Teil der von der Landwirtschaft
entrückten Gesellschaft .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Dr . Wilhelm Priesmeier [SPD])


Passend dazu belegen Umfragen die ganze Wider-
sprüchlichkeit der öffentlichen Wahrnehmung. Über
70 Prozent der Verbraucher halten unsere Lebensmittel
für sicher und fühlen sich gut informiert . Gleichzeitig ge-
ben 83 Prozent der Befragten an, dass sie gegenüber den
Bildern und Verpackungsinformationen kein Vertrauen
hätten .


(Abg. Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] und Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] melden sich zu einer Zwischenfrage)


Immer weiter gehen ihre Kennzeichnungsforderungen,
wie wir gestern im Agrarausschuss hören konnten . Ihre
Politik ist mitverantwortlich für diese Verunsicherung .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Entlang von Feindbildern – mal die Landwirte, mal die
Ernährungswirtschaft oder der Einzelhandel – skandali-
sieren sie regelmäßig, und das gerne im Januar .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821204000

Herr Kollege von der Marwitz, darf ich Sie einmal

kurz unterbrechen?


Hans-Georg von der Marwitz (CDU):
Rede ID: ID1821204100

Nein, ungern .

Markus Tressel






(A) (C)



(B) (D)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821204200

Sie gestatten also keine Zwischenfragen?


Hans-Georg von der Marwitz (CDU):
Rede ID: ID1821204300

Nein, er kann nachher fragen .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821204400

Gut . Das gilt dann für alle: Der Redner gestattet keine

Zwischenfragen . – Bitte .


Hans-Georg von der Marwitz (CDU):
Rede ID: ID1821204500

Unerwähnt bleibt hingegen, welche Fortschritte ge-

macht werden und welche Standards wir in Deutschland
eingeführt haben . Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass
Ihre Forderungen, zum Beispiel „Sofortmaßnahmen für
die Agrarwende – Für eine bäuerlich-ökologische Land-
wirtschaft und gutes Essen“, von unseren europäischen
Nachbarn, geschweige denn dem Rest der Welt verstan-
den oder geteilt werden . Diese als absolut gesetzte Parole
ist eine Beleidigung meines Berufsstandes; denn wir tun
nichts anderes, als gutes Essen zu produzieren, schon al-
lein, um unsere Existenz nicht zu gefährden .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Doch bei aller Meinungsverschiedenheit bietet
die agrarpolitische Diskussion reichlich Anlass zur
Selbstanalyse und zur Debatte über die politischen und
gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Branche .
Niemand bestreitet, dass es Missstände gibt, die beseitigt
werden müssen


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Mist-Stände!)


– Mist auch, richtig, lieber Kollege –, ob in der Tierhal-
tung, beim Einsatz von Pflanzenschutz- und Düngemit-
teln oder in der Verarbeitung von Lebensmitteln . Doch
Regelverstöße ärgern uns Landwirte zuallererst, weil wir
genau wissen, dass schwarze Schafe die ganze Branche
schwächen und schädigen .

Dass wir uns in einem nicht aufzuhaltenden Wand-
lungsprozess befinden, ist jedem von uns mehr als be-
wusst . Die Bedürfnisse unserer Gesellschaft verändern
sich . Natürlich müssen wir uns bestimmte gesellschaftli-
che Fragen stellen und sie in die politische Entscheidung
mit einfließen lassen. Auch unsere unternehmerischen
Handlungsmöglichkeiten müssen wir neu definieren und
ausrichten . Allerdings geht das nicht im Handumdrehen .
Getätigte Investitionen binden uns teilweise über zwei
Jahrzehnte . Man muss der Landwirtschaft die Zeit geben,
die sie benötigt, um sich im Transformationsprozess zu
orientieren . Deshalb ist es Aufgabe der Politik, einerseits
für Planungssicherheit zu sorgen und andererseits die ge-
wünschten Veränderungen finanziell zu begleiten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die nächste GAK-Reform bietet da echte Chancen . Par-
lamentarische Schnellschüsse, gesellschaftliche Kampa-
gnen und Populismus sind unfair und unredlich . Ständige

Kritik führt nur zu einer Wagenburgmentalität, die immer
hoffnungsloser erscheint und in einer Sackgasse endet.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Doch nicht nur die Landwirtschaft steckt tief in einem
Wandlungsprozess . Mit ihr sind weite Teile des ländli-
chen Raums betroffen. Der Strukturwandel schreitet
ungebremst voran. Entleerte Dörfer und demografische
Faktoren wie Alterung der Bevölkerung und Rückgang
der Erwerbstätigen tun ihr Übriges . In Ostdeutschland ist
die Situation deutlich dramatischer als im Westen . Des-
halb ist es besonders wichtig, Anreize für Landwirte und
den ländlichen Raum zu schaffen.

Wie uns allen bekannt, war die landwirtschaftliche
Urproduktion bis in die 80er-Jahre die dominieren-
de Wirtschaftskraft in den Dörfern . Heute hingegen ist
ihre Position als Wirtschaftsmotor und Arbeitgeber in
den Regionen deutlich geschwächt; sinkende Betriebs-
und Mitarbeiterzahlen zeigen dies unmissverständlich .
Optisch formt die Landwirtschaft noch die Landstriche
Deutschlands . Doch die Wirtschaft in den Regionen ist,
wenn überhaupt, mehr von Handwerk, Gewerbe und
mittelständischen Unternehmen geprägt – teilweise so-
gar von Hidden Champions; wir haben es heute schon
vom Minister gehört – als von den wenigen verbliebenen
Landwirten . Der Anteil der landwirtschaftlichen Urpro-
duktion am Bruttoinlandsprodukt liegt heute nur noch bei
unter 1 Prozent .

Viele von Ihnen kennen meine Position . Ich werde
nicht müde, auch bei dieser Gelegenheit wieder darauf
hinzuweisen, dass eine erweiterte Förderung des länd-
lichen Raums notwendig ist . Nur so kann gewährleistet
werden, dass wir unsere Dörfer leistungsfähig und le-
benswert erhalten .


(Beifall des Abg . Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU])


Dazu zählt neben der Unterstützung von Unternehmen,
Ärzten und Daseinsversorgern auch die Infrastrukturför-
derung, zum Beispiel Breitbandausbau – wir haben es
heute schon gehört –, ÖPNV/SPNV, und nicht zuletzt das
vielfältige Engagement der Ehrenamtlichen, die gerade
in unseren Dörfern das soziale Netz engmaschig halten,
ob in Kirchen, Vereinen, Verbänden und der Feuerwehr .

Mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt noch auf
dem Land . Ländliche Räume leisten einen unverzicht-
baren Beitrag zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
Deutschlands . Deshalb brauchen wir neue Perspektiven
für das Land, wie die Bundesregierung richtig in ihrem
Bericht schreibt: Regionale Disparitäten im Hinblick auf
gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland erfor-
dern weiterhin ein gemeinsames aktives Vorgehen von
Bund und Ländern, um diese Entwicklung aktiv mitzu-
gestalten .

Die Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesse-
rung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“, kurz
GAK genannt, und die Gemeinschaftsaufgabe „Verbes-
serung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ sind zusam-
men mit den EU-Struktur- und Investitionsfonds eine
wichtige Grundlage für die Förderung . Mit der Neuorien-
tierung der GAK im Frühjahr haben wir die engen Gren-






(A) (C)



(B) (D)


zen von Artikel 91 Grundgesetz über den eigentlichen
Schwerpunkt der GAK hinaus auf den ländlichen Raum
erweitert – ein wichtiger und richtiger Wegweiser . Darü-
ber hinaus haben wir in den letzten beiden Haushaltsjah-
ren mehr als eine halbe Milliarde in den ländlichen Raum
investiert, zusätzlich zum Haushaltsansatz, versteht sich .
Deswegen muss es auch weiterhin unser Auftrag bleiben,
die gesamte Förderung der ländlichen Räume weiterzu-
entwickeln und die Verteilung der Mittel sinnvoll und
nachhaltig auszugestalten, wenn wir die ländlichen Regi-
onen als eigenständige Lebens-, Wirtschafts- und Erho-
lungsräume stärken wollen . Trotz Weiterentwicklung der
Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur
und des Küstenschutzes“ hat für mich der bleibende Be-
zug zur Landwirtschaft höchste Priorität .

Wegen ihrer räumlichen Bindung an Grund und Bo-
den ist es von besonderer Wichtigkeit, das unterneh-
merische Engagement der Landwirtschaft zu stärken .
Schließlich sind unsere Landwirte schon seit Genera-
tionen in Deutschlands Regionen verwurzelt . Deshalb
geht mein Appell vor allem an meine Berufskollegen auf
den Äckern und in den Ställen: Werdet innovativ! Weckt
euren Unternehmergeist! Es geht um die Schaffung von
Perspektiven .

Der ländliche Raum hat das Potenzial zum Zukunfts-
labor und berührt viele wichtige Fragen unserer Zeit, von
der Lebensmittelproduktion bis zum Flächenmanage-
ment . – Lieber Herr Backhaus, da muss ich noch einmal
kurz auf Ihre Rede eingehen: Sie kommt 25 Jahre zu spät .
Die Flächen sind längst verteilt .


(Dr . Till Backhaus, Minister [Mecklenburg-Vorpommern]: Sie hätten zuhören müssen!)


Heute sind nur noch wenige Flächen für den Staat frei
verfügbar .


(Zuruf der Abg . Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE])


– Liebe Kollegin! – Es geht um die Ausgestaltung des
Umwelt- und Naturschutzes, Fragen einer modernen Da-
seinsvorsorge bis hin zur Energiewirtschaft, Integration
und Zuwanderung . Nicht zuletzt der Tourismus nimmt
einen immer größeren Stellenwert ein . Einen Großteil
dieser Themenfelder listet der Bericht der Bundesregie-
rung auf; er bietet so eine Bestandsaufnahme, die in die
Zukunft weist .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821204600

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist überschritten .


Hans-Georg von der Marwitz (CDU):
Rede ID: ID1821204700

Ich weiß; ich komme zum Schluss . – Auch das Plä-

doyer unseres Bundesministers für ein integratives Mi-
nisterium mit Zuständigkeit für den gesamten ländlichen
Raum sollte in diesem Zusammenhang Erwähnung fin-
den, und es sollte offen darüber diskutiert werden.

Ich fordere Sie alle auf, sich an der Diskussion über
lebenswerte ländliche Räume konstruktiv zu beteiligen .
Gemeinsam müssen wir an einer Politik arbeiten, die sich

an den Grundbedürfnissen der Menschen in der Stadt und
auf dem Lande orientiert .

Ich danke Ihnen herzlich für Ihre geschätzte Aufmerk-
samkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821204800

Vielen Dank . – Der Kollege Ebner hat um das Wort zu

einer Kurzintervention – ich betone: „kurz“, Herr Kolle-
ge Ebner – gebeten . – Bitte schön .


Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821204900

Danke schön, Frau Präsidentin . – Werter Herr Kollege

von der Marwitz, Sie haben Herrn Hofreiter vorgewor-
fen, ein Zerrbild darzustellen und Skandalisierung zu
betreiben, und Sie tun so, als ob alles gut sei und die Hin-
weise der „Wir haben es satt!“-Bewegung und von uns an
den Tatsachen vorbeigingen . Da frage ich Sie: In welcher
Blase bewegen Sie sich eigentlich?

Lange befanden Sie sich im Chor mit dem Deutschen
Bauernverband und der DLG, der Deutschen Landwirt-
schafts-Gesellschaft . Aber auch sie haben jetzt ganz of-
fenbar verstanden, dass es so nicht weitergehen kann .
Haben Sie heute schon in die FAZ geguckt? DLG-Chef
Bartmer beklagt – so ist heute in der FAZ zu lesen –, zu
enge Fruchtfolgen und zu großer Chemikalieneinsatz
führten zu immer mehr Resistenzen; man habe es mit der
Spezialisierung übertrieben . Er kritisiert dieses „Höher,
Weiter, Besser“ und fordert die Schließung von Tierstäl-
len . DLG-Chef Bartmer schließt mit den Worten:

Das System ist jetzt an eine Stelle gekommen, wo es
sich nicht weiter selbst korrigieren kann .

Das ist ein Hilferuf, aber Sie hören ihn nicht . Sie tun so,
als ob alles gut sei .


(Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Bla, bla, bla!)


Sie reden hier über den ländlichen Raum; das ist gut so .
Aber an den eigentlichen Problemen, die angesichts der
Eröffnung der Internationalen Grünen Woche heute de-
battiert werden müssten, reden Sie vorbei .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – HansGeorg von der Marwitz [CDU/CSU]: Falsch!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821205000

Herr Kollege, möchten Sie darauf antworten? – Bitte

schön .


Hans-Georg von der Marwitz (CDU):
Rede ID: ID1821205100

Kollege Ebner, seit vielen Jahren arbeiten wir gemein-

sam an diesem Thema, und es gibt immer wieder auch
deckungsgleiche Positionen . Aber was sich Ihr Kollege
heute geleistet hat, war unter der Gürtellinie .


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Ja, richtig! Eine Schande!)


Hans-Georg von der Marwitz






(A) (C)



(B) (D)


Das gilt nicht nur im Hinblick auf die Massentierhaltung,
sondern für den ganzen Strauß, den Sie uns heute hier
präsentieren . Sie präsentieren ihn uns ja nicht erst dieses
Jahr . Vielmehr bekommen wir diesen ganzen Strauß je-
des Jahr im Januar um die Ohren gepfeffert.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ändert sich ja auch nichts! – Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu Recht!)


Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Wenn Sie zugehört
hätten, dann wüssten Sie, dass auch ich häufig über die
Probleme im Bereich der Landwirtschaft diskutiere und
nachdenke .


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Aber mit Sachverstand!)


Ich weiß, dass es Missstände gibt . Aber wir müssen doch
einen gemeinsamen Weg finden, um diese Missstände zu
beseitigen . Wenn Herr Bartmer darauf eingeht, dann ist
das kein Hilferuf,


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, ist es!)


sondern die Erkenntnis: Jawohl, es gibt schwierige Situ-
ationen und Bereiche in unserer Landwirtschaft, in denen
die Probleme noch nicht gänzlich ausgeräumt sind .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist Ihnen eigentlich klar, dass Sie in einer Regierungsfraktion sitzen?)


Einer meiner Kollegen hat es im Vorfeld ganz deutlich
gesagt: Selbst wenn wir anfangen würden, alles umzuset-
zen, was Sie hier heute fordern, hätten wir in der Land-
wirtschaft noch keinen Himmel auf Erden .

Mein Berufsstand – ich komme aus der Landwirt-
schaft, aus der praktischen Landwirtschaft – fühlt sich
seit Jahren von Ihnen in die Ecke gedrängt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Dr . Wilhelm Priesmeier [SPD])


Es macht keine Freude mehr . Sie merken doch, dass die
Wagenburgmentalität, die ich angesprochen habe, vielen
mittlerweile als einzige Rettung vorkommt . Dass das kei-
ne gute Entwicklung ist, da gebe ich Ihnen vollkommen
recht .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821205200

Vielen Dank . – Letzte Rednerin zu diesem Tages-

ordnungspunkt ist die Kollegin Elvira Drobinski-Weiß,
SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Elvira Drobinski-Weiß (SPD):
Rede ID: ID1821205300

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Lieber Herr Minister Backhaus! Verehrte Gäste
auf der Tribüne! In unserer Debatte geht es heute sehr

viel um Zukunft: um die Zukunft der ländlichen Räume,
der Hühnerhaltung, der Tierhaltung, ja, der Landwirt-
schaft überhaupt . In der Tat – das wurde eben auch wie-
der deutlich – sind wir an einem Punkt, an dem wir uns
dazu bekennen müssen, was für eine Landwirtschaft wir
denn wollen . Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemo-
kraten wissen eines dabei ganz sicher: Wir wollen eine
gentechnikfreie Landwirtschaft .


(Beifall bei der SPD)


Deshalb brauchen wir ein Gesetz, das nationale An-
bauverbote unkompliziert und unbürokratisch ermög-
licht . In der Anhörung zum Gentechnikgesetz am vergan-
genen Montag ist noch einmal sehr deutlich geworden:
So wie es jetzt ist, wird das Gesetz nicht für gentechnik-
freie Äcker sorgen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Möglicherweise ist das ganze umständliche Prozedere
sogar verfassungswidrig . Vielleicht klingeln bei unserem
Koalitionspartner ein paar Glocken .


(Zuruf der Abg . Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE])


Unsere Änderungsvorschläge liegen auf dem Tisch .
Jetzt sind Sie dran, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der CDU/CSU . Wenn Sie wirklich dem mehrheitlichen
Willen der Bevölkerung entsprechen wollen, lassen Sie
uns diese Änderungen zügig gemeinsam umsetzen .

Apropos „zügig“ und apropos „Zukunft“: Ich habe
nicht schlecht gestaunt, als ich Ende vergangenen Jahres
Ihr Grünbuch gelesen habe . Herr Minister Schmidt – er
ist jetzt leider nicht mehr da –, ich freue mich außeror-
dentlich über Ihren Vorschlag, das Schul- und Kitaessen
von der Mehrwertsteuer zu befreien; denn die SPD setzt
sich schon lange dafür ein, dass die Schulverpflegung für
alle bezahlbar, lecker, hochwertig und gesund ist .


(Beifall bei der SPD)


Ich frage mich: Warum schlagen Sie das erst jetzt vor?
Warum präsentieren Sie uns in Ihrem Grünbuch Vorha-
ben als „Vision für die Zukunft“? – Die hätten Sie schon
längst umsetzen können, ja umsetzen müssen . Die Strate-
gie zur Reduktion von Zucker, Salz und Fett in Fertigpro-
dukten, die Strategie gegen Lebensmittelverschwendung
und für verpflichtende Qualitätsstandards in die Schul-
verpflegung sowie Kassenzonen ohne Süßigkeiten – das
alles stand schon im Antrag der Koalitionsfraktionen aus
Januar 2015 . Wir warten bis heute darauf, dass Sie etwas
Substanzielles dazu vorlegen . Wirksame Maßnahmen
zur Eindämmung des Energydrink-Konsums bei Kindern
und Jugendlichen sehe ich weit und breit nicht, ich sehe
nur eine abgeschaltete Aufklärungswebseite und nach
wie vor wenige Bemühungen, überhaupt aktuelle und
korrekte Daten zum Koffeinkonsum bei Jugendlichen
und Kindern erheben zu lassen .

Am meisten ärgert mich aber die Passage zu der an
Kinder gerichteten Werbung für ungesunde Lebensmit-
tel . Wenn keine freiwilligen Lösungen gefunden würden,
die wirksam seien, solle bzw . müsse es regulative Ein-
griffe geben, schreiben Sie. Herr Minister, Sie wissen so

Hans-Georg von der Marwitz






(A) (C)



(B) (D)


gut wie ich, dass es diese wirksamen freiwilligen Lösun-
gen eben nicht gibt . Das ist doch längst belegt und ziem-
lich leicht selbst nachzuprüfen . Schalten Sie doch einmal
den Fernseher ein, oder stellen Sie sich im Supermarkt in
die Kassenschlange .


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Sie wollen in Zukunft enger mit der Weltgesundheits-
organisation zusammenarbeiten . Dann fragen Sie diese
doch, was sie vorschlägt, um der Fehlernährung von
Kindern und Jugendlichen entgegenzuwirken . – Genau:
Ambitionierte Reformulierungsstrategien, Abgaben auf
zuckergesüßte Getränke, Werbebeschränkungen!

Ich rate uns allen, nicht so zu tun, als müssten wir das
Rad in der Ernährungspolitik immer neu erfinden. Statt-
dessen müssen wir mutig sein und uns auch an Lösungen
wagen, die nicht bloß den kleinsten gemeinsamen Nen-
ner darstellen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wenn wir die Ernährungssituation von Kindern tat-
sächlich nachhaltig verbessern wollen, müssen wir uns
zumindest in Teilen auch mal bei der Lebensmittel- und
Werbewirtschaft unbeliebt machen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich habe damit kein Problem; denn ich sehe es auch
als Aufgabe von Politik und damit als unsere Aufgabe,
Märkten Regeln zu geben, die dafür sorgen, dass das Ge-
meinwohl nicht zu kurz kommt und dass auch die ge-
schützt werden, die sich selbst nicht schützen können .

Ich möchte keine Papiere, Visionen und Ankündigun-
gen für eine ferne Zukunft, Herr Minister . Ich möchte,
dass wir vorankommen. Ich gebe die Hoffnung nicht auf,
dass das auch noch in dieser Legislaturperiode möglich
sein wird .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821205400

Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet, und

wir kommen zu einer Reihe von Abstimmungen, für die
ich Ihre Aufmerksamkeit erbitte .

Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c . Interfraktionell
wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksa-
chen 18/10400, 18/10861 und 18/10872 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .
Der Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/10877 soll an dieselben Ausschüsse wie
die Vorlage auf Drucksache 18/10400 überwiesen wer-
den . Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der
Fall . Dann sind die Überweisungen so beschlossen .

Tagesordnungspunkt 3 e, Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem

Titel „Zukunftsfähige Hühnerhaltung – Kükentötung
schnellstmöglich ein Ende setzen“ .

Zu dieser Abstimmung liegen zahlreiche persönliche
Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 unserer Ge-
schäftsordnung vor .1)

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/10896, den Antrag der Frakti-
on Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7878
abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition
gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Ent-
haltung der Fraktion Die Linke angenommen .

Tagesordnungspunkt 3 f, Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem
Titel „Bäuerlicher Milchviehhaltung eine Zukunft ge-
ben – Milchmenge jetzt begrenzen“ . Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/10897, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/8618 abzulehnen . Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Das ist die Koalition .
Wer stimmt dagegen? – Das sind Bündnis 90/Die Grü-
nen und die Fraktion Die Linke . Wer enthält sich? – Nie-
mand . Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen .

Tagesordnungspunkt 3 g, Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem
Titel „Transparenz schaffen – Tierhaltungskennzeich-
nung für Fleisch einführen“. Der Ausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10898,
den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/4812 abzulehnen . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion
Die Linke angenommen .

Tagesordnungspunkt 3 h, Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem
Titel „Gentechnik-Anbauverbote bundeseinheitlich und
konsequent umsetzen“. Der Ausschuss empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3843, den
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 18/3550 abzulehnen . Wer stimmt dafür? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen der Opposition angenommen .

Zusatzpunkt 3, Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „So-
fortmaßnahmen für die Agrarwende – Für eine bäuer-
lich-ökologische Landwirtschaft und gutes Essen“ . Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/10899, den Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4191 abzulehnen .

1) Anlagen 3 und 4

Elvira Drobinski-Weiß






(A) (C)



(B) (D)


Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bünd-
nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke
angenommen .

Damit sind wir am Ende der Abstimmungen zu diesen
Tagesordnungspunkten, und ich rufe die Tagesordnungs-
punkte 4 a und 4 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Änderung betäubungsmittelrechtli-
cher und anderer Vorschriften

Drucksache 18/8965

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit (14 . Ausschuss)


Drucksache 18/10902

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(14 . Ausschuss)

Tempel, Kathrin Vogler, Jan Korte, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE

Zugang zu Cannabis als Medizin umfassend
gewährleisten

Drucksachen 18/6361, 18/10902

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich sehe kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . – Ich bitte
Sie, die Plätze einzunehmen .

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Bun-
desregierung hat die Parlamentarische Staatssekretärin
Ingrid Fischbach . Bitte schön .


(Beifall bei der CDU/CSU)


I
Ingrid Fischbach (CDU):
Rede ID: ID1821205500


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem heuti-
gen Abschluss der Beratungen zum Entwurf eines Geset-
zes zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und ande-
rer Vorschriften – so heißt das Gesetz; wir haben immer
vom „Cannabisgesetz“ gesprochen – schaffen wir einen,
wie wir finden, wichtigen Schritt, um die Versorgung
schwerkranker Patientinnen und Patienten zu verbessern .
Wir wollen ihr Leid lindern und ihre Versorgung leichter
machen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg . Frank Tempel [DIE LINKE])


Deshalb sieht der Gesetzentwurf vor, dass Patientin-
nen und Patienten künftig Cannabis auch in Form von
getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter
Qualität auf ärztliche Verschreibung in Apotheken erhal-
ten können . Bei schwerwiegend Erkrankten sollen die-
se Arzneimittel von Ärztinnen und Ärzten verschrieben
werden können, wenn keine alternative Therapie mög-
lich ist oder besteht . Das bedeutet aber nicht, dass die

Patientinnen und Patienten alle Therapiemöglichkeiten
durchlaufen müssen, sondern die Ärztin oder der Arzt
kann im Einzelfall genau hinschauen und sagen: Jetzt
ist der Punkt erreicht . Wir müssen keine anderen Mit-
tel mehr testen . – Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger
Punkt in diesem Gesetzentwurf .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


So können wir beispielsweise mit Cannabisarznei-
mitteln bei multipler Sklerose, in der Schmerztherapie,
bei chronischen Erkrankungen oder auch bei Appetitlo-
sigkeit oder Übelkeit – das betrifft insbesondere Men-
schen, die sich einer Chemotherapie unterziehen; viele,
die Krebspatienten in ihrer Familie haben, wissen das –
durchaus eine Linderung der Beschwerden erreichen .

Die Kosten hierfür – das ist, glaube ich, ein ganz deut-
liches und wichtiges Signal – sollen von der gesetzlichen
Krankenkasse übernommen werden . Voraussetzungen
dafür sind: Es muss sich um eine schwerwiegende Er-
krankung handeln, und es darf keine Alternative zur Be-
handlung mit Cannabisarzneimitteln bestehen . Zudem
muss die Aussicht bestehen, dass eine spürbare, positive
Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwer-
wiegende Symptome gegeben ist .

Meine Damen und Herren, im parlamentarischen Ver-
fahren hat sich das Gesetz noch verändert, wie es bei
allen Gesetzen der Fall ist . Ich möchte an dieser Stelle
den Berichterstattern der Koalition, den Sprechern, den
stellvertretenden Vorsitzenden und den Mitarbeitern des
Ministeriums für ihre, wie ich finde, immer kluge und
unterstützende Arbeit ganz herzlich danken .

Mein Dank geht auch an die Drogenbeauftragte und
die Mitglieder des Ausschusses . Ich muss sagen: Ich
habe im Ausschuss selten Diskussionen erlebt, die in der
Sache so qualifiziert und gleichzeitig sachlich geführt
worden sind . Es war sehr erfreulich, auf dieser Ebene zu
diskutieren . Dafür an dieser Stelle ein herzliches Dan-
keschön . Das macht Lust auf weitere Gesetze in dieser
Form .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, ich möchte einige dieser
Veränderungen stellvertretend erwähnen .

Wir haben uns natürlich über die Genehmigungsfrist
Gedanken gemacht .


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Das geht halt, wenn die Opposition kompromissbereit ist!)


Das heißt, Patienten, die im Rahmen einer spezialisierten
ambulanten Palliativversorgung behandelt werden, kön-
nen nicht drei bis fünf Wochen auf eine Entscheidung der
Kassen warten . Deswegen wird diese Genehmigungsfrist
höchstens drei Tage betragen . Ich glaube, auch das ist für
die Betroffenen wichtig. Sie brauchen eine schnelle und
unbürokratische Hilfe .

Ein weiterer Punkt ist die Datenlage . Wir haben we-
nige Erkenntnisse über die Wirkungen eines langfristi-

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


gen Cannabisgebrauchs . Deswegen wollen wir eine Be-
gleiterhebung durchführen . Dazu übermitteln Ärztinnen
und Ärzte ohnehin vorliegende Daten in anonymisierter
Form an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medi-
zinprodukte . Es sind zum Beispiel Daten zur Diagnose,
zur Therapiedosis oder zu Nebenwirkungen, und wir hof-
fen, dass wir dann auch ein vernünftiges Datenmaterial
zur Verfügung haben .

Zur Versorgung mit Cannabisarzneimitteln in standar-
disierter Qualität soll der Anbau von Cannabis zu me-
dizinischen Zwecken auch in Deutschland ermöglicht
werden . Grundlage dafür werden aber die völkerrecht-
lich bindenden Vorgaben des Einheits-Übereinkommens
der Vereinten Nationen von 1961 über Suchtstoffe sein.
Die Cannabisagentur soll beim Bundesinstitut für Arz-
neimittel und Medizinprodukte eingerichtet werden . Die-
se Agentur stellt sicher, dass zukünftig in Deutschland
hergestellte Produkte, für die ein Anbauer die üblichen,
insbesondere natürlich die betäubungsmittelrechtlichen
Erlaubnisse benötigt, nur in standardisierter Qualität pro-
duziert werden .

Sie alle haben vielleicht als Abgeordnete auch schon
Briefe von den ersten Interessierten bekommen, die be-
reits anbauen wollten . Das wird nicht passieren; das kann
ich ganz klar sagen . Das ist nicht das, was wir wollen .

Die Agentur kauft die Produkte auf und gibt sie an
Arzneimittelhersteller, Großhändler und auch Apotheken
ab . Bis der staatlich kontrollierte Anbau in Deutschland
erfolgen kann, wird die Versorgung mit Cannabis zu me-
dizinischen Zwecken über Importe gedeckt .

Mit dem Gesetz zur Änderung betäubungsmittel-
rechtlicher und anderer Vorschriften gehen wir, wie ich
meine, einen großen Schritt in die richtige Richtung . Wir
sorgen dafür, dass schwerkranke Menschen bestmöglich
versorgt werden und ihnen auch diese Therapieoption
im Rahmen der ärztlichen Behandlung eröffnet wird.
Sie können Cannabis verschrieben bekommen, wenn
es medizinisch indiziert ist . Damit wird ihnen geholfen,
und dies, meine Damen und Herren, soll auch Sinn und
Zweck dieses Gesetzes sein .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821205600

Vielen Dank . – Als Nächster hat der Kollege Frank

Tempel für die Fraktion Die Linke das Wort,


(Beifall bei der LINKEN)


dem ich hiermit ganz herzlich zu seinem heutigen Ge-
burtstag gratulieren möchte . Herzlichen Glückwunsch!


(Beifall – Dr . Edgar Franke [SPD]: Da müssen Sie einen ausgeben!)



Frank Tempel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821205700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! In den letzten Monaten habe ich mich gemein-
sam mit vielen betroffenen Menschen gefragt, wann end-
lich die versprochenen Verbesserungen bei der medizini-

schen Verwendung von Cannabis nun auch im Bundestag
beschlossen werden . Wenn Sie die Beschlussfassung ab-
sichtlich auf den heutigen Tag gelegt haben, um meinen
langen Kampf für dieses Thema zu würdigen, dann ist
das eine nette Geste,


(Heiterkeit bei der SPD – Mechthild Rawert [SPD]: So sind wir!)


aber mit Blick auf die Betroffenen etwas übertrieben.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Aber ein paar ernste Worte müssen wir bei diesem
Thema durchaus auch wechseln; denn die bisherige
Rechtslage war mit ihren bürokratischen Hürden und
Kostenhindernissen mit Blick auf den Leidensweg vie-
ler betroffener Patienten fatal. Was da über Jahre hinweg
stattfand, war aus meiner Sicht, moralisch gesehen, un-
terlassene Hilfeleistung durch den Staat .


(Beifall bei der LINKEN)


Nur wenige Hundert Patienten überwanden die Bürokra-
tiehürden bis zu einer offiziellen Genehmigung, und wer
das geschafft hatte, scheiterte sehr oft an den Kosten, die
ihm keine Kasse erstattete .

Wenn wir das heute ändern, sollte unser Dank denen
gelten, die mit gerichtlichen Klagen, mit Petitionen, mit
vielen Initiativen zur Meinungsbildung in der Öffentlich-
keit und auch hier im Bundestag beigetragen haben .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bevor ich zu einigen inhaltlichen Aspekten komme,
möchte ich aber auch etwas zum Gesundheitsausschuss
des Bundestages sagen . Ich möchte bestätigen, dass sich
in dieser Legislaturperiode erstmals intensiv mit dieser
Thematik richtig fachlich auseinandergesetzt wurde, und
dafür möchte ich allen ganz herzlich danken .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt liegt ein Ergebnis vor, das in vielen Punkten dem
Antrag meiner Fraktion entspricht und mir im Gegensatz
zu der Arbeit im Innenausschuss relativ wenig Spielraum
zu meckern lässt .


(Heiterkeit bei der SPD)


Die Änderungsanträge der Regierungskoalition auch
noch nach der Einbringung beweisen, dass man eben
nicht nur zu einem Richtungswechsel gezwungen wurde,
sondern dass man tatsächlich die ehrliche Absicht hatte,
die Situation vieler Patienten zu verbessern . Die kom-
plizierte Genehmigungspraxis wurde abgeschafft, die
Kostenerstattung geregelt, die Abhängigkeit vom Import
wurde verringert, was sich auch auf die Preisentwicklung
positiv auswirken kann . Dadurch wurde das Problem von
Versorgungsengpässen verringert und, ganz wichtig, die
Entscheidungsfreiheit zwischen Arzt und Patient wurde
gestärkt . Das ist alles klasse, und dafür auch noch ein-
mal: Danke schön!


(Beifall bei der LINKEN)


Parl. Staatssekretärin Ingrid Fischbach






(A) (C)



(B) (D)


Ich hoffe aber auch – ich habe der Staatssekretärin
genau zugehört –, dass wir weiter an dem Thema dran-
bleiben . Eine wissenschaftliche Begleiterhebung in der
medizinischen Praxis ist zwar wichtig, kann aber noch
nicht alles sein . Die dafür von Ihnen veranschlagten
850 000 Euro reichen eben hinten und vorne nicht . Sie
beklagen selbst, dass der Wissensstand zum medizini-
schen Nutzen von Cannabis noch nicht allzu hoch ist; das
habe ich auch im Gesundheitsausschuss gehört . Wenn die
Linke aber Haushaltsanträge zur Finanzierung klinischer
Forschung stellt, lehnen Sie diese regelmäßig ab, auch
wenn das den Kollegen von der SPD immer sehr schwer
fällt, wie ich gesehen habe . Ein höherer Nutzen ergibt
sich durch mehr Wissen . Das bedingt Investitionen in
dieses Wissen . Lassen Sie uns darüber bei den nächsten
Haushaltsberatungen reden .

Noch ein Punkt. Die neuen Regelungen betreffen
erst einmal nur schwerkranke Patienten . Die Entschei-
dungsfreiheit des Arztes ist auf diesen Personenkreis be-
schränkt . Sie wissen es selbst, meine Damen und Herren:
Es gibt Menschen in unserem Land, denen wäre Cannabis
als Genussmittel völlig egal . Aber als Medizin – auch im
niederschwelligen Bereich – fänden sie es sehr interes-
sant, immer vorausgesetzt, es gibt die Möglichkeit, unter
fachkundiger Beratung und Hilfe dies zeitlich begrenzt
zu nutzen . Diese Möglichkeit sollten wir in Zukunft zu-
mindest in gemeinsamer Debatte weiter ausloten . Nicht
jeder möchte die große Palette kleiner, bunter Schmerz-
pillen austesten, sondern lieber auf natürliche Substanzen
wie Cannabis setzen .

Zum Schluss möchte ich auch hier im Plenum einen
mir sehr wichtigen Aspekt ansprechen . In der gestrigen
Sitzung des Gesundheitsausschusses habe ich noch ein-
mal die Führerscheinpraxis bei medizinischen Verwen-
dern von Cannabis angesprochen . Es mag stimmen, dass
die rechtlichen Regelungen es ermöglichen, bei sachge-
mäßer Anwendung des Medikaments im Besitz des Füh-
rerscheins zu bleiben . In der Praxis ist es aber oft nicht
so . Es fehlen geeignete Testmethoden, um in der poli-
zeilichen Kontrolle wirklich festzustellen, ob jemand im
Rauschzustand gefahren ist . Oft fehlt es Polizeibeamten
an der Akzeptanz der medizinischen Verwendung von
Cannabis . Wir haben so einige aktuelle Fälle, in denen
die Eignung der Erlaubnisinhaber zum Führen eines
Fahrzeugs infrage gestellt wird, weil sie medizinische
Verwender sind . Wenn jemand durch die Therapie wie-
der arbeiten könnte, aber durch die Therapie den Führer-
schein und damit auch den Arbeitsplatz verliert, macht
das Ganze nicht viel Sinn . Deswegen: Wir freuen uns
heute über diesen Gesetzesbeschluss, aber wir werden
weiter diskutieren müssen . Wenn wir weiterhin so gut
zusammenarbeiten wie in der Vergangenheit, wird das
Früchte tragen .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821205800

Vielen Dank . – Für die SPD spricht jetzt Hilde

Mattheis .


(Beifall bei der SPD)



Hilde Mattheis (SPD):
Rede ID: ID1821205900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es ist schön, bei einem solch wichtigen Thema sagen zu
können: Die Koalition und die Opposition sind sich ei-
nig . Das ist sehr wohltuend; denn es geht an dieser Stelle
um Menschen und ihr Leid, das wir mit einem einfachen
Mittel beenden können. Wir öffnen nun die entsprechen-
den Zugänge . Was das bedeutet, möchte ich beispielhaft
anhand eines konkreten Falls schildern .

Ein damals 20-Jähriger, der in Süddeutschland lebt,
stellt fest, dass er an einer seltenen Nervenerkrankung
leidet . Er ist arbeitslos geworden . Er kann keine Tä-
tigkeit mehr aufnehmen . Nach langer Suche nach der
richtigen Therapie und dem Einsatz von Morphium, un-
ter dessen Auswirkungen er abmagert und an Übelkeit
leidet, wird festgestellt: Cannabis ist das einzige Mittel,
das seinen Alltag erträglich macht . Nun ist er arbeitslos,
und es kostet 1 000 Euro pro Monat, um einigermaßen
die Lebensqualität und die gesellschaftliche Teilhabe zu
erhalten . Was macht er? Er hilft sich selbst und baut an .
Man kann sicherlich mit einem leichten Augenzwinkern
sagen: Das hat der eine oder andere von uns in studenti-
schen Zeiten auch so gemacht. Aber für den Betreffen-
den ist das überlebenswichtig . Was passiert im Freistaat
Bayern oder vielleicht auch woanders? Der junge Mann
wird angeklagt . Er muss sich verantworten . Das heißt, zu
seiner schwierigen Lebenssituation kommt hinzu, dass er
strafrechtlich belangt wird .

Es geht hier um Einzelschicksale. Betroffen sind rund
100 Menschen in diesem Land, vielleicht auch ein paar
mehr . Jetzt kommt es darauf an, keine Abwärtsspirale
bei einem jungen Menschen, der sich ohnehin in einer
schwierigen Lebenssituation befindet und im Prinzip kei-
nen legalen Ausweg kennt, in Gang zu setzen . Das haben
wir miteinander hinbekommen . Dafür danke ich ganz
herzlich . Es ist gut und richtig, dass wir alle das gemein-
sam beschließen .

Der Beschluss ist das eine . Es müssen aber natürlich
in der Praxis noch weitere Dinge umgesetzt werden .

Eine wissenschaftliche Begleitung ist wichtig . Es ist
aber auch wichtig, dass Hausärztinnen und Hausärzte in
Bezug auf dieses Thema über eine Fort- oder Weiterbil-
dung ihre vielleicht vorhandenen eigenen inneren Hür-
den überspringen können . Auch das wird hier geregelt .

Uns war sehr wichtig, dass wir auch im Hospiz- bzw .
Palliativbereich nicht so hohe Hürden errichten . Das Ge-
nehmigungsverfahren dort muss innerhalb von drei Ta-
gen ablaufen; denn wir alle können uns vorstellen, was
drei Tage im Leben eines Menschen bedeuten, der pal-
liativ behandelt werden muss und an starken Schmerzen
leidet . All das sind Punkte, die in diesem Gesetz zum
Tragen kommen . Es hat uns, glaube ich, allen gutgetan,
das mit einer tiefer gehenden Debatte über weitere betäu-
bungsrechtliche Schritte zu verbinden .

Frank Tempel






(A) (C)



(B) (D)


Wir machen einen wichtigen Schritt hin zu einer Un-
terstützung in Bezug auf die humanere Gestaltung von
bestimmten Lebenssituationen . Auch ist es ein wichtiger
Schritt in die Richtung, dass wir als Solidargemeinschaft
diesen Menschen zur Seite stehen . Von daher tun wir,
glaube ich, alle gut daran, das jetzt nicht – wir haben das
auch nicht getan – weiter unter ideologischen Gesichts-
punkten zu forcieren .

Gestern stand in der Berliner Morgenpost: „Gröhe
wirbt für Cannabis auf Rezept“ . Ich fand das ziemlich
witzig . Wir alle wissen aber, um was es geht . Es geht
um Menschen in Ausnahmesituationen, vor allen Dingen
aber um Menschen – das ist ein ganz wichtiger Punkt –,
die nicht unbedingt als austherapiert gelten . In diesem
Zusammenhang danke ich Ihnen, dass Sie darauf hinge-
wiesen haben, dass wir in Bezug auf diesen Punkt im par-
lamentarischen Verfahren noch Nachbesserungen hinbe-
kommen haben. Die betroffenen Menschen müssen also
nicht gänzlich austherapiert sein, bevor ihnen geholfen
wird . Dafür vielen Dank auch an das zuständige Minis-
terium .

Ich habe die Hoffnung, dass wir an der einen oder an-
deren Stelle noch weitere Punkte dieser Art im Konsens
miteinander besprechen und verabschieden können . Das
wäre schön, es würde mich freuen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821206000

Vielen Dank . – Dr . Harald Terpe spricht jetzt für

Bündnis 90/Die Grünen .


Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821206100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die mehr als ein Jahrzehnt andauernde Auseinanderset-
zung um Cannabis als Medizin stellte einen Leidensweg
dar für eine Reihe zumeist schwer erkrankter Patientin-
nen und Patienten mit nahezu unerträglichen Schmerzen
und Angstzuständen, mit Krebserkrankungen oder mit
einem chronischen und an Schwere zunehmendem Lei-
den .

Zu oft wurde und wird ihnen die Therapie mit Can-
nabis vorenthalten, oder sie ist individuell nicht bezahl-
bar . Das ist so, obwohl die Standardtherapie weniger half
oder auch schwere Nebenwirkungen mit sich brachte .
Wir wissen, dass vor allem langandauernde Schmerzthe-
rapien zu schweren Nebenwirkungen führen können .
Vielleicht aber hatten die Betroffenen auch einfach die
falsche Grunderkrankung . Denn die Behandlung mit
Cannabis wurde auf wenige Indikationsstellungen be-
schränkt .

Versuchen Sie einmal, sich in eine Betroffene aus mei-
nem Wahlkreis zu versetzen . Sie hatte infolge einer Kin-
derlähmung jahrzehntelang schwere Schmerzzustände .
Ihr wurde die Behandlung mit Cannabis – obwohl sie die
Erfahrung gemacht hatte, dass sie ihr gut hilft – vorent-
halten . Auch konnte sie diese Behandlung einfach nicht

bezahlen . Ich bin seinerzeit mit einer Krankenkasse ins
Gespräch gekommen . Es war nicht möglich, mit ihr eine
individuelle Lösung herbeizuführen, mit der man über
diese Hürde hätte hinüberkommen können .

Wir als Gesetzgeber sind also diesen Betroffenen lan-
ge eine Lösung schuldig geblieben . Man muss sagen,
dass es weder an Gerichtsbeschlüssen noch an Betroffe-
neninitiativen – es gab davon viele – gefehlt hat . An die-
ser Stelle sage ich vielen Dank für die Hilfe vonseiten der
Betroffeneninitiativen. Auch an parlamentarischen Initia-
tiven – es waren auch Initiativen von den Bündnisgrünen
dabei – hat es nicht gefehlt . Es gab solche Initiativen zum
Beispiel 2005, 2007 und 2011 sowie auch in dieser Le-
gislaturperiode .

Ich erinnere mich als Teilnehmer an Gesprächen in
der letzten Legislaturperiode im Bundesministerium für
Gesundheit daran, dass wir mit bescheidenem Erfolg zu-
mindest hinter den Kulissen die Zahl derjenigen haben
steigern können, die eine Sondergenehmigung bekom-
men haben; aber der Erfolg war sehr bescheiden . Und in
dieser Legislaturperiode hat es drei Jahre gedauert, bis
eine gesetzliche Regelung zum Abschluss gebracht wer-
den konnte . Aber ich möchte auch sagen: Chapeau, Frau
Mortler! In einer drogenpolitischen Veranstaltung zu
Beginn dieser Legislaturperiode haben Sie gesagt: Man
kann sich Cannabis als Medizin vorstellen . – Und nun
liegt ein entsprechender Gesetzentwurf vor .

Es hat sich erfreulicherweise zwischen der ersten und
der zweiten Lesung viel getan . Aus einem rigiden Re-
gierungsentwurf ist im parlamentarischen Verfahren ein
annehmbarer Gesetzentwurf geworden . Die Kritik nahe-
zu aller Sachverständigen war offensichtlich ausreichend
überzeugend und hat sozusagen zu einem Umdenken ge-
führt .

Ich begrüße daher ausdrücklich, dass die Koalitions-
fraktionen in ihren Änderungsanträgen klargestellt haben,
dass die Therapieentscheidung für Cannabis als Medizin
beim Arzt liegt und dass eine Nutzen-Risiko-Bewertung
von anerkannten Standardtherapien ermöglicht wird, um
sich für Cannabis als Therapie zu entscheiden, sodass
man nicht erst warten muss, bis Erkrankte konventionell
„austherapiert“ – so heißt das dann – sind .

Auch die Verbesserung bei der Kostenerstattung, die
grundsätzlich erfolgen muss und nur in begründeten Aus-
nahmefällen abgelehnt werden darf, ist gutzuheißen .

Dass allerdings nach wie vor an der verpflichtenden
Begleiterhebung festgehalten wird, schmälert die Qua-
lität des Gesetzes eigentlich unnötig, zumal eine solche
Regelung im Rahmen des SGB V ein Fremdkörper ist;
denn bisher bedarf es keiner Gegenleistung, wenn man
eine Leistung bekommt . Meine Erwartung ist, dass wir
nach der Verabschiedung des Gesetzes die Diskussion
um eine valide, unabhängige wissenschaftliche Begleit-
forschung fortsetzen und auf eine freiwillige Basis stel-
len, um zu evidenten Ergebnissen hinsichtlich der Can-
nabistherapie zu gelangen . Die Diskussion ist also noch
nicht beendet .

Ich darf, liebe Kolleginnen und Kollegen, noch eine
weitere Erwartung äußern . Sie bezieht sich auf die lau-

Hilde Mattheis






(A) (C)



(B) (D)


fenden Verfahren gegen Patientinnen und Patienten, in
denen Cannabis aus medizinischer Indikation angewen-
det wurde und die im Geiste der neuen Gesetzlichkeit
nicht zum Nachteil der Betroffenen ausgehen sollten.

Ich denke, das Gesetz stärkt zum Wohle der Patien-
tinnen und Patienten die Therapiefreiheit der ärztlichen
Behandler und ermöglicht, unbürokratisch angewandt,
die Kostenerstattung . Unsere Fraktion wird dem vorlie-
genden Gesetzentwurf zustimmen . Möge das Gesetz zu
einer Wiedergutmachung durch besonnene Anwendung
in der Praxis beitragen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821206200

Vielen Dank . – Als Nächstes spricht Karin Maag,

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Karin Maag (CDU):
Rede ID: ID1821206300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Jeder und jede von Ihnen, von uns hat verschiedenste Pa-
tientengruppen im Rahmen seiner Tätigkeit oder gene-
rell, zu denen er oder sie eine besondere Beziehung ent-
wickelt hat . Bei mir sind es die neurologisch erkrankten
Menschen, insbesondere die Kinder, aber auch Patienten
mit chronischen Schmerzen und Menschen in der Pallia-
tivversorgung . Gerade deswegen liegt mir dieses Gesetz
persönlich sehr am Herzen; denn mit diesem Gesetz er-
reichen wir eine bessere Versorgung auch dieser Patien-
ten mit weiteren cannabishaltigen Arzneimitteln in – das
ist mir ganz wichtig – standardisierter Qualität .

Das ist übrigens auch der rote Faden für mich in die-
sem Gesetz. Es geht nicht um „Kiffen auf Rezept“, wie
keine Berliner, sondern eine andere Tageszeitung in der
letzten Woche formulierte . Wir wollen eine weitere Be-
handlungsalternative, eine medizinische Behandlungs-
alternative, eröffnen und gleichzeitig den – aus meiner
Sicht – nicht zielführenden Eigenanbau verhindern, weil
es um eine qualitätsgesicherte Behandlung geht .

Technisch kontrollieren und steuern wir – das haben
Sie gehört – die gesamte Herstellung . Beim Bundesinsti-
tut für Arzneimittel und Medizinprodukte wird die soge-
nannte staatliche Cannabisagentur eingerichtet, die den
Bedarf ausschreibt, die Qualität überwacht, aber auch die
gesamte Ernte aufkauft und dann an die Hersteller, an
die Großhändler, an die Apotheken weitergibt . Sie alle
müssen die betäubungsmittel- und vor allem auch arz-
neimittelrechtlichen Vorschriften einhalten . Das betone
ich deshalb an dieser Stelle, weil es sich sicher nicht um
landwirtschaftlichen Anbau handelt – der eine oder ande-
re hat verschiedene Fragen in diese Richtung erhalten –;
vielmehr geht es um die Herstellung von Arzneimitteln .

Weil wir Menschen helfen wollen, lieber Harald Terpe,
übernehmen wir die Verantwortung für einen Weg, der in
dieser Form neu ist . Sie alle, wir alle wissen ja, wie ein
Medikament in den Behandlungsablauf kommt . Die Arz-
neimittelhersteller müssen nämlich Wirksamkeit, Unbe-

denklichkeit und Qualität eines neuen Wirkstoffs anhand
aufwendiger klinischer Studien nachweisen . Bei Canna-
bis ist die Datenlage dünn . Es gibt – das haben wir in
der Anhörung gehört – kaum evidenzbasierte Nachweise,
dass Cannabis besser geeignet ist als andere Therapien .

Uns allen ist aber auch klar: Die klinischen Eindrü-
cke sind eindeutig . Es gibt ganz generell – das ist uns
bewusst, unter anderem durch eine besondere Petition zu
diesem Thema – bei den Patienten einen hohen Leidens-
druck . Es gibt leider viel zu viele Patienten mit schwe-
ren Erkrankungen, für die Therapiealternativen fehlen .
Da geht es um schwere Schmerzen durch Krankheiten .
Ich verweise auf die Onkologie, ich nenne die multiple
Skle rose, ich nenne epileptische Anfälle; es geht auch um
chronische Schmerzen . Diesen Menschen wollen wir die
Therapie sicher nicht vorenthalten .

Wenn wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, den Me-
dizinalhanf, getrocknete Hanfblüten und -extrakte, als
Behandlungsalternative etablieren wollen, dann müssen
wir auch die Akzeptanz verbessern – weniger bei den Pa-
tienten als vor allem bei den Kostenträgern und bei den
Leistungserbringern, von denen sich relativ viele noch
gar nicht mit dieser Therapieoption beschäftigt haben .
Deshalb sind wir sehr stark auf die in der Anhörung ge-
äußerten Sorgen und Bedenken eingegangen . Wir haben
es gehört: Die Therapiehoheit der Ärzte wurde gestärkt .
Es geht natürlich nicht an, dass der Patient erst langwieri-
ge und schwerwiegende Nebenwirkungen ertragen muss,
bevor der Arzt den Medizinalhanf verordnen darf . Und
der Arzt verordnet ausschließlich aufgrund eigener Prü-
fung im Einzelfall .

Um den befürchteten Missbrauch – auch dazu gab es
natürlich Stimmen in der Anhörung – so weit wie mög-
lich auszuschließen, muss die Erstverordnung von der
Krankenkasse genehmigt werden . Umgekehrt – natürlich
gibt es auch den Vorwurf der zu rigiden Verfahrensweise
der Kassen bei der Genehmigung – dürfen die Kassen
nur in begründeten Ausnahmefällen im Rahmen der üb-
lichen Frist, in der Regel drei Wochen, ablehnen . Tod-
kranke Menschen in der Palliativversorgung sollen und
können natürlich nicht so lange warten . Da verkürzen wir
die Frist auf drei Tage .

Ich habe es erwähnt, meine Damen und Herren: Die
wissenschaftliche Datenlage ist dünn . Selbstverständ-
lich brauchen wir weitere Erkenntnisse, um so eine Ent-
scheidungsgrundlage für die dauerhafte Aufnahme in die
Versorgung zu haben . Es ist gut und richtig, dass beim
BfArM die Daten und Informationen im Rahmen der
vorgesehenen nichtinterventionellen Begleiterhebung
gesammelt werden . Allerdings wollen wir die Patienten,
wie im ursprünglichen Entwurf vorgesehen, nicht dazu
verpflichten, an einer solchen Begleitforschung teil-
zunehmen . Jeder weiß ja, wie es um die Angst vor der
Weitergabe von Behandlungsdaten bestellt ist . Nun ist
geregelt worden, dass keine personenbezogenen Daten
weitergegeben werden, Behandlungsdaten anonymisiert
werden und der behandelnde Arzt die Patienten lediglich
darauf hinweisen muss, dass er diese anonymisierten Da-
ten weitergibt .

Dr. Harald Terpe






(A) (C)



(B) (D)


Das Wissen aus der Begleiterhebung, lieber Harald
Terpe, ersetzt natürlich keine klinischen Studien . Diese
erstellen in der Regel die pharmazeutischen Unterneh-
men im Rahmen der arzneimittelrechtlichen Zulassungs-
verfahren . Es gibt derzeit auf der Grundlage der beim
BfArM vorhandenen Daten 13 klinische Prüfvorhaben
zu unterschiedlichen Indikationen .

Auch die Regierung ist sich ihrer Verantwortung be-
wusst, Herr Kollege Tempel . Das Bundesministerium
für Bildung und Forschung fördert zum Beispiel For-
schungsvorhaben zur medizinischen Verwendung von
Cannabis bei Schizophrenie .

Das alles zeigt, dass wir die Therapiemöglichkeiten
auf breiter Front verbessern wollen . Vielen Dank dafür
an das Haus . Ich nennen ausdrücklich Kollegin Zeulner
von der CSU, die sich mit sehr viel Herzblut für dieses
Thema eingesetzt hat; sie befindet sich derzeit im Mut-
terschutz .

Liebe Kolleginnen und Kollegen insbesondere von
der Opposition, Sie haben im Ausschuss und hier zum
Teil Zustimmung signalisiert . Es wäre ein schönes Zei-
chen, dass wir gemeinsam Verantwortung wahrnehmen,
wenn Sie heute alle zustimmen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg . Frank Tempel [DIE LINKE])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821206400

Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt

Burkhard Blienert .


(Beifall bei der SPD)



Burkhard Blienert (SPD):
Rede ID: ID1821206500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Am heutigen Tag vollzie-
hen wir endlich nach langen Jahren einen längst über-
fälligen Schritt im Bereich der Therapiealternativen .
Einige Hundert Patientinnen und Patienten haben diese
Gesetzesnovellierung herbeigesehnt . Nun können wir
Vollzug melden . Besonders erwähnen möchte ich Herrn
Grotenhermen . Er wird die heutige Debatte wahrschein-
lich verfolgen . Er hat sich sehr stark dafür eingesetzt und
auch hier in Berlin einen eindrucksvollen Beitrag dazu
geleistet .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg . Karin Maag [CDU/ CSU])


Wir beschreiten neue Wege . Es ist uns bewusst, dass
nun ein Medikament erstattungsfähig wird, obwohl die
Evidenz nicht vollumfänglich belegt ist. Ich finde aber,
dass dieser Schritt an dieser Stelle richtig und verant-
wortbar ist .

Ich möchte mich auch für die sachliche Debatte in
der Vergangenheit bedanken: beim Koalitionspartner,
beim Gesundheitsministerium, bei der Geschäftsstelle

der Drogenbeauftragten, aber ganz besonders auch bei
der Opposition . Normalerweise sollten wir zwar im Par-
lament streiten, aber dass wir an dieser Stelle in dieser
Frage eine konstruktive Debatte hatten und das Gesetz
verbessern konnten, liegt auch an Ihnen . Dafür herzli-
chen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte auf drei Aspekte kurz eingehen, die mir
besonders wichtig sind .

Der erste ist die Therapiehoheit des Arztes . Grund-
sätzlich ist festzuhalten: Wir haben es geschafft, die Pati-
entinnen und Patienten in den Mittelpunkt zu stellen . Wir
geben ihnen mit dieser Regelung die Möglichkeit, Can-
nabis auf legalem Wege und unabhängig vom Geldbeutel
als Medikament zu beziehen. Wir haben es geschafft –
und darüber freue ich mich sehr –, das faktische Veto-
recht des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen zu
streichen


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


und den behandelnden Ärzten somit eine reale Therapie-
hoheit zu sichern .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es wäre höchst problematisch gewesen, die leidenden
Patientinnen und Patienten quasi als Versuchskaninchen
alle Therapieformen durchlaufen zu lassen, bevor ihnen
Cannabis verschrieben werden dürfte, und das, obwohl
der behandelnde Arzt bereits gute Erfahrungswerte dies-
bezüglich gesammelt hat . Wir werden in den nächsten
Wochen und Monaten die Verschreibungen und Anwen-
dungsgebiete genau beobachten, und wir werden dann
genau sehen können, wie sich die Patientenzahlen und
natürlich auch die Kosten entwickeln werden .

Punkt zwei, die Evidenz . In Hinblick auf Cannabis als
Medizin werden wir in den nächsten Monaten und Jah-
ren Daten und Fakten aus unterschiedlichen Forschungs-
projekten bekommen . Daher ist es richtig, dass dafür im
Bundesforschungsministerium entsprechende Haushalts-
mittel vorgesehen sind . Die Aktivitäten – da bin ich mir
relativ sicher – werden in den nächsten Jahren eine Dy-
namik entwickeln, die wir heute noch gar nicht richtig
vermuten können .

Punkt drei, die Versorgungssicherheit . Auch die ist ge-
währleistet, weil es jetzt schon Produzentinnen und Pro-
duzenten gibt, die Cannabis anbieten . Ich bin mir sicher,
dass wir keine Versorgungsengpässe in der nächsten Zeit
zu befürchten haben . Wir werden uns wundern, wie vie-
le Anbieter und Hersteller sich in Deutschland auf dem
Markt tummeln werden .

Zur Versorgungssicherheit zählt aber neben der Pro-
duktionsfrage auch die Verschreibungsmöglichkeit . Um
die Versorgung flächendeckend gewährleisten zu können,
müssen nun zudem auch die Ärztinnen und Ärzte um-
fangreich über die Wirkungsweisen und Anwendungs-

Karin Maag






(A) (C)



(B) (D)


gebiete von Cannabis informiert werden . Es darf keinen
Unterschied ausmachen, ob man in der Stadt oder auf
dem Lande wohnt . Deshalb brauchen wir dort Weiterbil-
dungs- und Fortbildungsmaßnahmen in allen Bereichen .

Im Hinblick auf die Versorgung rate ich daher den
Versorgungspartnern des Rahmenvertrags zudem, sich
auf ein Sonderkennzeichen zur Abgabe dieser Arznei in
Apotheken zu verständigen . Dies macht zukünftig die
Versorgung nachvollziehbar und sicherer . Nicht alles
muss der Gesetzgeber regeln . Ich bin mir sicher, dass alle
Beteiligten an der Stelle gemeinsam Lösungen finden
werden .

Lassen Sie mich aber noch einmal auf den Aspekt der
Legalität von Cannabis als Medizin zurückkommen und
davon ausgehend den Bogen ein bisschen weiter span-
nen . Wir ermöglichen heute einem Personenkreis den
Zugang zu Cannabis . Wir machen dies, weil wir wissen,
dass diesen Personen damit geholfen werden kann . Wir
begründen unsere Entscheidung auch damit, dass wir
niemanden in die Illegalität, auf den Schwarzmarkt drän-
gen wollen, wo gegebenenfalls die Stoffreinheit bzw. der
exakte THC-Gehalt nicht gewährleistet werden kann, wo
Strafe und Verfolgung, Stigmatisierung und damit auch
sozialer Abstieg drohen . Wir sagen zudem, dass die The-
rapie nicht vom Geldbeutel abhängen darf . Wir machen
dies alles, obwohl bislang nicht alle Aspekte geklärt sind,
Auswirkungen noch nicht absehbar sind . Aber wir gehen
trotzdem diesen Schritt, und das ist auch gut so .

Ich finde es richtig, dass wir die Entscheidung über
die Einnahme von Cannabis als Medizin nicht mit der
Diskussion um den Alltagsgebrauch vermischen . Das ist
voneinander zu trennen, und das haben wir gemacht . Das
war der richtige Weg .


(Beifall der Abg . Karin Maag [CDU/CSU])


Nur die Frage von Cannabis im Alltag bleibt; die hat sich
durch diese Debatte natürlich nicht aufgelöst . Ich bin
mir aber sicher, dass die Diskussionen der letzten zwei
Jahre – insbesondere die Debatte, die wir in den letzten
Monaten sowie gestern im Ausschuss geführt haben und
heute hier führen – und die Erfahrungen in der Zukunft
zu einer Entideologisierung beitragen können, was die
Bewertung von Cannabis betrifft.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN sowie des Abg . Dr . Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das wird zukünftige Entscheidungen auf diesem Gebiet
sachlicher und gerechter werden lassen .

Meine Meinung dazu ist praxisorientiert: Wir sollten
als Gesellschaft und auch als verantwortliche Politiker
die Menschen nicht im Stich lassen, die Cannabis kon-
sumieren . Trotz Verbot sind es Millionen in Deutschland,
die Cannabis schon probiert haben oder es regelmäßig
konsumieren . Wir sollten die Debatte von der Seite her
führen: Was hilft den Konsumenten? Das bedeutet: ent-
kriminalisieren, den Konsum regulieren und ihn dadurch

aus der Kriminalität und somit auch aus der organisierten
Kriminalität herausführen .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin, ein letzter Satz dazu: Die Geschichte
um Cannabis ist daher mit dem heutigen Tage nicht been-
det, sondern die Geschichte um Cannabis in Deutschland
wird eine Fortsetzung finden.

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821206600

Vielen Dank . – Jetzt hat der Kollege Rainer Hajek für

die CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Rainer Hajek (CDU):
Rede ID: ID1821206700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern
war in einer großen deutschen Tageszeitung zu lesen:
„Kiffen auf Rezept“. Nein, das wollen wir nicht, das wäre
es dann ja noch . Die Wahrheit ist: Der Deutsche Bun-
destag eröffnet mit der heutigen Beschlussfassung über
das Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher
und anderer Vorschriften den Zugang zu medizinischen
Cannabisarzneimitteln für Menschen ohne Therapiealter-
native . Heute ist ein guter Tag .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Gesetz, dessen Titel so sperrig daherkommt, ist
ein großer Schritt hin zu einer angemessenen Arzneimit-
telversorgung von Patienten mit schweren Erkrankun-
gen wie beispielsweise Krebs, MS und Epilepsie . Bei
diesem Gesetz geht es um die Versorgung von Patien-
ten, die krankheitsbedingt dauerhaft unter schweren und
schwersten Schmerzen oder einschlägigen Nervenkrank-
heiten leiden . Für diese Menschen kann Cannabis die
medizinische Alternative zu Opiaten sein – mit weniger
Nebenwirkungen und weniger Suchtpotenzial .

Dennoch: Cannabis hat zwei Seiten . Cannabis ist ein
Betäubungsmittel, dessen Konsum – das hat die jüngste
Studie der WHO gerade wieder unterstrichen – zu schwe-
ren psychischen Erkrankungen führen kann . Deshalb
geht es hier eben nicht um Kiffen auf Rezept, sondern
um die ärztliche Verordnung von Cannabis in ganz eng
umgrenzten Ausnahmefällen zum Zwecke der Schmerz-
linderung – wenn Therapiealternativen wirkungslos wa-
ren oder deren Nebenwirkungen zu groß waren .

Es war unser Anliegen, ein Gesetz zu formulieren, das
den Patienten in den Mittelpunkt stellt . Es ist ja so, dass
schon bisher der Zugang zu Cannabisarzneimitteln mög-
lich war . Man benötigte allerdings eine Ausnahmeerlaub-
nis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizin-
produkte . Die Hürden für die Erteilung dieser Erlaubnis

Burkhard Blienert






(A) (C)



(B) (D)


waren so hoch, dass – Stand heute – nur 1 020 Patienten
die Ausnahmeregelung in Anspruch nehmen konnten .
Auch die mit dem Bezug von Cannabis einhergehenden
Kosten für die Schwerkranken sind exorbitant . 540 bis
1 800 Euro pro Monat sind von den betroffenen Patienten
nur schwerlich aufzubringen .

Die Vorteile des Gesetzentwurfs liegen auf der Hand:

Cannabis wird verordnungsfähig . Künftig haben Ärz-
te das Recht, Cannabis im Einzelfall zu verordnen . Der
Vorteil ist: Patienten werden keine langwierigen Thera-
piealternativen durchlaufen müssen, um Zugang zu Can-
nabis im Rahmen der Schmerzbehandlung zu erhalten .

Cannabis wird erstattungsfähig . Krankenkassen dür-
fen nur in begründeten Ausnahmefällen der ärztlichen
Erstversorgung widersprechen, beispielsweise wenn der
medizinische Nutzen nicht ersichtlich ist . Wir stärken
damit die Therapiefreiheit der Ärzte im Interesse der
Patienten . Für Patienten in der spezialisierten ambulan-
ten Palliativversorgung gilt mit Blick auf ihre besonde-
re Situation eine verkürzte Genehmigungsfrist von drei
Tagen .

Cannabis wird qualitätsgesichert . Wir erhöhen die
Arzneimittelsicherheit, indem wir mithilfe einer Canna-
bisagentur den Anbau unter medizinischen Bedingungen
forschungsgerecht staatlich strukturieren und zugleich
vor dem Zugriff Dritter schützen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Damit stellen wir sicher, dass Cannabis entsprechend
den medizinisch therapeutischen Erfordernissen mit glei-
chem Wirkstoff angebaut wird und dass das angebaute
Produkt vor Missbrauch geschützt ist .

Also: Von der Verordnung über den Konsum bis hin
zur Erstattung steht das Patientenwohl und nur das Pati-
entenwohl im Mittelpunkt unserer Anstrengungen .

Wir sollten uns aber auch bewusst machen, dass es
derzeit keine hinreichend fundierte Datenlage gibt . Die-
se Datenlage wollen und müssen wir verbessern . Genau
aus diesem Grund sieht der Gesetzentwurf vor, dass das
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte
gesetzlich mit einer auf fünf Jahre angelegten Begleiter-
hebung beauftragt wird . Unser erklärtes Ziel ist es, auf
dieser Grundlage die Kassenleistungen weiterentwickeln
zu können .

Erlauben Sie mir bitte noch eine ganz persönliche An-
merkung . Als vor wenigen Jahren meine Mutter im Alter
von 94 Jahren in ihre letzte Lebensphase eintrat und ihre
Morphindosis mit allen Nebenwirkungen immer weiter
angepasst wurde, hätte ich mir gewünscht, die Möglich-
keit zu haben, die unser heute vorgelegter Gesetzentwurf
vorsieht .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich bin hoch erfreut, dass wir mit dem heute zur
Verabschiedung anstehenden Gesetz schwerkranken
Menschen Linderung und Würde in einer schweren Le-
bensphase verschaffen können. Heute ist ein guter Tag.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821206800

Vielen Dank, Herr Kollege Hajek . Das war Ihre erste

Rede, und ich darf Ihnen im Namen aller Abgeordneten
ganz herzlich dazu gratulieren .


(Beifall)


Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Än-
derung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vor-
schriften. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/10902, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/8965 in der Ausschussfassung anzu-
nehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen . – Wer stimmt dagegen? – Niemand . Wer enthält
sich? – Niemand . Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter
Beratung einstimmig angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol-
len, sich zu erheben . – Wer stimmt dagegen? Ich sehe
niemanden . – Wer enthält sich? – Auch niemand . Damit
ist der Gesetzentwurf angenommen .


(Beifall im ganzen Hause)


Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Gesundheit auf Drucksa-
che 18/10902 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buch-
stabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/6361
mit dem Titel „Zugang zu Cannabis als Medizin umfas-
send gewährleisten“ . Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die der Opposition ange-
nommen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a bis 28 e und
28 h sowie die Zusatzpunkte 4 a und 4 b auf:

28 . a) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Peter Meiwald, Monika Lazar, Dr . Franziska
Brantner, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Dreizehntes
Gesetzes zur Änderung des Bundes-Im-
missionsschutzgesetzes

Drucksache 18/10859
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak-
torsicherheit (f)

Sportausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Ju-
gend

Rainer Hajek






(A) (C)



(B) (D)


b) Erste Beratung des vom Bundesrat einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur flexi-
blen Aufgabenübertragung in der Justiz

Drucksache 18/9237
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

c) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Änderung von Vorschriften im
Bereich des Internationalen Privat- und
Zivilverfahrensrechts

Drucksache 18/10714
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

d) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zu dem Vorschlag für einen Beschluss
des Rates über die Unterzeichnung des
Abkommens zwischen der Europäischen
Union und der Regierung von Kanada
über die Anwendung ihres Wettbewerbs-
rechts im Namen der Europäischen Uni-
on und zu dem Vorschlag für einen Be-
schluss des Rates über den Abschluss des
Abkommens zwischen der Europäischen
Union und der Regierung von Kanada
über die Anwendung ihres Wettbewerbs-
rechts

Drucksache 18/10808
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union

e) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Dritten
Gesetzes zur Änderung des Binnenschiff-
fahrtsaufgabengesetzes

Drucksache 18/10818
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

h) Beratung des Abschlussberichts der Kom-
mission Lagerung hoch radioaktiver Abfall-
stoffe

Verantwortung für die Zukunft

Ein faires und transparentes Verfahren
für die Auswahl eines nationalen Endla-
gerstandortes

Drucksache 18/9100
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit

ZP 4 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Christian Kühn (Tübingen), Peter Meiwald,
Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der

Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Den Holzbau und das Bauen mit nach-
wachsenden Rohstoffen stärken

Drucksache 18/9803
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Peter Meiwald, Nicole Maisch, Annalena
Baerbock, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Innenraumluft sauber halten – Partikel-
freisetzung aus Laserdruckern beenden

Drucksache 18/10874
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit

Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
ten Verfahren ohne Debatte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen . – Ich sehe, Sie sind damit alle einverstanden .
Dann sind die Überweisungen so beschlossen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a bis 29 c sowie
die Zusatzpunkte 5 a bis 5 c auf . Auch hierbei handelt
es sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen
keine Aussprache vorgesehen ist .

Tagesordnungspunkt 29 a:

Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Katrin Kunert, Dr . Kirsten Tackmann,
Caren Lay, weiteren Abgeordneten und der Frak-
tion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs ei-
nes … Gesetzes zur Änderung des Kraftfahr-
zeugsteuergesetzes

Drucksache 18/9034

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses (7 . Ausschuss)


Drucksache 18/10273

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass Sonderfahrzeuge,
die in der Land- und Forstwirtschaft eingesetzt sind, zu-
künftig von der Kraftfahrzeugsteuer auch dann befreit
sein sollen, wenn diese Fahrzeuge auch für Verwen-
dungszwecke außerhalb der Land- und Forstwirtschaft
geeignet und bestimmt sind .

Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/10273, den Gesetzent-
wurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/9034
abzulehnen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen . – Das ist die
Fraktion Die Linke . Wer stimmt dagegen? – Das ist der
Rest des Hauses . Enthaltungen? – Damit ist der Gesetz-
entwurf in zweiter Beratung abgelehnt . Nach unserer Ge-
schäftsordnung entfällt die weitere Beratung .

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


Tagesordnungspunkt 29 b:

Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Auflösung der Bundesmonopolver-
waltung für Branntwein und zur Änderung

(Branntweinmonopolverwaltung-Auflösungsgesetz – BfBAG)


Drucksache 18/10008

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses (7 . Ausschuss)


Drucksache 18/10894

Durch die Abschaffung des Branntweinmonopols zum
31 . Dezember 2017 entfällt dessen Verwaltung vollstän-
dig . Die Bundesmonopolverwaltung für Branntwein ist
daher aufzulösen .

Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/10894, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/10008 an-
zunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist da-
mit in zweiter Beratung einstimmig angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen aller angenommen .

Tagesordnungspunkt 29 c:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
21. Dezember 2015 über eine verstärkte Part-
nerschaft und Zusammenarbeit zwischen der
Europäischen Union und ihren Mitgliedstaa-
ten einerseits und der Republik Kasachstan
andererseits

Drucksache 18/10212

Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärti-
gen Ausschusses (3 . Ausschuss)


Drucksache 18/10715

Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/10715, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/10212 anzunehmen .

Zweite Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent-
wurf ist mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung
der Opposition angenommen .

Zusatzpunkt 5 a:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Vorbereitung eines regis-

tergestützten Zensus einschließlich einer
Gebäude- und Wohnungszählung 2021

(Zensusvorbereitungsgesetz 2021 – ZensVorbG 2021)


Drucksachen 18/10458, 18/10484

Beschlussempfehlung und Bericht des Innen-
ausschusses (4 . Ausschuss)


Drucksache 18/10880


(8 . Ausschuss)


Drucksache 18/10881

Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 18/10880, den Gesetzentwurf
der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/10458 und
18/10484 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bit-
te diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss-
fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . – Wer
stimmt dagegen? – Das ist die Fraktion Die Linke . Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be-
ratung gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke ange-
nommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen
zu erheben . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhält-
nis angenommen .

Zusatzpunkt 5 b:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Haushaltsausschusses (8 . Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Eva Bulling-
Schröter, Birgit Wöllert, Caren Lay, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Fortsetzung der Braunkohlesanierung in
den Ländern Brandenburg, Sachsen, Sach-
sen-Anhalt und Thüringen nach dem Jahr
2017

– zu dem Antrag der Abgeordneten Annalena
Baerbock, Stephan Kühn (Dresden), Oliver
Krischer, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Braunkohlesanierung durch die Lausitzer
und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungs-
gesellschaft mbH fortsetzen

Drucksachen 18/8112, 18/8396, 18/10505

Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 18/8112 mit dem Titel
„Fortsetzung der Braunkohlesanierung in den Ländern
Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen
nach dem Jahr 2017“ . Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen . Wer
ist dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stim-

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


men der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bünd-
nis 90/Die Grünen angenommen .

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 18/8396 mit dem Titel „Braun-
kohlesanierung durch die Lausitzer und Mitteldeutsche
Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH fortsetzen“ . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stim-
men von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen .

Zusatzpunkt 5 c:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18 . Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Walter-
Rosenheimer, Kai Gehring, Brigitte Pothmer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Im Jahr 2016 die Berufsbildung fit für die Zu-
kunft machen

Drucksachen 18/8259, 18/10858

– Wir haben jetzt schon 2017, aber nun gut .

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/10858, den Antrag der Frakti-
on Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8259
abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition
gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Ent-
haltung der Fraktion Die Linke angenommen .

Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf:

Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD

Wahl der Mitglieder des Verwaltungsrates der
Filmförderungsanstalt gemäß § 6 Absatz 1
Nummer 1 des Filmförderungsgesetzes (FFG)


Drucksache 18/10867

Wer stimmt für diese Wahlvorschläge? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Wahlvorschläge sind
einstimmig angenommen .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1821206900

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den Zusatz-

punkt 7 auf:

Aktuelle Stunde

auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE

Außenpolitische Auswirkungen der US-Trup-
penverlegungen nach Osteuropa „Atlantic Re-
solve“

Ich eröffne die Aussprache. Zu Beginn hat das Wort
der Kollege Wolfgang Gehrcke für die Fraktion Die Lin-
ke .


(Beifall bei der LINKEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Jetzt sind wir mal gespannt!)



Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821207000

Was kann ich denn tun, um die Spannung noch zu er-

höhen?


(Dr . Bernd Fabritius [CDU/CSU]: Nichts!)


Ich gebe mir Mühe .

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die USA sind
dabei, 4 000 Soldaten an die Westgrenze Russlands zu
verlegen . Die Bundeswehr leistet logistische Unterstüt-
zung . Das, was die USA in Szene setzen, das, was von
der Bundeswehr, also von unserem Land, unterstützt
wird, hat Außenminister Steinmeier in einer vernünfti-
gen Presseerklärung als Säbelrasseln und Kriegsgeheul
bezeichnet .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich finde, er hat recht. Das ist Säbelrasseln und Kriegs-
geheul . Das ist Kalter Krieg . Ich möchte gern, dass in
unserem Land und auch in Russland verstanden wird,
dass es in Deutschland genügend Menschen gibt, die sich
der Neuauflage des Kalten Krieges widersetzen. Das ist
ganz wichtig, um eine europäische Entspannungspolitik
in Gang zu bringen .


(Beifall bei der LINKEN)


Die schriftliche Umsetzung dessen, was Herr
Steinmeier hoffentlich – wir werden ja sehen – und vor
allen Dingen wir als Säbelrasseln und Kriegsgeheul ver-
stehen, können Sie heute in den Artikeln über die Rede
unseres Bundespräsidenten nachlesen . Was dort bezüg-
lich Aufrüstung formuliert wird, ist Kriegsgeheul und
Antientspannungspolitik .


(Beifall bei der LINKEN)


Solch einen Präsidenten braucht unser Land nicht . Diese
Ära ist ja auch bald vorbei .

Es gibt im Übrigen keinen Zwang, den amerikanischen
Wunsch zu erfüllen, die 4 000 Soldaten, die im Rahmen
der Aktion Atlantic Resolve zusätzlich zu dem, was die
NATO in Warschau beschlossen hat, in Polen und den
baltischen Ländern stationiert werden, durch die Bundes-
wehr zu unterstützen . Das, was die Bundeswehr macht,
ist ein Bruch von Verträgen, namentlich des Zwei-plus-
Vier-Vertrages . Es gibt keinen Zwang, Beihilfe zu dem
Einsatz zu leisten .


(Beifall bei der LINKEN)


Im Übrigen gibt es einen spannenden Aspekt, mit
dem man sich mehr auseinandersetzen sollte: Es gibt ei-
nen noch immer gültigen Freundschaftsvertrag, der da-
mals zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik
Deutschland geschlossen worden ist .

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


Diese Verträge sind gültig . Diese Verträge verbieten
ein solches Vorgehen . Ich bin dafür, dass man sich an
Verträge hält .


(Dr . Bernd Fabritius [CDU/CSU]: Das Budapester Memorandum ist auch gültig!)


– Übrigens, das Potsdamer Abkommen ist auch gültig .
Ja, es ist gültiges Recht .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Bernd Fabritius [CDU/CSU]: Budapester!)


– Es ist gut, dass Sie das anmerken . Es wäre auch gut,
wenn man dies an Ihrer Politik erkennen könnte . Das
wäre noch viel besser .


(Beifall des Abg . Dr . Diether Dehm [DIE LINKE])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte, dass im
Bundestag und viel mehr in der Gesellschaft festgehalten
und verstanden wird, dass Entspannung in Europa nur
Entspannung mit Russland und nicht ohne oder gegen
Russland sein kann .


(Beifall bei der LINKEN)


Sie glauben doch nicht, dass diese Aktionen von Russ-
land als Friedenserklärung gewertet werden . Wenn man
heute mit Russland wieder Kalten Krieg anfängt, zerstört
man unendlich viel, was über Jahrzehnte aufgebaut wor-
den ist . Ich möchte nicht, dass das zerstört wird .


(Beifall bei der LINKEN)


Die NATO selbst hat in der Region übrigens 6 000 Sol-
daten, davon je 1 000 Soldaten in Litauen, Lettland, Est-
land und Polen, stationiert . Man muss sich schon die
Frage stellen, ob das für die betroffenen Länder mehr
Sicherheit oder weniger Sicherheit bedeutet .


(Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Die haben sich das gewünscht!)


Ich bin dafür, dass diese Länder – wie auch alle anderen
in Europa – in Sicherheit existieren und leben können .


(Zuruf von der CDU/CSU: Genau! Das wollen sie!)


Ich glaube, dass diese Politik nicht mehr Sicherheit, son-
dern weniger Sicherheit bietet .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir schlagen etwas anderes vor . Wir setzen uns dafür
ein, dass diese Länder – gerade vor dem Hintergrund ih-
rer Geschichte, die sehr schwierig ist, was das Vorgehen
der Sowjetunion und anderer angeht – darüber nachden-
ken und debattieren sowie ein Verständnis dafür entwi-
ckeln, dass sie nicht Bollwerke gegen Russland, sondern
Brücke zu Russland sein sollten. Das wäre eine effekti-
ve Sicherheitspolitik, die man bestärken und entwickeln
sollte .


(Beifall bei der LINKEN)


Nach der Vorstellung der Linken von einem gemein-
samen europäischen Haus braucht dieses Haus keine
Waffen, keine Gewalt, keine Bollwerke, sondern offene
Türen und offene Fenster. Es soll ein offenes Haus sein.

Wenn man ein offenes Haus will, dann muss man etwas
dafür tun .

Ich möchte zum Schluss die Gelegenheit nutzen, eine
Anmerkung zur morgigen Amtseinführung des neuen
amerikanischen Präsidenten, die von vielen zu Recht,
wie ich denke, mit Ängsten und Vorbehalten betrachtet
wird, zu machen . Ich möchte, dass der Bundestag dem
neuen amerikanischen Präsidenten sagt: Setzen Sie ein
Zeichen! Ziehen Sie die amerikanischen Atomwaffen aus
Deutschland ab! Das wäre ein ganz wichtiger Schritt .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir sagen auch: Setzen Sie ein weiteres Zeichen! Schlie-
ßen Sie Ramstein und das AFRICOM in Stuttgart! Wir
wollen, dass auch die USA endlich ihrer weltweiten Ver-
antwortung für Entspannung gerecht werden . Das ist das,
was wir dem neuen Präsidenten sagen müssen . Wenn das
der gesamte Bundestag sagen würde, hätte das sogar et-
was Gewicht .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1821207100

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Roderich

Kiesewetter .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Roderich Kiesewetter (CDU):
Rede ID: ID1821207200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sind heute
wieder mal Zeuge einer Desinformationsstrategie in ei-
nem tiefroten Salonplauderstil geworden .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)


Diese Rechnung geht aber nicht auf, weil Sie keine Fak-
ten erwähnt haben, sondern Befindlichkeiten, weil Sie
keine Tatsachen genannt haben, sondern von „Wünsch
dir was“ gesprochen haben, lieber verehrter Herr Kolle-
ge Gehrcke . Ich möchte das ein bisschen einordnen . Das
Thema verdient keine Polemik, sondern wir sollten es in
aller Nüchternheit und Sachlichkeit aufgreifen .

Ich möchte an dieser Stelle klarmachen:

Erstens . Es handelt sich um eine langangekündigte
Übung – Atlantische Entschlossenheit, Atlantic Resol-
ve –, die im Jahr 2014, nach der völkerrechtswidrigen
Besetzung der Krim durch Russland, geplant wurde . Der
erste Vertrag, den Sie gerne eingehalten hätten, ist durch
Russland gebrochen worden und niemanden sonst; es
handelt sich um das Budapester Memorandum .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Stimmt einfach nicht!)


Vertragstreue ist auf der Seite nicht gegeben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zweitens . Die NATO-Russland-Grundakte sieht die
Unverletzlichkeit der Grenzen vor . Die Grenzen wurden
durch Russland verletzt, indem die Ukraine destabilisiert

Wolfgang Gehrcke






(A) (C)



(B) (D)


wurde und indem ein Teil der Ukraine annektiert wurde .
Auch hier haben Sie das Falsche behauptet .

Drittens – um die Größenordnung deutlich zu ma-
chen –: Seit 2014, also seit der Besetzung der Krim,
befindet sich Russland in einem Dauerübungsmodus.
Insgesamt zwölf Übungen mit 38 000 bis 95 000 Solda-
ten, zuletzt im September 2015, hat Russland angesetzt,
teilweise über 5 000 bis 6 000 Kilometer Entfernung,
und jedes Mal unter Beteiligung nuklearer Planungen .
All das war nicht angekündigt . Diese NATO-Übung ist
transparent, offen, angekündigt, und sie dient in allerers-
ter Linie dem Rückhalt, der Rückversicherung unserer
NATO-Mitglieder .

Ich möchte besonders herausstreichen: Diese Übung
ist auf Wunsch des Baltikums entstanden und vom
NATO-Rat verabschiedet worden . Die letzte vergleich-
bare Übung war 1988 . Um auch hier die Dimension zu
zeigen: Damals sind über 100 000 US-amerikanische
Soldaten im Namen von Reforger nach Europa verlegt
worden und haben zwei Wochen geübt . Seit 1990 haben
die europäischen NATO-Staaten ihre Verteidigungsan-
strengungen um 25 Prozent und die Verteidigungsausga-
ben um 9 Prozent reduziert . Das heißt, in Mitteleuropa
wurde regelrecht abgerüstet .

Erst mit der völkerrechtswidrigen Besetzung der Krim
und den großen Bitten aus dem Baltikum und den Vi-
segradstaaten hat die NATO 2014 einen Kurswechsel
vollzogen . Merken Sie wohl: in Reaktion auf das völker-
rechtswidrige Vorgehen Russlands .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das sind große Unterschiede . Was Sie hier unserer
Öffentlichkeit sagen, ist schlichtweg falsch. Das ist Ir-
reführung .

Meine sehr geehrten Damen und Herren, worauf
kommt es uns an?

Erstens . Diese Übung ist ein Baustein von vielen, die
der gegenseitigen Rückversicherung dienen . Es sind die
Übungen . Es ist eine Reform im NATO-Hauptquartier .
Es dient sehr viel in dem Bereich, was Deutschland, die
Rahmennation, leistet, dazu, kleineren NATO-Partnern
und EU-Partnern Mitarbeit zu ermöglichen . All dies sind
Zeichen, dass das verantwortungsbewusste Vorgehen
Deutschlands dazu beiträgt, die kleineren und finanziell
nicht so stark aufgestellten Staaten in eine gemeinsame
Sicherheitspolitik einzubeziehen . Das leisten wir ge-
meinsam vorbildlich mit den Niederlanden, Frankreich
und vielen anderen Staaten .

Zweitens . Wir brauchen innerhalb der Europäischen
Union und der NATO-Staaten viel mehr Zusammenhalt .
Das gelingt uns, indem wir Verfahren standardisieren .
Wir brauchen nicht sechs Kampfpanzertypen, es reicht
einer . Wir brauchen nicht vier verschiedene Schützen-
panzertypen, es reicht einer . Wir brauchen nicht 16 ver-
schiedene Lkw-Typen, es reicht einer . In diese Richtung
muss es gehen . Das 2-Prozent-Ziel ist sicherlich erstre-
benswert . Aber viel wichtiger, als 2 Prozent zu investie-
ren, ist, erst einmal zu standardisieren, die Zusammenar-
beit zu verbessern .

Drittens . Es gilt, auch die Zahlen zu vergleichen . Die
Bundesrepublik Deutschland wendet 1,3 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auf, Russland
5,4 Prozent .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Und die USA?)


Auch das sind eindeutige Angaben . Wir müssen nicht
Russland nacheifern .

Russland versucht doch ganz geschickt, Angst und
Unsicherheit zu streuen und den Zusammenhalt zu
schwächen, damit die baltischen Staaten oder auch Polen
darauf drängen, dass die NATO mehr aufrüstet . Das brau-
chen wir nicht . Wir müssen die Verteidigungsanstrengun-
gen intensivieren, indem wir Übungen durchführen und
Präsenz zeigen . Das machen wir mit der Übung Atlanti-
sche Entschlossenheit, liebe Kolleginnen und Kollegen .

Sie reduzieren das ganze Thema auf Aufrüstung . Das
ist doch gar nicht Ihr Thema . Mich wundert, dass Sie
nicht andere Brücken schlagen wollen . Es ist doch jetzt
absehbar, dass wir auf diplomatischer Bühne mit Russ-
land und dem Nahen und Mittleren Osten wieder ins
Benehmen kommen . Der Wiederaufbau des Nahen und
Mittleren Ostens wird sicherlich mit den Golf-Geldern
vollzogen werden, aber doch mit europäischem Know-
how und hoffentlich unter Einbindung Russlands. Russ-
land muss sich von seiner militärischen Intervention dort
lösen und alles dafür tun, dass Assad abgelöst wird, ein
demokratisches Syrien entsteht und der Wiederaufbau
möglich wird, sodass Hunderttausende, ja Millionen
Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren können . Dort
können wir den Dialog führen .


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Sagen Sie das einmal den saudi-arabischen Scheichs!)


Das schaffen wir, indem wir Russland zeigen: Die EU ist
entschlossen . Europa, die Vereinigten Staaten von Ame-
rika und Kanada arbeiten zusammen . Der transatlan-
tische Zusammenhalt ist gegeben . Es gibt keine Zonen
unterschiedlicher Sicherheit . Zwischen uns passt kein
Blatt Papier .


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: „Kein Blatt Papier“ – was für eine Sprache!)


Aus dieser Position der Stärke heraus können und müs-
sen wir auf Russland einwirken .


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Das ist die Sprache des Kalten Krieges!)


Wir dürfen keine neue Aufrüstungsspirale in Gang set-
zen, sondern müssen durch kluge Übungen, starken
Zusammenhalt und politische Initiativen die nötigen
Anknüpfungspunkte suchen . Konzentrieren müssen wir
uns auf die Umsetzung des Abkommens von Minsk für
Russland und die Ukraine sowie auf den Wiederaufbau
der Region zwischen Syrien und dem Persischen Golf .
Dazu dient im weitesten Sinne auch diese Übung . Es geht
um Rückversicherung und einen Blick voraus .

Roderich Kiesewetter






(A) (C)



(B) (D)


Herzlichen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1821207300

Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Trittin, Bünd-

nis 90/Die Grünen .


Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821207400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser

Tage versucht die ausgehende US-Administration, noch
einmal Fakten zu schaffen. Obama sperrt weite Teile der
Arktis als Naturschutzgebiet, er begnadigt die Whistle-
blowerin Chelsea Manning,


(Beifall des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE])


und er schickt eine Rückversicherungstruppe nach Ost-
europa . Die USA schicken 4 000 Soldaten nach Polen,
Estland, Lettland und Litauen, in genau die Länder, zu
denen Donald Trump im Wahlkampf gesagt hat: Wenn
sie für die Sicherheit durch die USA nicht bezahlen, dann
sollen sie doch selber dafür sorgen .

Ich glaube, dass diese Truppenverlegung ein richtiger
Schritt ist .


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Oh, oh!)


Offiziell soll die Verlegung ja dem Frieden und der Sta-
bilität dienen . Aber in Wirklichkeit ist das nichts an-
deres, als dass man eine Rückversicherung gibt . Diese
Rückversicherung ist einfach notwendig, und zwar nicht
wegen der militärischen Bedrohung des Baltikums, wie
einige behaupten, sondern es geht darum, den Zusam-
menhalt des gemeinsamen Europa innerhalb der NATO
zu sichern .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Ach, darum geht es? Aha!)


– Darum geht es .

Das ist eine Antwort auf verschiedene Personen, die
in diesen Tagen politisch aktiv sind . Das hat nichts oder
wenig mit Aufrüstung zu tun . 4 000 Soldaten, das sind
so viele Menschen, wie in Nikolausberg, einem Stadtteil
von Göttingen, leben . Dass sich das größte Land der Welt
davon bedroht fühlt, kann man nicht ernsthaft glauben .


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Warum machen sie es denn dann?)


Wenn die USA 2 000 Fahrzeuge in Osteuropa parken,
wird dies Osteuropa nicht sicherer und Russland nicht
unsicherer machen .

Ich bin ja bei Ihnen, meine Damen und Herren von
der Linkspartei, wenn Sie sagen: Wir müssen alles tun,
um die taktischen Atomwaffen abzuziehen; wir müssen
alles tun, um wirklich zu Schritten nuklearer Abrüstung
zu kommen . – Aber an dieser Stelle von Aufrüstung zu

reden, heißt doch wirklich, aus einer Mücke einen Ele-
fanten zu machen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Es geht doch nicht nur um diese 4 000 Soldaten!)


Es geht um etwas anderes . Es geht darum, dass wir an
der NATO-Russland-Grundakte stur festhalten, an dem,
was wir mit Russland vereinbart haben . Das heißt: keine
dauerhafte Stationierung .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Daher Rotation!)


Das heißt gleichzeitig, immer wieder den Dialog mit
Russland zu suchen . Diese beiden Dinge gehören zu-
sammen . Deswegen ist es richtig, dass Frank-Walter
Steinmeier gesagt hat: Wenn man diese Dinge nicht zu-
sammenhält, dann landet man beim Säbelrasseln . – Das
war eine Kritik unter anderem an seiner Kabinettskolle-
gin Ursula von der Leyen .

Aber das ist auch gleichzeitig eine Botschaft an viele
unserer osteuropäischen Partner . Es ist unter der PiS-Re-
gierung in Polen populär geworden, zu sagen: Wir vertei-
digen unsere Souveränität . – Die Wahrheit ist: Die polni-
sche Souveränität wird sich genauso wie die lettische und
übrigens auch die deutsche nur gemeinsam verteidigen
lassen .


(Beifall des Abg . Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das ist ein praktisches Dementi dieses Rückzugs auf
den Nationalstaat, der so populär geworden ist in den
Zeiten des Donald Trump .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nur gemeinsam sind wir souverän . Deswegen ist das
Wohl und Wehe von uns Europäern untrennbar miteinan-
der verknüpft . Es geht um gemeinsame Sicherheit, um
gemeinsame Freiheit und um gemeinsamen Wohlstand –
dies nicht in Feindschaft, sondern in Partnerschaft mit
unseren Nachbarn in Russland .

Ich glaube, dass es an der Zeit ist, dass wir uns diese
politische Rückversicherung wirklich klarmachen . Denn
glaubt man Donald Trumps Interviews, ist die NATO
eine reine Geschäftsbeziehung . Sie wird nach Vorteilen
und Nachteilen abgewogen .

Dahinter steckt noch eine weitere Überlegung . Wenn
ich ihn richtig verstanden habe, ist er der Auffassung – er
hofft und er setzt darauf –, dass Europa auseinanderfällt.
Ich verstehe das aus seiner Sicht . Wer die Welt sozusagen
für eine einseitige Standortpolitik ausrichten will, freut
sich natürlich darauf, wenn er es nur noch mit Staaten wie
Mexiko zu tun hat und wenn er Tschechien, Italien und
andere genauso behandeln kann . Das kann er mit einem
politischen Organismus, einer politischen Entität wie der
Europäischen Union mit 440 Millionen Bürgerinnen und
Bürgern nach dem Brexit nicht tun . Deswegen müssen

Roderich Kiesewetter






(A) (C)



(B) (D)


wir Europa und wir Europäer zusammenhalten . Das ist
der Kern, um den wir an dieser Stelle streiten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Lassen Sie mich eine Schlussbemerkung machen .
Ich sehe bei Donald Trump noch ein weiteres Motiv . Er
möchte, dass wir mehr Geld für Rüstung ausgeben . Ich
will an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Europa, die eu-
ropäischen NATO-Mitglieder geben ungefähr dreimal so
viel für Rüstung aus wie Russland . Ich sehe da keinen
Bedarf .

Ich kann, ehrlich gesagt, nicht verstehen, dass in-
nerhalb der Koalition an dieser Stelle Ruhe herrscht .
Ich habe dieser Tage gehört, dass es einen Streit geben
soll, wie man mit den Überschüssen aus dem Haushalt
umgehen soll . Die einen waren für Investitionen – das
finde ich eigentlich vernünftig –, die anderen waren für
Schuldentilgung . Jetzt kommt Ursula von der Leyen in
Davos mit der neuesten Idee . Sie möchte 24 Milliarden
Euro – das ist der Betrag, der gebraucht würde, um das
2-Prozent-Ziel der NATO zu erreichen – zusätzlich in
Rüstung stecken .


(Henning Otte [CDU/CSU]: Sehr richtig! Für Sicherheit! Für Stabilität! Für Frieden! Für Freiheit!)


Meine Damen und Herren, das schafft nicht mehr
Sicherheit. Das schafft nicht mehr Zusammenhalt. Das
schafft nur mehr Geldverschwendung. Deswegen sollten
wir das unterlassen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1821207500

Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Hellmich

für die SPD .


(Beifall bei der SPD)



Wolfgang Hellmich (SPD):
Rede ID: ID1821207600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Diese sehr aufgeregte Debatte, die von dem einen oder
anderen im Lauf der letzten Tage zielgerichtet in einzel-
ne Städte in diesem Land getragen worden ist – entlang
einer Strecke, über die die USA mit Unterstützung der
Bundeswehr, der Bundesrepublik und ihrer Länder ihren
Transport verlegt –, wäre aus meiner Sicht besser mit den
realen Fakten unterlegt, um die es geht . Die Fakten, die
an anderer Stelle dargestellt werden, entsprechen nicht
den Tatsachen .

Tatsache ist eben nicht, dass es sich um Vertragsbrü-
che handelt, sondern Tatsache ist, dass sich dieses genau
im Rahmen des Zwei-plus-Vier-Vertrages, im Rahmen
des NATO-Truppenstatuts und im Rahmen des Vertrags
„Partnership for Peace“ – 1994 beschlossen und verein-
bart von der NATO und anderen Staaten, auch Russ-

land – bewegt . Um nichts anderes geht es da . Das heißt:
Das ist kein Rechtsbruch .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Henning Otte [CDU/CSU]: Sehr richtig, Herr Vorsitzender!)


Dann sage ich, bevor die Frage gestellt wird: Alles
das, was dort steht, und alle Regelungen, die dort getrof-
fen worden sind, werden mit den Ländern vereinbart und
mit den Ländern in der Bundesrepublik organisiert .

Also geht es im Kern – der Kollege Trittin hat es ge-
nannt – in der Tat darum, die Einheit des Westens zu
garantieren, diese zu erhalten, dies mit konkreten Maß-
nahmen zu unterlegen . Der Satz: „So viel Sicherheit wie
nötig und so viel Dialog und Kooperation wie möglich“
gilt nach wie vor, wird weiter gelten . Das ist in den War-
schauer Beschlüssen des NATO-Gipfels niedergelegt .
Was den Begriff des Säbelrasselns angeht: All das hat
dazu geführt, wie der Kollege Mützenich es formuliert
hat, dass der Säbel in der Scheide stecken geblieben und
nicht aus der Scheide herausgeholt worden ist .

Diese Kooperation und die Rückversicherung sind
dringend notwendig, um die Einheit des Westens zu er-
halten . Diese Überzeugung ist in den Debatten in den
USA aber sehr ins Wanken geraten . Wir haben nun Gele-
genheit, konkret über die NATO nachzudenken . Auf der
einen Seite hören wir die Aussagen des künftigen ame-
rikanischen Präsidenten und auf der anderen Seite die
Aussagen seiner künftigen Minister Tillerson und Mattis,
die ein klares Bekenntnis zur NATO als Schutzbündnis
abgelegt haben .

Wir werden diese Debatte nicht nur verfolgen, son-
dern, ich denke, gerade wir als Parlamentarier werden
uns über die Parlamentarische Versammlung der NATO
und auf anderem Weg auch in die Debatten einbringen
und betonen, dass es uns darum geht, die NATO als eine
notwendige Plattform des Dialoges und als notwendigen
Bestandteil eines breiter angelegten Engagements für
Frieden und Sicherheit in dieser Welt zu stärken .

Nennen wir mal die Revitalisierung des Wiener Doku-
mentes! Fragen wir mal: Sind 4 000 amerikanische Sol-
datinnen und Soldaten in der Lage, einen Angriffskrieg
zu führen? Das kann wirklich keiner behaupten . Wir
halten uns an den KSE-Vertrag . Das kann man von der
anderen Seite nicht sagen, weil die drei Divisionen, de-
nen die 4 000 amerikanischen Soldatinnen und Soldaten
gegenüberstehen, nach dem KSE-Vertrag gar nicht an der
Grenze dort stationiert sein dürften .

Es geht hier nicht um die Vorbereitung eines Angriffs-
krieges, wie Sie von den Linken das an dieser Stelle
gerne behaupten . Das muss man klarmachen, und man
muss den Menschen in der Bundesrepublik Deutsch-
land immer wieder sagen: Es geht an der Stelle um die
Herstellung von Sicherheit und gleichzeitig um die Er-
öffnung der Möglichkeiten eines Dialoges mit der EU
und der OSZE über die NATO, und zwar mit den Instru-
menten der NATO – auf gar keinen Fall mit einer ver-
tragswidrigen Stationierung von neuen Atomwaffen in
der Verantwortung Europas, an der die Bundesrepublik
beteiligt wäre . Das wäre – das sage ich an den Kollegen

Jürgen Trittin






(A) (C)



(B) (D)


Kiesewetter gerichtet, von dem ich so etwas, glaube ich,
dieser Tage gelesen habe – der garantiert falsche Weg .

Mehr Verantwortung Europas für die eigene Sicher-
heit und auch mehr Vertrauensbildung: Ja, das ist wich-
tig . Europa und die europäischen Länder brauchen eine
stärkere Rolle . Sie müssen intensiver kooperieren und
zusammenarbeiten, die konkret mit der NATO vereinbar-
te Arbeitsteilung und Zusammenarbeit mit entsprechen-
den Maßnahmen unterlegen sowie sich gleichzeitig aktiv
an den Instrumenten beteiligen, die zur Eröffnung eines
Dialogs mit allen anderen beteiligten Ländern und zur
Vertrauensbildung geeignet sind .

Wolfgang Ischinger, der Chef der Münchner Sicher-
heitskonferenz, hat einen sehr bemerkenswerten Vor-
schlag gemacht, der, wie ich glaube, verfolgt werden soll-
te: Warum richten NATO und Russland nicht gemeinsam
ein rund um die Uhr besetztes Krisenreaktionszentrum
auf neutralem Boden ein, mit dem man in jeder Situati-
on – an welcher Stelle auch immer Krisen ausbrechen –
sehr schnell kooperieren und miteinander reden kann?
Ich glaube, mit diesen Instrumenten und Maßnahmen zur
Vertrauensbildung und Rüstungskontrolle könnte eine
Plattform gebildet werden, auf der wir mehr Frieden in
dieser Welt erreichen können .

Konkret: Ich erwarte mir von der Münchner Sicher-
heitskonferenz eine Menge an Initiativen und Diskussio-
nen an dieser Stelle . Die amerikanische Administration,
alle europäischen Länder und viele Staatschefs werden
dort vertreten sein . Ich glaube, das ist der Ort, wo wir mit
solchen Vorschlägen in die konkrete Diskussion gehen
müssen . Wir werden unsere Vorschläge dort einbringen .
Diejenigen, die dort sind, werden das tun . Ob das auch
die Vertreterinnen und Vertreter der Linken sein werden?
Wir werden es sehen .

Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben .


(Beifall bei der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1821207700

Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Elisabeth

Motschmann .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Elisabeth Motschmann (CDU):
Rede ID: ID1821207800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Aufrüstung, Kriegsgeheul, Säbelrasseln, Kalter Krieg,
Kriegsvorbereitung: Das alles haben wir von den Linken
gehört .


(Henning Otte [CDU/CSU]: Linke Rhetorik!)


Diese Einschätzungen, lieber Herr Gehrcke, sind kom-
plett falsch .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Da klatscht noch nicht mal die Unionsfraktion!)


Die Verlegung von Truppen nach Osteuropa ist eben
keine Aktion, sondern eine Reaktion –


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das würde auch nichts ändern!)


eine Reaktion auf die völkerrechtswidrige Annexion der
Krim durch Russland und natürlich auch auf den eben-
falls von Russland begonnenen Krieg in der Ukraine .

Dazu sagt Wolfgang Eichwede, langjähriger Leiter der
Forschungsstelle Osteuropa – ich zitiere –:

Mit der russischen Aggression gegen die Ukraine
haben wir . . . eine neue Situation . Indem die Groß-
macht Russland mit Gewalt Grenzen verändert, hat
sie das Grundprinzip der Entspannungspolitik – Ge-
waltverzicht – aufgehoben . . . Die Folge ist Instabi-
lität . Diese wird bei Balten und Polen noch viel dra-
matischer empfunden als hier in Deutschland .

Ein kluges Zitat . Ich kann Ihnen nur aus eigener An-
schauung sagen, dass zum Beispiel die Balten sehr emp-
findlich im Hinblick auf das sind, was sie an sowjetischer
und natürlich auch an nationalsozialistischer Okkupation
erlebt haben .


(Zuruf des Abg . Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE])


Mit Säbelrasseln, so wie es übrigens auch Sahra
Wagenknecht und Gauland formulieren – die beiden sind
sich manchmal unglaublich ähnlich in ihren Formulie-
rungen;


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Steinmeier! – Weitere Zurufe von der LINKEN)


ich könnte sie Ihnen jetzt vorlesen, aber das will ich gar
nicht –, hat der Truppeneinsatz in Osteuropa nichts zu
tun .


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Das war ein Satz von Herrn Steinmeier! Gauland und Steinmeier oder Steinmeier und Gauland? – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Sie verwechseln da was!)


– Schön, dass Sie sich aufregen. Dann trifft Sie der Vor-
wurf .

Ich sage Ihnen noch einmal – das ist schon angeklun-
gen –: Die NATO-Partner Polen, Litauen, Lettland und
Estland haben um diesen Schutz gebeten .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das war in Afghanistan auch so, als die Sowjetunion da einmarschiert ist! Die hatten auch um den Schutz gebeten! Also vorsichtig, Frau Kollegin!)


Deshalb kommt es zu einer Verlegung einer Panzerbri-
gade der US-Armee nach Mittel- und Osteuropa . So ist
es auf dem NATO-Rat beschlossen worden . Die Bun-
deswehr unterstützt das; das haben Sie, Herr Gehrcke,
gesagt. Aber im Gegensatz zu Ihnen finde ich diese Un-
terstützung großartig . Ich danke unseren deutschen Sol-
daten .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Franz Thönnes [SPD] – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das sagen Sie mal in Bremerhaven!)


Wolfgang Hellmich






(A) (C)



(B) (D)


– Ja, das sage ich auch in Bremerhaven . Das hat meine
Kollegin Bettina Hornhues übrigens auch gemacht . Sie
ist dagewesen und hat den Soldaten gedankt .


(Bettina Hornhues [CDU/CSU]: Wo waren Sie denn, die Herren von den Linken?)


Der Ministerpräsident von Brandenburg und Polen-
beauftragte der Bundesregierung, Dietmar Woidke, sieht
den Einsatz kritisch .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Darf er das?)


Es hilft uns nicht weiter

– sagt er –,

wenn Panzer auf beiden Seiten der Grenze auf und
ab fahren .


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Recht hat er!)


Er sieht darin eine Verschlechterung der Beziehungen zu
Russland .


(Beifall bei der LINKEN)


Beides ist falsch . Er befürchtet, dass es künftig nicht
mehr zum Dialog kommt . Auch das ist falsch . Natürlich
wird es weiter zum Dialog kommen müssen . Natürlich
werden Gesprächskanäle offengehalten werden müssen.
Natürlich müssen wir die Brücken zu Russland weiter
bauen .

Aber wer sich zum Beispiel über den Einsatz dieser
Soldaten – egal, ob es amerikanische, deutsche oder nie-
derländische sind – lustig macht, indem er davon spricht,
dass Panzer auf und ab fahren, der schwächt nicht nur
unsere Position, sondern der verunsichert auch die Sol-
daten im Einsatz. Das finde ich nicht in Ordnung. Das ist
unverantwortlich .

Die Fraktion der Linken hat noch weitere Vorschlä-
ge gemacht: Auflösung der NATO, eine eigenständige
europäische Verteidigungspolitik und ein kollektives Si-
cherheitssystem unter Einbindung Russlands . Das zeigt
eine erstaunliche Nähe zu den Äußerungen von Donald
Trump, der die NATO ja für obsolet hält .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Grundsatzprogramm der SPD von 1989!)


Seltsam, mit wem Sie bezüglich Ihrer Positionen koa-
lieren. Mit Blick auf Amerika darf man hoffen, dass die
Bündnistreue trotz der Äußerungen von Trump bestehen
bleibt . Mit Blick auf die Linken bin ich da nicht so sicher .
Da kann ich nur hoffen, dass Sie nie Regierungsverant-
wortung übernehmen .


(Zurufe von der LINKEN)


– Keine Sorge, ich bin ganz entspannt; Sie sollten es auch
sein .

Ich möchte mit einem Gedanken von Joachim Gauck
aus seiner gestrigen Rede, die ich sehr gut fand, schlie-
ßen . Er sagte:

. . . die Aussage, es könne niemals eine militärische
Lösung geben, klingt gut und ist gut, allerdings nur,
solange sich beide Seiten an diese Maxime halten .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Einen Monat! Dann sind wir den Präsidenten los!)


Da hat er genau recht . Weil man das mit Blick auf Russ-
land nicht weiß – wir haben ja gesehen, was passiert ist –,
ist dieser Einsatz gut und dringend nötig, und ich meine,
an dieser Stelle dürfen wir dann auch einmal positiv sa-
gen: Danke, Amerika!

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1821207900

Als Nächster spricht der Kollege Thomas Nord, Frak-

tion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Thomas Nord (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821208000

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der Debatte zum
25 . Jahrestag des deutsch-polnischen Nachbarschaftsver-
trages sagte ich hier am 23 . Juni 2016:

Wer eine Politik der friedlichen und nachhaltigen
Koexistenz sowie ein kollektives System für Frie-
den und Sicherheit in Europa unter Einschluss Russ-
lands anstrebt,

– ich weiß gar nicht, warum man das nicht anstreben
sollte –

kann und darf nicht aus den Augen verlieren, dass
diese Sicherheit auch eine für die mittel- und osteu-
ropäischen Staaten sein muss . Diese lässt sich nicht
durch Säbelrasseln und Wettrüsten erreichen .


(Beifall bei der LINKEN)


Diese Position, so denke ich, muss ich heute nicht revi-
dieren . Die internationale Lage, wachsende Spannungen,
die militärischen Konflikte an den europäischen Außen-
grenzen bestätigen diese Position .

Der Truppentransport im Rahmen der NATO-Opera-
tion Atlantische Entschlossenheit zeigt das aus meiner
Sicht . Es ist kein Zufall, dass dieser Transport auf den
Januar vorverlegt wurde . Die Terminänderung zeigt: Er
ist kein Zeichen der Stärke, sondern der Verunsicherung
und des Misstrauens auch angesichts des Machtwechsels
in den Vereinigten Staaten . Die Rotation der Truppen ist
ein Trick, um das Verbot dauerhafter Stationierung zu un-
terlaufen – das sagte übrigens Wolfgang Richter von der
Stiftung Wissenschaft und Politik –,


(Zuruf von der LINKEN: Guter Mann!)


und es ist kein Wunder, dass die Russen das natürlich
nicht akzeptieren .

Am Tag der Debatte zum Nachbarschaftsvertrag mit
Polen, am 23 . Juni 2016, wurde der Brexit beschlossen .
Die Debatte heute findet am Vorabend der Amtseinfüh-
rung von Donald Trump statt, und ich bin schon ein we-

Elisabeth Motschmann






(A) (C)



(B) (D)


nig überrascht . Außer der Union weiß, glaube ich, nie-
mand hier, was dieser Mann wirklich vorhat . Ihr Blick
in die Zukunft ist doch eher ein Blick in die Glaskugel,
wenn Sie hier davon reden, dass kein Löschblatt zwi-
schen Ihnen passt . Das kann man doch zurzeit gar nicht
einschätzen .


(Beifall bei der LINKEN)


Beide Termine, der 23 . Juni und die morgige Amtsein-
führung, kennzeichnen den tiefgreifenden Wandel in den
europäischen und internationalen Beziehungen . Nach
dem Kalten Krieg, dem Zusammenbruch der Sowjetuni-
on endet jetzt das Zeitalter der USA als Supermacht .


(Beifall des Abg . Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE])


Nach den Niederlagen in Afghanistan, Irak und dem
Scheitern in Syrien können oder wollen die USA ihre
weltpolitische Rolle nicht mehr wie bisher ausfüllen . Die
USA werden zu einer Großmacht unter anderen . Das ist
der geopolitische Kern des von Trump angekündigten
„America First“ . Russland hat sich vom Zusammenbruch
erholt . Mit dem Kriegseinsatz in Syrien ist es zur politi-
schen und imperialen Großmacht geworden .

Wir treten ein in eine Zeit neuer und alter Großmächte,
in eine multipolare Welt ohne wechselseitig anerkanntes
Kräfteverhältnis . Internationale Institutionen, entstanden
als Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg, verlieren an Auto-
rität . Das Völkerrecht wird benutzt, wie es gefällt, oder
auch missachtet .

Mit der Wahl von Trump ist der Atlantik breiter ge-
worden . Die Europäische Union ist keine Großmacht und
in einer Krise; das sollten wir nicht vergessen . Sie wird
nach dem Brexit kontinental, und sie steht auf dem Prüf-
stand .

Auch die mittel- und osteuropäischen Staaten befin-
den sich in dieser Situation . Sie sind gleichberechtigte
Mitgliedstaaten der EU, haben aber die historische Er-
fahrung, dass sie wiederholt Spielbälle europäischer
Mächte waren . Die baltischen Staaten und Polen fürch-
ten sich vor Russland und rufen nach mehr Schutz durch
die NATO, mehr Militär, mehr Aufrüstung und mehr
Abschreckung . Zugleich aber führt wachsender Nati-
onalismus zu einer hohen Belastung der Europäischen
Union und zur Schwächung wichtiger Formate wie zum
Beispiel des Weimarer Dreiecks . Das, werte Kolleginnen
und Kollegen, führt in die falsche Richtung .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Jeder Krieg kann jederzeit in eine nukleare Auseinan-
dersetzung führen . Die EU steht unter diesen Vorzeichen
vor der Notwendigkeit, eine gemeinsame Außen-, Frie-
dens- und Sicherheitspolitik zu skizzieren . Aufrüstung,
Militarisierung und Nationalismus sind dabei keine ver-
nünftigen Antworten .


(Beifall bei der LINKEN)


Der Weg zu einem System kollektiver Sicherheit muss
nicht neu gefunden werden. Man findet ihn zum Beispiel
bei Willy Brandt 1971 – Zitat –:

Ich begreife eine Politik für den Frieden als wahre
Realpolitik dieser Epoche . … Wir müssen der Ge-
walt und der Androhung von Gewalt im Verkehr
der Staaten entsagen, endgültig und ohne Ausnah-
me . Das schließt die Unverletzlichkeit bestehender
Grenzen notwendig ein, … Rüstungsbegrenzung
und Rüstungskontrolle . … Das Prinzip der Nicht-
einmischung in die inneren Verhältnisse anderer
Staaten muss respektiert werden . . . Ein Europa des
Friedens braucht die Bereitschaft zum Hinhören auf
die Argumente des anderen, denn das Ringen der
Überzeugungen und Interessen wird weitergehen .


(Beifall bei der LINKEN)


Das ist der richtige Weg für die deutsche und die euro-
päische Außen- und Sicherheitspolitik . Dafür sollten wir
gegenüber Russland, aber auch gegenüber den baltischen
Staaten und Polen werben . Das schien schon 1963 illuso-
risch zu sein, aber es hat Egon Bahr nicht abgehalten, die
Feststellung zu treffen – und zwar auf dem Höhepunkt
des Kalten Krieges –: „Frieden ist nicht alles, aber ohne
Frieden ist alles nichts .“ Aus Sicht der Linken bleibt es
dabei .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1821208100

Für die SPD spricht jetzt der Kollege Franz Thönnes .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Ingo Gädechens [CDU/CSU])



Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1821208200

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Es ist gut, wenn wir über die außenpolitischen Auswir-
kungen von Atlantic Resolve diskutieren . Dabei muss
man aber auch über die Gesamtkonzeption und auch da-
rüber reden, welches die auslösenden Faktoren dafür ge-
wesen sind . Das haben die Vorredner zum Teil gemacht .
Aber es muss immer wieder klar und deutlich gesagt
werden, insbesondere wenn man hier bestimmte Argu-
mente vernimmt: Die militärische Großmacht Russland
hat mit ihrem Vorgehen in der Ukraine das Völkerrecht
und die fundamentalen Prinzipien der KSZE-Schlussakte
und der europäischen Friedensordnung bewusst verletzt .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Es ist völlig uninteressant, wer das zuvor ebenfalls
und an welcher Stelle gemacht hat . Darüber muss man
an anderer Stelle diskutieren, und zwar genauso kritisch .
Ich schildere noch einmal die Position, die Deutschland
innehatte, als es um den Irakkrieg ging . Wir haben da-
mals Nein gesagt, weil wir das für nicht richtig gehalten
haben . Aber das gehört nicht in diese Debatte . In dieser
Debatte reden wir über die jetzigen Auswirkungen auf
die Außenpolitik . Da ist Russland der Auslöser .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Unsicherheit und Skepsis sind momentan die außen-
politischen Auswirkungen vor allem im Baltikum vor
dem historischen Hintergrund der sowjetischen und der

Thomas Nord






(A) (C)



(B) (D)


nationalsozialistischen Okkupation . Die Antwort des
Westens war nicht Gegengewalt, sondern die Suche nach
einer friedlichen Lösung mit den Minsker Vereinbarun-
gen . Diese harren noch immer ihrer Umsetzung, haben
jedoch einen europäischen Flächenbrand verhindert .

Weitere Antworten waren die NATO-Gipfel in Wales
und in Warschau 2014 und 2016 . Trotz unterschiedlicher
Positionen fand man durch das deutsche Engagement am
Ende einen Kompromiss und gemeinsame Wege . Das ist
ganz im Sinne der Politik von Willy Brandt und Egon
Bahr, die darauf abzielte, den internationalen Zusam-
menhalt zu stärken, und nicht, nationalen Egoismen Vor-
schub zu leisten .


(Beifall bei der SPD)


Das Verteidigungsbündnis stand zusammen und stärk-
te die Sicherheit seiner Mitglieder bei gleichzeitigem
Aufhalten aller Türen für den Dialog mit Russland . Statt
der von einigen gewollten Kündigung der NATO-Russ-
land-Grundakte erfolgten deren Bewahrung sowie die
Wiederbelebung des NATO-Russland-Rates und die
Einrichtung eines roten Telefons zwischen Brüssel und
Moskau . Auf der anderen Seite wurde die schnelle Reak-
tionsfähigkeit des Bündnisses gestärkt .

Wie wir wissen, handelt es sich bei der 3 . US-Pan-
zerbrigade, die im Rahmen von Atlantic Resolve nach
Osteuropa verlegt wird, um eine zusätzliche bilaterale
Maßnahme, um das Ganze zu stützen und zu stärken; ich
brauche die Zahlen nicht zu wiederholen . Die Bundes-
wehr leistet logistische Unterstützung . Alle neun Mona-
te wird diese Brigade in voller Stärke ausgetauscht . Das
ist kein Trick und steht in völligem Einklang mit der
NATO-Russland-Grundakte . Man kann hier nicht von
einer substanziellen Stärkung sprechen .

Zudem baut die NATO vier Bataillone mit insgesamt
4 000 Soldaten für Polen und das Baltikum als weitere
Verstärkung auf . Beteiligt sind hier Belgien, Deutsch-
land, Frankreich, Großbritannien, Kanada, Kroatien, Lu-
xemburg, die Niederlande, Norwegen und die USA . Es
wäre schön, einmal von Ihrer Seite zu hören, dass hier
eine Staatengemeinschaft zusammensteht und dass es ein
Solidaritätsprojekt ist, um Sicherheit und Schutz zu ge-
währleisten . Sie blenden das völlig aus . Das ist ein großes
Defizit in Bezug auf Ihre internationale Politikfähigkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist schon interessant und erstaunlich, wenn sich
angesichts dieser verhältnismäßigen Reaktion die Linke
mit ihrer Fraktionsvorsitzenden und die AfD mit ihrem
Parteivize im Rahmen einer völlig überzogenen Kritik
fast wortgleich mit folgenden Aussagen treffen: „Das ist
nicht mehr nur Drohgebärde, sondern dürfte in Russland
als Kriegsvorbereitung wahrgenommen werden .“


(Zuruf des Abg . Dr . Diether Dehm [DIE LINKE])


Und: „Es ist keine Friedenspolitik, es ist Kriegsdro-
hungspolitik .“

Viel treffender wäre eine solche Rhetorik in dem Fall
gewesen, als der russische Botschafter in Dänemark im

März 2015 die Drohung formulierte, dieses skandinavi-
sche Land könne Ziel von Atomraketen werden, wenn
es sich am NATO-Raketenschutzschild beteilige . Das
Gleiche gilt, als Russland und Weißrussland im Sep-
tember 2009 ein gemeinsames Manöver „Zapad“ mit
12 000 Soldaten durchführten und unter anderem auch
einen Atomschlag gegen Polen simulierten . Wo wa-
ren diese Stimmen denn damals? Wo waren denn diese
Stimmen bei den russischen Manövern, die mit bis zu
160 000 Soldaten durchgeführt wurden?


(Zuruf des Abg . Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE])


Dazu hat man überhaupt keine Besorgnis gehört .

Ich sage Ihnen: Das, was jetzt geschehen ist, ist bünd-
nisstabilisierend, schutzgebend und solidarisch . Aber das
darf nicht das letzte Wort sein . Es darf eigentlich über-
haupt kein letztes Wort dabei geben . Der Dialog muss
aufrechterhalten werden . Eine Eskalationsspirale muss
verhindert werden . Es geht um gemeinsame Sicherheit .
Dazu gehört der von Frank-Walter Steinmeier in klarer
Deutlichkeit ausgesprochene Vorschlag, einen Neustart
der Rüstungskontrolle anzustreben . Und dazu gehört die
Reform des Wiener Dokuments „Mehr Vertrauen durch
Transparenz“ . Auch gehört ein klares gemeinsames Be-
kenntnis zur NATO-Russland-Grundakte dazu . Des Wei-
teren gehören regionale vertrauensbildende Maßnahmen
dazu, zum Beispiel freiwillige Stabilisierungsaktivitäten
in Risikozonen,


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Wo ist denn dieser Vorschlag? Nirgendwo!)


Limitierung von Truppenstationierungen und -übungen,
gegenseitige Information und Beobachtung, Intensivie-
rung der Beobachtungsflüge im Rahmen des Vertrages
über den Offenen Himmel oder Ausbildungsinspektio-
nen, wie sie verabredet worden sind . Außerdem gehören
ein Sicherheitsdialog in der OSZE und intensive Gesprä-
che zwischen NATO und Russland dazu .

Es muss Ziel sein, zu einer gemeinsamen Sicherheits-
ordnung in Europa zu kommen . Notwendig ist eine ko-
operative Sicherheitsordnung, die das Interesse gemein-
samer Sicherheit, die Bereitschaft zum Dialog und den
Verzicht auf eine aggressive Rhetorik bei den Falken
auf beiden Seiten – auch bei denen, die es hier teilweise
gibt – beinhaltet .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1821208300

Herr Kollege Thönnes, Sie denken bitte an die verein-

barte Redezeit .


Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1821208400

Je eher dies gelingt, umso weniger werden wir uns in

den Diskussionen nur auf das Militärische konzentrieren .
Und das wäre gut so .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Franz Thönnes






(A) (C)



(B) (D)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1821208500

Nächster Redner ist der Kollege Dr . Tobias Lindner,

Bündnis 90/Die Grünen .


Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821208600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kommen wir zu
den Fakten . Worüber reden wir hier eigentlich? Die Ver-
einigten Staaten verlegen eine Brigade über Bremerha-
ven nach Polen . Diese Brigade umfasst 3 500 Personen,
2 800 Fahrzeuge und Container, 87 Panzer, 144 Schüt-
zenpanzer, 18 Haubitzen und 419 Gefechtsfahrzeuge .
Ja, das ist eine ganze Menge an Material . Das muss man
nicht mögen; das muss man nicht toll finden. Auch muss
man es nicht toll finden, wenn in Europa mehr statt weni-
ger Manöver abgehalten werden . Aber man muss sich die
Frage stellen: Warum findet das denn statt?

Herr Kollege Gehrcke, es hätte schon zur Redlichkeit
gehört, dann auch einmal über die Ursachen zu reden .
Und die sind nun einmal im Verhalten Russlands begrün-
det . Das kann und darf man an dieser Stelle nicht wegdis-
kutieren, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD – Widerspruch bei der LINKEN)


Wenn Sie davon sprechen, dass man sich an Verträge
halten soll – das ist in dieser Debatte schon erwähnt wor-
den –, dann muss sich die russische Führung den Vorwurf
gefallen lassen: Warum haltet ihr euch nicht an Verträge?
Warum fahrt ihr mit den Drohungen fort? Warum schafft
ihr in Europa eine Situation, in der sich unsere östlichen
Bündnispartner bedroht fühlen?


(Zuruf des Abg . Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE])


In dieser Situation, Herr Kollege Neu – ich weiß, dass es
wehtut, wenn einen die eigene Fraktion in einer Debatte
nicht reden lässt –,


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)


muss man doch einmal die Frage stellen: Was ist denn
die Alternative, wenn wir keine Aufrüstungsspirale in
Europa wollen? Wäre es eine Alternative, unsere östli-
chen Bündnispartner alleinzulassen, ihnen keine Rück-
versicherung zu geben? Was wäre dann die Konsequenz?
Die Konsequenz wäre doch, dass sie sich selbst helfen
und gerade erst recht aufrüsten würden . Das heißt, mei-
ne Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen:
Jeder, dem daran gelegen ist, dass es keine neue Aufrüs-
tungsspirale gibt, muss ein Interesse an dieser Rückversi-
cherungspolitik haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Wenn man Manöver kritisiert, dann muss man auch
das Verhalten Russlands an dieser Stelle kritisieren . Nicht
nur für die Kollegin Motschmann, sondern für jeden, der
den Fernseher eingeschaltet hat, war sichtbar: Da fährt
eine Brigade nach Polen . Kollege Kiesewetter hat es er-
wähnt: Das Ganze ist angekündigt worden . Was macht
Russland stattdessen? Es führt sogenannte „snap exerci-

ses“ durch, also Manöver, die nicht angekündigt sind, mit
Zehntausenden von Soldaten . Unabhängig davon, dass
das Nichtankündigungen von Manövern ebenfalls ein
Bruch von Verträgen ist, schafft das Raum für gefährliche
Missverständnisse, weil niemand wissen kann: Ist das ein
Manöver, oder könnte es auch etwas anderes sein?

Wenn Sie, Kollege Gehrcke, davon reden, dass die
Türen Europas, dass die Türen der NATO offenstehen
sollen, dann muss ich erwidern, dass sich Russland den
Vorwurf gefallen lassen muss, dass es nicht durch diese
offenen Türen geht. Die NATO hat mehrfach, so ist es in
den Dokumenten der KSZE niedergelegt, russische Be-
obachter zu Manövern eingeladen, um auch hier vertrau-
ensbildende Maßnahmen zu schaffen. Ich erwarte, dass
solche Einladungen weiterhin ausgesprochen werden .
Aber genauso erwarte ich von der russischen Seite, dass
eine solche Einladung auch angenommen wird .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Was die NATO angeht, ist für meine Fraktion eines
ganz klar: Wenn sich die NATO auf eine Strategie „Ab-
schreckung und Dialog“ festlegt, dann muss für alle Mit-
gliedstaaten gelten, dass man nicht das eine tut und das
andere vielleicht als ein Feigenblatt oder als ein unlieb-
sames Zusatzinstrument behandelt . Ich erwarte von allen
Bündnispartnern der NATO, gerade auch von unseren
östlichen Bündnispartnern – der Kollege Thönnes hat
über Polen und das Baltikum gesprochen –, dass sich alle
an diese Strategie halten und dass man, wenn man auf der
einen Seite Rückversicherungsmaßnahmen durchführt,
auf der anderen Seite wirklich jedes Instrument nutzt, um
einen Dialog zumindest anzuregen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das heißt in aller Deutlichkeit: Wir sollten schauen,
dass sich der NATO-Russland-Rat nicht weniger, son-
dern häufiger trifft. Reden schadet nie, und Reden ver-
meidet die Gefahr gefährlicher Missverständnisse . Das
heißt auch, dass man Russland immer wieder zwingt,
sich dazu zu verhalten, und dass man Angebote macht .
Ich füge hinzu: Das heißt aber auch, dass man dann klar
und deutlich benennt, wann die russische Seite solche
Angebote wahrnimmt und wann sie nur Fehlinforma-
tionen in die Öffentlichkeit streut und solche Angebote
ausschlägt .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir als Grüne er-
warten von der Bundesregierung, dass Sie sich auch an
dieser Stelle im Bündnis einsetzen, dass der Dialog nicht
zu kurz kommt, damit es nicht nur bei Abschreckung
bleibt, sondern damit auch die Tür offengehalten wird für
eine Lösung dieses Konflikts.

Herzlichen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)







(A) (C)



(B) (D)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1821208700

Als Nächster spricht der Kollege Dr . Bernd Fabritius

für die CDU/CSU .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Dr. h.c. Bernd Fabritius (CSU):
Rede ID: ID1821208800

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Linke hat eine Aktuelle Stunde bean-
tragt, um nach den außenpolitischen Auswirkungen der
US-Truppen-Verlegung nach Osteuropa zu fragen . So
weit, so gut .

Die außenpolitischen Auswirkungen anderer Ereignis-
se scheinen dabei ausgeblendet worden zu sein: die Aus-
wirkungen der Krim-Annexion oder die militärischen
Auseinandersetzungen in der Ostukraine, die bereits ge-
nannt worden sind . Sie fragen geradeso, als ob Atlantic
Resolve innerhalb der NATO-Operation aus dem Nir-
gendwo komme und als ob urplötzlich eine militärische
Drohkulisse gegen den Frieden in dieser Welt aufgebaut
werde. Es ist doch keine diffuse Angst der Polen oder der
Menschen im Baltikum, die diese auf die Straßen treibt,
um die US-Soldaten dankbar zu empfangen . Meine Da-
men und Herren, es ist doch keine Furcht vor einer vagen
Bedrohung durch unbekannte Kräfte . Wer noch immer
glaubt, die militärischen und geostrategischen Interes-
sen Russlands würden sich lediglich auf die unmittelba-
re westliche Nachbarschaft erstrecken, der verkennt die
Energie, mit welcher vermeintlich verlorene Einflüsse
auch militärisch zurückerobert werden sollen .

Sie fragen nach der außenpolitischen Wirkung der
Verlegung der US-Truppen nach Polen . Ich frage Sie
nach der außenpolitischen Wirkung „Ami go home“
skandierender Menschen und auch eines brandenburgi-
schen SPD-Ministerpräsidenten – der zu allem Überfluss
auch noch Koordinator für die deutsch-polnische Zusam-
menarbeit ist –,


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


der sich in solche Proteste einreiht, was Kollegin
Motschmann zu Recht angesprochen hat .

Die polnische Rzeczpospolita spricht in ihrer Sonn-
tagsausgabe gerade mit Bezug auf das Amt Woidkes
von „Ironie des Schicksals“ und führt aus, seine Unter-
stützung für den Protest überrasche nicht . Die Zeitung
fragt: „Wird es in Situationen größerer Konflikte nicht
zu einer Radikalisierung der Stimmung in Deutschland
kommen?“ – Sind einige in Brandenburg wirklich so ge-
schichtsvergessen, dass sie nicht mehr wissen, wer etwa
durch die Solidarnosc-Bewegung wesentlich auch zum
Fall der Berliner Mauer und der deutschen Wiederver-
einigung beigetragen hat? Es war die polnische Bevöl-
kerung, meine Damen und Herren, die heute zusammen
mit den Menschen aus dem Baltikum unsere Solidarität
einfordert .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Auswirkungen solcher Positionen werden uns in un-
serer Friedenspolitik noch lange beschäftigen .

Woidkes weiteren Äußerungen stimme ich ausdrück-
lich zu . Es ist sicher besser – ich zitiere –, „trotz aller

Schwierigkeiten den Dialog mit Russland zu suchen“ .
Richtig! Auch ich bin der Überzeugung, dass man mit
Russland reden muss . Aber wenn uns die vergangenen
zwei bis drei Jahre etwas gelehrt haben, dann, dass ge-
genüber Russland nicht aus einer Position der Schwäche
heraus argumentiert werden kann und wir nur solidarisch
stark sind .

Erst im Juni vergangenen Jahres beklagten Sie, Kol-
lege Thomas Nord von der Fraktion Die Linke, im Zuge
der Plenardebatte zum 25 . Jahrestag des deutsch-polni-
schen Nachbarschaftsvertrages, aus der Sie sich heute
selbst bereits zitiert haben – ich zitiere –:

Jahrhundertelang waren die Polinnen und Polen
Spielball europäischer Großmächte und Opfer
machtpolitischer Absprachen – häufig zugunsten
Russlands und Preußens bzw . später Deutschlands .

Heute beantragt gerade Ihre Fraktion eine Aktuelle
Stunde, um eine Truppenverlegung anzuprangern, die
genau das verhindern soll . Meine Damen und Herren,
so viel außenpolitische Konsistenz ist bemerkenswert .
An solcher ließ es auch die Kollegin Wagenknecht nicht
mangeln: Atlantic Resolve sei nicht mehr nur Drohgebär-
de, sondern dürfte in Russland als konkrete Kriegsvorbe-
reitung wahrgenommen werden und zu entsprechenden
Gegenreaktionen führen . – Sie, Herr Kollege Thönnes,
haben das bereits angesprochen .

Bei allem Respekt: Drohgebärden und Kriegsvorbe-
reitungen, war das das Stadium, in welchem sich Russ-
land vor fünf Jahren befand? Mittlerweile werden diese
Kriege in der Ostukraine geführt . Ich glaube, Sie bringen
hier die Reihenfolge von Ursache und Wirkung durchei-
nander . War es nicht Russland, das unter brutalem Bruch
des Völkerrechts und auch unter Verrat der im Budapes-
ter Abkommen übernommenen Verpflichtungen, Herr
Kollege Gehrcke, den souveränen Staat Ukraine ange-
griffen hat?


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das stimmt einfach nicht!)


Meinen Sie, dass nach derartiger russischer Außenpolitik
das Sicherheitsbedürfnis der anderen Nachbarn Russ-
lands und der europäischen Staatengemeinschaft insge-
samt die von Ihnen infragegestellten Maßnahmen etwa
nicht in höchstem Maße rechtfertigen, ja zwingend erfor-
derlich machen?

Diejenigen, die heute übrigens den Zeigefinger erhe-
ben, sind genau dieselben, die angesichts von Aleppo
der Weltgemeinschaft Tatenlosigkeit vorwerfen . Ich bin
jedenfalls sehr dankbar, dass die USA durch Atlantic Re-
solve ihren Versprechen auch Taten folgen lassen . Ange-
sichts der Unsicherheit in Bezug auf die künftige Aus-
richtung transatlantischer Beziehungen gilt dies umso
mehr .

Danke .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1821208900

Der Kollege Dr . Karl-Heinz Brunner spricht jetzt für

die SPD .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD):
Rede ID: ID1821209000

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und

Kollegen! Eines – das habe ich heute wieder in der Debat-
te mitbekommen – haben die Populisten von rechts und
die Rhetorik von links gemeinsam, nämlich die gefährli-
che Lust an der Konfrontation . Während die Rechten ja
in der Regel, assistiert von der Russischen Föderation,
versuchen, halbe und erfundene Wahrheiten zu verbrei-
ten und Ängste vor düsteren Mächten zu schüren, haben
die Linken stets die Verharmlosung von Putin als Frie-
densengel im Blickfeld, verteufeln die NATO, wo es nur
geht, und beschwören wie Sie, lieber Kollege Gehrcke,
den Kalten Krieg .

Dabei, meine sehr verehrten Damen und Herren – das
ist das Erschütternde –, werden Sie auch noch von an-
geblichen Sicherheitspolitikern wie Mike Turner, den ich
bei der NATO-PV letztes Jahr erleben konnte, assistiert,
der allein die militärische Konfrontation in den Mittel-
punkt stellt . Gott sei Dank, möchte ich fast sagen, werden
alle drei Gruppen leidlich im Zaun gehalten, und es ist
klar, dass die NATO nicht mal eben so, wie es kolpor-
tiert wird, Tausende von Panzern im Baltikum stationiert;
denn die NATO ist ein Sicherheitsbündnis . Es ist ein Si-
cherheitsbündnis für Abrüstung, nicht für Aufrüstung . So
habe ich es jedenfalls immer verstanden, und so sehe ich
die NATO auch weiterhin .


(Widerspruch bei der LINKEN)


Meine Kolleginnen und Kollegen, die aktuelle Trup-
penverlegung ist Folge einer bilateralen Vereinbarung
zwischen Polen und den USA . Sie geht einher mit dem
Warschauer Gipfel, der richtig feststellt: Wir zeigen Stär-
ke, wir zeigen Solidarität gegenüber unseren Nachbarn,
und gleichzeitig halten wir Gesprächskanäle offen, und
zwar alle . Es ist der Arbeit von Frank-Walter Steinmeier,
unserem Außenminister, und seiner Initiative zum Neu-
start der Abrüstungspolitik zu verdanken, dass dieser
Gipfel und alle Diskussionen nicht im Zeichen der Kon-
frontation stehen .

Sogenannte Friedensaktivisten, seien sie von den
Rechten oder von der Linken, bilden heute eine Quer-
front gegen die Truppenübungen, und wir hören von
Wagenknecht bis Gauland, dass eine angeblich ag-
gressive NATO den Krieg wolle, dass das unschuldige
Russland nicht provoziert und nicht eingekreist werden
dürfe . – Mein Gott! Wer allein mit verletzten Gefühlen
Außenpolitik macht, der steht nicht auf dem Boden der
Realität .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist kaum
zu glauben, aber seit geraumer Zeit – damit richte ich
mich auch an die Linken – ist unser östlicher Nachbar-
staat Polen und nicht Russland . Unser Partner ist Polen .
Es ist mir fast peinlich, das betonen zu müssen, aber
Russland hat nun einmal – das muss man in diesem
Hause sagen – keine legitimen Einflusssphären, keinen

Anspruch auf Polen, keinen Anspruch auf die baltischen
Staaten, auf niemanden . Sie sind souverän . Wenn diese
Länder aus ganz konkreter historischer Erfahrung die
Nähe zur NATO suchen, dann ist das ihr gutes Recht .
Wir haben die Pflicht, ihnen auch zu sagen: Die NATO
ist kein bloßes Sicherheitsbündnis, keine Versicherung,
sondern sie ist eine Wertegemeinschaft,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf des Abg . Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


deren Inhalt es wert ist, gesehen zu werden .

Die sich abwechselnden NATO-Truppen nach dem
Warschauer Gipfel und auch die jetzigen US-Trup-
penübungen verletzen die NATO-Russland-Grundakte
nicht . Es ist ganz einfach . Mein früherer Professor hät-
te gesagt: Ein Blick in den Gesetzestext erleichtert die
Rechtsfindung. Dazu müsste man nur in die NATO-Russ-
land-Grundakte blicken, dann würden nicht so dumme
Aussagen gemacht .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Dann tun Sie das einmal! – Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Wen hat Herr Steinmeier mit „Säbelrasseln“ gemeint?)


Ob es klug ist, verehrte Kolleginnen und Kollegen
von der Linken, das umzusetzen, steht auf einem ande-
ren Blatt; denn nicht alles, was erlaubt ist, ist auch klug .
Stichwort „Krim“: Es war und ist nicht klug, das Buda-
pester Memorandum zuerst zu unterzeichnen – ich mei-
ne damit übrigens Russland – und dann diesen Vertrag
zu brechen . Es ist nicht nur unklug, es ist völkerrechts-
widrig . Putin, so glaube ich, ist ein kühl kalkulierender
Machtpolitiker, für dessen Strategie man durchaus Ver-
ständnis haben kann, der man aber mit Entschlossenheit,
mit Stärke und vielleicht sogar mit militärischer Präsenz
entgegentreten muss . Jedenfalls muss man ihm aber mit
Klugheit entgegentreten .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Dann üben Sie mal!)


Die eingangs erwähnte Konfrontation allein nützt uns
nichts. Bei militärischen Konflikten gibt es keine Sieger,
es gibt nur Verlierer. Eine Lösung finden wir nur mit ei-
ner klugen Strategie:

Erstens: Gesprächskanäle aufrechterhalten, zum Bei-
spiel im NATO-Russland-Rat .

Zweitens: klare Linien aufzeigen, auch mit Abschre-
ckung und Verteidigungsfähigkeit .

Drittens: nicht nur von Werten in der NATO reden,
sondern deren Einhaltung auch einfordern . Das gilt für
die Türkei, das gilt für Polen, das gilt für Deutschland,
das gilt für alle Länder dieses Bündnisses .

Das ist vernünftige Realpolitik – das beste Mittel ge-
gen Agitatoren auf beiden Seiten . Das wäre klug, und
damit hätte dieser Einsatz eine entsprechende außenpo-
litische Wirkung .






(A) (C)



(B) (D)


Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1821209100

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Henning

Otte .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Henning Otte (CDU):
Rede ID: ID1821209200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige Aktuelle
Stunde gibt uns die Möglichkeit, noch einmal deutlich
darauf hinzuweisen, warum diese Truppenverlegung
notwendig ist, warum sie richtig ist und warum wir sie
auch unterstützen . Sie zeigt ganz klar die Verbundenheit
der Vereinigten Staaten gegenüber der Sicherheit und
Freiheit in Europa . Sie ist ein deutlicher Ausdruck von
Präsenz, von Transparenz . Sie ist im Übrigen seit dem
Jahr 2014 schon fest vereinbart . Sie signalisiert die Ver-
lässlichkeit und Glaubwürdigkeit der NATO hinsichtlich
der Absicherung ihrer Ostgrenzen .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Die NATO hat keine Ostgrenzen!)


Dies, meine Damen und Herren, ist notwendig gewor-
den . Wir hier in Deutschland, in Europa und auch inner-
halb unseres NATO-Bündnisses sagen sehr deutlich, dass
die Annexion der Krim völkerrechtswidrig war, dass die
Einflussnahme in der Ostukraine ein Angriff auf die Sou-
veränität des Landes war,


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Quatsch! – Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Es gab aber auch einen Putsch!)


dass sie außerhalb des Rechtsrahmens vollzogen wurde .
Insofern ist hier ein deutliches Zeichen Europas und der
NATO-Partner notwendig .

Mit hybriden Provokationen, mit Völkerrechtsbruch,
mit Alarmierungsübungen, mit Einschüchterungspolitik,
mit drei neuen Divisionen an der Grenze untergräbt die
Kremlführung ganz bewusst die europäische Integration,
und sie befördert damit den Extremismus in der politi-
schen Debatte, nicht nur in Frankreich bei Frau Le Pen,
nicht nur bei der AfD, sondern leider auch bei der Frak-
tion Die Linke – man sieht es an Ihrer Argumentation,
meine Damen und Herren .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das habe ich mir gedacht! Alle Wege führen nach Moskau!)


Das alles beunruhigt uns hier in Deutschland, und es
beunruhigt vor allem die Menschen in den baltischen
Staaten, in Rumänien, in Bulgarien, in Polen und – ich
füge hinzu – auch in Schweden und in Finnland . Wir las-
sen sie nicht allein, sondern stehen aktiv und sichtbar an
ihrer Seite .

Meine Damen und Herren, die Anbindung an Euro-
pa, an die NATO soll untergraben werden, indem von
russischer Seite eine Einschüchterungspolitik vollzogen

wird . Deswegen ist es wichtig, den Schutzdeich an der
osteuropäischen NATO-Grenze zu erhöhen . Denn es
gibt die klare Strategie des Kreml, die Einflusssphäre zu
erweitern, die Souveränität von Staaten zu untergraben
und anzugreifen . Insofern ist Atlantic Resolve eine gut
angelegte multinationale Unternehmung, und wir sind
den Vereinigten Staaten für dieses sichtbare Zeichen für
Frieden und Stabilität in Europa dankbar .


(Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das hört Trump aber gerne!)


Deutschland unterstützt diese Maßnahmen im Rah-
men des sogenannten Host Nation Supports, indem
4 000 US-amerikanische Soldaten Deutschland als Dreh-
scheibe logistisch nutzen können,


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Hey! „Deutschland als Drehscheibe“!)


um von hier aus die baltischen Staaten und Polen zu un-
terstützen . Das geschieht auf Grundlage des NATO-Trup-
penstatuts und damit im Rahmen von Recht und Ordnung


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Sie reden ja wie Kaczynski!)


und ist Ausfluss der NATO-Gipfel von Wales und War-
schau .

Wir unterstützen dies auch mit einer Enhanced For-
ward Presence, einer sogenannten Vorne-Präsenz, um
deutlich zu machen: Wir sind bei den baltischen Staaten,
wir sind bei Polen . Denn wir sagen: Bündnisverteidi-
gung ist auch Landesverteidigung . Auch deswegen leis-
tet Deutschland einen Beitrag in Litauen, wo wir ab 2017
mit 450 Soldaten zusammen mit den Niederländern, mit
den Norwegern, mit den Belgiern ein Zeichen für diese
Einigkeit setzen .

Deutschland leistet einen Beitrag zur sogenannten
schnellen Speerspitze der NATO, allein, um mit einer
schnellen Präsenz in einer Phase der Beunruhigung in-
nerhalb des NATO-Gebietes deutlich zu machen, dass
wir zusammenstehen und dass ein Überschreiten der
Grenze durch den Kreml ein Angriff auf alle souveränen
Staaten wäre . Auch hier sind wir uns der Rückendeckung,
der Rückversicherung durch Kanada und die Vereinigten
Staaten im Rahmen der wichtigen, notwendigen transat-
lantischen Beziehungen sicher .

Das alles geschieht im Rahmen der Ergebnisse
der Zwei-plus-Vier-Gespräche und der NATO-Russ-
land-Grundakte . Wir stehen zu diesem Recht, auch um
deutlich zu machen, dass es Unrecht war, die Krim zu an-
nektieren . Wir setzen uns ein für ein geeintes Europa, für
eine starke NATO mit dem klaren Ziel von Frieden und
Freiheit, einer friedlichen Entwicklung hier in Europa .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1821209300

Zum Abschluss der Aktuellen Stunde spricht der Kol-

lege Thorsten Frei für die CDU/CSU .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Karl-Heinz Brunner






(A) (C)



(B) (D)



Thorsten Frei (CDU):
Rede ID: ID1821209400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im

Grunde genommen muss man der Fraktion Die Linke
dankbar dafür sein,


(Beifall bei der LINKEN)


dass sie dieses Thema auf die Tageordnung der heutigen
Sitzung gesetzt hat; denn wir konnten in der vergangenen
Stunde sehr exakt darlegen, dass Sie absolut schiefliegen.
Außerdem hatten wir so die Gelegenheit, ein paar Be-
merkungen zur allgemeinen Sicherheitslage in Deutsch-
land und Europa zu machen . Herzlichen Dank für diese
Gelegenheit .


(Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Gern geschehen!)


Wenn man das Ganze vom Ende her betrachtet, dann
muss man sagen: Deutschland geht es so gut wie noch
nie in unserer Geschichte, und das hat nicht nur mit den
ökonomischen Rahmenbedingungen zu tun, sondern das
hat auch etwas mit Frieden, mit Stabilität und mit Sicher-
heit in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland und
Europa zu tun .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das ist undifferenziert! Sie kennen die gesellschaftliche Realität offenkundig nicht!)


Dafür gibt es Gründe, und ein ganz wesentlicher Grund
dafür ist die Partnerschaft, die Freundschaft mit den Ver-
einigten Staaten von Amerika . Ein ganz wesentlicher
Punkt ist die Rückversicherung in der Sicherheitsge-
meinschaft der NATO .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das habe ich mir gedacht!)


Das ist der Grund, warum wir in der Vergangenheit in
Sicherheit, in Freiheit und in Frieden leben konnten, und
das gilt auch für die Zukunft . Deswegen sage ich an die-
ser Stelle ganz klar: Man kann vieles sagen, aber eines
ist die NATO mit Sicherheit nicht: Sie ist nicht obsolet,
sondern sie wird in Zukunft eher noch mehr gebraucht
werden als in der Vergangenheit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Der Wohlstand wird am Hindukusch verteidigt! – Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Ein Auslaufmodell!)


Deswegen ist es folgerichtig, dass wir uns militärisch
in Litauen engagieren . Es ist folgerichtig, dass wir posi-
tiv zur Kenntnis nehmen, dass 4 000 amerikanische Sol-
daten über Bremen nach Polen entsendet werden; denn
letztlich können wir damit das klare Signal senden, dass
wir die gemeinschaftliche Sicherheit in Europa verteidi-
gen wollen . Es geht darum, sich für einander einzusetzen
und sich gemeinsam stark zu machen; denn leider – das
haben einige Vorredner schon ausführlich dargelegt –
ist es so, dass sowohl Atlantic Resolve als auch die
NATO-Rückversicherung notwendig sind und dass die
Ängste und Befürchtungen, die es in Lettland, in Litauen,
in Estland und in Polen gibt, absolut berechtigt sind . Es
geht mir nicht nur um die Entwicklungen seit März 2014,

als mit der Annexion der Krim zum ersten Mal seit Jahr-
zehnten in Europa wieder einseitig und mit militärischer
Gewalt Grenzen verändert worden sind .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Lüge! Das stimmt nicht! 1999 die NATO in Jugoslawien! Stichwort „Kosovo“! – Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Was war 1999 in Jugoslawien?)


Letztlich wurde damit die Axt an die Grundprinzipien für
Sicherheit in Europa angelegt .

Es geht des Weiteren – auch darüber haben wir ge-
sprochen – um Drohungen, es geht um Übungen, es geht
darum, dass Nuklearwaffentests simuliert werden.


(Zurufe von der LINKEN)


Es geht darum, dass Lufträume, etwa von Schweden oder
von Finnland, verletzt wurden . Es geht auch darum, dass,
bevor die amerikanischen Soldaten in Bremen angekom-
men sind, letztendlich Russland an seiner Westgren-
ze die erste Panzerarmee mit drei Divisionen mit etwa
30 000 Soldaten, die sie eigentlich 1998 aufgelöst haben,
wieder in den Dienst gesetzt hat,


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Aber auf russischem Gebiet und nicht außerhalb!)


und zwar an der Westgrenze, wohlgemerkt! Die ameri-
kanischen Soldaten werden nicht an der polnischen Ost-
grenze stationiert .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Aber in Polen und nicht in den USA!)


Das ist doch auch ein klares Signal . Wenn ich an den
vergangenen November denke, als Russland an seiner
Westgrenze eine Zivilschutzübung unter Beteiligung von
40 Millionen Bürgern durchgeführt hat: Das sind doch
klare Signale . Man darf Ursache und Wirkung nicht ver-
wechseln . Das ist der entscheidende Fehler, den Sie ma-
chen .


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Da hat Sie die Geschichte das Fürchten gelehrt! – Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Zweiter Weltkrieg auf sowjetischem Boden!)


– Reden Sie doch, wenn Sie Rederecht haben, aber nicht
jetzt, Herr Neu . Hören Sie besser zu! Sie haben in dieser
Debatte einiges zu lernen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb ist es ganz entscheidend, auf die Geschehnisse
zu reagieren .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Seit ihr eine Große Koalition habt, gibt es eh keine Zurufe mehr! Seien Sie einmal souverän! Wie sehr ich Ottmar Schreiner vermisse!)


Wenn Sie sich anschauen, wie sich Russland in den
vergangenen vier, fünf Jahren verhalten hat, dann ist
doch klar, dass wir eine klare Reaktion brauchen . Be-
reits im Jahr 2010 hat der russische Präsident die Losung
ausgegeben, dass bis zum Jahr 2020 rund 500 Milliarden
Euro in die Rüstung investiert werden sollen . 2015 ist der






(A) (C)



(B) (D)


Rüstungsetat um 8 Prozent auf mehr als 60 Milliarden
Euro gestiegen .


(Zurufe von der LINKEN)


Der Kollege Roderich Kiesewetter hat deutlich gemacht,
dass inzwischen 5 Prozent der gesamten Wirtschaftsleis-
tung Russlands in die Bereiche Sicherheit und Vertei-
digung fließen. Dieses Geld wird in Projekte investiert,
die tatsächlich umgesetzt werden, und damit wird Politik
gemacht .


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: 700 Milliarden in den USA!)


Der entscheidende Punkt ist: Es ist so, dass die russi-
sche Bevölkerung zu einem großen Teil dieser Politik der
Stärke, einer Politik, die auf Weltmachtinteressen setzt,
folgt;


(Zuruf des Abg . Dr . Diether Dehm [DIE LINKE])


denn sie nimmt letztlich nicht nur in Kauf, dass viel
Geld für Rüstung ausgegeben wird, sondern auch, dass
im gleichen Zeitraum, in dem die Rüstungsausgaben von
3 auf 5,4 Prozent der Gesamtwirtschaftsleistung gestie-
gen sind, beispielsweise die Bildungsausgaben von 5,1
auf 3,9 Prozent und beispielsweise die Ausgaben für Ge-
sundheit von 4 auf 2,2 Prozent gesunken sind . Das heißt,
die russische Bevölkerung nimmt letztlich Wohlstands-
verluste, Demokratieverluste und Freiheitsverluste in
Kauf, um diesem Konzept zu dienen .


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das passiert in Deutschland aber genauso! – Zuruf des Abg . Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE])


Ich glaube, wir müssen dem eine Politik der Stärke
entgegenhalten, um die Voraussetzungen für Gespräche
mit Russland zu eröffnen. Auf das Rational des Präsiden-
ten Putin muss man mit dem gleichen Rational antwor-
ten . Das ist das Ergebnis dieser Debatte .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Dagmar Freitag [SPD])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1821209500

Die Aktuelle Stunde ist damit beendet .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Sportausschusses (5 . Ausschuss) zu der
Unterrichtung durch die Bundesregierung

13. Sportbericht der Bundesregierung

Drucksachen 18/3523, 18/9748

Dazu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Widerspruch
dagegen sehe ich keinen . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem
Redner für die Bundesregierung dem Parlamentarischen
Staatssekretär Dr . Ole Schröder das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)


D
Dr. Ole Schröder (CDU):
Rede ID: ID1821209600


Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Vor knapp zwei Jahren hat der Bundesinnen-
minister Thomas de Maizière den 13 . Sportbericht der
Bundesregierung hier vorgestellt . Dabei war auch die
durchwachsene Bilanz der deutschen Mannschaft bei den
Winterspielen in Sotschi 2014 Thema . Ziel des Sportbe-
richts ist es, eine Bilanz der Förderpolitik des Bundes zu
ziehen . Vor zwei Jahren haben wir festgestellt, dass sich
der deutsche Spitzensport an einem Scheideweg befindet.

Mit den Medaillen bei den Sommerspielen in Rio
haben wir uns auf dem Niveau von Peking und London
eingependelt, also auf einem Niveau, bei dem wir Re-
formbedarf festgestellt haben . Nicht nur, um uns nach
oben zu orientieren, sondern auch, um nicht nach unten
abzurutschen, bedarf es einer Reform .

Inzwischen haben wir ein Konzept zur Neustruktu-
rierung der Spitzensportförderung vorgelegt . Es verfolgt
drei wesentliche Leitlinien: Zielorientierung und Ex-
zellenz, Leistung und Transparenz sowie Fairness und
Sauberkeit . Das Konzept ist ein gemeinsames Werk des
Bundesinnenministeriums, des Deutschen Olympischen
Sportbundes, der Länder, der Sportverbände, der Athle-
ten sowie renommierter Sportwissenschaftler . Es freut
mich, dass sich vor allem auch der Sportausschuss des
Bundestages eingebracht hat .


(Jeannine Pflugradt [SPD]: Wir hätten uns gerne noch mehr eingebracht!)


Wichtig ist, dass der Sportausschuss jetzt auch die
Umsetzung der Reform eng begleiten wird .

Es geht darum, dass wir in Zukunft die Fördermittel
zielgenauer auf das Erfolgspotenzial der Athleten, Sport-
arten und Disziplinen konzentrieren . Es geht aber nicht
nur um die Erfolgspotenziale, es geht zum Beispiel auch
um die Absicherung von Athleten durch den Ausbau der
dualen Karriere und ein verbessertes Gesundheitsma-
nagement . Maßgeblich bei allen Überlegungen ist, dass
der Sportler im Mittelpunkt steht .

Wir brauchen bei unserer Reform allerdings einen
langen Atem . Großbritannien hat 1996 in Atlanta gerade
einmal eine Goldmedaille gewonnen . Bis zum Gewinn
von 29 Goldmedaillen und dem Wirksamwerden der
Reform bei den Spielen 2012 in London hat es 16 Jah-
re gedauert . Auch für unsere Fußballnationalmannschaft
hat es vom Rumpelfußfall 1998 in Frankreich bis zum
Gewinn der Fußballweltmeisterschaft 16 Jahre gedau-
ert – bis die Nachwuchsförderung, bis die Reform beim
Fußballverband gegriffen hat.

Meine Damen und Herren, Sport und Politik beken-
nen sich in diesem Konzept auch zur Gleichstellung von
olympischem und paralympischem Sport . Diese Gleich-

Thorsten Frei






(A) (C)



(B) (D)


stellung wollen wir stärker als bisher auch in der Praxis
leben .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Hier sind natürlich auch die Verbände gefragt, wenn es
um eine Inklusion des paralympischen Spitzensports
geht. Beide Seiten werden davon profitieren. Einige Ver-
bände haben das ja bereits vorbildlich auf den Weg ge-
bracht; ich denke an den Deutschen Kanu-Verband .

Mit den vorgenannten Punkten liegen wir auf einer Li-
nie mit der Beschlussempfehlung des Sportausschusses,
dessen Bericht heute auf der Tagesordnung steht . Das
Parlament hat die Sportförderung des Bundes im Etat des
Bundesinnenministeriums für das Jahr 2017 gegenüber
dem Regierungsentwurf um 5,2 Millionen Euro aufge-
stockt . Im Jahr 2013 haben wir mit etwa 132 Millionen
Euro begonnen, im Jahr 2017 sind es circa 168 Millio-
nen Euro . Das ist ein Anstieg um rund 36 Millionen Euro
und damit deutlich mehr als in den drei vorangegangenen
Wahlperioden zusammen .

Selbstverständlich werden wir neben der Reform
auch die anderen Punkte der Beschlussempfehlung des
Sportausschusses im Auge behalten und verfolgen . Hier-
zu gehört insbesondere der Kampf gegen Doping . Das
ist leider bedeutsamer denn je; das haben die Berichte
des von der Welt-Anti-Doping-Agentur eingesetzten
Sonderermittlers gezeigt . Was in den McLaren-Berich-
ten beschrieben und belegt wird, hätten wir uns zumin-
dest bis zum Sommer des vergangenen Jahres wohl alle
nicht vorstellen können . Der Sport muss nun endlich die
Weichen stellen für einen effektiven internationalen An-
tidopingkampf und damit für eine saubere Zukunft des
Sports .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann fangen Sie mal an!)


Der Sport darf die Berichte nicht auf sich beruhen las-
sen und einfach so weitermachen, als ob es diese krimi-
nellen Vorgänge nicht gegeben hätte . Die Entscheidung
hierüber und alle Maßnahmen, die diesbezüglich unter-
nommen oder eben nicht unternommen werden, sind für
die Integrität und die Glaubhaftigkeit des Sports und da-
mit für die Zukunft des Sports entscheidend .

Deutschland hat sich 2015 durch die Verabschiedung
des Anti-Doping-Gesetzes klar positioniert . Wie wirk-
sam dieses Gesetz bei der Bekämpfung von Doping ist
und ob das Gesetz unsere Erwartungen am Ende auch
erfüllen kann, können wir heute noch nicht beurteilen .
Klar ist aber natürlich, dass dieses Gesetz ein wichtiger
Baustein im Kampf gegen Doping ist .

Ich fordere die verantwortlichen Funktionäre im Sport
auf, ebenfalls alles dafür zu tun, um faire Wettkämpfe si-
cherzustellen . Es darf kein Wegducken mehr geben, wie
wir es bei den Olympischen Spielen durch das IOC erlebt
haben .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Die hohe Reputation von Olympischen Spielen hat be-
reits massiv gelitten; sie ist keine Selbstverständlichkeit .

Ein letzter Gedanke zum Doping: Bei den Gesprächen
und Debatten im Vorfeld des Zweiten Dopingopfer-Hil-
fegesetzes haben wir deutlich erfahren, welch tragische
Folgen, welch körperliche Schäden Doping auslöst . An
den Folgen der Dopingmittel sind Menschen gestorben .
Auch aufgrund unserer eigenen DDR-Geschichte haben
wir eine besondere Verantwortung dafür, dass staatlich
organisiertes Doping wirklich überall unterbunden wird .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Meine Damen und Herren, vielen Dank, dass Sie die
Bundesregierung bei dem von ihr in der Sportpolitik ein-
geschlagenen Weg unterstützen . Ich freue mich auf einen
weiterhin so fruchtbaren und guten Dialog .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1821209700

Nächster Redner ist der Kollege Dr . André Hahn für

die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. André Hahn (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821209800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man

braucht nicht drum herumzureden: Die letzten Jahre
waren keine guten Jahre für den Sport . Es gab Skanda-
le beim IOC, bei der FIFA, der UEFA und auch beim
DFB . Es gab Dopingfälle in bislang ungekanntem Aus-
maß, die die Olympischen und Paralympischen Spiele in
Rio erheblich beeinträchtigt und teilweise die Berichter-
stattung bestimmt haben . Es gab hierzulande die durch
Volksentscheide gescheiterten Olympiabewerbungen
von München und Hamburg . Es gibt nach wie vor Ge-
walt, rechtsextreme und rassistische Ausschreitungen bei
Sportveranstaltungen. Und es gibt immer häufiger Kla-
gen über die angeblich oder die tatsächlich nicht ausrei-
chende Finanzierung des Sports durch Bund und Länder .

Auch die Zuwanderung zahlreicher Flüchtlinge nach
Deutschland blieb nicht ohne Auswirkungen auf den
Sportbereich, sei es durch die zeitweilig notwendige
Unterbringung in Turnhallen oder durch neue Heraus-
forderungen mit Blick auf die Integration der zu uns ge-
kommenen Menschen; denn gerade hier kann der Sport
Wertvolles leisten . Und ohne Zweifel: Es gab viele tolle
Leistungen von Athletinnen und Athleten, aber die Skan-
dale haben leider vieles überlagert .

Angesichts all dessen wird die Politik und werde auch
ich persönlich immer häufiger vor die Frage gestellt,
welche Entwicklung des Sports wir wollen und welcher
Sport künftig mit Steuergeldern von der Politik gefördert
werden soll . Auf der einen Seite stehen die Werte und
Vorzüge des Sports, die olympische Idee, die Förderung
der Gesundheit und sozialen Kompetenzen durch sport-
liche Betätigungen . Das wird vor allem im Breitensport
gelebt . Ich möchte die Gelegenheit hier nutzen, mich bei
den vielen Tausend Ehrenamtlichen, die sich im Brei-
tensport engagieren, ganz herzlich zu bedanken .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Parl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder






(A) (C)



(B) (D)


Auf der anderen Seite steht der Spitzensport mit seiner
immer stärker werdenden Kommerzialisierung, verbun-
den mit gesundheitlichen Schädigungen bei Sportlerin-
nen und Sportlern, mit Korruption, Sportbetrug, Doping
sowie gnadenloser Vermarktung auch über die Medien .
Und dann kommen eben auch Forderungen, künftig nur
noch den Breitensport zu fördern und Olympischen Spie-
len sowie anderen Sportgroßveranstaltungen hinsichtlich
einer Bezuschussung aus Steuergeldern die Rote Karte
zu zeigen .

Es ist unübersehbar: Wir brauchen eine möglichst
breit geführte gesellschaftliche Debatte über die Zukunft
des Sports und der Sportförderung in unserer Gesell-
schaft . Der 13 . Sportbericht der Bundesregierung hätte
dafür eine Grundlage bilden können . Aufgrund seiner
inhaltlichen Schwachpunkte tut er es jedoch nicht . Mei-
ne grundsätzliche Position lautet: Wir brauchen beides,
mehr und besser unterstützten Breiten- und Schulsport,
aber auch den Leistungs- und Spitzensport . Beides be-
dingt einander und muss durch die öffentliche Hand an-
gemessen gefördert werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Ende September 2016 stellten Bundesinnenminis-
ter Thomas de Maizière und DOSB-Präsident Alfons
Hörmann ihre Eckpunkte für eine Reform der Spitzen-
sportförderung vor . Der DOSB hat dem nur geringfügig
geänderten Papier Anfang Dezember auf seiner Mitglie-
derversammlung zugestimmt . Ich halte das vorgelegte
Konzept in mehrfacher Hinsicht für äußerst problema-
tisch, habe aber heute leider nicht die Redezeit, um näher
darauf einzugehen, und kann nur einen Punkt herausgrei-
fen .

Auch wenn der Deutsche Behindertensportverband,
wie von den Linken gefordert,


(Michaela Engelmeier [SPD]: Von uns auch!)


2017 mehr Geld vom Bund bekommen wird, ist es
dennoch ein sehr langer Weg bis hin zu einer wirklichen
Gleichbehandlung . Der Paralympicssieger im Triathlon
von Rio, Martin Schulz,


(Michaela Engelmeier [SPD]: Toller Name!)


hat in einem Interview deutlich gemacht, dass er mit
26 Jahren ans Aufhören denkt, ja, denken muss, weil er
im internationalen Vergleich unter indiskutablen Rah-
menbedingungen trainieren muss . Als Behindertensport-
ler bekommt er über die Sporthilfe nur die Hälfte der üb-
lichen A-Kader-Förderung für Nichtbehinderte, konkret
satte 150 Euro im Monat . Vor Rio waren es immerhin
noch 550 Euro . Doch die sogenannte Top-Team-Förde-
rung fällt nach den Paralympics weg . Alle internationa-
len Konkurrenten von Schulz trainieren unter vollprofes-
sionellen Bedingungen . Und das ist kein Einzelfall .

Eine Kleine Anfrage der Linken hat ergeben: Für
44 Nationalmannschaften im paralympischen Bereich
gibt es gerade einmal sieben hauptamtliche Trainer . Alle
anderen Trainer und Übungsleiter arbeiten auf Honorar-
basis oder fast komplett ehrenamtlich . Soll das künftig so
weitergehen? Zwei Drittel der Olympiastützpunkte sind
derzeit nicht barrierefrei . Es gibt also noch viel zu tun .

Die sportpolitischen Leitlinien der Linken sind in
unserem Entschließungsantrag klar formuliert . Unsere
Kernforderungen sind:

Erstens soll der Sport als Staatsziel im Grundgesetz
verankert und endlich ein Sportfördergesetz erarbeitet
werden .

Zweitens soll jede Sportförderung des Bundes auch
einer zunehmenden breiten sportlichen Betätigung für
alle und der Gesundheit der Menschen von frühester
Kindheit bis ins hohe Alter dienen .

Drittens soll die Spitzensportförderung angemessene,
verlässliche und langfristige Rahmenbedingungen für die
Sportlerinnen und Sportler, für Trainerinnen und Trainer
und weitere Akteure schaffen.

Viertens muss die Sportstätteninfrastruktur in Bund,
Ländern und Kommunen erhalten und systematisch ver-
bessert werden .

Fünftens brauchen wir Dateien – so die Auffassung
der Bundesregierung – im konsequenten Kampf gegen
Doping, Betrug und Korruption im Sport .

Abschließend zur vorgelegten Beschlussempfehlung:
Es ist schon bezeichnend, wenn sogar die Koalition sage
und schreibe 35 Forderungen an die Bundesregierung
formuliert . Viele dieser Forderungen unterstützt die Lin-
ke; teilweise sieht sie aus wie von uns abgeschrieben .


(Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh!)


Trotzdem können wir dem Antrag nicht zustimmen;
denn dort steht als Überschrift, dass die Koalition ihre
Erfolgsbilanz im Sport fortschreiben will . Davon kann
nun wahrlich keine Rede sein .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1821209900

Nächste Rednerin ist die Kollegin Michaela

Engelmeier für die SPD .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Michaela Engelmeier (SPD):
Rede ID: ID1821210000

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie-

be Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Wir beraten heute den 13 . Sportbericht der Bundesregie-
rung . Dieser Bericht macht deutlich, dass der Sport in
unserem Land nicht mehr wegzudenken ist . Er zeigt, was
Sport in unserer Gesellschaft bewirkt .

Ohne die finanzielle Unterstützung der Bundesregie-
rung wären der Spitzensport und auch in Teilen der Brei-
tensport in ihrer bisherigen Form nicht möglich . Unsere
Spitzensportlerinnen und Spitzensportler können sich mit
dieser Förderung intensiv auf ihre Wettkämpfe vorberei-
ten . Das zeigt: Sport muss langfristig gedacht werden .


(Beifall bei der SPD)


Basis für den Spitzensport ist der Breitensport; denn
ohne Breite keine Spitze . In den mehr als 90 000 Sport-

Dr. André Hahn






(A) (C)



(B) (D)


vereinen in Deutschland sind über 27 Millionen Mitglie-
der organisiert .

Damit die Menschen auch zukünftig ihren Sport
treiben können, sind Investitionen in die Sportanlagen
dringend notwendig und von existenzieller Bedeutung .
Sportanlagen bringen aber nicht immer nur Freude, son-
dern auch Konflikte. In dichter werdenden Städten müs-
sen wir immer auch für Akzeptanz bei den Anwohnern
von Sportanlagen werben. Zu häufig kann der Sport
nicht stattfinden, weil entweder die Anwohner gegen den
Sportlärm klagen oder die Anlagen marode sind . Der
Sport fällt bei finanzieller Not der Kommunen fast immer
als Erstes einer Sparwelle zum Opfer .

Dabei übernimmt der Sport auf vielfältige Art und
Weise und in vielen Lebensbereichen eine wichtige sozi-
ale Funktion . Der Sport mit seinem integrativen Charak-
ter hilft dabei, Vorurteile abzubauen, Werte zu vermitteln
und zu integrieren . Sport baut Brücken zwischen Men-
schen unterschiedlichster sozialer und kultureller Her-
kunft .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gerade für Kinder und Jugendliche trägt der Sport we-
sentlich zum Erlernen von sozialer Kompetenz bei . Da-
her ist es auch in Zukunft notwendig, dass wohnortnahe
Sportstätten flächendeckend in Deutschland vorhanden
sind . Der Sport darf nicht aus den Innenstädten verdrängt
werden .

Der Modernisierungs- und Sanierungsbedarf für
Sportstätten in Deutschland ist enorm . Viele Anlagen
sind mehrere Jahrzehnte alt und ähnlich wie Schulen
entsprechend marode . Umso erfreulicher ist es, dass wir
Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten uns in den
aktuellen Haushaltsverhandlungen damit durchsetzen
konnten, dass es ein 100-Millionen-Euro-Investitions-
programm geben wird .


(Beifall bei der SPD)


Sportvereine haben die Möglichkeit, sich um einen Zu-
schuss für solche Investitionen zu bewerben .

Nicht nur der Zustand der Sportstätten schafft Proble-
me, sondern auch der sogenannte Sportlärm . Wir haben
Verständnis für die Anwohner von Sportanlagen . Nur
haben auch die Sportler ein Recht auf Ausübung ihrer
Aktivitäten . Für beide Seiten des Zauns werden wir noch
in dieser Legislaturperiode klare Regeln schaffen. Die
Berücksichtigung von spielenden Kindern und die Ak-
zeptanz von Kinderlärm müssen ein Teil der Verordnung
sein .

An dieser Stelle möchte ich den rund 2 Millionen Men-
schen in Deutschland danken, die sich in ihren Sportver-
einen freiwillig engagieren; denn ohne sie hat der Sport
und haben die Vereine keine Chance, zu überleben . Sie
leisten mit ihrem Engagement einen unentbehrlichen
Beitrag für unser funktionierendes Gemeinwesen . Viele
Bereiche des öffentlichen und sozialen Lebens würden
ohne die insgesamt 30 Millionen Ehrenamtlichen in die-
sem Land kaum mehr existieren .

Der Sportbericht endet mit dem Jahr 2013 . Seitdem
hat sich vieles in diesem Land verändert . In den letzten
Jahren ist es in Deutschland leider wieder salonfähig ge-
worden, mit Stammtischparolen über Minderheiten zu
urteilen und zu hetzen . Der Schutz aller Menschen vor
Rassismus und Diskriminierung ist für uns Sozialdemo-
kratinnen und Sozialdemokraten und für die Bundesre-
gierung ein Ziel von herausragender Bedeutung .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Für uns auch! – Beifall bei der SPD und der LINKEN)


– Für die Linke und für die Grünen garantiert auch . Dan-
ke, André .

Akzeptanz und Respekt sind die Grundbedingungen
für ein friedliches Zusammenleben . Daher begrüßen wir
es außerordentlich, dass das Bundesfamilienministeri-
um und unsere Ministerin Manuela Schwesig die Mit-
tel für das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ auf
über 100 Millionen Euro aufgestockt haben . Mit diesen
Mitteln sollen auch soziale Projekte des Amateursports
unterstützt werden. Ich finde es wichtig, den braunen
Hetzern aus der rechten Ecke die rote Karte zu zeigen .
Deutlich wurde dies im Fall des FC Ostelbien Dornburg
aus Sachsen-Anhalt, der überregional für Aufsehen sorg-
te . Die Spieler nutzten das Spielfeld, um ihre menschen-
verachtende Ideologie zu verbreiten, die sie auch unter
Anwendung von körperlicher Gewalt verteidigten . Zum
Glück hat der Landessportbund den Naziverein vom
Spielbetrieb ausgeschlossen .


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie des Abg . Eberhard Gienger [CDU/CSU])


Ein weiteres trauriges Beispiel stammt hier aus Berlin .
Im August 2015 musste ein Spiel mit dem jüdischen Fuß-
ballverein TuS Makkabi aufgrund von antisemitischen
Äußerungen abgebrochen werden . Das, meine Damen
und Herren, ist ein echtes Trauerspiel .


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Leider sind in den letzten Jahren nicht nur braune Het-
zer wieder am Spielfeldrand aufgetaucht, sondern auch
der Sport selbst hat für negative Nachrichten gesorgt: Do-
ping, Korruption und Wettbetrug . Neben den unzähligen
Korruptionsvorwürfen im Fußball war es wieder einmal
das Thema Doping, das den Sport nicht losgelassen hat .
Meine Fraktion hat fast ein Vierteljahrhundert für ein An-
ti-Doping-Gesetz gekämpft . In dieser Wahlperiode haben
wir dieses Gesetz in der Großen Koalition beschlossen .
Seit über einem Jahr machen sich deutsche Sportler nun
strafbar, wenn sie verbotene Substanzen einnehmen oder
besitzen . An den ersten Strafbefehlen gegen zwei Ringer
zeigt sich, dass bei uns leider weiterhin gedopt wird und
die Schaffung einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft in
Deutschland vielleicht nötig ist .

Ein weiteres dunkles Kapitel im Sport ist das Ausmaß
von sexualisierter Gewalt . Ein Drittel der im Rahmen
einer in Deutschland durchgeführten Studie befragten
Sportlerinnen und Sportler hat schon einmal eine Form
von sexualisierter Gewalt im organisierten Sport erfah-
ren . Daher ist es dringend notwendig, an den bestehen-

Michaela Engelmeier






(A) (C)



(B) (D)


den Regelungen zum erweiterten Führungszeugnis zum
Schutz von Kindern und Jugendlichen festzuhalten .


(Beifall bei der SPD – Eberhard Gienger [CDU/CSU]: Aber unbürokratisch!)


Damit machen wir uns nicht nur Freunde . Ein Aufwei-
chen der Vorschriften, wie es von vielen Vereinen und
Verbänden mit Hinweis auf zu viel Bürokratie gefordert
wird, kommt für mich, kommt für uns aber nicht infrage .
Ich sage Ihnen eines: Der Schutz der Kinder sollte über
allem stehen . Die Abfrage eines erweiterten Führungs-
zeugnisses sollte landesweit zur verpflichtenden Perso-
nalpolitik der Vereine gehören .

Am Ende meiner Rede möchte ich ganz kurz auf die
wunderbaren Schulsportwettbewerbe „Jugend trainiert
für Olympia“ und „Jugend trainiert für Paralympics“
kommen .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die wollten Sie als GroKo wegstreichen!)


– Nein, wir nicht, lieber Özcan .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Ja, ja! Aber eure Regierung!)


Das ist falsch, wie du weißt .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich! Bleiben wir mal bei der Wahrheit! Gestrichen habt ihr sie!)


Wir Sozialdemokraten haben, wie übrigens auch die Uni-
on, daran mitgewirkt, dass sie erhalten bleiben . Betreiben
wir hier mal keine Geschichtsklitterung!

„Jugend trainiert für Olympia“ feiert bald sein 50-jäh-
riges Bestehen . Bis heute haben über 800 000 Schüle-
rinnen und Schüler an diesem Wettbewerb teilgenom-
men . Das ist ein riesiger Erfolg, den es auch in Zukunft
zu unterstützen gilt . Das Gleiche gilt übrigens für die
Förderung von nichtolympischen Sportverbänden . Die
Entscheidung, die fünf nichtolympischen Sportarten
Base ball/Softball, Karate, Skateboard, Surfen sowie
Sportklettern ins Programm der Olympischen Spie-
le 2020 in Tokio aufzunehmen, unterstreicht die Sport-
vielfalt und die möglichst breite Förderung in Deutsch-
land . Es zeigt sich also: Sport muss langfristig gedacht
werden, Sport bewegt, und Sport verbindet .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Eberhard Gienger [CDU/CSU])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1821210100

Der Kollege Özcan Mutlu spricht jetzt für Bündnis 90/

Die Grünen .


Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821210200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst

einmal zu Ihnen, liebe Kollegin Engelmeier: Ihre Bun-
desregierung


(Michaela Engelmeier [SPD]: Ich bin nicht die Bundesregierung!)


wollte 2013 „Jugend trainiert für Olympia“ und „Jugend
trainiert für Paralympics“ streichen . Dank des Drucks
von unten, vieler, vieler engagierter Menschen und auch
der Opposition wurde dieser Ansatz wieder in den Haus-
halt aufgenommen .


(Jeannine Pflugradt [SPD]: Das ist unwahr!)


So viel zur Wahrheit .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1821210300

Herr Kollege Mutlu, dürfte ich Sie bitten, das Sakko

zuzuknöpfen, damit die Aufschrift auf Ihrem Oberteil
nicht zu sehen ist?


Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821210400

Ja, das habe ich schon gemacht, Herr Präsident . Das

sollte zwar möglich sein; aber ich erfülle Ihnen diesen
Gefallen gerne, weil es der Hausordnung entspricht .

Fast die Hälfte der Bundesbürgerinnen und Bundes-
bürger treibt regelmäßig Sport . Etwa 27 Millionen Men-
schen sind in unserem Land in Sportvereinen organisiert .
Es gibt über 90 000 Sportvereine, in denen sich Tausende
Menschen ehrenamtlich engagieren . Sport trägt zu einem
guten Miteinander bei und stärkt den Zusammenhalt in
der Gesellschaft .

Nichts bringt Menschen unabhängig von Herkunft,
Kultur, Sprache und Religion so erfolgreich zusammen
wie der Sport . Der Sport hat eine große integrative und
inklusive Kraft . Diese ist für unsere Gesellschaft beson-
ders in schwierigen Zeiten wie diesen von unschätzbarer
Bedeutung .

Diesen Schatz müssen wir durch eine gute und zeitge-
mäße Sportpolitik bewahren . An dieser Stelle möchte ich
mich bei den vielen Sportvereinen und den Tausenden
Ehrenamtlichen bedanken, die sich tagein, tagaus für un-
sere Gesellschaft engagieren und ein tolles Engagement
für die Integration der vielen geflüchteten Menschen ge-
zeigt haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN und des Abg . Eberhard Gienger [CDU/CSU])


Meine Damen und Herren, in Zeiten, in denen Gi-
gantismus, Korruption, Betrug, Doping und reines Ge-
winnstreben im Sport und besonders im Spitzensport
unvorstellbare Ausmaße annehmen, wird aber auch deut-
lich: Der Sport hat tiefgreifende Probleme . Oft sind es
die Sportfunktionäre und die Sportverbände selbst, die
die Ideale des Sports opfern und verraten .

Von guter Sportpolitik erwarten wir hingegen, dass
sie den Sport und die Verbände dabei unterstützt, die ge-
nannten Probleme anzugehen und zu lösen . Wir Grüne
sprechen uns ohne Frage auch für die Autonomie des
Sports aus, doch an der Stelle, an der bei der Vergabe
von Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen die
Gewinnmaximierung vor Menschen- und Bürgerrechten
steht, die Medaillenmaximierung wichtiger als Doping-
prävention und Gesundheit ist, Individualinteressen vor

Michaela Engelmeier






(A) (C)



(B) (D)


Good Governance, Integrität und Fairness stehen, sagen
wir Nein und ziehen die rote Karte .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn die Strukturen des Sports versagen, müssen wir
als Politik reagieren und klare Zeichen setzen . Wir Grüne
haben mit unserer Drucksache 18/3556 unser Konzept
für eine nachhaltige Sportpolitik im Deutschen Bundes-
tag vorgelegt . Gute Sportpolitik signalisiert nämlich den
Sportverbänden, dass wir nicht einverstanden sind, wenn
Sportgroßveranstaltungen an Länder vergeben werden,
in denen die Regime die Menschenrechte mit Füßen tre-
ten, oder wenn dadurch die Natur oder die Umwelt zer-
stört werden . Wir brauchen klare und verbindliche Re-
geln für Sportgroßveranstaltungen, damit die Einhaltung
von Menschen- und Bürgerrechten sichergestellt ist und
damit Umweltstandards als harte Vergabekriterien nicht
übergangen werden können .

Hierbei sind natürlich die Verbände, aber auch die Po-
litik gefordert . Wir brauchen Verbandsstrukturen, die In-
transparenz, Korruption und Betrug nachhaltig bekämp-
fen und verhindern . Zugleich brauchen wir endlich ein
weltweit funktionierendes Antidopingsystem .

Hierzu möchte ich anmerken, dass Sie – damit meine
ich die Große Koalition und auch den Sportminister – mit
der geplanten Spitzensportreform, die nur auf Medaillen
und Finalplätze abzielt, genau das gegenteilige Signal
insbesondere beim Doping senden .

Der Sportphilosoph Professor Dr . Gunter Gebauer
hat in der Ausschussanhörung zum Thema gesagt – ich
zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident –: Wir laufen
Gefahr, uns in einer unerfreulichen Nachbarschaft wie-
derzufinden. – Er hat recht: siehe Russland, siehe Staats-
doping in Russland .

Wir sagen: Mit der geplanten Spitzensportreform
schaden Sie dem deutschen Spitzensport mehr, als Sie
ihm helfen . So lautet auch die breite Kritik der Exper-
tinnen und Experten, der Athletinnen und Athleten, der
Trainerinnen und Trainer . Der Breitensport, auch wenn
er hier in Reden genannt worden ist, existiert für Sie
überhaupt nicht . Gute Sportpolitik aber führt eine brei-
te gesellschaftliche Debatte um gemeinsame Ziele, um
gemeinsame und verbindliche Maßnahmen für eine
langfristig ausgerichtete moderne Entwicklung des Spit-
zensports und des Breitensports . Sie vernachlässigt den
Breitensport nicht .

Das, meine Damen und Herren, passiert bei Ihnen
nicht . Wir sagen: Da muss mehr gemacht werden . Gute
Sportpolitik ist eben auch Integration und Inklusion, Ju-
gendschutz und Ehrenamt, Umweltschutz, Gesundheits-
förderung und der Schutz von Menschenrechten . Hierbei
müssen wir gemeinsam mit dem Sport diese Aufgabe
annehmen .

Ich möchte an Sie alle appellieren: Im Sportbericht
der Bundesregierung sind viele richtige Ansätze enthal-
ten . Setzen wir uns gemeinsam dafür ein und ziehen wir
die richtigen Schlüsse daraus, damit wir nicht jedes Jahr
bzw . bei jeder Präsentation eines Sportsberichtes hier ste-
hen und die Missstände beklagen müssen . Nicht Klagen,
sondern Taten sind gefordert .

Danke sehr .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1821210500

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Eberhard

Gienger .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Eberhard Gienger (CDU):
Rede ID: ID1821210600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der 13 . Sportbericht der Bundesregierung dokumentiert
eindrucksvoll die unzähligen Maßnahmen der Bundesre-
gierung, um die Sportentwicklung in Deutschland weiter
voranzubringen . Im Internet ist auf ungefähr 140 Seiten
nachlesbar, auf welcher Grundlage und vor allem durch
welche Initiativen der Sport durch die Bundesregierung
gefördert wird .

Für den zurückliegenden Zeitraum von 2010 bis 2013
lässt sich jedenfalls eine beachtliche Erfolgsbilanz auf-
stellen . Hier sind zum Beispiel die Spitzensportförderung
von Athleten mit und ohne körperliche Behinderung, die
Traineroffensive, die duale Karriere, die Bekämpfung
von Doping sowie von Spiel- und Wettmanipulationen,
der Gesundheitssport, der Sportstättenbau, der Kinder-
und Jugendsport und vieles mehr zu nennen .

Mit Blick auf das Kompendium fällt sofort auf, dass
beinahe jedes Bundesministerium den Sport entspre-
chend seiner Zuständigkeit fördert, und zwar zu Recht .
Hierdurch zeigt sich vor allem eines: Der Sport leistet
in nahezu allen Gesellschaftsfeldern einen wertvollen
Beitrag und nimmt in diversen Lebensbereichen eine ge-
wichtige Rolle ein .

Der Sport bedeutet naturgemäß Training, Bewegung,
Aktivsein, Zusammenhalt, Integration, aber eben auch
Leistung, Fairplay, Miteinander – das ist im Übrigen das
Motto der Deutschen Sporthilfe –, Gesundheit, Wohl-
befinden, soziale Teilhabe, Gestaltung, Bildung, Werte-
vermittlung, Demokratie, Gleichstellung, Umwelt- und
Klimaschutz und internationale Zusammenarbeit und
Verständigung . Özcan, daran kannst du erkennen, dass
wir im Sportbericht sehr wohl auch den Breitensport be-
rücksichtigen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Papier ist geduldig!)


Die positiven Wirkungen des Sports für unsere Ge-
sellschaft sind vielfältig und unbestritten, und vor allem
rechtfertigen sie eine solide Förderung durch den Bund .

Der Sportbericht bietet neben der Retrospektive einen
Ausblick auf die Ziele, die wir uns vonseiten der Koali-
tion zu Beginn der 18 . Legislaturperiode gesetzt haben .
Der Sportbericht ist also weiterhin aktuell und zeigt, dass
die Union ihre Versprechen gehalten hat . Der von der
Union eingebrachte Entschließungsantrag zeigt darüber
hinaus, dass wir sprichwörtlich am Ball bleiben, neue
Entwicklungen sehr wohl aufgreifen und Herausforde-
rungen annehmen .

Özcan Mutlu






(A) (C)



(B) (D)


Die sportpolitischen Ziele im Koalitionsvertrag wur-
den demnach entweder bereits erreicht, oder die entspre-
chenden Maßnahmen befinden sich in der finalen Ab-
stimmung .

Zudem hat sich die Union nicht nur den Sonnensei-
ten, sondern auch den Schattenseiten zugewandt . Zu den
wichtigsten Ergebnissen zählen hier die Verabschiedung
des Anti-Doping-Gesetzes, das seit dem 1 . Januar 2016
in Kraft ist, das Gesetz gegen Spielmanipulation und
Wettbetrug, das noch in dieser Legislaturperiode verab-
schiedet werden soll, und der Entschädigungsfonds für
die Opfer des DDR-Zwangsdopings, der immerhin mit
10,5 Millionen Euro ausgestattet ist .


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schön, dass Sie das jetzt auch endlich so sehen! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schön, dass ihr das endlich einmal akzeptiert habt!)


Im Bereich des Rehabilitationssports kann das Prä-
ventionsgesetz, das 2015 ins Leben gerufen wurde, als
große Chance verstanden werden, um Krankheiten vor-
zubeugen und/oder die Gesundheit zu erhalten . Ziel ist
es, Training auf Rezept erhalten zu können . Die Kran-
kenkassen sollen und wollen ihr Engagement im Bereich
der Prävention in jedem Fall stark ausbauen, und ich
kann nur unterstreichen, dass zielgerichtete körperliche
Bewegung und entsprechendes Training manchmal bes-
ser sind als Pillen .

Natürlich zählt zum Bereich des Sports auch die För-
derung einer adäquaten Infrastruktur . Den Sanierungs-
stau konnten wir durch das Programm des Umweltmi-
nisteriums für die kommunalen Bereiche Sport, Jugend
und Kultur mindern . Immerhin sind hier 100 Millionen
Euro eingebracht worden . Mich freut sehr, dass dieses
Programm eine Fortsetzung findet.

Die Sportvereine werden ferner von einer deutlichen
Flexibilisierung bei den Lärmschutzbestimmungen profi-
tieren . Gerade für Kinder und Jugendliche wollen wir er-
reichen, dass auch in Ballungsgebieten ein wohnortnahes
Sporttreiben möglich ist und weiterhin möglich bleibt .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Die Änderungen befinden sich im Umweltausschuss in
der finalen Abstimmung. Ich gehe fest davon aus, dass
die Bundesländer bis zum Sommer zugestimmt haben
werden .

Die Sportvereine haben darüber hinaus einen zentralen
Beitrag geleistet, um Flüchtlingen eine vorübergehende
Unterkunft zu bieten . Die vielen Ehrenamtlichen haben
Integration in den Sportvereinen sprichwörtlich mit Le-
ben gefüllt . Deshalb hat die Union die Mittel für das Pro-
gramm „Integration durch Sport“ auf über 10 Millionen
Euro verdoppelt . Mit einem Sonderprogramm unterstützt
die Bundesregierung in der Flüchtlingshilfe das freiwilli-
ge Engagement . Dafür werden 10 000 zusätzliche Plätze
im Bundesfreiwilligendienst geschaffen.

Die Reform der Spitzensportförderung ist nach inten-
siven Beratungen auf der DOSB-Mitgliederversamm-
lung im Dezember vergangenen Jahres beschlossen

worden . Nun gilt es, dieses Programm Schritt für Schritt
umzusetzen . Wir werden diesen Prozess natürlich sehr
eng begleiten . Dabei stehen die Athleten im Mittelpunkt .

Sie, die Athleten, sollen von der Neuausrichtung pro-
fitieren, und zwar durch nahezu perfekte Rahmenbedin-
gungen . Dies schließt eine deutliche Verbesserung der
Trainersituation mit ein . Denn die Trainer sind es, die ne-
ben den Athleten in ihrer zentralen Schlüsselposition den
sportlichen Erfolg garantieren . Das Duo Trainer–Athlet
muss arbeiten können . Alle anderen in ihrem Umfeld ha-
ben dafür zu sorgen, dass dieses Duo gut arbeiten kann .

Leider wurde ein Punkt – bewusst oder unbewusst –
immer wieder falsch verstanden . Wer sich die Attribute
in der Potenzialanalyse näher anschaut, kann erkennen,
dass es sich hierbei nicht nur um künftige Erfolgsaus-
sichten handelt, sondern vor allem darum, die Arbeit der
Verbände und der Aktiven zu objektivieren . Nochmals:
Die Athleten stehen bei uns im Mittelpunkt . Alle anderen
in ihrem Umfeld haben dafür zu sorgen, dass die Athleten
und die Trainer arbeiten können .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer es glaubt, wird selig!)


Im Übrigen ist die Interessenvertretung der Athleten –
das als Randbemerkung –, die Sie anstreben, wichtig und
wird von uns auch entsprechend unterstützt .

Unser Entschließungsantrag zum Sportbericht sieht
weitere Aspekte zum Leistungssport vor: Unter anderem
soll die Sportwissenschaft stärker einbezogen werden .
Die Potenziale der Digitalisierung und Technisierung
wollen wir bei der Förderung des Spitzensports besser
nutzen und vor allem mit dem IAT und FES weiter voran-
bringen . Die nichtolympischen Verbände mit einer Aus-
sicht auf Aufnahme ins olympische Programm werden
frühzeitig gefördert .

Mit einer Erhöhung von 5,2 Millionen Euro im Sport-
haushalt 2017 haben wir schon einmal ein Zeichen ge-
setzt . Den Olympianeulingen – wie gerade angeführt:
Baseball/Softball, Karate, Sportklettern, Skateboard und
Surfen – werden immerhin 3 Millionen Euro zur Verfü-
gung gestellt . Der Behindertensportverband erhält zu-
sätzlich 1,5 Millionen Euro, die im Übrigen nicht allein
von der SPD bewilligt wurden, sondern zusammen mit
uns beschlossen wurden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dies wird schließlich dazu führen, dass die Inklusion
und die Professionalisierung in diesem Verband weiter
vorangetrieben werden . Zur Einrichtung der sogenann-
ten PotAS-Kommission hat das Parlament immerhin
700 000 Euro zur Verfügung gestellt .

Wie durch unseren Sportminister Thomas de Maizière
angekündigt, werden wir uns gerade in der Übergangs-
phase 2017 für eine deutliche Erhöhung der Fördermit-
tel einsetzen . Nur durch die Reformen, die Investitionen
und schließlich auch die Konzentration auf die Athleten
werden wir an die bisherigen Erfolge im Spitzensport
anschließen können . Vielleicht können wir diese sogar
etwas verbessern .

Eberhard Gienger






(A) (C)



(B) (D)


Nun zum Abschluss noch eine Bemerkung, die mir
wichtig ist . Die Sportwelt steht naturgemäß nicht still,
und dies leider nicht nur im positiven Sinne . Das sys-
tematische Staatsdoping in Russland, durch den McLa-
ren-Bericht untermauert, aber vielleicht auch in anderen
Nationen untergräbt das Vertrauen in den Sport und ver-
kehrt die Werte von einem fairen Wettbewerb ins Gegen-
teil .

Ich glaube, nur dann, wenn das IOC deutlich gegen-
steuert und zusammen mit der internationalen Anti-Do-
ping-Agentur eine Nulltoleranzpolitik verfolgt, kann das
verlorengegangene Vertrauen wieder zurückgewonnen
werden . Wenn ganze Sportarten oder Nationalmann-
schaften dopingverseucht sind, dann sind meiner Mei-
nung nach auch Kollektivstrafen durchaus zu rechtferti-
gen, um die sauberen Sportler und den sauberen Sport zu
schützen .

Wir jedenfalls werden alles daransetzen, die sauberen
Athleten und den fairen Wettbewerb zu schützen, natio-
nal wie international .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1821210700

Zum Abschluss in dieser Aussprache hat die Kollegin

Jeannine Pflugradt für die SPD das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Jeannine Pflugradt (SPD):
Rede ID: ID1821210800

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Werte Gäste! Sie bieten dort oben auf der Tri-
büne ein besonders schönes Bild . Herzlich willkommen!


(Beifall des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE])


Um eine dauerhafte Spitzenposition im internationa-
len Sport einzunehmen, bedarf es eines effektiven För-
dersystems, dessen Wirksamkeit sich nicht allein anhand
der Höhe der bereitgestellten finanziellen Mittel messen
lässt . Die deutsche Spitzensportförderung hat einen hu-
manen Anspruch und muss auch nach der sportlichen
Laufbahn Verantwortung für ihre Athletinnen und Athle-
ten übernehmen . Deshalb muss die Förderung der dualen
Laufbahn hierzulande eine besondere Stellung einneh-
men .

In richtiger Abstimmung miteinander verstärken sich
Spitzensport und Berufs- bzw . Bildungslaufbahn gegen-
seitig . Das belegen nicht nur die guten Ergebnisse unse-
rer Athleten, sondern auch zahlreiche wissenschaftliche
Studien .

Besondere Anerkennung kann die Spitzensportför-
derung des Bundes für sich beanspruchen: Athletinnen
und Athleten der Bundeswehr, der Bundespolizei und des
Zolls haben außerordentlich erfolgreich an Olympischen
Spielen und an Weltmeisterschaften teilgenommen, und
sie haben auch nach ihrer sportlichen Laufbahn eine gute
Berufsperspektive im öffentlichen Dienst.

Aber nicht jedes Talent möchte diesen Weg einschla-
gen . Erfolgsentscheidend dabei ist also, ob einer indi-
viduell für die Athletin oder den Athleten entwickelten
ganzheitlichen Strategie gefolgt wird . Eine solche Stra-
tegie sollte sich stark an den Wünschen, Zielen und Be-
dürfnissen der Nachwuchsathletinnen und -athleten ori-
entieren .


(Beifall bei der SPD)


Besonders wichtig ist die Zeit nach dem Schulabschluss .
Für die Jugendlichen müssen sich in dieser wichtigen
Umbruchphase aussichtsreiche Perspektiven für ein Le-
ben mit und nach dem Spitzensport eröffnen.

37 Prozent der Athletinnen und Athleten beenden
ihre sportliche Laufbahn vorzeitig aufgrund ihres Stu-
diums oder ihrer beruflichen Karriere. Wenn deswegen
eine Entscheidung gegen den Spitzensport und für die
berufliche Laufbahn gefällt wird, dann müssen wir doch
darüber nachdenken, die Rahmenbedingungen für duale
Laufbahnen zu verbessern .

Die Koalitionsfraktionen haben den Handlungsbedarf
erkannt und sich im Koalitionsvertrag auf Seite 137 ver-
pflichtet, für eine bessere Vereinbarkeit des Studiums,
der Ausbildung und des Berufes mit dem Spitzensport
einzusetzen . Deshalb müssen wir gemeinsam mit dem
Deutschen Olympischen Sportbund und den Bundes-
ländern die in Potsdam beschlossene Neuausrichtung
der „Eliteschulen des Sports“ zur Entlastung der jungen
Athletinnen und Athleten sowie zur Flexibilisierung der
schulischen Leistungsanforderungen vorantreiben .

Das Gleiche gilt natürlich auch für studierende Spit-
zensportler . Wir müssen mit den Bundesländern auf
die bundesweit flächendeckende Einführung von Pro-
filquoten für einen erleichterten Hochschulzugang der
Athletinnen und Athleten in allen Bachelor- und Mas-
terstudiengängen hinwirken, und in Zeiten des digitalen
Fortschritts muss über eine Flexibilisierung der Studien-
gänge durch mehr E-Learning-Angebote, weniger Prä-
senzpflicht, mehr Blockunterricht, ein größeres Angebot
an Fernstudiengängen und eine Verringerung der örtli-
chen Bindung bei der Ableistung von Prüfungen nachge-
dacht werden . Ich denke, dass die Aufhebung des Koope-
rationsverbotes im Bereich Bildung auch hier von Vorteil
ist, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Dr . André Hahn [DIE LINKE])


Bedauerlicherweise sind mir im Zuge der Neuausrich-
tung der Spitzensportförderung zu viele Fragen um das
Thema „Duale Karriere“ bei Spitzensportlern


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie sind ja Zentralistin!)


– Herr Kauder, hören Sie doch einfach weiter zu – offen
geblieben .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Die Berliner wollen auch noch etwas machen!)


Das Konzeptpapier enthält weitgehend oberflächliche
sowie vage Informationen und nur wenig Durchschla-
gendes in diesem Bereich . Athleten in den Mittelpunkt

Eberhard Gienger






(A) (C)



(B) (D)


des Förderkonzepts zu stellen, bedeutet nicht nur, sie in
bestimmte Fördercluster einzuordnen, sondern auch, sie
als Menschen mit außergewöhnlichen sportlichen sowie
gesellschaftlichen Leistungen zu betrachten . Ein prakti-
kables sowie funktionelles Nebeneinander beider Lauf-
bahnen ist für jeden Athleten unermesslich und steigert
die Qualität der Leistung . Bedenken Sie auch, dass unse-
re Kinder Vorbilder brauchen,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ja, ja!)


damit sie erkennen, dass sich sportliche Träume durch
Zielstrebigkeit, Ehrgeiz und fleißiges Training verwirk-
lichen lassen .

Gestatten Sie mir zum Schluss meiner Rede noch ein
paar Worte zum Verdacht des Staatsdopings in Russland .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821210900

Aber wirklich kurz; denn Sie haben Ihre Redezeit

schon überschritten .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Putin und Russland als Vorbilder: Doping bis zur Unterkante!)



Jeannine Pflugradt (SPD):
Rede ID: ID1821211000

Ganz kurz . – Wenn Herr Kauder ruhig wäre, wäre ich

schneller .


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich appelliere an alle internationalen Sportverbände,
bis zur Klärung bzw . endgültigen Aufklärung des in Rede
stehenden Verdachts keine Sportgroßveranstaltungen
mehr nach Russland zu vergeben oder dort stattfinden zu
lassen . Ich beglückwünsche ausdrücklich den Internati-
onalen Bob & Skeleton Verband zu der Entscheidung,
die diesjährigen Weltmeisterschaften von Russland nach
Deutschland, an den Königssee, zu verlegen . Die Verga-
be großer internationaler Sportwettkämpfe sollte auch
immer eine Anerkennung für gute Leistungen sein . Diese
kann ich bei Russland momentan nicht erkennen .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821211100

Vielen Dank, Frau Kollegin Pflugradt. – Zuerst begrü-

ße ich Sie alle und schließe die Aussprache .

Nun habe ich die Ehre, im Namen von Ihnen allen das
Köln-Porzer Dreigestirn auf der Tribüne zu begrüßen . Ich
muss nicht sagen, wo sie sitzen . Das kann man erkennen .


(Beifall)


Ich wünsche Ihnen eine gute Session. Ich hoffe, dass ich
das richtig ausgesprochen habe . Ich komme aus Schwa-
ben, und da kennt man das nicht .


(Beifall)


Wie Sie sehen, freuen wir uns über Ihren wiederholten
Besuch . Sie sind hier herzlich willkommen .

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Sportausschusses zum 13 . Sportbericht
der Bundesregierung . Es handelt sich um die Drucksa-
chen 18/3523 und 18/9748. Der Ausschuss empfiehlt, in
Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzuneh-
men . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/
CSU und SPD . Enthalten haben sich Bündnis 90/Die
Grünen . Dagegen war die Linke .

Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschlie-
ßungsanträge .

Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/10876 . Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt . Zuge-
stimmt hat die Linke . Dagegen war die Große Koalition .
Enthalten haben sich Bündnis 90/Die Grünen .

Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/10893 . Wer stimmt für die-
sen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt .
Zugestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Lin-
ke . Dagegen waren CDU/CSU und SPD .

Wir kommen zum nächsten Tagesordnungspunkt . Ich
rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias
W . Birkwald, Susanna Karawanskij, Sabine
Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Renteneinheit verwirklichen – Lebensleistung
anerkennen

Drucksache 18/10862
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11 . Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Roland
Claus, Matthias W . Birkwald, Caren Lay,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Keine Kumpel zweiter Klasse – Ren-
tenansprüche der Bergleute aus der
DDR-Braunkohleveredlung wahren

– zu dem Antrag der Abgeordneten Roland
Claus, Matthias W . Birkwald, Caren Lay,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Keine Altersarmut von Ost-Kranken-
schwestern – Gerechte Renten für Beschäf-
tigte im DDR-Gesundheits- und Sozialwe-
sen schaffen

Drucksachen 18/7903, 18/8612, 18/10779

Jeannine Pflugradt






(A) (C)



(B) (D)


Zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ar-
beit und Soziales werden wir später zwei namentliche
Abstimmungen durchführen .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich sehe, Sie
sind damit einverstanden .

Da sich alle beruhigt haben, eröffne ich die Aussprache
und gebe das Wort für die Linke Susanna Karawanskij .


(Beifall bei der LINKEN)



Susanna Karawanskij (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821211200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Liebe Gäste! Endlich Renteneinheit? Es
wird beklagt, dass wir als Linke uns immer wieder dieses
Themas annehmen . Ich frage jetzt einmal in die Runde:
Wenn wir es nicht getan hätten, wer hätte dann das The-
ma hier glaubwürdig vorgebracht?


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir von Bündnis 90/Die Grünen, seit Jahren!)


Das tun wir seit 25 Jahren . Ansonsten wäre es tatsächlich
totgeschwiegen worden .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich bin erst seit kurzem die Ostkoordinatorin der
Linksfraktion . Damals, 1991, war ich nicht in Bonn da-
bei . Ich war elf Jahre alt . Die Arbeit meiner Vorgänge-
rinnen und Vorgänger werde ich unermüdlich fortsetzen .
Wir werden weiter vehement für die Anerkennung der
Lebensleistung Ost streiten . Und dazu gehört zuvörderst
eine angemessene Alterssicherung .


(Beifall bei der LINKEN)


Mit dem Antrag, den wir heute neu vorgelegt haben,
knüpfen wir an den Koalitionsbeschluss vom Novem-
ber des vergangenen Jahres an . Ich muss Sie erst einmal
dazu beglückwünschen, dass Sie in der Sache der Anglei-
chung der Rentenwerte Ost an die Rentenwerte West et-
was schriftlich fixiert haben. Links wirkt! Wir verbuchen
das als Ergebnis unseres permanenten parlamentarischen
Drucks . Aber es ist natürlich auch ein Erfolg der jahre-
langen Proteste der Vereine .


(Beifall bei der LINKEN)


Aber wir sind nicht zufrieden; denn die bis zum
Jahr 2025 verzögerte völlige Angleichung des Renten-
wertes sehen wir erneut als Wortbruch an . Und die suk-
zessive Abschaffung der Umrechnung der niedrigeren
Einkommen im Osten ist für uns eine nicht hinnehmbare
Benachteiligung der Beschäftigten dort .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Unsinn)


An die Frau Ministerin Nahles gerichtet – sie ist heute
leider nicht da –, sage ich: Wir haben auch an die Nied-
riglöhner in der Eifel gedacht . Nehmen Sie sich unseres
Antrages an . Sie haben – das habe ich gerade gesagt –
vorgeschlagen, die Ostrenten schrittweise bis zum Jah-
re 2025 anzugleichen . Wir fordern gleiche Rechte für
gleiche Lebensleistung . In diesem Zusammenhang for-

dern wir, einen steuerfinanzierten, stufenweise steigen-
den Zuschlag einzuführen, mit dem der Rentenwert bis
zum 1 . Juli 2018 angehoben wird .


(Beifall bei der LINKEN)


Das bringt der Standardrentnerin bzw . dem Standardrent-
ner 80 Euro mehr .

Weil die Gehälter und Löhne der Vollzeitbeschäftigten
im Osten tatsächlich immer noch um 23 Prozent unter
dem Niveau der westdeutschen Bundesländer liegen,
brauchen wir auch weiterhin die Umrechnung, noch so
lange, bis die Löhne und Gehälter im Osten annähernd
an das Westniveau heranreichen .


(Beifall bei der LINKEN – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag!)


Für die ungelösten Probleme der Rentenüberleitung,
insbesondere für das, was besondere Personengruppen
betrifft, haben wir als Linksfraktion heute kein komple-
xes Paket vorgelegt. Betroffen sind: Eisenbahner, Heb-
ammen, Tänzerinnen, Krankenschwestern sowie Men-
schen, die zu DDR-Zeiten geschieden wurden, aber auch
Familienangehörige, die ihre Berufstätigkeit unterbro-
chen haben, um zu pflegen. Aber wir haben heute zwei
Anträge vorgelegt, mit denen wir sowohl den Bergleuten
der DDR-Braunkohleveredelung als auch den Ostkran-
kenschwestern helfen würden, wenn Sie den beiden An-
trägen zustimmen .


(Beifall bei der LINKEN)


Es macht betroffen: Noch in den 90er-Jahren hatten
1 000 Kumpel Beschwerde eingereicht . Heutzutage sind
es nur noch 383, die trotz hoher Belastung durch ihre Tä-
tigkeit überhaupt noch am Leben sind und aktiv für ihre
Sache streiten. Für die Betroffenen an den anderen Stand-
orten der Braunkohleveredelung sieht es nicht anders aus
als für die von Borna/Espenhain .

Nun werfen uns die Kollegen der SPD vor, wir würden
mit unseren Anträgen vor allen Dingen aus „parteitakti-
schen Gründen“ Hoffnung schüren.


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ach Quatsch!)


Was sagen Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen,
dazu, dass Ihre Landesministerin Petra Köpping den Be-
troffenen gerade zum Jahresstart 2017 versprochen hat,
mit dem Anliegen „mit allem Nachdruck und aller Her-
zenswärme“ nach Berlin gehen zu wollen? Da scheint es
doch wohl ein echtes Problem zu geben .


(Beifall bei der LINKEN)


Die DDR hatte wenig Ressourcen . Deswegen wurde
die Braunkohle abgebaut und, wie es hieß, auch „auf
Teufel komm raus“ veredelt . In Kenntnis der schweren
Arbeitsbedingungen wurden die hier tätigen Kumpel in
der betreffenden DDR-Verordnung denen „unter Tage“
gleichgestellt .

Hier wurde gerade bezweifelt, dass unsere Forde-
rungen – beispielsweise was die Abschaffung des Ab-
schlages für den Rentenbeginn ab dem 60 . Lebensjahr

Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)


betrifft – auch in Bundesrecht umsetzbar sind. Die meis-
ten Betroffenen haben in den vergangenen Jahren wegen
ihres Gesundheitszustandes diesen frühen Rentenbeginn
mit Rentenverlusten in Anspruch genommen .

Wir können das SGB VI und dort § 238 – wenn mich
nicht alles täuscht – tatsächlich nutzen, um eine Rente ab
dem 60 . Lebensjahr für langjährig unter Tage Beschäf-
tigte zu gewähren und in dieser Vorschrift die Bergleute
der DDR-Braunkohleveredelung gleichzustellen . Gleich-
stellungen kennt auch das Bundesrecht, beispielsweise in
§ 134 . Das wäre Ausdruck des politischen Willens . Wenn
wir den hätten, könnten wir das hier ganz schnell umset-
zen .


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821211300

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder

-bemerkung des Kollegen Dr . Rosemann?


Susanna Karawanskij (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821211400

Ich möchte meine Ausführungen gerne weiterführen .


(Thomas Jurk [SPD]: Oh, Überraschung!)


Er kann sich nachher noch äußern . Ich bin ja fast schon
fertig .

Bei den Ostkrankenschwestern ist es tatsächlich kom-
plizierter . Für deren Rente war ein Steigerungsfaktor
von 1,5 Prozent vorgesehen, was das Bundesrecht so
nicht kennt . Aber sie heute damit abzuspeisen, dass man
meint, die Umrechnung der Osteinkünfte – Sie nennen
sie fälschlicherweise immer „Höherwertung“ – wäre ein
Akt, der diese spezielle Lebensleistung anerkennt, ist
blanker Hohn .


(Beifall bei der LINKEN)


Mein Appell an Sie heute ist: Stimmen Sie mit Ihrem
Namen bei den Bergleuten der DDR-Braunkohlevere-
delung und bei den Ostkrankenschwestern unseren An-
trägen zu! Lassen Sie uns endlich vom Bundestag aus
tatsächlich ein Stück weit mehr Gerechtigkeit schaffen!
Es geht um genau das, was auch Sie im Jahresbericht der
Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit mit
beklagt haben und dessen Bereinigung Sie sich selber auf
die Fahnen geschrieben haben .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821211500

Vielen Dank, Susanna Karawanskij . – Nächste Redne-

rin: Jana Schimke für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Jana Schimke (CDU):
Rede ID: ID1821211600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir

beraten heute drei Anträge . Einer davon trägt den Titel
„Renteneinheit verwirklichen – Lebensleistung anerken-
nen“. Ich finde, dieser Titel lässt schon sehr tief blicken.
Wenn man das so liest, könnte man den Eindruck gewin-

nen, es gebe keine Einheit in Deutschland und die Rente
sei ein Zustand von Ungerechtigkeit, den es schnellst-
möglich zu beheben gelte . Das zieht sich – das ist auch
unsere Beobachtung – schon immer, wohlgemerkt, durch
alle rentenpolitischen Initiativen der Linken. Das betrifft
eben nicht nur verschiedene Berufsgruppen aus Zeiten
der DDR, sondern vor allen Dingen auch alle Rentne-
rinnen und Rentner in Ost- und Westdeutschland . Das ist
Ausdruck Ihrer Politik des Schlechtmachens, des Klein-
redens . Sie wollen das, was wir erreicht haben, was wir
auf den Weg gebracht haben, was wir geleistet haben,
worauf wir zu Recht stolz sein dürfen, einfach mal unter
den Teppich kehren .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist so, dass es zu Zeiten der Wiedervereinigung gar
nicht möglich war, die Rente in ganz Deutschland nach
gleichen Maßstäben zu ermitteln . Die DDR war am Ende,
und sie war heruntergewirtschaftet . Man hatte ein Land,
eine Region, eine riesige Fläche mit vielen Menschen
übernommen, wo Rentenansprüche natürlich erworben
wurden . Aber die Frage war: Wo sind denn die Beiträge,
die dem Ganzen gegenüberstehen? Woraus können die
Renten letztendlich finanziert werden?

Man musste sich im Prinzip völlig neue Gedanken
machen, wie man die Systeme dieser beiden Staaten und
die Menschen miteinander vereint und zusammenführt .
Es galt, zwei unterschiedliche Sozialversicherungssys-
teme miteinander in Einklang zu bringen . Ich mag mir
gar nicht vorstellen, wie schwierig es für die Sozialpo-
litikerinnen und Sozialpolitiker der damaligen Zeit ge-
wesen sein muss, das wirklich in einem gerechten Maße
abzubilden . Die größte Herausforderung lag wohl darin,
Gerechtigkeit für die Menschen aus der ehemaligen DDR
im neuen Recht bestmöglich zu verankern . Man muss bei
all dem berücksichtigen, dass es natürlich darum ging,
das Verständnis von Gerechtigkeit auch der Menschen in
den alten Bundesländern zu wahren; denn das sind die-
jenigen, die das Ganze nicht nur damals, sondern auch
heute maßgeblich finanziell mittragen. Ich bin der Über-
zeugung, dass dem mit dem Renten-Überleitungsgesetz
Rechnung getragen wurde .

Wir diskutieren heute nicht nur das Thema der Ren-
tenangleichung Ost und West – genauer genommen ist
es eigentlich die Angleichung der Rentenwerte und nicht
der Renten; auch das gehört zur Wahrheit –, sondern es
geht heute natürlich auch einmal mehr um Berufsgrup-
pen aus Zeiten der DDR, um Beschäftigte des Gesund-
heitswesens, um die Krankenschwestern, aber auch um
die Beschäftigten in der Karbochemie . Wenn ich mich
mit solchen Fällen intensiver auseinandersetze, natürlich
auch mit den vielen anderen Berufsgruppen, die es in der
DDR gab – sie gehören heute zu jenen, die ihre Ansprü-
che einfordern und klagen –, dann bin ich immer wieder
erschrocken, wie der real existierende Sozialismus, wie
die DDR mit ihren Beschäftigten umgegangen ist . Da
wurde eine Besserstellung im Rentenrecht etabliert mit
der Begründung, dass die Löhne so schlecht seien . Was

Susanna Karawanskij






(A) (C)



(B) (D)


ist das, bitte schön, für ein Verständnis von Gerechtig-
keit, etwa hinsichtlich der Rente im Alter?


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ein gutes!)


Unser Recht heutzutage folgt der Auffassung, dass ei-
ner Rente immer auch Beiträge gegenüberstehen müssen .
Das ist letztendlich die Herausforderung, die Schwierig-
keit, die uns auch in dieser Debatte immer wieder be-
gegnet, wenn wir diese Fälle diskutieren . Ich kann Ih-
nen wahrlich sagen, dass wir uns in den letzten Jahren
sehr häufig und vor allen Dingen auch sehr intensiv mit
diesen Schicksalen, mit diesen Menschen, diesen Berufs-
gruppen auseinandergesetzt haben . Aber es geht – das
ist das Schwierige an Politik – eben nicht darum, die –
möglicherweise berechtigten – Interessen Einzelner ab-
zubilden, sondern es geht immer darum, das große Gan-
ze im Blick zu haben, dafür geradezustehen und das zu
verteidigen – und das auch 26 Jahre nach der deutschen
Wiedervereinigung .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821211700

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder

-bemerkung des Kollegen Birkwald?


Jana Schimke (CDU):
Rede ID: ID1821211800

Ich würde gerne erst einmal fortfahren, vielen Dank .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821211900

Gut .


Jana Schimke (CDU):
Rede ID: ID1821212000

Meine Damen und Herren, der Hochwertungsfaktor –

das ist ein anderer Punkt im Bereich der Renten in Ost-
und Westdeutschland, von dem natürlich insbesondere
die Rentner in den neuen Ländern profitieren –, mit dem
die ostdeutschen Löhne für die Berechnung der Rente
heute hochgerechnet werden, ist eine Besonderheit der
neuen Länder, von der die Menschen eben auch bis heute
profitieren. Weil wir wissen, dass ein Zustand des Über-
gangs auch irgendwann beendet sein sollte, treibt uns
natürlich um, wie wir solch eine Lösung vernünftig und
generationengerecht umsetzen können – und das schon
seit langem . Damit meine ich nicht das Wunschkonzert
der Linken,


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: „Wunschkonzert“! Ach, Frau Kollegin!)


sondern vernünftige Lösungen, die alle Menschen und
alle Generationen in Deutschland im Blick behalten .
Vielleicht ist das auch eine Erklärung dafür, warum die
Schaffung einheitlicher Maßstäbe bei der Rentenberech-
nung in Ost und West zum nunmehr dritten Mal im Koa-
litionsvertrag steht .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Drittes Mal! Ein viertes Mal wird auch noch kommen!)


Auch das, denke ich, kann man an dieser Stelle einmal
bemerken .

Ich denke aber auch, dass es an der Zeit ist, hier ak-
tiv zu werden, aber nicht deshalb, weil es gilt, einen Zu-
stand von Ungerechtigkeit zu beenden, so wie es von
Ihnen immer wieder dargestellt wird, sondern weil es der
Wunsch der Menschen ist . Die Rente ist ein Thema, das
jeden in Deutschland bewegt . Ich glaube, es gibt nicht
viele Themen, die mit so vielen Emotionen debattiert
werden . Schließlich geht es um etwas, was jeden von uns
betrifft. Rente ist nun einmal Ausdruck von geleisteter
Arbeit und damit auch von Lebensleistung . So können
sicher alle Abgeordneten – nicht nur die aus den neuen
Bundesländern, sondern auch die aus den alten Bundes-
ländern – bestätigen, dass die Frage der Rente in Ost und
West Gegenstand vieler Gespräche ist .

Ich möchte an dieser Stelle aber auch eines einmal
ganz deutlich sagen – das sage ich als jemand, der sei-
ne erste Legislatur im Deutschen Bundestag erlebt –: Ich
finde es bedauerlich, dass es in den letzten 26 Jahren of-
fenbar nicht ausreichend gelungen ist, den Menschen die
Vorzüge und Vorteile des geltenden Rentenrechts zu ver-
deutlichen . Im Rentenwert Ost von aktuell 94,1 Prozent
sehen einige leider bis heute nicht das, was er ist: eine
statistische Größe, nicht mehr und nicht weniger . Zu-
sammen mit anderen Faktoren wie dem Hochwertungs-
faktor entsteht eine Rente, die 40 Jahre Misswirtschaft
und einen maroden Staat eben nicht abbildet, sondern
stattdessen für ein Rentnerdasein in Würde sorgt . Die-
se 94,1 Prozent werden leider nicht als etwas betrachtet,
was wir gemeinsam in einem Akt höchster innerdeut-
scher Solidarität erreicht haben . Der Rentenwert Ost,
meine Damen und Herren, wird zu Unrecht als Ausdruck
von Diskriminierung gesehen, und daran trägt die Linke
eine maßgebliche Mitverantwortung .


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Haha! Geht’s noch?)


In Ihrem Antrag fordern Sie die Angleichung der Ren-
tenwerte Ost und West in zwei Schritten in nicht einmal
zwei Jahren . Dafür wollen Sie die Steuerzahler kurzfris-
tig in Milliardenhöhe belasten .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach! Und Sie?)


Wenn das der Zeithorizont ist, mit dem Sie Politik betrei-
ben, dann spricht das wahrlich nicht für Sie .


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Die 6 Milliarden können wir gleich rüberschieben! Das Geld ist doch da! – Zuruf von der CDU/CSU: Herr Schäuble will die Beitragszahler entlasten! – Gegenruf des Abg . Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagt die Union! Sie belasten die Steuerzahler auch mit Ihren Plänen! Der generationengerechte Jens Spahn!)


Zeitgleich – das ist das Scheinheilige an Ihrem Vor-
schlag – sollen die Löhne für die Rente im Osten wei-

Jana Schimke






(A) (C)



(B) (D)


ter künstlich hochgewertet werden, bis man in Ost- und
Westdeutschland dasselbe verdient .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man lässt die westdeutschen Beitragszahler bluten!)


Ich glaube, jeder von Ihnen hat schon einmal etwas
davon gehört, dass es Einkommensunterschiede nicht
nur zwischen Ost und West gibt, sondern auch zwischen
Nord und Süd und vielen Regionen . Das wird auch im-
mer so sein . Die Welt ist bunt, und wir werden nie ein
Land schaffen, in dem man überall dasselbe verdient. Es
wird immer leistungsstarke und weniger leistungsstarke
Regionen geben . Ich glaube, das Ideal, dem Sie hinter-
herlaufen, werden Sie nie erreichen, und das wird es
nicht geben . Das kann auch nicht unser Ziel sein . Schon
deshalb ist eine Beibehaltung des Hochwertungsfaktors
nicht gerechtfertigt . Eine Vereinheitlichung rentenrecht-
licher Unterschiede, die wir ja nun immer noch haben,
muss deshalb auch mit der Abschaffung rentenrechtlicher
Privilegien einhergehen .


(Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Das ist unsere Aufgabe, gleiche Wertigkeit zu schaffen!)


Es war immer klar, dass eine Angleichung natürlich
auch den Abbau des Hochwertungsfaktors zur Folge hat;
das muss man ganz klar sagen . Angleichung bedeutet
nicht, dass man sich das Beste heraussucht und Unter-
schiede fortbestehen lässt .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Hier dürften auch verfassungsrechtliche Bedenken ent-
gegenstehen, und deshalb lehnen wir diese Vorschläge
ab .

Klar ist aber auch, dass eine Angleichung den ostdeut-
schen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht zum
Nachteil gereichen darf. Sie profitieren aktuell noch vom
Hochwertungsfaktor . Dass hier kein Nachteil entsteht,
war immer ein Anliegen der Union und insbesondere
auch der ostdeutschen CDU .

Es ist deshalb gut, dass jetzt ein Vorschlag auf dem
Tisch liegt, der eine moderate Lösung vorschlägt . Es ist
schon oft in der Presse diskutiert worden: Wir streben
an, ab 2018 den Rentenwert in sieben Schritten zwischen
Ost und West anzugleichen . Gleichzeitig wird der Hoch-
wertungsfaktor zurückgefahren . Im Jahr 2025 soll dieser
Prozess abgeschlossen sein . Wir haben dann ein bundes-
einheitliches Rentenrecht – wenn Sie so wollen –, ein-
heitliche Rahmenbedingungen in Ost- und Westdeutsch-
land für die Ermittlung der Rente . Von einer längeren
schrittweisen Angleichung profitieren die ostdeutschen
Arbeitnehmer, da ihnen dann der Hochwertungsfaktor et-
was länger erhalten bleibt . Zeitgleich erfahren die Rent-
nerinnen und Rentner in Ostdeutschland eine Besserstel-
lung durch die schrittweise Anhebung des Rentenwertes .
Meine Damen und Herren, ich halte das für einen guten,
einen diskutablen Vorschlag . Ich freue mich auf die an-
stehende Debatte .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821212100

Vielen Dank, Frau Schimke . – Das Wort zu einer

Kurzintervention hat der Kollege Birkwald .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Der Birkwald hat keine Redezeit bekommen!)



Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821212200

Doch, Herr Kollege . – Frau Präsidentin, herzlichen

Dank . – Liebe Kollegin Schimke, bei aller persönlichen
Wertschätzung eine Vorbemerkung: Es ist interessant,
dass eine Kollegin aus Brandenburg, einem der jünge-
ren Bundesländer, den ostdeutschen Rentnerinnen und
Rentnern deutlich sagt: Die CDU/CSU ist für sie nicht
wählbar .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das hat sie nicht gesagt!)


Und ein Kollege aus dem westlichen Bundesland Nord-
rhein-Westfalen muss die Interessen der ostdeutschen
und der westdeutschen Rentnerinnen und Rentner ver-
treten .

Ich will Ihnen Folgendes sagen: Ein Maler- und La-
ckierergeselle verdient im Westen 13,10 Euro, im Osten
11,30 Euro, ein Gebäudereiniger im Westen 13,25 Euro,
im Osten nur 11,53 Euro, jemand in der Pflegebranche im
Westen 10,20 Euro, im Osten 9,50 Euro, bei der Leihar-
beit unterschiedlich, Krankenschwester Ost 2 800 Euro,
im Westen 3 200 Euro usw ., usw .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Darum geht es doch gar nicht! – Max Straubinger [CDU/ CSU]: Tarifautonomie!)


Das sind Zahlen des Instituts Arbeit und Qualifikation,
IAQ, der Universität Duisburg-Essen .


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Das sind Tariflöhne, die Sie vortragen! Sagen Sie das bitte dazu!)


Solange die Beschäftigten in den jüngeren Bundeslän-
dern nach wie vor 23 Prozent und in Südwestsachsen bei-
spielsweise bis zu 30 Prozent weniger Lohn und Gehalt
für dieselbe Tätigkeit bekommen, so lange ist es notwen-
dig, dass wir eine Umrechnung vornehmen, damit die
gleiche Leistung in der Rente auch gleich bewertet wird .
Wir wollen nicht die Umrechnung bis zum Sankt-Nim-
merleins-Tag . Wenn die Löhne annähernd gleich sind,
muss auch die Umrechnung komplett gestrichen werden .
Es ist nämlich falsch, wenn in der Bild-Zeitung steht, wer
3 000 Euro brutto im Osten hat, bekäme mehr Rente als
der, der 3 000 Euro im Westen hat .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es aber!)


Das gilt nur, wenn man die Zahl abstrakt nimmt . Bei den
einzelnen Jobs, bei der einzelnen Leistung ist das nicht
der Fall . Da haben Sie im Osten beispielsweise jemanden

Jana Schimke






(A) (C)



(B) (D)


aus der Versicherungsbranche, nur wenige andere . Das
ist das Problem .

Zum Zweiten . Wir wollen auch, dass diejenigen, die
im Westen niedrige Löhne haben – Frau Ministerin redet
immer von den Niedriglöhnen in der Eifel, zum Beispiel
von der Bäckereifachverkäuferin –, ihre Renten aufge-
wertet bekommen . Deswegen fordern wir Sie auf, liebe
Kolleginnen und Kollegen: Entfristen Sie die Rente nach
Mindestentgeltpunkten .


(Beifall bei der LINKEN)


Dann hätten wir auch für 40 Prozent der Menschen im
Westen eine höhere Rente, vor allen Dingen für diejeni-
gen, die eine niedrige haben .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Letztes Argument . Wir haben in allen jüngeren Bun-
desländern durch die Bank weg immer noch ganz nied-
rige Löhne . Brandenburg ist das Bundesland mit dem
höchsten Durchschnittslohn . Es liegt aber immer noch
unter dem Bundesland im Westen mit dem niedrigsten
Durchschnittslohn, nämlich Schleswig-Holstein . Solan-
ge das so ist, brauchen wir beides: zum einen die Um-
rechnung für die Rentnerinnen und Rentner im Osten und
zum anderen die Rente nach Mindestentgeltpunkten zu
besseren Konditionen in West und Ost .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821212300

Vielen Dank, Kollege Birkwald . – Frau Schimke .


Jana Schimke (CDU):
Rede ID: ID1821212400

Herr Kollege Birkwald, ich meine, mich an eine De-

batte zu erinnern, wo ein geschätzter Kollege Ihnen ge-
sagt hat, dass Politik nicht die Fortsetzung einer mathe-
matischen Rechenformel ist .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ja, das sind die, die es nicht können! Die sagen so was! – Gegenruf der Abg . Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Lass sie doch einmal ausreden!)


So verhält sich das natürlich auch mit den Löhnen in
Ost- und Westdeutschland . Ich muss ganz ehrlich sa-
gen: Ich freue mich sehr, dass die Branche der Zeitar-
beit eine der ersten sein wird – um nicht zu sagen: die
erste sein wird –, die in einem absehbaren Zeitraum die
Lohngleichheit zwischen Ost und West herstellen wird .
So viel Information zunächst einmal für Sie, lieber Herr
Birkwald .

Jeder, der mich kennt, weiß: Ich bin niemand, der für
die politische Verordnung von Löhnen steht – im Gegen-
teil . Ich bin der Meinung, dass das die Wirtschaft zu ent-
scheiden hat, nach ihrer Kraft, nach ihrer Leistungsfähig-
keit . Ich freue mich sehr darüber, dass wir gerade in den
tarifgebundenen Bereichen in den neuen Bundesländern

inzwischen eine Angleichung erfahren haben, die sich se-
hen lassen kann .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: 23 Prozent! Nichts kann sich sehen lassen!)


Es wird wirklich nicht mehr lange dauern, bis die Tarif-
vertragspartner dieselben Zahlen für Ost und West in die
Tariftabelle aufnehmen .

Unsere Aufgabe ist es, Herr Birkwald, dies nicht poli-
tisch zu verordnen oder gar eine Zahl vorzugeben; unsere
Aufgabe ist es, für die richtigen Rahmenbedingungen zu
sorgen, sodass die Unternehmen in der Lage sind, Löhne
zu zahlen, für die es sich zu arbeiten lohnt .

Ein Wort zum Hochwertungsfaktor . In dem Referen-
tenentwurf, der gerade die Runde macht, ist natürlich
nicht von einer sofortigen Abschaffung des Hochwer-
tungsfaktors die Rede . Es ist davon die Rede, den Hoch-
wertungsfaktor stufenweise herunterzuführen .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Aber nur, weil Sie die Angleichung auch stufenweise machen!)


Ich würde schon sagen, der Zeitraum, von dem dort die
Rede ist – perspektivisch 2024 –, ist durchaus realistisch .

Wir befinden uns im Moment in einer sehr guten wirt-
schaftlichen Lage . Wir tun alles dafür, dass diese Lage
weiter anhält, dass die Phase der Hochkonjunktur wirk-
lich so lange wie möglich Bestand hat, damit auch unse-
re Rentnerinnen und Rentner davon profitieren werden.
Dann wird sich die Frage des Hochwertungsfaktors ir-
gendwann gar nicht mehr stellen . Das ist unsere Strate-
gie, und ich bin überzeugt, dass es die richtige ist .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Und für die Niedriglöhner im Westen machen Sie gar nichts!)


Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821212500

Vielen Dank, Kollegin Schimke . – Nächster Redner in

der Debatte: Markus Kurth für Bündnis 90/Die Grünen .


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821212600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Eine Mauer zwischen Ost und West steht noch immer,
nämlich die des Rentenrechts . Die Beharrungskräfte sind
groß, und es ist viele Jahre nichts oder nur sehr wenig
passiert . Und nun plant die Bundesregierung, diese letzte
Mauer mit der Pinzette abzutragen, in sieben Schritten .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber so eine große!)


Wir, Bündnis 90/Die Grünen, wollen als Einzige nicht
bis 35 Jahre nach der Wiedervereinigung warten, sondern
sofort und denkbar einfach das Rentenrecht vereinheitli-
chen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Matthias W. Birkwald






(A) (C)



(B) (D)


Es ist ganz leicht, es tut nicht weh: Anhebung des Ren-
tenwerts Ost und der Beitragsbemessungsgrenze Ost auf
Westniveau; in der Vergangenheit erworbene Renten-
ansprüche bleiben selbstverständlich unverändert, und
an dem Stichtag, an dem die Rentenwerte angeglichen
werden, wird dann folgerichtig die Höherwertung abge-
schafft. Das ist natürlich in Teilen nicht ganz angenehm
zu vermitteln; aber wir haben hier heute Morgen gehört,
dass es zur Übernahme politischer Verantwortung gehört,
auch unangenehmere Dinge mitzutragen .

Zumindest wären wir dann endlich diese Diskussion
los, die immer wieder vor allem auf Betreiben der Frak-
tion Die Linke geführt wird . Demnach handelt es sich
bei denjenigen, die östlich der Elbe wohnen, um zu kurz
Gekommene, um 17 Millionen Verlierer, um quasi Ge-
prellte .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: So viele gibt es gar nicht mehr! Und sie sind auch nicht alle zu kurz gekommen!)


So ist es aber ausdrücklich nicht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das sagt doch keiner, Markus! Das weißt du doch!)


Das Gefälle bei den Löhnen, die Schwierigkeiten des
Strukturwandels gerade in den neuen Bundesländern will
doch wirklich niemand in Abrede stellen; da wären wir
die Letzten . Ich sage nur: Wir müssen in allen Regionen
in Deutschland die Stärken sehen – und die sind auch
im Osten reichlich vorhanden –, aber wir müssen auch
die Schwierigkeiten bestimmter Regionen und Gruppen
sehen, und da gibt es auch in den neuen Bundesländern
einiges zu tun . Das kann man nicht alles über das Renten-
recht, quasi als Tausendsassa, regeln . Das geht – 26 Jahre
nach dem Mauerfall – nicht . Ihre Strategie, die Höher-
wertung so lange beizubehalten,


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Umrechnung, nicht Höherwertung!)


bis auch das letzte Nest im Strukturwandel das west-
deutsche oder, besser noch, das baden-württembergische
Lohnniveau erreicht hat,


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Polemik! – Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Das ist unseriös! Das ist wirklich eine unseriöse Argumentation!)


würde dazu führen, dass es bis zum Sankt-Nimmer-
leins-Tag unterschiedliches Rentenrecht in Ost und West
gäbe . So geht das nicht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das weißt du besser!)


Ein Euro, der in Wuppertal verdient wird, darf nicht
weniger Rente bringen als ein Euro, der in Meißen, in
Gera oder in Rostock verdient wird – das ist ganz klar .
Wenn man schon mit Einkommensunterschieden und
unterschiedlichen Rentenwerten anfängt, dann könnte
man auf der Basis genauso sagen, dass es eine renten-
rechtliche Höherwertung für Frauen geben müsste; denn

auch sie haben seit Jahrzehnten ärgerlicherweise ein um
23 Prozent niedrigeres Lohnniveau .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Was mich allerdings wirklich ärgert, Frau Schimke, ist
die Art und Weise, wie die Bundesregierung die Renten-
einheit vollzieht, vor allen Dingen, wie sie sie finanziert.
Wir reden von 15,7 Milliarden Euro bis 2024, die ganz
überwiegend von den Beitragszahlerinnen und Beitrags-
zahlern getragen werden, obwohl das eine gesamtgesell-
schaftliche Aufgabe war und ist .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE])


Sie brauchen das Wort „Generationengerechtigkeit“, das
Sie sonst gerne von diesem Pult aus in jedem zweiten
Satz in den Mund nehmen, nie wieder in den Mund zu
nehmen . Auch Ihr berufsjugendlicher Finanzstaatssekre-
tär Spahn braucht sich nicht mehr aus dem Fenster zu
lehnen, wenn man den Beitragszahlerinnen und Beitrags-
zahlern eine solche Belastung überhilft .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE])


Sie haben schon mit der Finanzierung der Mütterrente die
Rücklagen der Rentenkasse belastet . Dann hatten wir das
Glück, dass die Konjunktur und die Beschäftigungslage
so gut waren, dass wir keine völlig leeren Rentenkassen
haben, dass wir doch wieder etwas Spielraum haben .
Und was machen Sie? Die gerade wiedergewonnenen
kleinen Spielräume werden sofort wieder verfrühstückt .
Das hat mit nachhaltiger, zukunftsgerechter Politik über-
haupt nichts zu tun .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In diesem Sinne sollten wir endlich die Dauerschleife
von den zu kurz Gekommenen in der DDR durch eine
einheitliche Regelung im Rentenrecht beenden . Wir soll-
ten sie auf jeden Fall so finanzieren, wie es einer gesamt-
gesellschaftlichen Aufgabe gebührt, nämlich durch Steu-
ern, und endlich über die Probleme des Strukturwandels
in Ostdeutschland reden . Wir sollten auch über die Stär-
ken der Region reden, damit wir sie nach vorne bringen .
Das muss doch unser gemeinsames Ziel sein, anstatt hier
vernebelnde Debatten zu führen .

Danke .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das sagt der Richtige! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821212700

Vielen Dank, Markus Kurth . – Es geht etwas ab hier!

Lebendige Debatte! Aber das ist Parlamentarismus .

Markus Kurth






(A) (C)



(B) (D)


Nächste Rednerin: Daniela Kolbe für die SPD-Frak-
tion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Daniela Kolbe (SPD):
Rede ID: ID1821212800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich war zwar ein Grundschulkind zur Wende-
zeit und zur Zeit der Wiedervereinigung; aber ich kann
mich noch an die Aufbruchstimmung erinnern . Die Men-
schen haben die Wiedervereinigung als Befreiung erlebt .
Wir haben die Freiheit gespürt . Im Herzen weiß ich – da
bin ich mir ganz sicher –, dass der übergroße Teil der
ehemaligen DDR-Bürger das heutzutage noch genauso
empfindet.

Es gibt aber aus meiner Sicht ein Thema, das wir hier
im Hohen Haus vielleicht zu selten beachtet haben, und
das sind die Enttäuschungen, die nach der Wiederver-
einigung entstanden sind . Ich kenne eigentlich keinen
Ostdeutschen, der nicht eine solche Geschichte erzählen
kann: vom eigenen Betrieb, der vom westdeutschen Kon-
kurrenten für eine Mark übernommen wurde, und dann
kam es zu Marktbereinigungen, von den sinnlosen Versi-
cherungen, die einem übergeholfen worden sind, von den
Berufsabschlüssen, die plötzlich nichts mehr wert waren,
und von den vielen stolzen DDR-Ingenieuren, die plötz-
lich auf der Straße standen . Darüber ist auch seitens der
Betroffenen wenig gesprochen worden. Man wollte ja
auch nicht undankbar oder als Jammer-Ossi erscheinen .
Ich will nicht missverstanden werden: Den allermeisten
Ostdeutschen geht es heute sehr gut, so gut wie nie .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Den Rentnern ist es noch nie so gut gegangen!)


Aber bei ihnen ist von der Nachwendezeit noch etwas
hängen geblieben: Manche sind misstrauisch geworden;
andere sind noch richtig sauer und wütend . Zu diesen
Enttäuschungen gehört auch das, was im Zuge des Ren-
ten-Überleitungsgesetzes – das Renten-Überleitungs-
gesetz an sich ist eine Riesenleistung; das will ich ganz
deutlich sagen – mit einigen Gruppen passiert ist .

Wir reden heute beispielsweise über die Kumpel der
DDR-Braunkohleveredelung . Eine kleine Denkaufgabe:
Was wäre denn, wenn den NRW-Kumpeln, aus welchem
Grund auch immer, ein Teil ihrer Rentenansprüche ge-
nommen würde?


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Na, dann wäre der Aufstand! – Gegenruf des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ja, aha! Mit demselben Recht, Herr Kollege Kauder!)


In Espenhain, südlich von Leipzig, wurden aus der sehr
schwefelhaltigen Kohle, die dort im Tagebau gefördert
worden ist, Produkte für die Industrie, aber auch Benzin
hergestellt, und zwar unter unglaublichen Umständen .
Braunkohleveredelung, das klingt ja so schön . Leute,
die das erlebt haben, berichten, dass man besser die Luft
angehalten hat, wenn man da vorbeifuhr . Es gab kaum
Arbeitsschutz; die Leute waren giftigen Gasen, Dämpfen
und Stäuben ausgesetzt . Sehr viele Menschen sind seit-
dem gestorben, ganz viele von ihnen an Krebs .

Die DDR hat darauf reagiert . Sie hat diese Kumpel
den Kumpeln unter Tage gleichgestellt, auch rentenrecht-
lich; darauf haben diese Menschen vertraut . Bis 1996
galt eine Übergangsregelung . Diejenigen, die bis dahin
in Rente gegangen sind, sind genauso behandelt worden
wie die Kumpel unter Tage, danach nicht mehr . Keiner
kann das genau erklären . Man könnte auch sagen: Die
sind schlicht vergessen worden . Genauso fühlen sie sich
auch; sie fühlen sich vergessen und sehen ihre Lebens-
leistung nicht anerkannt . Ich appelliere an uns, dass wir
uns diese Gruppen anschauen und nach Lösungen su-
chen, aber nicht nach den einfachen, die hier angeboten
werden .

Ich möchte ganz klar sagen: Wenn ich über Lösungen
nachdenke, dann sehe ich den Antrag der Linken sicher-
lich nicht als Lösung . Ich weiß nicht, wann Sie Ihren
Antrag das letzte Mal mit den Betroffenen besprochen
haben . Die sagen: Es geht uns gar nicht mehr um einen
früheren und abschlagsfreien Renteneintritt . Das ist gar
nicht unser Thema . Es geht uns um die Rentenzuschläge,
die mit der Gleichstellung mit den Arbeitern unter Tage
verbunden sind . – Deshalb ein kurzer Appell an die Lin-
ke: Ersparen Sie sich die Peinlichkeit, über diesen Antrag
auch noch namentlich abstimmen zu lassen! Treten Sie
lieber in die Debatte darüber ein, wie eine wirklich ver-
nünftige Lösung aussehen kann .


(Beifall bei der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821212900

Jetzt die Frage, Frau Kolbe, ob Sie eine Zwischenfra-

ge oder -bemerkung von Markus Kurth erlauben .


Daniela Kolbe (SPD):
Rede ID: ID1821213000

Ja .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821213100

Dann bitte, Herr Kurth .


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821213200

Frau Kolbe, Sie haben gerade sehr eindrücklich und

zutreffend die fürchterlichen Arbeitsbedingungen für
die Arbeiter in der Braunkohleveredelung geschildert .
Stimmen Sie mit mir überein, dass dann, wenn diese
Schädigung so extrem war, vielleicht doch nicht – das ist
nämlich unsere Überlegung – das Rentenrecht der rich-
tige Ort ist, das Problem zu lösen, sondern dass wir über
einen steuerfinanzierten Härtefallfonds, der eher einen
Entschädigungscharakter hat, nur für diesen konkreten
Fall etwas machen sollten, anstatt uns an das gesamte
Rentenrecht zu machen?


Daniela Kolbe (SPD):
Rede ID: ID1821213300

Ich sage an der Stelle ganz klar: Wir sind da, glaube

ich, alle noch auf der Suche . Wir sind als SPD in den
letzten Wahlkampf gegangen und haben gesagt: Wir wol-
len einen Härtefallfonds . Wir wollen nicht jede Gruppe
einzeln behandeln und neue Ungerechtigkeitsgefühle –
warum wird für die etwas gemacht und für mich nicht? –
auslösen. Deshalb wollen wir einen steuerfinanzierten
Härtefallfonds für alle . – Mit dieser Forderung sind wir

Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)


in den Wahlkampf gegangen . Das wollten wir auch bei
den Verhandlungen über den Koalitionsvertrag errei-
chen; aber das haben wir nicht geschafft. Das heißt aber
nicht, dass wir das Thema zur Seite gelegt haben . Viel-
mehr halten wir an dieser Idee weiter fest .

Die Ausgestaltung wird eine knifflige Geschichte. Da-
rüber können wir gerne miteinander ins Gespräch kom-
men . Ich glaube, da hat keiner den Stein der Weisen .
Aber auch die Anträge der Linken sind nicht der Stein
der Weisen . Ich habe das Gefühl – das habe ich schon im
Ausschuss formuliert –, dass hier, ohne mit den Betroffe-
nen gesprochen zu haben,


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Wir sprechen regelmäßig mit den Betroffenen!)


einfache Lösungen angeboten werden, die in der Kon-
stellation, in der wir uns befinden, die Hoffnungen nie-
mals erfüllen können .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Karl Schiewerling [CDU/CSU])


Den Antrag der Linken lehnen wir mit durchgedrück-
tem Kreuz und gutem Gewissen heute ab, weil er nicht
den Interessen der Betroffenen entspricht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das sehen die Betroffenen anders!)


– Ich weiß nicht, wann du zum letzten Mal mit den Be-
troffenen gesprochen hast. Wir sind in ganz engem Kon-
takt mit den Betroffenen. – Wir haben im Koalitionsver-
trag nichts anzubieten . Das heißt aber nicht, dass wir das
Thema beiseitelegen . Wir werden weiter dafür streiten .
Wir stehen an der Seite der Menschen, ohne dass wir
sagen können, dass es einen einfachen Weg gibt, damit
umzugehen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Karl Schiewerling [CDU/CSU])



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821213400

Vielen Dank, Frau Kolbe . – Ich darf jetzt all die Kol-

legen, die sich nicht unmittelbar an dieser wirklich sehr
spannenden und lebendigen Debatte beteiligen wollen,
sondern diverse andere Gespräche führen, bitten, ent-
weder die Gespräche draußen zu führen oder sich hin-
zusetzen und dieser Debatte zuzuhören . Sie ist wirklich
spannend .

Die nächste Rednerin, die dazu beitragen wird, ist
Dr . Astrid Freudenstein für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Astrid Freudenstein (CSU):
Rede ID: ID1821213500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Jede Partei und jede Fraktion hat ja so ihre Lieblingsthe-
men, und bei der Linksfraktion sind es die Ostrenten . Zu

Ihrem Repertoire gehört es, beharrlich so zu tun, als seien
die Ostdeutschen eklatant benachteiligt,


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Nicht alle, aber viele!)


als würde sich unser Land in reiche Westrentner und
arme Ostrentner teilen .


(Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Das hat keiner gesagt!)


Das ist völliger Unsinn . Aber Sie sind ja eine Klientel-
partei .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ach, Sie sind keine Klientelpartei?)


Sie bedienen damit alte Klischees . Dass das alles mit der
Wahrheit nichts zu tun hat, ist Ihnen egal .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie fordern nichts anderes – Sie tun das ja nicht zum
ersten Mal, sondern in der Tat, wie Ihre Kollegin sagte,
Herr Birkwald, seit 25 Jahren – als eine krasse Bevorzu-
gung von Ostrentnern, weil die Löhne im Osten niedriger
sind . Aber wissen Sie, mit der gleichen Argumentation
könnten hier Abgeordnete aus Oberfranken, dem Saar-
land oder dem Ruhrgebiet Extrabehandlungen fordern;
denn auch dort ist das Lohnniveau nirgends so hoch wie
in unserem schönen München .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Nein! Das habe ich Ihnen ja gerade erklärt! – Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Sie haben Beiträge dafür gezahlt! – Volker Kauder [CDU/CSU], an DIE LINKE gewandt: Ruhe!)


Aber das geschieht nicht, weil wir ein gesamtdeutsches
Parlament sind . Wir haben hier das ganze Land im Blick,
und eine Bevorzugung einzelner Gruppen wollen wir
nicht .

Es geht eben nicht, dass wir nur jene Ungleichheiten
abschaffen, die sich nachteilig für die Ostrentner erwei-
sen, aber die Vorteile gegenüber den Westrentnern beibe-
halten oder sogar neue einführen .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Jawohl!)


Das käme einer Schieflage in unserem System gleich,
und das wollen wir nicht .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Genau das aber schlagen Sie in Ihren Anträgen immer
und immer wieder vor und liefern das Schreckensszena-
rio des sozialen Absturzes gleich mit .

Dass Sie in einem Antrag auch noch einen Mindest-
lohn von 12 Euro die Stunde fordern,


(Beifall des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE])


zeigt, wie weit Sie von der Realität in diesem Land ent-
fernt sind .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Nein, das braucht man, um eine Rente oberhalb der Sozialhilfe zu bekommen, Frau Kollegin!)


Daniela Kolbe






(A) (C)



(B) (D)


Wir wissen doch, dass gerade die ostdeutschen Unter-
nehmen mit einem Mindestlohn von 12 Euro die Stunde
Probleme hätten . Wir wissen doch, dass dann gerade in
Ostdeutschland Arbeitsplätze in Gefahr wären .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Den Unsinn haben wir schon mal gehört!)


Und wir wissen doch, dass es in ganz Deutschland im-
mer noch Branchen und Regionen gibt, in denen 12 Euro
die Stunde nicht machbar sind . Sie fordern das trotzdem .
Deshalb müssen Sie sich auch heute wieder gefallen las-
sen, dass ich Ihnen empfehle – das müssen Sie sich leider
wieder anhören –, Ihr Gerechtigkeitsempfinden nachzu-
justieren. Wir befinden uns im Jahre 2017, und es geht
nicht mehr darum, Gelder von der BRD in die DDR zu
transferieren .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ist mitnichten so, dass die Ostrentner im Endeffekt
benachteiligt werden; sie sind eigentlich Gewinner der
Wiedervereinigung . Ich will Ihnen auch sagen, dass alle
Zahlen gegen Ihre Ausführungen sprechen . Ich möchte
als Beispiel die Durchschnittsrenten von ost- und west-
deutschen Frauen und Männern nennen: Die durch-
schnittliche Altersrente für Ostrentner ist höher als die
der Westrentner, bei Männern um mehr als 60 Euro, bei
Frauen um ganze 250 Euro .


(Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Außerdem haben Versicherte in den neuen Ländern bei
gleichem Lohn und gleichen Beiträgen um etwa 8 Pro-
zent höhere Rentenansprüche als Versicherte in den alten
Ländern .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821213600

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage?


Dr. Astrid Freudenstein (CSU):
Rede ID: ID1821213700

Nein, die erlaube ich jetzt nicht . – Sie hatten schon so

viel Redezeit .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ja, Sie haben ja schon wieder so ein Zeug erzählt! Das stimmt doch nicht!)


Falls Ihnen die genannten Zahlen nicht reichen, kön-
nen wir uns der Wirklichkeit auch über andere Daten
nähern . Wir nehmen einmal die Armutsgefährdungsquo-
te – den Wert bemühen Sie ja auch sonst so gerne –: Die
Armutsgefährdungsquote bei den über 65-Jährigen ist in
den neuen Bundesländern deutlich niedriger als im frühe-
ren Bundesgebiet . In Berlin ist die Quote beispielsweise
um ein Drittel niedriger als in Bayern .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Na logisch! Weil die Einkommen näher beieinander sind, aber tiefer!)


Oder schauen wir uns den Anteil der Menschen an,
die auf Grundsicherung im Alter angewiesen sind . Auch
da zeigt sich, dass die ostdeutschen Rentner, Frauen wie

Männer, deutlich weniger oft auf Grundsicherung ange-
wiesen sind als westdeutsche Rentner . In Ostdeutsch-
land sind es 2,2 Prozent, während es in Westdeutschland
3,4 Prozent sind .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Weil die Frauen da viel länger gearbeitet haben!)


– Glauben Sie, dass die westdeutschen Frauen in dieser
Zeit nicht gearbeitet haben?


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Doch, aber keine Beiträge gezahlt haben!)


Das ist ja schon von Hause aus eine Unverschämtheit .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Insgesamt bewegen sich die genannten Zahlen alle auf
einem niedrigen Niveau . Wir haben nämlich kein gene-
relles Problem der Altersarmut in Deutschland .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: 2,7 Millionen arme Alte! Das ist ein Problem, ein großes!)


Die Armutsgefährdungsquote – das wissen Sie ja hof-
fentlich – bei den über 65-Jährigen ist niedriger als in der
Gesamtbevölkerung. Am stärksten von Armut betroffen
sind immer noch die Alleinerziehenden .

Wenn wir ein Problem mit Altersarmut haben, dann
sind davon in der Tat die westdeutschen Frauen betroffen.
Sie haben Kinder großgezogen – das heißt nicht, dass sie
nicht gearbeitet haben, Herr Kollege – und deshalb keine
durchgängigen Erwerbsbiografien aufzuweisen.


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: So ist es!)


Sie haben Erziehungsleistung erbracht, für die ihnen nie
einer einen Pfennig gegeben hat, und sie haben nicht die
entsprechenden Rentenansprüche erworben .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Wer hat denn da regiert? Ihre Partei!)


Für diese Frauen haben wir mit der Mütterrente natürlich
bereits etwas erreicht .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Wo ist der dritte Punkt? Sie haben nur zwei!)


– Beim dritten Punkt sind wir gar nicht so weit ausei-
nander .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Stimmt! – Katja Mast [SPD]: Immer steuerfinanziert!)


Ganz sicher haben wir kein spezifisch ostdeutsches
Problem der Altersarmut . Das wird auch nicht wahrer,
wenn Sie es hier immer wieder wiederholen . Wir wollen
im Übrigen auch nicht einzelne Berufsgruppen besser-
stellen als den Rest .

Mit den Sonderregelungen, die die Linksfraktion in
ihren Anträgen anstrebt, wird ein ausgeklügeltes, faires
und vor allem allgemein akzeptiertes Verfahren infrage
gestellt, ein Verfahren, das im Prinzip den unterschied-
lichen Erwerbsbiografien und den Lohnunterschieden
gerecht wird . Dieses Verfahren – das will ich gar nicht

Dr. Astrid Freudenstein






(A) (C)



(B) (D)


bestreiten – kann natürlich im Einzelfall dazu führen,
dass man sich ungerecht behandelt fühlt oder auch un-
gerecht behandelt wird . Sie stellen es allerdings so dar,
als könnten nur ostdeutsche Rentner dieses Gefühl der
Ungerechtigkeit haben . Ich kann Ihnen aber sagen: Es
gibt auch westdeutsche Frauen und Männer, die sich
durch das Renten-Überleitungsgesetz diskriminiert und
benachteiligt fühlen .

Wir werden unseren Stufenplan der Renteneinheit in
den kommenden Monaten hier im Parlament beraten und
verabschieden . Wir wollen eine gerechte Regelung, aber
eben keine Besserstellung ostdeutscher Rentner .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Die will ich auch nicht, Frau Kollegin!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821213800

Vielen Dank, Frau Kollegin Dr . Freudenstein . – Jetzt

kommt der nächste Versuch, die nächste Aufforderung an
Sie: Es ist ja schon einmal schön, dass sich die meisten
hingesetzt haben; aber hier ist jetzt keine Quasselstunde,
sondern wir reden über die Renten . Das ist ein spannen-
des und kontroverses Thema . Ich fordere Sie auf, Ihre
wunderbaren Zwischengespräche einzustellen, und zwar
alle, und der letzten Rednerin zu lauschen; denn es macht
einen denkbar merkwürdigen Eindruck, wie hier im Haus
mit solchen Debatten umgegangen wird und wie mit den
Kolleginnen und Kollegen umgegangen wird, die sich
diesem schwierigen Thema in ihren Reden widmen . Also
bitte zuhören!

Jetzt die letzte Rednerin: Waltraud Wolff für die
SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Karl Schiewerling [CDU/CSU])



Waltraud Wolff (SPD):
Rede ID: ID1821213900

Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Lebensleistung der Menschen im Osten der Republik
ist genauso viel wert wie die der Menschen im Westen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg . Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das steht für mich außer Frage . Deshalb haben wir als
SPD auch schon in vergangenen Legislaturperioden ent-
sprechende Vorschläge unterbreitet . Es hat lange gedau-
ert, ja; aber die Rentenangleichung und die einheitlichen
Rentenwerte werden noch in diesem Jahr beschlossen –
endgültig .


(Beifall bei der SPD – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf Kosten der Beitragszahler!)


Das ist für mich eine wichtige Botschaft . Das ist auch die
Antwort auf die lange im Raum stehende Frage .

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, in Ihrem
Antrag „Renteneinheit verwirklichen – Lebensleistung

anerkennen“ verweisen Sie zu Recht darauf, dass wir im
Koalitionsvertrag eine Angleichung der Rentenwerte bis
2020 vereinbart haben . Richtig, das war unser Ziel . Sie
haben aber auch mitbekommen, wie wir in dieser Le-
gislaturperiode darum kämpfen mussten, um überhaupt
2025 als endgültiges Ziel zu erreichen . Sie haben doch
auch mit ansehen können – das haben Sie auch selber be-
nannt –, dass gerade Kolleginnen und Kollegen der CDU
aus den neuen Bundesländern die Rentenangleichung ab-
gelehnt und nicht vorangetrieben haben .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das haben wir mitbekommen!)


Sie haben auch mitbekommen, dass nach der Einigung
auf die Rentenangleichung 2025 die Finanzierung vom
Bundesfinanzminister infrage gestellt wurde. Ganz
ehrlich, ich bin froh, SPD-Mitglied zu sein; denn die
SPD-Fraktion war standhaft und ließ den Koalitionsver-
trag nicht aus den Blick .


(Beifall bei der SPD)


Unsere Bundesministerin Frau Nahles hat ganz konse-
quent die Rentenangleichung vorangetrieben . Wir haben
mit den Ministerpräsidenten in den Ländern gemeinsam
unser Ziel verfolgt . Ergebnis: Die Rentenangleichung
kommt . Die Angleichung kostet natürlich Geld, begin-
nend 2018 mit ungefähr 600 Millionen Euro


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer zahlt es?)


bis auf circa 3,9 Milliarden Euro jährlich ab 2025 . Das
ist – das sehe ich nicht alleine so – ganz klar eine ge-
samtgesellschaftliche Aufgabe, also eine Aufgabe, die
aus Steuern zu finanzieren ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Allerdings sieht der Finanzminister das völlig anders –
trotz des Haushaltsüberschusses von 6,2 Milliarden
Euro . Was ist bei den Verhandlungen herausgekommen?
Die eine Hälfte wird aus dem Bundeshaushalt finanziert,
die andere Hälfte aus den Beiträgen der Rentenversiche-
rung . Auch wenn die SPD Ja zu diesem Vorschlag gesagt
hat, bleibt mein völliges Unverständnis darüber beste-
hen . Man kann doch nicht auf der einen Seite über hohe
Rentenbeiträge klagen und auf der anderen Seite der
Rentenversicherung immer mehr versicherungsfremde
Aufgaben überstülpen . Das sind gesamtgesellschaftliche
Aufgaben; ich erinnere nur an die Mütterrente .


(Beifall bei der SPD)


In dem Antrag der Linken wird zu Recht darauf hin-
gewiesen, dass die Löhne und Gehälter in den neuen
Bundesländern erheblich steigen müssen, damit die Men-
schen in Zukunft von einer guten Rente leben können .
Richtig! Gerade in dieser Woche habe ich in der Presse
gelesen, dass sich die Löhne im Osten positiv entwickeln
und 2015 sprunghaft angestiegen sind . Das ist das Ergeb-
nis dieser Regierungskoalition, weil wir den Mindestlohn
eingeführt haben .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Karl Schiewerling [CDU/CSU])


Dr. Astrid Freudenstein






(A) (C)



(B) (D)


Wir haben gleichzeitig Leiharbeit und Werkverträge
stärker reguliert . Wir wollen, dass Tarifverträge wieder
stärker zum Tragen kommen . Wir haben an verschiede-
nen Stellen auch die Tarifautonomie gestärkt . Klar, ich
kann mir vorstellen, noch mehr zu tun . Fakt ist aber: Die
Schritte, die wir unternommen haben, waren richtig, und
sie kommen an .


(Beifall bei der SPD)


Fakt ist auch, dass wir in ganz Deutschland etwas ge-
gen die niedrigen Renten tun müssen, sprich: die gesetz-
liche Rente als Grundpfeiler wieder stärken müssen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Andrea Nahles hat die Solidarrente vorgeschlagen, die
gerade Menschen mit geringen Einkommen zugutekom-
men soll .


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wahlkampf!)


Meine Damen und Herren, nach dem Zusammenbruch
der DDR gab es viele Menschen, deren Erwerbsbiogra-
fien zerbrochen sind, die nie wieder eine langjährige Ar-
beitsstelle gefunden haben, die sich von Maßnahme zu
Maßnahme gehangelt haben, ohne dass sie etwas dafür
konnten . Das sind Baustellen, die wir mit der Rentenan-
gleichung leider nicht aufheben können . Aber das, was
wir machen, ist wichtig: gleicher Rentenwert in Ost und
West . Endlich ist die Lebensleistung gleich viel wert . –
Traurig, dass wir fast 30 Jahre dafür gebraucht haben .
Aber noch vor der nächsten Bundestagswahl wird es im
Gesetzblatt stehen .

Vielen herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821214000

Vielen Dank, Kollegin Wolff. – Damit schließe ich die

Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/10862 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Arbeit und Soziales auf Drucksache 18/10779 .
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 18/7903 mit dem Titel
„Keine Kumpel zweiter Klasse – Rentenansprüche der
Bergleute aus der DDR-Braunkohleveredlung wahren“ .
Dazu liegt uns eine Erklärung nach § 31 vor .1) Wir stim-
men nun über Buchstabe a der Beschlussempfehlung auf
Verlangen der Fraktion Die Linke namentlich ab . Ich
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorge-
sehenen Plätze einzunehmen . Die Urnen werden bereit-
gestellt . Ich bitte, mir ein Zeichen zu geben, wenn die
Plätze an den Urnen besetzt sind . Sind jetzt alle Plätze

1) Anlage 5

an den Urnen besetzt? – Ich eröffne die erste namentliche
Abstimmung, und zwar über Buchstabe a der Beschluss-
empfehlung .

Darf ich fragen, ob es Kolleginnen und Kollegen gibt,
die ihre Stimme noch nicht abgegeben haben? – Dem
scheint nicht so zu sein . Dann schließe ich die Abstim-
mung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
mit der Auszählung zu beginnen .2)

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss für Ar-
beit und Soziales auf Drucksache 18/10779 die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Druck-
sache 18/8612 mit dem Titel „Keine Altersarmut von
Ost-Krankenschwestern – Gerechte Renten für Beschäf-
tigte im DDR-Gesundheits-und Sozialwesen schaffen“.
Dazu liegt uns eine Erklärung nach § 31 vor .3)

Auch hier hat die Linke eine namentliche Abstim-
mung verlangt . Ich frage: Sind die Plätze an den Ur-
nen besetzt? – Dann eröffne ich die zweite namentliche
Abstimmung, und zwar jetzt über Buchstabe b der Be-
schlussempfehlung .

Ich frage: Gibt es noch Kollegen und Kolleginnen,
die noch nicht abgestimmt haben? – Dann schließe ich
die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen . Die Er-
gebnisse der Abstimmung werden Ihnen wie immer spä-
ter bekannt gegeben . – Vielen herzlichen Dank .4)

Dann bitte ich, die Gespräche all derjenigen nach
draußen zu verlegen, die sich nicht mit dem nächsten Ta-
gesordnungspunkt auseinandersetzen wollen .

Ich rufe den nächsten Tagesordnungspunkt, Tagesord-
nungspunkt 7, auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Neuregelung des Bundesarchivrechts

Drucksache 18/9633

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Kultur und Medien (22 . Ausschuss)


Drucksache 18/10813

Zu diesem Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung
des Bundesarchivrechts liegt ein Entschließungsantrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Sie sind damit
einverstanden .

Dann eröffne ich die Aussprache, und als erster Red-
ner hat für die CDU/CSU-Fraktion Ansgar Heveling das
Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)


2) Ergebnis Seite 21266 D
3) Anlage 5
4) Ergebnis Seite 21269 D

Waltraud Wolff (Wolmirstedt)







(A) (C)



(B) (D)



Ansgar Heveling (CDU):
Rede ID: ID1821214100

Ich möchte zunächst Frau Staatsministerin Grütters

entschuldigen . Aus Anlass des 75 . Jahrestages der Wann-
see-Konferenz findet jetzt eine Gedenkveranstaltung im
Haus der Wannsee-Konferenz statt . Dort hält Frau Staats-
ministerin Grütters eine Rede in Vertretung der Bundes-
kanzlerin und bittet um Entschuldigung, dass sie heute
nicht da sein kann .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das verstehen wir gut! Viel Erfolg!)


Frau Präsidentin! Meine liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Meine Augen glänzten, als ich als generell histo-
risch interessierter Schüler mit einem regen Interesse an
Genealogie im Archiv des Erzbistums Paderborn auf ein
Konvolut von Papieren stieß, das offensichtlich sämtli-
che Unterlagen, alle Rechnungen, Rechnungsbücher,
Liegenschaftsaufzeichnungen, Korrespondenzen, interne
Unterlagen zu Nutznießern, Gerichtsakten usw ., ange-
fangen von der Zeit des endenden 30-jährigen Krieges
bis hinein ins 20 . Jahrhundert für eine Stiftung enthielt,
die ein zigfacher Urgroßonkel von mir als Domherr in
Paderborn in der Mitte des 17 . Jahrhunderts als Famili-
enstiftung errichtet hatte .

Für mich war es ein Glücksfall; denn dank der Voll-
ständigkeit der Unterlagen aus den unterschiedlichsten
Bereichen konnte ich auf einen Schlag das sehr genaue
Bild einer weitverzweigten westfälischen Familie vom
17 . Jahrhundert bis in die Jetztzeit nachzeichnen, etwas,
das mir mit viel Mühen und großen Umwegen über Per-
sonenstandsakten und Kirchenbüchern aus unterschiedli-
chen Orten ansonsten vermutlich mehr schlecht als recht
gelungen wäre .

Mir kam zupass, dass die Unterlagen zu dieser Stif-
tung quantitativ überschaubar waren und sich im Laufe
der Zeit deshalb offensichtlich niemand ernsthaft über-
legt hatte, welche Akten wichtig und welche unwichtig
sein könnten . Es wurde einfach alles archiviert . Richtig
erschlossen wurden die Unterlagen dabei zwar nie, aber
sie sind eben komplett vorhanden . Das machte es mir da-
mals so spannend, mit ihnen zu arbeiten .

Als Randbemerkung sei angefügt: Leider hat mir bis
heute die Zeit gefehlt, diesen Bestand vollständig aus-
zuwerten und nutzbar zu machen . Da wartet also noch
etwas auf mich .

Ein überschaubarer Bestand ist das eine, und das
Auffinden eines solchen vollständigen Konvoluts ist ein
Glücksfall . Etwas anderes sind die grenzenlosen Mengen
an Unterlagen, die tagtäglich in der ganzen Republik pro-
duziert, in Akten geführt, be- und verarbeitet, als E-Mails
zwischen Behörden und Institutionen ausgetauscht und
irgendwann als Vorgang abgeschlossen werden .

So wünschenswert es ist, das alles komplett aufzube-
wahren, um es in späteren Zeiten aus irgendeiner dann
vorliegenden Perspektive auswerten zu können, so klar
ist auch, dass dies schlichtweg nicht gelingen kann . Des-
halb bedarf es verbindlicher Regeln, wie mit Unterlagen
zur Archivierung umzugehen ist . Für den Bund und sei-
ne Einrichtungen regelt dies das Bundesarchivgesetz in

Bezug auf das Bundesarchiv als kollektives Gedächtnis
unserer Nation .

Neben der materiellen Aufbewahrung kommt in Zei-
ten der Digitalisierung auch der digitalen Archivierung
eine besondere Rolle zu . Hier stellen sich neue Heraus-
forderungen in Bezug auf den Umgang mit Masse sowie
auf Echtheit und Relevanz . Hinzu kommen technische
Fragen im Hinblick auf den Speicherort und die Forma-
tierung, mit denen wir uns zukünftig beschäftigen müs-
sen .

Über diese organisatorischen Problemstellungen hi-
nausgehend birgt die Digitalisierung aber auch die enor-
me Chance, Archive weltweit weiter zu vernetzen, Archi-
valien in größere Kontexte zu stellen und den Zugang zu
Archivgut zu vereinfachen . Zu diesem Zweck haben wir
zu Beginn der Legislaturperiode im Koalitionsvertrag
vereinbart, dass wir das Bundesarchivrecht novellieren
wollen, insbesondere durch die Verbesserung der Nutzer-
und Wissenschaftsfreundlichkeit .

Mit dem heute zu beschließenden Gesetzentwurf set-
zen wir diese Vorgaben aus dem Koalitionsvertrag um .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Nach rund 30 Jahren wird damit eine weitreichende Neu-
justierung des Archivrechts vorgenommen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ein Schwerpunkt dabei ist, die Nutzer- und Wissen-
schaftsfreundlichkeit des Bundesarchivs zu verbessern .
Dazu gehört, dass die Schutzfrist personenbezogener
Akten und Unterlagen von 30 Jahren auf 10 Jahre nach
dem Tod der betroffenen Person verkürzt wird, wie es in
den meisten Landesarchivgesetzen jetzt schon gang und
gäbe ist .

Die Schutzfrist von Akten und Dokumenten, die den
Geheimhaltungsvorschriften des Bundes unterliegen,
kann zudem von 60 Jahren auf 30 Jahre verkürzt werden .
Öffentliche Einrichtungen des Bundes können künftig
bei Schutzfristverkürzungen ferner auch große Aktenbe-
stände ohne aufwändige Einzelfallprüfung freigeben . Vo-
raussetzung ist, dass sie in einer allgemeinen Vereinba-
rung mit dem Bundesarchiv auf die bisher erforderliche
Beteiligung verzichten .

Ein zweiter Schwerpunkt ist, das Bundesarchivgesetz
an die Bedürfnisse der Informationsgesellschaft anzupas-
sen . Dementsprechend enthält der Gesetzentwurf zahl-
reiche neue Regelungen zum Umgang mit elektronischen
Unterlagen . Dazu gehört die Einrichtung eines digitalen
Zwischenarchivs, das die Bundesbehörden entlastet und
das Bundesarchiv in die Lage versetzt, frühzeitig und
fachgerecht für eine digitale Langzeitarchivierung zu
sorgen .

Der Gesetzentwurf enthält außerdem Regelungen zur
Anbietung und Übernahme von elektronischen Unter-
lagen, auch solcher, die einer laufenden Aktualisierung
unterliegen . Er beinhaltet weiter eine Regelung für das
politische Archiv des Auswärtigen Amtes zur entspre-
chenden Anwendbarkeit der Zugangsregelungen des
Bundesarchivgesetzes, um einer rechtlichen Zersplitte-
rung der Archivlandschaft entgegenzuwirken .






(A) (C)



(B) (D)


Lassen Sie mich kurz auf drei Aspekte eingehen, die
in der Diskussion um das Bundesarchivgesetz eine grö-
ßere Rolle gespielt haben und in der Öffentlichkeit teil-
weise Gegenstand der Diskussionen waren .

Erstens . Es geht um das Thema uneingeschränkte
Anbietungspflicht löschungspflichtiger Unterlagen. Das
klingt etwas sperrig . Hier haben wir uns entschieden,
keinen generellen Vorrang einer Anbietungspflicht lö-
schungspflichtiger Daten im Archivgesetz zu regeln. Das
betrifft etwa das Bundeszentralregister, das Ausländer-
zentralregister oder das Register nach dem Adoptions-
vermittlungsgesetz .

Hierbei geht es oftmals um hochsensible persönliche
Daten, bei denen aufgrund der jeweiligen Spezialgesetze
die Botschaft vermittelt wird: Gelöscht ist gelöscht . Wir
halten es für richtig, dass dann, wenn man eine andere
Regelung treffen möchte, was durchaus denkbar ist, die-
se in dem jeweils betroffenen spezialgesetzlichen Rege-
lungsbereich zu erfolgen hat . Dort sollten dann bereichs-
spezifisch auch die notwendigen verfassungsrechtlichen
Abwägungen erfolgen, die sich mit Blick auf den Eingriff
in die informationelle Selbstbestimmung ergeben .

Zweitens . Es geht um die Unterlagen der Nachrichten-
dienste . Hier haben wir uns entschieden, die besonderen
Bedürfnisse des Quellen- und Methodenschutzes in der
Abwägung des Gesetzes zu berücksichtigen . Im parla-
mentarischen Verfahren haben wir allerdings festgelegt,
dass es sich hierbei um zwingende Gründe handeln muss,
die eine Zurückhaltung der Akten rechtfertigen .

Drittens. Zur Anbietungspflicht des Bundes: Weiterge-
hend als bisher enthält der Gesetzentwurf eine Sollvor-
schrift bei der Anbietungspflicht der öffentlichen Stellen
des Bundes spätestens 30 Jahre nach Entstehung der Un-
terlagen. Eine Ist-Anbietungspflicht nach 30 Jahren kam
allerdings nicht infrage, weil sie anerkennungswürdige
Ausnahmen unmöglich gemacht hätte, wie etwa bei den
Unterlagen des Auswärtigen Amtes oder in Fällen, in
denen die Unterlagen für die aktuelle Bearbeitung noch
länger benötigt werden . Sobald sie nicht mehr gebraucht
werden, müssen sie aber zwingend ans Bundesarchiv ab-
gegeben werden .

Zum Schluss noch dies: „Postfaktisch“ ist das Wort
des Jahres 2016 . Postfaktisch: Was genau heißt das? Dass
wir in einem relativistischen Zeitalter leben, in dem es
keine Tatsachen mehr gibt, sondern nur noch Meinungen;
in dem man etwas nur vehement genug und dazu öffent-
lichkeitswirksam behaupten muss, um es dadurch wahr
werden zu lassen?

Ich glaube, dass jeder, der leichtfertig das postfakti-
sche Zeitalter ausruft, damit einem Irrglauben aufsitzt .
Sicherlich, aufgrund einer immer stärker von Social Me-
dia geprägten Medienlandschaft kommt mancherorts das
Gefühl auf, es sei vielleicht überhaupt gar nicht mehr
notwendig, Fakten sorgsam zu prüfen, zu testen, ob das
eigene Weltbild einem Realitätscheck tatsächlich stand-
hält . Gerade deshalb ist es wichtig, unser ungebrochenes
Vertrauen in das Faktische mit einem sinnvoll neugestal-
teten Bundesarchivrecht zu untermauern .

Wie Aleida Assmann in Archive im Wandel der Medi-
engeschichte schreibt, betreiben Archive, anders etwa als
Museen oder Bibliotheken, ein passives Erinnern . Doch
genau in diesem passiven Erinnern liegt ihre immense
Bedeutung: Archive wollen nicht repräsentieren oder be-
werten . Sie zielen dafür auf Neutralität ab, darauf, die
Bewertung dieser, unserer Gegenwart anderen zu über-
lassen .

Letztendlich ist es doch so, dass man die Epoche, in
der man lebt, stets nur aus der eigenen, eingeschränkten
Perspektive wahrnimmt, dass sich der Blick aufs große
Ganze oftmals erst retrospektiv eröffnet. Damit dies ge-
lingen kann, damit es also Fakten gibt, an denen wir uns
dabei orientieren können, dafür brauchen wir ein im Hin-
blick auf die komplexen Herausforderungen des digita-
len Zeitalters sicher aufgestelltes Archivwesen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821214200

Kommen Sie bitte zum Ende .


Ansgar Heveling (CDU):
Rede ID: ID1821214300

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gelingt es, diese

Absicht umzusetzen . Wir machen das Bundesarchiv zu-
kunftstauglich .

Vielen Dank für die gute Zusammenarbeit in der Vor-
bereitung des Gesetzentwurfes . Danke für Ihre Aufmerk-
samkeit . Ich empfehle, dem Gesetzentwurf heute zuzu-
stimmen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821214400

Vielen Dank, Kollege Heveling . – Nächste Rednerin:

Sigrid Hupach für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Sigrid Hupach (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821214500

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der heute zu be-
schließenden Novelle soll das 30 Jahre alte Bundesarchiv-
gesetz an die Herausforderungen des digitalen Zeitalters
und an die modernen Anforderungen an Transparenz und
Informationsfreiheit angepasst werden . Leider sind aber
im Gesetz Regelungen enthalten, die dem formulierten
Anspruch entgegenstehen . Dass die Behörden ihre Un-
terlagen dem Bundesarchiv zur Übernahme anbieten
müssen, ist keineswegs verpflichtend formuliert, und es
ist ein Unding, dass nun gerade die Nachrichtendienste
mit weitreichenden Ausnahmeregelungen bedacht wer-
den, zumal gerade sie ihre Akten zum Beispiel beim
NSU-Terror völlig unzureichend geführt haben . Diese
Inkompetenz wird mit dem neuen Gesetz noch hofiert,

Ansgar Heveling






(A) (C)



(B) (D)


dem Vertuschen wird Tür und Tor geöffnet, und das ist
völlig inakzeptabel .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Statt gerade hier den Zugang für die Wissenschaft und
für die Medien zu erleichtern und so die demokratische
Kontrolle zu stärken, sind die Koalitionsfraktionen bei
den Sonderrechten für die Nachrichtendienste geblie-
ben – aller Expertise der Sachverständigen zum Trotz .
Der „Kompromiss“, den die SPD glaubt bewirkt zu
haben, ist nämlich nur schöner Schein: Aus den „über-
wiegenden Gründen“ des Nachrichtenzugangs sind nun
„zwingende Gründe“ geworden . Ja, aber wem hilft das?
Niemand wird überprüfen können, ob wirklich Grün-
de gegen die Anbietung der Unterlagen sprechen oder
diese von den Geheimdiensten nur konstruiert wurden .
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können weiterhin
selbst entscheiden, ob sie überhaupt und welche Unterla-
gen sie dem Bundesarchiv für eine mögliche Übernahme
vorlegen .

Hier wird also, wie es die Vorsitzende des Verbandes
der Historiker und Historikerinnen, Professorin Schlo-
theuber, treffend formuliert hat, die Selbstsicht einer Be-
hörde zum Leitmotiv erhoben und dabei die historische
Überlieferung gefährdet .

Das Bundesarchiv ist schon jetzt in der Lage, auch
Verschlusssachen unter Wahrung der Rechte Betroffener
bzw . schützenswerter Informationen zu archivieren . Die
Bundesregierung fördert stattdessen die Geheimniskrä-
merei . Einem demokratischen Rechtsstaat steht das aber
schlecht zu Gesicht; denn hier hat die Öffentlichkeit ein
Recht darauf, das Handeln von Verwaltung und eben
auch von Nachrichtendiensten im Nachhinein nachvoll-
ziehen und kontrollieren zu können, und dafür braucht es
die Akten im Archiv .

Meine Fraktion hat mit acht Änderungsanträgen ganz
konkrete Vorschläge in die Debatte eingebracht . Wichtig
waren uns dabei vor allem drei Aspekte:

Erstens . Die Unabhängigkeit des Bundesarchivs muss
gewährleistet werden . Das heißt, die Bundesbehörden
und eben auch die Nachrichtendienste müssen dem Bun-
desarchiv grundsätzlich alle Unterlagen vorlegen,


(Ulrich Petzold [CDU/CSU]: Auch die Stasiunterlagen!)


sodass die Archivarinnen und Archivare mit ihrer Erfah-
rung und mit ihrer Weitsicht dann frei und unabhängig
entscheiden können, welche Unterlagen sie für aufbe-
wahrenswert halten .

Dazu gehört auch, dass jede politische Einflussnahme
auf diese Bewertungsentscheidung unterbunden wird .
Die neu ins Gesetz geschriebene Fachaufsicht der BKM
halten wir daher für äußerst problematisch, eben weil sie
den Verdacht der politischen Beeinflussung in sich trägt,
und auch die Einwilligung der betreffenden Behörde bei
der Schutzfristverkürzung ist für uns Linke überflüssig.


(Beifall bei der LINKEN)


Zweitens: die Sicherung unseres Filmerbes . Statt einer
Registrierungspflicht haben wir Linken eine Pflichthin-
terlegung gefordert, die zudem nicht nur Kinofilme im
Blick haben sollte, sondern das filmische Schaffen in sei-
ner ganzen Breite .

Drittens: das sogenannte Löschungssurrogat . Die
CDU/CSU wollte hier partout nicht heran. Ich hoffe
aber, dass bei der Novellierung des Datenschutzgeset-
zes eine grundsätzliche Regelung geschaffen wird, da-
mit eigentlich zu löschende Unterlagen der Forschung
und der historisch-politischen Bildungsarbeit zur Verfü-
gung stehen . Dann müssen zum Beispiel auch die Akten
der Zentralen Stelle in Ludwigsburg erhalten bleiben,
die zum Entzug der Kriegsopferrente für NS-Täter an-
gelegt wurden .

Es gibt also noch viel zu tun, um das Archivrecht wirk-
lich modern zu gestalten und die demokratische Kontrol-
le von Politik und Verwaltung zu sichern .


(Beifall bei der LINKEN)


Bei der Nutzer- und Wissenschaftsfreundlichkeit bleibt
die Novelle bedauerlicherweise auch hinter den fort-
schrittlichen Landesarchivgesetzen zurück, die zum Bei-
spiel eine Regelschutzfrist von zehn Jahren vorsehen .

Der Entschließungsantrag der Grünen enthält vieles,
wofür auch wir uns in der Debatte engagiert haben und
was ich eben angesprochen habe . Daher unterstützen wir
diesen Entschließungsantrag .

Zum Gesetz selbst: Die Novelle bringt auch Verbes-
serungen . Das digitale Zwischenarchiv sei hier genannt .
Auch wurden einige für uns wichtige Punkte im parla-
mentarischen Verfahren berücksichtigt, zum Beispiel
die Angleichung an das Informationsfreiheitsgesetz, die
Festschreibung der Digitalisierung als Aufgabe des Bun-
desarchivs und die Würdigung von Bibliotheken als Ge-
dächtnisinstitutionen . Meine Fraktion kann dem Gesetz-
entwurf aber wegen der genannten Kritikpunkte nicht
zustimmen . Wir werden uns daher enthalten .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821214600

Vielen Dank, Frau Kollegin Hupach . – Nächste Red-

nerin: Hiltrud Lotze für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Hiltrud Lotze (SPD):
Rede ID: ID1821214700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen!

Das Leben kann nur in der Schau nach rückwärts
verstanden, aber nur in der Schau nach vorwärts ge-
lebt werden .

Das hat der dänische Philosoph Søren Kierkegaard ein-
mal gesagt .

Genau deswegen, weil wir vieles nur in der Rück-
schau verstehen oder zumindest besser verstehen, ist

Sigrid Hupach






(A) (C)



(B) (D)


das Bundesarchiv mit seinem Hauptsitz in Koblenz von
großer Bedeutung für die Erinnerung und Aufarbeitung
unserer Geschichte . Es nimmt die Aufgaben eines Nati-
onalarchivs wahr und ist das Gedächtnis unseres Staa-
tes .

Im Bundesarchiv werden Fotos, Filme, Urkunden, Ak-
ten, Karten und vieles mehr aufbewahrt, die bei zentralen
Stellen des Heiligen Römischen Reiches, des Deutschen
Bundes, des Deutschen Reiches, der Besatzungszonen,
der Deutschen Demokratischen Republik und der Bun-
desrepublik Deutschland entstanden sind . Darunter sind
zum Beispiel die Kapitulationsurkunde der deutschen
Truppen in Nordwestdeutschland in der Nähe von Lüne-
burg, also bei mir zu Hause, oder ein Schreiben des da-
maligen Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion
an Bundeskanzler Konrad Adenauer von Mai 1963 zum
Ablauf des bevorstehenden Besuchs des amerikanischen
Präsidenten John F . Kennedy in Deutschland . Da heißt
es:

Wir haben kein Interesse daran, dass die Reise des
amerikanischen Präsidenten überwiegend der Op-
position zugutekommt .

Man befürchtete, dass der Regierende Bürgermeister von
Berlin, Willy Brandt, die Beliebtheit des US-Präsidenten
für sich nutzt . Das sind nur zwei kleine Beispiele für die
vielen Unterlagen, die sich im Bundesarchiv finden las-
sen und die für Historiker, aber auch für uns ganz inte-
ressant sind .

Wie genau das Bundesarchiv beim Sammeln und Ar-
chivieren vorgeht, wird im Bundesarchivgesetz geregelt .
Das stammt aus dem Jahre 1988 . Deswegen ist eine Ak-
tualisierung notwendig . Der vorgelegte Gesetzentwurf
enthält einige gute und wichtige Punkte . Zum Beispiel
werden bestimmte personenbezogene Schutzfristen ver-
kürzt oder im Fall von Amtsträgern aufgehoben . Oder
Archivgut, das Geheimhaltungsvorschriften des Bundes
unterliegt, wird künftig nach 30 Jahren statt wie bisher
erst nach 60 Jahren freigegeben .

Wir als SPD-Fraktion hatten auch einige Kritikpunkte .
Viele davon wurden von den Experten im Fachgespräch
im Kulturausschuss angesprochen . Drei möchte ich nen-
nen .

Erstens, das Löschungssurrogat . Das Bundesarchiv
hat auch die Aufgabe, Verwaltungshandeln nachvollzieh-
bar und kontrollierbar zu machen . Deswegen geben die
Behörden ihre Unterlagen an das Archiv ab . Das Bun-
desarchiv ist also eine Art Back-up-Lösung für Deutsch-
land . Dafür muss das Archiv aber die Unterlagen auch
erhalten, selbst wenn die Behörden sie eigentlich löschen
würden . Die Anbietung und damit die Archivierungsop-
tion geht der Löschung deswegen grundsätzlich vor . Das
ist gemeint, wenn vom sogenannten Löschungssurrogat
die Rede ist . Der von der BKM vorgelegte Gesetzent-
wurf enthält dieses Löschungssurrogat nicht . Wir bedau-
ern das sehr und haben das in den Verhandlungen auch
gesagt . Leider ist die BKM darauf nicht eingegangen .
Damit ist der Entwurf unter seinen Möglichkeiten geblie-
ben . Es ist wirklich bedauerlich, dass sowohl die Kolle-

ginnen und Kollegen von der Union als auch die BKM
hier nicht den Fachleuten gefolgt sind und sich nicht klar
für ein Löschungssurrogat ausgesprochen haben . Wir
haben deswegen über eine Liste von rund 40 Bundesge-
setzen verhandelt, die einzeln auf eine Anbietungspflicht
überprüft werden müssen . Warum einfach, wenn es auch
kompliziert geht?

Zweites Thema: Nachrichtendienste . Bei der Abgabe
von Unterlagen der Nachrichtendienste stehen wir vor ei-
nem Zwiespalt . Einerseits brauchen wir Transparenz und
Kontrolle von Behörden, andererseits wollen wir natür-
lich auch die Mitarbeiter sowie die Zusammenarbeit mit
anderen Diensten und die Nachrichtenzugänge schützen .
Hier konnten wir von der SPD einen sehr guten Kompro-
miss verhandeln . Die Unterlagen dürfen jetzt nur zurück-
behalten werden, wenn es Ausnahmetatbestände gibt .


(Beifall bei der SPD)


Auch die Nachrichtendienste müssen ihre Unterlagen
dem Bundesarchiv anbieten . Nur wenn die Ausnahmetat-
bestände vorliegen, wird die Abgabe aufgeschoben .

Dritter Punkt: Informationsfreiheitsgesetz . Der vor-
liegende Gesetzentwurf weitet den Zugang zu Unterla-
gen auf alle Informationszugangsgesetze aus. Das finden
wir als SPD-Fraktion gut . Negativ am BKM-Entwurf
war jedoch, dass nur noch diejenigen Unterlagen nicht
mehr unter die archivrechtlichen Schutzfristen fallen,
die bereits nach dem Informationsfreiheitsgesetz durch
einen konkreten Antrag zugänglich gemacht worden wa-
ren . Also nur, wenn jemand die Unterlagen schon vor-
her angefordert hatte, sollten sie nicht mehr unter die
Schutzfrist fallen . Das ist nicht nur unlogisch, sondern
auch ein Rückschritt im Vergleich zur bisherigen Geset-
zeslage .

Deswegen haben wir da erfolgreich über Nachbes-
serungen verhandelt . Der alte Rechtsstand konnte nicht
nur wieder erreicht, sondern sogar ausgebaut werden .
Aber genau darauf wird gleich mein Kollege Sebastian
Hartmann in seiner Rede noch näher eingehen . Wir wer-
den dem Gesetz zustimmen .

Ich danke für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821214800

Vielen Dank, Hiltrud Lotze . – Bevor ich die nächste

Rednerin aufrufe, möchte ich Ihnen die von den Schrift-
führerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisse
der namentlichen Abstimmungen bekannt geben –
die erste Abstimmung erfolgte über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zum
Antrag der Linken „Keine Kumpel zweiter Klasse –
Rentenansprüche der Bergleute aus der DDR-Braun-
kohleveredlung wahren“ –: abgegebene Stimmen 557 .
Mit Ja haben 446 Kolleginnen und Kollegen gestimmt,
mit Nein 53 . Enthalten haben sich 58 Kolleginnen und
Kollegen . Die Beschlussempfehlung ist damit ange-
nommen .

Hiltrud Lotze






(A) (C)



(B) (D)


Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 558;
davon

ja: 447
nein: 53
enthalten: 58

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Dr . Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Axel E . Fischer


(Karlsruhe-Land)

Dr . Maria Flachsbarth
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein

Dr . Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Rainer Hajek
Dr . Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann


(Dortmund)

Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Dr . Mathias Edwin Höschel
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Sylvia Jörrißen

Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz

Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Patrick Schnieder
Nadine Schön (St . Wendel)







(A) (C)



(B) (D)


Dr . Ole Schröder
Dr . Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster


(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann

Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Dr . h .c . Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Jürgen Coße
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Dr . h .c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu

Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast

Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller (Chemnitz)

Dr . Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr . Wilhelm Priesmeier
Dr . Sascha Raabe
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Svenja Stadler






(A) (C)



(B) (D)


Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

Nein

DIE LINKE

Jan van Aken
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst

Wolfgang Gehrcke
Annette Groth
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Kathrin Vogler
Dr . Sahra Wagenknecht
Harald Weinberg

Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Monika Lazar

Enthalten

CDU/CSU

Katharina Landgraf
Volkmar Vogel (Kleinsaara)


SPD

Ulrich Freese

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz

Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Dr . Valerie Wilms

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt .

Die zweite namentliche Abstimmung erfolgte über die
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und
Soziales zum Antrag der Linken „Keine Altersarmut von
Ost-Krankenschwestern – Gerechte Renten für Beschäf-
tigte im DDR-Gesundheits- und Sozialwesen schaffen“:

abgegebene Stimmen 550 . Mit Ja haben 498 Kolleginnen
und Kollegen gestimmt, mit Nein haben 52 gestimmt . Es
gab keine Enthaltungen . Die Beschlussempfehlung ist
damit angenommen . – Komisch, dass 7 fehlen, weil das
eigentlich unmittelbar hintereinander war . Aber gut!

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 551;

davon

ja: 498

nein: 53

enthalten: 0

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär

Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner

Ute Bertram
Peter Beyer
Clemens Binninger
Dr . Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl






(A) (C)



(B) (D)


Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Axel E . Fischer


(Karlsruhe-Land)

Dr . Maria Flachsbarth
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Rainer Hajek
Dr . Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider

Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann


(Dortmund)

Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert

Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols

Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Patrick Schnieder
Nadine Schön (St . Wendel)

Dr . Ole Schröder
Dr . Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster


(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber






(A) (C)



(B) (D)


Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas

Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Jürgen Coße
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Dr . h .c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Frank Junge
Josip Juratovic

Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller (Chemnitz)

Dr . Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr . Wilhelm Priesmeier
Dr . Sascha Raabe
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich

Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Brigitte Zypries

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner






(A) (C)



(B) (D)


Harald Ebner
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Markus Kurth
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz

Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Dr . Valerie Wilms

Nein

DIE LINKE

Jan van Aken
Herbert Behrens
Karin Binder

Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Annette Groth
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch

Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Kathrin Vogler
Dr . Sahra Wagenknecht
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Monika Lazar

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt .

Die nächste Rednerin für Bündnis 90/Die Grünen:
Tabea Rößner .


Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821214900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Bei der Diskussion um das vorliegende Gesetz
hat die Koalition wirklich eine beeindruckende Bera-
tungsresistenz bewiesen .


(Siegmund Ehrmann [SPD]: Na, na, na!)


Von Bild bis zur Süddeutschen Zeitung, vom Deutsch-
landradio bis zur FAZ waren sich alle einig, dass der Ent-
wurf zahlreiche Verschlechterungen mit sich bringt und
sogar demokratische Prinzipien gefährdet . Und dass sich
Bild und Süddeutschen Zeitung einmal so einig sind, das
muss man erst einmal schaffen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nicht nur die Medien oder wir haben immer wieder
auf die Schwachstellen des Gesetzes hingewiesen . Auch
die Sachverständigen stimmten bei der Anhörung in ih-
rer Kritik überein . Trotzdem haben Sie sich nicht beraten
lassen . Aber das kennen wir ja auch von anderen Geset-
zesvorhaben .

Damit Sie nicht sagen können, man hätte Sie nicht
ausreichend gewarnt, will ich die wichtigsten Argumen-
te gegen den Entwurf hier noch einmal anführen . Das

Wichtigste vorweg: Das Bundesarchivrecht ermöglicht
die demokratische Kontrolle von Politik und Verwaltung
im Nachhinein .

Seit der Einführung des Informationsfreiheitsgesetzes
hat sich ein Paradigmenwechsel vollzogen, und zwar hin
zu einer transparenten und offenen Verwaltungskultur.
Der Zugang zu Akten ist die Voraussetzung für eine le-
bendige Demokratie, die von einer kritischen und infor-
mierten Öffentlichkeit lebt. Und hierfür soll das Bundes-
archivgesetz die rechtlichen Grundlagen legen .

Statt aber das Bundesarchivgesetz nutzerfreundlicher
zu machen, wird es den Behörden leicht gemacht, ihre
Akten der Öffentlichkeit zu entziehen. Bei den Themen
„Löschungssurrogat“ – darauf wurde schon hingewie-
sen – und „Schutzfristen“ sind uns ja die meisten Lan-
desarchive bereits weit voraus . Das Bundesarchiv soll
modernisiert werden, kommt aber mit der allgemeinen
Schutzfrist von 30 Jahren daher wie ein Dinosaurier aus
anderen Zeiten . Das ist wirklich peinlich, meine Damen
und Herren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Skandalös aber ist die Extraregelung für die Geheim-
dienste . Sie haben ja an dem entsprechenden Absatz noch
einmal herumgedoktert, aber das ändert nichts daran,
dass dies ein Gummiparagraf ist und auch bleibt . Die Ge-






(A) (C)



(B) (D)


heimdienste haben keine allgemeine Abgabepflicht wie
sonst alle anderen Behörden, sondern können ab jetzt
selbst entscheiden, welche Unterlagen sie an das Archiv
abgeben wollen . Das ist ungeheuerlich . Akten, die staat-
liches Handeln dokumentieren, gehören ins Archiv –
ohne Wenn und Aber .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Kommen Sie mir nicht mit dem Einwand, sensible
Unterlagen seien im Bundesarchiv nicht ausreichend ge-
schützt . Falls Sie sich das so vorstellen, dass da geheime
Akten in offenen Umzugskartons auf dem Gang herum-
stehen: Das passiert vielleicht beim Verfassungsschutz,
aber nicht im Bundesarchiv .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Heiterkeit der Abg . Dr . Eva Högl [SPD])


Und im Gegensatz zum Verfassungsschutz hat sich das
Bundesarchiv noch nichts zuschulden kommen lassen .

Was diese Sonderregelung für die Geheimdienste an-
geht, scheinen Sie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
der Geheimdienste mehr zu vertrauen als den Archiva-
rinnen und Archivaren – eine fragwürdige Entscheidung,
wenn wir bedenken, wie viele Untersuchungsausschüsse
sich mit Geheimdienstskandalen befassen .

Wir Grüne haben daher einen Entschließungsantrag
gestellt, der auf all diese Probleme eingeht . In diesem
Antrag gibt es noch einen weiteren wichtigen Punkt .
Es gibt Ereignisse wie das Oktoberfestattentat oder die
NSU-Morde, die von so großer öffentlicher Bedeutung
sind, dass ein Zugang zu den Akten möglich sein muss –
auch vor Ablauf der Schutzfrist und auch, wenn diese
Unterlagen als geheim eingestuft sind . Gerade solche
Akten dürfen nicht vor der Öffentlichkeit weggeschlos-
sen werden, sondern müssen in die Archive gehen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Umgang mit solch einschneidenden und umstrit-
tenen Ereignissen der jüngeren Zeitgeschichte ist quasi
der Lackmustest für eine demokratische Öffentlichkeit.
Oft bleiben diese Akten über Jahrzehnte unzugänglich,
weil sie von den Geheimdiensten sehr großzügig als
geheime Verschlusssachen eingestuft werden und so
im Giftschrank verschwinden . Daher sind klare Vorga-
ben bitter nötig . Nur so können diese umstrittenen Ge-
schehnisse umfassend aufgeklärt werden . So können wir
letztlich auch unsere Debattenkultur stärken, weil da-
durch Verschwörungstheorien der Wind aus den Segeln
genommen wird und gleichzeitig eine unabhängige wis-
senschaftliche und journalistische Aufklärung unterstützt
wird . Unsere Debattenkultur könnte zurzeit weniger Ver-
schwörungstheorien und dafür mehr Fakten, lieber Kol-
lege Heveling, gut gebrauchen .

Dieser und alle weiteren Knackpunkte sind Ihnen be-
kannt . Sie halten dennoch an diesem Entwurf fest . Das
ist dann nicht mehr nur chronische Beratungsresistenz,
sondern politisches Kalkül . Geheimhaltung statt Trans-
parenz – das ist in der heutigen Zeit genau das falsche
Signal .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821215000


Vielen Dank, Frau Kollegin Rößner . – Nächste Redne-
rin: Dr . Astrid Freudenstein für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Astrid Freudenstein (CSU):
Rede ID: ID1821215100


Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen! Verehrte
Kollegen! Archive sind langweilig . – Sind Archive lang-
weilig? In jedem Fall ist es so, dass in der öffentlichen
Meinung Archive nicht besonders gut wegkommen . Oft
werden sie mit grauen Mäusen, dicken Brillen, Aktensta-
peln oder auch mit Strafversetzungen in Verbindung ge-
bracht. In Spielfilmen und Romanen jedenfalls tauchen
solche Klischees gern auf .

Für viele Menschen aber sind Archive natürlich genau
das Gegenteil. Auch ich finde, sie sind Goldgruben. Sie
können spannend und lehrreich sein, und sie können vor
allem helfen, Wahrheit von Lüge zu unterscheiden . Ein
gutes Beispiel dafür ist die Überprüfung der angeblichen
Hitler-Tagebücher des Sterns . Das Bundesinnenministe-
rium gab damals, im April 1983, dem Bundesarchiv den
Auftrag, die Tagebücher auf ihre Echtheit hin zu über-
prüfen . Die intensive Recherche – textkritisch und archi-
vfachlich – brachte dann ja auch das bekannte Ergebnis:
Es war eine Fälschung .

Dieser kurze Exkurs in die Geschichte des Bundesar-
chivs zeigt, welch hohe Fachkompetenz, aber auch welch
hohe Verantwortung beim Bundesarchiv liegt . Und das
sind auch noch nicht einmal die Kernaufgaben dieser
Einrichtung . Die zentralen Aufgaben sind, das Archivgut
des Bundes auf Dauer zu sichern und nutzbar zu machen .
Das klingt jetzt wieder nicht so besonders spannend .
Aber das Bundesarchiv bewahrt in der Tat viele Herz-
stücke unserer Geschichte auf und macht sie für Bürger,
Wissenschaftler und Journalisten sichtbar und nutzbar .

Das nun neu gefasste Bundesarchivgesetz trat 1988 in
Kraft . Beschreibbare digitale Speichermedien gab es da-
mals schon, zum Beispiel Disketten mit einer Kapazität
von 1,44 Megabyte . Auch CDs waren schon verbreitet
mit noch deutlich höheren Kapazitäten von mehreren
100 Megabyte . Und doch hat sich seitdem vieles getan .
Wir rechnen fast nur noch in Giga- und Terabyte . Un-
ser ganzes Leben ist digitalisiert . Wir schreiben elektro-
nisch . Manches gibt es gar nicht mehr als Printversion .
Die Kern aufgaben, das Archivgut des Bundes auf Dauer
zu sichern und nutzbar zu machen, unterliegen mittler-
weile völlig anderen Voraussetzungen . Deshalb wollen
wir mit dem heutigen Beschluss das Bundesarchivrecht
neu regeln und an die neuen Voraussetzungen anpassen .

Tabea Rößner






(A) (C)



(B) (D)


Wir erreichen, auch wenn Sie nur die Lücken aufge-
zählt haben, durchaus eine Reihe von Verbesserungen .


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gehört zur Aufgabe der Opposition!)


Wir passen das Gesetz so an, dass das Bundesarchiv
im elektronischen Zeitalter seine Aufgaben wieder einfa-
cher wahrnehmen kann . Das bedeutet konkret: Wir schaf-
fen Regelungen zur Übernahme elektronischer Unterla-
gen und zur digitalen Zwischenarchivierung .

Wir entlasten die Bundesbehörden von IT-technischen
Aufgaben bereits bei der Zwischenarchivierung .

Vor allem aber – das ist, glaube ich, ganz wichtig –
verbessern wir die Benutzer- und Wissenschaftsfreund-
lichkeit des Bundesarchivs durch die Verkürzung oder
die Streichung von Schutzfristen . Gerade das wird positi-
ve Auswirkungen auf die Forschung haben .

Nur ein Beispiel: In letzter Zeit wird vermehrt über
die Weiterbeschäftigung von Nationalsozialisten in der
damals noch jungen Bundesrepublik diskutiert . Viele Ak-
ten können durch die Verkürzung der Schutzfristen nun
deutlich früher eingesehen werden . Das erleichtert die
Aufarbeitung, und mit Sicherheit kommt so auch einiges
früher ans Licht .

Es ist richtig, dass das vorliegende Gesetz keine Maxi-
malanforderungen erfüllt . Es bringt nicht alles, was man
sich wünschen könnte . Dem steht an einigen Stellen der
Datenschutz im Weg . An anderer Stelle geht es darum,
das System praktikabel zu halten .

Ich finde aber, dass das neue Bundesarchivgesetz uns
einen guten Schritt voranbringt . Es ist ein fairer Kompro-
miss und ein Gewinn . Das Bundesarchiv ist für unsere
gesamte Gesellschaft eine Art Kultur- und Gedächtnis-
goldgrube . Wir sind eine Kulturnation, und wir sichern
das, was uns jetzt ausmacht, für die, die nach uns kom-
men .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821215200

Vielen Dank, Frau Dr . Freudenstein . – Letzter Redner

in dieser Debatte: Sebastian Hartmann für die SPD-Frak-
tion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Sebastian Hartmann (SPD):
Rede ID: ID1821215300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Der letzte Redner oder

die letzte Rednerin zu sein, gibt ja die Gelegenheit, noch
einmal zusammenzufassen . Vielen Dank für die Mög-
lichkeit . Ich beginne einmal mit einer Selbstdarstellung
des Archivs . Das Archiv sagt über sich selbst:

Wir sind eine moderne Dienstleistungseinrichtung
für Öffentlichkeit …, die Zeugnisse zur neueren …

deutschen Geschichte … jedermann zugänglich
macht .

Damit das Archiv dem Anspruch einer modernen Ein-
richtung auch gerecht werden kann, muss es nach über
30 Jahren eine Novelle des Bundesarchivgesetzes geben .
Wenn man auf das letzte Gesetz aus dem Jahr 1988 schaut,
dann stellt man fest, dass die Digitalisierung wesentlich
vorangeschritten ist . Wir haben heute ganz andere For-
men der Aktenführung und auch der Zugänglichmachung
von Informationen . Bürgerinnen und Bürger haben auch
andere, modernere Ansprüche an Transparenz und Nach-
vollziehbarkeit des Verwaltungshandelns . Auch dem ha-
ben wir uns als Große Koalition nicht verschlossen .

Ich gebe ausdrücklich meiner Kollegin Hiltrud Lotze,
die diesen Gedanken schon eingeführt hat, recht . Sie hat
darauf hingewiesen, dass man an bestimmten Stellen
noch weiter hätte gehen können . Das Informationsfrei-
heitsgesetz, das wir im Jahr 2005 unter rot-grüner Ver-
antwortung angestoßen und beschlossen haben und zu
dem wir als SPD-Bundestagsfraktion auch im Jahr 2013
noch weiter gehende Vorschläge gemacht haben, zeigt:
Wir wären gerne weiter gegangen .

Insofern war es wichtig, in der Beratung des Gesetzes
nicht hinter den Stand zurückzugehen, den wir schon er-
reicht haben . Wir haben mit dem Informationsfreiheits-
gesetz zum Beispiel einen umfassenden Anspruch auf
Auskunft und Information geschaffen. So können Bürge-
rinnen und Bürger einfach nachvollziehen, welche Daten,
welche Unterlagen der Verwaltung vorliegen . Deswegen
war es wichtig, dass im parlamentarischen Verfahren der
Gesetzgebung hier nun deutlich gemacht worden ist: Wir
wollen nicht hinter diesen Stand zurückgehen .

Der Gesetzentwurf war anzupassen und zu ändern .
Wir haben gute Ergebnisse erzielt, sodass wir nicht in
die absonderliche Situation kommen, dass auf eine Un-
terlage, die in einer Verwaltung verfügbar ist, eine Zeit
lang nach dem Informationsfreiheitsgesetz zugegriffen
werden kann, dann aber, wenn sie ins Archiv übertragen
worden ist, nicht mehr . Das wäre ein Widerspruch in sich
gewesen . Wir sind sehr stolz, dass auf Basis der Anhö-
rung mithilfe der Sachverständigen erreicht worden ist,
dass man nicht hinter diesen Anspruch zurückgeht und
wir in diesem Punkt ein modernes Bundesarchivgesetz
vorlegen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Frau Kollegin, ich freue mich sehr, dass die
CDU/CSU – nach Ihren Worten – noch einmal angekün-
digt hat, dass man auch noch weiter gehen kann als das,
was wir jetzt erreicht haben . Dann lassen Sie uns doch
das, was wir erreicht haben, heute beschließen und das,
was wir in den Diskussionen und Anhörungen vernom-
men haben, zum Ausgangspunkt weiterer Verbesserun-
gen machen; denn die Digitalisierung wird voranschrei-
ten .

Wie gehen wir mit digitalen Daten um? Es ist ein
Schatz, der für die interessierte Öffentlichkeit gehoben
werden kann von Wissenschaftlerinnen und Wissen-
schaftlern, die sich eben diesen Schatz zunutze machen .

Dr. Astrid Freudenstein






(A) (C)



(B) (D)


Es ist auch richtig, dass man in bestimmten Ländern in ei-
genen Landesarchivgesetzen, vielleicht im Landesarchiv
in Hannover, etwas weiter gegangen ist . Man könnte jetzt
sagen: Dort haben wir eine bestimmte Regelung, die man
vielleicht auch auf den Bund übertragen kann . Aber es ist
der Wettbewerbsvorteil eines föderalen Staates, dass man
vergleichen kann . Der Erlass von Informationsfreiheits-
gesetzen ist auf Bundesebene angestoßen worden, und
das ist dann in den Ländern nachvollzogen worden . Wir
haben hier nun wieder gemeinsam gehandelt und gesagt:
Hier können wir noch einen Schritt weiter gehen .

Vor diesem Hintergrund war nach unserer Auffassung
das Bundesarchivgesetz in seiner ersten Fassung zu ver-
bessern . Drei Punkte sind benannt worden, und gerade
was den Anspruch auf freie Information und auf Trans-
parenz staatlichen Handelns angeht, schaffen wir damit
die Grundlage einer funktionierenden Demokratie, ei-
nes Rechtsstaates, dass man sich also als Bürgerin und
Bürger darauf verlassen kann: Staatliches Handeln ist
transparent . Man kann es nachvollziehen . Man hat einen
Anspruch darauf, einfach in Erfahrung bringen zu kön-
nen, was der Staat tut, und darauf, dass die Daten für die
Öffentlichkeit verfügbar bleiben.

Ich gebe uns allen aber eine Empfehlung . Wenn die
Opposition beklagt – ich habe der Kollegin Rößner sehr
genau zugehört –, dass ein Gesetz nicht in die Richtung
verändert wurde, wie sie es sich gewünscht hätte, zu-
gleich aber sagt: „Weil es nicht so gemacht worden ist,
dann öffnet es Verschwörungstheorien Tür und Tor“, …
sage ich Ihnen: Lassen Sie uns nicht nur eine Archiv-
debatte führen . Wenn man sich irgendwann einmal die
Unterlagen, die wir nun produziert haben, also unsere
Redeprotokolle und die Unterlagen, die mit diesem Ge-
setz zusammenhängen, ansieht, dann wird man sehen:
So ganz stimmt der Vorwurf der Verschwörungstheorie
nicht . Man wird sehen: Es gibt keinen Anhaltspunkt für
eine Verschwörungstheorie, es wird hier nichts versteckt,
sondern alles ist einfach, transparent und nachvollzieh-
bar . Dass an dem Vorwurf des Vertuschens, dessen sich
die Opposition so gerne bedienen möchte, nichts dran ist,
wird man dann einfach nachvollziehen können .

Deswegen empfehlen wir: Nehmen Sie die Änderun-
gen an! Beschließen Sie das Gesetz mit uns gemeinsam!
Die Linke hat sich schon zur Enthaltung durchgerungen .
Das ist schon einmal etwas .


(Sigrid Hupach [DIE LINKE]: Das höchste Lob der Opposition!)


Eine herzliche Einladung an die Grünen: Lassen Sie es
uns gemeinsam machen!

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821215400

Vielen Dank, Sebastian Hartmann . – Damit schließe

ich die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neurege-
lung des Bundesarchivrechts .

Uns liegt dazu eine Erklärung zur Abstimmung gemäß
§ 31 der Geschäftsordnung vor .1)

Der Ausschuss für Kultur und Medien empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10813,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/9633 in der Ausschussfassung zuzustimmen, also
seine Empfehlung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um ihr Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Be-
ratung angenommen . Zugestimmt haben die CDU/CSU
und die SPD, dagegen war Bündnis 90/Die Grünen, ent-
halten hat sich die Linke .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist angenommen . Zugestimmt haben die CDU/
CSU-Fraktion und die SPD-Fraktion . Dagegengestimmt
hat Bündnis 90/Die Grünen, enthalten hat sich die Linke .

Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10890 .
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer
stimmt dagegen? – Somit dürfte sich niemand mehr ent-
halten . – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt . Zuge-
stimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke,
dagegen waren CDU/CSU und SPD .

Vielen herzlichen Dank .

Jetzt rufe ich den nächsten Tagesordnungspunkt, den
Tagesordnungspunkt 8, auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Recht und Verbrau-
cherschutz (6 . Ausschuss) zu dem Antrag der Ab-
geordneten Renate Künast, Uwe Kekeritz, Nicole
Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kleidung fair produzieren – EU-Richtlinie für
Transparenz- und Sorgfaltspflichten in der
Textilproduktion schaffen

Drucksachen 18/7881, 18/10904

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre, ich
sehe keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Wenn die Mitglieder des Kulturausschusses ihre Ge-
spräche abgeschlossen haben, rufe ich die erste Rednerin
auf; aber so lange warten wir noch .

Ich rufe die erste Rednerin in dieser Debatte auf . Es ist
für die SPD-Fraktion Elvira Drobinski-Weiß .


(Beifall bei der SPD)


1) Anlage 6

Sebastian Hartmann






(A) (C)



(B) (D)



Elvira Drobinski-Weiß (SPD):
Rede ID: ID1821215500

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Sehr geehrte Zuschauerinnen und Zuschauer auf
der Tribüne! Die Textil- und Bekleidungsindustrie ist
eine der wichtigsten Konsumgüterbranchen Deutsch-
lands . Sie ist stark von der Globalisierung geprägt . Cir-
ca 90 Prozent der in Deutschland gekauften Bekleidung
stammen aus dem Import . Hergestellt werden die meis-
ten Textilien – das können Sie ja auch jederzeit nachse-
hen – in Ländern wie Bangladesch, Kambodscha, Indien
oder China .

Theoretisch besteht damit, so könnte man meinen, vor
allen Dingen in Entwicklungs- und Schwellenländern die
Chance, eine starke Wirtschaft vor Ort aufzubauen und
den Lebensstandard der Menschen vor Ort zu verbessern .
Tatsächlich ist das leider nur selten der Fall . Denn dafür
müssten die Löhne, die den Arbeiterinnen und Arbeitern
gezahlt werden, existenzsichernd sein, und der Arbeits-
schutz müsste sehr viel umfassender sein .


(Beifall bei der SPD)


Unter welchen Bedingungen einzelne Kleidungsstü-
cke hergestellt werden, ist für Verbraucherinnen und
Verbraucher hierzulande praktisch nicht nachvollziehbar .
Der Preis sagt nichts darüber aus, und Informationen zu
den Standards, unter denen bestimmte Kleidungsstücke
produziert werden, sind meist auch nicht zu finden.

Katastrophen wie in Pakistan oder in Bangladesch mit
mehreren Hundert Toten – ich denke, das wird jeder von
Ihnen gelesen, gesehen, gehört haben – haben den Kon-
sumenten in den letzten Jahren mehr und mehr bewusst
gemacht, in welchem Maße in vielen Textilfabriken Ar-
beits- und Menschenrechte verletzt worden sind . Zuneh-
mend legen Verbraucherinnen und Verbraucher deshalb
auch Wert auf faire Produkte . Sie wollen, dass Arbeite-
rinnen und Arbeiter so entlohnt werden, dass sie und ihre
Familien davon leben können, und dass Kleidungsstücke
nicht in einsturzgefährdeten Textilfabriken, beispielswei-
se ohne Brandschutzvorkehrungen, produziert werden .

Nachhaltiger Konsum ist jedoch nur möglich, wenn
auf den Märkten auch nachhaltige Produkte angeboten
werden . Die Verbraucher allein haben eben nicht die
Marktmacht, diese einzufordern . Die Einhaltung von
Menschenrechten, grundlegende Arbeitsschutzstandards
und die Zahlung fairer Löhne sollten selbstverständliche
Mindeststandards sein,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


sind es aber nicht . Deshalb sind politische Interventionen
unumgänglich .

Einen ersten Schritt ging die Europäische Union
im Jahr 2014 mit der Verabschiedung der sogenannten
CSR-Richtlinie . Kapitalmarktorientierte Unternehmen
mit mehr als 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern müs-
sen zukünftig eine „erweiterte Berichterstattung“ vorle-
gen . Das heißt, sie sollen künftig stärker auch über nicht-
finanzielle Aspekte des Engagements und über von ihnen
verfolgte Konzepte berichten . Sie müssen beispielsweise
Angaben zu den Arbeitsbedingungen, zur Achtung und

Wahrung der Arbeitnehmerrechte, zum Gesundheits-
schutz oder auch zur Sicherheit am Arbeitsplatz machen .

Ich hätte mir gewünscht, dass auch Unternehmen er-
fasst worden wären, die nicht börsennotiert sind . Dann
wären auch große Handelsunternehmen wie Lidl oder
Aldi, die ja auch jeder kennt, daruntergefallen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich hätte mir auch gewünscht, dass es einen Prüfmecha-
nismus für die nichtfinanziellen Aspekte gibt. Wir, die
SPD-Fraktion, sind hier leider mit unserem Koalitions-
partner nicht – vielleicht: noch nicht – übereingekom-
men . Dennoch glaube ich, dass die Umsetzung der Richt-
linie immerhin ein erster Schritt ist . Ich kann an dieser
Stelle nur an Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von
der Union, appellieren, die Verabschiedung eines ent-
sprechenden Gesetzes nicht länger zu blockieren .

Endlich ist nun auch der Nationale Aktionsplan „Wirt-
schaft und Menschenrechte“ im Bundeskabinett verab-
schiedet worden . Damit sollen die UN-Leitprinzipien
zum Schutz der Menschenrechte umgesetzt werden . Das
Papier macht klar: Nicht nur der Staat ist zum Schutz
der Menschenrechte verpflichtet, sondern auch die Wirt-
schaft trägt Verantwortung .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Und unabhängig von der Unternehmensgröße oder der
Branche sollen alle einen aktiven Beitrag zur Verbes-
serung der Einhaltung der Menschenrechte entlang der
Liefer- und Wertschöpfungskette leisten . In einem Mo-
nitoringprogramm will die Bundesregierung ab 2018 die
Umsetzung des Aktionsplans überprüfen . Für den Fall,
dass dieses Ziel verfehlt wird, will die Bundesregierung
weitergehende Schritte bis hin zu gesetzlichen Maßnah-
men prüfen .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Klingt ja wie eine Drohung!)


Nicht zu vergessen ist das Nationale Programm für
nachhaltigen Konsum . Wie bereits erwähnt: Nachhaltig
konsumiert werden kann nur, wenn auch nachhaltige
Produkte angeboten werden, wenn Verbraucherinnen und
Verbraucher erkennen können, wie Kleidung, Lebens-
mittel oder Handys hergestellt worden sind . Faire Löhne
machen übrigens die Produkte nur unmerklich teuer . Und
selbst wenn sich Produkte dadurch verteuern würden:
Wenn klar und verlässlich erkennbar ist, dass sie unter
fairen Bedingungen produziert worden sind, wenn der
Verbraucher, die Verbraucherin erkennen kann, warum
etwas mehr kostet, dann steigt auch die Bereitschaft der
Konsumenten, die höheren Preise zu bezahlen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das Thema Nachhaltigkeit muss branchenübergrei-
fend und international gelebt werden . Es bedarf einiger
neuer politischer Maßnahmen . Bestehende Instrumente
wie zum Beispiel die Ökodesign-Richtlinie müssen wei-
terentwickelt werden, und andere Maßnahmen müssen
evaluiert werden . Appelle allein an Verbraucher, verant-
wortungsvoller zu konsumieren, reichen nicht . Wir brau-






(A) (C)



(B) (D)


chen gerade in der Textilbranche mehr als nur Appelle an
Unternehmen und Verbraucher .

Die Ziele Ihres Antrages, liebe Kolleginnen und Kol-
legen von den Grünen, teilen wir deshalb . Ob Ihre Vor-
schläge allerdings wirklich am besten dazu geeignet sind,
diese Ziele umzusetzen, da bin ich mir nicht ganz sicher .


(Heribert Hirte [CDU/CSU]: Eben!)


Wir müssen uns noch einmal mit den Experten auf die-
sem Gebiet zusammensetzen .

So viel ist jedoch klar: Die SPD steht Ideen für eine
gesetzliche Regelung offen gegenüber. Ich habe es schon
gesagt: Es war leider mit unserem aktuellen Koalitions-
partner bisher nicht umzusetzen .


(Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Es fehlt immer, dass die CDU an allem schuld ist! – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


Fakt ist jedoch, dass etwas passieren muss . Das sind wir
den Menschen, die unsere Kleidung, unsere Handys oder
das Spielzeug unserer Kinder herstellen, schuldig .

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD – Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Applaus können Sie jetzt nicht erwarten!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821215600

Vielen Dank, Elvira Drobinski-Weiß . – Nächste Red-

nerin: Karin Binder für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821215700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wie viele Katastrophen muss es geben, bis wir eine faire
Textilproduktion bekommen? Die Textilindustrie verlegt
ihre Produktion nach wie vor in Billiglohnländer, ohne
sich um die Einhaltung von Sozial- oder Umweltstan-
dards zu kümmern. Sie importiert ihre Profite, und sie
exportiert die Verantwortung . Damit muss Schluss sein!


(Beifall bei der LINKEN)


Wir müssen diesen unwürdigen Wettbewerb um die
niedrigsten Löhne und Arbeitsstandards beenden . Wer
die Lieferanten in seiner Warenkette nicht kennt, wer
die Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards nicht
garantieren kann, handelt verantwortungslos . Deshalb
brauchen wir eine EU-weite Richtlinie für Sorgfalts-
pflicht und verbindliche Transparenz in der Textilbran-
che, aber auch in anderen Branchen . Bis heute drückt sich
die Bundesregierung vor ihrer Verantwortung gegenüber
unserer Gesellschaft ebenso wie vor der Verantwortung
gegenüber den Betroffenen in den Ländern des Südens
oder auch Osteuropas. Bis heute haben die Profiteure der
Billigproduktion keine Entschädigung an die Opfer von
Rana Plaza oder die in Pakistan gezahlt .

Das 2014 von Bundesentwicklungsminister Gerd
Müller mit großem Tamtam eingerichtete freiwillige
Bündnis für nachhaltige Textilien verbessert weder die
Arbeits- und Lebensbedingungen der Näherinnen und

Näher in den Niedriglohnländern noch den dortigen Um-
welt- und Klimaschutz . Nur die Hälfte der deutschen
Textilunternehmen nimmt überhaupt daran teil . Es gibt
keine Verpflichtung, soziale und ökologische Standards
wirklich einzuhalten . Jedes teilnehmende Unternehmen
kann selbst definieren, was es verbessern will oder auch
nicht . Verstöße werden nicht geahndet . Werben dürfen
die Unternehmen trotzdem mit dem angeblich nachhal-
tigen Textilsiegel . Dieses schützt nicht die Menschen
in den Fabriken, sondern die Textillobby vor schlechter
Presse, und das ist ein Skandal .


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb unterstützt die Linke den vorliegenden An-
trag . Wir brauchen eine europaweite Regelung zum
Schutz der Menschen in den Ländern, in denen die meis-
ten europäischen Textilfirmen bisher zu Dumpingpreisen
produzieren lassen . Die Einhaltung der Menschenrechte
wird nur zu gewährleisten sein mit verbindlichen, ver-
pflichtenden Standards für die Beschäftigten und die
Umwelt, mit Verantwortung der Textilindustrie für die
gesamte Lieferkette sowie mit umfassenden Informati-
onsrechten für Verbraucherinnen und Verbraucher über
die sozialen und ökologischen Produktionsbedingungen .
Die Linke fordert das seit vielen Jahren, auch ergänzend
zum Verbraucherinformationsgesetz .

Verbraucherinnen und Verbraucher möchten ihre Klei-
dung mit gutem Gewissen tragen können und nicht Blut-
flecken auf der teuer erstandenen weißen Weste haben;
denn auch Hersteller hochpreisiger Waren wie Boss oder
Hilfiger lassen in solchen Niedriglohnländern produzie-
ren .

Ich möchte aber noch auf eine Schwachstelle des An-
trags hinweisen . Die Unternehmen können sich weiterhin
von privaten Dienstleistern bescheinigen lassen, dass sie
im Rahmen des Siegels produzieren . Diese privaten Zer-
tifizierungsunternehmen haben aber selbst Gewinninter-
essen, und sie werden direkt von den Textilunternehmen
bezahlt, die sie für das Siegel prüfen sollen . Das bietet
einen hohen Anreiz zu und auch Möglichkeiten für Be-
trug und Korruption . Deshalb: Die Linke will, dass die
Unternehmen endlich für fairen Handel in die Pflicht ge-
nommen werden, und dafür fordern wir klare gesetzliche
Rahmenbedingungen .

Erstens . Unternehmen, die im Ausland produzieren
oder produzieren lassen, müssen menschenrechtliche
und umwelttechnische Sorgfaltspflichten entlang der ge-
samten Herstellungskette einhalten .

Zweitens . Die zivilrechtliche Haftung bei Verstößen
ist auszubauen .

Drittens . Die Unternehmen sind auch für die Verlet-
zung von Menschenrechten und Sorgfaltspflichten ihrer
Subunternehmen oder Zulieferer haftbar zu machen .

Viertens . Ein Unternehmensstrafrecht muss eingeführt
werden, und Gruppenklagen oder Musterverfahren vor
deutschen Gerichten müssen ermöglicht werden .

Fünftens . Gewerkschaften und NGOs müssen bei der
Zertifizierung einbezogen und an dieser beteiligt werden.

Elvira Drobinski-Weiß






(A) (C)



(B) (D)


Notwendig ist auch eine unabhängige Kontrolle, die im
Auftrag staatlicher Behörden erfolgt .

Schließlich müssen Beschwerdestellen von den euro-
päischen Textilfirmen für die Arbeiterinnen und Arbeiter
der Fabriken eingerichtet werden . Menschenrechte müs-
sen immer Vorrang haben . Sie dürfen nicht gegen Markt-
oder Profitinteressen abgewogen werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Risiken der Globalisierung sind von den Auftragge-
bern zu tragen und dürfen nicht auf die Auftragnehmer
oder gar ihre Beschäftigten abgewälzt werden .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821215800

Vielen Dank, Kollegin Binder . – Nächster Redner:

Dr . Heribert Hirte für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Heribert Hirte (CDU):
Rede ID: ID1821215900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir beraten hier über den Antrag der Grünen mit dem
Titel „Kleidung fair produzieren – EU-Richtlinie für
Transparenz- und Sorgfaltspflichten in der Textilproduk-
tion schaffen“.

Lassen Sie mich dazu zunächst sagen: Ihr Anliegen
bedarf im Grundsatz – im doppelten Sinne des Wortes –
nachhaltiger Unterstützung; denn die Produktionsbedin-
gungen sind in vielen Ländern, vor allen Dingen Asi-
ens, weit von den Standards entfernt, die wir uns hier in
Deutschland wünschen, die wir uns vorstellen, die sich
deutsche Verbraucher wünschen .

Wir haben es hier – Sie beschreiben das in Ihrem An-
trag plastisch; das wurde so ähnlich auch schon gesagt –
mit einer Externalisierung von Kosten zu tun, wie das die
Ökonomen beschreiben . Um das zu ändern, wollen Sie
die Bundesregierung auffordern, sich für eine EU-Richt-
linie einzusetzen, die vor allen Dingen folgende Aspekte
regeln soll: die Transparenz über die Lieferkette, die Ver-
pflichtung, bestimmten Sorgfaltspflichten nachzukom-
men, den Nachweis der Einhaltung durch Zertifikate und
einheitliche Standards für ebendiese Zertifikate.

Allerdings besteht kein Anlass, dies in dieser Weise
zu regeln; denn – das schreiben Sie auf der anderen Sei-
te auch – wir erleben einen Bewusstseinswandel in der
Bevölkerung . Heute sagt man: Solche Produkte wollen
wir nicht kaufen . – Für acht von zehn Verbrauchern ist
es wichtig – das deckt sich auch mit meinen Rückmel-
dungen –, vernünftig produzierte Kleidung zu kaufen .
Das zeigt doch: Verbrauchermacht wirkt . Verbraucher-
macht wirkt auch durch die sozialen Medien . Wenn ein
Produkt qualitativ schlecht ist und mit einer miserablen
Lieferkette hergestellt worden ist, dann wird es von den
Verbrauchern nicht mehr gekauft . Umgekehrt gilt: Wenn
ein Unternehmen sagt: „Unser Produkt ist ordentlich her-
gestellt worden; wir überwachen die Lieferkette“, dann

generiert es zusätzliche Marktanteile . Das bedeutet: Der
Markt funktioniert .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er funktioniert eben nicht!)


Sie können sich das etwa bei den Bioeiern ansehen .
95 Prozent der Eier, die heute an Endverbraucher ver-
kauft werden, sind Bioeier .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ich auch!)


An der Kennzeichnung – das ist Ihr Verdienst –


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danke!)


liegt es, dass die Verbraucher diese Eier kaufen .

Nur, dieselben Verbraucher sagen in Kenntnis genau
dieser Umstände bei Kleidung oft: Wir wollen es anders
haben . Die Verbraucher fragen auch, zu welchem Preis
ein Produkt verkauft wird; und zu welchem Preis sie kau-
fen, ist die freie Entscheidung der Verbraucher .

Deshalb ist es so einfach nicht, dass acht von zehn
Verbrauchern diese Bedingungen in dieser Weise über-
wacht haben wollen . Das könnte man nur durch Zwang
ändern, indem man sagt: „Eine Produktion im Ausland
ist verboten“, oder: Anzüge in Deutschland werden erst
ab 4 000 Euro verkauft .


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unsinn! – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was soll das denn?)


Diesen Zwang lehnen wir ab, und Sie lehnen ihn auch
ab . Was Sie wollen, ist Transparenz, nur Transparenz .
Aber genau diese Transparenz haben wir schon . Deshalb
geht Ihr Ansatz ins Leere . Wir verfolgen mit dem Textil-
bündnis – das BMZ hat das inzwischen weiter forciert –
genau diesen Ansatz, die Transparenz zu fördern . So
werden dem Verbraucher die notwendigen Informationen
gegeben, damit er selbst eine Entscheidung treffen kann.

Es wäre falsch, die Wirtschaft – das klang in der Rede
der Kollegin Drobinski-Weiß und noch viel extremer in
der Rede der Kollegin von den Linken an – in die Haf-
tung zu nehmen . Es sind die Verbraucher, die eine eigen-
verantwortliche Entscheidung treffen, ob und, wenn ja,
unter welchen Bedingungen sie Produkte aus der Dritten
Welt kaufen . Wir brauchen Aufklärung, aber sie muss
nicht mit Zwang hergestellt werden .


(Beifall bei der CDU/CSU – Karin Binder [DIE LINKE]: Wie sonst?)


Selbst wenn Regelungsbedarf bestünde, gilt: Das, was
Sie hier vorschlagen, ist ein bürokratisches Monster . Ein
Herrenhemd – wir haben das in der Anhörung gehört –
hat bis zu 140 Produktionsvorstufen . Das heißt, wir ma-
chen einen langen Zettel an ein Herrenhemd, auf dem
steht, wo alle Einzelprodukte, vom Knopf bis zum Fa-
den, herkommen . Das alles soll überwacht werden . Man
braucht Zertifizierungsagenturen und Berater. Sie haben
eben noch einmal gefordert, dass das auch von einem
Abschlussprüfer überwacht werden muss usw . usf . Was

Karin Binder






(A) (C)



(B) (D)


Sie hier schaffen wollen, ist nicht soziale Gerechtigkeit,
sondern ein neues Betätigungsfeld für Unternehmensbe-
rater und Werbeagenturen . Davon hätten die Menschen
in Bangladesch nichts . Die Mehrkosten würden dann hier
in Deutschland entstehen, und wir würden hier neue Ar-
beitsplätze in der Bürokratie schaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einfach super!)


Sehen wir uns weiter an, was Sie in Ihrem Antrag
schreiben: Sie wollen die Pflichten so ausgestalten, dass
den Kapazitäten und Einflussmöglichkeiten von KMUs
Rechnung getragen wird . Das ehrt Sie . Aber wenn dies
umgesetzt würde, wäre die Folge, dass die KMUs in
noch größerem Umfang von den Pflichten ausgenom-
men werden, als wir es – im Übrigen im Konsens mit der
SPD – jetzt in der CSR-Richtlinie vorsehen . Das ist in
sich widersprüchlich .

Meines Erachtens ist es ein richtiges Anliegen, aber
der falsche Weg . Nicht der Staat, sondern der Markt und
der aufgeklärte Verbraucher – dazu haben wir die Instru-
mente in der Hand – sollten den Textilhandel zu besseren
Bedingungen bei der Textilproduktion zwingen . Deshalb
werden wir Ihren Antrag ablehnen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821216000

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Renate

Künast für die Fraktion der Grünen das Wort .


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821216100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber

Herr Professor Hirte


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Professor ist der! Das gibt es doch nicht! – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


– ja, man muss mal Haltung annehmen –, ich komme
gleich gerne auf Ihre Rede zurück . Wenn ich Sie mit Pro-
fessor anspreche, haben Sie das Gefühl „Jetzt kommt es
gleich“, nicht wahr?


(Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Genau!)


Die Mode ist schön . Das ist eine total tolle Sache . Ge-
rade ist wieder Fashion Week in Berlin . Ich war gestern
Nachmittag einmal dort . Dort sieht man wunderschöne
Sachen, tolle Stoffe, tolle Farben. Das ist richtig schön.


(Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Sie sehen auch sehr gut aus heute!)


– Ich bin dienstlich hingegangen .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Das ist der Vorteil, wenn man sich mit diesem Thema be-
schäftigt . Das kann ich allen Kolleginnen und Kollegen
sagen; auch Männer interessieren sich dafür .

Wissen Sie, die andere Seite des Themas Mode ist die
Frage: Auf wessen Rücken und unter welcher Ausbeu-
tung wird Mode hergestellt? Wo werden Menschenrechte
eingehalten? Wo werden internationale Umweltverein-
barungen eingehalten? Herr Hirte hat gerade so schön
auf den freien Markt und den aufgeklärten Verbraucher
verwiesen. Das finde ich toll. Denn wenn Sie für den auf-
geklärten Verbraucher sind, müssten Sie diesem Antrag
zwingend zustimmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Denn sonst redet niemand über Aufklärung, jedenfalls
nicht in dem Maße; auch Frau Drobinski-Weiß hat das
gesagt .

Ich will noch eines hinzufügen, weil Sie auf den
Markt hingewiesen haben . Der Markt, dieses unbekannte
Wesen, das scheue Reh, wer ist das?


(Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Der Verbraucher!)


Ja, wir sind Marktteilnehmer . Ich muss Ihnen einmal
sagen: Als Marktteilnehmer denke ich gar nicht daran,
dass, während alle untereinander Rechte und Pflichten
ausmachen, nur ich als Verbraucher darauf warten soll,
dass ein Unternehmen gnädigerweise eine Information
abwirft . Nein, die Verbraucher, die Kundinnen und Kun-
den, die in den Laden gehen, haben als Wirtschaftsteil-
nehmer das Recht, zu wissen, woher etwas kommt und
wie es produziert wurde,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


so wie jeder andere auch wissen darf, woher zugeliefert
wird . Das wäre ein Markt .


(Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Macht das Textilbündnis!)


Sie reden über Aufklärung . Herr Professor Hirte,
wenn Sie mir sagen können, ob Ihr Anzug, Ihre Krawatte
und Ihr Hemd unter Einhaltung aller ILO-Normen und
aller Umweltabkommen hergestellt wurden, melden Sie
sich . Ich würde die Zwischenfrage dann zulassen, und
Sie könnten es mir darlegen .


(Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Dann kostet der Anzug 4 000 Euro!)


– Das stimmt doch überhaupt nicht .


(Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Natürlich!)


– Das ist doch vollkommen gaga . Der Anzug würde nicht
4 000 Euro kosten . Solch einen Anzug würden Sie aller-
dings auch bekommen, wenn Sie wollen würden . Wissen
Sie, wenn es Living Wages in Bangladesch geben würde
und man nach europäischem Standard das Wasser nach
dem Färben der Stoffe reinigen würde, wenn man ein
Krankenhaus in der Nähe hätte und gute Fluchtwege vor-
handen wären, würde Ihr Anzug, wenn er in Asien produ-
ziert wird, immer noch nicht 4 000 Euro kosten,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Dr. Heribert Hirte LINKEN – Zuruf des Abg . Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU])





(A) (C)


(B) (D)


weil das angesichts der Margen bei Ihrem Anzug nur ein
paar Euros ausmachen würde . Ich sage Ihnen: Das ist
auch kein Argument . Sie haben das C im Namen, nicht
wir .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wie ist es mit Sumangali in Indien? Eine Situation
wie in Sumangali in Indien wollen Sie nicht ernsthaft;
da müssen Sie etwas tun . Frauen werden angelockt, dort
zu arbeiten, indem man sagt, sie würden später ein Aus-
steuergeld bekommen . Ihnen wird dann kurz vor der Frist
gekündigt, und sie werden um ihr Geld betrogen .

Schauen Sie nach Bangladesch! Es ist übrigens mitt-
lerweile auf einem etwas besseren Weg . Warum? Weil
Kommissar De Gucht nach dem Zusammenbruch des
Gebäudes bei Rana Plaza gesagt hat: Wir machen jetzt
einen Bangladesch Accord, mit dem wir klare Vorgaben
zur Statiküberprüfung, zu Kontrollen und Ähnlichem
machen .

Schauen Sie nach Myanmar! Ich war da . Die machen
sich ein bisschen auf den Weg . Warum?


(Christian Hirte [CDU/CSU]: Weil die Verbraucher gucken!)


Sie haben in der Zeit der Militärdiktatur für Japan und
Südkorea gnadenlos, ohne irgendeine Rücksicht auf
ILO-Arbeitsnormen gegen Kinderarbeit oder gegen Skla-
venarbeit produziert . Nur weil unsere Industrie den recht
niedrigen – aber immerhin – BSCI-Standard voraussetzt,
haben sie gemerkt, dass sie für Europa nur mit diesem
Mindeststandard produzieren können . Da müssen wir
ihnen helfen . Sie haben sich immerhin vorgenommen,
Kinderarbeit innerhalb von zehn Jahren abzuschaffen,
aber nur, wenn es Regeln gibt und sie wissen, dass darauf
geachtet wird .

Wenn Sie Herrn Müller loben, der leider nicht hier
ist, sage ich Ihnen: Die Initiative von Herrn Müller geht
nicht einmal bis Prato, Italien . Ich war im letzten Jahr
da . Als die Industrie aus Europa nach China ging, hieß
es: Dann holen wir ein paar Chinesen zu uns . – Da herr-
schen aber auch chinesische Verhältnisse . Auf meine
Nachfrage antwortet die Bundesregierung: Dazu wissen
wir nichts . – Ich sage: Zeitunglesen bildet, nicht nur ein
Blick ins Gesetzbuch .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Einige haben die CSR-Richtlinie gelobt, deren Um-
setzung nach dem jetzigen Beratungsstand immer noch
dünn ist, weil sie auch keine Vergleichbarkeit und Über-
prüfbarkeit schafft. Die Beschaffungsrichtlinie der Bun-
desregierung wurde dünn umgesetzt . Wir meinen, die
Produktions- und Lieferkette muss offengelegt werden,
und es muss klar definierte Sorgfaltspflichten geben. Man
kann nicht für jeden Fehler verantwortlich sein, aber es
muss definierte und nachprüfbare Sorgfaltspflichten ge-
ben . Nur Deutschland, nur freiwillig und nicht einklag-
bar – das geht nicht .

Das ist im Übrigen kein fairer Wettbewerb . Sie sind
doch die Wettbewerbspartei und reden ständig darü-
ber . Dann erklären Sie uns doch einmal, wie sie einem
Unternehmen, das sich fair verhält, keine Sklaven- und
Kinderarbeit zulässt, vermitteln wollen, wie es im Wett-
bewerb bestehen soll .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ein letzter Gedanke, Herr Hirte: Der Zettel wird nicht
so lang . Wir leben im digitalen Zeitalter . Die wissen ge-
nau, wo all ihre Knöpfe, Reißverschlüsse usw . herkom-
men . Da legen sie eine neue Maske an . Im 21 . Jahrhun-
dert finden sie das alles sehr schnell heraus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Dr . Matthias Bartke [SPD] und Karin Binder [DIE LINKE])


Ich finde, wir brauchen einen fairen Wettbewerb. All
die ILO-Arbeitsnormen und Menschenrechtsvereinba-
rungen kreisen heute wie Satelliten um den Globus . Wir
müssen sie mal runterholen, damit sie unten auf der Erde
tatsächlich als Menschenrechte anerkannt werden . Das
macht unsere Vorlage .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821216200

Frau Kollegin, ich muss Sie bitten, zum Schluss zu

kommen .


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821216300

Letzter Halbsatz . – Im Übrigen erkennt sie das Recht

der Marktteilnehmer, Verbraucher und Kunden, an, zu
wissen, und zwar ohne dass sie sich beim Suchen der In-
formationen einen Wolf laufen . Das ist eine Bringschuld .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christian Hirte [CDU/CSU]: Das verbietet auch keiner!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821216400

Als nächster Redner hat Jürgen Klimke für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Jürgen Klimke (CDU):
Rede ID: ID1821216500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich noch einmal
bei dem anfangen, was auch der Kollege Hirte gesagt hat .
Aus unserer Sicht ist der Antrag eine gute, vernünftige
Basis, um die Verbesserung der Situation von Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmern in der Textilindustrie in
Entwicklungsländern anzugehen . Aber auch wenn wir in
den Zielen übereinstimmen, gibt es Defizite und unter-
schiedliche Bewertungen, gerade durch meine Fraktion,
was den vorgeschlagenen Weg betrifft.

Zunächst vermisse ich in dem Antrag ein zentrales
Projekt der deutschen Entwicklungspolitik – das ist hier
zwar mehrfach genannt worden, aber es steht nicht da-

Renate Künast






(A) (C)



(B) (D)


rin –, nämlich das 2014 gegründete Textilbündnis . Die-
ses Textilbündnis greift die Thematik aus meiner Sicht in
vorbildlicher Weise auf


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es passiert nur nichts!)


und arbeitet bereits in der Praxis an der Verringerung von
Missständen und Benachteiligungen . Mit dem Projekt
kommen Verbraucher, Wirtschaft und Politik auf freiwil-
liger Basis zusammen .


(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das klappt ja gut!)


Ich habe nicht den Eindruck, dass Sie das richtig ver-
standen haben, Frau Künast .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Och! Das hatte ich schon verstanden, bevor Sie es gelesen hatten!)


– Nun schreien Sie nicht! Sie haben gerade genug ge-
schrien .


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

DIE GRÜNEN]: Ja wenn Sie mich anspre-
chen!)

Der vorliegende Antrag geht nämlich nicht auf das Vor-
haben ein, das wir im Ausschuss für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung in der letzten Legis-
laturperiode kontinuierlich betreut haben . Das deutsche
Textilbündnis arbeitet an einer spürbaren Veränderung
entlang der textilen Lieferkette, um die Arbeitsbedingun-
gen in der Textilwirtschaft international zu verbessern,
existenzsichernde Löhne zu gewährleisten und Umwelt-
standards einzuhalten . Die 188 Mitglieder des Bünd-
nisses – davon 133 mittelständische Unternehmen und
Großkonzerne aus der Textilindustrie und dem Handel –
haben bereits 2016 mit konkreten Umsetzungsplänen mit
dem Ziel von mehr Nachhaltigkeit in der Textilindustrie
begonnen .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821216600

Herr Klimke, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?


Jürgen Klimke (CDU):
Rede ID: ID1821216700

Nein, jetzt nicht . Frau Künast hat ihre Zeit sowieso

überzogen .


(Zurufe von der CDU/CSU: Genau! – Richtig!)


Wir haben inzwischen – auch das ist ganz wichtig –
einen Marktanteil von 55 Prozent erreicht; er hat sozu-
sagen einen abdeckenden Charakter . Ich bin im Übrigen
überzeugt, dass das Textilbündnis Vorbild für andere
Wirtschaftszweige sein kann, zum Beispiel für den Roh-
stoffsektor oder die Fischereiindustrie, und dass deutlich
wird, dass sich faire Herstellung lohnt . Viele Forderun-
gen der Grünen werden von Teilen der Branche ja schon
umgesetzt . Dies sollte man anerkennen, bevor man die-
ses Thema vorantreibt und es von der nationalen auf die
europäische Ebene bringt .

Meine Damen und Herren, auf ein verändertes Be-
wusstsein der Verbraucherinnen und Verbraucher im
Nachgang zum tödlichen Einsturz in Rana Plaza, Bang-
ladesch, wird immer wieder gerne hingewiesen . Dies ist
jedoch ein sehr langsamer Prozess . Hier müssen wir wei-
ter sensibilisieren . Das kommt in Ihrem Antrag zu kurz .
Auch hier geht das BMZ mit Taten voran; das müssen
wir festhalten .

Mit dem Portal „Siegelklarheit“ hat die Bundesregie-
rung ein erstes Angebot für Verbraucher und Unterneh-
men auf den Weg gebracht, um nachhaltiges Handeln
zu stärken. Dieses Portal ist vom BMZ initiiert und fi-
nanziert worden . Das Projekt trägt dazu bei, dass Um-
welt- und Sozialsiegel eingeführt und besser verstanden
werden, die Marktdurchdringung anspruchsvoller Siegel
und die internationale Umsetzung hoher Umwelt- und
Sozialstandards vorangetrieben werden; das muss man
festhalten . Zudem darf nicht aus dem Fokus geraten,
meine Damen und Herren, dass die Hauptverantwortung
für den Schutz von Menschenrechten und der Einhaltung
von Sozial- und Umweltstandards bei den Regierungen
der Produktionsländer liegt .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Diese Verantwortung wird in Ihrem Antrag benannt .
Dieses Argument wird jedoch schnell beiseitegeschoben,
und die Verantwortung wird dem europäischen Markt
und den dort agierenden Textilunternehmen zugewiesen .
Da wird der Bock zum Gärtner gemacht . In bilateralen
Verhandlungen mit Produktionsländern dürfen wir eben
nicht davor zurückschrecken, Missstände in diesen Län-
dern zu benennen und zu konditionieren: Ihr bekommt
nur Geld von uns, wenn ihr die sozialen Grundlagen in
eurem Land verändert; wenn nichts passiert, dann gibt
es kein Geld . – Das müssen wir eindeutig sagen und da
konsequenter sein .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Metin Hakverdi [SPD]: Ich denke, der Verbraucher macht das schon! Wenn der das macht, brauchen wir das doch nicht!)


Meine Damen und Herren, wir sind mit dem Textil-
bündnis auf einem sehr guten Weg . Das gilt insbeson-
dere für die Agenda 2030 . Menschenwürdige Arbeit und
wirtschaftliches Wachstum, nachhaltige Produktion und
nachhaltiger Konsum sowie Förderung von Partnerschaf-
ten, das sind Ziele, die dort genannt werden .

Zusammenfassend:

Erstens . Für mich liegen die Erfolge und Ziele der
deutschen Entwicklungspolitik im Textilsektor auf der
Hand. Denn in Deutschland haben wir es geschafft, die
Textilindustrie auf freiwilliger Basis in den Prozess
einzubeziehen, ohne dass dabei ein ungeheurer Verwal-
tungsaufwand für die Unternehmen entsteht . Das hat
Vorbildcharakter .

Zweitens . Die Bundesregierung setzt auf einen aufge-
klärten Verbraucher, auf einen aufgeklärten Käufer . Ich
persönlich wünsche mir, dass im weiteren Prozess für
den Verbraucher ein Siegel entworfen wird, an dem er

Jürgen Klimke






(A) (C)



(B) (D)


auf den ersten Blick erkennen kann, ob es sich um „Fair-
trade“ oder „Social-made“ handelt,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wieder nur freiwillig, nicht? – Gegenruf von der CDU/CSU: Der Markt setzt sich durch! – Gegenruf der Abg . Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach ja? Der Markt setzt sich da durch? Ich bin gespannt!)


dass seine Kleidung also unter Einhaltung der Vorgaben
des Textilbündnisses produziert worden ist .

Drittens – last, but not least –: Wir müssen die Re-
gierungen der Produktionsländer – ich sage es noch ein-
mal – stärker in die Verantwortung nehmen, Entwick-
lungsgelder als Mittel einsetzen und sagen: Sie werden
nur gezahlt, wenn ihr in diesem Bereich auch bei euch
soziale Standards umsetzt . – Dann arbeiten wir vernünf-
tig zusammen – Geberländer, Entwicklungsländer, Ver-
braucher und die Wirtschaft –, und zwar auf freier Basis .
Das ist ein Erfolgsfaktor, vor allen Dingen im Hinblick
auf die soziale Sicherheit in den Entwicklungsländern .

Danke sehr .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821216800

Vielen Dank . – Als letzter Redner in dieser Ausspra-

che hat Dr . Volker Ullrich von der CDU/CSU-Fraktion
das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Volker Ullrich (CSU):
Rede ID: ID1821216900

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir haben Verantwortung für das, was wir tra-
gen . Die Wahrheit ist: In vielen Bereichen der Welt,
vornehmlich in Asien, wird zu Bedingungen produziert,
die wir für uns selbst niemals akzeptieren würden . Für
Näherinnen werden Löhne bezahlt, die selbst unter Be-
achtung der dortigen Kaufkraft nicht zum Leben reichen .
Die Verhältnisse und Bedingungen der Arbeitssicherheit
sind nicht akzeptabel, die Umweltverhältnisse teilweise
katastrophal .

Wir müssen darauf reagieren – aus eigener Verantwor-
tung, um zu zeigen, dass wir nicht erst seit der Katastro-
phe von Rana Plaza eine globale Verantwortung für die
Frage haben, wie Textilien weltweit produziert werden .
Die Antwort darauf bedeutet: Wir haben eine Verpflich-
tung, die Situation der Menschen vor Ort, in den Län-
dern, bei der Produktion zu verbessern .


(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Stimmt!)


Auf diese Verpflichtung wollen wir uns sehr gern einlas-
sen .

Aber klar ist auch: Das wird nicht von heute auf mor-
gen gehen . Das ist ein langwieriger Prozess .


(Karin Binder [DIE LINKE]: Aber dann muss man anfangen!)


Es gibt auch einige grundsätzliche Irrtümer, die immer
wieder geäußert werden, zum Beispiel den Irrtum, dass
eine Produktion in diesen Ländern nicht gut sei . Das Ge-
genteil ist der Fall . Die Textilindustrie hat beispielsweise
in Bangladesch dazu beigetragen, dass sich die Lebens-
verhältnisse der Menschen Stück für Stück verbessern
konnten, dass beispielsweise in Bangladesch auch wegen
der vielen Beschäftigungsmöglichkeiten für Frauen die
Geburtenziffer in den letzten dreißig Jahren von sechs
Geburten pro Frau auf etwa zweieinhalb Geburten pro
Frau zurückgehen konnte . Damit konnten sich ganz kon-
krete Perspektiven für die Menschen entwickeln .

Schauen Sie nach Südkorea . Dieses Land hat es ge-
schafft, sich über den Einstieg in die Textilindustrie zu
einem Industriestaat mit Maschinenbau und Elektrotech-
nik zu entwickeln .

Falsch ist die Vorstellung, dass allein günstige Klei-
dung bereits etwas über die Produktionsverhältnisse aus-
sagt . Entscheidend ist der Lohnanteil an den gesamten
Herstellungskosten der Kleidung . Er ist auch manchmal
bei hochpreisigen Textilien nicht wesentlich höher als bei
Textilien, die wenig kosten .


(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Genau!)


Wir dürfen nicht vergessen, dass die Verantwortung
für katastrophale Umstände in den Produktionsländern
auch der dortigen Korruption geschuldet ist . Auch das
müssen wir ins Visier nehmen .

Jetzt ist die große Frage: An welchen Stellen können
wir ansetzen? Die Idee, dass Richtlinien, Normen oder
gar eine Beschwerdestelle in Brüssel jeden einzelnen der
bis zu 140 Produktionsschritte entscheidend beeinflussen
kann, ist zu optimistisch . Sie wird in der Praxis wenig
funktionieren . Entscheidend ist, dass wir keine Bürokra-
tie haben, sondern dass die Menschen mehr verdienen,
dass wir Stück für Stück den Lohnkostenanteil heben,
weil sich gezeigt hat, dass durch die Erhöhung der Löh-
ne – das macht bei einer Jeans oder einem T-Shirt oft-
mals nur wenige Cent aus – tatsächlich die Bedingungen
für die Menschen verbessert werden können . Das ist der
Weg, den wir gehen wollen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir setzen also bei der Wertschöpfungskette am ent-
scheidenden Faktor an, nämlich am Faktor Mensch . Wir
wollen erreichen, dass die Menschen unter besseren Um-
weltbedingungen, unter besseren Arbeitsbedingungen
sowie zu besserem Lohn produzieren können .

Da ist mir wichtig, einen Satz auf das Bündnis für
nachhaltige Textilien zu verwenden . Vor zwei Jahren, als
dieses Bündnis durch unseren Entwicklungshilfeminis-
ter Gerd Müller gestartet ist, hat niemand gedacht, dass
sich innerhalb von zwei Jahren über 180 Unternehmen
daran beteiligen, sich an dieser Bewusstseinsbildung be-
teiligen . Zeigen Sie mir doch bitte ein Industrieland der
westlichen Hemisphäre, welches sich mit dieser Nach-
haltigkeit und diesem Engagement für entsprechende
Produktionsbedingungen engagiert .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist nur immer noch nichts passiert!)


Jürgen Klimke






(A) (C)



(B) (D)


Ich glaube, auf dieses unser Engagement können wir
wirklich stolz sein .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, wir haben eine Verant-
wortung für das, was wir tragen . Das Bewusstsein dafür
müssen wir schon beim Einkauf haben . Wenn der mündi-
ge Verbraucher in die Bekleidungsgeschäfte geht, sollte
er im Hinterkopf haben, wie diese Kleidung produziert
wird .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was passiert im Hinterkopf?)


Ich setze darauf, dass die Verhältnisse durch besse-
re Löhne für die Näherinnen und durch ein nachhalti-
ges Textilbündnis insgesamt verbessert werden und wir
durch diese Debatten für die Menschen vor Ort etwas
gewinnen können .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821217000

Vielen Dank . – Damit schließe ich die Debatte .

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Klei-
dung fair produzieren – EU-Richtlinie für Transparenz-
und Sorgfaltspflichten in der Textilproduktion schaffen“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/10904, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7881 abzu-
lehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit
ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Ko-
alition gegen die Stimmen der Opposition angenommen
worden .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen jetzt
zum Tagesordnungspunkt 9:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Vereinsgesetzes

Drucksachen 18/9758, 18/9947, 18/10102
Nr. 12

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4 . Ausschuss)


Drucksache 18/10903

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall . Dann ist das so
beschlossen .

Wenn Sie Ihre Plätze eingenommen haben, kann ich
die Debatte und die Aussprache eröffnen. Das dauert
aber offensichtlich noch ein bisschen. Vielleicht geht es
ja auch etwas schneller .

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat
Stephan Mayer für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1821217100

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-

ginnen! Sehr geehrte Kollegen! Wenn es um innere Si-
cherheit geht, dann ist der öffentliche Fokus im Lichte des
schrecklichen und unfassbaren Anschlags vom 19 . De-
zember 2016 am Breitscheidplatz hier in Berlin derzeit
natürlich auf den islamistischen Extremismus und den
islamistischen Terrorismus gerichtet . Es ist auch richtig,
dass wir uns diesem Phänomen zuvorderst annehmen .

Trotzdem dürfen wir nicht außer Acht lassen, dass es
auch andere Phänomene im Bereich der Sicherheitspoli-
tik gibt, die unsere große Aufmerksamkeit erfordern . Ich
meine in diesem Zusammenhang vor allem die organi-
sierte Kriminalität . Die Zahl der Verfahren im Bereich
der organisierten Kriminalität steigt jährlich .

Im Jahr 2014 wurden in Deutschland allein 48 Ver-
fahren gegen kriminelle Rockerbanden geführt . Dies ent-
sprach 8,4 Prozent aller Verfahren gegen die organisierte
Kriminalität . Rechnet man dann noch die Verfahren hin-
zu, die mittelbar gegen kriminelle Rockerbanden geführt
wurden – das waren 23 –, dann kommt man auf insge-
samt 71 Verfahren in Deutschland . Dies ist schon eine
sehr beachtliche Zahl .

2015 waren es 42 Verfahren gegen kriminelle Rocker-
banden . Das entsprach 7 Prozent aller Verfahren gegen
die organisierte Kriminalität . Hinzu kamen noch 29 Ver-
fahren, die mittelbar gegen kriminelle Rockerbanden ge-
führt wurden .

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, in
sogenannten Outlaw Motorcycle Gangs sind insgesamt
über 5 500 Mitglieder in mehr als 250 Gruppierungen or-
ganisiert . Das Lagebild des Landeskriminalamtes Nord-
rhein-Westfalen hat Ende letzten Jahres zutage gefördert,
dass sich die Anzahl der polizeibekannten Rocker allein
zwischen 2010 und 2016 mehr als vervierfacht hat . Das
zeigt, dass dies ein Phänomen ist, das ernst zu nehmen
ist . Kriminelle Rockerbanden sind vor allem in den Be-
reichen Drogenkriminalität, Menschenhandel, Zwangs-
prostitution und Schutzgelderpressung tätig .

Ich möchte eines deutlich machen: Wir hegen über-
haupt keinen Generalverdacht gegen friedfertige Motor-
sportklubs oder gegen Motorradklubs, die sich in ihrer
Freizeit organisieren und ihrem Hobby in friedfertiger
und harmloser Weise nachgehen . Aber wir müssen klar
differenzieren zwischen diesen friedfertigen und harmlo-
sen Motorradklubs auf der einen Seite und hochkriminel-
len Rockerbanden auf der anderen Seite .

Es geht hier vor allem darum, deutlich zu machen,
dass es nicht zugelassen wird, die Organisationsform
des Vereins zu missbrauchen . Der Großteil dieser kri-
minellen Rockerbanden ist als Vereine organisiert . Das
deutsche Vereinsrecht ermöglicht als Ultima Ratio das
Verbot eines Vereins . Davon wird immer wieder einmal
Gebrauch gemacht . Das ist auch richtig so .

Dr. Volker Ullrich






(A) (C)



(B) (D)


Wir haben im Dezember letzten Jahres eine sehr ein-
blickgebende Sachverständigenanhörung zu diesem Ge-
setzentwurf durchgeführt . Die Sachverständigen haben
uns noch einmal sehr deutlich vor Augen geführt, dass
der Organisationszusammenhalt in einer Rockergruppe
vor allem durch die einheitliche Kleidung zum Ausdruck
gebracht wird, dass das Tragen der Kutte eine integrati-
ve Wirkung hat. Damit wird gegenüber der Öffentlich-
keit, gegenüber Unbeteiligten zum Ausdruck gebracht:
Wir sind die Stärkeren . Wir unterminieren den Anspruch
des Staates, das Gewaltmonopol auszuüben . Wir stellen
durchaus auch den Rechtsstaat zur Disposition . – Wir
dürfen es, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kolle-
gen, nicht zulassen, dass hier rechtsfreie Räume entste-
hen . Deswegen ist es richtig, dass in derartigen Fällen
von der Möglichkeit des Vereinsverbotes Gebrauch ge-
macht wird .

Es gab im Jahr 2002 eine Änderung des Vereinsgeset-
zes, die diese Möglichkeit verstärkt vorsah . Jetzt müssen
wir, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen,
aber feststellen, dass diese Änderung aus dem Jahr 2002,
insbesondere im Lichte eines Urteils des Bundesgerichts-
hofes vom Juli 2015, ihre gewünschte Wirkung nicht
entfaltet hat . Weshalb? Weil der Bundesgerichtshof das
subjektive Tatbestandsmerkmal in § 9 Absatz 3 des Ver-
einsgesetzes sehr restriktiv ausgelegt hat . Das hatte zur
Folge, dass zwar der einzelne Verein als verboten galt
und auch das Tragen der jeweiligen Kutte mit dem Na-
menszusatz verboten war, es aber durchaus möglich war,
dass Schwestervereine, beispielsweise Chapter der Ban-
didos oder der Hells Angels, diese Kutten mit einem an-
deren Namenszusatz weiterhin legal verwenden konnten .
Dadurch wurde dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet.

Vor diesem Hintergrund ist es richtig, dass das Bun-
desinnenministerium eine Initiative ergriffen hat, um
das Vereinsgesetz dahin gehend zu ändern, dass dieses
subjektive Tatbestandsmerkmal in § 9 Absatz 3 des Ver-
einsgesetzes gestrichen wird . Wir brauchen in Zukunft
die Möglichkeit umfassender Kennzeichenverbote .

Wir haben uns im Innenausschuss des Deutschen Bun-
destages mit diesem Gesetzentwurf sehr intensiv ausei-
nandergesetzt . Wir sind der festen Überzeugung, dass
mit dieser Änderung auch dem Bestimmtheitsgebot in
ausreichender Weise Rechnung getragen wird . Vor allem
wird mit dieser Änderung klar, dass man nicht die Mög-
lichkeit hat, sich dieser an sich verbotenen Organisation
durch einen schnellen Wechsel des Namenszusatzes auf
der Kutte in der Öffentlichkeit auf legale Weise weiterhin
als zugehörig zu zeigen .

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich
bitte Sie herzlich um die Zustimmung zu diesem wichti-
gen Gesetzentwurf . Er wirkt auf den ersten Blick zwar
kleinteilig, bringt aber aus meiner Sicht deutlich zum
Ausdruck, dass wir keine rechtsfreien Räume in Deutsch-
land dulden, dass wir in Deutschland nicht dulden, dass
das Recht des Stärkeren gilt, dass sich der, der dazu die
Möglichkeit hat, sein Recht nimmt . In Deutschland gilt
der Rechtsstaat .

Wir haben im Rahmen eines Änderungsantrages da-
rüber hinaus eine EU-Verordnung über das Statut und

die Finanzierung von europäischen Parteien und Stiftun-
gen umgesetzt, indem wir das Bundesinnenministerium
als die nationale Kontaktstelle definieren. Ich glaube, es
ist sachgerecht, dass wir diese EU-Verordnung, die seit
1 . Januar dieses Jahres gilt, im Rahmen eines Änderungs-
antrages sehr schnell in das laufende Gesetzgebungsver-
fahren einfließen lassen.

Ich bitte Sie, meine sehr verehrten Kolleginnen und
Kollegen, wirklich herzlich um die Zustimmung zu die-
sem wichtigen Gesetzentwurf, zu dieser wichtigen Än-
derung des Vereinsgesetzes, weil damit die Möglichkeit
gegeben wird, dass wir unsere Behörden in die Lage ver-
setzen, konsequent und entschieden gegen organisierte
Kriminalität, insbesondere gegen kriminelle Rockerban-
den, vorzugehen .

Ich danke ganz herzlich für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821217200

Als nächste Rednerin hat Ulla Jelpke von der Fraktion

Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821217300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist

in der Tat richtig: Einige Rockergruppen bieten einen
Deckmantel für schwere Straftaten wie Menschenhan-
del, Drogenhandel usw . Aber, Kollege Mayer, wir sind
der Auffassung, dass man gegen solche Verbrechen mit
dem Strafrecht vorgehen muss und nicht mit einer Sym-
bolpolitik, wie Sie sie in diesem Gesetz dargelegt haben .
Gemäß diesem Gesetzentwurf ist es nämlich so, dass
vor allen Dingen das Verbot von Kutten und Abzeichen
den Bürgern und Bürgerinnen ein Gefühl von Sicherheit
vermitteln soll . Wir denken, das ist wirklich ein reines
Placebo .

Am strafbaren Handeln von Personen aus der Ro-
ckerszene werden Sie mit diesem Gesetz garantiert nichts
ändern . Gleichzeitig werden die Rechte vieler nichtkri-
mineller Mitglieder von Motorradklubs in der Tat einge-
schränkt, und das ist eben nicht tragbar . Darum trägt die
Linke dieses Gesetz nicht mit .


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, was soll es denn nutzen,
bestimmte Symbole der Rockerszene aus der Öffentlich-
keit zu verbannen? Die Rocker werden dann auf Ersatz-
symbole, auf Zahlen- oder Farbencodes, ausweichen .
Der einfache Polizist wird dann in noch stärkerem Maße
heillos überfordert sein, die verschiedenen Rockergrup-
pen zu identifizieren und festzustellen, welche verboten
sind und welche nicht . Das hat übrigens der Redakteur
der Bikers News, Michael Ahlsdorf, in der Anhörung
doch sehr deutlich gemacht . Er ist langjährig in der Sze-
ne unterwegs, und er hat eben genau auf dieses Problem
hingewiesen . Da frage ich mich, warum Sie Ihre Position
hier immer noch vertreten .

Stephan Mayer (Altötting)







(A) (C)



(B) (D)


Es ist auch überhaupt keine Frage: Wenn ein Ro-
ckerklub in Gänze kriminell ist, gehört er verboten .


(Beifall bei der LINKEN)


Doch wenn sich dieser Nachweis gegen den gesamten
Klub strafrechtlich nicht erbringen lässt, muss man ge-
genüber den einzelnen Mitgliedern die Unschuldsvermu-
tung gelten lassen . Das ist der Grundsatz der Rechtsstaat-
lichkeit, und dabei sollten wir auch bleiben .


(Beifall bei der LINKEN)


Doch nicht so in diesem Gesetzentwurf: Wenn nur eine
einzige Ortsgruppe eines bundes- oder gar weltweit orga-
nisierten Motorradklubs wegen krimineller Verstrickung
verboten wird, sollen alle anderen Mitglieder deutsch-
landweit das gemeinsame Symbol nicht mehr benutzen
dürfen . Das ist in unseren Augen ganz klar Sippenhaft
und damit unzulässig . Hier wird auf verfassungsrechtlich
sehr problematische Art und Weise in Grundrechte wie
die Vereinigungsfreiheit eingegriffen. Darauf haben im
Übrigen auch Experten bei der Anhörung im Innenaus-
schuss hingewiesen . Ich sage es einmal ganz klar: Die
Linke steht in dieser Frage eindeutig an der Seite all jener
Biker, die sich nichts zuschulden kommen lassen .

Übrigens ist es nicht angemessen, wenn man in die-
sem Gesetzentwurf hier versucht, eine neue Lex Rocker
zu präsentieren; denn im Grunde genommen treffen diese
Regelungen eben auch andere Bevölkerungsgruppen . Ich
denke da zum Beispiel an die friedlichen Fußballfans, die
im Übrigen gleiche Symbole wie manche Hooligans ha-
ben. Auch hier muss man vorsichtig sein; denn es trifft,
wie gesagt, eben nicht nur die Rocker, sondern auch an-
dere Gruppen .

Man muss die Rockerszene mit ihrem martialischen
Auftreten nicht mögen . Aber nicht jeder, der sich durch
seinen Lebensstil außerhalb der bürgerlichen Moral
stellt, ist deswegen gleich ein Schwerverbrecher . Die Art
und Weise, wie hier im Gesetz und in den Reden, übri-
gens gerade auch in der letzten Debatte – Sie haben es
heute etwas differenzierter gesagt, Kollege Mayer –, eine
ganze Subkultur diffamiert und damit auch kriminalisiert
wird, ist einfach infam .

Dem Bundestag liegt im Übrigen eine Petition vor .
6 000 Menschen aus der Rockerszene haben sie einge-
bracht, und 20 000 Unterschriften haben sie für diese
Petition gesammelt . Die Unterzeichner wenden sich ge-
gen dieses Gesetz und plädieren vor allen Dingen dafür,
keine generelle Kriminalisierung vorzunehmen . Ich fra-
ge Sie: Würden 20 000 Menschen ihre Daten beim Bun-
destag abgeben, wenn sie alle kriminell wären? Es ist im
Übrigen bezeichnend für diese Koalition, dass sie nun ein
solches Gesetz im Eiltempo durchzieht, anstatt abzuwar-
ten, was der Petitionsausschuss dazu zu sagen hat .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich rate der Koalition und insbesondere der SPD, da-
mit entspannt umzugehen . Akzeptieren Sie, dass andere
Menschen ihre Freizeit nicht auf dem Golfplatz oder dem
Tennisplatz verbringen, sondern sich in eine Lederkluft
schmeißen . Verzichten Sie in diesem Wahljahr auf Aktio-

nismus, wie er in diesem unsinnigen Gesetzentwurf zum
Ausdruck kommt!

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821217400

Als nächster Redner hat Uli Grötsch von der

SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Uli Grötsch (SPD):
Rede ID: ID1821217500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Kollegin Ulla Jelpke, im Zusammenhang mit die-
sem Gesetzentwurf kann man nicht von Eiltempo spre-
chen . Die erste Lesung des Gesetzentwurfs fand am
30 . September letzten Jahres statt . Wir haben eine aus-
führliche Anhörung durchgeführt und Gespräche über
dieses Thema geführt . Das Tempo bei diesem Gesetzent-
wurf entspricht dem eines normalen parlamentarischen
Verfahrens . Es gab ausreichend Zeit, den Gesetzentwurf
dort zu korrigieren, wo es nötig war . Dieses Gesetz ist
solide .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Eigentlich hast du unserem Gesetzentwurf in Teilen
deiner Rede fast zugestimmt . Wir alle stehen nämlich
an der Seite der Motorradklubs und der Rocker, die sich
nichts zuschulden kommen lassen . Gegen diese hat in
diesem Land wirklich niemand etwas . Diesen will auch
niemand etwas ans Zeug flicken oder etwas verbieten.
Uns geht es vielmehr darum, den Bürgerinnen und Bür-
gern unseres Landes ein Gefühl der Sicherheit zu ver-
mitteln und diejenigen Vereine zu verbieten, deren Ver-
einszweck ein anderer ist als der vorgegebene, nämlich
oft ein Deckmantel für organisierte Kriminalität zu sein .

Wir regeln mit diesem Gesetz konkret, dass Kennzei-
chen eines verbotenen Vereins nicht „in wesentlich glei-
cher Form“ von einem neuen Verein genutzt werden, so
geschehen – nur beispielhaft – in der Rockerszene, wo
verbotene Vereinssymbole mit einem anderen Ortsnamen
weiter benutzt werden. Aber das betrifft – das sage ich
ausdrücklich – nicht nur die Rockerszene . Auch in der
rechtsextremen Szene wird ähnlich verfahren .

Was „in wesentlich gleicher Form“ bedeutet, haben
wir in diesem Gesetz klar festgelegt, damit das Gesetz
praxistauglich ist und entsprechend angewendet werden
kann . Hier gab es in der Vergangenheit rechtliche Un-
genauigkeiten . Vor allem fällt künftig das sogenannte
subjektive Merkmal weg . Die Verbotsbehörden müssen
künftig den nach einem Vereinsverbot neu gegründe-
ten Nachfolgevereinen, die die bereits verbotenen Ver-
einssymbole in ähnlicher Form weiter benutzen, nicht
mehr nachweisen, dass sie die verfassungswidrigen Ziele
des verbotenen Vereins teilen, um das Kennzeichenver-
bot durchzusetzen . Das war nachvollziehbarerweise in
der Praxis unmöglich, selbst wenn der Sachverhalt offen-
sichtlich war . Um es auf den Punkt zu bringen: Verboten
ist verboten .

Ulla Jelpke






(A) (C)



(B) (D)


Ja, diese Verschärfung des Vereinsgesetzes kann zu ei-
nem Kuttenverbot führen . In der ersten Beratung im Ple-
num am 30 . September 2016 habe ich von einem mögli-
chen Ende des Mythos um Hells Angels oder Bandidos
gesprochen, weil das verbindende Vereinssymbol weg-
fallen könnte. In der öffentlichen Sachverständigenanhö-
rung hat uns einer der Sachverständigen geschildert, dass
die Bikerkutte auch ein Stück Kultur und Tradition in der
Rockerszene ist, die es seit Jahrzehnten in Deutschland
gibt . Das teile ich ausdrücklich und sage: Es geht uns
nicht um diese Jacken, sondern um diejenigen, die sie
für einen Vereinszweck nutzen, der ein anderer ist als der
vorgegebene .

Ich kann als Sicherheitspolitiker auch nicht wegdisku-
tieren, dass Teile der Rockerszene für viele Bereiche der
organisierten Kriminalität – wie etwa Prostitution oder
Schutzgelderpressung – stehen und Rockerklubs trotz
Vereinsverbot und Kennzeichenverbot Möglichkeiten
gefunden haben, um Gesetzeslücken zu nutzen und ein-
fach in einem anderen Ort ein neues Chapter zu gründen
mit fast dem gleichen Vereinssymbol . Bei einer Güter-
abwägung überwiegt für mich die Verantwortung für die
Sicherheit der Menschen in unserem Land .

In der Anhörung am 12 . Dezember 2016 wurde auch
sehr deutlich, wie bedrohlich das demonstrative Geba-
ren mit Kutten und Motorrädern in der Öffentlichkeit
wahrgenommen wird, wie auch teils bewusst Angst und
Schrecken verbreitet werden . Und darum geht es eben
auch in Bezug auf das Sicherheitsgefühl der Menschen
in diesem Land, über das wir in diesem Haus hier unter
so vielen Aspekten immer wieder reden . Auch das ist ei-
ner der Aspekte, die mit dem Sicherheitsgefühl der Men-
schen in Deutschland zu tun haben .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir leben in einer
Zeit, in der das Sicherheitsgefühl der Menschen leider
Schaden genommen hat – nicht nur durch Terroran-
schläge wie zuletzt auf dem Berliner Weihnachtsmarkt,
sondern etwa auch durch die steigende Zahl von Woh-
nungseinbrüchen . Deshalb muss der Staat zeigen, dass er
sich nicht an der Nase herumführen lässt, dass er Recht
durchsetzen kann und handlungsfähig ist . Ich habe den
Eindruck, dass das Vertrauen dahin gehend gelitten hat .
Deshalb schließen wir heute mit diesem Gesetz ein wei-
teres Schlupfloch, um die verbotenen Symbole diesmal
effektiv aus der Öffentlichkeit zu verbannen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich möchte zum Ende noch einmal etwas sagen, was
mir sehr wichtig ist . Diese Änderung des Vereinsgesetzes
ist keine Lex Rocker . Sie gilt für alle kriminellen oder
verfassungsfeindlichen Vereine – egal ob rechts, links
oder islamistisch –, die meinen, eine Gesetzeslücke nut-
zen zu können, um ihre Machenschaften fortzusetzen .
Diese Lücke wird es künftig nicht mehr geben . Ich bin
mir sicher, dass das auch im Sinne aller ehrlichen und
friedliebenden Motorradfahrer und Rocker in Deutsch-
land ist, die sich nichts zuschulden kommen lassen . Von
denen gibt es in diesem Land übrigens mehr als eine hal-
be Million .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821217600

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Monika

Lazar für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .


Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821217700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich glaube, uns allen ist klar, dass einige Rockerclubs
auch in Deutschland ein hohes kriminelles Potenzial be-
sitzen . Erst letzte Woche gab es in meiner Heimatstadt
Leipzig eine Großrazzia mit circa 500 Beamtinnen und
Beamten unter anderem auch gegen einen Rockerclub .
Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun wegen Steuerhinter-
ziehung und Waffenhandel. Im Juni letzten Jahres kam
es in der Eisenbahnstraße in Leipzig zu einer Auseinan-
dersetzung zwischen den verfeindeten Rockerclubs Hells
Angels und United Tribuns . Dabei wurde ein Mann der
United Tribuns getötet, weitere zwei Männer wurden
zum Teil schwer verletzt .

Es sind aber bei weitem – insoweit sind wir uns ei-
nig – nicht alle Motorradclubs kriminelle Vereinigungen .
Es ist wichtig, dass wir nicht pauschalisieren .

Das Problem wurde schon benannt: Es geht um die
sogenannten Outlaw Motorcycle Gangs . Der Großteil
dieser Rockervereinigungen begeht unter anderem auch
Straftaten, meist im Bereich der Rohheitsdelikte . Dabei
handelt es sich zum Beispiel um gefährliche Körperver-
letzung und räuberische Erpressung . Es bleibt allerdings
im Rockermilieu nicht nur bei Bandenkriegen unterei-
nander . Die vielen Verbindungen in die organisierte Kri-
minalität sind offensichtlich. Drogen, Waffen- und Men-
schenhandel sind keine Ausnahme .

Besorgniserregend sind aber auch Verbindungen eini-
ger Rockerclubs in die rechtsextreme Szene . Zum Beispiel
arbeiten Rocker und Nazis etwa bei der Durchführung
von rechtsextremen Musikveranstaltungen zusammen .
So fanden in den Räumen der Bandidos in Mannheim
oder des Gremium MC in Dresden schon Neonazikon-
zerte statt . Auch personell gibt es Überschneidungen .
Zum Beispiel ist der bayerische NPD-Funktionär Sascha
Roßmüller auch Mitglied der Bandidos . Auch ideologisch
gibt es durchaus einige Übereinstimmungen: Gewaltver-
herrlichung, Männlichkeitskult bis hin zum Sexismus .

Einen wichtigen Bestandteil der Außenwirkung erzie-
len die Rocker durch ihr einheitliches Erscheinungsbild .
Mit den Kutten und den aufgenähten Symbolen schaffen
sie durchaus auch eine Atmosphäre der Einschüchterung
und Gewalt . Im Versammlungsgesetz haben wir aufgrund
der deutschen Geschichte das sogenannte Uniformverbot
verankert, und das ist auch gut so . Auch das Ziel Ihres
Gesetzentwurfs finden wir im Grunde unterstützenswert.
Gegen die Umgehung des Verbots bestimmter Symbole
muss vorgegangen werden . Aber bei diesem neuen Ver-
einsgesetz bzw . bei den damit verbundenen Veränderun-
gen haben wir einige Bedenken .

Nur ein Beispiel: Nehmen wir an, ein Hooligan-Ver-
ein bedient sich missbräuchlich eines Vereinslogos, sa-

Uli Grötsch






(A) (C)



(B) (D)


gen wir einmal des Logos von RB Leipzig . Nehmen wir
weiter an, der Hooligan-Verein wird irgendwann zur
kriminellen Vereinigung, und er wird damit verboten .
Was geschieht dann angesichts der neuen Gesetzeslage
mit dem Logo von RB Leipzig? Darf dann der Fußball-
verein, der nichts mit dem verbotenen Verein zu tun hat,
sein eigenes Logo nicht mehr verwenden? Das Beispiel
mag vielleicht sehr weit hergeholt sein; aber es fand auch
bei einem Sachverständigen in der Anhörung durchaus
Erwähnung, dass so etwas nicht ganz auszuschließen ist .

Uns ist also der von Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf
zu unbestimmt . Wenn es sich um kriminelle Vereinigun-
gen handelt, ist es ein Anliegen, das wir unterstützen . Sie
erkennen aber nicht die Gefahr, die dieses Gesetz mit
sich bringt. Wir finden, dass es hier nur um Symbolpoli-
tik geht, und wir fänden es sinnvoller, die Systematik des
Vereinsgesetzes zu verändern, was unter anderem auch
von einigen Sachverständigen in der Anhörung vorge-
schlagen wurde . Deshalb werden wir uns jetzt gleich bei
der Abstimmung enthalten .

Danke schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821217800

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Oswin Veith

für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Oswin Veith (CDU):
Rede ID: ID1821217900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Mit dem von der Bundesregierung vorgeleg-
ten Gesetzentwurf, den wir heute in zweiter und dritter
Lesung abschließend beraten, setzt die Koalition die
Maßnahmen zur Verbesserung der inneren Sicherheit in
unserem Lande und damit zum Schutz der Bürgerinnen
und Bürger fort . Gleichzeitig sagen wir damit den Ver-
brechern, den Kriminellen und der organisierten Krimi-
nalität den Kampf an .

Heute geht es zwar nur um eine kleine, aber in der
Praxis sehr hilfreiche Änderung des Vereinsrechtes . Nur
zwei Vorschriften wollen wir ändern. Wir schaffen da-
mit keine Lex Rocker oder Lex specialis Rocker, und es
geht auch nicht, wie Sie insinuieren wollten, um unsere
Gesangs-, Musik- und Sportvereine; darum geht es über-
haupt nicht . Die beiden Vorschriften, die wir ändern wol-
len, richten sich gegen alle, die unter dem Schutzmantel
des Vereinsrechtes schwerste Verbrechen begehen und
die innere Sicherheit und Ordnung gefährden . Die Ver-
schärfung des Vereinsrechts ist dazu genau der richtige
Weg .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Dr . Eva Högl [SPD])


Gleichzeitig sind die vorgelegten zwei Verschärfungs-
tatbestände im Vereinsgesetz überaus praxistauglich, wie
die auf Wunsch der Opposition durchgeführte Anhörung
am 12 . Dezember letzten Jahres eindrucksvoll dargelegt
hat . Wenn es ein Gesetzesvorhaben gab, das bereits in so
frühem Beratungsstadium von Experten als praxistaug-

lich anerkannt wurde, dann ist es dieser Gesetzentwurf .
Alle Praktiker waren voll des Lobes; so jedenfalls habe
ich sie in Erinnerung .

Worum geht es also? Die Bundesregierung beabsich-
tigt, mit dem Gesetzentwurf das Kennzeichenverbot in
§ 9 Vereinsgesetz praxistauglich auszugestalten und eine
Schwachstelle des bestehenden Vereinsrechts auszumer-
zen . Mit der Streichung des subjektiven Merkmals des
Teilens der Zielrichtung des verbotenen Vereins und der
zusätzlich eingeführten Erläuterung, wann ein Kenn-
zeichen „in im Wesentlichen gleicher Form“ verwendet
wird, wird das bestehende Kennzeichenverbot nunmehr
praxistauglich ausgestaltet, da die Polizei in Bund und
Ländern künftig allein anhand objektiver Kriterien fest-
stellen kann, ob ein Verein ein Kennzeichen in wesentlich
gleicher Form verwendet wie der verbotene Verein . Die
angestrebte Gesetzesänderung zielt vor allem auf solche
Fälle der Verwendung von Kennzeichen verbotener Ver-
eine durch selbstständige Schwestervereine ab, bei denen
lediglich jeweilige Orts- und Untergliederungsbezeich-
nungen einfach nur ausgetauscht wurden .

Ein Vereinsverbot kann ausgesprochen werden, wenn
eine schwerwiegende Gefährdung der Allgemeinheit
oder eine Straftat nachgewiesen wird . Mit dem Verbot
wird dann auch das Tragen aller Abzeichen eines solchen
Vereins strafbar . Wenn das Verbot allerdings eine Orts-
gruppe einer Dachorganisation betrifft, dann gilt es nicht
gleichsam für die Gesamtorganisation . Deshalb durfte
man zum Beispiel bis jetzt ungestraft Kutten, Fahnen und
Uniformstücke oder Abzeichen, die auf strafbare Aktivi-
täten oder verfassungsfeindliche Bestrebungen hindeu-
ten, weiter verwenden .

Diese Lücke zu schließen, hatten wir im Koalitions-
vertrag vereinbart, und auf diese Schwachstelle wies uns
auch der bereits zuvor genannte BGH in seinem Urteil
vom vorletzten Jahr hin . Damals ging es um das Tragen
von Rockerkutten, die verschiedene Ortsbezeichnun-
gen, aber das gleiche Kennzeichen hatten . Diese Lücke
schließt der heute zu verabschiedende Gesetzentwurf .

Richtig an der Kritik ist, dass die Gesetzesinitiative
kein Allheilmittel ist und wir auch nicht alles verhindern
können .


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Sie tun aber so!)


Aber ich sage: Es ist ein vernünftiger und praxistaugli-
cher Beitrag zur Bekämpfung von Schwerverbrechern
und von Kriminalität in unserem Lande . Deshalb streite
ich für diesen Entwurf, und deshalb werden wir ihn heute
auch mit den Stimmen unserer Koalition in Kraft setzen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Uli Grötsch [SPD])


Künftig stellt § 9 des Vereinsgesetzes klare und objek-
tive Kriterien auf, mithilfe derer unsere Polizei feststel-
len kann, ob ein im Wesentlichen gleiches Kennzeichen
verwendet wird, das bereits verboten ist . Warum wollen
wir diese Verschärfung? Wir wissen, dass Rockergrup-
pen, darunter die hier schon erwähnten sogenannten Out-
law Motorcycle Gangs, die Organisationsfreiheit unseres
Vereinsrechtes ausnutzen . Sie segeln unter der Tarnung
und dem Schutz der Freiheit, sich zu versammeln und

Monika Lazar






(A) (C)



(B) (D)


zusammenzuschließen . Sie nennen sich harmlos Motor-
radklub, fahren augenscheinlich mit ihren benzinbetrie-
benen Feuerstühlen brav über unsere Straßen, lassen sich
den Wind freudig unters Näschen wehen, genießen die
Sonne bei der Ausfahrt, sind stolz darauf und tragen mit
Überzeugung ihre zum Teil bedrohlich aussehenden uni-
formähnlichen Monturen .

Klingt alles so weit harmlos und hört sich gut an .
Doch weit gefehlt! Dieses gestellt verharmlosende Bild
ist natürlich nicht die Realität . In der Realität handelt es
sich um Klubs, die für schwerste Verbrechen und eine
ganze Reihe von Straftaten der organisierten Kriminalität
stehen . Sie betreiben Drogen- und Menschenhandel, sind
in Zuhälterei und Prostitution verwickelt, verüben Ge-
walttaten bis hin zu Mord und Totschlag . Sie sind damit
der organisierten Kriminalität zuzurechnen . Die Kutten
sind ihr Heiligtum, und da wollen wir ran .

Natürlich ist nicht jeder Motorradfahrer schwerstkri-
minell; das wissen wir auch . Darum geht es ja auch gar
nicht . Aber es gilt, allen Kriminellen darunter beherzt den
Kampf anzusagen, sie dingfest zu machen und ihnen die
volle Härte des Gesetzes entgegenzubringen . Dem dient
der vorgelegte Gesetzentwurf . Er ist ein praxistaugliches
Mittel für unsere Polizeibehörden . Deshalb verdient er
unsere Zustimmung, und deshalb sollte er heute auch mit
klarem Votum in Kraft gesetzt werden .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere Po-
lizei hat große Herausforderungen zu bestehen, gerade
auch – wir wissen das – in diesen Zeiten .


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das macht es nur schwieriger!)


Geben wir ihr die nötige Unterstützung . Die braucht sie .
Das Gesetz hilft ihr dabei, und deshalb werden wir es
heute auf den Weg bringen .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821218000

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin spricht Susanne

Mittag für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Susanne Mittag (SPD):
Rede ID: ID1821218100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle-

ginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren!
Wenn man sich einmal die Mühe macht, den Begriff „Ro-
cker“ im Netz zu suchen – es suchen ja alle immer gerne
im Netz –, erhält man zunächst seitenweise Aufzählun-
gen von Vorfällen mit Rockerbezug aus dem Bereich der
organisierten Kriminalität . Diese lesen sich wie ein Aus-
zug aus der Bandbreite der Kriminalstatistik . Erst sehr
spät, nämlich auf der dritten Ergebnisseite, kommt eine
Meldung zum Suchbegriff „Rocker“, der einmal nichts
mit Kriminalität zu tun hat: Frau Rocker sucht für ihre
Teestube einen Nachfolger . – Aber ansonsten sind diese
beiden Begrifflichkeiten sehr eng miteinander verbunden.

Die Rockergruppierungen, über die wir sprechen,
sollten übrigens nicht mit Motorradfahrergruppen ver-
wechselt werden . Da gibt es ganz eindeutige Unterschie-
de . Das weiß ich aus eigener Erfahrung, weil ich über
20 Jahre selber Motorrad gefahren bin . Motorradfahrer
möchten auch nicht mit Rockern verwechselt werden .
Das ist ein Riesenunterschied . Ich denke, den müsste
man noch einmal deutlich machen .

Die Rockergruppen bezeichnen sich selbst als Outlaw
Motorcycle Gangs . Sie stellen sich selber – auf Deutsch
gesagt – außerhalb des Gesetzes . Diese Gruppierungen
sind streng hierarchisch organisiert . Sie haben strikte
interne Regeln, und sie weisen oftmals eine hohe Ge-
waltbereitschaft auf; das ist hier schon mehrfach gesagt
worden. Das öffentliche Auftreten wirkt mit Absicht
einschüchternd . Das bezwecken sie vorsätzlich . Das ist
Sinn der Sache: als Gruppe, aber auch als Einzelperson .
Gruppierungen wie zum Beispiel die Hells Angels oder
die Mongols nutzen Embleme, Abzeichen oder auch be-
stimmte Farben, um damit eindeutig ihre Zugehörigkeit
zu einer Outlaw-Gruppe zu zeigen. Offenbar gilt es bei
ihnen als Markenzeichen – ist sozusagen ihr Geschäfts-
modell –, außerhalb des Gesetzes zu stehen und das auch
öffentlich zu bekennen. Damit machen sie auch Reklame.

In der Anhörung – das ist schon erwähnt worden –,
die es im Vorfeld zu diesem Gesetzentwurf gegeben hat,
wurde unter anderem dargelegt, die Bezeichnung „Out-
law“ müsse man vielleicht als ironische Überspitzung
sehen – hier ist schon zurückgerudert worden –, aber
es gehöre zur Kultur in Deutschland . Ich habe durchaus
Sinn für Humor, aber Kultur ist doch etwas anderes als
eine Outlaw-Gruppe .


(Zuruf der Abg . Ulla Jelpke [DIE LINKE])


Die gemeinsamen Embleme haben für die Mitglieder
der Gang die Bedeutung, den Träger als Teil einer großen
Gruppe auszuweisen und sich ihrer Unterstützung sicher
zu sein: sei es als Gruppe, sei es alleine, gegenüber Drit-
ten – ganz massiv wird damit Stärke suggeriert –, Kon-
kurrenten und insbesondere unbeteiligten Bürgern . Bei
diesen Zusammentreffen wurden schon sehr oft unbe-
teiligte Bürger von ihnen unbeabsichtigt zu Beteiligten .
Sie werden durch diese Art des Auftretens und Handelns
eingeschüchtert und verunsichert . Unterhalten Sie sich
einmal mit Bürgern, die davon betroffen sind. Sie werden
Ihnen ganz andere Geschichten erzählen . Hierbei geht es
nicht nur um eine regionale Zugehörigkeit, wie es derzeit
einige Gerichte werten müssen . Es geht um die Zugehö-
rigkeit zu einer großen überregionalen Gruppe, und diese
ist immer wieder Teil der organisierten Kriminalität .

Mit der Verabschiedung des Gesetzes nehmen wir den
nachweislich kriminellen Gruppierungen grundsätzlich
die Erkennungszeichen und ihre Insignien der Macht .
Das sind nämlich Insignien der Macht. Die öffentli-
che Zurschaustellung der entscheidenden Symbole und
Kennzeichen wird erst nach entsprechender Prüfung und
einem richterlichen Beschluss verboten . Damit verliert
sich die nicht zu unterschätzende einschüchternde Wir-
kung . Wir nehmen diesen Gruppierungen einen Teil ihres
Geschäftsmodells .

Oswin Veith






(A) (C)



(B) (D)


Im Vorfeld der Beratung hat der Deutsche Fuß-
ball-Bund – das ist schon erwähnt worden – in einem
Schreiben die Befürchtung geäußert, nun würde das Ver-
einsleben gefährdet und die Fußballvereine ihre Logos
verlieren, sofern diese von gewaltbereiten Fußballfans
missbraucht werden . Richtig ist, dass sich dieses Ge-
setz nicht speziell gegen Rocker richtet . Es wird für alle
Vereine anwendbar sein, zum Beispiel Fußballvereine,
Schützenvereine, Gesangsvereine – kann sein –, aber
auch rechts- und linksextremistische, salafistische und
sonstige kriminelle und gewaltorientierte Vereine, die
durch einen Innenminister der Länder oder des Bundes
verboten werden oder wurden . Eine Gefahr für die Fuß-
ballvereine sehe ich nicht . Ich bin mir relativ sicher, dass
sich jeder Fußballverein oder andere Vereine von randa-
lierenden Gruppen oder sogenannten Hools, die sich als
Fans ausgeben, distanzieren wird . Es wird Stadionver-
bote geben . Der Ausschluss wird sicher sein . Mit Aus-
schluss wird diese Gruppe auch geächtet werden, denke
ich . Das sollten die Vereine auch tun . Es gibt nämlich
keine gemeinsame Basis zwischen Fußballverein und
gewaltbereiten und randalierenden Straftätern . Hier hätte
sich der DFB vorher ein bisschen kundig machen sollen,
ehe er derartige Bedenken äußert .

Meine Damen und Herren, wir schließen dieses Ge-
setzgebungsverfahren heute ab . Die Diskussion war aus-
reichend lange, und wir nehmen auch den Hinweis sei-
tens des Bundesrates ernst . Wir werden sehr genau darauf
achten, wie sich das Gesetz in der Praxis bewährt . Ich bin
mir sicher, wir haben ein bislang in diesem Bereich völ-
lig unterschätztes Gesetz verbessert und machen einen
weiteren Schritt bei der Bekämpfung der organisierten
Kriminalität .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821218200

Vielen Dank . – Als letzter Redner hat Thorsten

Hoffmann für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thorsten Hoffmann (CDU):
Rede ID: ID1821218300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich
bin der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt und
kann dieses Thema aus einer ganz anderen Sicht beleuch-
ten . Ich will einmal deutlich machen, was mir passiert ist .

Vor einigen Wochen traf ich mich mit Ron Perlman
auf der Comic Con in Dortmund . Ron Perlman ist der
Hauptdarsteller der amerikanischen Fernsehserie Sons of
Anarchy . Es geht in der Serie um einen Motorrad- und
Rockerklub, einen MC . Wenn sich jemand ein wenig mit
der Rocker- und Motorradszene auskennt, stellt er fest,
dass diese Serie durchaus einen hohen Realitätsgehalt
hat . Wer sich mit der organisierten Rockerkriminalität
allerdings nicht auskennt – das scheint mir bei manchen
der Fall zu sein –, der hat hier gutes Anschauungsmate-
rial. Ich finde überdies sehr interessant, wie Hollywood
mit so einem Thema umgeht, wie Hollywood es schafft,

dass sich der Zuschauer sogar mit diesen Outlaws iden-
tifizieren kann.

Ich selbst habe im Bereich der organisierten Krimina-
lität und im Speziellen auch im Rockermilieu ermittelt .
Und damit meine ich nicht, dass ich mal einen Rocker
bei einer Verkehrskontrolle angehalten habe . Nein, ich
meine damit, dass ich bis tief in die Szene vorgedrungen
bin . Haben Sie schon mal einem Rocker in die Augen ge-
schaut? Ich schon – 14 Jahre lang . Es sind zunächst Men-
schen wie Sie und ich . Sie haben Familie, gehen auch in
die Kirche, haben Kinder


(Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das lässt ja tief blicken!)


– hören Sie ruhig zu, dann lernen Sie etwas! –, lieben ihre
Frauen und gehen arbeiten . Der Unterschied ist nur der:
Teile der Rockerszene verdienen ihren Lebensunterhalt
mit kriminellen Geschäften .

Keiner von uns glaubt ernsthaft, dass die Hells An-
gels oder die Bandidos bestehen, weil sie nur die Freude
am Motorradfahren verbindet . Das heißt aber nicht – das
wurde heute schon des Öfteren gesagt –, dass ich alle
vorverurteile, die Mitglieder eines Motorradklubs sind .
Nein, das heißt nur, dass mir bei den kriminellen Rockern
die Verstrickungen in Schutzgelderpressungen, Zuhäl-
terei bis hin zu Waffen- und Drogenhandel bekannt sind.
Deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass es durch-
aus gute Gründe dafür gibt, das Vereinsgesetz gerade im
Hinblick auf die organisierte Kriminalität im Rockermi-
lieu anzupassen .

Wir müssen dazu erst einmal anerkennen, dass nach
außen sichtbare Zeichen, also die Patches, auch Macht
bedeuten . Wenn ein Rocker seine Kutte trägt, dann gibt
ihm das eine Identität . Mit dem Tragen der Kutte steigert
sich auch sein Selbstwertgefühl . Die Umwelt reagiert an-
ders auf jemanden, der eine Kutte mit diversen Symbo-
len trägt . Viele werden vorsichtig, ängstlich und zurück-
haltend . Wenn man einem Rocker die Kutte wegnimmt,
ist er nackt und empfindet sich als unvollständig und
sogar minderwertig . Wer eine Bandidos- oder Hells-An-
gels-Kutte mit entsprechenden Patches trägt, der zeigt,
dass er ein Teil von etwas ist, der zeigt, dass eine ganze
Truppe hinter ihm steht – eine Truppe, die möglicherwei-
se Partei ergreifen wird . Wenn ein Bürger so jemandem
in Kutte gegenübersteht, dann schaut der nicht auf die
Details der Patches . Er sieht nur das Ganze und hat oft
Angst .

Was für den Bürger schwer ist, ist oft auch für den
Polizisten schwer . Nicht jeder Polizeibeamte kennt sich
detailliert mit Patches aus . Hier müssen wir den Polizis-
tinnen und Polizisten im Einsatz eine Sicherheit geben .
Sie müssen auf Anhieb erkennen können, ob ein Symbol
zu einer verbotenen Gruppierung gehört . Es wäre doch
peinlich für jeden Polizisten, der weiß, dass ein MC und
das zugehörige Patch verboten sind, wenn er bei einer
Kontrolle solch ein Patch zu erkennen glaubt und ent-
sprechend handelt, er dann aber im schlimmsten Fall von
einem möglicherweise kriminellen Rocker belehrt wird,
weil das Patch eben nicht zu dem verbotenen Chapter,
sondern zu einem anderen gehört . Meine sehr verehrten
Damen und Herren, wir können und dürfen unsere Po-

Susanne Mittag






(A) (C)



(B) (D)


lizisten und Polizistinnen, denen ich jeden Tag für ihre
großartige Arbeit dankbar bin, nicht im Regen stehen
lassen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte aber noch einen allgemeineren Rahmen
bauen . Wir müssen es kriminellen Vereinigungen so
schwer wie möglich machen . Denn diese Kriminellen
wissen nur zu gut, wie man es den Ermittlungsbehörden
schwer macht. Sie kennen die juristischen Schlupflöcher
und sind bundesweit, teilweise weltweit organisiert . Wir
können hier mindestens von mittelständischen Strukturen
der Kriminalität sprechen, und wir müssen diesen Struk-
turen entschlossen entgegentreten . Um diesen illegalen
Strukturen entgegenzutreten, sind wir als Gesetzgeber
verpflichtet, unseren ermittelnden Behörden die Arbeit
so einfach wie möglich zu machen. Wir sind verpflichtet,
den Rechtsrahmen ganz klar abzustecken . Wir sind ver-
pflichtet, diese Art der Kriminalität auf jede legale Weise
zu bekämpfen .

Wissen Sie, ich selbst bin passionierter Motorradfah-
rer . Ich schaue mir auch gern Ron Perlman und die Sons
of Anarchy an . Aber ich möchte nicht, dass Fernsehse-
rien zu einer von uns akzeptierten Wirklichkeit werden .
Deshalb müssen wir das Vereinsgesetz in diesem Punkt
anpassen und ergänzen. So wird es effektiver, ist näher
an der Realität, und genau das wollen wir doch . Man
wirft uns doch sonst immer vor, nicht nah genug an der
Realität zu sein . Insofern bitte ich Sie herzlich um Ihre
Zustimmung .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821218400

Vielen Dank . – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich

schließe die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
des Vereinsgesetzes. Der Innenausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10903,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Druck-
sachen 18/9758 und 18/9947 in der Ausschussfassung
anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen angenommen worden .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Jetzt bitte ich diejenigen, die dagegenstimmen wollen,
sich zu erheben . – Jetzt bitte ich diejenigen, sich zu er-
heben, die sich enthalten wollen . – Damit ist der Gesetz-
entwurf in dritter Lesung mit den Stimmen der Koalition
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthal-

tung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen
worden .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Haushaltsausschusses (8 . Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay,
Dr . Gesine Lötzsch, Halina Wawzyniak, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Dragoner-Areal dem Land Berlin zum Kauf
anbieten

Drucksachen 18/9790, 18/10658

Über die Beschlussempfehlung werden wir später na-
mentlich abstimmen .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 75, Entschuldigung, 25 Minuten vorge-
sehen . – 75 Minuten für dieses Thema wären ein biss-
chen zu lange gewesen; das muss ich deutlich sagen . Die
Debattenzeit beträgt also 25 Minuten . Die Redner mögen
sich bitte darauf einstellen . Gibt es dazu Widerspruch? –
Das ist nicht der Fall . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner in die-
ser Aussprache hat Klaus-Dieter Gröhler von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Klaus-Dieter Gröhler (CDU):
Rede ID: ID1821218500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 75 Mi-

nuten, das wäre das Thema nicht wert; das muss man
wirklich sagen .


(Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Na, na, na!)


Auch wenn wir im postfaktischen Zeitalter leben, meine
Damen und Herren, sollten wir uns an dieser Stelle ein
ganz klein wenig mit den Fakten befassen, um sachlich
und in aller Ruhe den Antrag der Linken beurteilen zu
können .

Worum geht es eigentlich? Der eine oder andere wird
das Dragoner-Areal nicht unbedingt kennen . Es handelt
sich um eine Fläche von 4,7 Hektar, also umgerechnet
47 000 Quadratmeter, hier in Berlin-Kreuzberg . Zurzeit
befinden sich auf der Fläche Gewerbe und Einzelhandel.

Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben hat den
Verkauf des Grundstücks ausgeschrieben und wollte das
Grundstück an einen österreichischen Käufer verkaufen,
der bereit war, dafür – so stand es in der Zeitung – 36 Mil-
lionen Euro zu zahlen . Der eine oder andere Politiker hat
gesagt: Mensch, 36 Millionen Euro? Das kann ja nur ein
Spekulant sein, der ganz teuren Luxuswohnungsbau eta-
blieren will . – Ich habe mir einmal die Mühe gemacht,
den Kaufpreis auf den Quadratmeter herunterzurechnen,
und siehe: Wir kommen auf 765,95 Euro pro Quadrat-
meter für beste Kreuzberger Lage; das ist garantiert kein
spekulativer Preis .

Den entsprechenden Kaufvertrag hat die BImA mit
einem unbefristeten Rücktrittsvorbehalt ausgestattet, um
die Genehmigung durch das Bundesfinanzministerium

Thorsten Hoffmann (Dortmund)







(A) (C)



(B) (D)


zu erreichen, um wiederum die Entscheidungsrechte des
Bundestages und des Bundesrates zu sichern . Ich stelle
das deshalb so dezidiert dar, meine Damen und Herren,
weil es an der einen oder anderen Stelle eine Art Legen-
denbildung gab; hier gucke ich insbesondere die Kolle-
gin Paus an . Es wurde schon das eine oder andere hinein-
geheimnist: Der Vertrag ist ganz anders als alle anderen,
er geht zulasten des Bundes, da will man irgendetwas an
Bundestag und Bundesrat vorbeischieben, und das ist al-
les ganz schlimm . – Nein, meine Damen und Herren, so
war es nicht . Es war ein ganz normaler Grundstückskauf-
vertrag .

Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages
hat dem Verkauf im Frühjahr 2015 mit großer Mehrheit
zugestimmt; im Sommer 2016 hat er sein Votum noch
einmal bestätigt . Allerdings hat der Finanzausschuss des
Bundesrates, initiiert durch den Berliner Finanzsenator,
mehrheitlich den Verkauf blockiert; nach meiner Kennt-
nis das erste Mal in der Geschichte des Bundesrates .


(Caren Lay [DIE LINKE]: Sehr gut!)


An der Stelle frage ich mich: Welches Recht haben die
16 Bundesländer eigentlich, darüber zu entscheiden, ob
der Bund ein Grundstück verkauft?


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steht im Gesetz! – Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das sieht unsere Geschäftsordnung so vor!)


Vielleicht sollten wir einmal überlegen, ob wir in Zukunft
den Spieß nicht umdrehen und sagen: Der Bund muss be-
teiligt werden, wenn ein Land ein Grundstück verkaufen
will . Das könnte durchaus interessant sein .


(Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Sehr gute Idee!)


Jedenfalls ist durch das Verhalten Berlins ein geord-
netes Vergabeverfahren torpediert worden . Der Investor
ist verprellt worden, unter anderem durch Äußerungen
einer Berliner Staatssekretärin, es handele sich bei den
Österreichern um eine Briefkastenfirma. Ob ein derar-
tiges Auftreten von Mitgliedern einer Landesregierung
gegenüber Investoren hilfreich ist, das überlasse ich Ihrer
eigenen Meinungsbildung .

Auf Initiative des Bundes hat es dann den Versuch ge-
geben, zwischen dem potenziellen Käufer und dem Land
Berlin eine Einigung herbeizuführen, um die Blockade
in der Länderkammer aufzuheben . Das Land Berlin will
nach eigenem Bekunden auf dem Areal 250 landeseige-
ne Sozialwohnungen errichten . Der potenzielle Grund-
stückserwerber hat einen 30-prozentigen Anteil an So-
zialwohnungen angeboten und gesagt, dass er eine enge
Abstimmung mit dem Land Berlin vornehmen will .

Die Kräne könnten sich schon jetzt im kommenden
Frühjahr auf dem Grundstück drehen, und schon 2018
könnten die ersten Familien in die Wohnungen einzie-
hen, wenn Berlin gewollt hätte . Aber Berlin wollte nicht,
die Berliner Landesregierung hat an der Stelle blockiert
und erklärt, dass sie eine Zusammenarbeit mit dem In-
vestor endgültig ausschließe . Stattdessen fordert sie vom
Bund die Übertragung des Grundstücks für die Hälfte

des erzielbaren Kaufpreises . Daraufhin hat die BImA das
vertragliche Rücktrittsrecht ausgeübt . So stellt sich erst
einmal ganz nüchtern die Sachlage dar .

Jetzt kommen wir zur Bewertung der Sachlage .


(Johannes Kahrs [SPD]: Das war keine Bewertung?)


– Das war gar keine Bewertung, lieber Kollege Kahrs .
Wir werden nachher sehen, wie Sie das bewerten . Das
war sachlich dargestellt . Aber jetzt komme ich zur Be-
wertung .


(Klaus Mindrup [SPD]: Aber sagen Sie doch, welche Landesregierung das war! Wer hat denn da in Berlin regiert?)


– Ganz ruhig, das kommt alles gleich noch . Jeder kriegt
hier sein Fett ab, Vorsicht .

Die BImA hat das gemacht, wofür sie der Deutsche
Bundestag mit dem BImA-Errichtungsgesetz ermäch-
tigt hat, übrigens mit rot-grüner Bundestagsmehrheit im
Jahr 2004,


(Dr . Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gute Regierung!)


nämlich das Bundeseigentum, das nicht dauerhaft zum
Zwecke des Bundes benötigt wird, zu veräußern . Dieses
Veräußern des öffentlichen Eigentums soll so ablaufen,
dass möglichst viel Geld für den Staatshaushalt einge-
nommen wird, weil dieses Geld wiederum für viele
staatliche Aufgaben benötigt wird, zum Beispiel für die
Förderung des sozialen Wohnungsbaus, und übrigens
auch deshalb, weil es so im BImA-Errichtungsgesetz mit
rot-grüner Bundestagsmehrheit 2004 beschlossen wor-
den ist .

Nun sagen einige hier im Haus, es sei nicht gut, wenn
der Staat sein Eigentum zum Höchstpreis aufgebe . Ich
sage: Es ist aber auch nicht in Ordnung, wenn der Staat
sein Eigentum zum niedrigsten Preis aufgibt . Es gibt jetzt
schon vermittelnde Regelungen . Zum Beispiel können
Kommunen ehemalige Militärflächen preisgünstiger er-
werben . Man mag darüber diskutieren, ob an der einen
oder anderen Stelle auf den Höchstpreis verzichtet wer-
den soll, weil man sich zum Beispiel dafür etwas einhan-
delt, woran der Staat Interesse hat . Das will ich gar nicht
in Abrede stellen .

Aber dann muss auch eines klar sein: Dem Einnah-
meverzicht muss an anderer Stelle auch ein Ausgabever-
zicht folgen . Denn eines kann nicht sein – das sage ich
besonders an die Bundesländer gerichtet, die im Bundes-
rat blockiert haben und die ich jetzt auf der Länderbank
vermisse –: Ihr könnt vom Bund nicht verlangen, dass er
zu einem niedrigen Preis seine Grundstücke an die Kom-
munen abgibt, und dann noch erwarten, dass der Bund
immer mehr Fördermittel an die Länder reicht . Das funk-
tioniert nicht .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich weiß auch, dass auf der linken Seite dieses Hauses
nicht immer die Erkenntnis da ist, dass man das, was man
ausgeben will, erst einmal erwirtschaften muss . Konrad
Adenauer hat einmal gesagt:

Klaus-Dieter Gröhler






(A) (C)



(B) (D)


Alles, was die Sozialisten von Geld verstehen, ist
die Tatsache, dass sie es von anderen haben wollen .

Aber an der Stelle muss klar sein: Wenn wir auf das eine
verzichten, müssen wir auch auf das andere verzichten .

Ich würde gern noch einen zweiten Punkt ansprechen .
Die Länder können nicht vom Bund erwarten, dass er sei-
ne Grundstücke nicht zum Höchstgebot verkauft, wenn
sie selbst es aber so machen . Das Land Berlin tut es, und
zwar immer noch . Beim Verkauf von Gewerbeimmobili-
en wird regelmäßig an den Höchstbietenden abgegeben .
Auf dem Dragoner-Areal will das Land Berlin allerdings
auch kleinteiliges Gewerbe ansiedeln . Na klar, wenn ich
das Grundstück vorher vom Bund billig bekomme und an
anderer Stelle meine eigenen Grundstücke teuer verkauft
habe, dann kann ich mir das leisten . Aber so funktioniert
vernünftiges Wirtschaften nun einmal nicht .


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann war der letzte Kaufvertrag? Das stimmt nicht!)


– Dann schauen Sie, liebe Frau Kollegin Paus, in die ak-
tuellen Angebote des Berliner Immobilienmanagements .
Gewerbegrundstücke werden zum Höchstpreis ausge-
schrieben und abgegeben .

Bis 2014 – daran erinnere ich auch gern – hat Berlin
auch Wohnungsbaugrundstücke im Höchstpreisverfah-
ren auf den Markt gebracht . Der Finanzsenator, der da-
mals besonders aktiv war – das war 2002 bis 2009; daran
erinnert sich der eine oder andere heute nicht mehr so
gern –, hieß Thilo Sarrazin und war nicht in der CDU .
Darauf lege ich viel Wert, meine Damen und Herren .


(Dr . Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da könnte er aber hingehören!)


Erst auf Druck der CDU hat es 2014 in Berlin eine
Wende in der Liegenschaftspolitik gegeben . Da ist der
Koalitionspartner, mit dem Sie jetzt in Berlin zusammen
sind, nicht so ganz mit uns mitgegangen . Auch Sie wer-
den noch erleben, dass an der einen oder anderen Stelle
das Beharrungsvermögen relativ groß ist .

Das Verhalten Berlins beim Dragoner-Areal ist übri-
gens noch in anderer Hinsicht widersprüchlich . In Ber-
lin – ebenfalls unter Sarrazin – sind 65 000 landeseigene
Wohnungen an ein internationales Konsortium verkauft
worden . Eine Wohnung wurde also für durchschnittlich
7 000 Euro verkauft – nicht der Quadratmeter, sondern
die ganze Wohnung .


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ein großer Fehler!)


Ich will nur einmal daran erinnern: Das passierte unter
einer rot-roten Landesregierung . In dieser Zeit ist der An-
teil der landeseigenen Wohnungen in Berlin von 400 000
auf 250 000 abgesenkt worden .


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Umso größer ist das Problem!)


Und jetzt verspricht Rot-Rot-Grün im neuen Koalitions-
vertrag, den Anteil wieder auf 400 000 Wohnungen auf-
zustocken, übrigens nicht durch Neubau, sondern durch
Zukauf . Das heißt, die Wohnungen, die man vor zehn

Jahren billig verscherbelt hat, will man heute teuer zu-
rückkaufen .


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Durch beides!)


So spielt man zu Hause nicht einmal Monopoly, meine
Damen und Herren .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Noch eines will ich an dieser Stelle sagen: Berlin hat
es versäumt, zwischen 2006 und 2011 Sozialwohnungen
zu errichten . In der Zeit ist nicht eine Sozialwohnung er-
richtet worden .


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was nützt uns das heute? Herr Gröhler, welche Konsequenz hat das heute? – Caren Lay [DIE LINKE]: Das wird sich jetzt ändern!)


Kollege Kahrs, in Hamburg waren es wenigstens 10 000 .
Berlin hat in dieser Zeit Millionenbeträge für den sozia-
len Wohnungsbau kassiert, aber nicht eingesetzt .

Jetzt komme ich zur antragstellenden Fraktion: Ich
finde Ihr Verhalten einfach unredlich. Sie haben jahre-
lang in der Landesregierung mit dafür gesorgt, dass sich
die Zahl der Wohnungen in Berlin nicht erhöht hat, dass
landeseigene Wohnungen sogar verkauft wurden . Damit
haben Sie praktisch die Mieten in die Höhe getrieben .


(Caren Lay [DIE LINKE]: Auf Druck der CDU!)


Und jetzt, beim Dragoner-Areal, liebe Linke, erkennt
ihr plötzlich euer soziales Gewissen – zulasten des Bun-
des – und wollt, nachdem ihr zehn Jahre lang in Berlin
eine falsche Politik gemacht habt, an diesem Grundstück
Symbolpolitik betreiben . Sie schreiben in Ihrem Antrag:

Das entspricht nicht den Erfordernissen einer sozia-
len Stadtentwicklung .

Die Politik, die Sie jahrelang gemacht haben, auch nicht .

Ein letzter Hinweis: Wenn Berlin so dringend sozialen
Wohnungsbau braucht, dann soll es ihn doch auf seinen
eigenen Grundstücken betreiben . Auf 70 Hektar in Pan-
kow, Elisabeth-Aue, sollten 5 000 Wohnungen entstehen;
aber Rot-Rot-Grün hat gerade im Koalitionsvertrag fest-
gelegt, dass dort nicht eine Wohnung gebaut wird . Aber
man will verbilligt auf einem Grundstück des Bundes
bauen. Ich finde, das eine passt nicht zum anderen. Des-
halb wird meine Fraktion den Antrag der Linken selbst-
verständlich ablehnen .

Schönen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Gegen die Interessen Berlins! – Dr . Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So, die Krise der CDU habe ich jetzt verstanden! Danke!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821218600

Wir fahren fort . Als nächste Rednerin hat Caren Lay

von der Fraktion Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)


Klaus-Dieter Gröhler






(A) (C)



(B) (D)



Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821218700

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! In einem einzigen Punkt gebe ich dem Kolle-
gen Gröhler recht: Es ist richtig, das Dragoner-Areal in
Berlin ist zu einem Symbol geworden . – Es ist wie kein
anderes Grundstück in dieser Republik zum Symbol für
eine völlig falsche und verfehlte Liegenschaftspolitik des
Bundes geworden . Diese Liegenschaftspolitik muss sich
endlich ändern .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Gelände, wenige hundert Meter von hier entfernt,
bietet beste Voraussetzungen, den angespannten Woh-
nungsmarkt zu entlasten, beispielsweise durch den Bau
von bezahlbaren Mietwohnungen . Genau das wollten die
kommunalen Berliner Wohnungsbaugesellschaften tun .
Sie haben ein Angebot dafür unterbreitet . Es gibt eine
Bürgerinitiative des Bündnisses „Stadt von Unten“, das
das bereits bestehende Gewerbe schützen will . Da soll-
te man doch denken: Das sind optimale Bedingungen
für eine soziale und bürgernahe Stadtentwicklung . Aber
nein, die BImA verkauft das Gelände an einen Investor
aus Österreich . Entscheidend war überhaupt nicht das
Konzept, sondern ganz allein die Tatsache, dass er das
Doppelte von dem auf den Tisch legen wollte, was die
kommunalen Berliner Wohnungsbaugesellschaften auf
den Tisch legen konnten . Das heißt übersetzt: Anstatt die
Spekulation mit Immobilien zu verhindern, spekuliert die
Bundesregierung mit. Das empört mich. Ich finde, das
sollte uns alle empören .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Schlimmste ist in der Tat, dass die Große Koaliti-
on im Haushaltsausschuss diesem Verkauf an den Inves-
tor trotz Protesten zugestimmt hat . Das war ein Fehler .
Wir Linken geben Ihnen heute mit unserem Antrag die
Möglichkeit, diesen Fehler zu korrigieren. Ich hoffe, Sie
nutzen sie .


(Beifall bei der LINKEN)


Ja, meine Damen und Herren, es ist dem Bundesrat
zu verdanken, dass der Verkauf gestoppt wurde . Gott sei
Dank, kann ich nur sagen . Aber das ist jetzt, sage und
schreibe, anderthalb Jahre her . Nach anderthalb Jahren
ist immer noch unklar, wie es weitergeht . Das ist einfach
nur beschämend .


(Beifall bei der LINKEN)


Zunächst hat sich Minister Schäuble reichlich unbe-
eindruckt von dieser Entscheidung gezeigt . Er hat ver-
sucht, die Länder zu erpressen und gesagt, der Bundesrat
solle zukünftig herausgehalten werden . Ich bin, ehrlich
gesagt, schockiert, Herr Gröhler, dass Sie das heute noch
einmal wiederholen . Was ist das für ein Demokratiever-
ständnis? So geht es nun wirklich nicht .


(Beifall bei der LINKEN)


Dann dieses ewige Gezerre um die Rückabwicklung
des Vertrages . Bis heute ist unklar, ob handwerkliche
Fehler gemacht wurden, ob Schadensersatzforderungen

ausgeschlossen wurden . Ich habe dafür eine einfache Lö-
sung: Legen Sie den Vertrag endlich auf den Tisch . Auch
diese Geheimniskrämerei muss ein Ende haben .


(Beifall bei der LINKEN)


Die BImA hat ja erst vor kurzem verkündet, dass das
Gelände jetzt an sie zurückfallen wird, dass aber keine
neuen Absichten zum Verkauf bestehen, auch nicht an
das Land Berlin . Dabei hat Berlin das Dragoner-Areal
als Sanierungsgebiet ausgewiesen . Zum 1 . Februar wird
jetzt ein Sanierungsbeauftragter bestellt . Ich kann nur sa-
gen: Das Land Berlin hat seine Hausaufgaben gemacht,
die Bundesregierung nicht .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Was will die Bundesregierung jetzt? Ich bin auch ge-
spannt, was die Koalition eigentlich will . Auf die mehr-
fachen Anfragen von mir und auch von anderen Kolle-
ginnen und Kollegen antwortet die Bundesregierung jetzt
über ein Jahr lang: Die Willensbildung ist noch nicht
abgeschlossen. – Ich finde, wenn die Willensbildung
der Bundesregierung noch nicht abgeschlossen ist, dann
sollten wir, der Bundestag, ihr auf die Sprünge helfen .


(Beifall bei der LINKEN)


Jetzt scheint das Gelände zum Gegenstand, vielleicht
auch zum Spielball des Hauptstadtfinanzierungsvertra-
ges zu werden . Wie auch immer, dieses Gezerre um das
Dragoner-Areal muss endlich aufhören . Es gehört an das
Land Berlin, und zwar zu guten und fairen Konditionen .


(Beifall bei der LINKEN)


Zu dieser Einsicht ist im Wahlkampf von Berlin ja
auch der Kollege Oppermann, Fraktionsvorsitzender der
SPD, gekommen . Er kündigte eine Gesetzesinitiative an,
auf die wir in der Tat bis heute warten . Wie auch sollte er
sie – das verstehe ich jetzt – bei diesem Koalitionspart-
ner durchsetzen? Aber eines geht natürlich nicht: zwei,
drei Wochen vor der Wahl vollmundig Ankündigungen
zu machen und dann zu kneifen, wenn es zum Schwur
kommt . Auf das Abstimmungsverhalten des Kollegen
Oppermann bin ich deswegen besonders gespannt .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wenn
die Rede Ihres Koalitionskollegen Herrn Gröhler kein
Argument war, für unseren Antrag zu stimmen, dann
weiß ich es wirklich nicht . Bitte haben Sie den Mut, und
stimmen Sie für unseren Antrag . Wir haben heute die
Chance, endlich eine Lösung zu finden und das Drago-
ner-Areal an das Land Berlin zu geben . Das wäre eine
gute und sinnvolle Lösung .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821218800

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Johannes

Kahrs für die SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(B) (D)



Johannes Kahrs (SPD):
Rede ID: ID1821218900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich bin jetzt seit 19 Jahren im Deutschen Bun-
destag, und ich habe noch nie eine solche Debatte über
ein Grundstück hier im Plenum des Deutschen Bundes-
tages geführt . Solch ein Thema ist in der Vergangenheit
auch noch nie mit einer namentlichen Abstimmung gea-
delt worden .


(Caren Lay [DIE LINKE]: Es ist gut, dass es das endlich einmal gibt!)


Ich finde, vielleicht sollte man alles einmal eine Nummer
kleiner sehen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich habe, als ich meine Rede heute vorbereitet habe,
gedacht, wir könnten die Debatte vielleicht zielführender
nutzen – man muss ja auch über etwas Intelligentes spre-
chen – und über die gelungene Wohnungsbaupolitik re-
den, die diese Koalition in den letzten drei Jahren betrie-
ben hat . Der Haushaltsausschuss hat Wesentliches dazu
beigetragen . Die entsprechenden Fachminister, Frau
Hendricks und Herr Maas, haben Wunderbares dazu bei-
getragen . Ich könnte jetzt viel über die von den Kollegen
der CDU und der CSU sowie von uns geliebten Miet-
preisbremse erzählen und über all die schönen Dinge, die
wir hier gemeinschaftlich beschlossen haben . Ich sehe,
wie Kollege Gröhler sich noch über den Beschluss freut,
den wir alle gemeinsam gefasst haben .

Ich möchte, da es so viel Aufregung gegeben hat, doch
kurz auf dieses Grundstück eingehen . Im Ergebnis ist es
so, dass es mehr mit Landespolitik als mit Bundespolitik
zu tun hat . Das BMF hält sich an die Gesetze, die wir hier
im Deutschen Bundestag beschlossen haben . Es gibt ein
Gesetz, das vorsieht, dass die BImA – sie ist für den Bund
zuständig und hat sich daran zu halten – nach Höchstge-
bot zu verkaufen hat . Das ist die Rechtslage . Ich kann
nicht feststellen, dass es hier heute einen Gesetzentwurf
der Opposition gibt, die Rechtslage zu ändern .


(Caren Lay [DIE LINKE]: Sie haben es hier schon zweimal abgewiesen!)


– Gnädige Frau, lassen Sie doch auch mich einmal reden .

Im Ergebnis ist es so, dass wir hier einen Antrag ha-
ben, bei dem es ein bisschen um Empörung und Stim-
mungsmache geht . Die Frage ist, warum man das mit
einer namentlichen Abstimmung verbindet . Damit will
man uns ärgern . Das werden wir auch noch überleben .

Wenn Sie sich das auf der Sachebene anschauen, dann
sehen Sie, dass der rot-schwarze Senat in Berlin dieses
Grundstück gerne preiswerter gehabt hätte . Dann hat der
rot-schwarze Senat das probiert . Dann hat es lange Dis-
kussionen gegeben . Man hat auf Betreiben Berlins auch
im Haushaltsausschuss ein Dreivierteljahr lang das The-
ma rauf und runter diskutiert und geschaut, ob man sich
einigen kann . Am Ende war jeder in seiner Diskussions-
lage gefangen .

Dann haben wir den Verkauf – um es auch wieder sehr
freundlich zu formulieren – hier zum Thema gehabt, und

im Bundesrat hat es eine Entscheidung – bei zwei Ent-
haltungen – gegeben . Das ist interessant, aber man kann
es, glaube ich, parteipolitisch gar nicht nutzen. Ich finde
Empörung auch immer gut, wenn sie zielführend ist .

Man muss sich die Abstimmung einmal ansehen .
Der Finanzsenator Berlins, Matthias Kollatz-Ahnen, ein
sehr guter Mann, hat es geschafft, alle Parteien und alle
Landesregierungen in Deutschland hinter seiner Idee zu
versammeln, Berlin möge doch günstiger als alle ande-
ren ein Grundstück bekommen . Ehrlicherweise hätte
man sich das in Hamburg oder München auch überlegen
können . Im Ergebnis stimmten zehn Länder – Berlin,
rot-grün regierte Länder und Ähnliches – gegen den Ver-
kauf an den Investor . Gleichzeitig war das Land Hessen,
schwarz-grün, für den Verkauf . Die Grünen haben also
dafür gestimmt, dass wir dieses Grundstück an den In-
vestor geben .


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Finanzausschuss!)


Enthalten haben sich Baden-Württemberg, rot-grün – die
haben auch nicht so tapfer mit den Berlinern gekämpft –,
und Niedersachsen, auch rot-grün .


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war der Finanzausschuss, Herr Kahrs!)


Das heißt, es hat CDU-regierte – –


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war Herr Schmid!)


– Ganz entspannt bleiben . Wenn man das einmal durch-
dekliniert, dann kommt man dazu, dass alle, die sich hier
so ein bisschen erregen, bei der Veranstaltung auf unter-
schiedlichen Seiten waren .


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die grünen Finanzminister haben alle gegen den Verkauf gestimmt!)


Am Ende hatte es etwas damit zu tun, dass all die be-
troffenen Bundesländer gerne günstige Grundstücke vom
Bund hätten . Ich kann das, ehrlich gesagt, verstehen; ich
bin Haushälter .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie nehmen aber auch das Geld direkt!)


Ich bekomme auch gerne mal etwas günstig . Allerdings
gibt es auf der anderen Seite auch ein Bundesinteresse .
Wir, die wir die Länder unterstützen, den sozialen Woh-
nungsbau unterstützen, viel Geld an die Kommunen ge-
ben, müssen das Geld erst einmal einnehmen .

Schauen Sie sich die Interessenlage an . Der Bund dis-
kutiert zurzeit – deswegen kann man da sehr entspannt
sein – über verschiedene Dinge mit Berlin . Es geht ja
nicht nur um das Dragoner-Areal, worüber wir hier lus-
tigerweise sprechen, sondern es sollen auch 4 500 Woh-
nungen an die Berliner Wohnungsbaugesellschaften
gehen. Es gibt Gespräche zum neuen Hauptstadtfinanzie-
rungsvertrag, zum Flughafen in Tegel, zu vielen Museen .
Natürlich wird es für alles zusammen eine gemeinschaft-
liche Lösung geben .






(A) (C)



(B) (D)


Jetzt frage ich mich, wie schlau es ist, hier im Bundes-
tag all diejenigen, die darüber diskutieren, auf eine Art
und Weise vorzuführen, die auf einen selbst zurückfällt;
denn man hat ja über seine Länder auch anders und selt-
sam abgestimmt. Das betrifft übrigens auch die CDU, die
in Berlin alles mitgetrieben hat .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was haben die gemacht!)


Am Ende hat man dann ein Problem, wenn das BMF
mit dem Land Berlin über die wirklich wichtigen Dinge
spricht .

Ernsthafterweise möchte ich meine Rede mit dem Ap-
pell beenden, im Deutschen Bundestag künftig wichti-
ge Dinge zu diskutieren, eine namentliche Abstimmung
für wirklich wichtige Dinge aufzuheben . Das könnte am
Ende den Bürger beeindrucken und dazu führen, dass er
glaubt, dass das, worüber wir diskutiert haben, wichtig
war .


(Beifall bei der SPD)


Wichtig für Berlin sind der Verkauf der 4 500 Wohnun-
gen und all die anderen Dinge, die dazugehören .

Ich finde, Partner, die miteinander einen Vertrag
schließen wollen, in dem es um sehr viel Geld geht, in
dem die Berechnungsgrundlage unklar ist, müssen einan-
der gegenseitig nett und charmant behandeln, damit beide
als Sieger aus diesen Verhandlungen gehen . Solche etwas
unwürdigen Schmierenkomödien im Deutschen Bundes-
tag sind komplett überflüssig. Deswegen fordere ich die
Opposition auf, die namentliche Abstimmung zurückzu-
ziehen und uns allen diese Peinlichkeit zu ersparen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821219000

Vielen Dank . – Als letzte Rednerin in dieser Ausspra-

che hat Lisa Paus für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen das Wort .


Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821219100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren hier im

Saal und draußen! Eigentlich ist es ganz einfach: Der
Antrag – er ist ja recht schlicht gehalten – fordert die
Rückabwicklung des Verkaufs des Dragoner-Areals an
den privaten Investor . Es geht um diese 4,7 Hektar Ge-
werbefläche im Herzen Berlin-Kreuzbergs und darum,
dass dieses Gelände dem Land Berlin angeboten werden
soll .

Wir könnten es uns wirklich ganz einfach machen .
Denn es ist ja tatsächlich so: Das Bundesfinanzministe-
rium hat bereits mit der Rückabwicklung des Verkaufs
begonnen; das hat auch Herr Gröhler hier gesagt . Am
17 . November letzten Jahres hat der Bund von seinem
Rücktrittsrecht Gebrauch gemacht . Der erste Schritt ist
also getan. Auch hat uns der Bundesfinanzminister im Fi-
nanzausschuss bereits gesagt, dass Gespräche zwischen
ihm und dem Land laufen, also ein Angebot des Bundes

an das Land gemacht wird und man aushandeln wird, wie
das läuft . Auch Herr Kahrs hat das angedeutet .

Von der Sache her gibt es deswegen eigentlich kein
Problem . Das, was dieser Antrag fordert, macht die Ko-
alition – zumindest das Bundesfinanzministerium – be-
reits . Von daher könnten Sie diesem Text schlichtweg
zustimmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Warum tun Sie es nicht? Das ist typisch . Denn es ist,
glaube ich, in diesem Haus noch nie geschehen, dass
einem Oppositionsantrag zugestimmt worden ist . Aber
in einer solchen Situation ist man ja nicht handlungsun-
fähig . In einer solchen Situation ist es durchaus üblich,
dass die Koalition einen Änderungsantrag oder einen Er-
setzungsantrag vorlegt . Über diesen Weg bekommt man
es dann hin, dass diesem Anliegen, das, wie gesagt, vom
Bundesfinanzministerium schon bearbeitet wird, auch
entsprochen wird .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Über die Kleinigkeiten will ich jetzt gar nicht reden .
Dass der Vertrag schlecht war, dass es handwerkliche Feh-
ler gab, dass es deswegen jetzt zu Verzögerungen kommt
usw ., über all das will ich gar nicht reden . Das hätten Sie
machen können; das haben Sie aber nicht gemacht . Des-
wegen, Herr Kahrs, haben Sie sich das Problem tatsäch-
lich selber eingebrockt . Ihre Ablehnung dieses Antrags
ist fatal, weil sie nämlich in der Sache bedeutet, dass Sie
mit Ihrem Beschluss das kooperative Verhalten des Bun-
desfinanzministeriums direkt torpedieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Johannes Kahrs [SPD]: Das ist grober Unfug!)


Deswegen fordere ich Sie auf: Tun Sie das nicht, sondern
stimmen Sie dem Antrag zu!

Die eigentliche Logik ist ja, dass Sie den Paradigmen-
wechsel, der mit dem Dragoner-Areal von unserer Seite
mit eingeleitet werden soll, nicht mitgehen wollen . Ich
sage Ihnen: Wir brauchen ihn aber . Wir brauchen eine
andere öffentliche Liegenschaftspolitik des Bundes. Wir
brauchen eine Kehrtwende in diesem Bereich . Diese
Kehrtwende ist überfällig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Der Fall Dragoner-Areal findet in Berlin statt. Aber
er ist kein einfacher Sonderfall, den man jetzt möglichst
schnell abhakt, weil unterwegs etwas schiefgegangen
ist, sondern er ist ein Symbol für das, was grundsätzlich
schiefläuft. Deswegen werde ich noch etwas zur Chrono-
logie des Vorfalls sagen .

Das Dragoner-Areal ist von der BImA, also von der
bundeseigenen Immobilienanstalt, nicht erst einmal
im Höchstpreisverfahren angeboten worden . In den
2000er-Jahren war der Wohnungs- und Gewerbemarkt
in Berlin ja noch relativ entspannt . Damals wurde nicht
verkauft . Nachdem die Preise angezogen haben – nach
2010, im Jahr 2012 –, hat die BImA das Gelände ein
erstes Mal im Höchstpreisverfahren angeboten . Das Er-

Johannes Kahrs






(A) (C)



(B) (D)


gebnis dieses Höchstpreisverfahrens war: 21 Millionen
Euro . Damals hatte der Investor darauf spekuliert, dass
er ein neues Baurecht bekommt . Dieses neue Baurecht
hat er vom Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg aus guten
Gründen nicht bekommen . Dann ist er von dem Vertrag
zurückgetreten und hat gesagt, dass er das so nicht finan-
ziert bekommt . Es war eine spekulative Summe, die da
angeboten worden ist .

Was machte die BImA? Sie schrieb das Ding noch
einmal aus . Innerhalb von nur zwei Jahren, zwischen
2012 und 2014, stieg der Höchstpreis von ursprünglich
21 Millionen Euro auf 36 Millionen Euro . Und Sie, Herr
Gröhler, sagen mir, da habe keine Spekulation stattgefun-
den? Das ist doch absurd .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Sie wissen wohl nicht, wie sich die Preise in Berlin entwickelt haben!)


Hier ist es tatsächlich so: Der Bund war der zentrale
Spekulationstreiber in diesem Bereich . Das ist fatal, weil
das Dragoner-Areal die einzige noch verfügbare freie
Fläche im Bezirk Kreuzberg ist, der unter erheblichem
Druck steht, was die Preise angeht . Die Mietpreise sind
in den letzten Jahren um 40, 50 Prozent gestiegen . Bei
diesem Verkauf kam es in nur zwei Jahren zu einer Erhö-
hung des Preises um über 70 Prozent . Das ist absurd, und
das muss aufhören . Deswegen: Stimmen Sie dem Antrag
zu, und fangen Sie endlich mit einer anderen Liegen-
schaftspolitik des Bundes an, meine Damen und Herren!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821219200

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die

Aussprache .

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Haus-
haltsausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke
mit dem Titel: „Dragoner-Areal dem Land Berlin zum
Kauf anbieten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/10658, den An-
trag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/9790
abzulehnen . Wir stimmen also nicht über den Antrag ab,
sondern über die Beschlussempfehlung . Die Beschluss-
empfehlung lautet, wie gesagt, den Antrag der Fraktion
Die Linke abzulehnen .

Wir stimmen jetzt über die Beschlussempfehlung auf
Verlangen der Fraktion Die Linke namentlich ab . Da der
Antrag nicht zurückgezogen wurde, machen wir das jetzt .
Deshalb bitte ich die Schriftführerinnen und Schriftfüh-
rer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen .

Ich weise darauf hin, dass mir zu dieser Abstimmung
zahlreiche Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung
vorliegen .1)

1) Anlage 7

Sind alle Plätze an den Urnen mit Schriftführerinnen
und Schriftführern besetzt? – Das ist der Fall . Jetzt kann
ich die Abstimmung eröffnen.

Gibt es noch eine Kollegin oder einen Kollegen, die
oder der noch nicht abgestimmt hat?


(Rudolf Henke [CDU/CSU]: Ganz viele! – Weitere Zurufe)


Ich frage noch einmal, ob es eine Kollegin oder einen
Kollegen gibt, die oder der noch nicht abgestimmt hat . –
Jetzt haben alle Kolleginnen und Kollegen abgestimmt .
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen . Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später
mitgeteilt .2)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den Tages-
ordnungspunkt 11 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur
Änderung reiserechtlicher Vorschriften

Drucksache 18/10822
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Tourismus

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache ebenfalls 25 Minuten vorgesehen . – Ich
höre dazu keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlos-
sen .

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner in die-
ser Aussprache hat der Parlamentarische Staatssekretär
Ulrich Kelber für die Bundesregierung das Wort .

U
Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1821219300


Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung
soll die europäische Richtlinie über Pauschalreisen und
verbundene Reiseleistungen in nationales Recht umge-
setzt werden .

Der Reisemarkt hat sich in den letzten Jahrzehnten
massiv verändert . Billigairlines, ein stärker individua-
lisiertes Buchungsverhalten und vor allem die Digitali-
sierung haben zu einem grundlegenden Wandel geführt .
Deswegen hat die EU-Kommission die Pauschalreise-
richtlinie aus dem Jahr 1990 novelliert .

Die Richtlinie und damit gezwungenermaßen auch
der Gesetzentwurf, der sie in nationales Recht umsetzt,
haben in den letzten Wochen eher wenig Lob und viel
öffentliche Kritik erfahren müssen. Ich glaube trotzdem,
dass man erst einmal sagen kann, dass die 28 Mitglied-
staaten – so viele sind wir ja noch – zusammen mit dem
Europaparlament im Großen und Ganzen einen tragfähi-
gen Kompromiss ausgehandelt haben .

Wir hätten uns gefreut, wenn wir mehr nationalen
Spielraum gehabt hätten, um zum Beispiel auf Besonder-

2) Ergebnis Seite 21298 C

Lisa Paus






(A) (C)



(B) (D)


heiten des deutschen Reisemarktes mit einer Reisebüro-
struktur aus vielen unabhängigen Büros einzugehen und
Verbesserungen beim Verbraucherschutz zu erreichen .
Dies ließ sich nicht erreichen . Wenn wir das nächste Mal
die abstrakte Diskussion über Vollharmonisierung oder
Mindestharmonisierung in der Europäischen Union füh-
ren, dann sollte sich der eine oder andere an seine kon-
krete Kritik bei dieser Richtlinie erinnern und mit uns für
das Ziel der Mindestharmonisierung kämpfen .


(Beifall bei der SPD)


Ein paar Details: Positiv ist vor allem, dass wir er-
reichen konnten, dass viele Dinge, die sich in Deutsch-
land im Verbraucherschutz bewährt haben und die den
Verbraucherinnen und Verbrauchern bekannt sind, jetzt
europaweit gültig sein werden . Bei erheblichen Leis-
tungsänderungen durch den Reiseveranstalter steht ein
kostenloses Rücktrittsrecht zur Verfügung . In Bezug auf
erhebliche Preisänderungen gibt es jedoch einen klei-
nen Wermutstropfen . Wir konnten nicht gegenüber allen
Staaten unsere deutsche Regelung durchsetzen, dass bei
einer Preisänderung von mehr als 5 Prozent das kosten-
lose Rücktrittsrecht gilt . Europaweit gilt jetzt, dass diese
Möglichkeit existiert, wenn die Preisänderung mehr als
8 Prozent beträgt .

Es wird weiterhin die Möglichkeit einer allgemeinen
Beratung im Vorfeld einer Buchung bestehen . Das hilft
vor allem den unabhängigen Büros . Diese sind wichtig
für einen weiterhin guten Wettbewerb .

Unabhängig davon, dass wir heute den Gesetzentwurf
einbringen, steht auf unserer To-do-Liste immer noch
eine praktikable und rechtssichere Lösung für kleine
Reisebüros, damit getrennte Leistungen trotzdem ge-
meinsam bezahlt werden können, ohne dass daraus eine
Pauschalreise entsteht .

Die Bundesregierung ist in engem Kontakt mit der
Kommission . Ich war selber letzten Dienstag in Brüs-
sel, um noch einmal mit der entsprechenden Generaldi-
rektion zu sprechen. Ich glaube, wir finden Gehör. Die
EU-Kommission hat das Problem verstanden und ist
auch zu der Auffassung gekommen, dass es auch in ande-
ren Ländern – zum Beispiel in der Tourist Information –
genau dieses Problem geben kann . Sie hat uns gebeten,
das Problem auf dem Umsetzungsworkshop im nächsten
Monat vorzutragen . Wir werden dort einen konkreten
Umsetzungsvorschlag formulieren und hoffen, dass ein
guter Umsetzungsvorschlag beschlossen wird .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg . Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Was natürlich nicht funktionierte, war, alle Ansprü-
che von Anbieter- und Verbraucherseite gleichzeitig zu
bedienen. Deswegen wird es häufiger zu der Situation
kommen, dass etwas als verbundene Reiseleistung oder
Pauschalreise gilt . Das ist aber durchaus im Interesse der
Verbraucherinnen und Verbraucher .

Wir werden auch beobachten müssen, ob die Möglich-
keit einer stärkeren Verteuerung der Reise nach Buchung
missbraucht wird . Dann müssen wir eingreifen; denn wir
wollen, dass die Bedingungen im Verbraucherschutz so

bleiben . Das wollen wir vor allem durch einen harten
Wettbewerb erreichen . Deswegen haben wir uns für eine
gute Lösung eingesetzt .

Wir wollen die Richtlinie bis zum 1 . Januar 2018 um-
setzen . In einem Wahljahr heißt das, dass dies bis zur
Sommerpause geschehen muss . Es wäre nett, wenn Sie
uns dabei unterstützten .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821219400

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Kerstin

Kassner von der Fraktion Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Kerstin Kassner (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821219500

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Ein Gespenst geht um in Europa: das Ge-
spenst „Richtlinie für die Pauschalreisen“ .


(Beifall des Abg . Ralph Lenkert [DIE LINKE])


In der Tat: Wenn man sich überlegt, dass von der Idee
und der ersten Inangriffnahme der Novellierung dieser
Richtlinie bis zum heutigen Tag acht Jahre vergangen
sind


(Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


und eine vernünftige Regelung immer noch nicht in Sicht
ist, dann muss man wirklich von einem Gespenst reden .
Nichtsdestotrotz werden wir uns auf den Weg machen
müssen, um zu einer Regelung zu kommen . Ich denke,
das ist im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher
eine wichtige Sache .

Allerdings ist zu fragen: Schütten wir hier das Kind
mit dem Bade aus? Welches sind die richtigen Schritte,
die wir gehen müssen? Schauen wir einmal auf die Chro-
nologie der letzten zwei Jahre . Als der Entwurf vorlag,
waren wir sehr erstaunt, dass darin eine Lex Großbritan-
nien deutlich zu erkennen war, dass die Bedingungen, die
in Deutschland gelten, eben nicht in den Entwurf einge-
flossen waren.

Als Reaktion gab es einen Sturm der Entrüstung . Wir
haben zig Schreiben von verschiedenen Unternehmerin-
nen und Unternehmern erhalten, die alle sehr leiden-
schaftlich waren . Eines kann man an dieser Stelle sagen:
Die Reiseunternehmen sind in ihren Verbänden gut mit-
einander vernetzt . Ich glaube, das ist an dieser Stelle sehr
wichtig .

Daraufhin wurde im Tourismusausschuss eine Anhö-
rung durchgeführt . Mehr als 20 Stellungnahmen erreich-
ten uns . Nicht zuletzt das hat dazu geführt, dass an den
Stellschrauben mächtig gedreht wurde und viele Ände-
rungen vorgenommen wurden . Damit wurde die Drama-
tik in Teilen entschärft .

Parl. Staatssekretär Ulrich Kelber






(A) (C)



(B) (D)


Damit wurden allerdings nicht alle Befürchtungen
ausgeräumt . Deshalb müssen wir weiter dranbleiben .
Am kommenden Montag wird es dazu eine Anhörung
im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz geben .
Auch im Petitionsausschuss, in dem ich Mitglied bin,
werden wir uns noch einmal mit der Petition befassen
müssen, die immerhin 49 000 Unterstützer gefunden hat .
Das spricht für die große Unruhe bei diesem Thema . Wir
werden alles daransetzen müssen, hier eine Lösung zu
finden, um den kleinen und mittelständischen Unterneh-
men entgegenzukommen und ihre Sorgen und Nöte zu
berücksichtigen .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Manfred Zöllmer [SPD])


– Vielen Dank . – Ich habe wie bestimmt auch viele von
uns sehr viele Schreiben bekommen . Daraufhin habe ich
mit vielen Kollegen kommuniziert .

Ich möchte abschließend vortragen, was mir eine Un-
ternehmerin aus den neuen Bundesländern geschrieben
hat . In dem Schreiben heißt es: Als ganz normaler Staats-
bürger verstehe ich die Abwehrhaltung der Bevölkerung
auf eine überdimensionierte und mitunter praxisfremde
EU-Gesetzgebung, so jedenfalls wird es empfunden . Wir
sind eindeutig überreguliert . Ich bin weltweit gereist und
habe mich in über 20 Jahren mit den Volkswirtschaften
und Lebenssituationen der Menschen, verteilt über den
gesamten Globus, vertraut gemacht . Wir Deutschen nei-
gen dazu, immer und ständig optimieren zu wollen, im
übertriebenen Maß verbessern und unsere Sicht der Din-
ge anderen aufdrängen zu wollen . Da unser deutscher
Einfluss in der EU sehr intensiv ist, ist die EU-Gesetzge-
bung auch ein Ergebnis dieses Verhaltens . Als wir 1990
die deutsche Einheit feierten, war zu hören, dass ein

starker Mittelstand ein wichtiger Garant für eine gesunde
Volkswirtschaft ist . Der Mittelstand wird demontiert .


(Zuruf von der CDU/CSU: Durch Ihre Politik!)


Ich habe erlebt, wie man sich in der DDR von den Re-
gierenden abwandte und sich ins Privatleben zurückzog,
die Gesellschaft nicht mehr gestaltete, und jetzt habe ich
leider das Gefühl eines Déjà-vu . Davon geht eine große
Gefahr für die Demokratie in unserem Lande aus .

Ich bringe es noch einmal auf den Punkt: Wir brau-
chen keine Gespenster, wir brauchen Lösungen, die den
Verbraucherinnen und Verbrauchern entgegenkommen,
aber auch die Situation der kleinen und mittelständischen
Unternehmen der Reisebranche im Auge haben,


(Beifall bei der LINKEN)


und ich baue darauf, dass wir hier gemeinsame Lösungen
finden.

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821219600

Vielen Dank . – Bevor Kathrin Rösel das Wort er-

hält, trage ich kurz das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Haus-
haltsausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke
„Dragoner-Areal dem Land Berlin zum Kauf anbie-
ten“ vor: abgegebene Stimmen 526 . Mit Ja haben ge-
stimmt 424, mit Nein haben gestimmt 100, enthalten
haben sich 2 . Damit ist die Beschlussempfehlung des
Haushaltsausschusses angenommen worden .

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 526;
davon

ja: 424
nein: 100
enthalten: 2

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram

Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr . Bernd Fabritius
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist

Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Axel E . Fischer


(Karlsruhe-Land)

Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel

Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Rainer Hajek
Dr . Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Rudolf Henke
Michael Hennrich

Kerstin Kassner






(A) (C)



(B) (D)


Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann


(Dortmund)

Karl Holmeier
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Dr . Mathias Edwin Höschel
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Antje Lezius

Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief

Dr . Heinz Riesenhuber
Iris Ripsam
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Patrick Schnieder
Nadine Schön (St . Wendel)

Dr . Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries

Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Dr . h .c . Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Jürgen Coße
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder






(A) (C)



(B) (D)


Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme

Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller (Chemnitz)

Dr . Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr . Sascha Raabe
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Axel Schäfer (Bochum)

Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering

Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

Nein

DIE LINKE

Jan van Aken
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Annette Groth
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jutta Krellmann
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Dr . Gesine Lötzsch

Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Kathrin Vogler
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Annalena Baerbock
Volker Beck (Köln)

Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke






(A) (C)



(B) (D)


Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Tabea Rößner

Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang Strengmann-

Kuhn

Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Dr . Valerie Wilms

Enthalten

SPD

Michael Gerdes

Dr . Hans-Joachim
Schabedoth

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt .

Wir fahren in der Debatte fort, und Kathrin Rösel hat
das Wort für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Kathrin Rösel (CDU):
Rede ID: ID1821219700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir Deutschen sind reiselustig . Im letzten Jahr
sind zwei von drei Deutschen mindestens einmal im Jahr
verreist . Zum Vergleich: Vor knapp 20 Jahren war es nur
die Hälfte, die mindestens einmal im Jahr den Urlaub au-
ßerhalb der eigenen vier Wände verbrachte . Dabei geht es
nicht nur in ferne Länder; immer mehr Reisende suchen
auch Erholung hier bei uns, ziehen ruhige Fahrradwe-
ge oder naturbelassene Wanderwege dem Trubel an der
Playa de Palma vor . Mein Wahlkreis liegt in der Lünebur-
ger Heide . Gerade bei uns freut sich die Urlaubsbranche
über das zunehmende Interesse am sanften Tourismus .

Das Buchungsverhalten der Reisenden – Herr Staats-
sekretär Kelber sagte das – hat sich ebenfalls deutlich
verändert . Haben im Jahr 2005 lediglich 11 Prozent der
Urlauber ihre Reise im Internet online gebucht, sind es
heute mehr als 35 Prozent, Tendenz steigend .

Ungebrochen ist auch das Interesse an einem Rund-
um-Sorglos-Paket, also an Reisen, bei denen man mit
einer einzigen Buchung Flug, Hotel und Verpflegung
festmacht, sogenannte Pauschalreisen . Auch hier ist ein
verändertes Verbraucherverhalten zu beobachten . Diese
Pauschalreisen werden ebenfalls im Internet ausgewählt
und gebucht, und es ist klar, dass diesem Umstand auch
beim Verbraucherschutz Rechnung getragen werden
muss . Bisher gelten nämlich unterschiedliche gesetzliche
Rahmenbedingungen für Onlinebuchungen und solche
Buchungen, die klassisch in einem Reisebüro getätigt
werden . Künftig sollen für beide Buchungsarten ein- und
dieselben Regelungen gelten . Das ist gut und richtig so .

Die Europäische Union hat ihren Mitgliedstaaten
aufgetragen, das Dritte Gesetz zur Änderung reiserecht-
licher Vorschriften spätestens zum 1 . Januar 2018 um-
zusetzen und im Sommer 2018 anzuwenden . Diese so-
genannte Pauschalreiserichtlinie greift genau die von mir
skizzierten Regelungslücken auf . Darüber hinaus hat die
Richtlinie das Ziel, Verbrauchern einen besseren Schutz
bei Stornierungen zu bieten; Sie sagten es bereits . Was
passiert beispielsweise bei höherer Gewalt vor oder wäh-
rend der Reise?

Sie erinnern sich vielleicht noch an den Vulkanaus-
bruch in Island vor einiger Zeit, aufgrund dessen zahlrei-

che Menschen, darunter auch Urlauber, evakuiert werden
mussten . Was ist also, wenn deshalb ein Antreten oder
eine Weiterführung des Urlaubs gar nicht möglich ist? In
derartigen Fällen war der Verbraucher bislang unzurei-
chend geschützt .

Zudem sollen Reisende in allen Mitgliedstaaten der
EU ein- und dieselben rechtlichen Rahmenbedingun-
gen vorfinden. All diese Forderungen sind ja in der
EU-Richtlinie berücksichtigt . Dafür erst einmal vielen
herzlichen Dank! Allerdings – auch das wurde bereits
erwähnt – schreibt diese Richtlinie eine Vollharmonisie-
rung vor . Das bedeutet, dass die einzelnen Mitgliedstaa-
ten nur bedingt von dieser abweichen können . Allerdings
berücksichtigt die Pauschalreiserichtlinie nicht den spe-
ziellen Markt in Deutschland, dessen Reisebürostruktu-
ren von denen der anderen Mitgliedstaaten abweichen .
Finden wir in Frankreich, Spanien und Italien ausschließ-
lich Agenturen der großen Reiseunternehmen, so haben
wir bei uns in Deutschland mehr als 10 000 unabhän-
gige Reise- und Tourismusbüros . Diese könnten enorme
Schwierigkeiten bei der Umsetzung einzelner Passagen
der Richtlinie bekommen .

Ein kleines Beispiel dafür, was bei den zahlreichen
Reisebüros in meinem Wahlkreis eigentlich fast täglich
vorkommt: Eine Familie bucht ein Ferienhaus und dazu
einen Tagesausflug in einen nahegelegenen Freizeitpark.
An einem anderen Tag steht eine ausgedehnte Fahrrad-
tour in der Heide auf dem Plan . Auch hier wird unser
Tourismusbüro bei der Entleihe der Fahrräder behilflich
sein . Das alles ist kein Problem – bisher . Allerdings sind
das nun drei unterschiedliche Bausteine des Urlaubs .
Nach der Definition der EU-Richtlinie handelt es sich
nun um eine Pauschalreise, und das Tourismusbüro haftet
als Reiseunternehmer komplett für alle Leistungen . Das
kann natürlich nicht sein .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg . Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir dürfen damit nicht die Existenz der mittelständi-
schen Reise- und Tourismusbüros aufs Spiel setzen . An
dieser Stelle wird deutlich, dass wir im parlamentari-
schen Verfahren und im Rahmen unserer Möglichkeiten
noch an vielen Stellen nachbessern müssen . Ich bin opti-
mistisch, dass uns das gelingen wird .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821219800

Das Wort hat der Kollege Markus Tressel für die Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen .


Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821219900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ziel der Novellierung der Pauschalreiserichtlinie war es
ja, eine Gleichbehandlung zwischen stationären Reise-
büros und Onlineportalen sowie ein hohes Verbraucher-
schutzniveau zu erreichen . Sicherlich nicht Sinn der Sa-
che war, Reisebüros und Tourismusinformationszentren
unverhältnismäßig stark zu belasten . Die Onliner werden
möglicherweise eine technische Lösung finden, um das
eine oder andere zu umgehen . Aber unsere Reisebüros
werden große Schwierigkeiten bekommen .

Was kommt jetzt also auf die Reisebüros zu? Da ist
zum einen die Einführung des Begriffs „verbundene Rei-
seleistungen“. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff bringt
dem Vernehmen nach Rechtsunsicherheit für die betrof-
fenen Unternehmen, da sie in bestimmten Grauzonen
nicht wissen, ob sie in die Veranstalterhaftung rutschen
oder nicht; die Kolleginnen und Kollegen haben das be-
reits gesagt . Die Abgrenzung der verbundenen Reiseleis-
tung von der Pauschalreise ist schwierig und gleichzeitig
ein sensibler Punkt, da sie über den Umfang der Haftung
entscheidet . Anbieter verbundener Reiseleistungen wer-
den außerdem mit zusätzlicher Bürokratie konfrontiert .
Vier Informationsblätter müssen in diesem Fall mehr be-
rücksichtigt werden . Wer sich die Praxis in einem Reise-
büro einmal angeschaut hat, weiß, was das vor Ort für die
Leute tatsächlich bedeutet .

Auch unterliegen die Anbieter verbundener Reiseleis-
tungen – auch das ist wichtig – unter Umständen Insol-
venzversicherungspflichten. Das bedeutet, dass sie einen
nicht unwesentlichen Teil ihres Umsatzes in eine Versi-
cherung investieren müssen . Das kann gerade in unserem
kleinen und mittelständisch organisierten Reisevertrieb
dazu führen, dass den Reisebüros rentables Wirtschaften
zumindest erschwert wird . Was wir nicht wollen – das
haben die Kolleginnen und Kollegen schon gesagt –, ist
ein konzerngebundener Reisevertrieb wie in anderen eu-
ropäischen Ländern, der dadurch massiv begünstigt wür-
de .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das fördert Monopole und ist schlecht für die Verbrau-
cherinnen und Verbraucher . Deswegen müssen wir das
noch einmal auf die Tagesordnung bringen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber nicht nur für die Reisebüros gelten schärfere Re-
geln – der Staatssekretär hat das bereits angesprochen –,
sondern auch für die Verbraucherinnen und Verbraucher .
Erst ab einer Preissteigerung von 8 Prozent sind sie dazu
berechtigt, vom Vertrag zurückzutreten, ohne dass es et-
was kostet .

All diese grundlegenden Entscheidungen wurden auf
europäischer Ebene getroffen. Es handelt sich um eine
vollharmonisierende Richtlinie . Aber diese Regelungen
berücksichtigen nicht – das ist ein wichtiger Punkt – die

Besonderheiten des deutschen Reisemarkts . Wir haben
zu wenig Berücksichtigung gefunden . Der kleine und
mittelständisch organisierte Reisevertrieb hat schwerer
zu kämpfen als ein Reisebüro, hinter dem ein Konzern
steht . Deswegen müssen wir im anstehenden parlamenta-
rischen Verfahren weiterhin fraktionsübergreifend daran
arbeiten, hier zu einer verträglichen Lösung zu kommen,
für die Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch für
die vielen kleinen und mittelständischen Reisebüros, die
nicht nur Arbeitsplätze schaffen, sondern auch eine ge-
wisse Diversität in unserem Reisevertrieb sichern .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Katharina Landgraf [CDU/ CSU])


Wir müssen jetzt die Spielräume beleuchten und sinn-
voll nutzen, die wir als nationaler Gesetzgeber da noch
haben . Aber wir müssen auch die Sorgen der Verbrauche-
rinnen und der Verbraucher sowie der Verbraucherschüt-
zer ernst nehmen .

Ich nehme das Beispiel der Reiseeinzelleistungen: Im
Referentenentwurf waren sie noch berücksichtigt, im ak-
tuellen Gesetzentwurf sind sie gestrichen . Nach derzei-
tiger Rechtsprechung wird das Pauschalreiserecht unter
bestimmten Voraussetzungen auch auf die Buchung zum
Beispiel von Ferienhäusern angewendet . Soll das in Zu-
kunft nicht mehr möglich sein?

Ähnliches gilt für die Tagesreisen, bei denen es Be-
denken der Verbraucherschützer gibt . Wie in der Stel-
lungnahme des Bundesrates ja formuliert, ist es hier
vielleicht eher angebracht, über eine Wertgrenze als über
die Dauer einer Reise zu diskutieren . Das müssen wir
im Rahmen der Behandlung des Gesetzentwurfes in den
nächsten Wochen in der Anhörung und in den Ausschüs-
sen noch dringend diskutieren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, damit wir ein gutes Gesetz für die Verbrauche-
rinnen und Verbraucher, aber auch für unsere Reisebüros
machen können .

Das heißt abschließend: Wir müssen Gestaltungsräu-
me nutzen . Wir brauchen einen fairen Ausgleich zwi-
schen Verbraucherinteressen und den Interessen der Rei-
sebranche . Das müssen wir umsetzen . Ich glaube aber
auch – aufgrund der partei- und fraktionsübergreifenden
guten Zusammenarbeit im Tourismusausschuss –, dass
wir versuchen werden, das eine oder andere tatsächlich
noch hinzubekommen. Ich hoffe, dass wir das noch auf
die Reihe bekommen werden, liebe Kolleginnen und
Kollegen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821220000

Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Elvira

Drobinski-Weiß das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Elvira Drobinski-Weiß (SPD):
Rede ID: ID1821220100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Verehrte Zuschauer auf den Tribünen!
Mit der Umsetzung der EU-Reiserichtlinie in deutsches






(A) (C)



(B) (D)


Recht wollen wir das Pauschalreiserecht für das digitale
Zeitalter fit machen. Für Kombinationen von Reiseleis-
tungen – sogenannte Durchklickangebote – besteht in
Zukunft für die Verbraucherinnen und Verbraucher das
gleiche Schutzniveau wie für Reisen, die im Reisebüro
gebucht werden .

Ebenfalls positiv für Verbraucherinnen und Verbrau-
cher ist die neu eingeführte Kategorie der verbundenen
Reiseleistung . Sie soll Reisenden bei der Buchung ein-
zelner Reiseleistungen für den Zweck derselben Rei-
se einen – das ist ein sperriger Titel – „reiserechtlichen
Basisschutz“ gewähren . Dieser ist geringer als bei einer
Pauschalreise, aber höher als bei einer komplett einzeln
gebuchten Reise mit Bausteinen .

Für die klassischen Reiseveranstalter ergeben sich –
darauf ist schon hingewiesen worden – bei der Umset-
zung der Richtlinie – abgesehen von neuen Informati-
onspflichten – kaum Änderungen. Dagegen besteht bei
dem Punkt der verbundenen Reiseleistungen noch großer
Klärungsbedarf, und zwar in Bezug auf die Handhabung
für die kleineren oder auch größeren Reisebüros . Bei den
Aspekten der getrennten Bezahlvorgänge – so heißt es
im Entwurf – steht ja zum Beispiel das zuständige Mi-
nisterium der Justiz und für Verbraucherschutz noch im
Austausch mit der Europäischen Kommission . So weit,
so gut? Nicht ganz . Grundsätzlich sind die gesetzgeberi-
schen Spielräume bei der Umsetzung der Pauschalreise-
richtlinie begrenzt .

Ich möchte auf zwei gravierende Einschnitte beim
Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher aufmerk-
sam machen, wo wir als Parlamentarier tatsächlich noch
Verbesserungen für die Verbraucher erreichen können .
Dabei geht es einmal um die Tagesreisen . Die sind nach
geltendem Recht Pauschalreisen . Laut EU-Richtlinie
sind sie jedoch hier vom Anwendungsbereich ausgenom-
men . Dabei ist doch gerade die Tagesreise für viele die
klassische Pauschalreise . Meist handelt es sich dabei um
eine kleinere Reise zu einem bestimmten Ort, verbunden
mit Kultur und Genuss . Ich frage Sie: Sollen Tagesreisen
nun unabhängig von ihrem Wert wirklich keinen Schutz
mehr genießen?

Ein anderes Thema ist die Reiseeinzelleistung . Unter-
bleibt eine Aufnahme ins Gesetz, besteht zum Beispiel,
wenn jemand etwa ein Ferienhaus auf Mallorca mietet,
die Gefahr, dass er, wenn ihm dabei Unannehmlichkeiten
entstehen oder wenn er etwas stornieren will, solche An-
sprüche nicht vor einem deutschen Gericht, sondern zum
Beispiel in Palma ausfechten müsste .

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
diese Änderungen kommen nicht den kleinen Reisebü-
ros vor Ort zugute . Sie lösen nicht das Problem der Zah-
lungsform für verbundene Reiseleistungen . Ich bitte Sie,
im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher sich mit
mir, mit uns dafür einzusetzen, sowohl die Tagesreise als
auch die einzelnen Reiseleistungen wieder in den An-
wendungsbereich des Gesetzes aufzunehmen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821220200

Das Wort hat die Kollegin Daniela Ludwig für die

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Daniela Raab (CSU):
Rede ID: ID1821220300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Deutschen werden, wenn alles gut geht, auch in die-
sem Jahr sicherlich wieder mit zu den reisefreudigsten
Nationen gehören . Der Trend der letzten Jahre ist schier
nicht aufzuhalten . In einer aktuellen Umfrage haben
28 Prozent der befragten Haushalte sogar angegeben, in
diesem Jahr mehr für ihre Urlaubsreise ausgeben zu wol-
len als im letzten Jahr . Das ist ein gutes Signal für unse-
re gesamte Reisebranche, aber natürlich auch für unsere
Reisebüros, immerhin fast 10 000 an der Zahl . Sie sorgen
dafür, dass wir einen Jahresumsatz von mehr als 23 Milli-
arden Euro zu verzeichnen haben . Ich glaube schon, dass
es uns bei aller Vollharmonisierung des Reiserechts und
der Umsetzung der EU-Pauschalreiserichtlinie darum
gehen muss, den Markenkern unserer deutschen Reise-
büros – sie sind inhabergeführt, mittelständisch geprägt,
vor Ort verankert und unabhängig vom Veranstalter – zu
erhalten .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich glaube, dass hier in diesem Haus niemand etwas
dagegen hat . Ich sehe einen hohen Konsens, dass wir
gerade diese Reisebüros und die Onlinedienste gleich-
stellen, sie auch dem gleichen Wettbewerb aussetzen und
dass wir nicht die einen, nämlich die Onliner, den ande-
ren, den Stationären, vorziehen .

Wir müssen aber auch aufpassen, dass wir bei der
Umsetzung dieser Richtlinie, auch wenn sie vollharmo-
nisierend ist, nicht, wie es Frau Kassner so schön sagte,
das Kind mit dem Bade ausschütten und unsere Branche
mit bürokratischen Lasten überziehen . Dafür haben wir
auch keinerlei Anlass . Die Aschewolke 2010 ist genannt
worden . Es gab in der deutschen Reisebranche selten den
Fall, dass Reisebüros und Veranstalter ihrer Verantwor-
tung in derartig toller Art und Weise gerecht geworden
sind wie in dieser höchst schwierigen Situation . Schon
damals ist bewiesen worden: Wirtschaftliche Interessen
und Verbraucherschutz müssen sich nicht ausschließen,
sondern sie können, wenn Verantwortliche gut zusam-
menspielen, auch Hand in Hand gehen .

Deshalb ist es uns wichtig, dass wir unsere Reisebüros
am Leben erhalten . Für den, der eine USA-Reise bucht –
Flug, Hotel, Mietauto –, ist das Reisebüro vor Ort Partner
seines Vertrauens . Es stellt ihm die besten Angebote zu-
sammen . Es ist natürlich Reisevermittler . Was soll dieses
Reisebüro auch sonst sein? Wenn wir alles so umsetzen,
wie es jetzt auf dem Tisch liegt, wird das Reisebüro
plötzlich Reiseveranstalter und mit der Verantwortung
der Durchführung betraut . Das können wir doch, meine
lieben Kolleginnen und Kollegen, nicht wollen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn wir uns darin einig sind, dass wir das nicht wollen,
dann müssen wir es parlamentarisch verhindern . Dafür
sind wir schließlich auch da .

Elvira Drobinski-Weiß






(A) (C)



(B) (D)


Es muss einfach weiterhin möglich sein – auch weil es
dem Charakter unserer Reisebranche entspricht –, dass
man neben dem Pauschalreisevertrieb einem Kunden
touristische Einzelleistungen verschiedener Leistungs-
träger in einem Buchungsvorgang anbietet, ohne dadurch
zum Reiseveranstalter zu werden, und dass der Kunde
das Ganze möglichst auch in einem Bezahlvorgang erle-
digen kann, dass er nicht pro Leistung immer wieder die
Kreditkarte hinlegt und immer wieder einen Reisevertrag
unterschreibt . Denn das hat mit Verbraucherschutz nichts
zu tun . Das ist einfach nur unnötige Bürokratie und Gän-
gelung der Leute vor Ort, die es gut meinen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Deswegen glaube ich schon, dass es gut war, dass wir
uns bereits in dem Stadium des Referentenentwurfs or-
dentlich eingespreizt und viele Veränderungen erreicht
haben . Damit können wir, glaube ich, zufrieden sein .
Aber ich habe gerade skizziert, wo wir noch einige Ha-
ken sehen . Da müssen wir uns schon vor Augen führen,
unter welchen Prämissen diese Richtlinie entstanden ist:
nicht nur unter der Prämisse „Wettbewerbsgleichheit
zwischen Onlinern und stationären Reisebüros“ . Man hat
sich vielmehr ein bisschen von Großbritannien und an-
deren europäischen Ländern treiben lassen, die über sehr
große Veranstalter verfügen, die keine inhabergeführten,
keine eigenständigen Reisebüros haben, sondern nur
Reisebüros, die an einem Veranstalter hängen, die sich
mit allem viel leichter tun . Es kann nun wirklich nicht
sein, dass unsere typische Struktur, wie ich sie gerade
beschrieben habe, darunter zu leiden hat . Insofern haben
wir eine große Verantwortung .

Es gibt aber auch Veränderungen, die wir alle sehr be-
grüßen: Ich nenne als Beispiel die Beibehaltung des Si-
cherungsscheins . Das ist auch Verbraucherschutz . Damit
verbinden die Verbraucher, die eine Pauschalreise bu-
chen, hohe Sicherheit . Sie kennen den Grundsatz „Keine
Bezahlung ohne Sicherungsschein“, Stichwort „Asche-
wolke“ . Sie wissen: Der Sicherungsschein garantiert
mir, dass ich wieder zurückkomme, wenn irgendetwas
im Verlauf meiner Reise passiert . Das alles sind wichtige
Dinge, die mit deutschen Qualitätsreisen verbunden wer-
den . Dass wir das aufrechterhalten, ist ein gutes Zeichen .

Aber lassen Sie uns jetzt bitte auch gemeinsam die
Sorgen der Branche, die ich nicht alle, aber in einem gro-
ßen Umfang teile, wirklich ernst nehmen und sie nicht
bloß als Säbelrasseln abtun . Lassen Sie uns nicht sagen:
„Oh Gott, jetzt habe ich die tausendste E-Mail bekom-
men, ich bin genervt“, sondern lassen Sie uns das ernst
nehmen und genau hinschauen, wo wir noch gesetzgebe-
rischen Spielraum haben . Lassen Sie uns diesen Spiel-
raum bitte unbedingt nutzen, soweit es in unserer par-
lamentarischen Macht steht . Lieber Herr Staatssekretär,
wo wir Sie argumentativ und mit unserer vollen Kraft auf
europäischer Ebene in den Umsetzungsworkshops unter-
stützen können, tun wir das natürlich ausgesprochen ger-
ne . Bitte greifen Sie auf unsere Man- und Womanpower
zurück . Wir stehen an Ihrer Seite .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg . Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821220400

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/10822 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall .
Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit (16 . Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald,
Kordula Schulz-Asche, Annalena Baerbock,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Gewässer vor Medikamentenrückständen
schützen

Drucksachen 18/8082, 18/8768

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin
Hiltrud Lotze für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Hiltrud Lotze (SPD):
Rede ID: ID1821220500

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Gäste auf der Tribüne! Wasser ist unsere
wichtigste Lebensgrundlage . Dass hier am Rednerpult
zum Beispiel jederzeit ein Glas frisches, sauberes Trink-
wasser steht, das nehmen wir als Selbstverständlichkeit
wahr . Aber das ist natürlich keine Selbstverständlichkeit .
Deswegen gehört es zu unseren wichtigsten Aufgaben,
die Qualität des Wassers nicht nur zu erhalten, sondern
sie da, wo es nötig ist, auch kontinuierlich zu verbessern,
damit sie unseren und den Ansprüchen der Verbrauche-
rinnen und Verbraucher genügt . Die Europäische Union
bescheinigt uns, dass der Gewässerzustand von Flüssen
und Bächen im Jahr 2015 nur zu 7 Prozent „gut“ oder
„sehr gut“ war . Das ist natürlich kein gutes Zeugnis .
Ein Grund für den schlechten Zustand ist die durch die
Landwirtschaft verursachte jahrelange Überschreitung
der Grenzwerte für den Nitrateintrag . Ich bin froh, dass
sich das Landwirtschaftsministerium jetzt bewegt hat –
es wird höchste Zeit; das will ich noch dazusagen – und
dass wir hoffentlich in Kürze eine neue Düngeverord-
nung und ein neues Düngegesetz mit strengeren Regeln
bekommen .


(Beifall bei der SPD)


Ein weiterer Faktor für den schlechten Zustand unserer
Gewässer ist die Belastung mit Mikroschadstoffen, da-

Daniela Ludwig






(A) (C)



(B) (D)


runter die Rückstände von Medikamenten . Genau darum
geht es ja in dem Antrag der Grünen, den wir hier beraten .
Dieses Thema – das konnte man in der Vergangenheit se-
hen – produzierte schon einmal skurrile Schlagzeilen wie
zum Beispiel in der Welt aus dem August 2014 . Da hieß
es in der Überschrift: „Fische auf Viagra“ . Das hört sich
lustig an, aber es ist natürlich ein ernstzunehmendes und
stetig wachsendes Problem; denn durch immer mehr in
der Tierhaltung eingesetzte Medikamente, vor allem An-
tibiotika, steigt natürlich auch der Anteil dieser Stoffe in
den Gewässern .

Gleiches gilt für Humanarzneimittel . Durch die älter
werdende Bevölkerung – wir freuen uns, dass so vie-
le Menschen älter werden – nimmt die Menge an ein-
genommenen Medikamenten stetig zu . 2012 waren es
über 8 000 Tonnen Medikamente mit umweltbelasten-
den Wirkstoffen. Wir können davon ausgehen, dass die
Menge heute deutlich höher ist . Und da die Kläranlagen
nicht in der Lage sind, alle Wirkstoffe herauszufiltern,
gelangen diese Wirkstoffe als Abwasser in die Flüsse und
von dort wiederum als Trinkwasser in den menschlichen
Körper, zwar auf Nanogrammniveau, aber es bleibt nicht
ohne Auswirkung .

Wir wissen noch gar nicht genau, welche Folgen das
für Mensch und Tier hat, aber es ist absehbar, dass es
zu Resistenzen gegen Antibiotika kommt . Fische laichen
nicht mehr, weil sie dank der Pille, die im Wasser als
Wirkstoff ankommt, permanent verhüten. In Schweden
hat man aufgrund der erhöhten Konzentration eines Be-
ruhigungsmittels in einem Fluss bei Barschen ein zuneh-
mend artuntypisches Verhalten festgestellt .

Wenn wir uns vor Augen führen, welches unsere An-
sprüche an das Wasser sind und wie die Problematik, die
ich geschildert habe, ist, dann haben wir sozusagen ein
Dreieck: Wir wollen sauberes Trinkwasser von hoher
Qualität . Wir wollen, dass alle Menschen die Medikation
bekommen, die sie benötigen . Und wir wollen natürlich
auch bezahlbares Wasser, besonders Trinkwasser . Diese
berechtigten Anliegen müssen in Einklang gebracht wer-
den .

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, mit
Ihrem Antrag haben Sie ein wirklich wichtiges Thema
aufgegriffen. Doch unter den Mikroschadstoffen sind die
Medikamentenrückstände nur ein Teilbereich . Deswe-
gen hat das Umweltministerium im letzten Jahr begon-
nen, eine Mikroschadstoffstrategie zu erarbeiten, die im
Frühjahr 2017 verabschiedet werden soll . Diese Strategie
soll unter Beteiligung von Akteuren aus der Zivilgesell-
schaft, der Wasserwirtschaft, der Industrie, den Ländern
sowie der betroffenen Bundesressorts entstehen. Als Er-
gebnis sollen ein gemeinsames fachliches Verständnis
und ein Bündel geeigneter Maßnahmen und Strategien
im Umgang mit Mikroschadstoffen erarbeitet werden.
Dabei – das können wir zu Recht erwarten; das fordern
wir auch – muss es im Besonderen um wirksame Vermei-
dungs- und Verminderungsmaßnahmen gehen; denn was
gar nicht erst ins Wasser gelangt, muss am Ende nicht

herausgefiltert werden. An der Quelle müssen die Verän-
derungen vorgenommen werden .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Josef Göppel [CDU/CSU])


Ich bin sicher, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass
die Bundesregierung mit diesen Maßnahmen, mit der
Strategie, die derzeit entwickelt wird, die Forderungen,
die im Antrag der Grünen enthalten sind, nicht nur erfüllt,
sondern im Ergebnis noch darüber hinaus geht; denn die
Strategie wird sich nicht nur auf die hier genannten Me-
dikamente beziehen, sondern auch auf Kosmetika und
Industrie- und Haushaltschemikalien .

Wir als SPD-Fraktion wollen die Ergebnisse des Di-
alogs und die Strategie abwarten und werden deswegen
dem Antrag heute nicht zustimmen . Wenn sie im Früh-
jahr vorgelegt wird, werden wir schauen, ob weitere
Maßnahmen erforderlich sein werden .

Ich danke für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821220600

Das Wort hat der Kollege Ralph Lenkert für die Frak-

tion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821220700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen

und Kollegen! Die Grippewelle schwappt durchs Land .
Schniefend und mit dröhnendem Schädel kommt man zur
Arbeit . Zum Glück liegen im Schreibtisch noch Schmerz-
tabletten und Nasentropfen . Ein Blick auf das Verfallsda-
tum zeigt: abgelaufen seit zwei Jahren . Man schleppt sich
zur Apotheke, willens, neue Medikamente zu kaufen und
die alten Medikamente zu entsorgen . Überraschung: Me-
dikamente zu kaufen, funktioniert, aber die Rücknahme
der alten Medikamente wird verweigert .

Ein paar Stunden später ist der Kopf klarer, und jetzt
wird einem das Entsorgungsproblem bewusst . Sollen die
Pillen und Tropfen in den Müll, oder macht man umwelt-
bewusste Mülltrennung? Soll man Tropfen und Pillen in
die Toilette kippen? Dann könnte das Glas in den Con-
tainer und die Pillenpackung in den gelben Sack . Viel-
leicht hilft der Beipackzettel weiter .


(Der Redner hält einen Beipackzettel hoch)


Schauen wir mal auf das Beispiel: Anwendungsgebie-
te, Nebenwirkungen, Lagerbedingungen, Meldungen zu
Nebenwirkungen – zur Entsorgung steht da nichts .

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, bitte entsorgen Sie
die Medikamente nicht über die Toilette. Die fleißigen
Reinigungsbakterien im Klärwerk mögen keine Antibio-
tika; sie können keine Nasentropfen abbauen und auch
keine Schmerzmittel. Die Wirkstoffe bleiben im Wasser,
schaden Algen und Fischen und landen letztlich wieder
in unserer Nahrung .

2013 stellte die Linke deshalb den Antrag, dass der
Entsorgungsweg – entweder über die Mülltonne mit an-

Hiltrud Lotze






(A) (C)



(B) (D)


schließender Verbrennung oder über eine Rückgabe in
Apotheken – auf jedem Beipackzettel, in jeder Packung
angegeben werden muss. Wir forderten, dass Pharmafir-
men die Rücknahmesysteme finanzieren. Und wir forder-
ten, dass für neue und vorhandene Medikamente zwin-
gend eine Umweltschädlichkeitsprüfung erfolgen muss .


(Beifall bei der LINKEN)


Heute greifen die Grünen mit ihrem Antrag unsere
Vorschläge teilweise auf . Das ist gut . Aber eine Frage
sei mir gestattet: Warum ist es laut Ihrem Antrag ledig-
lich „geboten“, die Entsorgungswege aufzudrucken?
Sie müssen aufgedruckt werden; das kann man fordern .
Auf solch einem großen Beipackzettel ist bestimmt auch
dafür noch etwas Platz . Damit würden sich die mensch-
lichen Medikamenteneinträge nach einer Studie der
Emschergenossenschaft – das ist der größte deutsche Ab-
wasserzweckverband, in dessen Einzugsgebiet 2,2 Milli-
onen Menschen leben – um etwa 15 Prozent reduzieren .

Aber was passiert mit den restlichen 85 Prozent der
Wirkstoffe, die beispielsweise beim Duschen oder über
Stoffwechselreste des Menschen ins Abwasser gelangen?
Aus diesen Abwässern sollten die Medikamentenreste
vor Einleitung in das kommunale Abwassersystem ent-
fernt werden . Dies gelingt am besten an den Hotspots:
Über 60 Prozent aller Medikamentenreste stammen aus
Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen; dort ist die
Konzentration höher. Die Reinigung wäre dort effektiver,
schneller umsetzbar, bräuchte weniger Energie und wäre
damit kostengünstig .


(Beifall bei der LINKEN)


Damit wir auch zukünftig Trinkwasser ohne Husten-
saft erhalten, damit das Zanderfilet nicht wie eine Anti-
babypille wirkt, müsste der Bundestag endlich handeln .
Frau Kollegin, es ist nett, dass Sie eine neue Studie er-
stellen wollen; es ist nett, dass Sie ein Gesamtkonzept
erstellen wollen – alles klasse! –, aber Sie machen in der
Zwischenzeit nichts . Wenigstens die kleinen, einfachen
Schritte – wie im heute vorliegenden Antrag der Grünen
und in unserem schon vor Jahren eingebrachten Antrag
gefordert – könnte man schon heute gehen . Linke und
Grüne haben ihre Vorschläge unterbreitet, und Sie von
der Koalition, von der Union lehnen sie erneut einfach
alternativenfrei ab . Schade! Dann müssen wir halt mit
einer besseren Bundesregierung ab Herbst 2017 dieses
Problem endlich angehen .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821220800

Der Kollege Karsten Möring hat für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Karsten Möring (CDU):
Rede ID: ID1821220900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Unsere Lebenserwartung ist heute höher denn je, und die
moderne Medizin hat einen wesentlichen Anteil daran .

Medikamente spielen eine entscheidende Rolle . Das hat
Nebenwirkungen, und bekanntermaßen gilt: Zu Risiken
und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apothe-
ker .

Alles, was wir zu uns nehmen, scheiden wir auch wie-
der aus . Diesen Prozess nennt man herkömmlicherweise
Stoffwechsel. Die Produkte dieses Stoffwechsels entsor-
gen wir in aller Regel in der Toilette . Für Arzneimittel
aber gilt überwiegend, dass der Begriff „Stoffwechsel“
falsch ist; denn der Stoff wechselt nicht, er bleibt erhal-
ten . Daraus ergibt sich eine Reihe von Problemen; denn
viele dieser Pharmazeutika sind biologisch nicht oder
nur sehr langsam abbaubar und können vielleicht auf
dem Weg über die Nahrungskette oder auf irgendeine an-
dere Weise Risiken und Nebenwirkungen entfalten, die
nicht beabsichtigt sind . Sie belasten unser Abwasser, und
knapp die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland weiß
das nicht .

Die Toilette ist noch aus einem weiteren Grund – um
mit Schiller zu sprechen – die hohle Gasse, durch die al-
les kommen muss .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Die Entsorgung alter, abgelaufener und überschüssiger
Arzneimittel – Herr Lenkert hat das eben sehr anschau-
lich dargestellt – läuft in ganz erheblichem Umfang über
die Toilette und landet auf diesem Weg im Abwasser . Da-
gegen hilft in der Tat Aufklärung . Aber in allen Ehren:
Ihr Vertrauen in den Beipackzettel teile ich nicht .


(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Und die Packung!)


Wenn ich mein eigenes Verhalten Revue passieren lasse,
stelle ich fest: Ich verlasse mich auf eine mündliche Aus-
kunft vom Arzt oder Apotheker; aber den Beipackzettel
lese ich nur in der größten Not . Auch die Verpackung ist
relativ eng bedruckt . Wenn ich mir die Wirksamkeit der
Aufdrucke auf den Zigarettenschachteln angucke, dann
muss ich sagen: Mein Vertrauen sinkt auch hier ziemlich
deutlich .

Nichtsdestotrotz müssen wir in das Bewusstsein der
Leute bringen: Eine Entsorgung der Arzneimittel, die
ich nicht verbrauche, erfolgt über den Hausmüll und die
Müllverbrennung, notfalls über die Apotheke, nämlich
dann, wenn sie noch will bzw . wenn wir keine anderen
Entsorgungswege haben – es gibt überall Kommunen,
die keine Müllverbrennungsanlage haben –, oder – das
ist der dritte Weg – über die Schadstoffsammelstellen.
Das ist natürlich der komplizierteste Weg, und das wer-
den die wenigsten tun; da ist die Toilette attraktiver . Das
muss aber in die Köpfe der Leute hinein . Daran müssen
wir arbeiten .

Zum Glück können wir feststellen, dass eine Gesund-
heitsgefährdung aufgrund von Arzneimittelrückständen
im Trinkwasser nach heutigem Kenntnisstand eigentlich
ausgeschlossen ist . Die richtige Entsorgung wird aber
vor dem Hintergrund, dass wir immer mehr Arzneimittel
verbrauchen und diese Entwicklung aufgrund der Demo-
grafie auch nicht abnehmen wird, immer wichtiger. Des-

Ralph Lenkert






(A) (C)



(B) (D)


wegen ist es wichtig, dass wir diese Kenntnis unter die
Leute bringen .

Ich bin den Grünen in gewisser Weise dankbar, dass
sie in ihrem Antrag nicht „ein Verbot von …“ gefordert
haben . Das ist manchmal ein Lieblingsweg der Grünen .
Deswegen freue ich mich, dass dies hier nicht der Fall ist .
Das Thema ist für Panikmache auch wirklich nicht geeig-
net . Wir müssen es im Konsens angehen, gerade weil es
so viele informelle Aspekte gibt .

Für unsere Fraktion gilt, was wir schon bei der Fra-
cking-Diskussion gesagt haben: Die Qualität und die
Sicherheit von Wasser und Trinkwasser haben für uns
oberste Priorität . Daran orientieren wir uns . – Das wollen
wir erreichen . Wasser ist ein Gut, das geschützt, vertei-
digt und gut behandelt werden muss – keine Frage .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Bei meinen Recherchen bin ich auf eine Kleinigkeit
gestoßen, die vielleicht mehr amüsant als wichtig ist;
aber ich will sie Ihnen nicht vorenthalten . Laut Europä-
ischem Drogenbericht, der kürzlich erschienen ist – im
Dezember wurde darüber berichtet –, wurden in kommu-
nalen Abwässern Kokain und Amphetamine nachgewie-
sen . Jetzt frage ich Sie: Wo vermuten Sie den höheren
Anteil an Kokainrückständen im Abwasser? In München
oder in Kampen? Sie werden sich wundern: Das Ergeb-
nis ist Dortmund .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dortmund erreicht mit 421 Milligramm pro 1 000 Ein-
wohner und Tag den absoluten Spitzenwert . München
fällt dagegen mit 114 Milligramm deutlich ab .


(Dagmar Ziegler [SPD]: Die saufen auch mehr!)


Ich will diese Werte nicht interpretieren, aber ich wollte
sie Ihnen auch nicht vorenthalten .

Die Alterung unserer Gesellschaft und die sehr be-
grüßenswerte medizinisch-technische Entwicklung
führen, wie schon erwähnt, zu einem starken Anstieg
des Medikamentenverbrauchs in den kommenden Jah-
ren . In Deutschland werden in der Humanmedizin über
2 300 Arzneimittelwirkstoffe in geschätzten jährlichen
Verbrauchsmengen von 30 000 Tonnen verkauft; unge-
fähr die Hälfte davon wird als potenziell umweltbelas-
tend, als umweltrelevant eingestuft . Aktuelle Studien
beweisen, dass viele Humanarzneimittelwirkstoffe in
Oberflächengewässern, Grundwässern und Trinkwässern
nachweisbar sind, zum Glück nur in geringer Konzentra-
tion . Die Trinkwasseraufbereitung ist aber nur mit erheb-
lichem Aufwand möglich . Wenn es dazu kommen sollte,
dass die Mengen größer werden, dann gilt der Satz: Dann
wird es teuer . – Vorbeugen ist in jedem Fall besser als
Nachsorgen . Was nicht in die Toilette kommt, kommt
auch nicht ins Abwasser . Wir müssen also dafür sorgen,
dass die Wirkstoffe gar nicht erst dort hineingeraten.

Wir haben noch einen weiteren Eintrag, den wir nicht
außer Acht lassen sollten, nämlich den von Tierarznei-
mitteln . Ungefähr 1 600 Tonnen Antibiotika sind pro Jahr
in der Tiermast in Deutschland auf dem Markt . Die gehen
natürlich nicht über die Toilette in das kommunale Ab-

wasser; aber sie gehen über den Boden – über die Weide
oder über den Misthaufen auf dem Bauernhof, wenn es
den noch gibt – auch in das Grundwasser . Kleiner Trost:
Nur unter sehr ungünstigen Bedingungen landen diese
Mengen im Trinkwasser, das wir nutzen, im Grundwas-
ser, oder in den Oberflächengewässern. Insofern haben
wir hier keine sehr große Gefahr .

Frau Lotze hat schon darauf hingewiesen, dass wir
mit der Mikroschadstoffstrategie der Bundesregierung
im Laufe dieses Jahres zu Ergebnissen kommen werden,
bei denen das Problem, über das wir heute reden, nur ei-
nen Teil darstellt . Ich will erwähnen, dass es auch auf
der europäischen Ebene eine entsprechende Strategie-
entwicklung gibt, deren Ergebnisse für den Herbst 2017
angekündigt sind . Ich denke, es macht Sinn, auf der Basis
dieser Daten dann über die Frage nachzudenken, was wir
machen sollen . So drängend ist das Problem nicht, dass
wir es heute durch andere Maßnahmen lösen müssten .

Wir wissen aber, dass wir das Problem nur im Kon-
sens vieler Beteiligter lösen können . Zu dem Konsens
und zu der Beteiligung gehört auch die Beteiligung der
Länder; denn auch die Länder, die ganz wesentlich in die-
sem Prozess mit ihren Regelungen gefragt sind, müssen
einbezogen werden . Nun sind es aber gerade die Länder,
die sagen, dass wir ein flächendeckendes Untersuchungs-
programm nicht brauchten, weil die Datengrundlage
ausreichend sei und nicht wesentlich mehr Erkenntnis-
se aus einem solchen Programm zu gewinnen seien .
Die Umweltministerkonferenz hat deswegen letztens zu
Recht festgestellt, dass es – ich zitiere – „einer zwischen
dem Bund und den Ländern abgestimmten Strategie zur
Identifizierung und zur Priorisierung gewässerrelevanter
Mikroschadstoffe bedarf“ und dass es „im Rahmen der
gemeinsamen Strategie eines koordinierten Vorgehens
beim Monitoring und Austausch von Ergebnissen … be-
darf“ .

Keine Frage: Der Eintrag von Medikamentenrück-
ständen in Gewässer muss reduziert werden . Ich sehe
eine Reihe von Ansatzmöglichkeiten, die wir dann im
Laufe des Jahres 2017 in der nächsten Wahlperiode ver-
tiefen müssen . Der Bund ist hier insgesamt auf einem
guten Weg . Deswegen brauchen wir den Grünenantrag
zum heutigen Zeitpunkt nicht intensiver zu bearbeiten .
Wir lehnen ihn ab . Aber wir wissen: Das Thema bleibt
auf der Tagesordnung .

Zu Aktionismus besteht kein Anlass . Ein kurzes Bei-
spiel: Um über Trinkwasser die Wirkdosis einer Aspirin-
tablette aufzunehmen, müsste der Mensch fast 7 000 Jah-
re lang jeden Tag 2 Liter Trinkwasser trinken . Das sind
Daten des BDEW . Ich schließe mich deswegen zum
Schluss dem Urteil der NRW-Grünen an, die auf einer
gemeinsamen Konferenz der Kreistagsfraktion in Coes-
feld mit dem nordrhein-westfälischen Umweltminister
Remmel festgestellt haben: Eine akute Gefahr für unser
Trinkwasser ist derzeit nicht zu erkennen . – Das soll uns
nicht einschläfern . Wir vermeiden Schlaftabletten . Das
Thema bleibt auf der Tagesordnung, es kommt wieder .

Karsten Möring






(A) (C)



(B) (D)


Die letzten 38 Sekunden Lebenszeit schenke ich Ihnen
jetzt und danke für Ihre Aufmerksamkeit .


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Wie großzügig!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821221000

Herzlichen Dank . – Das Wort hat der Kollege Peter

Meiwald für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821221100

Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer und Zu-
schauerinnen und Zuschauer! Wenn man gehört hat, was
die Kollegin Lotze zum Thema Humanmedizin und was
der Kollege Möring zur Tiermedizin gesagt hat, dann
weiß man: Das ist gut beschrieben . Dazu brauche ich
gar nicht mehr viel zu erzählen . Aber die Konsequenz zu
ziehen, das sei nicht dramatisch und deswegen müssten
wir heute nichts tun, finde ich ein bisschen abenteuerlich.
Wir alle wissen, dass das Schadstoffe sind, die sich eben
nicht von alleine in der Natur in kurzer Zeit abbauen,
sondern dass sie sich anreichern . Insofern haben wir eine
Verantwortung . Man nennt das Vorsorgeprinzip . Wir ha-
ben eine Verantwortung für unsere Kinder, für unsere En-
kelkinder, für die Tierwelt und für die Biodiversität, die
gefährdet ist . Es ist gut beschrieben worden, dass man
schon Effekte für die Biodiversität nachweisen kann. Wir
haben also eigentlich keine Zeit zu verlieren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Die Botschaft der Mikroschadstoffstrategie höre ich
wohl; allein mir fehlt der Glaube, dass sie innerhalb
der notwendigen Zeit dazu führt, dass wir zu konkreten
Maßnahmen kommen . Ich erinnere mich an eine Debatte
vor zwei Jahren, als wir einen Antrag zu Mikroplastik
eingebracht haben . Da kamen genau die gleichen Argu-
mente . Man hörte die Argumentation: Ihr habt recht . Al-
les, was ihr sagt, ist eigentlich richtig; aber es geht nicht
weit genug . Wir brauchen eine umfassende Strategie .
Wir werden das mit dem Wertstoffgesetz lösen, und dann
brauchen wir euren Antrag zu Mikroplastik nicht . –

Wir alle wissen: Ein Wertstoffgesetz gibt es immer
noch nicht; zum Thema Mikroplastik in unserer Umwelt
wurden leider keine konkreten Maßnahmen ergriffen.
Bei aller Kritik, die man an den von uns vorgeschla-
genen Maßnahmen oder an der Geschwindigkeit üben
kann – man könnte zum Beispiel sagen, dass das Thema
Mi kroschadstoffe in unserem Antrag nicht umfassend ge-
nug betrachtet wird –, ist doch festzuhalten: Wenn man
stattdessen gar nichts macht, nützt das der Natur um uns
herum und damit unseren Lebensgrundlagen nichts .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Ralph Lenkert [DIE LINKE])


Ich will ganz kurz darauf hinweisen, warum wir drin-
gend etwas tun müssen: Wir haben Einträge über die
Humanmedizin, und wir haben Einträge von Antibiotika,
die in der Tiermedizin eingesetzt werden – das ist immer
wieder Thema –, sowie von Schmerzmitteln, von allem,

was für den Bereich der Tierhaltung freiverkäuflich ist.
Die Wasserversorger, die Betreiber der Kläranlagen, sa-
gen uns: Natürlich können wir mit einigen dieser Stoffe
fertigwerden; aber wenn ihr nicht am Anfang der Kette
etwas tut, dann haben wir die End-of-Pipe-Problematik,
und die ist immer teurer und immer schlechter . – Das ist
zu Recht gesagt worden .

Die Frage ist: Wer bezahlt das? Dieser Frage haben
wir uns mit unserem Antrag auch gewidmet . Ja, das kos-
tet Geld . Das könnten wir einfach dem Gebührenzahler,
dem Zahler der Abwassergebühren überlassen . Das ent-
spricht aber nicht unserem Anspruch . Unser Anspruch ist
es, vorsorgend tätig zu sein . Wir wollen im Vorfeld daran
arbeiten, dass möglichst wenig Schadstoffe ins Wasser
kommen . Das ist das Ziel dieses Antrags .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Um es noch einmal auf den Punkt zu bringen: Natür-
lich brauchen wir Transparenz und Verbraucherinforma-
tionen . Das ist doch kein Widerspruch zu einer Schad-
stoffstrategie. Das BMUB, die Pharmaindustrie, der
Apothekerverband und die Kläranlagenbetreiber könn-
ten zusammen eine Öffentlichkeitskampagne betreiben,
um den Menschen zu sagen: Bitte, bitte werft eure übrig
gebliebenen Medikamente in die schwarze Tonne oder
bringt sie zurück in die Apotheke; aber schüttet sie nicht
in die Toilette . – Das kostet heute im Vorfeld relativ we-
nig Geld . Ein solches Programm kann man von einem
Tag auf den anderen aufsetzen . Damit schädigt man keine
Schadstoffstrategie. Das bringt eine konkrete Verbesse-
rung, auch wenn wir selber wissen, dass Aufklärung und
Transparenz nicht alles sind . Wir müssen den Medika-
menteneinsatz in der Landwirtschaft grundlegend redu-
zieren . Das ist vielen klar . Die Grüne Woche ist ein guter
Anlass, darüber nachzudenken . Wir brauchen durchaus
auch den Bedarfsatlas, auch wenn manche sagen, die Ka-
tastererstellung bedeute viel Aufwand . Wir müssen aber
wissen, wo die Hotspots sind; denn es macht durchaus
Sinn – Kollege Lenkert hat das angesprochen –, an den
Hotspots anzusetzen und dann weiterzugehen .

Wir wollen das auf eine breite Basis stellen . Wir wol-
len auch die Pharmaindustrie einbeziehen . Natürlich
wollen wir nicht Medikamente verbieten; das ist doch
vollkommen klar . Aber wir wollen Anreize setzen, auch
wirtschaftliche, damit die Pharmaindustrie überlegt, wie
man den einen oder anderen Stoff durch einen Stoff sub-
stituieren kann, der genauso wirkt, aber nicht so toxisch
für die Umwelt ist . Das wäre ein vernünftiges Ziel, dem
wir uns gemeinsam widmen wollen . Ich sehe der Schad-
stoffstrategie der Bundesregierung sehr gespannt entge-
gen .

Ich finde es traurig, dass die einfachen und sehr kon-
kreten Vorschläge, die wir heute hier vorgelegt haben,
keine Mehrheit in diesem Haus finden.

Schönen Abend noch!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Karsten Möring






(A) (C)



(B) (D)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821221200

Ich schließe die Aussprache .

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen mit dem Titel „Gewässer vor Medikamenten-
rückständen schützen“. Der Ausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8768,
den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/8082 abzulehnen . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Änderung des Zollverwaltungsgesetzes

Drucksachen 18/9987, 18/10319, 18/10444
Nr. 1.5

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses (7 . Ausschuss)


Drucksache 18/10895

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .1)

Wir kommen zur Abstimmung . Der Finanzausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/10895, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf den Drucksachen 18/9987 und 18/10319 anzuneh-
men . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim-
men wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung einstimmig angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist damit einstimmig angenommen, wobei sich
einige Kolleginnen und Kollegen nicht an der Abstim-
mung beteiligt haben .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Möhring, Sigrid Hupach, Frank Tempel, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Diskriminierung bekämpfen – Verbandskla-
gerecht einführen

Drucksache 18/10864
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

1) Anlage 8

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Beck (Köln), Ulle Schauws, Beate Müller-
Gemmeke, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

10 Jahre nach dem Inkrafttreten des Allge-
meinen Gleichbehandlungsgesetzes – Eine Re-
form ist überfällig

Drucksache 18/9055
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist es so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin
Cornelia Möhring für die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Cornelia Möhring (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821221300

Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-

nen und Kollegen! Meine Fraktion Die Linke will, wie
sicherlich andere hier im Hause auch, Diskriminierung
künftig wirksamer bekämpfen . Deswegen möchten wir
ein Verbandsklagerecht einführen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Vor zehn Jahren – das wurde sozusagen schon anmo-
deriert – ist das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz,
kurz AGG genannt, in Kraft getreten . Damals haben
Skeptikerinnen und Kritiker gedacht, nun gehe eine Kla-
gewelle über das Land . Aber dieser Fall ist nicht einge-
treten . Gerade einmal 1 500 Fälle zur Gleichbehandlung
bzw . gegen Diskriminierung kamen bislang vor Gericht .

Nun sind unterschiedliche Schlussfolgerungen mög-
lich, warum das so ist . Einige meinen vielleicht, dass es
nicht genügend Gründe für Klagen gibt . Das ist schlicht
falsch und geht an der Realität vorbei . Fast ein Drittel
der in Deutschland lebenden Menschen sind laut An-
tidiskriminierungsstelle in den letzten zwei Jahren von
Diskriminierung betroffen gewesen. Dazu gehören – ich
will nur wenige Beispiele nennen; die Liste ist endlos –
Frauen, die geringer entlohnt werden als ihre männlichen
Kollegen, ältere Menschen, die wegen ihres höheren Al-
ters keine private Zusatzkrankenversicherung mehr be-
kommen, und Personen, die einen Job nicht bekommen,
weil sie an einen anderen Gott glauben als ihr Arbeitge-
ber . Dass es so wenige Klagen gibt, liegt also mitnichten
daran, dass es zu wenig Diskriminierung gibt, sondern
daran, dass es kein richtiges Durchsetzungsmittel gibt .
Es fehlt ein echtes Verbandsklagerecht, damit Verbände,
Gewerkschaften und Interessensvertretungen für Perso-
nengruppen klagen können .


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Warum ist das so dringend notwendig? Bisher müs-
sen die Betroffenen individuell bzw. einzeln vor Gericht
ziehen . Ich will zur Verdeutlichung ein aktuelles Beispiel
nennen – ich vermute, dass Sie alle es kennen –: Eine
Journalistin, die für das ZDF arbeitet, hatte eher zufällig
erfahren, dass ein männlicher Kollege für vergleichbare
Arbeiten mehr netto als sie brutto erhält . Laut verschie-
denen Zeitungsberichten musste sich diese Klägerin
dann auch noch vor Gericht anhören, dass es vielleicht
daran liegt, dass Männer womöglich besser verhandeln
können, oder dass Schwangerschaften der Grund sein
könnten . Die Diskriminierung, gegen die diese Frau ge-
klagt hat, erlebte sie sozusagen vor Gericht erneut und
verstärkt .

Die Erkenntnis, im Falle solcher Klagen wahrschein-
lich nicht einmal ernst genommen zu werden, kennen
viele . Das ist nicht die einzige Hürde, durch die Leu-
te von einer Klage abgehalten werden . Viele können
schlicht das finanzielle Risiko nicht eingehen. Der emoti-
onale Stress ist natürlich besonders bei Klagen gegen den
Arbeitgeber immens hoch. Das finde ich völlig logisch.
Das Verhältnis zum Arbeitgeber ist doch kein hierarchie-
freies Verhältnis; es ist ein Abhängigkeitsverhältnis . Wir
wissen aus der Gerichtspraxis, dass Klagen gegen den
Arbeitgeber meistens mit einem Vergleich enden .

Um zu dem Beispiel zurückzukommen: Auch in die-
sem Falle wird es wahrscheinlich so sein . Die Klägerin
ist aufgefordert worden, einen Vergleich abzuschließen .
Ich möchte einen Arbeitsrichter zitieren, dessen Aussage
in einer Zeitung wiedergegeben wurde . Er hält das Er-
gebnis für zufriedenstellend und sagt:

Selbst wenn die Angestellten recht bekommen, ist
das Arbeitsverhältnis hinterher doch zu belastet, um
es fortzusetzen .

Ein weiterer wesentlicher Aspekt, warum wir ein Ver-
bandsklagerecht wichtig finden, ist, dass die dann ge-
sprochenen Urteile nicht einmal für alle von derselben
Diskriminierung betroffenen Leute gelten, sondern trotz-
dem jede und jeder Einzelne für denselben Fall densel-
ben Klageweg gehen muss . Eine Wirkung für diejenigen,
die von derselben Diskriminierung betroffen sind, entfal-
tet sich also nicht . Deshalb wollen wir ein Verbandskla-
gerecht im AGG, im Allgemeinen Gleichbehandlungsge-
setz, verankern .

Abschließend will ich noch den kleinen Hinweis ge-
ben: Wir werden uns ja demnächst mit dem Entgelttrans-
parenzgesetz, dem Gesetzentwurf zur Entgeltgleichheit,
beschäftigen . Auch dabei gilt: Es wird seine Wirkung nur
entfalten, wenn wir gleichzeitig ein Verbandsklagerecht
verankern .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821221400

Das Wort hat der Kollege Hendrik Hoppenstedt für die

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU):
Rede ID: ID1821221500

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Um den Schutz vor Diskriminierungen zu ver-
bessern, hat die Große Koalition vor zehneinhalb Jahren
das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz beschlossen .
Damit wurden insgesamt vier unterschiedliche EU-An-
tidiskriminierungsrichtlinien umgesetzt . Dank des AGG
wurden und werden Diskriminierungen erfolgreich be-
seitigt und verringert . Das Gesetz hat sich also nach un-
serer Auffassung insgesamt bewährt.

Die Linke – wir haben es eben gehört – fordert in ih-
rem Antrag die Einführung eines Verbandsklagerechts .
Zu Recht weist sie in der Begründung darauf hin, dass
Verfahren kollektiver Rechtsdurchsetzung im deutschen
Rechtssystem einen Fremdkörper darstellen . In Deutsch-
land haben wir das Konzept des Individualrechtsschut-
zes . Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 Grundgesetz bestimmt:

Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen
Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen.

Die verwaltungsgerichtliche Anfechtungs- und Ver-
pflichtungsklage gemäß § 42 Absatz 2 der Verwaltungs-
gerichtsordnung ist aber nur dann zulässig, „wenn der
Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder
seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten
verletzt zu sein“ . Auch im Zivilprozess gilt es darum, ei-
gene subjektive Rechte als Kläger vor Gericht durchzu-
setzen. Dieses Konzept hat sich nach unserer Auffassung
bewährt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es braucht schon gute Gründe, um im Einzelfall davon
abzuweichen .

Das von den Linken angeführte Beispiel der natur-
schutzrechtlichen Verbandsklage etwa kann man damit
rechtfertigen, dass die Natur ihre Rechte nicht selbst
einklagen kann . Dieses Argument gilt aber ausdrücklich
nicht für Diskriminierte . Man kann die Forderung nach
der Verbandsklage auch nicht mit finanziellen Hürden,
mit Beweisschwierigkeiten des Einzelnen oder einer
enormen emotionalen Belastung begründen, wie es die
Linke versucht . Die Gegenargumente lauten nämlich: Es
gibt Beratungs- und Prozesskostenhilfe . Beweisschwie-
rigkeiten ergeben sich auch bei klagenden Verbänden .
Und falls eine betroffene Person als Zeuge gehört wird,
löst das natürlich auch eine emotionale Belastung aus . –
Deswegen lehnt meine Fraktion die Einführung eines ge-
sonderten Verbandsklagerechts ab .

Die Grünen anerkennen in ihrem Antrag immerhin,
dass das AGG die Rechte derjenigen, die Benachteiligun-
gen aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft,
des Geschlechts, der Religion oder der Weltanschauung,
einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Iden-
tität erfahren haben, gestärkt hat . Positiv bewerten sie,
dass sich in deutschen Unternehmen eine Antidiskrimi-
nierungskultur etabliert habe . Sie behaupten allerdings
auch, dass die vier EU-Gleichbehandlungsrichtlinien in
dem AGG nur bruchstückhaft umgesetzt worden sind,
und fordern zudem eine Reform des Gesetzes, um Dis-
kriminierungen noch effektiver zu bekämpfen.

Cornelia Möhring






(A) (C)



(B) (D)


Der Antrag der Grünen enthält insgesamt 19 unter-
schiedliche Forderungen . Vieles davon steht schon in
dem Evaluierungsbericht der Antidiskriminierungsstelle
des Bundes . Das ist deswegen nicht besonders verwun-
derlich, weil auch ein Referent der Fraktion der Grünen
im Berliner Abgeordnetenhaus – meines Wissens jeden-
falls – an dem Bericht mitgewirkt hat .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können Sie mir den Namen geben?)


Ich kann jetzt leider nicht alle 19 Forderungen, die Sie
aufführen, hier mit Ihnen diskutieren. Deswegen gestat-
ten Sie mir, dass ich nur einige wenige herausgreife .

Sie fordern erstens natürlich auch das Verbandsklage-
recht . Das lehnen wir aus den eben genannten Gründen
ab .

Sie möchten zweitens den Begriff der Rasse möglichst
vermeiden und schlagen vor, diesen durch „rassistische
Benachteiligungen“ zu ersetzen .


(Zuruf des Abg . Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Hören Sie doch eine Sekunde zu! – Angesichts unserer
Geschichte kann man darüber sicherlich diskutieren . Das
Merkmal der Rasse ist allerdings von der Antirassismus-
richtlinie vorgegeben . Bevor diese beschlossen wurde,
ist intensiv über die konkrete Formulierung diskutiert
worden . Die Wortwahl entspricht dem Wortlaut des Arti-
kels 10 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU, des-
sen Ausfüllung die Antirassismusrichtlinie dient . Selbst
in unserem Grundgesetz, in Artikel 3 Absatz 3 Satz 1, ist
von Rasse die Rede . Daher glaube ich, dass wir das AGG
insoweit nicht ändern müssen .

Sie fordern drittens, klarzustellen, dass der Diskrimi-
nierungsgrund Geschlecht entgegen der Begründung des
AGG auch Diskriminierungen aufgrund der Geschlechts-
identität erfasst, das heißt trans- und intergeschlechtliche
Menschen . Damit erwecken Sie den Eindruck, dass diese
Personengruppen nicht ausreichend geschützt werden
und einen schwächeren Schutz genießen als Menschen,
die wegen ihres Geschlechts benachteiligt werden . Dies
begründen Sie leider nicht weiter . Richtig ist, dass vom
Begriff der sexuellen Identität laut Begründung des
AGG auch transsexuelle und zwischengeschlechtliche
Menschen erfasst werden . Damit unterliegen diese auch
uns am Herzen liegenden Personengruppen dem AGG-
Schutz, sodass ich Änderungsbedarf wirklich nicht er-
kennen kann . Im Ausschuss können wir darüber diskutie-
ren; vielleicht haben Sie ja ein paar Fallkonstellationen,
die uns weiterhelfen .

Schließlich schreiben Sie zum Schluss:

Die Gefahr von sexueller Belästigung besteht
grundsätzlich bei allen Schuldverhältnissen . . .

Deshalb wollen Sie sexuelle Belästigung auch im Hin-
blick auf den allgemeinen Zivilrechtsverkehr als Diskri-
minierung definieren. Auch diese Forderung erläutern
Sie nicht weiter . Bei alltäglichen schuldrechtlichen Mas-
sengeschäften, etwa an der Supermarktkasse, sehe ich

jedenfalls keine grundsätzliche Gefahr, aus Gründen der
Sexualität diskriminiert zu werden .

Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss,
möchte Ihnen aber schon jetzt keine zu großen Hoffnun-
gen machen, dass Ihre 19 Forderungen am Ende des Ta-
ges im Bundesgesetzblatt stehen werden .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Dr . Matthias Bartke [SPD] – Zuruf von der CDU/CSU: Die werden gar nicht drinstehen!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821221600

Der Kollege Volker Beck hat für die Fraktion Bünd-

nis 90/Die Grünen das Wort .


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821221700

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Lieber Kollege Hoppenstedt, es ist mir eine
Freude, dass Sie solch einen Gefallen an dem Allgemei-
nen Gleichbehandlungsgesetz gefunden haben . Sie wis-
sen ja: Es ist mehr Freude im Himmel über einen reuigen
Sünder als über 99 Gerechte .


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Was haben die Union und die Wirtschaftsverbände
vor dieser Diskussion gesagt, was da alles Schlimmes
auf uns zukommt?


(Dr . Hendrik Hoppenstedt [CDU/CSU]: Wir haben es beschlossen!)


Sie haben die Klagewellen und die enormen Kosten, die
auf die Unternehmen zukommen, angesprochen . Die ein-
zigen relevanten Kosten, die die Unternehmen infolge
dieses Gesetzes hatten, waren die Kosten für die Fortbil-
dungsveranstaltungen der Wirtschaftsverbände zur Vor-
bereitung auf das AGG. Sie waren überflüssig wie ein
Kropf, haben aber Geld gekostet .

Meine Damen und Herren, das AGG ist in der Tat ein
Erfolg, weil sich die Unternehmen, nachdem es Gesetz
geworden ist, damit angefreundet haben und es positive
Auswirkungen auf die Kultur vieler Unternehmen hatte,
was die Integration der Vielfalt der Menschen in ihrer Ar-
beitnehmerschaft angeht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das ist ein Erfolg, und wir können stolz auf die deutsche
Wirtschaft sein, dass dies gelungen ist .


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Dann müssen wir ja nichts mehr ändern!)


Nur, dieser Erfolg nützt dem oder der einzelnen Diskri-
minierten nicht, wenn das im eigenen Unternehmen bei
bestimmten Personen einfach nicht der Fall ist . Deshalb
ist es richtig, den Evaluierungsbericht der Antidiskrimi-
nierungsstelle nach zehn Jahren sehr ernst zu nehmen,

Dr. Hendrik Hoppenstedt






(A) (C)



(B) (D)


die Forderungen aufzugreifen und das Gesetz besser zu
machen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Einwände, die Sie hier vorgetragen haben, grei-
fen im Ergebnis nicht durch . Ich will nur zwei Punkte
ansprechen .

Sie sagen: Das Verbandsklagerecht brauchen wir
nicht, weil jedem der Rechtsweg offensteht. – Gerade
dann, wenn der Streitwert nicht viel hergibt, es sich im
Ergebnis also nicht lohnt, um die Beseitigung der Schä-
den aufgrund der Diskriminierung zu kämpfen, geht es
häufig um geringfügige, aber massenhaft vorkommende
Geschäfte, die auch einen gesellschaftlich prägenden
Gehalt haben . Wenn ich nicht in eine Diskothek komme,
weil ich eine schwarze Hautfarbe habe, weil ich schwul
bin, weil ich behindert bin oder dies oder jenes, dann
ist das ein gesellschaftlicher Ausschluss, der von vie-
len Menschen gesehen und in diskriminierender Art und
Weise prägend wird . Aber der Streitwert dürfte sehr ge-
ring sein . Deshalb wird der normale Bürger, der nicht auf
Streithanselei aus ist, sagen: Darum kümmere ich mich
nicht . – Aber wenn ein Antidiskriminierungsverband
oder die Antidiskriminierungsstelle sagt: „Wir müssen es
endlich abstellen, dass diese oder jene Diskothek rassis-
tisch diskriminiert“, dann, finde ich, ist es die Rolle der
Verbände, zu sagen: Wir tragen das Risiko, wir führen
den Prozess, und wir sorgen dafür, dass der Betreiber an
rassistischer Diskriminierung keinen Spaß mehr hat . –
Dafür braucht man das Verbandsklagerecht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wenn Sie sagen: „Das ist im Zivilrecht sonst nicht
üblich“, müssen Sie mal ad fontes bei den Antidiskrimi-
nierungsrichtlinien gehen . Diese gehen nämlich vom Ge-
neralfall des Strafrechts aus . Dagegen haben wir uns in
Deutschland entschieden . Ich habe das immer für richtig
gehalten .

In Frankreich und Großbritannien war es immer schon
und ist es auch jetzt strafrechtlich verboten, aufgrund
dieser Kriterien zu diskriminieren . Das ist eine viel zu
robuste Herangehensweise . Man hat dann mit „in dubio
pro reo“ wieder im Ergebnis Probleme, dass viel Zeug
stehen bleibt, weil man es nach den strengeren Regeln,
die im Strafrecht herrschen, nicht richtig beweisen kann .

Aber davon müssen Sie ausgehen . Dann wäre es näm-
lich der Staatsanwalt, der sich um diese Frage zu küm-
mern hat . Man bräuchte keine Antidiskriminierungsver-
bände . Deshalb müssen wir in der zivilrechtlichen Logik
nachdenken, ob das, was wir mit dem Gesetz erreichen
wollen, in allen Bereichen im Ergebnis gilt .

Der andere Punkt ist: Beim Thema „Geschlechtsiden-
tität“ sind Sie schlichtweg falsch informiert . Im Zivil-
recht macht es einen Unterschied, ob man aufgrund des
Geschlechts diskriminiert wird und der Richtlinie, die
die volle Anwendung des Antidiskriminierungsschut-
zes im Zivilrecht verlangt, unterfällt oder nicht . Bei der
sexuellen Identität haben wir den Schutz nur freiwillig
angeglichen, aber den gesamten Bereich der Nichtmas-
sengeschäfte ausgenommen . Ein Vermietungsfall von

jemandem, der weniger als 50 Wohnungen vermietet, ist
im Ergebnis nicht im Diskriminierungsschutz . Das soll-
ten wir meines Erachtens sowieso insgesamt beseitigen .
Dann hätten Sie recht .

Ich will noch einen Punkt ansprechen . Wir haben das
im Antrag drin; die Linke hat es angesprochen, aber nicht
im eigenen Antrag . Es geht um die Frage der persönli-
chen Loyalitätspflichten von Mitarbeitern der religiösen
Wohlfahrtsverbände. Ich finde es ein Unding, dass es
theoretisch weiterhin möglich ist, dass einer lesbischen
Erzieherin oder einem schwulen Krankenpfleger wegen
der Homosexualität von einem katholischen Arbeitgeber
genauso gekündigt werden darf, wie es bei wiederverhei-
rateten Geschiedenen zulässig wäre .

Da gab es kürzlich in meiner Heimatregion den Fall,
dass jemand nicht Rektor einer katholischen Hochschule
werden konnte, –


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821221800

Kollege Beck, Sie müssen bitte den angekündigten

Punkt setzen .


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821221900

– weil er wieder verheiratet war .

Jetzt denken Sie zu Ende, was Ihr Innenminister
will . Er will in der Islam Konferenz gegenwärtig darü-
ber reden: Es soll muslimische Wohlfahrtsverbände ge-
ben . – Wollen Sie am Ende im Ernst zulassen, dass eine
Erzieherin, die muslimisch ist, nicht im muslimischen
Kindergarten arbeiten darf, weil sie es anders als ihr Ar-
beitgeber nicht für notwendig hält, ein Kopftuch zu tra-
gen? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein . Da müssen Sie
sich an andere Parteitagsbeschlüsse erinnern .


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821222000

Kollege Beck, lassen Sie uns das bitte in den Aus-

schüssen vertiefen .


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821222100

Vielen Dank, Frau Präsidentin, für Ihre Nachsicht .


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821222200

Das Wort hat der Kollege Dr . Matthias Bartke für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Matthias Bartke (SPD):
Rede ID: ID1821222300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin

ein Mann . Ich bin weiß, säkular, nicht behindert und
nicht schwul . Menschen wie ich werden selten diskrimi-
niert . Doch für viele andere gehört Diskriminierung lei-
der immer noch zum Alltag .

Jede dritte Bürgerin und jeder dritte Bürger in
Deutschland gibt an, dass er oder sie in den vergangenen
zwei Jahren diskriminiert worden ist .

Volker Beck (Köln)







(A) (C)



(B) (D)


Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, AGG, will an
dieser Stelle Abhilfe schaffen. Es hat das Ziel, Benachtei-
ligungen zu verhindern .

Das bezieht sich auf Benachteiligungen aus Gründen
der Rasse, der ethnischen Herkunft und des Geschlechts .
Auch Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter
oder sexuelle Identität sind Gründe für Benachteiligun-
gen nach dem AGG .

Im August vergangenen Jahres wurde das Gesetz zehn
Jahre alt . Anlässlich dieses Jubiläums hat die Antidis-
kriminierungsstelle einen Spot veröffentlicht. In diesem
Spot lesen verschiedene Leute aus Zeitungsanzeigen vor .
„Gesucht wird ein Geschäftsführer, der eine verantwor-
tungsvolle, selbstständige Persönlichkeit ist . Es sollen
sich nur Herren melden .“ Oder: „Folgende Wohnungs-
interessenten werden nicht berücksichtigt: Rentner, kin-
derreiche islamistische Familien, Ausländer, Afrikaner
sowieso nicht .“

Bis 2006 gab es kein Gesetz gegen solche Diskrimi-
nierung . Dann wurde sie mit dem AGG endlich verboten .
Seitdem ist viel passiert . Klagen gegen Altersdiskriminie-
rung führten zur Änderung von Tarifverträgen . Schwule
und Lesben in Lebenspartnerschaften erkämpften sich
ihr Recht auf Gleichbehandlung in der betrieblichen Al-
tersvorsorge . Das Bundesarbeitsgericht stellte klar, dass
auch chronische Krankheiten unter den Behinderungsbe-
griff des AGG fallen. Türkeistämmige Familien klagten
erfolgreich gegen ihren Vermieter wegen diskriminieren-
der Mieterhöhungen . Einer jungen Frau wurde aufgrund
ihres Kopftuchs ein Ausbildungsplatz verwehrt . Auch sie
klagte erfolgreich vor dem Arbeitsgericht .

Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen: Das AGG
ist ein Riesenerfolg .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– Herr Hoppenstedt ist mein Zeuge .

Das AGG befördert immer wieder die Debatte über
Alltagsdiskriminierung und Teilhabegerechtigkeit . Das
Bewusstsein für Diskriminierung hat sich in den letzten
zehn Jahren geschärft . Es gibt aber immer noch viel zu
tun; denn es haben in der Tat nicht alle Diskriminierten
die Zeit und das Geld und auch nicht die emotionale Sta-
bilität, um den Klageweg zu gehen . Niemand will als
„AGG-Hopper“ diffamiert werden. Frau Möhring, eine
Alternative wäre hier auch aus unserer Sicht in der Tat
das Verbandsklagerecht, dem wir offen gegenüberstehen.

Im letzten Jahr haben wir das Gesetz zur Gleichstel-
lung von Menschen mit Behinderungen weiterentwi-
ckelt. Dieses Gesetz verpflichtet in erster Linie Träger
der öffentlichen Gewalt. Bei einer Reform des AGG wird
es daher darauf ankommen, nun auch für die Privatwirt-
schaft verbindliche Regelungen zu schaffen, wonach sie
angemessene Vorkehrungen für Barrierefreiheit zu tref-
fen haben .

Liebe Oppositionsfraktionen, ich habe hier nur we-
nige Punkte angesprochen . Wir sehen an verschiedenen
Stellen noch Änderungsbedarf . Sie haben ebenfalls eine

ganze Liste an Forderungen aufgestellt, zu denen wir ger-
ne in die Beratung einsteigen .

Liebe Bündnisgrüne, eines muss ich Ihnen aber jetzt
schon sagen: Ihre Einschätzung zum Entgeltgleichheits-
gesetz teilen wir nicht – die Antidiskriminierungsstelle
übrigens auch nicht . Ganz im Gegenteil: Sie hat im letz-
ten Jahr die rasche Verabschiedung des Entgeltgleich-
heitsgesetzes angemahnt, und das ist auch richtig so .

Seit fast sieben Jahrzehnten gilt das Gebot der Gleich-
berechtigung von Männern und Frauen im Grundgesetz .
In der Praxis klafft aber noch immer eine deutliche Lohn-
lücke von 21 Prozent. Ja, Frauen arbeiten häufiger im
Niedriglohnsektor, und ja, Sie arbeiten seltener in Füh-
rungspositionen . Die Lohnlücke hat aber auch noch an-
dere Ursachen .

Fakt ist: Selbst wenn Frauen die gleiche Arbeit ma-
chen und die gleiche Qualifikation mitbringen, werden
sie nicht gleich bezahlt . Daher gilt: Ein Entgeltgleich-
heitsgesetz tut dringend not .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der SPD – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist einfach zu wenig!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821222400

Der Kollege Dr . Volker Ullrich hat für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Volker Ullrich (CSU):
Rede ID: ID1821222500

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Bereits die Rechts- und Werteordnung des
Grundgesetzes verbietet Diskriminierungen und verlangt
Rechtsgleichheit . Um diesen Gedanken zu unterstrei-
chen, hat die Große Koalition vor zehn Jahren das Allge-
meine Gleichbehandlungsgesetz erlassen .

Ich gebe zu, dass dieses Gesetz zu Beginn umstritten
war . Mittlerweile ist es aber in der Praxis angekommen .
Es hat zu einer Änderung der Kultur im Bereich des Ar-
beitsrechts – beispielsweise bei den Ausschreibungen –
geführt und ist in der Praxis gut handhabbar .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Es sind jetzt Vorschläge dafür auf dem Tisch, dieses
Gesetz zu ändern . Wir müssen uns die Frage stellen,
ob diese Vorschläge notwendig, geboten und auch gut
sind . Das ist im Ergebnis zu verneinen . Wir sollten am
bewährten und guten Allgemeinen Gleichbehandlungs-
gesetz nichts ändern, sondern diesen Rechtszustand be-
lassen . Ich will Ihnen das an zwei Beispielen erklären:

Sie verlangen eine Ausdehnung der sogenannten
Drittwirkung auf alle schuldrechtlichen Verhältnisse . Das
würde im Ergebnis bedeuten, dass überall im alltäglichen
Rechtsbereich – an der Kinokasse, im Supermarkt, im
Mietshaus – ein Dritter – der Vermieter, der Inhaber des
Supermarktes – letzten Endes dafür haften würde, wenn
ein Fremder eine sexuelle Belästigung begeht .

Dr. Matthias Bartke






(A) (C)



(B) (D)


Die besondere Brisanz entsteht dabei dadurch, dass
das AGG bislang eine Beweislastumkehr vorsieht .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Beweislastverschärfung!)


Der Arbeitgeber muss zum Beispiel im Augenblick
beweisen – § 22 AGG –, dass eine sexuelle Belästigung
nicht vorlag . Das ist im Bereich des Arbeitsrechtes an-
gemessen, weil dort ein besonderes Rechtsverhältnis
besteht . Aber wenn wir diese Regelung auf die gesamte
Rechtsordnung ausdehnen würden, würden wir ein sys-
temfremdes Element einführen und damit eine Haftung
von Unbeteiligten erreichen . Das können wir nicht wol-
len, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich bin auch skeptisch bei der Einführung eines Ver-
bandsklagerechts . Ein solches ist wesensfremd, und wir
brauchen es im Ergebnis nicht . Die Behauptung und die
Geltendmachung einer Rechtsverletzung liegen zunächst
immer in der Verantwortung des Einzelnen, des Opfers .
Es gibt in Deutschland Opferschutzverbände, Pflichtver-
teidiger, Prozesskostenhilfe – viele Punkte der Unterstüt-
zung, die es Menschen, die diskriminiert worden sind,
möglich machen, zu klagen und zu ihrem Recht zu kom-
men . Selbst die Antidiskriminierungsstelle des Bundes
kann nach dem geltenden Recht Unterstützungsleistun-
gen geben, wenn es um ein Verfahren geht .

Aus diesem Grund bin ich sehr zurückhaltend, wenn
es darum geht, ein Verbandsklagerecht einzuführen; denn
hier haben wir tatsächlich ein Einfallstor für Missbrauch
und für fach- und sachfremde Verfolgung . Deswegen
sollten wir den Weg des Verbandsklagerechts nicht ge-
hen, sondern Opfer darin bestärken, ihre eigenen Rechte
wahrzunehmen . Ich glaube, das wäre auf alle Fälle der
bessere Weg .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Regelungen, die die Linke und die Grünen heu-
te vorschlagen, machen das Gesetz wesentlich bürokra-
tischer . Die Folge davon wird sein, dass die Akzeptanz
dieses Gesetzes in der Gesellschaft sinken wird,


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch!)


dass ein gut eingeführtes System ad absurdum geführt
wird und wir durch mehr Bürokratie im Endeffekt nicht
weniger Diskriminierung, sondern mehr Ärger bekom-
men .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie schon mal gesagt! – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist alles Quatsch!)


Ich warne davor, das Zusammenleben in unserer Ge-
sellschaft unter den Generalverdacht der Diskriminie-
rung zu stellen . Natürlich kommt Diskriminierung vor .
Das ist nicht schön . Aber ich glaube, dass die Bürger wei-
ter sind als die Grünen .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weiter als Sie!)


Das hat sich beispielsweise Silvester gezeigt . Sie haben
bei unserer Polizei als Allererstes Diskriminierung gese-
hen, während wir Sicherheit und Ordnung und Tausende
Frauen, die geschützt wurden, gesehen haben . Das ist der
Unterschied zwischen Ihnen und uns .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich darf im Ergebnis sagen, dass sich dieses Gesetz
bewährt hat . Es wird keine Verschärfung und keine Än-
derung geben, sondern wir werden dieses Gesetz beibe-
halten, weil es insgesamt zu einem wichtigen Gut bei-
trägt: zu Rechtsfrieden in dieser Gesellschaft .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821222600

Das Wort hat die Kollegin Dr . Dorothee Schlegel für

die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Dorothee Schlegel (SPD):
Rede ID: ID1821222700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Zum einen möchte ich sagen: Ja, ich bin eine
Frau . Zum anderen möchte ich zu Herrn Ullrich einfach
Nein sagen .


(Lachen bei der CDU/CSU – Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Dann begründen Sie es mal! Ich bin auf Ihre Begründung gespannt!)


Als das rot-grüne Projekt des Antidiskriminierungsge-
setzes von 2005 nach verschiedenen Anläufen 2006 als
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz endlich in Kraft
trat, hatte es schon heftige Proteste und Unkenrufe heil
überstanden . Von Überregulierung war die Rede, Klage-
wellen wurden befürchtet . Kritiker des Gesetzes wehrten
sich gegen die verordnete Toleranz – heute übrigens im-
mer noch ein viel genutztes Argument .

Jetzt, zehn Jahre später, können wir stolz sagen: Das
Gesetz hat sich bewährt . Die Klagewellen blieben aus .
Durch das AGG wird Diskriminierung vom Großteil der
Bevölkerung nicht mehr einfach nur geduldet . Die Men-
schen sind aufmerksamer geworden, wenn Minderheiten
benachteiligt werden .


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Dann reicht das Gesetz doch! Dann müssen wir nichts ändern!)


– Lassen Sie mich einfach ausreden . – Auch die Wirt-
schaft konnte überzeugt werden, dass sich Vielfalt be-
zahlt macht . Dennoch hören wir heute wie damals von
den Kritikern dieselben Floskeln .

Einer der ersten Kritiker war der ehemalige Kollege
von der CDU, Herr Kampeter .


(Christian Haase [CDU/CSU]: Recht hat er!)


Als die Antidiskriminierungsstelle letzten Sommer zehn
Jahre alt geworden ist und ihren Evaluierungsbericht
zum Gesetz veröffentlichte, sagte er, diese „Überregu-

Dr. Volker Ullrich






(A) (C)



(B) (D)


lierungskultur“ müsse ein Ende haben . – Er meinte, der
Bericht gehöre in den Papierkorb .

Meine Damen und Herren, mein Verständnis von Po-
litik ist ein ganz anderes . Wir als SPD haben Überzeu-
gungen, die wir in Politik umsetzen . Ein Gesetz, ebenso
das Grundgesetz, vermittelt dabei selbstverständlich ein
Wertesystem .

Gern zähle ich auf, was die SPD erreicht hat . Das The-
ma hat in meiner Partei eine über 150-jährige Tradition;
ich habe aber nur drei Minuten Redezeit . Deshalb begin-
ne ich nicht beim Frauenwahlrecht, sondern beschränke
mich auf diese Wahlperiode . Fangen wir an beim Min-
destlohn, der Frauenquote oder dem Bundesteilhabege-
setz . Das sind wichtige Schritte zum Abbau von Diskri-
minierung .


(Beifall bei der SPD)


Gehen wir weiter zum Lohngerechtigkeitsgesetz, das wir
hier voraussichtlich in wenigen Wochen verabschieden
können . Zudem haben wir als SPD-Fraktion in unserem
Positionspapier zum sozialen Europa gefordert: Deutsch-
land darf einer Verabschiedung der fünften Antidiskri-
minierungsrichtlinie auf EU-Ebene nicht länger im Weg
stehen .

Bis vor kurzem, meine Damen und Herren, wähnten
wir uns auch noch sicher in unserer gemeinsamen Über-
zeugung, dass niemand diskriminiert werden darf, weil
er eine Behinderung hat, einer bestimmten Religion an-
gehört, homosexuell, zu alt oder zu jung ist, eine nicht-
deutsche ethnische Herkunft oder ein Geschlecht hat, das
irgendjemandem nicht passt . Doch in Zeiten zunehmen-
der rechtspopulistischer Tendenzen und Politiker fürchte
ich, dass uns wichtige Jahre bevorstehen . Wir sind bei
der Gleichbehandlung von Menschen noch lange nicht
am Ziel, und als SPD werden wir bei diesem Thema auch
nicht lockerlassen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD – Dr . Volker Ullrich [CDU/ CSU]: Jetzt haben Sie mir gar nicht widersprochen! – Gegenruf der Abg . Dr . Dorothee Schlegel [SPD]: Am Anfang!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821222800

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 18/10864 und 18/9055 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall . Dann
sind die Überweisungen so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durch-
führung der Verordnung (EU) 2015/848 über
Insolvenzverfahren

Drucksache 18/10823
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .1)

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/10823 an den Ausschuss für Recht und
Verbraucherschutz vorgeschlagen . Sind Sie damit einver-
standen? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung so
beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Kathrin
Vogler, Sabine Zimmermann (Zwickau),
Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Gute und wohnortnahe Arzneimittelversor-
gung

Drucksache 18/10561
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie

Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden, und ich sehe, Sie sind damit einverstanden .2)

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/10561 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:

Erste Beratung des von den Abgeordneten Azize
Tank, Katja Kipping, Sabine Zimmermann

(Zwickau), weiteren Abgeordneten und der Frak-

tion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines
... Gesetzes zur Änderung des Grundgeset-

(Aufnahme sozialer Grundrechte in das Grundgesetz)


Drucksache 18/10860
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden, und
ich sah, Sie sind damit einverstanden .3)

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/10860 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall .
Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr . Alexander S . Neu, Andrej Hunko, Wolfgang
Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

1) Anlage 9
2) Anlage 10
3) Anlage 11

Dr. Dorothee Schlegel






(A) (C)



(B) (D)


US- und NATO-Stützpunkt Ramstein unver-
züglich schließen

Drucksache 18/10863
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Verteidigungsausschuss

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden, und
ich sehe, Sie sind auch hier damit einverstanden .1)

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/10863 an die in der Tagesordnung aufge-

1) Anlage 12

führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung .

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Freitag, den 20 . Januar 2017, 9 Uhr,
ein . Ich wünsche Ihnen bis dahin alles Gute .

Die Sitzung ist geschlossen .